SEGUNDA PARTE

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Titelblatt der Broschüre „Zwei politische Prozesse" mit den Rede« von Karl Marx und Friedrich Engels

Der erste Preßprozeß der „Neuen Rheinischen Zeitung"13481
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.221 vom M.Februar 1849] [Verteidigungsrede von Karl Marx] Meine Herren Geschwornen! Die heutige Prozedur hat eine gewisse Wichtigkeit, weil die von der Anklage gegen die „N[eue] Rh[einische] Zfeitung]" bezogenen Art[ikel] 222 und 367 des Code penal[90] die einzigen sind, welche die rheinische Gesetzgebung der Staatsbehörde bietet, es sei denn, daß direkte Aufforderung zum Aufruhr vorliegt. Sie alle wissen, mit welch ganz besonderer VorliebedasParquetdie „N[eue] Rhfeinische] Z [ei tung]" verfolgt. Es ist ihm indes bis jetzt trotz aller Emsigkeit nicht gelungen, uns anderer Vergehen anzuklagen als der in Art. 222 und 367 vorgesehenen. Im Interesse der Presse halte ich daher ein näheres Eingehen auf diese Artikel für nötig. Ehe ich mich aber in eine juristische Auseinandersetzung einlasse, erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. Das öffentliche Ministerium hat die Stelle des inkriminierten Artikels: „Verbindet Herr Zweiffei etwa die exekutive Gewalt mit der legislativen? Sollen die Lorbeeren des Oberprokurators die Blößen des Volksrepräsentanten bedecken?" eine Gemeinheit genannt! Meine Herren! Es kann jemand ein sehr guter Oberprokurator und zugleich ein schlechter Volksrepräsentant sein. Er ist vielleicht nur deswegen ein guter Oberprokurator, weil er ein schlechter Volksrepräsentant ist. Das öffentliche Ministerium scheint mit der parlamentarischen Geschichte wenig vertraut zu sein. Die Frage der Inkompatibilitäten, die einen so großen Raum einnimmt in den Verhandlungen der konstitutionellen Kammern, worauf beruht sie? Auf dem Mißtrauen gegen die Exekutivbeamten, auf dem Verdachte, daß ein Exekutivbeamter das Interesse der Gesellschaft leicht dem Interesse der bestehenden Regierung aufopfert und sich daher eher zu allem andern eignet, als zum Volksrepräsentanten. Und nun speziell die Stelle eines Staats
anwaltes. In welchem Lande hätte man sie nicht für unvereinbar gehalten mit der Würde eines Volksvertreters? Ich erinnere Sie an die Angriffe gegen Hebert, Plougoulm, Bavay in der französischen und belgischen Presse, in den französischen und belgischen Kammern, Angriffe, die eben gegen die widerspruchsvolle Verbindung der Qualitäten eines Generalprokurators und Deputierten in einer Person gerichtet waren. Nie hatten diese Angriffe eine gerichtliche Untersuchung zur Folge, selbst nicht unter Guizot, und das Frankreich des Louis-Philippe, das Belgien Leopolds galten als die konstitutionellen Musterstaaten. In England verhält es sich freilich anders mit dem AttorneyGeneral und dem Solicitor-General. Ihre Stellung ist aber auch wesentlich verschieden von der eines procureur du roi. Sie sind mehr oder minder schon richterliche Beamte. Wir, meine Herren, sind nicht konstitutionell, wir stellen uns aber auf den Standpunkt der Herren, die uns anklagen, um sie auf ihrem eigenen Terrain mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Wir berufen uns daher auf den konstitutionellen Usus. Das öffentliche Ministerium will einen großen Abschnitt der parlamentarischen Geschichte vernichten — mit einem moralischen Gemeinplatz. Ich weise seinen Vorwurf der Gemeinheit entschieden zurück, ich erkläre ihn aus seiner Unwissenheit. Ich gehe jetzt zur Erörterung der juristischen Frage über. Schon mein Verteidiger1 hat Ihnen bewiesen, daß ohne das preußische Gesetz vom 5. Juli 1819t2491 die Anklage wegen Beleidigung des Oberprokurator Zweiffei von vornherein unstatthaft war. Art. 222 des Code penal spricht nur von „outrages par paroles"2, von mündlichen Beleidigungen, nicht von geschriebenen oder gedruckten. Indes, das preußische Gesetz von 1819 sollte den Art. 222 ergänzen, nicht aufheben. Das preußische Gesetz kann die Strafe des Art. 222 nur da auf schriftliche Beleidigungen ausdehnen, wo der Code sie für mündliche verhängt. Die schriftlichen Beleidigungen müssen unter denselben Umständen und Bedingungen vorfallen, die Art. 222 für mündliche Beleidigungen voraussetzt. Es ist also nötig, den Sinn des Artikels 222 genau zu bestimmen.* In den Motiven zum Art. 222 (Expose par M. le conseiller d'etat Berlier, seance du fevrier 18103) heißt es:
* Artikel 222 lautet wörtlich: „Lorsqu un ou plusieurs magistrats de 1 ordre administratif ou iudiciaire auront regu dans l'exercice de letirs fonctions ou ä Voccasion de cet
1 Schneider II - 2 alle in diesem Artikel kursiv erscheinenden Textstellen aus dem Code penal sind Hervorhebungen von Marx und Engels - 3 dargelegt von Herrn Staatsrat Berlier in der Sitzung vom Februar 1810
„II ne sera donc ici question que des seuls outrages qui compromettent la paix publique c.a.d. de ceux diriges contre les fonctionnaires ou agents publics dans l'exercice ou ä l'occasion de l'exercice de leurs fonctions; dans ce cas ce n'est plus un particulier, c'est l'ordre public qui est blesse ... La hierarchie politique sera dans ce cas prise en consideration: celui qui se permet des outrages ou violences envers un officier ministeriel est coupable sans doute, mais il commet un moindre scandale que lorsqu'il outrage un magistrat." Das heißt also zu deutsch: „Es wird sich hier also nur von den Beleidigungen handeln, welche die öffentliche Ordnung, den Landfrieden, bloßstellen, das heißt also von den Beleidigungen gegen Beamte oder öffentliche Agenten während der Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Funktionen: In diesem Falle ist es nicht mehr eine Privatperson, es ist die öffentliche Ordnung, die verletzt wird ... Die politische Hierarchie wird in diesem Falle in Erwägung gezogen werden: Wer sich Beleidigungen oder Tätlichkeiten gegen einen ministeriellen Agenten erlaubt, ist zweifelsohne schuldig, aber er verursacht einen geringem Skandal, als wenn er einen Richter beleidigt." Sie ersehn aus diesen Motiven, meine Herrn, was der Gesetzgeber mit dem Artikel 222 beabsichtigte. Der Artikel 222 ist „nur" anwendbar auf Beamtenbeleidigungen, welche die öffentliche Ordnung, den Landfrieden, kompromittieren, in Frage stellen. Wann wird die öffentliche Ordnung, la paix publique, kompromittiert? Nur dann, wenn ein Aufruhr zum Umstürze der Gesetze unternommen oder wenn die Verwirklichung der bestehenden Gesetze gestört wird, d.h., wenn eine Auflehnung gegen den Beamten, der das Gesetz ausführt, stattfindet, wenn die Amtshandlung eines funktionierenden Beamten unterbrochen, beeinträchtigt wird. Die Auflehnung kann beim bloßen Murren, bei beleidigenden Worten stehenbleiben; sie kann bis zur Tätlichkeit, zur gewaltsamen Widersetzlichkeit fortgehen. Die outrage, die Beleidigung, ist nur der unterste Grad der violence, der Widersetzlichkeit, der gewaltsamen Auflehnung. Es heißt daher in den Motiven „outrages ou violences", „Beleidigungen oder Tätlichkeiten". Beide sind dem Begriffe nach identisch; die violence, die Tätlichkeit, ist nur eine erschwerende Form der outrage, der Beleidigung, des funktionierenden Beamten.
exercice quelque outrage par paroles tendant ä inculper leur honneur ou leur delicatesse, celui qui les aura ainsi outrages sera puni d'un emprisonnement d'un mois ä deux ans."1
1 „Wird einer oder mehreren Amtspersonen aus dem Verwaltungs- oder Gerichtswesen während der Ausübung ihrer Amtsverrichtungen oder bei Gelegenheit dieser Ausübung irgendeine Beleidigung durch Worte zugefügt, die ihre Ehre oder ihr Zartgefühl verletzen, so soll derjenige, der sie auf solche Art beleidigt hat, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft werden."
15 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Es wird also in diesen Motiven vorausgesetzt, 1. daß der Beamte beleidigt wurde, während er eine Amtshandlung ausübt; 2. daß er in seinem persönlichen Beisein beleidigt wird. In keinem andern Falle findet eine wirkliche Störung der öffentlichen Ordnung statt. Sie finden dieselbe Voraussetzung in dem ganzen Abschnitt, der von „outrages et violences envers les depositaires de Tautorite et de la force publique" handelt, d.h. von „Beleidigungen und Gewalttätigkeiten gegen diejenigen, denen die öffentliche Gewalt und die öffentliche Macht anvertraut ist". Die verschiedenen Artikel dieses Abschnitts stellen folgende Stufenreihe der Widersetzlichkeit auf: Mienen, Worte, Drohungen, Tätlichkeiten; die Tätlichkeiten selbst werden wieder nach dem Grade ihrer Schwere unterschieden. Es wird endlich bei allen diesen Artikeln eine Strafverschärfung verfügt für den Fall, daß diese verschiedenen Formen der Widersetzlichkeit in der Audienz eines Gerichtshofes stattfinden. Hier wird der größte „Skandal" verursacht und die Ausführung der Gesetze, die paix publique, am schreiendsten gestört. Auf schriftliche Beleidigungen gegen Beamte ist Artikel 222 daher nur da anwendbar, wo schriftliche Beleidigungen 1. im persönlichen Beisein des Beamten, 2. während seiner Amtsverrichtung denkbar sind. Mein Verteidiger hat Ihnen, meine Herrn, ein solches Beispiel angeführt. Er selbst würde dem Art. 222 verfallen, wenn er z.B. jetzt, während der Assisenverhandlung, in einem schriftlichen Antrage den Präsidenten beleidigte u. dgl. Auf einen Zeitungsartikel dagegen, der nach lang vollbrachter Amtshandlung, in Abwesenheit des funktionierenden Beamten, „beleidigt", kann dieser Artikel des Code penal unter keinen Umständen irgendwie eine Anwendung finden. Diese Interpretation des Art. 222 erklärt Ihnen eine scheinbare Lücke, eine scheinbare Inkonsequenz des Code penal. Warum darf ich den König beleidigen, während ich den Oberprokurator nicht beleidigen darf? Warum diktiert der Code keine Strafe für die Majestätsbeleidigung wie das preußische Landrecht[149 ]? Weil der König nie selbst eine Beamtenfunktion ausübt, sondern stets nur durch andere ausüben läßt, weil der König mir nie persönlich, sondern immer nur durch Repräsentanten gegenübertritt. Der aus der französischen Revolution hervorgehende Despotismus des Code penal ist himmelweit verschieden von dem patriarchalisch-schulmeisterlichen Despotismus des preußischen Landrechts. Der napoleonische Despotismus schlägt mich nieder, sobald ich die Staatsgewalt wirklich hemme, sei es auch nur durch Beleidigung eines Beamten, der, in einer Amtshandlung begriffen, mir gegenüber die Staatsgewalt geltend macht. Außer der Amtshandlung wird der Beamte
dagegen zum gewöhnlichen Mitgliede der bürgerlichen Gesellschaft, ohne Privilegien, ohne exzeptionelle Schutzwehr. Der preußische Despotismus dagegen stellt mir in dem Beamten ein höhres, geheiligtes Wesen gegenüber. Sein Beamtencharakter ist mit ihm verwachsen wie die Weihe mit dem katholischen Priester. Der preußische Beamte bleibt für den preußischen Laien, d.h. Nichtbeamten, stets Priester. Die Beleidigung eines solchen Priesters, selbst eines nicht funktionierenden, eines abwesenden, eines in das Privatleben zurückgekehrten, bleibt eine Religionsschändung, eine Entweihung. Je höher der Beamte, desto schwerer die Religionsschändung. Die höchste Beleidigung des Staatspriesters ist daher die Beleidigung des Königs, die Majestätsbeleidigung, die nach dem Code penal zu den kriminalistischen Unmöglichkeiten gehört. Aber, wird man sagen, spräche Art. 222 des Code penal nur von outrages gegen Beamte „dans l'exercice de leurs fonctions", von Beleidigungen gegen Beamte während der Ausübung ihrer Amtsverrichtungen, so bedürfte es keines Beweises, daß die persönliche Gegenwart des Beamten vom Gesetzgeber unterstellt wird und die notwendige Bedingung jeder unter Art. 222 zu subsumierenden Beleidigung ist. Art. 222 setzt jedoch den Worten „dans l'exercice de leurs fonctions" hinzu: „a l'occasion de cet exercice". Das öffentliche Ministerium hat dies übersetzt: „mit Bezug auf ihr Amt". Ich werde Ihnen beweisen, meine Herren, daß diese Übersetzung falsch ist und der Absicht des Gesetzgebers gradezu widerspricht. Werfen Sie einen Blick auf Art. 228 desselben Abschnitts. Eis heißt hier: Wer einen Beamten schlägt „dans l'exercice de ces fonctions ou a l'occasion de cet exercice" wird mit Gefängnis von zwei bis zu fünf Jahren bestraft. Kann man hier nun übersetzen: „mit Bezug auf sein Amt"? Kann man relative Schläge austeilen? Wird hier die Voraussetzung der persönlichen Gegenwart des Beamten aufgegeben? Kann ich einen Abwesenden prügeln? Es muß offenbar übersetzt werden: „Wer einen Beamten bei Gelegenheit seiner Amtsverrichtungen schlägt." In dem Art. 228 finden Sie aber wörtlich dieselbe Phrase wie im Art. 222. Das „a l'occasion de cet exercice" hat offenbar in beiden Artikeln dieselbe Bedeutung. Weit entfernt also, daß dieser Zusatz die Bedingung der persönlichen Gegenwart des Beamten ausschlösse, setzt er sie vielmehr voraus. Die Geschichte der französischen Gesetzgebung bietet Ihnen einen weitern schlagenden Beweis. Sie erinnern sich, daß in den ersten Zeiten der französischen Restauration die Parteien sich unerbittlich gegenübertraten, in den Parlamenten, in den Gerichtshöfen, mit dem Dolche in Südfrankreich. Die Geschwornengerichte waren damals nichts als standrechtliche Tribunale der siegenden Partei gegen die besiegte Partei. Die Oppositionspresse geißelte 15*
schonungslos die Geschwornenurteile. Man fand in Art. 222 keine Waffe gegen diese mißliebige Polemik, weil Art. 222 nur anwendbar wäre auf Beleidigungen gegen die Geschwornen, während sie sitzen, in ihrem persönlichen Beisein. Man fabrizierte daher 1819 ein neues Gesetz, welches jeden Angriff auf die chose jugee, auf ein gefälltes Urteil, bestraft. Der Code penal kennt diese Unantastbarkeit des richterlichen Urteils nicht. Hätte man ihn durch ein neues Gesetz ergänzt, wenn § 222 von Beleidigungen „mit Bezug" auf die Amtsfunktion handelte? Was will aber nun der Zusatz: „a l'occasion de cet exercice"? Er will weiter nichts als den Beamten vor Angriffen kurz vor oder nach seiner Amtsverrichtung sicherstellen. Spräche Art. 222 nur von „Beleidigung und Tätlichkeit" gegen den Beamten während der Dauer seiner Amts Verrichtung, so könnte ich z.B. einen Gerichtsvollzieher nach vollzogener Pfändung zur Treppe hinunterwerfen und behaupten, ich habe ihn erst beleidigt, nachdem er aufgehört, mir als Gerichtsvollzieher amtlich gegenüberzustehen. Ich könnte einen Friedensrichter, während er nach meinem Wohnsitz reitet, um gerichtliche Polizei gegen mich auszuüben, unterwegs überfallen und prügeln und mich der in Art. 228 angedrohten Strafe entziehen durch die Behauptung, ich habe ihn nicht während, sondern vor seiner Amts Verrichtung malträtiert. Der Zusatz „ä l'occasion de cet exercice", bei Gelegenheit der Amtsverrichtung, bezweckt also die Sicherheit der amtlich funktionierenden Beamten. Er bezieht sich auf Beleidigungen oder Tätlichkeiten, die zwar nicht unmittelbar während der Amtsverrichtung vorfallen, aber kurz vor oder nach derselben geschehen und, was das Wesentliche ist, in lebendigem Zusammenhange mit der Amtsverrichtung stehen, also unter allen Umständen die persönliche Gegenwart des mißhandelten Beamten voraussetzen. Bedarf es weiterer Ausführung, daß § 222 nicht auf unsern Artikel anwendbar ist, sollten wir selbst durch denselben Herrn Zweiffei beleidigt haben? Als jener Artikel geschrieben wurde, war Herr Zweiffei abwesend; er wohnte damals nicht zu Köln, sondern zu Berlin. Als jener Artikel geschrieben wurde, funktionierte Herr Zweiffei nicht als Oberprokurator, sondern als Vereinbarer11301. Er konnte daher nicht als funktionierender Oberprokurator beleidigt, beschimpft werden. Abgesehen von meiner ganzen bisherigen Ausführung stellt sich auch auf andere Weise heraus, daß Art. 222 nicht auf den inkriminierten Artikel der „Neuen Rheinischen Zeitung" anwendbar ist. Es folgt dies aus dem Unterschiede, den der Code penal zwischen Beleidigung und Verleumdung zieht. Sie finden diese Unterscheidung genau
gezeichnet im Art. 375. Nachdem von „Verleumdung" die Rede war, heißt es hier:
„Quant aux injures ou aux expressions outrageantes qui ne renfermeraient l'imputation d'aucun fait precis" (im Verleumdungsartikel 367 wird dies genannt: „des faits, qui s'ils existaient", Tatsachen, die, „wenn sie wirkliche Tatsachen wären"), „mais celle d'un vice determine, ... la peine sera une amende de seize a cinq cent francs". — „Injurien oder beleidigende Ausdrücke, welche nicht die Beschuldigung einer bestimmten Tat, wohl aber die Beschuldigung eines bestimmten Fehlers enthalten, werden ... mit einer Geldbuße von sechzehn bis fünfhundert Franken bestraft." In Artikel 376 heißt es weiter: „Alle andere Injurien oder beleidigende Ausdrücke ... ziehen eine einfache Polizeistrafe nach sich." Was gehört also zur Verleumdung? Beschimpfungen, die eine bestimmte Tatsache dem Beschimpften zur Last legen. Was zur Beleidigung? Die Beschuldigung eines bestimmten Fehlers und, allgemein gehalten, beleidigende Ausdrücke. Wenn ich sage: Sie haben einen silbernen Löffel gestohlen, so verleumde ich Sie im Sinne des Code penal. Wenn ich dagegen sage: Sie sind ein Dieb, Sie haben Diebsgelüste, so beleidige ich Sie. Der Artikel der „N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g" wirft aber Herrn Zweiffei keineswegs vor: Herr Zweiffei ist ein Volksverräter, Herr Zweiffei hat infame Äußerungen gemacht. Der Artikel sagt vielmehr ausdrücklich: „Herr Zweiffei soll außerdem erklärt haben, daß er binnen 8 Tagen mit dem 19.März, mit den Klubs und der Preßfreiheit und andern Ausartungen des bösen Jahres 1848 zu Köln am Rhein ein Ende machen werde." Es wird Herrn Zweiffei also eine ganz bestimmte Äußerung zur Last gelegt. Wenn also einer der beiden Art. 222 u. 367 anwendbar wäre, so könnte es nicht Art. 222, der Beleidigungsartikel, sondern nur Art. 367, der Verleumdungsartikel, sein. Warum hat das öffentliche Ministerium statt des Artikels 367 den Artikel 222 auf uns angewandt? Weil Artikel 222 viel unbestimmter ist und viel leichter eine Verurteilung erschleichen läßt, wenn einmal verurteilt werden soll. Die Verletzung der „delicatesse et honneur", des Zartgefühls und der Ehre, entzieht sich jedem Maße. Was ist Ehre, was ist Delikatesse? Was ist Verletzung derselben? Es hängt dies rein von dem Individuum ab, womit ich es zu tun habe, von seiner Bildungsstufe, von seinen Vorurteilen, von seiner Einbildung. Eis bleibt kein anderes Maß als das noli me tangere1 einer gespreizten, sich unvergleichlich dünkenden Beamteneitelkeit.
Aber auch der Verleumdungsartikel, Art. 367, ist auf den Aufsatz der „Neuen Rheinischen Zeitung" nicht anwendbar. Art. 367 verlangt ein „fait precis", eine bestimmte Tatsache, „un fait, qui peut exister", eine Tatsache, die wirkliche Tatsache sein kann. Herrn Zweiffei wird aber nicht vorgeworfen, daß er die Preßfreiheit aufgehoben, die Klubs geschlossen, die Märzerrungenschaft ein diesem oder jenem Orte vernichtet habe. Es wird ihm eine bloße Äußerung zur Last gelegt. Art. 367 aber verlangt die Beschuldigung von bestimmten Tatsachen, „die, wenn sie wirkliche Tatsachen wären, denjenigen, dem sie schuld gegeben werden, einer kriminal- oder zuchtpolizeilichen Verfolgung, oder auch nur der Verachtung oder dem Hasse der Bürger aussetzen würden." Die bloße Äußerung aber, dies oder jenes zu tun, setzt mich weder der kriminal-, noch der zuchtpolizeilichen Verfolgung aus. Man kann nicht einmal sagen, daß sie notwendig dem Hasse oder der Verachtung der Bürger aussetzt. Eine Äußerung kann zwar der Ausdruck sehr niederträchtiger, hassenswerter, verächtlicher Gesinnung sein. Indes, kann ich nicht in der Aufregung eine Äußerung ausstoßen, die mit Handlungen droht, deren ich unfähig bin? Erst die Tat beweist, daß es mir Ernst mit einer Äußerung ist. Und die „Neue Rheinische Zeitung" sagt: „Herr Zweiffei soll erklärt haben." Um jemanden zu verleumden, muß ich meine Behauptung nicht selbst in Frage stellen, wie es hier geschieht durch das „Soll", muß ich apodiktisch auftreten. Endlich, meine Herren Geschwornen, die „citoyens", die Bürger, deren Haß oder Verachtung mich die Beschuldigung einer Tatsache aussetzen muß nach Art. 367, um eine Verleumdung zu sein, diese citoyens, diese Bürger existieren in politischen Dingen überhaupt nicht mehr. Es existieren nur noch Parteigänger. Was mich dem Haß und der Verachtung bei den Mitgliedern der einen Partei, setzt mich der Liebe und der Verehrung bei den Mitgliedern der andern Partei aus. Das Organ des jetzigen Ministeriums, die „Neue Preußische Zeitung"^, hat Herrn Zweiffei bezüchtigt, eine Art von Robespierre zu sein.1 In ihren Augen, in den Augen ihrer Partei, hat unser Artikel den Herrn Zweiffei nicht dem Haß und der Verachtung ausgesetzt, sondern von dem auf ihm lastenden Hasse, von der auf ihm lastenden Verachtung befreit. Es ist vom höchsten Interesse, auf diese Bemerkung Gewicht zu legen, nicht für den schwebenden Fall, sondern für alle Fälle, wo mein Art. 367 auf politische Polemik von seiten des öffentlichen Ministeriums anzuwenden versuchen sollte.
Überhaupt, meine Herren Geschworenen, wenn Sie den Verleumdungsartikel, Art. 367, im Sinne des öffentlichen Ministeriums auf die Presse anwenden wollen, so schaffen Sie die Preßfreiheit durch die Strafgesetzgebung ab, während Sie dieselbe durch eine Konstitution anerkannt und durch eine Revolution erkämpft haben. Sie sanktionieren dann jede Willkür der Beamten, Sie erlauben jede offizielle Niederträchtigkeit, Sie bestrafen nur die Denunziation der Niederträchtigkeit. Wozu dann noch die Heuchelei einer freien Presse? Wenn vorhandene Gesetze in offenen Widerspruch mit einer neuerr imgenen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung geraten, dann, meine Herren Geschworenen, dann ist es gerade an Ihnen, zwischen die abgestorbenen Gebote des Gesetzes und die lebendigen Forderungen der Gesellschaft zu treten. Dann ist es an Ihnen, der Gesetzgebung vorzueilen, bis diese es versteht, den gesellschaftlichen Bedürfnissen nachzukommen. Es ist dies das edelste Attribut der Geschwornengerichte. In dem vorliegenden Falle, meine Herren, wird Ihnen diese Aufgabe durch die Buchstaben des Gesetzes selbst erleichtert. Sie haben dasselbe nur im Sinne unserer Zeit, unserer politischen Rechte, unserer gesellschaftlichen Bedürfnisse zu interpretieren. Art. 367 schließt mit folgenden Worten: „La presente disposition n'est point applicable aüx faits dont la loi autorise la publicite, ni a ceux que l'auteur de l'imputation etait, par la nature de ses fonctions ou de ses devoirs, oblige de reüeler ou de reprimer." - „Die gegenwärtige Verfügung ist nicht anwendbar auf Tatsachen, deren Bekanntmachung das Gesetz erlaubt, auch nicht auf solche, die zu entdecken oder zu hemmen der Urheber der Beschuldigung vermöge seiner Amtsverrichtungen oder seiner Pflicht verbunden war." Kein Zweifel, meine Herren, daß der Gesetzgeber nicht an die freie Presse dachte, als er von der Pflicht des Denunzierens sprach. Ebensowenig dachte er aber daran, daß dieser Artikel jemals auf die freie Presse eine Anwendung finden würde. Unter Napoleon existierte bekanntlich keine Preßfreiheit. Wollen Sie also einmal das Gesetz auf eine politische und gesellschaftliche Entwickelungsstufe anwenden, für die es nicht bestimmt war, so wenden Sie es ganz ein, so legen Sie es aus im Sinne unserer Zeit, so lassen Sie der Presse auch diesen Schlußsatz des Artikels 367 zugute kommen. Art. 367, im engen Sinne des öffentlichen Ministeriums genommen, schließt den Beweis der Wahrheit aus und erlaubt die Denunziation nur dann, wenn sie sich auf öffentliche Urkunden oder schon vorhandene richterliche Urteile stützt. Wozu sollte die Presse post festum, nach gefälltem Urteil, noch denunzieren? Sie ist ihrem Berufe nach der öffentliche Wächter, der unermüdliche Denunziant der Machthaber, das allgegenwärtige Auge, der allgegenwärtige Mund des eifersüchtig seine Freiheit bewachenden Volksgeistes.
Wenn Sie Art. 367 in diesem Sinne auslegen, und Sie müssen ihn so auslegen» wollen Sie die Preßfreiheit anders nicht konfiszieren im Interesse der Regierungsgewalt, so bietet Ihnen der Code gleichzeitig die Handhabe gegen Übergriffe der Presse. Nach Artikel 372 soll bei einer Denunziation während der Untersuchung über die Tatsachen mit dem Verfahren und der Entscheidung über das Vergehen der Verleumdung eingehalten werden. Nach Art. 373 wird die Denunziation, die sich als verleumderisch herausgestellt hat, bestraft. Meine Herren! Eis bedarf nur eines Blickes auf den inkriminierten Artikel, um Sie zu überzeugen, daß die „Neue Rheinische Zeitung", weit entfernt von jeder Absicht der Beleidigung und der Verleumdung, nur ihre Pflicht des Denunzierens erfüllte, als sie das hiesige Parquet und die Gendarmen angriff. Das Zeugenverhör hat Ihnen bewiesen, daß wir bezüglich der Gendarmen nur die wirkliche Tatsache berichtet haben. Die Pointe des ganzen Artikels aber ist die Vorhersagung der später vollzogenen Kontrerevolution, ist ein Angriff auf das Ministerium Hansemann, das seinen Eintritt mit der sonderbaren Behauptung begann, je größer das Polizeipersonal, desto freier der Staat. Dies Ministerium wähnte, die Aristokratie sei besiegt; es habe nur noch eine Aufgabe, das Volk seiner revolutionären Errungenschaften zu berauben im Interesse einer Klasse, der Bourgeoisie. Es bereitete so der feudalen Kontrerevolution ihre Wege. Was wir in dem inkriminierten Artikel denunzierten, das war nichts mehr, nichts minder als eine aus unsrer nächsten Umgebung herausgerissene, handgreifliche Erscheinung des systematischen kontrerevolutionären Treibens des Ministeriums Hansemann und der deutschen Regierungen überhaupt. Es ist unmöglich, die Verhaftungen in Köln als eine isolierte Tatsache zu betrachten. Um sich vom Gegenteil zu überzeugen, hat man nur einen flüchtigen Blick auf die damalige Zeitgeschichte zu werfen. Kurz vorher die Preßverfolgungen in Berlin, gestützt auf die alten landrechtlichen Paragraphen. Einige Tage später, am 8.Juli, wurde J.Wulff, Präsident des Düsseldorfer Volksklubs, verhaftet, wurden Haussuchungen bei vielen Komiteemitgliedern dieses Klubs angestellt. Die Geschworenen sprachen später Wulff frei, wie keine einzige politische Verfolgung jener Zeit die Sanktion der Geschworenen erhalten hat. An demselben 8. Juli wurde in München den Offizieren, Beamten und Akzessisten die Teilnahme an Volksversammlungen untersagt. Am 9. Juli wurde Falkenhain, Präsident des Vereins „Germania" in Breslau, verhaftet. Am 15.Juli hielt der Oberprokurator Schnaase im Bürgerverein zu Düsseldorf eine förmliche Anklagerede gegen den Volksklub, dessen Präsident am 8. auf seinen Antrag verhaftet worden war. Hier haben
Sie ein Beispiel von der erhabenen Unparteilichkeit des Parquets, ein Beispiel, wie der Oberprokurator zugleich als Parteimann und der Parteimann zugleich als Oberprokurator auftrat. Unbeirrt von der Verfolgung wegen unseres Angriffs auf Zweiffei, denunzierten wir damals den Schnaase.[250] Er hat sich wohl gehütet zu antworten. An demselben Tage, wo Oberprokurator Schnaase diese Philippika gegen den Düsseldorfer Volksklub hielt, wurde der demokratische Kreisverein in Stuttgart durch königliche Ordonnanz verboten. Am 19. Juli wurde der demokratische Studentenverein in Heidelberg aufgelöst, am 27. Juli sämtliche demokratische Vereine in Baden und kurz darauf in Württemberg und Bayern. Und wir hätten bei dieser handgreiflichen volksverräterischen Konspiration sämtlicher deutscher Regierungen schweigen sollen? Die preußische Regierung wagte damals nicht, was die badische, die württembergische, die bayrische Regierung wagte. Sie wagte es nicht, weil die preußische Nationalversammlung eben begann, die kontrerevolutionäre Konspiration zu ahnen und sich gegen das Ministerium Hansemann auf die Hinterbeine zu stellen. Aber, meine Herren Geschwornen, ich spreche es unumwunden, mit der sichersten Überzeugung aus: wenn die preußische Kontrerevolution nicht bald an einer preußischen Volksrevolution scheitert, wird die Assoziations- und Preßfreiheit auch in Preußen vollständig vernichtet werden. Man hat schon jetzt sie partiell durch Belagerungszustände getötet. Man hat sogar gewagt, in Düsseldorf und in einigen schlesischen Bezirken die Zensur wiedereinzuführen.1 Aber nicht nur der allgemeine deutsche, der allgemeine preußische Zustand verpflichteten uns, mit dem äußersten Mißtrauen jede Bewegung der Regierung zu überwachen, die leisesten Symptome des Systems dem Volke laut zu denunzieren. Das hiesige, das kölnische Parquet, gab uns ganz besondere Veranlassung, es als kontrerevolutionäres Werkzeug vor der öffentlichen Meinung bloßzustellen. In dem Monate Juli allein mußten wir 3 ungesetzliche Verhaftungen denunzieren. Die zwei ersten Male schwieg der Staatsprokurator Hecker, das dritte Mal suchte er sich zu rechtfertigen, verstummte aber auf unsere Replik aus dem einfachen Grunde, weil nichts zu sagen war.[251] Und unter diesen Umständen wagt das öffentliche Ministerium zu behaupten, es handle sich hier nicht von einer Denunziation, sondern von einer kleinlich-böswilligen Schmähung? Es beruht diese Auffassung auf einem eigenen Mißverständnisse. Ich für meine Person versichere Ihnen, meine Herren, ich verfolge lieber die großen Weltbegebenheiten, ich analysiere
lieber den Gang der Geschichte, als daß ich mich mit Lokalgötzen, mit Gendarmen und Parquets herumschlage. So groß diese Herren sich in ihrer eignen Einbildung dünken mögen, sie sind nichts, durchaus nichtsin den riesenhaften Kämpfen der Gegenwart. Ich betrachte es als ein wahres Opfer, wenn wir uns entschließen, mit diesen Gegnern eine Lanze zu brechen. Aber einmal ist es die Pflicht der Presse, für die Unterdrückten in ihrer nächsten Umgebung aufzutreten. Und dann, meine Herren, das Gesbäude der Knechtschaft hat seine eigentlichste Stütze in den untergeordneten politischen und sozialen Gewalten, die unmittelbar dem Privatleben der Person, dem lebendigen Individuum gegenüberstehn. Es reicht nicht hin, die allgemeinen Verhältnisse und die obersten Gewalten zu bekämpfen. Die Presse muß sich entschließen, gegen diesen Gendarm, diesen Prokurator, diesen Landrat in die Schranken zu treten. Woran ist die Märzrevolution gescheitert? Sie reformierte nur die höchste politische Spitze, sie ließ alle Unterlagen dieser Spitze unangetastet, die alte Bürokratie, die alte Armee, die alten Parquets, die alten, im Dienste des Absolutismus gebornen, herangebildeten und ergrauten Richter. Die erste Pflicht der Presse ist nun, alle Grundlagen des bestehenden poli~ tischen Zustandes zu unterwühlen. (Beifallsruf im Auditorium.)
[Verteidigungsrede von Friedrich Engels] Meine Herren Geschwornen! Der vorige Redner hat hauptsächlich die Anklage auf Beleidigung des Oberprokurators, Herrn Zweiffei, ins Auge gefaßt; erlauben Sie mir jetzt, Ihre Aufmerksamkeit auf die Beschuldigung der Verleumdung gegen die Gendarmen zu richten. Es handelt sich vor allen Dingen um die Gesetzartikel, auf die die Anklage sich stützt. Der Art. 367 des Strafgesetzbuchs sagt: „Des Vergehens der Verleumdung ist schuldig, wer an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen oder in einer authentischen und öffentlichen Urkunde oder in einer gedruckten oder ungedruckten Schrift, welche angeschlagen, verkauft oder ausgeteilt worden ist, irgend jemand solcher Tatsachen beschuldigt, die, wenn sie wahr wären, denjenigen, dem sie schuld gegeben werden, einer kriminal- oder zuchtpolizeilichen Verfolgung oder auch nur der Verachtung oder dem Hasse der Bürger aussetzen würden." Der Art. 370 setzt hinzu: „Wird die den Gegenstand der Beschuldigung ausmachende Tatsache in gesetzlicher Art als wahr erwiesen, so ist der Urheber der Beschuldigung von aller Strafe frei... Als gesetzlicher Beweis wird nur derjenige angesehn, der aus einem Urteil oder irgendeiner andern authentischen Urkunde hervorgeht."
Meine Herren! Das öffentliche Ministerium hat Ihnen seine Interpretation dieser Gesetzesstellen gegeben und Sie aufgefordert, uns daraufhin für schuldig zu erklären. Sie sind bereits darauf aufmerksam gemacht worden, daß diese Gesetze zu einer Zeit gegeben wurden, wo die Presse unter der Zensur stand, wo ganz andre politische Verhältnisse bestanden als jetzt; und hierauf gestützt, hat mein Verteidiger1 die Ansicht ausgesprochen, daß Sie diese veralteten Gesetze nicht mehr als bindend anerkennen dürfen. Das öffentliche Ministerium ist, wenigstens in Beziehung auf Art. 370, dieser Ansicht beigetreten. Es hat sich dahin geäußert: „Bei Ihnen, meine Herren Geschwornen, wird es doch wohl hauptsächlich darauf ankommen, ob die Wahrheit der fraglichen Tatsachen erwiesen ist" - und ich danke dem öffentlichen Ministerium für dies Geständnis. Aber sollten Sie dieser Ansicht auch nicht sein, daß wenigstens Art. 370 in seiner Beschränkung des Beweises der Wahrheit veraltet ist, so werden Sie gewiß der Ansicht sein, daß die angeführten Artikel einer andern Deutung unterliegen müssen, als das öffentliche Ministerium ihnen zu geben sucht. Es ist gerade das Privilegium der Geschwornen, die Gesetze, unabhängig von aller hergebrachten Gerichtspraxis, so auszulegen, wie ihr gesunder Sinn und ihr Gewissen es ihnen eingibt. Wir sind unter dem Art. 367 angeklagt, den fraglichen Gendarmen Handlungen vorgeworfen zu haben, die, wenn sie wahr wären, sie der Verachtung und dem Hasse der Bürger aussetzen würden. Wenn Sie diese Ausdrücke: „Haß und Verachtung" in dem Sinne fassen, den das öffentliche Ministerium ihnen geben möchte, so hört, solange die Bestimmungen des Art. 370 in Kraft sind, alle Preßfreiheit auf. Wie kann da die Presse ihre erste Pflicht erfüllen, die Pflicht, die Bürger vor den Übergriffen der Beamten zu schützen? Sowie sie einen solchen Übergriff der öffentlichen Meinung denunziert, wird sie vor die Assisen gestellt und — wenn es nach dem Wunsche des öffentlichen Ministeriums geht — zu Gefängnis, Geldstrafe und Verlust der bürgerlichen Rechte verurteilt; es sei denn, daß sie ein gerichtliches Urteil beibringe, d.h., daß sie die Denunziation erst dann veröffentliche, wenn sie gar keinen Zweck mehr hat! Wie wenig die fraglichen Gesetzesstellen, wenigstens in der Deutung, die das öffentliche Ministerium ihnen geben möchte, auf unsre heutigen Verhältnisse passen, beweist die Vergleichung des Art. 369. Hier heißt es: „Wegen Verleumdungen, die mittels ausländischer Blätter bekannt gemacht worden sind, können diejenigen verfolgt werden, welche die Artikel eingesandt... oder die zur Einführung und Verbreitung dieser Blätter im Inlande beigetragen haben."
Nach diesem Artikel, meine Herren, wäre es die Pflicht des öffentlichen Ministeriums, täglich und stündlich gegen die kfönigl ich]-preußischen] Postbeamten einzuschreiten. Denn ist unter allen dreihundertfünfundsechzig Tagen des Jahrs auch nur ein einziger, an dem nicht die preußische Post durch Beförderung und Ausgabe dieses oder jenes ausländischen Blattes „zur Einführung und Verbreitung" von Verleumdungen im Sinne des öffentlichen Ministeriums beiträgt? Und doch fällt es dem öffentlichen Ministerium nicht ein, die Post zu belangen. Bedenken Sie ferner, meine Herrn, daß diese Artikel zu einer Zeit geschrieben wurden, wo es wegen der Zensur unmöglich war, Beamte durch die Presse zu verleumden. Diese Artikel konnten also, nach der Absicht des Gesetzgebers, nur den Zweck haben, Privatpersonen, nicht aber Beamte, vor Verleumdungen zu schützen, und so allein haben sie einen Sinn. Dadurch aber, daß seit der Erringung der Preßfreiheit auch die Handlungen von Beamten vor das Forum der Öffentlichkeit gezogen werden können, dadurch verändert sich der Standpunkt wesentlich. Und gerade hier, in solchen Widersprüchen zwischen einer alten Gesetzgebung und einem neuen politischen und gesellschaftlichen Zustande, gerade hier ist es, wo die Geschwornen einzutreten und das alte Gesetz durch eine neue Auslegung den neuen Zuständen anzupassen haben. Aber wie gesagt: Das öffentliche Ministerium selbst hat anerkannt, daß es vor Ihnen, meine Herrn, trotz des Art. 370 hauptsächlich auf den Beweis der Wahrheit ankommt. Es hat deshalb versucht, den Beweis der Wahrheit, wie wir ihn durch Zeugen geführt, zu entkräften. Sehen wir uns daher den fraglichen Zeitungsartikel1 an, um zu prüfen, ob die Beschuldigungen tatsächlich erwiesen sind, und zugleich, ob sie wirklich eine Verleumdung konstituieren. Es heißt im Anfange des Artikels: „Morgens zwischen 6-7 betraten 6-7 Gendarmen Annekes Wohnung, mißhandelten sofort das Dienstmädchen" usw. Meine Herrn, Sie haben die Aussage Annekes über diesen Punkt gehört. Sie erinnern sich, daß ich speziell die Frage wegen der Mißhandlung des Dienstmädchens nochmals an den Zeugen Anneke richten wollte und daß der Herr Präsident die Frage für überflüssig erklärte, weil die Sache hinlänglich konstatiert sei. Ich frage Sie nun: Haben wir in diesem Punkte die Gendarmen verleumdet? Weiter: „Dies Antreiben geht im Vorzimmer in Tätlichkeiten über, wobei einer der Gendarmen die Glastüre in Scherben stößt. Anneke wurde die
Treppe hinuntergestoßen." Meine Herrn, Sie haben die Aussage des Zeugen Anneke gehört; Sie erinnern sich, was der Zeuge Esser sagte, wie die Gendarmen mit Anneke „per Dampf" zum Hause herauskamen und ihn ebenfalls in den Wagen stießen; ich frage Sie abermals, meine Herrn, haben wir hier verleumdet? Endlich findet sich eine Stelle im Artikel, deren Richtigkeit nicht buchstäblich erwiesen ist. Es ist folgende: „Von diesen vier Säulen der Gerechtigkeit wankte die eine mehr oder minder, so guter Stunde schon angefüllt mit dem ,Geist', dem Wasser des wahren Lebens, dem gebrannten Wasser." Ich gebe zu, meine Herren, daß hier durch Annekes ausdrückliche Worte nur soviel konstatiert ist: „nach ihrem Betragen zu urteilen, hätten die Gendarmen sehr wohl betrunken sein können", daß hier nur soviel feststeht, daß die Gendarmen sich wie Betrunkene betrugen. Aber, meine Herren, vergleichen Sie, was wir zwei Tage später, in Antwort auf die Replik des Herrn Staatsprokurator Hecker, sagten: „Die Beleidigung könnte sich nur auf den einen der Herren Gendarmen beziehen, von dem versichert wurde, er habe zu guter Stunde ,gewankt', aus mehr oder minder spirituellen oder Spirituosen Gründen. Ergibt aber die Untersuchung, wie wir keinen Augenblick zweifeln, die Richtigkeit des Tatbestandes — der von den Herren Agenten der öffentlichen Gewalt verübten Brutalitäten — so glauben wir, nur den einzig mildernden Umstand mit der ganzen Unparteilichkeit, welche der Presse geziemt, im eigensten Interesse der von uns beschuldigten Herren, sorglichst hervorgehoben zu haben; und die menschenfreundliche Angabe des einzig mildernden Umstandes verwandelt das Parquet in eine Beleidigung!" Sie sehen hieraus, meine Herren, wie wir selbst eine Untersuchung der fraglichen Tatsachen provozierten. Es ist nicht unsre Schuld, daß die Untersuchung nicht stattgefunden hat. Was übrigens den Vorwurf der Trunkenheit angeht, so frage ich Sie, was ist denn das so Großes für einen königlich-preußischen Gendarmen, wenn man von ihm sagt, daß er einen Schnaps über den Durst getrunken habe? Ob das für eine Verleumdung angesehen werden kann, darüber appelliere ich an die öffentliche Meinung der ganzen Rheinprovinz. Und wie kann das öffentliche Ministerium von Verleumdung sprechen, wo die angeblich Verleumdeten nicht genannt, nicht einmal näher bezeichnet sind. Es ist die Rede von „6-7 Gendarmen". Wer sind sie? Wo sind sie? Ist Ihnen, meine Herren, zu Ohren gekommen, daß irgendein bestimmter Gendarm durch diesen Artikel „dem Haß und der Verachtung der Bürger" ausgesetzt worden sei ? Das Gesetz verlangt ausdrücklich, daß das verleumdete Individuum genau bezeichnet sei; nun wohl, in dem fraglichen Passus kann kein bestimmter Gendarm, kann höchstens die königlich-preußische Gendar
merie im ganzen eine Beschimpfung finden. Sie kann sich dadurch beleidigt fühlen, daß man veröffentlichte, wie von Mitgliedern dieses Korps Ungesetzlichkeiten und Brutalitäten ungeahndet verübt werden. Aber, meine Herren, das ist kein Vergehen, der königlich-preußischen Gendarmerie im allgemeinen Brutalitäten vorzuwerfen. Ich fordere das öffentliche Ministerium auf, mir die Gesetzesstelle zu zeigen, wonach es strafbar wäre, das königlich-preußische Gendarmeriekorps zu beleidigen, zu beschimpfen oder zu verleumden, wenn von Verleumdung hier überhaupt die Rede sein kann. Das öffentliche Ministerium hat in dem fraglichen Artikel überhaupt nur einen Beweis von zügelloser Schmähsucht gesehen. Meine Herren, der Artikel ist Ihnen vorgelesen worden. Haben Sie darin gefunden, daß wir die damals in Köln vorgefallenen mehr oder weniger unbedeutenden Ungesetzlichkeiten an und für sich betrachtet, sie ausgebeutet, im Interesse unsrer vorgeblichen Ranküne gegen niedre Beamte breitgeschlagen haben? Oder haben wir nicht vielmehr diese Fakta als ein Glied in der großen Kette der Reaktionsversuche hingestellt, die damals in ganz Deutschland zugleich hervortraten? Sind wir stehengeblieben bei den Gendarmen und dem öffentlichen Ministerium in Köln oder sind wir der Sache weiter auf den Grund gegangen und haben sie in ihren Ursachen verfolgt bis ins geheime Staatsministerium in Berlin?12521 Aber freilich, es ist weniger gefährlich, sich zu vergreifen an dem großen geheimen Staatsministerium in Berlin als an dem kleinen öffentlichen Ministerium in Köln — und zum Beweise dieser Tatsache stehen wir heute hier vor Ihnen. Betrachten Sie den Schluß des Artikels. Dort heißt es: „Das also sind die Taten des Ministeriums der Tat, des Ministeriums des linken Zentrums, des Ministeriums des Übergangs zu einem altadligen, altbürokratischen, altpreußischen Ministerium. Sobald Herr Hansemann seinen transitorischen Beruf erfüllt hat, wird man ihn entlassen." Meine Herren, Sie erinnern sich, was im September1 vorigen Jahres geschah: wie Hansemann, freilich unter der anständigeren Form der freiwilligen Abdankung, als überflüssig „entlassen" wurde und wie ihm das Ministerium Pfuel-Eichmann-Kisker-Ladenberg, buchstäblich ein „altadliges, altbürokratisches, altpreußisches Ministerium", auf dem Fuße folgte. Es heißt weiter: „Die Linke zu Berlin aber muß einsehen, daß die alte Macht kleine parlamentarische Siege und große Konstitutionsentwürfe ihr getrost überlassen kann, wenn sie nur unterdessen sich aller wirklich entscheidenden Positionen bemächtigt. Getrost kann sie die Revolution des 19.März
in der Kammer anerkennen, wenn dieselbe nur außerhalb der Kammer entwaffnet wird." Wie richtig diese Anschauungsweise war, darüber brauche ich gewiß kein Wort 2x1 verlieren. Sie wissen es ja selbst, wie gerade in demselben Verhältnis, als die Macht der Linken in der Kammer wuchs, die Macht der Volkspartei außerhalb der Kammer vernichtet wurde. Brauche ich Ihnen die straflosen Brutalitäten der preußischen Soldateska in zahllosen Städten, die aufkeimenden Belagerungszustände, die Entwaffnung so vieler Bürgerwehren - und zuletzt den Heldenzug Wrangeis gegen Berlin - erst aufzuzählen, um zu zeigen, wie wirklich die Revolution entwaffnet wurde, wie die alte Macht sich in der Tat aller entscheidenden Positionen bemächtigte. Und nun endlich die merkwürdige Prophezeiung: „Die Linke könnte an einem schönen Morgen finden, daß ihr parlamentarischer Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammenfallen." Wie buchstäblich ist dies nicht eingetroffen! Derselbe Tag, wo die Linke endlich in den Besitz der Majorität in der Kammer kam, war der Tag ihrer wirklichen Niederlage. Gerade die parlamentarischen Siege der Linken führten zum Staatsstreich vom 9. November, zur Verlegung und Vertagung der Nationalversammlung und endlich zu ihrer Auflösung und zur Oktroyierung der Verfassung. Der parlamentarische Sieg der Linken fiel direkt zusammen mit ihrer vollständigsten Niederlage außerhalb des Parlaments. Diese so buchstäblich eingetroffene politische Vorhersagung, meine Herren, ist also das Resultat, das Fazit, der Schluß, den wir aus den in ganz Deutschland und unter andern auch in Köln vorgefallenen Gewalttätigkeiten zogen. Und man spricht von blinder Schmähsucht. In der Tat, sieht es nicht aus, als erschienen wir heute vor Ihnen, meine Herren, um uns wegen des Vergehens zu verantworten, richtige Tatsachen richtig mitgeteilt und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen zu haben? Kurz und gut: Sie, meine Herren Geschwornen, haben in diesem Augenblick über die Preßfreiheit in der Rheinprovinz zu entscheiden. Wenn es der Presse verboten sein soll, das, was sich unter ihren Augen ereignet, zu berichten, wenn sie bei jeder verfänglichen Tatsache erst warten soll, bis ein gerichtliches Urteil vorliegt, wenn sie bei jedem Beamten, vom Minister bis zum Gendarm, erst fragen soll, ob durch die angeführte Tatsache seine Ehre oder Delikatesse sich beleidigt fühlen könnte, ohne Rücksicht darauf, ob die Tatsachen wahr sind oder nicht; wenn die Presse in die Alternative gesetzt wird, entweder die Ereignisse zu verfälschen oder ganz zu schweigen - dann, meine Herren, hört die Preßfreiheit auf, und wenn Sie das wollen, so sprechen Sie Ihr „Schuldig" über uns aus!
Der Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten12531
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 231 vom 25. Februar 1849] /Verteidigungsrede von Karl Marx] Meine Herrn Geschwornen! Wenn der schwebende Prozeß vor dem S.Dezember anhängig gemacht worden wäre, würde ich die Anklage des öffentlichen Ministeriums begreifen. Jetzt, nach dem 5.Dezember, begreife ich nicht, wie das öffentliche Ministerium noch Gesetze gegen uns anzurufen wagt, welche die Krone selbst mit Füßen getreten hat. Worauf hat das öffentliche Ministerium seine Kritik der Nationalversammlung, seine Kritik des Steuerverweigerungsbeschlusses1 begründet? Auf die Gesetze vom 6.[91] und 8.April[129] 1848. Und was tat die Regierung, als sie am 5.Dezember eigenmächtig eine Verfassung oktroyierte und dem Lande ein neues Wahlgesetz aufdrang[123]? Sie zerriß die Gesetze vom 6. und 8. April 1848. Diese Gesetze bestehen nicht mehr für die Anhänger der Regierung, sollen sie noch für ihre Gegner bestehen? Die Regierung stellte sich am S.Dezember auf revolutionären Boden, nämlich auf kontrerevolutionären. Ihr gegenüber gibt es nur noch Revolutionäre oder Mitschuldige. Sie selbst verwandelte sogar die Masse der Bürger, die auf dem Boden der vorhandenen Gesetze sich bewegt, die gegenüber der Gesetzesverletzung das bestehende Gesetz behauptet, in Aufrührer. Vor dem 5.Dezember konnte man verschiedener Ansicht sein über die Verlegung, über die Auseinandersprengung der Nationalversammlung, über den Belagerungszustand von Berlin. Nach dem S.Dezember ist es eine authentische Tatsache, daß diese Maßregeln die Kontrerevolution einleiten sollten, daß daher jedes Mittel gestattet war gegen eine Fraktion, welche die Bedingungen, unter denen sie Regierung war, selbst nicht mehr an
erkannte, also auch von dem Lande nicht mehr als Regierung anerkannt werden konnte. Meine Herren! Die Krone konnte wenigstens den Schein der Gesetzlichkeit retten, sie hat es verschmäht. Sie konnte die Nationalversammlung auseinanderjagen und dann das Ministerium vor das Land treten und sagen lassen: „Wir haben einen Staatsstreich gewagt, die Verhältnisse zwangen uns dazu. Wir haben uns formell über das. Gesetz hinweggesetzt, aber es gibt Momente der Krise, wo das Bestehen des Staates selbst auf dem Spiele steht. In solchen Momenten gibt es nur ein unverletzliches Gesetz, das Bestehen des Staates. Als wir die Versammlung auflösten, existierte keine Konstitution. Wir konnten daher die Konstitution nicht verletzen. Zwei organische Gesetze existieren dagegen, das Gesetz vom 6. und 8. April 1848. Ja, es existiert in Wahrheit nur ein einziges organisches Gesetz, das Wahlgesetz. Wir fordern das Land auf, nach diesem Gesetze zu neuen Wahlen zusammenzutreten. Vor die Versammlung, die aus diesen Urwahlen hervorgeht, werden wir hintreten, wir, das verantwortliche Ministerium. Diese Versammlung, wir erwarten es, wird den Staatsstreich anerkennen als rettende Tat, die durch die Notwendigkeit der Umstände geboten war. Sie wird nachträglich diesen Staatsstreich sanktionieren. Sie wird es aussprechen, daß wir eine gesetzliche Formel verletzt, um das Vaterland zu retten. Sie mag die Würfel über uns werfen." Wenn das Ministerium so gehandelt, könnte es uns mit einigem Scheine vor Ihren Richterstuhl verweisen. Die Krone hätte den Schein der Gesetzlichkeit gerettet. Sie konnte es nicht, sie wollte es nicht. In den Augen der Krone war die Märzrevolution eine brutale Tatsache. Die eine brutale Tatsache kann nur durch die andre ausgemerzt werden. Indem das Ministerium die Neuwahlen auf Grund des Gesetzes vom April 1848 kassierte, verleugnete es seine Verantwortlichkeit, kassierte es das Gericht selbst, vor dem es verantwortlich war. Den Appell von der Nationalversammlung an das Volk verwandelte es so von vornherein in reinen Schein, in Fiktion, in Betrug. Indem das Ministerium eine erste auf dem Zensus beruhende Kammer als integrierenden Teil der gesetzgebenden Versammlung erfand, zerriß es die organischen Gesetze, verließ es den Rechtsboden, verfälschte es die Volkswahlen, schnitt es dem Volke jedes Urteil ab über die „rettende Tat" der Krone. Also, meine Herren, die Tatsache läßt sich nicht leugnen, kein späterer Geschichtschreiber wird sie leugnen: Die Krone hat eine Revolution gemacht, sie hat den bestehenden Rechtszustand über den Haufen geworfen, sie kann nicht an die Gesetze appellieren, die sie selbst so schändlich umgestoßen hat. Wenn man eine Revolution glücklich vollbringt, kann man seine Gegner hängen, aber nicht verurteilen. Man kann sie als besiegte Feinde aus
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dem Wege räumen, man kann sie nicht als Verbrecher richten. Nach vollendeter Revolution oder Kontrerevolution kann man die umgestoßenen Gesetze gegen die Verteidiger derselben Gesetze nicht in Anwendung bringen. Es ist dies eine feige Heuchelei der Gesetzlichkeit, die Sie, meine Herren, nicht durch Ihren Urteilsspruch sanktionieren werden. Ich habe Ihnen gesagt, meine Herren, daß die Regierung das Urteil des Volkes über die „rettende Tat der Krone" verfälscht hat. Und dennoch hat das Volk schon gegen die Krone entschieden für die Nationalversammlung. Die Wahlen zur zweiten Kammer sind die einzig gesetzlichen, weil sie allein auf Grundlage des Gesetzes vom 8. April 1848 stattgefunden haben. Und fast alle Steuer Verweigerer sind zur zweiten Kammer wiedergewählt worden, viele zwei-, dreimal. Mein Mitangeklagter selbst, Schneider II, ist Deputierter von Köln. Die Frage über das Recht der Nationalversammlung, die Steuerverweigerung zu beschließen, ist also schon faktisch durch das Volk entschieden. Von diesem höchsten Urteilsspruche abgesehen, Sie alle werden mir zugeben, meine Herren, daß hier kein Verbrechen im gewöhnlichen Sinne vorliegt, daß hier überhaupt kein Konflikt mit dem Gesetze vorliegt, der vor Ihr Forum gehört. In gewöhnlichen Zuständen ist die öffentliche Gewalt die Vollzieherin der bestehenden Gesetze; Verbrecher ist, wer diese Gesetze bricht oder der öffentlichen Gewalt in Ausübung derselben gewaltsam entgegentritt. In unserm Falle hat die eine öffentliche Gewalt das Gesetz gebrochen, die andere öffentliche Gewalt, gleichgültig welche, hat es behauptet. Der Kampf zwischen zwei Staatsgewalten liegt weder im Bereiche des Privatrechts noch im Bereiche des Kriminalrechts. Die Frage, wer im Rechte war, die Krone oder die Nationalversammlung, sie ist eine geschichtliche Frage. Alle Jurys, alle Gerichte in Preußen zusammengenommen können sie nicht entscheiden. Es gibt nur eine Macht, die sie lösen wird, die Geschichte. Ich begreife daher nicht, wie man uns auf Grund des Code penal1901 auf die Anklagebank verweisen konnte. Daß es sich hier um einen Kampf zwischen zwei Gewalten handelte, und zwischen zwei Gewalten kann nur die Gewalt entscheiden, das, meine Herren, hat die revolutionäre und kontrerevolutionäre Presse gleichmäßig ausgesprochen. Ein Organ der Regierung selbst hat es kurz vor der Entscheidung des Kampfes proklamiert. Die „Neue Preußische Zeitung"[31, das Organ des jetzigen Ministeriums, hatte das wohl erkannt. Einige Tage vor der Krise sagte sie ungefähr: Es kommt jetzt nicht mehr auf das Recht, sondern auf die Gewalt an, und es wird sich zeigen, daß das alte gottbegnadete Königtum noch die Gewalt hat. Die „NeuePreußische Zeitung" hatte die Sachlage richtig aufgefaßt. Gewalt gegen Gewalt. Der Sieg mußte zwischen beiden entscheiden.
Die Kontrerevolution hat gesiegt, aber nur der erste Akt des Dramas ist beendet. In England hat der Kampf über 20 Jahre gedauert. Karl I. war wiederholt Sieger, er bestieg schließlich das Schafott. Und wer bürgt Ihnen dafür, meine Herren, daß nicht das jetzige Ministerium, daß nicht diese Beamte, die sich zu seinem Werkzeug machten und machen, als Hochverräter von der jetzigen Kammer verurteilt werden oder von ihren Nachfolgern? Meine Herrn! Das öffentliche Ministerium hat seine Anklage auf die Gesetze vom 6. und 8.April zu begründen gesucht. Ich war gezwungen, Ihnen nachzuweisen, daß eben diese Gesetze uns freisprechen. Aber ich verheimliche es Ihnen nicht, ich habe diese Gesetze nie anerkannt, ich werde sie nie anerkennen. Sie hatten nie eine Geltung für die aus der Wahl des Volkes hervorgegangenen Deputierten; noch weniger konnten sie der Revolution des Märzes ihre Bahn vorschreiben. Wie sind die Gesetze vom 6. und 8. April entstanden? Durch Vereinbarung der Regierung mit dem Vereinigten Landtage[1Z7]. Man wollte auf diesem Wege ein den alten gesetzlichen Zustand anknüpfen und die Revolution vertünchen, welche eben diesen Zustand beseitigt hatte. Männer wie Camphausen u.dgl. hielten es für wichtig, den Schein des gesetzlichen Fortschritts zu retten. Und wie retteten sie diesen Schein? Durch eine Reihe augenfälliger und abgeschmackter Widersprüche. Bleiben Sie, meine Herren, einen Augenblick auf dem alten gesetzlichen Standpunkt stehen! Das bloße Dasein des Ministers Camphausen, eines verantwortlichen Ministers, eines Ministers ohne Beamtenkarriere, war es nicht eine Ungesetzlichkeit? Camphausens, des verantworte liehen Ministerpräsidenten, Stellung war eine ungesetzliche. Dieser gesetzlich nicht existierende Beamte ruft den Vereinigten Landtag zusammen, um Gesetze durch ihn beschließen zu lassen, zu deren Beschlußnahme dieser selbe Landtag gesetzlich nicht befugt war. Und dies sich selbst aufhebende und ins Gesicht schlagende Formenspiel nannte man gesetzlichen Fortschritt, Behauptung des Rechtsbodens! Aber sehen wir ab von dem Formellen, meine Herren! Was war der Vereinigte Landtag? Der Vertreter alter, verkommner gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Revolution, sie hatte eben stattgefunden gegen diese Verhältnisse. Und den Vertretern der besiegten Gesellschaft legt man organische Gesetze vor, welche die Revolution gegen diese alte Gesellschaft anerkennen, regeln, organisieren sollen? Welch ein abgeschmackter Widerspruch! Der Landtag war gestürzt mit dem alten Königtum. Bei dieser Gelegenheit, meine Herren, sehen wir Aug in Auge dem sogenannten Rechtshoden. Ich bin um so mehr gezwungen, auf diesen Punkt mich einzulassen, als wir mit Recht für Feinde des Rechtsbodens gelten, als die
Gesetze vom 6. und 8. April bloß der formellen Anerkennung des Rechtsbodens ihr Dasein verdanken. Der Landtag vertrat vor allem das große Grundeigentum. Das große Grundeigentum war wirklich die Grundlage der mittelaltrigen, der feudalen Gesellschaft. Die moderne bürgerliche Gesellschaft, unsre Gesellschaft, beruht dagegen auf der Industrie und dem Handel. Das Grundeigentum selbst hat alle seine ehemaligen Existenzbedingungen verloren, es ist abhängig geworden von dem Handel und der Industrie. Die Agrikultur wird daher heutzutage industriell betrieben, und die alten Feudalherrn sind herabgesunken zu Fabrikanten von Vieh, Wolle, Korn, Runkelrüben, Schnaps u.dgl., zu Leuten, die mit Industrieprodukten Handel treiben wie jeder andre Handelsmann! Sosehr sie an ihren alten Vorurteilen festhalten mögen, in der Praxis vorwandeln sie sich in Bürger, die zu wenigst möglichen Kosten möglichst viel produzieren, die einkaufen, wo am wohlfeilsten einzukaufen, und verkaufen, wo am teuersten zu verkaufen ist. Die Lebens-, die Produktions-, die Erwerbweise dieser Herrn zeiht also schon ihre überkommenen hochtrabenden Einbildungen der Lüge. Das Grundeigentum, als das herrschende gesellschaftliche Element, setzt die mittelaltrige Produktions- und Verkehrsweise voraus. Der Vereinigte Landtag vertrat diese mittelaltrige Produktions- und Verkehrsweise, die längst aufgehört hatte zu existieren, und deren Repräsentanten, sosehr sie an den alten Privilegien festhalten, ebensosehr die Vorteile der neuen Gesellschaft mitgenießen und ausbeuten. Die neue, bürgerliche, auf ganz andern Grundlagen, auf einer veränderten Produktionsweise beruhende Gesellschaft mußte auch die politische Macht an sich reißen; sie mußte sie den Händen entreißen, welche die Interessen der untergehenden Gesellschaft vertraten, eine politische Macht, deren ganze Organisation aus ganz verschiedenen materiellen Gesellschaf tsver hältnissen hervorgegangen war. Daher die Revolution. Die Revolution war daher ebensosehr gegen das absolute Königtum gerichtet, den höchsten politischen Ausdruck der alten Gesellschaft, als gegen die ständische Vertretung, die eine längst durch die moderne Industrie vernichtete gesellschaftliche Ordnung oder höchstens noch anmaßliche Trümmer der täglich mehr von der bürgerlichen Gesellschaft überflügelten, in den Hintergrund gedrängten, aufgelösten Stände repräsentierte. Wie kam man also auf den Einfall, den Vereinigten Landtag, den Vertreter der alten Gesellschaft, der neuen, in der Revolution sich zu ihrem Rechte bringenden Gesellschaft Gesetze diktieren zu lassen? Angeblich, um den Rechtshoden zu behaupten. Aber, meine Herren, was verstehen Sie denn unter Behauptung des Rechtsbodens? Die Behauptung von Gesetzen, die einer vergangenen Gesellschaftsepoche angehören, die von
Vertretern untergegangener oder untergehender gesellschaftlicher Interessen gemacht sind, also auch nur diese im Widerspruch mit den allgemeinen Bedürfnissen befindlichen Interessen zum Gesetz erheben. Die Gesellschaft beruht aber nicht auf dem Gesetze. Es ist das eine juristische Einbildung. Das Gesetz muß vielmehr auf der Gesellschaft beruhn, es muß Ausdruck ihrer gemeinschaftlichen, aus der jedesmaligen materiellen Produktionsweise hervorgehenden Interessen und Bedürfnisse gegen die Willkür des einzelnen Individuums sein. Hier, der Code Napoleon12271, den ich in der Hand habe, er hat nicht die moderne bürgerliche Gesellschaft erzeugt. Die im 18. Jahrhundert entstandene, im 19. fortentwickelte bürgerliche Gesellschaft findet vielmehr im Code nur einen gesetzlichen Ausdruck. Sobald er den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr entspricht, ist er nur noch ein Ballen Papier. Sie können die alten Gesetze nicht zur Grundlage der neuen gesellschaftlichen Entwicklung machen, so wenig, als diese alten Gesetze die alten gesellschaftlichen Zustände gemacht haben. Aus diesen alten Zuständen sind sie hervorgegangen, mit ihnen müssen sie untergehn. Sie verändern sich notwendig mit den wechselnden Lebensverhältnissen. Die Behauptung der alten Gesetze gegen die neuen Bedürfnisse und Ansprüche der gesellschaftlichen Entwicklung ist im Grund nichts anders als die scheinheilige Behauptung unzeitgemäßer Sonderinteressen gegen das zeitgemäße Gesamtinteresse. Diese Behauptung des Rechtsbodens will solche Sonderinteressen als herrschende geltend machen, während sie nicht mehr herrschen; sie will der Gesellschaft Gesetze aufdringen, die durch die Lebensverhältnisse dieser Gesellschaft, durch ihre Erwerbsweise, ihren Verkehr, ihre materielle Produktion selbst verurteilt sind, sie will Gesetzgeber in Funktion halten, die nur noch Sonderinteressen verfolgen, sie will die Staatsmacht mißbrauchen, um gewaltsam die Interessen der Minorität den Interessen der Majorität überzuordnen. Sie tritt also jeden Augenblick in Widerspruch mit den vorhandenen Bedürfnissen, sie hemmt den Verkehr, die Industrie, sie bereitet gesellschaftliche Krisen vor, die in politischen Revolutionen zum Ausbruch kommen. Das ist der wahre Sinn der Anhänglichkeit an den Rechtsboden und der Behauptung des Rechtsbodens. Und auf diese Phrase vom Rechtsboden hin, die entweder auf bewußtem Betrug oder auf bewußtloser Selbsttäuschung beruht, stützte man die Zusammenberufung des Vereinigten Landtags, ließ man diesen Landtag organische Gesetze für die durch die Revolution notwendig gewordene und durch sie erzeugte Nationalversammlung fabrizieren. Und nach diesen Gesetzen will man die Nationalversammlung richten I Die Nationalversammlung repräsentierte die moderne bürgerliche Gesell
schaft gegenüber der im Vereinigten Landtage vertretenen feudalen Gesellschaft. Sie war vom Volke gewählt, um selbständig eine Verfassung festzusetzen, die den mit der bisherigen politischen Organisation und den bisherigen Gesetzen in Konflikt getretenen Lebensverhältnissen entspreche. Sie war daher von vornherein souverän, konstituierend. Wenn sie sich gleichwohl auf den Vereinbarerstandpunkt herabließ, so war das rein formelle Höflichkeit gegen die Krone, reine Zeremonie. Ich brauche hier nicht zu untersuchen, ob die Versammlung dem Volke gegenüber das Recht hatte, sich auf den Vereinbarungsstandpunkt zu stellen. Nach ihrer Meinung sollte die Kollision mit der Krone durch den guten Willen beider Teile verhindert werden. Soviel steht aber fest: Die mit dem Vereinigten Landtage vereinbarten Gesetze vom 6. und 8. April waren formell ungültig. Sie haben materiell bloß insoweit Bedeutung, als sie die Bedingungen aussprechen und festsetzen, unter denen die Nationalversammlung wirklicher Ausdruck der Volkssouveränetät sein konnte. Die Vereinigte-Landtags-Gesetzgebung war nur eine Form, die der Krone die Demütigung ersparte zu proklamieren: Ich hin besiegt!
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 232 vom 27. Februar 1849] Ich gehe jetzt, meine Herrn Geschwornen, über zur nähern Beleuchtung des Vortrags des öffentlichen Ministeriums. Das öffentliche Ministerium hat gesagt:
„Die Krone hat sich eines Teils der Macht, die voll in ihrer Hand lag, entäußert. Selbst im gewöhnlichen Leben geht meine Verzichtungsurkunde nicht über die klaren Worte hinaus, in denen ich verzichte. Das Gesetz vom 8. April 1848 räumt der Nationalversammlung aber weder ein Steuerverweigerungsrecht ein, noch setzt es Berlin als notwendige Residenz der Nationalversammlung fest." Meine Herren! Die Macht lag zerbrochen in der Hand der Krone; sie begab sich der Macht, um ihre Bruchstücke zu retten. Sie erinnern sich, meine Herren, wie der König gleich nach seiner Thronbesteigung in Königsberg und Berlin förmlich sein Ehrenwort verpfändete gegen das Zugeständnis einer konstitutionellen Verfassung. Sie erinnern sich, wie der König 1847 bei Eröffnung des Vereinigten Landtags hoch und teuer schwur, er würde kein Stück Papier zwischen sich und seinem Volke dulden.[161] Der König hat sich nach dem März 1848, hat sich selbst in der oktroyierten Verfassung als konstitutionellen König proklamiert. Er hat diesen abstrakten welschen Tand, das Stück Papier, zwischen sich und sein Volk geschoben. Wird das öffentliche
Ministerium die Behauptung wagen, der König habe freiwillig seinen feierlichen Versicherungen ein so augenfälliges Dementi gegeben, er habe freiwillig vor ganz Europa sich der unerträglichen Inkonsequenz schuldig gemacht, die Vereinbarung oder die Verfassung zu bewilligen! Der König machte die Zugeständnisse, wozu ihn die Revolution zwang. Nicht mehr, nicht minder! Das populäre Gleichnis des öffentlichen Ministeriums beweist leider nichts. Allerdings! Wenn ich verzichte, verzichte ich auf nichts mehr, als worauf ich ausdrücklich verzichte. Wenn ich Ihnen ein Geschenk mache, es wäre wirklich unverschämt von Ihnen, auf Grund meiner Schenkungsurkunde hin weitere Leistungen von mir erzwingen zu wollen. Aber eben das Volk war es, das nach dem März schenkte; die Krone war es, die das Geschenk empfing. Es versteht sich von selbst, daß das Geschenk im Sinne des Gebers und nicht des Empfängers, im Sinne des Volks und nicht der Krone, ausgelegt werden muß. Die absolute Macht der Krone war gebrochen. Das Volk hatte gesiegt. Beide schlössen einen Waffenstillstand, und das Volk wurde getäuscht. Daß es getäuscht wurde, meine Herren, das öffentliche Ministerium selbst hat sich die Mühe genommen, es Ihnen ausführlich zu beweisen. Um das Steuerverweigerungsrecht der Nationalversammlung abzustreiten, hat das öffentliche Ministerium Ihnen weitläufig auseinandergesetzt, daß, wenn etwas der Art im Gesetze vom 6. April 1848 enthalten war, es keinenfalls mehr im Gesetze vom 8. April 1848 zu finden ist. Also diese Zwischenzeit hatte man benutzt, um den Volksvertretern zwei Tage später die Rechte zu entziehen, die man ihnen zwei Tage vorher eingeräumt hatte. Konnte das öffentliche Ministerium glänzender die Ehrlichkeit der Krone kompromittieren, konnte es unwiderleglicher beweisen, daß man das Volk täuschen wollte? Das öffentliche Ministerium sagt ferner:
„Das Recht der Verlegung und Vertagung der Nationalversammlung sei ein Ausfluß der Exekutivgewalt und in allen konstitutionellen Ländern anerkannt."
Was das Recht der Exekutivgewalt betrifft, die gesetzgebenden Kammern zu verlegen, so fordere ich das öffentliche Ministerium auf, mir für diese Behauptung auch nur ein einziges Gesetz oder Beispiel anzuführen. In England z.B. könnte der König nach altem historischem Rechte das Parlament an jeden ihm beliebigen Ort hinberufen. Es existiert kein Gesetz, wodurch London als legale Residenz des Parlaments bestimmt würde. Sie wissen, meine Herren, daß in England überhaupt die größten politischen Freiheiten sanktioniert sind durch das Gewohnheitsrecht, nicht durch geschriebenes Recht, so z.B. die Preßfreiheit. Aber der Einfall eines englischen Ministeriums, das
Parlament von London nach Windsor oder Richmond zu verlegen - es genügt, ihn auszusprechen, um seine Unmöglichkeit einzusehen. Allerdings! In konstitutionellen Ländern hat die Krone das Recht, die Kammern zu vertagen. Vergessen Sie aber nicht, daß andererseits in allen Konstitutionen bestimmt ist, auf wie lange die Kammern vertagt werden dürfen, nach welcher Frist sie wieder einberufen werden müssen. In Preußen existiert keine Konstitution, sie sollte erst gemacht werden; es existierte kein gesetzlicher Termin der Einberufung für die vertagte Kammer, es existierte also auch kein Vertagungsrecht für die Krone. Die Krone konnte sonst die Kammern vertagen auf 10 Tage, auf 10 Jahre, auf ewig. Wo lag die Garantie, daß die Kammern je zusammenberufen wurden oder je zusammenblieben? Das Bestehen der Kammern neben der Krone war dem Gutdünken der Krone anheimgestellt, die gesetzgebende Gewalt zur Fiktion geworden, wenn hier einmal von gesetzgebender Gewalt die Rede sein soll. Meine Herren! Sie sehen hier an einem Beispiele, wohin es führt, den Konflikt zwischen der preußischen Krone und der preußischen Nationalversammlung an den Verhältnissen konstitutioneller Länder messen zu wollen. Es führt zur Behauptung des absoluten Königtums. Von der einen Seite vindiziert man der Krone die Rechte einer konstitutionellen Exekutivgewalt, von der andern besteht kein Gesetz, keine Gewohnheit, keine organische Institution, welche ihr die Beschränkungen der konstitutionellen Exekutivgewalt auferlegt. Man stellt die Forderung an die Volksrepräsentation: einem absoluten Könige gegenüber spielst du die Rolle einer konstitutionellen Kammer! Bedarf es noch der Ausführung, daß in dem- vorliegenden Falle keine Exekutivgewalt einer legislativen Gewalt gegenüberstand, daß die konstitutionelle Teilung der Gewalten keine Anwendung finden kann auf die preußische Nationalversammlung und die preußische Krone? Sehen Sie ab von der Revolution, halten Sie sich nur an der offiziellen Vereinbarungstheorie^. Nach dieser Theorie selbst standen sich zwei souveräne Gewalten gegenüber. Kein Zweifel! Von diesen zwei Gewalten mußte die eine die andere sprengen. Zwei souveräne Gewalten können nicht gleichzeitig, nicht nebeneinander funktionieren in einem Staat. Es ist dies ein Widersinn, wie die Quadratur des Zirkelst2541 Die materielle Macht mußte zwischen den beiden Souveränetäten entscheiden. Aber wir, wir haben die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Vereinbarung hier nicht zu untersuchen. Genug! Zwei Mächte traten in Beziehung zueinander, um einen Vertrag zu schließen. Camphausen selbst unterstellte die Möglichkeit, daß der Vertrag nicht zustande komme. Von der Tribüne herab zeigte er den Vereinbarern hin auf die Gefahr, die dem Lande bevorstehe, wenn der V ergleich nicht zustande komme. In dem ursprünglichen
Verhältnisse der vereinbarenden Nationalversammlung zur Krone lag die Gefahr, und hinterher will man die Nationalversammlung verantwortlich machen für diese Gefahr, indem man dies ursprüngliche Verhältnis verleugnet, indem man sie in eine konstitutionelle Kammer verwandelt! Man will die Schwierigkeit lösen, indem man von ihr abstrahiert! Ich glaube Ihnen bewiesen zu haben, meine Herren, die Krone hatte nicht das Recht, weder die Vereinbarerversammlung zu verlegen noch sie zu vertagen. Aber das öffentliche Ministerium hat sich nicht beschränkt auf die Untersuchung, ob die Krone ein Recht zur Verlegung der Nationalversammlung[18S1 hatte; es sucht die Zweckmäßigkeit dieser Verlegung nachzuweisen. „Wäre es nicht zweckmäßig gewesen", ruft es aus, „wenn die Nationalversammlung der Krone Folge geleistet und nach Brandenburg gegangen wäre?" Das öffentliche Ministerium findet diese Zweckmäßigkeit begründet in der Lage der Kammer selbst. Sie war unfrei in Berlin u.dgl. Liegt indessen die Absicht der Krone bei dieser Verlegung nicht klar am Tage? Hat sie alle offiziell angeführten Motive dieser Verlegung nicht selbst jeden Scheins entkleidet? Es handelte sich nicht um die Freiheit der Beratung, es handelte sich darum, entweder die Versammlung nach Hause zu schicken und eine Verfassung zu oktroyieren oder durch Einberufung von gefügigen Stellvertretern eine Scheinrepräsentation zu schaffen. Als sich wider Erwarten eine beschlußfähige Anzahl von Deputierten in Brandenburg einfand, da gab man die Heuchelei auf, da erklärte man die Nationalversammlung für aufgelöst.[122] Übrigens, es versteht sich von selbst, die Krone hatte nicht das Recht, die Nationalversammlung für frei oder für unfrei zu erklären. Niemand als die Versammlung selbst konnte entscheiden, ob sie die notwendige Freiheit der Beratung genieße oder nicht genieße. Nichts bequemer für die Krone, als bei jedem ihr mißliebigen Beschlüsse der Nationalversammlung sie für unfrei zu erklären, für unzurechnungsfähig und sie zu interdizieren! Das öffentliche Ministerium hat auch von der Pflicht der Regierung gesprochen, die Würde der Nationalversammlung zu schützen gegen den Terrorismus der Berliner Bevölkerung. Es klingt dies Argument wie eine Satire auf die Regierung. Von dem Benehmen gegen die Personen will ich nicht sprechen, und diese Personen waren immerhin die erwählten Vertreter des Volkes. Auf jede Weise hat man sie zu demütigen gesucht, auf die allerinfamste Weise hat man sie verfolgt, man hat gleichsam eine wilde Jagd auf sie angestellt. Lassen wir die Personen. Wie hat man die Würde der Nationalversammlung in ihren Arbeiten gewahrt? Ihre
Archive sind der Soldateska preisgegeben worden, welche die Dokumente der Abteilungen, die königlichen] Botschaften, die Gesetzentwürfe, die Vorarbeiten in Fidibus verwandelte, den Ofen damit heizte, sie mit Füßen zerstampfte. Man beobachtete nicht einmal die Formen einer gerichtlichen Exekution, man bemächtigte sich des Archivs, ohne ein Inventar darüber aufzunehmen. Es lag im Plane, diese dem Volke so kostspieligen Arbeiten zu vernichten, um die Nationalversammlung besser verleumden zu können, um der Regierung und den Aristokraten gehässige Reformpläne aus der Welt zu schaffen. Und nach allem diesem, ist es nicht geradezu lächerlich, zu behaupten, die Regierung habe die Nationalversammlung, aus zarter Sorgfalt für ihre Würde, von Berlin nach Brandenburg verlegt? Ich komme jetzt zur Ausführung des öffentlichen Ministeriums über die formelle Gültigkeit des Steuer Verweigerungsbeschlusses. Um den Steuerverweigerungsbeschluß zum formell-gültigen Beschlüsse zu erheben, sagt das Ministerium, mußte die Versammlung ihren Beschluß der Sanktion der Krone unterwerfen. Aber, meine Herren, die Krone stand der Versammlung nicht in eigener Person gegenüber, sie stand ihr gegenüber in der Person des Ministeriums Brandenburg. Mit dem Ministerium Brandenburg also, diesen Unsinn verlangt der öffentliche Ankläger, hätte sich die Versammlung vereinbaren sollen, um dies Ministerium als hochverräterisch zu proklamieren, um ihm die Steuern zu verweigern! Was heißt eine solche Zumutung anders, als die Nationalversammlung sollte sich entschließen zu bedingungsloser Unterwürfigkeit unter jede Forderung des Ministeriums Brandenburg? Der Steuerverweigerungsbeschluß war auch formell ungültig, so sagt das öffentliche Ministerium, da erst bei der zweiten Verlesung ein Antrag zum Gesetze erhoben werden kann. Von der einen Seite setzt man sich über die wesentlichen Formen hinaus, an die man gegenüber der Nationalversammlung gebunden war; von der andern mutet man der Nationalversammlung die Beobachtung der unwesentlichsten Formalitäten zu. Nichts einfacher! Ein der Krone mißliebiger Antrag geht in erster Lesung durch, die zweite wird verhindert durch Waffengewalt, das Gesetz ist und bleibt ungültig, weil es der zweiten Verlesung ermangelt. Das öffentliche Ministerium übersieht den exzeptionellen Zustand, welcher herrschte, als die Volksvertreter, durch Bajonette in ihrem Sitzungssaale bedroht, jenen Beschluß faßten. Die Regierung begeht Gewaltstreich über Gewaltstreich. Sie verletzte rücksichtslos die wichtigsten Gesetze, dieHabeasCorpus-Aktef4 31, das Bürgerwehrgesetz12551. Sie führt willkürlich den unbeschränkten Militärdespotismus ein unter der Firma des Belagerungszustandes.
Sie jagt die Volksvertreter selbst zum Teufel. Und während man auf der einen Seite alle Gesetze schamlos verletzt, verlangt man auf der anderen Seite zarteste Beobachtung sogar eines Reglements? Ich weiß nicht, meine Herren, ist es absichtliche Verfälschung — ich bin weit entfernt, sie von Seiten des öffentlichen Ministeriums vorauszusetzen — oder ist es Unwissenheit, wenn es sagt: „Die Nationalversammlung habe keine Vermittlung gewollt", sie „habe keine Vermittlung versucht." Wenn das Volk der Berliner Nationalversammlung irgendeinen Vorwurf macht, sind es ihre Vermittlungsgelüste. Wenn Mitglieder dieser Versammlung selbst eine Reue empfinden, es ist die Reue über ihre Vereinbarungssucht. Die Vereinbarungssucht war es, die ihr das Volk allmählich entfremdete, die sie alle Positionen verlieren ließ, die sie schließlich den Angriffen der Krone aussetzte, ohne daß eine Nation in ihrem Rücken stand. Als sie endlich einen Willen behaupten wollte, stand sie vereinsamt da, ohnmächtig, eben weil sie zur rechten Zeit keinen Willen zu haben und zu behaupten wußte. Sie bekundete zuerst diese Vereinbarungssucht, als sie die Revolution verleugnete und die Vereinbarungstheorie sanktionierte, als sie sich herabwürdigte von einer revolutionären Nationalversammlung zu einer zweideutigen Gesellschaft von Vereinbarern. Sie trieb die Vermittlungsschwäche zum Extreme, als sie von Pfuel eine Scheinanerkennung des Steinschen Armeebefehls[159] für vollgültig akzeptierte. Die Verkündung dieses Armeebefehls selbst war zur Farce geworden, als er nur mehr komisches Echo des Wrangeischen Armeebefehls11601 sein konnte. Und dennoch, statt über ihn hinauszugehen, griff die Versammlung mit beiden Händen nach der abschwächenden, ihn auf völlige Inhaltslosigkeit reduzierenden Verdolmetschung desselben durch das Ministerium Pfuel. Um jeden ernsten Konflikt mit der Krone zu vermeiden, nahm sie den Scheinschatten einer Demonstration gegen die alte reaktionäre Armee als eine wirkliche Demonstration hin. Etwas, was auch nicht mehr eine Scheinlösung des Konflikts war, heuchelte sie ernsthaft, für die wirkliche Lösung des Konflikts zu halten. So wenig kampfbegierig, so sehr vermittlungslustig war diese Versammlung, die das öffentliche Ministerium als mutwilligen Händelsucher darstellt. Soll ich noch auf ein Symptom der vermittlungssüchtigen Natur dieser Kammer hinweisen? Erinnern Sie sich, meine Herren, an die Vereinbarung der Nationalversammlung über das Sistierungsgesetz der Ablösungen mit Pfueltl56]. Wenn die Versammlung den Feind in der Armee nicht zu ecrasieren wußte, so galt es vor allem, den Freund im Bauernstande zu gewinnen. Auch darauf verzichtete sie. Es galt ihr vor allem, es galt ihr vor den Interessen ihrer eignen Selbsterhaltung zu vermitteln, den Konflikt mit der Krone zu ver
meiden, unter allen Bedingungen zu vermeiden. Und man wirft dieser Versammlung vor, sie habe keine Vermittlung gewollt, sie habe keine Vermittlung versucht? Sie versuchte die Vermittlung noch, während der Konflikt schon ausgebrochen war. Sie kennen, meine Herrn, die Broschüre von Unruh[2&6\ eines Mannes des Zentrums. Sie haben daraus ersehen, was man alles versuchte, um den Bruch zu vermeiden, wie man Deputationen an die Krone schickte, die nicht vorgelassen wurden, wie einzelne Deputierte die Minister zu überreden suchten, die sie vornehm-hochmütig zurückwiesen, wie man Konzessionen machen wollte, die verlacht wurden. Selbst in dem Augenblicke noch wollte die Versammlung Frieden schließen, als es sich nur noch darum handeln konnte, zum Kriege zu rüsten. Und diese Versammlung klagt das öffentliche Ministerium an, sie habe keine Vermittlung gewollt, keine Vermittlung versucht! Die Berliner Nationalversammlung gab sich offenbar der größten Illusion hin, verstand ihre eigne Stellung, ihre eignen Existenzbedingungen nicht, als sie vor dem Konflikte, während des Konfliktes noch eine gütliche Verständigung, eine Vermittlung mit der Krone für möglich hielt und zu bewerkstelligen suchte. Die Krone wollte keine Vermittlung, sie konnte keine Vermittlung wollen. Täuschen wir uns nicht, meine Herrn Geschworenen, über die Natur des Kampfes, der im März zum Ausbruche kam, der später zwischen der Nationalversammlung und der Krone geführt wurde. Es handelt sich hier nicht um einen gewöhnlichen Konflikt zwischen einem Ministerium und einer parlamentarischen Opposition, es handelte sich nicht um den Konflikt zwischen Leuten, die Minister waren, und Leuten, die Minister werden wollten, es handelt sich nicht um den Parteikampf zweier politischer Fraktionen in einer gesetzgebenden Kammer. Es ist möglich, daß Mitglieder der Nationalversammlung, der Minorität oder der Majorität angehörig, sich alles dies einbildeten. Nicht die Meinung der Vereinbarer, die wirkliche historische Stellung der Nationalversammlung, wie sie aus der europäischen Revolution und der durch sie bedingten Märzrevolution hervorging, sie allein entscheidet. Was hier vorlag, das war kein politischer Konflikt zweier Fraktionen auf dem Boden einer Gesellschaft, das war der Konflikt zweier Gesellschaften selbst, ein sozialer Konflikt, der eine politische Gestalt angenommen hatte, es war der Kampf der alten feudal-bürokratischen mit der modernen bürgerlichenGesellschaft, der Kampf zwischen der Gesellschaft der freien Konkurrenz und der Gesellschaft des Zunftwesens, zwischen der Gesellschaft des Grundbesitzes mit der Gesellschaft der Industrie, zwischen der Gesellschaft des Glaubens mit der Gesell
schaft des Wissens. Der entsprechende politische Ausdruck der alten Gesellschaft, das war die Krone von Gottes Gnaden, die bevormundende Bürokratie, die selbständige Armee. Die entsprechende soziale Grundlage dieser alten politischen Macht, das war der privilegierte adlige Grundbesitz mit seinen leibeignen oder halbleibeignen Bauern, die kleine patriarchalische oder zünftig organisierte Industrie, die voneinander abgeschlossenen Stände, der brutale Gegensatz von Stadt und Land, und vor allem die Herrschaft des Landes über die Stadt. Die alte politische Macht - gottbegnadete Krone, bevormundende Bürokratie, selbständige Armee — sah ihre eigentliche materielle Grundlage unter den Füßen hinschwinden, sobald die Grundlage der alten Gesellschaft, der privilegierte adlige Grundbesitz, der Adel selbst, die Herrschaft des Landes über die Stadt, die Abhängigkeit des Landvolkes und die allen diesen Lebensverhältnissen entsprechende Gesetzgebung, wie Gemeindeordnung, Kriminalgesetzgebung u.dgl. angetastet wurden. Die Nationalversammlung verübte dies Attentat. Andrerseits sah jene alte Gesellschaft die politische Macht ihren Händen entrissen, sobald die Krone, die Bürokratie und die Armee ihre feudalen Privilegien einbüßten. Und die Nationalversammlung wollte diese Privilegien kassieren. Kein Wunder also, daß Armee, Bürokratie, Adel vereint die Krone zu einem Gewaltstreich hindrängten, kein Wunder, daß die Krone, die ihr eignes Interesse im innigsten Zusammenhang mit dem der alten feudal-bürokratischen Gesellschaft wußte, sich zum Staatsstreich hindrängen ließ. Die Krone war eben der Repräsentant der feudal-aristokratischen Gesellschaft, wie die Nationalversammlung der Repräsentant der modernbürgerlichen Gesellschaft war. Es liegt in den Lebensbedingungen der letztern, daß Bürokratie und Armee aus Beherrschern des Handels und der Industrie zu ihren Werkzeugen erniedrigt, zu bloßen Organen des bürgerlichen Verkehrs gemacht werden. Sie kann nicht dulden, daß die Agrikultur durch feudale Privilegien, die Industrie durch bürokratische Bevormundung beschränkt wird. Es widerstrebt dies ihrem Lebensprinzipe der freien Konkurrenz. Sie kann nicht dulden, daß die auswärtigen Handelsverhältnisse, statt durch die Interessen der Nationalproduktion, vielmehr nach den Rücksichten einer internationalen Hofpolitik geregelt werden. Sie muß die Finanzverwaltung den Produktionsbedürfnissen unterordnen, während der alte Staat die Produktion den Bedürfnissen der Krone von Gottes Gnaden und der Ausflickung der Königsmauern, der sozialen Stützen dieser Krone, unterordnen muß. Wie die moderne Industrie tatsächlich nivelliert, so muß die moderne Gesellschaft jede gesetzliche und politische Schranke zwischen Stadt und Land einreißen. In ihr gibt es noch Klassen, aber keine Stände mehr. Ihre Entwicklung besteht in dem Kampfe dieser Klassen, aber
diese sind vereinigt gegenüber den Ständen und ihrem gottbegnadeten Königtum. Das Königtum von Gottes Gnaden, der höchste politische Ausdruck, der höchste politische Repräsentant der alten feudal-bürokratischen Gesellschaft, kann daher der modernen bürgerlichen Gesellschaft keine aufrichtigen Zugeständnisse machen. Der eigne Erhaltungstrieb, die Gesellschaft, die hinter ihm steht, auf die es sich stützt, werden es stets von neuem dahin treiben, die gemachten Zugeständnisse zurückzunehmen, den feudalen Charakter zu behaupten, die Kontrerevolution zu riskieren! Nach einer Revolution ist die Kontrerevolution die stets sich erneuernde Lebensbedingung der Krone. Andrerseits kann auch die moderne Gesellschaft nicht rasten, bis sie die offizielle überlieferte Macht, wodurch sich die alte Gesellschaft noch gewaltsam behauptet, bis sie die Staatsgewalt derselben zertrümmert und beseitigt hat. Die Herrschaft der Krone von Gottes Gnaden ist eben die Herrschaft der veralteten Gesellschaftselemente. Also kein Frieden zwischen diesen beiden Gesellschaften. Ihre materiellen Interessen und Bedürfnisse bedingen einen Kampf auf Leben und Tod, die eine muß siegen, die andre unterliegen. Das ist die einzig mögliche Vermittlung zwischen beiden. Also auch kein Frieden zwischen den höchsten politischen Repräsentanten dieser beiden Gesellschaften, zwischen der Krone und der Volksvertretung. Die Nationalversammlung hatte daher nur die Wahl, der alten Gesellschaft nachzugeben oder als selbständige Macht der Krone gegenüber aufzutreten. Meine Herrn! Das öffentliche Ministerium hat die Steuer Verweigerung als eine Maßregel bezeichnet, „welche die Grundvesten der Gesellschaft erschüttre" . Die Steuerverweigerung hat mit den Grundvesten der Gesellschaft nichts zu tun. Woher kömmt es überhaupt, meine Herrn, daß die Steuern, die Verwilligung und die Verweigerung der Steuern eine so große Rolle spielen in der Geschichte des Konstitutionalismus? Es erklärt sich dies sehr einfach. Wie die Leibeignen mit barem Gelde ihre Privilegien erkauften von den Feudalbaronen, so ganze Völker von den Feudalkönigen. Die Könige bedurften Geld in den Kriegen mit den auswärtigen Völkern und namentlich in ihren Kämpfen gegen die Feudalherrn. Je mehr sich der Handel und die Industrie entwikkelte, desto mehr bedurften sie des Geldes. In demselben Maße entwickelte sich aber der dritte Stand, der Bürgerstand, in demselben Maße hatte er über größere Geldmittel zu verfügen. In demselben Maße kaufte er vermittelst der Steuern den Königen mehr Freiheiten ab. Um sich diese Freiheiten zu versichern, behielt er sich das Recht vor, die Geldleistungen in gewissen
Terminen zu erneuern — das Steuerbewilligungs- und Verweigerungsrecht. In der englischen Geschichte namentlich können Sie diese Entwicklung bis ins Detail verfolgen. In der mittelaltrigen Gesellschaft also waren die Steuern das einzige Band zwischen der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft und dem herrschenden feudalen Staate, das Band, wodurch dieser gezwungen wurde, jener Konzessionen zu machen, der Entwicklung derselben nachzugeben und sich ihren Bedürfnissen anzupassen. In den modernen Staaten hat sich dies Steuerbewilligungs- und Verweigerungsrecht in eine Kontrolle der bürgerlichen Gesellschaft über den Verwaltungsausschuß ihrer allgemeinen Interessen, die Regierung, verwandelt. Partielle Steuerverweigerung finden Sie daher vor als integrierenden Teil jedes konstitutionellen Mechanismus. Diese Art Steuerverweigerung hat statt, sooft das Budget verworfen wird. Das laufende Budget ist nur für einen bestimmten Zeitraum verwilligt; die Kammern müssen außerdem, sobald sie vertagt sind, nach sehr kurzen Zwischenräumen wieder einberufen werden. Eine Unabhängigkeitsmachung der Krone ist daher unmöglich. Die Steuern sind durch Verwerfung eines Budgets definitiv verweigert, sobald die neue Kammer dem Ministerium keine Majorität zubringt oder die Krone nicht ein Ministerium im Sinne der neuen Kammer ernennt. Die Verwerfung des Budgets ist also eine Steuerverweigerung in parlamentarischer Form. Diese Form war im vorliegenden Konflikte nicht anwendbar, weil die Konstitution noch nicht existierte, sondern erst zu schaffen war. Aber die Steuerverweigerung, wie sie hier vorliegt, eine Steuerverweigerung, die nicht nur das neue Budget verwirft, sondern selbst die Bezahlung der laufenden Steuern verbietet, auch sie ist nichts Unerhörtes. Sie war eine sehr häufige Tatsache im Mittelalter. Selbst der alte deutsche Reichstag und die alten feudalen brandenburgischen Stände haben Steuerverweigerungsbeschlüsse gefaßt. Und in modernen konstitutionellen Ländern fehlt es nicht an Beispielen. 1832 führte die Steuerverweigerung in England den Sturz des Ministeriums Wellington herbei.[257J Und bedenken Sie wohl, meine Herren! Nicht das Parlament hatte in England die Steuerverweigerung beschlossen, das Volk proklamierte und vollzog sie aus eigner Machtvollkommenheit. England aber ist das historische Land des Konstitutionalismus: Ich bin weit entfernt, es zu leugnen: Die englische Revolution, die Karl I. auf das Schafott brachte, begann mit der Steuerverweigerung. Die nordamerikanische Revolution, welche mit der Unabhängigkeitserklärung Nordamerikas von England endete, begann mit der Steuer Verweigerung. Die Steuerverweigerung kann auch in Preußen die Vorläuferin sehr schlimmer Dinge
sein. Aber Jobn Hampden brachte Karl I. nicht auf das Schafott, sondern nur sein Eigensinn, seine Abhängigkeit von den feudalen Ständen, sein Dünkel, unabweisliche Forderungen der neuentstehenden Gesellschaft mit Gewalt niederherrschen zu wollen. Die Steuerverweigerung ist nur ein Symptom des Zwiespalts zwischen Krone und Volk, nur ein Beweis, daß der Konflikt zwischen Regierung und Volk schon einen hohen, gefahrdrohenden Grad erreicht hat. Sie bringt den Zwiespalt, den Konflikt nicht hervor. Sie drückt nur das Vorhandensein dieser Tatsache aus. Im schlimmsten Falle folgt auf sie der Sturz der bestehenden Regierung, der vorhandenen Staatsform. Die Grundvesten der Gesellschaft werden nicht davon berührt. Im vorliegenden Falle nun gar war die Steuerverweigerung eine Notwehr eben der Gesellschaft gegen die Regierung, von der sie in ihren Grundvesten bedroht war. Das öffentliche Ministerium wirft uns schließlich vor, wir wären in dem inkriminierten Aufrufe1 weiter gegangen als die Nationalversammlung selbst: „Einmal habe die Nationalversammlung ihren Beschluß nicht publiziert." Soll ich ernsthaft darauf antworten, meine Herren, daß der Steuerverweigerungsbeschluß nicht einmal von der Gesetzsammlung publiziert wurde? Dann habe die Nationalversammlung nicht, wie wir, zur Gewalt aufgefordert, überhaupt nicht, wie wir, den revolutionären Boden betreten, sondern sich auf gesetzlichem Boden halten wollen. Vorhin stellte das öffentliche Ministerium die Nationalversammlung als ungesetzlich dar, jetzt als gesetzlich, jedesmal, um uns als Verbrecher darzustellen. Wenn die Eintreibung der Steuern einmal für ungesetzlich erklärt ist, muß ich die gewaltsame Ausübung der Ungesetzlichkeit nicht gewaltsam zurückweisen? Selbst von diesem Standpunkte aus waren wir daher berechtigt, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Übrigens, es ist ganz richtig, die Nationalversammlung wollte sich auf rein gesetzlichem Boden halten, auf dem Boden des passiven Widerstandes. Es standen ihr zwei Wege offen: der revolutionäre — sie schlug ihn nicht ein, die Herren wollten ihre Köpfe nicht riskieren — oder die Steuerverweigerung, die bei passivem Widerstand stehenblieb. Sie betrat diesen Weg. Das Volk aber mußte sich zur Ausübung der Steuerverweigerung auf revolutionären Boden stellen. Das Verhalten der Nationalversammlung war für das Volk keineswegs maßgebend. Die Nationalversammlung hat keine Rechte für sich, das Volk hat ihr nur die Behauptung seiner eigenen Rechte übertragen. Vollführt sie ihr Mandat nicht, so ist es erloschen. Das Volk selbst tritt dann in eigener Person auf die Bühne und handelt aus eigener Machtvollkommenheit. Wäre z.B. eine Nationalversammlung
an eine verräterische Regierung verkauft, so müßte das Volk beide fortjagen, Regierung und NationalVersammlung. Wenn die Krone eine Kontrerevolution macht, so antwortet das Volk mit Recht durch eine Revolution. Es bedarf dazu der Genehmigung keiner Nationalversammlung. Daß die preußische Regierung aber ein hochverräterisches Attentat versucht, das hat die Nationalversammlung selbst ausgesprochen. Ich resümiere mich kurz, meine Herrn Geschwornen. Die Gesetze vom 6. und 8. April 1848 kann das öffentliche Ministerium nicht gegen uns anrufen, nachdem die Krone selbst sie zerrissen hat. Diese Gesetze entscheiden an und für sich nicht, weil sie willkürliche Machwerke des Vereinigten Landtags sind. Der Steuer Verweigerungsbeschluß der Nationalversammlung war formell und materiell gültig. Wir sind in unserm Aufrufe weiter gegangen als die Nationalversammlung. Es war dies unser Recht und unsere Pflicht. Ich wiederhole schließlich, daß erst der erste Akt des Dreimas beendet ist. Der Kampf der beiden Gesellschaften, der mittelaltrigen und der bürgerlichen, wird von neuem in politischen Formen geführt werden. Dieselben Konflikte werden wieder beginnen, sobald die Versammlung zusammengekommen sein wird. Schon prophezeit das Organ des Ministeriums, die „Neue Preußische Zeitung": Dieselben Leute haben wieder gewählt, es wird nötig sein, die Versammlung zum zweiten Male auseinanderzujagen. Welchen neuen Weg aber auch die neue Nationalversammlung einschlagen mag, das notwendige Resultat kann kein anderes sein als: vollständiger Sieg der Kontrerevolution oder neue siegreiche Revolution. Vielleicht ist der Sieg der Revolution erst möglich nach vollendeter Kontrerevolution.
17 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Der Steuerverweigerungsprozeß
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 218 vom 10. Februar 1849] * Köln, 9.Februar. Wenn die Entscheidung der Geschwornen in unserm vorgestrigen Preßprozeß von Wichtigkeit für die Presse war, so ist die gestrige Freisprechung von Marx, Schneider und Schapper entscheidend für sämtliche aus Anlaß der Steuerverweigerung vor rheinischen Gerichten anhängig gemachten Prozesse. Das Faktum selbst war durchaus einfach und keinem Zweifel unterworfen. In dem inkriminierten Schriftstück1 hieß es: „Der Rheinische Kreisausschuß der Demokraten fordert alle demokratischen Vereine der Rheinprovinz auf, die Beschlußnahme und Durchführung folgender Maßregeln zu bewerkstelligen: 1. Nachdem die preußische Nationalversammlung selbst die Steuerverweigerung beschlossen hat, ist ihre gewaltsame Eintreibung überall durch jede Art des Widerstandes zurückzuweisen. 2. Der Landsturm zur Abwehr des Feindes ist überall zu organisieren... 3. Die Behörden sind überall aufzufordern, sich öffentlich darüber zu erklären, ob sie die Beschlüsse der Nationalversammlung anerkennen und ausführen wollen. Im Weigerungsfalle sind Sicherheitsausschüsse zu ernennen. Der gesetzgebenden Versammlung widerstrebende Gemeinderäte sind durch allgemeine Volkswahl zu erneuern." Dies Aktenstück ist doch wohl verständlich genug. Abgesehen von der Frage über die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Steuerverweigerungsbeschlusses2, lag hier offenbar der Fall der Aufreizung zum Aufruhr und zum Bürgerkriege vor. Die Beschuldigten machten auch kein Hehl daraus, daß unter dem „Feind" (im Absatz 2) der innere Feind, die bewaffnete Macht der
Regierung zu verstehen sei. Nichtsdestoweniger hatte die Staatsbehörde, an einer Verurteilung unter diesem Artikel des Code verzweifelnd, die mildere Anklage gewählt: auf Aufforderung zur Rebellion und zum Widerstand gegen die Agenten der Staatsgewalt (Art. 209ff.). Es drehte sich hiernach nur um die politische Frage, ob die Beschuldigten durch den Steuerverweigerungsbeschluß der Versammlung autorisiert gewesen, in dieser Weise zum Widerstande gegen die Staatsgewalt aufzufordern, eine bewaffnete Macht gegen die des Staats zu organisieren und Behörden aus eigner Machtvollkommenheit ab- und einsetzen zu lassen. Die Geschwornen haben diese Frage nach sehr kurzer Beratung bejaht. Nach dieser Entscheidung werden auch Lassalle und Cantador wohl bald wieder in Freiheit gesetzt werden. Eis steht nicht zu erwarten, daß der Anklagesenat von Köln in Beziehung auf sie andrer Meinung sein werde als die Geschwornen in Beziehung auf Marx, Schneider und Schapper. Wir werden übrigens morgen auf Lassalle speziell zurückkommen. Man scheint die wohlmeinende Absicht zu haben, seine Sache über die nächsten Assisen (im März) hinauszuschleppen und ihm so neue drei Monate Untersuchungshaft zu oktroyieren. Hoffentlich aber macht der Ausspruch der Kölner Jury einen Strich durch derartige menschenfreundliche Pläne. Wie Lassalle im Düsseldorfer Gefängnis behandelt wird, darüber morgen einige angenehme Details.1
Geschrieben von Karl Marx.
Der politische Prozeß
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.218 vom 10.Februar 1849] Aus dem Weimarischen, 3.Februar. Unter diesem Datum wird dem „Frankfurter] J[ournal]"[1641 geschrieben: „Es nahen jetzt endlich die Tage, in welchen unser erstes Geschwornengericht hier über die vorliegenden politischen Untersuchungen sein Urteil sprechen soll. Nachdem man von einer Woche zur andern immer den Anfang der Verhandlungen hinausgeschoben hatte, soll er jetzt endlich, wie man hört, definitiv auf den 15. d. M. festgesetzt sein. Die Sitzungen werden mit dem Prozeß gegen die im Oktober v.J. hier und zu Jena verhafteten Führer der demokratischen Partei, den Dr. Lafourie, Kandidat Rothe, Student Amelung, Dr.Otto und Literat Jäde, eröffnet werden. Dies sind fast die einzigen von den m jenen Tagen massenhaft Verhafteten, gegen welche der Staatsanwalt überhaupt Stoff zu einer Anklage hat finden können. Die Untersuchung gegen den damals auch verhafteten Literat Deinhard von hier hat so wenig ergeben, daß der Staatsanwalt, nachdem Deinhard zwei Monate lang in den ungesunden Kerkern unseres Kriminalgerichts gesessen hat, nicht einmal eine Anklage gegen ihn hat richten können. Der Kandfidat] Lange von Jena, welcher damals ebenfalls eingefangen wurde, bekam im Kerker zu Weimar vier Blutstürze und wurde dann erst halbtot nach Jena zu seinen Eltern gebracht, wo er kurz nachher, nachdem er drei Tage hintereinander dort wieder vom Kriminalgericht verhört worden war, am 7. Jan. d. J., verschied. Unsere Geschwornen werden indes erstaunen, wenn ihnen in den Verhandlungen statt den vielfach ausgebreiteten und besprochenen angeblich hochverräterischen Plänen die einfachen kleinlichen Tatsachen vorgelegt werden, auf welche die Anklagen gegen die Obengenannten gestützt sind." (Bei seinem nächsten Siege wird das Volk hoffentlich nicht, wie im März, so einfältig oder vergeßlich sein, daß es alle seine Folterknechte in Amt und Würden beläßt. Es wird sich vielmehr, wie ziemlich sicher anzunehmen, beeilen, die ganze Bande reaktionärer Beamten, und unter ihnen voran die blutdürstigen Gesetzesheuchler, auch „Richter" genannt, ein halbes Jahr lang in pennsylvanischen Gefängnissen1258 ] zur Untersuchung zu ziehen und dann zur weitern Kur bei Eisenbahn- und Chausseebauten zu verwenden.)
[Die Teilung der Arbeit bei der „Kölnischen Zeitung"]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.219 vom 11. Februar 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, lO.Februar. Wir haben, beim besten Willen, in der vorigen Woche selbst unsre besten Freunde, unsre nächsten Nachbarn nicht berücksichtigen können. Andre Geschäfte, man kennt sie, haben uns im Atem erhalten.1-2591 Beeilen wir uns jetzt, das Versäumte nachzuholen, und wenden wir unsre Blicke zuerst auf die benachbarten Publizisten. Die Teilung der Arbeit wird bei der „Kölnischen Zeitung"[21] mit einem seltenen Ensemble durchgeführt. Sehen wir ab von den entlegneren Teilen des Blattes, von der dritten und vierten Seite, wo der edle Wolfers Belgien preist und sein möglichstes tut, damit Heinrich V. den Thron seiner Ahnen wieder besteige und eine Verfassung „nach dem Muster der belgischen" oktroyiere; halten wir uns nur ans Frontispiz, an die erste Seite. Hier hat unser Freund Schücking das Unterstübchen inne und stellt dort für den Liebhaber die neuesten Produkte seiner doktrinären Phantasie und seines phantastischen Doktrinarismus in Prosa und in Versen aus. Wer kennt nicht die interessanten „politischen Gespräche", in denen der talentvolle Verfasser aus dem Schweinsleder eines deutschen Professors einen — er sagt es selbst — einen Mephistopheles herauszuschälen sich abmühte und nur einen Wagner zutage förderte?[260] Uber dem Unterstübchen aber, im ersten Stockwerk, öffnet Herr Dumont seine geräumigen politischen Salons, und hier sind es die großen Männer Brüggemann und Schwanbeck (nicht zu verwechseln mit Weißbrodt), die die Honneurs des Hauses machen. Brüggemann für den denkenden Teil, für die Rettung des Prinzips in allen Schiffbrüchen, für die Erhaltung des Rechtsbodens trotz aller Erdbeben, für das elegische Genre, für Schwanengesänge und Requiems. Schwanbeck für den deklamatorischen Teil, für das erhabene Lyrische, für die sittliche Entrüstung, für die Dithyrambe und den Sturm. Trunken von Begeisterung erhebt sich seine Phrase zu den höchsten Höhen
des Olymps, und ist ihr Gang nicht immer sicher, so bleibt er doch stets rhythmisch, und in der Tat, auf ihre Rechnung kommen fast alle die unfreiwilligen Hexameter, an denen die „Kölnische Zeitung" so reich ist. Der erste, der uns heute entgegentritt, ist ebenderselbe schwunghafte Schwanbeck. Er klärt uns, de dato Köln, 7.Februar, über die Nachwehen des Absolutismus und die Nachwehen der Revolution auf. Der große Schwanbeck gießt den ganzen Becher seines Zorns über das preußische Volk aus, weil es entweder gar nicht gewählt oder schlecht gewählt hat. „Diese Nationalversammlung soll die letzte Hand an den Aufbau eines konstitutionell-monarchischen Staats legen, und doch - wer zweifelt noch daran, daß die einen in ihr diesen Bau untergraben werden, weil sie nicht mehr monarchisch, die andern, weil sie noch absolutistisch, aber noch nicht konstitutionell geworden sind, beide, weil sie eben nicht konstitutionell-monarchisch sind? Von den entgegengesetzten Polen werden dann die Stürme wehen, eine abgetane Vergangenheit wird mit einer fernen, vielleicht nie erreichbaren Zukunft streiten, und - wer weiß, ob darüber nicht die Gegenwart verloren wird!" Man bemerke den gewaltigen Kraftstil, der sich aus diesen klassischen Zeilen ins Dasein ringt. Jeder Satz ein knorrig gedrungenes Ganze, jedes Wort gezeichnet mit dem Stempel der sittlichen Entrüstung. Man vergegenwärtige sich möglichst handgreiflich den Kampf zwischen der „abgetanen Vergangenheit" und der „fernen, vielleicht nie erreichbaren Zukunft". Wem ist nicht, als sähe er, wie die „vielleicht nie erreichbare Zukunft" von der „abgetanen Vergangenheit" dennoch erreicht wird, wie beide, Megären gleich, sich in die Haare geraten und wie, während von den entgegengesetzten Polen die Stürme wehen, eben wegen der Unerreichbarkeit der einen und des Abgetanseins der andern, die Gegenwart immer mehr verlorengeht! Man halte dies nicht gering. Denn wenn uns ein Urteil über so große Männer erlaubt ist, so müssen wir sagen: bei Brüggemann pflegt der Gedanke mit dem Stil, bei Schwanbeck dagegen der Stil mit dem Gedanken durchzugehen. Und in der Tat, wem sollte in tugendhaftem Unmut der Stil nicht durchgehen, wenn man sieht, wie eine Versammlung, der nicht nur der König von Preußen, sondern selbst die „Kölnische Zeitung" die Mission gegeben, die letzte Hand an den Aufbau eines konstitutionell-monarchischen Staates zu legen, wie eine solche Versammlung aus Leuten gebildet wird, die für den besagten wohlmeinenden Zweck entweder zu weit links oder gar zu weit rechts sitzen? Besonders wenn von den „entgegengesetzten Polen die Stürme wehen" und der „Kölnischen Zeitung" „die Gegenwart verloren wird"!
Schlimm genug für die „Kölnische Zeitung", wenn das Volk Deputierte wählt, die das nicht wollen, was sie nach der „Kölnischen Zeitung" „sollen"; noch schlimmer aber für das Volk, wenn es die Kassandrastimme eines Schwanbeck verspottet und statt eines konstitutionell-monarchischen Mustermenschen aus dem „großen Zentrum der Nation" Leute wählt, die entweder nicht mehr monarchisch oder noch nicht konstitutionell sind. Tu l'as voulu, George Dandin![261] wird Schwanbeck wehmütig ausrufen, wenn der gewaltige Konflikt zwischen der abgetanen Zukunft und der vielleicht nie erreichbaren Vergangenheit die Gegenwart verschlingen wird! „Mit andern Worten, die Symptome der Reaktion und die Symptome einer neuen oder vielmehr einer permanenten Revolution sind nicht ausgeblieben." Nach dieser merkwürdigen Errungenschaft wirft Kassandra-Schwanbeck einen Blick auf Ostreich. Dieser Blick auf Ostreich ist sehend bei Schwanbeck. Ostreich ist sein zweites Vaterland; hier entrüstete er sich früher über die Tyrannei der Wiener Demagogie, hier frißt er jetzt Magyaren, hier steigt dem erhabenen Dithyrambiker endlich auch ein zarteres Gefühl, ein leiser Gewissensbiß über die standrechtlichen Begnadigungen zu Pulver und Blei auf. Daher der zärtliche Blick, den der ahnungsreiche Prophet in jedem seiner Leitartikel nach Ostreich hinüberwirft. „Was hat sich nun geändert?" (in Ostreich nämlich.) „Unbeschränktheit der Bürokratie, der Demokratie, der Militärgewalt haben sich abgelöst, und am Ende ist alles sich gleich geblieben!" Trauriges Resultat der Revolutionen, wehmütige Folge davon, daß die Völker nie auf die Stimmen verkannter Kassandren hören wollen! „ AmEnde ist alles sich gleich geblieben!" Die Metternichsche traditionell-überkommene Regierung ist zwar in manchen Stücken verschieden von der jetzigen kontrerevolutionären Militärherrschaft, und namentlich ist das gemütliche östreichische Volk aus den Zeiten Metternichs ein ganz anderes Volk als das jetzige revolutionäre, zähneknirschende Volk; auch hat in der bisherigen Geschichte die Kontrerevolution immer nur zu einer viel gründlicheren, blutigeren Revolution geführt. Aber was tut das? „Am Ende ist doch alles sich gleich geblieben", und Despotismus bleibt Despotismus. Die spießbürgerlichen Kannegießer, welche „das große Zentrum der deutschen Nation" ausmachen, um uns eines Schwanbeckschen Ausdrucks zu bedienen, diese Biedermänner, welche bei jedem momentanen Contrecoup1 ausrufen: Was hat nun das Rebellieren genutzt, wir sind wieder gerade
so weit wie vorher; diese tiefen Geschichtskenner, die immer nur zwei Schritt weit vor sich sehen, werden entzückt sein, wenn sie finden, daß der große Schwanbeck mit ihnen genau auf demselben Standpunkt steht. Nach diesem unvermeidlichen Blick auf Osterreich geht Kassandra wieder nach Preußen herüber und bereitet sich zu einem Blick in die Zukunft vor. Die Elemente der Reaktion und die Elemente der Revolution werden gehörig gegeneinander abgewogen. Die Krone und ihre Diener, Wrangel, die Belagerungszustände (nebst frommen Wünschen über deren Aufhebung), die Preußenvereine[222J, werden der Reihe nach einer gründlichen Betrachtung unterworfen. Dann heißt es weiter:
„Indes bei allem dem müssen wir uns doch eingestehen, daß die Zahl unserer Reaktionäre nicht eben schwer in die Waage fällt. Schlimmer ist es, daß das große Zentrum des Volks dermaßen an den Absolutismus gewöhnt worden ist, daß es sich in das Selfgouvernement1 noch gar nicht zu finden weiß, und das — aus bloßer Faulheit. Ihr, die ihr so massenhaft bei jenen Wahlen fehltet ... ihr seid die wahren Absolutisten! ... Eis gibt in der ganzen Welt keine widerlichere Erscheinung als ein Volk, das zu faul für ein freies Staatsleben ist."
„Großes Zentrum des deutschen Volks", du bist deinen Schwanbeck nicht wert! Dies „Zentrum des Volks", das „zu faul für ein freies Staatsleben ist", ist, wie sich später herausstellt, niemand anders als die Bourgeoisie. Schmerzliches Geständnis, kaum versüßt durch den gleichzeitigen Selbstgenuß der sittlichen Entrüstung über diese schmähliche „Indolenz" des großen Zentrums der Nation!
„Noch weit schlimmer aber steht es um die Nachwehen der Revolution. Unser Volk ist reicher, als wir ahnen konnten, an schwärmerischen und phantastischen Naturen, an geschickten Demagogen" (naives Geständnis!) „und an gedankenlosen Haufen, denen keine Spur politischer Bildung innewohnt. Erst das Jahr 1848 sollte uns zeigen, welche massenhafte Elemente der Anarchie in diesem ruhigen, gerechtigkeitsliebenden, sinnigen Volke versprengt waren, wie eine unklare Sucht nach Revolutionen um sich griff und wie das bequeme Mittel" (allerdings viel „bequemer", als tiefsinnige Leitdithyramben in der „Kölnischen" zu schreiben!) „des Revolutionierens als eine Panazee ... gelten sollte."
Während das „Zentrum" zu faul ist, ist die Peripherie, der „Pöbel", die „gedankenlosen Haufen", zu fleißig. Die „geschickten Demagogen", vereinigt mit den „massenhaften Elementen der Anarchie", müssen allerdings
gegenüber der „Faulheit" und „Indolenz" der Bourgeoisie finstre Ahnungen in der Seele eines Schwanbeck erwecken! „So ist nun einmal der naturgemäße Gang: Der Stoß ruft den Gegenstoß hervor." Mit dieser weiteren großen Gedankenerrungenschaft, die noch zum Thema einiger schwunghaften Variationen dienen muß, geht Kassandra zum Schluß über und zieht folgendes Fazit: „Erst da ist der gerade Weg zu dem echten freien Staatsleben, wo das große Zentrum der Nation, das kräftige und intelligente Bürgertum, einig und mächtig genug geworden ist, diese Abwege nach links und rechts zu einer Unmöglichkeit zu machen. Es liegt ein norddeutsches Blatt vor uns,in welchem ...geschrieben steht: ,... die Bourgeoisie hat schon jetzt über beide Extreme der Linken und Rechten die Oberhand gewonnen, und dieser Partei allein gehört die Zukunft!' Wir fürchten, daß dies Frohlocken noch voreilig ist; will man einen Beweis dafür, nun, ,die Wahlen in Preußen werden ihn führen'." Das ist der große sittlich entrüstete Klagegesang der neuesten Kassandra über die Verkehrtheit dieser bösen Welt, die nicht nach dem Sinne der „Kölnischen Zeitung" marschieren will. Das ist das Resultat der Forschungen Schwanbecks in der „abgetanen Vergangenheit", der „fernen, vielleicht nie erreichbaren Zukunft" und der in Frage gestellten „Gegenwart": Der wirkliche, entscheidende Kampf wird geführt nicht zwischen der feudalistischbürokratischen Monarchie und der Bourgeoisie, auch nicht zwischen der Bourgeoisie und dem Volk, er wird geführt zwischen der Monarchie und dem Volk, zwischen den Absolutisten und den Republikanern; und die Bourgeoisie, die Konstitutionellen ziehen sich vom Kampfplatz zurück. Ob die Bourgeoisie sich wirklich vom Kampf zurückgezogen, ob sie dies aus Faulheit getan oder aus Schwäche und was die Wahlen in Preußen beweisen, darüber wollen wir uns hier in keine weiteren Glossen einlassen. Genug, die „Kölnische Zeitung" gibt zu, daß in dem gegenwärtigen Kampf die Bourgeoisie nicht mehr in erster Linie steht, daß es nicht mehr ihre Interessen sind, von denen es sich handelt, daß der Kampf geführt wird um absolute Monarchie oder Republik. Und nun vergleiche man die „Neue Rheinische Zeitung" seit November vorigen Jahres und sage, ob wir nicht in jeder Nummer und bei jeder Gelegenheit, bei der Wiener Kontrerevolution, bei der Berliner Kontrerevolution, bei der Oktroyierung auseinandergesetzt, ob wir nicht in dem langen Artikel „Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution"1 und in mehreren Artikeln vor den Urwahlen2 ausführlich entwickelt haben, wie die Schwäche und Feigheit der
deutschen Bourgeoisie es war, die die Kontrerevolution möglich machte, und wie die Kontrerevolution ihrerseits die Bourgeoisie auf die Seite schob und den direkten Kampf zwischen den Resten der feudalen Gesellschaft und den äußersten Spitzen der modernen Gesellschaft, zwischen Monarchie und Republik unvermeidlich machte! Das, was wir vor drei Monaten als historisch notwendig aus dem Gang der deutschen Revolution entwickelten, davon entwickelt sich der „Kölnischen Zeitung" eine schwache und verschwommene Ahnung als Resultat haruspizischer Divinationsschnüffeleien in den Eingeweiden der Wahlurne vom 5.März. Und diese schwache verschwommene Ahnung gilt für eine solche Entdeckung, daß sie sofort in der ganzen geschwollenen und gequollenen Form eines A-Leitartikels brühwarm dem wohlwollenden Publikum zum Genuß vorgesetzt wird. Naive Kölnerin!
Lassall«12621
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 219 vom 11. Februar 1849] *Köln, 10.Februar. Wir versprachen gestern1, auf Lassalle zurückzukommen. Lassalle sitzt nunmehr schon 11 Wochen im Düsseldorfer Gefängnis, und erst jetzt ist die Untersuchung über einfache, durchaus nicht geleugnete Tatsachen beendigt; erst jetzt entscheidet die Ratskammer. Man hat es glücklich dahin gebracht, daß Ratskammer und Anklagesenat, wenn sie nur das Maximum der gesetzlichen Frist einhalten, die Sache über die bevorstehenden Düsseldorfer Assisen hinausverschleppen und den Gefangenen mit neuen drei Monaten Untersuchungshaft beglücken können. Und welche Untersuchungshaft! Man weiß, daß eine Deputation der verschiedenen demokratischen Vereine Kölns neulich dem Generalprokurator Nicolovius eine von einigen tausend Bürgern unterzeichnete Adresse überbrachte, worin 1. um Beschleunigung der Untersuchung gegen die Düsseldorfer politischen Gefangenen, 2. um anständige Behandlung derselben während der Untersuchungshaft gebeten war. Herr Nicolovius versprach diesen billigen Forderungen möglichste Berücksichtigung. Wie sehr man sich aber im Düsseldorfer Gefängnis um den Herrn Generalprokurator, um die Gesetze und um die allergewöhnlichsten Rücksichten des Anstandes kümmert, davon folgendes Exempel: Ein Gefängniswärter erlaubte sich am 5. Januar einige Brutalitäten gegen Lassalle und setzte diesen die Krone dadurch auf, daß er zum Direktor ging und Lassalle verklagte, als habe dieser ihn brutalisiert. Eine Stunde nachher tritt der Direktor, vom Instruktionsrichter begleitet, in Lassalles Zimmer, ohne ihn zu grüßen und stellt ihn deswegen zur Rede.
Lassalle unterbricht ihn mit der Bemerkung, unter gebildeten Leuten sei es üblich, daß man sich begrüße, wenn man zu jemanden ins Zimmer trete, und er sei berechtigt, diese Höflichkeit vom Direktor zu verlangen. Das war dem Herrn Direktor zuviel. Wütend geht er auf Lassalle zu, drängt ihn ans Fenster zurück und schreit mit möglichst lauter Stimme und unter Begleitung von Gestikulationen sämtlicher Gliedmaßen: „Hören Sie, Sie sind hier mein Gefangener und weiter nichts, Sie haben sich der Hausordnung zu fügen, und wenn Ihnen das nicht beliebt, so werde ich Sie ins Cachot werfen lassen, und es kann Ihnen noch Ärgeres passieren!"
Hierauf wurde Lassalle ebenfalls heftig und erklärte dem Direktor: er habe kein Recht, ihn nach der Hausordnung zu bestrafen, da er Untersuchungsgefangener sei; das laute Schreien nütze nichts und beweise nichts; wenn dies Haus auch ein Gefängnis sei, so sei hier doch sein Zimmer, und wenn der Direktor (mit dem Finger zeigend) hier bei ihm eintrete, so habe er ihn zu grüßen. Jetzt verlor der Direktor alle Besinnung. Er rückte Lassalle dicht auf den Leib, holte weit mit ausgestrecktem Arm aus und schrie: „Gestikulieren Sie nicht mit Ihrem Finger, oder ich schlage Ihnen gleich mit eigner Hand eine ins Gesicht, daß..."
Lassalle forderte sofort den Instruktionsrichter zum Zeugen für diese unerhörte Mißhandlung auf und stellte sich unter seinen Schutz. Der Instruktionsrichter suchte nun den Direktor zu besänftigen, was aber erst nach mehrmals wiederholtem Anerbieten von Ohrfeigen gelang. Lassalle wandte sich nach dieser erbaulichen Szene an den Staatsprokurator v. Ammon mit dem Antrage, gegen den Direktor, Herrn Morret, [eine Untersuchung] einzuleiten. Die Gewaltsamkeiten des Direktors konstituieren nämlich nicht bloß eine Mißhandlung und schwere Beleidigung, sondern auch eine Überschreitung der Amtsbefugnisse. Herr v. Ammon antwortete, Untersuchungen wegen Überschreitung der Amtsbefugnisse von Seiten der Gefängnisbeamten könnten nicht ohne vorgängige Genehmigung der Verwaltungsbehörde eingeleitet werden, und verwies Lassalle an die Regierung. Er stützte sich hierbei auf irgendeine alte Kabinettsordre von 1844.[184] Der Art. 95 der oktroyierten sogenannten Verfassung11231 erklärt: „Es ist keine vorgängige Genehmigung der Behörden nötig, um öffentliche Ziviloder Militärbeamten wegen der durch Überschreitung ihrer Amtsbefugnisse verübten Rechtsverletzungen gerichtlich zu belangen."
Art. 108 derselben Charte hebt ausdrücklich alle mit ihr im Widerspruch stehenden Gesetze auf. Aber umsonst berief sich Lassalle dem Staatsprokurator gegenüber auf den Art. 95; Herr v. Ammon beharrte auf seinem Kompetenzkonflikt und entließ ihn mit der angenehmen Bemerkung: „Sie scheinen zu vergessen, daß Sie Untersuchungsgefangener sind!" Hatten wir nicht recht zu sagen, die sog. Verfassung sei bloß gegen uns, nicht aber gegen die Herren Beamten oktroyiert worden? Also Anerbieten von Ohrfeigen, Cachot und körperliche Züchtigung, denn Geis war das „Ärgere",das Herr Morret sich vorbehielt, das ist die „anständige Behandlung", welche der Deputation für die politischen Gefangenen zugesagt wurde! Beiläufig bemerken wir, daß nach dem Gesetz die Untersuchungsgefängnisse von den Strafgefängnissen durchaus getrennt sein und die Gefangenen der ersteren unter einem ganz anderen Regime stehen sollen als die Sträflinge. In Düsseldorf existiert aber kein besonderes Untersuchungsgefängnis, und die Untersuchungsgefangenen, nachdem man sie ins Strafgefängnis ungesetzlicherweise eingesperrt, sollen zudem noch unter die Hausordnung der Sträflinge gestellt, ins Cachot geworfen und mit Stockprügeln traktiert werden können! Damit dieser lobenswerte Zweck mit Lassalle erreicht werde, hat der P.P.Morret eine Disziplinarkommission zusammenberufen, welche Herrn Lassalle obiger Annehmlichkeiten teilhaftig werden lassen soll. Und die Herren Instruktionsrichter und Prokuratoren scheinen dies alles ruhig hingehen zu lassen oder sich hinter einem Kompetenzkonflikte zu verschanzen! Lassalle hat sich an den Generalprokurator gewandt. Wir veröffentlichen unsererseits die ganze Sache, damit die öffentliche Stimme die Beschwerde des Gefangenen unterstütze. Wir hören übrigens, daß Lassalle endlich aus der einsamen Haft entlassen und wenigstens mit Cantador in dasselbe Gefängnis eingeschlossen ist.
Geschrieben von Karl Marx.
Der demokratische Panslawismus12041
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 222 vom 15. Februar 1849] * Köln, 14. Februar. Wir haben oft genug darauf hingewiesen, wie die sanften Träume, die nach den Revolutionen des Februar und März auftauchten, wie die Schwärmereien von allgemeiner Völkerverbrüderung, europäischer Föderativrepublik und ewigem Weltfrieden im Grunde weiter nichts waren als Verhüllungen der grenzenlosen Ratlosigkeit und Tatlosigkeit der damaligen Wortführer. Man sah nicht, oder man wollte nicht sehen, was zu tun war, um die Revolution sicherzustellen; man konnte oder man wollte keine wirklich revolutionären Maßregeln durchsetzen; die Borniertheit der einen, die kontrerevolutionäre Intrige der andern kamen darin überein, daß das Volk statt revolutionärer Taten nur sentimentale Phrasen erhielt. Der hochbeteuernde Schurke Lamartine war der klassische Held dieser Epoche des unter poetischen Blumen und rhetorischem Flitterstaat verdeckten Volks Verrats. Die revolutionierten Völker wissen es, wie teuer sie es haben entgelten müssen, daß sie damals in ihrer Gutmütigkeit den großen Worten und hochfahrenden Versicherungen glaubten. Statt der Sicherstellung der Revolution überall reaktionäre Kammern, die die Revolution untergruben; statt der Durchführung der Verheißungen, die auf den Barrikaden gegeben wurden — die Kontrerevolutionen von Neapel, Paris, Wien, Berlin, der Fall Mailands, der Krieg gegen Ungarn; statt der Völkerverbrüderung - die Erneuerung der Heiligen Allianz[16 71 auf breitester Grundlage unter dem Patronat von England und Rußland. Und dieselben Männer, die noch im April und Mai den hochtönenden Phrasen der Epoche zujauchzten, denken nur noch errötend daran, wie sie damals von Dummköpfen und Schurken sich prellen ließen. Man hat es durch schmerzliche Erfahrung gelernt, daß die „europäische Völkerverbrüderung" nicht durch bloße Phrasen und fromme Wünsche zustande kommt, sondern nur durch gründliche Revolutionen und blutige
Kämpfe; daß es sich nicht um eine Verbrüderung aller europäischen Völker unter einer republikanischen Fahne, sondern um die Allianz der revolutionären Völker gegen die kontrerevolutionären handelt, eine Allianz, die nicht auf dem Papier, sondern nur auf dem Schlachtfeld zustande kommt. In ganz Westeuropa haben diese bittern, aber notwendigen Erfahrungen den Lamartineschen Phrasen allen Kredit geraubt. Im Osten dagegen gibt es immer noch Fraktionen, angeblich demokratische, revolutionäre Fraktionen, die nicht müde werden, diesen Phrasen und Sentimentalitäten zum Echo zu dienen und das Evangelium von der europäischen Völkerverbrüderung zu predigen. Diese Fraktionen — wir abstrahieren von einigen unwissenden Schwärmern deutscher Zunge wie Herrn A. Rüge usw. - sind die demokratischen Panslawisten der verschiedenen slawischen Volksstämme. Das Programm des demokratischen Panslawismus liegt vor uns in einer Broschüre: „Aufruf an die Slaven. Von einem russischen Patrioten, Michael Baktmin, Mitglied des Slavenkongresses in Prag". Kothen 1848. Bakunin ist unser Freund. Das wird uns nicht abhalten, seine Broschüre der Kritik zu unterwerfen. Man höre, wie Bakunin gleich im Anfang seines Aufrufs an die Illusionen des vorigen März und April anknüpft:
„Gleich das erste Lebenszeichen der Revolution war ein Schrei des Hasses gegen die alte Unterdrückung, ein Schrei des Mitgefühls und der Liebe für alle unterdrückten Nationalitäten. Die Völker ... fühlten endlich die Schmach, mit welcher die alte Diplomatie die Menschheit beladen hat, und erkannten, daß nie die Wohlfahrt der Nationen gesichert ist, solange noch irgendwo in Europa ein einziges Volk unter dem Drucke lebt ... Hinweg die Unterdrücker, erscholl es wie aus einem Munde; den Bedrückten Heil, den Polen, den Italienern und allen! Keinen Eroberungskrieg mehr, aber noch den einen letzten Krieg bis auf die Neige durchgekämpft, den guten Kampf der Revolution zur endlichen Befreiung aller Völker! Nieder die künstlichen Schranken, welche von Despotenkongressen nach sogenannten historischen, geographischen, kommerziellen und strategischen Notwendigkeiten gewaltsam aufgerichtet worden sind! Es soll keine andern Scheidegrenzen mehr geben als jene der Natur entsprechenden, von der Gerechtigkeit und im Sinne der Demokratie gezogenen Grenzen, welche der souveräne Wille der Völker selbst auf Grund ihrer nationalen Eigenheiten vorzeichnet. So erging der Ruf durch alle Völker." p.6,7.
Wir finden schon in dieser Stelle die ganze schwärmerische Begeisterung der ersten Monate nach der Revolution wieder. Von den in der Wirklichkeit bestehenden Hindernissen einer solchen allgemeinen Befreiung, von den so durchaus verschiedenen Zivilisationsstufen und den dadurch bedingten eben
so verschiedenen politischen Bedürfnissen der einzelnen Völker ist keine Rede. Das Wort „Freiheit" ersetzt das alles. Von der Wirklichkeit ist überhaupt keine Rede, oder soweit sie etwa in Betracht kommt, wird sie als etwas absolut Verwerfliches, von „Despotenkongressen" und „Diplomaten" willkürlich Hergestelltes geschildert. Dieser schlechten Wirklichkeit gegenüber tritt der angebliche Volkswille mit seinem kategorischen Imperativ, mit der absoluten Forderung der „Freiheit" schlechtweg. Wir haben es gesehn, wer der Stärkere war. Der angebliche Volkswille ist gerade dadurch, daß er sich auf eine so phantastische Abstraktion von den wirklich vorliegenden Verhältnissen einließ, so schmählich düpiert worden. „Aufgelöst erklärte die Revolution aus ihrer Machtvollkommenheit die Despotenstaaten, aufgelöst das preußische Reich ... Österreich ... das türkische Reich ... aufgelöst endlich den letzten Despotentrost, das russische Reich ... und als Endziel von allem - die allgemeine Föderation der europäischen Republiken." p.8. In der Tat, uns hier im Westen muß es eigentümlich vorkommen, daß man, nachdem alle diese schönen Pläne in ihrem ersten Ausführungsversuch gescheitert sind, sie noch als etwas Verdienstliches und Großes aufzählen kann. Das war ja gerade das Schlimme, daß die Revolution zwar „aus eigener Machtvollkommenheit aufgelöst erklärte", aber zugleich „aus eigener Machtvollkommenheit" keinen Finger rührte, um ihr Dekret zu vollziehen. Damals wurde der Slawenkongreß12091 berufen. Der Slawenkongreß stellte sich durchaus auf den Standpunkt dieser Illusionen. Man höre: „Die gemeinsamen Bande der Geschichte (?) und des Blutes lebhaft fühlend, schwuren wir, unsere Geschicke nicht wieder voneinander trennen zu lassen. Die Politik verfluchend, deren Opfer wir so lange gewesen, setzten wir uns selber ein in unser Recht auf eine vollkommene Unabhängigkeit und gelobten uns, daß diese hinfort allen slawischen Völkern gemeinsam sein sollte. Wir erkannten Böhmen und Mähren ihre Selbständigkeit zu ... wir streckten dem deutschen Volke, dem demokratischen Deutschland, unsere brüderliche Hand entgegen. Im Namen derer von uns, die in Ungarn wohnen, boten wir den Magyaren, den wütenden Feinden unserer Race ... ein brüderliches Bündnis an. Auch diejenigen unserer Brüder, die unter dem Joch der Türken seufzen, vergaßen wir nicht in unserem Bunde der Befreiung. Wir verdammten feierlich jene verbrecherische Politik, welche Polen dreimal zerriß ... Das alles sprachen wir aus und forderten mit allen Demokraten aller Völker (?): die Freiheit, die Gleichheit, die Brüderlichkeit aller Nationen." pag. 10.
Diese Forderungen stellt der demokratische Panslawismus heute noch auf: „Wir fühlten uns damals unserer Sache gewiß ... die Gerechtigkeit und Menschlichkeit waren ganz auf unserer Seite, und auf der Seite unserer Feinde nichts als die Ungesetzlichkeit und Barbarei. Es waren hßine leeren Traumgebilde, denen wir uns hin
gaben, es waren die Gedanken der einzig wahren und notwendigen Politik, der Politik der Revolution „Gerechtigkeit", „Menschlichkeit", „Freiheit", „Gleichheit", „Brüderlichkeit", „Unabhängigkeit" — bis jetzt haben wir weiter nichts in dem panslawistischen Manifest gefunden, als diese mehr oder weniger moralischen Kategorien, die zwar sehr schön klingen, aber in historischen und politischen Fragen durchaus nichts beweisen. Die „Gerechtigkeit", die „Menschlichkeit", die „Freiheit" usw. mögen tausendmal dies oder jenes verlangen; ist die Sache aber unmöglich, so geschieht sie nicht und bleibt trotz alledem ein „leeres Traumgebilde". Die Panslawisten hätten aus der Rolle, die die Masse der Slawen seit dem Prager Kongreß gespielt hat, über ihre Illusionen sich aufklären, sie hätten einsehen können, daß mit allen frommen Wünschen und schönen Träumen gegen die eiserne Wirklichkeit nichts auszurichten ist, daß ihre Politik ebensowenig wie die der französischen Republik je die „Politik der Revolution" war. Und dennoch kommen sie uns heute, im Januar 1849, noch mit denselben alten Phrasen, über deren Inhalt Westeuropa durch die blutigste Kontrerevolution enttäuscht wurde! Nur ein Wort über die „allgemeine Völkerverbrüderung" und Ziehung von „Grenzen, welche der souveräne Wille der Völker selbst auf Grund ihrer nationalen Eigenheiten vor zeichnet". Die Vereinigten Staaten und Mexiko sind zwei Republiken; in beiden ist das Volk souverän. . Wie kommt es, daß zwischen diesen beiden Republiken, die der moralischen Theorie gemäß „verbrüdert" und „föderiert" sein müßten, wegen Texas ein Krieg ausbrach, daß der „souveräne Wille" des amerikanischen Volks, gestützt auf die Tapferkeit der amerikanischen Freiwilligen, die von der Natur gezogenen Grenzen aus „geographischen, kommerziellen und strategischen Notwendigkeiten" um einige hundert Meilen weiter südlich verlegte? Und wird Bakunin den Amerikanern einen „Eroberungskrieg" zum Vorwurf machen, der zwar seiner auf die „Gerechtigkeit und Menschlichkeit" gestützten Theorie einen argen Stoß gibt, der aber doch einzig und allein im Interesse der Zivilisation geführt wurde? Oder ist es etwa ein Unglück, daß das herrliche Kalifornien den faulen Mexikanern entrissen ist, die nichts damit zu machen wußten? daß die energischen Yankees durch die rasche Ausbeutung der dortigen Goldminen die Zirkulationsmittel vermehren, an der gelegensten Küste des stillen Meeres in wenig Jahren eine dichte Bevölkerung und einen ausgedehnten Handel konzentrieren, große Städte schaffen, Dampfschiffsverbindungen eröffnen, eine Eisenbahn von New York bis San Francisco anlegen, den Stillen Ozean erst eigentlich der Zivilisation eröffnen, und zum dritten Mal in der Geschichte dem Welthandel eine neue Richtung geben
18 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
werden? Die „Unabhängigkeit" einiger spanischen Kalifornier und Texaner mag darunter leiden, die „Gerechtigkeit" und andre moralische Grundsätze mögen hie und da verletzt sein; aber was gilt das gegen solche weltgeschichtliche Tatsachen? Wir bemerken übrigens, daß diese Theorie der allgemeinen Völkerverbrüderung, die ohne Rücksicht auf die historische Stellung, auf die gesellschaftliche Entwicklungsstufe der einzelnen Völker weiter nichts will als verbrüdern ins Blaue hinein, von den Redaktoren der „Njeuen Rhjeinischen] Z[eitung]" schon lange vor der Revolution bekämpft worden ist, und zwar damals gegen ihre besten Freunde, die englischen und französischen Demokraten. Die englischen], französischen] und belgischen] demokratischen Blätter jener Zeit enthalten die Beweise dafür.[2633 Was nun speziell den Panslawismus betrifft, so haben wir in Nr. 194 der „N. Rh. Z."1 entwickelt, wie er, abgesehen von den gutgemeinten Selbsttäuschungen der demokratischen Panslawisten, in der Wirklichkeit keinen andern Zweck hat, als den zersplitterten, historisch, literarisch, politisch, kommerziell und industriell von Deutschen und Magyaren abhängigen östreichischen Slawen einen Anhaltspunkt zu geben, einerseits in Rußland, andrerseits in der durch die slawische Majorität beherrschten, von Rußland abhängigen östreichischen Gesamtmonarchie. Wir haben entwickelt, wie solche seit Jahrhunderten von der Geschichte wider ihren eigenen Willen nachgeschleifte Natiönchen notwendig kontrerevolutionär sein müssen und wie ihre ganze Stellung in der Revolution von 1848 wirklich kontrerevolutionär war. Gegenüber dem demokratisch-panslawistischen Manifest, das die Unabhängigkeit aller Slawen ohne Unterschied fordert, müssen wir auf diesen Punkt zurückkommen. Bemerken wir zuerst, daß die politische Romantik und Sentimentalität bei den Demokraten des Slawenkongresses sehr zu entschuldigen ist. Mit Ausnahme der Polen - die Polen sind nicht panslawistisch, aus sehr handgreiflichen Gründen - gehören sie alle Völkerstämmen an, die entweder wie die Südslawen durch ihre ganze geschichtliche Stellung notwendig kontrerevolutionär sind oder die wie die Russen von einer Revolution noch weit entfernt und daher wenigstens vorderhand noch kontrerevolutionär sind. Diese Fraktionen, demokratisch durch ihre im Ausland erworbene Bildung, suchen ihre demokratische Gesinnung mit ihrem Nationalgefühl, das bei den Slawen bekanntlich sehr ausgeprägt ist, in Harmonie zu bringen; und da die positive Welt, die wirklichen Zustände ihres Landes, keine oder nur fingierte
Anknüpfungspunkte für diese Versöhnung boten, so bleibt ihnen nichts als das jenseitige „Luftreich des Traums "f264J, das Reich der frommen Wünsche, die Politik der Phantasie. Wie schön wäre es, wenn Kroaten, Panduren und Kosaken das Vordertreffen der europäischen Demokratie bildeten, wenn der Gesandte der Republik Sibirien in Paris seine Kreditive überreichte! Gewiß sehr erfreuliche Aussichten; aber daß die europäische Demokratie auf ihre Verwirklichung warten soll, wird doch selbst der begeistertste Panslawist nicht verlangen - und vorderhand sind gerade die Nationen, deren spezielle Unabhängigkeit das Manifest verlangt, die speziellen Feinde der Demokratie. Wir wiederholen es: Außer den Polen, den Russen und höchstens den Slawen der Türkei hat kein slawisches Volk eine Zukunft, aus dem einfachen Grunde, weil allen übrigen Slawen die ersten historischen, geographischen, politischen und industriellen Bedingungen der Selbständigkeit und Lebensfähigkeit fehlen. Völker, die nie eine eigene Geschichte gehabt haben, die von dem Augenblick an, wo sie die erste, roheste Zivilisationsstufe ersteigen, schon unter fremde Botmäßigkeit kommen oder die erst durch ein fremdes Joch in die erste Stufe der Zivilisation hineingezwtmgen werden, haben keine Lebensfähigkeit, werden nie zu irgendeiner Selbständigkeit kommen können. Und das ist das Geschick der östreichischen Slawen gewesen. Die Tschechen, zu denen wir selbst die Mähren und Slowaken rechnen wollen, obwohl sie sprachlich und geschichtlich verschieden sind, hatten nie eine Geschichte. Seit Karl dem Großen ist Böhmen an Deutschland gekettet. Einen Augenblick emanzipiert sich die tschechische Nation und bildet das großmährische Reich, um sofort wieder unterjocht und während fünfhundert Jahren als Spielball zwischen Deutschland, Ungarn und Polen hin- und hergeworfen zu werden. Dann kommt Böhmen und Mähren definitiv zu Deutschland, und die slowakischen Gegenden bleiben bei Ungarn. Und diese geschichtlich gar nicht existierende „Nation" macht Ansprüche auf Unabhängigkeit? Ebenso die eigentlich sogenannten Südslawen. Wo ist die Geschichte der illyrischen Slowenen, der Dalmatiner, Kroaten und Schokazen[265J? Seit dem 11 .Jahrhundert haben sie den letzten Schein politischer Unabhängigkeit verloren und teils unter deutscher, teils unter venetianischer, teils unter magyarischer Herrschaft gestanden. Und aus diesem zerrissenen Fetzen will man eine kräftige, unabhängige, lebensfähige Nation zusammenstümpern? Noch mehr. Bildeten die östreich[ischenl Slawen eine kompakte Masse wie die Polen, die Magyaren, die Italiener, wären sie imstande, unter sich einen Staat von 12—20 Millionen zusammenzubringen, so hätten ihre Ansprüche doch noch einen ernsthaften Charakter. Aber gerade das Gegenteil 18*
findet statt. Die Deutschen und Magyaren haben sich wie ein breiter Keil zwischen sie eingedrängt bis an die äußersten Enden der Karpaten, fast bis ans Schwarze Meer, haben die Tschechen, Mähren und Slowaken von den Südslawen durch einen 60-80 Meilen breiten Gürtel getrennt. Im Norden des Gürtels 51/2 Millionen], im Süden 51/2 Mill[ionen] Slawen, getrennt durch eine kompakte Masse von 10-11 Millionen] Deutschen und Magyaren, die durch Geschichte und Notwendigkeit Verbündete sind. Aber warum sollten die 51/2 Millionen Tschechen, Mähren und Slowaken nicht ein Reich, die S1^ Millionen Südslawen zusammen mit den türkischen Slawen nicht ein Reich bilden können? Man betrachte auf der ersten besten Sprachenkarte die Verteilung der Tschechen und ihrer sprach verwandten Nachbarn. Wie ein Keil sind sie in Deutschland hineingeschoben, aber angefressen und zurückgedrängt zu beiden Seiten vom deutschen Element. Der dritte Teil Böhmens spricht deutsch; auf 24 Tschechen in Böhmen kommen 17 Deutsche. Und gerade die Tschechen sollen den Kern des beabsichtigten Slawenreichs bilden; denn die Mähren sind ebenfalls stark mit Deutschen, die Slowaken mit Deutschen und Magyaren versetzt und zudem in nationaler Beziehung gänzlich demoralisiert. Und welch ein Slawenreich, in dem schließlich doch die deutsche Bourgeoisie der Städte herrschen würde! Ebenso die Südslawen. Die Slowenen und Kroaten schließen Deutschland und Ungarn vom Adriatischen Meer ab; und Deutschland und Ungarn können sich nicht vom Adriatischen Meere abschließen lassen, aus „geographischen und kommerziellen Notwendigkeiten", die zwar für Bakunins Phantasie kein Hindernis sind, die aber darum doch existieren und für Deutschland und Ungarn ebensolche Lebensfragen sind wie für Polen z.B. die Ostseeküste von Danzig bis Riga. Und wo es sich um die Existenz, um die freie Entfaltung aller Ressourcen großer Nationen handelt, da wird doch eine solche Sentimentalität wie die Rücksicht auf ein paar versprengte Deutsche oder Slawen nichts entscheiden! Abgesehn davon, daß diese Südslawen ebenfalls mit deutschen, magyarischen und italienischen Elementen überall versetzt sind, daß auch hier der erste Blick auf die Sprachenkarte das projektierte südslawische Reich in zusammenhangslose Fetzen sprengt und daß im besten Fall das ganze Reich den italienischen Bourgeois von Triest, Fiume und Zara und den deutschen Bourgeois von Agram, Laibach, Karlstadt, Semlin, Pancsova und Weißkirchen in die Hände geliefert wird! Aber könnten sich die östreichischen Südslawen nicht an die Serben, Bosniaken, Moriachen[266] und Bulgaren anschließen? Gewiß, wenn außer den angeführten Schwierigkeiten erst noch der uralte Haß des östreichischen
Grenzers gegen die türkischen Slawen jenseits der Save und Unna nicht existierte; aber diese Leute, die sich gegenseitig seit Jahrhunderten als Spitzbuben und Banditen kennen, hassen sich trotz aller Stammverwandtschaft unendlich mehr als Slawen und Magyaren. In der Tat, die Stellung der Deutschen und Magyaren würde äußerst angenehm sein, wenn den östreichischen Slawen zu ihrem sogenannten „Rechte" verholfen würde! Zwischen Schlesien und Ostreich ein unabhängiger böhmisch-mährischer Staat eingekeilt, Ostreich und Steiermark durch die „südslawische Republik" von seinem natürlichen Debouche1, dem Adriatischen und Mittelmeere abgeschnitten, der Osten Deutschlands zerfetzt wie ein von Ratten abgenagtes Brot! Und das alles zum Dank dafür, daß die Deutschen sich die Mühe gegeben, die eigensinnigen Tschechen und Slowenen zu zivilisieren, Handel, Industrie, erträglichen Ackerbau und Bildung bei ihnen einzuführen ! Aber gerade dies unter dem Vorwande der Zivilisation den Slawen aufgezwängte Joch konstituiert ja gerade eines der größten Verbrechen der Deutschen wieder Magyaren! Man höre nur: „Mit Recht zürntet Ihr, mit Recht schnaubtet Ihr Rache gegen jene fluchwürdige deutsche Politik, die nichts sann als Euer Verderben, die Jahrhunderte Euch geknechtet hat ..." pag. 5. „ ... Die Magyaren, die wütenden Feinde unserer Race, die, kaum vier Millionen zählend, sich vermaßen, acht Millionen Slawen ihr Joch auflegen zu wollen..." pag. 9. „Was die Magyaren gegen unsere slawischen Brüder getan, was sie gegen unsere Nationalität verbrochen, wie sie unsere Sprache und Unabhängigkeit mit Füßen getreten, das weiß ich alles." pag. 30. Welches sind nun die großen, schrecklichen Verbrechen der Deutschen und Magyaren gegen die slawische Nationalität? Wir sprechen hier nicht von der Teilung Polens, die nicht hierhergehört, wir sprechen von dem „jahrhundertelangen Unrecht", das an den Slawen verübt worden sein soll. Die Deutschen haben im Nordien das ehemals deutsche, später slawische Gebiet von der Elbe bis zur Warthe den Slawen wieder aberobert; eine Eroberung, die durch „geographische und strategische Notwendigkeiten" bedingt war, die aus der Teilung des Karolingischen Reichs hervorgingen. Diese slawischen Gebietsstrecken sind vollständig germanisiert; die Sache ist abgemacht und läßt sich nicht redressieren, es sei denn, daß die Panslawisten die verlorengegangene sorbische, wendische und obotritische Sprache12671 wieder auffänden und den Leipzigern, Berlinern und Stettinern auf zwängen. Daß
diese Eroberung aber im Interesse der Zivilisation lag, ist bisher noch nie bestritten worden. Im Süden fanden sie die slawischen Stämme bereits zersprengt. Dafür hatten die nichtslawischen Awaren[268] gesorgt, die das später von den Magyaren besetzte Gebiet okkupierten. Die Deutschen machten sich diese Slawen zinsbar und führten manche Kämpfe mit ihnen. Dieselben Kämpfe führten sie mit den Awaren und Magyaren, denen sie das ganze Land von der Ems bis zur Leitha abnahmen. Während sie hier mit Gewalt germanisierten, ging die Germanisierung der slawischen Länder weit mehr auf friedlichem Fuße, durch Einwanderung, durch den Einfluß der entwickelteren Nation auf die unentwickelte vor sich. Deutsche Industrie, deutscher Handel, deutsche Bildung brachten die deutsche Sprache von selbst ins Land. Was die „Unterdrückung" angeht, so wurden die Slawen nicht mehr von den Deutschen unterdrückt wie die Masse der Deutschen selbst. Was die Magyaren betrifft, so sind ja auch eine Menge Deutsche in Ungarn, und nie haben die Magyaren über „fluchwürdige deutsche Politik" zu klagen gehabt, obwohl ihrer „kaum vier Millionen" waren! Und wenn die „acht Millionen Slawen" sich während acht Jahrhunderten gefallen lassen mußten, daß die vier Millionen Magyaren ihnen das Joch auferlegten, so beweist das allein hinlänglich, wer lebensfähiger und energischer war, die vielen Slawen oder die wenigen Magyaren! Aber das größte „Verbrechen" der Deutschen und Magyaren ist allerdings, daß sie diese 12 Millionen Slawen daran verhindert haben, türkisch zu werden! Was wäre aus diesen zersplitterten kleinen Natiönchen, die eine so erbärmliche Rolle in der Geschichte gespielt haben, was wäre aus ihnen geworden, wenn sie nicht von Magyaren und Deutschen zusammengehalten und gegen die Heere Mohammeds und Solimans geführt worden wären, wenn nicht ihre sogenannten „Unterdrücker" die Schlachten entschieden hätten, die zur Verteidigung dieser schwachen Völkerschaften geschlagen wurden! Das Los der „zwölf Millionen Slawen, Wallachen und Griechen", die von „siebenhunderttausend Osmanen unter die Füße getreten werden" (p.8) bis auf den heutigen Tag, spricht das nicht laut genug? Und endlich, welches „Verbrechen", welche „fluchwürdige Politik", daß die Deutschen und Magyaren zu der Zeit, als überhaupt in Europa die großen Monarchien eine „historische Notwendigkeit" wurden, alle diese kleinen verkrüppelnden, ohnmächtigen Natiönchen zu einem großen Reich zusammenschlugen und sie dadurch befähigten, an einer geschichtlichen Entwicklung teilzunehmen, der sie, sich überlassen, gänzlich fremd geblieben wären! Freilich, dergleichen läßt sich nicht durchsetzen, ohne manch sanftes Nationen
blümlein gewaltsam zu zerknicken. Aber ohne Gewalt und ohne eherne Rücksichtslosigkeit wird nichts durchgesetzt in der Geschichte, und hätten Alexander, Cäsar und Napoleon dieselbe Rührungsfähigkeit besessen, an die jetzt der Panslawismus zugunsten seiner verkommenen Klienten appelliert, was wäre da aus der Geschichte geworden! Und sind die Perser, Kelten und christlichen Germanen nicht die Tschechen, Oguliner12693 und Sereschaner1813 wert? Jetzt aber ist die politische Zentralisation infolge der gewaltigen Fortschritte der Industrie, des Handels, der Kommunikationen noch ein viel dringenderes Bedürfnis geworden als damals im 15. und 16. Jahrhundert. Was sich noch zu zentralisieren hat, zentralisiert sich. Und jetzt kommen die Panslawisten und verlangen, wir sollen diese halbgermanisierten Slawen „frei lassen", wir sollen eine Zentralisation aufheben, die diesen Slawen durch alle ihre materiellen Interessen aufgedrängt wird! Kurz, es stellt sich heraus, daß die.se „Verbrechen" der Deutschen und Magyaren gegen die fraglichen Slawen zu den besten und anerkennenswertesten Taten gehören, deren sich unser und das magyarische Volk in der Geschichte rühmen kann. Was übrigens die Magyaren angeht, so ist hier speziell noch zu bemerken, daß sie namentlich seit der Revolution viel zu nachgiebig und zu schwach gegen die aufgeblasenen Kroaten verfahren sind. Es ist notorisch, daß Kossuth ihnen alles mögliche zugab, nur nicht, daß ihre Deputierten auf dem Reichstage kroatisch sprechen dürften. Und diese Nachgiebigkeit gegen eine von Natur kontrerevolutionäre Nation ist das einzige, was man den Magyaren vorwerfen kann.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 223 vom 16. Februar 18491 * Köln, 15.Februar. Wir schlössen gestern mit dem Nachweis, daß die östreichischen Slawen nie eine eigne Geschichte gehabt, daß sie historisch, literarisch, politisch, kommerziell und industriell von Deutschen und Magyaren abhängen, daß sie schon teilweise germanisiert, magyarisiert, italienisiert sind, daß, wenn sie selbständige Staaten konstituierten, nicht sie, sondern die deutsche und italienische Bourgeoisie ihrer Städte diese Staaten beherrschen würde und daß endlich weder Ungarn noch Deutschland die Losreißung und selbständige Konstituierung solcher lebensunfähigen kleinen Zwischenstaaten dulden kann. Das alles indes würde noch nichts entscheiden. Hätten die Slawen zu irgendeiner Epoche innerhalb ihrer Unterdrückung eine neue revolutionäre
Geschichte begonnen, so bewiesen sie schon dadurch ihre Lebensfähigkeit. Die Revolution hatte von dem Augenblick an ein Interesse an ihrer Befreiung, und das besondre Interesse der Deutschen und Magyaren verschwand vor dem größeren Interesse der europäischen Revolution. Aber das war gerade nie der Fall. Die Slawen - wir erinnern nochmals daran, daß wir hier stets die Polen ausschließen — waren immer gerade die HauptWerkzeuge der Kontr er evolutionäre. Unterdrückt zu Hause, waren sie in der Fremde die Unterdrücker aller revolutionären Nationen, soweit der slawische Einfluß reichte. Man erwidre uns nicht, wir träten hier im Interesse deutscher Nationalvorurteile auf. Die Beweise liegen in deutschen, französischen, belgischen und englischen Zeitschriften vor, daß gerade die Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung" schon lange vor der Revolution allen deutschen Nationalborniertheiten aufs entschiedenste gegenübergetreten sind.[270] Sie haben zwar nicht, wie manche andre, ins Blaue hinein und nach bloßem Hörensagen auf die Deutschen geschimpft; sie haben dagegen die schäbige Rolle, die Deutschland dank seinem Adel und seiner Bürgerschaft, dank seiner verkümmerten industriellen Entwicklung allerdings in der Geschichte gespielt hat, historisch nachgewiesen und schonungslos aufgedeckt; sie haben den zurückgebliebnen Deutschen gegenüber die Berechtigung der großen geschichtlichen Nationen des Westens, der Engländer und Franzosen, stets anerkannt. Aber eben deswegen gestatte man uns, die schwärmerischen Illusionen der Slawen nicht zu teilen und andre Völker ebenso streng zu beurteilen wie wir unsre eigne Nation beurteilt haben. Bisher hat es immer geheißen, die Deutschen seien die Lanzknechte des Despotismus in ganz Europa gewesen. Wir sind weit entfernt, den schmählichen Anteil der Deutschen an den schmählichen Kriegen gegen die französische Revolution von 1792 bis 1815, an der Unterdrückung Italiens seit 1815 und Polens seit 1772 zu leugnen; wer aber stand hinter den Deutschen, wer benutzte sie als seine Söldner oder seine Avantgarde? England und Rußland. Rühmen sich die Russen doch bis auf den heutigen Tag, den Sturz Napoleons durch ihre unzählbaren Armeen entschieden zu haben, was allerdings großenteils seine Richtigkeit hat. Das wenigstens ist gewiß, daß von den Armeen, die Napoleon von der Oder bis nach Paris durch ihre Übermacht zurückdrängten, drei Viertel aus Slawen, Russen oder östreichischen Slawen, bestanden. Und nun gar die Unterdrückungxler Italiener und Polen durch die Deutschen! Bei der Teilung Polens konkurrierte eine ganz und eine halb slawische Macht; die Heere, die Kosciuszko erdrückten, waren der Majorität nach
Slawen; die Heere Diebitschs und Paskewitschs waren ausschließlich slawische Heere. Und in Italien haben die Tedeschi1 lange Jahre allein die Schmach getragen, als Unterdrücker zu gelten; aber nochmals, woraus bestanden die Armeen, die sich zur Unterdrückung am besten gebrauchen ließen und deren Brutalitäten den Deutschen zur Last gelegt wurden? Wieder aus Slawen. Geht nach Italien und fragt, wer die Mailänder Revolution erdrückt hat, man wird euch nicht mehr sagen: die Tedeschi — seit die Tedeschi in Wien eine Revolution gemacht, haßt man sie nicht mehr —, sondern: die Croati[112J. Das ist das Wort, worin die Italiener jetzt die ganze Östreichische Armee, d.h. alles, was ihnen am tiefsten verhaßt ist, zusammenfassen: i Croati! Und dennoch würden diese Vorwürfe überflüssig und unberechtigt sein, wenn die Slawen an der Bewegung von 1848 sich irgendwo ernstlich beteiligt, wenn sie sich beeilt hätten, in die Reihen der revolutionären Völker einzutreten. Ein einziger mutiger demokratischer Revolutionsversuch, selbst wenn er erstickt wird, löscht im Gedächtnis der Völker ganze Jahrhunderte der Infamie und Feigheit aus, rehabilitiert auf der Stelle eine noch so tief verachtete Nation. Das haben die Deutschen voriges Jahr erfahren. Aber während Franzosen, Deutsche, Italiener, Polen, Magyaren die Fahne der Revolution aufpflanzten, traten die Slawen wie ein Mann unter die Fahne der Kontrerevolution. Voran die Südslawen, die bereits seit langen Jahren ihre kontrerevolutionären Sondergelüste gegen die Magyaren verteidigt hatten; dann die Tschechen, und hinter ihnen schlachtgerüstet und bereit im Moment der Entscheidung auf dem Kampfplatz zu erscheinen - die Russen. Man weiß, wie in Italien die magyarischen Husaren massenweise zu den Italienern übergegangen sind, wie in Ungarn ganze italienische Bataillone sich zur Verfügung der magyarischen revolutionären Regierung stellten und noch unter der magyarischen Fahne kämpfen; man weiß, wie in Wien die deutschen Regimenter mit dem Volke hielten und selbst in Galizien durchaus nicht zuverlässig waren; man weiß, daß östreichische und nichtöstreichische Polen in Massen in Italien, in Wien, in Ungarn gegen die östreichischen Armeen kämpften und in den Karpaten noch kämpfen; aber wo hat man je davon gehört, daß tschechische oder südslawische Truppen gegen die schwarzgelbe Fahne[211J sich aufgelehnt hätten? Im Gegenteil, man weiß bis jetzt nur, daß das in seinen Grundfesten erschütterte Ostreich durch die schwarzgelbe Begeisterung der Slawen am Leben erhalten und für einen Augenblick wieder sichergestellt ist; daß gerade die Kroaten, Slowenen, Dalmatiner, Tschechen, Mähren und Ruthenen[206J
es waren, die einem Windischgrätz und Jellachich ihre Kontingente zur Unterdrückung der Revolution in Wien, Krakau, Lemberg, Ungarn stellten, und was wir von Bakunin jetzt noch erfahren, ist, daß der Prager Slawenkongreß nicht durch Deutsche, sondern durch galizische, tschechische, slowakische Slawen und „nichts als Slawen" (p.33) zersprengt wurde! Die Revolution von 1848 zwang alle europäischen Völker, sich für oder gegen sie zu erklären. In einem Monat hatten alle zur Revolution reifen Völker ihre Revolution gemacht, alle unreifen Völker sich gegen die Revolution alliiert. Damals galt es, die Völkerverwirrung von Osteuropa zu entwirren. Es kam darauf an, welche Nation hier die revolutionäre Initiative ergriff, welche die größte revolutionäre Energie entwickelte und sich dadurch die Zukunft sicherte. Die Slawen blieben stumm, die Deutschen und Magyaren, ihrer bisherigen geschichtlichen Stellung treu, traten an die Spitze. Und dadurch wurden die Slawen vollends der Kontrerevolution in die Arme geworfen. Aber der Slawenkongreß zu Prag? Wir wiederholen: Die sogenannten Demokraten unter den östreichischen Slawen sind entweder Schurken oder Phantasten, und die Phantasten, die in ihrem Volke keinen Boden für die vom Ausland eingeführten Ideen finden, sind fortwährend von den Schurken an der Nase herumgeführt worden. Auf dem Prager Slawenkongreß hatten die Phantasten die Oberhand. Als den aristokratischen Panslawisten, den Herren Graf Thun, Palacky und Konsorten, die Phantasterei bedrohlich schien, verrieten sie die Phantasten an Windischgrätz und die schwarzgelbe Kontrerevolution. Welche bittere, schlagende Ironie liegt nicht darin, daß dieser Kongreß von Schwärmern, verteidigt von der schwärmerischen Prager Jugend, durch Soldaten ihrer eigenen Nation auseinandergejagt, daß dem phantasierenden Slawenkongreß gleichsam ein militärischer Slawenkongreß entgegengestellt wurde! Die östreichische Armee, die Prag, Wien, Lemberg, Krakau, Mailand und Budapest einnahm, das ist der wirkliche, der aktive Slawenkongreß! Wie haltlos und unklar die Phantasterei des Slawenkongresses war, das beweisen seine Früchte. Das Bombardement einer Stadt wie Prag würde jede andere Nation mit dem unauslöschlichsten Haß gegen die Unterdrücker erfüllt haben. Was taten die Tschechen? Sie küßten die Rute, die sie bis aufs Blut gezüchtigt, sie schworen begeistert zu der Fahne, unter der ihre Brüder niedergemetzelt, ihre Weiber geschändet worden waren. Der Prager Straßenkampf war der Wendepunkt für die östreichischen demokratischen Panslawisten.[271] Um die Aussicht auf ihre elende „nationale Selbständigkeit" verkauften sie die Demokratie, die Revolution an die östreichische Gesamt
monarchie, an „das Zentrum", „die systematische Durchführung des Despotismus im Herzen Europas", wie Bakunin p.29 selbst sagt. Und für diesen feigen, niederträchtigen Verrat an der Revolution werden wir einst blutige Rache an den Slawen nehmen. Daß sie von der Kontrerevolution nichtsdestoweniger geprellt worden sind, daß weder an ein „slawisches Ostreich" noch an einen „Föderativstaat mit gleichberechtigten Nationen" und am allerwenigsten an demokratische Institutionen für die östreichischen Slawen zu denken ist, das ist diesen Verrätern endlich klargeworden. Jellachich, der kein größerer Schurke ist als die meisten übrigen Demokraten der östreichischen Slawen, bereut bitter, wie man ihn exploitiert hat, und Stratimirovich, um sich nicht länger exploitieren zu lassen, hat den offenen Aufstand gegen Ostreich proklamiert. Die Slovanska-Llpa-Vereine[272] stehen überall der Regierung wieder gegenüber und machen täglich neue schmerzliche Erfahrungen darüber, in welche Falle sie sich haben locken lassen. Aber es ist jetzt zu spät; in ihrer eigenen Heimat ohne Macht gegen die von ihnen selbst reorganisierte östreichische Soldateska, zurückgestoßen von den Deutschen und Magyaren, die sie verraten haben, zurückgestoßen von dem revolutionären Europa, werden sie denselben Militärdespotismus zu ertragen haben, den sie den Wienern und Magyaren aufbürden halfen. „Seid unterwürfig dem Kaiser, damit die kaiserlichen Truppen euch nicht behandeln, als seiet ihr rebellische Magyaren" - in diesen Worten des Patriarchen Rajachich ist es ausgesprochen, was sie zunächst zu erwarten haben. Wie ganz anders haben die Polen gehandelt! Seit achtzig Jahren unterdrückt, geknechtet, ausgesogen, haben sie sich stets auf die Seite der Revolution gestellt, haben die Revolutionierung Polens mit der Unabhängigkeit Polens für unzertrennlich erklärt. In Paris, in Wien, in Berlin, in Italien, in Ungarn haben die Polen bei allen Revolutionen und Revolutionskriegen mitgekämpft, unbekümmert ob sie gegen Deutsche, gegen Slawen, gegen Magyaren, ja ob sie gegen Polen kämpften. Die Polen sind die einzige slawische Nation, die von allen panslawistischen Gelüsten frei ist. Aber sie haben auch sehr gute Gründe dazu: Sie sind hauptsächlich von ihren eignen slawischen sogenannten Brüdern unterjocht worden, und bei dem Polen geht der Russenhaß noch vor den Deutschenhaß, und mit vollem Recht. Daher aber, weil die Befreiung Polens von der Revolution unzertrennlich, weil Pole und Revolutionär identische Worte geworden sind, daher ist den Polen auch die Sympathie von ganz Europa und die Wiederherstellung ihrer Nationalität ebenso sicher wie den Tschechen, Kroaten und Russen der Haß von ganz Europa und der blutigste Revolutionskrieg des ganzen Westens gegen sie.
Die östreichischen Panslawisten sollten einsehen, daß alle ihre Wünsche, soweit sie überhaupt erfüllbar, in der Herstellung der „östreichischen Gesamtmonarchie" unter russischem Schutz erfüllt sind. Zerfällt Ostreich, so steht ihnen der revolutionäre Terrorismus der Deutschen und Magyaren bevor, keineswegs aber, wie sie sich einbilden, die Befreiung sämtlicher unter Ostreichs Zepter geknechteten Nationen. Sie müssen daher wünschen, daß Ostreich zusammenbleibe, ja, daß Galizien bei Ostreich bleibe, damit die Slawen die Majorität im Staat behalten. Die panslaiüistischen Interessen stehen hier also schon der Wiederherstellung Polens direkt entgegen; denn ein Polen ohne Galizien, ein Polen, das nicht von der Ostsee bis an die Karpaten geht, ist kein Polen. Darum aber ist ein „slawisches Ostreich" immer noch ebenfalls ein bloßer Traum; denn ohne die Suprematie der Deutschen und Magyaren, ohne die beiden Zentren Wien und Budapest fällt Ostreich wiederum auseinander, wie seine ganze Geschichte bis auf die letzten Monate beweist. Die Realisierung des Panslawismus würde sich demnach auf das russische Patronat über Ostreich beschränken müssen. Die offen reaktionären Panslawisten hatten daher ganz recht, wenn sie sich an die Erhaltung der Gesamtmonarchie anklammerten; es war das einzige Mittel, irgend etwas zu retten. Die sogenannten demokratischen Panslawisten waren aber in einem argen Dilemma: entweder Aufgebung der Revolution und wenigstens teilweise Rettung der Nationalität durch die Gesamtmonarchie oder Aufgebung der Nationalität und Rettung der Revolution durch den Zerfall der Gesamtmonarchie. Damals hing das Schicksal der osteuropäischen Revolution von der Stellung der Tschechen und Südslawen ab; wir werden es ihnen nicht vergessen, daß sie im entscheidenden Augenblick um ihrer kleinlichen Nationalhoffnungen willen die Revolution an Petersburg und Olmütz verraten haben! Was würde man dazu sagen, wenn die demokratische Partei in Deutschland ihr Programm mit der Rückforderung von Elsaß, Lothringen und von dem, in jeder Beziehung zu Frankreich gehörigen Belgien eröffneten, unter dem Vorwande, daß dort die Majorität der Bevölkerung germanisch ist? Wie lächerlich würden sich die deutschen Demokraten machen, Wollten sie eine pangermanistische deutsch-dänisch-schwedisch-englisch-holländische Allianz zur „Befreiung" aller deutschredenden Länder herstellen! Die deutsche Demokratie ist glücklicherweise über diese Phantastereien hinaus. Die deutschen Studenten von 1817 und 1830 trugen sich mit dergleichen reaktionären Schwärmereien herum und werden heute in ganz Deutschland nach Verdienst gewürdigt. Die deutsche Revolution kam erst zustande, die deutsche Nation fing erst an, etwas zu werden, als man sich vollständig von diesen Futilitäten befreit hatte.
Ebenso kindisch und reaktionär wie der Pangermanismus ist aber auch der Panslawismus. Wenn man die Geschichte der panslawistischen Bewegung des letzten Frühjahrs in Prag nachliest, so meint man, dreißig Jahre zurückversetzt zu sein: trikolore Bänder, altfränkische Kostüme, altslawische Messen, vollständige Restauration der Zeit und der Sitten der Urwälder; die Swornost - eine komplette Burschenschaft12731, der Slawenkongreß — eine neue Auflage desWartburgfestes[2741; dieselbenPhrasen, dieselbe Schwärmerei, derselbe Jammer nachher: „Wir hatten gebauet ein stattliches Haus"12751 usw. Wer dies berühmteLied in slawischeProsa übersetzt lesen will, der lese Bakunins Broschüre. Gerade wie bei den deutschen Burschenschaftlern auf die Dauer die entschiedenste kontrerevolutionäre Gesinnung und der wütendste Franzosenhaß und das bornierteste Nationalgefühl hervortrat, wie sie später alle zu Verrätern an der Sache wurden, für die zu schwärmen sie vorgegeben — gerade so, nur rascher, weil das Jahr 1848 ein Revolutionsjahr war, löste sich bei den demokratischen Panslawisten der demokratische Schein sehr bald in fanatischen Deutschen- und Magyarenhaß, in indirekte Opposition gegen die Wiederherstellung Polens (Lubomirski) und in direkten Anschluß an die Kontrerevolution auf. Und wenn einzelne aufrichtige slawische Demokraten jetzt den österreichischen Slawen zurufen, sie sollten sich der Revolution anschließen, die österreichische Gesamtmonarchie als ihren Hauptfeind ansehen, ja im Interesse der Revolution mit den Magyaren halten, so erinnern sie an die Henne, die am Rand des Teichs umherläuft in Verzweiflung über die jungen Enten, die sie selbst ausgebrütet und die ihr nun plötzlich auf ein wildfremdes Element entweichen, wohin sie ihnen nicht folgen kann. Machen wir uns übrigens keine Illusionen. Bei allen Panslawisten geht die Nationalität, d.h. die phantastische, allgemeinslawische Nationalität vor der Revolution. Die Panslawisten wollen sich der Revolution anschließen unter der Bedingung, daß es ihnen gestattet werde, alle Slawen ohne Ausnahme, ohne Rücksicht auf die materiellsten Notwendigkeiten in selbständige slawische Staaten zu konstituieren. Hätten wir Deutschen dieselben phantastischen Bedingungen stellen wollen, wir wären im März weit gekommen! Die Revolution aber läßt sich keine Bedingungen stellen. Entweder ist man revolutionär und akzeptiert die Folgen der Revolution, sie seien, welche sie wollen, oder man wird der Kontrerevolution in die Arme gejagt und findet sich, vielleicht ganz wider Wissen und Willen, eines Morgens Arm in Arm mit Nikolaus und Windischgrätz. Wir und die Magyaren sollen den östreichischen Slawen ihre Selbständigkeit garantieren - so verlangt Bakunin, und Leute von dem Kaliber eines
Rüge sind kapabel, ihm solche Versprechungen unter vier Augen wirklich gemacht zu haben. Man verlangt von uns und den übrigen revolutionären Nationen Europas, wir sollen den Herden der Kontrerevolution dicht an unsrer Tür eine ungehinderte Existenz, freies Verschwörungs- und Waffenrecht gegen die Revolution garantieren; wir sollen mitten im Herzen von Deutschland ein kontrerevolutionäres tschechisches Reich konstituieren, die Macht der deutschen, polnischen und magyarischen Revolutionen durch dazwischen geschobne russische Vorposten an der Elbe, den Karpaten und der Donau brechen! Wir denken nicht daran. Auf die sentimentalen Brüderschaftsphrasen, die uns hier im Namen der kontrerevolutionärsten Nationen Europas dargeboten werden, antworten wir, daß der Russenhaß die erste revolutionäre Leidenschaft bei den Deutschen war und noch ist; daß seit der Revolution der Tschechenund Kroatenhaß hinzugekommen ist und daß wir, in Gemeinschaft mit Polen und Magyaren, nur durch den entschiedensten Terrorismus gegen diese slawischen Völker die Revolution sicherstellen können. Wir wissen jetzt, wo die Feinde der Revolution konzentriert sind: in Rußland und den östreichischen Slawenländern; und keine Phrasen, keine Anweisungen auf eine unbestimmte demokratische Zukunft dieser Länder werden uns abhalten, unsere Feinde als Feinde zu behandeln. Und wenn Bakunin endlich ausruft: „Wahrlich, nichts einbüßen soll der Slawe, sondern gewinnen soll er! Wahrlich, leben soll er! Und wir werden leben. Solange uns der kleinste Teil unsrer Rechte bestritten wird, solange ein einziges Glied von unsrem gesamten Leibe abgetrennt oder losgerissen gehalten wird, solange werden wir bis aufs Blut, werden wir unerbittlich auf Tod und Leben kämpfen, bis das Slawentum endlich groß und frei und unabhängig in der Welt dasteht"wenn der revolutionäre Panslawismus diese Stelle ernstlich meint und, wo es sich um die phantastisch-slawische Nationalität handelt, die Revolution ganz aus dem Spiele läßt, dann wissen wir auch, was wir zu tun haben. Dann Kampf, „unerbittlichen Kampf auf Leben und Tod" mit dem revolutionsverräterischen Slawentum; Vernichtungskampf und rücksichtslosen Terrorismus — nicht im Interesse Deutschlands, sondern im Interesse der Revolution!
Preußische Finanzwirtschaft unter Bodelschwingh und Konsorten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 224 vom 17. Februar 1849] * Köln, 16.Februar. Der im März „entlassene" Minister v. Bodelschwingh beeilt sich, aus seiner bisherigen Verborgenheit wieder ans Licht zu treten: V.Bodelschwingh ist zum Abgeordneten in die zweite Kammer erwählt. Eine würdige Wahl des Teltower Bauernvereins. Hat sich die demokratische Presse bisher mit den Exministern und anderen Exleuten wenig beschäftigt, so ist es jetzt Zeit, das frühere Treiben dieser Sorte von Menschen zu beleuchten. Wir rufen die Amtsführung des Herrn v. Bodelschwingh als Finanzminister unseren Lesern und dem Staatsanwalt ins Gedächtnis zurück. Herr v. Bodelschwingh wurde im Frühjahr 1842 Finanzminister und hat diesen Posten bis zum 3.Mai 1844 bekleidet. Er liebte es, von seiner Amtsführung zu sprechen. Er war ein Freund der „Eröffnungen". So eröffnete er den ständischen Ausschüssent276] am 24.Oktober 1842, daß „die Finanzen in Preußen einer beschränkten Öffentlichkeit unterliegen, derjenigen nämlich, die durch die dreijährige Publikation des Staatshaushalts-Etats in der Gesetzsammlung" herbeigeführt werde. Er erklärte ferner die Art und Weise, wie ein preußischer Staatshaushalts-Etat gemacht werde. Derselbe beruhe „in der Hauptsache auf Durchschnittsberechnungen aus den Verwaltungsresultaten der dem Zeitpunkte der Etatsfertigung vorangegangenen 3 Jahre". Am 26.0ktober eröffnete derselbe Herr v. Bodelschwingh weiter, daß die Einnahmen in den letzten sieben Jahren um mehr als 51JZ Millionen Taler gestiegen seien und daß auf eine weitere Steigerung zu rechnen sei. („Staatszeit [ung]"t5 4 ] Nr. 306 u. 307.) Damals mttßte man dem Herrn Finanzminister glauben, weil die „beschränkte Öffentlichkeit" die preußischen Finanzen mit einem undurchdringlichen Dunkel umgab. Jetzt muß man aber an der
Wahrheit der damals vom Herrn Finanzminister gegebenen Versicherungen mindestens zweifeln, weil die neuere Zeit manches über die frühere Finanzverwaltung offenbart hat. Die in der Gesetzsammlung veröffentlichten Finanzetafs sollen auf den Durchschnittsberechnungen der Spezialetats der einzelnen Verwaltungszweige beruhen, die nach der wirklichen Einnahme der vorhergehenden 3 Jahre entworfen werden. Ist dies richtig, so muß jeder Etat der Gesetzsammlung den ungefähren Durchschnitt der wirklichen Einnahmen und Ausgaben der Vorjahre enthalten. Wo nicht, so ist der Etat nach der eigenen Erklärung des Herrn v. Bodelschwingh falsch, eine falsche öffentliche Urkunde. 1844 wurde in der Gesetzsammlung (S.93) ein Etat veröffentlicht, den Herr v. Bodelschwingh gegengezeichnet hat. Dieser Etat schließt in der Einnahme sowohl als in der Ausgabe mit 57677194 Talern ab. Auf so hoch mußte sich also die Durchschnittseinnahme und -ausgabe der vorhergehenden Jahre stellen. In der Tat war aber die Einnahme sowohl als die Ausgabe in den Vorjahren weit höher. Die Regierung hat später den Mitgliedern des ersten Vereinigten Landtages die Resultate der Finanzverwaltung von 1840-1846 mitgeteilt.[277]
Nach denselben betragen die Einnahmen die Ausgaben 1843 73822589 Tlr. 79102787 Tlr. 1842 73876338 „ 75269431 „ 1841 • 71987880 „ 74185443 „
219686807 Tlr. 228557661 Tlr.
Die richtige Durchschnittssumme der Einnahmen war also 73228935 Taler, die der Ausgaben 76185887 Tlr. Herr v. Bodelschwingh hat also sowohl Einnahme als Ausgabe zu niedrig angegeben, und zwar bei der Einnahme 15551 741 Tlr., bei der Ausgabe 18508693 Taler jährlich verschwiegen. Diese Summen dürften sich freilich bei einer genauen Berechnung um einiges ändern, insofern die dreijährigen Durchschnittsberechnungen der Spezialetats für die einzelnen Verwaltungszweige nicht bei jeder Etatsentwerfung durchaus neu gefertigt werden und über 1841, und zwar bis 1838, zurückreichen können. Eine bedeutende Verminderung der verschwiegenen Summen wird sich indes dadurch nicht herausstellen; denn 1840 betrugen die Jahreseinnahmen abermals 71059475 Tlr. und die Ausgaben sogar 77165 022 Tlr.
Über die Jabre 1839 und 1838 fehlen uns offizielle Angaben. Da sich jedoch bei gleicher Finanzgesetzgebung und im Frieden die Einkünfte des Staates nicht plötzlich, sondern nur allmählich verändern, so kann man mit Bestimmtheit annehmen, daß die Staatseinnahmen 1838 und 1839 wenigstens 70 Millionen Taler erreicht haben. Der Finanzetat des Herrn v. Bodelschwingh ist also wie wahrscheinlich viele seiner Vorgänger und seiner beiden Nachfolger bis 1848 falsch. Herr v. Bodelschwingh mußte es wissen, daß er etwas Unrichtiges veröffentlichte. Ihm waren die wirklichen Verhältnisse des Staatshaushaltes nicht unbekannt. Die Abweichungen von der Wahrheit traten auch so stark hervor, daß der Regierungsrat Bergius in Breslau und nach ihm Bülow-Cummerow sogar, ohne die Rechnungen zu kennen, im voraus öffentlich auf diese Unrichtigkeiten hingewiesen haben. Freilich, wäre Herr v. Bodelschwingh mit der Wahrheit hervorgetreten, seine Eröffnungen und Reden vor den Ausschüssen der Provinziallandtage hätten eine andere Aufnahme erfahren. Er konnte renommieren bei der „beschränkten Öffentlichkeit" der preußischen Finanzen, wo ihn bei voller Öffentlichkeit nur Schande und Vorwürfe erwartet hätten. Er sprach mit Wohlgefallen von der Steigerung der Einnahmen um 5l/2 Millionen Taler, verschwieg aber, daß die Ausgaben von 1840 bis 1843 die Einnahmen um 14976401 Tlr. überstiegen haben. Obgleich das Land in diesen 4 Jahren 290 746 282 Tlr. hatte aufbringen müssen, konnten diese großen Summen doch die übermäßigen Ausgaben von 305 722 683 Tlr. nicht decken. Solche Ausgaben ohne Krieg, ohne genügende Vertretung der industriellen und Handelsinteressen im Auslande, ohne Flotte, ohne namhafte Förderung des Ackerbaues und der Gewerbe im Inlande! Prachtbauten des Königs, Günstlinge unter den Beamten, Geschenke an Junker und Bürokraten und die Armee mit ihren Paraden und Revuen hatten dem Lande ungeheure Summen gekostet. Nun freilich, Herr v. Bodelschwingh war nicht der Mann, das einzugestehen. Er machte also einen falschen Etat, um das Volk zu überreden, daß weniger eingenommen und weniger ausgegeben werde. Die Anfertigung falscher Etats ist und bleibt aber ein mißliches Unternehmen. Die preußischen Gesetze verordnen schwere Strafen für dergleichen Amtsvergehen. Die in der Gesetzsammlung veröffentlichten Finanzetats sind nämlich öffentliche Urkunden. Daran wird niemand zweifeln. Für die AlisStellung falscher öffentlicher Urkunden von seiten der Staatsbeamten hat das preußische Landrecht[1491 zwar keine besondern Strafen festgesetzt. Ein Reskript vom 3. Juni 1831 (v. Kamptz' Jahrbücher B. 37, S. 407) verordnet aber, daß gegen dergleichen Handlungen die Strafen des Betruges und beziehungsweise der Amtsvergehen zur Anwendung kommen. Die preußischen Gerichte
19 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
haben seither auch danach erkannt. Über Amtsvergehen bestimmt das preußische Landrecht, Teil II, Titel 20, § 333 nämlich: „Wer den Vorschriften seines Amtes vorsätzlich zuwiderhandelt, der soll sofort kassiert, außerdem nach Beschaffenheit des Vergehens und des verursachten Schadens mit verhältnismäßiger Geld-, Gefängnis- oder Festungsstrafe belegt und zu allen öffentlichen Ämtern unfähig erklärt werden." Kassation, Unfähigkeitserklärung zu allen öffentlichen Amtern nebst Geldoder Freiheitsstrafe ist es also, was nach den Gesetzen den Fertiger falscher Etats erwartet. Falls sich Herr v. Bodelschwingh von dem dringendsten Verdachte, einen falschen Etat veröffentlicht zu haben, nicht reinigen kann, ist es diePflicht des Richters, diese Strafen über ihn zu verhängen. Wir fordern ihn und den Staatsanwalt auf, die Angelegenheit ins klare zu bringen. Die Geld-, Gefängnis- oder Festungsstrafe soll nach Beschaffenheit des verursachten Schadens bestimmt werden. Der Schaden, welchen Herr v. Bodelschwingh in Gemeinschaft mit seinen Amts Vorgängern und Nachfolgern dem Lande zugefügt hat, ist so groß, ist von solchem Umfange, wie ihn nur Minister und sonstige höchstgestellte Personen einem ganzen Volke zufügen können. Wir wollen ihn hier seinem Betrage nach ermitteln und bemerken dabei zugleich, daß wir bei dieser Gelegenheit sofort auf eine neue Amts Verletzung der Minister stoßen. Die Kabinettsordre vom 17. Januar 1820 setzt den Bedarf der Ausgaben für den preußischen Staatshaushalt auf 50 863150 Taler fest. Sodann heißt es wörtlich:
„Die vorstehend von Mir als Bedarf bei der laufenden Verwaltung angenommene Summe darf unter keinen Bedingungen erhöht werden. Die Chefs der einzelnen Verwaltungen sind Mir dafür persönlich und das ganze Staatsministerium insbesondere um so mehr verantwortlich, als die von Mir bewilligte Summe im ganzen zu den in den bisherigen Etatsnachweisungen angegebenen Zwecken ausreichen wird." Was unter dem „Bedarf der laufenden Verwaltung" verstanden ist, ergibt der weitere Zusammenhang klar und deutlich, indem der „laufenden Verwaltung" die Staatsschuldenverwaltung entgegengesetzt ist. Ausgaben der laufenden Verwaltung sind alle diejenigen Zahlungen aus der Staatskasse, die nicht zu der Verzinsung oder Tilgung der Staatsschuld verwendet werden. Sie sollen, wie wir gesehen haben, nach der Kabinettsordre vom ^.Januar 1820, die noch heute nicht aufgehoben ist, niemals die Summe von 50 863150 Talern übersteigen. Die Kabinettsordre ist in der Gesetzsammlung von 1820 publiziert, und es ist nie bezweifelt worden, daß vor der Erklärung des konstitutionellen Königtums derart publizierte Ordres in Preußen
Gesetzeskraft hatten. Jede Überschreitung der gesetzlich bestimmten Summe ist also eine Gesetzwidrigkeit, ein Amtsvergehen der Minister. Die dem ersten Vereinigten Landtage mitgeteilten Rechnungen über den Staatshaushalt für 1840-1846t27?1 und die der nunmehr aufgelösten Nationalversammlung vorgelegten Übersichten über die Resultate der Finanzverwaltung im Jahre 1847[278] liefern den Beweis, daß sämtliche Minister von 1840 bis 1847 in jedem Jahre ihre Pflicht verletzt haben. Sie haben in jedem Jahre mehr, und zwar bedeutend mehr, bei der laufenden Verwaltung ausgegeben, als ihnen gesetzlich zustand. Wir wollen hier des besseren Zusammenhanges wegen nicht mehr von Herrn v. Bodelschwingh allein, sondern von sämtlichen Finanzministern seit 1840 bis 1847 sprechen. Namentlich sind das gewesen: Graf Alvensleben von 1835 bis 1842, v. Bodelschwingh von 1842 bis 1844, Flottwell vom 3.Mai 1844 bis zum 16. August 1846 und v. Duesberg seit dieser Zeit bis zum Sturze des Ministeriums durch die Märzrevolution. Alle diese Minister sind gleichmäßig beteiligt. Die einfache Darstellung der Tatsachen wird es klarmachen, wie durch eine Reihenfolge pflichtvergessener höchster Beamten der beginnende Wohlstand eines Landes ruiniert wird. Die laufende Ausgabe, d.h. die Jahresausgabe nach Abzug des auf die Staatsschulden verwendeten Anteiles, konnte, wie wir gesehen haben, gesetzlich nicht mehr als 50 863150 Tlr. betragen. 1840 sind aber ausgegeben 77 165 022 Tlr. Davon gehen ab: zur Schuldentilgung 8 579 345 die angeblich zum Staatsschatz abgelieferten 613457 Zusammen 9 192 802 „ Es bleibt also Ausgabe der laufenden Verwaltung 67 972 220 Tlr. Es sind hiernach in diesem Jahre 17 109 070 Tlr. ungesetzlich verausgabt. 1841 sind ausgegeben 74 185 443 Tlr. und davon für die Staatsschulden und zum Staatsschatze 14419563 „ Also für die laufende Verwaltung 59 765 880 Tlr. Mithin mehr als die gesetzlichen 50 863150 „ 8902 730 „
1842 sind ausgegeben 75269 431 Tlr. Davon ist nichts in den Staatsschatz abgeführt, und für die Staatsschulden sind 8 684 865 „ verwendet. Laufende Ausgaben bleiben also 66 584 566 Tlr. Mithin mehr als gesetzlich 15 721 416 Tlr. 1843 ist die Ausgabe 79 102 787 Tlr. Für den Staatsschatz und für die Staatsschulden sind verwendet 8261 981 „ Die Ausgabe der laufenden Verwaltung betrug hiernach 70 840 806 Tlr. Über den gesetzlichen Betrag von .. 50863 150 „ ausgegeben 19977 656 „ 1844 beträgt die Ausgabe 78 243 308 Tlr. Davon gehen ab für den Staatsschatz u. zur Schuldenverzinsung und Tilgung . 9252 605 „ so daß laufende Ausgaben bleiben 68 990 703 Tlr. das heißt mehr als die 50 863 150 „ 18127553 „ 1845 beträgt die Ausgabe 77 903 361 Tlr. Zum Staatsschatz ist nichts abgeliefert. Auf die Staatsschulden sind verwendet 7267082 „ Die laufende Ausgabe ist also 70 636 279 Tlr. Mithin mehr als die gesetzlichen 50863 150 „ 19773129 „ 1846 sind die Ausgaben 78 562 335 Tlr. Zum Staatsschatze ist nichts abgeführt, und auf die Staatsschulden sind verwendet 7423 831 „ Ausgaben der laufenden Verwaltung bleiben 71 138 504 Tlr. Also mehr als die gesetzlichen 50 863 150 „ 20275354 „
1847 haben die Ausgaben 80 392 730 Tlr. betragen. Davon kommen in Abzug ... 6207650 als Ausgaben zur Abhilfe der Not und ..... 7209192 für das St.-Sch.-Wesen, zus 13416 842 „
Es bleiben also Ausgaben der laufenden Verwaltung 66 975 888 Tlr. Mithin mehr als die gesetzlichen 50 863 150 „
16112738 Tlr. Summe .. 135999646 Tlr.
Fast einhundertsechsunddreißig Millionen Taler sind in den letzten 8 Jahren unter der Verwaltung der Minister Alvensleben, Bodelschwingh, Flott well und Duesberg ungesetzlicherweise aus den Staatsgeldern, d.h. aus dem Vermögen des Volkes, aus dem Erwerbe des Armen verschleudert! Und diese Leute gehen herum mit Stern und mit Orden, bekleiden, wie Flottwell, noch hohe Staatsämter! Jüngst kam es in der Tagespresse zur Sprache, daß ein Justizkommissarius - er galt für einen Demokraten - gefänglich eingezogen wurde, weil er beschuldigt war, 50 Taler nicht gehörig abgeliefert zu haben. 50 Taler und 136 Millionen! Mag es sein, daß die 1820 festgesetzte Summe den Staatsbedürfnissen in neuerer Zeit nicht mehr entsprechend war. Dann hätte die Regierung aber offen hervortreten und gesetzlich einen neuen Etat feststellen müssen. Das mochte, das wagte sie aber nicht. Sie mochte es nicht wegen ihrer absolutistischen Gelüste, sie wagte es nicht, weil sie sich scheuen mußte, die Finanzverwaltung offenzulegen. Revüen mit der Königin Victoria, Kindtaufen, Hochzeiten, Kirchen, Bistum Jerusalem, die alten, halbvergessenen Schriften Friedrich II.[279J, Ritterschlösser, Helme, Gardelieutenants, Junker, Pfaffen und Bürokraten usw. usw., welche Rolle diese Volksplagen bei den preußischen Finanzen spielen und gespielt haben - das frommt dem Volke nicht zu wissen. Also heimlich wurde die preußische Wirtschaft fortgesetzt, und die Minister wurden selbst vor dem positiven Gesetze zu Verbrechern. Freilich haben sie noch keinen Richter gefunden. Wie die preuß [ische] Finanzwirtschaft unter Friedrich Wilhelm IV. die Kräfte der Staatskassen erschöpft, geht aus folgender Übersicht hervor.
1840. Bestand der Vorjahre 16949157Tlr. Jahreseinnahme 71 059 475 „ Zusammen 88 008 632 „ Davon ab die Jahresausgabe 77 165 022 „ Bleibt Bestand 10 843610
1841. Bestand der Vorjahre 10843610 Jahreseinnahme 71 987 880 Zusammen 82831 490 „ Davon ab die Jahresausgabe mit 74 185 443 „ Bleibt Bestand 8646047 (Der von Alvensleben gefertigte Etat in der Gesetzsammlung schließt mit 55867000 Tlr. in der Einnahme und Ausgabe ab!)
1842. Bestand der Vorjahre 8646047 Jahreseinnahme 73 876 338 Zusammen 82 522 385 Jahresausgabe 75 269 431 Bleibt Bestand 7252 954
1843. Bestand der Vorjahre 7252954 Jahreseinnahme 73 822 589 Zusammen 81 075 543 Jahresausgabe 79 102 787 Bleibt Bestand 1 972 756
1844. Bestand der Vorjahre 1972 756 Jahreseinnahme 75 976 613 Zusammen 77949369
Jahresausgabe 78243308 Defizit von 293 939
1845. Jahreseinnahme 77 025 034 Tlr. Davon ab das Defizit von 1844 293 939 „ Bleiben 76731 095 „ Jabresausgabe 77 903 361 „ Also Defizit 1 172266 1846. Jahreseinnabme 75 721 698 Davon ab das Defizit von 1845 1 172266 Bleibt 74 549 432 Jabresausgabe 78 562 335 Also Defizit 4012 903 „ (Der erste Vereinigte Landtag wird durch das Patent vom 3.Februar einberufen. Er bewilligt aber keinen Kredit.) 1847. Jahreseinnahme 79 518 543 Tlr. Davon ab das Defizit von 1846 4012903 „ Bleibt 75505640 „ Die Jahresausgabe beträgt 80 392 730 „ Also Defizit 4887090
Um die notwendigsten Ausgaben zu bestreiten, werden 4 000 000 Taler aus dem Staatsschatze entnommen, und dadurch wird die Einnahme auf 83 518 543 Tlr. gebracht. Also mit einem Defizit in der Generalstaatskasse und mit der Ausleerung des Staatsschatzes hat die alte Verwaltung das Jahr 1848 begonnen.Der Kassenbestand hat sich in den 6 Jahren, 1840-1847, von 16 949 157 auf ein Defizit von 4 887 090, also um 21 836 247 Tlr. vermindert. Die Einnahmen haben in den 8 Jahren betragen 598 988 170 Tlr. die Ausgaben 620824417 „ Defizit also genau die eben berechnete Summe von 21 836 247 Tlr.
Diese Verminderung der Bestände ist nicht fortzuleugnen, wenn die Regierung sie auch zu verdecken sucht, indem sie Einnahme- und Ausgabereste von einem Jahre zum andern überträgt, und zwar in solcher Weise, daß, wo schon ein Defizit ist, noch ein scheinbarer Aktivbestand in den Rechnungen
aufgeführt ist. Also im „Frieden", bei der „Ruhe", bei der „Ordnung" waren die preußischen Finanzen durch die preußische Regierung ruiniert. Als die Bewegungen des Jahres 1848 kamen und der Geldmarkt litt, konnte der Staat den Privaten keine Stütze sein, sondern mußte in dieser gedrückten Zeit zu seinem Fortbestehen neue Opfer fordern. Die Herren Bourgeois haben sich dafür bei den preußischen Exministern und ihren Helfershelfern zu bedanken. Hätten diese keine Ungesetzlichkeiten im Amte begangen, so wären statt des Defizits 136 Millionen Taler bares Geld vorhanden gewesen, und der Kredit hätte dann gehalten werden können. Dies ist der verursachte Schaden, von welchem der § 333 des preußischen Kriminalrechts spricht. Defizit in der Generalstaatskasse - und welche Einnahmen! Wir haben bei jedem Jahre eine Einnahme von über 71 bis gegen 80 Millionen gefunden. Das sind aber nur die Ne tfo-Einnahmen, das sind die Überschüsse der verschiedenen Spezialverwaltungen nach Abzug der Verwaltungskosten. Bei den Steuern, beim Zoll, bei der Post, den Forsten etc. sind alle diese Verwaltungszweige treffenden Gehälter, Bürokosten usw. vorweg abgezogen, und nur der verbleibende Rest ist in Einnahme gestellt. Und doch hat das Land die Gehälter und Bürokosten für die Steuer-, Forst-, Post- usw. Beamten ebensogut wie die Gratifikationen und Geschenke an die Oberpräsidenten und kommandierenden Generale aufbringen müssen. Diese vorweg abgezogenen Verwaltungskosten sind im Etat für 1847 auf 20 887 541 Tlr. veranschlagt. Rechnet mein diese hinzu, so haben die jährlichen Einnahmen zwischen 90 und 100 Millionen, die jährlichen Ausgaben sogar bis über 100 Millionen Taler betragen. Solche Summen brachte das Volk auf—und dafür leere Staatskassen! Die Kabinettsordre vom 17. Januar 1820 enthielt, wie wir gesehen, eine Vorschrift für die Amtsverwaltung der Minister. Herr v. Bodelschwingh hat dieser Vorschrift, man kann es nicht anders annehmen, mit Wissen und Willen entgegengehandelt. Er ist also der Strafe des oben bereits angeführten § 333, Tit. 20, Teil II. des preußischen] Landrechtes abermals verfallen. Das Gesetz verhängt über ihn Kassation, Geld- oder Festangsstrafe und die Unfähigkeitserklärung zu allen öffentlichen Ämtern. Da der Schaden, den er dem Lande verursacht hat, der größesten Art ist, muß auch die höchste gesetzlich zulässige Freiheitsstrafe gegen ihn zur Anwendung kommen. Die Exminister v. Alvensleben, Flottwell und v. Duesberg befinden sich in ganz gleicher Lage. Daß diese Herren Exminister den dem Lande zugefügten Schaden, d.h. die ungesetzlicherweise verausgabten 136 Millionen Taler, dem Lande zu ersetzen verpflichtet sind, folgt schon aus den Zivilgesetzen. Hiezu verordnet das Strafrecht nach § 341, Titel 20, Teil II. preußischen] Landrechts:
„Sooft ein Beamter den durch vorsätzliche Pflichtwidrigkeit dem Staate oder einem dritten verursachten Schaden nicht erstatten kann, soll derselbe nach ausgestandener Strafe so lange in einer öffentlichen Anstalt zur Arbeit angehalten werden, bis der Ersatz des Schadens auf eine oder die andere Art geleistet ist." Noch eine Kleinigkeit! An Verwaltungsüberschüssen wurden zum Staatsschatz abgeliefert: y 613 457 Tlr. 2837000 „ 1000000 „ 2000002 „ zusammen 6 450 459 Tlr.
Nach den Rechnungen über den Staatsschatz12801 sind aber seit dem 1 .Julius 1840 nur 6 423 332 Tlr. aus den Verwaltungsersparnissen in die Staatsschatzkasse abgeführt. Bei der Generalstaatskasse sind also 27127 Tlr.1 mehr in Ausgabe auf den Staatsschatz gestellt als bei diesem eingegangen. Herr v. AIvensleben, Herr v. Bodelschwingh, Herr Flottwell und Herr v. Duesberg, wo sind die 27127 Tlr. geblieben? Sie sind doch nicht etwa unterschlagen? Wird sich für die Herren Exminister ein Staatsanwalt und ein Richterkollegium finden? Einstweilen ist Herr v. Bodelschwingh Mitglied der zweiten Kammer!
Geschrieben von Karl Marx.
Aus der Verwaltung von 1840 „ „ „ „ 1841 V9 9 9 tf 843 1844 9» 99 99 »» 1 '
1 In der „N. Rh. Ztg.": 17127 Tlr., im Artikel „Weiterer Beitrag zur altpreußischen Finanzwirtschaft" als Druckfehler berichtigt (siehe vorl. Band, S. 309)
Stein
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 225 vom 18. Februar 1849] * Köln, 16.Februar. Der Breslauer „Verein für gesetzliche Ordnung" (ein Verein „Mit Gott für König und Vaterland") richtet ein offenes Sendschreiben an den Dr. Julius Stein, worin unter anderm gesagt wird, daß die „Neue Rheinische Zeitung" sich durch die konservativen Reden des Herrn Stein ebenso täuschen ließ wie die braven Spießbürger von Breslau und ihn „für die Demokratie verloren gab". Wir lieben die entschiedenen Stellungen. Wir haben nie mit einer parlamentarischen Partei kokettiert. Die Partei, die wir vertreten, die Partei des Volks existiert in Deutschland nur erst elementarisch. Wo es aber einen Kampf gegen die bestehende Regierung gilt, alliieren wir uns selbst mit unsern Feinden. Wir nehmen die offizielle preußische Opposition, wie sie aus den bisherigen erbärmlichen deutschen Kulturverhältnissen hervorgeht, als Tatsache hin und haben daher im Wahlkampfe selbst unsre eignen Ansichten in den Hintergrund treten lassen1. Jetzt, nach der Wahl, behaupten wir wieder unsern alten rücksichtslosen Standpunkt nicht nur der Regierung, sondern auch der offiziellen Opposition gegenüber. Der „Verein für gesetzliche Ordnung" täuscht sich. Wir geben Herrn Stein, Waldeck und Konsorten „nicht verloren für die Demokratie". Wir haben der Demokratie stets dazu gratuliert, nicht durch die Stein, die Waldeck und Konsorten vertreten zu sein. In einer unsrer ersten Nummern erklärten wir, die äußerste Linke der Berliner Vereinbarungsversammlung12381 würde in einem Konvent mit Ausnahme von drei oder vier Leuten die äußerste Rechte bilden.12811 Wir haben Stein und Waldeck nie zu diesen drei oder vier gezählt.
Was Herrn Stein speziell betrifft, so erinnern wir uns der Zeit, wo er fanatisch konstitutionell gegen die Republikaner auftrat und die Vertreter der Arbeiterklasse in der „Schlesischen Zeitung"12821 förmlich denunzierte und durch einen geistesverwandten Schulmeister, jetziges Mitglied des „Vereins für gesetzliche Ordnung", denunzieren ließ. Erbärmlich wie die Vereinbarerversammlung war die sogenannte demokratische Fraktion dieser Versammlung. Es war vorauszusehen, daß die Herren jetzt, um wiedergewählt zu werden, die oktroyierte Verfassung11231 anerkennen würden. Es bezeichnet den Standpunkt dieser Herren, wenn sie in den demokratischen Klubs hinterher verleugnen, was sie vor der Wahl in den Wahlmännerversammlungen bejahten. Diese kleine, pfiffige liberale Schlauheit war nie die Diplomatie revolutionärer Charaktere.
Der Wiener Korrespondent der „Kölnischen Zeitung**
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 225 vom 18. Februar 1849] * Köln, 17.Februar. Ein Rätsel weniger in der Weltgeschichte! Herr Schwanbeck, A Redakteur der „Kölnischen Zeitung"[21], der gleichzeitig aus Wien unter dem ^ ^ Zeichen in derselben „Kölnischen Zeitung" korrespondiert, hat bekanntlich unter beiden Firmen die Magyaren so lange als möglich verleumdet, der Feigheit und Niederträchtigkeit geziehn, nicht bloß geschlagen, sondern wiederholt vernichtet und den standrechtlichen Einzug der Gesamtarmee in die verschiedenen Städte und Komitate Ungarns dithyrambisiert. Herr Schwanbeck löst nun selbst das Rätsel; gleich Achilles kann unser Schwanbeck nur selbst die Wunden heilen, die er geschlagen. Und die Lösung des Rätsels? — Die Furcht vor Weiden. Daher die Besudlung der Wiener und Magyaren, die erbärmlichen Lügen in betreff der östreichischen Waffenerfolge, das Schwanzwedeln und Liebäugeln mit Kroaten und Panduren.tll2] Denn, sagt der berühmte Schwanbeck, denn, sagt er: „Man wurde ja bis jetzt förmlich Lügen gestraft und vom Gouverneur Baron Weiden mit dem Ehrentitel eines böswilligen Buben beehrt, wenn man an den siegreichen Fortschritten der kaiserlichen Armee an allen Punkten der Monarchie zu zweifeln wagte" (Nr.411 d. „Köln[ischen] Z[ei]t[un]g"). Aus Respekt vor Weiden mußten die Leser der „Kölnischen Zeitung" zwei Monate durch in den ^ ^ Wiener Korrespondenzen über den ungarischen Krieg belogen und betrogen werden. Goethe sagte in bezug auf Pustkuchen: „Hat doch der Walfisch seine Laus, muß ich auch meine haben."[2831 Dasselbe kann Kossuth von Schwanleck sagen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Saedt
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 225 vom 18. Februar 1849] * Köln, 17.Februar. Jeder Marktflecken bat seinen esprit fort1; das kölnische Parkett hat auch den seinigen. Der esprit fort des kölnischen Parketts ist ein gewisser — Saedt. Homo novus atque ignotus2 (zu deutsch: ein tiefer Denker). Es gibt eine doppelte Keckheit, eine Keckheit der Überlegenheit; es gibt eine Keckheit der Geistesbeschränktheit, die aus ihrer amtlichen Stellung, aus dem Bewußtsein, daß sie mit privilegierten Waffen kämpft u.dgl., ihre Kraft schöpft. Welche von beiden Überlegenheiten der esprit fort des kölnischen Parketts in seinem Requisitorium von gestern nachmittag gegen Kinkel[284] entwickelt hat, wird das Publikum entscheiden, sobald ihm die Verhandlungen vorliegen. Es wird zugleich erwägen, daß Herr Saedt noch jung ist. Wir wüßten es aber nicht mit unserer publizistischen Aufgabe zu vereinen, einen Ausspruch unseres esprit fort dem europäischen Publikum länger vorzuenthalten. Wir wissen, daß der Demosthenes des kölnischen Parketts den anzuführenden Passus durch eine nachträgliche Interpretation gutzumachen suchte. Wir achten aber die ursprünglichen Eingebungen des aufwallenden Genius zu hoch, um dieselben durch den abschwächenden Kommentar einer nachgebornen Reflexion uns verkümmern zu lassen. Herr Saedt, Substitut des Staatsprokurators, sprach: Zu deutsch: „Sie dürfen alles, was ich sage, widerlegen, aber Sie dürfen meinen Vortrag nicht kritisieren." Zu französisch: M.Saedt, substitut du procureur du roi, s'adressant a l'accuse: „Libre ä vous de refuter tout ce que je viens de dire, mais il ne vous appar
1 Freigeist — 2 Ein unbekannter Emporkömmling
tient pas de critiquer le requisitoire d'un substitut du procureur du roi." (Avis a la „Reforme", ä la „Republique" et ä la „Revolution".[285])1 Zu englisch: The queen's counsel, Mr. Saedt, to the defendant: „You may refute all I say, but you have no right to criticize my speech." (N.B. Our English contemporaries, principally the „Northern Star"[286], are requested to publish the above.)2 Zu italienisch: Sig. Saedt, accusatore publico, replicö: „Dite quanto volete in rifutazione di questo che ho detto, ma vi e difeso di criticare il mio requisitorio." (Awiso all' „Alba", al „Contemporaneo" ed alla „Concordia".[287])s Zu spanisch: El fiscal, Sennor Saedt, dijo, hablando al acusado: „Sennor, Vmd puede refutar todo que ho dicho; pero el que vengo de decir por requisitorio, es defendido de tocarlo." (Pregamos los jornales radicales de Madrid de publicar esas lineas.)4 Zu dänisch: „De lcunne gjensige alt hvad jeg siger, men De have intet Ret at kritisere mit Requisitoire (Angreb)." (De danske demokratiske Tidender ville vaere meget glaedt at meddele det danske Publikum den foregaaende Bewiis af de preussiske Magistraters Sundhed.)5 Herr Saedt möge selbst entscheiden, in welcher Sprache sein Ausspruch am heitersten lautet.
1 (Zur Beachtung für die „Reforme", die „Republique" und die „Revolution".)-2(N. B. Unsere englischen Zeitgenossen, hauptsächlich der „Northern Star", werden gebeten, das Obige zu veröffentlichen.) - 3 (Zur Beachtung für die „Alba", den „Contemporaneo" und die „Concordia".) - 4 (Wir bitten die radikalen Zeitungen Madrids, diese Zeilen zu veröffentlichen.) — 5 (Die dänischen demokratischen Zeitungen werden sich ein Vergnügen daraus machen, dem dänischen Publikum den obigen Beweis des Wohlbefindens des preußischen Justizbeamten mitzuteilen.)
Die „Kölnische Zeitung" über den magyarischen Kampf
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.225 vom 18. Februar 1849]
* Köln, 17. Februar.
„Ich habe nun den Grund gefunden, Worin mein Anker ewig hält" singt der tapfere Schwanbeck mit dem protestantischen Gesangbuch. Der entrüstete Tugendheld tritt, trotz der „östreichischen Note" und dem „Gefühl tiefster Entrüstung"12881, endlich auch auf der ersten Seite der „Kölnischen] 2[ei]t[un]g"[21] für Windischgrätz auf. Man höre: „Die sogenannte demokratische Presse in Deutschland hat in dem östreichischungarischen Kampfe Partei für die Magyaren genommen ... Seltsam genug allerdings! Die deutschen Demokraten auf der Seite jener hochadligen Kaste, für welche ihre eigene Nation, trotz des 19. Jahrhunderts, nie aufhörte, die misera contribuens plebs1 zu sein, die deutschen Demokraten auf Seiten der anmaßendsten Volksunterdrücker! "t2891
Wir erinnern uns nicht genau, ob wir das Publikum bereits auf eine eigentümliche Eigenschaft des tapfern Schwanbeck aufmerksam gemacht haben, nämlich darauf, daß er gewohnt ist, lauter Nachsätze ohne Vordersätze zu machen. Der obige Satz ist einer dieser Nachsätze, deren Vordersatz das Licht der Welt nicht erblickt hat. Und wären die Magyaren eine „hochadlige Kaste" der „anmaßendsten Volksunterdrücker", was bewiese das? Ist Windischgrätz, der Mörder Robert Blums, darum ein Haarbreit besser? Wollen die Ritter der „Gesamtmonarchie", die speziellen Feinde Deutschlands und Freunde Schwanbecks, die
Windischgrätz, Jellachich, Schlick usw., etwa die „hochadlige Kaste" unterdrücken, die Freiheit des bäuerlichen Grundeigentums einführen? Kämpfen die Kroaten und Tschechen etwa für die rheinische Parzellierung und den Code Napoleon1227 ]? Als im Jahr 1830 die Polen gegen Rußland sich erhoben1233 ], war da die Rede davon, ob hier bloß eine „hochadlige Kaste" an der Spitze stand? Es handelte sich damals zuerst um die Vertreibung der Fremden. Ganz Europa sympathisierte mit der „hochadligen Kaste", die allerdings die Bewegung eröffnete; denn die polnische Adelsrepublik war immer ein Riesenfortschritt gegen die russische Despotie. Und war nicht der französische Zensus, das Monopol der 250 000 Wähler von 1830, der Sache nach eine ebenso große politische Knechtung der misera contribuens plebs wie die polnische Adelsherrschaft? Nehmen wir an, die ungarische Märzrevolution sei eine reine Adelsrevolution gewesen. Hat darum die östreichische „Gesamt"-Monarchie das Recht, den ungarischen Adel und dadurch die ungarischen Bauern so zu unterdrükken, wie sie den galizischen Adel und durch ihn (vgl. die Lemberger Landtagsverhandlungen von 1818) die galizischen Bauern unterdrückt hat? Aber freilich, der große Schwanbeck ist nicht gezwungen zu wissen, daß der größte Teil des ungarischen Adels, gerade wie der größte Teil des polnischen Adels, aus bloßen Proletariern besteht, deren aristokratisches Privilegium sich darauf beschränkt, daß mein ihnen keine Stockprügel applizieren darf. Der große Schwanbeck ist aber noch viel weniger gezwungen zu wissen, daß Ungarn das einzige Land ist, in dem die Feudallasten für den Bauern seit der Märzrevolution gesetzlich und faktisch gänzlich aufgehört haben zu existieren. Der große Schwanbeck erklärt die Magyaren für eine „hochadlige Kaste", für „anmaßendste Volksunterdrücker", für „Aristokraten" — und derselbe große Schwanbeck weiß nicht oder will nicht wissen, daß die magyarischen Magnaten, die Esterhazys usw., gleich bei Beginn des Krieges desertierten und nach Olmütz[290] zur Huldigung kamen und daß gerade die „hochadligen" Offiziere der magyarischen Armee vom Anfang des Kampfes bis heute täglich neuen Verrat an der Sache ihrer Nation geübt haben! Oder warum ist die Majorität des Repräsentantenhauses noch heute bei Kossuth in Debreczin, während nur elf Magnaten sich dort befinden? Soweit der Schwanbeck der ersten Seite, der Leitdithyrambiker Schwanbeck. Aber der Mann der dritten Seite, der Mann, der Leopoldstadt sechsmal gestürmt, Eszek viermal genommen und die Theiß verschiedene Male überschritten hat, der Strategiker Schwanbeck mußte doch auch seine Revanche nehmen.
„Aber nun nahm der Krieg einen kläglichen, wahrhaft jammervollen Fortgang. Unaufhaltsam, fast ohne Kampf wichen die Magyaren aus allen ihren Positionen; ohne Widerstand räumten sie selbst ihre feste Königsstadt, wichen vor Jellachichs Kroaten bis hinter die Theiß zurück." „Fast ohne Kampf" — d.h., nachdem sie die Östreicher von der Leitha bis zur Theiß zwei volle Monate aufgehalten, wichen sie „fast ohne Kampf" zurück. Der gute Schwanbeck, der die Größe eines Feldhierrn nicht nach seinen materiellen Resultaten, sondern danach beurteilt, wieviel Mann er sich hat totschlagen lassen! „Ohne Widerstand räumten sie ihre feste Königsstadt!" Nun muß man wissen, daß Ofen allerdings nach der Westseite hin befestigt ist, [nach] der Ostseite aber nicht. Die Donau war gefroren, so daß die Östreicher mit Roß und Wagen hinübermarschieren, Pesth besetzen und von da aus das wehrlose Ofen zusammenschießen konnten. Wenn Deutz nicht befestigt und der Rhein gefroren wäre, wenn demnach eine französische Armee bei Wesseling und Worringen über den Rhein marschierte und bei Deutz 100 Kanonen gegen Köln aufpflanzte, so würde der kühne Schwanbeck dem Oberst Engels also den Rat geben, Köln bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Tapfrer Schwanbeck! Die Magyaren „wichen vor Jellachichs Kroaten bis hinter die Theiß zurück". Und wird uns der große Schwanbeck bestreiten, daß diese „Kroaten" aus 250 000-300 000 Mann bestehn, die Korps von Windischgrätz, Jellachich, Götz, Csorich, Simunich, Nugent, Todorovich, Puchner etc. etc., die unregelmäßigen Truppen an der Drau und im Banat eingerechnet? Und alles das sind „Jellachichs Kroaten"? Daß übrigens ein Schwanbeck, der selbst ein Stammverwandter der Kroaten und in der Geschichte und Geographie wenig zu Hause ist, für die Kroaten schwärmt, ist leicht begreiflich. Aber freilich: „... auch wir sind weit entfernt, in den offiziellen Berichten aus dem östreichfischen] Hauptquartier gerade ein Evangelium zu sehn". Im Gegenteil, Schwanbeck findet von Zeit zu Zeit in den Berichten z.B. Schlicks
„eine Lücke, welche der Leser sich durch allerlei Vermutungen ausfüllen muß, und es ist am Ende kein Wunder (!!), wenn diese Vermutungen bedenklicher ausfallen, als sie es sollten (!!!). Auch Puchner haben wir in dem Verdacht, daß er seine Bulletins etwas zu rosenfarben zu halten pflegt. Nach ihnen wäre er im schönsten Siegeslauf gegen den ,Rebellengeneral'. Da plötzlich lesen wir zu unsrer größten Verwunderung (!) einen Aufruf von ihm, worin er Sachsen und Walachen um alles in der Welt beschwört, doch noch Mut zu haben, da finden wir den geschlagenen Bern plötzlich vor Hermannstadt, mitten im Sachsenlande, und die armen Deutschen (!!) wissen sich endlich nicht anders zu helfen, als Schutz bei den Russen zu suchen. Hier ist ein kleiner Konflikt zwischen den
20 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
offiziellen Berichten und den Ereignissen, welcher nur der Ungenauigkeit (!!) der erstem zur Last fallen kann." Der Bürger Schwanbeck gesteht, daß die östreich[ischen] Bulletins und nach ihnen die „Kölnische Zeitung" aufs Unverschämteste über die angeblichen Fortschritte der Ostreicher gelogen haben; wenn die Lüge nachher nicht mehr wegzuleugnen ist, so nennt der Wahrheitsfreund Schwanbeck das: „einen kleinen Konflikt zwischen den offiziellen Berichten und den Ereignissen"! „Wenn wir aber die österreichischen Armeeberichte keineswegs als Orakel betrachten, so haben damit die magyarischen Siegesbulletins noch nicht das mindeste in unsern" (mit den obigen „kleinen Konflikten" beschäftigten) „Augen gewonnen. Sie sind von der Phantasie diktiert und würden sich recht angenehm lesen, wenn sie nur nicht so entsetzlich lächerlich wären." Diese „Bulletins" sind so „entsetzlich lächerlich", daß sie bis jetzt nichts behauptet haben, als was der große Schwanbeck der Sache nach selbst zugeben muß. Oder ist Tokaj in den Händen Schlicks? Ist ein einziger Östreicher bei Szolnok über die Theiß gekommen? Sind die Kaiserlichen seit 14 Tagen auch nur einen Schritt weitergekommen? Das 22. östreichische Bulletin, das uns soeben zukommt (s. unten[2911), wird dem Bürger Schwanbeck die Mühe ersparen zu antworten. Es klärt uns darüber auf, daß die Östreicher noch nicht einmal so weit sind, wie das 20. und 2I.Bulletin behauptete. „Es ist einmal nicht anders: Der Krieg in Ungarn geht mit Riesenschritten seinem Ende zu." Das ist klar. Schwanbeck hat es schon einmal vor 14 Tagen gesagt: „Der Krieg in Ungarn geht zu Ende. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.1" Es war dies an demselben Tage, als er die Östreicher zum ersten Male siegreich in Debreczin einrücken ließ. Seitdem sind 14 Teige verflossen, und trotzdem daß die Magyaren „furchtbar aufgeschnitten haben", sind die Österreicher noch immer nicht über die Theiß, geschweige in Debreczin. „Daß Berns Haufen durch die von allen Seiten herandringenden flüchtigen Scharen der Ungarn zu einem Heere angeschwollen sind, dem die geringen kaiserlichen Streitkräfte in Siebenbürgen nicht gewachsen sind, kann niemanden befremden." Durchaus nicht. Aber das kann uns befremden, wie von „von allen Seiten herandringenden flüchtigen Scharen der Ungarn" die Rede sein kann, solange die Ungarn die Linie der Theiß und der Marosz besetzt haben und der Bürger
1 Die Berge kreißen, und geboren wird eine lächerliche Maus.
Schwanbeck trotz dem inbrünstigsten Gebete nicht einen einzigen Kaiserlichen hinüberschmuggeln kann; ferner, daß „flüchtige Scharen" plötzlich ein Heer bilden, ohne daß die Heere, die sie verfolgen, zugleich bei der Hand sind, um sie aus jeder neuen Position zu vertreiben. Aber freilich, der große Schwanbeck glaubt, daß die Ungarn, einmal in seiner dunstigen Phantasie geschlagen, sofort von der Donau bis nach der Aluta laufen würden, ohne sich umzusehen, ob sie verfolgt werden oder nicht. Der Bürger Schwanbeck hat sich zum Carnot des 19. Jahrhunderts gemacht, indem er das neue Manöver entdeckte, wie flüchtige Scharen, die von allen Seiten herandringen, plötzlich ein siegreiches Heer bilden können. Dies neue siegreiche Heer könnte allerdings ernsthafte Verwickelungen herbeiführen. Indes, sagt Schwanbeck: „Wir werden sehen, in welcher Weise Rußland hier sein Veto sprechen wird." Der tapfere Schwanbeck, der hier Rußland gegen die Magyaren zu Hülfe ruft, ist derselbe Schwanbeck, der am 22.März vorigen Jahres einen sittlichentrüsteten Artikel gegen den Kaiser von Rußland erließ und damals erklärte, wenn Rußland sich in unsere Angelegenheiten mische (und die magyarische Angelegenheit ist doch wohl die unsere), so werde er, Schwanbeck, einen Ruf erheben, vor dem der Thron des Zaren erzittern solle! Er ist derselbe Schwanbeck, der von jeher bei der „Köln. Ztg." das Amt hatte, durch rechtzeitig angebrachten Russenhaß und obligaten, gewiegten Freisinn in ungefährlichen osteuropäischen Ländern das liberale Renommee des Blattes zu salvieren. Aber die osteuropäischen Verwickelungen scheinen ihn zu ennuyieren, und damit er sich ganz seinem „Gefühle tiefster Entrüstung" über die östreichische Note überlassen kann, ruft er die Russen nach Siebenbürgen zur Beendigung des Kampfes. Die beste Antwort auf den ganzen sittlich-windischgrätzisch-polternden Artikel ist — das 22.Armeebulletin, das die Leser unten finden. Damit der in Geographie und Strategik bis in den Schlußsatz seines Artikels hinein teils grenzenlos unwissende, teils von der „Neuen Rheinischen Zeitung" abhängige Schwanbeck wisse, woran er mit diesem Bulletin ist, geben wir zugleich den Kommentar dazu.
Die Proklamation der Republik in Rom[2921
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.222 vom 28. Februar 1849] * Die italienische Konstituante ist keine Frankfurter Nationalversammlung. Die Italiener wissen, daß die Einheit eines in feudale Fürstentümer zersplitterten Landes nicht anders herzustellen ist als durch Abschaffung des Fürstentums. Die Italiener haben 1848 den Reigen eröffnet, sie eröffnen ihn 1849. Aber welcher Fortschritt! In Italien kein Pius nonus1 mehr wie in Frankreich kein Lamartine. Die phantastische Periode der europäischen Revolution, die Periode der Schwärmerei, des guten Willens und der Rednerblumen ist mit Brandkugeln, Abschlächtereien im Großen und Deportationen würdig beschlossen worden. Österreichische Noten, preußische Noten, russische Noten waren die besten entsprechenden Antworten auf die Lamartineschen Proklamationen. Die Deutschen sind gewohnt, von dem Pythiadreistuhl[293] ihrer Gründlichkeit und Ausdauer vornehm verächtlich auf die italienische Oberflächlichkeit herabzusehen. Die Parallele zwischen dem italienischen Jahre 1848 und dem deutschen Jahre 1848 würde die schlagendste Antwort liefern. In dieser Parallele müßte man vor allen in Rechnung bringen, daß das revolutionäre Italien von Deutschland und Frankreich im Schach gehalten, während das revolutionäre Deutschland in seinen Bewegungen durchaus nicht gehemmt wurde. Die Republik in Rom! ist das erste Wort des Revolutionsdramas von 1849.
^ius IX.
Weiterer Beitrag zur altpreußischen Finanzwirtschaft
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 229 vom 23. Februar 1849] * Köln, 21 .Februar. Unseren Artikel in Nr.224 der Zeitung über v. Bodelschwingh nebst Konsorten und die preußische Finanzverwaltung1, müssen wir ergänzen. Wir haben zum Schlüsse desselben darauf hingewiesen, daß 27127 R[eichs]t[aler] (17127 ist ein Druckfehler) weniger bei dem Staatsschatze gebucht sind, als nach den Rechnungen der Generalstaatskasse an denselben abgeführt wurden. Nachträglich haben wir in den von der Regierung gelegten Rechnungen eine Notiz gefunden, welche uns das Rätsel über den Verbleib dieses Geldes löst. Es sind nämlich die sogenannten Verwaltungsersparnisse des Jahres 1844 im Betrage von 200 002 Rt. nicht bar zur Kasse des Staatsschatzes eingezahlt, sondern für diese Summe sind preußische Staatsschuldscheine gekauft. Nach dem damaligen Kurse soll dadurch ein Verlust bei dem Einkaufe von 27127 Rt. entstanden sein. Die preußischen Minister sind oder waren glänzende Finanziers ! Das macht dieser Fall wieder offenbar. Denn wir haben die Herren Exminister nicht mehr zu fragen, wo die 27127 Rt. geblieben sind, sondern wir können ihnen sagen, daß durch ihre Schlauheit an diesem einen Geschäfte nicht nur 27 000, sondern mehr als 400 000 Rt. verloren sind. Dieser Vorwurf trifft zunächst Herrn Flottwell, denn er war damals Finanzminister. Er mag ein redlicher Mann sein. Dem Lande kann es aber ganz gleich gelten, ob seine Minister ihm aus Unfähigkeit oder aus bösem Willen schaden. Eine Untersuchung darüber könnte höchstens für die Familie desselben von Interesse sein.
In seiner Denkschrift über den Staatsschatz vom 6. April 1847 erklärt der damalige Schatzminister v. Thile ganz unumwunden, daß in betreff des Staatsschatzes folgende zwei Grundsätze festständen: 1. daß der Bestand stets in barem, gemünztem Gelde vorhanden sein müsse, 2. daß aus dem Staatsschatze keine Zahlungen irgendeiner Art geleistet werden dürfen, außer zum Zwecke von Kriegsrüstungen.
Was den ersten Grundsatz betrifft, so ist es richtig, daß, wenn überhaupt einmal ein Staatsschatz existieren soll, ein solcher nur dann einen vernünftigen Sinn hat, wenn er in barem Gelde oder in edlen Metallen niedergelegt ist. Eine Regierung, die sich nicht auf die Kraft des Volkes stützen kann, mag allerdings für sogenannte schwierige Zeiten eines Rückhalts bedürftig sein. Wenn ihr Kredit auch an der Börse leidet, muß sie noch Mittel im Rückhalte haben, sich aus dieser Verlegenheit zu helfen, das kann aber nur mit barem Gelde oder edlen Metallen geschehen. Gold und Silber öffnet die Herzen der Bourgeois zu allen Zeiten. Aber ein gedrucktes, ein schlechtes Papier ist der sicherste Weg, auch die „Achtung" der Börse zu verlieren. Wenn der Staatskredit so weit heruntergekommen ist, daß die Hilfe des Staatsschatzes notwendig wird, gibt es an der Börse nichts Demütigenderes, als Staatsschuldscheine zum Verkaufe ausbieten und den Käufer suchen zu müssen. Wer jemals eine größere Börse beobachtet hat, wird es wissen, welche Verachtung in den Mienen und Gesten des Geldspekulanten hervortritt, sobald ihm in solchen Zeiten Staatspapiere angeboten werden. Im übrigen mag der Spekulant Geheimer Kommerzienrat und sehr „gut gesinnt" sein. Der Ankauf von Staatsschuldscheinen war also die ungeschickteste Operation, welche die preußische Regierung vornehmen konnte. Herr v.Thile erklärt in der angeführten Denkschrift, daß er die 1 972 875Rt. Staatsschuldscheine statt der 2 000 002 Rt. bar hat annehmen müssen. Wir legen auf diese Entschuldigung des „müssen" keinen Wert. Aber wenn die Rechnungen richtig sind, so ist der Ankauf der Staatspapiere schon von der Generalstaatskasse aus bewirkt. Sonst hätte der ganze Betrag des baren Geldes an den Staatsschatz abgeliefert werden müssen. Herr Flottwell scheint also der glücklichen Finanzoperation zunächst zu stehen. Wie die kleinbürgerliche Sparsamkeit, die gerne einige Prozente an den Zinsen ersparen möchte und den größeren Finanzunternehmungen eines Staates nicht gewachsen war, zuletzt unter Schimpf und Schande mit doppeltem Verluste endet, werden die nachstehenden Zahlen ergeben.
Zu dem Verluste gegen den Nominalwert beim Einkaufe von 27 127 Rt. kommt der weit größere Verlust beim Verkaufe hinzu. Vom März bis zum Anfang Juli 1848 haben die Kurse der Staatsschuldscheine zwischen 66% G.1 (4. April) und 831/3% Br.1 (21 .März) geschwankt. Da nun die Kurse sogleich fallen, wenn eine große Summe von Papieren zum Verkauf gebracht wird, so ist anzunehmen, daß die Regierung ihre Staatsschuldscheine nicht über 70% losgeworden ist. Beim Verkaufe sind also gegen den Nominalwert wahrscheinlich wenigstens 30% von 1 972875 Rt., also 591 840 Rt. zusammen 618 967 Rt. verloren worden, davon gehen die gewonnenen Zinsen für 3 Jahre k 69048 Rt. mit 207 144 Rt. ab, so daß 411 823 Rt.
wahrscheinlich als reiner Verlust bleiben. Fast 1/i der ganzen Summe ist verloren, und dafür ist der Staatskredit durch den gedrückten Kurs der Staatsschuldscheine noch mehr geschwächt. Dieses kleine Pröbchen von der Weisheit preußischer Finanz- und Schatzminister ä la Flottwell-Thile führen wir nur darum an, weil es die Ergänzung zu unserem oben bezeichneten Artikel notwendig macht. Sonst würden wir uns nicht mit dem Kleinen befassen, wo das Große so reichen Stoff für uns darbietet.
Geschrieben von Karl Marx.
1 G. (Geld) — die betreffenden Papiere werden zum genannten Kurs gesucht; Br. (Brief) — die Papiere wer den zum genannten Kurs angeboten
Eine Denunziation
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 229 vom 23. Februar 1849] * Köln, 22.Februar. In der „Oberpostamts-Zeitung"12941, deren früherer Redakteur ein bezahlter Agent Guizots (vgl.Taschereaus „Revue retrospective"[295]) und unbezahlter Agent Metternichs war, wie denn auch bekanntlich die ganze Thum- und Taxis'sehe Post — dies auf die deutsche Industrie drükkende, mit den Eisenbahnen im Kampf liegende, krebsende Nationalhaudererinstitut, dessen Fortexistenz nach dem März man kaum begreift und dessen sofortige Vernichtung eine der ersten Taten der nächstens zu eröffnenden deutschen Konstituante (die Versammlung in der Paulskirche war notorischerweise nie konstituierend) sein wird - seit Joseph II. nie etwas anderes war als eine östreichische Spionenherberge — in der diesem Exfürsten von Thum und Taxis gehörigen Reichsdenunziationszeitung drückt sich der verantwortliche Redakteur H.Malten (bereits von der alten „Rheinischen Zeitung"[296] kenntlich geschildert) folgendermaßen aus, indem er behauptet, folgende Pariser Korrespondenz aus einem Blatte, das wir nicht Iesen[297], abzudrucken:
„Zur Schande des deutschen Namens müssen wir bekennen, daß es namentlich Deutsche sind, die unter uns das Wühlen auf dem großartigsten, um nicht zu sagen unverschämtesten Fuße betreiben. Es besteht hier ein besonderes Büro der Roten, von dem alle irgendwie aufzutreibenden Brandartikel gegen die Ordnung der menschlichen Gesellschaft schleunigst in die Provinzen gesandt werden. Nicht genug, daß Deutsche für Frankreich an diesem unrühmlichen Geschäfte sich beteiligen: Ihnen hat man es auch zu verdanken, daß eine heillose Propaganda unausgesetzt über Deutschland ihre Netze ausbreitet. Aus dem Hexenkessel derselben revolutionären Küche wird das deutsche Rheintal in seiner ganzen Länge mit revolutionärem Papier überschwemmt, wovon die .Neue Rheinische Zeitung' mancherlei zu erzählen wüßte, wenn sie es nicht für gut fände, in diesem einen Punkte ein sorgfältiges Stillschweigen zu beobachten. Im badischen Oberland werden die unteren Volksschichten von Paris aus schon seit
Monaten bearbeitet. Die Verbindungen der hiesigen Demokraten mit den Flüchtlingen in der Schweiz sind gleichfalls Tatsache." Wir bemerken auf diese elende Denunziation: 1. daß wir unsere Verbindungen mit den französischen, englischen, italienischen, schweizerischen, belgischen, polnischen, amerikanischen und sonstigen Demokraten nie verheimlicht haben, und 2. daß wir das „revolutionäre Papier", womit wir allerdings „das deutsche Rheintal (und nicht nur das!) überschwemmen", auch hier in Köln selbst zu fabrizieren pflegen. Wir brauchen dazu keine Hülfe von Paris aus; wir sind seit mehreren Jahren gewohnt, daß unsere Pariser Freunde mehr von uns nehmen als wir von ihnen.
Die Thronrede
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.234 vom I.März 1849] * Köln, 28. Februar. Die gestern abend zum großen Entsetzen und Verdruß der „Kölnischen Zeitung"121 ] voreilig den Lesern der „Neuen Rheinischen Zeitung" mitgeteilte Thronrede hat sich als authentisch bewährt. Ein einziger Passus wurde noch während der Nacht verändert, der auf den Belagerungszustand Berlins bezügliche. Das Ministerium Brandenburg hat damit seiner Rede die Pointe, die Spitze abgebrochen. Der gestern abend von uns in seiner ursprünglichen Fassung mitgeteilte Passus lautet: „Um die Herrschaft der Gesetze wiederherzustellen, hat über die Hauptstadt und ihre nächsten Umgebungen der Belagerungszustand verhängt werden müssen. Derselbe kann nicht wiederaufgehoben werden, bevor nicht die noch immer bedrohte öffentliche Sicherheit, für welche jene Maßregel unerläßlich war, durch kräftige Gesetze dauernd geschützt ist. Die Entwürfe zu solchen Gesetzen werden Ihnen unverzüglich zugehen."l298] Dieser Passus, obgleich man ihn vertuscht hat, verrät das ganze Geheimnis der Thronrede. Ins Deutsche übersetzt, besagt er: die exzeptionellen Belagerungszustände werden aufgehoben werden, sobald der allgemeine Belagerungszustand durch Gesetze dem ganzen Königtum oktroyiert und in unsre konstitutionellen Sitten eingeführt ist. Der Reigen dieser „starken" Gesetze wird eröffnet werden durch Septembergesetzgebung11731 über die Assoziationen und die Presse.1
1 In der „N..Rh. Ztg." folgt hier der Wortlaut der Thronrede
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.235 vom 2. März 1849] * Köln, 1 .März. Konstatieren wir es vor allen Dingen: Die Thronrede hat den vollen Beifall der „Kölnischen Zeitung". An den in der Thronrede erwähnten Handlungen der Regierung hat sie einzelnes auszusetzen, an der Thronrede selbst durchaus nichts. „Die Thronrede des Königs ist eben - eine konstitutionelle Thronrede" so beginnt das kluge Blatt seinen in der Form des paraphrasierenden leitenden Artikels wiederholten Abdruck der Thronrede. „Eine konstitutionelle Thronrede" 1 Allerdings, wer eine „Rede frisch aus dem Herzen des Königs", eine zudringliche moralische Herzensergießung wie damals beim Vereinigten Landtag11371, oder wer eine Brandenburg-Wrangeische, sporenklirrende und schnurrbartkräuselnde Rodomontade[2991 erwartet hatte, dem muß dies Aktenstück über die Maßen „konstitutionell" vorkommen. Eins ist gewiß: Manteuffel hat sich seiner Aufgabe weit besser entledigt als Camphausen, um die „talentvolle Deklamation" von 1847 gänzlich aus dem Spiele zu lassen. Der bürgerliche Minister gab ein in Sprache und Inhalt bürgerlich-plattes, holpriges, langweiliges Aktenstück/3001 Der adlige Minister unterwirft sich mit der größten Bonhomie von der Welt der langweiligen konstitutionellen Form, um in dieser Form in fließender, leichter Sprache sich über die Kammern und den ganzen Konstitutionalismus zu mokieren. Was den ernsthaften Inhalt der Thronrede angeht, so ist dieser durch die schon gestern erwähnte Vertuschung der Stelle über die Beibehaltung des Belagerungszustandes auf so gut wie nichts reduziert. Dies war die einzige Stelle, in der das Ministerium ehrlich, offen den Kammern gegenübertrat. Um den Rest der Thronrede für ernsthaft zu halten, muß man die „Kölnische Zeitung" oder auch die Berliner „National-Zeitung"[2341 sein. Wer dergleichen konstitutionelle Haupt- und Staatsaktionen wie die vorgestern in Berlin aufgeführte nur mit ehrwürdiger Scheu und feierlicher Würde zu betrachten wagt, der wird allerdings in seiner Unschuld nie begreifen können, wie man so Heiliges zu einem frivolen Spiel des Witzes mißbrauchen kann. Wem aber an der ganzen konstitutionellen Komödie ebensowenig liegt wie dem Herrn Manteuffel, der wird nicht so geschmacklos sein, das Aktenstück au serieux1 zu nehmen, das der Minister vorgestern durch gottbegnadete Lippen dem andächtigen Publikum des Weißen Saals[3011 vortragen ließ. Wir glauben, Herrn Manteuffel einen Gefallen zu tun, wenn wir das leider
zuwenig an geistreiche Übungen des Witzes gewöhnte deutsche Publikum auf das richtige Verständnis seiner Thronrede hinweisen. Ihr erwartet, Manteuffel werde mit seiner glücklich durchgeführten Kontrerevolution renommieren, werde den Kammern gegenüber mit Kugeln im Gewehr, haarscharf geschliffenen Schwertern usw. drohen in der Art einer unbeholfenen Wachtmeisternatur ä la Wrangel. Im Gegenteil. Mit einigen leicht hingeworfenen Sätzen geht Manteuffel darüber weg, wie über eine sich ganz von selbst verstehende Sache: „Ereignisse, die Ihnen, meine Herren Abgeordneten der ersten und zweiten Kammer, allen in frischem Gedächtnisse sind, haben mich im Dezember v.J. genötigt, die zur Vereinbarung der Verfassung berufene Versammlung aufzulösen. Zugleich habe ich - überzeugt von der unabweislichen Notwendigkeit endlicher Wiederherstellung eines festen öffentlichen Rechtszustandes - dem Lande eine Verfassung verliehen, durch deren Inhalt meine im März v.J. erteilten Verheißungen11951 getreulich erfüllt sind." Herr Manteuffel spricht, als habe es sich um die unbedeutendste Bagatelle, um die Ersetzung eines alten Rocks durch einen neuen, um die Anstellung eines Supernumerarius oder die Verhaftung eines Wühlers12261 gehandelt. Gewaltsame Verlegung, Vertagung, Auflösung einer souveränen Versammlung, Belagerungszustände, Säbelherrschaft, kurz, der ganze Staatsstreich reduziert sich auf „Ereignisse, die Ihnen allen in frischem Gedächtnis sind". Ganz wie der ritterliche Ban Jellachich mit der graziösesten Ungeniertheit erzählen würde, wie seine Rotmäntel[811 die Bewohner dieses oder jenes Dorfes bei lebendigem Leibe gebraten haben. Und nun gar die „getreuliche Erfüllung meiner im März v.J. erteilten Verheißungen" durch die oktroyierte sogenannte Verfassung ![123] Und ihr haltet den schlauen Manteuffel für so beschränkt, daß er das wirklich im Ernst gesagt haben soll? Allons donc!1 Solch ein Anfang frappiert. Aber man muß dies erste Erstaunen zu benutzen wissen, indem mein noch erstaunlichere Dinge folgen läßt. Das weiß Herr Manteuffel: „Seitdem ist die Spannung, in welcher noch vor wenig Monaten ein großer Teil des Landes sich befand, einer ruhigeren Stimmung gewichen. Das früher so tief erschütterte Vertrauen kehrt allmählich wieder. Handel und Gewerbe fangen an, sich von der Lähmung zu erholen, welcher sie zu erliegen drohten." Wie mögen sich die braven Abgeordneten angesehen haben, als sie diesen Passus vernahmen! Handel und Gewerbe erholen sich! Und warum nicht?
Derselbe Manteuffel, der eine Verfassung oktroyieren kann, warum sollte er nicht auch den Aufschwung von „Handel und Gewerbe" oktroyieren können? Das Aplomb, mit dem Manteuffel diese kolossale Behauptung von sich gibt, ist wirklich bewundernswert. Mais nous marchons de surprise en surprise:1
„Sie wissen, meine Herren, daß ich Ihnen eine Revision der Verfassung vorbehalten habe. An Ihnen ist es jetzt, sich darüber untereinander und mit meiner Regierung zu verständigen." jawohl, meine Herren, „verständigen Sie sich"! Das ist ja eben der Humor davon, daß zwei solche Kammern, wie Manteuffel sie „Meinem Volke" oktroyiert hat, sich nie „untereinander verständigen" können! Wofür ist sonst die erste Kammer erfunden? Und, meine Herren, sollten Sie sich ja untereinander verständigen, was durchaus nicht zu erwarten steht, so ist es erst an Ihnen, sich mit „Meiner Regierung" zu verständigen — und daß Sie da zu nichts kommen werden, dafür bürgt Manteuffel! Sie sind also, meine Herren Abgeordneten der ersten und zweiten Kammer, bereits hinlänglich beschäftigt mit der Verfassungsrevision. Nachdem „Ich" aus Erfahrung kennengelernt, wie schon eine Vereinbarung zwischen zwei Kontrahenten nicht zustande kommt, habe „Ich" es für angemessen befunden, es diesmal mit der Vereinbarung von drei unvereinbaren Faktoren zu versuchen. Wenn Sie da nicht vereinbaren bis zum jüngsten Tag, ohne auch nur ein Jota zustande zu bringen, so macht Manteuffel sich anheischig, Mitarbeiter an der „National-Zeitung" zu werden. Also „verständigen Sie sich", meine Herren! Sollten Sie aber wider alle menschliche Berechnung dennoch dasjenige lösen, was man anstandshalber nicht wohl anders als Ihre Aufgabe nennen kann, so sind Sie dennoch um keinen Schritt weitergekommen. Für diesen Fall hat „Meine Regierung" ein Dutzend Gesetze „zur Ausführung der Verfassung" erlassen, welche dieser Verfassung auch den letzten liberalen Schein abstreifen. Darunter befinden sich u.a. zwei Zunftordnungen13021, die des Jahres 1500 würdig sind und die einer so vorteilhaft kombinierten Repräsentation, wie Sie sind, für zehn Jahre Kopfbrechens verursachen können.
„Alle diese Verordnungen werden Ihnen ohne Verzug zur Genehmigung vorgelegt werden." Also „genehmigen" Sie, meine Herren! Dann aber wird Ihnen „Meine Regierung" ohne Verzug Vorlagen bezüglich des Belagerungszustandes zugehen lassen - Septembergesetze11731,
Gagging Laws[303J, Klubunterdrückungsgesetze usw. Bis Sie diese „genehmigt" haben - wohin es hoffentlich nie kommen wird —, dauert natürlich der Belagerungszustand fort. Hiermit, meinen Sie, seien Ihre Arbeiten erledigt? — Im Gegenteil; die Hauptsache kommt erst: „Außerdem werden Sie sich mit der Beratung verschiedener - teilweise zur Ausführung der Verfassung notwendiger - Gesetze zu beschäftigen haben, deren Entwürfe Ihnen nach und nach zugehen werden. Ich empfehle Ihrer sorgsamsten Erwägung besonders die Entwürfe der neuen Gemeindeordnung, der neuen Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung, des Unterrichtsgesetzes, des Gesetzes über das Kirchenpatronat, des Einkommensteuergesetzes, des Grundsteuergesetzes sowie der Gesetze über die Ablösung der Reallasten und die unentgeltliche Aufhebung einiger derselben und über die Errichtung von Rentenbanken." Mit diesen verschiedenen Arbeiten, meine Herren, welche zusammen gegen drei Dutzend organischer Gesetze mit mehreren tausend Paragraphen bilden, werden Sie, so Gott will, so viel zu tun haben, daß sowohl die Verfassungsrevision wie die Genehmigung der vorläufigen Gesetze und die Debatte der vorgelegten Entwürfe jedes höchstens bis zur Hälfte erledigt werden wird. Bringen Sie es so weit, so haben Sie Übermenschliches geleistet. Inzwischen dauert der Belagerungszustand überall fort und ist da ebenfalls eingeführt, wo er noch nicht existiert (wer hindert uns, ganz Preußen „distriktsweise" in Belagerungszustand zu versetzen?); inzwischen gilt die oktroyierte sogenannte Verfassung mit den oktroyierten nachträglichen Gesetzen fort, bleibt es bei der bisherigen pfuscherhaften Gemeindeordnung, Kreis-, Bezirks- und Provinzialvertretung, bei der bisherigen Unfreiheit des Unterrichts, bei der Grundsteuerbefreiung eines hohen Adels und bei den Frondiensten der Bauern. Damit Sie aber ja nicht klagen können, werden Ihnen außer all diesen unmöglich auszuführenden Arbeiten noch zwei Budgets — das von 1849 und das von 1850 vorgelegt werden. Sie werden erzürnt über so viel Arbeit von Ihren Sitzen aufspringen? Meine Herren Abgeordnete zur ersten und zweiten Kammer, desto besser. „Meine Regierung" wird dann fortfahren, auf Grund der oktroyierten sogenannten Verfassung die bisherigen Steuern in alle Ewigkeit fortzuerheben. Ohnehin sind noch einige Gelder von den 25 Millionen, die der Vereinigte Landtag bewilligt hat[137J, vorhanden, und wenn „Meine Regierung" mehr brauchen sollte, so wird sie schon wissen, was sie zu tun hat. Sollten Sie aber in die Fußtapfen der aufgelösten Nationalversammlung treten wollen, dann, meine Herren, erinnere ich Sie, daß die „Organisation, Kriegstüchtigkeit und Hingebung" des preußischen Heeres „sich unter ern
sten Prüfungen bewährt haben" — und namentlich bei dem großen Treib jagen auf die Vereinbarer im November v.J. Und nun, meine Herren Abgeordneten zur ersten und zweiten Kammer! Nachdem dafür gesorgt ist, daß Sie, nach der Zusammensetzung der beiden Kammern, sich nicht unter sich und, nach der Zusammensetzung „Meiner Regierung", sich nicht mit dieser verständigen können — nachdem Ihnen ferner ein solcher Wirrwarr von Materialien vorgelegt worden ist, daß Sie, auch abgesehen von allem andern, nie das geringste fertigbringen würden — nachdem auf diese Weise die Aufrechterhaltung des bürokratisch-feudal-militärischen Despotismus garantiert ist — nun merken Sie auf, was das Vaterland von Ihnen erwartet:
„Meine Herren Abgeordneten der ersten und zweiten Kammer! Mit Vertrauen erwartet das Vaterland jetzt von dem Zusammenwirken seiner Vertreter mit Meiner Regierung die Befestigung der wiederhergestellten gesetzlichen Ordnung, damit es sich der konstitutionellen Freiheiten und ihrer ruhigen Entwicklung erfreuen könne. Der Schutz seiner Freiheiten und der gesetzlichen Ordnung - dieser beiden Grundbedingungen der öffentlichen Wohlfahrt - wird stets der Gegenstand Meiner gewissenhaften Fürsorge sein. Ich rechne dabei auf Ihren Beistand. Möge Ihre Tätigkeit mit Gottes Hülfe dazu dienen, die Ehre und den Ruhm Preußens, dessen Volk im innigen Verein mit seinen Fürsten schon manche schwere Zeit glücklich überwunden hat, zu erhöhen und dem engeren sowie dem weiteren Vaterlande eine friedliche und segensreiche Zukunft zu bereiten!" Das ist die Thronrede des Bürgers Manteuffel. Und es gibt Leute, denen so sehr aller Geschmack abgeht, daß sie eine so gelungene Komödie für eine „konstitutionelle Thronrede" erklären! Wahrhaftig, wenn etwas den Herrn Manteuffel zur Niederlegung seines Portefeuilles bewegen könnte, so wäre es solch eine Verkennung seiner besten Absichten!
Lassalle
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 237 vom 4. März 1849] * Köln, 3. März. Man erinnert sich noch jener famosen Prozedur : Ein unglückliches Mädchen wurde wegen Kindermordes vor die Assisen gestellt. Die Jurys sprachen sie frei. Später zitierte man sie wegen verheimlichter Schwanger" schaft vor das Zuchtpolizeigericht. Unter allgemeinem Gelächter des Publikums wurde das Verweisungsurteil der Ratskammer kassiert. Die Ratskammer zu Düsseldorf tritt in die Fußstapfen ihrer berühmten Vorgängerin. Durch Beschluß der Ratskammer zu Düsseldorf vom 22. Febr. sind Lassalle, Cantador und Weyers wegen aufrührerischer Reden vor die Assisen verwiesen. Wir haben nichts dagegen. Aber durch Beschluß derselben Ratskammer ist Lassalle auch noch zweitens vor das Zuchtpolizeigericht gewiesen, weil er in einer Rede zu Neuß[30i] zu „gewaltsamem Widerstand gegen Beamte" (Verbrechen gegen Art. 209, 2I7)[3051 aufgefordert haben soll. Konstatieren wir vor allem die Tatsache. Unter den Umständen, welche Lassalles Verweisung vor die Assisen motivieren, befindet sich dieselbe Rede zu Neuß. Die Ratskammer gibt an, er habe in dieser Rede zur „Bewaffnung gegen die landesherrliche Gewalt aufgefordert (Verbrechen gegen Art. 87, 91, 102.)f3051 Auf Grund derselben Rede hin wird Lassalle also das eine Mal vor die Assisen, das andre Mal vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen. Spricht ihn die Jury frei, so verurteilt ihn das Zuchtpolizeigericht. Verurteilt ihn das Zuchtpolizeigericht nicht, so bleibt er jedenfalls in provisorischer Haft, bis das Zuchtpolizeigericht ihn freigesprochen hat, Das Urteil der Geschworenen mag ausfallen wie es will — er bleibt seiner Freiheit beraubt, und der preußische Staat ist gerettet. Es ist, wir wiederholen es, ein und dieselbe Rede, auf Grund deren Lassalle
von der Düsseldorfer Ratskammer das eine Mal vor die Assisen, das andre Mal vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen wird. Es ist dieselbe Tatsache. Abgesehen davon. Wenn ich in einer Rede zur „Bewaffnung gegen die landesherrliche Gewalt auffordere", versteht es sich nicht von selbst, daß ich zum „gewaltsamen Widerstand gegen Beamte" auffordere? Das Dasein der landesherrlichen Gewalt, das sind ja eben ihre Beamte, Armee, Administration, Richter. Abgesehen von diesem ihrem Körper ist sie ein Schatten, eine Einbildung, ein Name. Der Sturz der Regierung ist unmöglich ohne gewaltsame Widersetzlichkeit gegen ihre Beamten. Fordere ich in einer Rede zur Revolution auf, so ist überflüssig hinzuzufügen: „Widersetzt euch gewaltsam den Beamten." Nach dem Vorgange der Düsseldorfer Ratskammer könnte man also jeden, ohne Ausnahme, den man auf Grund der Art. 87, 102 wegen Aufreizung zum Sturz der Regierung vor die Assisen verweist, hinterher auf Grund der Art. 209,217 vor das Zuchtpolizeigericht verweisen. Und existiert nicht irgendwo im Code d'instruction criminelle13061 ein Artikel, der folgendermaßen lautet:
„Toute personne acquittee legalement ne pourra plus etre reprise ni accusee ä raison du meme delit"? Zu deutsch: „Niemand, der gesetzlich freigesprochen ist, kann wegen desselben Vergehens jemals wieder in Anspruch genommen noch angeklagt werden."
Es ändert aber nichts an der Sachlage, ob man mich nach dem freisprechenden Urteil der Jury wegen desselben Vergehens hinterher vor das Zuchtpolizeigericht zitiert oder ob man das Urteil der Jury von vornherein kassiert, indem man mich von vornherein 1. an die Assisen verweist und 2. an das Zuchtpolizeigericht wegen desselben Vergehen. Wir fragen die Ratskammer zu Düsseldorf, ob ihr patriotischer Eifer ihren juristischen Scharfsinn nicht übertölpelt hat? Wir fragen den Instruktionsrichter Ebermeier, ob er ganz frei von persönlicher Feindschaft gegen Lassalle ist? Wir fragen endlich einen Beamten des Düsseldorfer Parquets, ob er nicht geäußert hat: „An der Freisprechung des Cantador und Weyers liegt uns nicht viel, den Lassalle aber müssen wir jedenfalls behalten." Wir zweifeln, ob Lassalle dieselbe Neigung hat, in dem Inventarium der par excellence1 „Staatsangehörigen' für undenkliche Zeit aufgeführt zu werden. Der schwebende Fall ist nicht nur wichtig für uns, weil es sich um die Freiheit und das Recht eines Mitbürgers, eines unsrer Parteifreunde handelt. Er
1 im wahrsten Sinne des Wortes
21 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
ist vor allem wichtig, weil es sich darum handelt, ob die ausschließliche Kompetenz des Geschwornengerichts für politische Verbrechen das Schicksal aller sogen. Märzerrungenschaften teilen soll oder nicht, ob es dem Gutdünken der besoldeten Roben anheimgestellt bleibt, das unbesoldete Geschwornengericht zu einem bloßen Scheingericht herabzuwürdigen, indem sie dieselbe Tatsache, für den Fall, daß sie nicht als politisches Verbrechen oder Vergehen von den Jurys anerkannt würde, zugleich als gewöhnliches Vergehen dem Urteil des Zuchtpolizeigerichts unterwirft. Warum hat man überhaupt Verbrechen und Vergehen den ordentlichen Gerichten entzogen und Geschwornengerichten überwiesen? Man hat offenbar, trotz der Ehre und Delikatesse der besoldeten Richter, vorausgesetzt, daß sie in politischen Prozessen alles vertreten, nur nicht das Interesse des Angeklagten. Wir werden auf das Thema zurückkommen.1
Geschrieben von Karl Marx.
1 Siehe vorl. Band, S.444/445, 454-458 und 462-466
Rüge
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.242 vom 10. März 1849] * Köln, 9.März. Die „Deutsche Allgemeine] Z[ei]t[un]g"[307] enthält folgende Erklärung ihres alten Mitarbeiters Arnold Rüge, des pommerschen Charakters und sächsischen Denkers: „Berlin, 5.März. Die gegenwärtigen Mitglieder des Zentralausschusses der Demokraten Deutschlands, d'Ester, Reichenbach und Hexamer, kündigen eine neue demokratische Zeitung an, welche ,in Wirklichkeit' ein Organ der Partei in Berlin sei, unter dem Namen .Allgemeine demokratische Zeitung'. Diese Ankündigung könnte den Verdacht erwecken, als seien die Zeitungen .Die Reform' und ,Die Zeitungs-Halle' nicht wirklich Organe der Partei, und im Eingange der Ankündigung werden beide sogar ziemlich deutlich als unterdrückt bezeichnet. Der Passus, worin der Zentralausschuß die Suspension durch Wrangel als definitive Unterdrückung proklamiert und akzeptiert, lautet wörtlich: ,Die harten Prüfungen, welche die demokratische Partei während der letzten Monate in allen Teilen Deutschlands zu überstehen hatte, haben ihr neben der Notwendigkeit einer festen Organisation auch das Bedürfnis einer Vertretung in der Presse durch bestimmte, der Partei gehörige Organe, dargetan. Es ist der Säbelherrschaft der Machthaber gelungen, die demokratischen Organe an vielen Orten (die ,Säbelherrschaft' ist ja nur in Berlin!) ,zu unterdrücken, weil die Einzelnen nicht imstande waren, so große Opfer zu bringen, um diese Gewaltmaßregeln unwirksam zu machen.' Wegen der Säbelherrschaft denkt jedermann bei den .vielen Orten' nur an Berlin. .Unwirksam* hätte auch die ganze Demokratie diese Maßregeln nicht anders als durch Beseitigung des Säbels machen können, denn Wrangel verschloß den demokratischen Organen Berlin und die Berliner Post. Der Zentralausschuß möge die Mittel, respektive ,Opfer' nennen, durch welche er in unserer Lage imstande gewesen sein würde, diese Gewalt unwirksam zu machen. Unterdrückt' sind aber die ,Reform und die ,Zeitungs-Halle' selbst nach der Ansicht Wrangeis nicht. Dennoch habe ich die Erfahrung gemacht, daß Demokraten, an welche jenes Zirkular des Zentralausschusses gelangt ist, dasselbe so verstehen, als würden die ,Reform und die ,Zeitungs-Halle aufhören zu erscheinen und die .Allgemeine demokratische Zeitung' an ihre Stelle treten. Ich sehe mich genötigt, dieses
Mißverständnis aufzuklären. Die ,Reform ist nicht definitiv unterdrückt und wird, sobald die Belagerung von Berlin aufhört, in Berlin forterscheinen, und zwar als ein wirkliches Organ der demokratischen Partei, welches infolge ausdrücklicher Beschlüsse der Linken der aufgelösten Nationalversammlung und des frühern Zentralausschusses der deutschen Demokraten nicht minder der Partei ,gehört1, als das von zwei Mitgliedern des gegenwärtigen Zentralausschusses (d'Ester und Hexamer) allerhöchst oktroyierte neue Blatt. Die Redaktion der ,Reform': Arnold Rüge"
N.S. des Verfassers: „Ich ersuche alle ehrenwerten Redaktionen deutscher Zeitungen, diese unsere Erklärung in ihre Spalten aufzunehmen."
Wir vernehmen aus dieser denkwürdigen Erklärung zu unsrer großen Befriedigung, daß sich der ci-devant1 Frankfurter „Redakteur der Vernunft der Ereignisse"13081 und jetziger Buchdrucker — ohne Zweifel „als solcher" - mit der Oktroyierung eines neuen demokratischen Blattes „in Berlin", einer Zeitung, welche „in Wirklichkeit" ein Organ der „Partei in Berlin" sein soll, durchaus nicht befriedigt erklärt. Herr Arnold Rüge, der Frankfurter „Redakteur der Vernunft der Ereignisse" und Berliner Redakteur der „Reform"[309], behauptet „als solcher" auch Organ der „Partei in Berlin" gewesen zu sein; die „Reform" war durch Beschluß des „frühern" Zentralausschusses der Demokraten13101 der „Partei angehörig" gewesen (eile avait ete2, wie der Franzose sagt). Der „frühere" Zentralausschuß existiert zwar „in Wirklichkeit" nicht mehr, - deshalb kann aber immerhin die neuerstehende „Reform" noch ein „wirkliches" Organ des toten Zentralausschusses und der abgelösten Linken der „aufgelösten" Nationalversammlung sein. Herr Arnold Rüge mag allerdings in der neu oktroyierten Berliner „Allgemeinen demokratischen Zeitung"[3111 eine buchhändlerische Konkurrenz bekämpfen; außerhalb Berlins werden sich unstreitig weniger Mitbewerber um den Ehrennamen eines Organs der „Partei in Berlin" finden. Wir haben wenigstens die „Reform" nie als „wirkliches" Organ der „Partei in Berlin" verkannt; wir wissen auch die Selbstüberwindung des Patrioten Rüge in betreff der erwähnten „Opfer" vollständig zu schätzen. Jedenfalls bleibt es ein höchst sonderbarer Widerspruch. Der brave Buchdruckereibesitzer Rüge stellt sich auf den Rechtsboden, um sein Blatt, die „Reform", als „wirkliches" (patentiertes sans garantie du gouvernement3) Organ der Partei zu behaupten.
1 ehemalige - 2 sie war gewesen - 3 ohne Garantie der Regierung
Andrerseits stellt sich der Philosoph Rüge auf den Boden der Rebellion gegen den „wirklichen" demokratischen Zentralausschuß, um „wirklich" weitere „Opfer " in seinem (buchhändlerischen) Sinne bringen zu können. Ein Datum zur Lösung dieses Widerspruchs möchte folgendes sein: Der demokratische Zentralausschuß hatte Rüge erklärt, die „Reform" zu seinem Moniteur1 ernennen zu wollen, unter der Bedingung, daß derselbe Rüge sich allen Räsonierens und Schreibens enthalte.
Die Handelslage
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 239 vom 7. März 1849] * Köln, 6.März. Ein Engländer ist nie unglücklicher, als wenn er nicht weiß, was er mit seinem Gelde anfangen soll. Dies ist das Geheimnis aller großartigen Spekulationen, aller gewinnbringenden Unternehmungen; aber auch das Geheimnis aller Falliten, aller Geldkrisen und aller Handelsmisere. In den Jahren 1840, 1841 usw. waren es die neuen asiatischen Märkte, welche außer dem gewöhnlichen Verkehr mit dem europäischen Kontinent den englischen Exporthandel namentlich in Anspruch nahmen. Die Fabrikanten und die Exporteure hatten alle Ursache, Sir Henry Pottinger auf der Manchester Börse mit lautem Hurra zu begrüßen. Aber die schönen Zeiten gingen schnell vorüber. Kanton, Bombay und Kalkutta waren bald von unverkäuflichen Waren überfüllt, und das Kapital, das nach jener Seite keinen Ausweg mehr fand, suchte zur Veränderung wieder einmal Beschäftigung im Inlande, indem es sich auf den Eisenbahnbau warf und dadurch der Spekulation ein Feld eröffnete, auf dem sie sich bald bis zum Unerhörten herumtummeln konnte. Nach einer mäßigen Berechnung darf man die Gesamtsumme der Unternehmungen auf 600 Millionen anschlagen, und man würde vielleicht noch weiter gegangen sein, wenn nicht das Mißraten der Kartoffelernte in England, in Irland und auf manchen Strecken des Kontinents, ferner der hohe Preis der Baumwolle und der durch beides verringerte Absatz an Manufakturartikeln, sowie schließlich die übertriebene Eisenbahnspekulation selbst die Bank von England veranlaßt hätte, am 16.0kt[ober] 1845 den Diskonto um ein halb Prozent zu erhöhen. Bei der abergläubischen Furcht, die der Brite vor der Allgewalt seiner Bank hat, brachte diese geringfügige Erhöhung des Diskontos, oder mit andern Worten, dieses Mißtrauen der Bankdirektoren, sofort eine Reaktion der bis
herigen Tätigkeit mit sich, so daß eine allgemeine Mutlosigkeit eintrat und eine Einschränkung des Kredits und zahlreiche Falliten der scheinbaren Prosperität auf dem Fuße folgten. Eine jener großen Handelskrisen, wie die von 1825 und 1836, würde sich daher sofort entwickelt haben, wenn nicht die bald darauf erfolgende Abschaffung der Korngesetze[312] dem sinkenden Vertrauen plötzlich unter die Arme gegriffen und den Unternehmungsgeist aufs neue emporgestachelt hätte. Die Handelswelt versprach sich nämlich zu viel von den augenblicklichen Folgen der großen Maßregel, als daß es ihr nicht leicht geworden wäre, die kaum hereingebrochene Misere darüber zu vergessen. Die Beilegung des Oregonstreites[313], welche eine Fortsetzung des bisher im höchsten Grade blühenden amerikanischen Geschäftes verhieß, und die britischen Siege im Punjab[314], welche die Ruhe Hindostans sicherten, taten natürlich das ihrige, um die Courage wieder zu heben, und wenn man auch der Mißernte von 1845 eine ähnliche im Jahre 1846 folgen sah, wenn man auch allerorts noch an den Vorräten vergangener Zeiten laborierte und das Geld für den Geschäftsbetrieb mit 12 bis 15 Prozent bezahlen mußte, so setzte man doch nichtsdestoweniger alle Spinnereien von Lancashire und Yorkshire in so unaufhaltsame Bewegung, als seien Mißernten, Eisenbahnspekulationen und überfüllte Märkte jetzt plötzlich reine Kleinigkeiten, über die man sich im Nu hinwegsetzen könne. Die ganze Herrlichkeit sollte indes nicht lange mehr dauern, denn während noch im September 1847 der Dr. Bowring auf dem Brüsseler FreihandelsKongreß die wunderbaren Folgen der Abschaffung der Korngesetze in so hochkomischem Pathos auseinandersetzte1, bemerkte man in London schon, daß auch „die allmächtige Maßregel Sir Robert Peels" nicht mehr imstande sei, das Land vor der lang gefürchteten Katastrophe zu retten. Man mußte den Nacken beugen und die Londoner Häuser, die, wie Re[a]d Irving et Comp., fast für eine Million Pfund Sterling Grundbesitz auf Mauritius hätten, eröffneten bei dem zerrütteten Zustande jenes Teils der englischen Kolonien den Reigen der Falliten und stürzten, indem sie rechts und links mehrere kleinere ost- und westindische Häuser mit sich zu Boden rissen. Die Matadore der Fabrikdistrikte sahen zu gleicher Zeit ein, daß sie sich in den Folgen der Abschaffung der Korngesetze geirrt hatten. Das Geschäft stockte nach allen Teilen der Welt und Schrecken verbreitete sich in demselben Moment durch die City von London, wie auf den Börsen von Liverpool, Manchester, Leeds usw.
Die durch allerlei Ereignisse aufgehaltene Krise des Oktober 1845 kam daher endlich im September 1847 zum Ausbruch. Das Vertrauen war zu Ende. Der Mut war aus. Die Bank von England ließ die Banken im Innern des Landes fallen; die Banken des Inlands entzogen Händlern und Fabrikanten den Kredit. Bankiers und Exporteure schränkten ihr Geschäft mit dem Kontinente ein, und der Händler des Kontinents drückte wieder den ihm tributären Fabrikanten; der Fabrikant erholte sich natürlich am Grossist und der Grossist fiel zurück auf den Boutiquier1. Einer schlug den andern und die Not der Handelskrise durchzuckte nach und nach die Welt von den Riesen der Londoner City bis herab zu dem letzten deutschen Krämer. Dies war vor dem 24.Februar 1848! England hatte die schlimmsten Tage in den vier letzten Monaten von 1847 gesehen. Mit den Eisenbahnspekulanten war tabula rasa2 gemacht; im Kolonialwarenhandel fallierten vom 10.Aug[ust] bis zum 15.0kt[ober] 20 der ersten Londoner Häuser mit einer Masse von 5 Millionen und etwa 50 Prozent Dividende, und in den Fabrikdistrikten erreichte die Not ihren Gipfel, als in Manchester am 15.Nov[ember] von 175 Spinnereien nur 78 die volle Zeit beschäftigt waren und 11 000 Arbeiter auf den Straßen standen. So schloß das Jahr 1847. Dem Kontinent war es vorbehalten, im Laufe des Jahres 1848 die Nachwehen dieser englischen Krise zu spüren - Nachwehen, die natürlich diesmal um so empfindlicher waren, als die politischen Umwälzungen eben nicht dazu beitrugen, die Konsequenzen der englischen Extravaganz wiedergutzumachen. Wir kommen jetzt zu dem interessantesten Punkt in der neuern Handelsgeschichte, zu dem Einfluß nämlich, den die Revolutionen auf den Kommerz hatten. Die Ausfuhrlisten des englischen Handels liefern uns hierfür die besten Illustrationen, denn der Inhalt dieser Listen ist, bei der dominierenden Stellung, welche England im Welthandel einnimmt, weiter nichts, als der in Zahlen ausgedrückte politisch-kommerzielle Zustand oder besser: die in Zahlen ausgedrückte Zahlungsfähigkeit der verschiedenen Nationen. Wenn wir daher den Export im April 1848 um 1467117 Pfd. Sterl. und im Mai um 1 122 009 Pfd. Sterl. fallen sehen und die Totalsumme des Exports von 1847 51005 798 Pfd. Sterl. und im Jahre 1848 nur 46 407 939 Pfd. Sterl. beträgt, so möchte man daraus allerdings sehr zum Nachteil der Revolutionen schließen und könnte um so leichter auf diesen Gedanken kommen, als sich die Ausfuhr im Januar und Februar 1848, also unmittelbar vor dem Ausbruch
der Revolution, wirklich um 294 763 Pfd. Sterl. günstiger stellte als in 1847. Nichtsdestoweniger würde diese Ansicht durchaus irrig sein; denn erstens läßt sich der gestiegene Export des Januar und des Februar, gerade der zwei Monate, die zwischen dem Höhepunkt der Krise und der Revolution liegen, leicht daraus erklären, daß die Amerikaner als Gegensatz für ihre enormen Kornsendungen nach England damals mehr britische Manufakturwaren bezogen als je vorher und auf diese Weise den sonst wohl entstandenen Ausfall wenigstens momentan deckten. Außerdem finden wir aber in der englischen Handelsgeschichte die schlagendsten Beweise dafür, daß der Export sich nicht unmittelbar nach der Krise, sondern erst dann verringert, wenn die Krise Zeit gehabt hat, sich auch über den Kontinent zu verbreiten. Der gestiegene Export der zwei ersten Monate des Jahres 1848 darf uns daher keineswegs irremachen, und ruhig können wir uns dem Totalausfall des ganzen Jahres zuwenden. Dieser betrug, wie wir bereits bemerkten, im Vergleich mit 1847 4 597 859 Pfd. Sterl. -, eine allerdings bedeutende Verminderung, die in den Händen der Reaktionäre, welche sich in der Politik wie kläffende Hunde und im Handel wie alte Weiber gebärden, zu einem Argumente gegen die Revolution geworden ist, von dem man allen Uneingeweihten gegenüber nur gar zu wirksam Gebrauch macht. Nichts ist indes leichter, als die trügerischen Aufstellungen jener Partei über den Haufen zu werfen, denn man braucht nur die Listen des Exports seit den letzten 30 Jahren nachzuschlagen, um darzutun, daß die aus den vereinigten Einflüssen einer Handelskrise und einer Revolution entsprungene Verminderung der Ausfuhr von 1848 in gar keinem Verhältnis zu den Exportausfällen früherer Jahre steht. Nach der Handelskrise von 1825, wo dieSumme der Ausfuhr 38 870 851 Pfd. Sterl. betrug, fiel der Export im Jahre 1826 auf 31536 724 Pfd. Sterl. Er verringerte sich also um 7 334 127 Pfd. Sterl. Nach der Krise von 1836, wo man für 53 368 572 Pfd. Sterl. exportierte, sank die Ausfuhr im Jahre 1837 auf 42 070 744 Pfd. Sterl. Sie war also um 11297 828 Pfd. Sterl. kleiner. Nichts kann schlagender sein als dies! Nach zwei Handelskrisen, die freilich ausschließlicher aus der Uberproduktion von Manufakturwaren hervorgingen, die aber ihrem Umfange nach gar nicht mit der letztverflossenen zu vergleichen sind, verringerte sich also der Export um das Doppelte des Ausfalls von 1848, eines Jahres, dem eine Überfüllung der asiatischen Märkte, dem zwei schlechte Ernten, dem eine Spekulation vorherging, wie sie noch nie die Welt gesehen hat, und das
mit seinen Revolutionen das alte Europa erschütterte bis in den letzten Winkel! Wahrlich, das Jahr 1848 ist noch ein sehr gnädiges für den Handel gewesen ! Die Revolutionen haben dazu beigetragen, daß hin und wieder der Verkehr stockte, daß der Verkauf schwierig und gefährlich war und daß mancher unter der Last seiner Verbindlichkeiten zusammenbrach - aber man würde im Laufe des vergangenen Jahres unter Louis-Philippe dieselben Schwierigkeiten angetroffen haben, in Paris lumpige 20000 oder 30000 frs. zu diskontieren, als unter der Republik; wir würden in Süddeutschland, am Rhein, in Hamburg und in Berlin ebensogut ohne als mit Revolutionen unsere Falliten gehabt haben; und das italienische Geschäft würde gerade sowohl unter Pius gedrückt gewesen sein, als unter den Helden von Mailand, Rom und Palermo. Lächerlich ist es daher auch, wenn man das Wiederaufblühen des Handels dem augenblicklichen Siege der Kontrerevolution zuschreibt. Die Franzosen bezahlen nicht deswegen auf den Londoner Wollauktionen die Wolle 25 Proz. höher, weil wieder einige Minister Louis-Philippes am Ruder sind - nein, sie müssen deswegen mehr bezahlen, weil sie der, Wolle bedürfen, und sie bedürfen derselben mehr, ihre Nachfrage wächst, eben weil sie in den letzten Jahren unter Louis-Philippe sehr gefallen war. Diese Bewegung der Nachfrage zeigt sich in der ganzen Handelsgeschichte. Und die Engländer arbeiten nicht deswegen aufs neue den ganzen Tag in allen Bergwerken, in allen Schmieden, in allen Spinnereien, in all ihren Häfen, weil ein Fürst Windischgrätz die Wiener standrechtlich erschießen läßt nein, sie arbeiten deswegen, weil die Märkte von Kanton, von New York und von St.Petersburg mit Fabrikaten versehen sein wollen, weil Kalifornien einen neuen, der Spekulation unerschöpflich scheinenden Markt eröffnet, weil den schlechten Ernten von 1845 und 1846 zwei gute Ernten in 1847 und 1848 folgten, weil sie die Eisenbahnspekulationen an den Nagel hingen, weil das Geld wieder in seine regulären Kanäle zurückkehrte, und arbeiten werden sie bis zu einer neuen - Handelskrise. Vor allen Dingen dürfen wir nicht vergessen, daß es keineswegs die monarchischen Länder waren, welche der englischen Industrie in den letzten Jahren die Hauptbeschäftigung gaben. Das Land, welches fast ununterbrochen mit den kolossalsten Aufträgen auf englische Artikel herankam und welches auch in diesem Augenblick die Märkte von Manchester, von Leeds, von Halifax, von Nottingham, von Rochdale und aller jener großen Stapelplätze der modernen Industrie durch seine Bestellungen zu räumen und die Meere mit seinen Schiffen zu beleben weiß -, es ist ein republikanisches Land, es sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Und diese Staaten
blühen gerade jetzt am meisten, wo alle monarchischen Staaten der Welt zusammenkrachen. Wenn aber einige deutsche Industriezweige in letzter Zeit sich einigermaßen hoben, so verdanken sie dies nur der englischen prosperity Periode1. Aus der ganzen Handelsgeschichte könnten die Deutschen wissen, wie sie keine eigene Handelsgeschichte besitzen, wie sie die englischen Krisen ausbaden müssen, während ihnen in den englischen Uberproduktionsperioden ein paar Prozentenspäne zufallen. Ihren christlich-germanischen Regierungen aber verdanken sie nichts als beschleunigten Bankerutt.
Der Eid der englischen Soldaten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 241 vom 9. März 1849] * Köln, 7.März. Die „Neue Preußische] Z[ei]t[un]g"[3] teilt mit großem Triumph den Diensteid des englischen Militärs mit und freut sich über die Maßen der Entdeckung, daß der englische Soldat nur der Königin, nicht aber der Verfassung Treue schwört. Und wir in Preußen, in dem jüngsten konstitutionellen Staat, wir sollten, gegen den Vorgang des ältesten konstitutionellen Landes, die Soldaten auf die Verfassung schwören lassen? Die ,,N[eue] Prfeußische] Z[eitung]" vergißt aber ihren Lesern mitzuteilen, wie der englische Soldat gegenüber den bürgerlichen Gesetzen gestellt ist. Daß der britische Soldat in allen Vergehen, die nicht bloße Disziplinarvergehen sind, vor die gewöhnlichen Gerichte, die Friedensgerichte, Petty Sessions, Quarter Sessions13151 oder Assisen gestellt wird, daß er in allen Kollisionen mit den übrigen Staatsbürgern als bloßer Staatsbürger behandelt wird, versteht sich von selbst. Das ist aber noch nicht alles. In England ist jeder Staatsbürger, sei er Beamter, Soldat oder was immer, den Gesetzen für jede seiner Handlungen verantwortlich und kann sich nicht darauf berufen, daß die betreffende Handlung ihm von seinen Vorgesetzten befohlen sei. Z.B. es findet eine Erneute statt. Das Militär rückt an. Die gesetzlichen Aufforderungen zum Auseinandergehen erfolgen oder erfolgen nicht. Das Volk geht nicht auseinander. Der Zivilbeamte (stets ein Friedensrichter oder städtischer gewählter Beamter) gibt die Genehmigung zum Einschreiten oder gibt sie auch nicht. Das Militär feuert, es bleiben Tote. Diese Leichen werden einer Totenschau-Jury vorgelegt, vor der der Tatbestand festgestellt wird. Findet die Jury, daß das Einschreiten durch die Umstände nicht gerechtfertigt war, so gibt sie ein Verdikt auf vorbedachten Mord ab gegen sämtliche Teilnehmer, so auch gegen den Zivil
beamten, der das Einschreiten genehmigt, gegen den Offizier, der das Feuer kommandiert, und gegen sämtliche Soldaten, die wirklich gefeuert haben. Hat der Zivilbeamte das Einschreiten nicht genehmigt, so hat das keine weitere Folge, als daß er nicht im Verdikt figuriert. Für Offiziere und Soldaten bleibt die Sache ganz dieselbe. Dies Verdikt auf vorbedachten Mord bildet nun einen förmlichen Anklageakt, auf Grund dessen das Kriminalverfahren vor den ordentlichen Geschwornen eingeleitet wird. Der englische Soldat wird also vom Gesetz keineswegs als eine willenlose Maschine angesehen, der dem ihm gewordenen Kommando gehorchen muß ohne zu räsonieren, sondern als ein „free agent", ein Mann mit freiem Willen, der in jedem Augenblick wissen muß, was er tut und für jede seiner Handlungen verantwortlich ist. Die englischen Richter würden einem angeklagten Soldaten schöne Dinge antworten, wenn er zu seiner Verteidigung sagte, das Feuern sei kommandiert worden und er habe „Ordre parieren" müssen! In Preußen ist das alles anders. In Preußen erklärt der Soldat, das Feuern sei ihm von seinem direkten Vorgesetzten kommandiert worden, und er ist von aller Strafe frei. In Preußen und desgleichen in Frankreich ist überhaupt dem Beamten für jede Gesetzübertretung vollkommene Straflosigkeit zugesichert, sobald er nachweist, daß der Befehl dazu ihm von seinem ordentlichen Vorgesetzten im ordentlichen hierarchischen Wege zugekommen ist. Daß wir nicht der Ansicht sind, eine kurze Eidformel könne einen Menschen zu einem andern Menschen, einen schwarzweißen Gardelieutenant zu einem Schwärmer für die „konstitutionelle Freiheit" machen, wird uns die ,,N[eue] Prfeußische] Zjeitung]" wohl aufs Wort glauben. Die Herren mit Gott für König und Vaterland haben selbst an ihrer eigenen löblichen Sippschaft in den letzten zwölf Monaten die angenehmsten Erfahrungen darüber gemacht, was Eide zu bedeuten haben. Wir haben auch gar nichts dagegen, daß die „Njeue] Pr[eußische] Zjeitung]" das Militär dem Könige, dem Dalai-Lama oder dem Mann im Monde Treue schwören läßt, sobald nur „Mein herrliches Kriegsheer "[196] in der dargestellten Weise den Gesetzen gegenüber ganz so gestellt wird, wie das Militär in England.
Der Märzverein
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.243 vom 11.März 1849] * Köln, 10.März. Der Frankfurter s[o]g[enannte] „Märzverein"C3161 der Frankfurter sg. „Reichsversammlung" hat die Unverschämtheit, uns folgenden lithographierten Brief zuzusenden:
„Der Märzverein hat beschlossen, daß eine Liste sämtlicher Blätter, welche uns ihre Spalten geöffnet haben, aufgestellt und allen Vereinen, mit welchen wir in Verbindung stehen, mitgeteilt werde, damit durch die gedachten Vereine dahin gewirkt werde, daß die bezeichneten Blätter vorzugsweise mit etwa einschlägigen Anzeigen bedacht würden. Indem wir Ihnen die aufgestellte Liste andurch mitteilen, glauben wir nicht nötig zu haben, Sie auf die Wichtigkeit der bezahlten Annoncen eines Blattes, als Nahrungsquelle für das ganze Unternehmen aufmerksam zu machen. Ferner hat der Zentral-Märzverein beschlossen, den Vereinen das .Teutsche Volksblatt', eine demokratisch-konstitutionelle Zeitschrift, redigiert von Herrn Dr. Eisenmann, erscheinend in Würzburg, zur gefälligen Unterstützung zu empfehlen, indem dasselbe der Konkurrenz antidemokratischer Blätter zu erliegen droht, da der Herr Redakteur den bereits gebrachten Opfern neue hinzuzufügen sich außerstande erklärt.
Frankfurt, Ende Februar 1849
Der Vorstand des Zentral-Märzvereins"
Auf der beigefügten Liste dieser Blätter, welche „dem Märzverein ihre Spalten geöffnet haben" und von den Anhängern des „Märzvereins" vorzugsweise mit „einschlägigen Anzeigen" bedacht werden sollen, befindet sich, überdies noch mit einem ehrenden Stern versehen, auch die „Neue Rheinische Zeitung". Wir erklären hiermit den linkischen und äußersten linkischen Mitgliedern13171 dieses sg. „Märzvereins" der ci-devant1 „Reichsversammlung", daß
die „Neue Rheinische Zeitung" sich nie zum Organ einer parlamentarischen Partei, am allerwenigsten einer Partei des Frankfurter komischen Reichsklubs hergegeben hat, daß dem sg. „Märzverein" dieses Klubs niemals die Spalten unsrer Zeitung geöffnet worden sind, wie die „Neue Rheinische Zeitung" überhaupt gar keinen „Märzverein" kennt. Wenn der „Märzverein" daher in seinem lithographierten Bericht den wirklich spaltengeöffneten Blättern unsere Zeitung als eins seiner Organe bezeichnet, so ist dies eine simple Verleumdung der „Neuen Rheinischen Zeitung" und abgeschmackte Renommage des „Märzvereins". Die patriotischen Biedermänner des „Märzvereins" werden dies ohne Zweifel mit ihrem „Gewissen" zu vereinbaren wissen. Die Berufung des „Märzvereins" auf unsere Zeitung wird indes noch biederber durch den „Beschluß" des Vereins, die „demokratisch-konstitutionelle" Zeitschrift (teutsche Zeitschrift: „Teutsches Volksblatt") des „Dr. Eisenmann" zu empfehlen. Wen sollte nicht das traurige Los des großen „teutschen" Ur-Dulders Eisenmann rühren? Welcher Biedermann empfindet nicht den Schlag, daß der „Dr." Eisenmann, welcher seine Gefängniserinnerungen für 12 000 Gulden an den „demokratisch-konstitutionellen" König von Bayern verkaufte, keine „neuen Opfer" mehr bringen kann, sondern der buchhändlerischen „Konkurrenz" der gewöhnlichen, nicht oktroyierten AntiMärzvereins-Blätter zu erliegen droht? Wir überlassen es der Berechnung der Patrioten, zu untersuchen, in welche tiefe Vernachlässigung das „Teutsche Volksblatt" geraten sein muß, wenn der 12000-Gulden-Dulder und FünfTaler-Vertreter Eisenmann an die öffentliche „Unterstützung" appellieren muß. Jedenfalls muß es weit, sehr weit mit den „demokratisch-konstitutionellen" Eisenmännern gekommen sein, wenn sie einen Bettelbrief von der „Neuen Rheinischen Zeitung" fingieren, derjenigen Zeitung, die allein in Deutschland die „schamlosen, schäbigen Bettler" des Patriotismus und der Reichs-Bettel-Versammlungen verfolgt hat. Auf die schmutzige Bemerkung des profitwütigen konkurrenzgehetzten Patrioten über die „Wichtigkeit der bezahlten Annoncen einer Zeitung als Nahrungsquelle des ganzen Unternehmens" haben wir natürlich keine Antwort. Die „Neue Rheinische Zeitung" hat sich wie überhaupt auch darin stets von den Patrioten unterschieden, daß sie die politischen Bewegungen nie als einen Industrieritterzweig oder eine Nahrungsquelle betrachtet hat.
Wien und Frankfurt
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 244 vom 13. März 1849] * Köln, 12.März. Am 15. d. Mts. wollte der Reichstag in Kremsier an die Beratung des von der Kommission vollendeten Konstitutionsentwurfs gehen. Damit war für die k.k. Standrechtsbestien der Augenblick gekommen, die längst fertig liegende Verfassung „von Gottes Gnaden" dem Reichstage entgegenzuschleudern und der ganzen bisher geduldeten Kremsierer Volks Vertretungskomödie ein Ende zu machen.[318] Der ganze Oktroyierungskniff wurde bereits im Sommer vorigen Jahres zwischen den gesalbten und ungesalbten Kontrerevolutionärs in SchönbrunnWien, Potsdam-Berlin, London (wo Metternich als Kreuzspinne der Heiligen Allianz im Mittelpunkt des um die zur Freiheit aufstehenden Völker langsam gesponnenen Netzes sitzt), Paris ins reine gebracht. Daß ihn der Potsdamer König zuerst ins Werk setzte, hing lediglich von den Umständen in Preußen ab, welche solchen Schritt früher als in Ostreich zuließen. Im November schleuderte das offizielle Ostreich den Paulskirchnern das blutige Haupt Robert Blums vor die Füße. Das saubere ReichskommissarienZwillingspaar, Welcker-Mosle, war einige Tage zuvor von der Windischgrätzigen Antichambre und der Abfütterung in Olmütz mit so viel Schmach bedeckt zurückgekommen, daß sich jeder andere, außer Ehren-WelckerMosle, lieber einige Kugeln durch den Hirnkasten gejagt, als noch irgendeinem Menschen auf Erden ins Auge zu schauen gewagt hätte. Statt dessen rühmte sich dieses diplomatische Bruderpaar noch seiner Kreuz- und Querfahrten1. Die Majorität der Nationalversammlung war „satxsfait", war befriedigt, gleich wie die französische Kammer unter Louis-Philippe auch bei den
größten Niederträchtigkeiten, bei den schlagendsten Beweisen der Korruption, sich für satisfait, für befriedigt, erklärte. Mochte den Paulskirchnern immerhin das Blut des gemordeten Robert Blum ins Gesicht spritzen. Es rötete sich zwar ihre Wange, aber nicht vor Scham oder Wut und tiefstem Zornausbruch, sondern mit der Farbe des Behagens und der Befriedigung. Freilich wurden neue Reichskommissarien nach Ostreich gesandt. Das von ihnen erzielte Resultat war aber lediglich eine Verdoppelung des Hohns, der von jener Seite schon zuvor auf die sogenannten Nationalversammelten und das von ihnen verratene Deutschland gehäuft worden war. „Mocht nix, 's is olles Aans!" war und blieb der Wahlspruch auch jener Herren. Man erinnere sich, daß kurz vor den Gewaltstreichen der preußischen Regierung Basser mann, Simson und natürlich der „edle" Herr Gagern etc. als Reichskommissarien in Berlin waren. Und wiederum haben wir Reichskommissarien in Ostreich, in Olmütz1290 während hier, wie in Berlin, der Reichstag auseinandergejagt und dem Volk eine Verfassung „von Gottes Gnaden" mittelst Kroatentll2], Sereschanern[81J, Hukulern[319] etc. oktroyiert wird. Noch überall, wo die Volksfreiheit totgeschlagen werden sollte, zeigen sich gleich vorauswitternden Aasgeiern Kommissarien der sogenannten Zentralgewalt. Ihr Geruchsorgan hat sich stets bewährt. Jetzt dürfte endlich der Frankfurter Froschteicht69] innewerden, daß die Reihe nun bald an ihn kommt. Seine Sünden werden an ihm selber heimgesucht werden. Auf der am Orte seines heillosen Wirkens zu errichtenden Denktafel wird der Wanderer lesen: „Durch eigene Schuld, durch Feigheit, Professoren-Blödsinn und chronisch gewordene Erbärmlichkeit, teils unter rachekühlendem Hohnlachen, teils unter völliger Teilnahmlosigkeit des Volks, zugrunde gegangen." Ein Teil jener armseligen Schächer wagt es indes noch gegenwärtig, sich mit den aus der Fabrik zu Frankfurt hervorgegangenen „ Grundrechten "[320] zu brüsten und sich darauf, wie auf eine Großtat, etwas einzubilden. Mit „Grundrechten" schlugen sie sich wie die Scholastiker des Mittelalters waschweiberredselig herum, während die „Grundgewalt" der Heiligen Allianz und ihrer Spießgesellen sich immer enormer organisierte und immer lauter und lauter über das grundrechtliche Professoren- und Philistergeschwätz hohnlächelte. Jene befestigten ihre „Grundrechte" auf einem Wisch Papier; diese, die Herren der Kontrerevolution, schrieben ihre „Grundgewalt" auf scharfgeschliffne Schwerter, Kanonen und slawische Rotmäntel[81].
22 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Sobald das deutsche Volk in irgendeinem Teil der germanischen Vaterländer von seinem Urgrundrechte, dem der Empörung wider feudale oder spießbürgerlich-konstitutionelle Tyrannei, Gebrauch machte oder machen zu wollen schien, da sandte Frankfurt eiligst „Reichstruppen" ab, um das Volk durch Einquartierung, Plünderung, Massakres und Militärexzesse aller Art zu züchtigen und mürbe zu machen und die Werkzeuge der Kontrerevolution gut imstande zu erhalten, das heißt, auf Kosten des Volks und seiner „Grundrechte" gehörig auszufüttern und zu weitern Heldentaten zu kräftigen. In solchen Fällen besaßen die Frankfurter Herren jedesmal die nötige Gewalt, denn sie erhielten sie leihweise aus den Reihen der oben berührten „Grundgewalt" unserer gnädigen Landesväter. Somit ist's kein Wunder, daß der Frankfurter Froschteich gegen die gesalbten Herren, wann immer sie ihre „Grundrechte" proklamieren, ohnmächtig schweigen, machtlos zusehen muß, selbst wenn die Grundrechte der Herren „von Gottes Gnaden" direkt wider ihn gerichtet sind. Er wird und muß daher auch ruhig zusehen, daß jetzt der östreichische Tamerlan1 seinen geliebten „Untertanen", unter denen eine erkleckliche Zahl Deutscher, von Gottes und der Sophie Gnaden 13 Grundrechte und mit diesem Coup zugleich den Frankfurter Heroen abermals eine derbe Maulschelle oktroyiert hat. Und das von Rechts wegen!
[Drei neue Gesetzentwürfe]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 244 vom 13. März 1849, Außerordentliche Beilage] * Köln, 12. März. Das preußische Königtum hält es endlich an der Zeit, seine volle Glorie zu entwickeln. Die „ungeschwächte" Krone13211 von Gottes Gnaden oktroyiert uns heute drei neue Gesetzentwürfe über die Klubs und Versammlungen, über die Plakate und über die Presse^3221, in denen die Kammern aufgefordert werden, uns eine geschlossene Phalanx der liebenswürdigsten Septembergesetze11731 aufzuladen. Wir geben morgen den Text der Entwürfe nebst den Motiven, soweit sie uns zugekommen. Wir werden — mehr als einmal — auf diese prachtvollen preußischen Produkte zurückkommen.1 Für heute nur ein kurzes Resume! I. Klubgesetz. „Alle Versammlungen müssen 24 Stunden vorher angezeigt werden." Rasch berufene Versammlungen bei plötzlich eintretenden wichtigen Ereignissen sind damit unterdrückt - und diese Versammlungen sind ja gerade die allerwichtigsten. Jedermann muß der Zutritt gestattet werden, also ist es verboten, ein Eintrittsgeld für die Kosten der Versammlung zu erheben. Bei Versammlungen von Vereinen muß der vierte Teil des Raums den NichtVereinsangehörigen überlassen werden, damit die Vereine gezwungen werden, sich größere und kostspieligere Lokale anzuschaffen, und damit bezahlte Polizeiagenten durch Lärmen, Toben und Poltern jede Beratung stören, jede Versammlung unmöglich machen können. Und wenn das alles noch nicht fruchten sollte, so steht es ja den „Abgeordneten der Polizeibehörde" frei, jede Versammlung unter dem ersten besten Vorwande in derselben Weise „sofort aufzulösen", wie die höchste Spitze der „Polizeibehörde", Se.Majestät unser Allergnädigster König, die Vereinbarungsversammlung „sofort aufgelöst" hat.
1 Siehe vorl. Band, S. 346-350, 364-371, 427-430 und 434-443
Und sobald die Polizei die Versammlung für aufgelöst erklärt, muß sich jeder entfernen, wenn es ihm nicht gehen soll wie den Berliner Vereinbarungsrittern, d.h. wenn er nicht durch Bajonette aus dem Saal entfernt werden will. Die Klubs haben zwar keine „vorgängige Genehmigung" nötig, haben dafür aber eine solche Menge vorgängiger Anzeigen und Formalitäten bei der Ortsbehörde zu erfüllen, daß sie schon deswegen halb unmöglich gemacht sind. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge etc. etc. dagegen bedürfen allerdings der vorgängigen Genehmigung der Polizei. Und damit den roten Bändern, Kokarden und Mützen ein Ende gemacht werde, wird dagegen noch schließlich eine Erneuerung der alten Hetzjagds-Verordnungen gegen schwarzrotgoldene Abzeichen oktroyiert. Das ist das „Vereins- und Versammlungsrecht", das uns der wahrheitsliebende und worthaltende Hohenzoller vor einem Jahre mit bebenden Lippen garantierte! II.Plakatgesetz[S23]. Alle Plakate politischen Inhalts, mit Ausnahme der Einladungen zu gesetzlichen, erlaubten Versammlungen (alle Versammlungen sind also wieder bloß gnädigst „erlaubte"/), sind verboten. Die Ausschüsse der Klubs dürfen in bewegten Zeiten also nicht einmal durch Plakate das Volk zur Ruhe auffordern, damit der heldenmütigen Soldateska ja nicht ein einziges Opfer entgehe! Ferner: Das Verkaufen oder Verteilen von Druckschriften auf öffentlicher Straße wird ebenfalls verboten, es sei denn, man besitze eine jederzeit widerruf bare Konzession! Mit andern Worten: Das preußische Königtum sucht uns mit einer verbesserten Auflage des Gesetzes über die crieurs publics[3243 zu beglücken, das in Frankreich unter der schlimmsten Zeit des louis-philippistischen Bourgeois-Despotismus dem Schrecken der Kammern abgenötigt wurde. Und die Motive zu diesem Gesetz? Weil durch die Plakate und die Kolporteurs die Passage in den Straßen versperrt und durch Plakate gar manches öffentliche Gebäude verunziert wird! III. Preßgesetz. Alles das ist aber noch gar nichts gegen die anmutigen Vorschläge, mit denen man der Presse einen Knebel anzulegen gedenkt. Man weiß, die hohenzollersche Volksbeglückung bestand seit 1830 überhaupt bloß darin, den preußischen väterlichen Patriarchalismus durch die Verkoppelung mit der louis-philippistischen modern-raffinierten Knechtschaft zu veredeln. Man behielt die Prügel bei und fügte den Bagno hinzu; man ließ die Zensur bestehen und beglückte uns zugleich mit der Blüte der Septembergesetzgebung; man ließ uns, mit einem Wort, zu gleicher Zeit die Vorteile der feudalistischen Knechtung, der bürokratischen Polizeiwirtschaft und der modern
bürgerlichen gesetzlichen Brutalität zugute kommen. Das nannte man „den weltbekannten Freisinn Friedrich Wilhelms IV.". Das neue hohenzollersche Preßgesetz-Projekt, nach einer langen Reihe erschwerender Formbestimmungen, beglückt uns mit einer unübertrefflichen Verschmelzung 1. des Code Napoleon12271, 2. der französischen Septembergesetze, 3. und hauptsächlich des löblichen preußischen Landrechts[U9]. § 9 vertritt den Code: In den Provinzen, wo das Landrecht besteht, wurde bisher der Versuch, die Aufforderung zu einem Verbrechen weniger streng bestraft, selbst wenn sie von Erfolg begleitet war, als das Verbrechen selbst. Für diese Landesteile wird nun die Bestimmung des Code eingeführt, daß die von Erfolg begleitete Aufforderung zum Verbrechen dem Verbrechen selbst gleichgeachtet wird. § 10. die französische Septembergesetzgebung: Wer die im Eigentum oder der Familie beruhenden Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft angreift oder die Bürger zum Haß oder zur Verachtung gegeneinander aufreizt, hat Gefängnis bis zu zwei Jahren verwirkt. Vgl. Loi du 9.Sept. 1835[325], Art. 8: „Toute attaque contre la propriete... toute provocation ä la baine entre les diverses classes de la societe, sera punie" etc.1 Nur daß die preußische Ubersetzung: die Bürger im allgemeinen zum Haß etc. gegeneinander anreizen, noch zehnmal unbezahlbarer ist. Alle folgenden Paragraphen des Entwurfes sind bloß verfertigt, um die Rheinprovinz wieder mit denselben landrechtlichen Herrlichkeiten zu beglücken, die man uns bald nach dem 18.März entzog, nachdem wir sie 33 Jahre lang in vollstem Maße genossen/3261 Man will uns unter andern folgende, unsrer eigenen rheinischen Gesetzgebung gänzlich unbekannte neue Verbrechen oktroyieren: 1. Begründung von Haß und Verachtung gegen die Einrichtungen des Staats oder die Staatsregierung mittelst tatsächlicher Unwahrheiten oder juristisch unbeweisbarer Tatsachen. 2. „Auslassung" über eine gesetzlich bestehende Religionsgesellschaft (nach der oktroyierten Verfassung sind ja selbst die Türken und Heiden gesetzlich bestehende Religionsgesellschaften!) in einer Weise, welche geeignet (!) ist, Haß und Verachtung gegen dieselbe zu verbreiten. Diese beiden neuen Verbrechen führen a) das altpreußische „Erregen Von Mißvergnügen" und b) den altpreußischen Begriff der Religionsbeleidigung bei uns ein und werden mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft.
1 Gesetz vom 9.Sept. 1835, Art.8: „Jeder Angriff gegen das Eigentum ... jede Aufreizung zum Haß zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft wird bestraft" etc.
3. Die Majestätsbeleidigung, und zwar als Verletzung der Ehrfurcht (!!) gegen a) den König (!) b) die Königin (!!) c) den Thronfolger (!!!) d) ein andres Mitglied des k. Hauses (!!!!) e) das Oberhaupt eines deutschen Staats (!!!!!), was mit Gefängnis von 1 Monat bis zu fünf Jahren bestraft wird! 4. Die erbauliche Bestimmung, daß die Behauptung selbst erweislich wahrer Tatsachen als Beleidigung zu bestrafen ist, wenn die Absicht einer Beleidi~ gung daraus hervorgeht! 5. Beleidigung 1) einer der beiden Kammern, 2) eines ihrer Mitglieder, 3) einer Behörde (der Code kennt keine Beleidigung von Korporationen als solchen); 4) eines Beamten oder Mitgliedes der bewaffneten Macht. Alles „in Beziehung auf ihren Beruf". Gefängnis bis zu 9 Monaten. 6. Beleidigung oder Verleumdung auf dem Privatwege. Der Code Napoleon kennt bloß öffentlich ausgestoßene oder verbreitete Beleidigungen oder Verleumdungen. Der neue Gesetzentwurf will dagegen alle in Privatgespräch, im eignen Hause, im Schoß der Familie, in Privatbriefen gemachten Äußerungen der Kontrolle der Polizei und des öffentlichen Ministeriums unterwerfen resp. für strafbar erklären, d.h. die niederträchtigste, allgemeinste Spionage organisieren. Der Militärdespotismus des allmächtigen französischen Kaisertums respektierte wenigstens die Freiheit des Privatgesprächs; er blieb — wenigstens in der Gesetzgebung - vor der Schwelle der Wohnung stehn. Die preußische väterlich-konstitutionelle Beaufsichtigung und Züchtigung erstreckt sich bis ins Innerste des Privathauses, bis in das geheimste, selbst von Barbaren für unantastbar gehaltene Asyl des Familienlebens. Und dasselbe Gesetz bestraft drei Artikel vorher alle Angriffe auf die Familie mit zwei Jahren Gefängnis! Das sind die neuen „Errungenschaften", die man uns gewährleisten will. Ergänzung der drei brutalsten Gesetzgebungen, eine durch die andre, um eine Spitze der Brutalität und Perfidie zu erreichen, die bisher unerhört war - das ist der Preis, um den die ungeschwächte Krone den Kammern die Aufhebung des Belagerungszustandes von Berlin verschachern will! Was man will, liegt auf der Hand. Der Preßgesetzentwurf wenigstens oktroyiert den alten Provinzen nicht so sehr viel Neues. Das Landrecht war schon schlimm genug. Der Hauptzorn der inkorporierten Gnade Gottes richtet
sich gegen uns Rheinländer. Man will uns dasselbe infame Landrecht wieder aufbürden, das wir kaum losgeworden sind und seit dessen Entfernung wir endlich einmal, solange wir ein Preußen gekettet sind, wieder etwas freier geatmet haben. Was die Krone von Gottes Gnaden will, das spricht sie klar aus in den Motiven zu dem anmutigen Aktenstück, durch den Mund ihres Knechts Manteuffel: Sie will die „Herstellung eines möglichst gleichförmigen Rechtszustandes" - d.h. die Verdrängung des verhaßten französischen Gesetzes und die allgemeine Einführung des schmachvollen Landrechts. Sie will ferner die „Lücke ausfüllen", welche „in dem größten Teil der Rheinprovinz" (hört ihr's!) durch Aufhebung „der auf die Majestätsbeleidigung bezüglichen Strafgesetze infolge der Verordnung vom 1 S.April 1848" entstanden ist! D.h., das neue Strafgesetz soll uns Rheinländern das Einzige nehmen, was wir noch von den Folgen der sogenannten Revolution von 1848 besitzen: die unverkümmerte Geltung unsres eignen Rechts. Wir sollen um jeden Preis Preußen werden, Preußen nach dem Herzen des Allergnädigsten, mit Landrecht, Adelsübermut, Beamtentyrannei, Säbelherrschaft, Stockprügel, Zensur und Ordre-Parieren. Diese Gesetzvorschläge sind nur der erste Anfang. Der Plan der Kontrerevolution liegt vor uns, und unsere Leser werden sich wundern über die Pläne, die man im Sinne hat. Wir zweifeln nicht, die Herren in Berlin werden sich abermals in den Rheinländern merkwürdig täuschen. Wir werden aber und abermals auf diese schmählichen Gesetzvorlagen zurückkommen, wegen dem allein die Minister in Anklagestand versetzt werden müssen. Das aber müssen wir schon heute sagen: Geht in der Kammer irgend etwas durch, was dieser Vorlage auch nur entfernt ähnlich sieht, so ist es Pflicht der rheinischen Abgeordneten, sofort aus der Kammer auszutreten, die durch solche Beschlüsse ihre Kommittenten in die patriarchalische Barbarei der altpreußischen Gesetzgebung zurückschleudern will.
Geschrieben von Karl Marx.
Regierungsprovokationen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 245 vom 14. März 1849] * Köln, 12.März. Die hohen gesalbten und ungesalbten Herren wollen sich für ihre Leiden im März 1848 durch verdoppelte Freuden im März 1849 rächen. Zu diesem Zweck werden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit an möglichst vielen Orten Deutschlands an den verschiedenen Märztagen der germanischen Vaterländer Krawalle zustande kommen und den Herren Kontrerevolutionärs neue Gelegenheiten zu Gewaltstreichen geboten werden. Seit Wochen wird deshalb in konstitutionellen und aristokratischen Zeitungen von ungeheuerlich vorbereiteten Märzaufständen, von abermaligen Einfällen republikanischer Freischarenzüge über die französische und Schweizer Grenze - in der Schweiz leben etwa 151l2, deutsche Republikaner - täglich gefaselt und jedesmal aus „sichern Quellen", „unverkennbaren Anzeichen", „authentischen Mitteilungen" den guten Spießbürgern heiße Alarmierungsluft in die Lungen geblasen. Die gottbegnadeten Schäker sitzen aber ruhig hinter dem Vorhang, freuen sich über die Wirkungen ihrer systematisch in der ganzen Sklavenpresse losgelassenen Knecht-Ruprechts-Annoncen und lächeln vornehm, wenn das blöde Philistervolk die berechneten Angstrufe au serieux1 nimmt. Baden, d.h. Bekk, mußte in dieser Beziehung den Reigen eröffnen. Alsbald trompetete die gedungene Journalistik die ganze Einfalls-, Putsch- und Einfalts-Litanei getreulich nach. Dann mußten Württemberg und Bayern zu ähnlichen Diensten herbeieilen. Das schachernde, verkäufliche und verkaufte, reichsbürgerlich aufgeblähte und nichtsnutzige Frankfurt durfte und wollte mit seinen „Tagesorganen" nicht zurückbleiben. Auch die Hessen, blinde und sehende, auch die verstüverten Hannoveraner13275, langwürstigen Braunschweiger und wie die gekreuzigten Passionsscharen der deutschen Reichs
Völker weiter heißen - sie alle mußten in das nämliche Horn blasen. Am besten trieb's Ehren-Wrangel-Manteuffel. Vierhundert falsche Pässe für deutsche Flüchtlinge in Besan^on waren ausgefertigt und außerdem nach allen Richtungen des schwarz-weißen Gebiets Verhaltungsbefehle und Emissäre ausgesandt, um in der Presse und durch mündliche Propaganda wegen näher rückenden republikanischen März-Insurrektionern allerlautestes Hallo zu schlagen. Eine Menge jener christlich-germanischen Organe hatte aber, über die ganz schlauen Anweisungen hinwegsehend, gleich anfangs allzu lauten Lärm geschlagen. Man verbesserte diesen Fehler durch noch mächtigeres Trommeln, durch noch schamlosere Lügen. Dieser Lärmschläger-Sippschaft hat sich denn auch natürlich Herr Hansemann in seinem neuen Organe[328 3 sofort und bereitwilligst angeschlossen. In der ersten Kammer scheinbar Oppositionsmann, macht er in seiner Zeitung diesen blendenden Schein wieder gut als treuer Knappgenosse der ManteuffelBrandenburg durch die absurdesten Nachrichten und Korrespondenzen über drohende Märzaufstände. Um nur ein Beispiel anzuführen. Er läßt sich aus Köln als Allerneuestes folgendes fabrizieren:
„Wir leben seit einigen Tagen - gewissermaßen — in einer vollständigen Anarchie. Will man sich die Mühe geben, durch die Straßen zu gehen, wird man finden, daß selbst am hellen Tage Haufen von Arbeitern halb bettelnd, halb plündernd umhergehen; namentlich sind die Schenken und die Tabaksläden vielfachen Angriffen ausgesetzt. Es ist bereits dahin gekommen, daß unser Rathaus seit mehreren Tagen mit zahlreichem Militär umstellt werden mußte. Am Abend ist vollends kein Mensch auf den Straßen sicher. Das Schlimmste dabei ist, daß die Stimmung der arbeitenden Klasse künstlich gereizt wird, damit am 18.März ein vollständiger Aufstand stattfinde." Hier in Köln reicht es hin, diesen Artikel abzudrucken, um seine ganze Perfidie und Lächerlichkeit bloßzulegen. Was man am hellen Tage und in verstärktem Grade bei Abend hier sehen konnte, waren unaufhörliche hirnspaltende Prügeleien der Truppen der verschiedenen Waffengattungen untereinander. Es scheint, daß man Interpellationen wegen „Meines herrlichen Kriegsheeres "[196 ] durch Verleumdungen der Arbeiter überschreien will. Die Regierungen rüsten sich offen zu Staatsstreichen, welche die Kontrerevolution vollenden sollen. Das Volk wäre also in vollem Rechte, sich zum Aufstand zu rüsten. Es begreift aber sehr wohl, daß die Verwicklungen in Frankreich und namentlich in Ungarn und Italien ihm in nächster Frist unfehlbar Gelegenheit zur Erhebung bereiten werden. Es läßt sich daher nicht in die plump angelegte Falle locken.
Der Hohenzollernsche Gesamtreformplan
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 246 vom 15. März 1849] * Köln, 14.März. „Die exzeptionellen Belagerungszustände werden aufgehoben werden, sobald der allgemeine Belagerungszustand durch Gesetze dem ganzen Königtum oktroyiert und in unsre konstitutionellen Sitten eingeführt ist. Der Reigen dieser „starken" Gesetze wird eröffnet werden durch Septembergesetzgebung über die Assoziationen und die Presse." Mit diesen Worten begleiteten wir die Veröffentlichung der Thronrede (Nr.234 der „N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g'11). Und worin besteht die erste parlamentarische Tat des Ministeriums? Es tritt vor die Kammern und spricht: „Wir setzen Euch aus Belagerungszustand, Ihr verhängt dagegen permanentes Standrecht über Versammlungen, Assoziationen, Presse." Wir dürfen keinen Augenblick verheimlichen, daß die parlamentarische Linke durch ihre bescheidene Aufführung dem Ministerium von vornherein es erleichtert hat, sich in die Offensive zu werfen. Wir werden en detail die famosen 3 Gesetzentwürfe13221 vergleichen mit den Septembergesetzen[173], mit dem vormärzlichen Kriminalgesetzentwurfe, mit dem preußischen Landrechte[149]. Zunächst aber teilen wir unsern Lesern den Gesamtplan der altpreußischen Reformatoren mit, worauf unser vorgestriges Extrablatt2 schon hinwies. An demselben Tage, wo die nicht offiziellen Berliner Blätter die 3 famosen Gesetzentwürfe veröffentlichten, veröffentlichte die „Neue Preußische Zei~ tung"ls\ dieser Moniteur3 der Brandenburgischen Vorsehung, ein „Votum über die wesentlichen Aufgaben der jetzt versammelten sogenannten Volksvertretung" . Das Hohenzollernsche Haus und sein Brandenburgisches Ministerium
1 Siehe vorl. Band,S.314-2 siehe vorl. Band, S.339-343 - 3 hier: diese offizielle Zeitung
sind von zu „noblem" Geblüte, um in Augenblicken zu heucheln, wo die Sonne der „Gewalt" über die ungeschwächte KroneC321] scheint. In solchen Augenblicken tut das Herz der Könige sich keine Gewalt an und demütigt die plebejische Masse schon durch die barsche zeremonienlose Äußerung der innersten Gelüste und Gedanken. Das Schicksal, man kann es sich nicht verheimlichen, das gemütlose Schicksal hat mehr als einmal „unsern guten König", den „geistreichen" Friedrich Wilhelm IV., der genau mit denselben Worten sich die Krone aufsetzte1 wie Napoleon die eiserne Krone der Lombardei —, das herzlose Schicksal hat sich mehr als einmal darin gefallen, die in Augenblicken siegesgewisser Machtfülle, „göttlicher Betrunkenheit", wie Goethe sagt, von Friedrich Wilhelm IV. kundgetanen Prophezeiungen, Drohungen, Willensmeinungen durch absonderliche Ereignisse zu vereiteln. Aber das eiserne Fatum beherrscht bekanntlich selbst die Götter. Und jedenfalls bleibt es für ein königliches Herz, wie für ein weibliches Herz, wie für jedes Herz, ein berauschender Hochgenuß, ungehemmt die innersten Gedanken zum zügellosen Ausbruch kommen zu lassen und die Welt, sei es auch nur durch eine Rede, durch Schriftstücke, dem eignen Herzen anzupassen. Die mehr oder minder königliche Herzensergießung in der „Neuen Preußischen Zeitung" bietet also schon ein hohes psychologisches Interesse; andrerseits tut sie dem Volke kund, was man von ihm erwartet, was man nötigenfalls von ihm erzwingen will, natürlich in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse. Die „Neue Preußische Zeitung" (Nr. 59, Beilage) hat zur Erleichterung des Überblicks den Hohenzollernschen Gesamtreformplan in Rubriken gebracht, was jedenfalls eine anerkennenswerte Herablassung gegen das Publikum ist. Stand es ihr nicht frei, die königlichen Ratschlüsse in apokalyptischer Form, nach Weise der Offenbarung Johannis, mitzuteilen? Halten wir uns an die Rubriken ! Die „wesentlichen Aufgaben der jetzt versammelten sogenannten Volksvertretung" gliedern sich folgendermaßen: 1. „Reinigung der Kammern von politischen Verbrechern." A Jove principium.C329] Das erste Gesetz für eine Kammer, die nach dem Herzen des Königs handeln soll, ist, sich selbst nach dem Herzen des Königs umzugestalten. Einstweilen ist ihre Zusammensetzung noch ein Machwerk des unehrerbietigen allgemeinen Stimmrechts, wenn auch des indirekten. Und was verlangt das königliche Herz? An der jetzigen Volksvertretung, plaudert die „Neue Preußische Zeitung"
nus, an ihr haftet „ein Makel", der sie unwürdig und unfähig macht, „in ihrer Gesamtheit als ein Träger preußischer Ehre, preußischer Treue und Vaterlandsliebe dazustehn". Es ist ein Ärgernis an ihr, das sie von sich werfen muß, um in Allerhöchsten Augen „gerecht" zu sein. „Dieser Makel, dieses Ärgernis, liegt in der Mitgliedschaft solcher Männer, welche an den verbrecherischen Freveln der Fraktion Unruh, welche insonderheit an deren Beschluß "der Steuerverweigerung sich beteiligt haben." „Die Regierung", heißt es weiter, „hat aus eigner beklagenswerter Schwäche oder aus Mißtrauen gegen die allerdings in hohem Grade von revolutionärer Gesinnung infizierte Justiz jene Männer nicht vor Gericht gestellt. Diese Versäumnis, diesen Fehler wiedergutzumachen, ist die Aufgabe der Kammern; darauf zu dringen, ist insbesondre die Pflicht aller Richter und Rechtsgelehrten unter ihren Mitgliedern, auch, um die dahinschwindende Ehre ihres Standes zu wahren. Es muß bei der Regierung darauf angetragen werden - und es sei dies einer der ersten Vorgänge nach Konstituierung der Kammer -, daß der Justizminister noch jetzt die gerichtliche Untersuchung und Bestrafung jener Übeltäter herbeiführe. Eine solche Ausmerzung ist das erste und dringendste Bedürfnis für einen gedeihlichen Fortgang der Beratungen." Der König hegt den innersten Wunsch, die steuerverweigernden Missetäter und Heiligtumsschänder gezüchtigt zu sehen bis auf die dritte Generation herab. Die königliche Regierung war zu schwach, diesen Wunsch zu verwirklichen. Das königlich preußische Volk war so schamlos, so mutwillig, die Missetäter und Sünder in offener Empörung gegen das landesväterliche Herz zu seinen Vertretern von neuem zu ernennen. An den Kammern ist es nun, die königliche Regierung zu zwingen, die eigensten Absichten Sr.Majestät auszuführen. Auf den Knien muß sie das Ministerium bitten, ihr zu gestatten, alle räudigen und im höheren Sinne unhoffähigen Elemente aus sich auszuscheiden. Und vor allem haben die Schriftgelehrten und Pharisäer, die „Richter und Rechtsgelehrten" ihren „Stand" zu retten, dessen „Ehre" dahinschwand von dem Augenblicke an, wo der freilich ungegründete Verdacht in Manteuffel auftauchte, die preußische Themis könne blind bleiben gegen die deutlichen Winke der Krone. Wie soll ein Richterstand seine Ehre vor dem Volke retten, für den jeder Einfall der inkorporierten Gnade Gottes nicht Gesetz wäre, der nicht unbedingt Ordre dem Könige selbst parierte? Man weiß, in allen Religionen bildet die Zerknirschung, das Opfer, womöglich das Selbstopfer, den eigentlichen Kern der Gottesfeier, des Kultus. Die sogenannte Volksvertretung, um zu beweisen, daß sie eine Vertretung des königlichen] Herzens ist - und das königliche Herz ist das lebendige, individualisierte, menschgewordene, wirkliche Volksherz — die „sogenannte" Volksvertretung muß daher vor allem sich selbst, sich als Ausfluß der Volkssouveränetät, auf den Stufen des Thrones hinopfern.
Sie muß alle Sr.Majestät mißliebigen Mitglieder ausstoßen und dem Gefängnisse und Henker zur Sühne der Religion des absoluten Königtums überantworten. So büßt sie erstens das Verbrechen ihres volkssouveränlichen erbsündlichen Ursprungs. Sie sühnt gleichzeitig eine frevelschwangere majestäts-, also gotteslästerliche Vergangenheit. Sie reinigt sich zu einem wahren Ausflusse königlicher Machtfülle. Sie wird aus einer „sogenannten' Volksvertretung eine wirkliche Volksvertretung - im höhern, königl[ich] preuß[ischen] Sinne. Der König ist das wirkliche preußische Volk. Das wirkliche preußische Volk - keineswegs nach welscher schlechter Sitte mit der oberflächlichen Kopfzahl der Staatseinwohner zu verwechseln - erwählt also nur Vertreter, damit die königlichen Wünsche als Volkswünsche dem Könige entgegenschallen und auf diese Weise die geheimsten Forderungen seines eigenen Allerhöchsten Herzens in der Form von öffentlichen Gesetzesvorschlägen und Kammerbeschlüssen eine ebenso prosaische, als gemeingültige Realität erhalten. Wir erwarten also Von den Berliner Kammern, daß sie ihren Königskultus mit dem Selbstopfer, mit der Ausmerzung der steuerverweigernden Sünder eröffnen wird. Die „Neue Preußische] Zeit[un]g" verheimlicht es nicht. Auch so ist die Kammer noch nicht gerecht vor dem Allerhöchsten. Der andere Teil des Opfers ist aber nicht von ihr als Korporation zu vollbringen. Er bleibt dem tätigen Sündenbewußtsein und der Selbstkreuzigung der einzelnen betreffenden Mitglieder anheimgestellt.
„Zwar würden durch eine solche Reinigung", seufzt die „Neue Pr[eußische] Z[ei]t[un]g", „nicht alle die Mitglieder ausgeschieden, die man wegen ihrer politischen, auch staatsmännischen Antezedenzien so lange hinauswünschen müßte, als sie nicht ihren Anteil an dem Elende des Vaterlandes erkennen und bereuen und das Gelübde tun und öffentlich bezeugen, nach Kräften den zum Teil durch ihre persönliche Schuld hereingebrochenen Verbrechen1 zu steuern. Doch versteht sich, daß von einem rechtlichen Grunde, solche Männer, welche der Revolution gedient haben, welche insonderheit zwischen dem 18.März und dem 8. November als hochgestellte Beamte in diesem Dienst" (echt preußische Grammatik!) „verbraucht worden sind, insgesamt aus den Kammern hinauszuweisen, keine Rede sein kann. Es wäre nur zu wünschen, daß das eigene Bewußtsein sie ferngehalten hätte, falls es bei ihnen nicht zu der oben desiderierten Umkehr gekommen ist. Auch machen sich bei diesem" (Allerhöchsten) „Wunsch billigerweise Distinktionen geltend, z.B. zwischen rheinischen Handelsleuten, die über Nacht zu Säulen des Staates werden sollen, und Männern aus altpreußischen" (feudalen) „Geschlechtern, deren ehrenvolle Namen mit der Geschichte unsers Königshauses und der ursprüng
liehen Kernlande" (ist Schlesien auch ein ursprüngliches Kernland?) „der Monarchie auf das engste von alters her verbunden sind." Wir haben es den „rheinischen Handelsleuten" seit langem gesagt. Nur mit degoüt1 hat das feudale Hohenzollersche Haus diese bürgerliche Kanaille zum niedrigen Werkzeuge auserwählt und lauert auf den Augenblick, sie mit Fußtritten, aber auch radikal zu verabschieden. Hansemann! Camphausen! Kühlwetter! Auf die Knie! Im Büßerhemde vor dem königlichen Schlosse, im Angesichte des Volkes, Asche auf den schuldbelasteten Häuptern, gelübdet, bezeugt öffentlich, wie ihr in tiefster Zerknirschung bereut, einen Augenblick euch erkühnt zu haben, die Kontrerevolution, deren Vollbringung nur „Meinem herrlichen Kriegsheer" gebührte, mit bürgerlich-konstitutionellen Intrigen vorbereitet und - ihr Pfennigfuchser, schachernde Leibeigne, pedantische Olhändler, verschlagene Eisenbahnspekulanten - nicht nur den Thron gerettet, sondern euch selbst dieser Rettung in hochtrabenden Leichenbitterphrasen gerühmt zu haben. Auf die Knie! Ins Büßerhemde! Oder geht in ein Kloster! Und was die „Männer aus altpreußischen Geschlechtem", diese adelbürtigen, gnadenwahlbevorzugten Sprößlinge des auserwählten Volkes betrifft, von ihnen, einem Arnim, Auerswald, Bonin, Pfuel erwarten wir, die Todesanzeige nächstens im „Staats-Anzeiger"[54] zu lesen. Nur, wenn sie freiwillig in den Tod gehen, können wir an ihre Reue glauben. Von einem rheinischenHandelsmanne, wie Hansemann, steht diese Seelengröße nicht zu erwarten. Hansemann ist ein Voltairianer der verwerflichsten Sorte, flach, und vor allem in Geldfragen gemütlos. Also verschwindet aus den Kammern, von der Bühne, ihr lebendigen wandelnden Denkmale des 18. März, königlicher Heimsuchungen, Demütigungen, Inkonsequenzen und Schwächen! Zieht euch aus den Kammern zurück, oder verurteilt euch selbst zu Sündenböcken des 18.Märzes! Die Steuerverweigerer aber werden die Kammern selbst als Hekatombe ihrer Reinigung und Sühne dem k[öni]gl[ichen] Throne darbringen und so sich zur Erfüllung der weitern vom Könige „der sogenannten Volksvertretung" oktroyierten „Aufgaben" würdig machen. (Fortsetzung folgt.)2 Geschrieben von Karl Marx.
1 Widerwillen - 2 siehe vorl. Band, S .364-371
Zensur
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 246 vom 15. März 1849] * Köln, 14. März. Die deutsche Tagespresse ist doch wirklich das schlaffste, schläfrigste und feigste Institut, das unter der Sonne besteht! Die größten Infamien können vor ihren Augen, gegen sie selbst geschehen, und sie schweigt, sie verheimlicht alles; wenn mein es nicht durch einen Zufall erführe, durch die Presse würde man gewiß nicht erfahren, was die Gnade Gottes an einzelnen Orten für herrliche Märzveilchen zutage gefördert hat. In Düsseldorf versuchte der Bürger und Kommunist Drigalski1881, im vorigen Herbst die Zensur unter dem Vorwande des Belagerungszustandes wieder einzuführen.1 Zwei Tage gelang es; aber der Sturm der öffentlichen Meinung zwang die Herren Säbelschlepper, ihre Zensurgelüste sofort wieder fallenzulassen. Und wie sieht es in den alten Provinzen aus? Seit drei Monaten besteht in zwei verschiedenen Distrikten die Zensur in voller Glorie, und die gesamte altpreußische Presse läßt diesen unerhörten Eingriff in ihre Rechte ruhig hingehen! Man höre: Rosenberg, in Schlesien, 7.März. Der „Rosenberg-Kreuzburger Telegraph" bringt an der Spitze der Nr. 19 folgende Erklärung:
„Die verehrten Leser unseres Blattes ersuchen wir, die verspätete Ausgabe dieser Nummer und deren Unvollständigkeit nicht uns zur Last zu legen, sondern berücksichtigen zu wollen, daß wir uns noch immer im Belagerungszustande befinden und der .Telegraph' - welcher in der letzten Zeit von dem zum Abgeordneten für die zweite Kammer erwählten hiesigen königl. Landrat Herrn Sack zensiert worden - nach dessen Abreise nach Berlin nun unter direkte Militärzensur gestellt tvorden ist. n- d j l.- «
Ferner: In Erfurt besteht die Zensur seit dem 25. November ebenfalls ungehindert. Die dortige Presse wurde zuerst von Herrn F. IV. Huthsteiner, jetzigem Polizeiinspektor, Exredakteur der unter der Zensur einmal liberal gewesenen „Barmer Zeitung", angeblichem Liberalen resp. Demokraten, späterem Untergebenen Dunckers und fortwährendem preußischen Polizisten, zensiert. Obwohl dieser Ehrenmann sogar Artikel aus der unglücklichen Berliner „National-Zeitung"[234] strich (!), so fand man seine Amtsübung doch noch nicht preußisch genug und ersetzte ihn durch einen Offizier. In Erfurt besteht also ebenfalls Militärzensur. Damit nicht genug, führt man auch die Zensur der im Auslande, d.h. außerhalb des Belagerungsrayons gedruckten Blätter und Schriften ein. Das „Erfurter Adreßblatt" vom 7.Februar enthält folgende Bekanntmachung:
„Auf Anordnung der kgl. hochl[öblichenl Kommandantur, hier, wird das hiesige Publikum bei .angemessener Polizeistrafe' und bei ,sofortiger Verhaftung' verwarnt, auswärts gedruckte Schriften, welche die Maßregeln der Regierung verdächtigen oder gar in gehässiger Opposition angreifen und auf diese Weise dahin wirken, die Gemüter der Einwohnerschaft der bestehenden konstitutionellen Regierung zu entfremden oder auch geeignet sind, Erbitterung gegen gewisse Einwohnerklassen und dadurch Aufregung und Unfrieden in hiesiger Stadt hervorzurufen, hier zu verbreiten oder zu affichieren.
Erfurt, 5.Februar 1849
Der Magistrat, Polizeiverwaltung"
Die Wiedereinführung der Zensur, die Verbesserung der gewöhnlichen durch die Militärzensur - das sind doch wohl Sachen, die die Presse nahe genug angehen. Und die Presse der benachbarten Orte, die Breslauer, die Berliner, die Leipziger Presse, nimmt das hin, als verstände sich das alles von selbst! In der Tat, die deutsche Presse ist noch immer die alte „gute Presse". Unsre schläfrigen Deputierten in Berlin aber fragen wir, ob sie denn noch immer nicht dazu übergehen werden, die Versetzung der Minister in Anklagestand unverzüglich zu beantragen?
Die Milliarde
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 247 vom 16. März 1849] * Köln, 15.März. Schon kurze Zeit nach der Februarrevolution trat in Paris die Geldnot ein. Respect de la propriete1 war allgemein proklamiert worden, und die armen Kleinbürger bezogen dies auf sich. Die provisorische Regierung13301 war um so bereitwilliger mit ihrem respect de la propriete, als ihr die Bank gleich auf der Stelle 50 Millionen ohne Interessen2 vorschoß. Die provisorische Regierung war größtenteils aus Kleinbürgern des „Nationais" t731 zusammengesetzt und ließ sich durch die Großmut der Bank täuschen. Die 50 Millionen waren bald auf. Während der Zeit hatten die Aktionäre und Besitzer von Bankbilletten Zeit gehabt, den respect de la propriete auf die beste Weise zu benutzen und ihr Metall von der Bank zurückzuholen. Die Kleinbürger, die ihrerseits ebenfalls den respect de la propriete sich zunutze machen wollten, gingen zu ihrem Bankier hin, um ihre Wechsel, die auf ihr propriete, d.h. auf ihre Industrie, ihre Boutique3 oder ihre Fabrik gezogen waren, sich eskomptieren zu lassen: die Bankiers schoben den Geldmangel vor und verweigerten zu eskomptieren. Sie gingen zu andern Bankiers hin, um sich ihre Wechsel von ihren Beinkiers endossieren und bei der Bank eskomptieren zu lassen: die Bankiers verweigern ihrEndossement. Respect de la propriete! Also gerade die Bankiers waren es, welche zuerst den respect de la propriete verletzten, während sie selbst diesen Respekt recht gut zu exploitieren wußten. Da fing dann die allgemeine Klage an, daß der Kredit, die Confiance4 verschwunden seien. Die Kleinbürger dagegen gaben immer noch ihren respect de la propriete nicht auf; sie meinten, wenn „die Ruhe und Ordnung" wiederhergestellt, würde die Confiance auch wiederkommen, und dann würden schon auf ihr propriete hin ihre Wechsel eskomptiert werden. Man weiß, wie nach der Junischlacht, als die Ruhe und Ordnung hergestellt, die ganze propriete in die Tasche der Bankiers gekommen infolge der gerichtlichen Konkordate13311, und wie die Kleinbürger die Bedeutung des „respect" erst ver1 Respektierung des Eigentums — 2 zinslos — 3 Handelsgeschäft — 4 das Vertrauen
23 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
standen, als ihnen die „propriete" treiben gegangen war. Diejenigen, welche damals am meisten infolge der von der großen Bourgeoisie herbeigeführten Geldkrisis litten, waren offenbar die Arbeiter. Zu gleicher Zeit als die provisorische Regierung die famose 45-Centimes-Steuert332] erfand, um ihrer eigenen Not abzuhelfen, erschien an den Mauern ein von Arbeitern unterschriebenes Plakat, welches mit den Worten anfing: avez-vous besoin d'argent? (Braucht Ihr Geld?) In diesem Plakate wurde geradezu darauf angetragen, die Milliarde zurückzuverlangen, welche 1825 den Emigranten als Entschädigung bewilligt worden. Wer waren die damaligen Emigranten? Gerade diejenigen, welche im Auslande den Krieg gegen Frankreich angeregt und unterhalten haben, und welche nun im Gefolge des Auslands wieder nach Frankreich zurückgekehrt sind. Wer befand sich unter den Emigranten, denen die Entschädigung zugute kam? Der Herzog von Orleans, d.h. der eben fortgejagte König, und die Legitimisten[192], d.h. die Freunde des längst fortgejagten Königs. Die Konstituante und der Konvent hatten die Konfiskation der Güter der verräterischen Emigranten verordnet; die zurückgekehrten Könige und Emigranten der beiden Restaurationen[333] hatten sich selbst und ihren Freunden die Indemnität oktroyiert. Die Könige waren wieder fortgejagt, die Beschlüsse der Konstituante und des Konvents erhielten wieder ihre volle Gültigkeit, und was natürlicher, als daß die Indemnität dem Volke wieder zugute kommen mußte. Das Plakat, in welchem die Wiedereinforderung der Milliarde in dieser Weise auseinandergesetzt wurde, ward von den Arbeitern mit allgemeinem Jubel gelesen; sie standen zu Tausenden vor dem Plakate und diskutierten darüber nach ihrer Weise. Dies dauerte einen ganzen Tag; den andern Tag war das Plakat wie von den Mauern verschwunden. Die Legitimisten und Orleanisten[334], welche die ganze Gefahr, womit sie bedroht waren, erkannten, hatten für schweres Geld Leute gedungen, die eigens damit beauftragt waren, nächtlicherweise dieses Plakat bis auf die letzte Spur zu vernichten. Man war damals im Strudel der neuen Organisationspläne. Alle Welt dachte nur daran, ein neues System zu erfinden, um es sogleich trotz aller bestehenden Verhältnisse in den „Staat" einzuführen. Die provisorische Regierung verfiel auf den unglücklichen Einfall, die 45-Centimes-Steuer auf die Bauern zu erfinden. Die Arbeiter glaubten, daß die 45 Centimes dieselbe Wirkung hervorbrächten wie die Milliarde: eine Besteuerung des Grundbesitzes — und ließen die Milliarde fahren. Das „Journal des Debats"[335], so wie der stupide „National" bestärkten sie in dieser Meinung und setzten in ihren leitenden Artikeln auseinander, daß das wahre Kapital die „Erde", der Urgrundbesitz sei und daß die provisorische Regierung ein vollkommenes Recht habe, diese Steuer zugunsten der Arbeiter zu erheben. Als man zur wirklichen
Erhebung schritt, da entstand von Seiten der Bauern ein Mordgeschrei gegen die Arbeiter der Städte. „Was?" sagten die Bauern, „wir sind schlimmer daran als die Arbeiter; wir müssen gegen schwere Interessen Kapitalien aufnehmen, um eben unser Land bestellen und unsere Familien ernähren zu können, und wir sollen außer den Steuern und den Interessen für den Kapitalisten noch ein Unterhaltsgeld für die Arbeiter zahlen?" Die Bauern wurden der Revolution abtrünnig, weil sie ihre Interessen, statt zu befördern, noch mehr beeinträchtigte. Die Arbeiter erkannten die Hinterlist der von der reaktionären Partei angeregten Steuer, der respect de la propriete wurde auch ihnen jetzt erst klar: der Unterschied zwischen dem formellen und dem wirklichen Eigentume trat zum Vorschein; es stellte sich heraus, daß das bürgerliche Kapital den Boden sozusagen von der Erde losgewunden hatte, daß der formelle Eigentümer des Bodens ein Vasall des Kapitalisten geworden und daß die Steuer nur den verschuldeten Vasallen traf. Als nun noch gar der wirkliche Grundbesitzer durch Entziehung des Kredits, durch Pfändung usw. dem armen Bauer erst recht seinen Einfluß fühlen ließ, da wurde ihm erst recht die Revolution verhaßt. Die Legitimisten, die durch ihren großen Grundbesitz vielen Einfluß aufs Land hatten, exploitierten dieses Verhältnis, und da entstanden dann die Umtriebe der Royalisten für Heinrich V. Unter diesem für die Revolution betrübenden Verhältnisse nahte der 15.Mai[336] heran. Die Milliarde von Barbes, obgleich in einer andern Gestaltung vorgebracht, fiel wie ein Blitz abermals ins Volk und zündete. Selbst die Junischlacht konnte diesen Gedanken an die Milliarde nicht ersticken, und jetzt, wo der Prozeß von Barbes in Bourges[3371 verhandelt wird, hat derselbe Fleisch und Blut unter den Bauern gewonnen. Die Milliarde, welche sie, die Bauern, aufgetrieben haben, von den Legitimisten, ihren Grundherren und Blutsaugern, zurückzuverlangen — das ist eine andere Lockspeise wie Napoleon. Die Agitation für die Rückzahlung derselben hat sich bereits über ganz Frankreich verbreitet, und wenn darüber durch das allgemeine Stimmrecht entschieden werden sollte, so würde sie noch mehr Stimmen erhalten als Napoleon. Die Milliarde ist die erste revolutionäre Maßregel, welche die Bauern in die Revolution schleudert. Die Petitionen, welche von allen Seiten einlaufen, der Ton, in welchem diese Petitionen abgefaßt sind, beweisen, daß dieselbe bereits Grund und Boden gefaßt hat. In Cluny verlangt man nicht allein die Milliarde zurück, sondern auch die Interessen zu 3 Prozent, welche dieselbe seit 1825 abgeworfen hat. Seit dem Prozesse in Bourges häufen sich die Petitionen auf eine Weise, welche den Richtern in Bourges sowohl als der ganzen reaktionären Partei unheimlich zu werden anfängt. Agey, Ancey, Malain, St. Wibaldt, Vittaux und eine Masse anderer Gemein23*
den haben heute wieder Petitionen durch ihre Volksrepräsentanten an die Kammer gelangen lassen. Unter der Überschrift „Rappel du Milliard"1 tragen die Journale tagtäglich die Namen neuer Gemeinden ein, die sich dieser großartigen Maßregel anschließen. Bald wird man auf allen Mauern, in allen Gemeinden lesen: „Rappel du Milliard", und wenn erst die bevorstehenden Wahlen unter diesem Rufe geschehn, dann wollen wir sehn, was die Kapitalisten, ob sie Legitimisten oder Orleanisten oder Bourgeois heißen, dieser Milliarde entgegenzusetzen haben, um die demokratischen Kandidaten zu verdrängen, die mit der Mitgift dieser Milliarde in die neue Kammer treten wollen, um sie als Apanage-Gelder den Bauern und Arbeitern zugute kommen zu lassen. Aber das ist noch nicht alles: Louis-Napoleon hatte den Bauern allenthalben versprochen, nicht allein die Rückerstattung der 45-CentimesSteuer, sondern eine Erleichterung der Steuern im allgemeinen. In den Petitionen wird allgemein gefordert, daß die Milliarde großenteils dazu verwendet werde. Was nun die juristische Begründung der Rückerstattung selbst anbetrifft, so ist dieselbe bereits unmittelbar nach der Julirevolution 1830 konstatiert worden. Man hielt damals mit der Auszahlung der von der Milliarde noch übriggebliebenen Gelder plötzlich ein. Wenn man das bereits Ausgezahlte damals nicht zurückerstatten ließ, so hatte dies keinen andern Grund, als weil eben Louis-Philippe und seine Familie einen sehr großen Teil von diesen Geldern erhalten hatten. Die kontrerevolutionäre Partei, in der Unmöglichkeit, die Gerechtigkeit dieser Maßregel bestreiten zu können, begnügt sich einstweilen, auf die Schwierigkeit der Ausführung aufmerksam zu machen. Die Schwierigkeit nämlich bestände darin, diejenigen ausfindig zu machen, welche von dieser bewilligten Entschädigung mehr oder minder große Summen bezogen haben. Nichts leichter als dies. Fangen wir mit den großen Summen an. An der Spitze der Liste steht der Herzog von Orleans (der spätere Louis-Philippe) und seine Schwester M[a]d[amel Adelaide mit 50 Millionen, und diese Millionen brauchte man nur auf die unendlichen Güter aufzunehmen, welche die Nationalversammlung der königlichen] Familie noch neulich zurückerstattet hat. Der Prinz von Conde erhielt 30 Millionen, und wer hat diese 30 Millionen geerbt? Der Herzog von Aumale und Md. de Feucheres. Hier wäre also schon ein schöner Anfang zu machen. Die königliche Familie hat ungeheure Wälder und Güter in Frankreich, und die Bauern fangen schon an zu berechnen, was sie verloren haben, daß man ihnen nicht schon 1830 diese Millionen zurückgegeben hat.
Der Frankfurter Märzverein und die „Neue Rheinische Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.248 vom 17. März 1849] * Köln, 15.März. Wir kommen noch einmal auf den unglücklichen Märzverein ^13161 zurück, diese angemessene Nachgeburt der „Märzrevolution". Man wirft uns vor, „wir schaden der Sache der Freiheit", indem wir den Märzverein unterwühlen. Haben wir nicht schon im Dezember 1848, zum Schrekken der „Kölnischen Zeitung", den Märzverein als bewußtloses Werkzeug der Kontrerevolution denunziert ?[338] Hatten wir also dem „Märzverein" unsere Ansichten vom „Märzverein" nicht schon längst anvertraut? Wäre der Märzverein eine Organisation der Partei der Revolution, wäre er selbst auch nur eine konsequente, frische Frucht der Märzemeute, wir würden eine Ungeschicklichkeit von ihm hinnehmen, wie es ohne Widerrede seine AnnoncenSpekulation1 war. Der Märzverein ist erstens ohne Wirksamkeit, wenn Adressen nicht etwa dieselbe ausmachen; er ist ferner ein hoffnungsvoller Tor zwischen Konstitutionellen (das sind für uns schlimmere Reaktionsanhänger als der Klub des Ritter v. Radowitz[3391) und einigen wirklich biedermännischen Demokraten, deren Blick vom Reichsversöhnungsdunste sich benebeln ließ. Die Unentschiedenheit wird stets die Majorität in jenem Zentral-Kommerzverein2 ureigentümlich besitzen, das Volk wird er vielleicht zum Mißvergnügen aufstacheln, im entscheidenden Augenblick aber verraten und nachträglich seinen Irrtum bejammern. Nun lebe der Kommerzverein „uns aber auch recht wohl"! Seine sonstige Empfindlichkeit rührt uns nicht, und die freie Presse scheint von jenen liberalen Leuten immer noch nur als ihre Privaterrungenschaft verstanden zu werden. Herr Eisenmann z.B. bekannte sich offen als Konstitutioneller für ewige Zeiten und als Gegner des Republikanis
1 Siehe vorl. Band, S. 334-335 - 2 Wortspiel, das auf die tragenden Kräfte des ZentralMärzvereins hinweist.
mus m derselben Sitzung des Märzvereins, wo man der „Neuen Rheinischen Zeitung" als Muster „echt deutscher Zerrissenheit" gedachte. Also sollte uns zugemutet werden, aus Einheitstölpelei das Organ eines Mannes zu unterstützen, der, mag er zum Teufel sonst sein, was er will, jedenfalls ein deutscher Nationaitölpel ist. Wir würden anstandshalber die Herren „mitnehmen" so weit sie wollen, wäre nicht eben das ihre Frankfurter Aufgabe, „unentfernbar" zu sein. Es gibt denkende Geschichtsfreunde11361 unter den Herren. Es kann ihnen kaum entgangen sein, daß nicht bloß in Deutschland, sondern überall und zu allen Zeiten die Feuillants[340] trotz aller Märzvereine stets schon vor dem Ausbruch der eigentlichen Revolution beseitigt werden mußten. Was nützt es den Anhängern der sozialen Republik, wenn derselbe Vogt verfehlter Reichsbarrot des deutschen Reichs Bonaparte wird, gegen den er „in erster Reihe" kleinuniversitätisch gebierpoltert hat?1-3411
Der Adreßentwurf der zweiten Kammer
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 247 vom 16. März 1849, Außerordentliche Beilage] * Köln, 16.März. Wir teilen nachstehend unsern Lesern den Adreßentwurf der zweiten Kammer[342] mit, eine blasse, servile Kopie der Thronrede1. Ihr Verfasser ist der berüchtigte Ritter von der roten Erde, der tapfere (!) v. Vincke. Die Adreßkommission „erkennt"1 (alttestamentalischer Stil) die „Feststellung" des „Rechtszustandes durch die Verfassung vom 5.Dezember v.J. dankbar". Sogar begeht sie diesen Dank im Namen des „preußischen Volkes". Und warum dankt das Volk der Adreßkommission für die vom Säbel oktroyierte Dezemberverfassung?[1231 Weil es „durchdrungen" ist „von dem Verlangen nach der Wiederkehr eines öffentlichen Rechtszustandes". Vincke, armer Ritter! Er mußte sich bewähren als der Mann des „Rechtsbodens", der seine Spezialität bildet. Und wie den „Rechtsboden" anerkennen, gegenüber dem Ministerium Brandenburg, das eben diesen Rechtsboden in die Luft sprengte, indem es die Gesetze vom 6.[91] und 8. April 1848[129] zerriß? Nichts einfacher! Das Ministerium hat einen neuen Rechtsboden oktroyiert, das Standrecht, und gleichzeitig die Charte, den Code und die Philosophie des Standrechts, die Verfassung vom 5.Dezember. Erst hebt das Ministerium den „öffentlichen Rechtszustand" auf. Dann proklamiert die Regierung einen andern, den ersten besten kroatischen „öffentlichen Rechtszustand", einen Rechtsboden quelconque2. Und die Adreßkommission im Namen des preußischen Volkes und Vincke im Namen der preußischen Adreßkommission [haben] nichts eiligeres zu begrüßen, als die Wiederkehr eines (irgendeines, des ersten besten) „öffentlichen Rechtszustandes"! Der Rechtsboden ist tot! Es lebe der Rechtsboden!
Wenn die preußische Regierung morgen gestürzt, wenn ein comite du salut public1 in Berlin proklamiert wird, unter den ersten Gratulanten, den Hochzeitsbittern wird sich unfehlbar ein „Mann des Rechtsbodens" befinden, ein beliebiger Vincke, und die „Wiederkehr eines" beliebigen „öffentlichen Rechtszustandes" gerührt anerkennen. Die Adreßkommission und die Toten reiten schnell.13431 Erst „Dank" (nach Vorschrift der „Neuen Preußischen Zeitung"131) für den Staatsstreich vom 5.Dezember! Dann die Verfassung des Standrechts als „das nunmehr gültige Grundgesetz des preußischen Staats" proklamiert! Endlich das Gelübde abgelegt, die „Revision voll Ehrfurcht und Treue gegen Eure königliche] Majestät" zu vollziehen, d.h. revidieren im Sinne des Geschenkgebers. Wir werden auf diesem Wege hoffentlich noch hinter den Vereinigten Landtag11371 zurückgeführt werden! Was den „Belagerungszustand" Berlins betrifft, wird sich die Adreßkommission ausschließlich von dem Gemeinplatz beherrschen lassen, daß „wahre Freiheit nicht ohne gesetzliche Ordnung bestehn kann". Man kennt den Schlachtruf der „gesetzlichen Ordnung/" von Warschau her.13441 Könnte Preußen nur ohne Geld bestehen und das Geld erstehn ohne diese zudringlichen parlamentarischen Schwätzer! Was die sporadischen Belagerungszustände „außerhalb der Stadt Berlin" betrifft, so hält es die Adreßkommission für angemessen, „einer weiteren Mitteilung Eurer Königlichen Majestät Regierung entgegenzusehn". Unterdessen haben Erfurt und die schlesischen belagerungsbezustandeten Bezirke das Nachsehn. Vincke ist satisfait2, wenn nur die Erfurter und Rosenberger Militärzensuren3 seinen Adreßentwurf nicht „streichen". Keine Gefahr! Vincke verspricht sodann im Namen der Adreßkommission und die Adreßkommission verspricht im Namen der zweiten Kammer und die zweite Kammer verspricht im Namen des Volkes, die von der königlich preußischen Regierung der „sogenannten Volksvertretung" auferlegten Pensa „mit angestrengter Tätigkeit" und zu möglichster Zufriedenheit zu absolvieren. Glück auf! „Freudig erkennen auch wir, daß Preußens Heer in Tagen des Kampfes seinen Kriegsruhm, in schweren Prüfungen seine Treue bewährt hat." Dänischer Reichskammergerichtsfeldzug!C3451 Schlacht bei Miloslaw und Wreschen!4 Siege in Anhalt, in Mainz, in Frankfurt a.M![346] Mehr! Vincke erkennt freudig die Treue, womit „Mein herrliches Kriegsheer"11961 Vinckes
1 Wohlfahrtsausschuß - 2 befriedigt - 3 siehe vorl. Band.S. 351/352 -4 siehe vorl.Band, S.162/163
Vorgänger gehetzt und mit den Aktenstücken der alten Nationalversammlung den Ofen geheizt hat. Vincke hat allen Grund. Ohne die „Treue" von „Preußens Heer in schweren Prüfungen" hätte unser Vincke nie Anlaß gefunden, sich durch diesen von ihm selbst verfaßten Adreßentwurf unsterblich zu machen. Übrigens bemerken wir nebenbei, daß die Adreßkommission auch in diesem Passus schülerhaft den von der „N[euen] Pr[eu]ß[ischen] Zjeitung]" in dem Hohenzollernschen Gesamtreformplan gegebenen Vorschriften1 nachlebt. Und die deutsche Frage? „Preußen" wird „keine Opfer" scheuen, um Kleindeutschland auf anderm Wege an sich zu reißen, als Friedrich der Große Schlesien an sich riß. In bezug auf „Eroberungen" huldigt das moderne Preußen dem „friedlichen" Fortschritt. Zudem „hofft" die Adreßkommission auf „Verständigung aller deutschen Regierungen mit der deutschen Nationalversammlung". Wir hoffen, daß die deutschen Regierungen nicht viel Scherens mit diesem Reichslehrerseminar machen werden. Auch von „der Aufkündigung des Waffenstillstands seitens der Krone Dänemarks" wünscht die Adreßkommission „keine Störung des Friedens". Vincke weiß sehr wohl, daß diese dänische Waffenstillstandsaufkündigung[134J nicht ernsthafter gemeint ist als der preußisch-dänische Krieg. Die preußischen Truppen als Reichstruppen in Schleswig-Holstein, die schleswigholsteinischen Truppen als Reichstruppen in Süddeutschland, jene hier, diese dort das Standrecht proklamierend! Kondolenz für den Tod des Prinzen Waldemar, Beteuerungen der Selbstaufopferung, womit die v. Bodelschwingh, die Riedel, v. Seckendorf, Arnim, Harkort, Graf Renard, Camphausen, Vincke, die Grün und ähnliches Gesindel zu preußischen Lykurgen und Solonen sich herabgewürdigt; Gottesfurcht, Achtung vor dem Gesetze, Gemeinsinn, Gerechtigkeit, die Vorsehung, die Herzen der Könige und die Zukunft Preußens „und mit ihm Deutschlands", alles das wird zum Dessert von der Adreßkommission durch v.Vinckes gütige Vermittlung aufgetafelt! Der Idiotismus muß Bürgerrecht besitzen in einer Volksvertretung und in einem Volke, die ein v. Vincke im Namen einer Adreßkommission, im Namen einer Kammer, im Namen des Volkes selbst durch ein solches schäbiges Machwerk zum Gespött der europäischen Galerie zu machen wagen darf.
Geschrieben von Friedrich Engels.
[Der 18. März]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 249 vom 18. März 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, 18. März. Wir gestehen unsern Lesern, daß wir heute keinen Leitartikel zu schreiben wissen. Die Berliner Märzrevolution, dieser schwache Nachhall der Wiener Revolution, hat uns nie begeistert. Berlin sang am 19.März 1848: „Jesus meine Zuversicht!" Wir raten dem braven Berlin diesmal am 18.März zu sagen: „Wrangel meine Zuversicht!" Die „Neue Rheinische Zeitung" wird erst am 25. Juni ihr jahrgedenken feiern/3471 Und was wird die „Kölnische Zeitung"[211 tun, d.h. die „kölnische Bourgeoisie"? Am 22.März 1848 war der Hauptvorwurf der „Kölnischen Zeitung" gegen Herrn v. „Arnim", daß er die „Rheinische Zeit[un]g"[296] verboten. Camphausen war damals noch nicht Minister. Dies zur Aufklärung. Wir erinnern uns noch der glücklichen Zeit, wo Camphausen unser Mitarbeiter in Köln war/3481 Das Verhältnis des Camphausen von ehedem zu uns und unser jetziges Verhältnis zu ihm - das ist das Geheimnis der Märzrevolution von 1848.
Geschrieben von Karl Marx.
[Die „Neue Preußische Zeitung" über den 18. März]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 249 vom 18. März 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, 18.März. Das Organ Friedrich Wilhelm des Vierten, die ,,N[eue] Preußische] Z[eitung]"[3], schreibt bei Gelegenheit des 18.März 1849: „Zweimal Wehe aber dem Volke, das seine Revolution festlich begeht; sündigen ist menschlich, aber seine Ehre in der Sünde suchen und sein Verbrechen feiern, ist teuflisch." Dasselbe Blatt nennt im Feuilleton derselben Nummer den Kampf vom 18. und 19.März ein „blutiges Possenspiel!" Das ist der würdige Lohn „an Mein Volk" dafür, daß es eine halbe Revolution gemacht hat. Ferner meldet dies Blatt, daß Wrangel vor einigen Tagen den FriedrichsAam[197] „besehen" ging. Wir wollen abwarten, was Herr Wrangel am 18. März 1850 „besehen" wird.
Geschrieben von Karl Marx.
Der Hohenzollersche Preßgesetzentwurf
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 252 vom 22. März 1849] * Köln, 2 I.März. Wir kommen unserm Versprechen gemäß auf die belagerungsinspirierten Hohenzollernschen Reformprojekte über Preßfreiheit und Assoziationsrecht13221 zurück.1 Es genügt uns für heute, durch Vergleichung der früheren, bereits unter der Camphausenschen Oppositionsägide von den rheinischen Ständen verworfenen Strafgesetzpläne13491 zu zeigen, welche glorreichen „Errungenschaften" die Rheinländer der Berliner Märzemeute zu danken haben, mit welcher neuen landrechtlichen Notzuchtsliebe das rheinische Gesetz1901 von der „ungeschwächten" Krone13211 des Großherzogs zu Berlin bedacht worden ist. Auf dem Vereinigten Landtag[1371, patentierten Andenkens, trat vor zwei Jahren der Junker Thadden-Triglaff aus der pommerschen Mancha[350] für die Preßfreiheit in die Schranken. Der Associe des westfälischen „tapfern" Jung-Ritters Vincke schwang seine Lanze: „Ja, öffentliches, aber wirklich öffentliches Verfahren mit den Herren Literaten: Preßfreiheit, und daneben der Ga/gen/"'-3511 Die Oktroyierungsentwürfe des Novemberministeriums13521 sind der Durchbruch dieser alten, vormärzlichen Patentstudien. Die „starke Krone Preußen" ruft auf die verhaßten Bestimmungen des Code penal, auf die freisprechenden Erkenntnisse rheinischer Geschworenen gegen Steuerverweigerer und Aufrührer: „Ja, öffentliches, aber wirklich öffentliches Verfahren: Preßfreiheit, und daneben den Galgen, den Galgen des preußischen Landrechts/"
Die Bestimmungen des Code penal wissen nichts von der injuriösen Verletzlichkeit Hohenzollernscher Majestätsgefühle. Rheinische Geschworne werden trotz Zensus und Polizeifiltrierung nicht zu finden sein, um das namenlose Verbrechen der Majestätsbeleidigung anders als die Beleidigung eines „Privatmannes" mit 5 Fr. Geldbuße zu ahnden. Der kaiserliche Despotismus hielt sich selbst zu hoch, um zu erklären, daß er in seiner Majestät „beleidigt" werden könne; das christlich-germanische Landesvater-Bewußtsein aber, welches begreiflich mit der Höhe Napoleonischen Stolzes in keine Vergleichung treten mag, hat in seinem rheinischen Großherzogtum wieder das „tiefgefühlte Bedürfnis", den Schutz seiner altpreußischen Würde herzustellen. Die „starke" Krone wagt es nicht, den rheinischen Prozeß aufzuheben, aber sie pfropft das vielversprechendere Reis landrechtlicher Rechtsbegriffe in diesen Prozeß und ruft: „Öffentliches, wirklich öffentliches Verfahren, und daneben den Galgen des preußischen Landrechts!" Uber das „öffentliche Verfahren", welches dem rheinischen Code vorläufig oktroyiert werden soll, läßt sich § 22 des Gesetzentwurfs folgendermaßen vernehmen: „Die Polizeibehörden sind berechtigt, jede zur Verbreitung bestimmte Druckschrift, auch wenn mit deren Ausgabe bereits begonnen worden, wo sie solche vorfinden, mit Beschlag zu belegen, insofern ... deren Inhalt ein Verbrechen oder Vergehen begründet, welches von Amts wegen verfolgt werden kann." Die Polizei ist berechtigt, Zeitungen, die ihr nicht gefallen, auf der Post und in Büros zu konfiszieren, selbst wenn die „Ausgabe bereits begonnen" hat, d.h. wenn die „Präventivmaßregeln" der Polizei gerade „als solche" aufhören sollen und die Sache von „Rechts wegen" bereits an die Kompetenz der Gerichte gehört; sie hat dies Recht der Konfiskation in allen Fällen, wo der „Inhalt" der Druckschriften, Zeitungen usw. ein „Verbrechen oder Vergehen begründet", welches von „Amts wegen", d.h. von Polizei wegen „verfolgt" werden kann, d.h. zu allen Zeiten, wo die Polizei uckermärkische[353] Gelüste nach der Rolle des öffentlichen Ministeriums befriedigen will und diesen Hang mit dem ureigenen Vorwand beliebiger „Verbrechen oder Vergehen" oder sonstiger „verfolgungsmöglichen" Tatsachen zu erklären für nötig hält; sie kann endlich alle solche Drucksachen, c'est-a-dire1 alles, was im Wohlgefallen des Herrn und seiner heiligen Hermandadt26] steht, konfiszieren, wo sie es vorfindet, d.h., sie kann in die Häuser, in die Geheimnisse des Familienlebens dringen und, wo es keinen Grund zu Belagerungs- und Kroatenschutz
des Eigentums gibt, unter der Herrschaft der konstitutionellen Gesetzordnung eine polizeiliche Plünderung des Privateigentums ruhiger Bürger veranstalten. Der Gesetzentwurf spricht dabei von allen zur Verbreitung „bestimmten" Druckschriften, „auch wenn' mit der Ausgabe bereits begonnen worden; er setzt daher „selbstredend" das Recht der Konfiskation derer voraus, deren Verbreitung noch nicht begonnen hat, die noch gar keine „Verbrechen oder Vergehen" begründen können, und dehnt damit den Polizeiraub auch auf den Privatbesitz von juristisch gar nicht „verfolgungsmöglichen" Gegenständen aus. Die französischen Septembergesetze11731, die Säbelzensur der Cavaignacschen Militärdiktatur und selbst die den alten Provinzialständen und Ausschüssen „bei Allerhöchstem Mißfallen" proponierten Strafgesetzentwürfe respektierten wenigstens das „noch kein Verbrechen und Vergehen begründende" Privateigentum; der auf den Berliner Märzerrungenschaften ruhende Preßgesetzentwurf organisiert dagegen eine öffentliche Polizeijagd wider Eigentum und Privatbesitz der Bürger und reißt persönliche Verhältnisse, die in keiner Weise mit dem Strafrecht zu schaffen haben, im Namen der christlich-germanischen Poiizeimoral gewaltsam in die Öffentlichkeit. „öffentliches, wirklich öffentliches Verfahren und daneben den Galgen des preußischen Landrechts/" Mit der Ausbildung dieses öffentlichen Verfahrens geht die Ausbildung der preußischen Landrechtsbestimmungen Hand in Hand. Die ersehnten Majestätsbeleidigungsakte werden in § 12 in folgender Weise „konstituiert":
„Wer durch Wort, Schrift, Druck oder Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, die Ehrfurcht gegen den König verletzt, wird mit Gefängnis von zwei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Wenn die rheinischen Untertanen nicht wissen, welchen Grad der „Ehrfurcht" ihr hohenzollerscher, durch den Wiener Völkerschacher[1151 ihnen oktroyierter Großherzog in Anspruch zu nehmen hat, so mögen sie sich bei den Berliner Strafgesetzmotiven Rats erholen. Das preußische Landrecht[1491 bedrohte bisher die Majestätsbeleidigung mit dem höchsten Strafsatz von zweijähriger, die Verletzung der Ehrfurcht mit dem höchsten Strafsatz von einjähriger Gefängnis- oder Festungshaft. (Allgemeines Landrecht II. 20. §§ 199, 200). Diese Bestimmungen scheinen jedoch dem Majestätsgefühl der „starken Krone Preußen" kein genügender Damm gewesen zu sein. In dem den Vereinigten Ausschüssen von 1847[3541 vorgelegten „Strafgesetzentwurf für die preußischen Staaten" wurden bereits „Äußerungen in Wort oder Schrift, oder
durch Abbildungen usw., welche die Ehre des Königs vorsätzlich verletzen (§ 101), mit Strafarbeit von sechs Monaten bis zu fünf Jahren", dagegen aber „Äußerungen und Handlungen, welche zwar an sich nicht als Beleidigungen des Königs anzusehen sind, dennoch aber die demselben schuldige Ehrfurcht verletzen (§ 102), mit Gefängnis von sechs Wochen bis zu einem Jahre" bedroht. In den offiziellen Motiven zu diesem Entwurf wird gesagt, daß die sächsischen Stände (bei dem ähnlichen Entwurf von 1843) zwar darauf angetragen, die „Verletzung der Ehrfurcht" durch den Zusatz „absichtlich" näher zu bestimmen, um zu verhindern, daß Äußerungen und Handlungen unter das Gesetz gezogen würden, „bei welchen nicht im entferntesten die Absicht gewesen sei, die Ehrfurcht gegen den König zu verletzen"; daß aber ein solcher Zusatz von der Regierung abgelehnt werden müsse, da derselbe den „Unterschied zwischen Majestätsbeleidigung und Verletzung der Ehrfurcht verwischen würde" und „absichtliche" Verletzungen der „Ehrfurcht" als „Beleidigungen" anzusehen seien. Aus diesen Motiven, welche für die demnächst zu oktroyierenden Preßgesetzbegriffe noch immer maßgebend sind, geht also hervor, daß die „Verletzung der Ehrfurcht", die gegenwärtig gleich der Majestätsbeleidigung mit zweimonatlichem bis fünfjährigem Gefängnis belegt wird, gerade in „unabsichtlicher" Beleidigung besteht. Zu gleicher Zeit erzählen die „Motive", daß das Maximum des Strafmaßes für die „Verletzung der Ehrfurcht" damals nur nach Antrag der rheinischen Stände auf ein Jahr bestimmt worden ist. Der Vorteil der „Märzerrungenschaften" für die Rheinländer liegt auf der Hand. Die ersten Belandrechtungen des Code penal[355] oktroyierten den Rheinländern die neuen Verbrechen der Majestätsbeleidigung mit zwei Jahren und der „Verletzung der Ehrfurcht" mit 1 Jahr Gefängnis; in den Gesetzvorlagen von 1843 und 1847 stieg die beleidigte Majestät zu dem Wert Von fünf Jahren, während die verletzte Ehrfurcht auf Antrag der rheinischen Stände ihren Satz von einem Jahre behalten mußte; unter den BelagerungsErrungenschaften der Märzemeute wird auch die (unabsichtliche) „Verletzung der Ehrfurcht" zu fünfjährigem Gefängnis erhoben und das rheinische Gesetzbuch mit abermals neuen Verbrechen der altpreußischen Landrechtsgesittung näher gebracht. „Preßfreiheit, öffentliches Belagerungsverfahren und den Galgen daneben/"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.253 vom 23. März 1849]
* Köln, 22.März. „Die Vorschriften über die Majestätsbeleidigung", wird in den Manteuffelschen Motiven ad § 12 des Entwurfs erklärt, „konnten um so weniger fehlen, als in dem größten Teil der Rheinprovinz die auf die Majestätsbeleidigung bezüglichen Strafgesetze infolge der Verordnung vom 15. April 1848 außer Anwendung gesetzt, diese Lücke aber seitdem nicht ausgefüllt worden ist." Die Manteuffel-Motive erklären, daß dieser Teil der Hohenzollernschen Preßgesetzgebung, welcher selbst das altpreußische Landrecht und die Allerhöchste Majestätsoffenbarung der Strafgesetzentwürfe von 1843 und 1847 überholt, hauptsächlich in Berücksichtigung der Rheinprovinz notwendig erschien. Die Verordnungen vom 15.April 1848t356], d.h. die Verheißungen, zu welchen sich die „in den Staub gefallene Krone" (s. ,,N[eue] Preußische] Z[ei]t[un]g" v. 20. d.) unter dem Eindruck der Märzemeute bequemte, haben in der Rheinprovinz die so mühsam oktroyierten Belandrechtungen „außer Anwendung" gesetzt und den Code penal in seiner ersten mangelhaften Reinheit wiederhergestellt; um aber diese märzerrungene „Lücke" gebührend auszufüllen und zugleich die fortschreitende Entwicklungsfähigkeit des Hohenzollernschen Majestätswertes zu beurkunden, proponiert das „starke" Novemberministerium den Rheinländern nicht etwa die alten vormärzlichen Landrechtbestimmungen, nein, eine neue, alle früheren Strafgesetzstudien um das Doppelte überschreitende Ehrfurchtserklärung. Le roi est mort, vive le roi!1 Vor dem März 1848 stand die noch „ungeschwächte" Landes vaterwürde in dem Landrechtspreise von einjähriger Gefängnisstrafe; in dem März 1849 ist die Verletzung der „in den Staub gefallenen" Krone zu dem Wert von fünfjähriger Gefängnishaft gestiegen. Vor dem März 1848 wurde das rheinische Gesetz nur mit den patriarchalischen Ergänzungen des Landrechts vervollständigt; im März 1849 werden ihm die Manteuffelschen Novembererrungenschaften oktroyiert: „Preßfreiheit, Säbelzensur und den Galgen daneben!" Die „Lücke" des rheinischen Gesetzbuches hat indes noch andere Tiefen. Der § 12 der Berliner Preßreform fährt in seinen Ergänzungen fort: „Gleiche Strafe" (zweimonatliche bis fünfjährige Einsperrung) „trifft denjenigen, welcher in der oben angegebenen Weise" (durch Wort, Schrift, Zeichen, bildliche und andere Darstellungen) „die Königin beleidigt. Wer auf dieselbe Weise den Thronfolger (?) oder ein anderes Mitglied des Königlichen Hauses ... beleidigt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft."
Das altpreußische Landrecht belegte, wie bemerkt, die Beleidigung des „Staatsoberhauptes selbst" nur mit zwei Jahren. Der Fortschritt des Preßgesetzentwurfs, welcher auf Beleidigung der untergeordneten Personen, der Königin fünfjährige, des Thronfolgers (?) und „anderer" Mitglieder des „Königlichen Hauses" dreijährige Einsperrung setzt, liegt auf der Hand. Das rheinische Gesetz kennt sowenig eine Beleidigung der „Königin" usw., wie es eine Beleidigung des „Staatsoberhauptes selbst" kennt. Rheinische Zeitungen konnten bisher ungestraft von „Hoffnungen des Hofes auf ein unerwartetes Ereignis" fabeln, was zuweilen aus medizinischen Gründen gleichwohl eine Verletzung der Ehre sein kann. Der expatentierte Strafgesetzentwurf der Vereinigten Ausschüsse endlich ordnete die Beleidigung der „Königin" der Beleidigung des „Staatsoberhauptes" unter, indem er dieselbe (§ 103) statt mit fünfjähriger, mit dreijähriger Einsperrung bedrohte. Und über die gleichmäßige Bestrafung der Beleidigungen der „Königin" mit denen der andern Mitglieder der Königlichen Familie erklären die Motive von 1847, daß bereits die rheinischen, schlesischen, sächsischen und pommerschen Stände zwischen diesen Personen einen Unterschied gemacht wissen wollten, welcher traurigen „Kasuistik" aber die Regierung keine Folge geben könne. Das starke Ministerium Manteuffel hat die „Kasuistik" der alten rheinischen, schlesischen, sächsischen Stände nicht unter seiner Würde befunden. Hat nicht auch der seidenspinnende v. d. Heydt zu den Patent-Kasuisten jener Zeit gehört? Der Preßgesetzentwurf Manteuffel-v.d.Heydt „konstituiert" die kasuistische Unterscheidung zwischen der Königin und andern Mitgliedern des k[öni]gl[ichen] Hauses; er konstituiert sie gemäß der fortschreitenden Entwickelung der allgemeinen nachmärzlichen MajestätsWürdengefühle. Die alten rheinischen, schlesischen, pommerschen Stände verlangten eine Unterscheidung der Königin von den andern Familiensippen, damit der gleichmäßige Strafsatz von dreijähriger Einsperrung für die Beleidigung der letzteren gemildert werde; das starke Ministerium Manteuffel-v.d.Heydt akzeptiert die Unterscheidung, um statt dessen den Strafsatz für die beleidigte Königin auf die neu erhöhte Stufe der Beleidigung des „Staatsoberhauptes" zu erheben. Von gleicher Entwicklungsfähigkeit der Majestätsbegriffe zeugt die beigefügte Bestimmung desselben Paragraphen, wonach Beleidigungen eines beliebigen „deutschenStaatsoberhauptes" wie die Beleidigung des „Thronfolgers" mit dreijährigem Gefängnis bestraft werden. Nach dem rheinischen Gesetz werden Beleidigungen gegen dritte „Staatsoberhäupter" gleich Injurien gegen Privatpersonen (Geldbuße von 5 Fr.)
24 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
bestraft, und zwar auf Antrag des Beleidigten, nicht etwa aus Kriminalberuf seines öffentlichen Charakters. Nach dem von den rheinischen Ständen bereits 1843 zu „Allerhöchstem Mißfallen" verworfenen und 1847 wieder neuproponierten Strafgesetzentwurf sollte die Beleidigung fremder Regenten und „ihrer Gemahlinnen" mit Gefängnis von zwei Monaten bis zu Straf arbeit von zwei Jahren belegt werden, wobei die preußischen Stände den gänzlichen Wegfall dieser Bestimmung beantragten und die westfälische KrautjunkerOpposition den ursprünglichen Strafsatz für zu hoch erklärte. Das Ministerium Manteuffel-v.d. Heydt endlich füllt die bedenklichen nachmärzlichen Lücken der rheinischen Gesetzgebung aus, indem es den von den rheinischwestfälischen Zensusmännern angefochtenen Strafsatz von zwei Jahren auf drei Jahre erhöht und für den pommerschen Don Quixote des Vereinigten Landtags in die Schranken tritt: „Preßfreiheit, wirkliches öffentliches Verfahren und den Galgen daneben/" Noch hat in den allerhöchst inspirierten Preßreformstudien der § 19 seine denkwürdige, heitere Bedeutung: „Wer 1. eine der beiden Kammern („als solche"), 2. ein Mitglied der beiden Kammern während der Dauer ihrer Sitzungen, 3. eine sonstige politische Körperschaft, eine öffentliche Behörde, einen öffentlichen Beamten ... durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung beleidigt, wird mit Gefängnis bis zu 9 Monaten bestraft." Während die Manteuffel-v.d.Heydt die „politischen Körperschaften", Vereinbarungsversammlungen und Kammern mit Bajonetten auseinandertreiben, werden den Rheinländern zum „Schutz dieser Versammlungen" neue Verbrechen in ihren „lückenhaften" Code penal gepfuscht. Das Ministerium Manteuffel-v.d.Heydt oktroyiert dem Lande aus göttlich-königlichem Gnadenborn eine vaterländische Konstitution11231, um in der „Beleidigung der Kammern" dem rheinischen Gesetzbuch ein neues, bisher unbekanntes Verbrechen zu oktroyieren: „Preßfreiheit, öffentliches Verfahren und den Galgen daneben!" Mögen sich die Rheinländer beizeiten in acht nehmen. Die Geschichte der früheren Belandrechtungen des rheinischen Gesetzbuchs, der hohenzollersche Fortbau der Märzverheißungen werden ihnen sagen, was sie von den überrheinischen Errungenschaften zu erwarten haben. Was die bisherigen Standrechtsattentate gegen den Code bezweckten, war nichts als die völlige Einverleibung der Rheinlande in die altpreußischen Provinzen, eine Einverleibung, welche so lange nicht vollständig, als die Rheinprovinz noch nicht gänzlich unter den preußischen Landrechtsstock geordnet
war. Durch den neuen Gesetzentwurf aber wird unter dem Vorwand, den Rheinlanden die „Lücken" ihrer eigenen Gesetzgebung durch die Vorteile des Landrechts zu ersetzen, auch das Landrecht für die alten Provinzen in seiner „lückenhaften" Milde noch vervollständigt. So erbärmlich die jetzige Kammer auch ist, so erwarten wir doch die Annahme dieser Gesetzentwürfe nicht von ihr. Wir erwarten aber alsdann, daß man uns auch den hohenzollerschen Preßgalgen oktroyieren wird, und das gerade wünschen wir.
Geschrieben von Karl Marx.
Die Adreßdebatte in Berlin
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 259 vom 30. März 1849] * Köln, 25.März. Wir gestehen unsern Lesern, nur mit Widerwillen können wir uns dazu entschließen, die Debatten der Berliner sog. zweiten Kammer[357] nähe,. ins Auge zu fassen. Die Debatten der aufgelösten Vereinbarungsversammlung[130], so bedeutungslos und matt sie waren, hatten doch noch immer das Interesse der Aktualität; sie behandelten Gegenstände, denen kein Einfluß auf die Geschicke Europas zukam, Gesetze, denen schon von vornherein keine Dauer zuzusprechen war; aber sie behandelten eben unsere nächsten Interessen, sie boten einen getreuen Spiegel der steigenden Reaktion in Preußen. Die Debatten der gegenwärtigen Kammer dagegen haben keinen andern Zweck, als die bereits vollendete Kontrerevolution zu legalisieren. Es handelt sich nicht um die Gegenwart — man hat sie durch das Verbot der Interpellationen ausgeschlossen -, es handelt sich um die Vergangenheit, um das provisorische Interregnum vom 5.Dezember bis zum 26. Februar[3583, und wenn die Kammer dies Interregnum nicht unbedingt anerkennt, so wird sie auseinandergejagt, und ihre Tätigkeit ist abermals umsonst gewesen. Und für dergleichen Beratungen soll man sich interessieren, während in Ungarn und Italien die Revolution und die Kontrerevolution sich mit den Waffen in der Hand messen, während die Russen an der Ostgrenze stehen und Frankreich sich zu einer neuen welterschütternden Revolution vorbereitet! Die Adreßdebatte vollends gehört zu dem Ödesten, das wir uns je gelesen zu haben erinnern. Die ganze Debatte dreht sich natürlich nur um die Anerkennung oder Nichtanerkennung der oktroyierten sog. Verfassung[x235. Und was liegt daran, ob diese, unter dem Belagerungszustand und dem niederschlagenden Effekt einer glücklich durchgeführten Kontrerevolution gewählte, in einem Winkel Berlins unter dem Belagerungszustand beratende
Kammer, die nicht mucken darf, wenn sie nicht aufgelöst sein will - ob eine solche Versammlung dies Aktenstück anerkennt oder nicht? Als ob durch Anerkennung oder Nichtanerkennung an dem Gang der europäischen Revolution, die alle jetzt gültigen, oktroyierten und nicht oktroyierten Verfassungen wie Staub zerreiben wird, auch nur das mindeste geändert würde! Das einzige, was an der ganzen Debatte von Interesse ist, ist der knabenhafte Ubermut der Rechten und das feige Zusammenfallen der Linken. Die Herren Royalisten sind unverbesserlich. Kaum steht ihre Sache durch die Hülfe der gehorsamen Soldateska augenblicklich wieder besser, so glauben sie sich ins alte gelobte Land zurückgeführt und stimmen einen Ton an, der an Unverschämtheit alles übertrifft, was der Polizeistaat je geleistet. Die Herren von der Linken dagegen stimmen ihre Ansprüche in demselben Maße herab, in dem die Rechte die ihrigen hinaufschraubt. Man hört durch alle ihre Reden jene Gebrochenheit durch, die die Folge herber Enttäuschungen ist, jene Gebeugtheit des Exmitglieds derselben Versammlung, die zuerst die Revolution versumpfen ließ und nachher, im selbstgeschaffenen Sumpf versinkend, mit dem schmerzlichen Ruf unterging: Das Volk ist noch nicht reif! Selbst die entschiedenen Mitglieder der Linken, statt sich der ganzen Versammlung direkt gegenüberzustellen, geben die Hoffnung nicht auf, in der Kammer und durch die Kammer noch zu etwas zu kommen und eine Majorität für die Linke zu erlangen. Statt eine außerparlamentarische Stellung im Parlament einzunehmen, die einzige, die in einer solchen Kammer ehrenvoll ist, machen sie der parlamentarischen Möglichkeit zu Gefallen eine Konzession über die andere, statt den konstitutionellen Standpunkt nach Möglichkeit zu ignorieren, suchen sie ordentlich die Gelegenheit, um des lieben Friedens willen, mit ihm zu kokettieren. Die allgemeine Debatte dreht sich um die Anerkennung oder Nichtanerkennung der sog. Verfassung. Die Linke, die sich selbst als die Fortsetzung der steuerverweigernden Majorität der Ex-Vereinbarungsversammlung ansah, mußte mit dem entschiedensten Protest gegen den Gewaltstreich vom 5.Dezember beginnen. Und was tut sie? Sie erklärt sich bereit, die Auflösung der Nationalversammlung als eine Tatsache anzuerkennen, die nicht mehr zu ändern sei, den Prinzipienstreit über die Rechtsgültigkeit des oktroyierten Bastards fallenzulassen, alle Fußtritte und Beleidigungen mit dem Mantel der Liebe zu bedecken und sogleich zur Revision überzugehen! Die Rechte weist natürlich dies feige Anerbieten mit gebührender Verachtung zurück und zwingt die Linke in den Prinzipienstreit hinein. Der Linken geschieht ganz recht. Warum bilden sich die Herren auch
ein, sie müßten irgend etwas durchsetzen, wo einmal nichts durchzusetzen ist! Warum machen sie sich weis, sie seien berufen, dasjenige parlamentarisch durchzusetzen, was nur revolutionär, mit Gewalt der Waffen durchgesetzt werden kann! Aber freilich, die Herren sind „durch das parlamentarische Leben auf die Höhe gekommen", von der uns der Abg. Waldeck so schöne Dinge zu erzählen weiß, die Höhe, wo der esprit de corps1 anfängt und die revolutionäre Energie - s'il y en avait2 - verdunstet! Der erste Redner der bunten Partei, die man die Linke nennt, ist Herr V.Berg. Man glaube aber ja nicht den muntern kleinen Abbe des vorigen Jahres wiederzufinden, der die Herren von der Rechten mit allerlei kleinen pikanten Witzchen so hübsch zu ärgern wußte. Herr Berg tritt nicht mehr als Abbe, er tritt als Pastor auf. Er meint, es sei doch wünschenswert gewesen, den Adreßentwurf[342J so abzufassen, daß „eine möglichst große Majorität sich dafür erklären könne". Die Kammer hätte dem Lande zeigen müssen, „daß seine Vertreter gesonnen sind, bloßen Prinzipienkämpfen nicht das Wohl des Landes zu opfern". Am Schluß vermißte Herr Berg an dem Entwurf „den Geist der Versöhnung, der uns (?) durchdringt", das Streben nach „Verständigung". Er prophezeit der Kammer, sie werde durch die Adreßdebatte nicht „den Frieden, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Vaterlande begründen". In der Tat! Haben darum die Wähler von Jülich und Düren den Herrn Berg nach Berlin geschickt, daß er den Kampf um das Recht des Volks, sich selbst seine Verfassung zu geben, für einen bloßen „Prinzipienkampf" erkläre, daß er „Versöhnung" und „Verständigung" im Kanzel tone predige, daß er von „Frieden" fasele, wo es den Krieg gilt? Sie, Herr Kaplan Berg, wurden gewählt, nicht weil Sie Prediger, sondern weil Sie Steuerverweigerer waren. Ihre Wahl geschah nicht im Interesse des Friedens, sondern sie war von vornherein eine Kriegserklärung gegen den Staatsstreich. Nicht um Versöhnung und Verständigung anzubieten, sondern um zu protestieren, wurden Sie nach Berlin gesandt. Und jetzt, wo Sie Deputierter sind, jetzt erklären Sie den Kampf zwischen der Volkssouveränetät und der „Vollgewalt der Krone" für einen bloßen unfruchtbaren Prinzipienkampf! Die meisten der Herren Steuerverweigerer sind wiedergewählt, nicht weil ihre ganze Wirksamkeit vom Mai bis November 1848 die Wähler befriedigte, sondern weil sie durch den Steuerverweigerungsbeschluß3 auf revolutionären Boden getreten waren, weil man hoffen durfte, daß die Fußtritte, mit denen
die Regierung sie traktiert, ihnen endlich die Augen darüber geöffnet hätten, wie man sich der Krone und der Regierung gegenüber zu benehmen habe, um etwas durchzusetzen. Man hoffte, jeder von ihnen werde dadurch wenigstens eine Stufe weiter links gerückt sein. Stattdessen zeigt sich, daß die Züchtigung im November gefruchtet hat. Statt weiter links, sind die Herren weiter rechts gerückt. Mit dem wohlmeinendsten Heulerpathos12261 predigen sie Versöhnung und Verständigung. Sie erklären, die erhaltenen Mißhandlungen vergessen und vergeben zu wollen, sie bieten den Frieden an. Es geschieht ihnen recht, daß sie mit Hohngelächter zurückgewiesen werden. Es folgt Herr Graf Renard, Feudalherr aus Schlesien. Herr Renard bildet sich ein, im März sei nichts umgestoßen, sondern bloß ein neuer Moment hinzugefügt worden. Die Krone bleibe Krone, nur trete als „bestimmender Moment" die ständische (!) Repräsentation mit beiratender Stimme des Volks hinzu. Sonst bleibe alles beim alten. (In der Tat, das ist es gerade, was uns mit Gott für König und Vaterland oktroyiert und revidiert werden soll.) Der Deputierte habe „zu vertreten die Verfassung des Volks in seiner Gesamtheit, also das Volk mit dem Fürsten, nicht aber das Volk gegen den Fürsten". (Wozu ist dann der Fürst noch da, wenn die Deputierten ihn ohnehin schon „vertreten"?) Nach dieser neuen Staatstheorie erklärt Herr Renard der Kammer noch folgendes: Sie sei keineswegs da, „um mit der Krone zu markten und zu feilschen" — d.h. sich zu vereinbaren - „zu streiten über Worte oder meinetwegen auch über Rechte"; Regierung und Kammer seien keineswegs „die Anwälte zweier prozeßführenden Parteien". Wer sein Mandat anders verstehe, der „führe den Bürgerkrieg in den Theorien". Herr Renard spricht deutlich genug. In den profanen konstitutionellen Staaten regiert die Kammer durch ihren Ausschuß, das Ministerium, und der König hat kein andres Recht als das, ja und amen zu sagen und zu unterschreiben. So war es auch bei uns in der Zeit der Drangsal, der Zeit Camphausens, Hansemanns und Pfuels. Aber in der königlich preußischen konstitutionellen Monarchie von Gottes Gnaden ist es gerade umgekehrt: Die Krone regiert durch ihre Minister, und wehe den Kammern, wenn sie etwas anders zu tun versuchen, als ja und amen sagen zu den gottbegnadeten Ergüssen!
„Den deutlichsten Beweis", fährt Herr Renard fort, „daß kein Riß zwischen Krone und Volk besteht, gibt der gegenwärtige Moment, wo mit allgemeiner Begeisterung die deutsche Frage durch alle Provinzen tönt ... Die Begeisterung ... bezieht sich bei vielen großenteils auf die Würde, auf die Größe unsres angestammten Königshauses von Gottes Gnaden, des ritterlichen und" (besonders in der Champagne, bei Jena und am 18.März 1848[35al) „sieggewohnten Stammes der Zollern. (Heiterkeit und Bravo.)"
Von dieser Begeisterung zeugte das an demselben 19. März, wo Herr Renard diese Worte sprach, auf dem Gürzenich von fünftausend Kehlen dem deutschen Kaiser gebrachte Pereat1, zeugte wenige Tage darauf die Verwerfung des preußischen Erbkaisertums in Frankfurt, zeugte vorgestern die Frankfurter Bettelmajorität von vier ganzen Stimmen für den Erbkaiser im allgemeinen. Nein, ruft Renard,der übrigens durchaus kein Fuchs ist2, schließlich aus: „Es soll und wird niemanden gelingen, das frische Leben der Heilung anstrebenden Wunde durch ätzendes Gift zu töten und den allenfall" (also doch!) „entstandenen Spalt zur unausfüllbaren Kluft zu gestalten! „ Ehrenwertester Renard! Möge es nie Übelgesinnten gelingen, das „frische Leben" der im Frühjahr vorigen Jahres deinem feudalprivilegienstrotzenden Geldbeutel beigebrachten, nun aber vermittelst der wiederkehrenden Gnade Gottes „Heilung anstrebenden Wunde durch ätzendes Gift zu töten" und den zwischen deinen Einnahmen und Ausgaben dadurch „allenfalls entstandenen Spalt zur unausfüllbaren Kluft zu gestalten"! Herr Jacoby betritt die Tribüne. Auch Herr Jacoby, obgleich er entschiedener auftritt als Berg und in seinem Räsonnement klarer und präziser ist, kann doch das Diplomatisieren nicht lassen. Die Anerkennung der Verfassung in der Adresse sei nicht am Ort, weil sie nicht beiläufig geschehen dürfe, und nicht an der Zeit, weil die Verfassung noch nicht revidiert, definitiv sanktioniert und beschworen sei. Als ob die Anerkennung einer solchen Verfassung je am Ort und an der Zeit sein könnte! Auch er „will nicht den alten Streit erneuern" über die Sprengung der VereinbarungsVersammlung; ob sie eine rettende Tat oder End- und Zielpunkt einer Diplomatenkonspiration gewesen, will er „der unparteiischen Geschichte überlassen". Die „unparteiische Geschichte" wird registrieren, daß die Leute, die so laut sprachen, als sie die Majorität hatten, jetzt, wo sie in der Minorität sind, mit der Demut gezüchtigter Schul knaben auftreten.
„Was die Anerkennung der Verfassung durch das Volk betrifft, habe ich dem entgegenzustellen, daß diese unsere Versammlung das einzige rechtmäßige, das einzig zu einer solchen Anerkennung befugte Organ ist." Nein, Herr Jacoby, das ist Ihre Versammlung keineswegs. Ihre Versammlung ist weiter nichts als das größtenteils durch Regierungsumtriebe zustande gekommene Organ der auf Grund des oktroyierten sog. Wahlgesetzes vermittelst der famosen „Selbständigkeit" erwählten Wahlmänner12351. Ihre
Versammlung mag die Verfassung anerkennen, so ist das nur eine Anerkennung der oktroyierten Verfassung durch die oktroyierte Verfassung selbst. Das Volk wird sich wenig daran stören und die „unparteiische Geschichte" wird über ein kleines zu registrieren haben, daß diese sog. Verfassung trotz ihrer Anerkennung — sollte es je zu dieser kommen — im Laufe der europäischen Revolution niedergetreten wurde und verschwunden ist, man weiß nicht wie. Herr Jacoby weiß das wahrscheinlich so gut wie wir; die Rechte der Kammer weiß auch, daß er es weiß; wozu also all dieser Rechtsboden-Firlefanz, vollends, wenn man den Rechtsboden der gesprengten Versammlung im Zweifel lassen will! Herr Scherer, Advokat und Abgeordneter von Düsseldorf-Elberfeld, entsetzt sich höchlich über den d'Esterschen Adreßentwurf. Er meint, die Deputation, die eine solche Adresse dem König überreiche, müsse „den bewaffneten Aufstand in ihrem Gefolge haben". Wenn man den bewaffneten Aufstand im Gefolge hat, Herr Scherer, dann spricht man noch ganz anders mit Königen! Dieser Entwurf „schleudre die Fackel ins Land"; aber Herr Scherer glaubt, „sie werde nicht zünden, sondern nur ihren Trägern zum Schaden gereichen"/ Man kann nicht deutlicher sprechen. Herr Scherer gibt der Linken den wohlmeinenden Rat, den Entwurf zurückzuziehen, sonst werde man sie eines Morgens zu fassen wissen, trotz des Urtverletzlichkeitsparagraphen.[360] Sehr menschenfreundlich, Herr Scherer! Es erhebt sich nunmehr Herr Waldeck. Wir finden ihn unverändert wieder: links, aber nicht weiter links, als es angeht, wenn man sich möglich halten will. Herr Waldeck beginnt mit dem Ausdruck seiner Verdrießlichkeit darüber, daß die Rechte ihm immer den fatalen Streit über den Staatsstreich vom November zuschieben will. Herr Waldeck und „seine Partei" hat sich ja „deutlich genug darüber ausgesprochen, daß dieser Prinzipienstreit gar nicht hätte erhoben werden sollen". Nach seiner Ansicht „ist die Versammlung darüber einig" (schlimm genug!) „was sie mit der Verfassung tun soll" — nämlich sie revidieren. Herr Waldeck setzt nun abermals auseinander, warum der Prinzipienstreit überflüssig sei, und appelliert noch einmal an das bessere Gefühl der Rechten: „Können Sie nicht diese Frage in der Zwischenzeit sehr wohl ruhen lassen? ... Sie verlieren bei Ihrer Ansicht gar nichts; schonen Sie aber die Ansichten anderer!" Würdige Sprache eines auseinandergejagten „Volksvertreters" zu derselben Majorität, die sich die Hände vor Freude reibt, wenn sie an die gelungene Auseinanderjagung denkt. „Schonen Sie doch die Ansichten andrer!" Um Schonung fleht der große Mann!
Dann aber, wenn die Verfassungsarbeit fertig ist, dann „hofft" der Minister der Zukunft, „dann wird diese Versammlung durch das parlamentarische Leben wirklich auf die Höhe gekommen sein, welche notwendig ist, um die Folgen einer solchen Erklärung" (über die Gültigkeit der Verfassung) „wohl zu erkennen"!! Wahrhaftig! Tun nicht unsre neugebackenen Tribünenritter, die kaum sieben Monate parlamentarische Praxis hinter sich haben, schon gerade so altklug und weise, als hätten sie 50 Jahre auf den Bänken von St.Stephens gesessen und alle Pariser Kammern von der Introuvable von 1815 bis zur Introuvable des 24.Februar durchgemacht S1*3611 Aber das ist wahr. Unsre Tribünenritter haben in ihrer kurzen Karriere soviel parlamentarische Selbstgenügsamkeit geschluckt, sind so sehr aller revolutionären Energie - si jamais il y en avait1 — entkleidet worden, als wären sie im Pathos der Parlamente grau geworden. Nach Herrn Waldeck produziert sich Seine weiland Exzellenz, der ehedem allgewaltige Herr von Bodelschwingh. Gerade wie Herr Manteuffel, so ist auch sein ehemaliger Vorgesetzter „auf Befehl Sr. Majestät" konstitutionell geworden. Es ist ganz amüsant, den letzten Premier des Absolutismus die konstitutionelle Monarchie verteidigen zu hören. Herr Bodelschwingh pflegte vor dem Februar für den besten Redner des damaligen Ministeriums zu gelten. Auf dem Vereinigten Landtag[137] hatte er sich noch am geschicktesten durchgeschlagen. Aber wenn man seine jetzige Rede liest, so erschrickt man in seinem eigenen Interesse über die Albernheit und die Fadaise dieses sonderbaren Vortrags. Herr Bodelschwingh ist auf Befehl konstitutionell geworden; abgesehen von diesem Wort aber ist er, wir wissen nicht, ob auf Befehl oder ohne Befehl, ganz der alte geblieben. Er entschuldigt sich damit, daß er „in ländlicher Zurückgezogenheit" gelebt habe; aber man sollte wirklich meinen, er habe sich das ganze Jahr über begraben lassen. Er bekennt, daß er durch den höchst unschuldigen Adreßentwurf der Linken „in einer Weise und in einem Umfang über ihre Ansichten aufgeklärt worden, von dem er vor seinem Erscheinen in der Kammer nicht einmal eine Ahnung hatte". Quel bonhomme!2 Als Herr Bodelschwingh noch Preußen regierte, müssen ihn seine zahlreichen Spione für unser Geld merkwürdig schlecht unterrichtet haben, daß er jetzt glauben kann, dergleichen sei seitdem plötzlich aus der Erde emporgeschossen! Die Linke hatte erklärt, sie sei hier nicht auf Grund der oktroyierten
Standrechtscharte, sondern auf Grund des allgemeinen Stimmrechts. Was antwortet Herr Bodelschwingh? „Wenn wir unsern Sitz aus dem allgemeinen Wahlrecht ableiten, so bedarf es all der Formalitäten" (der Wahlprüfung) „nicht. Wir brauchen nur auf den Markt zu treten und zu sagen: Wählt mich! Ich weiß nicht, wieviel Partikelchen des allgemeinen Wahlrechts Sie für erforderlich halten, um den Eintritt in dies Haus zu beanspruchen. Nehmen Sie, soviel Sie wollen, genugsam Stimmen würden sich auf diese Weise leicht auftreiben lassen; es würde sich mit Anerkennung dieses Rechtes der Raum dieses Hauses bald so füllen, daß unseres Bleibens nicht mehr wäre; meinerseits würde ich wenigstens meinen Sitz je eher, je lieber aufgeben." Wenn ein westfälischer Bauer oder wenn Herr v. Bodelschwingh zu der Zeit, wo er noch Minister war, diesen Tiefsinn über das allgemeine Stimmrecht zutage gefördert hätte, so würde uns das nicht wundern. In diesem Sinn hat obige Stelle das Interessante, daß sie beweist, wie man preußischer Premier sein und die ganze examinierte Bürokratie dirigieren konnte, ohne von den allernächsten Fragen von europäischem Interesse „auch nur eine Ahnung zu haben". Aber daß man, nachdem in Frankreich das allgemeine Stimmrecht zweimal fungiert hat, nachdem das, was die Linke allgemeines Stimmrecht nennt, in Preußen zweimal fungiert und sogar dem Herrn Bodelschwingh selbst seinen Sitz in der Kammer oktroyiert hat -, daß man da noch in so fabelhaften Phantasien über das allgemeine Stimmrecht sich ergehen kann, dazu muß man antediluvianischer preußischer Minister gewesen sein! Doch vergessen wir nicht, Herr Bodelschwingh war begraben und ist erst wieder auferstanden, um „auf Befehl Sr.Majestät" in die Kammer zu treten! Nachher heißt es: „Wenn wir auch keineswegs der Ansicht sind, daß diese Verfassung erst durch die Revision ihre Geltung erhalte, so vertrauen wir doch vollkommen, daß die Krone den Wünschen (!) ... der Kammern ... ihre Sanktion nicht entziehen wird ... mit dem Bewußtsein, daß wir mit der Regierung nicht zu mäkeln und zu rechten brauchen, als ständen wir Feinden gegenüber, sondern mit der Überzeugung, daß wir der Krone gegenüberstehn, welche wie wir nur das Wohl des Vaterlandes im Auge hat ... in guten und bösen Tagen fest zusammenhalten mit unsern Fürsten ... Grundlagen der Gottesfurcht, der Achtung vor dem Gesetz^des Gemeinsinns usw." Herr Bodelschwingh glaubte noch im Vereinigten Landtag zu sprechen. Er steht vor wie nach auf dem Boden des Vertrauens. Aber der Mann hat ja recht! Das von der Linken sogenannte allgemeine Stimmrecht hat ja vermittelst Selbständigkeitsparagraphen, indirekter Wahl und Manteuffelschen Manövern eine Kammer zustande gebracht, die sich gar nicht zu schämen brauchte, „Hoher Vereinigter Landtag" angeredet zu werden.
Nach einer unbedeutenden Rede des Abg. Schulze-Delitzsch tritt auf Se. weiland Exzellenz der Herr Graf Arnim. Herr Arnim hat das letzte Jahr nicht geschlafen wie Herr Bodelschwingh. Er weiß, was er will. Warum wir die Verfassung jetzt gleich in Bausch und Bogen anerkennen wollen, sagt er, ist klar. „ Ist es denn so sicher, daß das Geschäft der Revision zu einem Resultat fähren werde? Wie denn? Was gilt dann für ein Grundgesetz? Gerade also weil wir in dem Falle sind, daß eine Einigung zwischen den drei Gewalten über die Punkte der Revision ungewiß ist, gerade darum liegt uns daran, daß auch für diesen Fall das Volk eine Verfassung habe." Ist das deutlich? Das ist schon die zweite leise Andeutung in dieser einen Sitzung. Der Abgeordnete d'Ester spricht noch gegen den Kommissionsentwurf. D'Esters Rede ist bei weitem die beste, die von seiten der Linken in dieser allgemeinen Debatte gefallen. Die Keckheit und Lebhaftigkeit, mit der der Abgeordnete von Mayen die Herren von der Rechten attackiert, macht einen angenehmen Eindruck mitten in dieser trübseligen und ledernen Debatte. Aber auch d'Ester kann nicht ohne diplomatische Konzessionen und parlamentarische Windungen sprechen. Er sagt z.B., auch er stimme damit vollkommen überein, daß die Revolution beendigt werden müsse. Wenn bei dem Deputierten dies Wort aus parlamentarischen Rücksichten vielleicht zu entschuldigen ist, so durfte das Mitglied des demokratischen Zentralausschussest3101 so etwas nie aussprechen, so durfte der Mann, der gleich darauf mit Vincke die Debatte über die respektive „Bildungsstufe" begann, auch nicht den Schein auf sich bringen, als sei er einer solchen Faselei fähig. Zudem glaubt es ihm doch kein Mensch. Zum Schluß stimmt noch der Abg. Riedel ein Triumphlied darüber an, daß „die Krone das Recht der Gesetzgebung wieder an sich genommen" habe. Ein ironisches Bravo macht ihn aufmerksam, daß er aus der Schule geplaudert. Er erschrickt und setzt hinzu: „Provisorisch, versteht sich!" Dritter leiser Wink für die Herren Abgeordneten! Man geht zur speziellen Debatte über. Wir versparen sie auf morgen. p
Der Krieg in Italien und Ungarn
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 257 vom 28. März 1849] * Köln, 27.März. Der Krieg in Italien hat begonnen.[362] Mit ihm hat sich die habsburgische Monarchie eine Last aufgeladen, der sie wahrscheinlich erliegen wird. Solange Ungarn nicht in offenem Kriege mit der Gesamtmonarchie, sondern bloß in einem schwankenden Kriegszustande gegen die Südslawen sich befand, solange war es keine Kunst für Ostreich, mit den nur halb revolutionierten, zersplitterten, durch dreifachen fürstlichen Verrat gelähmten Italienern fertig zu werden. Und doch, welche Mühe hat es nicht gekostet! Erst mußten der Papst1, der toskanische Großherzog2 ihre Truppen - direkt oder indirekt - aus dem Venetianischen zurückziehen, erst mußten Karl Albert und seine teils unfähigen, teils verkauften Feldherrn direkten Verrat an der Sache Italiens begehen, erst mußten vor allem bald die Magyaren, bald die Südslawen durch achselträgerische Politik und scheinbare Konzessionen zur Truppenstellung nach Italien gebracht werden, ehe Radetzky seine Siege am Mincio erfechten konnte. Man weiß, daß erst die massenweise nach Italien gezogenen südslawischen Grenzregimenter die desorganisierte östreichische Armee wieder kampffähig machten. Solange ferner der Waffenstillstand mit Piemont dauerte, solange Ostreich bloß genötigt war, seine italienische Armee auf der bisherigen Stärke zu erhalten, ohne sie außerordentlich verstärken zu müssen, solange konnte es die Hauptmasse seiner 600000 Soldaten gegen Ungarn richten, konnte die Magyaren aus einer Position in die andere zurückdrängen, und endlich sogar, durch täglich nachrückende Verstärkungen, dahin gelangen, die magyarische Macht zu erdrücken. Der Übermacht hätte Kossuth auf die Dauer ebensogut wie Napoleon erliegen müssen.
^ius IX.-2 Leopold II.
Aber der Krieg in Italien ändert die Lage der Dinge sehr. Von dem Augenblick an, wo die Kündigung des Waffenstillstandes gewiß war, mußte Ostreich seine Truppensendungen nach Italien verdoppeln, mußte seine frisch ausgehobnen Rekruten zwischen Windischgrätz und Radetzky teilen. Auf diese Weise steht zu erwarten, daß keiner genug bekommt. Während es sich daher bei den Magyaren und Italienern bloß darum handelt, Zeit zu gewinnen - Zeit, um Waffen zu beziehen und anzufertigen, Zeit, um Landsturm und Nationalgarden zu felddienstfähigen Soldaten einzuüben, Zeit, um die Revolutionierung des Landes durchzuführen — verliert Ostreich im Verhältnis zu seinen Gegnern jeden Tag an Macht. Während Rom, Toskana und selbst Piemont durch den Krieg selbst immer tiefer in die Revolution hineingeschleudert, täglich zu größerer revolutionärer Energie gezwungen werden, während sie auf die mit raschen Schritten heranrückende Krisis in Frankreich warten können, währenddes gewinnt in Ostreich das dritte desorganisierende Element, die slawische Opposition, täglich mehr Terrain und organisiert sich täglich besser. Die oktroyierte Verfassung13181, die die Slawen zum Dank dafür, daß sie Ostreich gerettet, hinter den März zurückschleudert, die vielen Beleidigungen der Slawen durch bürokratische und soldatische Ubergriffe sind geschehene Tatsachen, an denen sich nichts ändern läßt. Daß unter diesen Umständen die „Kölnische Zeitung"[21] die möglichste Eile hat, die Kaiserlichen mit dem unangenehmen ungarischen Krieg fertig werden zu lassen, ist begreiflich. Gestern läßt sie sie demgemäß in drei Kolonnen über die Theiß gehen — eine Nachricht, die um so glaubwürdiger ist, je weniger sie bis jetzt durch ein Bulletin bestätigt wird. Von anderer Seite dagegen wird berichtet, daß ganz im Gegenteil die magyarische Armee in Eilmärschen gegen Pest rücke und offenbar den Entsatz Komorns beabsichtige. Komorn, obwohl heftig bombardiert, hält sich tapfer. Während des Bombardements taten sie keinen Schuß; als aber die Östreicher einen Sturm versuchten, wurden sie durch ein mörderisches Kartätschenfeuer mit großem Verlust zurückgeschlagen. Das polnische Ulanenregiment Herzog Coburg soll, als Dembinski seinen Angriff ruhig erwartete und die Melodie „Noch ist Polen nicht verloren "[363] aufspielen ließ, zu den Magyaren übergegangen sein. Das sind alle Nachrichten vom ungarischen Kriegsschauplatz, die wir heute zu geben im "tan de sind. Die Wiener Post vom 23. ist ausgeblieben. Wenden wir uns jetzt zum italienischen Kriegsschauplatz. Hier ist die piemontesische Armee in einem langen Bogen längs des Tessin und des Po aufgestellt. Ihre erste Linie dehnt sich von Arona über Novara, Vigevano
Voghera bis Castel San Giovanni vor Piacenza. Ihre Reserve steht einige Meilen weiter zurück an der Sesia und Bormida, bei Verzeih, Trnio und Alessandria. Am äußersten rechten Flügel bei Sarzana an der toskanisch-modenesischen Grenze steht ein detachiertes Korps unter La Marmora, bereit, durch die Pässe der Lunigiane nach Parma und Modena einzufallen, sich links an den rechten Flügel der Hauptarmee, rechts an die toskanische und römische Armee anzuschließen, je nach Umständen Po und Etsch zu überschreiten und im Venetianischen zu operieren. Gegenüber, auf dem linken Ufer des Tessin und Po, steht Radetzky. Seine Armee ist bekanntlich in zwei Korps geteilt, von denen eins die Lombardei, das andre das Venetianische besetzt hält. Während aus letzterer Provinz gar keine Truppendislokationen gemeldet werden, hören wir von allen Seiten, daß Radetzky in der Lombardei sein ganzes Heer am Tessin konzentriert. Er hat seine sämtlichen Truppen aus Parma gezogen und in Modena nur ein paar hundert Mann in der Zitadelle zurückgelassen. Varese, Como, Val d'Intelvi und Valtellina sind von Truppen gänzlich entblößt, und selbst die Grenzwächter der Douane sind verschwunden. Die ganze disponible Streitmacht Radetzkys, 50000 Mann stark, steht von Magenta bis Pavia den Tessin, von Pavia bis Piacenza den Po entlang aufgestellt. Radetzky selbst soll den tollkühnen Plan gehabt haben, mit dieser Armee sofort über den Tessin zu gehen und unter dem Schutz der unvermeidlichen Bestürzung der Italiener direkt auf Turin zu marschieren. Man erinnert sich noch vom vorigen Jahre, wie Radetzky mehr als einmal dergleichen napoleonische Gelüste hegte und wie sie ihm bereits damals bekamen. Diesmal widersetzte sich jedoch der ganze Kriegsrat, und man beschloß, ohne entscheidende Schlacht gegen die Adda, den Oglio, und im Notfall selbst den Chiese zurückzugehen, um dort aus dem Venetianischen und aus Illyrien Verstärkungen an sich zu ziehen. Es wird von den Manövern der Piemontesen und von dem Kriegseifer der Lombarden abhängen, ob dieser Rückzug ohne Verlust abgehen und ob es den Östreichern gelingen wird, die Piemontesen lange aufzuhalten. Der südliche Alpenabhang nämlich, die Comasca, die Brianza, die Bergamaska, das Veltlin (Val Tellina) und das Brescianische, die jetzt schon größtenteils von den Östreichern verlassen sind, eignen sich im höchsten Grade zum nationalen Parteigängerkriege. Die in der Ebene konzentrierten Östreicher müssen das Gebirge freilassen. Hier können die Piemontesen durch rasches Vordringen mit leichten Truppen auf dem rechten Flügel der Östreicher schnell Guerillas organisieren, die die Flanke und, im Fall der Niederlage eines einzelnen Korps,den
Rückzug der Kaiserlichen bedrohen, ihnen die Zufuhren abschneiden, und die Insurrektion bis in die Tritentiner Alpen fortpflanzen. Garibaldi wäre hier an seinem Platz. Aber es wird ihm nicht einfallen, nochmals unter dem Verräter Karl Albert zu dienen.13641 Die toskanisch-römische Armee, von La Marmora unterstützt, wird die Po-Linie von Piacenza bis Ferrara zu besetzen, möglichst bald den Po und in zweiter Linie die Etsch zu passieren, Radetzky von dem östreich-venetianischen Korps zu trennen und auf seinem linken Flügel, resp. in seinem Rücken zu operieren haben. Sie wird indes schwerlich rasch genug eintreffen, um auf die ersten Kriegsoperationen einen Einfluß zu üben. Aber mehr als alles das entscheidet die Haltung der Piemontesen. Die Armee ist gut und kriegslustig; aber wenn sie wieder verraten wird, wie im vorigen Jahr, so muß sie geschlagen werden. Die Lombarden rufen nach Waffen, um sich gegen diese Unterdrücker zu schlagen; aber wenn wieder, wie voriges Jahr, eine schwankende Bourgeoisregierung den Aufstand in Masse lähmt, so kann Radetzky noch einmal seinen Einzug in Mailand halten. Gegen Verrat und Feigheit der Regierung gibt es nur ein Mittel: die Revolution. Und vielleicht ist gerade ein neuer Wortbruch Karl Alberts, eine neue Treulosigkeit des lombardischen Adels und der Bourgeoisie nötig, um die italienische Revolution und zugleich mit ihr den italienischen Unabhängigkeitskrieg durchzuführen. Dann aber wehe den Verrätern!
Die Niederlage der Piemontesen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.260 vom 3I.März 1849] * Köln, 30.März. Der Verrat Ramorinos hat seine Früchte getragen. Die piemontesische Armee ist bei Novara vollständig geschlagen und nach Borgomanero, an den Fuß der Alpen zurückgetrieben. Die Östreicher haben Novara, Vercelli und Trino besetzt, und die Straße nach Turin steht ihnen offen. Es fehlen bis jetzt alle näheren Angaben. Soviel aber steht fest, daß ohne Ramorino, der den Östreichern erlaubte, sich zwischen die verschiedenen piemontesischen Divisionen zu drängen und einen Teil derselben zu isolieren, der Sieg unmöglich war. Daß Karl Albert ebenfalls Verrat geübt hat, kann nicht bezweifelt werden. Ob aber bloß durch Vermittelung Ramorinos oder auch sonst noch, werden wir erst später erfahren. Ramorino ist derselbe Abenteurer, der, nach einer mehr als zweideutigen Laufbahn im polnischen Kriege von 1830/31[233], auf dem Savoyerzuge 1834E365] an demselben Tage, wo die Sache einen ernsthaften Charakter annahm, mit der ganzen Kriegskasse verschwand, und der später in London dem Ex-Herzog von Braunschweig für 1200 Pfd. Sterl. einen Plan zur Eroberung Deutschlands machte. Daß ein solcher Industrieller nur angestellt werden konnte, beweist, wie sehr Karl Albert, der die Republikaner von Genua und Turin mehr fürchtet als die Östreicher, von vornherein schon auf Verrat sann. Daß man nach dieser Niederlage eine Revolution und die Proklamierung der Republik in Turin erwartet, geht daraus hervor, daß man ihr durch die Abdankung Karl Alberts zugunsten seines ältesten Sohnes1 vorzubeugen versucht.
1 Viktor Emanuel II
25 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Die Niederlage der Piemontesen ist wichtiger als alle deutschen Kaiserpossen zusammen. Sie ist die Niederlage der gesamten italienischen Revolution. Nach der Besiegung Piemonts kommt die Reihe an Rom und Florenz. Aber wenn nicht alle Zeichen trügen, so wird gerade diese Niederlage der italienischen Revolution das Signal sein zum Losbruch der europäischen Revolution. Das französische Volk sieht in demselben Verhältnis, als es im Innern des Landes von der eigenen Kontrerevolution mehr und mehr geknechtet wird, die bewaffnete Kontrerevolution des Auslandes seinen Grenzen näher rücken. Dem Junisieg und der Diktatur Cavaignac in Paris entsprach der siegreiche Marsch Radetzkys bis an den Mincio; der Präsidentschaft Bonaparte, Barrot und dem Klubgesetz1-2401 entspricht der Sieg bei Novara und der Marsch der Österreicher an die Alpen. Paris ist reif zu einer neuen Revolution. Savoyen, das seit einem Jahr seinen Abfall von Piemont und seinen Anschluß an Frankreich vorbereitet, das sich sträubte, am Kriege sich zu beteiligen, Savoyen wird sich Frankreich in die Arme werfen wollen; Barrot und Bonaparte müssen es zurückweisen. Genua, vielleicht Turin, wenn es noch Zeit ist, werden die Republik proklamieren und Frankreichs Hülfe anrufen; und Odilon Barrot wird ihnen gravitätisch zur Antwort geben, er werde die Integrität des sardinischen Gebiets zu schützen wissen. Aber wenn das Ministerium es nicht wissen will, das Volk von Paris weiß es, daß Frankreich die Östreicher in Turin und Genua nicht dulden darf. Und das Volk von Paris wird sie dort nicht dulden. Es wird auf die Italiener durch eine siegreiche Erhebung antworten, und die französische Armee, die einzige in Europa, die seit dem 24. Februar12361 nicht auf offenem Schlachtfelde stand, wird sich ihm anschließen. Die französische Armee brennt vor Begierde, die Alpen zu überschreiten und sich mit den Östreichern zu messen. Sie ist nicht gewohnt, einer Revolution entgegenzutreten, die ihr neuen Ruhm und neue Lorbeeren verheißt, die mit der Fahne des Kriegs gegen die Koalition auftritt. Die französische Armee ist nicht „Mein herrliches Kriegsheer"1-1961. Die Niederlage der Italiener ist bitter. Kein Volk, außer den Polen, ist so schmählich von der Gewalt übermächtiger Nachbarn erdrückt worden, keins hat so oft und so mutig versucht, den Druck abzuschütteln. Und jedesmal muß dies unglückliche Volk seinen Unterdrückern wieder erliegen; das Ziel aller Anstrengungen, aller Kämpfe ist nichts als neue Niederlagen 1 Aber wenn diese Niederlage eine Revolution in Paris zur Folge hat und den europäischen Krieg zum Ausbruch bringt, dessen Vorzeichen an allen Ecken und Enden sich zeigen; wenn sie der Anstoß ist zu einer neuen Bewegung über den ganzen
Kontinent, einer Bewegung, die diesmal einen andern Charakter haben wird als die des vorigen Jahres — dann haben selbst die Italiener Ursache, sich dazu Glück zu wünschen.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.261 vom 1. April 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, 1 .April. Nach den letzten Berichten, die aus Italien eintreffen, ist die Niederlage der Piemontesen bei Novara keineswegs so entscheidend, wie die nach Paris gesandte telegraphische Depesche berichtet hatte. Die Piemontesen sind geschlagen, sie sind von Turin abgeschnitten und ins Gebirge geworfen worden. Das ist alles. Wäre Piemont eine Republik, wäre die Turiner Regierung revolutionär und hätte sie den Mut, zu revolutionären Mitteln zu greifen - es wäre nichts verloren. Aber die italienische Unabhängigkeit geht verloren - nicht an der Unbesiegbarkeit der östreichischen Waffen, sondern an der Feigheit des piemontesischen Königtums. Wodurch haben die Ostreicher gesiegt? Dadurch, daß in der piemontesischen Armee durch den Verrat Ramorinos zwei Divisionen von den übrigen drei getrennt und diese drei isoliert durch die östreichische Uberzahl geschlagen wurden. Diese drei Divisionen sind jetzt an den Fuß der Walliser Alpen zurückgedrängt. Es war von vornherein ein enormer Fehler, daß die Piemontesen den Östreichern bloß eine regelmäßige Armee entgegensetzen, daß sie mit ihnen einen gewöhnlichen, bürgerlichen, honetten Krieg führen wollten. Ein Volk, das sich seine Unabhängigkeit erobern will, darf sich nicht auf die gewöhnlichen Kriegsmittel beschränken. Aufstand in Masse, Revolutionskrieg, Guerillas überall, das ist das einzige Mittel, wodurch ein kleines Volle mit einem großen fertig werden, wodurch eine minder starke Armee in den Stand gesetzt werden kann, der stärkeren und besser organisierten zu widerstehen. Die Spanier haben es 1807-[18]12 bewiesen13665, die Ungarn beweisen es noch jetzt. Chrzanowski war bei Novara geschlagen und von Turin abgeschnitten; Radetzky stand 9 Meilen von Turin. In einer Monarchie, wie Piemont, selbst in einer konstitutionellen, war damit der Feldzug entschieden; man kam um Frieden bei Radetzky ein. Aber in einer Republik war damit gar nichts entschieden. Hätte nicht die unvermeidliche Feigheit der Monarchien, die nie den Mut hat, zu den äußersten revolutionären Mitteln zu greifen, hätte nicht diese Feigheit davon zurückgehalten, die Niederlage Chrzanowskis hätte ein Glück für Italien werden können.
Wäre Piemont eine Republik, die keine Rücksicht auf monarchische Traditionen zu nehmen hätte, so stand ihm ein Weg offen, den Feldzug ganz anders zu beendigen. Chrzanowski war nach Biella und Borgomanero zurückgetrieben. Dort, wo die Schweizeralpen jeden weitern Rückzug, wo die zwei oder drei engen Flußtäler jede Zerstreuung der Armee so gut wie unmöglich machen, dort war es leicht, die Armee zu konzentrieren und durch einen kühnen Marsch Radetzky s Sieg fruchtlos zu machen. Wenn die Chefs der piemontesischen Armee revolutionären Mut besaßen, wenn sie wußten, daß in Turin eine revolutionäre, aufs äußerste gefaßte Regierung saß, so war ihre Handlungsweise sehr einfach. Am Lago Maggiore standen nach der Schlacht von Novara 30 [000] bis 40000 Mann piemontesischer Truppen. Dies Korps, in zwei Tagen konzentriert, konnte sich in die Lombardei werfen, in der nicht 12000 Mann Ostreicher stehn; es konnte Mailand, Brescia, Cremona besetzenden allgemeinen Aufstand organisieren, die einzelnen aus dem Venetianischen heranrückenden östreichischen Korps einzeln schlagen und damit Radetzkys ganze Operationsbasis in die Luft sprengen. Radetzky, statt auf Turin zu marschieren, hätte sofort umdrehen und in die Lombardei zurückkehren müssen, verfolgt von dem Massenaufgebot der Piemontesen, das natürlich die lombardische Insurrektion unterstützen mußte. Dieser wirkliche Nationalkrieg, ein Krieg, wie ihn die Lombarden im März 1848 führten und womit sie Radetzky hinter den Oglio und Mincio jagten, dieser Krieg hätte ganz Italien in den Kampf gejagt und den Römern und Toskanern ganz andere Energie eingeflößt. Während Radetzky noch zwischen Po und Tessin stand und sich besann, ob er vorwärts oder rückwärts gehen solle, konnten die Piemontesen und Lombarden bis vor Venedig marschieren, Venedig entsetzen, La Marmora und römische Truppen an sich ziehen, den östreichischen Feldmarschall durch zahllose Guerillasschwärme beunruhigen und schwächen, seine Truppen zersplittern und ihn endlich schlagen. Die Lombardei wartete nur des Einmarsches der Piemontesen; sie erhob sich schon, ohne ihn abzuwarten. Nur die östreichischen Zitadellen hielten die lombardischen Städte im Zaum. Zehntausend Mann Piemontesen waren schon in der Lombardei; wären noch 20[000]-30000 hineinmarschiert, so war Radetzkys Rückzug unmöglich. Aber der Aufstand in Masse, die allgemeine Insurrektion des Volkes, das sind Mittel, vor deren Anwendung das Königtum zurückschreckt. Das sind Mittel, die nur die Republik anwendet - 1793 liefert den Beweis dafür. Das
sind Mittel, deren Ausführung den revolutionären Terrorismus voraussetzt, und wo ist ein Monarch gewesen, der sich dazu entschließen konnte? Was die Italiener also ruiniert hat, das ist nicht die Niederlage von Novara und Vigevano, das ist die Feigheit und Mäßigung, in die die Monarchie sie hineinzwängt. Die verlorne Schlacht von Novara brachte bloß einen strate~ gischen Nachteil: Sie waren von Turin abgeschnitten, während den Österreichern der Weg dahin offen stand. Dieser Nachteil war gänzlich bedeutungslos, wenn der verlorenen Schlacht der wirkliche Revolutionskrieg auf dem Fuße folgte, wenn der Rest der italienischen Armee sich sogleich zum Kern der nationalen Massenerhebung erklärte, wenn der honette strategische Armeekrieg in einen Volkskrieg umgewandelt wurde, wie die Franzosen ihn 1793 führten. Aber freilich! Revolutionskrieg, Massenerhebung und Terrorismus — dazu wird die Monarchie sich nie verstehen. Eher schließt sie Frieden mit ihrem bittersten, ebenbürtigen Feind, ehe sie sich mit dem Volk verbündet. Karl Albert mag Verräter sein oder nicht - die Krone Karl Alberts, die Monarchie allein hätte hingereicht, Italien zu ruinieren. Aber Karl Albert ist Verräter. Durch alle französischen Blätter geht die Nachricht von dem großen europäischen Kontrerevolutionskomplott zwischen sämtlichen Großmächten, von dem Feldzugsplan der Kontrerevolution zur schließlichen Unterdrückung aller europäischen Völker. Rußland und England, Preußen und Österreich, Frankreich und Sardinien haben diese neue Heilige Allianz[167] unterzeichnet. Karl Albert hatte den Befehl, mit Ostreich Krieg anzufangen, sich schlagen zu lassen und dadurch den Östreichern Gelegenheit zu geben, in Piemont, in Florenz, in Rom die „Ruhe" wiederherzustellen und überall standrechtliche Konstitutionen oktroyieren zu lassen. Dafür bekam Karl Albert Parma und Piacenza, die Russen pazifizierten Ungarn; Frankreich sollte Kaiserreich werden, und damit war die Ruhe Europas hergestellt. Das ist, nach französischen Blättern, der große Plan der Kontrerevolution; und dieser Plan erklärt Ramorinos Verrat und erklärt die Niederlage der Italiener. Die Monarchie aber hat durch den Sieg Radetzkys einen neuen Stoß erhalten. Die Schlacht bei Novara und die darauf folgende Lähmung der Piemontesen beweist, daß ein Volk in den äußersten Fällen, wo es seiner ganzen Kraftanstrengung bedarf, um sich zu retten, durch nichts mehr gehemmt wird, als durch die Monarchie. Wenn Italien nicht an der Monarchie zugrunde gehen soll, so muß vor allem die Monarchie in Italien zugrunde gehen.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 263 vom 4.April 1849] * Jetzt endlich liegen die Ereignisse des piemontesischen Feldzugs bis zum Sieg der Österreicher bei Novara offen und deutlich vor uns. Während Radetzky absichtlich das falsche Gerücht verbreiten ließ, er werde sich auf der Defensive halten und gegen die Adda zurückgehen, zog er in der Stille seine sämtlichen Truppen um Sant Angelo und Pavia zusammen. Er war durch den Verrat der österreichisch-reaktionären Partei in Turin vollständig von allen Plänen und Dispositionen Chrzanowskis, von der ganzen Stellung seiner Armee unterrichtet, wogegen es ihm gelang, die Piemontesen über die seinigen vollständig zu täuschen. Daher die Aufstellung der piemontesischen Armee zu beiden Seiten des Po, die nur darauf berechnet war, von allen Seiten zugleich mit einer konzentrischen Bewegung gegen Mailand und Lodi vorzudringen. Aber dennoch war bei einem ernsthaften Widerstand im Zentrum der piemontesischen Armee keineswegs an die raschen Erfolge zu denken, die Radetzky jetzt errungen hat. Trat ihm das Korps Ramorino bei Pavia in den Weg, so blieb Zeit genug, ihm den Übergang über den Tessin zu bestreiten, bis Verstärkungen herangezogen waren. Inzwischen konnten die Divisionen, die auf dem rechten Po-Ufer und bei Arona standen, ebenfalls eintreffen; die piemontesische Armee, parallel dem Tessin aufgestellt, deckte Turin und war mehr als hinreichend, die Armee Radetzkys zu Paaren zu treiben. Darauf, daß Ramorino seine Schuldigkeit tun würde, mußte natürlich gerechnet werden. Er tat sie nicht. Er gestattete Radetzky den Übergang über den Tessin, und damit war das piemontesische Zentrum durchbrochen, waren die jenseits des Po aufgestellten Divisionen isoliert. Damit war eigentlich der Feldzug schon entschieden. Radetzky stellte nun seine ganze 60000-70000 Mann mit 120 Kanonen starke Macht zwischen dem Tessin und der Agogna auf und nahm die fünf den Tessin entlang aufgestellten piemontesischen Divisionen in die Flanke. Die zunächst aufgestellten vier schlug er mit seiner kolossalen Ubermacht bei Mortara, Garlasco und Vigevano am 21. zurück, nahm Mortara, zwang dadurch die Piemontesen, sich auf Novara zurückzuziehen, und bedrohte die einzige ihnen noch offne Straße nach Turin, die von Novara über Vercelli und Chivasso. Diese Straße war aber bereits für die Piemontesen verloren. Um ihre Truppen zusammenzuziehen und namentlich um die am äußersten linken Flügel um Arona aufgestellte Division Solaroli heranziehen zu können, mußten sie
Novara zum Knotenpunkt ihrer Operationen machen, während sie sonst hinter der Sesia eine neue Aufstellung nehmen konnten. Von Turin daher bereits so gut wie abgeschnitten, blieb ihnen nichts, als entweder eine Schlacht bei Novara anzunehmen oder sich in die Lombardei zu werfen, den Volkskrieg zu organisieren und Turin seinem Schicksal, den Reserven und den Nationalgarden zu überlassen. Radetzky würde in diesem Fall sich gehütet haben, weiter vorzudringen. Dieser Fall setzt aber voraus, daß in Piemont selbst der Aufstand in Masse vorbereitet war, und das war eben nicht der Fall. Die bürgerliche Nationalgarde war bewaffnet; aber die Masse des Volks war waffenlos, so laut sie nach den Waffen verlangte, die in den Arsenalen lagen. Die Monarchie hatte es nicht gewagt, an dieselbe unwiderstehliche Gewalt zu appellieren, welche Frankreich 1793 rettete. Die Piemontesen mußten also die Schlacht von Novara annehmen, so ungünstig ihre Stellung und so groß die feindliche Übermacht auch war. 40000 Piemontesen (zehn Brigaden) mit verhältnismäßig schwacher Artillerie standen der ganzen östreichischen Macht, mindestens 60000 Mann mit 120 Kanonen, gegenüber. Die piemontesische Armee war zu beiden Seiten der Straße von Mortara unter den Mauern von Novara aufgestellt. Der linke Flügel, unter Durando, zwei Brigaden, stützte sich auf eine ziemlich starke Stellung, La Bicocca. Das Zentrum, unter Bes, drei Brigaden, lehnte sich an ein Gehöft, La Cittadella. Der rechte Flügel, unter Perrone, zwei Brigaden, an das Plateau von Corte Nuove (Straße von Vercelli) angelehnt. Zwei Reserve-Korps, das eine von zwei Brigaden unter dem Herzog von Genua, das nach dem linken, das zweite von einer Brigade und den Garden, nach dem rechten Flügel zu aufgestellt, unter dem Herzog von Savoyen, jetzigen König. Die Aufstellung der Östreicher ist nach ihrem Bulletin weniger klar. Das zweite östreichische Korps unter d'Aspre griff den linken Flügel der Piemontesen zuerst an, während hinter ihm das dritte Korps unter Appel, sowie das Reserve- und das vierte Korps aufmarschierten. Es gelang den Östreichern, ihre Schlachtlinie vollständig zu entfalten und einen konzentrischen Angriff auf alle Punkte der piemontesischen Schlachtordnung zugleich mit solcher Übermacht auszuführen, daß dadurch die Piemontesen erdrückt wurden. Der Schlüssel der piemontesischen Stellung war die Bicocca; hatten die östreicher sich ihrer bemächtigt, so wurde das Zentrum und der linke Flügel
der Piemontesen zwischen die (nicht befestigte) Stadt und den Kanal eingeschlossen und konnten entweder zersprengt oder gezwungen werden, die Waffen niederzulegen. Auf den linken piemontesischen Flügel, dessen Hauptstütze die Bicocca war, richtete sich daher auch der Hauptangriff. Hier wurde mit großer Heftigkeit, jedoch lange ohne Resultat gekämpft. Das Zentrum wurde ebenfalls sehr lebhaft angegriffen. Die Cittadella wurde mehrere Male verloren, und mehrere Male von Bes wiedergenommen. Als die Ostreicher sahen, daß sie hier auf einen zu starken Widerstand stießen, wendeten sie ihre Hauptstärke wieder gegen den piemontesischen linken Flügel. Die beiden piemontesischen Divisionen wurden auf die Bicocca zurückgeworfen und die Bicocca endlich selbst erstürmt. Der Herzog von Savoyen warf sich mit den Reserven auf die Östreicher; umsonst. Die Übermacht der Kaiserlichen war zu groß, die Position war verloren, und damit die Schlacht entschieden. Der einzige Rückzug, der den Piemontesen blieb, war der gegen die Alpen, nach Biella und Borgomanero. Und diese, durch Verrat vorbereitete und durch Übermacht gewonnene Schlacht nennt die „Kölnische Zeitung", die so lange nach einem Siege der Österreicher geschmachtet, „eine Schlacht, die in der Kriegsgeschichte für alle Zeiten glänzen wird (!), da der Sieg, den der alte Radetzky davongetragen hat, ein Resultat so geschickt kombinierter Bewegungen und so wahrhaft großartiger Tapferkeit ist, daß seit den Tagen des großen Schlachten-Dämons Napoleon nichts Ähnliches vorgekommen ist (!!!)". Radetzky, oder vielmehr Heß, sein Generalstabschef, hat sein Komplott mit Ramorino ganz gut durchgeführt, wir geben es zu. Daß allerdings seit Grouchys Verrat bei Waterloo eine so großartige Niederträchtigkeit wie die Ramorinos nicht vorgekommen, ist auch wahr. Aber nicht mit dem ,,Schlachten-Dämon"(!) Napoleon, sondern mit Wellington gehört Radetzky in dieselbe Klasse: Ihre Siege kosteten beiden von jeher mehr bares Geld als Tapferkeit und Geschicklichkeit. Auf die übrigen gestern abend von der „Kölnischen] Z[ei]t[un]g" verbreiteten Lügen, als seien die demokratischen Deputierten von Turin durchgebrannt, als hätten die Lombarden sich wie „feiges Gesindel benommen" usw., gehen wir gar nicht ein. Die letzten Ereignisse haben sie schon widerlegt. Diese Lügen konstatieren weiter nichts als die Freude der „Kölnischen Zeitung" darüber, daß das große Ostreich, und noch mit Hülfe des Verrats, das dazu kleine Piemont erdrückt hat.
Die französische auswärtige Politik
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 263 vom 4. April 1849] *Köln, 3. April. Die Sitzung der französischen Nationalversammlung vom 31.März[367] zeichnete sich aus durch die Rede des „kleinen gewandten Mannes", des Herrn Thiers, der mit zynischer Offenheit und unzweideutiger Klarheit die Wiener Verträge von 1815[368] apologisierte und als Grundlage des bestehenden politischen Zustandes Europas behauptete. War der kleine Mann nicht in vollem Rechte, als er den Widerspruch lächerlich machte, in den Tatsachen diese Verträge bestehen zu lassen, in der Rechtsphrase sie zu verleugnen? Und das war die vorsichtige Lebensart der provisorischen Regierung[330] wie Cavaignacs. Barrots auswärtige Politik war die notwendige Folge der Politik Cavaignacs, wie Cavaignacs auswärtige Politik die notwendige Folge der Politik Lamartines. Lamartine, wie die provisorische Regierung überhaupt, deren auswärtiges Organ er war, verriet Italien und Polen unter dem Vorwande, die innere Entwickelung der französischen Republik nicht zu hemmen. Das Geklirre der Waffen wäre ein Mißklang gewesen in seiner Propaganda der Redensarten. Wie die provisorische Regierung den Gegensatz der Bourgeoisklasse und Arbeiterklasse mit der Phrase der „Verbrüderung" auslöschen zu können vorgab und den Klassenkampf wegzuphantasieren, so den Gegensatz der Nationen und den auswärtigen Krieg. Unter der Ägide der provisorischen Regierung rekonstituierten sich die Unterjocher der Polen, Italiener und Ungarn gleichzeitig mit der französischen Bourgeoisie, die Ende Juni die Lamartinesche Verbrüderung in Taten setzte. Cavaignac behauptete den Frieden nach außen hin, um den Bürgerkrieg ruhig im Innern zu führen und die Vernichtung der besiegten roten Republik, der Arbeiterrepublik, durch die honette gemäßigte Republik, durch die Bourgeoisrepublik, nicht zu gefährden. Unter Cavaignac wurde in Europa die alte Heilige Allianz[167] wiederhergestellt, wie in Frankreich die neue
heilige Allianz unter Legitimisten[192], Philippisten[334], Bonapartisten und „honetten" Republikanern. Das Ministerium dieser doppelten heiligen Allianz ist Odilon Barrot. Seine auswärtige Politik ist die Politik dieser heiligen Allianz. Er braucht den Sieg der Kontrerevolution im Auslande, um die Kontrerevolution in Frankreich selbst zu vollenden. In der Sitzung der Nationalversammlung vom 31. März verleugnet die provisorische Regierung Cavaignac; Cavaignac behauptet mit Recht, ein rechtmäßiger Nachkomme der provisorischen Regierung zu sein, und verleugnet seinerseits Odilon Barrot, der ungestört im Bewußtsein schwelgt, daß der Sinn der Februarrevolution - die Wiener Verträge von 1815 sind. Flocon erklärt, ohne von Barrot desavouiert zu werden, daß dies Ministerium seit zwei Tagen Italien förmlich in Interdikt erklärt hat und allen Franzosen, Polen, Italienern, die dahin wollen, die Pässe verweigert. Verdient Barrot nicht Premierminister Heinrich des Fünften zu werden! Ledru-Rollin in seiner Entgegnung auf Thiers gesteht übrigens: „Ja, ich muß es gestehen, ich habe unrecht gehandelt; die provisorische Regierung hätte ihre Soldaten an die Grenzen schicken müssen, nicht um zu erobern, sondern um die unterdrückten Brüder zu beschützen, und in diesem Augenblicke gäbe es keinen Despoten mehr in Europa. Wenn wir aber damals schwankten, den Krieg zu beginnen, so lag die Schuld an der Monarchie, die unsre Finanzen erschöpft und unsere Arsenale geleert hatte."
[Die Komödie mit der Kaiserkrone]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 263 vom 4. April 1849, Außerordentliche Beilage] *Köln, 3. April. Herr Brandenburg bat gestern der zweiten Kammer mitgeteilt, was der König in der „deutschen Frage" tun wird. Der Reiz war zu groß; die „treuen Eckarte" der ,,N[euen] Preußischen] Z[ei]t[un]g"[3] sind mit allen ihren Warnungen beiseite gesetzt. Der König von Preußen wird die dargebotene Krone annehmen, und demnächst dürften wir also dem feierlichen Einzug Sr. christlich germanischen königlich kaiserlichen Majestät in den Sitz der „Reichsregierung" entgegensehn. Während aber Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone aus den Händen des plebejischen Frankfurter Parlaments akzeptiert, gibt er zugleich diesem selben Parlamente und der Illusion von Seiner Souveränetät einen gelinden Fußtritt. Der Ministerpräsident „erkennt, daß der Beschluß der Frankfurter Versamml ung ein großer Schritt vorwärts ist zur Herbeiführung der deutschen Einheit. Aber er muß auch Rücksicht nehmen auf die Rechte der Regierungen. Er ist der Meinung, daß der Beschluß erst gültig wird durch die freie Zustimmung der Fürsten und nur für diejenigen deutschen Länder verbindlich ist, deren Fürsten diese freie Zustimmung geben. Die preußische Regierung wird aber alles anwenden, um diese freie Einigung zustande zu bringen."^3695
Sehr schlau! Die Kaiserkrone ist immer annehmbar, besonders wenn sie ein lange vergebens ersehntes Lebensziel ist — man vergleiche die bekannte Broschüre von Radowitz: Wie Friedrich Wilhelm der Vierte nicht deutscher Kaiser geworden ist.t370] Aber an der von dem Frankfurter Parlament dargebotnen Krone klebt zuviel plebejischer Staub, zuviel unangenehme Erinnerung an die unseligen Tage der Herrschaft des souveränen Volks, als daß
ein König von Gottes Gnaden, und noch dazu ein rehabilitierter, sie so ohne weiteres auf sein Haupt drücken dürfte. Erst wenn die übrigen, gleichfalls von Gottes Gnaden gekrönten Fürsten ihre Zustimmung dazu gegeben haben, erst dann wird die neue Krone von allen sündhaften märzerrungenen Flecken durch die Gnade Gottes gereinigt und geweiht sein; erst dann wird der Erwählte der 290 Professoren und Hofräte1691 sie ergreifen und sprechen, wie weiland in Berlin: „Von Gottes Gnaden habe ich diese Krone, und wehe dem, der daran tastet !"[3 711 In welches neue Stadium der deutsche Reichswirrwarr durch die Kaiserkomödie und speziell durch das respektive Anerkennen oder Nichtanerkennen der einzelnen Regierungen treten wird, das zu bestimmen überlassen wir der Weisheit der „Kölnischen Zeitung".
Lohnarbeit und Kapital18721
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 264 vom 5. April 1849] *Köln, 4.April. Von verschiedenen Seiten warf man uns vor, daß wir nicht die ökonomischen Verhältnisse dargestellt haben, welche die materielle Grundlage der jetzigen Klassenkämpfe und Nationalkämpfe bilden. Wir haben planmäßig diese Verhältnisse nur da berührt, wo sie sich in politischen Kollisionen unmittelbar aufdrangen. Es galt vor allem den Klassenkampf in der Tagesgeschichte zu verfolgen und an dem vorhandenen und täglich neu geschaffenen geschichtlichen Stoffe empirisch nachzuweisen, daß mit der Unterjochung der Arbeiterklasse, welche Februar und März[373] gemacht hatte, gleichzeitig ihre Gegner besiegt wurden - die Bourgeoisrepublikaner in Frankreich, die den feudalen Absolutismus bekämpfenden Bürger- und Bauernklassen auf dem gesamten europäischen Kontinent; daß der Sieg der honetten Republik in Frankreich gleichzeitig der Fall der Nationen war, die auf die Februarrevolution mit heroischen Unabhängigkeitskriegen geantwortet hatten; daß endlich Europa mit der Besiegung der revolutionären Arbeiter in seine alte Doppelsklaverei zurückfiel, in die englisch-russische Sklaverei. Der Junikampf zu Paris, der Fall Wiens, die Tragikomödie des Berliner Novembers1, die verzweifelten Anstrengungen Polens, Italiens und Ungarns, Irlands Aushungerung - das waren die Hauptmomente, in denen sich der europäische Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse zusammenfaßte, an denen wir nachwiesen, daß jede revolutionäre Erhebung, mag ihr Ziel noch so fernliegend dem Klassenkampf scheinen, scheitern muß, bis die revolutionäre Arbeiterklasse siegt, daß jede soziale Reform eine Utopie bleibt, bis die proletarische Revolution und die feudalistische Kontrerevolution sich in einem Weltkrieg
mit den Waffen messen. In unserer Darstellung, wie in der Wirklichkeit, waren Belgien und die Schweiz tragikomische karikaturmäßige Genrebilder in dem großen historischen Tableau, das eine der Musterstaat der bürgerlichen Monarchie, das andere der Musterstaat der bürgerlichen Republik, beides Staaten, die sich einbilden, ebenso unabhängig von dem Klassenkampf zu sein wie von der europäischen Revolution. Jetzt, nachdem unsere Leser den Klassenkampf im Jahre 1848 in kolossalen politischen Formen sich entwickeln sahen, ist es an der Zeit, näher einzugehen auf die ökonomischen Verhältnisse selbst, worauf die Existenz der Bourgeoisie und ihre Klassenherrschaft1 sich gründet wie die Sklaverei der Arbeiter. Wir werden in drei großen Abteilungen darstellen: 1. das Verhältnis der Lohnarbeit zum Kapital, die Sklaverei des Arbeiters, die Herrschaft des Kapitalisten, 2. den unvermeidlichen Untergang der mittleren Bürgerklassen und des Bauernstandes2 unter dem jetzigen Systeme, 3. die kommerzielle Unterjochung und Ausbeutung der Bourgeoisklassen der verschiedenen europäischen Nationen durch den Despoten des Weltmarkts - England. Wir werden möglichst einfach und populär darzustellen suchen und selbst die elementarischsten Begriffe der politischen Ökonomie nicht voraussetzen. Wir wollen den Arbeitern verständlich sein. Und zudem herrscht in Deutschland die merkwürdigste Unwissenheit und Begriffsverwirrung über die einfachsten ökonomischen Verhältnisse, von den patentierten Verteidigern der bestehenden Zustände bis hinab zu den sozialistischen Wunderschäfern und den verkannten politischen Genies, an denen das zersplitterte Deutschland noch reicher ist als an Landesvätern. Zunächst also zur ersten Frage: Was ist der Arbeitslohn? Wie wird er bestimmt? Wenn man Arbeiter fragte: Wie hoch ist Ihr Arbeitslohn? so würden sie antworten, dieser: „Ich erhalte 1 Franc für den Arbeitstag von meinem Bourgeois", jener: „Ich erhalte 2 Francs" usw. Nach den verschiedenen Arbeitszweigen, denen sie angehören, würden sie verschiedene Geldsummen angeben, die sie für eine bestimmte Arbeitszeit oder3 für die Herstellung einer bestimmten Arbeit, z.B. für das Weben einer Elle Leinwand oder für das Setzen eines Druckbogens, von ihrem jedesmaligen Bourgeois erhalten. Trotz der Verschiedenheit ihrer Angaben werden sie alle in dem einen4 Punkt übereinstimmen: Der Arbeitslohn ist die Summe Geldes, die der Bourgeois5 für eine bestimmte Arbeitszeit oder für eine bestimmte Arbeitslieferung zahlt.
1 (1891) eingefügt: ebenso -2 (1891) sogenannten Bürgerstandes — 3( 1891) ausgelassen: für eine bestimmte Arbeitszeit oder - 4 (1891) ausgelassen: einen - 5 (1891) Kapitalist
Der Bourgeois1 kauft also ihre Arbeit mit Geld. Für Geld verkaufen sie ihm ihre Arbeit.2 Mit derselben Geldsumme3, womit der Bourgeois4 ihre Arbeit5 gekauft hat, z. B. mit 2 Francs, hätte er 2 Pfund Zucker oder irgendeine andere Ware zu einem bestimmten Belauf kaufen können. Die 2 Francs, womit er 2 Pfund Zucker kaufte, sind der Preis der 2 Pfund Zucker. Die 2 Francs, womit er zwölf Stunden Arbeit6 kaufte, sind der Preis der zwölfstündigen Arbeit. Die Arbeit5 ist also eine Ware, nicht mehr, nicht minder als der Zucker. Die erste mißt man mit der Uhr und7 die andere mit der Waage. Ihre Ware, die Arbeit5, tauschen die Arbeiter gegen die Ware des Kapitalisten aus, gegen das Geld, und zwar geschieht dieser Austausch in einem bestimmten Verhältnis. So viel Geld für so viel Arbeit8. Für zwölfs tündiges Weben 2 Francs. Und die 2 Francs, stellen sie nicht alle anderen Waren vor, die ich für 2 Francs kaufen kann? In der Tat hat der Arbeiter also seineWare, die Arbeit5, gegen andere9 Waren aller Art ausgetauscht, und zwar in einem bestimmten Verhältnis. Indem der Kapitalist ihm 2 Francs gab, hat er ihm so viel Fleisch, so viel Kleidung, so viel Holz, Licht usw. im Austausch gegen seinen Arbeitstag gegeben. Die 2 Francs drücken also das Verhältnis aus, worin die Arbeit5 gegen andere Ware10 ausgetauscht wird, den Tauschwert seiner Arbeit5. Der Tauschwert einer Ware, in Geld abgeschätzt, heißt eben ihr Preis. Der Arbeitslohn ist also nur ein besonderer Name für den Preis der Arbeitu, für den Preis dieser eigentümlichen Ware, die keinen andern Behälter hat als menschliches Fleisch und Blut. Nehmen wir einen beliebigen Arbeiter, z. B. einen Weber. Der Bourgeois4 liefert ihm den Webstuhl und das Garn. Der Weber setzt sich ans Arbeiten, und aus dem Garn wird Leinwand. Der Bourgeois4 bemächtigt sich der Leinwand und verkauft sie, zu 20 Francs z.B. Ist nun der Arbeitslohn des Webers ein Anteil an der Leinwand, an den 20 Francs, an dem Produkt seiner Arbeit? Keineswegs. Lange bevor die Leinwand verkauft ist, vielleicht lange bevor sie fertiggewebt ist, hat der Weber seinen Arbeitslohn empfangen. Der Kapitalist zahlt diesen Lohn also nicht mit dem Geld, das er aus der Leinwand lös en wird, sondern mit vorrätigem Geld. Wie Webstuhl und Garn nicht das
1 (1891) Kapitalist, (und eingefügt:) so scheint es,-2 (1891) ei ngefügt: Dies ist aber bloß der Schein. Was sie in Wirklichkeit dem Kapitalisten für Geld verkaufen, ist ihre Arbeitskraft. Diese Arbeitskraft kauft der Kapitalist auf einen Tag, eine Woche, einen Monat usw. Und nachdem er sie gekauft, verbraucht er sie, indem er die Arbeiter während der stipulierten Zeit arbeiten läßt. - 3 (1891) Summe - 4 (1891) Kapitalist - 5 (1891) Arbeitskraft - 6 (1891) Gebrauch der Arbeitskraft - 7 (1891) ausgelassen: und - 8 (1891) für so langen Gebrauch der Arbeitskraft - 9 (1891) ausgelassen: andere - 10 (1891) Waren -11 (1891) Arbeitskraft, (und eingefügt:) den man gewöhnlich den Preis der Arbeit nennt
Produkt des Webers sind, dem sie vom Bourgeois geliefert werden1, so wenig sind es die Waren, die er im Austausch für seine Ware, die Arbeit2, erhält. Es war möglich, daß der Bourgeois gar keinen Käufer für seine Leinwand fand. Es war möglich, daß er selbst den Arbeitslohn nicht aus ihrem Verkauf herausschlug. Es ist möglich, daß er sie im Verhältnis zum Weblohn sehr vorteilhaft verkauft. Alles das geht den Weber nichts an. Der Kapitalist kauft mit einem Teil seines vorhandenen Vermögens, seines Kapitals, die Arbeit2 des Webers ganz so, wie er mit einem andern Teil seines Vermögens den Rohstoff - das Garn - und das Arbeitsinstrument — den Webstuhl - angekauft hat. Nachdem er diese Einkäufe gemacht, und unter diese Einkäufe gehört die zur Produktion der Leinwand nötige Arbeit2, produziert er nur noch mit ihm zugehörigen Rohstoffen und Arbeitsinstrumenten. Zu letzteren gehört denn nun freilich auch unser guter Weber, der an dem Produkt oder dem Preise des Produktes so wenig einen Anteil hat wie der Webstuhl. Der Arbeitslohn ist also nicht ein Anteil des Arbeiters an der von ihm produzierten Ware. Der Arbeitslohn ist der Teil schon vorhandener Waren, womit der Kapitalist eine bestimmte Summe produktiver Arbeit2 an sich kauft. Die Arbeit2 ist also eine Ware, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital verkauft. Warum verkauft er sie? Um zu leben. Die3 Arbeit ist aber die eigene Lebenstätigkeit des Arbeiters, seine eigene Lebensäußerung. Und diese Lebenstätigkdt verkauft er an einen Dritten, um sich die nötigen Lebensmittel zu sichern. Seine Lebenstätigkeit ist für ihn also nur ein Mittel, um existieren zu können. Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht selbst in sein Leben ein, sie ist vielmehr ein Opfer seines Lebens. Sie ist eine Ware, die er an einen Dritten zugeschlagen hat. Das Produkt seiner Tätigkeit ist daher auch nicht der Zweck seiner Tätigkeit. Was er für sich selbst produziert, ist nicht die Seide, die er webt, nicht das Gold, das er aus dem Bergschacht zieht, nicht der Palast, den er baut. Was er für sich selbst produziert, ist der Arbeitslohn, und Seide, Gold, Palast lösen sich für ihn auf in ein bestimmtes Quantum von Lebensmitteln, vielleicht in eine Baum wollen jacke, in Kupfermünze und in eine Kellerwohnung. Und der Arbeiter, der zwölf Stunden webt, spinnt, bohrt, dreht, baut, schaufelt, Steine klopft, trägt usw. - gilt ihm dies zwölfstündige Weben, Spinnen, Bohren, Drehen, Bauen, Schaufeln, Steinklopfen als Äußerung seines Lebens, als Leben? Umgekehrt. Das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört, am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett. Die zwölfstündige Arbeit dagegen hat ihm keinen Sinn als Weben, Spinnen, Bohren usw., sondern als
Verdienen, das ihn an den Tisch, auf die Wirtshausbank, ins Bett bringt. Wenn der Seidenwurm spänne, um seine Existenz als Raupe zu fristen, so wäre er ein vollständiger Lohnarbeiter. Die Arbeit1 war nicht immer eine Ware. Die Arbeit war nicht immer Lohnarbeit, d. h. freie Arbeit. Der Sklave verkauft seine Arbeit1 nicht an den Sklavenbesitzer, sowenig wie der Ochse seine Leistungen an den Bauern verkauft. Der Sklave mitsamt seiner Arbeit1 ist ein für allemal an seinen Eigentümer verkauft. Er ist eine Ware, die von der Hand des einen Eigentümers in die des andern übergehen kann. Er selbst ist eine Ware, aber die Arbeit1 ist nicht seine Ware. Der Leibeigene verkauft nur einen Teil seiner Arbeit1. Nicht er erhält einen Lohn vom Eigentümer des Grund und Bodens: der Eigentümer des Grund und Bodens erhält vielmehr von ihm einen Tribut. Der Leibeigene gehört zum Grund und Boden und wirft dem Herrn des Grund und Bodens Früchte ab. Der freie Arbeiter dagegen verkauft sich selbst, und zwar stückweis. Er versteigert 8, 10, 12, 15 Stunden seines Lebens, einen Tag wie den andern, an den Meistbietenden, an den Besitzer der Rohstoffe, der Arbeitsinstrumente und Lebensmittel, d. h. an den Kapitalisten. Der Arbeiter gehört weder einem Eigentümer noch dem Grund und Boden an; aber 8, 10, 12, 15 Stunden seines täglichen Lebens gehören dem, der sie kauft. Der Arbeiter verläßt den Kapitalisten, dem er sich vermietet, sooft er will, und der Kapitalist entläßt ihn, sooft er es für gut findet, sobald er keinen Nutzen oder nicht den beabsichtigten Nutzen mehr aus ihm zieht. Aber der Arbeiter, dessen einzige Erwerbsquelle der Verkauf der Arbeit1 ist, kann nicht die ganze Klasse der Käufer, d. h. Sie Kapitalistenklasse verlassen, ohne auf seine Existenz zu verzichten. Er gehört nicht diesem oder jenem Bourgeois, aber der Bourgeoisie3, der Bourgeoisklasse4, und es ist dabei seine Sache, sich an den Mann zu bringen, d. h. in dieser Bourgeoisklasse3 einen Käufer zu finden. Bevor wir jetzt auf das Verhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit näher eingehen, werden wir kurz die allgemeinsten Verhältnisse darstellen, die bei der Bestimmung des Arbeitslohnes in Betracht kommen. Der Arbeitslohn ist, wie wir gesehen haben, der Preis einer bestimmten Ware, der Arbeit1. Der Arbeitslohn wird also durch dieselben Gesetze bestimmt, die den Preis jeder andern Ware bestimmen. Es fragt sich also, wie wird der Preis einer Ware bestimmt?
1 (1891) Arbeitskraft - 2 (1891) Kapitalisten - 3 (1891) Kapitalistenklasse - 4 (1891) ausgelassen: der Bourgeoisklasse
26 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 265 vom 6. April 1849] *Köln, 5.April. Wodurch wird der Preis einer Ware bestimmt? Durch die Konkurrenz zwischen Käufern und Verkäufern, durch das Verhältnis der Nachfrage zur Zufuhr, des Angebots zum Begehr1. Die Konkurrenz, wodurch der Preis einer Ware bestimmt wird, ist dreiseitig. Dieselbe Ware wird von verschiedenen Verkäufern angeboten. Wer Waren von derselben Güte am wohlfeilsten verkauft, ist sicher, die übrigen Verkäufer aus dem Felde zu schlagen und sich den größten Absatz zu sichern. Die Verkäufer machen sich also wechselseitig den Absatz, den Markt streitig. Jeder von ihnen will verkaufen, möglichst viel verkaufen und womöglich allein verkaufen, mit Ausschluß der übrigen Verkäufer. Der eine verkauft daher wohlfeiler wie der andere. Es findet also eine Konkurrenz unter den Verkäufern statt, die den Preis der von ihnen angebotenen Ware her abdrückt. Es findet aber auch eine Konkurrenz unter den Käufern statt, die ihrerseits den Preis der angebotenen Waren steigen macht. Es findet endlich eine Konkurrenz unter den Käufern und Verkäufern statt; die einen wollen möglichst wohlfeil kaufen, die andern wollen möglichst teuer verkaufen. Das Resultat dieser Konkurrenz zwischen Käufern und Verkäufern wird davon abhängen, wie sich die beiden früher angegebenen Seiten der Konkurrenz verhalten, d. h., ob die Konkurrenz in dem Heer der Käufer oder die Konkurrenz in dem Heer der Verkäufer stärker ist. Die Industrie führt zwei Heeresmassen gegeneinander ins Feld, wovon eine jede in ihren eigenen Reihen zwischen ihren eigenen Truppen wieder eine Schlacht liefert. Die Heeresmasse, unter deren Truppen die geringste Prügelei stattfindet, trägt den Sieg über die entgegenstehende davon. Nehmen wir2, es befänden sich 100 Baumwollballen auf dem Markt und gleichzeitig Käufer für 1000 Baumwollballen. In diesem Falle ist also die Nachfrage zehnmal größer als die Zufuhr. Die Konkurrenz unter den Käufern wird also sehr stark sein; jeder derselben will einen, womöglich alle 100 Ballen an sich reißen. Dies Beispiel ist keine willkürliche Unterstellung. Wir haben in der Geschichte des Handels Perioden des Mißwachses der Baumwolle erlebt, wo einige miteinander verbündete Kapitalisten nicht 100 Ballen, sondern den ganzen Baumwollvorrat der Erde an sich zu kaufen suchten. In dem angegebenen Falle wird also ein Käufer den andern aus dem Felde zu schlagen suchen, indem er einen verhältnismäßig höhern Preis für den Baumwollballen anbietet. Die Baumwollverkäufer, welche die Truppen des feindlichen Heeres im heftigsten Kampf untereinander erblicken und des
Verkaufs ihrer sämtlichen 100 Ballen völlig gesichert sind, werden sich hüten, untereinander sich in die Haare zu fallen, um die Preise der Baumwolle herabzudrücken, in einem Augenblick, wo ihre Gegner untereinander wetteifern, ihn in die Höhe zu schrauben. Es ist also plötzlich Friede in das Heer der Verkäufer eingekehrt. Sie stehen wie ein Mann den Käufern gegenüber, kreuzen sich philosophisch die Arme, und ihre Forderungen fänden keine Grenzen, fänden nicht die Anerbietungen selbst der zudringlichsten Kauflustigen ihre sehr bestimmten Grenzen. Ist also die Zufuhr einer Ware schwächer als die Nachfrage nach dieser Ware, so findet nur eine geringe oder gar keine Konkurrenz unter den Verkäufern statt. In demselben Verhältnisse, wie diese Konkurrenz abnimmt, wächst die Konkurrenz unter den Käufern. Resultat: mehr oder minder bedeutendes Steigen der Warenpreise. Es ist bekannt, daß der umgekehrte Fall mit umgekehrtem Resultat häufiger stattfindet: bedeutender Überschuß der Zufuhr über die Nachfrage; verzweifelte Konkurrenz unter den Verkäufern; Mangel an Käufern; Losschlagen der Ware zu Spottpreisen. Aber was heißt Steigen, Fallen der Preise, was heißt hoher Preis, niedriger Preis? Ein Sandkorn ist hoch, durch ein Mikroskop betrachtet, und ein Turm ist niedrig, mit einem Berg verglichen. Und wenn der Preis durch das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr bestimmt wird, wodurch wird das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr bestimmt? Wenden wir uns an den ersten besten Bürger. Er wird sich keinen Augenblick besinnen und wie ein anderer Alexander der Große diesen metaphysischen Knoten mit dem Einmaleins zerhauen. Wenn mich die Herstellung der Ware, die ich verkaufe, 100 Francs gekostet hat, wird er uns sagen, und ich aus dem Verkauf dieser Ware 110 Francs löse — nach Jahresfrist versteht sich —, so ist das ein bürgerlicher, ein honetter, ein gesetzter Gewinn. Erhalte ich aber im Austausch 120, 130 Francs, so ist das ein hoher Gewinn; und löste ich gar 200 Francs, so wäre das ein außerordentlicher, enormer1 Gewinn. Was dient dem Bürger also als Maß des Gewinns? Die Produktionskosten seiner Ware. Erhält er im Austausch dieser Ware eine Summe von andern Waren zurück, deren Herstellung weniger gekostet hat, so hat er verloren. Erhält er im Austausch gegen seine Ware eine Summe von anderen Waren zurück, deren Herstellung mehr gekostet hat, so hat er gewonnen. Und das Fallen oder Steigen des Gewinnes berechnet er nach den Graden, worin der Tauschwert seiner Ware unter oder über Null - den Produktionskosten - steht.
1 (1891) ein enormer
Wir haben nun gesehen, wie das wechselnde Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr bald Steigen, bald Fallen der Preise, bald hohe, bald niedrige Preise hervorbringt. Steigt der Preis einer Ware bedeutend durch mangelnde Zufuhr oder unverhältnismäßig wachsende Nachfrage, so ist notwendig der Preis irgendeiner andern Ware verhältnismäßig gefallen; denn der Preis einer Ware drückt ja nur in Geld das Verhältnis aus, worin dritte Waren im Austausch für sie gegeben werden. Steigt z. B. der Preis einer Elle Seidenzeug von 5 Francs auf 6 Francs, so ist der Preis des Silbers im Verhältnis zum Seidenzeug gefallen, und ebenso ist der Preis aller andern Waren, die auf ihren alten Preisen stehengeblieben sind, im Verhältnis zum Seidenzeug gefallen. Man muß eine größere Summe davon im Austausch geben, um dieselbe Summe von Seidenware zu erhalten. Was wird die Folge des steigenden Preises einer Ware sein? Eine Masse von Kapitalien wird sich auf den blühenden Industriezweig werfen, und diese Einwanderung der Kapitalien in das Gebiet der bevorzugten Industrie wird so lange fortdauern, bis sie die gewöhnlichen Gewinne abwirft oder vielmehr, bis der Preis ihrer Produkte durch Uberproduktion unter die Produktionskosten herabsinkt. Umgekehrt. Fällt der Preis einer Ware unter ihre Produktionskosten, so werden sich die Kapitale von der Produktion dieser Ware zurückziehen. Den Fall ausgenommen, wo ein Industriezweig nicht mehr zeitgemäß ist, also untergehen muß, wird durch diese Flucht der Kapitale die Produktion einer solchen Ware, d. h. ihre Zufuhr, so lange abnehmen, bis sie der Nachfrage entspricht, also ihr Preis wieder auf die Höhe ihrer Produktionskosten sich erhebt, oder vielmehr bis die Zufuhr unter die Nachfrage herabgefallen ist, d. h. bis ihr Preis wieder über ihre Produktionskosten steigt, denn der courante Preis1 einer Ware steht immer über oder unter ihren Produktionskosten. Wir sehen, wie die Kapitale beständig aus- und einwandern, aus dem Gebiet der einen Industrie in das der andern. Der hohe Preis bringt eine zu starke Einwanderung und der niedrige Preis eine zu starke Auswanderung hervor. Wir könnten von einem andern Gesichtspunkt aus zeigen, wie nicht nur die Zufuhr, sondern auch die Nachfrage durch die Produktionskosten bestimmt wird. Es würde uns dies aber zu weit von unserem Gegenstande anführen.
Wir haben soeben gesehen, wie die Schwankungen der Zufuhr und Nachfrage den Preis einer Ware immer wieder auf die Produktionskosten zurückführen. Zwar der wirkliche Preis einer Ware steht stets über oder unter den Produktionskosten; aber das Steigen und Fallen ergänzen sich wechselseitig, so daß innerhalb eines bestimmten Zeitraums, Ebbe und Flut der Industrie zusammengerechnet, die Waren, ihren Produktionskosten entsprechend gegeneinander ausgetauscht werden, ihr Preis also durch ihre Produktionskosten bestimmt wird. Diese Preisbestimmung durch die Produktionskosten ist nicht im Sinne der Ökonomen zu verstehen. Die Ökonomen sagen, daß der Durchschnittspreis der Waren gleich den Produktionskosten ist; dies sei das Gesetz. Die anarchische Bewegung, worin das Steigen durch das Fallen und das Fallen durch das Steigen ausgeglichen wird, betrachten sie als Zufälligkeit. Man könnte mit demselben Recht, wie dies auch von andern Ökonomen geschehen ist, die Schwankungen als das1 Gesetz und die Bestimmung durch die Produktionskosten als Zufälligkeit betrachten. Aber nur diese Schwankungen, die, näher betrachtet, die furchtbarsten Verwüstungen mit sich führen und gleich Erdbeben die bürgerliche Gesellschaft in ihren Grundfesten erzittern machen, nur diese Schwankungen bestimmen in ihrem Verlauf den Preis durch die Produktionskosten. Die Gesamtbewegung dieser Unordnung ist ihre Ordnung. In dem Verlauf dieser industriellen Anarchie, in dieser Kreisbewegung gleicht die Konkurrenz sozusagen die eine Extravaganz durch die andere aus. Wir sehen also: Der Preis einer Ware ist bestimmt durch ihre Produktionskosten in der Weise, daß die Zeiten, worin der Preis dieser Ware über die Produktionskosten steigt, durch die Zeiten ausgeglichen werden, worin er unter die Produktionskosten herabsinkt, und umgekehrt. Es gilt dies natürlich nicht für ein einzelnes gegebenes Industrieprodukt, sondern nur für den ganzen Industriezweig. Es gilt also auch nicht für den einzelnen Industriellen, sondern nur für die ganze Klasse der Industriellen. Die Bestimmung des Preises durch die Produktionskosten ist gleich der Bestimmung des Preises durch die Arbeitszeit, die zur Herstellung einer Ware erforderlich ist; denn die Produktionskosten bestehen aus 1. Rohstoffen und2 Instrumenten, d. h. aus Industrieprodukten, deren Herstellung eine gewisse Summe von Arbeitstagen gekostet hat, die also eine bestimmte3 Summe von Arbeitszeit darstellen; und 2. aus unmittelbarer Arbeit, deren Maß eben die Zeit ist.
1 (1891) ausgelassen: das -2 (1891) eingefügt: Verschleiß von - 3 (1891) gewisse
Dieselben allgemeinen Gesetze nun, welche den Preis der Waren im allgemeinen regeln, regeln natürlich auch den Arbeitslohn, den Preis der Arbeit. Der Lohn der Arbeit wird bald steigen, bald fallen, je nach dem Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr, je nachdem sich die Konkurrenz zwischen den Käufern der Arbeit1, den Kapitalisten, und den Verkäufern der Arbeit1, den Arbeitern, gestaltet. Den Schwankungen der Warenpreise im allgemeinen entsprechen die Schwankungen des Arbeitslohns. Innerhalb dieser Schwankungen aber wird der Preis der Arbeit bestimmt sein durch die Produktionskosten, durch die Arbeitszeit, die erforderlich ist, um diese Ware, die Arbeit1, hervorzubringen. Welches sind nun die Produktionskosten der Arbeit1 selbst2? Es sind die Kosten, die erheischt werden, um den Arbeiter als Arbeiter zu erhalten und um ihn zum Arbeiter auszubilden. Je weniger Bildungszeit eine Arbeit daher erfordert, desto geringer sind die Produktionskosten des Arbeiters, um so niedriger ist der Preis seiner Arbeit, sein Arbeitslohn. In den Industriezweigen, wo fast gar keine Lernzeit erforderlich ist und die bloße leibliche Existenz des Arbeiters genügt, beschränken sich die zu seiner Herstellung erforderlichen Produktionskosten fast nur auf die Waren, die erforderlich sind, um ihn am3 Leben zu erhalten. Der Preis seiner Arbeit wird daher durch den Preis der notwendigen Lebensmittel bestimmt sein. Es kömmt indes noch eine andere Rücksicht hinzu. Der Fabrikant, der seine Produktionskosten und darnach den Preis der Produkte berechnet, bringt die Abnutzung der Arbeitsinstrumente in Anschlag. Kostet ihm eine Maschine z. B. 1000 Francs, und nutzt sich diese Maschine in zehn Jahren ab, so schlägt er 100 Francs jährlich in den Preis der Ware, um nach zehn Jahren die abgenutzte Maschine durch eine neue ersetzen zu können. In derselben Weise müssen in den Produktionskosten der einfachen Arbeit1 die Fortpflanzungskosten eingerechnet werden, wodurch die Arbeiterrace instand gesetzt wird, sich zu vermehren und abgenutzte Arbeiter durch neue zu ersetzen. Der Verschleiß des Arbeiters wird also in derselben Weise in Rechnung gebracht, wie der Verschleiß der Maschine. Die Produktionskosten der einfachen Arbeit1 belaufen sich also auf die Existenz- und Fortpflanzungskosten des Arbeiters. Der Preis dieser Existenzund Fortpflanzungskosten bildet den Arbeitslohn. Der so bestimmte Arbeitslohn heißt das Minimum des Arbeitslohns. Dieses Minimum des Arbeitslohns gilt, wie die Preisbestimmung der Waren durch die Produktions
kosten überhaupt, nicht für das einzelne Individuum, sondern für die Gattung. Einzelne Arbeiter, Millionen von Arbeitern erhalten nicht genug, um existieren und sich fortpflanzen zu können; aber der Arbeitslohn der ganzen Arbeiterklasse gleicht sich innerhalb seiner Schwankungen zu diesem Minimum aus. Jetzt, nachdem wir uns über die allgemeinsten Gesetze, die den Arbeitslohn wie den Preis jeder andern Ware regeln, verständigt haben, können wir spezieller auf unsern Gegenstand eingehen.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 266 vom 7. April 1849] *Köln, 6. April. Das Kapital besteht aus Rohstoffen, Arbeitsinstrumenten und Lebensmitteln aller Art, die verwandt werden, um neue Rohstoffe, neue Arbeitsinstrumente und neue Lebensmittel zu erzeugen. Alle diese seine Bestandteile sind Geschöpfe der Arbeit, Produkte der Arbeit, aufgehäufte Arbeit. Aufgehäufte Arbeit, die als Mittel zu neuer Produktion dient, ist Kapital. So sagen die Ökonomen. Was ist ein Negersklave? Ein Mensch von der schwarzen Race. Die eine Erklärung ist die andere wert. Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven. Eine Baumwollspinnmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in bestimmten Verhältnissen wird sie zu Kapital. Aus diesen Verhältnissen herausgerissen, ist sie so wenig Kapital, wie Gold an und für sich Geld oder der Zucker der Zuckerpreis ist. In der Produktion beziehen sich1 die Menschen nicht allein auf die Natur2. Sie produzieren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Tätigkeiten gegeneinander austauschen. Um zu produzieren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zueinander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse findet ihre Beziehung zur3 Natur, findet die Produktion statt. Je nach dem Charakter der Produktionsmittel werden natürlich diese gesellschaftlichen Verhältnisse, worin die Produzenten zueinander treten, die Bedingungen, unter welchen sie ihre Tätigkeiten austauschen und an dem Gesamtakt der Produktion teilnehmen, verschieden sein. Mit der Erfindung eines neuen Kriegsinstruments, des Feuergewehrs, änderte sich notwendig die ganze innere Organisation der Armee, verwandelten sich die Verhältnisse,
1 (1891) wirken (statt: beziehen sich) - 2 (1891) eingefügt: sondern auch aufeinander — 3 (1891) Einwirkung auf die (statt: Beziehung zur)
innerhalb deren Individuen eine Armee bilden und als Armee wirken können, änderte sich auch das Verhältnis verschiedener Armeen zueinander. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, worin die Individuen produzieren, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse ändern sich also, verwandeln sich mit der Veränderung und Entwickelung der materiellen Produktionsmittel, der Pro~ duktionskräfte. Die Produktionsverhältnisse in ihrer Gesamtheit bilden das, was man die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Gesellschaft nennt, und zwar eine Gesellschaft iuf bestimmter, geschichtlicher Entwicklungsstufe, eine Gesellschaft mit eigentümlichem, unterscheidendem Charakter. Die antike Gesellschaft, die feudale Gesellschaft, die bürgerliche Gesellschaft sind solche Gesamtheiten von Produktionsverhältnissen, deren jede zugleich eine besondere Entwicklungsstufe in der Geschichte der Menschheit bezeichnet. Auch das Kapital ist ein gesellschaftliches Produktions Verhältnis. Es ist ein bürgerliches Produktionsverhältnis, ein Produktionsverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft. Die Lebensmittel, die Arbeitsinstrumente, die Rohstoffe, woraus das Kapital besteht, sind sie nicht unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht und aufgehäuft worden? Werden sie nicht unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen zu neuer Produktion verwandt? Und macht nicht eben dieser bestimmte gesellschaftliche Charakter die zu neuer Produktion dienenden Produkte zu Kapital? Das Kapital besteht nicht nur aus Lebensmitteln, Arbeitsinstrumenten und Rohstoffen, nicht nur aus materiellen Produkten; es besteht ebensosehr aus Tauschwerten. Alle Produkte, woraus es besteht, sind Waren. Das Kapital ist also nicht nur eine Summe von materiellen Produkten, es ist eine Summe von Waren, von Tauschwerten, von gesellschaftlichen Größen. Das Kapital bleibt dasselbe, ob wir an die Stelle von Wolle Baumwolle, ein die Stelle von Getreide Reis, an die Stelle von Eisenbahnen Dampfschiffe setzen, vorausgesetzt nur, daß die Baumwolle, der Reis, die Dampfschiffe der Leib des Kapitals - denselben Tauschwert haben, denselben Preis wie die Wolle, das Getreide, die Eisenbahnen, worin es sich vorher verkörperte. Der Körper des Kapitals kann sich beständig verwandeln, ohne daß das Kapital die geringste Veränderung erlitte. Aber wenn jedes Kapital eine Summe von Waren, d. h. von Tauschwerten ist, so ist noch nicht jede Summe von Waren, von Tauschwerten Kapital. Jede Summe von Tauschwerten ist ein Tauschwert. Jeder einzelne Tauschwert ist ein Summe von Tauschwerten. Z.B. ein Haus, was 1000 Francs wert ist, ist ein Tauschwert von 1000 Francs. Ein Stück Papier, was 1 Centime
wert ist, ist eine Summe von Tauschwerten von 100/ioo Centimes. Produkte, die gegen andere austauschbar sind, sind Waren. Das bestimmte Verhältnis, worin sie austauschbar sind, bildet ihren Tauschwert oder, in Geld ausgedrückt, ihren Preis. Die Masse dieser Produkte kann an ihrer Bestimmung, Ware zu sein oder einen Tauschwert darzustellen, oder einen bestimmten Preis zu haben, nichts ändern. Ob ein Baum groß oder klein ist, er bleibt Baum. Ob wir das Eisen in Loten oder in Zentnern gegen andere Produkte austauschen, verändert dies seinen Charakter, Ware, Tauschwert zu sein? Je nach der Masse ist es eine Ware von mehr oder minder Wert, von höherem oder niedrigerem Preise. Wie nun wird eine Summe von Waren, von Tauschwerten zu Kapital? Dadurch, daß sie als selbständige gesellschaftliche Macht, d. h. als die Macht eines Teils der Gesellschaft sich erhält und vermehrt durch den Austausch gegen die unmittelbare, lebendige Arbeit1. Die Existenz einer Klasse, die nichts besitzt als die Arbeitsfähigkeit, ist eine notwendige Voraussetzung des Kapitals. s Die Herrschaft der aufgehäuften, vergangenen, vergegenständlichten Arbeit über die unmittelbare, lebendige Arbeit macht die aufgehäufte Arbeit erst zum Kapital. Das Kapital besteht nicht darin, daß aufgehäufte Arbeit der lebendigen Arbeit als Mittel zu neuer Produktion dient. Es besteht darin, daß die lebendige Arbeit der aufgehäuften Arbeit als Mittel dient, ihren Tauschwert zu erhalten und zu vermehren. Was geht vor in dem Austausch zwischen Kapital2 und Lohnarbeit3? Der Arbeiter erhält im Austausch gegen seine Arbeit1 Lebensmittel, aber der Kapitalist erhält im Austausch gegen seine Lebensmittel Arbeit, die produktive Tätigkeit des Arbeiters, die schöpferische Kraft, wodurch der Arbeiter nicht nur ersetzt, was er verzehrt, sondern der aufgehäuften Arbeit einen größeren Wert gibt, als sie vorher besaß. Der Arbeiter empfängt einen Teil der vorhandenen Lebensmittel vom Kapitalisten. Wozu dienen ihm diese Lebensmittel? Zur unmittelbaren Konsumtion. Sobald ich aber Lebensmittel konsumiere, gehen sie mir unwiederbringlich verloren, es sei denn, daß ich die Zeit, während welcher mich diese Mittel am Leben erhalten, benutze, um neue Lebensmittel zu produzieren, um während des Verzehrens an die Stelle der in der Konsumtion untergehenden Werte neue Werte durch meine Arbeit zu schaffen. Aber eben diese reproduktive edle Kraft tritt der
1 (1891) Arbeitskraft - 2 (1891) Kapitalist - 3 (1891) Lohnarbeiter
Arbeiter ja ab an das Kapital im Austausch gegen empfangene Lebensmittel. Er hat sie also für sich selbst verloren. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Pächter gibt seinem Taglöhner 5 Silbergroschen per Tag. Für die 5 Sgr. arbeitet dieser auf dem Feld des Pächters den Tag hindurch und sichert ihm so eine Einnahme von 10 Silbergroschen. Der Pächter erhält nicht nur die Werte ersetzt, die er an den Taglöhner abzutreten hat; er verdoppelt sie. Er hat also die 5 Sgr., die er dem Taglöhner gab, auf eine fruchtbare, produktive Weise angewandt, konsumiert. Er hat für die 5 Sgr. eben die Arbeit und Kraft des Taglöhners gekauft, welche Bodenprodukte von doppeltem Werte erzeugt und aus 5 Sgr. 10 Sgr. macht. Der Taglöhner dagegen erhält an der Stelle seiner Produktivkraft, deren Wirkungen er eben dem Pächter abgetreten hat, 5 Sgr., die er gegen Lebensmittel austauscht, welche Lebensmittel er rascher oder langsamer konsumiert. Die 5 Sgr. sind also auf eine doppelte Weise konsumiert worden, reproduktiv für das Kapital, denn sie sind gegen eine Arbeitskraft ausgetauscht worden, die 10 Sgr. hervorbrachte, unproduktiv für den Arbeiter, denn sie sind gegen Lebensmittel ausgetauscht worden, die für immer verschwunden sind und deren Wert er nur wieder erhalten kann, indem er denselben Tausch mit dem Pächter wiederholt. Das Kapital setzt also die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen sich wechselseitig; sie bringen sich wechselseitig hervor. Ein Arbeiter in einer Baumwollfabrik, produziert er nur Baumwollstoffe? Nein, er produziert Kapital. Er produziert Werte, die von neuem dazu dienen, seine Arbeit zu kommandieren, um1 vermittelst derselben neue Werte zu schaffen. Das Kapital kann sich nur vermehren, indem es sich gegen Arbeit2 austauscht, indem es Lohnarbeit ins Leben ruft. Die Lohnarbeit3 kann sich nur gegen Kapital austauschen, indem sie das Kapital vermehrt, indem sie die Macht verstärkt, deren Sklavin sie ist. Vermehrung des Kapitals ist daher Vermehrung des Proletariats, d. h. der Arbeiterklassen4. Das Interesse des Kapitalisten und des Arbeiters ist also dasselbe, behaupten die Bourgeois und ihre Ökonomen. Und in der Tat! Der Arbeiter geht zugrunde, wenn ihn das Kapital nicht beschäftigt. Das Kapital geht zugrunde, wenn es die Arbeit2 nicht ausbeutet, und um sie auszubeuten, muß es sie kaufen. Je rascher sich das zur Produktion bestimmte Kapital, das produktive Kapital, vermehrt, je blühender daher die Industrie ist, je mehr sich die
1 (1891) und - 2 (1891) Arbeitskraft - 3 (1891) Arbeitskraft des Lohnarbeiters - 4 (1891) Arbeiterklasse
Bourgeoisie bereichert, je besser das Geschäft geht, um so mehr Arbeiter braucht der Kapitalist, um so teurer verkauft sich der Arbeiter. Die unerläßliche Bedingung für eine passable Lage des Arbeiters ist also möglichst rasches Wachsen des produktiven Kapitals. Aber was ist Wachstum des produktiven Kapitals? Wachstum der Macht der aufgehäuften Arbeit über die lebendige Arbeit. Wachstum der Herrschaft der Bourgeoisie über die arbeitende Klasse. Wenn die Lohnarbeit den sie beherrschenden fremden Reichtum, die ihr feindselige Macht, das Kapital, produziert, strömen ihr Beschäftigungs-, d. h. Lebensmittel von derselben zurück, unter der Bedingung, daß sie sich von neuem zu einem Teil des Kapitals macht, zum Hebel, der von neuem dasselbe in eine beschleunigte Bewegung des Anwachsens schleudert. Die Interessen des Kapitals und die Interessen der Arbeit1 sind dieselben, heißt nur: Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhältnisses. Die eine bedingt die andere, wie der Wucherer und Verschwender sich wechselseitig bedingen. Solange der Lohnarbeiter Lohnarbeiter ist, hängt sein Los vom Kapital ab. Das ist die vielgerühmte Gemeinsamkeit des Interesses Von Arbeiter und Kapitalist.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.267 vom 8.April 1849] *Köln, 7. April. Wächst das Kapital, so wächst die Masse der Lohnarbeit, so wächst die Anzahl der Lohnarbeiter, mit einem Wort: Die Herrschaft des Kapitals dehnt sich über eine größere Masse von Individuen aus. Und unterstellen wir den günstigsten Fall: Wenn das produktive Kapital wächst, wächst die Nachfrage nach Arbeit. Es steigt also der Preis der Arbeit, der Arbeitslohn. Ein Haus mag groß oder klein sein, solange die es umgebenden Häuser ebenfalls klein sind, befriedigt es alle gesellschaftlichen Ansprüche an eine Wohnung. Erhebt sich aber neben dem kleinen Haus ein Palast, und das kleine Haus schrumpft zur Hütte zusammen. Das kleine Haus beweist nun, daß sein Inhaber keine oder nur die geringsten Ansprüche zu machen hat; und es mag im Laufe der Zivilisation in die Höhe schießen noch so sehr, wenn der benachbarte Palast in gleichem oder gar in höherem Maß in die Höhe schießt, wird der Bewohner des verhältnismäßig kleinen Hauses sich immer unbehaglicher, unbefriedigter, gedrückter in seinen vier Pfählen finden.
Ein merkliches Zunehmen des Arbeitslohns setzt ein rasches Wachstum1 des produktiven Kapitals voraus. Das rasche Wachstum des produktiven Kapitals ruft ebenso rasches Wachstum des Reichtums, des Luxus, der gesellschaftlichen Bedürfnisse und der gesellschaftlichen Genüsse hervor. Obgleich also die Genüsse des Arbeiters gestiegen sind, ist die gesellschaftliche Befriedigung, die sie gewähren, gefallen im Vergleich mit den vermehrten Genüssen des Kapitalisten, die dem Arbeiter unzugänglich sind, im Vergleich mit dem Entwicklungsstand der Gesellschaft überhaupt. Unsere Bedürfnisse und Genüsse entspringen aus der Gesellschaft; wir messen sie daher an der Gesellschaft; wir messen sie nicht an den Gegenständen ihrer Befriedigung. Weil sie gesellschaftlicher Natur sind, sind sie relativer Natur. Der Arbeitslohn wird überhaupt nicht nur bestimmt durch die Masse von Waren, die ich für ihn eintauschen2 kann. Er enthält verschiedene Beziehungen. Was die Arbeiter zunächst für ihre Arbeit3 erhalten, ist eine bestimmte Summe Geldes. Ist der Arbeitslohn nur durch diesen Geldpreis bestimmt? Im 16. Jahrhundert vermehrte sich das in Europa zirkulierende Gold und Silber infolge der Entdeckung von4 Amerika. Der Wert des Goldes und Silbers fiel daher im Verhältnis zu den übrigen Waren. Die Arbeiter erhielten nach wie vor dieselbe Masse gemünzten Silbers für ihre Arbeit3. Der Geldpreis ihrer Arbeit blieb derselbe, und dennoch war ihr Arbeitslohn gefallen, denn im Austausch für dieselbe Quantität Silber erhielten sie eine geringere Summe anderer Waren zurück. Es war dies einer der Umstände, die das Wachstum des Kapitals, das Aufkommen der Bourgeoisie im 16.5 Jahrhundert förderten. Nehmen wir einen andern Fall. Im Winter 1847 waren infolge einer Mißernte die unentbehrlichsten Lebensmittel, Getreide, Fleisch, Butter, Käse usw. bedeutend im Preise gestiegen. Gesetzt, die Arbeiter hätten nach wie vor dieselbe Summe Geldes für ihre Arbeit3 empfangen. War ihr Arbeitslohn nicht gefallen? Allerdings. Für dasselbe Geld erhielten sie im Austausch weniger Brot, Fleisch usw. Ihr Arbeitslohn war gefallen, nicht weil sich der Wert des Silbers vermindert, sondern weil sich der Wert der Lebensmittel vermehrt hatte. Gesetzt endlich, der Geldpreis der Arbeit bleibe derselbe, während alle Agrikultur- und Manufakturwaren infolge von Anwendung neuer Maschinen, günstiger Jahreszeit usw. im Preise gefallen wären. Für dasselbe Geld können die Arbeiter nun mehr Waren aller Art kaufen. Ihr Arbeitslohn ist also gestiegen, eben weil der Geldwert desselben sich nicht verändert hat. 1 (1891) Wachsen - 2 (1891) austauschen - 3 (1891) Arbeitskraft - 4 (1891) eingefügt: reicheren und leichter zu bearbeitenden Bergwerken in - 5 (1891) Druckfehler: 18.
Der Geldpreis der Arbeit, der nominelle Arbeitslohn, fällt also nicht zusammen mit dem reellen Arbeitslohn, d. h. mit der Summe von Waren, die wirklich im Austausch gegen den Arbeitslohn gegeben wird. Sprechen wir also vom Steigen oder Fallen des Arbeitslohnes, so haben wir nicht nur den Geldpreis der Arbeit, den nominellen Arbeitslohn, im Auge zu halten. Aber weder der nominelle Arbeitslohn, d. h. die Geldsumme, wofür der Arbeiter sich an den Kapitalisten verkauft, noch der reelle Arbeitslohn, d. h. die Summe Waren, die er für dies Geld kaufen kann, erschöpfen die im Arbeitslohn enthaltenen Beziehungen. Der Arbeitslohn ist vor allem noch bestimmt durch sein Verhältnis zum Gewinn, zum Profit des Kapitalisten — verhältnismäßiger, relativer Arbeitslohn. Der reelle Arbeitslohn drückt den Preis der Arbeit im Verhältnis zum Preise der übrigen Waren aus, der relative Arbeitslohn dagegen den Preis der unmittelbaren Arbeit im Verhältnis zum Preise der aufgehäuften Arbeit, den verhältnismäßigen Wert von Lohnarbeit und Kapital, den wechselseitigen Wert der Kapitalisten und Arbeiter.1 Der reelle Arbeitslohn mag derselbe bleiben, er mag selbst steigen, und der relative Arbeitslohn kann nichtsdestoweniger fallen. Unterstellen wir z. B., alle Lebensmittel seien im Preise um 2/s gesunken, während der Tagelohn
1 (1891) ist dieser Absatz stark verändert und um einen weiteren ergänzt worden. Die Stelle lautet in der von Engels redigierten Fassung wie folgt: Der reelle Arbeitslohn drückt den Preis der Arbeit im Verhältnis zum Preise der übrigen Waren aus, der relative Arbeitslohn dagegen den Anteil der unmittelbaren Arbeit an dem von ihr neu erzeugten Wert im Verhältnis des Anteils davon, der der aufgehäuften Arbeit, dem Kapital, zufällt. Wir sagten oben, S. 14 [siehe vorl. Band, S. 400]: „Der Arbeitslohn ist nicht ein Anteil des Arbeiters an der von ihm produzierten Ware. Der Arbeitslohn ist der Teil schon vorhandener Waren, womit der Kapitalist eine bestimmte Summe produktiver Arbeitskraft an sich kauft." Aber diesen Arbeitslohn muß der Kapitalist wieder ersetzen aus dem Preis, wozu er das vom Arbeiter erzeugte Produkt verkauft; er muß ihn so ersetzen, daß ihm dabei in der Regel noch ein Überschuß über seine ausgelegten Produktionskosten, ein Profit, übrigbleibt. Der Verkaufspreis der vom Arbeiter erzeugten Ware teilt sich für den Kapitalisten in drei Teile: erstens den Ersatz des Preises der von ihm vorgeschoßnen Rohstoffe nebst dem Ersatz des Verschleißes der ebenfalls von ihm vorgeschoßnen Werkzeuge, Maschinen und andren Arbeitsmittel, zweitens in den Ersatz des von ihm vorgeschoßnen Arbeitslohnes und drittens in den Uberschuß darüber, den Profit des Kapitalisten. Während der erste Teil nur früher vorhandne Werte ersetzt, ist es klar, daß sowohl der Ersatz des Arbeitslohns wie der Überschußprofit des Kapitalisten im ganzen und großen genommen werden aus dem durch die Arbeit des Arbeiters geschaffnen und den Rohstoffen zugesetzten Neuwert. Und in diesem Sinn können wir sowohl Arbeitslohn wie Profit, um sie miteinander zu vergleichen, als Anteile am Produkt des Arbeiters auffassen.
nur um 1/3 sinke, also z.B. von 3 Francs auf 2. Obgleich der Arbeiter mit diesen 2 Francs über eine größere Summe von Waren verfügt, als früher mit 3 Francs, so hat dennoch sein Arbeitslohn im Verhältnis zum Gewinn des Kapitalisten abgenommen. Der Profit des Kapitalisten (z. B.des Fabrikanten) hat sich um 1 Franc vermehrt, d. h. für eine geringere Summe von Tauschwerten, die er dem Arbeiter zahlt, muß der Arbeiter eine größere Summe von Tauschwerten produzieren als früher. Der Wert1 des Kapitals im Verhältnis zum Wert1 der Arbeit ist gestiegen. Die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen Kapital und Arbeit ist noch ungleichmäßiger geworden. Der Kapitalist kommandiert mit demselben Kapital eine größere Quantität Arbeit. Die Macht der Kapitalistenklasse über die Arbeiterklasse ist gewachsen, die gesellschaftliche Stellung des Arbeiters hat sich verschlechtert, ist um eine Stufe tiefer unter die2 Kapitalisten herabgedrückt. Welches ist nun das allgemeine Gesetz, das Fallen3 und Steigen des Arbeitslohns und Profits in ihrer wechselseitigen Beziehung bestimmt? Sie stehen in umgekehrtem4 Verhältnis. Der Tauschwert5 des Kapitals, der Profit, steigt in demselben Verhältnis, worin der Tauschwert5 der Arbeit, der Taglohn, fällt, und umgekehrt. Der Profit steigt in dem Maße, worin der Arbeitslohn fällt, er fällt in dem Maße, worin der Arbeitslohn steigt. Man wird vielleicht einwenden, daß der Kapitalist gewinnen kann durch vorteilhaften Austausch seiner Produkte mit andern Kapitalisten, durch Steigen der Nachfrage nach seiner Ware, sei es infolge der Eröffnung von neuen Märkten, sei es infolge augenblicklich vermehrter Bedürfnisse auf den alten Märkten usw., daß der Profit des Kapitalisten sich also vermehren kann durch die Übervorteilung dritter Kapitalisten, unabhängig vom Steigen und Fallen des Arbeitslohns, des Tauschwerts der Arbeit6, oder der Profit des Kapitalisten könne auch steigen durch Verbesserung der Arbeitsinstrumente, neue Anwendung der Naturkräfte usw. Zunächst wird man zugeben müssen, daß das Resultat dasselbe bleibt, obgleich es auf umgekehrtem Wege herbeigeführt ist. Der Profit ist zwar nicht gestiegen, weil der Arbeitslohn gefallen ist, aber der Arbeitslohn ist gefallen, weil der Profit gestiegen ist. Der Kapitalist hat mit derselben Summe von7 Arbeit eine größere Summe von Tauschwerten erkauft, ohne deshalb die Arbeit höher bezahlt zu haben, d. h. also die Arbeit wird niedriger bezahlt im Verhältnis zum Reinertrag, den sie dem Kapitalisten abwirft.
1 (1891) Anteil - 2 (1891) eingefügt: des - 3 (1891) das das Fallen - 4 (1891) in umgekehrten - 5 (1891) Anteil - 6 (1891) Arbeitskraft - 7 (1891) eingefügt: fremder
Zudem erinnern wir, daß trotz der Schwankungen der Warenpreise der Durchschnittspreis jeder Ware, das Verhältnis, worin sie sich gegen andere Waren austauscht, durch ihre Produktionskosten bestimmt ist. Die Übervorteilungen innerhalb der Kapitalistenklasse gleichen sich daher notwendig aus. Die Verbesserung der Maschinerie, die neue Anwendung von Naturkräften im Dienst der Produktion befähigen in einer gegebenen Arbeitszeit, mit derselben Summe von Arbeit und Kapital eine größere Masse von Produkten, keineswegs aber eine größere Masse von Tauschwerten zu schaffen. Wenn ich durch die Anwendung der Spinnmaschine noch einmal soviel Gespinst in einer Stunde liefern kann wie vor ihrer Erfindung, z. B. 100 Pfund statt 50, so erhalte ich für diese 100 Pfund1 nicht mehr Waren im Austausch zurück als früher für 50, weil die Produktionskosten um die Hälfte gefallen sind, oder weil ich mit denselben Kosten das doppelte Produkt liefern kann. Endlich, in welchem Verhältnis auch immer die Kapitalistenklasse, die Bourgeoisie, sei es eines Landes, sei es des ganzen Weltmarkts, den Reinertrag der Produktion unter sich verteile, die Gesamtsumme dieses Reinertrags ist jedesmal nur die Summe, um welche die aufgehäufte Arbeit im großen und ganzen durch die lebendige2 Arbeit vermehrt worden ist. Diese Gesamtsumme wächst also in dem Verhältnis, worin die Arbeit das Kapital vermehrt, d.h. in dem Verhältnis, worin der Profit gegen den Arbeitslohn steigt. Wir sehen also, daß selbst, wenn wir innerhalb des Verhältnisses von Kapital und Lohnarbeit stehenbleiben, die Interessen des Kapitals und die Interessen der Lohnarbeit sich schnurstracks gegenüberstehen. Eine rasche Zunahme des Kapitals ist gleich einer raschen Zunahme des Profits. Der Profit kann nur rasch zunehmen, wenn der Tauschwert3 der Arbeit, wenn der relative Arbeitslohn ebenso rasch abnimmt. Der relative Arbeitslohn kann fallen, obgleich der reelle Arbeitslohn gleichzeitig mit dem nominellen Arbeitslohn, mit dem Geldwert der Arbeit steigt, aber nur nicht in demselben Verhältnisse steigt wie der Profit. Steigt z.B. in guten Geschäftszeiten der Arbeitslohn um 5 Prozent, der Profit dagegen um 30 Prozent, so hat der verhältnismäßige, der relative Arbeitslohn nicht zugenommen, sondern abgenommen. Vermehrt sich also die Einnahme des Arbeiters mit dem raschen Wachstum des Kapitals, so vermehrt sich gleichzeitig die gesellschaftliche Kluft, die den Arbeiter vom Kapitalisten scheidet, so vermehrt sich gleichzeitig die Macht des Kapitals über die Arbeit, die Abhängigkeit der Arbeit vom Kapital.
1 (1891) eingefügt: auf die Dauer - 2 (1891) unmittelbare - 3 (1891) Preis
Der Arbeiter hat ein Interesse am raschen Wachstum des Kapitals, heißt nur: Je rascher der Arbeiter den fremden Reichtum vermehrt, desto fettere Brocken fallen für ihn ab, um desto mehr Arbeiter können beschäftigt und ins Leben gerufen, desto mehr kann die Masse der von dem Kapital abhängigen Sklaven vermehrt werden. Wir haben also gesehen: Selbst die günstigste Situation für die Arbeiterklasse, möglichst rasches Wachsen1 des Kapitals, so sehr sie das materielle Leben des Arbeiters verbessern mag, hebt den Gegensatz zwischen seinen Interessen und den Bourgeoisinteressen, den Interessen des Kapitalisten nicht auf. Profit und Arbeitslohn stehen nach wie vor in umgekehrtem Verhältnis. Ist das Kapital rasch einwachsend, so mag der Arbeitslohn steigen; unverhältnismäßig schneller steigt der Profit des Kapitals. Die materielle Lage des Arbeiters hat sich verbessert, aber auf Kosten seiner gesellschaftlichen Lage. Die gesellschaftliche Kluft, die ihn vom Kapitalisten trennt, hat sich erweitert. Endlich: Günstigste Bedingung für die Lohnarbeit ist möglichst rasches Wachstum des produktiven Kapitals, heißt nur: Je rascher die Arbeiterklasse die ihr feindliche Macht, den fremden, über sie gebietenden Reichtum vermehrt und vergrößert, unter desto günstigeren Bedingungen wird ihr erlaubt, von neuem an der Vermehrung des bürgerlichen Reichtums, an der Vergrößerung der Macht des Kapitals zu arbeiten, zufrieden, sich selbst die goldenen Ketten zu schmieden, woran die Bourgeoisie sie hinter sich herschleift.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 269 vom 11. April 1849] * Köln, 10. April. Wachstum des produktiven Kapitals und Steigen des Arbeitslohns, sind sie wirklich so unzertrennlich verbunden, wie die bürgerlichen Ökonomen behaupten? Wir dürfen ihnen nicht aufs Wort glauben. Wir dürfen ihnen selbst nicht glauben, daß, je feister das Kapital, desto besser sein Sklave gemästet wird. Die Bourgeoisie ist zu aufgeklärt, sie rechnet zu gut, um die Vorurteile des Feudalen zu teilen, der mit dem Glanz seiner Dienerschaft prunkt. Die Existenzbedingungen der Bourgeoisie zwingen sie, zu rechnen. Wir werden also näher untersuchen müssen: Wie wirkt das Wachsen des produktiven Kapitals auf den Arbeitslohn? Wächst das produktive Kapital der bürgerlichen Gesellschaft im großen
und ganzen, so findet eine vielseitigere Aufhäufung von Arbeit statt. Die Kapitalien1 nehmen an Zahl und Umfang zu. Die Vermehrung der Kapitalien vermehrt die Konkurrenz unter den Kapitalisten. Der steigende Umfang der Kapitalien gibt die Mittel, gewaltigere Arbeiterarmeen mit riesenhaftem Kriegswerkzeugen2 auf das industrielle Schlachtfeld zu führen. Der eine Kapitalist kann den andern nur aus dem Felde schlagen und sein3 Kapital erobern, indem er wohlfeiler verkauft. Um wohlfeiler verkaufen zu können, ohne sich zu ruinieren, muß er wohlfeiler produzieren, d.h. die Produktionskraft der Arbeit soviel wie möglich steigern. Die Produktionskraft der Arbeit wird aber vor allem gesteigert durch eine größere Teilung der Arbeit, durch eine allseitigere Einführung und beständige Verbesserung in4 der Maschinerie. Je größer die Arbeiterarmee ist, unter welche die Arbeit geteilt, je riesenhafter die Stufenleiter ist, auf welcher die Maschinerie eingeführt wird, um so mehr nehmen verhältnismäßig die Produktionskosten ab, um so fruchtbarer wird die Arbeit. Es entsteht daher ein allseitiger Wetteifer unter den Kapitalisten, die Teilung der Arbeit und die Maschinerie zu vermehren und sie auf möglichst großer Stufenleiter auszubeuten. Hat nun ein Kapitalist durch größere Teilung der Arbeit, durch Anwendung und Verbesserung neuer Maschinen, durch vorteilhaftere und massenhaftere Ausbeutung der Naturkräfte das Mittel gefunden, mit derselben Summe von Arbeit oder von aufgehäufter Arbeit eine größere Summe von Produkten, von Waren zu schaffen als seine Konkurrenten, kann er z.B. in derselben Arbeitszeit, worin seine Konkurrenten eine halbe Elle Leinwand weben, eine ganze Elle Leinwand produzieren, wie wird dieser Kapitalist operieren? Er könnte fortfahren, eine halbe Elle Leinwand zu dem bisherigen Marktpreise zu verkaufen, es wäre dies jedoch kein Mittel, seine Gegner aus dem Felde zu schlagen und seinen eigenen Absatz zu vergrößern. Aber in demselben Maße, worin seine Produktion sich ausgedehnt hat, hat sich das Bedürfnis des Absatzes für ihn ausgedehnt. Die mächtigeren und kostspieligeren Produktionsmittel, die er ins Leben gerufen, befähigen ihn zwar, seine Waren wohlfeiler zu verkaufen, sie zwingen ihn aber zugleich, mehr Waren zu verkaufen, einen ungleich größeren Markt für seine Waren zu erobern; unser Kapitalist wird also die halbe Elle Leinwand wohlfeiler verkaufen als seine Konkurrenten.
1 In der „N. Rh. Ztg.": Kapitalisten. Korrigiert nach der Berichtigung in Nr.270 der „N. Rh. Ztg.". Von Engels in der Ausgabe 1891 nicht berücksichtigt. - 2 (1891) Kriegshandwerkzeugen - 3 (1891) dessen - 4 (1891) ausgelassen: in
27 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Der Kapitalist wird aber die ganze Elle nicht so wohlfeil verkaufen, wie seine Konkurrenten die halbe Elle verkaufen, obgleich ihm die Produktion der ganzen Elle nicht mehr kostet, als den andern die der halben. Er würde sonst nichts1 gewinnen, sondern nur die Produktionskosten im Austausch2 zurückerhalten. Seine etwaige größere Einnahme würde daher rühren, daß er ein höheres Kapital in Bewegung gesetzt, aber nicht daher, daß er sein Kapital höher verwertet hätte als die andern. Überdem erreicht er den Zweck, den er erreichen will, wenn er den Preis seiner Ware nur um einige Prozente niedriger ansetzt als seine Konkurrenten. Er schlägt sie aus dem Felde, er ringt ihnen wenigstens einen Teil ihres Absatzes ab, indem er sie unterkauft. Und endlich erinnern wir uns, daß der courantePreis immer über oder unter denProduktionskosten steht, je nachdem der Verkauf einer Ware in die günstige oder ungünstige Jahreszeit der Industrie fällt. Je nachdem der Marktpreis der Elle Leinwand unter oder über ihren bisher üblichen Produktionskosten steht, werden die Prozente wechseln, worin der Kapitalist, der neue fruchtbarere Produktionsmittel angewandt hat, über seine wirklichen Produktionskosten hinaus verkauft. Allein das Privilegium unseres Kapitalisten ist nicht von langer Dauer; andere wetteifernde Kapitalisten führen dieselben Maschinen, dieselbe Teilung der Arbeit ein, führen sie auf derselben oder größerer Stufenleiter ein, und diese Einführung wird so allgemein werden, bis der Preis der Leinwand nicht nur unter ihre alten, sondern unter, ihre neuen Produktionskosten herabgesetzt ist. Die Kapitalisten befinden sich also wechselseitig in derselben Lage, worin sie sich vor Einführung der neuen Produktionsmittel befanden, und wenn sie mit diesen Mitteln zu demselben Preise das doppelte Produkt liefern können, so sind sie jetzt gezwungen, unter dem alten Preise das doppelte Produkt zu liefern. Auf dem Standpunkt dieser neuen Produktionskosten beginnt dasselbe Spiel wieder. Mehr Teilung der Arbeit, mehr Maschinerie, größere Stufenleiter, worauf Teilung der Arbeit und Maschinerie ausgebeutet werden. Und die Konkurrenz bringt wieder dieselbe Gegenwirkung gegen dies Resultat. Wir sehen, wie so die Produktionsweise, die Produktionsmittel beständig umgewälzt, revolutioniert worden, wie die Teilung der Arbeit größere Teilung der Arbeit, die Anwendung der Maschinerie größere Anwendung der Maschinerie, das Arbeiten auf großer Stufenleiter Arbeiten auf größerer Stufenleiter notwendig nach sich zieht. Das ist das Gesetz, das die bürgerliche Produktion stets wieder aus ihrem
alten Gleise herauswirft und das Kapital zwingt, die Produktionskräfte der Arbeit anzuspannen, weil es sie angespannt hat, das Gesetz, das ihm keine Ruhe gönnt und beständig zuraunt: Marche! Marche!1 Es ist dies kein anderes Gesetz, als das Gesetz, welches innerhalb der Schwankungen der Handelsepochen den Preis einer Ware notwendig zu ihren Produktionskosten ausgleicht. Welche gewaltigen Produktionsmittel ein Kapitalist auch ins Feld führe, die Konkurrenz wird diese Produktionsmittel verallgemeinern, und von dem Augenblick an, wo sie dieselben verallgemeinert hat, ist der einzige Erfolg der größeren Fruchtbarkeit seines Kapitals, daß er nun für denselben Preis 10-, 20-, lOOmal soviel liefern muß als früher. Da er aber vielleicht lOOOmal mehr absetzen muß, um durch die größere Masse des abgesetzten Produkts den niedrigem Verkaufspreis aufzuwiegen, weil ein massenhafterer Verkauf jetzt nötig ist, nicht nur um2 zu gewinnen, sondern um die Produktionskosten zu ersetzen —das Produktionsinstrument selbst wird, wie wir gesehen haben, immer teurer -, weil dieser massenhafte Verkauf aber nicht nur eine Lebensfrage für ihn, sondern auch für seine Nebenbuhler geworden ist, so beginnt der alte Kampf um so heftiger, je fruchtbarer die schon erfundenen Produktionsmittel sind. Die Teilung der Arbeit und die Anwendung der Maschinerie wird also in ungleich größerem Maßstabe von neuem vor sich gehen. Welches auch immer die Macht der angewandten Produktionsmittel sei, die Konkurrenz sucht die goldenen Früchte dieser Macht dem Kapital zu rauben, indem sie den Preis der Ware auf die Produktionskosten zurückführt, indem sie also in demselben Maße, wie wohlfeiler produziert, d.h. mit derselben Summe Arbeit mehr produziert werden kann, die wohlfeilere Produktion, die massenhaftere Lieferung für den alten Preis3 zu einem gebieterischen Gesetz macht. So hätte der Kapitalist durch seine eigenen Anstrengungen nichts gewonnen als die Verpflichtung, in derselben Arbeitszeit mehr zu liefern, mit einem Wort, schwierigere Bedingungen der Verwertung seines Kapitals. Während die Konkurrenz ihn daher beständig verfolgt mit ihrem Gesetz der Produktionskosten, und jede Waffe, die er gegen seine Rivalen schmiedet, als Waffe gegen ihn selbst zurückkehrt, sucht der Kapitalist beständig die Konkurrenz zu übertölpeln, indem er rastlos neue, zwar kostspieligere, aber wohlfeiler produzierende Maschinen und Teilungen der Arbeit an die Stelle der alten einführt und nicht abwartet, bis die Konkurrenz die neuen veraltet hat.
1 (1891) Marsch! Marsch! - 2 (1891) eingefügt: mehr - 3 (1891) Lieferung immer größrer Massen von Produkt für dieselbe Preissumme (statt: massenhaftere Lieferung für den alten Preis)
Stellen wir uns nun diese fieberhafte Agitation auf dem ganzen Weltmarkt zugleich vor, und es begreift sich, wie das Wachstum, die Akkumulation und Konzentration des Kapitals eine ununterbrochene, sich selbst überstürzende und auf stets riesenhafterer Stufenleiter ausgeführte Teilung der Arbeit, Anwendung neuer und Vervollkommnung alter Maschinerie im Gefolge hat. Wie aber wirken diese Umstände, die von dem Wachstum des produktiven Kapitals unzertrennlich sind, auf die Bestimmung des Arbeitslohns ein? Die größere Teilung der Arbeit befähigt einen Arbeiter, die Arbeit von 5,10, 20 zu tun; sie vermehrt also die Konkurrenz unter den Arbeitern um das 5-, 10-, 20fache. Die Arbeiter machen sich nicht nur Konkurrenz, indem einer sich wohlfeiler verkauft wie der andere; sie machen sich Konkurrenz, indem einer die Arbeit von 5, 10, 20 verrichtet, und die vom Kapital eingeführte und stets vergrößerte Teilung der Arbeit zwingt die Arbeiter, sich diese Art von Konkurrenz zu machen. Ferner: In demselben Maße, wie die Teilung der Arbeit zunimmt, vereinfacht sich die Arbeit. Die besondere Geschicklichkeit des Arbeiters wird wertlos. Er wird in eine einfache, eintönige Produktivkraft verwandelt, die weder körperliche noch geistige Spannkräfte ins Spiel zu setzen hat. Seine Arbeit wird allen zugängliche Arbeit. Es drängen daher Konkurrenten von allen Seiten auf ihn ein, und überdem erinnern wir, daß, je einfacher, je leichter erlernbar die Arbeit ist, je weniger Produktionskosten es bedarf, um sich dieselbe anzueignen, desto tiefer der Arbeitslohn sinkt, denn wie der Preis jeder andern Ware ist er durch die Produktionskosten bestimmt. In demselben Maß also, worin die Arbeit unbefriedigender, ekelhafter wird, in demselben Maß nimmt die Konkurrenz zu und der Arbeitslohn ab. Der Arbeiter sucht die Masse seines Arbeitslohns zu behaupten, indem er mehr arbeitet, sei es, daß er mehr Stunden arbeitet, sei es, daß er mehr in derselben Stunde liefert. Durch die Not getrieben, vermehrt er also noch die unheilvollen Wirkungen der Teilung der Arbeit. Das Resultat ist: Je mehr er arbeitet, um so weniger Lohn erhält er, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil er in demselben Maß seinen Mitarbeitern Konkurrenz macht, sich daher ebenso viele Konkurrenten aus seinen Mitarbeitern macht, die sich zu ebenso schlechten Bedingungen anbieten wie er selbst, weil er also in letzter Instanz sich selbst Konkurrenz macht, sich selbst als Mitglied der Arbeiterklasse. Die Maschinerie bringt dieselben Wirkungen auf viel größerer Stufenleiter hervor, indem sie geschickte Arbeiter durch ungeschickte, Männer durch Weiber, Erwachsene durch Kinder verdrängt, indem die Maschinerie da, wo sie neu eingeführt wird, die Handarbeiter massenhaft aufs Pflaster wirft, und da, wo sie ausgebildet, verbessert, durch fruchtbarere Maschinen ersetzt wird,
sie1 in kleineren Haufen abdankt. Wir haben oben in raschen Zügen den industriellen Krieg der Kapitalisten untereinander geschildert. Dieser Krieg hat das Eigentümliche, daß die Schlachten weniger in ihm gewonnen werden durch Anwerben als durch Abdanken der Arbeiterarmee. Die Feldherren, die Kapitalisten, wetteifern untereinander, wer am meisten Industrie-Soldaten entlassen kann. Die Ökonomen erzählen uns allerdings, daß die durch Maschinen überflüssig gewordenen Arbeiter neue Beschäftigungszweige finden. Sie wagen nicht direkt zu behaupten, daß dieselben Arbeiter, die entlassen worden sind, in neuen Arbeitszweigen unterkommen. Die Tatsachen schreien zu laut gegen diese Lüge. Sie behaupten eigentlich nur, daß für andere Bestandteile der Arbeiterklasse, z.B. für den Teil der jungen Arbeitergeneration, der schon bereit stand, um in den untergegangenen Industriezweig einzutreten, sich neue Beschäftigungsmittel auftun werden. Es ist dies natürlich eine große Genugtuung für die gefallenen Arbeiter. Es wird den Herren Kapitalisten nicht an frischem exploitablem Fleisch und Blut fehlen, und man wird die Toten ihre Toten begraben lassen. Es ist dies mehr ein Trost, den die Bourgeois sich selbst, als den sie den Arbeitern geben. Wenn die ganze Klasse der Lohnarbeiter durch die Maschinerie vernichtet würde, wie schrecklich für das Kapital, das ohne Lohnarbeit aufhört, Kapital zu sein? Gesetzt aber, daß die durch Maschinerie direkt aus der Arbeit Verdrängten und der ganze Teil der neuen Generation, der schon auf diesen Dienst lauerte, eine neue Beschäftigung finden. Glaubt man, daß dieselbe so hoch bezahlt werden wird wie die verlorengegangene? Es widerspräche dies allen Gesetzen der Ökonomie. Wir haben gesehen, wie die moderne Industrie es mit sich bringt, stets eine einfachere, untergeordnetere Beschäftigung der zusammengesetzten, höheren unterzuschieben. Wie könnte also eine Arbeitermasse, die durch Maschinerie aus einem Industriezweig herausgeworfen ist, in einem andern eine Zuflucht finden, es sei denn, daß er niedriger, schlechter bezahlt ist? Man hat als Ausnahme die Arbeiter angeführt, die in der Fabrikation der Maschinerie selbst arbeiten. Sobald mehr Maschinerie in der Industrie verlangt und verbraucht werde, müßten die Maschinen notwendig zunehmen, also die Maschinenfabrikation, also die Beschäftigung der Arbeiter in der Maschinenfabrikation, und die in diesem Industriezweig verwandten Arbeiter seien geschickte, ja selbst gebildete Arbeiter.
Seit dem Jahre 1840 hat diese schon früher nur halbwahre Behauptung allen Schein verloren, indem immer vielseitiger Maschinen zum Fabrizieren von Maschinen nicht mehr, nicht minder angewandt wurden als zum Fabrizieren von Baumwollgarn, und die in den Maschinenfabriken beschäftigten Arbeiter, gegenüber von höchst kunstvollen, nur noch die Stelle von höchst kunstlosen Maschinen spielen konnten. Aber statt des durch die Maschine verabschiedeten Mannes beschäftigt die Fabrik vielleicht drei Kinder und eine Frau! Und mußte das Salair1 des Mannes nicht hinreichen für die drei Kinder und eine Frau? Mußte das Minimum des Arbeitslohns nicht hinreichen, um die Race zu erhalten und zu vermehren? Was also beweist diese beliebte Bourgeoisredensart? Weiter nichts, als daß jetzt viermal soviel Arbeiterleben verbraucht werden wie früher, um das Salair2 einer Arbeiterfamilie zu gewinnen. Resümieren wir: Je mehr das produktive Kapital wächsi, desto mehr dehnt sich die Teilung der Arbeit und die Anwendung der Maschinerie aus. Je mehr sich die Teilung der Arbeit und die Anwendung der Maschinerie ausdehnt, um so mehr dehnt sich dieKonkurrenz unter den Arbeitern aus, je mehr zieht sich ihr Salair3 zusammen. Und zudem rekrutiert sich die Arbeiterklasse noch aus den höhern Schichten der Gesellschaft; es stürzt eine Masse kleiner Industriellen und kleiner Rentiers in sie herab, die nichts Eiligeres zu tun haben, als ihre Arme zu erheben neben den Armen der Arbeiter. So wird der Wald der in die Höhe gestreckten und nach Arbeit verlangenden Arme immer dichter, und die Arme selbst werden immer magerer. Daß der kleine Industrielle den Krieg4 nicht aushalten kann, worin es eine der ersten Bedingungen ist, auf stets größerer Stufenleiter zu produzieren, d.h. eben ein großer und kein kleiner Industrieller zu sein, versteht sich von selbst. Daß der Zins vom Kapital in demselben Maß abnimmt, wie Masse und Zahl des Kapitals zunimmt, wie das Kapital anwächst, daß daher der kleine Rentier nicht mehr von seiner Rente leben kann, also sich auf die Industrie werfen5, also die Reihen der kleinen Industriellen und damit die Kandidaten für das Proletariat vermehren hilft, alles das bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung. In dem Maße endlich, wie die Kapitalisten durch die oben geschilderte Bewegung gezwungen werden, schon vorhandene riesenhafte Produktions
1 (1891) der Lohn - 2 (1891) den Lebensunterhalt - 3 (1891) Lohn - 4 (1891) Kampf
mittel auf größerer Stufenleiter auszubeuten und zu diesem Zwecke alle Springfedern des Kredits in Bewegung zu setzen, in demselben Maße vermehren sich die1 Erdbeben, worin die Handelswelt sich nur dadurch erhält, daß sie einen Teil des Reichtums, der Produkte und selbst der Produktionskräfte den Göttern der Unterwelt opfert - nehmen mit einem Wort die Krisen zu. Sie werden häufiger und heftiger schon deswegen, weil in demselben Maß,. worin die Produktenmasse, also das Bedürfnis nach ausgedehnten Märkten wächst, der Weltmarkt immer mehr sich zusammenzieht, immer weniger2 Märkte zur Exploitation übrigbleiben, da jede vorhergehende Krise einen bisher uneroberten oder vom Handel nur oberflächlich ausgebeuteten Markt dem Welthandel unterworfen hat. Das Kapital lebt aber nicht nur von der Arbeit. Ein zugleich vornehmer und barbarischer Herr, zieht es mit sich in die Gruft die Leichen seiner Sklaven, ganze Arbeiterhekatomben, die in den Krisen untergehen. Wir sehen also: Wächst das Kapital rasch, so wächst ungleich rascher die Konkurrenz unter den Arbeitern, d.h., desto mehr nehmen verhältnismäßig die Beschäftigungsmittel, die Lebensmittel für die Arbeiterklasse ab, und nichtsdestoweniger ist das rasche Wachsen des Kapitals die günstigste Bedingung für die Lohnarbeit. (Fortsetzung folgt.)[374] Karl Marx
1 (1891) eingefügt: industriellen -2 (1891) eingefügt: neue
[Auslieferung politischer Flüchtlinge]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.271 vom 13. April 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, 12. April. Die preußische Regierung hat bereits durch Erlassung von Steckbriefen gegen östreichische, deutsche und nichtdeutsche sogenannte politische Verbrecher, namentlich gegen Kossuth, Bern, Perczel und andre ungarische Helden bewiesen, in welchem genauen Zusammenhange die preußische konstitutionelle Freiheit mit dem königlich kaiserlichen bluttriefenden Standrecht steht. Die entente cordiale1 zwischen Potsdam und Olmütz[290], trotz Kaiserfragen, deutscher Fragen, schleswig-holsteinischer Fragen und anderer Fragen, war ein Faktum, dessen Existenz nur den diplomatisierenden literarischen Maulwürfen der „Kölnischen Zeitung"1211 und anderer gewiegter Organe entgehen konnte. Daß aber diese entente cordiale auch bis zur letzten Gemeinheit, bis zu der Infamie der Auslieferung politischer Flüchtlinge an die östreicher gehen sollte, das war uns Von unserm glorreichen Ministerium noch aufgespart. Wäre Robert Blum von Wien nach Preußen entnommen, die preußische Regierung hätte ihn an seine Henker ausgeliefert. Sie hat einen der Mitkämpfer Robert Blums, den Wiener Kadetten Höcke, am 4.April dieses Jahres an die östreichischen Standrechts-Bluthunde ausgeliefert. Man lese folgenden Bericht der „Oberschlesischen Lokomotive" aus Ratibor vom 4.April: „Gestern mittag traf unter polizeilicher Bedeckung auf besonderer Fuhre der Wiener Kadett Höcke von Breslau hier ein, wohin er sich, wegen Teilnahme an der Wiener Oktoberrevolution des Hochverrats angeklagt, vor einiger Zeit geflüchtet hatte. Höcke hatte in einem Briefe an die Seinigen in Wien seine dortige Wohnung bezeichnet. Dieser Brief mußte das Schicksal vieler anderer geteilt haben, d.h. auf irgendeiner
östreichischen Poststation geöffnet worden sein. Denn kurz darauf erhielt die Polizeibehörde in Breslau auf Requisition den Befehl, gedachten Höcke in seiner Wohnung zu verhaften und auszuliefern. Demgemäß langte der Gefangene unter Eskorte gestern mittag hier an, wo eine sehr anstrengende Krankheit, von der er schon seit längerer Zeit behaftet ist, die Fortsetzung seiner der Standrechtung entgegenführenden Reise verzögerte. Er wurde in dem städtischen Arrest, streng militärisch bewacht, untergebracht, ist aber schon heute früh um 5 Uhr wieder unter Begleitung zweier städtischer Wachtmänner und eines Gendarmen über die Grenze geschafft worden. Die vielgerühmte preußische Humanität gestattete ihm auf dieser letzten Reise drittehalb Stunden lang nicht ein einziges Mal das von seiner Krankheit bedingte Verlassen des Wagens, noch auch die verlangten Erfrischungen. Zu letzteren war kein Geld vorhanden, obwohl dem Gefangenen (nach seiner Angabe) bei der Verhaftung in Breslau 80 Taler abgenommen worden waren und die Transportkosten, wie wir genau wissen, nur (!) 30 Taler betragen hatten. Es ist die dringendste Pflicht der deutschen Zeitungen, die flüchtigen Ostreicher nachdrücklich auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welchen sie sich durch ihr "Verweilen auf preußischem, insbesondere schlesischem, Boden aussetzen. Die alte Kartelkonvention besteht in alter Glorie fort. Das große deutsche Grundrecht, Standrecht genannt, wird in Preußen wie in Ostreich gleichmäßig anerkannt und mit Wollust zur Geltung gebracht." Die Standrechtshelden der verschiedenen in Belagerungszustand erklärten Länder sollen uns dergleichen Exempel nicht umsonst gegeben haben. Wie sie jetzt zusammenhalten, so werden auch einst die Demokraten aller Nationen zusammenhalten, wenn der Tag der Rache anbricht. Der königliche und ministerielle Auswurf von halb Europa hat im vorigen Frühjahr eine sichere Zuflucht in England gefunden. Wir versichern den Herren Manteuffel, Brandenburg und Konsorten, daß bei der nächsten Revolution, die sie selbst so geschäftig sind zu beschleunigen, ihrer Auslieferung aus England an das siegreiche und rachedurstende deutsche Volk kein Hindernis im Wege stehen wird. Dafür ist schon jetzt gesorgt.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Erklärung
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.273 vom 15. April 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, M.April. Die Bürger K.Marx, K.Schapper, Fr.Anneke, H.Becker und W. Wolff als Stellvertreter konstituierten sich heute als Kreisausschuß der rheinischen demokratischen Vereine. Die Bürger Marx, Schapper, Anneke und Wolff erklärten übereinstimmend: „Wir erachten, daß die jetzige Organisation der demokratischen Vereine zu viele heterogene Elemente in sich schließt, als daß eine dem Zweck der Sache gedeihliche Tätigkeit möglich wäre. Wir sind vielmehr der Ansicht, daß eine engere Verbindung der Arbeitervereine, da dieselben aus gleichen Elementen bestehen, vorzuziehen ist, und treten deshalb von heute an und hiermit aus dem rheinischen Kreisausschusse der demokratischen Vereine aus. Fr. Anneke K. Schapper K.Marx H.Becker W.Wolff, Stellvertreter
Die Sitzung der zweiten Kammer in Berlin vom 13. April
[ „Neue Rheinische Zeitung" Nr. 277 vom 20. April 1849] * Köln, 19. April. Kehren wir zur Abwechslung wieder einmal zu unserer lieben Berliner zweiten Kammer zurück. Sie hat Wahlen geprüft, Adressen erlassen, eine Geschäftsordnung fabriziert und mit besonders seltenem Interesse eine Frage behandelt, die bekanntlich ins Feuilleton der „Neuen Rheinischen Zeitung" gehört: die deutsche Kaiserfrage.[375] Alles das ist über dem Kanonendonner von Novara und Pesth ganz unbeachtet dahingegangen, und selbst die „Seeschlacht" bei Eckernförde nebst der Erstürmung der Düppeler Schanzen[376] machte mehr Effekt als sämtliche rechte und linke Reden der preußischen Volksvertreterschaft. Jetzt aber, wo die ehrenwerte Kammer sich mit den drei Knebelgesetzen, mit dem Plakatgesetz, dem Klubgesetz und dem Preßgesetz[322) beschäftigt, wo sie bereits eines derselben, das Plakatgesetz, abgemacht hat, jetzt geht uns die Sache doch etwas näher an, jetzt wird es interessanter zu sehen, wie unsere Herren Abgeordneten ihr möglichstes tun, die oktroyierte Verfassung11231 zu ergänzen. Nehmen wir den stenographischen Bericht über die 26. Sitzung vom 13. April zur Hand. Der Abgeordnete Lisiecki interpelliert zuerst das Ministerium wegen der Verwendung der polnischen Landwehr im dänischen Kriege. Die Landwehr soll nach § 61 des Landwehrgesetzes[37 7 ] nur bei unerwarteten feindlichen Anfällen auf das Land einberufen werden. In ihrer ganzen Organisation ist es begründet, daß sie überhaupt nur dann verwandt wird, wenn das stehende Heer und die Reserve unzureichend ist. Und jetzt wird in dem Kriege gegen das kleine Dänemark, mit dem die Linie eines einzigen Armeekorps fertig werden kann, Landwehr einberufen! Damit nicht genug. Obwohl das angeblich deutsche Posen nur durch einen
Wortbruch und durch brutale Gewalt in den Deutschen Bund hineineskamotiert wurde, obwohl der jenseits der berühmten Demarkationslinie11321 liegende Teil nach allen Verträgen gar nichts mit dem Deutschen Bund zu tun hat, nimmt man einen Teil der nach Schleswig spedierten Landwehr aus Posen diesseits und jenseits der Demarkationslinie. Diese Landwehr, rein polnischer Nationalität, und zur Hälfte nicht einmal in den Deutschen Bund gehörig, werden nach Schleswig spediert, um dort mit der deutschen schwarz-rot-goldenen Reichskokarde am Helm als deutsche Reichstruppen zur größeren Ehre Deutschlands sich totschießen zu lassen! Den „deutschen Krieg" in der Lombardei entschieden die Kroaten; den „deutschen" Kampf gegen Wien entschieden die Tschechen, Ruthenen und ebenfalls die Kroaten; den „deutschen" Krieg in Schleswig werden die Polen entscheiden. Mit solchen Soldaten werden heutzutage die „Siege der deutschen Waffen" erfochten! Und so hält ein König das Wort, das er durch seinen bevollmächtigten Kommissär am 11 .April den Polen gab13781: „Demnach sollen keine aus dem Großherzogtum Posen gebürtigen Rekruten in ein schlesisches oder sonst deutsches Regiment, und umgekehrt keine deutschen Rekruten in ein polnisches Regiment eingestellt werden. Es sollen die Truppen in ihrer Sprache exerziert und kommandiert werden ... es würde auch das polnische Heerwesen in allen Waffengattungen ein ganz für sich bestehendes Ganzes werden" usw. Lisiecki führt diese verschiedenen Punkte in ruhiger, aber entschiedener Sprache aus und macht schließlich noch darauf aufmerksam, welch eine spezielle Malice darin liegt, daß man drei Bataillone Landwehr gerade in der einzigen Provinz aushebt, die im vorigen Jahre durch einen, ihr von den Preußen oktroyierten Bürgerkrieg schwer gelitten hat. Herr Strotha, der Kriegsminister, erhebt sich. Der Herr Minister hält der Versammlung des breiteren einen Vortrag darüber, daß „die ganze preußische Heerorganisation auf die Zusammensetzung aus Linie und Landwehr basiert ist, welche Zusammensetzung sich durch den Korps- und Divisionsverband im Kriege bis auf den Brigadeverband erstrecke", daß die Detachierung „bloßer Linientruppen ohne Landwehr auf ein entferntes Kriegstheater wesentlich den organischen Verband mehrerer Truppenteile störe und mancherlei bedeutende Übelstände bei einer Mobilmachung der zurückbleibenden Teile erzeuge" usw. Alles sehr geeignet, den Spießbürgern und Zivilbeamten der Kammer ein merkwürdiges Licht über die Organisation „Meines herrlichen Kriegsheeres"[1961 aufgehen zu machen. Es mag sein. Es ist möglich, daß „Mein herrliches Kriegsheer, Linie" nicht ohne „Mein herrliches Kriegsheer, Landwehr" fertig werden kann. Es
mag sein, daß der gefährliche dänische Kartoffelkrieg[379] die Regierung zwingt, alle Schikanen der preußischen glorreichen Wehrverfassung spielen zu lassen. Aber warum hat man gerade die Polen zu Opfern dieses, in der preußischen glorreichen Wehrverfassung begründeten Schicksals gemacht? Weil — nun „weil die augenblicklichen Verhältnisse dies rechtfertigten/" Das ist alles, was wir erfahren. So beantwortet ein preußischer Kriegsminister Interpellationen. Es bleibt noch die Rechtsfrage zu beantworten, ob nicht deutsche Truppen zu deutschen Reichskriegen zu verwenden seien. Hierüber erklärt Herr Strotha:
1. „Gehört das Großherzogtum Posen mit Ausschluß eines kleinen Teils ... zu Deutschland." Das ist die preußische Übersetzung der vorigjährigen Phrasen, Posen solle polnisch werden, „mit Ausschluß eines kleinen Teils" der Grenze, die deutsch werden müsse. Jetzt ist man weit genug, die Phrase entbehren zu können, und gesteht die begangene Prellerei mit dürren Worten ein.
2. „ In der Einteilung der militärischen Bezirke des ganzen Großherzogtums Posen ist bis jetzt keine Veränderung vorgenommen. Es setzen sich also (!) demgemäß (!) die drei einberufenen Bataillone etwa zur Hälfte aus Bewohnern diesseits und zur Hälfte aus Bewohnern jenseits der Demarkationslinie zusammen."
Auf deutsch: Die ganze Possenreißerei mit der Demarkationslinie hat bloß dazu gedient, 2/3 von Posen direkt und das letzte Drittel indirekt in Deutschland einzuverleiben. Damit die Polen aber endlich die Illusion aufgeben, als habe diese Linie in der Praxis irgendeinen Sinn, haben wir eben jetzt unsre Reichstruppen aus den Bezirken ausgehoben, die von ihr durchschnitten werden.
3. „Bei der Verwendung der aus dem Großherzogtum Posen entnommenen Linientruppen ist bisher nie eine andere Rücksicht genommen worden als die, welche die Staatszwecke fordern." Und wenn man bei der Linie die feierlichen Verpflichtungen vom März und April 1848 mit Füßen getreten hat, warum sollte man dies [nicht auch] bei der Landwehr? Kann ein polnischer Landwehrmann nicht ein ebenso guter „Reichstruppe" werden wie ein polnischer Liniensoldat? Wir haben Rücksicht genommen nur auf die „Staatszwecke"! Und was sind diese „Staatszwecke"? Sie liegen auf der Hand. Man will die waffenfähige und waffengeübte Bevölkerung derjenigen Gegenden, die sich noch nicht hinreichend mit dem
„preußischen Vaterlande" verschmolzen haben, aus ihrer Heimat entfernen. Man will die mißliebigen Urwähler züchtigen, welche unpreußisch gewählt haben. Man will diesen Urwählern einen bessern Begriff von den Pflichten des Bürgers beibringen, indem man sie in der Schule „Meines herrlichen Kriegsheers" einen nachträglichen Lehrkursus durchmachen läßt. Man wird manchen verhaßten Wähler durch preußische Behandlung zu Widersetzlichkeiten provozieren und ihn dann mit der größten Nonchalance zu 15 Jahren Kettenstrafe, vielleicht gar zu Pulver und Blei standrechtlich begnadigen können. Darum hat man die Landwehr in Posen und einem Teile der Rheinprovinz und Westfalens einberufen. Herr Strotha spricht nicht von der Rheinprovinz, und doch ist das Clever Bataillon schon nach Schleswig. Oder will Herr Strotha in der Rheinprovinz auch eine Demarkationslinie einführen und erklären: die Rheinprovinz, „mit Ausnahme eines kleinen Teils", gehört zu Westfalen? Aber was noch nicht ist, kann kommen. Ist die Rheinprovinz dem größten Teil nach bis jetzt noch mit der Einberufung verschont, so wissen wir doch, trotz aller Dementis, daß die Absicht allerdings feststeht, auch die Landwehr des achten Korps, d.h. der Rheinprovinz, mobil zu machen. Die Vorbereitungen dazu werden bereits getroffen, und die Ordre wird nicht lange mehr ausbleiben. Auch dies ist natürlich von den „Staatszwecken" gefordert und von den „augenblicklichen Verhältnissen" gerechtfertigt. Und wenn die rheinischen Deputierten interpellieren, so wird ihnen Herr Strotha antworten, wie er jetzt Herrn Lisiecki antwortet: Die Sache „ist bereits tatsächlich erledigt, denn die rheinische Division ist bereits bei Flensburg konzentriert"! Nachdem Herr Strotha geendigt, wollte Herr Lisiecki eine faktische Berichtigung machen. Aber die Geschäftsordnung verbietet faktische Berichtigungen zu den Antworten der Minister. Und die Geschäftsordnung hat recht. Welche unpreußische Unverschämtheit, vorauszusetzen, daß eine ministerielle Antwort einer faktischen Berichtigung fähig sein könne!
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die Russen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 279 vom 22. April 1849] * Köln, 21. April. Als vor beinahe elf Monaten die „Neue Rheinische Zeitung" zu erscheinen begann, war sie das erste Blatt, das auf die Zusammenziehung der russischen Armeen an unsrer Ostgrenze hinwies. Damals sprach mancher tugendhafte Bürger von Übertreibung, von unnötigem Alarmblasen usw. Es hat sich gezeigt, ob wir übertrieben hatten oder nicht. Die Russen, im Anfang bloß ihre Grenzen deckend, haben in demselben Maße wie die Kontrerevolution reüssierte, sich der Offensive zugewandt. Der Pariser Jünisieg brachte sie nach Jassy und Bukarest; der Fall Wiens undPests nach Hermannstadt und Kronstadt. Vor einem Jahre war Rußland ungerüstet; damals, im ersten panischen Schrecken vor der Allgewalt der urplötzlichen Revolution, war es leicht, die 30[000]-40000 Russen aus Polen herauszuschlagen und ein freies Polen zu gründen. Man war dazu aufgefordert, aber man wollte nicht. Man ließ den Russen Zeit zu rüsten, und jetzt - umzingelt uns vom Njemen bis zur Donau und Aluta ein russisches Heer von 5[00000]-600 000 Mann. Längs der preußischen Grenze stehn nach der „Ostsee-Zeitung" allein an 150 000Mann; der Rest steht im Innern, an der galizischen Grenze, in der Moldau und Walachei, in Litauen, Podolien und Wolhynien, in den Festungen Nowo-Georgiewsk (Modlin), Brest-Litewski, Demblin und Zamose, welche nach der „Osts[ee]Z[ei]t[un]g" Waffen- und Reservedepots für 250000 Mann haben. Dasselbe Blatt schreibt:
„Die Anlage von Magazinen für Mundvorräte wird durch Zwangsbons betrieben, wonach jeder Grundbesitzer eine gewisse Quantität Naturalien, welche zur Verpflegung der Armee dienen sollen, einliefern muß. Im künftigen Jahre werden diese Bons in Zahlung für Abgaben angenommen werden. Daher also die vor einiger Zeit ver
breitete Nachricht, als habe die russische Regierung in Polen die Abgaben für ein Jahr im voraus beitreiben lassen." Was es mit der Annahme dieser Bons für eine Bewandtnis hat, erfahren wir von andrer Seite. Die Gutsbesitzer in Polen haben Ende des vorigen und Anfang dieses Jahres enorme Lieferungen machen müssen, dieselben sind aber bei den Steuern angerechnet worden; man glaubte, es sei hiermit alles abgemacht, aber jetzt müssen die Steuern bis Ende dieses Jahres im voraus erlegt werden. Man sieht schon aus dieser Parforce-Verpflegungsmethode, welche furchtbare Massen russischer Truppen in Polen angehäuft sein müssen. Ein anderes Blatt, die Posener „Z[ei]t[un]g des Osten"t3801, meldet aus Posen vom 13. April:
„Die Zahl der russischen Truppen im Westen: Im Königreich steht das Korps Rüdigers - die Hälfte des vierten Rüdigerschen Korps nebst Reserven, im ganzen ungefähr 120000 Mann. In Litauen steht das sogenannte Grenadierkorps (früher Szachowskis) und ein Teil des ersten Korps. Die Garden sollen später ankommen - man spricht schon seit Monaten von ihrer Ankunft. In Wolhynien, wo das Hauptquartier in Dubno sich befindet, steht der Rest des vierten Czegodajewschen Regiments. Bei Kiew ist ein zweites Hülfskorps, bei Krzemienice ein Mobil-Korps (Pawlow), ungefähr 6[000]-8000 Mann stark, in der Moldau endlich und in der Walachei befindet sich das Lüdersche Korps bis 65000 Mann stark." Was diese Truppen dort zu suchen haben, gestehen sie selbst sehr naiv ein: „Die gemeinen Russen sowie die Offiziere sind weniger zurückhaltend in ihren Gesprächen. Bemerkenswert ist es, daß sie auf die Frage, warum sie an der Grenze stehen, alle ein und dieselbe und zwar nachstehende Antwort geben: Unser Kaiser ist der Schwager des preußischen Königs. Nachdem die Franzosen von den Russen im großen Kriege besiegt worden waren, gehörte alles Land bis nach Paris dem Kaiser; er hat die Verwaltung verschiedenen kleinen deutschen Knäsen (Fürsten) übertragen und als obersten Militärgouverneur seinen Schwager, den Knäs von Preußen gesetzt. Nun haben die Franzosen und die Deutschen Rebellion gemacht, und da baten die deutschen Knäse sowie der oberste Gouverneur den Kaiser um Hülfe, und deswegen stehen wir nun hier an der Grenze; wenn nicht bald Ruhe wird, so werden wir hinübergehen und Ordnung machen." Damit nicht genug. Der Kaiser Nikolaus befiehlt, daß in dem westlichen Strich des Reichs eine neue Rekrutenaushebung von 8 Mann auf Tausend stattfinden soll. Dabei liegt ein Verzeichnis, wonach in 21 Gouvernements die Rekruten ausgehoben werden sollen. So sieht es aus jenseits der Grenze. Eine halbe Million bewaffneter und organisierter Barbaren wartet nur auf die Gelegenheit, über Deutschland her
zufallen und uns zu Leibeigenen des Prawoslawny-Zar, des rechtgläubigen Zars zu machen. Gerade wie Siebenbürgen schon einmal von den Russen besetzt wurde, wie jetzt der Einmarsch von 30 000 Mann eben dahin und von andern 30 000 Russen über Galizien direkt verlangt wird, gerade wie die Banater Serben ebenfalls die Hülfe des Prawoslawny-Zar anflehn, gerade so wird es hier gehn. Wir kommen noch dahin, daß die Regierung und die Bourgeoisie die Russen ins Land ruft, wie vor kurzer Zeit dies in Siebenbürgen geschah. Und dahin muß es mit uns kommen. Der Sieg der Wiener und Berliner Kontrerevolution hat für uns noch nicht hingereicht. Aber wenn Deutschland erst einmal die russische Knute gefühlt hat, wird es sich doch etwas anders betragen. Die Russen sind die wahren Befreier Deutschlands, sagten wir im Juni v.J.1 Wir wiederholen dies heute noch, und wir sind heute nicht mehr die einzigen, die dies sagen!
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 Siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 79
28 Marx/Engels, Werk Bd. 6
Die Debatte über das Plakatgesetz
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 279 vom 22. April 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, 21. April. (Kammerdebatte.) Wir kommen zurück auf die Sitzung vom 13.April.1 Nach Beantwortung der Interpellation des Abg. Lisiecki führte die Tagesordnung auf die Debatte des Plakatengesetzes J35 71 Nach Verlesung des Berichts des Zentralausschusses durch Herrn Rohrscheidt stellt Herr Wesendonck das Amendement, den Regierungsentwurf en bloc zu verwerfen. Herr Arnim (Graf) erhebt sich. Das Amendement sei unzulässig. Es komme einem Antrag auf Tagesordnung gleich. Über Regierungsvorlagen dürfe indes nicht zur Tagesordnung übergegangen werden. So setze es die Geschäftsordnung13811 fest. Jetzt erst merken die Herren von der Linken, was die Rechte mit dem § 53 der Geschäftsordnung wollte. Über Regierungsvorlagen darf nicht Tagesordnung beschlossen werden. Dieser unschuldig aussehende Satz sollte aber nicht mehr und nicht weniger sagen als: Ihr sollt keinen Regierungsvorschlag en bloc verwerfen können, sondern gezwungen sein, jeden einzelnen ihrer Paragraphen, und wären ihrer tausend, durchzudebattieren. Das ist doch selbst den Zentren zu stark. Nach einer längeren Debatte, in der von beiden Seiten der möglichste exegetische Scharfsinn aufgeboten wird, schreitet der Präsident endlich weiter, indem er das Wesendoncksche Amendement für zulässig erklärt. Herr Rupp, der große suspendierte, verfolgte, weiland durch alle Zeitungen gehetzte, aus dem seligen Gustav-Adolfs-Verein13821 ausgestoßene Rupp hat das Wort. Herr Rupp hält eine Rede, nach der, wie die nicht minder große und lichtfreundliche Berliner „National-Zeitung"t234] meint, der Linken nicht
nur in der allgemeinen, sondern auch in der speziellen Debatte wenig mehr zu sagen blieb. Sehen wir uns diese erschöpfende Rede des Lichtfreundes Rupp aus der reinen Vernunft einmal an. Diese erschöpfende Rede ist allerdings ein echtes Produkt des lichtfreundlichen Geistes, des Geistes der „freien Gemeinden"13831, d.h., sie erschöpft nichts als etwa die bei Gelegenheit der Plakate an den Mann zu bringenden Gemeinplätze. Herr Rupp beginnt damit, auf die verschiedene Motivierung des Plakatgesetzes durch die Regierung und durch den Zentralausschuß aufmerksam zu machen. Die Regierung gebe das Gesetz für eine bloße Polizeimaßregel im Interesse des Straßenverkehrs und der Ästhetik aus; der Zentralausschuß, der diesen plumpen preußischen Kniff entfernt, stelle die politischen Motive in den Vordergrund. Damit hat er dem lichtfreundlichen Predigerpathos Tür und Tor geöffnet:
„Auf diese Weise tritt unstreitig dieser Gesetzesvorschlag in die Reihe der gewichtigsten Gegenstände für die Beratungen dieser Versammlung. Nun werden wir nicht sagen wollen" (wir werden nicht sagen wollen!), „es ist uns auch so (!) gleichgültig, ob einige Plakate mehr oder weniger in der Welt sind, denn (!) darin liegt gerade der erhabene Charakter des Rechts und der Freiheit, daß auch das scheinbar Geringfügigste, wenn es mit demselben in Verbindung tritt, sofort selbst eine höhere Bedeutung annimmt"!! Nachdem Herr Rupp durch diese Pastoral-Einleitung den „erhabenen Charakter" und die „höhere Bedeutung" der Plakate sichergestellt und die Gemüter seiner Hörer andächtig gestimmt hat, kann er dem „ewigklaren, spiegelreinen und ebnen" Fluß seiner reinen Vernunft ruhig freien Lauf lassen. Zuerst macht Herr Rupp die nur allzu gewiegte Bemerkung, „daß sehr häufig Maßregeln gegen eingebildete Gefahren ergriffen worden sind, durch welche wirkliche Gefahren erst erzeugt werden". Diesem Gemeinplatz jauchzt die Linke sofort ein entzücktes Bravo zu. Darauf weist Herr Rupp mit gleicher Geistestiefe nach, daß der Entwurf im Widerspruch stehe mit - der oktroyierten Verfassung11231, die Herr Rupp gar nicht anerkennt! Sonderbare Politik der Linken, sich auf die oktroyierte Verfassung zu berufen und gegen fernere Fußtritte die bereits im November erhaltenen Fußtritte als Argumente zu zitieren! Wenn die Regierung meine, fährt Herr Rupp fort, dieser Gesetzentwurf berühre nicht die Preßfreiheit, sondern nur die Benutzung der Straßen und Plätze zur Verbreitung der Produkte der Presse, so könne man ebensogut
sagen, unter der Zensur habe auch Preßfreiheit geherrscht, denn nicht die Benutzung der Presse, sondern nur die Verbreitung ihrer Produkte sei der Kontrolle unterworfen gewesen. Man muß unter der Zensur in Berlin gelebt haben, um die ganze Neuheit dieses schon vor Jahren bei sämtlichen Winkelliberalen kursierenden, nichtsdestoweniger aber von der Linken abermals mit Bravo und Heiterkeit aufgenommenen Satzes zu würdigen. Herr Rupp zitiert nun den Preßfreiheitsartikel der Oktroyierten und weist im einzelnen nach, daß Manteuffels Gesetzentwurf mit Manteuffels Verfassung im schreiendsten Widerspruch stehe. Aber bester Herr Rupp, tout bonhomme que vous etes1, haben Sie das noch nicht gewußt, daß Manteuffel die Verfassung nur deswegen oktroyiert hat, um die paar liberalen Phrasen, die sie enthält, hintennach wieder aufzuheben, sei es durch Beibehaltung der alten, sei es durch Einführung neuer Knebelgesetze. Ja, Herr Rupp geht so weit, daß er der Rechten mit einer gewissen Gründlichkeit auseinandersetzt, wie sie zwar später bei der Revision der Verfassung das Plakatgesetz in diese Verfassung aufnehmen könne, aber jetzt es verwerfen müsse, weil sie sonst der Revision der Verfassung vorgreife! Als ob es den Herren von der Rechten auf Konsequenz und nicht vielmehr darauf ankäme, der schlechten Presse, den Klubs, der Aufregung, dem kommerziellen Mißtrauen und anderen mehr oder minder revolutionären Errungenschaften baldigst ein Ziel zu setzen! Herr Rupp knüpft an diese gewichtigen Gründe nun noch folgende Gemeinplätze: 1. Die Plakate werden verdammt, weil sie Aufregung verbreiten. Die Verhütung der Aufregung gehöre aber nicht in den Rechtsstaat, sondern in den Polizeistaat. 2. Ich will eine starke Regierung. Eine Regierung aber, die die Aufregung und die Plakate nicht vertragen kann, ist keine starke Regierung. 3. Der Deutsche folgt gern einem Führer. 4. Die Abwesenheit der Plakate hat den 18.März nicht verhütet. (Nicht Roß, nicht Reisige usw.[384]) 5. Die Revolutionen sind Folge des Despotismus. Hieraus zieht Herr Rupp den Schluß, daß das Plakatgesetz im Interesse Manteuffels verworfen werden müsse.
„Schützen Sie, meine Herren", ruft er flehentlich, „die Regierung vor Selbsttäuschung, zu welcher dies Gesetz, wie jedes Gesetz des Polizeistaates, sie verführt!" Die Verwerfung des Manteuffelschen Entwurfs wäre nach Herrn Rupp kein Mißtrauensvotum für Manteuffel, sondern vielmehr ein Vertrauensvotum. Herr Rupp wünscht, daß Manteuffel die erwünschte „starke Regierung" werde, und darum will er ihn nicht durch das Plakatgesetz schwächen. Ihr glaubt, Herr Rupp scherze? Er denkt nicht daran. Herr Rupp ist ein Lichtfreund, und ein Lichtfreund scherzt nie. Die Lichtfreunde können das Lachen ebensowenig ausstehen wie ihr würdiger Vetter Atta Troll.[3851 Der letzte Trumpf aber, den Herr Rupp ausspielt, setzt seiner ganzen Rede die Krone auf:
„Die Verwerfung dieses Gesetzes wird nicht wenig dazu beitragen, denjenigen Teil der Bevölkerung zu beruhigen, welcher mit der Anerkennung der Verfassung vor der Revision sich nicht einverstanden erklären konnte."
Herr Rupp interessiert sich für die „Beruhigung des Teils der Bevölkerung", der noch nicht auf der Stufe Man teuf fels steht! So sind aber die Herren von der Linken! Sie sind der stürmischen Bewegung satt, und da sie einmal Deputierte sind und einsehen, daß sie gegen die Säbeldiktatur nicht ankönnen, so wünschen sie nichts mehr, als daß die leidigen Prinzipienfragen endlich einmal abgetan, die Verfassung behufs der Gültigkeitserklärung pro forma revidiert und beschworen und „die Revolution geschlossen" werde. Dann beginnt für sie das behagliche Leben des konstitutionellen Schlendrians, des Deklamierens aus Nichts von Nichts zu Nichts, des Intrigierens, Protegierens, Ministerveränderns usw; jenes olympische Schlaraffenleben, das die französischen Odilons1, Thiers und Moles achtzehn Jahre lang in Paris verführten und das Guizot mit so viel Vorliebe das „Spiel der konstitutionellen Institutionen" zu nennen pflegte. Ist nur erst die unbequeme revolutionäre Bewegung etwas im Sande verlaufen, so gehört ein Ministerium Waldeck ja gar nicht mehr zu den Unmöglichkeiten! Und für die Republik ist das Volk ja doch noch nicht reif! Nach der Rede des Herrn Rupp bleibt gerade noch alles zu sagen. Es handelte sich zunächst nicht um die Beschränkung der Preßfreiheit im allgemeinen, es handelte sich vor allem um die Beschränkung der Preßfreiheit in den Plakaten. Es kam darauf an, auf die Wirkungen der Plakate einzugehen, die „Straßenliteratur" zu verteidigen und ganz besonders das Recht der Arbeiter auf die in den Plakaten vertretene kostenfreie Literatur zu wahren. Es
kam darauf an, das Recht der Aufregung durch Plakate nicht zu beschönigen, sondern offen zu vertreten. Davon ist aber keine Rede bei Herrn Rupp. Die alten Phrasen über Preßfreiheit, die wir während 33 Jahren Zensur hinreichend Gelegenheit hatten, von vorn und von hinten zu beleuchten, diese alten Phrasen tritt Herr Rupp in trocken-feierlicher Sprache abermals breit, und weil er alles gesagt hat, was die Herren von der „National-Zeitung" über den Gegenstand wissen, glaubt die „National-Zeitung", er habe den Gegenstand erschöpft! Nach dem „Lichtfreund" Rupp erhebt sich der „Dunkelmann" Riedel. Herrn Riedels Rede ist aber zu schön, als daß wir uns mit ihr übereilen sollten. A demain donc, citoyen Riedel!1
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 283 vom 27. April 1849] *Köln. 23. April. Der Abgeordnete Riedel hat unbedingt die klassischste Rede in der ganzen Debatte gehalten. Während noch vom Ministertisch aus einige Rücksichten genommen werden, während selbst Manteuffel noch gewisse scheinkonstitutionelle Wendungen gebraucht und höchstens der ungeschickte Parvenü von der Heydt zuweilen aus der konstitutionellen Rolle fällt, geniert sich Herr Riedel aus Barnim-Angermünde keinen Augenblick, als unverfälschter Uckermärker13531 aufzutreten. Noch nie ist ein Wahlkreis so gut vertreten worden, wie der des Herrn Riedel. Herr Riedel fragt zuerst: Was sind Plakate? und gibt darauf zur Antwort:
„Plakate, im eigentlichen Wortverstande, sind öffentliche Erklärungen, wodurch man beruhigend auf die Gemüter einwirkt." Das ist, nach Herrn Riedels Etymologie, die „Bestimmung" der Plakate. Wir wollen uns einstweilen mit dem Herrn Riedel nicht über den Stammbaum des Wortes „Plakat" streiten. Wir machen nur darauf aufmerksam, daß er sich seinen gesamten etymologischen Schweiß hätte ersparen können, wenn er den Gesetzentwurf nachlas. Dieser handelt nicht nur von „Plakaten", sondern von „Anschlagzetteln", und diese haben doch „im eigentlichen Wortverstande" keine andere „Bestimmung", als angeschlagen zu werden. Statt dessen ergeht sich Herr Riedel in gerechter Entrüstung darüber, daß der Name der Plakate aufs schändlichste gemißbraucht werde:
„Die Plakate dienen in der Regel nur dazu, Leidenschaften zu entzünden und die unreine Glut des Hasses oder der Rache besonders gegen die Obrigkeiten zu entflammen ...
Die Plakate sind daher der Regel nach gerade das Gegenteil von dem, was der Name anzeigt. Der Gebrauch der Plakate ist daher gewöhnlich Mißbrauch" (nämlich des Namens), „und daher fragt es sich: Sollen die Ortspolizeibehörden dies Plakatenunwesen" (nämlich diesen Mißbrauch des Namens Plakat) „begünstigen? Soll die Polizei sich gewissermaßen zum Mitschuldigen des Unwesens machen, welchen der [Mißbrauch]" (des Namens) „der Plakate" (für Anschläge, welche gar keine Plakate, d.h. Beruhigungszettel sind) „anrichtet?" Soll, mit einem Wort, durch Plakate fernerhin „bestimmungsmäßig" (d.h. der Bestimmung des Wortes Plakat gemäß) gewirkt werden oder nicht? Wie sehr hat sich Manteuffel geirrt, als er polizeiliche und Straßenverschönerungs-Motive dem Plakatgesetz unterschob ! Wie sehr hat der Zentralausschuß fehlgeschossen, wenn er das Gesetz aus politischen Gründen befürwortete ! Das Gesetz ist nötig - aus etymologischen Gründen und müßte eigentlich betitelt sein: Gesetz zur Zurückführung des Gebrauchs des Wortes Plakat auf seinen „eigentlichen Wortverstand". Dabei hat aber der gründliche Herr Riedel einen gründlichen Bock geschossen. Wollten wir, auf die Gefahr hin, unsere Leser tödlich zu langweilen, uns auf einen etymologischen Diskurs mit Herrn Riedel einlassen, so würden wir ihm, Diez' Grammatik in der Hand, nachweisen können, daß das Wort Plakat keineswegs vom lateinischen placare1 herkommt, sondern nur eine Verstümmelung des französischen placard2 ist, welches wieder mit plaque3 zusammenhängt, das selbst wieder deutschen Ursprungs ist. Damit fiele denn Herrn Riedels gesamte Beruhigungstheorie ins Wasser. Das ist dem Herrn Riedel natürlich gleichgültig, und mit Recht. Die ganze Beruhigungstheorie ist jedoch nur eine schulmeisterliche captatio benevolentiae4, hinter welcher der Appell an die Furcht der besitzenden Klassen mit der größten [Gewißheit] aufmarschiert. Die Plakate „entzünden Leidenschaften", sie „entflammen die unreine Glut des Hasses und der Rache, besonders gegen die Obrigkeit", sie „dienen als Aufruf der urteilslosen Masse zu Demonstrationen, welche die Ordnung bedrohlich (!) verletzen und die Grenzen gesetzlicher Freiheit überschreiten". Und darum müssen die Plakate unterdrückt werden. Mit andern Worten: Die vereinigten Feudalherren, Bürokraten und Bourgeois haben ihren Staatsstreich vom vorigen Herbst mit Gewalt der Waffen glücklich durchgesetzt und wollen uns jetzt vermittelst der Kammern diejenigen Ergänzungsgesetze dazu oktroyieren, welche noch nötig sind, damit die Herren ihren Sieg ruhig genießen können. Sie sind der „Leiden
1 beruhigen - 2 Aufgelegtes, Angeschlagenes - 3 Blatt, Scheibe - 4 Werbung um die Gunst des Hörers
schaften" herzlich satt, sie werden sich jedes Mittels bedienen, um die „unreine Glut des Hasses und der Rache gegen die Obrigkeit", die ja für sie die erwünschteste Obrigkeit von der Welt ist, zu unterdrücken, die „Ordnung" herzustellen und die „gesetzliche Freiheit" auf dasjenige Maß zurückzuführen, das ihnen bequem ist. Und was das für ein Maß ist, geht daraus hervor, daß Herr Riedel die große Mehrzahl des Volkes als „urteilslose Masse" bezeichnet. Von dieser „urteilslosen Masse" weiß Herr Riedel nicht Schlechtes genug zu sagen. Er fährt fort: „Diese" (durch Plakate gemachte) „Mitteilung wird gerade am meisten von derjenigen Volksklasse beachtet, welche an schriftliche Mitteilungen am wenigsten gewöhnt ist, mit der Vorsicht und mit dem Mißtrauen die Glaubwürdigkeit schriftlicher Mitteilungen zu prüfen und zu erwägen, welche das an Lektüre gewöhnte Publikum, über die Täuschungen der Presse belehrt, allerdings dazu mitbringt ..." Wer ist nun diese urteilslose Masse, diese an schriftliche Mitteilungen am wenigsten gewöhnte Klasse? Sind es die Bauern der Uckermark? Keineswegs; denn erstens sind sie der „Kern der Nation", zweitens lesen sie keine Plakate, und drittens haben sie Herrn Riedel gewählt. Herr Riedel meint niemanden als die Arbeiter der Städte, das Proletariat. Die Plakate sind ein Hauptmittel, auf das Proletariat zu wirken; das Proletariat ist seiner ganzen Stellung nach revolutionär, das Proletariat, die unter dem konstitutionellen Regime ebensogut wie unter dem absoluten unterdrückte Klasse, ist nur zu bereit, abermals zu den Waffen zu greifen; von der Seite des Proletariats droht gerade die Hauptgefahr, und darum fort mit allem, was die revolutionären Leidenschaften im Proletariat lebendig erhalten könnte! Und was hilft mehr dazu, die revolutionäre Leidenschaft unter den Arbeitern lebendig zu erhalten, als gerade die Plakate, die jede Straßenecke in eine große Zeitung verwandeln, in der die vorbeikommenden Arbeiter die Tagesereignisse verzeichnet und glossiert, die verschiedenen Ansichten dargelegt und debattiert finden, wo sie zu gleicher Zeit Leute aller Klassen und Meinungen versammelt antreffen, mit denen sie die Plakate diskutieren können, kurz, wo sie ein Journal und einen Klub in einem haben, und alles das, ohne daß es sie einen Heller kostet. Das aber ist es gerade, was die Herren von der Rechten nicht wollen. Und sie haben recht. Von der Seite des Proletariats droht ihnen die größte, ja die einzige Gefahr - warum sollten sie, die die Macht in Händen haben, nicht diese Gefahr mit allen Mitteln zu erdrücken streben? Dagegen würde kein Mensch etwas einwenden können. Wir leben nun, mit Gottes Hülfe, schon an die sechs Monate unter der Säbeldiktatur. Wir
machen uns nicht die mindeste Illusion über den offenen Kriegszustand, in dem wir mit unseren Gegnern stehen, oder über die Mittel, durch die unsere Partei allein zur Herrschaft gelangen kann. Wir werden uns nicht so sehr blamieren, der jetzt herrschenden Tripelallianz von Junkern, Bürokraten und Bourgeois moralische Vorwürfe darüber zu machen, daß sie uns auf jede Weise zu knechten sucht. Wäre der hochmoralische Predigerton, das Heulerpathos[226] der sittlichen Entrüstung uns nicht schon von vornherein zuwider, wir würden schon deshalb uns vor einer solchen hohlen Phrasenpolemik hüten, weil wir an unseren Gegnern noch einmal Revanche zu nehmen gedenken. Das aber finden wir sonderbar, daß die Herren, die jetzt an der Regierung und in der offiziellen Majorität sind, nicht ebenso offen sprechen wie wir. Herr Riedel z. B. ist ein so echter Uckermärker, wie man ihn nur wünschen kann, und doch kann er sich nicht überwinden, schließlich zu beteuern: „Es ist gewiß nimmermehr meine Absicht, der freien Meinungsäußerung irgendeinen Riegel vorschieben zu wollen. Ich betrachte den geistigen Kampf ... um die Wahrheit als ein Heiligtum freier Völker, das niemand antasten darf." Und an einer andern Stelle will Herr Riedel „die Verbreitung der Plakate unter denjenigen Formen freilassen, unter denen überhaupt literarische Produkte verbreitet werden können". Was sollen, nach allen vorhergegangenen Explikationen, diese Phrasen noch bedeuten? Die bestehende Regierung und überhaupt die konstitutionelle Monarchie kann sich heutzutage in zivilisierten Ländern nicht halten, wenn die Presse frei ist. Die Freiheit der Presse, die freie Konkurrenz der Meinungen, das ist die Freilassung des Klassenkampfes auf dem Gebiete der Presse. Und die vielersehnte Ordnung, das ist eben die Erstickung des Klassenkampfs, die Knebelung der unterdrückten Klassen. Daher muß die Partei der Ruhe und jOrdnung die freie Konkurrenz der Meinungen in der Presse aufheben, sie muß sich durch Preßgesetze, Verbote usw. das Monopol des Marktes möglichst sichern, sie muß namentlich die Gratis-Literatur der Plakate und unbezahlten Flugschriften womöglich direkt unterdrücken. Alles das wissen die Herren, warum sagen sie's nicht geradeheraus? In der Tat, Herr Riedel,'warum tragen Sie nicht lieber sogleich auf Wiederherstellung der Zensur an? Es gibt kein besseres Mittel, „Leidenschaften" zurückzudrängen, „die unreine Glut des Hasses und der Rache gegen die Obrigkeit" zu ersticken und die „Grenzen gesetzlicher Freiheit" sicherzustellen! Voyons, citoyen Riedel, soyons francs!1 Es kommt am Ende doch darauf hinaus!
1 Nun, Bürger Riedel, seien wir doch ehrlich!
Herr Riedel zieht sich zurück. Der Justizminister, Justizrat Simons aus Elberfeld, Sproß einer der von der Heydt'sehen ebenbürtigen Wuppertaler Bourgeoisfamilie, hat das Wort. Herr Simons geht mit einer gewaltigen Gründlichkeit zu Werke. Man merkt, daß er noch neu im Justizministerium ist. Plakate werden auf öffentlichen Straßen und Plätzen angeschlagen, sagt der Herr Justizminister. Also - „muß darauf zurückgegangen werden, welche Bestimmung öffentliche Straßen undPlätze haben"!! Herr Riedel hat zwar die „Bestimmung" und den „eigentlichen Wortlaut" der Plakate auf dankenswerte Weise festgestellt. Aber darum handelt es sich gar nicht. Es kommt vielmehr an auf die „Bestimmung der Straßen und Plätze". Und hier erwirbt sich der Justizminister unsterbliche Lorbeeren. Kann man sich eine schönere Abc-Schule denken als diese Kammer, worin über die Bestimmung von Straßen und Plätzen, über grammatikalische Schülerhaftigkeiten und dergleichen ernsthaft debattiert wird? Was ist nun die „Bestimmung der Straßen und öffentlichen Plätze"? Sie ist die, daß Straßen usw. nicht „einer jeden beliebigen und öffentlichen Benutzung preisgegeben werden können", denn „eine solche Bestimmung der Straßen etc. \ann nicht nachgewiesen werden"!! Dafür also haben wir einen angeblichen Justizminister, daß er uns solche tiefsinnige Aufklärungen gibt. In der Tat, man begreift es jetzt, warum Herr Simons sich genierte, sich der Kammer vorstellen zu lassen. Der ganze übrige Inhalt der Rede des Ministers ist natürlich neben solchen famosen Leistungen gar nicht der Rede wert. Unter dem Scheine merkwürdiger Belesenheit in der französischen Jurisprudenz bringt Herr Simons einige verschollene Reminiszenzen aus seiner früheren Praxis, als öffentliches Ministerium, an den Mann. Dann folgen Sätze wie folgender: „Diese Bedürfnisfrage muß aber unbedingt (!) bejaht werdfen, wenigstens (!!) ist dies meine Meinung (!!!), unter Berücksichtigung der Zweifel (!!!!), welche sich erhoben haben (!!!!!)." Und endlich will Herr Simons „das gesetzliche Fundament der Beschränkung der Plakate sanktionieren". Ein Fundament sanktionieren! Wo haben Sie die Sprache gelernt, Herr Simons? Auf die nun folgende Rede des Herrn Berends können wir nach solchen oratorischen Großtaten, wie die der Herren Riedel und Simons, natürlich nicht weiter eingehen. Herr Berends hat den richtigen Instinkt, daß das Plakatverbot direkt gegen das Proletariat gerichtet sei, führt aber sein Thema nur schwach aus.
Die allgemeine Debatte wird geschlossen. Die Verwerfung en bloc wird von 152 Stimmen bejaht, von 152 verneint. Von der Linken fehlt u. a., ohne beurlaubt zu sein, Herr Kyll von Köln. War Herr Kyll anwesend, so wurde das Plakatgesetz ohne weiteres verworfen. Dem Herrn Kyll verdanken wir also, daß es teilweise angenommen wurde. Auf die spezielle Debatte gehen wir nicht weiter ein. Das Resultat ist bekannt: Die fliegenden Buchhändler sind unter Polizeiaufsicht gestellt. Sie mögen sich bei Herrn Kyll dafür bedanken!
Geschrieben von Friedrich Engels.
Lassalle12621
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 283 vom 27. April 1849] *Köln, 26.April. Wir haben ein Faktum zu melden, welches zeigt, daß enfait de justice1 nichts mehr unmöglich ist. Herr Generalprokurator Nicolovius ist so ziemlich im Begriff, die Lorbeeren noch zu übertreffen, die sich seinerzeit Herr Hecker erworben hat. Man erinnert sich aus unsern frühern Mitteilungen, daß der stellvertretende Oberprokurator v. Ammon I. in Düsseldorf in dem Kriminalprozeß gegen Lassalle einen Brief desselben, in welchem er einen Schönsteinschen Landmann2 aufforderte, im Falle eines Kampfes einen Zuzug von einigen hundert Mann nach Düsseldorf zu bewirken, drei Wochen lang in seinem Pulte dem Instruktionsrichter vorenthalten und ihm denselben erst dann übergeben hat, als dieser ihm eröffnete, daß die Untersuchung geschlossen sei. Man erinnert sich, daß nun dieses Briefes wegen - der übrigens so wenig eine direkte Aufforderung zum Aufstand enthielt, daß weder Ratskammer noch Anklagesenat ihn unter die Belastungsgründe aufgenommen haben — die Untersuchung von neuem begonnen werden mußte und daß dies die Ursache war, weshalb der Lassallesche Prozeß nicht schon in der vorigen Assisensession erledigt wurde. Nun, Lassalle denunzierte damals diese absichtliche Verschleppung des Herrn v. Amnion I. beim Generalprokurator. Der Generalprokurator schickt, statt Lassalle irgendeine Antwort zu erteilen, die Denunziation Lassalles an das Düsseldorfer Parquet mit der Ordre, eine Untersuchung auf Grund des Art. 222[305] gegen Lassalle auf diese Denunziation einzuleiten, weil in derselben Herr V. Ammon beleidigt sei! Pends-toi, Figaro, tu n'aurais pas invente cela![386] Ein Brief an Herrn Nicolovius soll eine Beleidigung des Herrn v. Ammon im Sinne des Art. 222 bilden! Wir haben einmal bei Gelegenheit eines Preß
Prozesses, den wir gegen die Herren Zweiffei und Hecker zu führen das Vergnügen hatten, ausgeführt, daß der Art. 222 selbst nicht auf öffentliche Beleidigungen durch die Presse, sondern nur auf solche Beleidigungen anwendbar ist, welche in persönlicher Gegenwart der Herren Beamten ihnen ins Gesicht geworfen werden1. Aber wäre der Art. 222 auch auf Beleidigungen durch öffentliche Schriften anwendbar — das ist sicher noch niemand eingefallen zu behaupten, daß ein Brief an eine dritte Person eine Beamtenbeleidigung darstellen könne. Nach der bisherigen Korrektionell-Praxis war immer erforderlich, daß das beleidigende Schriftstück an den Beleidigten selbst gerichtet, oder daß es öffentlich verbreitet sei. Herr Nicolovius entdeckt jetzt, daß es eine Beamtenbeleidigung sei, wenn man einem Dritten in beleidigenden Ausdrücken über einen Beamten schreibt! Man hüte sich'also, in seinen Privatbriefen in unehrerbietigem Tone von Beamten zu reden! Daß der Brief Lassalles an die dem Herrn v. Ammon vorgesetzte Behörde gerichtet und also eine Beschwerde, eine Denunziation war, das macht die Sache nur noch unmöglicher. Denn Denunziationen von pflichtwidrigen Handlungen bei der vorgesetzten Behörde stellt das Gesetz sogar als Pflicht hin. War somit die Denunziation wahr, so war sie vollkommen in der Ordnung; war sie unwahr, so hätte der Generalprokurator eine Verfolgung auf Grund des Art. 373[305] einleiten müssen, — auf Grund einer verleumderischen Denunziation. Dann aber hätte Lassalle auf die leichteste Art von der Welt durch die Akten die Wahrheit der Denunziation bewiesen, während ihm dieser Beweis bei der Anklage auf Beamtenbeleidigung vor dem Korrektions-Tribunal nicht zusteht. Die Sache kam vor die Ratskammer in Düsseldorf. Aber auch diese fand, daß eine Beleidigung entweder öffentlich oder in Gegenwart des Beleidigten Vollbracht sein müsse, und schlug die Sache nieder. Das öffentliche Ministerium opponierte, und unser hiesiger schon oft erprobter und stets bewährt gefundener Kölner Anklagesenat beschloß wirklich auf Grund des Art. 222 die Verfolgung gegen Lassalle, der nun mit einer Korrektionell-Prozedur glücklich behaftet ist! Was wird, wenn das noch eine Weile fortgeht, nicht noch alles aus dem Art. 222 werden? Die Prozedur Lassalles kommt übrigens am 3.Mai vor die Assisen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
[Auflösung der zweiten Kammer]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.285 vom 29. April 1849, Zweite Ausgabe] *Köln, 28.April. Was heute mittag schon in der Stadt als Gerücht kursierte, hat sich heute abend bestätigt: Der König und sein Standrechts-Ministerium haben die zweite Kammer aufgelöst.[387] Die Details sind weiter unten, de dato Berlin, zu finden. Der König und die Standrechts-Minister haben damit abermals ihr Wort gebrochen. Nach der oktroyierten Standrechts-Charte vom 5. Dezember[123] waren die Kammern ausdrücklich berufen, „die Verfassung zu revidieren". Erst nachdem die ersten, unter dieser Verfassung zusammengetretenen Kammern dies Machwerk revidiert hatten, sollte es volle, definitive Gültigkeit erhalten. So oktroyierte man im Dezember vorigen Jahres. Die Kammern hatten also ein wenigstens teilweise konstituierendes Mandat. Solange sie nicht dies Mandat erfüllt, solange sie nicht die Verfassung im Verein mit der Krone revidiert hatten, konnten sie also nicht aufgelöst werden, ebensowenig wie die selige Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Verfassung. Man hat sie dennoch auseinandergejagt - diese miserable, unter der Säbeldiktatur und dem Druck der Bajonette, durch Bestechung, Einschüchterung und Betrügerei zusammengebrachte zweite Kammer 1 Das nennt man „preußische Ehre", „preußische Treue"! Hätten die Minister noch einige Wochen gewartet - vielleicht hätte die ungarisch-östreichische Revolution ihnen die Mühe erspart und beide Kammern gesprengt. Was übrigens dieser neue Gewaltstreich zu bedeuten hat, liegt auf der Hand. Man wird uns die Säbelherrschaft in der zweiten Potenz fühlen lassen; man wird uns Preßgesetze, Klubgesetze, Tumultgesetze, Plakatgesetze usw. allergnädigst oktroyieren, daß dem deutschen Philister die
Augen übergehen werden. Man wird verfolgen, maßregeln, arretieren; man wird den Belagerungszustand allgemein machen, und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wird man schließlich eine neue Verfassung, ein Wahlgesetz mit Zensus und Haus der Lords einführen, in der die jetzige erste Kammer als zweite figurieren wird. Kurz, man wird so weit gehen, als es die preußische Courage nur erlauben wird. Wir unsrerseits wünschen nur, daß Herr Manteuffel den seligen Vereinigten Landtag11371 wieder einberufe.
Geschrieben von Friedrich Engels.
[Posen]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.285 vom 29. April 1849, Zweite Ausgabe] *Köln, 28.April. Unsere Leser werden uns Dank wissen, wenn wir zuweilen auf den „Glanz und die Macht" unseres hohenzollerschen Königshauses und das gleichzeitige wunderbare Gedeihen der Hauptstützen seines edlen Thrones, des märkischen, in alle Provinzen verpflanzten Wanzenrittertums eingehen. Wir wenden uns in dieser lehrreichen Untersuchung für heute nach dem polnischen Teil unseres engeren Vaterlandes. Bereits im vorigen Sommer, bei Gelegenheit der glorreichen Pazifizierung und Reorganisation Polens[1321 mit Schrapnells und Höllenstein11"1, haben wir die deutsch-jüdischen Lügen von „überwiegend deutscher Bevölkerung" in den Städten, „großem deutschen Grundbesitz" auf dem Lande und königlich-preußischem Verdienst um das Wachsen des allgemeinen Wohlstandes geprüft. Die Leser der ,,N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g" erinnern sich1, wie wir aus den amtlichen Zählungen und den Nachweisen des Erzbischofs von Gnesen und Posen an den bürgerlichen Ubergangsminister Camphausen13881 erfuhren, daß die in die preußischen Demarkationslinien gezogenen Landesteile nicht etwa zur Hälfte, sondern kaum zum sechsten Teil von Deutschen bewohnt seien, während die lügenhaften Statistiken der preußischen Regierung stufenweise die angebliche deutsche Bevölkerung vergrößerten, je mehr der Marsch der Kontrerevolution eine neue Teilung und neue Verringerung des polnischen Teils möglich zu machen schien; daß die deutschen Nationalgimpel und Geldmacher des Frankfurter Sumpfparlaments bei diesen Zählungen immer noch die polnischen Juden zu Deutschen gerechnet, obwohl diese schmutzigste aller Racen weder ihrem Jargon, noch ihrer Abstammung nach, sondern
höchstens durch ihre Profitwütigkeit mit Frankfurt in Verwandtschaftsverhältnis stehen kann; daß allerdings eine verhältnismäßig sehr geringe Zahl kleiner deutscher Grundbesitzer in einzelnen Distrikten festgenistet sei und zwar infolge perfider preußischer Spekulation auf polnisches Elend, da nach der Cabinetsordre von 1833 alle subhastierten Güter ausschließlich nur an preußische Krautjunker, denen die Regierung das Geld dazu vorschoß, verkauft werden konnten; daß endlich die Wohltaten und Verdienste der hohenzollerschen Väterlichkeit darin bestanden, daß man nach der Märzrevolution aus Feigheit die besten Versprechungen einer „nationalen Reorganisation" gab, dann mit dem Wachsen der Kontrerevolution dem Lande durch eine fünfmalige immer größere Teilung immer mehr den Hals zuzog, hierauf die „Reorganisation" von der „Pazifikation", dem Abgeben der Waffen, abhängig machte, und, als diese erfolgt war, zuletzt „Mein herrliches Kriegsheer"[196] über das wehrlose, vertrauende Land losließ, um im Verein mit den Juden Kirchen zu plündern, Dörfer zu verbrennen, die Polen auf öffentlichen Plätzen mit Ladstöcken totzupeitschen oder mit Höllenstein zu brennen und nach genommener Rache für den Glauben an „MärzVerheißungen" auf diesem Leichenfeld die Ehre Gottes und Seiner christlich-germanischen Majestät zu proklamieren. Dies war das Liebeswerk der preußischen „Reorganisation" in Posen. Wenden wir uns nun auch nach dem Ursprung des großen preußischen Grundbesitzes, den Domänen und Herrschaftsgütern. Ihre Geschichte wird uns nicht minder über den „Glanz und die Macht" des Hohenzollernschen Hauses und den Wert seines geliebten Strolchrittertums belehren. Im Jahre 1793 teilten die drei gekrönten Diebe die polnische Beute nach demselben Recht unter sich, nach welchem drei Straßenräuber den Beutel eines wehrlosen Wanderers unter sich teilen. Posen und Südpreußen erhielten damals die Hohenzollern ganz in derselben Weise zu angestammten Herrschern, wie sie die Rheinprovinz im Jahre 1815 zu angestammten Herrschern erhielt: nach dem Recht des Menschenschachers und der Seelenverkäuferei. Sobald dies Recht des Menschenschachers und der Seelenverkäuferei abgeschafft werden wird, werden die Polen wie die Rheinländer ihrem angestammten Hohenzollernschen Großherzog einen roten Strich durch seinen Besitztitel machen. Das erste, womit der Hohenzollernsche Landesvater in dem geraubten Polen seine preußische Huld offenbarte, war die Konfiskation der ehemals polnischen Krön- und Kirchengüter. Wir haben im allgemeinen gegen eine solche Konfiskation nicht das mindeste einzuwenden, hoffen vielmehr, daß die Reihe bald noch an andere Krongüter kommen werde. Allein wir fragen,
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zu welchen Zwecken die also konfiszierten Güter verwendet wurden? Im Interesse des „allgemeinen Wohlstandes" des Landes, für welchen die brandenburgische Väterlichkeit so huldvoll in dem Pazifikations- und Reorganisationswerk von 1848 sorgte? Im Interesse des Volkes, aus dessen Schweiß und Blut jene Güter herstammten? Wir werden sehen. Der damalige Minister Hoym, welcher seit 20 Jahren die Provinz Schlesien ganz unabhängig von aller Beaufsichtigung verwaltet und diese Gewalt zu den junkerhaftesten Betrügereien und Erpressungen benutzt hatte, wurde zum Lohn für seine Verdienste um Gott, König und Vaterland ebenfalls mit der Verwaltung von Südpreußen betraut. Hoym schlug seinem Herrn und Meister vor, im Interesse des „Glanzes und der Macht" des Hauses und zur Gründung eines ihm ergebenen glänzenden und mächtigen Krautjunkertums, soviel als möglich von den geistlichen, starosteilichen konfiszierten Gütern an sogenannte „verdiente Männer' zu verschenken. Und also geschah es. Eine Menge Strauchritter, Günstlinge königlicher Maitressen, Kreaturen der Minister, Helfershelfer, denen man den Mund stopfen wollte, wurden mit den größten und reichsten Gütern des geraubten Landes beschenkt und hiermit den Polen „deutsche Interessen" und „überwiegend deutscher Grundbesitz" eingepfropft. Um die königliche Habsucht nicht zu reizen, hatte Hoym die Vorsicht gebraucht, diese Güter dem Könige nur zu dem vierten oder sechsten Teil des Wertes, manchmal noch niedriger anzugeben; er fürchtete, und wahrscheinlich nicht ohne Grund, daß der König, wenn er den wahren Wert der Güter erführe, eher an seine eigene landesväterliche Tasche als an alles andre denken würde. Während der vierjährigen Verwaltung Hoyms nach der „Pazifikation" von 1794 bis zum Jahr 1798 wurden in dieser Art verschenkt: im Posenschen Kammerbezirk 22, im Bezirk der Kalischer, vormaligen Petrikauer Kammer 19, im Warschauer Bezirk 11, zusammen 52 größere und kleinere Güterportionen, welche in Summa nicht weniger als zweihunderteinundvierzig einzelne Güter enthielten. Dem König war der Wert derselben zu 31/2 Millionen Taler angegeben worden, ihr wahrer Wert aber betrug mehr als zwanzig Millionen Taler. Die Polen werden wissen, Wem sie diese, nach dem Recht des Menschenschachers ihnen gestohlenen zwanzig Millionen Taler, die polnische Milliarde, bei der nächsten Revolution herauszuschlagen haben ! Bloß im Kalischer Bezirk betrugen die verschenkten Güter nach dem Flächeninhalt über ein Dritteil sämtlicher königlichen undgeistlichenBesitzungen und ihre Revenüen selbst nach den elenden Verschenkungsanschlägen von 1799 allein jährlich 247000 Taler.
Im Posener Kammerbezirk wurde die Herrschaft Owinsk mit ihren ausgebreiteten Waldungen dem Galanteriehändler Tresckow geschenkt, während die daneben liegende Starostei Szrin, die keinen Baum hatte, zur Staatsdomäne erklärt wurde und ihr Holz nun auf Staatskosten aus den Tresckowschen Forsten kaufen mußte. In andern Bezirken wurden endlich die Güter ausdrücklich in den Schenkungsurkunden von den gewöhnlichen Steuern und zwar „für ewige Zeiten' entbunden, so daß kein preußischer König je das Recht zu neuer Steuerauflage haben sollte. Wir werden jetzt sehen, in welcher Weise und welchen „verdienstvollen Männern'' die gestohlenen Güter verschenkt wurden. Der Umfang dieser Krautjunkerverdienste nötigt uns indes, dies Kapitel des Zusammenhangs wegen in einem besondern Artikel zu verhandelnd3891
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die kontrerevolutionären Pläne in Berlin
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.286 vom i.Mai 1849] *Köln, 30. April. Die Pläne unsrer kontrerevolutionären Regierung treten allmählich hervor. Man beabsichtigte, vom 27. April[387] ein neues Stadium der preußischen Kontrerevolution zu datieren. Man wollte das Berliner Volk zu einemStraßenkampf provozieren, vielleicht den Aufstand a la Cavaignac „Dimensionen gewinnen" lassen, ihn dann mit Cavaignacschen Mitteln und Cavaignacscher Ubermacht erdrücken, das Standrecht proklamieren, ein paar Abgeordnete und eine gjute Anzahl Wühler[226] zu Pulver und Blei begnadigen und schließlich durch neue Oktroyierungen sich von den lästigen Fesseln befreien, welche selbst die Standrechtscharte vom 5. Dezember1123 ] unserer Kontrerevolution noch angelegt. Man hatte an dem provozierten Aufstande ja einen hihreichenden Vorwand zu behaupten, daß das Volk zu den gnädigst verliehenen Freiheiten „noch nicht reif" sei, daß mit einem solchen Wahlgesetzmit einer solchen Verfassung nicht zu regieren sei. „Um Blutvergießen zu vermeiden", also im Interesse des Volks selbst, mußte man auch den letzten Rest von Freiheit vernichten. „Um Blutvergießen zu vermeiden", mußte man das ganze Land mit Ausnahme von Hinterpommern in Belagerungszustand erklären! Das alles konnte man behaupten, wenn man erst eine anständige Erneute in Berlin mit obligaten Unruhen in Breslau, Magdeburg, Köln usw. durchgemacht und glücklich zusammenkartätscht hatte. Daher die Brutalitäten der Konstabier gegen die in der Konversationshalle versammelte Linke; daher die militärische Umzingelung des Dönhoffplatzes von allen Seiten; daher das rasche Feuern auf eine wehrlose, ruhige Volksmasse, die sich nicht entfernen konnte, weil ihr alle Straßen gesperrt waren.I390]
Die ruhige Haltung des Volks trotz aller Provokationen hat den Kontrerevolutionären einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie haben keinen Vorwand zum Oktroyieren, und oktroyieren müssen sie. Wir werden vielleicht heute abend schon erfahren, zu welcher neuen Wendung die Herren sich entschlossen haben. Welche gewaltigen Pläne man hatte, geht aus allen Umständen hervor. Erstens aus der gleichzeitigen Kammerauflösung in Hannover, zweitens und ganz besonders aus der Reise des Herrn Radowitz nach Berlin. Herr Radowitz ist die Seele der preußischen Kontrerevolution. Herr Radowitz hat den Plan zur Kontrerevolution vom November entworfen, sich selbst aber noch hinter den Kulissen gehalten und in Frankfurt für das preußische Erbkaisertum intrigiert. Herr Radowitz ist diesmal selbst nach Berlin gegangen, wie es heißt, um endlich offen hervorzutreten und Premierminister zu werden. Ein Ministerium Radowitz — das ist des Pudels Kern![121] Wir wissen ferner positiv folgende Tatsachen: 1. Im Laufe der vorigen Woche kam bereits ein Schreiben der Oberpräsidenten an alle Chefpräsidenten, worin denselben mitgeteilt wurde, daß die Auflösung der Kammer bevorstehe, mit der Weisung, alle nötigen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. 2. Ist ein Ministerialreskript an sämtliche Regierungen ergangen, worin es heißt: 1. Daß sämtlichen Bürgermeistereien aufzugeben sei, an die resp. Regierungen täglich über den Eindruck Bericht zu erstatten, welchen der Akt der Kammerauflösung hervorgebracht. Die Regierungen müssen ihrerseits an das Ministerium hierüber Kollektivberichte geben. 2. Neuwahlen würden vor der Hand noch nicht stattfinden, dagegen würde gegen viele Mitglieder der „sogenannten"1 Linken eingeschritten werden. 3. Seien alle Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, um jeden Versuch zur Auflehnung zu unterdrücken. Das Reskript ist unterzeichnet: Manteuffel. Herr Manteuffel oder vielmehr Herr Radowitz, sein Vorgesetzter, konnte der sich entwickelnden ungarisch-po Inisch - deutschen Revolution keinen bessern Dienst leisten, als gerade jetzt mit seinen Plänen zur Wiederherstellung des Absolutismus offen hervorzutreten.
Lassalle
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 287 vom 2. Mai 1849] Köln, I.Mai. Übermorgen wird vor den Assisen zu Düsseldorf die Anklage gegen Lassalle wegen direkter Aufforderung zur Bewaffnung gegen die königliche Macht verhandelt. Man erinnert sich, daß Lassalle, Cantador (Chef der Düsseldorfer Bürgerwehr) und der Kolporteur Weyers im vorigen November bei der Verhängung des Belagerungszustandes über Düsseldorf verhaftet und die Untersuchung wegen des obigen „Verbrechens gegen Art. 87 und 102 des Code penal" gegen sie eröffnet wurde.1 Die Untersuchung ging möglichst langsam. Während der gleichzeitig anhängig gemachte Steuerverweigerungsprozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten schon am 8. Februar in Köln verhandelt wurde[253], ging Assise auf Assise in Düsseldorf vorüber, ehe auch nur der Kölner Anklagesenat die Sache vor die Geschwornen verwies. Aber Marx, Schneider und Schapper gingen frei umher, und Lassalle saß im Düsseldorfer Arresthaus, und der Code d'instruction criminelle[306] schreibt ja vor, daß die Sache eines Verhafteten vorzugsweise berücksichtigt werden soll I Lassalle wurde im Gefängnis mit ganz besonderer Vorliebe behandelt. Die „N[eue] Rh[einische] Z[ei]t[un]g" hat oft genug Gelegenheit gehabt, Proben von der Zärtlichkeit zu veröffentlichen, mit der die Schergen der königlichen] preußischen] Justiz sich seiner annahmen.2 Während man Cantador alle möglichen Begünstigungen bewilligte — denn Cantador hatte, trotz seines politischen Auftretens, unter der Düsseldorfer Bourgeoisie eine große Menge Freunde -, mußte Lassalle abermals erfahrenf3911, welcher tyrannischen Willkür ein königlich] preußischer] Untersuchungsgefangener
ausgesetzt ist. Wir erinnern, von den kleineren Schikanen nicht zu sprechen, nur an die Brutalitäten, die sich Herr Morret, der Gefängnisdirektor, in Gegenwart des Untersuchungsrichters, Herrn Ebermeyer (den wir jetzt hier in Köln zu besitzen das Glück haben), gegen ihn erlaubte. Lassalle reichte eine Klage beim Parquet ein; der Generalprokurator, Herr Nicolovius, entschied: Die fragliche Handlung schließe weder ein Verbrechen noch ein Vergehen ein und könne daher nicht verfolgt werden! Wir erinnern ferner an die vom Arzt für Lassalles Gesundheit für dringend nötig erachteten Ausfahrten, zu denen die Prokuratur ihre Zustimmung gab, während die Regierung sie verweigerte, obwohl ein Untersuchungsgefangener nach dem Gesetz nicht unter der Regierung, sondern einzig und allein unter dem Prokurator steht. Die Schwierigkeiten, mit denen es verknüpft war, Zutritt zu Lassalle ins Gefängnis zu erhalten, die Ausflüchte, das Versteckspielen usw. sind jedem bekannt, der es einmal versucht hat, in das Innere der Düsseldorfer „Anstalt" zu dringen. Endlich war die Untersuchung geschlossen und die Sache sollte an die Ratskammer gehen. Damals war es noch Zeit, den Prozeß noch vor die letzten Assisen zu bringen, die im Februar und März gehalten wurden. Aber das sollte um jeden Preis verhütet werden. Als die Akten dem stellvertretenden Oberprokurator, dem „gnädigen" Herrn von Ammon I., zur Fassung seines Schlußantrags vorgelegt wurden, zieht Herr Ammon plötzlich einen Brief Lassalles an einen gewissen Stangier, Landwirt im Kreis Altenkirchen, hervor1, um daraufhin eine neue Anklage zu begründen. Dieser Brief hatte aber schon mehrere Wochen ruhig im Pult des Herrn Ammon gelegen, ohne daß es ihm eingefallen wäre, ihn als neuen Beschwerdepunkt zu den Akten zu geben. Jetzt, wo alles fertig und die Assisen vor der Tür waren, jetzt erscheint er mit dem Brief. Nun mußten natürlich neue Zeugenverhöre abgehalten werden, die Sache war um mehrere Wochen aufgehalten, und diese Zeit reichte gerade hin, die Verhandlung der Lassalleschen Prozedur auf den damals bevorstehenden Assisen unmöglich zu machen. Der Brief, den Herr Ammon, wie er selbst gestand, schon längere Zeit im Pult aufbewahrt hatte, war übrigens so unbedeutend, daß weder Ratskammer noch Anklagesenat Rücksicht darauf nahmen oder ihn als Beschwerungsgrund mit aufführten! Genug, die Assisen waren glücklich umschifft, und die nächsten begannen erst im Mai. Deputationen über Deputationen gingen zum Generalprokurator
Herrn Nicolovius und baten um Beschleunigung der Sache oder Ansetzung einer außerordentlichen Assise. Herr Nicolovius versprach, alles mögliche zu tun, und erklärte, sechs Monate solle Lassalle in keinem Falle sitzen. Und nun! Kaum 14 Tage fehlen an den sechs Monaten. Die Ratskammer entschied endlich: Alle drei Angeklagten wurden an den Anklagesenat verwiesen. Nun aber war eine Schwierigkeit da: Man hätte, so war man überzeugt, im ganzen Landgerichtsbezirk Düsseldorf keine Jury gefunden, die Herrn Cantador verurteilt hätte. Um also Cantador freizubekommen, wäre Lassalle mit freigesprochen worden selbst von Leuten, die ihn sonst verurteilt hätten. Und gerade an der Verurteilung Lassalles lag der Regierung zu Düsseldorf, lag dem Ministerium und selbst der höchsten und allerhöchsten Kamarilla. Die Feindschaft gegen Lassalle „steht selbst nicht vor dem Throne still". Was geschieht: „Der Anklagesenat läßt die Prozedur gegen Cantador fallen und setzt ihn in Freiheit, während Lassalle und Weyers in Haft bleiben und vor die Geschwornen verwiesen werden." Und doch lag gegen Cantador genau dasselbe vor wie gegen Lassalle, mit Ausnahme einer einzigen Rede, die Lassalle in Neuß gehalten hatte. Und gerade diese Rede in Neuß wird herausgerissen, und auf diese hin wandert Lassalle vor die Assisen. Erinnern wir uns kurz an den ganzen Hergang. Als der offne Kampf zwischen der seligen Nationalversammlung und der Krone jeden Tag ausbrechen konnte, war Düsseldorf bekanntlich eine der agitier testen Städte der Rheinprovinz. Hier war die Bürgerwehr ganz auf Seite der Nationalversammlung und außerdem von einem Demokraten angeführt. Sie war bereit, den passiven Widerstand in den aktiven zu verwandeln, sobald von Berlin aus das Signal dazu gegeben war. Waffen und Munition waren vorhanden. Lassalle und Cantador standen an der Spitze der ganzen Bewegung. Sie forderten die Bürger nicht bloß auf, sich gegen das Ministerium Manteuffel zu bewaffnen, sie bewaffneten wirklich. Hier in Düsseldorf war das Zentrum ihrer Tätigkeit. Hier mußte, wenn wirklich ein Verbrechen vorlag, dies Verbrechen geschehen sein. Und wo soll es geschehen sein? Nicht in Düsseldorf, sondern - in Neuß!! Lassalle war in Neuß in einer Versammlung gewesen und hatte zum bewaffneten Zuzug nach Düsseldorf aufgefordert. Diese Aufforderung hatte nicht einmal ein Resultat, denn es kam gar nicht zum Kampf. Und hierin soll das Verbrechen Lassalles bestehen! Also nicht wegen seiner Haupttätigkeit, nicht wegen des wirklichen Bewaffnens, nicht wegen des wirklichen Aufstands, der in Düsseldorf auf dem
Punkte war loszubrechen, verweist man Lassalle an die Geschwornen. Darin liegt kein „Verbrechen". Der Anklagesenat selbst, so altersschwach er ist, muß es zugeben. Das angebliche Verbrechen liegt in einer ganz gelegentlichen, beiläufig geschehenen, von der Hauptaktion in Düsseldorf total abhängigen und ohne sie ganz sinnlosen Handlung, nicht in dem Organisieren einer bewaffneten Macht gegen die Regierung in Düsseldorf, sondern in der Aufforderung an die Neußer, diese Organisation zu unterstützen! Aber freilich, Cantador war nicht in Neuß, als Lassalle diese schreckliche Rede hielt; Cantador hat die Neußer nicht zum bewaffneten Widerstand auf~ gefordert, Cantador hat bloß - die Düsseldorfer zum bewaffneten Widerstand organisiert und die dortige Bürgerwehr, die selbst ein Teil der bewaffneten Macht der Regierung ist, zum Widerstand gegen die Regierung aufgefordert. Das ist der Unterschied, und daher ließ man Cantador frei und behielt Lassalle in Haft bis zu den jetzigen Assisen. Noch besser. Lassalle hat auch den Landwirt Stangier direkt zum bewaffneten Zuzug nach Düsseldorf aufgefordert. Der Brief liegt bei den Akten und ist im Anklageakt wörtlich zitiert. (Siehe Nr. 277, Zweite Ausgabe, der „Njeuen] Rhjeinischen] Zjeitung]".) Hat der Anklageakt hierin einen Grund gefunden, Lassalle vor die Assisen zu verweisen? Es ist ihm nicht eingefallen. Selbst die Ratskammer, die doch neun Anklagepunkte gegen Lassalle aufstellte, von denen der Anklagesenat acht fallenließ, hat nicht daran gedacht, diesen Brief mit unter die Anklagepunkte aufzunehmen. Und doch enthält dieser Brief genau dasselbe angebliche „Verbrechen", das Lassalle in Neuß beging. Etwas Inkonsequenteres, Widersprechenderes, Unbegreiflicheres als dies Verweisungsurteil des Anklagesenats ist selten fabriziert worden. Das aber ist allerdings anerkennenswert darin: Nach dem Urteil des Kölnischen Senats selbst liegt in der ganzen Agitation, wie sie im vorigen November in Düsseldorf betrieben wurde, in der direkten Aufforderung zum Widerstande gegen das Ministerium, in der Bewaffnung, in dem Beschaffen von Munition, in der direkten und offenen Opposition der Bürgerwehr gegen die Regierung, in dem Schwur, den die Bürgerwehr leistete, mit den Waffen in der Hand gegen die Regierung und für die Nationalversammlung zu kämpfen - in dem allen liegt kein Verbrechen. Der Kölner Anklagesenat hat es gesagt. Und zwar stimmt er darin überein mit der Kölner Ratskammer, ja mit dem Kölner Parquet. In der Untersuchung gegen den Rheinischen Kreisausschuß gingen beide über die Aufforderung zur Bewaffnung gegen den „Feind" ruhig hinweg, ließen den Kriminalfall beiseite liegen und hielten sich bloß
an das korrektioneile Faktum der Rebellion, das bloß deshalb vor Geschwornen verhandelt wurde, weil es durch die Presse gegangen war. Bei Lassalle ist man aber viel pfiffiger gewesen. Man hat erst die Kriminalprozedur eingeleitet und behält sich die korrektionelle vor. Man hat nämlich für den Fall, daß Lassalle wegen der Neußer Rede freigesprochen würde, ihn vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen wegen Aufforderung zum Widerstand gegen die Beamten (Rebellion), die in zwei Düsseldorfer Reden enthalten sein soll. Wir brauchen hier nur an die Verhandlung im Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß zu erinnern. Der Fall ist ganz analog. Dort wurde auseinandergesetzt, wie ein Verbrechen (dasselbe, dessen Lassalle angeklagt) vorliege, oder gar nichts; wie man nicht zum bewaffneten Widerstand gegen die Regierung auffordern könne, ohne zum Widerstand auch gegen alle einzelnen Beamten aufzufordern, welche die Regierung sind. Die Geschwornen sprachen frei. Lassalle wird, wenn er nach seiner unzweifelhaften Freisprechung durch die Geschwornen Vor das Korrektionen kommt, in derselben Lage sein. Aber inzwischen hat man einen Vorwand, auf Verlängerung der Haft anzutragen, und dann ist das Korrektionellgericht ja nicht so diffizil wie die Geschwornen! Wir werden morgen auf den Anklageakt selbst eingehen und die Lächerlichkeit dieser ganzen Prozedur auch daraus nachweisen.
Der preußische Fußtritt für die Frankfurter
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 287 vom 2. Mai 1849] *Köln, 1 .Mai. Wieder ein neues Stück in der Geschichte der preußischen Kontrerevolution. Der König gibt der Frankfurter Versammlung einen definitiven Fußtritt und wirft ihr die dargebotene goldpapierne Krone eines imaginären Kaisertums mit Verachtung ins Gesicht. Wenn die Frankfurter Versammlung sich zur rechten Zeit energisch benommen hätte, sie könnte jetzt diesen übermutberauschten Hohenzollern arretieren lassen und wegen „Beleidigung der Nationalversammlung" (Gesetz vom September 1848, das auch in Preußen publiziert ist[392]) vor die Geschwornen stellen. Bis jetzt existiert kein „Reichs"-Gesetz, das die einzelnen Herren Fürsten auch dem „Reich" gegenüber unverantwortlich erklärt; und die kaiserliche UnVerantwortlichkeit stößt der Hohenzollern ja von sich. Die neue preußische „Reichs"-Note vom 28.April[393] mildert den „Reichs "-Fußtritt durch einige wohlwollende Bemerkungen über die sogenannte deutsche Reichsverfassung. Dies unschuldige Machwerk wird hier als Ausbund aller Schlechtigkeit und als „alleSchranken niederreißendes" äußerstes Produkt der Revolution und des heimlichen Republikanismus dargestellt. Die Paulskirche, eine carbonaristische[3941 Räuberhöhle! Welcker und Gagern, heimliche Republikaner, „Möros, den Dolch im Gewände" ![395] Bassermann, der Spökenkieker, selbst zu einer „Bassermannschen Gestalt "[396] geworden! Das schmeichelt natürlich den Frankfurter Biedermännern nach all dem Hohn, den das Volk, nach allen Verwünschungen, die die zertretenen Frankfurter und Wiener Barrikadenkämpfer auf sie gehäuft haben, und Leute aller Couleuren, bis herab zu Herrn Vogt, sind imstande, solche Albernheiten wirklich zu glauben. Die preußische Note ist die letzte Drohung an die Frankfurter Versammlung, noch ehe zu ihrer wirklichen Sprengung geschritten wird. Noch einmal
bietet der widerspenstige Hohenzollern die Hand zur „Verständigung". Und in der Tat - die Versammlung, nachdem sie so weit gegangen ist, könnte wahrhaftig auch noch den einen kleinen Schritt weiter gehen und ganz preußisches Werkzeug werden. Unterdessen aber klammert sich ein Teil des Volks und besonders die Bauern und Kleinbürger der süddeutschen Raubstaaten an die Versammlung und die sogenannte Reichs Verfassung an. Das Militär ist günstig für die Reichsverfassung gestimmt. Das Volk sieht in jedem, wenn auch noch so lumpigen Schritt näher zur Einigung Deutschlands einen Schritt näher zur Beseitigung der kleinen Fürsten und zur Befreiung von der drückenden Steuerlast. Auch der Haß gegen Preußen trägt sein Teil dazu bei. Die Schwaben haben sogar eine Revolution für die sogenannte Reichsverfassung gemacht; natürlich ein Sturm in einem Glase Wasser[194J, aber doch immer etwas. Die Sprengung der Frankfurter Versammlung würde also nicht ohne Gewalt vor sich gehen können, wenn die Frankfurter Biedermänner die geringste Courage hätten. Sie hätten jetzt die letzte Gelegenheit, wenigstens einen kleinen Teil der begangenen schweren Sünden abzuwaschen. Frankfurt und Süddeutschland, ostensibel für die Reichsverfassung sich erhebend, könnte bei den Siegen der Ungarn, bei der Auflösung Ostreichs, bei der Wut des Volks in Preußen gegen die HohenzoIIern-Radowitz-Manteuffelschen Verrätereien ein momentanes Zentrum für eine neue, auf Ungarn gestützte revolutionäre Erhebung bilden. Dann aber müßten die Herren sich auch nicht scheuen, den Bürgerkrieg zu proklamieren und im äußersten Falle, wenn es auf Entscheidung ankommt, die eine und unteilbare deutsche Republik der Restauration des deutschen Bundeslags\397] Vorziehen. Aber wer das den Frankfurtern zumutet, der irrt sich gewaltig. Die Herren werden etwas poltern, sich etwas sperren, bis wenigstens einigermaßen dem Anstand genügt ist, und dann werden sie alles das beschließen, was der widerspenstige Hohenzollern ihnen diktiert. Das Volk wird hie und da vielleicht Barrikaden bauen und - verraten werden wie am 18.September.1398] Damit würde die berühmte Reichs-Haupt- und Staatsaktion ihr Ende nehmen, wenn es Von den Frankfurter Herren abhinge. Aber vielleicht sprechen die ungarischen Husaren und die polnischen Lanciers und die Wiener Proletarier ein Wort mit, und dann kann die Sache doch eine andere Wendung nehmen.
[Auflösung]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 287 vom 2. Mai 1849] *Köln, I.Mai. Gestern hier angekommene Abgeordnete von Berlin erzählen, daß auch in Dresden die Kammern aufgelöst sind. Hannover, Berlin, Dresden - in München hat man bis jetzt bloß Vertagt biedrer, deutscher Bürger, merkst du jetzt, wie man dir aufzuspielen gedenkt? Voriges Jahr, als die Frankfurter Versammlung[69] einberufen wurde, befahl Preußen den Raubstaaten, alle Kammern einzuberufen. Jetzt, gerade ein Jahr später, befiehlt Preußen, alle Kammern aufzulösen. Damals Camphausen, jetzt Manteuffel. Beide Male derselbe Zweck, dieselbe Absicht. Camphausen und Manteuffel gehen trotz aller Redensarten Arm in Arm. Und es gibt noch Leute in Deutschland, die die Fürsten verteidigen!
Geschrieben von Friedrich Engels.
Lassalle
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 288 vom 3. Mai 1849] *Köln, 2.Mai. Wir versprachen gestern, auf den Anklageakt gegen Lassalle zurückzukommen. Lassalle ist angeklagt eines „Verbrechens gegen Art. 87 und 102 des Strafgesetzbuches". Art. 87 ist gerichtet gegen das „Attentat oder Komplott, dessen Zweck ist, die Bürger oder Einwohner zur Bewaffnung gegen die kaiserliche Gewalt aufzufordern (exciter) ". Art. 102 unterwirft den in der vorhergehenden Sektion (wozu auch Art. 87 gehört) festgestellten Strafen (meist Todesstrafe) alle die, welche durch Reden an öffentlichen Orten und in öffentlichen Versammlungen oder durch angeheftete Plakate die Bürger auffordern (excitent), diese Verbrechen zu begehen. Nur für den Fall, daß die Aufforderung ohne Erfolg blieb, wird die Strafe in Verbannung gemildert. Wessen ist nun Lassalle angeklagt? Da er in einem Atem gegen Art. 87 und zugleich gegen Art. 102 gesündigt haben soll, so kann er nur beschuldigt sein: in der Weise des Art. 102 zu den Verbrechen des Art. 87 aufgefordert zu haben, d. h.: die Bürger aufgefordert zu haben, ein Attentat oder Komplott zu machen, dessen Zweck die Aufforderung zur Bewaffnung gegen die kgl. Autorität ist, d.h.: die Bürger aufgefordert zu haben zur Aufforderung zur Bewaffnung! Das ist für den gewöhnlichen Menschenverstand ein ziemlich handgreiflicher Unsinn. Aber das öffentliche Ministerium und der Anklagesenat haben es einmal so gewollt.
Der Art. 102, der die Aufforderung zu den Verbrechen der Art. 86-101 der Begehung des Verbrechens selbst gleichstellt, wenn die Aufforderung Folge hat, paßt nämlich ganz gut zu allen diesen Artikeln. Er paßt selbst zu den übrigen Punkten desselben Art. 87. Alle diese Artikel sind nämlich gegen bestimmte Tathandhmgen gerichtet, zu denen man aufreizen kann. Z. B. spricht der gegen Attentat und Komplott gerichtete Art. 87 auch von Attentat und Komplott gegen das Leben und die Person des Kaisers, von Attentat und Komplott, dessen Zweck ist, die Regierungsform und die Thronfolge zu ändern oder zu zerstören. Das sind alles Dinge, zu denen man „auffordern" kann. Die Aufforderung zum Königsmord, zur Revolution ist ein mögliches Faktum; die Aufforderung zum Komplott, dessen Zweck Königsmord oder Revolution ist, kann ebenfalls vorkommen. Aber die „Aufforderung zur Bildung eines Attentats resp. Komplotts zur Aufforderung zur Bewaffnung gegen die königliche Autorität", mit einem Wort, die Aufforderung zur Aufforderung, das ist ein so unmögliches, so widersinniges Verbrechen wie der „Versuch zum entfernten Versuch des Hochverrats", der so manchem armen Teufel von Burschenschaftler in der alten gottseligen Landrechtszeit zehn Jahre Festung kostete, oder wie das berühmte suspect de suspicion d'incivisme (verdächtig, des Mangels an Bürgersinn verdächtig zu sein), das legitimistische Brillen in den Gefängnisregistern der 93er Schreckenszeit gefunden haben wollen. Oder aber: Ist die „Aufforderung zur Aufforderung zur Bewaffnung" wirklich ein logisch und juristisch mögliches Verbrechen, so mußte Lassalle, um unter die fragliche Stelle des Art. 87 und unter Art. 102 zu gleicher Zeit zu fallen, nicht wegen der Neußer Rede angeklagt werden, sondern wegen der Adresse an die Nationalversammlung, worin es heißt: „Wir beschwören die Nationalversammlung: Erlassen Sie den Ruf zu den Waffen!"1399] Hier ist „Aufforderung zur Aufforderung zur Bewaffnung". Es ist aber selbst diesem non plus ultra1 eines Anklageakts nicht eingefallen, in diesen Worten ein Verbrechen zu sehen. Wie aber kommt das öffentliche Ministerium dazu, aus der langen Reihe von Artikeln der betreffenden Sektion gerade diejenige Stelle hervorzusuchen und mit dem Art. 102 in Verbindung zu bringen, zu der der Art. 102 gar nicht paßt? Sehr einfach. Auf dem Verbrechen gegen Art. 87 steht Todesstrafe. Und um Lassalle zum Tode verurteilen zu helfen, dafür fand man in der ganzen Rheinprovinz keine Jury. Man zog also vor, den Art. 102 mit hineinzuziehen, der für den Fall, daß die Aufforderung zum „Verbrechen" nicht von Erfolg
ist, die Milderung der Strafe in Verbannung vorschreibt. Und dazu, glaubte man, werde sich schon eine Jury bereitfinden lassen. Um also Lassalle loszuwerden, erfand das öffentliche Ministerium ein unmögliches Verbrechen, verkoppelte es zwei Gesetzstellen, die in der Verkoppelung keinen andern Sinn haben, als reinen Unsinn. Also: Entweder ist Lassalle schuldig, den Art. 87 verletzt zu haben, und dann habe man den Mut, ihn direkt zum Tode zu verurteilen; oder er ist nicht schuldig, den Art. 87 verletzt zu haben, und dann hat er auch den Art. 102 nicht verletzt und muß unbedingt freigesprochen werden. Aber den Art. 87 in der angezogenen Stelle und den Art. 102 zu gleicher Zeit zu verletzen, ist eine Unmöglichkeit. Man merke auf die Schlauheit des öffentlichen Ministeriums. Die Anklage gegen Lassalle fällt eigentlich unter den Art. 87 (Todesstrafe). Darauf ihn anzuklagen, wagt man nicht: man klagt ihn auf Art. 87 in Verbindung mit Art. 102 an (Verbannung); und wenn das nicht hilft, wenn die Geschwornen ihn freisprechen, so stellt man ihn vor das Zuchtpolizeigericht und schiebt die Artikel 209 und 217 (sechs Tage bis ein Jahr Gefängnis) vor. Und alles das für ein und dasselbe Faktum, für seine Tätigkeit als Agitator während der SteuerVerweigerungs-Bewegung ! Sehen wir uns jetzt das eigentliche Corpus delicti, die Neußer Rede vom 21 .Nov. einmal an. Lassalle ist angeklagt, zur Bewaffnung gegen die kgl. Macht direkt aufgefordert zu haben. Nach den drei Zeugenaussagen, auf die der Anklageakt sich beruft, hat Lassalle allerdings die Neußer sehr direkt aufgefordert, sich zu bewaffnen, Munition zu beschaffen, mit Waffengewalt die errungenen Freiheiten zu wahren, die Nationalversammlung durch aktives Handeln zu unterstützen usw. Nun ist die Aufforderung zur Bewaffnung überhaupt keineswegs ein Vergehen oder gar ein Verbrechen, am allerwenigsten seit der Revolution und dem Gesetz vom 6. April 1848[91], das jedem Preußen das Recht garantiert, Waffen zu tragen. Die Aufforderung zur Bewaffnung wird erst strafbar nach dem Code, wenn die Bewaffnung gegen einzelne Beamte (Rebellion) oder gegen die königl. Macht, resp. gegen einen andern Teil der Bürger sich richtet (Aufruhr). Hier ist es speziell die Aufforderung und zwar die direkte Aufforderung zur Bewaffnung gegen die königl. Macht. In allen drei Zeugenaussagen steht aber ^em Wort von Bewaffnung gegen die königl. Macht; es ist bloß von Bewaffnung zum Schutze der Nationalversammlung die Rede. Und die Nationalversammlung war ein gesetzlich berufenes, gesetzlich bestehendes Organ, ein wesentlicher Teil der gesetz
gebenden, ja hier sogar der konstituierenden Gewalt. Gerade so hoch wie die konstituierende Gewalt über der vollstreckenden steht, gerade so hoch stand die Nationalversammlung über der „königlichen Regierung". Zum Schutz dieser neben dem König höchsten gesetzlichen Behörde des Landes eine allgemeine Volksbewaffnung provozieren gilt bei unsern Parquets für ein schweres Verbrechen! Die einzige Stelle, in der eine feine Prokuratorennase eine entfernte Beziehung auf die „kgl. Regierung" entdecken könnte, wäre die Von den Batterien in Neuß. Aber fordert Lassalle die Neußer auf, fordert er sie gar, wie der Anklageakt in seinem Resume behauptet und wie es zu einer Verurteilung nötig ist, „direkt" auf, daß sie sich bewaffnen sollen, um die Batterien des linken Rheinufers zu nehmen? Im Gegenteil! Er fordert sie weder „direkt" noch indirekt dazu auf. Er sagt bloß, die Düsseldorfer erwarteten, die Neußer würden diese Batterien nehmen. Und diese bloß ausgesprochene „Erwartung" ist nach der Meinung des wohllöblichen Parquets eine excitation directe, eine direkte Aufforderung zur Bewaffnung gegen die kgl. Macht! Also in der ganzen wirklichen, offen zum Schutz der Nationalversammlung organisierten und doch wohl gegen niemand anders als die preußischen Truppen, d.h. gegen die kgl. Regierung (le gouvernement de l'empereur) gerichteten Bewaffnung von Düsseldorf liegt kein Verbrechen, liegt bloß das Vergehen des Widerstandes gegen einzelne Beamte; und in dieser bloßen Äußerung, in diesen vier Worten liegt ein schweres Kriminalverbrechen! Was Lassalle getan hat, wagt man nicht anzuschuldigen; was er gesagt hat, soll ein schweres Verbrechen sein. Und was hat er gesagt? Daß man erwarte, die Neußer würden Batterien nehmen. Und wer, sagt er, erwartet dies — etwa er selbst, Lassalle? Im Gegenteil, die Düsseldorfer! Lassalle sagt: Dritte Personen erwarten, daß ihr dies oder jenes tun werdet, und nach der Logik des öffentlichen Ministeriums ist das eine „direkte Aufforderung" an euch, das Erwartete wirklich zu tun. In Berlin haben die Minister jetzt die Kammer aufgelöst und präparieren sich zu weitern Oktroyierungen. Setzen wir den Fall, heute würde das allgemeine Stimmrecht gewaltsam abgeschafft, das Vereinsrecht unterdrückt, die Preßfreiheit vernichtet. Wir sagen: Wir erwarten, daß das Volk auf diesen schmählichen Treubruch mit Barrikaden antworten wird - so haben wir, sagt das Parquet, die Berliner Bürger damit „direkt aufgefordert", sich gegen die königliche Gewalt zu bewaffnen, und wenn es nach dem Wunsche des Parquets geht, werden wir nach Umständen zum Tode oder zur Verbannung verurteilt!
30 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Das Geheimnis des ganzen Prozesses gegen Lassalle ist der Tendenzprozeß gegen den lästigen Agitator. Es ist ein versteckter Prozeß wegen „Erregung von Mißvergnügen"t400wie wir bis zum März das Vergnügen hatten, sie auch hier am Rhein zu genießen. Geradeso ist der Prozeß gegen Weyers ein versteckter Prozeß wegen Majestätsbeleidigung. Weyers hat gesagt: „Tod dem Könige", und: „Man darf dem König die Krone keine Viertelstunde länger lassen"; und diese paar, nach den Begriffen des Code penal sehr unschuldigen Worte sollen ebenfalls „direkte Aufforderung zur Bewaffnung" enthalten! Und selbst wenn Lassalle wirklich zur Bewaffnung wider die königliche Gewalt aufgefordert hat, was dann? Stellen wir uns auf den konstitutionellen Standpunkt, sprechen wir nach konstitutionellen Begriffen. War es nicht die Pflicht eines jeden Bürgers, damals, im November, nicht nur „zur Bewaffnung aufzufordern", nein, sich selbst zu bewaffnen zum Schutz der konstitutionellen Volksvertreter, gegen eine wortbrüchige „königliche Regierung", die die Versammlung der Volksvertreter mit Soldaten Von Hotel zu Hotel jagte, ihre Sitzungen sprengte, ihre Papiere den Soldaten zu Fidibus und zur Ofenheizung überließ, und sie selbst zuletzt nach Hause jagte? War nicht nach den Beschlüssen des Vereinigten Landtags, nach dem berühmten Rechtsboden des Herrn Camphausen, Von den Eroberungen des 19. März gar nicht zu sprechen, die Versammlung „gleichberechtigte Kontrahentin" mit der Krone? Und eine solche Versammlung soll man nicht gegen Ubergriffe der sogenannten „königlichen Regierung" schützen dürfen? Man hat übrigens gesehen, wie es der „königlichen Regierung" zur andern Natur geworden ist, die Volksvertreter mit Fußtritten zu behandeln. Die oktroyierten Kammern sind kaum zwei Monate zusammen, so jagt dieselbe königliche Regierung sie beim ersten mißliebigen Beschluß auseinander dieselben Kammern, die angeblich die Verfassung revidieren sollten! Jetzt haben die Kammern die oktroyierte Verfassung für gültig anerkannt, und jetzt wissen wir erst recht nicht, ob wir eine Verfassung haben oder nicht. Wer weiß, was uns morgen oktroyiert wird! Und die Leute, die das alles vorhergesehen, die danach gehandelt, die sich diesem gewalttätigen Treiben einer hochfahrenden Kamarilla energisch widersetzen wollten, die sich nach den Anschauungen aller konstitutionellen Länder und besonders Englands vollständig auf demRechtsboden befanden, solche Leute läßt Manteuffel, Simons und Kompanie arretieren, sechs Monate in Haft halten und schließlich vor die Geschworerien stellen, der Aufreizung zum Aufruhr angeklagt!
Verbot der rheinischen Gemeinderäteversammlung
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.288 vom 3. Mai 1849] * Köln, 2.Mai. Wir teilen unseren Lesern zu unserer speziellen Befriedigung mit, daß die von dem hiesigen wohllöblichen Gemeinderat ausgeschriebene Versammlung von Gemeinderat-Deputierten der Rheinprovinz durch simpeln Regierungsbefehl verboten worden ist.[401] Die „guten Bürger", welche sich im September bei dem Verbot der Demokratenversammlungen14021 so „behaglich" fühlten, mögen sich jetzt bei ihren Herren und Meistern bedanken. Im September 1848 wurde das Vereinsrecht der Demokraten wenigstens durch die honette Gewalt des Belagerungszustandes vernichtet; das Vereinsrecht des Kölner Gemeinderates ist dagegen mitten in schönster Rechtsbodenblüte an einem Fußtritt gestorben.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Der rheinische Städtetag
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 289 vom 4. Mai 1849] * Köln, 3.Mai. Der Kongreß der rheinischen Gemeinderäte wird, in einer weniger offiziellen Gestalt, also doch stattfinden, und zwar erst nächsten Dienstag.1*01^ Es versteht sich von selbst, daß wir uns Von dieser Versammlung von Bourgeois, die nach drei Zensusklassen gewählt und bei deren Wahl die Masse des Volks ausgeschlossen worden, gar nichts versprechen. Man wird eine Deputation nach Berlin schicken, die von Herrn von Hohenzollern gar nicht vor~ gelassen werden wird. Vielleicht aber kommt der Kongreß gar nicht zustande. Am Sonntag finden verschiedene Parteikongresse hier in Köln statt.[403] Die Regierung sucht um jeden Preis einen Konflikt des Volks mit dem Militär herbeizuführen, um uns Rheinländer ebenso knebeln zu können wie man die Berliner geknebelt hat. Von den Arbeitern Kölns hängt es ab, dies feine preußische Plänchen zu vereiteln. Die Arbeiter Kölns können durch ruhiges Verhalten, durch unerschütterliche Gleichgültigkeit gegenüber allen Provokationen des Militärs der Regierung jeden Vorwand zu Gewaltschritten nehmen. Entscheidende Ereignisse stehen bevor. Wien, Böhmen, Süddeutschland, Berlin gären und warten des geeigneten Augenblicks. Köln kann mitwirken, sehr kräftig mitwirken, aber es kann keinen entscheidenden Schlag beginnen. Mögen die Arbeiter Kölns besonders nächsten Sonntag bedenken, daß alle Regierungsprovokationen nur einen solchen Losbruch bezwecken, der für uns im ungünstigen, für die Regierung im günstigen Moment geschieht. Nur mit großen Ereignissen lassen sich Revolutionen machen; aber wenn man die Herausforderungen der Regierung aufnimmt, so bringt man es höchstens zur Erneute. Arbeiter Kölns, denkt an den 25 .September ![i0i]
[Der dritte im Bunde]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 289 vom 4. Mai 1849, Beilage] * Köln, 3.Mai. Wir haben hundertmal auf die Tatsache hingewiesen, daß Herr von Hohenzollern und sein Ministerium in der Koalition Rußlands und Österreichs „der dritte im Bunde"[395J ist. Hundertmal hat der biedere deutsche Bürger dergleichen mit Entrüstung zurückgewiesen. Nun gut: Jetzt steht es fest, daß unter den geheimen Gründen der Kammer-Auflösung [38 7 ] auch dieser war, daß nach geheimem Vertrage mit dem Olmützer Knäs1 und dem Allerhöchsten Petersburger Prawoslawny-Zar2 der russische Unterknäs in Sanssouci3 sich verpflichtet hat, 40 000 Mann Preußen nach Böhmen zur Niederhaltung des Volks und als Reserve gegen die Ungarn zu stellen. Selbst in der Paulskirche ist offen davon gesprochen worden. Dazu zu schweigen, waren selbst die Zentren und ein Teil der Rechten in Berlin nicht zu bewegen. Man jagte sie also fort. Damit nicht genug: Die Berliner „National-Zeitung"[234J schreibt aus Berlin vom 1 .Mai:
„Soeben erfahren wir aus ganz zuverlässiger Quelle: ,Gestern morgen erhielt die Direktion der Oberschlesischen Eisenbahn vom Minister des Innern die telegraphische Depesche, daß 30 000 Mann russischer Truppen von Krakau vermittelst der Oberschlesischen Bahn (also von Krakau über Mislowitz, Kosel, Ratibor, Oderberg) nach Österreich befördert werden würden. Die Direktion der Oberschlesischen Bahn wird verständigt, daß die königl[ich] preußische Regierung nichts dagegen einzuwenden habe und erwarte, daß die Bahndirektion diesem Transport in nichts hinderlich sein würde.'
Die Depesche war unterzeichnet: v.Man teuf fei."
1 Franz Joseph I. - 2 Nikolaus I. - 3 Friedrich Wilhelm IV.
Dahin also sind wir gekommen: Nicht nur Steckbriefe erläßt die kaiserlich russische Unterknäsenregierung von Potsdam gegen Kossuth, Bern und Görgey1, nein, sie läßt sogar 30000 russische Häscher durch preußisches Gebiet nach Ungarn auf der Eisenbahn befördern — noch mehr, sie sendet 40000 preußische Soldaten nach Böhmen, um ein schnöde mit Füßen getretenes rachedürstendes Volk darniederzuhalten! Hört es, Rheinländer! Dazu also sind wir unter die russisch-preußische Gewaltherrschaft gezwängt worden, damit unsre Söhne und Brüder, Rheinländer wie wir, nach Böhmen und vielleicht nach Ungarn geschickt werden, um im Dienst des russischen Zars das letzte, die Revolution von 1848 mit den Waffen in der Hand verteidigende Volk unterdrücken zu helfen! Dazu hat man uns 1815 an Preußen verraten, damit auch auf uns die Schmach falle, wir hätten es geduldet, daß über unser Gebiet, durch ein mit uns zu demselben Staat verbundenes Land die Russen mit klingendem Spiel und wehenden Fahnen gegen die magyarische Revolutionsarmee marschiert sind. Wir sind nur durch die Gewalt Preußen Untertan geworden und Untertan geblieben. Wir waren nie Preußen. Aber jetzt, wo wir gegen Ungarn geführt, wo preußisches Gebiet durch russische Räuberbanden betreten wird, jetzt fühlen wir uns als Preußen, ja, wir fühlen, welche Schmach es ist, den Namen Preuße zu tragen!
Geschrieben von Friedrich Engels.
Belagerungsgelüste
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 291 vom 6. Mai 1849] * Köln, 5.Mai. Das Gerücht erhält sich, daß man am Sonntag bei Gelegenheit der Kreiskongresse der verschiedenen Parteien14031 der guten Stadt Köln abermals den Belagerungszustand oktroyieren will. Aus allerhand kleinen Vorbereitungen der Militärbehörde sieht man, daß sie sich allerdings auf alle Eventualitäten vorbereitet. Noch mehr. Es werden Maßregeln getroffen, die geradezu den Anschein haben, als wolle man Unruhen provozieren. Oder warum hat man „Meinem herrlichen Kriegsheer "[1961 plötzlich und zum großen Erstaunen der Soldaten selbst gestattet, statt bis neun Uhr jetzt bis zehn Uhr abends aus den Kasernen zu bleiben? Man spricht ebenfalls wieder von Verhaftungen. Wir glauben recht gern daran. Die Lust dazu ist längst vorhanden. Man weiß außerdem, daß bereits einmal durch solche Verhaftungen der Plan, Unruhen zu provozieren, vollständig gelungen ist.[4041 Wir wiederholen: Es ist von der höchsten Wichtigkeit, daß die Demokraten und namentlich die Arbeiter von Köln alles aufbieten, damit am morgenden Tage den belagerungssüchtigen Gewalten auch nicht der mindeste Verwand gegeben werde, hinter den sie ihre Gewaltstreiche verstecken können. Wer zunächst durch die letzten kontrerevolutionären Streiche gefährdet ist, das ist die Bourgeoisie. Die Bourgeoisie hat den Städtekongreß berufen.14011 Man lasse der Bourgeoisie die Ehre des ersten Worts. Man warte ab, was diese Herren am Dienstag beschließen werden. Wir sind überzeugt, daß mancher demokratische Biedermann sehr enttäuscht werden wird durch die Resultate dieses pomphaften „Städtetags". Es ist eine Tatsache: Kommt der Belagerungszustand vor Dienstag zustande, so findet der Städtekongreß nicht statt, und niemand ist froher darüber als gerade die Herren, die ihn berufen haben.
Lassen die Arbeiter sich morgen zu Tumulten verleiten, so holen sie nur für die Bourgeoisie und zugleich für die Regierung die Kastanien aus dem Feuer. Es fragt sich, ob sie sich dazu wollen gebrauchen lassen, zu einer Zeit, wo der Bürgerkrieg in ganz Deutschland vor der Türe steht und wo ihnen vielleicht bald Gelegenheit gegeben wird, mit ihren eigenen Forderungen hervorzutreten.

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