KARL MARX - FRIEDRICH ENGELS WERKE • BAND 6

KARL MARX - FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 6
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX
FRIEDRICH ENGELS
WERKE
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DIETZ VERLAG BERLIN
1961
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 6
DIETZ VERLAG BERLIN
1961
Die deutsche Ausgabe fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten Ausgabe in russischer Sprache
Vorwort
Der sechste Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält die Schriften aus der Zeit von November 1848 bis Juli 1849. Den größten Teil des sechsten, ebenso wie des fünften Bandes, bilden Artikel von Marx und Engels aus der „Neuen Rheinischen Zeitung", der einzigen Zeitung, die in der damaligen demokratischen Bewegung den Standpunkt des Proletariats vertrat. In der „Neuen Rheinischen Zeitung" analysierten Marx und Engels mit Hilfe der materialistischen Dialektik die Tagesereignisse, deckten das wahre Wesen der politischen Konflikte als Ausdruck eines außerordentlich scharfen Klassenkampfes auf, bestimmten die Gruppierung und das Wechselverhältnis der Klassenkräfte in der politischen Arena und umrissen auf Grund dessen die taktische Linie des Proletariats in den verschiedenen Etappen der deutschen und der europäischen Revolution. Indem sie die reichen Erfahrungen der Massen in der revolutionären Epoche theoretisch verallgemeinerten, entwickelten sie die politischen Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus und arbeiteten die Grundthesen des historischen Materialismus wie der marxistischen politischen Ökonomie aus. Der Band wird mit Artikeln von Marx eröffnet, die er während der tiefen politischen Krise und der Vorbereitung des konterrevolutionären Staatsstreichs in Preußen geschrieben hat. Er untersucht den Verlauf der europäischen Revolution, die sich in absteigender Linie entwickelt hatte, vermerkt eine Reihe von der Konterrevolution errungener Siege und bezeichnet den sich in Preußen vorbereitenden Staatsstreich als dritten Akt des europäischen Dramas, dessen erster Akt die Niederlage des französischen Proletariats in den Junitagen und dessen zweiter der Fall des revolutionären Wiens am 1 .November 1848 war. Mit Hilfe der „Neuen Rheinischen Zeitung" wollte Marx die Volksmassen auf den bevorstehenden entscheidenden Zusammenstoß hinlenken und sie
darauf vorbereiten, der angreifenden Konterrevolution die Stirn zu bieten. In den Artikeln „Die Berliner Krisis", „Die Kontrerevolution in Berlin" und anderen charakterisiert Marx die politische Situation in Preußen im November 1848 und stellt fest, daß der herangereifte Konflikt zwischen der Königsmacht und der preußischen Nationalversammlung nur durch Gewalt gelöst werden kann. Marx fordert von der preußischen Nationalversammlung entschlossene revolutionäre Taten wie die Verhaftung der Minister als Staatsverbrecher und die Absetzung und gerichtliche Verfolgung aller Beamten, die sich den Beschlüssen der Nationalversammlung nicht unterordnen. Er stellt die Losung der Steuerverweigerung auf, um der konterrevolutionären Regierung eines der gegen das Volk gerichteten Kampfmittel aus der Hand zu nehmen. Marx sieht in der Steuerverweigerungskampagne ein Mittel zur Entfachung der revolutionären Energie der Meissen und den Beginn einer neuen Etappe der Revolution, die im Falle des Erfolges den Sturz der Königsmacht und den endgültigen Sieg des Volkes herbeiführen sollte. In dem Aufruf des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten (siehe vorl. Band, S. 20) an die demokratischen Vereine fordert Marx auf, Volksversammlungen zu veranstalten, um die Bevölkerung zur Steuerverweigerung zu bewegen. In diesem ersten Aufruf des Kreisausschusses warnt Marx vor gewaltsamer Widersetzlichkeit bei der Eintreibung der Steuern, um isolierte, zersplitterte Erhebungen in der Rheinprovinz zu verhindern. Nachdem die preußische Nationalversammlung die Steuerverweigerung beschlossen und diese Bewegung einen Massencharakter eingenommen hatte, forderte Marx in einem zweiten Aufruf (siehe vorl. Band, S. 33) zu jeder Art des Widerstandes gegen die Steuereintreibung auf. Er fordert weiter, einen bewaffneten Landsturm zur Abwehr des Feindes zu organisieren und Sicherheitsausschüsse zu ernennen. In den Sicherheitsausschüssen, deren Befehle einzig und allein rechtsgültig sein sollten, sah Marx die Keime provisorischer Machtorgane, die den nach der Märzrevolution nicht angetasteten reaktionären Beamtenapparat ersetzen sollten. Im Gegensatz zur preußischen Nationalversammlung, die nur zum passiven Widerstand gegen die Steuereintreibung aufforderte, rief Marx in seinen Artikeln dazu auf, „jede Art von Gewalt der Gewalt entgegenzusetzen. Der passive Widerstand muß den aktiven Widerstand zu seiner Unterlage haben. Er gleicht sonst dem Sträuben des Kalbes gegen seinen Schlächter." (Siehe vorl. Band, S. 32.) In seinen Artikeln in der „Neuen Rheinischen Zeitung" und in den Aufrufen des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten entwickelte Marx das entschlossene und kühne Aktionsprogramm für alle deutschen Demo
kraten. Diese Dokumente sind für das Studium der von Marx in der kritischen Periode der deutschen Revolution angewandten Taktik von hervorragendem Interesse. Die preußische Nationalversammlung ging nicht über Aufrufe zum passiven Widerstand hinaus; die breite Massenbewegung in der Rheinprovinz fand in den anderen preußischen Provinzen keine aktive Unterstützung. Dadurch wurde der Konterrevolution ein neuer Sieg ermöglicht: Am S.Dezember 1848 jagte sie die preußische Nationalversammlung auseinander. In seinem Artikel „Der Staatsstreich der Kontrerevolution" schrieb Marx: „Die Nationalversammlung erntet jetzt die Früchte ihrer langwierigen Schwäche und Feigheit. Sie ließ die Verschwörung gegen das Volk monatelang ruhig fortarbeiten, stark und mächtig werden und fällt ihr daher jetzt zum ersten Opfer." (Siehe vorl. Band, S. 101.) In einer Reihe von Artikeln — „Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution", „Montesquieu LVL", „Die Berliner JNational-Zeitung' an die Urwähler", „Camphausen" und anderen - sowie in seiner Rede in dem Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten untersucht Marx vom Standpunkt des historischen Materialismus die Ursachen für den Sieg der Konterrevolution in Preußen. Er deckt den Charakter und die Besonderheiten der Märzrevolution in Deutschland auf und zeigt den Unterschied zu ihren historischen Vorgängerinnen - den bürgerlichen Revolutionen in England und in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert. Wenn die Revolutionen in England und Frankreich zur Errichtung einer, der kapitalistischen Produktionsweise entsprechenden, neuen politischen Ordnung führten, so „reformierte" die Märzrevolution „nur die höchste politische Spitze, sie ließ alle Unterlagen dieser Spitze unangetastet, die alte Bürokratie, die alte Armee, die alten Parquets ..." (siehe vorl. Band, S. 234). In England und Frankreich stand die Bourgeoisie an der Spitze der revolutionären Bewegung. Die preußische Bourgeoisie aber strebte danach, nicht durch die Revolution, sondern durch ein friedliches Abkommen mit der Monarchie zur Macht zu gelangen. Marx zeigt, daß die Position Camphausens und Hansemanns in der Revolution sich nicht aus der persönlichen Qualität dieser Politiker erklären läßt, sondern aus den materiellen Interessen der Klasse, die sie vertraten. Die preußische Bourgeoisie war aus Furcht vor dem sich erhebenden Proletariat bereit, jeden beliebigen Kompromiß mit den Kräften der alten Gesellschaft einzugehen. Die Bourgeoisie strebte um jeden Preis danach, auf dem „Rechtsboden" zu bleiben und lehnte so jeden entschlossenen Kampf gegen die Kräfte der feudalen Gesellschaft ab. Sie beließ den alten, ein wenig aufgefrischten Staat des Feudaladels und der Bürokratie. Aus Furcht vor einem Anschlag auf das bürgerliche
Eigentum ließ sie das Feudaleigentum unangetastet und stieß damit ihren unentbehrlichen Verbündeten im Kampf gegen den Feudalismus, die Bauernschaft, von sich. Damit verurteilte sie sich von vornherein zur Niederlage und bereitete dem Sieg der Konterrevolution den Boden. In seiner Rede in dem Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten (siehe vorl. Band, S. 240-257) entlarvte Marx den wahren Sinn des berüchtigten „Rechtsbodens" als das Bestreben, der neuen bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Rechte durch die Revolution geltend gemacht hatte, die alten, einer vergangenen gesellschaftlichen Epoche angehörenden Gesetze aufzuzwingen. In seiner Lehre über Basis und Überbau zeigt Marx, daß nicht, wie die Juristen sich einbilden, die Gesellschaft auf dem Gesetz aufgebaut ist, sondern umgekehrt, „das Gesetz muß vielmehr auf der Gesellschaft beruhn, es muß Ausdruck ihrer gemeinschaftlichen, aus der jedesmaligen materiellen Produktionsweise hervorgehenden Interessen und Bedürfnisse" sein. Die Beibehaltung der alten Gesetze entgegen den neuen Erfordernissen und Interessen der gesellschaftlichen Entwicklung bereitet gesellschaftliche Krisen vor, die in politischen Revolutionen zum Ausdruck kommen. In seinen Schlußfolgerungen aus der unentschlossen geführten Märzrevolution zeigt Marx, daß das Verharren auf dem „Rechtsboden" und der berüchtigte „Vereinbarerstandpunkt" unumgänglich einen tiefen politischen Konflikt nach sich ziehen mußten, der in Preußen im November 1848 auch ausbrach und in dem Staatsstreich vom 5.Dezember 1848 seine Vollendung fand. Marx sieht in diesem Konflikt zwischen der Krone und der Nationalversammlung den Kampf zwischen zwei Staatsgewalten, zwei Souveränen. Zwei souveräne Gewalten aber können nicht gleichzeitig nebeneinander in einem Staate wirken. Der Kampf zwischen ihnen muß durch materielle Gewalt entschieden werden. Marx legte die grundlegenden klassenmäßigen Wurzeln dieses Kampfes frei. Er zeigt, daß dies „kein politischer Konflikt zweier Fraktionen auf dem Boden einer Gesellschaft", sondern der „Konflikt zweier Gesellschaften selbst, ein sozialer Konflikt" war, „der eine politische Gestalt angenommen hatte". Es war ein Kampf zwischen der Krone als Repräsentant „der alten, feudal-bürokratischen Gesellschaft" und der Nationalversammlung als Vertreterin „der modernen bürgerlichen Gesellschaft". Marx wies die Beschuldigungen gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten zurück und legte dar, daß die Steuerverweigerung ein natürliches und gesetzliches Mittel der Selbstverteidigung des Volkes war, daß das Volk das Recht hatte, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Marx verteidigt konsequent und entschieden die Souveränität des Volkes, sein Recht auf Revo
lution, sein Recht, in den Lauf der Geschichte aktiv einzugreifen: „Wenn die Krone eine Kontrerevolution macht, so antwortet das Volk mit Recht durch eine Revolution." Die Rede von Marx im Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten wie auch seine und Engel's Rede im Prozeß gegen die „Neue Rheinische Zeitung" sind glänzende Beispiele dafür, wie die Gerichtstribüne zur Propagierung revolutionärer Ideen, zur Entlarvung der Behörden, zur Enthüllung der konterrevolutionären Pläne ausgenutzt werden kann. In ihren Reden im Prozeß gegen die „Neue Rheinische Zeitung" verteidigen sie die Rechte der revolutionären Presse, deren erste Aufgabe sie darin sahen, die Grundlagen der bestehenden reaktionären politischen Ordnung zu untergraben. Nach dem konterrevolutionären Staatsstreich in Preußen festigte sich ihre Meinung darüber, daß sich das Schicksal der europäischen Revolution nicht in dem ökonomisch zurückgebliebenen Deutschland, sondern in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern des damaligen Europas, in England und Frankreich, entscheiden werde. In einer Reihe von Artikeln — „Die revolutionäre Bewegung in Italien", „Die revolutionäre Bewegung" und anderen — untersucht Marx den Weg, den die europäische Revolution und Konterrevolution im Jahre 1848 gegangen war. Er weist wiederholt nach, daß die Juniniederlage der französischen Arbeiterklasse unvermeidlich die Niederlage ihres Gegners, der republikanischen französischen Bourgeoisie, nach sich zog. Gleichzeitig bedeutete die Niederlage der französischen Arbeiterklasse die Niederlage der Bourgeoisie und Bauernschaft in allen europäischen Ländern, in denen Kämpfe gegen den Feudalabsolutismus stattgefunden hatten. Die Niederlage der französischen Arbeiterklasse bedeutete weiterhin eine neue Unterjochung der geknechteten und unterdrückten Nationen, die auf die Februarrevolution mit dem Kampf um die nationale Unabhängigkeit geantwortet hatten. Marx betont damit, daß das Schicksal der europäischen Revolution eng mit dem Schicksal der fortgeschrittensten Klasse, des Proletariats, verknüpft ist. Bei der Betrachtung der europäischen Revolution kommt Marx zu folgendem Schluß: „Die Hauptfrucht der revolutionären Bewegung von 1848 ist nicht das, was die Völker gewonnen, sondern das, was sie verloren haben — der Verlust ihrer Illusionen." (Siehe vorl. Band, S. 138.) Alle Illusionen der Februar- und der Märzrevolution, reich an Träumen, guten Absichten und schönen Worten, wurden erbarmungslos durch den zielstrebigen Verlauf der Geschichte, durch die Grausamkeiten der Konterrevolution zerstört. Marx ruft das Volk auf, daraus die richtigen Lehren zu ziehen und sie furchtlos bei den noch bevorstehenden Kämpfen einzuwenden, .
Alle Artikel von Marx und Engels, die nach dem konterrevolutionären Staatsstreich in Preußen geschrieben wurden, zeugen von der Hoffnung auf eine unmittelbar bevorstehende siegreiche proletarische Revolution in Frankreich, die zu einem neuen revolutionären Aufschwung in den Ländern Europas, darunter auch in Deutschland, geführt hätte. Dieser neue Aufschwung, so hofften Marx und Engels, sollte in Deutschland zur Vollendung der bürgerlichdemokratischen Revolution und zum Ubergang zur proletarischen Revolution führen. Dieser Gedanke, daß die bürgerlich-demokratische Revolution das Vorspiel für die sozialistische Revolution ist, wurde von den Begründern des Marxismus in der Theorie der Revolution in Permanenz auf Grund der Erfahrungen von 1848/49 entwickelt und formuliert. Als den Hauptfeind der proletarischen Revolution in Frankreich sah Marx das bürgerliche England an, ein Land, „das ganze Nationen in seine Proletarier verwandelt, das mit seinen Riesenarmen die ganze Welt umspannt hält". Marx war zu dieser Zeit der Meinung, daß das alte England nur durch einen Weltkrieg so verändert werden könne, daß die Bedingungen für einen siegreichen Aufstand der Chartisten, der Partei des englischen Proletariats, geschaffen wären. Der Artikel „Die revolutionäre Bewegung", der die Schlußfolgerungen aus der europäischen Revolution von 1848 zieht, endet mit dem Satz: „Revolutionäre Erhebung der französischen Arbeiterklasse, Weltkrieg— das ist die Inhaltsanzeige des Jahres 1849." (Siehe vorl. Band, S. 150.) Wie Engels später nachweist, haben Marx und er bei der Beurteilung der Perspektiven für die europäische Revolution von 1848/49 in einem gewissen Grade die Reife der ökonomischen Entwicklung der Länder des europäischen Kontinents überschätzt. Daraus entstand die Vorstellung, daß die sozialistische Revolution in diesen Ländern unmittelbar vor der Tür stände. Marx und Engels, die die größte Hoffnung auf die revolutionäre initiative des französischen Proletariats setzten, verfolgten gleichzeitig mit nicht nachlassender Aufmerksamkeit den Verlauf des Kampfes in den anderen europäischen Ländern. Sie unterstützten lebhaft den Kampf der unterdrückten Völker um ihre Freiheit. In einer Reihe von Artikeln verteidigten Marx und Engels die Unabhängigkeit Polens. Sie maßen dem Befreiungskampf des polnischen Volkes für die europäische Demokratie große Bedeutung zu. In den Artikeln „Die revolutionäre Bewegung in Italien", „Die Proklamation der Republik in Rom", „Der Krieg in Italien und Ungarn", „Die Niederlage der Piemontesen" sprachen Marx und Engels mit wärmster Anteilnahme von dem Kampf des italienischen Volkes um seine Befreiung. Die Hauptursachen seiner Niederlagen sahen sie in der verräterischen Politik der Piemonteser Monarchie. „Gegen Verrat und Feigheit der Regierung", schrieb
Engels, „gibt es nur ein Mittel: die Revolution." (Siebe vorl. Band, S. 384.) Anstatt den Österreichern lediglich die regulären Truppen entgegenzustellen und sich auf die herkömmliche Kampfesweise zu beschränken, mußte das italienische Volk, wie Engels schrieb, zur Massenerhebung übergehen, einen revolutionären, echt nationalen Guerillakrieg führen, um für immer mit dem österreichischen Joch Schluß zu machen. Einige Artikel dieses Bandes — „Der magyarische Kampf", „Die »Kölnische Zeitung* über den magyarischen Kampf", „Der Krieg in Italien und Ungarn", „Ungarn" - sind der ungarischen Revolution gewidmet. Mit großer Aufmerksamkeit und Sympathie verfolgten Marx und Engels den revolutionären Kampf des ungarischen Volkes gegen die reaktionäre Monarchie Habsburg. Bei der Untersuchung des Verlaufs der Kampfhandlungen in Ungarn hob Engels hervor, daß die Führer der ungarischen Revolution eine Reihe von Maßnahmen durchführten, die der Revolution die Unterstützung der Bauernschaft sicherten. Er betonte den Volkscharakter, den Partisanencharakter des ungarischen Krieges und würdigte die entschlossenen revolutionären Kampfmethoden, die die Regierung Kossuth gegenüber dem Feind ergriff. Marx und Engels betrachteten die nationale Frage als Bestandteil des allgemeinen Problems der europäischen Revolution. Ausgehend davon, in wessen Interesse die nationale Bewegung dieses oder jenes Volkes geführt wurde, wessen Waffe sie objektiv darstellte, unterschieden sie zwischen revolutionären und konterrevolutionären Völkern. Zu den revolutionären Völkern zählten sie die Polen, die Ungarn und die Italiener. Ihr Kampf begünstigte die Schwächung der wichtigsten reaktionären Staaten des damaligen Europas — Rußlands, Preußens und Österreichs. Im Sommer 1848 verfolgten Marx und Engels mit warmer Anteilnahme die nationale Bewegung der Tschechen, insbesondere den Prager Aufstand. Nach der Niederschlagung dieses Aufstands gewannen jedoch in der Bewegung der slawischen Völker, die an den Grenzen Österreichs lebten, reaktionäre bürgerlich-junkerliche Elemente die Oberhand. Dadurch wurde es der Monarchie Habsburg und dem russischen Zarismus möglich, diese Völker für die Niederschlagung der Revolution in Deutschland und Ungarn auszunutzen. Im Zusammenhang mit der Veränderung des Inhalts und des objektiven Charakters der nationalen Bewegung dieser slawischen Völker schätzten Marx und Engels sie als konterrevolutionär ein. Bei der Einschätzung der Position von Marx und Engels zur nationalen Frage in den Jahren 1848/49 schrieb Lenin, daß dieser Standpunkt der einzig richtige gewesen sei, „denn im Jahre 1848 waren ebenso historische wie politische Gründe da, um zwischen Reaktionären' und revolutionär-demokratischen Nationen zu unterscheiden. Marx hatte recht, als er die ersten ver
urteilte und für die zweiten Partei ergriff. Das Selbstbestimmungsrecht ist eine der Forderungen der Demokratie, die natürlich den Gesamtinteressen der Demokratie untergeordnetseinmuß. Inden Jahren 1848 und den folgenden forderten diese Gesamtinteressen in erster Linie den Kampf gegen den Zarismus." (W.I.Lenin, Werke, Bd. 22, S. 139, russ.) In den Artikeln „Der magyarische Kampf" und „Der demokratische Panslawismus" tritt Engels gegen jede Form der nationalistischen Ideologie auf wie Pangermanismus und Panslawismus. Neben der richtigen historischen Einschätzung der Bewegung in den zu Österreich gehörenden slawischen Ländern als einer Bewegung, die in dieser Zeit den Interessen der deutschen und der europäischen Revolution widersprach, gibt es jedoch in den Artikeln von Engels einige irrige Thesen über das historische Schicksal dieser Völker. Engels vertritt die Ansicht, daß diese Völker im weiteren Verlauf der historischen Entwicklung nicht mehr in der Lage wären, eine progressive Rolle zu spielen und daher als selbständige Völker zum Untergang verurteilt seien. In diesen Artikeln wird auch die Unterwerfung einer Reihe slawischer Völker durch die Deutschen einseitig als ein progressiver Prozeß dargestellt, der eine Ausbreitung von Kultur und Zivilisation mit sich brachte. Diese Behauptung widerspricht dem Bild der räuberischen Eroberungspolitik Deutschlands im Osten Europas, das Engels selbst in anderen Schriften (in der Artikelserie „Die Polendebatte in Frankfurt", Band 5 unserer Ausgabe, sowie in dem Artikel „Posen" im vorl. Band, S. 448-451) aufzeichnete. Die Ansicht von Engels über die historische Zukunft der zum österreichischen Imperium gehörenden Slawen hing mit seiner Vorstellung über die Rolle der kleinen Völker im geschichtlichen Prozeß zusammen. Engels vertrat die Meinung, daß im weiteren Verlauf der historischen Entwicklung, deren Grundtendenz die Zentralisierung sei, die kleinen Völker ihre Selbständigkeit verlieren und von den großen und lebensfähigeren Nationen absorbiert würden. Als Beispiel führte Engels die Gälen in Schottland, die Bretonen in Frankreich und die Basken in Spanien an. Von diesem Standpunkt beurteilte Engels auch die Eroberung eines Teils von Mexiko durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Einschätzung des Schicksals der kleinen Völker durch Engels berücksichtigt jedoch nicht, daß dem Kapitalismus nicht nur die Tendenz der Zentralisierung, sondern auch die des Kampfes der kleinen Völker um ihre Unabhängigkeit und ihres Strebens nach Schaffung eines eigenen Staatswesens innewohnt. Die irrigen Ansichten von Engels über die historische Rolle einiger slawischer Völker erklären sich auch daraus, daß sich in den Jahren 1848/49 die marxistische Erforschung der nationalen Frage noch im Anfangsstadium befand und die Erfahrungen aus der nationalen Bewegung der kleinen Völker noch
verhältnismäßig gering waren. Es müssen aber auch die Vorbehalte hervorgehoben werden, die Engels selbst hinsichtlich des Schicksals dieser slawischen Völker in seinen Artikeln macht. Engels sagt: „Hätten die Slawen zu irgendeiner Epoche innerhalb ihrer Unterdrückung eine neue revolutionäre Geschichte begonnen, so bewiesen sie schon dadurch ihre Lebensfähigkeit. Die Revolution hatte von dem Augenblick an ein Interesse an ihrer Befreiung, und das besondre Interesse der Deutschen und Magyaren verschwand vor dem größeren Interesse der europäischen Revolution." (Siehe vorl. Band, S. 279/280.) Die Entwicklung der slawischen Völker, die zu Osterreich gehörten, hat in den hundert Jahren, die seit der Einschätzung durch Engels vergangen sind, überzeugend bewiesen, daß sie lebensfähig und stark genug sind, sich Freiheit und Unabhängigkeit zu erkämpfen, erfolgreich ihren eigenen Staat zu errichten und den Sozialismus aufzubauen. Marx und Engels untersuchten in der „Neuen Rheinischen Zeitung" systematisch und eingehend den Kampf zwischen den revolutionären und konterrevolutionären Kräften in den verschiedenen europäischen Ländern. Gleichzeitig analysierten sie mit großer Aufmerksamkeit den Verlauf der Ereignisse nach dem konterrevolutionären Staatsstreich in Preußen. Die Hauptaufgabe der deutschen Demokratie sahen sie darin, Schritt um Schritt ihre noch verbliebenen Positionen mit Hilfe der Presse, der Volksversammlungen und des Parlamentes zu erhalten. In den Artikeln „Drei neue Gesetzentwürfe", „Der Hohenzollernsche Gesamtreformplan" und „Der Hohenzollersche Preßgesetzentwurf" werden die von der Regierung Manteuffel eingebrachten Gesetzentwürfe scharf kritisiert, die - eine würdige Ergänzung zu der am 5.Dezember 1848 vom König erlassenen oktroyierten Verfassung - das Land in die patriarchalische Barbarei der altpreußischen Gesetzgebung zurückführen sollten. In den Artikeln „Der Adreßentwurf der zweiten Kammer", „Die Adreßdebatte in Berlin", „Die Sitzung der zweiten Kammer in Berlin vom 13. April" und „Die Debatte über das Plakatgesetz" befaßte sich Engels kritisch mit der Tätigkeit der Zweiten Kammer. Zu den Debatten in der Zweiten Kammer stellte Engels mit Empörung fest, daß die Abgeordneten der Kammer, darunter auch die Vertreter der äußersten Linken, statt offen für die demokratischen Rechte des Volkes einzutreten, der parlamentarischen Anpasserei zuliebe eine Konzession nach der anderen machten. Engels warf den Führern der kleinbürgerlichen Demokratie, diesen „neugebackenen Tribünenrittern", vor, daß sie durch parlamentarische Methoden das zu erreichen hofften, was nur mit revolutionären Methoden, mit Waffengewalt erreicht werden kann. Marx und Engels kritisieren scharf den bürgerlichen
Parlamentarismus und erläutern gleichzeitig die Taktik der revolutionären Parlamentsabgeordneten, deren wichtigste Aufgabe die organische Verbindung der parlamentarischen Tätigkeit mit dem außerparlamentarischen Kampf der Volksmassen ist. Die Tätigkeit von Marx und Engels in den Jahren 1848/49 war unlösbar mit dem revolutionären Kampf der Massen verbunden. Im Frühjahr 1848, als Marx und Engels nach Deutschland kamen, war das Proletariat noch zersplittert und sein Bewußtsein schwach entwickelt. Der Bund der Kommunisten hatte eine geringe Zahl von Mitgliedern und war organisatorisch schwach. Unter diesen Umständen war die einzig richtige Taktik des Proletariats die aktive Teilnahme an der bürgerlichen Revolution auf dem äußersten linken Flügel der demokratischen Bewegung. Marx, Engels und ihre Anhänger traten demokratischen Organisationen bei, in denen sie die Position des revolutionären Proletariats konsequent verteidigten und keinerlei grundsätzliche Zugeständnisse an die kleinbürgerlichen Demokraten machten, sondern deren Unentschlossenheit und Inkonsequenz kritisierten und sie zu entschlossenen Handlungen drängten. Die Arena der politischen Tätigkeit von Marx und Engels war neben der „Neuen Rheinischen Zeitung" und der Kölner Demokratischen Gesellschaft der Kölner Arbeiterverein, um das Klassenbewußtsein und die Organisiertheit der Arbeiter in Köln und darüber hinaus in der ganzen Rheinprovinz zu heben. Im Verlauf der Revolution wuchs das politische Bewußtsein und die Aktivität der deutschen Arbeiter. Sie erkannten immer klarer ihre eigenen Klassenziele und machten sich von dem Einfluß der kleinbürgerlichen Demokraten frei. Die Kampferfahrungen hatten gelehrt, daß in der entscheidenden Schlacht gegen die Konterrevolution die Führer der kleinbürgerlichen Demokratie keine zuverlässigen Bundesgenossen sind. Daher begannen Marx, Engels und ihre Anhänger an der Bildung einer selbständigen politischen Organisation des Proletariats zu arbeiten, ohne dabei auf eine Zusammenarbeit mit den Demokraten in einer Reihe allgemein politischer Fragen zu verzichten (z.B. bei den Wahlen zur Zweiten Kammer). Um eine solche Organisation schaffen zu können, wurde eine Reihe von Maßnahmen zur Reorganisierung und Festigung des Kölner Arbeitervereins durchgeführt. Diese Maßnahmen wurden im harten Kampf gegen die spalterische Fraktionstätigkeit Gottschalks und seiner Anhänger durchgesetzt. (Siehe z.B. den Beschluß der 1 .Filiale des Kölner Arbeitervereins in den Beilagen zum vorl. Band, S. 585-587.) Im Frühjahr 1849, als sich der Klassenkampf in Deutschland verschärfte, der Revolutionskrieg in Ungarn begann und die revolutionäre Bewegung in
Frankreich einen neuen Aufschwung nahm, wurde eine selbständige Organisation des Proletariats besonders notwendig. Die fortschrittlichsten, bewußtesten Kräfte der deutschen Arbeiterklasse verstanden und unterstützten den Schritt von Marx, Engels und ihren Anhängern, als sie am 14. April 1849 aus dem Rheinischen Kreisausschuß der demokratischen Vereine austraten und auf diese Weise organisatorisch mit den Führern der kleinbürgerlichen Demokratie brachen. (Siehe vorl. Band, S. 426.) Der von Marx und Engels geführte Kölner Arbeiterverein beschloß, aus dem Verbände der demokratischen Vereine Deutschlands auszutreten und sich dem Verband der deutschen Arbeitervereine anzuschließen. Obwohl Marx und Engels organisatorisch mit der kleinbürgerlichen Demokratie gebrochen hatten, lehnten sie jedoch weitere gemeinsame Aktionen mit ihr gegen den gemeinsamen Feind nicht ab. Die veränderte Taktik, die Marx und Engels ein Jahr nach dem Beginn der Märzrevolution verfolgten, gründete sich auf die Veränderungen im Kräfteverhältnis der Klassen, die in Deutschland vor sich gegangen waren und auf Veränderungen im Bewußtsein der deutschen Arbeiter, wozu die „Neue Rheinische Zeitung", die immer offener als Organ des revolutionären Proletariats in Erscheinung trat, viel beigetragen hatte. In einer Reihe von Artikeln — „Ein Bourgeoisaktenstück", „Montesquieu LVI.", „Die .Kölnische Zeitung* über die Wahlen" — zeigt Marx an konkreten Tatsachen die schonungslose Grausamkeit der preußischen Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern. Er entlarvt ihre heuchlerischen Versuche, mit dem Proletariat zu liebäugeln, und ihre demagogischen Wahlversprechungen, mit einem Schlage die „soziale Frage" zu lösen. Marx polemisiert gegen die konfusen theoretischen Erörterungen der „Kölnischen Zeitung" zur „sozialen Frage" und deckt ihren wahren Klassencharakter auf. Er beweist, daß das Proletariat, die Kleinbourgeoisie und die Bauernschaft nicht - wie die Bourgeoisie hoffte - für die vom König oktroyierte Verfassung eintreten, sondern daß diese Klassen ein der Errichtung einer demokratischen Republik interessiert sind - einer Staatsform, die ihnen größere Möglichkeiten zur Vertretung ihrer Interessen gibt. „Sind nicht gerade diese Klassen die radikalsten, die demokratischsten der ganzen Gesellschaft? Ist nicht das Proletariat gerade die spezifisch rote Klasse?" (Siehe vorl. Band, S. 217.) Die Losung von Marx und Engels, den Kampf um eine einheitliche demokratische deutsche Republik zu führen, bedeutete nicht nur die Liquidierung der überlebten Formen der politischen Ordnung, der Herrschaft der reaktionären Junkerklasse, sondern auch die revolutionäre Lösung der Frage der Vereinigung Deutschlands und die Beseitigung der jahrhundertealten Zer
splitterung des Landes, die einer progressiven ökonomischen und politischen Entwicklung im Wege stand. Wie bereits in einigen früheren Artikeln lehnten Marx und Engels entschieden die Vereinigungspläne Deutschlands „von oben" unter Führung einer der feudalen Monarchien - Österreichs oder Preußens - ab (siehe den Artikel „Die Frankfurter Versammlung"). Gleichzeitig kämpften die Begründer des Marxismus auch gegen die süddeutschen kleinbürgerlichen Republikaner, die Deutschland in eine Bundesrepublik nach dem Muster der Schweiz verwandeln wollten. In den Artikeln, die Engels während seiner Emigration in der Schweiz schrieb - „Das Exfürstentum", „Die neuen Behörden - Fortschritte in der Schweiz", „Wahlen für das Bundesgericht", „Die Persönlichkeiten des Bundesrats", „Der Nationalrat", „Die Schweizer Presse" -, gibt er Genrebilder vom politischen Leben dieses Landes. Die Schweiz war ebenso das Musterbeispiel für die bürgerliche Bundesrepublik, wie Belgien als das Musterland der bürgerlichen Monarchie galt. Engels unterstreicht die lokale, karitongebundene Beschränktheit des politischen Lebens der damaligen kleinbürgerlichen Schweiz, die für die Mehrheit ihrer Politiker charakteristischen Vorurteile, den engen Gesichtskreis, die Kleinigkeitskrämerei und die Borniertheit. Marx und Engels wiesen die kleinbürgerlichen Pläne, Deutschland in eine Bundesrepublik nach dem Schweizer Muster zu verwandeln, entschieden zurück. Sie zeigten, daß die Besonderheiten der sozial-ökonomischen und politischen Entwicklung in Deutschland dringend die Liquidierung der Zersplitterung des Landes, des Partikularismus, der Unzahl der kleinen Staaten erforderte und die Schaffung einer einheitlichen demokratischen deutschen Republik auf der Tagesordnung stand. Marx und Engels betonten, daß das revolutionäre Deutschland seine Freiheit und Unabhängigkeit nicht nur im Kampf gegen die inneren, sondern auch gegen die äußeren Feinde verteidigen muß, und zwar in erster Linie gegen die Hauptkräfte der europäischen Konterrevolution — das bürgerliche England und das feudal-absolutistische Rußland. Marx und Engels bewiesen, daß der russische Zarismus das Hauptbollwerk der feudal-monarchistischen Reaktion in Europa war, ohne dessen Zerschlagung der Sieg der europäischen Revolution und eine wirkliche Vereinigung Deutschlands unmöglich ist. Als das Haupthindernis für die Vereinigung Deutschlands im Innern bezeichneten Marx und Engels die reaktionäre preußische Monarchie der Hohenzollern, die die Hochburg der alten, überlebten Kräfte der Feudalgesellschaft war. In den Artikeln „Die Taten des Hauses Hohenzollern", „Die neue preu
ßische Verfassung", „Die neue Standrechts-Charte", „An mein Volk" u.a. geben sie ein lebendiges Bild von der Geschichte des Aufstiegs der herrschenden preußischen Dynastie mit Hilfe räuberischer Eroberungen, Verrat und Gewalttätigkeit und ihrer schändlichen Rolle als Würger der Befreiungsbewegung des Volkes. Ein anderes Hindernis bei der Vereinigung Deutschlands war das feudalabsolutistische Osterreich. Solange das Reich der Habsburger existierte, konnte weder von einer Befreiung der unterjochten Völker noch von der Errichtung einer wirklich demokratischen Ordnung in ganz Deutschland die Rede sein. Marx und Engels kritisierten weiter die deutsche Nationalversammlung, die den Kräften der Konterrevolution in Deutschland gegenüber Nachsicht übte, anstatt energisch mit ihnen Schluß zu machen. Die Abgeordneten des „Frankfurter Froschteiches" beschäftigten sich mit philisterhaftem Professorengeschwätz über die Grundrechte des deutschen Volkes und entzogen ihm dabei sein ureigenstes Grundrecht — das Recht auf Aufstand (siehe die Artikel „Die Frankfurter Versammlung", „Der Bericht des Frankfurter Ausschusses über die östreichischen Angelegenheiten", „Wien und Frankfurt", „Der preußische Fußtritt für die Frankfurter"). Als die Frankfurter Nationalversammlung schließlich die Ausarbeitung der deutschen Reichsverfassung beendet hatte, erwies sie sich als ein wertloses Stück Papier, da die deutschen Fürsten diese Verfassung nicht akzeptierten. Im Frühjahr 1849 brachen in der Rheinprovinz und anderen Gebieten Westdeutschlands Volksaufstände zur Verteidigung der Reichsverfassung aus. Marx und Engels unterstützten diese Bewegung, obwohl ihre Ziele begrenzt waren. Den Massencharakter, den diese Bewegung angenommen hatte, erklärten sie damit, daß „das Volk ... in jedem, wenn auch noch so lumpigen Schritt näher zur Einigung Deutschlands einen Schritt näher zur Beseitigung der kleinen Fürsten und zur Befreiung von der drückenden Steuerlast" sieht (siehe vorl. Band, S. 460). In den Spalten der „Neuen Rheinischen Zeitung" begrüßten Marx und Engels den Kampf der Volksmassen, in dem die Arbeiter eine bedeutende Rolle spielten. Engels nahm an dem Aufstand in Elberfeld aktiv teil (siehe den Artikel „Elberfeld"). Die mutige und unversöhnliche Haltung der „Neuen Rheinischen Zeitung", die den revolutionären Kampf der Massen leitete, führte dazu, daß diese von Anfang an von der preußischen Regierung und den Gerichtsbehörden verfolgt wurde. Gegen die Redakteure der Zeitung wurden zahlreiche Prozesse geführt. Der Prozeß gegen die „Neue Rheinische Zeitung" vom 7. Februar 1849 und der Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß
II Marx/Engels, Werke, Bd. 6
vorn 8. Februar 1849 nahmen jedoch einen für die preußische Regierung unerwünschten Verlauf. Die anklagenden Reden von Marx und Engels, vom anwesenden Publikum mit Begeisterung aufgenommen, führten zu ihrem Freispruch durch das Geschworenengericht und hatten zur Folge, daß die Popularität der Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung" gewaltig anwuchs. Die preußische Regierung ließ von ihrem Plan, die „Neue Rheinische Zeitung" auf diese oder jene Weise zum Schweigen zu bringen, nicht ab. Im Mai 1849, nachdem die isolierten Erhebungen in der Rheinprovinz gescheitert waren, ordnete die preußische Regierung die Ausweisung von Marx aus Preußen an, weil er keine preußischen Bürgerrechte besaß. Die Repressalien der Polizei gegen Marx und die anderen Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung" führten dazu, daß das Erscheinen der Zeitung am 19.Mai 1849 eingestellt werden mußte. In der letzten, mit roten Lettern gedruckten Nummer hielten Marx und Engels noch einmal Rückschau auf den ruhmreichen revolutionären Kampf der Zeitung und hoben besonders ihren proletarischen Internationalismus hervor: „... die Seele der Junirevolution"' war „die Seele ttnsrer Zeitung/" Der proletarische Internationalismus verband sich in der Zeitung organisch mit der Verteidigung der wahren nationalen Interessen des deutschen Volkes. Die Redaktion der Zeitung konnte mit vollem Recht sagen: „Wir haben die revolutionäre Ehre unsres heimischen Bodens gerettet." In der Abschiedsbotschaft „An die Arbeiter Kölns" erklärten die Redakteure der Zeitung: „Ihr letztes Wort wird überall und immer sein: Emanzipation der arbeitenden Klasse/" (Siehe vorl. Band, S. 519.) Einen besonderen Platz nehmen im vorliegenden Band zwei ökonomische Arbeiten von Marx ein - „Lohnarbeit und Kapital" und das mit dieser Schrift im engen Zusammenhang stehende Manuskript „Arbeitslohn". Der Schrift „Lohnarbeit und Kapital", die im April 1849 als Leitartikelserie in der „Neuen Rheinischen Zeitung" veröffentlicht wurde, lagen Lektionen zugrunde, die Marx im Dezember 1847 im Deutschen Arbeiterbildungsverein in Brüssel gelesen hatte. Mit der Veröffentlichung dieser Arbeit stellte sich Marx die Aufgabe, die ökonomischen Verhältnisse zu umreißen, die in der kapitalistischen Gesellschaft die materielle Grundlage für den Klassenkampf bilden. Er wollte dem Proletariat eine theoretische Waffe in die Hand geben zum tiefen wissenschaftlichen Verständnis dessen, worauf sich in der kapitalistischen Gesellschaft die Klassenherrschaft der Bourgeoisie und die Lohnsklaverei der Arbeiter begründeten. Im Unterschied zu der Arbeit „Das Elend der Philosophie", wo Marx seine ökonomischen Ansichten in polemischer Form darlegt, ist „Lohnarbeit und Kapital" systematisch auf
gebaut und populär, für die Arbeiter verständlich geschrieben. Im Vergleich zum „Elend der Philosophie" bedeutet „Lohnarbeit und Kapital" einen Schritt vorwärts in der Ausarbeitung der marxistischen ökonomischen Lehre. In der Schrift „Lohnarbeit und Kapital" deckt Marx das Wesen der Produktionsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaftsordnung auf, die auf der Ausbeutung der Arbeitskraft der Lohnarbeiter beruht. Er zeigt, daß Kapital und Lohnarbeit einander bedingen. Gleichzeitig hebt er mit aller Deutlichkeit den antagonistischen Charakter dieses Verhältnisses hervor. Im Gegensatz zu den Leuten, die von Harmonie zwischen Arbeit und Kapital predigen, legt Marx die unüberbrückbare Gegensätzlichkeit ihrer Interessen bloß. Marx, der alle ökonomischen Kategorien historisch untersucht, definiert das Kapital als „bürgerliches Produktionsverhältnis", als „Produktionsverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft" (siehe vorl. Band, S. 408). In dieser Arbeit entwickelt Marx die Grundgedanken zur Ausarbeitung seiner Mehrwertstheorie weiter. Er kommt dabei zu dem Schluß, daß das Wachstum des Kapitals, die Entwicklung der Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft, die Entwicklung der Technik und die breite Anwendung von Maschinen zur verstärkten Ausbeutung und zur Verschärfung des Elends und der Armut der Klasse führt, die die materiellen Reichtümer produziert. So formuliert Marx in dieser Arbeit in allgemeiner Form die Lehre von der relativen und absoluten Verelendung der Arbeiterklasse im Kapitalismus als eine der wichtigsten Lehren der marxistischen politischen Ökonomie. In der vorliegenden Ausgabe wird die Schrift „Lohnarbeit und Kapital" in der Fassung gebracht, wie sie in der „Neuen Rheinischen Zeitung" veröffentlicht wurde. Engels weist darauf hin, daß Marx in dieser Zeit seine Kritik der bürgerlichen politischen Ökonomie noch nicht abgeschlossen hatte. Das geschah erst Ende der fünfziger Jahre. Deshalb enthält seine Arbeit „Lohnarbeit und Kapital" Formulierungen und einige Thesen, die vom Standpunkt seiner späteren Arbeiten unbefriedigend oder sogar unrichtig sind. Bei der Herausgabe dieser Arbeit für einen breiten Leserkreis im Jahre 1891 nahm Engels eine Reihe Veränderungen vor, die in der vorliegenden Ausgabe durch Fußnoten vermerkt sind. Diese Veränderungen beziehen sich auf einen Punkt: Der Arbeiter verkauft nicht seine Arbeit, wie es im alten Text von „Lohnarbeit und Kapital" heißt, sondern seine Arbeitskraft. Bei dieser Änderung geht es nicht nur um Worte, wie Engels schrieb, sondern um einen der wichtigsten Punkte der ökonomischen Theorie, dessen Nichtverstehen die klassische politische Ökonomie in eine Sackgasse geführt hat. Den Ausweg aus dieser Sackgasse fand Marx. Wie Engels im Vorwort zum zweiten Band Ii*
des „Kapital" schreibt, wies Marx nach, daß es nicht die Arbeit ist, „die einen Wert hat. Als wertschaffende Tätigkeit kann sie ebensowenig einen besondren Wert haben, wie die Schwere ein besondres Gewicht, die Wärme eine besondre Temperatur, die Elektrizität eine besondre Stromstärke. Es ist nicht die Arbeit, die als Ware gekauft und verkauft wird, sondern die Arbeitskraft. Sobald sie Ware wird, richtet sich ihr Wert nach der in ihr, als einem gesellschaftlichen Produkt, verkörperten Arbeit, ist er gleich der zu ihrer Produktion und Reproduktion gesellschaftlich nötigen Arbeit." Die Ware Arbeitskraft besitzt eine besondere Eigenschaft — sie schafft den Wert, sie ist die Quelle des Wertes, wobei der von ihr geschaffene Wert größer ist als der, den sie selbst besitzt. Den so vom Arbeiter geschaffenen Mehrwert eignet sich der Kapitalist an. Mit der Lehre über den Mehrwert, die Ende der fünfziger Jahre entstand und die im „Kapital" ihre klassische Darlegung gefunden hat, enthüllt Marx das Geheimnis der kapitalistischen Ausbeutung. Das mit der Schrift „Lohnarbeit und Kapital" eng zusammenhängende Manuskript „Arbeitslohn" ist allem Anschein nach ein Konspekt für den letzten von Marx in Brüssel gelesenen Lektionszyklus. Dieses Manuskript, das fragmentarischen Charakter trägt und von Marx nicht für den Druck bestimmt war, ist trotzdem von großer Bedeutung, da es in vieler Beziehung die Schrift „Lohnarbeit und Kapital" ergänzt. Die Bemerkungen zu den notwendigen Veränderungen, die Engels im Jahre 1891 in der Einführung zu „Lohnarbeit und Kapital" macht, können gleichzeitig auch auf dieses Manuskript bezogen werden. In dieser Arbeit untersucht Marx den Einfluß des Wachstums der Produktivkräfte auf den Arbeitslohn und kommt zu dem Schluß, daß der in Maschinen und Rohstoffen investierte Teil des Kapitals bedeutend schneller wächst als der Teil, der zum Unterhalt der Arbeiter verwandt wird. Obwohl die Begriffe konstantes und variables Kapital hier noch nicht formuliert sind, kommt Marx hier bereits der später von ihm ausgearbeiteten Lehre über die organische Zusammensetzung des Kapitals außerordentlich nahe. Marx zieht den Schluß, daß unter den Bedingungen des Kapitalismus jede Entwicklung der Produktivkräfte zu einer Waffe gegen die Arbeiter wird. Großes Interesse verdient die Kritik, die Marx an den verschiedenen Projekten zur Erleichterung der Lage der Arbeiter übte. Diese Projekte hatten das Ziel, vom Klassenkampf abzulenken; so z.B. die Schaffung von Sparkassen, die Einführung der industriellen Erziehung und schließlich die Theorie von Malthus, der behauptete, daß, entsprechend den Naturgesetzen, die Bevölkerung schneller wachse als die Existenzmittel. Er schlug vor, die Konkurrenz zwischen den Arbeitern durch Geburtenminderung zu verringern. Marx wid
met der Entlarvung „der ganzen Dummheit, Niederträchtigkeit und Heuchelei" der Malthus'sehen Doktrin besondere Aufmerksamkeit, - einer Doktrin, die gesellschaftliche Erscheinungen als Naturerscheinungen auffaßt, das Elend des Proletariats als dessen eigene Schuld betrachtet und es dafür bestrafen will. In einem weiteren Abschnitt behandelt Marx die Arbeiterassoziationen und würdigt sie als das Mittel, die Arbeiterklasse auf den Sturz der alten auf Klassengegensätzen beruhenden Gesellschaft vorzubereiten. Er analysiert das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit und deckt die Ausbeutung der Arbeiter auf, wobei er gleichzeitig die historisch progressive Rolle der Lohnarbeit, der Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft hervorhebt, ohne die die materiellen Mittel zur Befreiung des Proletariats und die Grundlagen der neuen Gesellschaft nicht geschaffen werden können und das Proletariat selbst nicht eine solche Entwicklungsstufe erreicht, in der es fähig wäre, die Revolution in der alten Gesellschaft zu Ende zu führen und sich selbst zu befreien. Am Schluß des Bandes werden Materialien und Dokumente veröffentlicht, die Marx und Engels nach der Einstellung der „Neuen Rheinischen Zeitung" von Mai bis Juli 1849 geschrieben haben. Es handelt sich um zwei Erklärungen an Zeitungsredaktionen sowie den Artikel von Engels „Die revolutionäre Erhebung in der Pfalz und in Baden" und den Artikel von Marx „Der 13.Juni", der sich mit der mißlungenen Aktion der kleinbürgerlichen Demokraten in Paris befaßt. Der Teil „Aus dem handschriftlichen Nachlaß" enthält außer dem Marxschen Manuskript „Arbeitslohn" zwei zur damaligen Zeit nicht veröffentlichte Artikel von Engels über die Lage in Frankreich am Vorabend der Präsidentenwahlen im Dezember 1848 — „Die französische Arbeiterklasse und die Präsidentenwahl" und „Proudhon". In den Beilagen zum Band wird eine Reihe Dokumente veröffentlicht, die ein Bild von der praktischen revolutionären Tätigkeit von Marx und Engels geben und zeigen, wie sie den Kampf der breiten Volksmassen lenkten. Unter diesen Dokumenten befinden sich Materialien über die Tätigkeit von Marx und Engels im Kölner Arbeiterverein sowie Mitteilungen über demokratische Bankette, an denen sie teilgenommen haben. Die Beilagen enthalten ferner Materialien über die Verfolgung von Marx und Engels durch die Gerichtsund Polizeibehörden. Diese Materialien geben ein Bild von der schwierigen und gespannten Lage, in der die „Neue Rheinische Zeitung" redigiert wurde, und zeigen, welche Arbeit Marx und Engels für die Organisierung und die politische Erziehung der Volksmassen leisteten.
Die im vorliegenden Band enthaltenen Schriften von Marx und Engels bieten reiches Material zur Erläuterung der theoretischen und taktischen Thesen, die von den Begründern des Marxismus im Laufe der Revolution von 1848/49 ausgearbeitet wurden.
Es wurde bereits im Vorwort zum fünften Band der Werke darauf hingewiesen, daß es sehr kompliziert ist, bei den Artikeln aus der „Neuen Rheinischen Zeitung" den genauen Verfasser zu ermitteln, da die Artikel ohne Unterschrift gebracht wurden, es bei Marx und Engels selbst nur sehr begrenzte Hinweise gibt und die handschriftlichen Originale fehlen. Außerdem tragen viele Artikel die Spur gemeinsamer Arbeit beider Autoren. In Fällen, wo es unmöglich war, den Verfasser - Marx oder Engels - festzustellen, fehlt in den redaktionellen Schlußnoten der Artikel der Hinweis auf den Verfasser. Überschriften, die im Original fehlten und vom Institut für MarxismusLeninismus zugefügt wurden, sind in eckige Klammern gesetzt.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU
Der Text des vorliegenden sechsten Bandes der deutschen Ausgabe wurde nach der „Neuen Rheinischen Zeitung", nach Originalen oder Photokopien überprüft. Bei jeder Arbeit ist die zum Abdruck herangezogene Quelle vermerkt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden ebenfalls überprüft, soweit die Originale zur Verfügung standen. Längere Zitate werden zur leichteren Übersicht in kleinerem Druck gebracht. Fremdsprachige Zitate und im Text vorkommende fremdsprachige Wörter sind in Fußnoten übersetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand der Wörter in den deutschsprachigen Texten wurde nicht verändert. Alle in eckigen Klammern stehenden Wörter und Wortteile stammen von der Redaktion; offensichtliche Druck- oder Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert. In Zweifelsfällen wurde in Fußnoten die Schreibweise des Originals angeführt.
Fußnoten von Marx und Engels sind durch Sternchen gekennzeichnet, Fußnoten der Redaktion durch eine durchgehende Linie vorn Text abgetrennt und durch Ziffern kenntlich gemacht. Zur Erläuterung ist der Band mit Anmerkungen versehen, auf die im Text durch hochgestellte Zahlen in eckigen Klammern hingewiesen wird; außerdem sind ein Personenverzeichnis, Daten über das Leben und die Tätigkeit von Marx und Engels, ein Literaturverzeichnis, eine Erklärung der Fremdwörter sowie ein Verzeichnis der Orte, die in der Landessprache eine andere Bezeichnung tragen, beigefügt. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED

KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS
November 1848-Juli 1849
1 Marx/Engels, Werke, Bd. 6

KARL MARX und
FRIEDRICH ENGELS
Artikel aus der „Neuen Rheinischen Zeitung"
9. November 1848 -19. Mai 1849

Die Berliner Krisis113
[„Neue Rheinische Zeitung"^ Nr. 138 vom 9. November 1848] * Köln, 8.November. Die Situation scheint sehr verwickelt; sie ist sehr einfach. Der König, wie die „Neue Preußische Zeitung"[3] richtig bemerkt, steht „auf der breitesten Grundlage" seiner „angestammten gottesgnadlichen" Rechte. Auf der andern Seite steht die Nationalversammlung auf gar keiner Grundlage, sie soll erst konstituieren, Grund legen. Zwei Souveräne! Das Mittelglied zwischen beiden ist Camphausen, die Vereinbarungstheone[4]. Sobald die beiden Souveräne sich nicht mehr vereinbaren können oder wollen, verwandeln sie sich in zwei feindliche Souveräne. Der König hat das Recht, der Versammlung, die Versammlung hat das Recht, dem Könige den Handschuh hinzuwerfen. Das größere Recht ist auf der Seite der größern Macht. Die Macht erprobt sich im Kampfe. Der Kampf erprobt sich im Siege. Beide Mächte können ihr Recht nur durch den Sieg bewähren, ihr Unrecht nur durch die Niederlage. Der König war bisher kein konstitutioneller König. Er ist ein absoluter König, der sich zum Konstitutionalismus entschließt oder nicht entschließt. Die Versammlung war bisher nicht konstitutionell, sie ist konstituierend. Sie hat bisher den Konstitutionalismus zu konstituieren gesucht. Sie kann von ihrer Sucht ablassen oder nicht ablassen. Beide, der König und die Versammlung, haben sich einstweilen der konstitutionellen Zeremonie gefügt. Die Forderung des Königs, ein ihm beliebiges Ministerium Brandenburg trotz der Kammermajorität zu bilden, ist die Forderung eines absoluten Königs.
Die Anmaßung der Kammer, dem Könige durch eine direkte Deputation die Bildung eines Ministeriums Brandenburg zu untersagen, ist die Anmaßung einer absoluten Kammer. Der König und die Versammlung haben gegen die konstitutionelle Konvention gesündigt. Der König und die Versammlung haben sich, jeder auf sein ursprüngliches Gebiet, zurückgezogen, der König bewußt, die Kammer unbewußt. Der Vorteil ist auf seiten des Königs. Das Recht ist auf der Seite der Macht. Die Rechtsphrase ist auf der Seite der Ohnmacht. Das Ministerium Rodbertus wäre die Null, worin Plus und Minus sich paralysieren.
Die Kontrerevolution in Berlin
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 141 vom 12. November 1848] * Köln, 11.November. Das Ministerium Pjuel war ein „Mißverständnis"; sein wirklicher Sinn ist das Ministerium Brandenburg. Das Ministerium Pfuel war die Inhaltsanzeige, das Ministerium Brandenburg ist der Inhalt. Brandenburg in der Versammlung und die Versammlung in Brandenburg}5^ So lautet die Grabschrift des Hauses Brandenburg!!61 Kaiser Karl V. wurde bewundert, weil er sich begraben ließ bei lebendigem Leibe.[7] Einen schlechten Witz in seinen Grabstein meißeln, das ist mehr als Kaiser Karl der Fünfte samt seiner Halsgerichtsordnung, der hochnotpeinlichen.[8] Brandenburg in der Versammlung und die Versammlung in Brandenburg! Es erschien einst ein König von Preußen in der Versammlung. Es war nicht der wirkliche Brandenburg. Der Marquis von Brandenburg, der vorgestern in der Versammlung erschien, war der wirkliche Preußenkönig. Die Wachtstube in der Versammlung, die Versammlung in der Wachtstube! — Das heißt: Brandenburg in der Versammlung, die Versammlung in Brandenburg! Oder wird die Versammlung in Brandenburg - Berlin liegt bekanntlich in der Provinz Brandenburg — Herr werden ... über den Brandenburg in der Versammlung? Wird Brandenburg in der Versammlung Schutz suchen wie Capet einst in einer andern Versammlung?t9 3 Brandenburg in der Versammlung und die Versammlung in Brandenburg ist ein vieldeutiges Wort, zweideutig, schicksalsschwanger. Die Völker werden bekanntlich mit den Königen unendlich leichter fertig als mit den gesetzgebenden Versammlungen. Die Geschichte besitzt einen Katalog vergeblicher Empörungen des Volkes gegen die Nationalversammlungen. Sie bietet nur zwei große Ausnahmsfälle. Das englische Volk zerstäubte das Lange Parlament in der Person Cromwells, das französische Volk den gesetz
gebenden Körper in der Person Bonapartes. Aber das Lange Parlament war lange schon zum Rumpfe geworden, der gesetzgebende Körper längst zum Kadaver. Sind die Könige glücklicher als die Völker in Erneuten gegen die gesetzgebenden Versammlungen? Karl L, Jakob II., Louis XVI., KarlX. sind wenig versprechende Ahnenbilder. Aber in Spanien, in Italien gibt es lachendere Vorfahren. Und jüngst in Wien? Doch man vergesse nicht, daß zu Wien ein Völkerkongreß saß und daß die slawischen Volksrepräsentanten, mit Ausnahme der Polen, mit klingendem Spiele in das kaiserliche Lager zogen.[10J Der Krieg der Wiener Kamarilla mit dem Reichstag war gleichzeitig der Krieg des slawischen Reichstags mit dem deutschen Reichstag. In der Berliner Versammlung dagegen machen nicht die Slawen Szission, sondern nur die Sklaven, und Sklaven, Sklaven sind keine Partei, sie sind höchstens der Troß einer Partei. Die ausgetretene Berliner Rechte[11] bringt keine Macht in das feindliche Lager, sie steckt es mit einer tödlichen Schwäche an, mit dem Verrat. In Ostreich hat die slawische Partei gesiegt mit der Kamarilla; sie wird jetzt kämpfen mit der Kamarilla um die Siegesbeute. Siegt die Berliner Kamarilla, so hat sie den Sieg nicht zu teilen mit der Rechten und geltend zu machen gegen die Rechte; sie wird ihr ein Trinkgeld geben und - Fußtritte. Die preußische Krone ist in ihrem Rechte, indem sie der Versammlung als absolute Krone gegenübertritt. Aber die Versammlung ist im Unrechte, weil sie der Krone nicht gegenübertritt als absolute Versammlung. Vor allem mußte sie die Minister als Hochverräter verhaften lassen, als Hochverräter gegen die Volkssouveränetät. Sie mußte jeden Beamten, der andern Befehlen als ihren Befehlen gehorcht, in die Acht erklären, für vogelfrei. Indes wäre es möglich, daß die politische Schwäche, womit die Nationalversammlung zu Berlin auftritt, zu ihrer bürgerlichen Kraft wird in den Provinzen. Die Bourgeoisie hätte so gern auf gütlichem Wege das feudale Königtum in ein bürgerliches Königtum verwandelt. Nachdem sie der feudalen Partei die ihren Bürgerstolz beleidigenden Wappen, Titel und die bürgerliche Aneignungsweise verletzenden, dem Feudaleigentume angehörigen Gefälle entrissen, hätte sie sich so gerne vermählt mit der Feudalpartei und gemeinsam mit ihr das Volk geknechtet. Aber die alte Bürokratie will nicht zur Dienerin einer Bourgeoisie herabsinken, deren despotische Schulmeisterin sie bisher
war. Die feudale Partei will ihre Auszeichnungen und ihre Interessen nicht auf dem Altar des Bürgertums auflodern lassen. Und die Krone endlich, sie erblickt in den Elementen der alten feudalen Gesellschaft, deren höchster Auswuchs sie ist, ihren wahren einheimischen gesellschaftlichen Boden, während sie in der Bourgeoisie eine fremde künstliche Erde erblickt, von der sie nur getragen wird, unter der Bedingung, zu verkümmern. Die berauschende „Gnade Gottes" verwandelt die Bourgeoisie in einen ernüchternden Rechtstitel, die Herrschaft des Bluts in die Herrschaft des Papiers, die königliche Sonne in eine bürgerliche Astrallampe. Das Königtum ließ sich daher nicht beschwatzen von der Bourgeoisie. Es antwortete ihrer halben Revolution mit einer ganzen Kontrerevolution. Es stürzte die Bourgeoisie zurück in die Arme der Revolution, des Volkes, indem es ihr zurief: Brandenburg in der Versammlung und die Versammlung in Brandenburg. Wenn wir gestehen, daß wir von dem Bürgertum keine der Situation angemessene Antwort erwarten, so dürfen wir nicht unterlassen, andererseits zu bemerken, daß auch die Krone in ihrem Aufstande gegen die Nationalversammlung zu heuchlerischer Halbheit ihre Zuflucht nimmt und ihr Haupt unter den konstitutionellen Schein versteckt, in demselben Augenblicke, wo sie diesen lästigen Schein abzustreifen sucht. Brandenburg läßt sich von der deutschen Zentralgewalt zu seinem Staatsstreiche den Befehl erteilen. Die Garderegimenter sind in Berlin eingezogen auf Befehl der Zentralgewalt. Die Berliner Kontrerevolution geschieht auf Befehl der deutschen Zentralgewalt. Brandenburg erteilt Frankfurt den Befehl, ihm diesen Befehl zu erteilen. Es verleugnet seine Souveränetät in dem Augenblicke, wo es sie herstellen will. Herr Bassermann ergriff natürlich mit beiden Händen die Gelegenheit, den Bedienten als Herrn zu spielen. Aber er hat die Genugtuung, daß der Herr seinerseits den Bedienten spielt. Wie auch die Würfel in Berlin fallen: das Dilemma ist gestellt, König oder Volk ~ und das Volk wird siegen mit dem Rufe: Brandenburg in der Versammlung und die Versammlung in Brandenburg. Wir können noch eine harte Schule durchmachen, aber es ist die Vorschule der - ganzen Revolution.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 141 vom 12. November 1848, Zweite Ausgabe] * Köln, 11 .November. Die europäische Revolution beschreibt einen Kreislauf. In Italien begann sie, in Paris nahm sie einen europäischen Charakter an, in Wien war der erste Widerschlag der Februarrevolution, in Berlin der Wider
schlag der Wiener Revolution. In Italien, zu Neapel, führte die europäische Kontrerevolution ihren ersten Schlag, in Paris - die Junitage - nahm sie einen europäischen Charakter an, in Wien war der erste Widerschlag der JuniKontrerevolution, in Berlin vollendet sie sich und kompromittiert sie sich. Von Paris aus wird der gallische Hahn noch einmal Europa wacherähen.[12] Aber zu Berlin kompromittiert sich die Kontrerevolution. In Berlin kompromittiert sich alles, selbst die Kontrerevolution. Zu Neapel das Lazzaronitum, verbunden mit dem Königtum, gegen die Bourgeoisie. Zu Paris der größte historische Kampf, der je stattgefunden. Die Bourgeoisie, verbunden mit dem Lazzaronitum, gegen die Arbeiterklasse. Zu Wien ein ganzer Bienenschwarm von Nationalitäten, der in der Kontrerevolution seine Emanzipation vermutet. Dazu geheime Tücke der Bourgeoisie gegen die Arbeiter und akademische Legion1131. Kampf in der Bürgerwehr selbst. Endlich - Attacke von selten des Volkes, die der Attacke von Seiten des Hofes einen Vorwand gibt. In Berlin nichts von alledem. Die Bourgeoisie und das Volk auf der einen Seite — die Unteroffiziere auf der andern. Wrangel und Brandenburg, zwei Menschen ohne Kopf, ohne Herz, ohne Tendenz, reiner Schnurrbart — das ist der Gegensatz dieser quengelnden, klugtuenden, entschlußunfähigen Nationalversammlung. Willen! sei es auch der Wille eines Esels, eines Ochsen, eines Schnurrbarts — Willen ist das einzige Requisit den willenlosen Quenglern von der Märzrevolution gegenüber. Und der preußische Hof, der keinen Willen hat, so wenig wie die Nationalversammlung, sucht die zwei dümmsten Menschen in der Monarchie auf und sagt diesen Löwen: Vertretet den Willen. Pfuel hatte noch einige Gran' Gehirn. Aber vor der absoluten Dummheit schrecken die Räsoneurs der Märzerrungenschaften zurück.
„Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergeblich"^,
ruft die betroffene Nationalversammlung aus. Und diese Wrangeis, diese Brandenburgs, diese vernagelten Hirnschädel, die wollen können, weil sie keinen eigenen Willen haben, weil sie wollen, wie ihnen befohlen wird, die zu dumm sind, an Befehlen irre zu werden, die man ihnen mit bebender Stimme, mit zitternder Lippe gibt, auch sie kompromittieren sich, indem sie nicht zum Schädeleinstoßen kommen, das einzige Geschäft, dem diese Mauerbrecher gewachsen sind. Wrangel bringt es nicht weiter, als zu gestehen, daß er nur eine Nationalversammlung kennt, die Ordre pariert! Brandenburg erhält Unterricht im par
lamentarischen Anstände, und nachdem er mit seinem rohen, widerlichen Unteroffiziersdialekt die Kammer empört hat, läßt er den „Tyrann übertyrannisieren" und pariert Ordre der Nationalversammlung, indem er demütigst um das Wort bittet, das er soeben noch nehmen wolltet151
„ War ich doch lieber eine Laus in Schafswolle Als solch' tapfere Dummheit!"[u]
Die ruhige Haltung von Berlin ergötzt uns; an ihr scheitern die Ideale des preußischen Unteroffizierstums. Aber die Nationalversammlung? Warum spricht sie nicht die mise hors de loi1 aus, warum erklärt sie die Wrangeis nicht für vogelfrei, warum tritt kein Deputierter mitten unter Wrangeis Bajonette und erklärt ihn in die Acht und harangiert die Soldateska? Die Berliner Nationalversammlung blättere den „Moniteur"[171nach, den „Moniteur" von 1789-1795. Und was tun wir in diesen Augenblicken? Wir verweigern die Steuern. Ein Wrangel, ein Brandenburg begreift denn diese Wesen lernen arabisch von den Hyghlans[18] -, daß sie einen Degen tragen und eine Uniform und Gehalt beziehen. Woher aber der Degen und die Uniform und das Gehalt, das begreifen sie nicht. Es gibt nur noch ein Mittel, das Königtum zu besiegen — nämlich bis zur Epoche der Anti~ Junirevolution zuParis, die im Dezember stattfinden wird.[19' Das Königtum trotzt nicht nur dem Völker-, es trotzt dem Bürgertum. Besiegt es also auf bürgerliche Weise. Und wie besiegt man das Königtum in bürgerlicher Weise? Indem man es aushungert. Und wie hungert man es aus? Indem man die Steuern verweigert. Bedenkt es wohl! Alle Prinzen von Preußen, alle Brandenburgs und Wrangeis produzieren kein - Kommißbrot. Ihr, ihr produziert selbst das Kommißbrot. [„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 142 vom 14. November 1848] * Köln, 13.November. Wie einst die französische Nationalversammlung ihr offizielles Sitzungslokal verschlossen fand und in dem Ballspielhause ihre Sitzungen fortführen mußte, so die preußische Nationalversammlung im SchützenhauseS201
1 Achterklärung
Der im Schützenhause gefaßte und von uns nach unserm Berliner O -Korrespondenten im heute morgen ausgegebenen Extrablatte mitgeteilte Beschluß, wonach Brandenburg zum Hochverräter erklärt ist, findet sich nicht im Berichte der „Kölnischen Zeitung".121 ] Indessen geht uns soeben der Brief eines Mitgliedes der Nationalversammlung zu, worin es wörtlich heißt: „Die Nationalversammlung hat einstimmig (242 Mitglieder) erklärt, daß Brandenburg sich durch diese Maßregel (die Auflosung der Bürgerwehr) des Hochverrats schuldig gemacht habe und ein jeder, welcher zu der Ausführung dieser Maßregel aktiv oder passiv mitwirkt, als Hochverräter zu betrachten sei."[22l
Die Glaubwürdigkeit Dumonts ist bekannt. Indem die Nationalversammlung Brandenburg zum Hochverräter erklärt, hört die Steuerverpflichtung von selbst auf. Einer hochverräterischen Regierung schuldet man keine Steuern. Wir werden unsern Lesern morgen ausführlich mitteilen, wie man es in dem ältesten konstitutionellen Lande, in England, bei ähnlichen Kollisionen mit der Steuerverweigerung hält.1231 Übrigens hat die'hochverräterische Regierung selbst dem Volke den richtigen Weg gezeigt, indem sie sofort der Nationalversammlung die Steuern verweigerte (die Diäten usw.) und sie auszuhungern sucht. Der obenerwähnte Deputierte schreibt uns ferner: „Die Bürgerwehr wird ihre Waffen nicht abgeben." Der Kampf scheint also unvermeidlich, und es ist die Pflicht der Rheinprovinz, mit Männern und Waffesn der Berliner Nationalversammlung zu Hülfe zu eilen.
Geschrieben von Karl Marx.
Das Exfürstentum[24]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 140 vom 11.November 1848] ** Aus der Republik. Neuchatel, 7.November. Es wird Sie interessieren, auch einmal etwas aus einem Ländchen zu hören, das noch bis vor kurzem sich der Segnungen der preußischen Herrschaft erfreute, aber zuerst von allen Landen, die der Krone Preußens Untertan, die Fahne der Revolution aufpflanzte und die preußische väterliche Regierung verjagte. Ich spreche von dem ehemaligen „Fürstentum Neuenburg und Vallendis"[25], bei dem Herr Pfuel, der jetzige Ministerpräsident, als Gouverneur die ersten administrativen Studien machte und im Mai dieses Jahres vom Volk abgesetzt wurde, noch ehe er sich in Posen Lorbeeren erringen und in Berlin als Premier Mißtrauensvoten ernten konnte. Das Ländchen hat jetzt den stolzeren Namen „Republique et Canton de Neuchatel" angenommen, und die Zeit wird wohl nicht fern sein, wo in Berlin der letzte Neuchäteller Gardeschütze seinen grünen Waffenrock bürstet. Ich muß gestehen, es gewährte mir eine humoristische Genugtuung, fünf Wochen nach meiner Flucht vor der preußischen heiligen Hermandad[26] wieder ungehudelt auf einem Boden herumspazieren zu dürfen, der de jure noch preußisch ist. Die Republik und Kanton Neuchatel befindet sich übrigens offenbar in einem weit behaglicheren Zustande als weiland das Fürstentum Neuenburg und Valendis; denn bei den neulichen Wahlen für den schweizerischen Nationalrat[2 7 ] erhielten die republikanischen Kandidaten über 6000 Stimmen, während die Kandidaten der Royalisten, der bedouins1, wie man sie hier nennt, kaum 900 musterten. Auch im Großen Rat sitzen fast lauter Republikaner, und nur ein kleines, von den Aristokraten beherrschtes Gebirgsdorf,
1 Beduinen (arabische Wanderhirten und -händler der Wüste); hier im Sinne von: Wanderprediger in der Wüste
Les Ponts, hat den königlich-preußisch-fürstlich-neuenburgischen Ex-Staatsrat Calame als seinen Repräsentanten nach Neuchätel geschickt, wo er vor einigen Tagen der Republik den Eid der Treue schwören mußte. Statt des alten königlichen „Constitutionnel Neuchätelois" erscheint jetzt — in La Chaux-de-Fonds, dem größten, industriellsten und republikanischsten Orte des Kantons - ein „Republicain Neuchätelois "[28], der zwar in einem sehr schlechten jurassischen Schweizerfranzösisch, aber sonst gar nicht übel redigiert wird. Die Uhrenindustrie des Jura und die Spitzenmanufaktur des Traverstales, die Hauptlebensquellen des Ländchens, fangen auch an, wieder besser zu gehen, und die Montagnards[291 gewinnen allmählich, trotz des fußhohen Schnees, der hier bereits liegt, ihre alte Heiterkeit wieder. Inzwischen gehen die bedouins gar trübselig umher, tragen an Hose, Bluse und Mütze die preußischen Farben umsonst zur Schau und seufzen vergebens nach der Rückkehr Ehren-Pfuels und der Dekrete, die da anfingen: „Nous Frederic-Guillaume par la gräce de Dieu"1. Die preußischen Farben, schwarze Mützen mit weißen Rändern, hoch oben im Jura, 3500 Fuß über dem Meeresspiegel, sind ebenso niedergeschlagen, ebenso zweideutig angelächelt wie bei uns am Rhein; sähe man nicht die Schweizer Fahnen und die großen Plakate: „Republique et Canton de Neuchätel", man könnte sich zu Hause glauben. Übrigens freut es mich, berichten zu können, daß die deutschen Arbeiter bei der Neuchäteller, wie bei allen Revolutionen von 1848, eine entscheidende, sehr ehrenvolle Rolle gespielt haben. Dafür wird ihnen auch der Haß der Aristokraten im vollsten Maße zuteil.
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 „Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden"
Die neuen Behörden Fortschritte in der Schweiz
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 143 vom 15. November 1848] ** Bern, 9.November. Seit vorgestern sind nun die neuen gesetzgebenden Bundesstaaten, der schweizerische Nationalrat und der Ständerat[2?1, hier versammelt. Die Stadt Bern hat ihr möglichstes getan, um sie so glänzend und so bestechend wie möglich zu empfangen. Musik, Festzüge, Kanonendonner und Glockengeläute, Illumination, nichts fehlte. Die Sitzungen wurden gleich vorgestern eröffnet. Der Nationalrat, nach allgemeinem Stimmrecht und nach der Volkszahl gewählt (Bern hat zwanzig, Zürich zwölf, die kleinsten Kantone je zwei bis drei Abgeordnete geschickt), ist seiner überwiegenden Mehrzahl nach aus radikal-gefärbten Liberalen zusammengesetzt. Die entschieden radikale Partei ist sehr stark vertreten, die konservative hat nur sechs bis sieben Stimmen auf mehr als hundert. Der Ständerat, aus je zwei Abgeordneten für jeden ganzen und je einem für jeden halben Kanton bestehend, gleicht so ziemlich der letzten Tagsatzung[30] in Zusammensetzung und Charakter. Die Urkantönli haben wieder einige echte Sonderbündler[31] hineingeschickt, und infolge der indirekten Wahl ist bei den Ständen das reaktionäre Element, wenn auch in entschiedener Minorität, doch bereits stärker vertreten als im Nationalrat. Der Ständerat ist überhaupt die durch Abschaffung der bindenden Mandatet32] und der Ungültigkeit der halben Stimmen verjüngte, durch Kreierung des Nationalrats in den Hintergrund gedrängte Tagsatzung. Er spielt die undankbare Rolle des Senats oder der Pairskammer, des Hemmschuhs an der vorausgesetzten überfliegenden Neuerungslust des Nationalrats, des Erben der reifen Weisheit und sorgfältigen Überlegung der Väter. Diese würdige und gesetzte Behörde teilt bereits jetzt das Schicksal ihrer Schwestern in England und Amerika und weiland in Frankreich; sie wird, noch eh' sie ein Lebenszeichen von sich gegeben, von der Presse über die Achseln angesehn und über dem Nationalrat vergessen. Kein Mensch spricht
fast von ihr, und wenn sie von sich sprechen machen wird, so wird's um so schlimmer für sie sein. Der Nationalrat, obwohl er die ganze schweizerische „Nation" repräsentieren soll, hat gleich in der ersten Sitzung eine Probe, zwar nicht grade von Kantönligeist, aber doch von echt schweizerischer Uneinigkeit und Kleinigkeitskrämerei gegeben. Um einen Präsidenten zu wählen, mußte man dreimal abstimmen lassen, obwohl nur drei Kandidaten, und alle drei noch dazu Berner, ernsthaft in Betracht kamen. Es waren die Herren Ochsenbein, Funk und Neuhaus; die ersten beiden Repräsentanten der Berner altradikalen, der dritte Vertreter der altliberalen, halb konservativen Partei. Endlich wurde Herr Ochsenbein mit 50 aus 93 Stimmen, also einer gar knappen Majorität, erwählt. Daß die Züricher und andern Moderados[33] dem Herrn Ochsenbein den weisen und vielerfahrenen Neuhaus entgegensetzten, begreift sich; daß aber Herr Funk, der ganz zu derselben Schattierung gehört wie Ochsenbein, mit ihm in Konkurrenz gebracht und in zwei Abstimmungen gehalten wurde, das beweist, wie wenig noch die Parteien sich geordnet und diszipliniert haben. Jedenfalls haben die Radikalen beim ersten Turnier der Parteien durch Ochsenbeins Wahl den Sieg davongetragen. Bei der darauf vorgenommenen Wahl des Vizepräsidenten kam erst beim fünften Mal eine absolute Majorität heraus! Der gesetzte und erfahrne Ständerat dagegen wählte gleich in der ersten Abstimmung fast einstimmig den Zürcher Moderado Furrer zu seinem Präsidenten. Diese beiden Wahlen bezeichnen schon hinreichend, wie verschieden der Geist der beiden Kammern ist und wie bald sie auseinandergehn und in Konflikte geraten werden. Der nächste interessante Gegenstand der Debatte wird die Wahl der Bundesstadt sein. Interessant für die Schweizer, weil sehr viele von ihnen materiell dabei interessiert sind, für das Ausland, weil grade diese Debatte am klarsten zeigen wird, inwieweit der alte Lokalpatriotismus, die Kantönli-Borniertheit verschlissen ist. Bern, Zürich, Luzern konkurrieren am heftigsten. Bern möchte Zürich mit der Bundes-Universität und Luzern mit dem Bundesgerichtshof abfinden, aber umsonst. Bern ist jedenfalls die einzig geeignete Stadt - als Übergangspunkt der deutschen in die französische Schweiz, als Hauptstadt des größten Kantons, als entstehender Zentralpunkt für die ganze Schweizer Bewegung. Nun muß Bern, um etwas zu werden, auch die Universität und das Bundesgericht haben. Aber das bringe einer den für ihre Kantonstadt fanatisierten Schweizern bei! Es ist sehr möglich, daß der radikalere Nationalrat für das radikale Bern, der gesetzte Ständerat für das gesetzte, hoch- und wohlweise Zürich stimmt. Dann ist vollends guter Rat teuer.
In Genf sieht es seit drei Wochen sehr unruhig aus. Bei den Wahlen für den Nationalrat setzten die reaktionären Patrizier und Bourgeois, die von ihren Villen aus die Dörfer um Genf in fast feudaler Abhängigkeit halten, mit ihren Bauern alle drei Kandidaten durch. Aber das Büro kassierte die Wahlen, weil mehr Stimmzettel eingegangen als ausgeteilt waren. Nur diese Kassation beruhigte die revolutionären Arbeiter von Saint-Gervais, die schon haufenweise durch die Straßen zogen und riefen: „Aux armes!"1 Die Haltung der Arbeiter während der nächsten acht Tage war so drohend, daß die Bourgeois vorzogen, lieber gar nicht zu stimmen, als eine Revolution mit obligaten, bereits angedrohten Schreckensszenen zu provozieren. Um so mehr, als die Regierung drohte, ihre Entlassung einzureichen, wenn die reaktionären Kandidaten nochmals durchgingen. Inzwischen änderten die Radikalen ihre Kandidatenliste, setzten weniger schroffe Namen darauf, holten die versäumte Agitation nach und erreichten bei der neuen Wahl 5000-5500, fast tausend Stimmen mehr als die Reaktionäre bei der vorigen gehabt. Die drei reaktionären Kandidaten erhielten fast gar keine Stimmen, am meisten hatte noch General Dufour, der es auf 1500 brachte. Acht Tage später waren die Wahlen für den Großen Rat. Die Stadt wählte 44 Radikale, das Land, das 46 Großräte zu wählen hat, fast lauter Reaktionäre. Die „Revue de Geneve"t34] streitet sich noch mit den Bourgeoisblättern herum, ob diese 46 alle reaktionär sind oder ob ein halbes Dutzend für die radikale Regierung stimmen werden. Es wird sich bald zeigen. Die Verwirrung in Genf kann groß werden; denn wenn die Regierung, die hier direkt vom Volk gewählt wird, abtreten muß, so könnte es bei der Neuwahl leicht gehen wie bei der zweiten Nationalratswahl und einer reaktionären Großrats-Majorität eine radikale Regierung gegenübergestellt werden. Es ist übrigens gewiß, daß die Genfer Arbeiter nur auf eine Gelegenheit warten, um durch eine neue Revolution die bedrohten Eroberungen von 1847 sicherzustellen. Alles in allem genommen hat die Schweiz gegen die ersten vierziger Jahre bedeutende Fortschritte gemacht. Bei keiner Klasse ist dieser Fortschritt aber so auffallend wie bei den Arbeitern. Während bei der Bourgeoisie und namentlich in den altpatrizischen Familien der alte lokalbornierte Zopfgeist noch ziemlich allgemein herrscht und höchstens modernere Formen angenommen hat, haben sich die Schweizer Arbeiter merkwürdig entwickelt. Früher hielten sie sich getrennt von den Deutschen und stolzierten im absurdesten „freien Schweizer" Nationalhochmut einher, räsonierten über die „fremden Chaibe"2 und blieben bei der ganzen Zeitbewegung teilnahmslos. Jetzt ist das anders
1 „Zu den Waffen!" - 2 „fremden Spitzbuben"
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
geworden. Seitdem die Arbeit schlechter geht, seitdem die Schweiz demokratisiert ist, namentlich aber seitdem an die Stelle der kleinen Putsche europäische Revolutionen und Schlachten wie die Pariser Juni- und Wiener Oktoberschlacht getreten sind — seitdem haben die Schweizer Arbeiter mehr und mehr an der politischen und sozialistischen Bewegung teilgenommen, haben sich mit den fremden Arbeitern, besonders den deutschen, verbrüdert und ihr „fryes Schwyzerthum" an den Nagel gehängt. In der französischen und in vielen Gegenden der deutschen Schweiz sind Deutsche und deutsche Schweizer ohne allen Unterschied in demselben Arbeiterverein zusammen, und Vereine, deren Mehrzahl aus Schweizern besteht, haben beschlossen, sich an die projektierte und teilweise ausgeführte Organisation der deutschen demokratischen Vereine anzuschließen. Während die radikalsten Radikalen der offiziellen Schweiz höchstens von der einen und unteilbaren helvetischen Republik[351 träumen, hört man nicht selten von Schweizer Arbeitern die Ansicht aussprechen, daß die ganze Selbständigkeit der kleinen Schweiz in dem europäischen Sturm, der sich vorbereitet, wohl bald zum Teufel gehen werde. Und das sagen sie ganz kaltblütig und gleichgültig, ohne ein Wort des Bedauerns, diese proletarischen Landesverräter! Die Teilnahme für die Wiener war groß bei allen Schweizern, die ich gesehen, aber bei den Arbeitern stieg sie zum wahren Fanatismus. Von Nationalrat, Ständerat, von dem Freiburger Pfaffenputsch[361 hörte man kein Wort; aber Wien, Wien war im Munde aller, vom Morgen bis zum Abend. Es war, als ob die Schweizer wieder, wie vor Teils Zeit, Wien zu ihrer Hauptstadt hätten, als ob sie wieder östreichisch seien. Hunderte von Gerüchten wurden verbreitet, diskutiert, bezweifelt, geglaubt, wieder umgestoßen, alle möglichen Fälle wurden durchgesprochen; und als endlich die Nachricht vom Unterliegen der heroischen Wiener Arbeiter und Studenten, von der Übermacht und der Barbarei Windischgrätz' sich definitiv bestätigte, da machte sie einen Eindruck auf diese Schweizer Arbeiter, als ob in Wien ihr eigen Los entschieden, die Sache ihres eigenen Lahdes erlegen sei. Diese Stimmung ist freilich noch nicht allgemein, aber sie greift täglich mehr um sich unter dem Schweizer Proletariat, und daß sie schon an vielen Orten besteht, das ist für ein Land wie die Schweiz ein ungeheurer Fortschritt.
[Cavaignac und die Junirevolutiont37]]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.142 vom 14. November 1848, Zweite Ausgabe] * E.Girardin ist erbärmlich in seiner Apologie des imperialistischen Kretin, Louis-Napoleons, des „kleinen Konstabiers"138er ist liebenswürdig in seinem Angriffe auf Cavaignac, den Degen des Herrn Marrast. Seit dem 7. November bringt er in fortlaufenden Nummern eine Philippika gegen den Heros der europäischen Bourgeoisie, die sich in seine arabische Nachtmütze139 ] verliebt hatte. Treulos wie sie ist, hat sie ihn dem Sipehsalar1 Jellachich geopfert, der jetzt der Lion des europäischen Schachers ist. Wir teilen unsern Lesern vollständig denacte d'accusation2der „Presse"[40] mit. Wir haben die Junirevolution, im Widerspruch mit allen europäischen Blättern großen und kleinen Formats, aufgefaßt, wie die Geschichte sie bestätigt hat. Wir halten darauf, von Zeit zu Zeit auf ihre Hauptmomente und Hauptschauspieler zurückzukommen, da die Junirevolution das Zentrum ist, worum sich die europäische Revolution und Kontrerevolution dreht. Die Entfernung von der Junirevolution war, wie wir während ihres Verlaufs aussprachen, die Sonnenhöhe der Kontrerevolution, die ihre Tour um Europa machen mußte. Die Rückkehr auf die Junirevolution ist der eigentliche Beginn der europäischen Revolution. Also auf Cavaignac zurück, auf den Erfinder des Belagerungszustandes.
Geschrieben von Karl Marx.
1 Oberbefehlshaber - 2 Anklageakt
Aufforderung des demokratischen Kreisausschusses der Rheinprovinz[411
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 143 vom 15. November 1848]
Aufruf * Köln, H.November. Der Rheinische Kreisausschuß der Demokraten fordert alle demokratischen Vereine der Rheinprovinz auf, sofort die Vereine zusammenzuberufen und an allen Orten der Nachbarschaft Volksversammlungen zu veranlassen, um die gesamte Bevölkerung der Rheinprovinz zur Steuerverweigerung aufzumuntern, als dem zweckmäßigsten Mittel, den an der Versammlung der preußischen Volksvertreter verübten Gewalthandlungen des Gouvernements entgegenzutreten. Jede gewaltsame Widersetzlichkeit gegen allenfallsige exekutive Beitreibung der Steuern muß abgeraten, dagegen das Nichtbieten bei Zwangsverkäufen empfohlen werden. Zur Verabredung weiter zu ergreifender Maßregeln erachtet der Kreisausschuß die Einberufung eines Kongresses von Deputierten der Vereine für notwendig, zu welchem dieselben auf Donnerstag, den 23. d.[M.] morgens 9 Uhr (im Saale bei Eiser in der Komödienstraße hierselbst), eingeladen werden. Köln, den H.November 1848 Im Neunen des Kreisausschusses: Karl Marx Schneider II
Das Ministerium ist in Anklagezustand versetzt1421
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 143 vom 15. November 1848, Extrablatt] Die Stadt Brandenburg will nichts wissen von dem Ministerium Brandenburg und schickt eine Dankadresse an die Nationalversammlung. Das ganze Land erkennt in seinen Adressen nur die Regierung der Nationalversammlung an. Das Ministerium begeht neuen Hochverrat, indem es im Gegensatze zu dem Habeas-Corpus-Act[43l ohne Genehmigung der Nationalversammlung den Belagerungszustand ausgesprochen und die Nationalversammlung selbst mit Bajonetten aus dem Schützenhause vertrieben hat. Die Nationalversammlung hat ihren Sitz im Volke, nicht in dem Umkreis dieser oder jener Steinhaufen. Vertreibt man sie aus Berlin, so wird sie in einem andern Orte tagen, in Breslau, Köln oder wo es ihr gutdünkt. Sie hat in ihrer Sitzung vom 13. diesen Beschluß gefaßte441 Die Berliner mokieren sich über den Belagerungszustand und lassen sich in keiner Weise durch denselben einschränken. Niemand liefert die Waffen ab. Von verschiedenen Gegenden sind Bewaffnete der Nationalversammlung zur Hülfe geeilt. Die Garden verweigern den Gehorsam. Die Soldaten fraternisieren immer mehr mit dem Volke. Schlesien und Thüringen sind in vollem Aufstande.
Wir aber, Bürger, rufen euch zu: Schickt Geld dem demokratischen Zentralausschusse nach Berlin. Zahlt dagegen keine Steuern an die kontrerevolutionäre Regierung. Die Nationalversammlung hat erklärt, daß die Steuer
Verweigerung rechtlich begründet sei. Sie hat sie noch nicht beschlossen aus Rücksicht für die Beamten. Die Hungerkur wird diese Beamte die Macht des Bürgers kennen lehren und sie selbst zu guten Bürgern machen. Hungert den Feind aus und verweigert die Steuern! Nichts törichter, als einer hochverräterischen Regierung Mittel zum Kampfe gegen die Nation zu bieten, und das Mittel aller Mittel ist - Geld.
Geschrieben von Karl Marx.
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Extrablatt zu Nr. 143 der „Neuen Rheinischen Zeitung" vom 15. November 1848 mit dem Artikel „Das Ministerium ist in Anklagezustand versetzt"

Erklärung
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 145 vom 17. November 1848] Köln, 16.November. Die „Kölnische Zeitung" in ihrer Nummer vom 16.Nov.1 bringt den „Aufruf des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten"2 in einen völlig erdichteten Zusammenhang mit einer angeblich von der äußersten Linken der preußischen Nationalversammlung in die Provinzen gesandten „Versicherung" über die Steuer Verweigerung. Den Unterzeichneten ist nichts von einer durch Mitglieder der äußersten Linken verbreiteten Nachricht über eine von der Nationalversammlung schon beschlossene Steuerverweigerung bekannt geworden. Karl Marx Schneider II
1 In der „N.Rh.Ztg.": 15.Nov. - 2 siehe vorl. Band, S. 20
Bekenntnisse einer schönen Seele[45]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 145 vom 17. November 1848j * Köln, 16.November. Wir haben der rechten Seite vorausgesagt, was ihrer warte, wenn die Kamarilla siegt - ein Trinkgeld und Fußtritte} Wir haben uns getäuscht. Noch ist der Kampf nicht entschieden, und schon erhalten sie Fußtritte von ihren Prinzipalen, ohne ein Trinkgeld zu erhalten. Die „Neue Preußische Zeitung" [S\ Ritterin vom Landwehrkreuze „mit Gott für König und Vaterland", offizielles Organ der jetzigen Gewalthaber, erklärt in einer ihrer letzten Nummern die Abgeordneten Zweiffei (Oberprokurator in Köln) und Schlink (Appellationsgerichtsrat in Köln) für - der Leser rate - für „revolutionäre Magen" (die „Neue Preußische Zeitung" schreibt „Mägen"). Sie spricht von der „nicht auszudrückenden Gedankenleere und Gedankenlosigkeit" dieser Herren. Sie findet, daß selbst „Robespierres Hirngespinste" weit erhaben sind über die Einfälle dieser „Herren von der ZentralabteilungAvis ä Mess[ieurs]2 Zweiffei et Schlinkl In derselben Nummer dieses Blattes wird Pinto~Hansemann[46] für einen „Führer der äußersten Linken" erklärt, und gegen Führer der äußersten Linken gibt es nach derselben Zeitung nur ein Mittel - das Standrecht - den Strang. Avis ä M[onsieur]Pinto-Hansemann, den Exminister der Tat und der Konstabler![il] Für einen Staatsmoniteur besitzt die „Neue Preußische Zeitung" zu viel naive Offenherzigkeit. Sie sagt den verschiedenen Parteien zu laut, was in den Registern der Santa Casa[481 versiegelt steht. Im Mittelalter schlug man den Virgil1491 auf, um zu prophezeien. Im preußischenBrumaire 1848[501 schlägt man die „Neue Preußische Zeitung"
1 Siehe vorl. Band, S. 8 - 3 Hinweis für die Herren
auf, um sich der Mühe des Weissagens zu entschlagen. Wir geben neue Beispiele. Was bereitet die Kamarilla den Katholiken vor? Hört! In Nr. 115 der „Neuen Preußischen Zeitung1' heißt es:
„Ebenso unwahr ist es, daß der Staat" (nämlich der königlich preußische Staat, der Landwehrkreuzstaat in seiner vormärzlichen Periode) „einen engkonfessionellen Charakter angenommen und von diesem einseitigen Standpunkt aus die religiösen Angelegenheiten geleitet habe. Dieser Vorwurf würde zwar, wenn er wahr wäre, ein entschiedenes Lob aussprechen. Er ist aber unwahr; denn bekannt ist, daß unser Regiment den alten und guten Standpunkt einer evangelischen Regierung ausdrücklich verlassen hat."
Bekannt ist, daß Friedrich Wilhelm III. die Religion in einen Zweig der militärischen Disziplin verwandelte und die Dissenters polizeilich abfuchtelte. Bekannt ist, daß Friedrich Wilhelm IV., als einer der zwölf kleinen Propheten, durch das Ministerium Eichhorn-Bodelschwingh-Ladenberg das Volk und die Wissenschaft zur Religion Bunsen gewaltsam bekehren wollte. Bekannt ist, daß selbst unter dem Ministerium Camphausen die Polen ebensosehr dafür geplündert, gesengt, gekolbt wurden, weil sie Polen, als weil sie Katholiken waren. Die Pointe der Pommern war stets, die Muttergottesbilder in Polen zu spießen und die katholischen Geistlichen zu hängen. Die Verfolgungen der dissentierenden Protestanten unter Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. sind ebenso bekannt. Der erste begrub in Festungen die protestantischen Pfarrer, die die eigends von ihm erfundene Agende und Dogmatik verwarfen. Dieser Mann war ein großer Erfinder in Soldatenröcken und Agenden. Und der zweite? Das Ministerium Eichhorn? Es reicht hin, das Ministerium Eichhorn zu nennen. Aber das alles war nichts! „Unser Regiment hatte den alten und guten Standpunkt einer evangelischen Regierung ausdrücklich verlassen." Wartet also die Restauration Brandenburg-Manteuffel ab, Katholiken der Rheinprovinz und Westfalens und Schlesiens! Man hat euch früher mit Ruten gezüchtigt, man wird euch mit Skorpionen geißeln. Ihr werdet den „alten und guten Standpunkt einer evangelischen Regierung ausdrücklich" kennenlernen! Und nun gar die Juden, die seit der Emanzipation ihrer Sekte wenigstens in ihren vornehmen Vertretern überall an die Spitze der Kontrerevolution getreten sind, was harrt ihrer? Man hat den Sieg nicht abgewartet, um sie in ihr Ghetto zurückzuschaudern.
Zu Bromberg erneuert die Regierung die alten Beschränkungen der Freizügigkeit und beraubt die Juden so eines der ersten Menschenrechte von 1789, sich frei von einem Orte an den andern zu begeben. Das ist „Ein" Aspekt der Regierung des wortreichen Friedrich Wilhelm IV. unter den Auspizien Brandenburg-Manteuffel-Ladenberg. In ihrer Nummer vom 11 .Nov.1 hatte die „Neue Preußische] Zeitung" den Wohlstand der „liheral-konstitutionellenPartei" als Köder hingeworfen. Allein sie schüttelte schon bedenklich das Haupt über die Konstitutionellen.
„Vorderhand haben unsere Konstitutionellen allerdings noch eine gewaltige Scheu, sich gemeinsam in den Vereinen oder in ihren öffentlichen Organen als Reaktionärs zu bekennen."
Sie fügt indes noch beschwichtigend und treffend hinzu: „Jeder einzelne" (Liberal-Konstitutionelle) „hat es längst kein Hehl mehr, daß für dermalen kein Heil ist, als in gesetzlicher Reaktion", d.h. also darin, das Gesetz reaktionär oder die Reaktion gesetzlich zu machen, die Reaktion zum Gesetze zu erheben. In ihrer Nummer vom 15.November2 macht die ,,N[eue] Preußfische] Z[ei]t[un]g" schon nicht mehr soviel Federlesens mit den „Konstitutionellen", die die Reaktion zum Gesetze erhoben haben wollen, aber gegen das Ministerium Brandenburg-Manteuffel sich sträuben, weil es die Kontrerevolution sans phrase3 will.
„Man,muß", sagt sie, „die ordinären Konstitutionellen ihrem Schicksal überlassen!"
Mitgefangen! Mitgehangen! Zur Nachricht für die ordinären Konstitutionellen! Und worin besteht der extraordinäre Konstitutionalismus Friedrich Wilhelms IV. unter den Auspizien Brandenburg-Manteuffel-Ladenberg? Das offizielle Regierungsorgan, die Landwehrkreuzritterin mit Gott für König und Vaterland, verrät die Geheimnisse des außerordentlichen Konstitutionalismus. Das „einfachste, geradeste und ungefährlichste Heilmittel" ist natürlich, die „Versammlung an einen andern Ort zu verlegen", aus einer Hauptstadt in eine Wachtstube, aus Berlin nach Brandenburg. Indes, diese Verlegung ist, wie die „Neue Preußische Zeitung" Verrät, nur ein „Versuch".
1 In der „N.Rh.Ztg.": lO.Nov. - 2 in der „N.Rh.Ztg.": 15.ApriI-3 ohne Umschweife
„Es muß", sagt sie, „der Versuch gemacht werden, ob die Versammlung durch die Verlegung an einen andern Ort mit der Wiedererlangung der äußern freien Bewegimg auch die innere Freiheit wiedergewinne." Zu Brandenburg wird die Versammlung äußerlich frei sein. Sie wird nicht mehr unter dem Einflüsse der Biemsen[511, sie wird nur noch unter dem Einflüsse schnurrbärtiger Schleppsäbel stehen. Aber die innere Freiheit? Wird die Versammlung zu Brandenburg sich von den Vorurteilen und den verwerflichen revolutionären Gemütseindrücken des 19. Jahrhunderts befreien? Wird ihre Seele frei genug sein, die feudalen Jagdrechte, allen modrigen Plunder der sonstigen Feudallasten, die Ständeunterschiede, die Zensur, die Steuerungleichheit, den Adel, das absolute Königtum und die Todesstrafe, wofür Friedrich Wilhelm IV. schwärmt, die Ausplünderung und Verschleuderung der Nationalarbeit durch die
„blassen Kanaillen, die ausgesehen wie Glaube, Liebe und Hoffnung"^021,
durch ausgehungerte Krautjunker, Gardelieutenants und inkorporierte Konduitenlisten, wird die NationalVersammlung selbst zu Brandenburg innerlich frei genug sein, alle diese Artikel der alten Misere wieder als offizielle Glaubensartikel zu proklamieren? Man weiß, daß die kontrerevolutionäre Partei die konstitutionelle Parole ausgeteilt hatte: „Vollendung des Verfassungswerkes!"' Das Organ des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel-Ladenberg verschmäht es, diese Maske länger zu tragen.
„Die Lage der Dinge", gesteht das offizielle Organ, „ist auf einen Punkt gediehen, wo uns nicht einmal mehr mit der so lang ersehnten Vollendung des Verfassungswerkes geholfen werden kann. Denn wer kann es sich länger verbergen, daß eine Urkunde, die den Volksvertretern Paragraph vor Paragraph unter Rad und Galgen diktiert und von denselben der Krone abgedrungen ist, nur so lange für verbindlich erachtet Werden wird, als der direkteste Zwang sie aufrechtzuerhalten imstande ist"
Also Paragraph vor Paragraph die kümmerlichen durch die Nationalversammlung zu Berlin errungenen Volksrechte wieder aufheben, das ist die Aufgabe der Nationalversammlung zu Brandenburg! Wenn sie nicht vollständig, Paragraph vor Paragraph, den alten Plunder restauriert, nun, so beweist sie eben, daß sie zwar „die Freiheit der äußern Bewegung" zu Brandenburg wiedergewonnen hat, aber nicht die von Potsdam beanspruchte innere Freiheit.
Und wie soll die Regierung gegen die Seelenverstocktheit, gegen die innere Unfreiheit der nach Brandenburg übersiedelten Versammlung operieren? „Die Auflösung müßte erfolgen", ruft die „Neue Preußische Zeitung" aus. Aber das Volk, fällt ihr ein, ist vielleicht innerlich noch unfreier als die Versammlung.
„Es würde", schüttelt sie die Achseln, „das Bedenken erhoben werden können, oh neue Urwahlen nicht ein noch jämmerlicheres Resultat als die ersten zutage fördern möchten."
Das Volk in seinen Urwahlen besäße die Freiheit der äußern Bewegung. Aber die innere Freiheit? That is the question![53] Die Paragraphen der aus neuen Urwahlen hervorgehenden Versammlung könnten die alten an Ruchlosigkeit übertreffen. Was also gegen die „alten" Paragraphen tun? Die Landwehrkreuzritterin wirft sich in Positur.
„Die Faust hat sie geboren" (die alten Paragraphen seit dem 19. März), „die Faust wird sie stürzen - und das von Gottes und Rechts wegen." Die Faust wird das „gute alte Regiment" herstellen. Die Faust ist das letzte Argument der Krone; die Faust wird das letzte Argument des Volkes sein. Vor allem wehre es die bettelhaften hungrigen Fäuste ab, die aus seinen Taschen Zivillisten - und Kanonen herausgreifen. Die prahlerischen Fäuste werden abmagern, sobald es sie nicht mehr mästet. Das Volk verweigere vor allem die Steuern, und - später wird es zählen, auf welcher Seite die meisten Fäuste sind. Alle sogenannten Märzerrungenschaften werden nur so lange für verbindlich erachtet werden, als der direkteste Zwang sie aufrechtzuerhalten imstande ist. Die Faust hat sie geboren, die Faust wird sie stürzen. Die „Neue Preußische Zeitung" sagt's, und was die „Neue Preußische Zeitung" sagt, hat Potsdam gesagt. Also keine Illusion mehr! Das Volk muß den Märzhalbheiten ein Ende machen, oder die Krone macht ihnen ein Ende.
Die „Kölnische Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 145 vom 17. November 1848] * Köln, 16.November. Die Redaktion der „Kölnischen Zeitung" in der Nummer vom 16.Nov.1 charakterisiert sich selbst in folgender genialer Weise:
„Bei unsermHin- undHerschtüanken zwischen Furcht vor Anarchie heute und Furcht vor Reaktion morgen wird man lebhaft an Luthers Wort erinnert: ,Der Mensch ist wie ein betrunkener Bauer; steigt er an einer Seite zu Pferde, stürzt er an der andern wieder herunter.'"
Die Furcht ist das Pathos der „Kölnischen Zeitung".
Geschrieben von Karl Marx.
Keine Steuern mehr!!!
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 145 vom 17. November 1848, Außerordentliche Beilage] * Köln, 16.November. Alle Zeitungen aus Berlin, mit Ausnahme des „Preußischen Staats-Anzeigers"15 der „Vossischen Zeitimg"l55] und der „Neuen Preußischen Zeitung"^, sind ausgeblieben. Die Entwaffnung der Bürgerwehr ist im Geheimratsviertel1563 vollzogen worden, aber nur im Geheimrats viertel. Es ist dasselbe Bataillon, das am 31 .Oktober1 die Maschinenbauer meuchelmordete.I57] Seine Entwaffnung ist ein Gewinn für die Volkssache. Die Nationalversammlung ist wiederum durch bewaffnete Macht aus dem Köllnischen Rathause[58J vertrieben worden. Sie begab sich dann in das Mielenz-Hotel, wo sie endlich einstimmig mit 226 Stimmen den unten nachfolgenden Beschluß der Steuerüerweigerung faßte.159 ]
„Das Ministerium Brandenburg ist nicht berechtigt, über Staatsgelder zu verfügen und Steuern zu erheben, solange die Nationalversammlung nicht in Berlin ihre Sitzungen frei fortsetzen kann. Dieser Beschluß tritt mit dem 17. November in Kraft. Nationalversammlung vom 15. November." Von dem heutigen Tage an sind also die Steuern aufgehoben!!! Die Steuereinzahlung ist Hochverrat, die Steuerverweigerung erste Pflicht des Bürgers!
Geschrieben von Karl Marx.
Ein Erlaß Eichmanns
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 147 vom 19. November 1848]
* Köln, 18.November.
„Die Aufforderungen zur Steuerverweigerung, welche sich vernehmen lassen, machen mir eine ernste Ermahnung dagegen an die meiner Fürsorge anvertraute Provinz zur Pflicht. Nachdem der König die gewichtvollen Gründe der Verlegung der Nationalversammlung aus Berlin öffentlich dargelegt, nachdem ein großer Teil der Abgeordneten das Recht der Krone anerkannt hat und die deutsche Nationalversammlung gleich der Zentralgewalt in Frankfurt diesem Anerkenntnisse beigetreten ist, kann es nicht meine Absicht sein, zu dem sich bildenden Urteile der Bewohner der Rheinprovinz über diesen Akt der Stäatsregierung auch meine Stimme abzugeben. Allein mein Amt gebietet mir, jeden Angriff gegen die Gesetze und ihre Befolgung, ohne welche kein Staat bestehen kann, mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln zurückzuweisen. Ein solcher Angriff liegt in den Aufforderungen, die Steuern, die unentbehrlichen Mittel zur Erhaltung der Ordnung und Gerechtigkeit, Steuern, welche in gesetzlichem Wege ausgeschrieben sind und nur kraft eines Gesetzes verändert werden können, nicht mehr zu zahlen. Nach meinen Erfahrungen über die Achtung, welche in den Bewohnern der Provinz für die Gesetze lebt, kann ich mich zu ihnen einer folgenschweren Verletzung derselben nicht versehen, vertraue ihnen vielmehr, daß sie jenen Versuchungen zu ihrer Ehre und dem gemeinen Wohle unerschütterlich widerstehen werden. Für die unverhofften Fälle, worin dieses Vertrauen dennoch sich getäuscht finden sollte, erwarte ich aber von sämtlichen Provinzial- und Ortsbehörden, daß sie mit aller Kraft, welche die Gesetze ihnen verleihen, die Steuerzahlung anhalten und ihre Amtspflicht ohne Wanken erfüllen werden.
Köln, den 17. Nov. 1848
Der Oberpräsident der Rheinprovinz, (gez.) Eichmann."
So lautete die Antwort des Exministers und Oberpräsidenten Eichmann auf den Erlaß des Rheinischen Ausschusses der Demokraten.1 Herr Eichmann, als er diese seine Epistel an die Thessalonicher schrieb, kannte er schon den Beschluß der Nationalversammlung über die Steuerverweigerung?2 Eichmann repräsentierte die Brandenburg-Manteuffel früher im Schöße des Ministeriums Pfuel. Er repräsentiert sie jetzt an der Spitze der Rheinprovinz. Eichmann ist die Kontrerevolution an der Regierung in der Rheinprovinz. Die Erlasse des Herrn Eichmann haben also denselben Wert wie die Erlasse des Herrn Brandenburg. Versetzung in Anklagezustand wegen Hochverrat wird früher oder später die Laufbahn des Herrn Eichmann würdigst abschließen, des braven Mannes - der in seinen jugendlichen Jahren mit unermüdlichem Feuereifer die „Hochverräter" in die Festungen spedierte. Herr Oberpräsident Eichmann erklärt sich in dem obigen Erlasse als offenen Feind der Nationalversammlung, ganz im Gegensatze zu dem Herrn Oberpräsidenten Pinder in Schlesien, der bekanntlich Royalist ist. Herr Eichmann hat also aufgehört, Ober Präsident, wie sein Gebieter Brandenburg aufgehört hat, Minister zu sein. Herr Eichmann hat sich selbst abgesetzt. Die Beamten, die seine kontrerevolutionären Befehle ausführen, tun es auf ihre Gefahr. Wenn die Bewohner der Rheinprovinz die Nationalversammlung auch auf wirksamere Weise als durch bloße Adressen unterstützen, wenn sie nicht stumpfsinnig und widerstandslos vor der Knute ihre Knie beugen wollen, so müssen sie allen Behörden, speziell den Regierungspräsidenten, Landräten, Bürgermeistern und städtischen Behörden eine öffentliche Erklärung darüber abzwingen, ob sie die Nationalversammlung anerkennen und ihre Beschlüsse ausführen wollen, oui ou non?3 Im Falle der Weigerung und gar des direkten Entgegenhandelns gegen diese Beschlüsse sind diese Beamten 1. für abgesetzt, 2. für Hochverräter zu erklären und an ihrer Stelle provisorische Sicherheitsausschüsse zu ernennen, deren Befehle einzig und allein als rechtsgültig zu betrachten sind. Wo die kontrerevolutionären Behörden gewaltsam die Bildung und Amtstätigkeit dieser Sicherheitsausschüsse hintertreiben wollen, ist jede Art von Gewalt der Gewalt entgegenzusetzen. Der passive Widerstand muß den aktiven Widerstand zu seiner Unterlage haben. Er gleicht sonst dem Sträuben des Kalbes gegen seinen Schlächter.
Geschrieben von Karl Marx.
[Aufforderung des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten zur Steuerverweigerung]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 147 vom 19. November 1848, Zweite Ausgabe]
Aufruft60! Köln, 18.November. Der Rheinische Kreisausschuß der Demokraten fordert alle demokratischen Vereine der Rheinprovinz auf, die Beschlußnahme und Durchführung folgender Maßregeln zu bewerkstelligen: 1. Nachdem die preußische Nationalversammlung selbst die Steuerverweigerung beschlossen hat1, ist ihre gewaltsame Eintreibung überall durch jede Art des Widerstandes zurückzuweisen. 2. Der Landsturm zur Abwehr des Feindes ist überall zu organisieren. Für die Unbemittelten sind Waffen und Munition auf Gemeindekosten oder durch freiwillige Beiträge zu beschaffen. 3. Die Behörden sind überall aufzufordern, sich öffentlich darüber zu erklären, ob sie die Beschlüsse der Nationalversammlung anerkennen und ausführen wollen. Im Weigerungsfalle sind Sicherheitsausschüsse zu ernennen, und zwar wo möglich im Einverständnisse mit den Gemeinderäten. Der gesetzgebenden Versammlung widerstrebende Gemeinderäte sind durch allgemeine Volks wähl zu erneuern. Köln, den 18.November Im Namen des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten Karl Marx Karl Schapper Schneider II
1 Siehe vorl. Band, S. 30
3 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Wahlen für das Bundesgericht Verschiedenes
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 150 vom 23. November 1848] ** Bern, 18.November. Gestern gab ich Ihnen die acht erstgewählten Bundesrichter an.[61] Im Verfolg der gestrigen gemeinsamen Sitzung wurden noch ernannt: Folly von Freiburg (einer der dortigen Nationalräte, deren Wahl kassiert wurde), Dr. Karl Brenner, Red[akteur] der „Schweizerischen] National-Zeitung"[62] von Basel, und Adv[okat] Jauch von Uri, wodurch das Bundesgericht auf die volle Zahl von elf Richtern gebracht wird. Zum Präsidenten wurde Kern, zum Vizepräsidenten Dr.K.Pfyffer ernannt. Wie Sie wissen, hat der National]-Rat die Wahlen des Kantfons] Freiburg kassiert, weil nur diejenigen Wähler zur Abstimmung zugelassen wurden, welche die neue Bundesverfassung zu beschwören bereit waren. Er hat sein Votum am folgenden Tage durch fast einstimmige (73 gegen 13) Verwerfung des Funkschen Antrags, die Sache durch beide Räte entscheiden zu lassen, bestätigt. Abgesehen von dem Berner Lokalklatsch, den dieser Beschluß hervorgerufen, hat er aber auch Anlaß gegeben zu sehr bittern Erörterungen zwischen den Radikalen der deutschen und französischen Schweiz. Die Sache ist folgende: Die Bundesverfassung bestimmt, der erste Nationalrat soll von allen Schweizern gewählt werden, welche 20 Jahre wenigstens alt und sonst in ihrem Kanton Wähler sind. Im übrigen ist die ganze Anordnung, Reglement und nähere Bestimmungen den einzelnen Kantonen überlassen. Der von der Freiburger Regierung verlangte Eid ist auch in manchen andern Kantonen Bedingung des Wahlrechts; in diesen Kantonen muß jeder Schweizer Bürger, der zum erstenmal sein Wahlrecht ausübt, die Kantonalverfassung beschwören. Es ist klar, die Absicht der Verfasser der neuen Konstitution war, für die Wahlen das allgemeine Stimmrecht zu sichern; aber nach dem Wortlaut hat die Freiburger Regierung recht, und nach den Umständen, in denen sie sich einer kompakten feindlichen, von den Pfaffen beherrschten Majorität gegen
Wahlen für das Bundesgericht - Verschiedenes 35
über befindet, mußte sie entweder den Eid verlangen oder abdanken. Die deutschen Radikalen halten nun an der Absicht des Gesetzgebers fest, die französischen, Waadt an ihrer Spitze, stützen sich auf den Buchstaben der Verfassung, um die Freiburger Regierung und die ihnen so erwünschten fünf radikalen Stimmen im Nationalrat zu retten. Sie erklären den Beschluß des Nationalrats für eine indirekte Billigung der Rebellion des Freiburger Bischofs[36], die, was ganz richtig ist, den Sturz der Freiburger radikalen Regierung und die Herstellung einer Sonderbundsregierung in diesem Kanton nach sich ziehen müsse. Sie titulieren die Berner und sonstigen deutschen Radikalen „Theoretiker", „Fabrikanten hohler Abstraktionen", „Doktrinäre" usw. Es ist richtig, daß die deutsch-schweizerischen Radikalen, meist Advokaten, ihren juristischen Standpunkt oft zu sehr festhalten, während die Waadtländer und Genfer, in der revolutionären französischen Schule gebildet, bessere Politiker sind und das Jus zuweilen auf die leichte Achsel nehmen. Das entschiedenste Blatt dieser französisch-schweizerischen Richtung ist der „Nouvelliste Vaudois"[63] von Lausanne, das „Organ der in Permanenz erklärten Revolution", wie die Konservativen und selbst die gesetzten Libeberalen ihn nennen. Dies übrigens gar nicht ohne Geist und Leichtigkeit geschriebene Blatt pflanzt ohne weiteres die Fahne der roten Republik auf, erklärt sich für die Juni-Insurgenten in Paris, nennt den Tod Latours in Wien „einen gewaltigen Akt souveräner Volksjustiz" und verspottet mit bitterer Ironie den pietistisch-reaktionären „Courrier Suisse"[64], der ob solcher Greuel heulend die Augen verdrehte. Und doch ist dieser „Nouvelliste" das Organ einer mächtigen Partei in der Waadtländer Regierung, ja man kann fast sagen, das Organ der Majorität dieser Regierung; und dennoch geht in Waadt durchaus alles in Ordnung, das Volk ist ruhig und hängt seiner Regierung enthusiastisch an, wie gerade die Nationalratswahlen wieder beweisen. Nach einer halboffiziellen Mitteilung der „Revue de Geneve"[34] wird Genf die Beschlüsse der Diözesankonferenz wegen des Bischofs von Freiburg (die werden Sie längst kennen)[65] mit einigen geringen, durch alte Konkordate bedingten Vorbehalten ratifizieren. Die übrigen Kantone der Diözese haben bereits ratifiziert. Sobald alle Ratifizierungen eingelaufen, berichtet sie weiter, wird Bischof Marilley freigelassen werden, da der Kanton Freiburg erklärt hat, die gegen ihn eingeleitete Kriminaluntersuchung wegen Beteiligung an dem letzten Aufstands versuch niederschlagen zu wollen. Man ist sehr gespannt auf die Wahl der Bundesstadt. Wenn Bern nicht gewählt werden sollte, und man will ein Vorzeichen dafür in dem Umstand sehen, daß kein Berner weder zum Präsidenten noch zum Vizepräsidenten des Bundesrats ernannt, so wird hier eine Bewegung ausbrechen, die den Sturz
Ochsenbeins, eine Majorität der radikalen Richtung (Stämpfli, Niggeler, Stockmar etc.) und die Revision der kaum eingeführten Bundesverfassung zur Folge haben würde. Nach der Verfassung müssen nämlich die beiden Räte aufgelöst und neue zur Verfassungsrevision gewählt werden, sobald 50000 wahlfähige Schweizerbürger dies verlangen. Bern allein bringt diese Zahl von Unterschriften leicht zusammen, ungerechnet die Massen, die aus den avancierten romanischen Kantonen kommen würden, gespornt durch die Aussicht auf Einkammersystem und größere Zentralisation. Aber alle Vermutungen über Voten schweizerischer Räte sind gerade ins Blaue hinein; die grenzenlose Zersplitterung, diese notwendige Folge der historischen FöderativRepublik, die namenlose Konfusion der Interessen und das unbegreifliche Durcheinander der bestimmenden Motive machen alle Kannengießereien über Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit zuschanden.
Der Stadtrat
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 148 vom 2I.November 1848] * Köln, den 20.November. Der kölnische Gemeinderat hat eine Petition nach Berlin abgesandt, worin er den König flehentlich bittet, das Ministerium abzusetzen, um das Königtum zu retten. Der Stadtrat von Köln, resp. Herr Dumont et Kons [orten], wendet sich an den König, während die ganze Rheinprovinz sich vom König abwendet, um sich der konstituierenden Versammlung zuzuwenden. Herr Dumont, resp. der Stadtrat, will den König retten, während die Rheinprovinz nur daran denkt, sich zu retten. Als wenn die Rettung des Königs mit der Rettung der Rheinprovinz zusammenhänge! In einem Augenblicke, wo die Könige und Kaiser sich durch Belagerungszustände und Bombardieren retten, will der Stadtrat den König retten. Wer hat den Stadtrat berufen, den König zu retten und eine Petition ergehen zu lassen, die das servilste Werk des kölnischen Schlaraffentums ist? Nach den Antezedenzien des Königs und des kölnischen Stadtrats flehet letzterer um weiter nichts als um Fußtritte. Hätte der Stadtrat von Köln mehr auf den Beschluß der Berliner Deputierten1 als auf den autokratischen Willen und die Rettung des Königs gesehen-, so hätte er schon längst die Tore der Stadt Köln besetzen lassen, um die Erhebung der Steuern zu verhindern und dem Willen der Kammer Nachdruck zu geben. Der kölnfische] Stadtrat muß daher unverzüglich abgesetzt werden. Alle Gerichts- und Steuerbehörden, welche nicht die Enthebung der Steuern mit aller Energie verhindern, müssen als Hochverräter behandelt werden. Wenn die Stadt Köln ihren Stadtrat nicht absetzt und sofort zwei neue Deputierte statt der weggelaufenen[11] nach Berlin schickt, verdient sie die — Knute.
Geschrieben von Karl Marx.
[Aufruf an die Demokraten der Rheinprovinz]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 148 vom 21 .November 1848, Zweite Ausgabe] Aufruf
Köln, 20.November. Demokraten der Rheinproüinz! Statt dem Oberpräsidenten Eichmann hat der bekannte Oberprokurator Zweiffei durch den Instruktionsrichter Leuthaus Eurem Ausschusse[41] einen Erscheinungsbefehl auf morgen, wegen öffentlicher Aufforderung zur Rebellion, zugestellt. Man erwartet Skandal; die Kommandantur von Köln hat alle Anstalten getroffen; nach dem von einem hochverräterischen Ministerium ausgegangenen Befehle soll Köln bei dieser Gelegenheit in Belagerungszustand erklärt werden. Vereitelt diese Hoffnung. Was uns auch zustoßen mag, verhaltet Euch ruhig. Der Kongreß findet unter allen Umständen statt.[66] Die Rheinprovinz wird eher ihren letzten Blutstropfen vergießen, als dem Regimente der Säbelherrschaft sich unterwerfen. Karl Marx Karl Schapper Schneider II
Uber die Proklamation des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel in betreff der Steuerverweigerung
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 149 vom 22. November 1848] * Köln, 21.November. Das Ministerium Brandenburg-Manteuffel bat an sämtliche königlichen] Regierungen den Befehl ergehen lassen, die Steuern durch gewaltsame Maßregeln einzutreiben.[67] Das Ministerium Brandenburg-Manteuffel, das auf gesetzwidrigem Boden steht, empfiehlt Zwangsmittel gegen die Weigernden und Milde gegen die Unvermögenden. Es stellt also zwei Kategorien von Nichtzahl enden auf: die einen, die nicht zahlen, um dem Willen der Nationalversammlung nachzukommen, und die andern, die nicht zahlen, weil sie nicht zahlen können. Die Absicht des Ministeriums ist nur zu klar. Es will die Demokraten teilen; es will die Bauern und Arbeiter veranlassen, sich zu den Nichtzahlenden aus Unvermögen zu zählen, um sie loszutrennen von den Nichtzahlenden aus Gesetzlichkeit und dadurch die letztern des Beistandes der erstem zu berauben. Aber dieser Plan wird scheitern; das Volk sieht ein, daß es solidarisch verantwortlich ist für die Weigerung der Steuern, so wie es früher solidarisch verantwortlich war für ihre Eintreibung. Der Kampf wird entschieden werden zwischen der zahlenden Gewalt und der bezahlten Gewalt.
Geschrieben von Karl Marx.
Die Oberprokuratur und die „Neue Rheinische Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 149 vom 22. November 1848] * Köln, 21 .November. Wer steht auf dem Rechtsboden, der Oberpräsident Eichmann oder die Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung"? Wer soll den Boden des Gefängnisses betreten, die Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung" oder der Oberpräsident Eichmann? Diese Frage liegt gegenwärtig dem öffentlichen Ministerium Zweiffei zur Entscheidung vor. Wird das öffentliche Ministerium Zweiffei auf die Seite des Ministeriums Brandenburg treten, oder wird der Oberprokurator Zweiffei als alter Mitarbeiter der „Neuen Rheinischen Zeitung"[68] die Partei seiner Kollegen ergreifen? Diese Frage liegt gegenwärtig dem Publikum zur Entscheidung vor. Die „Neue Rheinische Zeitung" drang auf Einstellung der Steuern vor dem Beschlüsse der Nationalversammlung1; sie war gesetzlich vor der gesetzgebenden Gewalt. Und wenn dieses Vorgreifen vor der Gesetzlichkeit eine Ungesetzlichkeit ist, so stand die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung" während sechs vollen Tagen auf ungesetzlichem Boden. Herr Zweiffei hätte während sechs Tagen inquirieren können, den siebenten Tag aber mit seinem Inquisitionseifer ruhen müssen. Am siebenten Tage aber, nachdem das Werk der Schöpfung vollbracht und Herr Zweiffei den Sabbat gefeiert und die Nationalversammlung die Weigerung der Steuern zum Gesetze erhoben hatte, wendete sich der Präsident Eichmann an den Herrn Zweiffei, um gegen diejenigen, welche zur Weigerung der Steuern provoziert hatten, zu inquirieren. Wer hat zur Steuerverweigerung provoziert? Die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung" oder die Nationalversammlung zu Berlin? Wen soll Herr Zweiffei verhaften, seine alten Kollegen, die Deputierten zu Berlin, oder seine alten Mitarbeiter,
die Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung", oder den Präfekten, Herrn Eichmann? Herr Zweiffei hat bisheran noch niemanden verhaftet. Wir tragen daher darauf an, daß ein anderer Zweiffei den Herrn Zweiffei verhaftet, weil er vor dem Sabbat nicht die Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung" und nach dem Sabbat nicht den Herrn Eichmann verhaftet hat.
Geschrieben von Karl Marx.
Die Staatsanwaltschaft in Berlin und in Köln
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 149 vom 22. November 1848] * Köln, 21 .November. In Berlin streckt die Staatsanwaltschaft die Waffen vor einem Hochverräter. Der erste Staatsanwalt, Herr Sethe, statt der Aufforderung der Nationalversammlung, gegen den Hochverräter Brandenburg seine Pflicht zu tun, Genüge zu leisten - dankt ab. Der Rheinische Kreisausschuß der Demokraten, welcher sich bemüht, dem gesetzlichen Beschluß der Nationalversammlung die möglichste Verbreitung zu geben, und dazu auffordert, die Pläne eines Hochverräters zu vereiteln1, wird von dem Kölnischen Prokurator verfolgt wegen - Rebellion (?!). „Wer die Gewalt hat, hat das Recht." - Die Vertreter des Rechts stehen überall auf Seiten der Gewalt.
Geschrieben von Karl Marx.
Die Frankfurter Versammlung™
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 150 vom 23. November 1848] * Köln, 22.November. Das Frankfurter Parlament hat den Beschluß der Berliner Versammlung in betreff der Steuerverweigerung als gesetzwidrig für null und nichtig erklärt.[70] Es hat sich dadurch für Brandenburg, für Wrangel, für das spezifische Preußentum erklärt. Frankfurt ist nach Berlin, Berlin ist nach Frankfurt hinübergesiedelt. Das deutsche Parlament ist in Berlin, das preußische Parlament in Frankfurt. Das preußische Parlament ist ein deutsches, das deutsche ein Brandenburg-preußisches geworden. Preußen sollte in Deutschland aufgehen, und das deutsche Parlament in Frankfurt will nun, daß Deutschland in Preußen aufgehe! Das deutsche Parlament! Wer sprach von einem deutschen Parlament nach den schweren Vorfällen in Berlin und Wien. Nach dem Tode Robert Blums dachte kein Mensch mehr an das Leben des edlen Gagern. Nach einem Ministerium Brandenburg-Manteuffel dachte kein Teufel mehr an einen Schmerling. Die Herren Professoren, welche „Geschichte machten" zu ihrem Privatvergnügen, mußten geschehen lassen die Bombardierung Wiens, die Ermordung Robert Blums, die Barbarei Windischgrätz'! Die Herren, denen die Kulturgeschichte Deutschlands so sehr am Herzen lag, überließen die praktische Handhabung der Kultur einem Jellachich und seinen Kroaten! Während die Professoren die Theorie der Geschichte machten, ging die Geschichte ihren stürmischen Lauf und kümmerte sich wenig um die Geschichte der Herren Professoren. Der Beschluß von vorgestern hat das Frankfurter Parlament vernichtet. Er hat es in die Arme des Hochverräters Brandenburg geworfen. Das Frankfurter Parlament hat sich des Hochverrats schuldig gemacht und muß gerichtet werden. Wenn ein ganzes Volk sich erhebt, um gegen einen Akt königlicher Willkür zu protestieren, wenn dieser Protest auf ganz gesetzmäßigem Wege,
durch die Weigerung der Steuern, geschieht und eine Versammlung von Professoren - ohne alle Befugnis - diese Weigerung der Steuern, diese Erhebung des ganzen Volkes, für eine gesetzwidrige erklärt, so ist diese Versammlung außer allem Gesetz, sie ist eine hochverräterische. Es ist die Pflicht aller Mitglieder der Frankfurter Versammlung, welche gegen den Beschluß gestimmt haben, aus diesem „verblichenen Bundestag" auszutreten. Es ist die Pflicht aller Demokraten, diese ausgetretenen „Preußen" für die deutsche Nationalversammlung in Berlin zu wählen, als Stellvertreter der ausgeschiedenen „Deutschen". Die Nationalversammlung in Berlin ist kein „Teil", sie ist vollständig, denn sie ist beschlußfähig. Die brandenburgische Versammlung in Frankfurt wird aber ein „Teil" werden; denn dem notwendig gewordenen Austritt der 150 werden gewiß noch manche andere nachfolgen, die nicht einen Frankfurter Bundestag konstituieren wollen. Das Frankfurter Parlament! Es hat Furcht vor einer roten Republik und dekretiert eine rote Monarchie! Wir wollen keine rote Monarchie, wir wollen nicht, daß die purpurrot gefärbte Krone Ostreichs über Preußen kömmt, und deshalb erklären wir das deutsche Parlament des Hochverrats schuldig! Doch nein, wir tun ihm zu viel Ehre an; wir geben ihm eine politische Wichtigkeit, die es längst verloren. Das strengste Urteil ist bereits über ihm ergangen — die Nichtbeachtung seiner Beschlüsse und die - Vergessenheit.
[Belagerungszustand überall]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 150 vom 23. November 1848, Extrablatt] * Köln, 22.November. Wir haben dem kölnischen Stadtrate Fußtritte prophezeit als Antwort auf die Petition an den König.1 Wir haben uns getäuscht. Die Fußtritte hat der Gemeinderat zwar erhalten, aber nicht vom Könige, sondern von Manteuffel-Brandenburg1711. Tant pis!2 Wir haben ferner gesagt, daß nach dem Beschluß des Frankfurter Parlaments es Pflicht der Linken sei, auszutreten.3 Wie wir hören, ist nicht allein die Linke, sondern auch das linke Zentrum ausgetreten, um einen demokratischen Zentralausschuß zu bilden. Tant mieux!4 Belagerungszustände, das sind die Errungenschaften der Märzrevolution. Düsseldorf in Belagerungszustand! Man belagert eine Stadt, um sie zu erobern. Alle Städte Preußens werden nach und nach in Belagerungszustand erklärt, um wiedererobert zu werden. Ganz Preußen muß wiedererobert werden, weil ganz Preußen von Preußen abtrünnig geworden. Wie wird der Belagerungszustand bewerkstelligt? Durch die Entwaffnung der Bürger. Wie wird eine Stadt wie Köln, die bereits entwaffnet ist, abermals in den Belagerungszustand gesetzt? Indem man ihr vorher die Waffen wiedergibt. Köln abermals in den Belagerungszustand setzen, d.h. Köln die Waffen in [die] Hände geben. Es lebe der Belagerungszustand!
Geschrieben von Karl Marx.
1 Siehe vorl. Band, S. 37 besser!
- 2 Um so schlimmer! - 3 siehe vorl. Band, S. 44 - 4 Um so
Die deutsche Zentralgewalt1721 und die Schweiz
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. i 53 vom 26. November 1848] * Köln, 24.November. In den Komödien des vorigen Jahrhunderts, namentlich den französischen, fehlt es nie an einem Bedienten, der das Publikum dadurch erheitert, daß er jeden Augenblick Prügel, Püffe und, in Szenen von besonderm Effekt, sogar Fußtritte bekommt. Die Rolle dieser Bedienten ist gewiß nicht dankbar, aber sie ist noch beneidenswert gegen eine Rolle, die auf unserm Frankfurter Reichstheater stehend ist: gegen die des Reichsministers der auswärtigen Angelegenheiten. Die Bedienten im Lustspiel haben wenigstens ein Mittel, sich zu rächen - sie haben Witz. Aber der Reichsminister! Seien wir gerecht. Das Jahr 1848 trägt allen Ministern der auswärtigen Angelegenheiten keine Rosen. Palmerston und Nesselrode sind bis jetzt froh gewesen, daß man sie in Ruhe ließ. Der schwunghafte Lamartine, der mit seinen Manifesten selbst deutsche alte Jungfern und Witwen zu Tränen rührte, hat sich mit zerknickten und zerrupften Schwingen verschämt auf die Seite schleichen müssen. Sein Nachfolger, Bastide, der noch vor einem Jahr im „National"t73] und der obskuren „Revue nationale" t74] als offizieller Kriegsdrommetenschmetterer die tugendhafteste Entrüstung über die feige Politik Guizots ausschüttete, vergießt jetzt allabendlich stille Tränen über die Lektüre seiner ceuvres completes de la veille1 und über den herben Gedanken, daß er tagtäglich mehr zum Guizot der honetten Republik herabsinkt. Alle diese Minister haben jedoch einen Trost: Ist es ihnen im Großen schlecht gegangen, so haben sie im Kleinen, in dänischen, sizilianischen, argentinischen, walachischen und andern entlegenen Fragen, Revanche nehmen können. Selbst der preußische auswärtige Minister, Herr Arnim, als er den unangenehmen
1 gesammelten Werke vom Vorabend (der Revolution)
dänischen Waffenstillstand schloß, hatte die Genugtuung, nicht bloß der Geprellte zu sein, sondern auch jemanden zu prellen, und dieser Jemand war der Reichs minister! In der Tat, der Reichsminister des Auswärtigen ist der einzige von allen, der eine rein passive Rolle gespielt, der Stöße erhalten, aber keinen einzigen ausgeteilt hat. Er ist seit den ersten Tagen seines Amtsantritts das auserkorne Sündenlamm gewesen, auf den alle Kollegen der Nachbarstaaten ihre Galle ausgössen, an dem sie alle Vergeltung nahmen für die kleinen Leiden des diplomatischen Lebens, an denen auch sie ihren Teil zu tragen hatten. Da er geschlagen und gemartert wurde, tat er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Wo ist einer, der da sagen kann, der Reichsminister habe ihm ein Härlein gekrümmt? Wahrlich, die deutsche Nation wird es Herrn Schmerling nie vergessen, daß er mit solcher Entschlossenheit und Konsequenz die Traditionen des alten heiligen römischen Reichs wiederaufzunehmen gewagt hat. Sollen wir den Duldermut, den Herr v. Schmerling entfaltet hat, durch ein Register seiner diplomatischen Erfolge noch konstatieren? Sollen wir zurückkommen auf die Reise des Herrn Max Gagern von Frankfurt nach Schleswig, jenes würdige Seitenstück zu weiland „Sophiens Reise von Memel nach Sachsen" ?[751 Sollen wir die ganze erbauliche Historie vom dänischen Waffenstillstand wieder hervorsuchen? Sollen wir auf die verunglückte Mediationsanerbietung in Piemont und auf Herrn Heckschers diplomatische Studienreise aus Reichsstipendien eingehen? Es ist nicht nötig. Die Tatsachen sind zu neu und zu schlagend, als daß man sie nur zu erwähnen brauchte. Aber alles hat seine Grenzen, und am Ende muß auch der Geduldigste einmal zeigen, daß er Haare auf den Zähnen hat, sagt der deutsche Spießbürger. Getreu dieser Maxime einer Klasse, die unsere Herren Staatsmänner für die große wohlgesinnte Majorität in Deutschland erklären, hat Herr v. Schmerling endlich auch einmal das Bedürfnis gefühlt, zu zeigen, daß er Haare auf den Zähnen hat. Das Sündenlamm suchte einen Sündenbock und glaubte ihn endlich in der Schweiz gefunden zu haben. Die Schweiz — kaum zwei und eine halbe Million Einwohner, Republikaner obendrein, die Zufluchtstätte, von der aus Hecker und Struve nach Deutschland eingefallen[76] und das neue heilige römische Reich schwer beunruhigt haben —, kann man eine bessere und zugleich ungefährlichere Gelegenheit finden, zu beweisen, daß das „große Deutschland" Haare auf den Zähnen hat? Sofort wurde eine „energische" Note an den Vorort17 7 ] Bern wegen der Umtriebe der Flüchtlinge gerichtet. Der Vorort Bern jedoch antwortete dem
„großen Deutschland" im Namen der „kleinen Schweiz" ebenso energisch im Bewußtsein seines guten Rechts. Das aber schüchterte Herrn Schmerling keineswegs ein. Die Haare wuchsen ihm erstaunlich schnell auf den Zähnen, und schon am 23.Oktober wurde eine neue, noch „energischere" Note abgefaßt und am 2.November dem Vorort behändigt. Hier drohte Herr Schmerling der unartigen Schweiz schon mit der Rute. Der Vorort, noch rascher bei der Hand als der Reichsminister, antwortete schon zwei Tage darauf mit derselben Ruhe und Entschiedenheit wie früher, und Herr Schmerling wird nun also seine „Vorkehrungen und Maßregeln" gegen die Schweiz in Kraft treten lassen.t78J Er ist bereits damit aufs eifrigste beschäftigt, wie er in der Frankfurter Versammlung erklärt hat. Wäre diese Drohung ein gewöhnliches Reichspossenspiel, wie wir deren schon so viele in diesem Jahr gesehen, wir würden kein Wort darüber verlieren. Da aber unsern Reichs-Don-Quixoten oder vielmehr Reichs-Sanchos in der Verwaltung des auswärtigen Amts ihrer Insel Barataria[79 ] nie Unverstand genug zuzutrauen ist, so kann es leicht kommen, daß wir durch diese Schweizer Differenz in allerhand neue Verwicklungen geraten. Quidquid delirant reges usw.[80] Sehen wir uns also die Reichsnote an die Schweiz etwas näher an. Es ist bekannt, daß die Schweizer das Deutsche schlecht sprechen und nicht viel besser schreiben. Aber die Antwortnote des Vororts ist, was den Stil angeht, ein goethisch-gerundetes Meisterwerk gegen das schülerhafte, unbeholfene, stets um den Ausdruck verlegene Deutsch des Reichsministeriums. Der schweizerische Diplomat (wie es heißt, der Bundeskanzler Schieß) scheint absichtlich seine Sprache besonders rein, fließend und gebildet gehalten zu haben, um schon in dieser Beziehung einen ironischen Kontrast zu bilden gegen die Note des Reichsverwesers, die von einem der Rotmäntelt81] Jellachichs gewiß nicht schlechter stilisiert worden wäre. Es sind Sätze in der Reichsnote, die gar nicht zu verstehen, und andere, die von vollendeter Holprigkeit sind, wie man weiter unten sehen wird. Aber sind nicht diese Sätze gerade geschrieben „in der Sprache der Geradheit, die die Regierung des Reichsverwesers im Völkerverkehr sich stets zur Pflicht machen wird"? Nicht besser geht es dem Herrn Schmerling, was den Inhalt anbetrifft. Gleich im ersten Absatz erinnert er „an die Tatsache, daß über die deutsche Note vom 30.Juni d.J. in der Tagsatzung mehrere Wochen hindurch, bevor irgendeine Antwort erfolgte, in einem Tone verhandelt wurde, welcher zu jener Zeit einem Vertreter Deutschlands den Aufenthalt in der Schweiz unmöglich gemacht haben würde". (Hier ist gleich eine Stilprobe.)
Der Vorort ist gutmütig genug, der „Regierung des Reichsverwesers" nach den Protokollen der Tagsatzung[30J zu beweisen, daß diese „mehrere Wochen langen" Debatten sich auf eine einzige kurze Verhandlung an einem einzigen Tage beschränken. Man sieht, wie unser Reichsminister, statt die Aktenstücke nachzuschlagen, lieber dem Schatz seines verworrenen Gedächtnisses vertraut. Wir werden dafür noch mehr Beweise finden. Die Regierung des Reichsverwesers kann übrigens in dieser Gefälligkeit des Vororts, in der Bereitwilligkeit, mit der er ihrem schwachen Gedächtnis nachhilft, einen Beweis der „freundnachbarlichen Gesinnungen" der Schweiz finden. Wahrhaftig, hätte sie sich beigehen lassen, in einer Note auf ähnliche Weise von den englischen Parlamentsdebatten zu sprechen, die trockene Insolenz Palmerstons würde ihr ganz anders die Tür gewiesen haben! Der preußische und östreichische Gesandte in London können ihr erzählen, was über ihre resp. Staaten und Noten öffentlich verhandelt wurde, ohne daß ein Mensch daran dachte, daß ihr Aufenthalt in London dadurch unmöglich geworden. Diese Schüler wollen der Schweiz Völkerrecht beibringen und wissen nicht einmal, daß von den Verhandlungen souveräner Versammlungen sie nur das angeht, was beschlossen, nicht aber das, was geredet wird! Diese Logiker behaupten in derselben Note, „die Schweiz werde wissen, daß Angriffe auf die Preßfreiheit nicht von Deutschland ausgehen könnten" (diese Zeilen in der „NJeuen] Rheinischen] Zfeitung]" abzudrucken, reicht schon hin, um sie bitter zu ironisieren) - ünd wollen sich sogar in die Freiheit der Debatte der damals höchsten schweizerischen Behörden mischen!
„Ein Streit über Grundsätze liegt nicht vor. Es handelt sich nicht um das Asylrecht, noch um die Preßfreiheit. Die Schweiz wird wissen, daß Angriffe gegen diese Rechte nicht von Deutschland ausgehen können. Sie hat wiederholt erklärt, daß sie den Mißbrauch derselben nicht dulden werde, sie hat anerkannt, daß das Asylrecht nicht zu einem Gewerbe für die Schweiz" (was soll das heißen?), „zu einem Kriegszustand für Deutschland" (das Asylrecht ein Kriegszustand, welches Deutsch!) „werden dürfe, daß ein Unterschied sein müsse zwischen einem Obdach für Verfolgte und einem Schlupfwinkel für Wegelagerer." „Schlupfwinkel für Wegelagerer!" Sind Rinaldo Rinaldini[82J und sämtliche bei Gottfried Basse in Quedlinburg erschienenen Räuberhauptleute aus den Abruzzen mit ihren Banden an den Rhein gezogen, um bei gelegener Zeit das badische Oberland auszuplündern? Ist Karl Moor im Anzüge aus den böhmischen Wäldern? Hat Schinderhannes auch einen Bruderssohn hinterlassen, der als „Neffe seines Onkels"1831 die Dynastie von der Schweiz aus fortsetzen will? Weit entfernt! Struve, der im badischen Gefängnis sitzt, Frau Struve und die paar Arbeiter, die unbewaffnet über die Grenze zogen, das sind die
4 Marx/Engels, Werke, Bd, 6
„Wegelagerer", die in der Schweiz ihre „Schlupfwinkel" hatten oder noch haben sollen. Die Reichsgewalt, nicht zufrieden mit den Gefangenen, an denen sie sich rächen kann, entäußert sich so alles Anstandes, daß sie den glücklich Entronnenen Schimpfworte über den Rhein nachschleudert.
„Die Schweiz weiß, daß man ihr keine Preßverfolgungen zumutet, daß nicht von den Zeitungs- und Flugblättern, sondern von deren Urhebern die Rede ist, welche dicht an der Grenze bei Tag und Nacht durch massenweise Einschleppung von Brandschriften einen niedrigen Schmuggelkrieg gegen Deutschland führen."
„Einschleppung!" „Brandschriften!" „niedriger Schmuggelkrieg!" Die Ausdrücke werden immer gebildeter, immer diplomatischer - aber hat sich nicht die Regierung des Reichsverwesers „die Sprache der Geradheit zur Pflicht gemacht"? Und in der Tat, ihre Sprache ist von merkwürdiger „Geradheit"! Sie mutet der Schweiz keine Preßverfolgungen zu; sie spricht nicht von den „Zeitungen und Flugblättern", sondern von „deren Urhebern1. Diesen soll das Handwerk gelegt werden. Aber, ehrliche „Regierung des Reichsverwesers", wenn man in Deutschland einem Blatt den Prozeß macht, z.B. der „Neuen Rheinfischen] Zeitung", handelt es sich da um das Blatt, das in aller Welt Händen ist und nicht mehr der Zirkulation entzogen werden kann, oder um die „Urheber", die man einsteckt und vor Gericht stellt? Diese brave Regierung verlangt keine Verfolgungen gegen die Presse, bloß gegen die Urheber der Presse. Ehrliche Haut! Wunderbare „Sprache der Geradheit"! Diese Urheber „führen durch massenweise Einschleppung von Brandschriften einen niedrigen Schmuggelkrieg gegen Deutschland". Dies Verbrechen der „Wegelagerer" ist wirklich unverzeihlich, um so mehr, als „es bei Tag und Nacht" geschieht, und daß die Schweiz dies duldet, ist ein himmelschreiender Bruch des Völkerrechts. Von Gibraltar aus werden ganze Schiffsladungen englischer Waren nach Spanien hineingeschmuggelt, und die spanischen Pfaffen erklären, daß die Engländer von dort aus „durch Einschleppung von evangelischen Brandschriften", z.B. spanischen Bibeln der Bibelgesellschaft, einen niedrigen Schmuggelkrieg gegen die katholische Kirche führen. Die Fabrikanten von Barcelona fluchen ebensosehr über den niedrigen Schmuggelkrieg, der durch Einschleppung englischer Kalikos von dort aus gegen die spanische Industrie geführt wird. Aber der spanische Gesandte sollte sich nur einmal darüber beschweren, und Palmerston würde ihm antworten: Thou blockhead1, gerade
deswegen haben wir ja Gibraltar genommen! Alle andern Regierungen haben bisher zuviel Takt, Geschmack und Überlegung besessen, um sich in Noten über den Schmuggel zu beschweren. Aber die naive Regierung des Reichsverwesers spricht so sehr die „Sprache der Geradheit", daß sie höchst treuherzig erklärt, die Schweiz habe das Völkerrecht verletzt, wenn die badischen Grenzaufseher nicht gehörig aufpassen.
„Die Schweiz kann endlich auch darüber nicht im unklaren sein, daß das Recht des Auslandes, sich solcher Unbill zu verwehren, nicht davon abhängen kann, ob es den schweizerischen Behörden an der Macht oder am Willen fehlt, sie zu verhüten."
Die Regierung des Reichsverwesers scheint vollständig „darüber im unklaren zu sein, daß das Recht" der Schweiz, jeden ruhig gewähren zu lassen, der sich den Landesgesetzen unterwirft, sollte er auch durch Einschleppung etc. einen niedrigen Schmuggelkrieg etc. führen, „nicht davon abhängen kann, ob es den deutschen Behörden an der Macht oder am Willen fehlt", diesen Schmuggel „zu verhüten". Die Regierung des Reichs Verwesers beherzige die Antwort Heines an den Hamburger, der ihm vom großen Brande vorjammerte:
Schafft Euch beßre Gesetze an, Und beßre Feuerspritzen -[841 und sie wird nicht mehr nötig haben, sich fernerhin durch die Geradheit ihrer Sprache lächerlich zu machen. „Nur über die Tatsachen ist Streit", heißt es weiter, und wir werden also endlich außer dem niedrigen Schmuggelkrieg einige andere, bedeutende Tatsachen hören. Wir sind begierig.
„Der hohe Vorort verlangt, unter Berufung auf seine Nichtkenntnis, daß er den bestimmten Nachweis von Vorgängen erhalte, welche die gegen die schweizerischen Behörden erhobenen Anklagen zu erhärten vermögen."
Offenbar ein sehr vernünftiges Verlangen von Seiten des hohen Vororts. Und die Regierung des Reichsverwesers wird bereitwilligst diesem billigen Verlangen entsprechen? Keineswegs. Man höre nur:
„Aber ein kontradiktorisches Verfahren zwischen Regierungen über weltkundige Dinge liegt nicht in der Sitte der Völker."
Da habt ihr eine derbe Lektion des Völkerrechts für die arrogante kleine Schweiz, die da glaubt, mit der Regierung des Reichsverwesers des großen Deutschlands ebenso naseweis umspringen zu dürfen wie weiland das kleine
Dänemark. Sie sollte sich ein Exempel nehmen an dem dänischen Waffenstillstand und bescheidener werden. Eis könnte ihr sonst ebenso gehen. Wenn die Auslieferung eines gemeinen Verbrechers von einem Nachbarstaate verlangt wird, so läßt man sich in ein kontradiktorisches Verfahren ein, mag das Verbrechen noch so „weltkundig" sein. Aber das kontradiktorische Verfahren oder vielmehr der bloße Nachweis der Schuld, den die Schweiz verlangt, ehe sie - nicht gegen übergetretene gemeine Verbrecher, auch nicht gegen Flüchtlinge, nein, gegen ihre eigenen aus demokratischer Volkswahl hervorgegangenen Beamten einschreitet — dieser Nachweis „liegt nicht in der Sitte der Völker"! Wahrlich, die „Sprache der Geradheit" verleugnet sich nicht einen Augenblick. Gerader heraus kann man nicht gestehen, daß man keine Beweise zu bringen hat. Und jetzt folgt ein Hagel von Fragen, in dem alle diese weltkundigen Tatsachen aufgezählt werden.
„Zweifelt jemand an dem Treiben der deutschen Aufwiegler in der Schweiz?" Gewiß niemand, ebensowenig wie an dem Treiben des Herrn Schmerling in Frankfurt. Daß die deutschen Flüchtlinge in der Schweiz meistens irgend etwas „treiben", ist klar. Die Frage ist nur, was sie treiben, und das weiß offenbar Herr Schmerling selbst nicht, sonst würde er's sagen.
„Zweifelt jemand an der Flüchtlingspresse?" Gewiß niemand. Aber Herr Schmerling selbst erklärt ja, Angriffe gegen die Preßfreiheit könnten nicht von Deutschland kommen. Und wenn sie kämen, die Schweiz würde sie wahrhaftig zurückzuweisen wissen. Was heißt denn diese Frage? Übersetzen wir sie aus der „Sprache der Geradheit" ins Deutsche, so heißt sie weiter nichts als: Die Schweiz soll für die Flüchtlinge die Preßfreiheit aufheben. A un autre, Monsieur de Schmerling!1
„Soll Deutschland vor Europa die Wallfahrten nach Muttenz beweisen?" Gewiß nicht, schlaue „Regierung des Reichsverwesers". Aber daß diese Wallfahrten die Ursache des Struveschen Einfalles oder womöglich irgendeiner andern Unternehmung gewesen sind, die mehr Grund zur Klage gegen die Schweiz gibt, das zu beweisen, würde der Regierung des Reichsverwesers keine Schande, aber desto mehr Schwierigkeiten machen. Der Vorort ist abermals so gefällig, mehr zu tun, als „in der Sitte der Völker liegt", und Herrn Schmerling daran zu erinnern, daß die Wallfahrten nach
* Erzählen Sie das einem anderen, Herr von Schmerling!
Muttenzt85J gerade Hecker galten, daß Hecker gegen den zweiten Einfall war, daß er sogar, um allen Zweifel über seine Absichten niederzuschlagen, nach Amerika ging, daß unter den Wallfahrern hervorragende Mitglieder der deutschen Nationalversammlung waren. Der Vorort ist delikat genug, selbst der undelikaten Note des Herrn Schmerling gegenüber den letzten und schlagendsten Grund nicht zu erwähnen: daß nämlich die „Wallfahrer" ja wieder nach Deutschland zurückgingen und dort von der Regierung des Reichsverwesers jeden Augenblick für irgendwelche strafbare Handlung, für all ihr „Treiben" in Muttenz zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Daß dies nicht geschehen, beweist am besten, daß die Regierung des Reichsverwesers keine Data hat, die die Wallfahrer inkriminieren, daß sie also noch viel weniger den schweizerischen Behörden in dieser Beziehung einen Vorwurf machen kann.
„Oder die Versammlungen auf dem Birsfelde?" Die „Sprache der Geradheit" ist eine schöne Sache. Wer, wie die Regierung des Reichs Verwesers, sich diese Sprache „zur Pflicht im Völkerverkehr gemacht hat", der braucht bloß nachzuweisen, daß Versammlungen überhaupt oder auch Versammlungen von Flüchtlingen auf dem Birsfelde stattgefunden haben, um den Schweizer Behörden grobe Verletzung des Völkerrechts vorwerfen zu können. Andre Sterbliche müßten freilich erst nachweisen, was in diesen Versammlungen Völkerrechtwidriges vorgefallen. Aber das sind ja „weltkundige Tatsachen", so weltkundig, daß, ich wette, keine drei unter den Lesern der ,,N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g" sind, die überhaupt wissen, von welchen Versammlungen Herr Schmerling spricht.
„Oder die Rüstungen der Unheilstifter, die längs der Grenze, in Rheinfelden, Zurzach, Gottlieben und Laufen ihr Wesen treiben dürfen?"
Gottlob! Wir erfahren endlich etwas Näheres über das „Treiben" der Flüchtlinge. Wir haben Herrn von Schmerling unrecht getan, als wir meinten, er wisse nicht, was die Flüchtlinge trieben. Er weiß nicht nur, was sie treiben, er weiß auch, wo sie treiben. Wo treiben sie? In Rheinfelden, Zurzach, Gottlieben und Laufen längs der Grenze. Was treiben sie? „Ihr Wesen!" „Sie treiben ihr Wesen!" Kolossale Schändung alles Völkerrechts - ihr Wesen! Was treibt denn die Regierung des Reichs Verwesers, damit sie das Völkerrecht nicht verletzt — etwa „ihr Unwesen"? Aber Herr v. Schmerling spricht von „Rüstungen". Und da unter den Städten, wo die Flüchtlinge zum Schrecken des ganzen Reichs ihr Wesen treiben, mehrere sind, die dem Kanton Aargau angehören, so nimmt der Vorort ihn zum Beispiel. Er tut wieder ein übriges, er tut abermals mehr, als „in der
Sitte der Völker liegt", und erbietet sich, durch ein „kontradiktorisches Verfahren" nachzuweisen, daß damals im Kanton Aargau nur 25 Flüchtlinge lebten, daß davon nur 10 am zweiten Freischarenzuge Struves teilnahmen und daß auch diese unbewaffnet nach Deutschland hinübergingen. Das waren die ganzen „Rüstungen". Aber was heißt das? Die übrigen 15, die zurückblieben, waren gerade die Gefährlichsten. Sie blieben offenbar nur zurück, um „ihr Wesen" ununterbrochen weiter zu „treiben"! Das sind die gewichtigen Anklagen der „Regierung des Reichs Verwesers" gegen die Schweiz. Weiter weiß sie nichts vorzubringen und braucht es auch nicht, da es „nicht in der Sitte der Völker liegt" usw. Ist die Schweiz schamlos genug, durch diese Anklagen noch nicht niedergeschmettert zu sein, so werden die „Entschließungen" und „Vorkehrungen" der Regierung des Reichs Verwesers die niederschmetternde Wirkung nicht verfehlen. Die Welt ist begierig zu erfahren, wie diese Entschließungen und Vorkehrungen beschaffen sein werden, um so begieriger, als Herr Schmerling sie mit dem größten Geheimnis betreibt und selbst der Frankfurter Versammlung nichts Näheres mitteilen will. Die Schweizer Presse hat indes schon nachgewiesen, daß alle Repressalien, die Herr Schmerling ergreifen kann, weit schädlicher auf Deutschland wirken müssen als auf die Schweiz, und nach allen Berichten sehen die Schweizer den „Vorkehrungen und Entschließungen" der reichsverweserlichen Regierung mit dem größten Humor entgegen. Ob die Herren Minister in Frankfurt denselben Humor behaupten werden, besonders wenn englische und französische Noten dazwischenkommen, müssen wir erwarten. Nur eins ist gewiß: Die Sache wird enden wie der dänische Kriegt86] - mit einer neuen Blamage, die diesmal aber nur das offizielle Deutschland treffen wird.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Manteuffel und die Zentralgewalt
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 153 vom 26. November 1848] * Köln, 24.November. Der Minister Manteuffel hat gestern den zu Berlin anwesenden Reichskommissären1 erklärt, daß die preußische Regierung sich dem Beschlüsse der Frankfurter Versammlung, ein volkstümliches Ministerium zu hildeni87\ nicht unterwerfen werde, weil es sich von einer innern Angelegenheit handle. Manteuffel stimmt also darin mit uns überein, daß auch der Beschluß der Frankfurter Versammlung über die Steuerverweigerung[70! null und nichtig ist2, weil er nur eine innere Angelegenheit betrifft. Es wäre allerdings möglich, daß das Ministerium Brandenburg-Manteuffel die Rheinprovinz in eine auswärtige Angelegenheit für Preußen verwandeln hilft.
Drigalski der Gesetzgeber, Bürger und Kommunist1883
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 153 vom 26. November 1848] * Köln, 24.November. Düsseldorf ist in Belagerungszustand erklärt; das Ministerium Brandenburg-Wrangel bat in den Herren Spiegel-Drigalski würdige Repräsentanten gefunden. Der erste dieser Herren ist simpler Regierungspräsident, der andere aber vereinigt mannigfaltige Qualitäten; er ist nicht nur Generallieutenant und Divisionskommandeur — als solcher figuriert er in der Rang- und Quartierliste und als „oberster" Gesetzgeber der Stadt und Samtgemeinde Düsseldorf —, er ist auch Schriftsteller und sagt von sich selbst, daß er zugleich „Bürger" sei und —Kommunist, alles mit Gott für König und Vaterland. Diese beiden Herren, der einfache wie der vielfarbige, haben gefunden, daß in Düsseldorf der gesetzliche Zustand nur mit außerordentlichen Mitteln aufrechterhalten werden kann; sie haben sich daher „genötigt" gefunden, „zum Schutze der gesetzlichen Ordnung" die Gesamtgemeinde Düsseldorf in Belagerungszustand zu erklären. Wir wissen seit lange, daß die Regierung Brandenburg nur mit außerordentlichen Mitteln sich halten kann; wir wissen, daß ihr1 Zustand längst schon aufgehört haben würde, wenn das Land sich nicht im Belagerungszustande befände. Der Belagerungszustand ist der gesetzliche Zustand der Regierung Brandenburg. „Belagerungszustand, meine Herren, heißt Kriegszustand", erklärte der Ministerpräsident von Pfuel in der Vereinbarungssitzung vom 29.September[89]. Damals handelte es sich von der Stadt und Festung Köln, damals war von einem Aufstande die Rede, die Verfügungen der Gerichte konnten nicht ausgeführt werden, die gesetzliche Gewalt — die Bürgerwehr — konnte die Ruhe nicht aufrechterhalten, es waren Barrikaden gebaut worden; der Gewalt
ließ sich nichts anders gegenüberstellen als Gewalt. So behaupteten wenigstens die Verteidiger des Belagerungszustandes, man gab sich wenigstens noch Mühe, mit angeblich konstatierten Tatsachen den äußern Schein zu retten. Jetzt macht man sich die Sache viel leichter; Düsseldorf ist nicht in Aufruhr, die Aktion der Gerichte ist keinen Augenblick gestört, die Bürgerwehr ist stets bereit gewesen, der gesetzlichen Requisition Folge zu geben, ja man kann sich nicht einmal auf die veralteten Instruktionen vom Jahre 1809 berufen, auf welche damals ein Hauptgewicht gelegt wurde; denn Düsseldorf ist keine Festung. Aber Düsseldorf hat sich mit einer seltenen Energie für die SteuerVerweigerung ausgesprochen, das genügte den beiden Brandenburgern, den gesetzlichen Zustand herzustellen, d.h., die Stadt außer dem Gesetz zu erklären. Wir gehen nicht auf die Beschuldigungen ein, welche der Proklamation des Belagerungszustandes zum Vorwande dienen sollen; wir empfehlen sie als falsche Beschuldigungen der Aufmerksamkeit der gerichtlichen Behörde, da zu ihrer Unterstützung nirgendwo der gesetzliche Beweis beigebracht, es sind Kalumnien, die den Artikeln 367 u.ff. des Strafgesetzbuchs190] verfallen. Wir wollen hier nur die Gesetzwidrigkeiten zusammenstellen, die sich die Herren Spiegel und Drigalski zum Schutze der gesetzlichen Ordnung zuschulden kommen lassen. Nachdem die beiden Herren den Belagerungszustand ausgesprochen und „damit die oberste Gewalt an die Militärbehörde übergegangen ist", verordnet der „Kommunist und Bürger" Drigalski wie folgt:
1. Die gesetzlich bestehenden Behörden verbleiben in ihren Funktionen und werden in den von ihnen zu treffenden Maßregeln aufs kräftigste unterstützt werden.
Das heißt, die gesetzlich bestehenden Behörden sind, insofern sie gesetzlich bestehen, kassiert, verbleiben aber zur Unterstützung des Herrn v. Drigalski in ihren Funktionen.
„Ich erwarte", spricht Drigalski zu seinen „Mitbürgern", „daß alle gutgesinnten Einwohner mir die Handhabung der Gesetze erleichtern und die Behörden mich darin mit aller Entschlossenheit unterstützen werden."
Herr Drigalski macht nicht bloß, sondern er handhabt auch die Gesetze, die gesetzlich bestehenden Behörden sind seine Trabanten. Und die „unabhängigen" Richter des Düsseldorfer Landgerichts und der Herr Oberprokurator und sein Parquet lassen sich das alles ganz ruhig gefallen! Sie finden keine Gesetzverletzung darin, daß sie ihres Amtes entsetzt werden, sie huldigen dem Gesetzgeber Drigalski und freuen sich, daß sie um diesen Preis ihr
Gehalt fortbeziehen dürfen. Pfui, ihr Herren, befällt euch gar keine Scham, die ihr unter dem Säbelregimente Verhaftsbefehle und Untersuchungen vornehmt? Oder ist etwa die Verhaftung des Herrn Lassalle, der in einem leider allzukühnen Vertrauen auf sein gutes Recht und den Schutz der gerichtlichen Behörde dem Belagerungszustande sich nicht entziehen wollte, nur ein Akt der Privatrache des Herrn Drigalski? Ist vielleicht in der Stille gegen diesen Menschen und seine Helfershelfer schon eine Untersuchung auf Grund der Artikel 114, 123, 124 beantragt und eingeleitet? Das zweite Gesetz des Herrn Drigalski lautet:
„Alle Vereine zu politischen und sozialen Zwecken sind aufgehoben." Was kümmert den Herrn Drigalski das Gesetz vom 6. April, § 4.1911 Sind hiernach „alle Preußen berechtigt, zu Zwecken, welche den bestehenden Gesetzen nicht zuwiderlaufen, sich zu Gesellschaften ohne vorgängige polizeiliche Erlaubnis zu vereinigen", so ist das offenbar eine jener „Errungenschaften", die so schnell als möglich wieder abgerungen werden müssen, also mit der Gesetzgebung Drigalskis unverträglich. Drittes und viertes Gesetz. Herr v. Drigalski ordnet den Straßen- und Wirtshaus verkehr. Als ob Düsseldorf Paris geworden wäre, erläßt er ein Gesetz gegen die Attroupements1. Er ist aber nicht bloß groß als Polizist, er bekündet auch entschiedenes Talent zum Nachtwächter: Er gebietet Feierabend. Fünftes Gesetz.
„Die Bürgerwehr ist vorbehaltlich ihrer Reorganisation aufgelöst und hat die Waffen noch heute abzuliefern." Dieses Gesetz ist kompliziert an Ungesetzlichkeiten, wir unterscheiden: a) Die Bürgerwehr ist aufgelöst. Nach den gewöhnlichen Gesetzen, namentlich dem Bürgerwehrgesetz vom 17. Oktober, kann die Bürgerwehr nur durch königliche] Kabinettsordres aufgelöst werden. Hat Herr v. Drigalski vielleicht eine geheime Kabinettsordre in petto? Nun, warum publiziert er sie nicht, wie er die Erklärung des Oberpostdirektors Maurenbrecher[92] publiziert. Freilich, diese ist sofort durch die Düsseldorfer Bürgerwehr Lügen gestraft worden. Herr v. Drigalski hat keine Kabinettsordre, er handelt aus eigner Machtvollkommenheit und maßt sich königliche Befugnisse an, obgleich er ein königlich-gesinnter „Bürger und Kommunist" ist.
b) Die Bürgerwehr ist nicht etwa bloß ihres Dienstes enthoben. Herr v. Drigalski begnügt sich nicht damit, nur die Amtsgewalt des Regierungspräsidenten an sich zu reißen. Was die Ungesetzlichkeit anlangt, so hätte er durch die bloße Dienstenthebung schon ein Hinreichendes getan. § 4 des Gesetzes vom 17.Oktober lautet:
„Wenn die Bürgerwehr einer Gemeinde oder eines Kreises der Requisition der Behörde Folge zu leisten sich weigert oder sich in die Verrichtungen der Gemeinde-, der Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden einmischt, so kann der Verwaltungschef des Regierungsbezirks unter Angabe der Gründe sie vorläufig ihres Dienstes entheben."
Die Dienstenthebung konnte also nur von dem Regierungspräsidenten ausgesprochen werden; aber weder von einem Generallieutenant noch von einem Divisionskommandeur, noch von einem Bürger, noch endlich von einem Kommunisten, und sei es auch ein ,,königl[ich]-pr[eußischer] Kommunist". Aber Herr Drigalski hat seine guten Gründe, sich ohne Achtung vor dem Instanzenzug sofort als Majestät zu gerieren. Hätte er die Bürgerwehr bloß als Regierungspräsident behandelt, so konnte er sie nicht entwaffnen. Aber c) „die Bürgerwehr hat noch heute die Waffen abzuliefern". Eine bloße Dienstenthebung berechtigt noch keineswegs zur Abnahme der Waffen. Sonst müßten ja auch suspendierte Offiziere ihren Degen abgeben. Aber Herr Drigalski hat recht; hätte die Bürgerwehr die Waffen behalten dürfen, so würde sie sich wahrscheinlich durch ihn nicht des Dienstes haben entsetzen lassen; sie würde ihrer Bestimmung, wieder § 1 des Gesetzes sie vorschreibt, nachgekommen sein. d) Herr v. Drigalski läßt an sich die Waffen abliefern. Da er sich einmal berufen fühlt, als Majestät aufzutreten, so stört er sich auch nicht an die königliche Verordnung betreffend die Ausführung des Gesetzes über die Errichtung der Bürgerwehr. Hier heißt es § 3:
„Die vom Staate den Gemeinden verabreichten Waffen bleiben jedenfalls bis zu dem oben bezeichneten Zeitpunkte im Besitz der Gemeinden
Die „Stadtverwaltung und Gemeinderat" von Düsseldorf haben gegen diese Anordnung nichts einzuwenden. Statt gegen diese Ungesetzlichkeit zu protestieren und für die Rechte der Gemeinde einzutreten, ermahnen sie die Bürger zu „ruhigem, gesetzlichem Verhalten." gegen ihren neuen Diktator.
Sechstes Gesetz.
„Wer in offnem und bewaffnetem Widerstande gegen Maßregeln der gesetzlichen Behörde getroffen wird oder den Truppen durch eine verräterische Handlung Gefahr oder Nachteil bereitet, soll vor ein Kriegsgericht gestellt werden." Nach dem Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit1431 darf niemand vor einen andern als den im Gesetz bezeichneten Richter gestellt werden. Ausnahmsgerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft. Keine Strafe kann angedroht oder verhängt werden als in Gemäßheit des Gesetzes. Nach demselben Gesetze kann diese Bestimmung niemals zeit- oder distriktweise suspendiert werden, selbst nicht im Falle eines Kriegs oder Aufruhrs. Denn nach § 8 können alsdann nur §§ 1 und 6, aber auch nur durch Beschluß und unter Verantwortlichkeit des Staatsministeriums provisorisch aufgehoben werden. Gleichwohl verordnet Herr v. Drigalski ein Kriegsgericht für Zivilpersonen. Daß er Verhaftungen vornehmen läßt, daß er zu diesem Zwecke die Heiligkeit der Wohnung verletzt, darf nicht mehr wundern; diese Bestimmungen können ja wenigstens noch suspendiert werden, wenn auch nicht durch Herrn v. Drigalski. Es ist übrigens gleichgültig, ob man der Behauptung der „Düsseldorfer Zeitung", daß die Verhaftung Lassalles auf völlig formlose Weise erfolgt sei, oder der Versicherung der „Kölnischen Zeitung"[211, wonach sie auf Befehl des Instruktionsrichters geschehen ist, Glauben beimessen will. Die „Kölnische Zeitung" nimmt sich natürlich des Militärkommandanten an, um den Instruktionsrichter zu blamieren. Jedenfalls ist die Verhaftung ungesetzlich; denn in einem ungesetzlichen Zustande können keine gesetzlichen Handlungen vorgenommen werden. Im Kriegszustande hört die Aktion der bürgerlichen Gerichtsbarkeit auf. Bleibt der Instruktionsrichter in seinen Funktionen, so tritt er in die Stellung eines Militärauditeurs, sein Gesetzbuch werden die Kriegsartikel. Das Düsseldorfer Parquet hat diese seine neue Stellung wohl begriffen; denn betrachtete es sich noch in der Kompetenz, welche die rheinische Strafprozeßordnung vorschreibt, so würde es längst eingeschritten sein, wenn auch nur auf Grund des § 9 der Habeas-Corpus-Acte, welcher heißt:
„Es ist keine vorgängige Genehmigung der Behörden nötig, um öffentliche Zivil- und Militärbeamten wegen der durch Übertretung ihrer Amtsbefugnisse verübten Verletzungen vorstehender Bestimmungen gerichtlich zu belangen." Es fragt sich nun noch, um die Kraft unsrer rheinischen Institutionen vollständig kennenzulernen, ob der Generalprokurator, Herr Nicolovius, unter dessen Aufsicht alle Beamte der gerichtlichen Polizei, selbst die Instruktionsrichter stehen, das Verhalten des Düsseldorfer Parquets genehmigen wird.
Einer Deputation, welche sich gestern zu ihm begab, um ihn aufzufordern, den Düsseldorfer Ereignissen gegenüber seine Amtsgewalt eintreten zu lassen, soll Herr Nicolovius geantwortet haben, er habe keinen Gesetzartikel, auf Grund dessen er einschreiten könne. Wir sagen, Herr Nicolovius soll, obwohl uns diese Äußerung auf die glaubwürdigste Weise mitgeteilt worden ist. Wir können aber trotzdem nicht daran glauben, denn wir müßten sonst annehmen, daß Herr Nicolovius den Code penal[90] samt allen Gesetzen, welche seit dem März dieses Jahres erlassen worden sind, gänzlich aus dem Gedächtnis verloren haben müsse«
Geschrieben von Karl Marx.
[Drei Staatsprozesse gegen die „Neue Rheinische Zeitung"]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 153 vom 26. November 1848, Zweite Ausgabe] * Köln, 24.November. Es sind in diesem Augenblicke drei Staatsprozesse gegen die „Neue Rheinische Zeitung" anhängig — wir rechnen die gerichtlichen Verfolgungen gegen Engels, Dronhe, Wolff und Marx wegen angeblicher „unzeitungsmäßiger" politischer Vergehen nicht ein. Man versichert aus gut unterrichteter Quelle, daß wenigstens noch ein Dutzend Inquisitionen gegen das „Schandblatt" - offizieller Ausdruck des ci-devant-procurators1 und wirklichen Oberprokurators Hecker (c'est du Hecker tout pur)2 — eingeleitet worden. Erstes Verbrechen. Gewaltsamer Angriff auf die jungfräuliche „Delikatesse" von sechs k [öni]gl [ich] -preußischen Gendarmen und des Königs des Kölnischen Parquets, des Herrn Oberprokurators Zweiffei3 - Volksrepräsentanten in partibus infidelium[93], tagt einstweilen weder zu Berlin noch zu Brandenburg, sondern zu Köln am Rhein. Am Rhein! am Rhein! da wachsen unsre Reben ![94] Auch wir ziehen den Rhein der Spree vor und das Hotel Disch dem Hotel Mielenz.1951 Va pour la delicatesse des gens d'armes !4 Was die „Delikatesse" des Herrn Zweiffei angeht, so ist sie für uns ein „noli me tangere!"5 Wir waren sittlich entrüstet über jene undelikaten Mißtrauensvota, wodurch seine Wahlmänner ihn zum Rückzüge bewogen haben sollen. Als wahre Ehrenwächter der jungfräulichen „Delikatesse" des Herrn Zweiffei ersuchen wir ihn, die Erklärung des Herrn Weinhagen von Cleve öffentlich zurückzuweisen. Herr Weinhagen erklärte in der „Neuen Rheinischen Zeitung" mit Namensunterschrift, er habe für die „Ehre und Delikatesse" des Herrn Zweiffei verletzende Tatsachen mit
1 ehemaligen Prokurators - 2 (das ist Hecker unverfälscht) - 3 siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 166-168 - 1 Soweit das Zartgefühl der Gendarmen! - 5 „Rührmichnichtan!"
zuteilen. Er könne diese Tatsachen selbst beweisen, müsse aber von ihrer Veröffentlichung abstehen, solange Herr Zweiffei zu dem Paragraphen des Code penal[901 seine Zuflucht nehme, wonach jede, selbst die gegründetste Denunziation als Verleumdung verfolgt wird, wenn sie nicht durch richterliches Urteil oder authentische Urkunden bewiesen werden kann. Wir appellieren also an die „Ehre und Delikatesse" des Herrn Zweiffei! Zweites Verbrechen. Der einfache Hecker und der zwiespältige Hecker1. Drittes Verbrechen. Dies Verbrechen, welches sich im Jahre 1848 ereignet hat, wird auf Ansinnen des Reichsministeriums verfolgt. Das Verbrechen Schnapphahnski! Das Feuilleton als Verbrecher/[9eI Das Reichsministerium soll in seiner Anklageschrift die „Neue Rheinische Zeitung" als die schlechteste Zeitung in der „schlechten Presse" anerkannt haben. Wir unsererseits erklären die Reichsgewalt für die komischste Gewalt aller komischen Gewalten.
Geschrieben von Karl Marx.
Die Persönlichkeiten des Bundesrats1971
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 155 vom 29. November 1848] ** Bern, 24.November. Es wird den Lesern der ,,N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g" nicht unangenehm sein, einige Details über die Persönlichkeiten zu erfahren, die jetzt berufen sind, die Schweiz unter Kontrolle der beiden Räte[27] zu regieren, und die jetzt eben in Tätigkeit getreten sind. Fünf Mitglieder des Bundesrats haben unbedingt, eines, Herr Furrer, provisorisch bis zum Frühjahr die Wahl angenommen, und über die Annahme des siebenten (Munzinger) kann kein Zweifel obwalten. Der Präsident des Bundesrats, Herr Furrer, ist der echte Typus des Zürichers. Er hat, wie man in Frankreich sagen würde, l'air eminemment bourgeois1. Kleidung, Haltung, Gesichtszüge bis zur silbernen Brille verraten auf den ersten Blick den „freien Reichsstädter", der sich als Präsident des Vororts1^71 und resp. der Tagsatzung1301 zwar etwas zivilisiert hat, aber dennoch „jeder Zoll ein Provinzialist"1981 geblieben ist. Herr Furrer, einer der tüchtigsten Advokaten des „schweizerischen Athen" (so beliebt der Züricher Spießbürger sein Städtchen von 10000 Einwohnern zu nennen), hat das hauptsächlichste Verdienst, durch seine konsequenten Bemühungen und seinen gemäßigten Liberalismus das Züricher Septemberregiment[991 gestürzt und den Kanton der Partei der Bewegung wiedergegeben zu haben. Als Tagsatzungspräsident ist er seinen Prinzipien treu geblieben. Gemäßigter Fortschritt nach innen, strengste Neutralität nach außen war die Politik, die er verfolgte. Daß er jetzt Präsident des Bundesrats geworden, ist mehr Zufall als Absicht. Man hätte lieber einen Berner genommen; aber da blieb nur die Wahl zwischen Ochsenbein, gegen den große Antipathien herrschten, und Neuhaus, der jetzt, 1848, ebenso konservativ auftrat wie vor fünf bis sechs Jahren und
desKalb gar nicht in den Bundesrat gewählt wurde. In dieser Verlegenheit nahm man einen Züricher, und da war Furrer allerdings der passendste. Furrer repräsentiert also keineswegs ganz genau die Majorität der Bundesversammlung, aber er repräsentiert wenigstens die Majorität der deutschen Schweiz. Der Vizepräsident Druey ist in allen Stücken das Gegenteil Furrers und der beste Repräsentant, den die französische Schweiz schicken konnte. Ist Furrer der Majorität und vollends der radikalen Minorität zu gemäßigt, so ist Druey den meisten viel zu radikal. Ist Furrer ein gesetzter bürgerlicher Liberaler, so ist Druey ein entschiedener Anhänger der roten Republik. Die hervorragende Rolle, die Druey in den letzten Revolutionen seines Kantons gespielt hat, ist bekannt; weniger bekannt, aber desto größer sind die vielseitigen Verdienste, die er sich um seinen Kanton (Waadt) erworben hat. Druey, der sozialistische Demokrat von der Farbe Louis Blancs, der erste Kenner des Staatsrechts und der rascheste und fleißigste Arbeiter in der ganzen Schweiz, ist ein Element im Bundesrat, das mit der Zeit mehr und mehr an Einfluß gewinnen und von der besten Wirkung sein muß. Ochsenbein, der Chef der Freischaren gegen Luzern, der Präsident der Tagsatzung, die den Sonderbundskrieg1311 beschloß, der Oberst der Berner Reserven in diesem Feldzug, ist durch seine Antezedenzien nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa bekannt und populär geworden. Aber weniger bekannt ist sein Benehmen seit der Februarrevolution. Der teilweise sozialistische Charakter dieser Revolution, die Maßregeln der provisorischen] Regierung in Freinkreich und die ganze Bewegung des franz[ösischen] Proletariats schüchterten ihn, den democrate pur1, den die Franzosen zur Partei des „National"[731 rechnen würden, nicht wenig ein. Er näherte sich allmählich der gemäßigten Richtung. Besonders in der auswärtigen Politik, in der er vor und während des Sonderbundskriegs soviel Energie gezeigt hatte, neigte er sich mehr und mehr dem alten System der sogenannten strikten Neutralität zu, die in Wirklichkeit jedoch nichts als die Politik des Konservatismus und der Konnivenz gegen die Reaktion ist. So zauderte er als Vorortspräsident mit der Anerkennung der französischen] Republik und benahm sich mindestens zweideutig in der italienischen Angelegenheit. Dazu kommt noch, daß die ungestüme Leidenschaftlichkeit, mit der er die Tagsatzung präsidierte und die ihn oft zur Parteilichkeit gegen die Radikale« fortriß, ihm bei diesen und namentlich bei den französischen] Schweizern viele Feinde gemacht hat. Wäre für das Berner Mitglied eine andere Wahl
1 Demokraten reinsten Wassers
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
zu treffen gewesen als zwischen ihm und Neuhaus, Ochsenbein würde weit weniger Stimmen auf sich vereinigt haben. Oberst Frey-Herose von Aargau gilt für eine der militärischen Kapazitäten der Schweiz. Er war Chef des Generalstabs im Feldzug gegen den Sonderbund. Wie die meisten schweizerischen Stabsoffiziere hat auch er in seinem Kanton schon seit längerer Zeit eine politische Rolle gespielt und ist dadurch auch mit der Zivil Verwaltung vertraut geworden. Er wird in seiner neuen Stellung jedenfalls für das militärische Departement Tüchtiges leisten. Seiner politischen Farbe nach gehört er den entschiedeneren Liberalen seines Kantons an. Staatsrat Franscini aus Tessin ist unbedingt einer der geachtetsten öffentlichen Charaktere der ganzen Schweiz. Seit langen Jahren hat er in seinem Kanton unermüdlich gearbeitet. Er war es hauptsächlich, der 1830, schon vor der Julirevolution, es dahin brachte, daß das verachtete, für politisch unmündig angesehene Tessin zuerst in der ganzen Schweiz und ohne Revolution die alte oligarchische Verfassung durch eine demokratische ersetzte; er war es wiederum, der an der Spitze der Revolution von 1840 stand, welche die erschlichene Herrschaft der Pfaffen und Oligarchen zum zweitenmal stürzte. Franscini war es ferner, der nach dieser Revolution die in den Händen der Reaktionäre ganz in Unordnung geratene Verwaltung neu organisierte, den zahllosen eingerissenen Diebstählen, Unterschleifen, Bestechungen und Verschleuderungen einen Riegel vorschob und endlich den unter der Leitung der Mönche gänzlich verkommenen Schulunterricht, soweit es die Mittel des armen Gebirgslandes erlaubten, neu organisierte. Dadurch entzog er den Priestern ein Hauptmittel der Einwirkung auf das Volk, und die Folgen traten in dem steigenden Vertrauen der Tessiner in ihre Regierung jedes Jahr mehr hervor. Franscini gilt außerdem für den gebildetsten Ökonomen der Schweiz und ist der Verfasser der besten schweizerischen Statistik („Statistica della Svizzera", Lugano 1827, „Nuova Statfistica] della Svizfzera]", 1848). Er ist ein entschiedener Radikaler und wird im Bundesrat mehr zu Druey als zu Ochsenbein und Furrer halten. Die Tessiner rechnen ihm, dem langjährigen Chef ihrer Regierung, namentlich seine „ehrenvolle Armut" hoch an. Regierungsrat Munzinger aus Solothurn ist der einflußreichste Mann seines Kantons, den er seit 1830 fast dauernd auf der Tagsatzung vertreten hat und den er seit Jahren tatsächlich regiert. Er soll, wie sich ein halbradikales Blatt der französischen Schweiz, die „Gazette de Lausanne"[1001s ausdrückt, cacher sous les apparences de la bonhommie un esprit fin et penetrant1, d.h.,
1 einen feinen und scharfen Verstand hinter einem biederen Äußeren verbergen
er besitzt jene unter gutmütig-biedermännischer Außenseite verdeckte kleine Schlauheit, die in Reichsstädten für Diplomatie angesehen wird. Im übrigen ist er ein gemäßigter Fortschrittsmann ä la Furrer und verlangt, die Schweiz soll sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und die große europäische Politik Gott und Lord Palmerston überlassen. Daher ist er durchaus nicht günstig auf die ausländischen Flüchtlinge zu sprechen, die der Schweiz bisher immer Unannehmlichkeiten zugezogen haben. Er hat, in Verbindung mit dem Schweizer Athenienser Dr.Escher, in Tessin neuerdings wieder Proben seiner Gesinnungen in dieser Beziehung abgelegt. Überhaupt vertreten Furrer und Munzinger im Bundesrat ganz vollkommen die Vorurteile und Borniertheiten des „aufgeklärten" deutschen Schweizers. Endlich Herr Näff von St. Gallen, von dem ich wenig zu sagen weiß. Er soll in seinem Kanton wesentlich zur Hebung der Verwaltung beigetragen und sich auch sonst ausgezeichnet haben. Der Kanton St. Gallen, liest man in Schweizer Blättern, sei überhaupt einer der reichsten und tüchtigsten Männer; aber diese tüchtigen Männer haben das Unglück, daß man von ihnen nicht viel hört, und jedenfalls scheint es ihnen an Initiative zu fehlen. Doch soll Herr Näff in seiner Spezialität als Verwaltungsmann nicht ohne Verdienst sein. Seiner politischen Richtung nach steht er zwischen Furrer und Ochsenbein; entschiedener als jener, nicht ganz so weit gehend, wie von diesem nach seinen Antezedenzien vielleicht noch erwartet werden kann. Nach dieser Zusammensetzung des Bundesrats ist die Politik, die die Schweiz vorderhand verfolgen wird, unzweifelhaft. Es ist dieselbe, die die alte Tagsatzung und der Vorort Bern unter Ochsenbeins und später Funks (der ohne Ochsenbein nichts ist) Leitung verfolgt haben. Nach innen strenge Handhabung der neuen Bundesverfassung, die der Kantonalsouveränetät nur noch zuviel Spielraum läßt, nach außen strenge Neutralität, natürlich strenger oder gelinder nach den Umständen, strenger namentlich gegenüber Ostreich. Die gemäßigte Partei hat entschieden die Oberhand, und es ist wahrscheinlich, daß Herr Ochsenbein in den meisten Fragen mit ihr stimmen wird. Wie aber eine Minorität, wie Druey und Franscini unter solchen Umständen die Wahl annehmen, sich der Annehmlichkeit, fortwährend überstimmt zu werden, aussetzen konnte, wie ein solches Kollegium nur zusammen regieren kann, das zu begreifen, muß man Schweizer sein oder gesehen haben, wie die Schweiz regiert wird. Hier, wo alle vollziehenden Behörden kollegialisch deliberieren, geht man nach dem Prinzip: Nimm die Stelle nur an, heute bist du freilich in der Minorität, aber vielleicht kannst du doch nützen, und wer weiß, ob nicht Todesfälle, Abdankungen usw. dich nach einem oder zwei Jahren in die Majorität bringen. Es ist das die natürliche
Folge davon, daß regierende Kollegien aus einer Wahl hervorgehen. Jede Partei sucht dann, gerade wie in den gesetzgebenden Versammlungen, sich durch die Eindrängung eines öder mehrerer Kandidaten in dem Kollegium wenigstens festzusetzen, sich eine Minorität zu sichern, solange sie keine Majorität erringen kann. Sie würde es ihren Kandidaten nicht übelnehmen, wenn sie, wie dies in größern Ländern unbedingt geschehen würde, die Wahl ablehnen wollten. Aber der Bundesrat ist keine commission du pouvoir executiftl01], und von der Stellung Drueys zu der Ledru-Rollins ist es unendlich weit. Die Schweizer Presse behauptet allgemein, der Bundesrat sei aus Kapazitäten ersten Ranges zusammengesetzt. Ich zweifle indes, ob außer Druey und Franscini ein einziges Mitglied in einem größeren Lande je eine hervorragende Rolle einnehmen und ob, mit Ausnahme von Frey-Herose und Ochsenbein, einer der drei andern es nur zu einer bedeutenden sekundären Rolle bringen würde.
Der Bericht des Frankfurter Ausschusses über die östreichischen Angelegenheiten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 154 vom 28. November 1848] * Köln, 27.November. Vor einigen 40 Jahren gab es Leute, die „Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung" schilderten.[102] Gut, daß sie bereits ad patres1 gegangen. Sie könnten jetzt ein solches Buch nicht schreiben; sie wüßten keinen Titel für dasselbe, und wählten sie den alten, sie widersprächen sich selbst. Denn für Deutschland gibt es stets, um mit dem englischen Dichter zu reden, „beneath the lowest deep a lower still".11031 Wir glaubten, mit Abschluß des dänischen Waffenstillstandes sei die größte Schmach erschöpft. Uber die Erniedrigung Deutschlands schien uns nach dem Auftreten des Reichsgesandten Raumer in Paris, Heckschers in Italien, des Kommissärs Stedtmann in Schleswig-Holstein und nach den beiden Noten an die Schweiz[78] nichts hinausgehen zu können. Das Auftreten der beiden Reichskommissäre in den östreichischen Angelegenheiten beweist unsere Täuschung. Wie unglaublich weit deutsche Reichskommissäre es mit der Ehre Deutschlands treiben, welche stupide Unfähigkeit, Feigheit oder Verräterei die Herren des alten Liberalismus in sich bergen können, ergibt sich zur Genüge aus dem eben erschienenen „Bericht des Ausschusses für die östreichischen Angelegenheiten etc.", namentlich aus den darin enthaltenen 20 Schriftstücken.[104] Am 13.Oktober reisen die Herren Welcker und Mösle im Auftrage der Zentralgewalt von Frankfurt ab „zur Vermittelung in den Wiener Angelegenheiten". In der neuen Zentraldiplomatie unbewanderte Leute erwarteten binnen einigen Tagen die Nachricht von der Ankunft dieser Herren in Wien. Man wußte damals noch nicht, daß Reichskommissäre eigene Reiserouten
besitzen. Die reichsverweserlichen Eisele und Beisele11051 schlugen den geradesten Weg nach Wien ein über - München. Die bekannte Reisekarte aus der „Jobsiade"[1061 in der Hand, langten sie dort am 15.Oktober abends an. Bis zum 17.Oktober mittags studierten sie jetzt die Wiener Ereignisse im traulichen Verein mit den bayerischen Ministern und dem östreichischen Geschäftsträger. In ihrem ersten Briefe an Herrn Schmerling geben sie Rechenschaft von ihren Vorstudien. In München haben beide einen lichten Augenblick. Sie wünschen sehnlichst die Ankunft eines „dritten Collega", womöglich eines Preußen, „weil wir dadurch dem großen Auftrage besser gewachsen sein werden". Der Herr „Collega" erscheint nicht. Die Trinitätshoffnung scheitert; der ärmliche Dualis muß allein in die Welt hinaus. Was wird nun aus dem „großen Auftrage" werden? Der große Auftrag wird in den Taschen der Herren Welcker und Mösle nach Passau gefahren. Noch vorm Uberschreiten des östreichischen Rubicon[107] läßt der „große Auftrag" eine Proklamation vorausmarschieren. Da drüben aber war's fürchterlich!1108J
„Auch ist", schreibt Welcker an Schmerling, „die Bevölkerung hier an der österreichischen Grenze keineswegs von revolutionären und terroristischen Erscheinungen frei", ja „selbst die Nationalgarden von Krems wurden nur durch das Zuvorkommen einer militärischen Besetzung der Brücke außerstand gesetzt, dieselbe ihrem Kaiser abzubrechen und diesen also gewissermaßen gefangenzunehmen." Welcher Leser wäre verhärtet genug, diese Empfindungen einer schönen Staatslexikonseele[109] nicht vollständig zu würdigen! Nachdem sich die beiden Herren vom 18. mittags bis zum 20. früh in Passau gestärkt, begeben sie sich nach Linz. Am 13.Oktober waren sie von Frankfurt abgereist, am 20. abends sind sie schon in Linz. Liegt nicht in dieser ungeheuern Schnelligkeit Beweis genug für die Wichtigkeit ihres „großen Auftrages"? Sollten sie durch besondere Instruktionen zu dieser enormen Eile angetrieben worden sein? Genug, nach sieben vollen Tagen langen die Herren in Linz an. Diese Stadt, die bei ihrer „großen, schon durch Wiener Emissäre bearbeiteten Fabrikbevölkerung" im Herrn Welcker während seines Aufenthalts in Passau bange Ahnungen weckte, zeigt durchaus nichts von den wahrscheinlich für ihn und seinen zweiten Herrn Collega im Geist erblickten Galgen. Im Gegenteil:
„Die gesamte Nationalgarde mit ihrem Offizierskorps und ihrer Musik... empfing uns in feierlicher Aufstellung mit fliegender deutscher Fahne und im Verein mit dem umgebenden Volk mit wiederholtem Lebehoch." Linz - das revolutionäre Sodom - löst sich somit in eine gutgesinnte Stadt auf, die Bonhomie genug besitzt, unsere trefflichen Reichskommissäre feier
lieh zu empfangen. Desto grausiger tritt dafür Wien in den Welcker-Mosleschen Berichten an Herrn Schmerling als das gottloseste Gomorrha, als ein Höllenpfuhl der Anarchie etc. hervor. Am 21. stiegen die Herren aufs Dampfschiff und fuhren nach Krems. Unterwegs berichteten sie nach Frankfurt, daß sie in Linz Ehrenwachen gehabt, daß die Hauptwache vor ihnen unters Gewehr getreten und ähnliche gleich wichtige Dinge mehr. Zugleich fertigen sie drei Briefe: an Windischgrätz, Minister Kraus und an das Präsidium des Reichstags. Sollte irgend jemand von der mehr als achttägigen Wirksamkeit unserer Reichskommissäre noch nicht vollständig befriedigt sein, der begleite sie jetzt in der Nacht vom 21. auf den 22.Oktober nach Stammersdorf ins Hauptquartier von Windischgrätz. Hier strahlt uns die kommissarische Zentralgewalt in aller Glorie entgegen. „Windischgrätz", sagt Welcker-Mosle, „lehnte jede Einwirkung von unserer Seite mit einer gewissen Schroffheit ab." Mit andern Worten: Sie erhalten Fußtritte und müssen sich ihres Weges trollen. „Ja, er wollte nicht einmal unsere Vollmacht einsehen", klagt Welcker seinem Minister Schmerling. Und um das Maß der Betrübnis vollzumachen: Windischgrätz bietet der vor ihm stehenden personifizierten Zentralgewalt keinen Tropfen Wein an, nicht einmal einen Schnaps. Unsere Kommissäre setzen sich also wieder in den Wagen, summen traurig vor sich hin: „0 du Deutschland etc."[110] und fahren nach - Wien? Bewahre der Himmel! nach Olmütz, „ans kaiserliche Hoflager". Und sie taten wohl daran. Dem ganzen Reichswitz hätte die Pointe gefehlt, der Vermittelungskomödie der letzte Akt. Waren sie von Windischgrätz wie dumme Schulbuben traktiert worden, so fanden sie in Olmütz „von Seiten des Kaisers und der kaiserlichen Familie eine viel entgegenkommendere Aufnahme" (vgl. S.II des Berichts, Schreiben Nr. 6). Sie wurden zur Tafel geladen, und „wir haben uns", schrieben sie weiter an Herrn Schmerling, „der gnädigsten Aufnahme zu erfreuen gehabt". Das ist keineswegs die deutsche Lakaiennatur, die sich hier ausspricht, sondern innigste Dankbarkeit, die in dem Liede: „Nach so vielen Leiden etc. 111J ihren entsprechenden Ausdruck findet. Nach allem Essen und Trinken bleibt immer noch der bekannte „große Auftrag" zu erledigen. Unsere beiden Kommissäre wenden sich schriftlich an den Minister Freiherrn von IVessenberg.
„Ew. Exzellenz" (beginnt der Brief vom 25.Oktober) „ersuchen wir ergebenst, uns geneigtest eine Stunde bestimmen zu wollen, in welcher es Ihnen gefällig wäre, unsern Dank für die wohlwollende Aufnahme zu empfangen, welche unserer Mission und uns von seiten Sr. k. k. Majestät und Eurer Exzellenz zuteil ward, und uns in Beziehung
auf folgende noch zur Vollführung unserer Mission gehörigen Punkte Ihre Ansichten und Entschlüsse mitzuteilen." Die „folgenden Punkte" sagen mit vielen Worten, daß die Kommissäre die Erlaubnis wünschen, sich nach Wien zur Vermittelung begeben zu dürfen. Der ganze Brief, wie auch der zweite an Wessenberg, ist in einem so verzwickten Kanzleistil des vorigen Jahrhunderts abgefaßt, so voll von maßloser Höflichkeit und Unterwürfigkeit, daß es ordentlich wohltut, gleich darauf Wessenbergs Antworten lesen zu können. Die beiden Kommissäre stehen in diesem Briefwechsel dem östreichischen Minister gegenüber da wie zwei tölpische Bauern dem feingebildeten Edelmanne, wenn sie auf dem glatten Fußboden ihre possierl ichen Bücklinge machen und recht gewählte Ausdrücke vorzubringen suchen. Wessenberg antwortet auf obigen Brief:
„Hochwohlgeborne Herren! Ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich Ihre heutige Zuschrift so spät beantworte... Was Ihre wohlmeinende Absicht betrifft, noch einen Versuch in Wien zur Beilegung der dortigen Zerwürfnisse zu machen, so scheint mir nötig, Sie vorerst in die Kenntnis der dermaligen dortigen Zustände zu setzen. Es handelt sich nämlich nicht darum, mit einer Partei zu unterhandeln, sondern lediglich eine Insurrektion zu unterdrücken etc." (vgl. S.16 des Berichts). Mit dieser Antwort schickt er ihnen zugleich ihre Vollmachten zurück. Sie wiederholen ihr Anliegen unterm 27.Oktober.
„Wir müssen", sagen sie, „es für dringende Pflicht halten, Ew. Ex[zellenz] und in Ihnen die Kaiserliche] Regierung nochmals inständigst zu ersuchen, uns schleunigst mit milden und versöhnenden Aufträgen und Bedingungen unter sicherem Geleite nach Wien zu senden, um so in dieser furchtbaren Krisis die beschwichtigende und persönliche Kraft zu benutzen, welche in uns und in unserer Mission liegt."
Wir haben gesehen, wie diese „beschwichtigende und persönliche Kraft" in den 1.4 Tagen, seitdem sie aus Frankfurts Toren gefahren ist, gewirkt hat. Sie übt auf Wessenberg den mächtigen Einfluß, daß er in seiner Antwort auf ihr Anliegen keine Antwort gibt. Er teilt ihnen einige noch dazu halb unwahre Nachrichten aus Wien mit und bemerkt ironisch:
„Daß übrigens Empörungen der Art wie jene der Proletarier in Wien nicht leicht ohne Anwendung von Zwangsmitteln unterdrückt werden können, haben noch neuerlich die Ereignisse in Frankfurt bewiesen!"
Solchen Argumenten konnten die Herren Welcker und Mösle unmöglich widerstehen: Sie stehen deshalb von weitern Versuchen ab und harren mit
ihrer „beschwichtigenden und persönlichen Kraft" der Dinge, die da kommen sollen. Am 28.Oktober berichten sie in betreff ihres „großen Auftrages" wieder an Schmerling. Auf Wessenbergs Anerbieten übergeben sie ihre Depesche einem Kurier, den ersterer nach Frankfurt sendet. Der Kurier geht ab, doch nicht die Depesche. Sie langt erst am 6.November in Frankfurt an. Wären sie nicht an der kaiserlichen Tafel gewesen, hätte die kaiserliche Familie und namentlich der Erzherzog Karl nicht so freundlich mit ihnen gesprochen — die Kommissäre müßten über so viel Pech ihren hohen Verstand verloren haben. Jetzt folgt zweitägiges Stillschweigen. Die „beschwichtigende Kraft" hält Sabbatruhe nach so vieler Arbeit. Da, am 30.Oktober, teilt ihnen Wessenberg die offizielle Kunde von der Übergabe Wiens mit. Ihr Entschluß ist gefaßt. Zwar meinten sie noch am 28. Oktober (S. 14 des Berichts), „es scheint, daß bei ihm (Windischgrätz) ebenso wie hier (in Olmütz) bei den einflußreichen Personen der Gedanke, nicht bloß Wien zu unterwerfen, sondern auch eine rächende Züchtigung für bisheriges Unrecht eintreten zu lassen, allzusehr vorherrscht". Allein seitdem hat ihnen Wessenberg versichert, und wie sollte ein Reichskommissär da noch zu zweifeln wagen — er hat ihnen versichert, daß „die östreichische Regierung bei der Benutzung dieses Sieges sich von den Grundsätzen leiten lassen werde, welche geeignet seien, ihr die Zuneigung ihrer Untertanen zu sichern". „So können wir also annehmen", ruft Welcker-Mosle voll Reichspathos aus, „daß unsere Vorschläge doch einigen Einfluß gehabt haben." Also doch? O sicher! Ihr habt Wessenberg, Erzherzog Karl, Sophie und Konsorten acht Tage lang aufs prächtigste amüsiert. Ihr wart kaiserlich-königlicher Verdauungspulob, Welcker-Mosle!
„Wir halten nach jener Versicherung des Ministers unsere Aufgabe nun für gelöst und werden morgen (31 .Oktober) über Prag unsere Rückreise antreten." So schließt die letzte Depesche der Herren Welcker-Mosle. Und in der Tat, ihr habt recht, euer „großer Auftrag" der Versöhnung und Vermittelung war erledigt. Was hättet ihr auch jetzt nach Wien gehen sollen? Waren nicht die Apostel der Humanität, Windischgrätz und Jellachich, Herren der Stadt? Predigten nicht die Rotmäntel[81J und die k. k. Truppen mittelst Plünderung, Brand, Mord und Notzucht das Evangelium des Friedens und der konstitutionellen Freiheit, verständlich für jedermann? Wie sehr eure „beschwichtigende Kraft" zum Durchbruch gekommen,
wie herrlich ihr eure Aufgabe gelöst — das zeigt das Röcheln der Gemordeten, der Verzweiflungsschrei der Geschändeten, das zeigen die Tausende in den Gefängnissen, das lehrt uns der blutige Schatten Robert Blums. Eure Aufgabe war es, zur Trilogie, welche Windischgrätz, Jellachich und Wessenberg in Szene setzten, in Olmütz das Satyrspiel aufführen zu helfen. Sie ist würdig von euch gelöst worden: Ihr habt, wenn nichts Schlimmeres, so doch die Rolle der „gefoppten Oheime" mit Virtuosität zu Ende gespielt.
Neuigkeiten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 155 vom 29. November 1848] * Köln, 28.Nov. Die ,,N[eue] Rhjeinische] Z[ei]t[un]g" sagte in ihrer Nummer vom 17.November:
„Und nun gar die Juden, die seit der Emanzipation ihrer Sekte, wenigstens in ihren vornehmen Vertretern, überall an die Spitze der Kontrerevolution getreten sind, was harrt ihrer? Man hat den Sieg nicht abgewartet, um sie in ihr Ghetto zurückzuschaudern." 1 Wir zitierten damals Bromberger Regierungserlasse. Eine noch schlagendere Tatsache haben wir heute zu berichten. Die große Freimaurerloge zu den drei Kronen in Berlin - bekanntlich ist der Prinz von Preußen oberster Leiter der preußischen Freimaurerei, wie Friedrich Wilhelm IV. oberster Leiter der preußischen Religion — hat die Loge Minerva zu Köln in Inaktivität erklärt. Warum? Weil sie Juden affiliiert hat. Zur Nachricht für die Juden! Ein uns zufällig zu Gesicht gekommenes Circulär des Ministerii Brandenburg an sämtliche Regierungskollegien fordert dieselben auf, Massenverhaftungen gegen die Führer der Klubs zu bewerkstelligen. Aus guter Quelle versichert man, daß Köln, Düsseldorf, Aachen usw. Reichstruppen, und zwar Ostreicher, zum Weihnachtsangebinde von unserm Allergnädigsten erhalten werden. Wahrscheinlich Kroaten[n2\Sereschanerl81], Tschechen, Raizen[n3], Serben usw., damit auch in der Rheinprovinz wie in Wien „Ordnung und Ruhe" hergestellt werde. Die Rheinprovinz grenzt übrigens, so heißt es, nicht an Rußland, sondern an Frankreich. Zur Nachricht für den Allergnädigsten!
Das Organ Manteuffel und Johannes Die Rheinprovinz und der König von Preußen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 156 vom 30. November 1848] * Köln. Die „Neue Preußische Zeitung"l3] bestätigt die von uns schon mitgeteilte Äußerung Manteuffels in bezug auf die Frankfurter Zentralgewalt und Versammlung1. Das Organ Manteuffels sagt: „Die Proklamation des Reichsverwesers mag sehr gut gemeint sein. Wir Preußen müssen sie aber entschieden zurückweisen, das Volk nicht minder als die Krone."11141
Das Organ Manteuffel spricht uns aus der Seele. Dasselbe offizielle Blatt belehrt uns über die Gültigkeit der Frankfurter Beschlüsse1875 wie folgt:
„ Wir Preußen haben keinen andern Herrn als unsern König. Und nur was er gut heißt an den Frankfurter Beschlüssen, nur das wird uns binden, weil Er" (preußischer Stil) „es eben gutheißt und aus keinem andern Grunde."
Wir „Preußen"!!! Wir Rheinländer haben das Glück, bei dem großen Menschenschacher zu Wien einen „Großherzog" vom Niederrhein gewonnen zu haben, der die Bedingungen nicht erfüllt hat, unter denen er „Großherzog" wurde[115]. Ein „König von Preußen" existiert für uns erst durch die Berliner Nationalversammlung, und da für unsern „Großherzog" vom Niederrhein keine Berliner Nationalversammlung existiert, so existiert für uns kein „König von Preußen". Dem Großherzoge vom Niederrhein sind wir durch den Völkerschacher anheimgefallen! Sobald wir weit genug sind, die Seelen verkauf erei nicht mehr anzuerkennen, werden wir den „Großherzog vom Niederrhein" nach seinem „Besitztitel" fragen.
Die revolutionäre Bewegung in Italien
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 156 vom 30. November 1848] * Köln, 29.November. Endlich, nach sechsmonatlichen, fast ununterbrochenen Niederlagen der Demokratie, nach einer Reihe der unerhörtesten Triumphe der Kontrerevolution, endlich zeigen sich wieder Symptome eines baldigen Siegs der revolutionären Partei. Italien, das Land, dessen Erhebung das Vorspiel zur europäischen Erhebung von. 1848 bildete, dessen Sturz das Vorspiel zum Falle von Wien war, Italien erhebt sich zum zweitenmal. Toskana hat sein demokratisches Ministerium durchgesetzt, und Rom hat sich soeben das seinige erobert. London, den 10.April; Paris, den 15.Mai und 25.Juni; Mailand, den 6.August; Wien, den 1 .November[116] - das sind die vier großen Daten der europäischen Kontrerevolution, die vier Meilensteine, welche die durcheilten Entfernungen auf ihrem letzten Triumphzuge bezeichnen. In London, den lO.April, wurde nicht nur die revolutionäre Macht der Chartisten11171, es wurde auch zuerst die revolutionäre Propaganda des Februarsiegs gebrochen. Wer England und seine ganze Stellung in der modernen Geschichte richtig auffaßt, konnte sich darüber nicht wundern, daß die Revolutionen des Kontinents für den Moment spurlos an ihm vorübergingen. England, das Land, das durch seine Industrie und seinen Handel alle jene revolutionierenden Nationen des Kontinents beherrscht und vermöge seiner Herrschaft über die asiatischen, amerikanischen und australischen Märkte doch verhältnismäßig wenig von ihrer Kundschaft abhängt; das Land, in dem die Gegensätze der modernen bürgerlichen Gesellschaft, die Klassenkämpfe zwischen Bourgeoisie und Proletariat am weitesten entwickelt, am höchsten auf die Spitze getrieben sind, England hat mehr als jedes andere Land seine eigene, selbständige Entwicklung. England bedarf nicht des Herumtappens kontinentaler provisorischer Regierungen, um der Lösung von Fragen, der Aufhebung von Gegensätzen näherzukommen, deren Lösung und Aufhebung vor allen andern Ländern sein Beruf ist. England akzeptiert nicht die
Revolution vom Kontinent, England wird, wenn seine Stunde geschlagen hat, dem Kontinent die Revolution diktieren. Das war die Stellung Englands, das die notwendige Folge dieser Stellung, und daher war der Sieg der „Ordnung am 10. April ganz erklärlich. Aber wer erinnert sich nicht, wie dieser Sieg der „Ordnung", der erste Gegenstoß gegen die Stöße des Februar und März, überall der Kontrerevolution einen neuen Halt gab, den sogenannten Konservativen den Busen mit kühnen Hoffnungen schwellte! Wer erinnert sich nicht, wie in ganz Deutschland das Auftreten der Londoner Spezialkonstabler sogleich von der gesamten Bürgerwehr zum Vorbild genommen wurde! Wer erinnert sich nicht, welchen Eindruck dieser erste Beweis machte, daß die losgebrochene Bewegung nicht unwiderstehlich sei! Paris, den 15. Mai, lieferte sogleich das Gegenstück des Siegs der englischen Stillstandspartei. Der 1 O.April hatte den äußersten Wogen der revolutionären Sturmflut einen Damm entgegengesetzt; der 15.Mai brach ihre Gewalt an ihrem Ausströmungspunkte selbst. Daß die Februarbewegung nicht unaufhaltsam sei, hatte der 10. April bewiesen; daß die insurrektionelle Bewegung in Paris zu hemmen sei, bewies der 15. Mai .Die Revolution, in ihrem Zentrum geschlagen, mußte natürlich auch in der Peripherie erliegen. Und das geschah täglich mehr in Preußen und in den kleinern deutschen Staaten. Aber noch war die revolutionäre Strömung stark genug, um in Wien zwei Siege des Volks, den ersten auch am 15.Mai, den zweiten am 26.Mai[118] möglich zu machen, und der Sieg des Absolutismus in Neapel, der ebenfalls am 15. Mai erkämpft wurde, wirkte durch seine Exzesse eher als Gegengewicht gegen den Sieg der Ordnung in Paris. Es fehlte noch etwas; nicht nur die revolutionäre Bewegung mußte in Paris geschlagen werden, der bewaffneten Insurrektion mußte in Paris selbst der Zauber der Unbesiegbarkeit abgestreift werden; erst dann konnte die Kontrerevolution ruhig sein. Und das geschah zu Paris in der viertägigen Schlacht vom 23. bis zum 26. Juni. Vier Tage Kanonendonner - und die Uneinnehmbarkeit der Barrikaden, die Unüberwindlichkeit des bewaffneten Volks war dahin. Was anders hatte Cavaignac durch seinen Sieg bewiesen, als daß die Gesetze der Kriegskunst mehr oder weniger dieselben sind in der Straße wie im Defile, gegenüber der Barrikade wie gegenüber dem Verhau und der Bastion? Daß 40000 undisziplinierte bewaffnete Arbeiter, ohne Kanonen und Haubitzen und ohne Zufuhr von Munition, einer organisierten Armee von 120000 alten Soldaten und 150000 Nationalgardisten, unterstützt von der besten und zahlreichsten Artillerie und reichlich mit Munition versehen, nicht länger als vier Tage widerstehen können? Der Sieg Cavaignacs war die platteste Erdrückung der geringeren Zahl durch die siebenfache Überzahl, der ruhmloseste Sieg, der
je erfochten, und um so ruhmloser, je mehr Blut er irotz der kolossalen Übermacht kostete. Und dennoch staunte ihn die Welt als ein Wunder an — weil dieser Sieg der Ubermacht demPariser Volk, der Pariser Barrikade den Nimbus der Unbesiegbarkeit genommen hatte. In den 40000 Arbeitern hatten Cavaignacs Dreihunderttausend nicht nur die 40000 Arbeiter, sie hatten, ohne es zu wissen, die europäische Revolution besiegt. Wir wissen es alle, welche unaufhaltsam stürmische Reaktion von jenem Tage an hereinbrach. Da war kein Hemmen mehr möglich; die konservative Gewalt hatte das Volk in Paris mit Granaten und Kartätschen besiegt, und was in Paris möglich war, konnte man anderswo auch nachmachen. Der Demokratie blieb weiter nichts übrig, als nach dieser entscheidenden Niederlage den Rückzug so ehrenvoll wie möglich zu machen und das nicht mehr haltbare Terrain in Presse, Volksversammlungen undParlamenten wenigstens Schritt für Schritt zu verteidigen. Der nächste große Schlag war der Fall Mailands. Die Wiedereroberung Mailands durch Radetzky bildet in der Tat das erste europäische Faktum seit dem Pariser Junisieg. Der Doppeladler auf der Kuppel des Mailänder Doms, das bedeutete nicht nur den Fall von ganz Italien, das bedeutete auch das Wiedererstehen des Schwerpunkts der europäischen Kontrerevolution, das Wiedererstehen Ostreichs. Italien erschlagen und Ostreich auferstanden was konnte die Kontrerevolution mehr verlangen! Und es ist eine Tatsache, mit Mailands Fall erschlaffte in Italien die revolutionäre Energie momentan, stürzte Mamiani in Rom, wurden die Demokraten in Piemont besiegt; und zugleich erhob die reaktionäre Partei in Ostreich wieder ihr Haupt und begann mit neuem Mut von dem Hauptquartier Radetzkys, ihrem Zentrum, aus ihre Intrigen über alle Provinzen auszuspinnen. Erst jetzt ergriff Jellachich die Offensive, erst jetzt kam die große Allianz der Kontrerevolution mit den östreichischen Slawen vollends zustande. Von den kleinen Intermezzi, in denen die Kontrerevolution lokale Siege erfocht und einzelne Provinzen eroberte, von der Frankfurter Schlappe usw. spreche ich nicht. Dergleichen hat lokale, vielleicht nationale, aber keine europäische Bedeutung. Endlich, am 1 .November wurde das Werk vollendet, das am Tage von Custozza[119] begonnen: Wie Radetzky in Mailand eingezogen war, so zogen Windischgrätz und Jellachich in Wien ein. Die Methode Cavaignacs ist auf den größten und tätigsten Herd der deutschen Revolution angewandt worden und mit Erfolg, die Revolution ist in Wien wie in Paris unter Blut und rauchenden Trümmern erstickt worden. Aber fast scheint es, als sollte der Sieg vom I.November zugleich den Punkt bezeichnen, wo die rückgängige Bewegung umschlägt und eine Krise
eintritt. Der Versuch, die Wiener Heldentat in Preußen Stück für Stück zu wiederholen, ist gescheitert; im günstigsten Falle, selbst wenn das Land die konstituierende Versammlung verlassen sollte, hat die Krone nur einen halben, nichts entscheidenden Sieg zu erwarten, und jedenfalls ist der erste entmutigende Eindruck der Wiener Niederlage gebrochen, gebrochen durch den plumpen Versuch, sie in jedem ihrer Details zu kopieren. Und während der Norden von Europa entweder schon wieder in die Knechtschaft von 1847 zurückgeschleudert ist oder mühsam die Eroberungen der ersten Monate gegen die Kontrerevolution verteidigt, erhebt sich plötzlich Italien wieder. Livorno, die einzige italienische Stadt, die durch den Fall Mailands zu einer siegreichen Revolution aufgestachelt wurde, Livorno hat endlich seinen demokratischen Aufschwung dem ganzen Toskana mitgeteilt und ein entschieden demokratisches Ministerium durchgesetzt, entschiedener als je eins in einer Monarchie, und so entschieden, wie nur wenige in einer Republik bestanden; ein Ministerium, das auf den Fall Wiens und die Wiederherstellung Ostreichs mit der Proklamation der italienischen konstituierenden Nationalversammlung antwortet. Und der revolutionäre Feuerbrand, den dies demokratische Ministerium damit in das italienische Volk geschleudert, hat gezündet: In Rom ist Volk, Nationalgarde und Armee wie ein Mann aufgestanden, hat das tergiversierende, kontrerevolutionäre Ministerium gestürzt, ein demokratisches Ministerium errungen, und an der Spitze seiner durchgesetzten Forderungen steht: Regierung nach dem Prinzip der italienischen Nationalität, d.h.Beschickung der italienischen Konstituante, die Guerazzi vorgeschlagen. Daß Piemont und Sizilien folgen werden, ist keinem Zweifel unterworfen. Sie werden folgen, wie sie im vorigen Jahre gefolgt sind. Und nun? Wird diese zweite Auferstehung Italiens binnen drei Jahren, wie die vorhergehende, die Morgenröte eines neuen Aufschwungs der europäischen Demokratie sein? Fast hat es den Anschein. Das Maß der Kontrerevolution ist voll bis zum Überlaufen. Frankreich im Begriff, sich einem Abenteuer er in die Arme zu werfen, um nur der Herrschaft Cavaignacs und Marrasts zu entgehn, Deutschland zerrissener als je, Österreich erdrückt, Preußen am Vorabend des Bürgerkriegs, alle, alle Illusionen des Februar und März unbarmherzig vom Sturmschritt der Geschichte zertreten. Wahrlich, das Volk könnte aus neuen Siegen der Kontrerevolution nichts mehr lernen! Möge es die Lehren1 dieser letzten sechs Monate bei der kommenden Gelegenheit rechtzeitig und furchtlos anwenden.
Deutsche Professorengemeinheit
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 156 vom 30. November 1848] * Köln, 29.November. Die Lakaiennatur deutscher Professoren wird in den gelehrten Herrn zu Berlin und Halle in ihrem Ideale übertroffen. Vor diesem Knechtssinn steht der russische Leibeigene beschämt da. Der fromme Buddhist, der gläubig die Exkremente seines Dalai-Lama hinunterschluckt, er hört verwundert die Sage von den Berliner-Halleschen Buddhisten, deren Prostitution vor dem Königtum „von Gottes Gnaden" ihm als Fabel erscheint. Er glaubt erst an die Wirklichkeit, wenn man ihm die Adressen der Berliner und Halleschen Professoren an den König von Preußen, resp. vom 24. und 21. November[120], nebst den eigenhändigen Unterschriften vorzeigt.
„Es war die Freiheit der Beratung aufgehoben, das Leben der Abgeordneten bedroht, die Würde der Versammlung, die Ehre der Nation geschändet, und die wohlmeinendsten und gerechtesten Vorschläge, dieser Schreckensherrschaft ein Ziel zu setzen, scheiterten an dem Widerstande derer, denen sie diente." Mit diesen und ähnlichen frechen Lügen und mit den hündischsten Versicherungen angestammter Treue fabrizieren 80 Berliner Professoren — unter ihnen Hengstenberg, Schönlein, Ehrenberg, Böckh, die beiden Grimm etc. eine Adresse an den König, worin sie ihm für die Gewaltschritte des Brandenburgischen Ministeriums ihren gelehrten Beifall zu-iahen. Ähnlich lautet die Adresse von 19 Halleschen Professoren, die aber die Komik so weit treiben, daß sie nebenbei von dem „Ernst ihres Berufes" sprechen. Des Pudels Kernf1 213 in beiden Adressen ist eine unbeschreibliche Wut über die Steuerverweigerung. Sehr begreiflich! Keine Steuern mehr - und die privilegierte Gelehrsamkeit macht Bankerutt. Diesem geldgierigen Professorengeschlecht darf nur im entferntesten der Beutel bedroht werden, so
6 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
steht die ganze Wissenschaft in Feuer und Flammen. Ihr Monopol wurzelt im Königtum „von Gottes Gnaden". Sie schreiben ihm Ergebenheitsadressen, d.h., sie sind ihrem eigenen Monopol bis zum Tode ergeben. Erringt das Volk den schließlichen Sieg, so werden die Herren trotz alles „Ernstes ihres wissenschaftlichen Berufes" sich schnell auf Seite der jetzt von ihnen so sehr verdammten Volkssouveränetät zu stellen wissen. Das Volk wird ihnen aber dann sein „zu spät!" zurufen und der ganzen Misere der privilegierten Gelehrsamkeit ein rasches Ende bereiten.
Herr Raumer lebt noch
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 162 vom 7. Dezember 1848] * Köln, 6.Dezember. Kürzlich erwähnten wir die Loyalitätsadressen, die von Halleschen und Berliner Professoren an den König eingereicht wurden.[1201 Wir haben heute zu melden, daß sich Herr v. Raumer, Reichsgesandter in partibus[93], zur Zeit bei Bastide und Cavaignac antichambrierend, der Professorenblamage durch eine Beitrittserklärung zu jener Adresse vollständig angeschlossen hat. Von einem Reichsgesandten wie Herrn Raumer war in der Tat nichts anderes zu erwarten. Seine Erklärung scheint aber noch einen andern Grund zu haben. Herr Raumer war seit Monaten in Deutschland verschollen. In seiner Sehnsucht, auf irgend eineArt aus jener Verschollenheit erlöst zu werden, ergriff er begierig die ihm von seinen Berliner Mitbonzen gebotene Gelegenheit und besorgte schleunigst obgedachte Erklärung in die Öffentlichkeit. Jenes Raumersche Produkt findet sich in der neuesten Nummer des „Preußischen Staats-Anzeigers" abgelagert.
[Die Auflösung der Nationalversammlung]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 162 vom 7. Dezember 1848, Extrablatt] * Köln, 6.Dezember. Die Kontrerevolution ist bei ihrem zweiten Stadium angelangt. Die Nationalversammlung ist aufg elöst.C122] Eine oktroyierte Verfassungf1 23J ist von der „Allerhöchsten Gnade" ohne, weiteres verkündet worden. Die ganze seit dem Mai mit der „Vereinbarung" getriebene Heuchelei hat sich ihrer letzten Hülle entledigt. Die Märzrevolution ist für nichtig erklärt, und das „Gottesgnadentum" feiert seine Triumphe. Die Kamarilla, das Junkertum, die Bürokratie und die gesamte Reaktion mit und ohne Uniform jubeln, daß das dumme Volk endlich wieder in den Stall des „christlich-germanischen" Staates zurückgetrieben werden soll.
Der NationaIrat[27]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 165 vom 10. Dezember 1848] ** Bern, 6.Dezember. Wer kümmert sieb in dieser Zeit der europäischen Stürme um die Schweiz? Außer der Reichsgewalt, die hinter jedem Busch des linken Rheinufers von Konstanz bis Basel einen wegelagernden Freischärler wittert, gewiß so leicht niemand. Und doch ist die Schweiz ein wichtiger Nachbar für uns. Heute ist das konstitutionelle Belgien der offizielle Musterstaat1; bei dem stürmischen Wetter, das wir haben, wer steht uns dafür, daß morgen nicht die republikanische Schweiz offizieller Musterstaat sein wird? Ohnehin kenne ich mehr als einen farouchen 2 Republikaner, der keine höheren Wünsche hat, als die schweizerischen politischen Zustände mit großen und kleinen Bundes-, National-, Stände- und sonstigen Räten über den Rhein zu tragen, aus Deutschland eine Schweiz im Großen zu machen und sodann als Herr Großrat oder Landammann des Kantons Baden, Hessen oder Nassau ein stilles und geruhiges Leben zu führen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Die Schweiz geht uns Deutsche also allerdings an, und was die Schweizer denken, sagen, tun und treiben, kann uns in sehr kurzer Frist als Vorbild vorgehalten werden. Es kann daher keinesfalls schaden, wenn wir uns schon vorher einigermaßen damit bekannt machen, was die zweiundzwanzig Kantone der „Eidgenossenschaft" für Sitten und für Leute in ihrer Föderativrepublik erzeugt haben. Es ist billig, daß wir da zuerst die Creme der schweizerischen Gesellschaft betrachten, die Männer, die das Schweizer Volk selbst zu seinen Repräsentanten ernannt hat, ich meine den Nationalrat im Rathause zu Bern. Wenn man die Tribüne des Nationalrats betritt, so muß man sich wundern über die Mannigfaltigkeit der Figuren, die das Schweizer Volk zur Beratung
seiner gemeinsamen Angelegenheiten nach Bern geschickt hat. Wer nicht vorher schon einen guten Teil der Schweiz gesehen hat, begreift kaum, wie es möglich ist, daß ein Ländchen von ein paar hundert Quadratmeilen und nicht dritthalb Millionen Einwohnern eine so bunte Versammlung zustande bringen kann. Und doch ist es nicht zu verwundern; die Schweiz ist ein Land, in dem vier verschiedene Sprachen gesprochen werden, Deutsch, Französisch, Italienisch (oder vielmehr Lombardisch) und Romanisch, und das alle verschiedenen Kulturstufen, von der ausgebildetsten Maschinenindustrie bis herab zum unverfälschtesten Hirtenleben, in sich vereinigt. Und der schweizerische Nationalrat vereinigt die Creme aller dieser Nationalitäten und Kulturstufen und sieht deshalb nichts weniger als national aus. Von bestimmten Plätzen, von gesonderten Parteien ist in dieser zur Hälfte patriarchalischen Versammlung keine Rede. Die Radikalen haben einen schwachen Versuch gemacht, sich auf die äußerste Linke zu setzen, aber es scheint nicht gelungen zu sein. Jeder setzt sich, wohin er will, und wechselt den Platz oft drei- bis viermal in einer Sitzung. Doch haben die meisten Mitglieder gewisse Lieblingsplätze, die sie schließlich immer wieder einnehmen, und so scheidet sich die Versammlung doch in zwei ziemlich scharf voneinander getrennte Teile. Auf den vordersten drei halbkreisförmigen Bänken sieht man scharf markierte Gesichter, ziemlich viel Bart, sorgfältig gepflegtes Haar, moderne Kleider nach Pariser Schnitt; hier sitzen die Repräsentanten der französischen und italienischen Schweiz, oder, wie man hier sagt, die „Welschen", und von diesen Bänken aus wird selten anders als französisch gesprochen. Hinter den Welschen aber sitzt eine kurios gemischte Gesellschaft. Man sieht zwar keine Bauern in schweizerischen Nationaltrachten, im Gegenteil lauter Leute, über deren Kostümierung die Hand einer gewissen Zivilisation hinweggegangen ist; hie und da sogar einen mehr oder weniger modernen Frack, zu dem gewöhnlich auch ein anständiges Gesicht gehört; dann ein halb Dutzend schweizerischer Offizierstypen in Zivil, einer wie der andere, mehr feierlich als kriegerisch, in Gesicht und Kleidung etwas veraltet und einigermaßen an den Ajax in „Troilus und Cressida"tl24] erinnernd; und endlich das Gros, bestehend aus unbeschreiblich physiognomierten und kostümierten, mehr oder weniger ältlichen und altfränkischen Herren, jeder verschieden, jeder ein Typus für sich und meistens auch für eine Karikatur. Alle verschiedenen Spielarten des Spießbürgers, des campagnard endimanche1 und des Kantönli-Oligarchen sind hier vertreten, alle aber gleich biedermännisch, gleich erschrecklich ernsthaft, mit gleich schweren silbernen
Brillen. Das sind die Repräsentanten der deutschen Schweiz, und dieses Gros der Gesellschaft ist von den kleineren Kantonen und den entlegenen Bezirken der größeren geliefert worden. Dieser Versammlung gegenüber nimmt den Präsidentenstuhl ein der bekannte Dr. Robert Steiger von Luzern, noch vor wenig Jahren unter der Siegwart-Müllerschen Wirtschaft zum Tode verurteilt, jetzt Präsident der schweizerischen Bundesversammlung. Steiger ist ein kleiner, untersetzter Mann mit ausgeprägten Gesichtszügen, denen das weiße Haar, der braune Schnurrbart und selbst die unvermeidliche silberne Brille gar kein übles Relief geben. Er verwaltet sein Amt übrigens mit großer Ruhe und vielleicht etwas zu viel Mäßigung. Wie die Physiognomie, so die Diskussion. Die Welschen sind die einzigen, die in ganz zivilisierter, rhetorischer Form sprechen, und auch sie nicht alle. Die Berner, die von den deutschen Schweizern noch am meisten welsche Sitte angenommen haben, kommen ihnen am nächsten. Bei ihnen findet man wenigstens noch einiges Feuer. Die Züricher, diese Söhne von Schweizer-Athen, sprechen mit der Gesetztheit und Gemessenheit, die einem Mittelding zwischen Professor und Zunftmeister zukommt, aber stets „gebildet". Die Offiziere sprechen mit feierlicher Langsamkeit, mit wenig Geschick und Inhalt, aber dafür mit einer Bestimmtheit, als ob ihr Bataillon schlagfertig hinter ihnen stände. Das Gros der Gesellschaft endlich liefert mehr oder weniger wohlmeinende, bedenkliche, gewissenhafte, rechts und links abwägende und doch schließlich stets auf die Seite ihrer Kantonalinteressen tretende Redner, die übrigens fast alle sehr holprig und stellenweise nach eignen grammatischen Prinzipien sprechen. Wenn der Kostenpunkt zur Sprache kommt, geschieht es stets zuerst von hier, namentlich von den Urkantonen aus. Uri hat sich schon in beiden Räten in dieser Beziehung einen wohlverdienten Ruhm erworben. Die Diskussion ist daher im ganzen matt, ruhig, mittelmäßig. Rhetorische Talente, die auch in größern Versammlungen Erfolge erringen würden, zählt der Nationalrat sehr wenige; ich kenne bis jetzt nur zwei, Luvini und Dufour, und etwa Eytel. Ich habe freilich mehrere der einflußreicheren Mitglieder noch nicht gehört; aber weder ihre Erfolge in der Versammlung noch die Referate ihrer Reden in den Blättern sind der Art, daß sie zu glänzenden Erwartungen berechtigten. Nur Neuhaus soll glänzend sprechen. Wie wäre es auch möglich, daß rednerische Anlagen in Versammlungen sich entwickeln können, die höchstens ein paar hunderttausend Menschen repräsentieren und sich mit den kleinlichsten Bezirksinteressen zu beschäftigen haben! Die selige Tagsatzung[30J war ohnehin mehr eine diplomatische als gesetzgebende
Versammlung; auf ihr konnte man lernen, Instruktionen zu verdrehen und Auswege plausibel zu machen, aber nicht eine Versammlung fortzureißen und zu beherrschen. Die Reden der Nationalräte beschränken sich daher meist auf motivierte Vota, in denen jeder Redner den Tatbestand darlegt, der ihn so oder so zu stimmen veranlaßt, und daher mit der größten Unbefangenheit alles ruhig wiederholt, was schon vor ihm bis zur Unerträglichkeit wiederholt worden ist. Namentlich haben die Reden des Gros diese patriarchalische Offenherzigkeit an sich. Und wenn einef dieser Herren einmal das Wort hat, so versteht es sich, daß er bei der Gelegenheit auch seine Meinung über alle Zwischenfälle der Diskussion ausplaudert, mögen sie noch so lange abgetan sein. Zwischen diesem vertraulichen Geplauder der Biedermänner halten dann einige Hauptreden den Faden der Debatte mühsam zusammen, und wenn die Sitzung aus ist, gesteht man sich, selten etwas Langweiligeres gehört zu haben. Die Spießbürgerei, die dem physique1 der Versammlung etwas Originelles gibt, weil man sie in dieser Klassizität selten sieht, hört auch hier nicht auf, au moral2 platt und einschläfernd zu sein. Von Leidenschaft ist wenig, von Esprit gar nicht die Rede; Luvini ist der einzige, der mit hinreißender, gewaltiger Leidenschaft spricht, Dufour der einzige, der durch echt französische Klarheit und Präzision imponiert. Frey von Baselland vertritt den Humor, zu dem zuweilen auch Oberst Bernold nicht mißlungene Anläufe macht. Der französische Esprit mangelt den französischen Schweizern gänzlich. Solange die Alpen und der Jura stehn, ist auf ihrem Rücken noch kein passabler Calembourg zustande gekommen, keine rasche, schlagende Repartie gehört worden. Der französische Schweizer ist nicht bloß serieux3, er ist grave4. Die Debatte, die ich hier näher schildern will, ist die über die Tessiner Angelegenheit und die italienischen Flüchtlinge in Tessin.t1251 Die Sache ist bekannt; die sogenannten Umtriebe der italienischen Flüchtlinge in Tessin boten den Vorwand zu unangenehmen Maßregeln von Seiten Radetzkys; der Vorort Bern sandte eidgenössische Repräsentanten mit ausgedehnten Vollmachten und zugleich eine Brigade Truppen nach Tessin; der Aufstand im Veltlin und in der Valle Intelvi veranlaßte eine Anzahl der Flüchtlinge, in die Lombardei zurückzukehren, was ihnen, trotz der Wachsamkeit der schweizerischen Grenzposten, gelang; sie überschritten, jedoch unbewaffnet, die Grenzen, nahmen an dem Aufstand teil, keimen nach der Niederlage der Insurgenten von Valle Intelvi, ebenfalls unbewaffnet, wieder auf Tessiner Gebiet und wurden von der Tessiner Regierung ausgewiesen. Inzwischen
1 Äußeren — 2 in ihrem Wesen — 3 ernst - 4 gravitätisch
verschärfte Radetzky seine Repressalien an der Grenze und verdoppelte seine Reklamationen bei den eidgenössischen] Repräsentanten. Diese verlangten Ausweisung aller Flüchtlinge ohne Unterschied; die Tessiner Regierung weigerte sich; der Vorort bestätigte die Maßregeln der Repräsentanten; die Tessiner Regierung appellierte an die inzwischen zusammengetretene Bundesversammlung. Über diesen Appell und über die von beiden Seiten vorgebrachten tatsächlichen Behauptungen, die sich besonders auf das Verhalten der Tessiner gegen die Repräsentanten und die schweizerischen Truppen bezogen, hatte der Nationalrat zu entscheiden. Die Majorität der deshalb ernannten Kommission trug auf Ausweisung aller italienischen Flüchtlinge aus Tessin, Internierung derselben in der inneren Schweiz, Verbot, neuen Flüchtlingen den Aufenthalt in Tessin zu gestatten, überhaupt Bestätigung und Beibehaltung der vom Vorort ergriffenen Maßregeln an. Ihr Berichterstatter war Herr Kasimir Pfyffer von Luzern. Bis ich mir aber auf der öffentlichen Tribüne einen Weg durch die dichten Zuhörermassen gebahnt hatte, war Herr Pfyffer mit seinem ziemlich trocknen Bericht längst fertig, und Herr Pioda hatte das Wort. Herr Pioda, Staatssekretär in Tessin, der für sich allein die Minorität der Kommission ausmachte, bringt seinen Antrag vor auf Ausweisung bloß derjenigen Flüchtlinge, die an dem letzten Aufstand teilgenommen und gegen die also ein positiver Grund zum Einschreiten vorliege. Herr Pioda, Major und Bataillonskommandant im Sonderbundkriege1311, hat sich trotz seines sanften blonden Aussehens damals bei Airolo sehr tapfer gehalten und gegenüber einem Truppenkorps, das zahlreicher, geübter und besser gerüstet war als das seinige und zudem eine vorteilhaftere Stellung einnahm, seinen Posten eine Woche lang behauptet. Pioda spricht ebenso sanft und gefühlvoll, wie er aussieht. Ich hätte ihn anfangs, da er, sowohl was Akzent wie Beherrschung der Sprache angeht, vollkommen französisch spricht, für einen französischen Schweizer gehalten und war erstaunt, als ich hörte, daß er ein Italiener sei. Als er aber auf die Vorwürfe zu sprechen kam, die man den Tessinern machte, als er dagegen das Auftreten der schweizerischen Truppen schilderte, die fast so taten, als wären sie in Feindes Land, als er warm wurde, entwickelte er zwar keine Leidenschaft, aber doch jene lebendige, durch und durch italienische Beredsamkeit, die bald die antiken Formen, bald einen gewissen modernen, zuweilen übertriebenen Redepomp anwendet. Ich muß ihm zum Ruhme nachsagen, daß er in letzterer Beziehung Maß zu halten wußte und daß diese Stellen seiner Entwicklung von sehr gutem Effekt waren. Im ganzen war sein Vortrag aber zu lang und zu gefühlsreich. Die deutschen Schweizer besitzen das aes triplex des Höraz1126\ und an ihrer ebenso harten wie breiten
Brust prallten alle schönen Sentenzen, alle nobeln Gefühle des guten Pioda wirkungslos ab. Nach ihm erhob sich Herr Doktor Alfred Escher von Zürich. Ä la bonne heuredas ist ein Mann comme il en faut pour la Suisse 2! Herr Doktor Escher, eidgenössischer Repräsentant in Tessin, Vizepräsident des Nationalrats, Sohn - wenn ich nicht irre - des bekannten Mechanikers und Ingenieurs Escher, der die Linth kanalisierte und eine enorme Maschinenfabrik bei Zürich gründete. Herr Doktor Escher ist nicht sowohl ein Züricher als ein „schweizerischer Athenienser". Sein Frack, sein Gilet sind vom ersten marchand tailleur 3 Zürichs angefertigt; man sieht das lobenswerte und stellenweise nicht erfolglose Bestreben, den Anforderungen des Pariser Modejournals nachzukommen, man sieht aber auch die reichsstädtische Erbsünde, die die Hand des Zuschneiders immer wieder in das altgewohnte kleinbürgerliche Geleise zurückführte. Wie der Frack, so der Mann. Die blonden Haare sind sehr sorglich geschnitten, aber schrecklich bürgerlich geschnitten, und der Bart desgleichen ~~ denn unser schweizerischer Alcibiades trägt natürlich auch seinen Bart, eine Kaprice, die bei einem Züricher aus „guter Familie" sehr an Alcibiades den Ersten erinnert. Wenn Herr Doktor Escher den Präsidentenstuhl besteigt, um Steiger einen Moment abzulösen, so vollzieht er dies Manöver mit einer Mischung von Würde und eleganter Nonchalance, um die ihn Herr Marrast beneiden könnte. Man sieht deutlich, wie er die paar Augenblicke benutzt, um seinen auf der harten Bank müde gewordenen Rücken in dem weichen Polster des Fauteuils wieder auszuruhen. Kurz, Herr Escher ist so elegant, wie man es in Schweizer-Athen nur sein kann, und dazu ist er reich, hübsch, von kräftigem Körperbau und nicht über 33 Jahre alt. Die Berner Damen mögen sich hüten vor diesem gefährlichen Alcibiades von Zürich. Herr Escher spricht ferner recht fließend und so gutes Deutsch, wie es einem Schweizer-Athenienser nur möglich ist: Attisches Idiom mit dorischem Akzent, aber ohne grammatische Fehler, und das ist nicht jedem Nationalrat der deutschen Schweiz gegeben, spricht er wiealle Schweizer mitschreckenerregender Feierlichkeit. Herr Escher könnte in seinem siebzigsten Jahre keinen solenneren Ton anschlagen als vorgestern — und er ist einer der Jüngsten in der Versammlung. Dazu besitzt er noch eine andere nicht schweizerische Eigenschaft. Jeder deutsche Schweizer nämlich hat für alle seine Reden, bei allen Gelegenheiten, für die Dauer seines Lebens nur einen Gestus. Herr Doktor Kern z.B. streckt den rechten Arm seitwärts im rechten Winkel
1 Alle Achtung - 2 wie ihn die Schweiz braucht - 3 Maßschneider
erhoben von sich; die verschiedenen Offiziere machen genau denselben Griff, nur daß sie den Arm gerade vor sich hin und nicht seitwärts halten; Herr Tanner von Aarau macht bei jedem dritten Wort eine Verbeugung; Herr Furrer wechselt es zwischen Front, halbrechts und halblinks; kurz, wenn man den ganzen deutschredenden Nationalrat zusammennimmt, so bekommt man einen ziemlich vollständigen Telegraphen heraus. Der Gestus des Herrn Escher besteht darin, daß er die Hand gerade vor sich hinstreckt und mit ihr die Bewegung eines Pumpenschwengels aufs täuschendste nachmacht. Was den Inhalt der Rede des Herrn Doktor Escher angeht, so brauche ich diese Aufzählung der Beschwerden der Repräsentanten um so weniger zu wiederholen, als diese Beschwerden fast alle vermittelst der „Neuen ZürcherZeitung"[1273 in die meisten deutschen Blätter übergegangen sind. Neues enthielt die Rede absolut nicht. Nach der Züricher Feierlichkeit die italienische Leidenschaft: nach Herrn Dr.Escher der Oberst Luvini. Luvini, ein ausgezeichneter Soldat, dem der Kanton Tessin seine ganze militärische Organisation verdankt, der die Revolution von 1840 als militärischer Chef dirigierte, der 1841 im August, als die gestürzten Oligarchen und Pfaffen einfielen und von Piemont her eine Kontrerevolution versuchten, durch seine Schnelligkeit und Energie in einem Tage den Versuch erstickte und der im Sonderbundskriege nur deswegen der einzige Gefangene war, weil die Bündner ihn im Stich ließen - Luvini sprang mit großer Schnelligkeit auf, um seine Landsleute gegen Escher zu verteidigen. Daß die Vorwürfe des Herrn Escher in der gespreizten, aber äußerlich ruhigen Sprache eines Schulmeisters vorgebracht waren, nahm ihnen nichts von ihrer Bitterkeit; im Gegenteil, jedermann weiß, daß die doktrinäre Weisheit an sich schon unerträglich und verletzend genug ist. Luvini antwortete mit der ganzen Leidenschaft des alten Soldaten und des Tessiners, der Schweizer durch Zufall, aber Italiener von Natur ist:
„Macht man hier nicht den Tessinern ordentlich einen Vorwurf aus ihrer .Sympathie für die italienische Freiheit' ? Ja, es ist wahr, die Tessiner sympathisieren mit Italien, und ich bin stolz darauf, daß es so ist, und ich werde nicht aufhören, morgens und abends Gott um die Befreiung dieses Landes von seinen Unterdrückern zu bitten. Ja, trotz Herrn Escher, die Tessiner sind ein ruhiges und friedliches Volk, aber allerdings, wenn sie täglich und stündlich sehen müssen, wie die schweizerischen Soldaten fraternisieren mit den Österreichern, mit den Schergen eines Mannes, dessen Namen ich nie aussprechen kann ohne eine Bitterkeit, die aus tiefster Seele kommt, mit den Söldlingen Radetzkys, da sollen sie nicht erbittert werden, sie, vor deren Augen sozusagen die Kroaten die scheußlichsten Greuel begehen? Ja, die Tessiner sind ein ruhiges und friedliches Volk, aber wenn man ihnen schweizerische Soldaten schickt, die Partei
für die Österreicher ergreifen, die sich stellenweise wie die Kroaten benehmen, dann sind sie es freilich nicht!" (Folgt eine Aufzählung von Tatsachen über das Benehmen der Schweizer Truppen in Tessin.) „Es ist schon hart und traurig genug, wenn man von Fremden unterjocht und geknechtet wird, aber man duldet es in der Hoffnung auf den Tag, wo man die Fremden verjagen wird - aber daß meine eignen Brüder und Eidgenossen mich knechten, mir sozusagen den Strick um den Hals legen, wahrlich..."
Die Klingel des Präsidenten unterbrach den Redner. Luvini wurde zur Ordnung gerufen. Er sprach noch einige Sätze und schloß ziemlich abrupt und verdrießlich. Dem heißblütigen Luvini folgte der Oberst Michel aus Graubünden. Die Bündner sind von jeher, mit Ausnahme der italienisch redenden Misoxer, schlechte Nachbarn der Tessiner gewesen, und Herr Michel blieb seinen vaterländischen Traditionen treu. In höchst feierlich-biedermännischem Ton suchte er die Angaben der Tessiner zu verdächtigen, erging sich in einer langen Reihe unangebrachter Invektiven und Klatschereien gegen das Tessiner Volk und war sogar ungeschickt und unedel genug, den Tessinern einen Vorwurf daraus zu machen, daß sie (mit Recht) für ihre Niederlage bei Airolo seine, Michels Landsleute, die Bündner, verantwortlich machten. Er schloß mit dem liebevollen Antrag, der Tessiner Regierung einen Teil der Grenzokkupationskosten aufzubürden. Auf Steigers Antrag wurde die Debatte hiermit ausgesetzt. Am nächsten Morgen ergriff zuerst Herr Oberst Berg von Zürich das Wort. Herr Oberst Berg - von seiner äußeren Erscheinung spreche ich nicht, denn, wie gesagt, sehen die deutsch-schweizerischen Offiziere einer aus wie der andre - Herr Berg ist Kommandant des in Tessin stehenden Züricher Bataillons, von dessen übermütigem Benehmen Luvini eine Menge Exempel gegeben hatte. Herr Berg mußte natürlich sein Bataillon verteidigen, und da er mit den deshalb vorgebrachten tatsächlichen Behauptungen bald zu Ende war, so erging er sich in einer Reihe der maßlosesten persönlichen Ausfälle gegen Luvini.
„Luvini", sagte er, „sollte sich schämen, die Rede auf die Disziplin der Truppen zu bringen und vollends die Disziplin eines der besten und ordentlichsten Bataillone zu verdächtigen. Denn wenn mir passiert wäre, was dem Herrn Luvini passiert ist, so würde ich längst meine Demission gegeben haben. Es ist dem Herrn Luvini passiert, daß er im Sonderbundskriege mit einer überlegenen Armee geschlagen wurde und auf den Befehl vorzurücken erwiderte: das sei unmöglich, seine Truppen seien demoralisiert usw. Übrigens wünsche ich nicht hier, sondern anderswo mit dem Herrn Luvini ein Wörtchen über diese Angelegenheit zu sprechen, ich liebe es, meinem Gegner das Weiße im Auge zu sehen."
Alle diese und zahllose andere Provokationen und Beleidigungen wurden von Herrn Berg in einem halb würdevollen, halb polternden Ton vorgebracht. Er wollte offenbar die fougueuse1 Rhetorik Luvinis nachmachen, erreichte aber nur ein komplettes Fiasko. Da die Geschichte von Airolo nun schon zweimal in meinem Bericht vorgekommen ist und nochmals vorkommt, so will ich kurz an die Hauptumstände erinnern. Der Plan Dufours im Sonderbundskriege war: Während die Hauptarmee Freiburg und Luzern angriff, sollten die Tessiner über den Gotthard, die Bündner über die Oberalp in das Urserental vordringen, die dortige liberale Bevölkerung befreien und bewaffnen und durch diese Diversion Wallis von den Urkantonen abschneiden und die Luzerner Hauptarmee der Sonderbündler zwingen, sich zu teilen. Der Plan wurde vereitelt, erstens durch die Besetzung des Gotthard durch die Urner und Walliser noch vor Eröffnung der Feindseligkeiten und zweitens durch die Lauheit der Bündner. Die Bündner zogen die katholischen Milizen gar nicht ein, und selbst die eingezogenen Truppen ließen sich im Hochgericht Disentis von der katholischen Bevölkerung vom weiteren Vordringen abhalten. Tessin war also ganz allein, und wenn man bedenkt, daß die militärische Organisation dieses Kantons noch sehr jung, daß die ganze Tessiner Armee nur an 3000 Mann beträgt, so begreift man die Schwäche Tessins gegenüber dem Sonderbund. Die Urner, Walliser und Unterwalder hatten sich inzwischen auf mehr als 2000 Mann mit Artillerie verstärkt und brachen am 17. November 1847 mit ihrer gesamten Macht den Gotthard hinab nach Tessin herein. Die Tessiner Truppen standen von Bellinzona bis Airolo das Leventinatal hinauf echeloniert; ihre Reserve stand in Lugano. Die Sonderbündler, von einem dichten Nebel verhüllt, besetzten alle Höhen um Airolo, und als der Nebel sich verzog, sah Luvini, daß die Position verloren sei, noch ehe ein Schuß gefallen. Er setzte sich indes zur Gegenwehr, und nach einem mehrstündigen Gefecht, worin die Tessiner sich mit der höchsten Tapferkeit schlugen, wurden seine Truppen von den überlegenen Feinden geworfen. Anfangs wurde der Rückzug von einigen Truppenteilen gedeckt; aber von den Höhen herab in die Flanke genommen, mit Artillerie beschossen, gerieten die Tessiner Rekruten bald in die größte Unordnung und waren nicht eher zum Stehen zu bringen als acht Stunden von Airolo, hinter der Moesa. Wer die Gotthardstraße passiert hat, begreift die enormen Vorteile, die die von oben herabdringende Armee hat, besonders wenn sie Artillerie besitzt, und begreift die Unmöglichkeit für eine bergab fliehende Armee, sich irgendwo wieder zu setzen und in dem engen
Tal ihre Kräfte zu deployieren. Übrigens waren die Tessiner, die wirklich ins Gefecht kamen, keineswegs den Sonderbündlern überlegen, sondern umgekehrt. An dieser Niederlage, die übrigens keine weiteren Folgen hatte, war also nicht Luvini, sondern erstens seine geringen und ungeübten Streitkräfte, zweitens das ungünstige Terrain, drittens und hauptsächlich das Ausbleiben der Bündner schuld, die sich in Disentis den Veltliner schmecken ließen, statt auf der Oberalp zu sein, und die jetzt endlich, über den Bernardin, den Tessinern post festum1 zwei Bataillone stark zu Hülfe kamen. Und dieser Sieg des Sonderbunds an der einzigen Stelle, wo er die Übermacht hatte, wird den schmählich im Stich gelassenen Tessinern zum Vorwurf gemacht von denen, die sie im Stich ließen, oder die bei Freiburg und Luzern, drei gegen einen kämpfend, wohlfeile Lorbeeren erwarben! Wie Sie wissen, ist auf diese Expektorationen Bergs gegen Luvini ein Duell erfolgt, in dem der Welsche den Züricher derb abführte. Doch zurück zur Debatte. Herr Dr.Kern aus Thurgau erhob sich, um die Anträge der Majorität zu unterstützen. Herr Kern ist eine große, breitschultrige Schweizergestalt mit einem nicht unangenehmen, ausgeprägten Gesicht und etwas theatralischem Haar, etwa wie sich ein biedrer Schweizer den olympischen Jupiter vorstellen mag, etwas gelehrt angezogen und im Blick, Ton, Gebärde von unerschütterlicher Entschlossenheit. Herr Kern gilt für einen der tüchtigsten und scharfsinnigsten Juristen der Schweiz; „mit der ihm eigenen Logik" und hochbeteuernden Manier ging der Präsident des Bundesgerichts auf die Tessiner Frage ein, wurde mir aber bald so langweilig, daß ich vorzog, ins Cafe italien zu gehen und einen Schoppen Walliser zu trinken. Als ich wiederkam, hatten nach Kern Almeras von Genf, Homberger, Blanchenay von Waadt und Castoldi von Genf gesprochen, mehr oder weniger Lokalgrößen, deren eidgenössischer Ruhm erst im Entstehen ist. Am Sprechen war Eytel von Waadt. Herr Eytel kann in der Schweiz, wo die Menschen in demselben Verhältnis groß sind wie das gewöhnliche Rindvieh, für einen feingewachsenen Mann gelten, obwohl er in Frankreich als jeune homme fort robuste2 passieren würde. Er hat ein hübsches, feines Gesicht mit blondem Schnurrbart und blondem Lockenhaar und erinnert, wie die Waadtländer überhaupt, mehr als andre welsche Schweizer an einen Franzosen. Daß er eine der Hauptstützen der ultraradikalen, rotrepublikanischen Waadtländer ist, brauche ich nicht erst zu sagen. Er ist übrigens auch noch jung und gewiß nicht älter als
Escher. Herr Eytel sprach mit großer Lebhaftigkeit gegen die eidgenössischen Repräsentanten.
„Sie haben sich in Tessin benommen, als ob Tessin nicht ein souveräner Staat, sondern eine Provinz wäre, die sie als Prokonsule zu verwalten hätten; wahrlich, wären die Herren in einem französischen Kanton so aufgetreten, ihres Bleibens wäre nicht länger dort gewesen! Und die Herren, statt Gott zu danken, daß die Tessiner sich all ihre Herrschergelüste und Phantasien so ruhig gefallen ließen, beklagen sich noch über schlechte Aufnahme!"
Herr Eytel spricht recht gut, aber etwas zu weitschweifig. Es geht ihm wie allen französischen Schweizern: Die Pointe ist ihnen abhanden gekommen. Der alte Steiger sprach vom Präsidentenstuhl aus auch einige Worte zugunsten der Majoritätsanträge, und sodann erhob sich zum zweitenmal unser Alcibiades Escher, um seine schon einmal erzählte Geschichte zum zweitenmal zu erzählen. Diesmal aber versuchte er einen rhetorischen Schluß, dem man das Schulpensum indes auf drei Meilen weit ansah.
„Entweder sind wir neutral, oder wir sind es nicht, was wir aber sind, müssen wir ganz sein; und die alte Schweizertreue erfordert, daß wir unser Wort halten, sei es auch einem Despoten gegeben."
Aus diesem neuen und schlagenden Gedanken pumpte der unermüdliche Arm des Herrn Escher den Strom einer feierlichen Peroration heraus, und als sie vollendet war, setzte sich Alcibiades, sichtlich zufrieden, wieder hin. Herr Tanner von Aarau, Obergerichtspräsident, der sich nun erhob, ist ein mittelgroßes, dünnes Männchen, das sehr laut spricht, und zwar sehr gleichgültige Dinge. Seine Rede war im Grunde weiter nichts als die hundertmalige Wiederholung eines einzigen grammatischen Fehlers. Ihm folgte Herr Maurice Barman aus Französisch-Wallis. Man sieht ihm nicht an, daß er 1844 am Pont de Trient sich so tapfer geschlagen hat, als die Oberwalliser unter Anführung derer von Kalbermatten, von Riedmatten und anderen Matten den Kanton kontrerevolutionierten. Herr Barman hat ein ruhig-bürgerliches, doch kein unangenehmes Äußere; er spricht bedächtig und etwas abgebrochen. Er wies die Persönlichkeiten Bergs gegen Luvini zurück und sprach für Pioda. Herr Battaglini aus Tessin, der etwas bürgerlich aussieht und einen boshaften Beobachter an den Dottore Bartholo des „Figaro "[128 5 erinnern könnte, las eine längere französische Abhandlung über Neutralität zugunsten seines Kantons ab, die zwar ganz richtige Prinzipien enthält, aber sehr oberflächlich angehört wurde.
Auf einmal hörte das Geplauder und Herumlaufen in der Versammlung auf. Die größte Stille trat ein, und alle Blicke richteten sich auf einen alten, bartlosen, kahlköpfigen Mann mit langer, gebogner Nase, der in französischer Sprache zu reden anfing. Dieser kleine alte Mann, der in seiner einfachen schwarzen Kleidung und seinem ganz bürgerlichen Äußern eher einem Gelehrten als allem andern glich und nur durch ein ausdrucksvolles Gesicht und einen beweglichen, penetranten Blick auffiel, war der General Dufour, derselbe, dessen umsichtige Strategik den Sonderbund fast ohne Blutvergießen erstickte. Welch ein Abstand von den deutsch-schweizerischen Offizieren der Versammlung! Diese Michel, Ziegler, Berg usw., diese biedern Haudegen, diese pedantischen Schnurrbarte machen gegenüber dem kleinen, unscheinbaren Dufour eine höchst charakteristische Figur. Man sieht auf den ersten Blick, wie Dufour der Kopf war, der den ganzen Sonderbundkrieg [lenkte], und diese würdevollen Ajaxe[1241 nur die Fäuste, die er zur Ausführung seiner Beschlüsse gebraucht. Die Tagsatzung hatte wirklich richtig gewählt und den notwendigen Mann getroffen. Aber wenn man Dufour reden hört, erstaunt man erst. Dieser alte Genieoffizier, der sein Leben lang bloß Artillerieschulen organisiert, Reglements entworfen und Batterien inspiziert, der sich nie in parlamentarische Verhandlungen gedrängt, nie öffentlich gesprochen hat, tritt auf mit einer Sicherheit, spricht mit einem Fluß, einer Eleganz und einer Präzision, einer Klarheit, die bewundernswert und im schweizerischen Nationalrat einzig ist. Dieser maidenspeech1 Dufours über die Tessiner Angelegenheit würde, was Form und Vortrag angeht, in einer französischen Kammer das größte Aufsehen erregt haben und übertrifft in jeder Beziehung bei weitem die dreistündige Rede, wodurch Cavaignac sich zum ersten Advokaten von Paris gemacht hat - wenn man nach dem Abdruck im „Moniteur"[171 urteilen kann. Die Schönheit der Sprache ist aber bei einem Genfer doppelt anzuerkennen. Die Nationalsprache von Genf ist ein kalvinistisch-reformiertes Französisch, breit, platt, arm, tonlos und ermattet. Aber Dufour sprach kein Genferisch, sondern wirkliches, echtes Französisch. Und dazu waren die Gesinnungen, die er kutfdg^i), so nobel, so soldatisch im guten Sinne des Worts, daß sie die brotneidischen Eifersüchteleien, die kleinlichen Kantönliborniertheiten der deutsch-schweizerischen Offiziere erst recht grell hervortreten ließen.
„Ich freue mich, daß die Neutralität im Munde aller ist", sprach Dufour. „Aber worin besteht die Neutralität? Sie besteht darin, daß wir nichts unternehmen oder unternehmen lassen, wodurch der Friedenszustand zwischen der Schweiz und den
Nachbarstaaten gefährdet wird. Nichts weniger, aber auch nichts mehr. Wir haben also das Recht, den fremden Flüchtlingen ein Asyl zu gestatten, es ist ein Recht, worauf wir stolz sind. Wir sehen es als eine Pflicht an, die wir dem Unglück schuldig sind. Aber unter einer Bedingung: daß der Flüchtling sich unsern Gesetzen unterwerfe, daß er nichts unternehme, was unsere innere und äußere Sicherheit gefährdet. Daß ein von der Tyrannei verjagter Patriot sich auch von unserm Gebiet aus bestrebt, die Freiheit seines Vaterlandes wiederzugewinnen, ich finde es erklärlich, ich mache ihm keinen Vorwurf daraus, aber auch wir haben dann zu sehen, was wir zu tun haben. Wenn daher der Flüchtling seine Feder spitzt oder seine Flinte ergreift gegen die Nachbarregierung, gut, so werden wir ihn nicht ausweisen, das wäre ungerecht, aber von der Grenze entfernen, ihn internieren. Das gebietet unsre eigne Sicherheit, unsre Rücksicht auf die Nachbarstaaten; nichts weniger, aber auch nichts mehr. Schreiten wir dagegen ein nicht bloß gegen den Freischärler, der ins fremde Gebiet eingefallen, sondern auch gegen den Bruder, den Vater des Freischärlers, gegen den, der ruhig geblieben, so tun wir mehr, als wir müssen, so sind wir nicht mehr unparteiisch, so ergreifen wir Partei für die fremde Regierung, für den Despotismus, gegen seine Schlachtopfer." (Allgemeines Bravo.) „Und gerade jetzt, wo Radetzky, ein Mann, mit dem gewiß niemand in dieser Versammlung sympathisiert, wo er bereits von uns diese ungerechte Entfernung aller Flüchtlinge von der Grenze verlangt hat, wo er seine Forderung durch Drohungen, ja durch feindselige Maßregeln unterstützt, gerade jetzt ziemt es uns am allerwenigsten, der ungerechten Forderung eines übermächtigen Gegners nachzukommen, weil es aussieht, als hätten wir der Übermacht nachgegeben, als hätten wir diesen Beschluß gefaßt, weil ein Stärkerer ihn von uns verlangt." (Bravo.)
Ich bedaure, nicht mehr von dieser Rede und nicht wörtlichere Auszüge geben zu können. Aber Stenographen gibt's hier nicht, und ich muß aus der Erinnerung aufschreiben. Genug, Dufour erstaunte die ganze Versammlung ebensosehr durch seine Rednergabe und durch die Anspruchslosigkeit seines Vortrags wie durch die schlagenden Argumente, die er vorbrachte, und setzte sich mit der Erklärung, er stimme für Pioda, unter allgemeinem Beifall nieder. Ich habe sonst nie Beifallsbezeugungen im Nationalrat während der Diskussion gehört. Die Sache war entschieden, nach Dufours Rede war nichts mehr zu sagen, der Antrag Piodas war durchgesetzt. Aber damit war den in ihrem Gewissen erschütterten Kantönlirittern nicht gedient, und auf den Ruf nach Schluß antworteten sie durch 48 Stimmen für Fortsetzung der Debatte. Nur 42 stimmten für den Schluß; die Diskussion ging also weiter. Herr Veillon von Waadt schlug vor, die ganze Sache dem Bundesrat1971 zu überweisen. Herr Pittet von Waadt, ein hübscher Mann mit französischen Zügen, sprach für Pioda, fließend, aber breit und doktrinär, und die Debatte schien eingeschlafen, als endlich Herr Bundespräsident Furrer sich erhob.
7 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Herr Furrer ist ein Mann in seinen besten Jahren, das Seitenstück zu Alcibiades Escher. Wenn dieser Schweizer-Athen vertritt, so repräsentiert Herr Furrer Zürich. Neigt Escher zum Professor, so neigt Furrer zum Zunftmeister hin. Beide zusammen repräsentieren Zürich vollständig. Herr Furrer ist natürlich ein Mann der unbedingtesten Neutralität, und als er durch Dufours Rede sein System gewaltig bedroht sah, mußte er die äußersten Mittel aufbieten, um sich die Majorität zu sichern. Herr Furrer war zwar erst seit drei Tagen Bundespräsident, aber dessenungeachtet bewies er, daß er die Politik der Kabinettsfragen versteht trotz Duchätel und trotz Hansemann. Er erklärte, der Bundesrat sei ungeheuer begierig auf den Beschluß des Nationalrats, weil dieser Beschluß der ganzen Politik der Schweiz die entscheidende Wendung geben werde usw., und nach einiger Ausschmückung dieser captatiobenevolentiae1 ging er allmählich dazu über, auseinanderzusetzen, was seine Meinung sei und die Meinung der Majorität des Bundesrats, nämlich, daß es bei der Neutralitätspolitik sein Bewenden haben müsse und daß die Ansicht der Majorität der Kommission auch die der Majorität des Bundesrates sei. Und das alles sagte er mit so feierlicher Würde und so eindringlicher Stimme, daß die Kabinettsfrage aus jeder Silbe seiner Rede hervorsah. Nun muß man wissen, daß in der Schweiz die vollziehende Gewalt nicht wie in der konstitutionellen Monarchie oder der neuen französischen Verfassung eine selbständige Gewalt neben der gesetzgebenden, sondern daß sie bloß der Ausfluß und der Arm der gesetzgebenden Gewalt ist. Man muß wissen, daß es hier gar nicht Gebrauch ist, daß die vollziehende Gewalt zurücktritt, wenn die gesetzgebende Versammlung etwas andres beschließt, als sie wünscht; im Gegenteil pflegt sie diesen Beschluß gehorsamst zu vollziehen und auf bessere Zeiten zu warten. Und da die vollziehende Gewalt ebenfalls aus einem gewählten Rat besteht, der auch verschiedene Nuancen enthält, so hat es gar nicht so viel zu sagen, wenn die Minorität im vollziehenden Rat in manchen Fragen die Majorität im gesetzgebenden Rat hat. Und hier waren wenigstens zwei Bundesräte, Druey und Franscini, für Pioda und gegen Furrer. Dieser Appell Furrers an die Versammlung war also nach Schweizer Sitte und Anschauungsweise ganz unparlamentarisch. Aber einerlei ! Die gewichtige Stimme des Herrn Bundespräsidenten gab den Kantönlirittern wieder Courage, und als er sich setzte, versuchten sie sogar ein verhallendes Bravo und schrien nach Schluß. Der alte Steiger war aber billig genug, vorher Herrn Pioda als Berichterstatter der Minorität noch das Wort zu geben. Pioda sprach mit derselben
Ruhe und demselben Anstand wie früher. Er widerlegte nochmals alle Einwürfe, indem er die Debatte kurz resümierte. Er verteidigte mit Wärme seinen Freund Luvini, dessen fougueuse1 Beredsamkeit ihn vielleicht hier zu weit fortgerissen, aber bei einer früheren Gelegenheit, man solle es nicht vergessen, der Schweiz seinen Kanton erhalten habe. Endlich keim er auf Airolo und bedauerte, daß dies Wort hier vorgebracht, daß es vollends von einer Seite vorgebracht, von der er es am wenigsten erwartete.
„Eis ist wahr", sagte er, „wir haben bei Airolo eine Niederlage erlitten. Aber wie ging das zu? Wir standen allein da, unser kleiner, dünnbevölkerter Kanton gegen die ganze Wucht der Urkantone und des Wallis, die sich auf uns warfen und uns, nachdem wir uns tapfer verteidigt, erdrückten. Eis ist wahr, wir sind geschlagen worden. Aber geziemt es Ihnen" (zu Michel gewandt), „uns daraus einen Vorwurf zu machen? Sie, meine Herren, Sie sind schuld daran, daß wir geschlagen wurden, Sie sollten auf der Oberalp sein und den Sonderbündlern in die Flanke fallen, und wer nicht da war, wer uns im Stich ließ, das waren Sie, und deshalb wurden wir geschlagen. Ja, Sie sind gekommen, meine Herren, aber als es zu spät, als alles vorüber war - da endlich sind Sie gekommen!" Wütend und mit krebsrotem Gesicht sprang Oberst Michel auf und erklärte dies für eine Lüge und Verleumdung. Durch lautes Murren und die Klingel des Präsidenten zur Ordnung gerufen, fuhr er etwas ruhiger fort. Er wisse nichts davon, daß er habe auf der Oberalp sein sollen. Er wisse bloß, daß, als er gerufen worden sei, er den Tessinern zu Hülfe gekommen, und zwar er zu allererst. Pioda erwiderte ebenso ruhig wie vorher: es sei ihm nicht eingefallen, Herrn Michel persönlich eingreifen zu wollen, er habe nur von den Graubündnern im allgemeinen gesprochen, und da sei es allerdings ein Faktum, daß sie hätten von der Oberalp herab die Tessiner unterstützen sollen. Wenn Herr Michel das nicht wisse, so sei das leicht erklärlich, da er damals bloß ein Bataillon kommandiert habe und also die allgemeinen Dispositionen des Feldzugs ihm sehr wohl unbekannt geblieben sein könnten. Mit diesem Intermezzo, das noch zu verschiedenen Privatverhandlungen zwischen diesen Herren außerhalb des Versammlungssaals führte und endlich durch beiderseitig zufriedenstellende Erklärungen beigelegt wurde, schloß die Debatte. Die Abstimmung erfolgte durch Namensaufruf. Die Franzosen und vier bis fünf Deutsche stimmten mit den Tessinern; die Masse der deutschen Schweizer stimmten dagegen; Tessin wurde des Asylrechts beraubt, Radetzkys Forderungen wurden zugestanden, die Neutralität um jeden Preis
proklamiert, und Herr Furrer konnte mit sich und dem Nationalrat zufrieden sein. Das ist der schweizerische Nationalrat, die Blüte der schweizerischen Staatsmänner. Ich finde, daß sie nur durch eine Tugend sich vor andern Gesetzgebern auszeichnen: durch eine größere Geduld.
Der Staatsstreich der Kontrerevolution
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 163 vom 8. Dezember 18481 * Köln, 7.Dezember. Die Nationalversammlung ist aufgelöst. Die Vertreter des Volkes sind „von Gottes Gnaden" auseinandergejagt. Zu dem mit solcher Frechheit ausgeführten Staatsstreiche fügt das Ministerium in seiner Motivierung der Gewalttat den bittersten Hohn.11221 Die Nat[ional]vers[ammlung] erntet jetzt die Früchte ihrer langwierigen Schwäche und Feigheit. Sie ließ die Verschwörung gegen das Volk monatelang ruhig fortarbeiten, stark und mächtig werden und fällt ihr daher jetzt zum ersten Opfer. Ebenso büßt das Volk, was es im März und noch im April und Mai aus Großmut, oder richtiger aus Dummheit, uncl zuletzt durch den sogenannten „passiven Widerstand" verschuldete. Es hat jetzt eine Lehre bekommen, die es sich wohl zunutze machen wird. Sein nächster Sieg wird der „Vereinbarung" wie allen übrigen Phrasen und Heucheleien ein Ende machen.
Geschrieben von Karl Marx.
Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 165 vom 10. Dezember 1848] * Köln, 9.Dezember. Wir haben es nie verheimlicht. Unser Boden ist nicht der Rechtsboden, es ist der revolutionäre Boden. Die Regierung hat nun ihrerseits die Heuchelei des Rechtsbodens aufgegeben. Sie hat sich auf den revolutionären Boden gestellt, denn auch der kpntrerevolutionäre Boden ist revolutionär. In § 6 des Gesetzes vom 6.April 1848[91] ist bestimmt:
„Den künftigen Vertretern des Volkes soll jedenfalls die Zustimmung zu allen Gesetzen sowie zur Feststellung des Staatshaushaltungsetats und das SteuerbewiUigungsrecht zustehn."
In § 13 des Gesetzes vom 8.April 1848[129] heißt es:
„Die auf Grund des gegenwärtigen Gesetzes zusammentretende Versammlung ist dazu berufen, die künftige Staatsverfassung durch Vereinbarung mit der Krone festzustellen und die seitherigen reichsständischen Befugnisse, namentlich in bezug auf die Bewilligung von Steuern, für die Dauer ihrer Versammlung auszuüben."
Die Regierung jagt die VereinbarungsVersammlung11301 zum Teufel, diktiert dem Lande höchsteigen eine soi-disant1 Verfassung11231 und bewilligt sich selbst die Steuern, die ihr von den Volksvertretern versagt worden. Die preußische Regierung hat der Camphauseniade, einer Art feierlicher Rechts- Jobsiade1106 ein eklatantes Ende gemacht. Aus Rache tagt der Erfinder dieser Epopöe, der große Camphausen, ruhig in Frankfurt fort als Gesandter derselben preußischen Regierung und intrigiert fort mit den Bassermanns im Dienste derselben preußischen Regierung. Dieser Camphausen, der die
Vereinbarungstheorie141 erfand, um den Rechtsboden zu retten, d.h., um die Revolution zunächst um die ihr gebührenden Honneurs zu prellen, erfand zugleich die Minen, welche später den Rechtsboden samt der Vereinbarungstheorie in die Luft sprengen sollten. Dieser Mann gab die indirekten Wahlen, welche eine Versammlung ergaben, der die Regierung im Augenblicke einer augenblicklichen Erhebung zudonnern konnte: Trop tard!1 Er rief den Prinzen von Preußen zurück, den Chef der Kontrerevolution, und verschmähte es nicht, dessen Flucht durch eine offizielle Lüge in eine Studienreise zu verwandeln.^1311 Er ließ die alte preußische Gesetzgebung über politische Verbrechen und die alten Gerichte in Kraft. Die alte Bürokratie und die alte Armee gewannen unter ihm wieder Zeit, sich von ihrem Schrecken zu erholen und sich vollständig zu rekonstituieren. Sämtliche Führer des alten Regimes blieben unverletzt auf ihren Sitzen. Unter Camphausen führte die Kamarilla den Krieg in Posen[1321, während er selbst den Krieg in Dänemark^861 führte. Der dänische Krieg sollte ein Abieiter für die patriotische Überkraft11331 der deutschen Jugend sein, die nach ihrer Rückkehr auch gebührendermaßen polizeilich gemaßregelt würde, er sollte dem General Wrangel und seinen berüchtigten Garderegimentern eine gewisse Popularität verleihn und die preußische Soldateska im allgemeinen rehabilitieren. Sobald der Zweck erfüllt war, mußte dieser Scheinkrieg um jeden Preis in einem schmählichen Waffenstillstand11341 erstickt werden, den derselbe Camphausen wieder zu Frankfurt am Main mit der deutschen Nationalversammlung vereinbarte. Das Resultat des dänischen Kriegs war der „Oberbefehlshaber beider Marken"11351 und die Rückkehr der im März vertriebenen Garderegimenter nach Berlin. Und der Krieg, den die Kamarilla zu Potsdam unter Camphausens Auspizien in Posen führte! Der Krieg in Posen war mehr als ein Krieg gegen die preußische Revolution. Er war der Fall Wiens, der Fall Italiens, die Niederlage der Junihelden. Er war der erste entscheidende Triumph, den der russische Zar über die europäische Revolution erfocht. Und alles das unter den Auspizien des großen Camphausen, des denkenden Geschichtsfreundes11361, des Ritters der großen Debatte, des Heroen der Vermittlung. Unter und durch Camphausen hatte sich so die Kontrerevolution aller entscheidenden Posten bemächtigt, sie hatte sich ihr schlagfertiges Kriegsheer vorbereitet, während die Vereinbarerversammlung debattierte. Unter dem Minister der Tat Hansemann-Pinto^i6] wurde die alte Polizei neu eingekleidet
und ein ebenso erbitterter als kleinlicher Krieg der Bourgeoisie gegen das Volk geführt. Unter Brandenburg zog man den Schluß aus diesen Vordersätzen. Es gehörte dazu nur noch ein - Schnurrbart und ein Säbel statt eines Kopfes. Als Camphausen abtrat, riefen wir ihm zu: Er habe die Reaktion gesät im Sinne der Bourgeoisie, er werde sie ernten im Sinne der Aristokratie und des Absolutismus.1 Wir zweifeln nicht, daß Se.Exzellenz, der preußische] Gesandte Camphausen, sich in diesem Augenblicke selbst zu den Feudalherren zählt und sich mit seinem „Mißverständnisse" aufs friedlichste vereinbart haben wird. Man täusche sich indes nicht; man schreibe einem Camphausen, einem Hansemann, diesen Männern untergeordnetster Größe, keine weltgeschichtliche Initiative zu. Sie waren nichts als die Organe einer Klasse. Ihre Sprache, ihre Handlungen waren nur das offizielle Echo einer Klasse, die sie in den Vordergrund gedrängt hatte. Sie waren nur die große Bourgeoisie - im Vordergrunde. Die Repräsentanten dieser Klasse bildeten die liberale Opposition auf dem selig entschlafenen, durch Camphausen für einen Augenblick wiedererweckten Vereinigten Landtage.1137] Man hat den Herrn dieser liberalen Opposition vorgeworfen, ihren Prinzipien nach der Märzrevolution untreu geworden zu sein. Es ist dies ein Irrtum. Die großen Grundbesitzer und Kapitalisten, die ausschließlich auf dem Vereinigten Landtage vertreten waren, mit einem Worte die Geldbeutel, hatten an Geld und Bildung zugenommen. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Preußen - d.h. mit der Entwicklung der Industrie, des Handels und des Ackerbaus - hatten einerseits die alten Ständeunterschiede ihre materielle Grundlage verloren. Der Adel selbst war wesentlich verbürgerlicht. Statt in Treue, Liebe und Glauben machte er nun vor allem in Runkelrüben, Schnaps und Wolle. Sein Hauptturnier war der Wollmarkt geworden. Andrerseits war der absolutistische Staat, dem seine alte gesellschaftliche Grundlage unter den Füßen durch den Gang der Entwickelung weggezaubert war, zur hemmenden Fessel geworden für die neue bürgerliche Gesellschaft mit ihrer veränderten Produktionsweise und ihren veränderten Bedürfnissen. Die Bourgeoisie mußte sich ihren Anteil an der politischen Herrschaft vindizieren, schon ihrer materiellen Interessen wegen. Sie selbst war allein fähig, ihre kommerziellen und industriellen Bedürfnisse gesetzlich zur Geltung zu bringen. Sie mußte einer über
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Erste Seite der „Neuen Rheinischen Zeitung-" Nr. 165 vom 10. Dezember 1848 mit Karl Marx' Artikel „Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution"

lebten, ebenso unwissenden als arroganten Bürokratie die Verwaltung dieser ihrer „heiligsten Interessen" aus der Hand nehmen. Sie mußte Kontrolle des Staatsvermögens, dessen Schöpfer sie sich dünkte, für sich in Anspruch nehmen. Sie besaß auch den Ehrgeiz, nachdem sie der Bürokratie das Monopol der sogenannten Bildung entwendet hatte und sie an wirklicher Kenntnis der bürgerlichen Gesellschaftsbedürfnisse weit zu überragen sich bewußt war, eine ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechende politische Stellung erzwingen zu wollen. Sie mußte, um ihren Zweck zu erreichen, ihre eigenen Interessen, Ansichten und die Handlungen der Regierung frei debattieren können. Das nannte sie das „Recht der Preßfreiheit". Sie mußte sich ungeniert assoziieren können. Das nannte sie das „Recht der freien Assoziation". Religionsfreiheit u.dgl. mußte ebenfalls als notwendige Folge der freien Konkurrenz von ihr verlangt werden. Und die preußische Bourgeoisie war vor dem März 1848 auf dem besten Wege, alle ihre Wünsche sich verwirklichen zu sehen. Der preußische Staat befand sich in Geldnöten. Sein Kredit war versiegt. Das war das Geheimnis der Zusammenberufung des Vereinigten Landtags. Die Regierung sträubte sich zwar gegen ihr Schicksal, sie entließ ungnädig den „Vereinigten", aber Geldnot und Kreditlosigkeit hätten sie unfehlbar nach und nach der Bourgeoisie in die Arme geworfen. Wie die Feudalbarone, so haben die Könige von Gottes Gnaden von jeher ihre Privilegien ausgetauscht gegen bares Geld. Die Emanzipation der Leibeigenen war der erste, die konstitutionelle Monarchie der zweite große Akt dieses weltgeschichtlichen Schachers in allen christlich-germanischen Staaten. „L'argent n'a pas de maitre"1, aber die maitres hören auf, maitres zu sein, sobald sie demonetises (entmünzt) sind. Die liberale Opposition auf dem Vereinigten Landtage war also nichts anderes als die Opposition der Bourgeoisie gegen eine Regierungsform, die ihren Interessen und Bedürfnissen nicht mehr entsprach. Um dem Hofe Opposition, mußte sie dem Volke den Hof machen. Sie bildete sich vielleicht wirklich em, für das Volk Opposition zu machen. Die Rechte, die Freiheiten, die sie für sich erstrebte, konnte sie daher natürlich nur unter Firma von Volksrechten und Volksfreiheiten der Regierung gegenüber in Anspruch nehmen. Diese Opposition befand sich, wie gesagt, auf dem besten Wege, als der Februarsturm losbrach.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 169 vom 15. Dezember 1848] * Köln, 11. Dezember. Als die Märzsündflut - eine Sündflut en miniature sich verlaufen hatte, ließ sie auf der Berliner Erdoberfläche keine Ungeheuer zurück, keine revolutionären Kolosse, sondern Kreaturen alten Stils, bürgerlich untersetzte Gestalten — die Liberalen des Vereinigten Landtags, die Vertreter der bewußten preußischen Bourgeoisie. Die Provinzen, welche die entwickeltste Bourgeoisie besitzen, die Rheinprovinz und Schlesien, lieferten das Hauptkontingent zu den neuen Ministerien. Hinter ihnen ein ganzer Schweif rheinischer Juristen. In demselben Maße, als die Bourgeoisie von den Feudalen in den Hintergrund zurückgedrängt wurde, machten in den Ministerien die Rheinprovinz und Schlesien den urpreußischen Provinzen Platz. Das Ministerium Brandenburg hängt nur noch durch einen Elberfelder Tory mit der Rheinprovinz zusammen. Hansemann und von der Heydt! In diesen beiden Namen liegt für die preußische Bourgeoisie der ganze Unterschied zwischen März und Dezember 1848! Die preußische Bourgeoisie war auf die Staatshöhn geworfen, aber nicht, wie sie gewünscht hatte, durch eine friedliche Transaktion mit der Krone, sondern durch eine Revolution. Nicht ihre eigenen Interessen, sondern die Volksinteressen sollte sie gegen die Krone, d.h. gegen sich selbst vertreten, denn eine Volksbewegung hatte ihr die Wege bereitet. Die Krone war aber in ihren Augen eben nur der gottesgnadliche Schirm, hinter dem ihre eigenen profanen Interessen sich verbergen sollten. Die Unantastbarkeit ihrer eigenen Interessen und der ihrem Interesse entsprechenden politischen Formen sollte, in die konstitutionelle Sprache übersetzt, lauten: Unantastbarkeit der Krone. Daher die Schwärmerei der deutschen und speziell der preußischen Bourgeoisie für die konstitutionelle Monarchie. War daher die Februarrevolution samt ihren deutschen Nachwehen der preußischen Bourgeoisie willkommen, weil das Staatsruder ihr durch dieselbe in die Hand geworfen wurde, so war sie ebensosehr ein Strich durch ihre Rechnung, weil ihre Herrschaft so an Bedingungen geknüpft wurde, die sie weder erfüllen wollte noch erfüllen konnte. Die Bourgeoisie hatte keine Hand gerührt. Sie hatte dem Volke erlaubt, sich für sie zu schlagen. Die ihr übertragene Herrschaft war daher nicht die Herrschaft des Feldherrn, der seinen Gegner besiegt, sondern die Herrschaft eines Sicherheitsausschusses, dem das siegreiche Volk die Wahrung seiner eigenen Interessen anvertraut. Camphausen fühlte noch ganz das Unbequeme dieser Position, und die ganze Schwäche seines Ministeriums datiert aus diesem Gefühle und den
Umständen, die es bedingten. Eine Art von Schamröte verklärt daher die schamlosesten Akte seiner Regierung. Die offenherzige Schamlosigkeit und Unverschämtheit waren das Privilegium Hansemanns. Die rote Teinte bildet den einzigen Unterschied zwischen diesen beiden Malern. Man muß die preußische Märzrevolution weder mit der englischen Revolution von 1648 noch mit der französischen von 1789 verwechseln. 1648 war die Bourgeoisie mit dem modernen Adel gegen das Königtum, gegen den feudalen Adel und gegen die herrschende Kirche verbunden. 1789 war die Bourgeoisie mit dem Volke verbunden gegen Königtum, Adel und herrschende Kirche. Die Revolution von 1789 hatte zum Vorbilde (wenigstens in Europa) nur die Revolution von 1648, die Revolution von 1648 nur den Aufstand der Niederländer gegen Spanien. Beide Revolutionen waren nicht nur der Zeit, sondern auch dem Gehalte nach um ein Jahrhundert ihren Vorbildern voraus. In beiden Revolutionen war die Bourgeoisie die Klasse, die sich wirklich an der Spitze der Bewegung befand. Das Proletariat und die nicht der Bourgeoisie angehörigen Fraktionen des Bürgertums hatten entweder noch keine von der Bourgeoisie getrennte Interessen oder sie bildeten noch keine selbständig entwickelten Klassen oder Klassenabteilungen. Wo sie daher der Bourgeoisie entgegentreten, wie zum Beispiel 1793 bis 1794 in Frankreich, kämpfen sie nur für die Durchsetzung der Interessen der Bourgeoisie, wenn auch nicht in der Weise der Bourgeoisie. Der ganze französische Terrorismus war nichts als eine plebejische Manier, mit den Feinden der Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum, fertigzuwerden. Die Revolutionen von 1648 und 1789 waren keine englischen und französischen Revolutionen, sie waren Revolutionen europäischen Stils. Sie waren nicht der Sieg einer bestimmten Klasse der Gesellschaft über die alte politische Ordnung; sie waren die Proklamation der politischen Ordnung für die neue europäische Gesellschaft. Die Bourgeoisie siegte in ihnen; aber der Sieg der Bourgeoisie war damals der Sieg einer neuen Gesellschaftsordnung, der Sieg des bürgerlichen Eigentums über das feudale, der Nationalität über den Provinzialismus, der Konkurrenz über die Zunft, der Teilung über das Majorat, der Herrschaft des Eigentümers des Bodens über die Beherrschung des Eigentümers durch den Boden, der Aufklärung über den Aberglauben, der Familie über den Familiennamen, der Industrie über die heroische Faulheit, des bürgerlichen Rechts über die mittelaltrigen Privilegien. Die Revolution von 1648 war der Sieg1 des 17. Jahrhunderts über das 16. Jahrhundert, die Revolution
1 In der „N.Rh.Ztg.": die Revolution
von 1789 der Sieg des 18. Jahrhunderts über das 17. Jahrhundert. Diese Revolutionen drückten mehr noch die Bedürfnisse der damaligen Welt als der Weltausschnitte aus, in denen sie vorfielen, Englands und Frankreichs. In der preußischen Märzrevolution nichts von alledem. Die Februarrevolution hatte das konstitutionelle Königtum in der Wirklichkeit und die Bourgeoisherrschaft in der Idee abgeschafft. Die preußische Märzrevolution sollte das konstitutionelle Königtum in dei Idee und die Bourgeoisherrschaft in der Wirklichkeit schaffen. Weit entfernt, eine europäische Revolution zu sein, war sie nur die verkümmerte Nachwirkung einer europäischen Revolution in einem zurückgebliebenen Lande. Statt ihrem Jahrhundert voraus, war sie hinter ihrem Jahrhundert um mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Sie war von vornherein sekundär, aber es ist bekannt, daß die sekundären Krankheiten schwerer zu heilen sind und den Körper gleichzeitig mehr verwüsten als die primitiven. Es handelte sich nicht um die Herstellung einer neuen Gesellschaft, sondern um die Berliner Wiedergeburt der zu Paris verstorbenen Gesellschaft. Die preußische Märzrevolution war nicht einmal national, deutsch, sie war von vornherein provinziell-preußisch. Die Wiener, die Kaßler, die Münchener, alle Sorten provinzieller Aufstände rannten neben ihr her und machten ihr den Rang streitig. Während 1648 und 1789 das unendliche Selbstgefühl hatten, an der Spitze der Schöpfung zu stehn, bestand der Ehrgeiz der Berliner 1848 darin, einen Anachronismus zu bilden. Ihr Licht glich dem Lichte der Sterne, das uns Erdenbewohnern erst zukömmt, nachdem die Körper, die es ausgestrahlt, schon 100 000 von Jahren erloschen sind. Die preußische Märzrevolution war im kleinen, wie sie alles im kleinen war, ein solcher Stern für Europa. Ihr Licht war das Licht eines längst verwesten Gesellschaftsleichnams. Die deutsche Bourgeoisie hatte sich so träg, feig und langsam entwickelt, daß im Augenblicke, wo sie gefahrdrohend dem Feudalismus und Absolutismus gegenüberstand, sie selbst sich gefahrdrohend gegenüber das Proletariat erblickte und alle Fraktionen des Bürgertums, deren Interessen und Ideen dem Proletariat verwandt sind. Und nicht nur eine Klasse hinter sich, ganz Europa sah sie feindlich vor sich. Die preußische Bourgeoisie war nicht, wie die französische von 1789, die Klasse, welche die ganze moderne Gesellschaft den Repräsentanten der alten Gesellschaft, dem Königtum und dem Adel, gegenüber vertrat. Sie war zu einer Art von Stand herabgesunken, ebenso ausgeprägt gegen die Krone als gegen das Volk, oppositionslustig gegen beide, unentschlossen gegen jeden ihrer Gegner einzeln genommen, weil sie immer beide vor oder hinter sich sah; von vornherein zum Verrat gegen das Volk und zum Kompromiß mit dem gekrönten Vertreter der alten Gesellschaft geneigt,
weil sie selbst schon zur alten Gesellschaft gehörte; nicht die Interessen einer neuen Gesellschaft gegen eine alte, sondern erneute Interessen innerhalb einer veralteten Gesellschaft vertretend; nicht an dem Steuerruder der Revolution, weil das Volk hinter ihr stand, sondern weil das Volk sie vor sich herdrängte; nicht an der Spitze, weil sie die Initiative einer neuen, sondern nur weil sie die Ranküne einer alten Gesellschaftsepoche vertrat; eine nicht zum Durchbruch gekommene Schichte des alten Staats durch ein Erdbeben auf die Oberfläche des neuen Staats geworfen; ohne Glauben an sich selbst, ohne Glauben an das Volk, knurrend gegen oben, zitternd gegen unten, egoistisch nach beiden Seiten und sich ihres Egoismus bewußt, revolutionär gegen die Konservativen, konservativ gegen die Revolutionäre, ihren eigenen Stichworten mißtrauend, Phrasen statt Ideen, eingeschüchtert vom Weltsturm, den Weltsturm exploitierend — Energie nach keiner Richtung, Plagiat nach allen Richtungen, gemein, weil sie nicht originell war, originell in der Gemeinheit — schachernd mit ihren eigenen Wünschen, ohne Initiative, ohne Glauben an sich selbst, ohne Glauben an das Volk, ohne weltgeschichtlichen Beruf - ein vermaledeiter Greis, der sich dazu verdammt sah, die ersten Jugendströmungen eines robusten Volks in seinem eigenen altersschwachen Interesse zu leiten und abzuleiten — ohn' Aug! ohn' Ohr! ohn' Zahn, ohn' alles - so fand sich die preußische Bourgeoisie nach der Märzrevolution am Ruder des preußischen Staates.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 170 vom 16. Dezember 1848] * Köln, 15. Dezember. Die Vereinbarungstheorie, welche die im Ministerium Camphausen zur Regierung gelangte Bourgeoisie sofort als „breiteste" Grundlage des preußischen contrat social1 proklamierte, war keineswegs eine hohle Theorie; sie war vielmehr gewachsen auf dem Baume des „goldnen" Lebens. Die Märzrevolution hat den Souverän von Gottes Gnaden keineswegs dem Volkssoüveräne unterjocht. Sie hat nur die Krone, den absolutistischen Staat, gezwungen, sich mit der Bourgeoisie zu verständigen, sich mit ihrem alten Rivalen zu vereinbaren. Die Krone wird der Bourgeoisie den Adel, die Bourgeoisie wird der Krone das Volk opfern. Unter dieser Bedingung wird das Königtum bürgerlich und die Bourgeoisie königlich werden. Nach dem März gibt es nur noch diese zwei Mächte. Sie dienen sich wechselseitig als Blitzableiter der Revolution. Alles natürlich auf „breitester demokratischer Grundlage".
1 Gesellschaftsvertrages
Das war das Geheimnis der Vereinbarungstheorie. Die öl- und Wollhändler[138], welche das erste Ministerium nach der Märzrevolution bildeten, gefielen sich in der Rolle, die bloßgestellte Krone mit ihren plebejischen Fittichen zu decken. Sie schwelgten in dem Hochgenüsse, hoffähig zu sein und widerstrebend, von ihrem rauhen Römertum aus reiner Großmut ablassend - von dem Römertum des Vereinigten Landtags —, die Kluft, welche den Thron zu verschlingen drohte, mit dem Leichnam ihrer ehemaligen Popularität zu schließen. Wie spreizte sich der Minister Camphaasen als Wehmutter des konstitutionellen Thrones. Der brave Mann war offenbar über sich selbst, über seine eigne Großmut gerührt. Die Krone und ihr Anhang duldete widerstrebend diese demütigende Protektorschaft, sie machte bonne mine a mauvais jeu1 in Erwartung beßrer Tage. Die halb aufgelöste Armee, die für ihre Stellen und Gehalte zitternde Bürokratie, der gedemütigte Feudalstand, dessen Führer sich auf konstitutionellen Studienreisen[131] befand, übertölpelten leicht mit einigen süßen Worten und Knixen den Bourgeois gentilhommell39]. Die preußische Bourgeoisie war nomineller Besitzer der Herrschaft, sie zweifelte keinen Augenblick, daß die Mächte des alten Staats ohne Hinterhalt sich ihr zu Gebot gestellt und in ebenso viele devote Ableger ihrer eignen Allmacht verwandelt hätten. Nicht nur im Ministerium, in dem ganzen Umfang der Monarchie war die Bourgeoisie von diesem Wahn berauscht. Die einzigen Heldentaten der preußischen Bourgeoisie nach dem März, die oft blutigen Schikanen der Bürgerwehr gegen das unbewaffnete Proletariat, fanden sie nicht in der Armee, in der Bürokratie und selbst in den Feudalherrn willig unterwürfige Helfershelfer? Die einzigen Kraftanstrengungen, wozu sich die lokalen Vertreter der Bourgeoisie aufschwangen, die Gemeinderäte - deren zudringlich servile Gemeinheit von einem Windischgrätz, Jellachich und Weiden später in angemessener Weise befußtrittet wurde —, die einzigen Heldentaten dieser Gemeinderäte nach der Märzrevolution, ihre patriarchalisch ernsten Warnungs worte an das Volk, wurden sie nicht angestaunt von den verstummten Regierungspräsidenten und den in sich gegangenen Divisionsgeneralen? Und die preußische Bourgeoisie hätte noch zweifeln sollen, daß der alte Groll der Armee, der Bürokratie, der Feudalen in ehrfurchtsvoller Ergebenheit vor dem sich selbst und die Anarchie zügelnden großmütigen Sieger, der Bourgeoisie, erstorben sei? Es war klar. Die preußische Bourgeoisie hatte nur noch eine Aufgabe, die
1 gute Miene zum bösen Spiel
Aufgabe, sich ihre Herrschaft bequem zu machen, die störenden Anarchisten zu beseitigen, „Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen und die Zinsen wieder einzubringen, die während des Märzsturms verlorengegangen waren. Es konnte sich nur noch darum handeln, die Produktionskosten ihrer Herrschaft und der sie bedingenden Märzrevolution auf ein Minimum zu beschränken. Die Waffen, welche die preußische Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen die feudale Gesellschaft und deren Krone unter der Firma des Volks in Anspruch zu nehmen sich gezwungen sah, Assoziationsrecht, Preßfreiheit etc., mußten sie nicht zerbrochen werden in den Händen eines betörten Volks, das sie nicht mehr für die Bourgeoisie zu führen brauchte und gegen sie zu führen bedenkliche Gelüste kundgab? Der Vereinbarung der Bourgeoisie mit der Krone, davon war sie überzeugt, dem Markten der Bourgeoisie mit dem alten, in sein Schicksal ergebenen Staate, stand offenbar nur noch ein Hindernis im Wege, ein einziges Hindernis, das Volk — puer robustus sed malitiosuslli0\ wie Hobbes sagt. Das Volk und die Revolution! Die Revolution war der Rechtstitel des Volkes; auf die Revolution gründete es seine ungestümen Ansprüche. Die Revolution war der Wechsel, den es auf die Bourgeoisie gezogen hatte. Durch die Revolution war die Bourgeoisie zur Herrschaft gelangt. Mit dem Tage ihrer Herrschaft war der Verfalltag dieses Wechsels angebrochen. Die Bourgeoisie mußte gegen den Wechsel Protest einlegen. Die Revolution — das bedeutete im Munde des Volks: Ihr Bourgeois seid das Comite du salut public, der Wohlfahrtsausschuß, dem wir die Herrschaft in die Hand gegeben, nicht damit ihr euch über eure Interessen mit der Krone vereinbart, sondern damit ihr gegen die Krone unsere Interessen, die Interessen des Volks durchsetzt. Die Revolution war der Protest des Volkes gegen die Vereinbarung der Bourgeoisie mit der Krone. Die mit der Krone sich vereinbarende Bourgeoisie mußte also protestieren gegen — die Revolution. Und das geschah unter dem großen Camphausen. Die Märzrevolution wurde nicht anerkannt. Die Berliner Nationalrepräsentation konstituierte sich als Repräsentation der preußischen Bourgeoisie, als Vereinbarerversammlung, indem sie den Antrag auf Anerkennung der Märzrevolution verwarf. Sie machte das Geschehene ungeschehen. Sie proklamierte es laut vor dem preußischen Volke, daß es sich mit der Bourgeoisie nicht vereinbart, um gegen die Krone zu revolutionieren, sondern daß es revolutioniert, damit sich die Krone mit der Bourgeoisie gegen es selbst vereinbare! So war der Rechtstitel des revolutionären Volkes vernichtet und der Rechtsboden der konservativen Bourgeoisie gewonnen.
Der Rechtsboden! Brüggemann und durch ihn die „Kölnische Zeitung"[21] haben so viel geplaudert, gefabelt, gewimmert vom „Rechtsboden", so oft den „Rechtsboden" verloren, wiedergewonnen, den Rechtsboden durchlöchert, geflickt, von Berlin nach Frankfurt, von Frankfurt nach Berlin geschleudert, verengt, ausgedehnt, aus einem einfachen Boden in einen getäfelten Boden, aus einem getäfelten Boden in einen Doppelboden — bekanntlich ein Hauptwerkzeug der schauspielernden Eskamoteurs —, aus einem Doppelboden in eine bodenlose Falltüre verwandelt, daß der Rechtsboden sich für unsre Leser mit Recht schließlich in den Boden der „Kölnischen Zeitung" verwandelt hat, daß sie das Schibboleth der preußischen Bourgeoisie mit dem Privatschibboleth des Herrn Joseph Dumont, einen notwendigen Einfall der preußischen Weltgeschichte mit einer willkürlichen Marotte der „Kölnischen Zeitung" verwechseln können und im Rechtsboden nur noch den Boden sehn, auf dem die „Kölnische Zeitung" wächst. Der Rechtsboden, und zwar der preußische Rechtsboden! Der Rechtsboden, auf dem sich nach dem März der Ritter der großen Debatte, Camphausen, das wiedererweckte Gespenst des Vereinigten Landtags und die Vereinbarerversammlung bewegen, ist er das Konstitutionsgesetz von !8I5[141] oder das Landtagsgesetz von 1820[142], oder das Patent von 1847[143], oder das Wahl- und Vereinbarungsgesetz vom 8.April 1848?[129J Nichts von alledem. Der „Rechtsboden" bedeutete einfach, daß die Revolution ihren Boden nicht gewonnen und die alte Gesellschaft ihren Boden nicht verloren habe, daß die Märzrevolution nur ein „Ereignis" sei, welches den „Anstoß" zu der längst innerhalb des alten preußischen Staats vorbereiteten „Verständigung" zwischen dem Throne und der Bourgeoisie gegeben, deren Bedürfnis die Krone selbst in frühern allerhöchsten Erlassen schon ausgesprochen und nur vor dem März für nicht „dringlich" erachtet habe. Der „Rechtsboden" bedeutete mit einem Worte, daß die Bourgeoisie nach dem März mit der Krone auf demselben Fuße unterhandeln wolle wie vor dem März, als ob gar keine Revolution stattgefunden und der Vereinigte Landtag ohne die Revolution sein Ziel erreicht hätte. Der „Rechtsboden" bedeutete, daß der Rechtstitel des Volkes, die Revolution, in dem contrat social zwischen Regierung und Bourgeoisie nicht existiere. Die Bourgeoisie leitete ihre Ansprüche aus der altpreußischen Gesetzgebung her, damit das Volk keine Ansprüche aus der neupreußischen Revolution herleite. Eis versteht sich, daß die ideologischen Kretins der Bourgeoisie, ihre Zeitungsschreiber u. dgl., diese Beschönigung des Bourgeoisinteresses für das
eigentliche Interesse der Bourgeoisie ausgeben und als solches sich und andern einbilden mußten. Im Kopfe eines Brüggemann verwandelte sich die Phrase des Rechtsbodens in eine wirkliche Substanz. Das Ministerium Camphausen hatte seine Aufgabe gelöst, die Aufgabe der Vermittlung und des Übergangs. Es bildete nämlich die Vermittlung zwischen der auf den Volksschultern emporgehobenen Bourgeoisie und der Bourgeoisie, die nicht mehr der Volksschultern bedurfte; zwischen der Bourgeoisie, welche scheinbar das Volk der Krone, und der Bourgeoisie, die wirklich die Krone dem Volke gegenüber vertrat; zwischen der Bourgeoisie, die sich von der Revolution losschälte, und der Bourgeoisie, die als Kern der Revolution herausgeschält war. Seiner Rolle gemäß beschränkte sich das Ministerium Camphausen in jungfräulicher Schamhaftigkeit auf den passiven Widerstand gegen die Revolution. Es verwarf sie zwar in der Theorie, aber in der Praxis sträubte es sich nur gegen ihre Anmutungen und duldete nur die Rekonstituierung der alten Staatsgewalten. Die Bourgeoisie glaubte unterdes auf dem Punkte eingelangt zu sein, wo der passive Widerstand in aktiven Angriff übergehen müsse. Das Ministerium Camphausen trat ab, nicht weil es diesen oder jenenMißgriffbegangen,sondern aus dem einfachen Grunde, weil es das erste Ministerium nach der Märzrevolution, weil es das Ministerium der Märzrevolution war und seinem Ursprung gemäß den Repräsentanten der Bourgeoisie noch unter dem Volksdiktator verstecken mußte. Diese seine zweideutige Entstehung und sein doppelsinniger Charakter legten ihm noch gewisse Convenancen, Rückhalte und Rücksichten gegen das souveräne Volk auf, die der Bourgeoisie lästig wurden, die ein zweites direkt aus der Vereinbarerversammlung hervorgegangenes Ministerium nicht mehr zu beobachten hatte. Sein Rücktritt war daher ein Rätsel für die Wirtshauspolitiker. Das Ministeriwn der Tat, das Ministerium Hansemarm^iu], folgte ihm, weil die Bourgeoisie aus der Periode des passiven Verrats des Volks an die Krone in die Periode der aktiven Unterwerfung des Volks unter ihre mit der Krone vereinbarte Herrschaft überzugehen gedachte. Das Ministerium der Tat war das zweite Ministerium nach der Märzrevolution. Das war sein ganzes Geheimnis
[„Neue Rheinische Zeitung" *Köln, 29. Dezember. NrJ83 vom 3LDezember 18481 „Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit au//'^1451 In diesen sechs Worten resümierte Hansemann den ganzen Vereinigten-Landtags-Liberalismus. Dieser Mann war der notwendige Chef des aus der Verem
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barerversammlung selbst hervorgegangenen Ministeriums, des Ministeriums, welches den passiven Widerstand gegen das Volk in tätigen Angriff auf das Volk verwandeln sollte, des Ministeriums der Tat. In keinem preußischen Ministerium so viel bürgerliche Namen I Hansemann, Milde, Märker, Kühlwetter, Gierke! Selbst die hoffähige Etikette dieses Ministeriums, v. Auerswald, gehörte dem liberalen, d.h. der Bourgeoisie huldigenden Adel der Königsberger Opposition ein. Roth von Schreckenstein allein vertrat unter der Kanaille den alten bürokratisierten preußischen Feudaladel. Roth von Schreckenstein! Uberlebender Titel eines verlorengegangenen Räuber-und Ritterromans des seligen Hildebrandt/[1461 Aber Roth von Schreckenstein war nur die feudale Einfassung des bürgerlichen Juwels. Roth von Schreckenstein, mitten in dem bürgerlichen Ministerium, besagte in Riesenbuchstaben: Die preußische Feudalität, Armee, Bürokratie folgen dem neu aufgegangenen Sterne des preußischen Bürgertums. Ihm haben sich diese Gewaltigen zur Verfügung gestellt, und das Bürgertum pflanzt sie vor seinen Thron, wie man auf alten heraldischen Sinnbildern Bären vor die Volksherrscher aufpflanzte. Roth von Schreckenstein soll nur der Bär des bürgerlichen Ministeriums sein. Am 26. Juni stellte sich das Ministerium Hansemann der Nationalversammlung vor. Mit dem Juli erst beginnt seine ernsthafte Existenz. Die Junirevolution war der Hintergrund des Ministeriums der Tat, wie die Februarrevolution der Hintergrund des Ministeriums der Vermittlung. Die preußische Bourgeoisie exploitierte gegen das Volk den blutigen Sieg der Pariser Bourgeoisie über das Pariser Proletariat, wie die preußische Krone den blutigen Sieg der Kroaten zu Wien gegen die Bourgeoisie exploitierte. Die Wehn der preußischen Bourgeoisie nach dem östreichischen November sind die Abrechnung für die Wehn des preußischen Volks nach dem französischen Juni. In ihrer kurzsichtigen Engherzigkeit verwechselten sich die deutschen Spießbürger mit der französischen Bourgeoisie. Sie hatten keinen Thron umgeworfen, sie hatten nicht die feudale Gesellschaft, viel weniger ihren letzten Rest beseitigt, sie hatten keine von ihnen selbst geschaffene Gesellschaft zu behaupten. Sie glaubten nach dem Juni, wie nach dem Februar, wie seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts, wie im 18. Jahrhundert in ihrer angestammten pfiffig-profitwütigen Weise aus fremder Arbeit drei Viertel Profit ziehen zu können. Sie ahnten nicht, daß hinter dem französischen Juni der östreichische November und hinter dem östreichischen November der preußische Dezember lauerte. Sie ahnten nicht, daß, wenn in Frankreich die Throne zerschmetternde Bourgeoisie nur noch einen einzigen Feind vor sich erblickte, das Proletariat — die preußische mit der Krone ringende Bourgeoisie
nur noch einen einzigen Bundesgenossen besaß — das Volk. Nicht, als wenn beide keine feindlich entgegengesetzten Interessen besäßen. Wohl aber, weil dasselbe Interesse gegen eine dritte, sie gleich niederdrückende Macht beide noch zusammenschmiedete. Das Ministerium Hansemann betrachtete sich als ein Ministerium der Junirevolution. Und in jeder preußischen Stadt verwandelten sich die Spießbürger den „roten Räubern" gegenüber in „honette Republikaner" - wobei sie nicht aufhörten, ehrbare Royalisten zu sein, und gelegentlich übersahen, daß ihre „Roten" — weißschwarze[li7] Kokarden trugen. In seiner Thronrede vom 26. Juni machte Hansemann kurzen Prozeß mit Camphausens mysteriös-nebelhafter „Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage". JConstitu tionelle Monarchie auf Grundlage des Zweikammersystems und die gemeinschaftliche Ausübung der gesetzgebenden Macht durch beide Kammern und die Krone" — auf diese trockene Formel führte er den ahnungsschweren Spruch seines begeisterten Vorgängers zurück.
„Abänderung der notwendigsten, mit der neuen Staatsverfassung nicht zu vereinbarenden Verhältnisse, Befreiung des Eigentums von den Fesseln, welche dessen vorteilhafte Benutzung in einem großen Teile der Monarchie lähmen, Reorganisation der Rechtspflege, Reformation der Steuergesetzgebung, namentlich Abschaffung der Steuerbefreiungen usw." und vor allem „Stärkung der Staatsgewalt, notwendig zum Schutze der" (von den Bürgern) „erworbenen Freiheit gegen Reaktion" (Ausbeutung der Freiheit im Interesse der Feudalen) „und Anarchie" (Ausbeutung der Freiheit im Volksinteresse) „und zur Wiederherstellung des gestörten Vertrauens" —
das war das ministerielle Programm, das war das Programm der zum Ministerium gelangten preußischen Bourgeoisie, deren klassischer Repräsentant Hansemann ist. Auf dem Vereinigten Landtage war Hansemann der erbittertste und zynischste Widersacher des Vertrauens, denn — „Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!" Am Ministerium proklamierte Hansemann als erste Notwendigkeit die „Wiederherstellung des gestörten Vertrauens", denn diesmal wandte er sich zum Volke wie damals zum Thron —, denn
„Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!"
Damals handelte es sich um das Vertrauen, das Geld gibt, diesmal um das Vertrauen, das Geld macht; dort um das feudale Vertrauen, das treuergebene Vertrauen in Gott, König und Vaterland, hier um das bürgerliche Vertrauen, das Vertrauen in den Handel und Wandel, in die Verzinsung des Kapitals, in
die Zahlungsfähigkeit der Geschäftsfreunde, um das kommerzielle Vertrauen; nicht um Glaube, Liebe, Hoffnung, sondern um den Kredit, „Wiederherstellung des gestörten Vertrauens!"' In diesen Worten sprach Hansemann die fixe Idee der preußischen Bourgeoisie aus. Der Kredit beruht auf der Sicherheit, daß die Exploitation der Lohnarbeit durch das Kapital, des Proletariats durch die Bourgeoisie, der Kleinbürger durch die Großbürger in herkömmlicher Weise fortdauert. Jede politische Regung des Proletariats, welcher Natur auch, sie sei denn unmittelbar durch die Bourgeoisie kommandiert, stört also das Vertrauen, den Kredit. „Wiederherstellung des gestörten Vertrauens!" hieß also im Munde Hansemanns: Unterdrückung jeder politischen Regung im Proletariat und in allen Schichten der Gesellschaft, deren Interesse nicht direkt mit dem Interesse der ihrer Meinung nach am Staatsruder befindlichen Klasse zusammenfallen. Dicht neben die „Herstellung des gestörten Vertrauens" stellte Hansemann daher die „Stärkung der Staatsmacht". Er irrte sich nur in der Natur dieser „Staatsmacht". Er glaubte die dem Kredit, dem bürgerlichen Vertrauen dienende Staatsmacht zu stärken, und er stärkte nur die Staatsmacht, die Vertrauen verlangt und im Notfall mit Kartätschen ertrotzt, weil sie keinen Kredit besitzt. Er wollte mit den Produktionskosten der bürgerlichen Herrschaft knickern und belastete die Bourgeoisie mit den unerschwinglichen Millionen, welche die Restauration der preußischen Feudalherrschaft kostet. Den Arbeitern gegenüber erklärte sich Hansemann sehr bündig: Er habe ein großes Heilmittel für sie in der Tasche. Ehe er es herausholen könne, müsse aber vor allem das „gestörte Vertrauen" wiederhergestellt sein. Um das Vertrauen herzustellen, müsse die Arbeiterklasse ihrem Politisieren und Einmischen in Staatsdingen ein Ende machen und in ihre alten Gewohnheiten zurückkehren. Folge sie seinem Rate, sei das Vertrauen wiederhergestellt, so sei das geheimnisvolle große Heilmittel jedenfalls wirksam schon deswegen, weil es nicht mehr nötig und nicht mehr anwendbar sei, denn in diesem Falle war ja die Krankheit, die Störung der bürgerlichen Ordnung beseitigt. Und wozu Heilmittel, wo keine Krankheit? Beharre aber das Volk auf seinem Kopfe - nun gut, so werde er die „Staatsmacht stärken", die Polizei, die Armee, die Gerichte, die Bürokratie, er werde ihm seine Bären auf den Hals hetzen, denn das „Vertrauen" sei zur „Geldfrage" geworden, und:
„Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!" Sosehr Hansemann darüber lächeln mag, sein Programm war ein ehrliches Programm, ein bravgemeintes Programm.
Er wollte die Staatsmacht stärken, nicht nur gegen die Anarchie, d.h. gegen das Volk, er wollte sie auch stärken gegen die Reaktion, d.h. gegen die Krone und die feudalen Interessen, soweit sie dem Geldsäckel und den „notwendigsten", d.h. den bescheidensten politischen Prätensionen der Bourgeoisie gegenüber sich durchzusetzen versuchen sollten. Das Ministerium der Tat war seiner ganzen Zusammensetzung nach schon ein Protest gegen diese „Reaktion". Vor allen früheren preußischen Ministerien zeichnete es sich nämlich dadurch aus, daß sein wirklicher Ministerpräsident der Finanzminister war. Der preußische Staat hatte jahrhundertelang aufs sorgfältigste verheimlicht, daß Krieg und Inneres und auswärtige Angelegenheiten und Kirchen- und Schulsachen und sogar das königliche] Hausministerium und Glaube, Liebe und Hoffnung den profanen Finanzen untergeordnet sind. Das Ministerium der Tat stellte diese verdrießlich-bürgerliche Wahrheit an seine Spitze, indem es Herrn Hansemann an seine Spitze stellte, den Mann, dessen ministerielles Programm gleich seinem Oppositionsprogramme sich dahin resümierte:
„Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!" Die Monarchie war in Preußen zu einer „Geldfrage" geworden. Gehen wir nun von dem Programme des Ministeriums der Tat zu seinen Taten über. Mit der Drohung der „verstärkten Staatsmacht" gegen die „Anarchie", d.h. gegen die Arbeiterklasse und alle Fraktionen des Bürgertums, die nicht bei dem Programme des Herrn Hansemann stehenblieben, wurde Ernst gemacht. Mein kann sogar sagen, daß, mit Ausnahme der Erhöhung der Rübenzucker- und Branntweinsteuer, diese Reaktion gegen die sogenannte Anarchie, d.h. gegen die revolutionäre Bewegung, die einzige ernsthafte Tat des Ministeriums der Tat war. Eine Menge von Preßprozessen auf Grund des Landrechts[1491 oder, in Ermangelung, des Code penal[90j, zahlreiche Verhaftungen auf derselben „genügenden Grundlage" (Formel von Auerswald), die Einführung des Konstablerinstituts zu Berlin[47], wonach auf zwei Häuser ein Konstabier kam, die polizeilichen Eingriffe in die Assoziationsfreiheit, Loslassen der Soldateska auf übermütig gewordene Bürger, Loslassen der Bürgerwehr auf übermütig gewordene Proletarier, beispiels weiser Belagerungszustand, alles das lebt noch von der Olympiade Hansemanns her in frischem Gedächtnis. Es bedarf keiner Details. Kühlwetter resümierte diese Seite der Bestrebungen des Ministeriums der Tat in seiner Äußerung:
„Ein Staat, der recht frei sein wolle, müsse ein recht großes Polizeipersonal als exekutive Macht haben",
wozu Hansemann selbst die bei ihm stabil gewordene Glosse murmelte:
„Es werde dies auch zur Herstellung des Vertrauens, zur Belebung der darniederliegenden Handelstätigkeit wesentlich beitragen."1-150'
Unter dem Ministerium der Tat „stärkten" sich also die altpreußische Polizei, das Parquet, die Bürokratie, die Armee — weil im Solde, auch im Dienste der Bourgeoisie, wähnte Hansemann. Genug, sie »stärkten1 sich. Die Stimmung des Proletariats und der bürgerlichen Demokratie dagegen wird durch ein Faktum charakterisiert. Weil einige Reaktionäre einige Demokraten in Charlottenburg mißhandelten, stürmte das Volk das Hotel des Ministerpräsidiums in Berlin. So populär war das Ministerium der Tat geworden. Arn andern Tage schlug Hansemann ein Gesetz gegen die Zusammenrottungen und öffentlichen Versammlungen vor. So schlau intrigierte er gegen die Reaktion. Die wirkliche, greifbare, populäre Tätigkeit des Ministeriums der Tat war also eine rein polizeiliche. In den Augen des Proletariats und der städtischen Demokratie vertrat dies Ministerium und die Vereinbarerversammlung, deren Majorität im Ministerium vertreten war,und diepreußischeBourgeoisie, deren Majorität in der Vereinbarungsversammlung die Majorität bildete, nichts anders als den alten, wieder aufgefrischten Polizei- und Beamtenstaat. Die Erbitterung gegen die Bourgeoisie war hinzugekommen, weil die Bourgeoisie herrschte und in der Bürgerwehr zu einem integrierenden Teil der Polizei sich herangebddet hatte. Das war die „Märzerrungenschaft" in den Augen des Volks, daß auch die liberalen Herren von der Bourgeoisie - polizeiliche Funktionen übernahmen. Also eine verdoppelte Polizei! Nicht in den Taten des Ministeriums der Tat, sondern in seinen organischen Gesetzvorschlägen tritt es erst hervor, daß es die „Polizei", den letzten Ausdruck des alten Staats, nur im bürgerlichen Interesse „stärkte" und zu Taten anspornte. In den von dem Ministerium Hansemann vorgelegten Entwürfen zur Gemeindeordnung, den Gesckwornengerichten, dem Bürgerwehrgesetze ist der Besitz in einer oder der andern Form stets die Grenze zwischen dem gesetzlichen und dem ungesetzlichen Lande. In allen diesen Gesetzvorschlägen sind der k[önilgl[ichenl Macht zwar die servilsten Konzessionen gemacht, denn nach dieser Seite hin glaubte das bürgerliche Ministerium einen unschädlich
gewordenen Bundesgenossen zu besitzen, aber zur Entschädigung tritt die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit desto rücksichtsloser hervor. Das Bürgerwehrgesetz, das die Vereinbarungsversammlung sanktioniert hat, ist gegen die Bourgeoisie selbst gekehrt worden und hat den gesetzlichen Vorwand zu ihrer Entwaffnung abgeben müssen. Allerdings sollte es in ihrer Einbildung erst wirksam werden nach Erlaß der Gemeindeordnung und der Promulgation der Verfassung, d.h. nach Befestigung ihrer Herrschaft. Die Erfahrungen, welche die preußische Bourgeoisie mit dem Bürgerwehrgesetze gemacht hat, mögen zu ihrer Aufklärung beitragen; sie mag daraus ersehen, daß sie einstweilen alles, was sie gegen das Volk zu tun meint, nur gegen sich selbst tut. Für das Volk also resümierte sich das Ministerium Hansemann praktisch in dem altpreußischen Polizeibütteltum, theoretisch in belgisch beleidigenden Unterscheidungen[151] zwischen Bourgeois und Nichtbourgeois. Gehen wir zum andern Teil des ministeriellen Programms über, zu der Anarchie gegen die Reaktion. Nach dieser Seite hin hat das Ministerium mehr fromme Wünsche als Taten aufzuweisen. Zu den frommen bürgerlichen Wünschen gehört der parzellenweise Verkauf der Domänen an Privatbesitzer, die Preisgebung des Bankinstituts an die freie Konkurrenz, die Verwandlung der Seehandlung[152] in ein Privatinstitut usw. Das Ministerium der Tat hatte das Unglück, daß seine ökonomischen Angriffe gegen die feudale Partei alle unter der Ägide der Zwongsanleihe auftreten und seine reformierenden Versuche überhaupt als bloß finanzielle Notbehelfe zur Füllung der Kasse der erstarkten „Staatsmacht" in den Augen des Volks erschienen. Hansemann erntete so den Haß der einen Partei, ohne die Anerkennung der andern zu ernten. Und es läßt sich nicht leugnen, daß er nur da einen ernstern Angriff auf die Feudalprivilegien wagte, wo die dem Finanzminister zunächst liegende „Geldfrage"1, wo die Geldfrage im Sinne des Finanzministeriums sich aufdrängte. In diesem engherzigen Sinne rief er den Feudalen zu:
„Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!" So trugen selbst seine positiv bürgerlichen Bestrebungen gegen die Feudalen dieselbe polizeiliche Färbung wie seine negativen Maßregeln zur „Belebung der Handelstätigkeit". Die Polizei heißt nämlich in der politischen Ökonomie Fiskus. Die Erhöhung der Rübenzucker- und Branntweinsteuer, die Heinsemann bei der Nationalversammlung durchsetzte und zum Gesetz erhob, empörte die Geldbeutel mit Gott für König und Vaterland in
Schlesien, in den Marken, in Sachsen, in Ost- und Westpreußen usw. Während diese Maßregel aber den Zorn der industriellen Grundeigentümer in den altpreußischen Provinzen heraufbeschwor, erregte sie nicht minderes Mißvergnügen unter den bürgerlichen Branntweinbrennern der Rheinprovinz, die sich dadurch in noch ungünstigere Konkurrenzbedingungen den altpreußischen Provinzen gegenüber versetzt sahen. Und, um das Maß vollzumachen, verbitterte sie die Arbeiterklasse der alten Provinzen, für die sie nichts bedeutete und nichts bedeuten konnte als: Verteuerung eines unentbehrlichen Lebensmittels. Es blieb also nichts von dieser Maßregel übrig als Füllung der Kasse der „gestärkten Staatsmacht"! Und dies Beispiel genügt, denn — es ist die einzige Tat des Ministeriums der Tat gegen die Feudalen, die wirklich zur Tat, der einzige Gesetzvorschlag in dieser Richtung, der wirklich zum Gesetz wurde. Hansemanns „Vorschläge" wegen Aufhebung der Klassen- und Grundsteuer-Steuerbefreiungen, wie sein Projekt einer Einkommensteuer*153', rief Taranteltänze unter den grundherrlichen Schwärmern für „Gott, König und Vaterland" hervor. Sie verschrien ihn als — Kommunisten, und noch heute bekreuzt sich dreimal die preußische Kreuzritterin bei Nennung des Namens— Hansemann.1 Er klingt ihr wie Fra Diavolo11541. Die Aufhebung der Grundsteuerbefreiung, die einzige bedeutende Maßregel, die während der Herrlichkeit der Vereinbarerversammlung von einem preußischen Minister vorgeschlagen wurde, sie scheiterte an der prinzipiellen Borniertheit der Linien. Und Hansemann selbst hatte diese Borniertheit berechtigt. Sollte die Linke dem Ministerium der „gestärkten Staatsmacht" neue finanzielle Hülfsquellen eröffnen, bevor die Verfassung fabriziert und beschworen war? So unglücklich war das bürgerliche Ministerium par excellence 2, daß seine radikalste Maßregel durch die radikalen Glieder der Vereinbarerversammlung paralysiert werden mußte. So dürftig war es, daß sein ganzer Kreuzzug gegen dieFeudalität sich in eine Steuer erhöhung verlief, allen Klassen gleich gehässig, und daß sein ganzer finanzieller Scharfsinn in einer Zwangsanleihe abortierte. Zwei Maßregeln, die schließlich nur Subsidien zu dem Feldzuge der Kontrerevolution gegen die Bourgeoisie selbst verschafften. Die Feudalen aber hatten sich von den „böswilligen" Absichten des bürgerlichen Ministeriums überzeugt. So bewährte sich selbst in dem finanziellen Kampfe der preußischen Bourgeoisie gegen den Feudalismus, daß sie in ihrer unpopulären Ohnmacht Geld sogar nur gegen sich selbst einzutreiben wußte, und - Meine Herrn! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!
1 Siehe vorl. Band, S. 24-28 — 2 reinsten Wassers
Wie es dem bürgerlichen Ministerium gelungen war, das städtische Proletariat, die bürgerliche Demokratie und die Feudalen gleichmäßig gegen sich zu erbittern, so wußte es selbst die vom Feudalismus unterjochte Bauernklasse sich zu entfremden und zu verfeinden, aufs eifrigste darin unterstützt von der Vereinbarerversammlung. Mein vergesse überhaupt nicht, daß während der Hälfte ihrer Lebensfrist diese Versammlung in dem Ministerium Hansemann ihren sachgemäßen Repräsentanten fand und daß die bürgerlichen Märtyrer von heute Hansemanns Schleppträger von gestern waren. Der unter Hansemann durch Patow vorgelegte Entwurf zur Befreiung von den Feudallasten[155] (siehe unsre frühere Kritik darüber1) war das jämmerlichste Machwerk ohnmächtigsten bürgerlichen Gelüstes, die Feudalprivilegien, diese mit der „neuen Staatsverfassung unverträglichen Verhältnisse" abzuschaffen, und bürgerlicher Angst, sich revolutionär an irgendeiner Sorte des Eigentums zu vergreifen. Der jämmerliche, bange, engherzige Egoismus verblendete die preußische Bourgeoisie in dem Grade, daß sie ihren notwendigen Bundesgenossen — die Bauernklasse — von sich zurückstieß. Am 3. Juni stellte der Abgeordnete Hanow den Antrag, „daß alle schwebenden Verhandlungen behufs der Auseinandersetzung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse und behufs der Dienstablösungen bis zum Erlasse eines neuen, auf billigen Grundsätzen gebauten Gesetzes über diese Angelegenheit sogleich auf einseitigen Antrag eingestellt werden möchten". Und erst Ende September, also vier Monate später, unter dem Ministerium Pfuel, nahm die Vereinbarungsversammlung den Gesetzentwurf wegen Sistierung der obschwebenden gutsherrlich-bäuerlichen Verhandlungen an, nachdem sie alle liberalen Amendements verworfen und es beim „Vorbehalt interimistischer Festsetzungen der laufenden Leistungen" wie der „Beitreibung der streitigen Abgaben und der Rückstände" belassen hatte.11561 Im August, wenn wir nicht irren, erkannte die Vereinbarerversammlung Nenstiels Antrag auf „sofortige Aufhebung der Robotdienste" für nicht dringZicA[157] - und die Bauern hätten es als dringlich erkennen sollen, sich für dieselbe Vereinbarerversammlung zu schlagen, die sie hinter den faktischen Zustand, den sie nach dem März erobert hatten, zurückschleuderte? Die französische Bourgeoisie begann mit der Befreiung der Bauern. Mit den Bauern eroberte sie Europa. Die preußische Bourgeoisie war so sehr in ihren engsten, nächstliegenden Interessen befangen, daß sie selbst diesen Bundesgenossen verscherzte und zu einem Werkzeuge in der Hand der feudalen Kontrerevolution machte.
Die offizielle Geschichte von der Auflösung des Bürgerministeriums ist bekannt. Unter seinen Fittichen war die „Staatsmacht" soweit „erstarkt", die Volksenergie so sehr niedergedrückt, daß die Dioskuren Kühlwetter-Hansemann schon am 15. Juli eine Ermahnung an sämtliche Regierungspräsidenten der Monarchie gegen die reaktionären Umtriebe der Verwaltungsbeamten, speziell der Landräte erlassen mußten, daß später eine „Versammlung des Adels und der großen Gutsbesitzer zum Schutze" ihrer Privilegien11531 neben der Vereinbarerversammlung in Berlin tagte, daß endlich der sogenannten Berliner Nationalversammlung gegenüber ein aus dem Mittelalter überkommener „Kommunallandtag zur Wahrung der bedrohten Eigentumsrechte des Grundbesitzes" in der Oberlausitz auf den vierten September sich zusammenberief. Die Energie, welche Regierung und sogenannte Nationalversammlung gegen diese immer bedrohlicher werdenden kontrerevolutionären Symptome aufbot, äußerte sich angemessen in papiernen Ermahnungen. Bajonette, Kugeln, Gefängnisse und Büttel hatte das Bürgerministerium nur für das Volk „zur Herstellung des gestörten Vertrauens und zur Belebung der Handelstätigkeit Die Vorfälle zu Schweidnitz, wo die Soldateska direkt die Bourgeoisie in der Bürgerwehr meuchelmordete, erweckten endlich die Nationalversammlung aus ihrer Apathie. Am 9.August raffte sie sich zu einer Heldentat auf, zu dem Stein-Schultzeschen Armeebefehle11591, dessen letztes Zwangsmittel das Zartgefühl der preußischen Offiziere war. Welch ein Zwangsmittel! Und verbot die royalistische Ehre den Offizieren nicht, auf die bürgerliche Ehre zu hören? Einen Monat nachdem die Vereinbarerversammlung den Stein-Schultzeschen Armeebefehl gefaßt hatte, am J.September, beschloß sie abermals, daß ihr Beschluß ein wirklicher Beschluß sei und von den Ministern ausgeführt werden müsse. Hansemann weigerte sich und dankte ab am 11.September, nachdem er vorher sich selbst zum Bankdirektor mit 6000 Tlr. jährlichem Gehalt ernannt hatte, denn - Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf! Am 25.September endlich nahm die Vereinbarerversammlung dankbar aus Pfuels Munde die gänzlich abgeschwächte Anerkennungsformel des SteinSchultzeschen Armeebefehls entgegen, der unterdessen durch den parallel laufenden Wrangeischen Armeebefehl11601 und die um Berlin konzentrierten Truppenmassen zu einem schlechten Witze herabgesunken war. Man braucht die eben gegebenen Daten und die Geschichte des SteinSchultzeschen Armeebefehls nur mit einem Blicke zu überfliegen, und man
überzeugt sieb, daß jener Armeebefehl nicht der wirkliche Grund von Hansemanns Abdankung war. Hansemann, der vor der Anerkennung der Revolution nicht zurückschauderte, hätte vor jener papiernen Proklamation zurückschaudern sollen? Hansemann, der das Portefeuille jedesmal wieder aufhob, sooft es ihm entfallen war, hätte es diesmal aus biedermännischer Gereiztheit auf der Ministerbank zum Ausgebot liegenlassen sollen? Nein, unser Hansemann ist kein Schwärmer! Hansemann wurde einfach düpiert, wie er überhaupt die düpierte Bourgeoisie darstellte. Man ließ ihn glauben, die Krone werde ihn unter keinen Umständen fallenlassen. Man ließ ihn den letzten Schein der Popularität verlieren, um ihn endlich den Rankünen der Krautjunker hinopfern und sich von der bürgerlichen Vormundschaft befreien zu können. Überdem erforderte der mit Rußland und Osterreich verabredete Feldzugsplan einen von der Kamarilla außer der Vereinbarerversammlung ernannten General an der Spitze des Kabinetts. Unter dem Bürgerministerium war die alte „Staatsmacht" hinreichend „erstarkt", um diesen Coup wagen zu dürfen. Man täuschte sich in Pfuel. Der Sieg der Kroaten zu Wien machte selbst einen Brandenburg zu einem brauchbaren Werkzeuge. Unter dem Ministerium Brandenburg wurde die Vereinbarerversammlung schmählich auseinandergejagt, gefoppt, verhöhnt, gedemütigt, verfolgt, und das Volk blieb gleichgültig im entscheidenden Augenblicke. Ihre Niederlage war die Niederlage der preußischen Bourgeoisie, der Konstitutionellen, also ein Sieg der demokratischen Partei, wie teuer diese den Sieg auch bezahlen mußte. Aber die oktroyierte Verfassung?11231 Einst hieß es, nie werde ein „Stück Papier" sich zwischen den König und sein Volk drängen/1611 Jetzt heißt es: Nur ein Stück Papier soll sich zwischen den König und sein Volk drängen. Die wirkliche Verfassung Preußens ist der Belagerungszustand. Die oktroyierte französische Verfassung enthielt nur einen § 14, der sie aufhobt1621 Jeder Paragraph der oktroyierten preußischen Verfassung ist ein § 14. Die Krone oktroyiert durch diese Verfassung neue Privilegien - nämlich sich selbst. Sie gibt sich selbst frei, die Kammern in indefinitum1 aufzulösen. Sie gibt den Ministern frei, in der Zwischenzeit beliebige Gesetze (auch über Eigentum u. dgl.) zu erlassen. Sie gibt den Deputierten frei, die Minister deswegen anzuklagen, auf die Gefahr hin, als „innere Feinde" in Belagerungszustand
1 auf unbestimmte Zeit
erklärt zu werden. Sie gibt endlich sich selbst frei, wenn im Frühling die Aktien der Kontrerevolution hochstehen, an die Stelle dieses in der Luft schwebenden „Stück Papiers" eine aus den mittelaltrigen Ständeunterschieden organisch herauswachsende christlich-germanische Magna Charta11631 zu setzen oder das Verfassungsspiel überhaupt aufzugeben. Selbst in dem letzten Falle würde der konservative Teil der Bourgeoisie die Hände falten und beten: Der Herr hat's gegeben, der Herr hafs genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Die Geschichte des preußischen Bürgertums, wie überhaupt des deutschen Bürgertums von März bis Dezember, beweist, daß in Deutschland eine rein bürgerliche Revolution und die Gründung der Bourgeoisherrschaft unter der Form der konstitutionellen Monarchie unmöglich, daß nur die feudale absolutistische Kontrerevolution möglich ist oder die sozial-republikanische Revolution. Daß aber selbst der lebensfähige Teil der Bourgeoisie wieder aus seiner Apathie erwachen muß, dafür bürgt uns vor allem die Monsterrechnung, womit die Kontrerevolution ihn im Frühling überraschen wird und — wie unser Hansemann so sinnig sagt:
Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!
Neuer Bundesgenosse der Kontrerevolution
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 166 vom 12. Dezember 1848] * Köln, 11.Dezember. Die Kontrerevolution bat einen neuen Bundesgenossen erhalten: die schweizerische Bundesregierung. Schon vor fünf Tagen erfuhren wir aus einer durchaus zuverlässigen Quelle, daß die neuerdings verbreiteten Gerüchte von einem beabsichtigten Einfalle der deutschen Flüchtlinge nach Baden, von Rüstungen an der Grenze, von einer fabelhaften Schlacht bei Lörrach zwischen Freischärlern und Reichstruppen, daß alle diese sonderbaren Gerüchte von der im Schweizer Bundesrat^71 herrschenden Partei Furrer-Ochsenbein-Munzinger mit der deutschen Reichsgewalt „vereinbart" seien, um besagter Partei einen Vorwand zum Einschreiten gegen die Flüchtlinge und dadurch zur Herstellung eines guten Einvernehmens mit der Reichsgewalt zu bieten. Wir haben diese Nachricht unsern Lesern nicht sogleich mitgeteilt, weil wir nicht unbedingt an eine solche Intrige glauben konnten. Wir warteten auf Bestätigung, und die Bestätigung hat nicht lange auf sich warten lassen. Eis fiel bereits auf, daß diese Gerüchte nicht von badischen Blättern, die, selbst ein Ort und Stelle, doch am besten und ersten unterrichtet sein mußten, gebracht wurden, sondern von den Frankfurter Blättern. Es fiel ferner auf, daß dem „Frankfurter Journal"[164] bereits am I.Dezember von Bern aus mitgeteilt wurde, der Bundesrat habe wegen der Flüchtlinge ein Zirkular erlassen und einen Kommissar abgeschickt, während die Berner Blätter, von denen mehrere („Verfassungs-Freund"[1651 und „Suisse"[1661)in direkten Beziehungen zu Bundesräten stehen, die Nachricht erst am 3. bringen. Jetzt endlich liegt das Zirkular an die Kantonsregierungen in der „Suisse" vor uns, und wenn wir früher noch zweifeln konnten an dem Beitritt der Schweiz zu der neuen Heiligen Allianz[1671, so sind jetzt alle Zweifel beseitigt.
Das Zirkular hebt an mit den Gerüchten von neuen Rüstungen der politischen Flüchtlinge und von einem beabsichtigten neuen Einfall ins badische Gebiet. Es motiviert durch diese Gerüchte, von denen die ganze Schweiz und ganz Baden wissen, daß sie erlogen sind, die neuen außerordentlichen Maßregeln gegen die Flüchtlinge. Die Tessiner Beschlüsse der Bundesversammlung1 werden nur erwähnt, um die Kompetenz, nicht um die Verpflichtung des Bundesrats zu diesen Maßregeln zu begründen; im Gegenteil wird der wesentliche Unterschied in der Lage der Verhältnisse in Tessin und den nördlichen Kantonen ausdrücklich anerkannt. Sodann folgende Weisungen: 1. Alle Flüchtlinge, die am Struveschen Zuge1761 sich beteiligt oder die sonst keine persönlichen Garantien für ruhiges Verhalten bieten, aus den Grenzkantonen zu entfernen; 2. alle Flüchtlinge ohne Unterschied genau zu überwachen; 3. dem Bundesrat sowie allen übrigen Grenzkantonen eine Liste der sub2 1. fallenden Flüchtlinge einzusenden und 4. etwaige Ausnahmen von der Internierung dem eidgenössischen] Repräsentanten Dr.Steiger zur Entscheidung zu überlassen sowie überhaupt den Weisungen desselben zu folgen. Daran schließt sich die Aufforderung, diesen Weisungen „streng" nachzukommen, indem sonst, wenn Truppenaufstellungen nötig würden, die Kosten dem betreffenden Grenzkanton zur Last fallen würden. Das ganze Zirkular ist in einer für die Flüchtlinge höchst verletzenden, herben Sprache abgefaßt und schließt mit den Worten:
„Die Schweiz darf nicht zum Sammelplatz werden für ausländische Parteien, die ihre Stellung auf einem neutralen Boden so sehr verkennen und so oft die Interessen des Landes mit Füßen treten, das sie gastfreundlich aufnimmt." Jetzt vergleiche man diese bittre Sprache mit der Sprache der Note vom 4. November1781; man bedenke, daß die Gerüchte, auf die das Zirkular sich stützt, notorisch falsch sind; daß, wie uns heute von der Grenze geschrieben wird, der eidgenössische] Repräsentant Dr.Steiger mit seiner Inspektion im Kanton Aargau, gegen den die Reichsgewalt am meisten Klagen führte, bereits fertig ist und gefunden hat, die betreffenden Flüchtlinge seien längst interniert und er habe hier nichts mehr zu tun (er ist bereits in Liestal); daß die
1 Siehe vorl. Band, S. 64-68 - 2 unter
Note vom 4.Nov. bereits behauptet, daß die SchweizerPresse (z.B. „Schweizer Bote", „Basellandsch[aftliches] Volksblatt"[168], „National-Zeitung"[62] etc.) längst bewiesen hatten, daß alle Grenzkantone längst ihren Pflichten nachgekommen seien; man bedenke endlich, daß nach langer Ungewißheit, nach den widersprechendsten Nachrichten über dieGrenzsperrejetztseit2-3 Tagen alle unsere Schweizer Blätter und Briefe darin übereinstimmen, daß gar keine Zwangsmaßregeln gegen die Schweiz in Anwendung kommen, ja daß der Befehl zur strengeren Überwachung des Personenverkehrs, der einigen Grenzposten gegeben war, 24 Stunden nachher schon widerrufen wurde; man bedenke das alles und sage, ob die Umstände nicht bis ins kleinste Detail die oben von uns gegebene Mitteilung bestätigen. Ohnehin ist es bekannt, daß die Herren Furrer, Ochsenbein, Munzinger usw. längst vor Begierde brennen, dem „Flüchtlingsunwesen" ein für allemal ein Ende zu machen. Wir gratulieren dem Herrn Schmerling zu seinen neuen Freunden. Wir wünschen nur, daß, wenn auch er einmal als Flüchtling in die Schweiz kommen sollte - was doch wohl vorkommen könnte, ehe die dreijährige Amtsdauer des jetzigen Bundesrats abläuft -, diese seine Freunde ihn nicht etwa zu jenen Flüchtlingen rechnen, welche „keine persönlichen Garantien bieten".
Die Verleumdungen der „Neuen Rheinischen Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 168 vom M.Dezember 1848] * Köln, 13.Dezember. Der Artikel der „Neuen Rheinischen Zeitung" vom 4. Juli1, wegen dessen der Gerant, Korff, der Redakteur en chef, Marx, und der Redakteur der „Neuen Rheinischen Zeitung" Engels für den 20. d.M. vor den Assisen erscheinen werden, schließt mit folgenden Worten: „Das also sind die Taten des Ministeriums der Tat, des Ministeriums des linken Zentrums, des Ministeriums des Übergangs zu einem altadeligen, altbürokratischen, altpreußischen Ministerium. Sobald Herr Hansemann seinen transitorischen Beruf erfüllt hat, wird man ihn entlassen. Die Linke zu Berlin aber muß einsehn, daß die alte Macht kleine parlamentarische Siege und große Konstitutionsentwürfe ihr getrost überlassen kann, wenn sie nur unterdessen sich aller wirklich entscheidenden Positionen bemächtigt. Getrost kann sie die Revolution des 19.März in der Kammer anerkennen, wenn dieselbe nur außerhalb der Kammer entwaffnet wird. Die Linke könnte an einem schönen Morgen finden, daß ihr parlamentarischer Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammenfallen. Die deutsche Entwickelung bedarf vielleicht solcher Kontraste. Das Ministerium der Tat erkennt die Revolution im Prinzip an, um in der Praxis die Kontrerevolution zu vollziehen." Die Tatsachen haben bewiesen, wie sehr die „Neue Rheinische Zeitung" die preußische Regierung und ihre Trabanten verleumdet hat.
Geschrieben von Karl Marx.
Prozeß gegen Gottschalk und Genossen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 175 vom 22. Dezember 1848] * Köln, 21 .Dezember. Heute morgen begann der Prozeß gegen Gottschalk, Anneke und Esser vor den hiesigen außerordentlichen Assisen. Die Angeklagten wurden gleich den gemeinsten Verbrechern, enggeschlossen, von dem neuen Arresthause eskortiert nach dem Gerichtsgebäude, wo eine nicht unbedeutende bewaffnete Macht hauste. Unsere Leser wissen, daß wir in der Jury, wie sie jetzt organisiert ist, nichts weniger als eine Garantie erblicken. Der Zensus erteilt einer bestimmten Klasse das Privilegium, aus ihrer Mitte die Geschwornen hervorgehen zu sehen. Die Anfertigung der Geschwornenlisten erteilt der Regierung das Monopol, aus der privilegierten Klasse die ihr zusagenden Individuen herauszulesen. Der Herr Regierungspräsident fertigt nämlich eine Liste von Individuen zu einer bestimmten Zahl an, die er aus den Geschwornenlisten des ganzen Regierungsbezirks auszieht; die gerichtlichen Repräsentanten der Regierung säubern diese Liste bis auf 36, wenn unser Gedächtnis nicht täuscht. Im Augenblicke der wirklichen Bildung des Geschwornengerichts endlich steht es dem öffentlichen Ministerium zu, die letzte Liste, das Ergebnis des Klassenprivilegiums und einer doppelten gouvernementalen Destillation, zum dritten Male zu säubern und bis zum letzten notwendigen Dutzend auszumerzen. Ein wirkliches Wunder, wenn eine solche Konstitution der Jury Angeklagte, die der privilegierten Klasse und der bestehenden Staatsmacht offen opponiert haben, nicht direkt unter die absolute Gewalt ihrer rücksichtslosesten Feinde wirft. Das Gewissen der Geschwornen, wird man uns antworten, das Gewissen, verlangt man eine größere Garantie? Aber, mon Dieu1, das Gewissen hängt
1 mein Gott
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
mit dem Wissen und der ganzen Daseinsweise eines Menschen zusammen. Ein Republikaner hat ein anderes Gewissen als ein Royalist, ein Besitzender ein anderes Gewissen als ein Besitzloser, ein Denkender ein anderes als ein Gedankenloser. Ein Mensch, der keinen Beruf zum Geschwornen hat als den Zensus, hat das Gewissen des Zensus. Das „Gewissen" der Privilegierten ist eben ein privilegiertes Gewissen. Wenn uns also das Geschwornengericht, wie es jetzt konstituiert ist, als ein Institut zur Behauptung der Privilegien einiger und keineswegs als ein Institut zur Sicherung der Rechte aller erscheint; wenn namentlich auch in dem vorliegenden Falle das öffentliche Ministerium den ausgedehntesten Gebrauch von seiner Befugnis gemacht hat, das letzte Dutzend ihm mißfälliger Namen von der letzten Liste auszumerzen - wir zweifeln dennoch keinen Augenblick an der Freisprechung der Angeklagten. Unser Garant ist der Anklageaktim9]. Man glaubt eine ironisch gehaltene Verteidigungsschrift von Gottschalk und Konsorten zu lesen. Resümieren wir diesen Anklageakt, der nur im Anklageakt gegen Mellinet und Konsorten (Prozeß Risquons-Tout in Antwerpen[170]) ein Analogon findet. In Köln existiert ein Arbeiterverein11713. Gottschalk war Präsident, Anneke und Esser Ausschußmitglieder dieses Vereins. Der Arbeiterverein, belehrt uns der Anklageakt,
„hatte ein besonderes, durch Gottschalk redigiertes Organ, die .Arbeiterzeitung', und wer nicht Gelegenheit hatte, den Sitzungen selbst beizuwohnen, konnte aus diesem Blatte die gefährlichen, dem Proletariat schmeichelnden, auf Kommunismus und Umsturz des Bestehenden hinarbeitenden Tendenzen des Vereins erkennen". Tendenzen also konnte man erkennen, aber keine gesetzwidrigen Tatsachen. Beweis: Bis zur Verhaftung des Gottschalks etc. hat das Parquet keine Anklage gegen die „Arbeiterzeitung" erhoben, und nach Gottschalks Verhaftung wurde sie nur einmal verurteilt - in dem Monsterprozesse des hiesigen Parquets, nämlich der Klage des hiesigen Parquets wegen Beleidigung des hiesigen Parquets.[172]
„Die Arbeiterzeitung' selbst", gesteht aber der Anklageakt, „scheint sich nicht bemüht zu haben, in ihren Berichten darüber" (über die Verhandlungen des Arbeitervereins, seiner Ausschußsitzungen und seiner Filialvereine) „etwas zu bemänteln." Wenn also die „Arbeiterzeitung" wegen ihrer „Berichte" über die Verhandlungen des Arbeitervereins, so konnte der Arbeiterverein wegen seiner Verhandlungen selbst nicht gerichtlich verfolgt werden.
Gegen den Arbeiterverein liegt nur vor, was gegen die „Arbeiterzeitung" vorliegt — die mißliebige Tendenz dieses Vereins. Gehören zu den Märzerrungenschaften auch die — Tendenzprozesse, Prozesse gegen Tendenzen, die bloße Tendenzen geblieben sind? Bisher sind unsere Septembergesetze[17S] noch nicht erlassen worden. Gottschalk und Konsorten wurden auch keineswegs verhaftet und in Anklagezustand gesetzt wegen gesetzwidriger Berichte der „Arbeiterzeitung" oder gesetzwidriger Verhandlungen des Arbeitervereins. Der Anklageakt macht daraus kein Geheimnis. Nicht die bisherige Wirksamkeit des Arbeitervereins setzte die Justiz in Bewegung, sondern - man höre:
„In den Tagen vom 14.-17.Juni d.J. war zu Frankfurt ein Kongreß der Abgeordneten von einer Menge in Deutschland erstandener demokratischer Vereine versammelt. Gottschalk und Anneke repräsentierten als Abgeordnete den Kölner Arbeiterverein. Dieser Kongreß sprach sich, wie bekannt, öffentlich für die demokratische Republik aus, und die hiesigen Behörden erwarteten einen Nachhall der dortigen Bewegung, als auf Sonntag, den 25. Juni, abermals eine Generalversammlung des Arbeitervereins auf dem Gürzenich angekündigt wurde." Die hiesigen Behörden erwarteten einen Nachhall der Frankfurter Bewegung. Aber welche Bewegung hatte denn in Frankfurt stattgefunden? Der demokratische Kongreß hatte sich öffentlich für die mißliebige Tendenz der demokratischen Republik ausgesprochen. Man erwartete also einen „Nachhall" dieser „Tendenz" und wollte in Kampf mit diesem Echo treten. Bekanntlich hat der demokratische Kongreß zu Frankfurt und der zur Exekution seiner Beschlüsse ernannte Zentralausschaß von den Regierungen unangefochten zu Berlin getagt.11741 Die deutschen Regierungen mußten also trotz der mißliebigen Tendenz die Gesetzmäßigkeit des Frankfurter Kongresses und der von ihm angeordneten Organisation der demokratischen Partei anerkennen. Aber die kölnischen Behörden „erwarteten nun einmal" einen Nachhall der Frankfurter Bewegung. Sie erwarteten eine Gelegenheit, Gottschalk und Konsorten auf gesetzwidrigem Boden zu ertappen. Zur Konstituierung dieser Gelegenheit wurden von der Polizeidirektion die „Polizeikommissare Lutter und Hünnemann1 am 25. Juni in die Generalversammlung des Arbeitervereins auf den Gürzenich kommandiert und „besonders angewiesen, die Vorkommnisse daselbst zu beobachten". In derselben Generalversammlung befand sich zufällig „der Buchbinder Johann Maltheser", der, wie der Anklageakt seufzt, „ein Hauptzeuge sein würde, wenn er nicht im Solde der Polizeibehörde gestanden hätte", d.h. mit andern Worten, wenn er nicht bezahlter Polizeispion wäre. Endlich stellte sich hier, wahrscheinlich aus reinem patriotischem
Fanatismus, der „Referendar v. Groote" ein, der die Rede Annekes in der Generalversammlung „am ausführlichsten gibt, da er in der Sitzung selbst nachgeschrieben hat". Man sieht: die kölnischen Behörden erwarteten am 25.Juni ein von Gottschalk und Konsorten zu begehendes Verbrechen. Alle polizeilichen Vorkehrungen, um dies eventuelle Verbrechen zu konstatieren, waren getroffen. Wenn die Behörden aber einmal „erwarten", so wollen sie nicht umsonst warten. „Aus den Berichten" der zur Konstatierung eines erwarteten Verbrechens kommandierten Polizeikommissare und sonstiger Helfershelfer „nahm am 2. Juli die Staatsbehörde Anlaß zu einem Antrag auf Untersuchung gegen Gottschalk und Anneke wegen ihrer in jener öffentlichen Versammlung gehaltenen" (soll heißen erwarteten) „aufreizenden Reden. Am 3. Juli hatte ihre Verhaftung nebst Beschlagnahme ihrer Papiere statt. Am 5. Juli, nachdem bis dahin mehrere Zeugen vernommen und nähere Anzeigen eingekommen waren, wurde die Untersuchung ausgedehnt auf die gesamte vorhergehende Tätigkeit der Vorsteher des Arbeitervereins und damit gegen mehrere Mitglieder desselben, namentlich gegen den Faßbinder Esser usw. Was die Untersuchung gegen die Angeklagten ergeben hat, bezieht sich teils auf ihre Reden im Arbeiterverein, teils auf ihre Papiere und die von ihnen verbreiteten Druckschriften." Was die Untersuchung wirklich ergehen hat — wir werden es morgen aus dem Anklageakte selbst beweisen-,ist,daß die am25. Juni erwartete Bewegung sich auf eine Bewegung der Behörden — dies Echo der Frankfurter Bewegung — beschränkte, daß Gottschalk und Konsorten für die am 25. Juni getäuschte Erwartung der Behörden mit sechsmonatlicher enger Untersuchungshaft Buße tun mußten. Nichts gefährlicher, als die Erwartungen der Staatsbehörde, eine Rettungsmedaille um das Vaterland zu verdienen, zu täuschen. Kein Mensch wird gern in seinen Erwartungen getäuscht, am wenigsten die Staatsbehörde. Wenn die ganze Art und Weise, wie das Verbrechen am 25. Juni in Szene gesetzt wurde, uns die Staatsbehörde als einzigen Schöpfer dieses kriminalistischen Dramas zeigt, so bieten uns die Untersuchungsakte Gelegenheit, die scharfsinnige Gewandtheit zu bewundern, womit sie den Prolog auf sechs Monate ausspann. Wir zitieren wörtlich aus: „Der Politische Tendenzprozeß gegen Gottschalk und Konsorten", herausgegeben von M.F.Anneke. Verlag der „Neuen Kölnischen Zeitung" .[1,5] „Nachdem die Untersuchung etwa fünf bis sechs Wochen gewährt hatte, wurde sie vom Instruktionsriehter Leuthaus, der an die Stelle des zum Polizeidirektor beförderten Herrn Geiger getreten war, für geschlossen erklärt. Der Staatsprokurator Hecker stellte indes nach Durchsicht der Akten neue Anträge, auf die auch vom Untersuchungs
richter eingegangen wurde. Nach Verlauf von etwa 14 Tagen war die Voruntersuchung zum zweiten Male geschlossen. Nachdem Herr Hecker von neuem mit Muße die Akten durchstudiert hatte, stellte er wiederum eine Anzahl neuer Anträge. Der Untersuchungsrichter wollte nicht darauf eingehen, ebensowenig die Ratskammer. Herr Hecker appellierte an den Anklagesenat, und diese Instanz verfügte, daß einigen von den Anträgen stattzugeben, andere hingegen abzulehnen seien. Unter den letzteren befand sich nun beispielsweis der Antrag, auf Grund eines bloßen Namensverzeichnisses von Personen aus allen Teilen Deutschlands, welches sich in Annekes Brieftasche vorgefunden hatte, diese sämtlichen Personen, etwa 30 oder 40 an der Zahl, in die Untersuchung zu ziehen. Nachdem die Untersuchung glücklich so weit ausgesponnen war und sich füglich nicht weiter mehr ausdehnen ließ, verfügte die Ratskammer am 28. September über die Überweisung der Akten an den Anklagesenat. Dieser erkannte den 1 O.Oktober die Anklage, und den 28. Oktober unterzeichnete der Generalprokurator den Anklageakt. Die ordentliche Quartalassise, welche am 9. Oktober begonnen hatte, war somit glücklich verpaßt für diesen Prozeß. Nach dem 27.November war eine außerordentliche Assise anberaumt. Auch die sollte womöglich noch verpaßt Werden. Die Akten der Voruntersuchung wurden nämlich an das Justizministerium geschickt mit dem Antrage, den Prozeß an einen andern Assisenhof zu verweisen. Das Justizministerium fand indes keinen hinreichenden Grund, und gegen November wurden die Angeklagten Gottschalk, Anneke und Esser dann endlich auf den 21 .Dezember vor die hiesige außerordentliche Assise verwiesen." Während dieses langen Prologs war der erste Instruktionsrichter, Geiger, zum kommissarischen Polizeidirektor und der Staatsprokurator Hecker zum Oberprokurator befördert worden. Da Herr Hecker in letzter Eigenschaft kurz vor Beginn der außerordentlichen Assise von Köln nach Elberfeld versetzt worden ist, so wird er nicht gleichzeitig mit den Angeklagten vor der Jury erscheinen.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 176 vom 23. Dezember 1848] * Köln, 22.Dezember. Welcher Tag war es, an dem die zur Konstatierung eines „erwarteten" Verbrechens berufene Generalversammlung auf dem Gürzenich stattfand? Es war der 25. Juni. Der 25. Juni war der Tag der definitiven Niederlage der Pariser Juniinsurgenten. An welchem Tage nahm die Staatsbehörde ihren Antrag gegen Gottschalk und Konsorten? Am 2. Juli, d.h. in dem Augenblicke, wo die preußische Bourgeoisie und die damals mit ihr verbündete Regierung in rachedurstigem Übermute den Augenblick gekommen glaubten, mit ihren politischen Gegnern ein Ende zu machen. Am 3. Juli wurden Gottschalk und Konsorten verhaftet. Am 4. Juli trat das jetzige kontre~ revolutionäre Ministerium in das Ministerium Hansemann ein, in der Person
Ladenbergs. An demselben Tage wagte die Rechte der Berliner Vereinbarerversammlung einen Staatsstreich, indem sie einen bezüglich Polens mit Majorität gefaßten Beschluß, nachdem sich ein Teil der Linken verlaufen hatte, in derselben Sitzung ohne weiteres wieder umstieß.11761 Diese Data sprechen. Wir könnten den Zeugenbeweis liefern, daß eine „gewisse" Person am 3. Juli äußerte: „Die Verhaftung von Gottschalk und Konsorten habe einen günstigen Eindruck auf das Publikum gemacht." Doch genügt es, auf die Nummern der „Kölnischen" der „Deutschen"^11 ] und der „Karlsruher"11781 Zeitungen von den angegebenen Daten hinzuweisen, um sich zu überzeugen, daß in diesen Teigen nicht das „Echo" der imaginären „Frankfurter Bewegungsondern vielmehr das „Echo" der „Caüaignacschen Bewegung" in Deutschland und unter anderm auch in Köln tausendfältig widerhallte. Unsere Leser erinnern sich: Am 25. Juni „erwarteten" die kölnischen Behörden einen Nachhall der „Frankfurter Bewegung" bei Gelegenheit der Generalversammlung des Arbeitervereins auf dem Gürzenich. Sie erinnern sich ferner, daß die Untersuchung gegen Gottschalk und Konsorten ihren Ausgangspunkt nahm nicht von einem wirklichen Verbrechen Gottschalks usw. vor dem 25. Juni, sondern einzig und allein von der Erwartung der Behörden, daß am 25. Juni endlich ein faßbares Verbrechen stattfinden werde. Die Erwartung des 25. Juni wird getäuscht, und plötzlich verwandelt sich der 25. Juni 1848 in das Jahr 1848. Den Angeklagten wird die Bewegung des Jahres 1848 zur Last gelegt. Gottschalk, Anneke, Esser werden beschuldigt,
„im Laufe des Jahres 1848" (man denke sich die Dehnbarkeit dieses Ausdrucks) „zu Köln ein Komplott zum Zwecke der Veränderung und des Umsturzes der betreffenden Regierung und der Erregung eines Bürgerkriegs durch Verleitung der Bürger, sich gegeneinander zu bewaffnen, gemacht oder doch" (man passe auf), „oder doch durch Reden in öffentlichen Versammlungen, durch gedruckte Schriften und angeheftete Plakate zu Attentaten und solchen Zwecken gereizt zu haben".
Das heißt also: ein Komplott gemacht „oder doch" kein Komplott „gemacht" zu haben. Aber denn doch „zu Attentaten und solchen Zwecken". D.h. zu Attentaten oder sonst dergleichen Zeug! Herrlicher Stil, der juristische! Also lautet es in dem Verweisungsurteil des Anklagesenats. In dem Konklusum des Anklageakts selbst wird das Komplott fallengelassen, und „demnach" werden Gottschalk, Anneke und Esser angeklagt,
„im Laufe des Jahres 1848 durch Reden in öffentlichen Versammlungen sowie durch Druckschriften ihre Mitbürger zur gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung, zur
bewaffneten Auflehnung gegen die königliche Macht und zur Bewaffnung eines Teiles der Bürger gegen den andern geradezu angereizt zu haben, ohne daß jedoch diese Anreizungen einen Erfolg gehabt haben Verbrechen gegen Art. 102, in Verbindung mit Art.87, 91 des Strafgesetzbuchs." Und warum sind die Behörden nicht im Laufe des Jahres 1848 vor dem zweiten Juli eingeschritten? Damit die Herren übrigens von einer „gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung" sprechen könnten, hätten sie vor allem den Beweis zu liefern, daß eine Staatsverfassung bestand. Die Krone hat das Gegenteil bewiesen, indem sie die Vereinbarerversammlung11301 zum Teufel gejagt hat. Wären die Vereinbarer mächtiger gewesen als die Krone, so hätten sie den Beweis vielleicht in umgekehrter Weise geführt. Was nun die Anreizung „zur bewaffneten Auflehnung gegen die königliche Macht und zur Bewaffnung eines Teils der Bürger gegen den anderen" betrifft, so beweist sie der Anklageakt: 1. durch Reden der Angeklagten im Laufe des Jahres 1848; 2. aus ungedrückten, 3. aus gedruckten Schriften. Ad. 1. Die Reden bieten dem Anklageakt folgendes corpus delicti1: In der Sitzung vom 29.Mai findet Esser in der „Republik" das „Heilmittel für die Leiden der Arbeiter". Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht! Gottschalk erklärt, daß „die Reaktionäre die Republik herbeiführen werden". Einige Arbeiter beklagen sich, daß sie nicht soviel hätten, „das nackte Leben zu fristen". Gottschalk antwortet ihnen: „Sie sollten sich vereinigen lernen, ihre Freunde von ihren verkappten Feinden unterscheiden, sich dazu befähigen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen." Offenbare Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht und zur Bewaffnung eines Teiles der Bürgerschaft gegen den andern! Der Anklageakt resümiert seine Beweise in folgenden Worten: „Die Zeugen, welche über diese früheren Versammlungen vernommen worden sind, Mitglieder und Nichtmitglieder, sprechen sich im ganzen nur belobend über Gottschalk und Anneke, besonders den erstem, aus. Er habe immer vor Exzessen gewarnt, die Massen mehr zubeschwichtigen als aufzureizen gesucht.Dabei deutete er freilich auf die Republik als letztes Ziel seiner Bestrebungen hin, welches aber nicht durch einen Straßenkrawall, sondern nur dadurch zu erreichen sei, daß man die
1 Beweismittel
Majorität des Volkes zu der Ansicht gewinne, daß außer der Republik kein Heil sei. Indem er so, wie man deutlich sieht, darauf ausging, die Fundamente des Bestehenden allmählich zu unterwühlen, hatte er begreiflicherweise oftmal genug zu tun, die Ungeduld des rohen Haufens zu zügeln." Eben weil die Angeklagten die Massen beschwichtigten, statt sie aufzureizen, zeigten sie deutlich ibre bösartige Tendenz, allmählich die Fundamente des Bestehenden zu unterwühlen, d.h., von der Preßfreiheit und dem Assoziationsrecht in gesetzlicher Weise einen den Behörden mißliebigen Gebrauch zu machen. Und das nennt der Anklageakt: „Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht und zur Bewaffnung eines Teiles der Bürger gegen den andern"!!! Endlich kommt die von den Behörden „erwartete" Generalversammlung vom 25. Juni. Üb er sie, sagt der Anklageakt, „liegen umständlicheZeugnisse vor". Und was ergeben diese umständlichen Zeugnisse?—Daß Gottschalk Bericht über die Frankfurter Ereignisse abstattete; daß über die Vereinigung der drei demokratischen Vereine in Köln[411 debattiert wurde, daß Gottschalk eine „Schlußrede" hielt, welche besonders die Aufmerksamkeit des Malthesers und des Referendars von Groote fesselte und die mit der „Pointe" endete: „Ausharren fordere mehr Mut als Dreinschlagen. Man solle warten, bis die Reaktion einen Schritt tue, der auf die Proklamierung der Republik hindränge ." Offenbare Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k [öni]gl[iche] Macht und zur Bewaffnung eines Teils der Bürger gegen den andern !!! Was nun den Anneke betrifft, so kommt nach dem Anklageakte
„weiter nichts vor, als daß er bei der Debatte über die Vereinigung der drei Vereine" (der drei demokratischen Vereine zu Köln) „sehr heftig für diese Vereinigung sprach, die Versammlung ebenfalls als Bürger Republikaner anredend". Eine Rede für die „Vereinigung" der drei demokratischen Vereine zu Köln ist offenbar die „Anreizung zur Bewaffnung eines Teils der Bürgerschaft gegen den andern"! Und die Anrede „Bürger Republikaner"'! Die Herren Maltheser und von Groote mögen sich beleidigt durch diese Anrede gefühlt haben. Aber redet der General v.Drigalski sich selbst und die Düsseldorfer Bürgerschaft nicht an: „Bürger Kommunisten"?[8S] Wenn man diesen Reinertrag der „erwarteten" Generalversammlung vom 25 Juni betrachtet, so begreift man, daß die Staatsbehörde zum Laufe des Jahres 1848 ihre Zuflucht nehmen mußte, und das tut sie denn auch, indem sie durch Beschlagnahme von Briefen und Druckschriften sich über die Bewegung dieses Jahres unterrichtet, z.B. drei Nummern der „Arbeiter
zeitung" konfisziert, die für vier Pfennige per Stück in jeder Straße zu kaufen waren. Aus den Briefen aber überzeugt sie sich, welch „politischer Fanatismus" in dem Jahre 1848 in Deutschland herrscht. Besonders „fanatisch" erscheint ihr ein Brief des Professor Karl Henkel aus Marburg an Gottschalk. Zur Strafe denunziert sie diesen Brief der kurhessischen Regierung, und sie erlebt die Genugtuung, daß gegen den Professor untersucht wird. Als Schlußresultat aber ergibt sich aus den Briefen und Druckschriften, daß 1848 in den Köpfen und auf dem Papier allerlei Fanatismus sich umtrieb und überhaupt sich Ereignisse zutrugen, die wie ein Ei dem andern „der bewaffneten Auflehnung gegen die königliche] Macht und der Bewaffnimg eines Teils der Bürgerschaft gegen den andern' ähnlich sehen. Gottschalk und Konsorten aber beschäftigen sich mit all diesem Zeug, während die Staatsbehörde erst den „Nachhall" dieser erstaunlichen Bewegung durch die Konfiskation der Druckschriften und Briefe der Angeklagten kennenlernt!
Geschrieben von Karl Marx.
Die preußische Kontrerevolution und der preußische Richterstand
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 177 vom 24. Dezember 1848] * Köln. Die Hauptfrucht der revolutionären Bewegung von 1848 ist nicht das, was die Völker gewonnen, sondern das, was sie verloren haben — der Verlust ihrer Illusionen. Juni, November, Dezember des Jahres 1848, das sind die Riesenmeilenzeiger der Entzauberung und Entnüchterung des europäischen Volks Verstandes. Unter den letzten Illusionen, die das deutsche Volk gefesselt halten, steht obenan sein Aberglaube an den Richterstand. Der prosaische Nordwind der preußischen Kontrerevolution knickt auch diese Blume der Volksphantasie, deren wahres Mutterland Italien ist - das ewige Rom. Die Taten und Erklärungen des Rheinischen Kassationshof es, des Obertribunals von Berlin, der Oberlandesgerichte von Münster, Bromberg, Ratibor gegen Esser, Waldeck, Temme, Kirchmann, Gierkß beweisen noch einmal, daß der französische Konvent der Leuchtturm aller revolutionären Epochen ist und bleibt. Er inaugurierte die Revolution, indem er durch ein Dekret alle Beamten absetzte. Auch die Richter sind nichts als Beamte, wovon die obengenannten Gerichte vor ganz Europa Zeugnis ablegen. Türkische Kadis und chinesische Mandarinenkollegien können getrost die jüngsten Erlasse jener „hohen" Gerichtshöfe gegen ihre Kollegen kontrasignieren. Unsere Leser kennen schon die Erlasse des Obertribunals von Berlin und des Oberlandesgerichts von Ratibor. Für heute haben wir es mit dem Oberlandesgerichte von Münster zu tun.tl79] Doch vorher noch einige Worte über den zu Berlin residierenden Rheinischen Kassationshof, den summus pontifex1 der rheinischen Jurisprudenz.
1 Papst
Die rheinischen Juristen hatten bekanntlich (mit einigen wenigen rühmlichen Ausnahmen) nichts Eiligeres in der preußischen Vereinbarerversammlung zu tun, als die preußische Regierung von ihren alten Vorurteilen und ihrem alten Groll zu heilen. Sie bewiesen ihr tatsächlich, daß ihre ehemalige Opposition kaum soviel bedeute als die Opposition der französischen Parlamente vor 1789 — die eigensinnige und liberal sich aufspreizende Geltendmachung von Zunftinteressen. Wie in der französischen Nationalversammlung von 1789 die liberalen Parlamentsglieder, so waren in der preußischen von 1848 die liberalen rheinischen Juristen die Bravsten der Braven in der Armee des Servilismus. Die rheinpreußischen Parquets beschämten die altpreußischen Inquisitionsrichter durch ihren „politischen Fanatismus". Die rheinischen Juristen mußten natürlich auch nach der Auflösung der Vereinbarerversammlung ihren Ruf behaupten. Die Lorbeern des altpreußischen Obertribunals ließen den rheinpreußischen Kassationshof nicht schlafen. Sein Chefpräsident Sethe erließ ein ähnliches Schreiben an den Oberrevisionsrat Esser (nicht zu verwechseln mit den „gutgesinnten" kölnischen „Essern"1) wie der Präsident des Obertribunals Mühler an den geheimen Obertribunalrat Waldeck' Aber der rheinpreußische Hof wußte den altpreußischen zu überbieten. Der Präsident des rheinischen Kassationshofs spielte Trumpf gegen seinen Konkurrenten aus, indem er die perfide Unart beging, den Brief an Herrn Esser dem Berliner Publikum in der „Deutschen Reform"11801 mitzuteilen, bevor er ihn dem Herrn Esser selbst mitgeteilt hatte. Wir sind überzeugt, daß die gesamte Rheinprovinz durch eine Monsteradresse an unsern greisen Würdigen Landsmann, Herrn Esser, auf den Brief des Herrn Sethe antworten wird. Nicht etwas ist faul im „Staate Dänemark"11811, sondern alles. Jetzt nach Münster! Unsere Leser haben schon gehört von dem Proteste des Oberlandesgerichts zu Münster gegen den Wiedereintritt seines Direktors Temme. Die Sache hängt zusammen wie folgt: Das Ministerium der Kontrerevolution hatte, direkt oder indirekt, dem Geheimen Obertribunale, dem Rheinischen Kassationshofe und den Oberlandesgerichten in Bromberg, Ratibor und Münster insinuiert, der König sähe ungern, wenn Waldeck, Esser, Gierke, Kirchmann und Temme, weil sie in Berlin fortgetagt und an dem Beschlüsse der Steuer Verweigerung teilgenommen hätten, auf ihre hohen Richterposten zurückkehrten. Sie möchten daher dagegen protestieren.
1 Esser I und Esser II
Die hohen Gerichtshöfe (im ersten Momente schwankte der Rheinische Kassationshof, große Künstler erringen ihre Erfolge, nicht indem sie zuerst, sondern indem sie zuletzt auftreten) gingen sämtlich auf diese Zumutung ein und schickten Proteste von und nach Berlin. Das Oberlandesgericht von Münster war dumm genug, sich unmittelbar an den König (den sogenannten konstitutionellen König) zu wenden, mit einem Proteste gegen Temme, worin es wörtlich heißt,
„daß er durch Teilnahme an den ungesetzlichen Sitzungen einer Fraktion der vertagten Nationalversammlung sich in offenbare Auflehnung gegen Sr. Majestät Regierung gesetzt und durch Mitstimmung für den Antrag auf Steuerverweigerung den Boden der Revolution betreten und den Feuerbrand der Anarchie in das Vaterland zu schleudern gesucht" hätte,
und worin dann fortgefahren wird:
„Es widerspricht unserem Rechtsgefühle, den Anforderungen des Publikums an die Integrität des Direktors eines Landesjustizcollegii, den Verpflichtungen desselben hinsichtlich der Ausbildung der angehenden Justizbeamten und seiner Stellung zu den Untergerichtsbeamten, daß nach solchen Vorgängen der P.P. Temme in seiner amtlichen Stellung zu dem hiesigen Collegio verbleibt. Ew. Majestät fühlen wir uns daher in unserm Gewissen gedrungen, den dringenden Wunsch, uns außer amtlicher Beziehung zu dem Direktor Temme gesetzt zu sehen, alleruntertänigst auszusprechen."
Die Adresse ist unterzeichnet von dem ganzen Kollegium, mit Ausnahme eines einzigen Rates, eines Schwagers des Justizministers Rintelen. Dieser Justizminister hat am 18.Dezember Herrn Temme eine Abschrift dieser Adresse „zu seiner Entschließung" nach Münster geschickt, nachdem Temme sein Amt hier schon, ohne Widerspruch der Feiglinge, wieder angetreten hatte. Am Morgen des 19. Dezembers erschien nun Temme, wie die „Düsseldorfer Zeitung"f1 821 berichtet,
„zum ersten Male in der Plenarsitzung des Oberlandesgerichts und nahm seinen Sitz als Direktor neben dem stellvertretenden Chefpräsidenten v.Olfers ein. Gleich nach Beginn der Sitzung erbat er sich das Wort und trug in kurzem ungefähr folgendes vor: Er habe ein Reskript vom Justizminister mit einer abschriftlichen Anlage erhalten. Diese Anlage enthalte eine Eingabe des .hohen Collegii', dem er jetzt anzugehören die Ehre habe, worin gegen sein Wiedereintreten in seine Stellung Protest eingelegt werde. Der Justizminister habe ihm diese Eingabe zur Einsicht und ,um seine Entschließung danach zu nehmen' mitgeteilt. Der Protest des .hohen Collegii' finde seinen Grund offenbar in seiner politischen Wirksamkeit; von dieser aber, wie überhaupt von seinen politischen Ansichten, wolle er hier nicht reden, da er dieselbe dem ,hohen Collegio' gegen
über nicht zu vertreten habe. Was nun ferner seine .Entschließung' angehe, so habe er dieselbe schon dadurch betätigt, daß er seinen Sitz als Direktor hier eingenommen, und er gebe dem ,hohen Collegio' die Versicherung, daß er denselben nicht räumen werde, bis er durch Urteil und Recht dazu gezwungen werde. Übrigens sei er nicht gemeint, daß durch die Verschiedenheit politischer Ansichten das kollegialische Verhältnis gestört sein müsse; von seiner Seite wenigstens solle das möglichst vermieden werden."
Die Braven der Braven waren wie vom Donnerschlage gerührt. Sie saßen da, stumm, regungslos, versteinert, als wäre das Haupt der Meduse in das Mandarinenkollegium hineingeschleudert worden. Das brave Oberlandesgericht zu Münster! In seinem Diensteifer hat es eine Menge Leute zur Untersuchung gezogen und zur Haft bringen lassen, weil sie den Beschluß der Nationalversammlung über die Steuerverweigerung1 zur Ausführung bringen wollten. Durch seinen Ausspruch über Herrn Temme, sogar unmittelbar an den Stufen des Thrones, hat sich nun das brave Oberlandesgericht als - Partei konstituiert, ein Vorurteil gefällt und kann so unmöglich mehr der andern Partei gegenüber die Richterrolle spielen. Man erinnert sich, daß der Zwang, den der Berliner Pöbel angeblich der preußischen Nationalversammlung antat, den Vorwand zu dem ersten Staatsstreiche des Ministeriums Brandenburg11831 abgeben mußte. Um den Deputierten keinen Zwang anzutun, setzt es die in Berlin begonnene „wilde Jagd" auf sie fort, noch nachträglich nach der Rückkehr der Deputierten in ihre Wohnsitze! Der Justizminister Rintelen sagt in seinem weiter unten von uns abgedruckten Erlasse:
„Der von vielen absichtlich genährte Wahn, daß die bisherigen Strafgesetze, namentlich bei Verbrechen gegen den Staat, seit dem März d. J. nicht mehr gültig seien, hat viel dazu beigetragen, die Anarchie zu vermehren, und vielleicht auch einen gefährlichen Einfluß bei einzelnen Gerichten erhalten."
Die meisten Taten des Herrn Rintelen und der ihm infeodierten2 Gerichtshöfe beweisen aufs neue, daß in Preußen seit der gewaltsamen Auflösung der Nationalversammlung nur noch ein Gesetz gilt, die Willkür der Berliner Kamarilla. Am 29.März 18443 hatte die preußische Regierung das berüchtigte Disziplinargesetz gegen die Richter11841 erlassen, wonach dieselben durch einen bloßen Beschluß des Staatsministeriums ihrer Stellen entsetzt, versetzt oder pensioniert werden konnten. Der letzte Vereinigte Landtag hob dies Gesetz
1 Siehe vorl. Band, S. 30 - 2 unterstellten - 3 in der „N.Rh.Ztg.": 30.März 1844
wieder auf1915 und machte den Grundsatz wieder geltend, daß die Richter nur durch Urteil und Recht abgesetzt, versetzt oder pensioniert werden können. Die oktroyierte Verfassungtl23] bestätigt dies Prinzip. Werden diese Gesetze nicht mit Füßen getreten durch die Gerichtshöfe, die nach Rezept des Justizministers Rintelen ihre politisch kompromittierten Kollegen durch moralischen Zwang zur Niederlegung ihres Amts hintreiben wollen? Verwandeln sich diese Gerichtshöfe nicht in Offizierskorps, die jedes Mitglied herauswerfen, dessen politische Ansicht ihrer königlich-preußischen „Ehre" nicht zusagt? Und existiert nicht auch ein Gesetz über die UnVerantwortlichkeit und Unverletzlichkeit der Volksrepräsentanten?[185] Rauch und Schall! Wenn die preußische Verfassung nicht schon durch ihre eigenen Paragraphen und durch die Weise ihrer Entstehung sich selbst annullierte, sie würde annulliert durch die einfache Tatsache, daß das Obertribunal von Berlin ihr letzter Garant ist. Die Verfassung wird gewährleistet durch die Verantwortlichkeit der Minister, und die UnVerantwortlichkeit der Minister wird gewährleistet durch den ihnen oktroyierten Gerichtshof, der kein andrer ist als das Obertribunal zu Berlin, das in Herrn Mühler seinen klassischen Repräsentanten findet. Die jüngsten Reskripte des Obertribunals sind also nichts mehr und nichts weniger als die augenkundige — Kassation der oktroyierten Verfassung. In Ostreich überzeugt sich die Bourgeoisie durch die direkten Brandschatzdrohungen der Regierung gegen die Bank[186], die vom Wiener Volk in den Augenblicken seiner größten und gerechtesten Erbitterung gegen die Finanzfeudalität unangetastet blieb, daß ihr Verrat gegen das Proletariat preisgab, was eben dieser Verrat sicherzustellen meinte — das bürgerliche Eigentum. In Preußen sieht die Bourgeoisie durch ihr feiges Zutrauen zu der Regierung und ihr verräterisches Mißtrauen gegen das Volk die unentbehrliche Garantie des bürgerlichen Eigentums bedroht - die bürgerliche Rechtspflege. Mit der Abhängigkeit des Richterstandes wird die bürgerliche Rechtspflege selbst abhängig von der Regierung; d.h., das bürgerliche Recht selbst macht der Beamtenwillkür Platz. La bourgeoisie sera punie, par oü eile a peche - die Bourgeoisie wird gestraft, wodurch sie gesündigt hat - durch die Regierung. Daß die servilen Erklärungen der höchsten preußischen Gerichtshöfe nur die ersten Symptome der bevorstehenden absolutistischen Umwandlung der Gerichtshöfe sind, dafür zeugt folgender neueste Erlaß des Justizministeriums: „Durch die allgemeine Verfügung vom 8. Oktober d.J. hat bereits mein Amtsvorgänger daran erinnert, daß es vorzugsweise die Aufgabe der Justizbehörden ist, die
Achtung und Wirksamkeit des Gesetzes aufrechtzuerhalten, daß sie durch Erfüllung dieser Aufgabe dem Lande am besten dienen, weil die wahre Freiheit nur auf dem Boden des Gesetzes gedeihen kann. Seitdem sind leider an vielen Orten die schwersten Ausbrüche eines anarchischen, den Gesetzen und der Ordnung hohnsprechenden Treibens vorgekommen; es haben sogar in einzelnen Teilen des Landes gewaltsame Auflehnungen gegen die Obrigkeit stattgefunden, welchen nicht überall mit Energie begegnet worden ist. Angesichts einer so bedauernswerten Lage der Verhältnisse wende ich mich jetzt, wo die Regierung Sr. Majestät des Königs einen entscheidenden Schritt getan hat, um den dem Abgrunde zugedrängten Staat zu retten, jetzt wende ich mich von neuem an die Justizbehörden und die Herren Staatsanwälte des ganzen Landes, um sie aufzufordern, überall und ohne Ansehen der Person ihre Pflicht zu tun. Wer auch der Schuldige sein möge, er darf der auf dem schleunigsten Wege herbeizuführenden gesetzlichen Bestrafung nicht entgehen. Mit besonders tiefem Bedauern habe ich sowohl aus einzelnen Berichten der Landesbehörden als aus öffentlichen Blättern ersehen müssen, daß auch einzelne Beamte der Justiz, uneingedenk ihrer besonderen Berufspflichten, teils sich haben hinreißen lassen, offenbar gesetzwidrige Handlungen zu begehen, teils nicht den Mut und die Unerschrockenheit gezeigt haben, womit allein dem Terrorismus mit Erfolg entgegenzutreten war. Ich erwarte, daß auch in bezug auf jene mit Feststellung des Tatbestandes, und eventuell mit Einleitung der Untersuchung, eingeschritten werde, ohne Nachsicht und mit ernster Beschleunigung, denn die Beamten der Gerechtigkeitspflege, welchen die Wahrung des Ansehens der Gesetze anvertraut ist, haben durch die eigene Verletzung des Gesetzes doppelt gefehlt; die Beschleunigung des Verfahrens gegen sie ist aber besonders notwendig, weil in den Händen solcher Beamten die Handhabung des Rechts nicht verbleiben darf. Befinden sich unter den Schuldigen Beamte, gegen welche nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften eine förmliche Untersuchung oder die in Fällen dieser Art jedesmal in pflichtmäßige Erwägung zu nehmende Amtssuspension nicht ohne höhere Genehmigung verhängt werden darf, so ist mit Ermittelung der Umstände behufs der Begründung der Untersuchung ohne spezielle Anweisung vorzugehen und demnächst die erforderliche Genehmigung schleunigst einzuholen. Hinsichtlich der Referendarien und Auskultatoren ist nicht außer acht zu lassen, daß in betreff ihrer Entlassung aus dem Staatsdienst besondere Vorschriften bestehen. Der von vielen absichtlich genährte Wahn:
daß die bisherigen Strafgesetze, namentlich bei Verbrechen gegen den Staat, seit dem März d. J. nicht mehr gültig seien,
hat viel dazu beigetragen, die Anarchie zu vermehren, und vielleicht auch einen gefährlichen Einfluß bei einzelnen Gerichten erhalten. Es bedarf bei dem trefflichen Geiste der preußischen Justizbeamten, welcher sich im ganzen auch jetzt bewährt hat, nur der Hinweisung auf den bekannten Rechtsgrundsatz, daß Gesetze so lange ihre Kraft behalten, bis sie im Wege der Gesetzgebung aufgehoben oder abgeändert sind, sowie auf die ausdrückliche Bestimmung des Artikels 108 der Verfassungsurkunde vom 5.d.M., um gewiß zu sein, daß die ehrenwerten preußischen Justizbeamten, bei allem Interesse
für die wahre, sittliche und staatliche Freiheit, das Ansehen der Gesetze und die Ordnung über alles stellen werden. Mit diesen Grundsätzen und mit Verachtung aller persönlichen Gefahren wollen wir voranschreiten in der Zuversicht des Sieges über das Verbrechen, über die Anarchie. Gerade dadurch werden wir auf das wesentlichste beitragen, daß derfrühersoglänzende preußische Staat sich wieder in seiner sittlichen Stärke zeigen und nicht länger dulden werde, um mit einem wackeren Abgeordneten zu Frankfurt zu sprechen, daß noch ferner Ruchlosigkeit und rohe Gewalt unter uns ihr Wesen treiben. Die Herren Präsidenten der Gerichte sowie der Herr Generalprokurator zu Köln mögen hiernach das Erforderliche an die Beamten ihres Ressorts veranlassen und mich davon in Kenntnis setzen, gegen welche Beamte und wegen welcher Vergehen Suspensionen und Untersuchungen eingeleitet worden sind.
Berlin, den 8. Dezember 1848
Der Justizminister Rintelen*
Wenn die Revolution in Preußen einst siegt, so wird sie nicht nötig haben, wie die Februarrevolution, die Unabsetzbarkeit des alten Richterstandes durch ein eignes Dekret zu beseitigen. Sie findet die urkundliche Verzichtleistung dieser Kaste auf ihr Privilegium vor in den authentischen Erklärungen des Rheinischen Kassationshofes, des Obertribunals zu Berlin, der Oberlandesgerichte von Bromberg, Ratibor und Münster.
Abfertigung
{„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 179 vom 27. Dezember 1848] Das literarische Lumpenproletariat des Herrn Dumont, welches alle Fußtritte der „Neuen Rheinischen Zeitung" mit dem rührendsten passiven Widerstande hinnimmt, sucht sich dagegen zu rächen, indem es die Redakteure der „N[euen] Rhjeinischen] Z[ei]t[un]g" für Artikel, die sie nicht geschrieben haben, der Polizei denunziert. So soll nach der „Kölnischen Zeitung" vom 25.Dezember Freiligrath Verfasser einer Kölner Korrespondenz in der zu New York erscheinenden „Deutschen Schnellpost" sein und deswegen — bei der den Patronen der „Kölnischen Zeitung" am 3.November gewidmeten Katzenmusik mitgewirkt haben. Die Lorbeeren des „Malthesersscheinen die Redakteure der „Kölnischen Zeitung" nicht schlafen zu lassen.
1 Siehe vorl. Band, S. 131/132
10 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Die neue „Heilige Allianz4 <tl67]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 183 vom 31. Dezember 1848] * Köln, 30.Dezember. Daß zwischen Preußen, Ostreich und Rußland schon vor mehreren Monaten eine neue „Heilige Allianz" abgeschlossen worden, ist bereits weltbekannt. Der Vertrag selbst wird auch nächstens ans Licht gezogen und der Öffentlichkeit übergeben werden können. Die Seele dieses Bundes der Herren von „Gottes und der Knute Gnaden" ist Rußland. Die ganze russische Politik und Diplomatie ruht dagegen ihrerseits mit wenigen Ausnahmen auf den Schultern von Deutschen oder Deutschrussen. Wo irgend der Absolutismus und die Kontrerevolution tätig sind, da finden wir zwar stets Deutsche, aber nirgends mehr als im Zentralpunkte der permanenten Kontrerevolution, der russischen Diplomatie. Da ist zuerst Graf Nesselrode, Deutschhebräer; dann Baron v. Meyendorf, Gesandter in Berlin, aus Estland und sein Gehülfe, der Adjutant des Kaisers, Oberst Graf Benkendorff, ebenfalls Estländer. In Ostreich arbeitet Graf Medem, Kurländer, mit mehrern Gehülfen, unter ihnen ein Herr v. Fonton, sämtlich Deutsche. Baron v. Brunnow, russischer Gesandter in London, ebenfalls Kurländer, dient zum Mittelund Vermittlungsgliede zwischen - Metternich und Palmerston. In Frankfurt endlich wirkt als russischer Geschäftsträger Baron von Budberg, Livländer. Dies sind einige Beispiele. Wir könnten noch einige Dutzend anführen, ohne von den in Deutschland in hohen und höchsten Posten und zugleich in hohem russischem Solde stehenden Kreaturen des Petersburger Zaren zu sprechen. Welche Rolle die östreichische Erzherzogin Sophie, jetzt Kaiserinmutter, im Lager der Volksfeinde und der Heiligen Allianz spielt, braucht als notorisch keine Auseinandersetzung. Sophie selbst wird aber wiederum durch die Großfürstin Helena, Gemahlin des Großfürsten Michel und Tochter des Prinzen Paul v. Württemberg, mächtig beeinflußt. Helena dient zum innigsten Verband zwischen Nikolaus und Sophie und dem berüchtigten Erzherzog Ludwig.
Unter diesen Personen ist denn auch schon vor Monaten der Plan verabredet worden, nach welchem der östreichische Standrechtskaiser1 die übriggebliebene Tochter2 des großfürstlichen Ehepaares heiraten wird, damit die neue „Heilige Allianz" unauflöslich festgelötet und Rußland seinem Ziele, Etablierung der vollständigsten Knutenherrschaft in Deutschland, immer näher gebracht werde.
1 Franz Joseph - 8 Katharina
Die revolutionäre Bewegung
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 184 vom I.Januar 1849] * Köln, 31 .Dezember. Nie wurde eine revolutionäre Bewegung mit so erbaulieber Ouvertüre eröffnet wie die revolutionäre Bewegung von 1848. Der Papst segnete sie kirchlich ein, Lamartines Aolsharfe erzitterte unter weichklingend philanthropischen Weisen, deren Text die Fraternite, die Verbrüderung der Gesellschaftsglieder und der Nationen, war.
Seid umschlungen Millionen, Diesen Kuß der ganzen Welt![187] In diesem Augenblicke sitzt der Papst zu Gaeta, aus Rom vertrieben, unter dem Schutze des tigeridioten Ferdinand, der „Iniciatore" Italiens[1881, gegen Italien mit dessen angestammtem Todfeinde, mit Ostreich intrigierend, das er in seiner glücklichen Periode mit dem Banne bedroht hatte. Die letzte französische Präsidentenwahl lieferte zu Lamartines, des Verräters, Unpopularität die statistischen Tabellen11891. Nichts menschenfreundlicher, humaner, schwächer als die Februar- und Märzrevolutionen, nichts brutaler als die notwendigen Folgen dieser Humanität der Schwäche. Zeugen: Italien, Polen, Deutschland und vor allem die Besiegten des Juni. Mit der Niederlage der französischen Arbeiter im Juni wurden indes die Sieger des Juni selbst besiegt. Ledru-Rollin und die andern Männer des Bergs[190] wurden von der Partei der Bourgeoisrepublikaner, von der Partei des „National"1731 verdrängt; die Partei des „National" von der dynastischen Opposition11911, Thiers-Bar rot, und diese selbst würde den Legitimisten11921 weichen müssen, wenn nicht der Kreislauf der drei Restaurationen erschöpft und Louis-Napoleon mehr als eine hohle Urne wäre, worin die französischen Bauern ihren Eintritt in die revolutionär-soziale Bewegung und die französischen Arbeiter ihre Verdammungsvota gegen alle Führer der durchgemach
ten Epochen, Thiers-Barrot, Lamartine und Cavaignac-Marrast, niedergelegt hätten. Aber notieren wir die Tatsache, daß die Niederlage der revolutionären französischen Arbeiterklasse die Niederlage der republikanischen französischen Bourgeoisie, der sie eben erlegen war, als unvermeidliche Folge nach sich zog. Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig die neue Knebelung der Nationalitäten, die das Krähen des gallischen Hahns1121 mit heroischen Emanzipationsversuchen beantwortet hatten. Polen, Italien und Irland wurden noch einmal von preußischen, östreichischen und englischen Sbirren gebrandschatzt, geschändet, gemeuchelmordet. Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig die Niederlage der Mittelklassen in allen europäischen Ländern, wo die Mittelklassen, einen Augenblick mit dem Volke vereint, das Krähn des gallischen Hahns mit blutiger Schilderhebung gegen den Feudalismus beantwortet hatten. Neapel, Wien, Berlin! Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig der Sieg des Ostens über den Westen, die Niederlage der Zivilisation unter der Barbarei. In der Walachei begann die Unterdrückung der Romanen durch die Russen und ihre Werkzeuge, die Türken11931; in Wien erwürgten Kroaten, Pandurent1121, Tschechen, Sereschaner[8i] un(j ähnliches Lumpengesindel die germanische Freiheit, und in diesem Augenblicke ist der Zar allgegenwärtig in Europa. Der Sturz der Bourgeoisie in Frankreich, der Triumph der französischen Arbeiterklasse, die Emanzipation der Arbeiterklasse überhaupt ist also das Losungswort der europäischen Befreiung. Das Land aber, das ganze Nationen in seine Proletarier verwandelt, das mit seinen Riesenarmen die ganze Welt umspannt hält, das mit seinem Gelde schon einmal die Kosten der europäischen Restauration bestritten hat, in dessen eigenem Schöße die Klassengegensätze sich zur ausgeprägtesten, schamlosesten Form fortgetrieben haben — England scheint der Fels, an dem die Revolutionswogen scheitern, das die neue Gesellschaft schon im Mutterschoße aushungert. England beherrscht den Weltmarkt. Eine Umwälzung der national-ökonomischen Verhältnisse in jedem Lande des europäischen Kontinents, auf dem gesamten europäischen Kontinente ohne England, ist der Sturm in einem Glase Wasser.11941 Die Verhältnisse der Industrie und des Handels innerhalb jeder Nation sind beherrscht durch ihren Verkehr mit andern Nationen, sind bedingt durch ihr Verhältnis zum Weltmarkt. England aber beherrscht den Weltmarkt, und die Bourgeoisie beherrscht England. Die Befreiung Europas, sei es die Erhebung der unterdrückten Nationali
täten zur Unabhängigkeit, sei es der Sturz des feudalen Absolutismus,sindalso bedingt durch die siegreiche Erhebung der französischen Arbeiterklasse. Aber jede französisch-soziale Umwälzung scheitert notwendig an der englischen Bourgeoisie, an der industriellen und kommerziellen Weltherrschaft Großbritanniens. Jede partielle soziale Reform in Frankreich, und auf dem europäischen Kontinente überhaupt, ist und bleibt, soweit sie definitiv sein soll, ein hohler frommer Wunsch. Und das alte England wird nur gestürzt durch einen Weltkrieg, der allein der Chartistenpartei[117], der organisierten englischen Arbeiterpartei, die Bedingungen zu einer erfolgreichen Erhebung gegen ihre riesenhaften Unterdrücker bieten kann. Die Chartisten an der Spitze der englischen Regierung - erst mit diesem Augenblicke tritt die soziale Revolution aus dem Reiche der Utopie in das Reich der Wirklichkeit. Jeder europäische Krieg aber, worin England verwickelt wird, ist ein Weltkrieg. Er wird geführt in Kanada wie in Italien, in Ostindien wie in Preußen, in Afrika wie an der Donau. Und der europäische Krieg ist die erste Folge der siegreichen Arbeiterrevolution in Frankreich. England wird wie zu Napoleons Zeit an der Spitze der kontrerevolutionären Armeen stehen, aber durch den Krieg selbst an die Spitze der revolutionären Bewegung geworfen werden und seine Schuld gegen die Revolution des 18. Jahrhunderts einlösen. Revolutionäre Erhebung' der französischen Arbeiterklasse, Weltkrieg' - das ist die Inhaltsanzeige des Jahres 1849.
Ein Bourgeoisaktenstück
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 187 vom 5. Januar 1849] * Köln, 4. Januar. Die öffentliche Mildtätigkeit hat bekanntlich in England, wo die Herrschaft der Bourgeoisie am entwickeltsten ist, auch die edelsten und hochherzigsten Formen eingenommen. Die englischen workhouses — öffentliche Anstalten, worin die überzählige Arbeiterbevölkerung auf Kosten der bürgerlichen Gesellschaft fortvegetiert — verknüpfen in wahrhaft raffinierter Weise die Mildtätigkeit mit der Rache, welche die Bourgeoisie an den Elenden ausläßt, die gezwungen sind, an ihre Mildtätigkeit zu appellieren. Die armen Teufel werden nicht nur mit den elendesten, kümmerlichsten und kaum zur physischen Reproduktion ausreichenden Lebensmitteln gefüttert, auch ihre Tätigkeit wird auf eine ekelerregende, Geist und Körper abstumpfende, unproduktive Scheinarbeit beschränkt - z.B. Anspannung bei den Tretmühlen. Damit den Unglücklichen endlich die ganze Größe ihres Verbrechens klar wird, eines Verbrechens, das darin besteht, statt wie im gewöhnlichen Lebenslaufe ausbeutbare und Gewinn bringende Materie für die Bourgeoisie zu sein, vielmehr in kostende Materie für ihre gebornen Nießnutzer sich verwandelt zu haben, etwa wie auf dem Lager liegengebliebene Fässer Spiritus zur kostenden Materie für den Spiritushändler werden; damit sie die ganze Größe dieses Verbrechens empfinden lernen, wird ihnen alles entzogen, was dem gemeinsten Verbrecher gelassen wird, Umgang mit Frau und Kind, Unterhaltung, Sprache — alles. Und selbst diese „grausame Mildtätigkeit" der englischenBourgeoisie beruht keineswegs auf schwärmenden, sondern auf sehr praktischen, ganz berechenbaren Gründen. Einerseits könnte die bürgerliche Ordnung und die Handelstätigkeit auf eine beunruhigende Weise leiden, würden die Paupers von ganz Großbritannien plötzlich auf die Straße geschleudert. Andererseits bewegt sich die englische Industrie bald in Perioden fieberhafter Überproduktion, wo der Nachfrage nach Händen kaum zu entsprechen ist und die
Hände doch so wohlfeil als möglich beschafft werden sollen, bald in Perioden der Handelserschlaffung, wo die Produktion der Konsumtion weit vorauseilt und nur mit Mühe die Hälfte der Arbeiterarmee mit halber Löhnung nutzbar beschäftigt werden kann. Welch sinnreicheres Mittel als die workhouses, um eine Reservearmee für die günstigen Perioden bereitzuhalten und sie gleichzeitig während der ungünstigen Handelsperiode in diesen gottgefälligen Anstalten zur willen-, Widerstands-, anspruchs- und bedürfnislosen Maschine her anzuzüchtigen ? Die preußische Bourgeoisie zeichnet sich vor der englischen vorteilhaft aus, indem sie dem britischen politischen Hochmut, der an heidnische Römerart erinnert, alleruntertänigstes Ersterben in christlicher De- und Wehmut vor Thron, Altar, Armee, Bürokratie und Feudalismus entgegenhält; indem sie statt der kommerziellen Energie, die ganze Weltteile sich unterwirft, reichsbürgerlichen chinesischen Kleinkram treibt und den unruhigen gigantischen Erfindungsgeist in der Industrie durch biderb-sittliches Festhalten an althergebrachtem halbzunftmäßigem Schlendrian beschämt. Aber in einem Punkt nähert sich die preußische Bourgeoisie ihrem britischen Ideale, in der schamlosen Mißhandlung der Arbeiterklasse. Wenn sie als Korporation, im großen und ganzen betrachtet, auch hierin hinter den Briten zurückbleibt, so ist das einfach daraus zu erklären, daß sie im großen und ganzen, als nationale Klasse, aus Mangel an Mut, Verstand und Energie es überhaupt nie zu etwas gebracht hat und nie zu etwas Erklecklichem bringen wird. Sie existiert nicht in nationaler Weise, sie existiert nur provinzial, städtisch, lokal, privatim, und in diesen Formen tritt sie der Arbeiterklasse noch rücksichtsloser gegenüber wie die englische Bourgeoisie. Warum sehnten sich die Völker seit der Restaurationsepoche nach Napoleon, den sie eben noch an einen einsamen Felsen im Mittelmeer angeschmiedet hätten? Weil die Despotie eines Genies erträglicher ist als die Despotie eines Idioten. So kann der englische Arbeiter dem deutschen gegenüber noch einen gewissen Nationalstolz geltend machen, denn der Herr, der ihn knebelt, knebelt die ganze Welt, während der Herr des deutschen Arbeiters, der deutsche Bourgeois, ein Allerweltsknecht ist, und nichts fataler, demütigender, als der Knecht eines Knechtes zu sein. Als historisches Dokument für den Zynismus unserer Bourgeoisie, der Arbeiterklasse gegenüber, veröffentlichen wir wörtlich die „Arbeiterkarte welche die bei städtischen Arbeiten beschäftigten Proletarier in der guten Stadt Köln unterzeichnen müssen.
Arbeiterkarte
§ 1. Jeder Arbeiter hat den Anweisungen und Anordnungen sämtlicher städtischer Aufsichtsbeamten, welche zugleich als Polizeibeamte vereidet sind, pünktlich Folge zu leisten. Unfolgsamkfiit und Widersetzlichkeit ziehen sofortige Entlassung nach sich. § 2. Ohne besondere Erlaubnis des Bauaufsehers darf kein Arbeiter aus einer Abteilung in eine andere übertreten oder die Baustelle verlassen. § 3. Arbeiter, welche Karren, Karrenbretter oder sonstige Geräte aus einer andern Abteilung entwenden, um solche zu ihrer Arbeit zu gebrauchen, werden entlassen. § 4. Trunkenheit, Ruhestörung, Anstiftung von Zank, Streit oder Schlägerei haben sofortige Entlassung aus der Arbeit zur Folge. - Außerdem tritt in den dazu geeigneten Fällen die gesetzliche Verfolgung der Schuldigen durch die kompetenten Gerichte. § 5. Wer zehn Minuten zu spät auf der Arbeitsstelle erscheint, erhält für den betreffenden halben Tag keine Arbeit; im dritten Wiederholungsfalle kann die gänzliche Ausschließung von der Arbeit eintreten. § 6. Wenn Arbeiter auf ihren Antrag oder zur Strafe entlassen werden, so findet ihre Bezahlung am nächsten regelmäßigen Zahltage nach dem Verhältnisse der von ihnen gefertigten Arbeit statt. § 7. Die erfolgte Entlassung des Arbeiters wird auf der Arbeitskarte vermerkt. - Erfolgt die Entlassung zur Strafe, so wird dem Arbeiter nach Bewandtnis der Umstände die Wiederbeschäftigung auf der betreffenden Arbeitsstelle oder bei allen städtischen Arbeiten versagt. § 8. Von der Strafentlassung der Arbeiter und deren Veranlassung wird die Polizeibehörde jedesmal in Kenntnis gesetzt. § 9. Haben die Arbeiter Beschwerden gegen den Bauaufsichtsbeamten zu führen, so ist solche durch eine erwählte, aus drei Arbeitern bestehende Deputation bei dem Stadtbaumeister anzubringen. Dieser untersucht den Gegenstand der Beschwerde an Ort und Stelle und entscheidet darüber. § 10. Die Arbeitszeit ist festgestellt von morgens halb sieben Uhr bis mittags 12 Uhr und von nachmittags ein Uhr bis abends dunkel. (Schöner Stil!) §11. Unter diesen Bedingungen erhält der Arbeiter Beschäftigung. § 12. Die Zahlung wird am Samstagnachmittag auf der Baustelle geleistet.
Der vereidete Bauaufseher, zunächst [...] dessen Anordnungen Folge zu leisten. Köln
Können russische Erlasse von dem Selbstherrscher aller Reußen an seine Untertanen asiatischer abgefaßt sein? Den städtischen und sogar „sämtlichen städtischen Aufsichtsbeamten, welche zugleich als Polizeibeamte vereidet sind", ist „pünktliche Folge zu leisten. Unfolgsamkeit und Widersetzlichkeit ziehen sofortige Entlassung nach sich." Also vor allem passiver Gehorsam! Hinterher steht nach § 9 den Arbeitern das Recht zu, „Beschwerden bei dem Stadtbaumeister" zu führen. Dieser Pascha entscheidet unwiderruflich - natürlich gegen die Arbeiter, schon im Interesse der Hierarchie. Und wenn er entschieden hat, wenn die Arbeiter dem städtischen Interdikt verfallen sind - wehe ihnen, sie werden alsdann unter Polizeiaufsicht gestellt. Der letzte Schein ihrer bürgerlichen Freiheit geht verloren, denn nach § 8 wird „die Polizeibehörde von der Strafentlassung der Arbeiter und deren Veranlassung jedesmal in Kenntnis gesetzt". Aber, meine Herren, wenn ihr den Arbeiter entlassen, wenn ihr ihm den Kontrakt gekündigt habt, worin er seine Arbeit gegen euem Lohn einsetzt, was hat die Polizei dann noch in aller Welt mit dieser Aufkündigung eines bürgerlichen Vertrags zu tun? Ist der städtische Arbeiter ein Zuchthaussträfling? Wird er der Polizei denunziert, weil er die schuldige Ehrfurcht gegen euch, seine angeborne, wohl weise und edelmögende Obrigkeit verletzt hat? Würdet ihr den Bürger nicht verlachen, der euch der Polizei denunzierte, weil ihr diesen oder jenen Lieferungskontrakt gebrochen oder einen Wechsel nicht am Verfalltag ausgezahlt oder am Neujahrsabende über die Maßen getrunken habt? Aber allerdings! - Dem Arbeiter gegenüber steht ihr nicht im bürgerlichen Vertragsverhältnisse, ihr thront über ihm mit aller Gereiztheit der Herren von Gottes Gnaden! Die Polizei soll in eurem Dienst Konduitenliste über ihn führen. Nach § 5 wird, wer 10 Minuten zu spät kömmt, um einen halben Arbeitstag bestraft. Welch Verhältnis zwischen Vergehn und Strafe! Ihr habt euch um Jahrhunderte verspätet, und der Arbeiter soll nicht 10 Minuten nach halb sieben Uhr sich einfinden dürfen, ohne einen halben Arbeitstag zu verlieren? Damit endlich diese patriarchalische Willkür in keiner Weise beeinträchtigt wird und der Arbeiter rein eurer Laune anheimfällt, habt ihr den Strafmodus möglichst dem Gutdünken eurer Livreebedienten anheimgestellt. In „geeigneten Fällen", d.h. in euch geeignet dünkenden Fällen, folgt nach § 4 der Entlassung und der Denunziation bei der Polizei „gesetzliche Verfolgung der Schuldigen bei den kompetenten Gerichten". Nach § 5 „£cmn" die gänzliche Ausschließung des Arbeiters erfolgen, wenn er zum dritten Male 10 Minuten nach halb sieben zu spät kommt. Bei der Entlassung zur Strafe „wird" nach § 7 „dem Arbeiter nach Bewandtnis der Umstände die Beschäfti
gung auf der betreffenden Arbeitsstelle oder bei allen städtischen Arbeiten versagt" usw. usw. Welcher Spielraum für die Launen des verstimmten Bourgeois in diesem Kriminalkodex unsrer städtischen Catone, dieser großen Männer, die vor Berlin im Staube wedeln! Man mag aus diesem Mustergesetze ersehn, welche Charte unsre Bourgeoisie, säße sie am Ruder, dem Volke oktroyieren würde.
Geschrieben von Kar! Marx.
Das Budget der Vereinigten Staaten und das christlich-germanische
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 189 vom 7. Januar 1849] * Köln, 6. Januar. Was die preußische Regierung dem Lande kostet, haben wir endlich seit einigen Tagen schwarz auf weiß. Der „Preußische Staats-Anzeiger1^5 41 hat uns endlich mit dem Finanzetat für das Jahr 1849 gezeigt, wie schamlos wir in den bisherigen Budgets belogen worden sind. Überrascht hat dieses herrliche Neujahrsangebinde nur die, denen bislang jedes Wort der gottbegnadeten Regierung als heilige Wahrheit und der ganze seit 1820 mit uns getriebene Staatsfinanz-Humbug als ein Beweis von der Vortrefflichkeit unseres polizeistaatlichen Budgets erschien. Preußen ist ein Land von beiläufig 5000 Quadratmeilen und etwas über 16 Millionen] Einwohnern. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika umfassen ein Ländergebiet, dessen Oberfläche jetzt der von ganz Europa ziemlich nahe kommt und deren Einwohnerzahl über 21 Millionen] beträgt. Es gibt keine passendere Einleitung zu Betrachtungen über das preußische Budget pro 1849 als das Budget der nordamerikanischen Freistaaten. Eine Vergleichung beider Budgets zeigt, wie teuer der preußische Bourgeois das Vergnügen bezahlen muß, um von einer gottbegnadeten Regierung beherrscht, von ihren Söldlingen mit und ohne Belagerungszustände malträtiert und von einer Schar hochmütiger Beamten und Krautjunker en Canaille1 behandelt zu werden. Zugleich ergibt sich's aber, wie wohlfeil eine mutige, ihrer Macht bewußte und sie zu gebrauchen entschlossene Bourgeoisie ihre Regierung einrichten kann. Die beiderseitigen Budgets sind allein schon hinreichender Beweis für die
1 mit Verachtung
Feigheit, Borniertheit und Spießbürgerlichkeit der einen wie von dem Selbstgefühl, der Einsicht und Energie der andern. Sämtliche Ausgaben der Vereinigten Staaten während des Jahres 1848 beliefen sich auf 42 Millionen] 811970 Dollars. Hierin sind die Kosten für den mexikanischen Krieg einbegriffen, für einen Krieg, der 2000 Meilen weit vom Sitz der Zentralregierung geführt wurde. Man begreift, welche enorme Ausgaben der Transport der Armee wie aller für sie erforderlichen Gegenstände notwendig machte. Die Einnahme der Union betrug 35 Millionen] 436750 Dollars, und zwar 31 Millionen] 757070Doli[ars] Zollgebühren, 3Millionen] 328642 Doli[ars] aus dem Verkauf von Staatsländereien und 351037 Doli [ars] vermischte und zufällige Einnahmen. Da die gewöhnlichen Einnahmen wegen der Kriegskosten nicht ausreichten, so wurde das Fehlende durch Anleihen gedeckt, die über al pari abgeschlossen wurden1. Man frage einmal auf dem Geldmarkt an, ob die „christlich-germanische" Regierung auch nur 1000 T[a]l[e]r. zu so vorteilhaften Bedingungen aufzubringen imstande wäre! In den Vereinigten Staaten beginnt das Finanzjahr mit jedem I.Juli. Bis zum Juli 1849 werden die Ausgaben immer noch wegen des mexikanischen Krieges gegen sonst, freilich nicht im Vergleich mit Preußen, bedeutend sein. Dagegen kündigt der Präsident Polk in seiner Botschaft an den Kongreß für das nächste mit dem I.Juli 1850 endende Finanzjahr das gewöhnliche Friedensbudget an. Wie hoch belaufen sich die Ausgaben dieses mächtigen Staates — der nordamerikanischen Bourgeoisrepublik - in Friedenszeiten? Auf 33213152 Dollars, einschließlich der Zinsen (3799102 Doll[ars]) für die öffentliche Schuld und der am 30.Mai 1850 an Mexiko zu zahlenden 3540000 Dollars. Zieht man die beiden letzten Summen ab, die außergewöhnlich im Budget figurieren, so kostet die ganze Regierung und Verwaltung der Vereinigten Staaten jährlich noch nicht 26 Millionen Dollars. Und wieviel zahlen die preußischen Bürger in Friedenszeiten jährlich an den Staat? Die Antwort ist bitter. Der „Pr[eußische] St[aats-]A[nzeiger]" gibt sie uns. Sie lautet: mehr als 94 Millionen Taler jährlich! Während also die 21 Millionen Bewohner der nordamerikanischen Republik bei ihrer Wohlhabenheit, ja bei ihrem Reichtum kaum 26 Millionen Dollars - also noch nicht 38 Millionen Taler pr[eußisch] Kur[ant] - an die Staats
1 die zu einem Kurswert abgeschlossen wurden, der über dem Nennwert jag
kasse abgeben, müssen die 16 Mill[ionen] Preußen bei ihrer verhältnismäßigen Armut jährlich an 94 Millionen] Taler dem Staatsschatze in den Rachen werfen, und doch ist er auch damit noch nicht befriedigt. Aber seien wir nicht ungerecht! Die nordamerikanische Republik besitzt dafür auch nichts weiter als einen je auf 4 Jahre gewählten Präsidenten, der freilich für das Land mehr arbeitet als ein Dutzend Könige und Kaiser zusammengenommen. Allein er bezieht dagegen nur den lumpigen Jahresgehalt von 37000 Tlr. preuß. Kurfant]. In diese winzige Summe von 37000 Tlr. läßt sich der ganze Schmerz eines christlich-preußischen Gemüts mit Gott für König und Junkerschaft zusammenfassen. Keine Kammerherren, Hof juweliere, kein Besprengen der Chaussee nach Charlottenburg für Hofdamen, keine Wildpark-Apparate auf Kosten des Bürgers usw. O es ist schrecklich! Das Schrecklichste aber ist, daß diese Nordamerikaner diese Schrecklichkeit, diese Öde, diese Gottverlassenheit nicht einmal zu begreifen scheinen. Wie ganz anders bei uns. Zahlen wir auch drei- und viermal mehr, so erfreuen wir uns auch an Dingen, die jene nicht haben, für 37000 Tlr. nicht haben können. Wir erfreuen und erquicken uns an dem Glänze eines gottbegnadeten Hofes, der — man weiß es nicht genau, aber nach ungefährer Schätzung - dem Volke jährlich 4 bis 5 Millionen kostet. Während die Amerikaner so närrische Käuze sind, ihr Geld möglichst zum eigenen Glänze und zum eigenen Nutzen zu behalten, fühlen wir uns christlich-germanisch verpflichtet, unsern Glanz, d.h. unser Geld, von uns zu werfen und andere damit glänzen zu lassen. Und vom Glänze abgesehen, welche Wohltaten bietet nicht ein aus den Taschen des Volks reichausgestatteter Hof für eine Masse pauvrer1 Grafen, Barone, Freiherrn, simple Vons etc.? Eine Menge dieser Leute, die nur auf Konsumtion, nicht auf Produktion eingerichtet sind, würde am Ende elendiglich verderben, wenn sie nicht auf feine Weise ein öffentliches Almosen erhielten. Wollte man alle Wohltaten und Vorteile der Reihe nach durchgehen, wir würden heut nicht fertig. Und wie weit stehen die Amerikaner wegen ihres kleinen Budgets noch in andern Beziehungen hinter uns zurück! Bei ihnen erhielte z.B. Herr Oberpräsident Boetticher kein Geschenk von 3000 Tlrn. aus der Staatskasse. Er könne mit seinem schönen Gehalt zufrieden sein, würde es heißen. Für Grafen und Barone fiele nichts ab zur Kindererziehung, Die nordamerikanische Republik würde zu diesen gnädigen Herrn in solchem Falle sagen: Alors il faut s'abstenir d'avoir des enfants!3 Ein
1 armer - 2 Man muß sich eben des Kinderkriegens enthalten!
„Hüser" wäre dort um seine jährliche Gratifikation von 6000Talern geprellt und müßte sich mit seinem Gehalt begnügen, ja letzterer würde vielleicht auf 3000 Tlr. vermindert. Damit sollte ein Mensch, ein preußischer Mensch, ein christlich-germanischer General leben? Ruchloser Gedanke! Apage!1 Den Amerikanern geht, wie Herrn Hansemann, alle Gemütlichkeit in Geldfragen11451 ab. Sie würden dem Don Carlos höchstens einige whippings2, aber nimmermehr 700000 Tlr. zukommen lassen, damit er nebst seinen Granden und Mönchen sich bene3 tun und für die Metternichsche Legitimität fechten könne. Das vermag nur ein gottbegnadetes Königtum, dem die Taschen des Volkes jederzeit und von Rechts wegen geöffnet bleiben müssen. Sind die Abgaben des Amerikaners an den Staat freilich sehr unbedeutend, so hat er andererseits auch nur ein stehendes Heer von 10000 Mann, das bloß in Kriegszeiten aufs schnellste bis zu 2 Millionen kräftiger Streiter vermehrt werden kann. Er kennt nicht im entferntesten das Glück, den besten Teil der Steuern auf ein Kriegsheer verwenden zu dürfen, das uns in Friedenszeit belagert, malträtiert, verwundet und totschießt — alles zum Ruhm und zur Ehre des Vaterlandes. Allein was hilft's? Diese Bourgeoisrepublikaner sind einmal so starrköpfig, daß sie von unsern christlich-germanischen Einrichtungen nichts wissen, ja geringe Steuern lieber zahlen wollen als hohe. Ebenso hartnäckig besteht der deutsche Bourgeois darauf, daß das Gottesgnadentum mit seinem Kriegs- und Beamtenheere, seinen Scharen von Pensionierten, seinen Gratifikationen, Extraordinariis etc. gar nicht hoch genug bezahlt werden kann. Der Geldsackrepublikaner von Nordamerika und der Bourgeois in Preußen verhalten sich eben just zueinander wie ihre Budgets, wie 37 zu 94 Millionen. Der eine selbst-, der andere gottbegnadet: Das ist die eigentliche Differenz.
1Hebe dich von mir.' —2 Peitschenhiebe — 3 gütlich
Eine Neujahrsgratulation
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 190 vom 9. Januar 1849] * Köln, S.Januar. Daß uns Pastor und Kantor, Küster und Balgentreter, Barbier und Nachtwächter, Flurschütz, Totengräber usw. das neue Jahr eingratulieren, ist eine ebenso alte wie stets sich erneuende Sitte, die uns gleichgültig läßt. Allein das Jahr 1849 begnügt sich nicht mit dem Herkömmlichen. Seinen Eintritt bezeichnete es mit Niedagewesenem, mit einer Neujahrsgratulation des Königs von Preußen. Es ist ein Neujahrswunsch zustande gekommen, nicht ans preußische Volk, auch nicht „An meine lieben Berliner"11951, sondern „An mein Heer"[196]. Dieses königliche Neujahrsskriptum blickt „mit Stolz" auf das Heer, weil es treu blieb, „als" (die März-)„ Empörung die friedliche Entwickelung der freisinnigen Institutionen störte, denen Ich Mein Volk besonnen entgegenführen wollte". Früher sprach man von März-Ereignissen, von „Mißverständnissen" u. dgl. Jetzt bedarf es nicht mehr der Umhüllung: Die März- „Mißverständnisse" werden uns als „Empörung" ins Gesicht geschleudert. Aus der königlichen Neujahrsgratulation weht uns der nämliche Geist entgegen wie aus den Spalten der „Kreuzritterin"131. Wie jene von „Empörung" spricht, so diese von ruhmlosen „Märzverbrechern", von verbrecherischem Gesindel, das im März die Ruhe des Berliner Schloßlebens unterbrochen. Fragen wir, weshalb die März-„Empörung" so überaus empörend ist, so lautet die Erwiderung: „weil sie die friedliche Entwickelung der freisinnigen(!!) Institutionen störte etc." Schliefet ihr nicht im Friedrichshain[197], ihr Empörer des März, ihr müßtet jetzt mit „Pulver und Blei" oder lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt
werden. In eurer Ruchlosigkeit habt ihr ja „die friedliche Entwickelung der freisinnigen Institutionen" gestört! Bedarf es wohl der Rückerinnerung an jene königl[ich]-preuß[ische] Entwickelung „freisinniger Institutionen", an die freisinnigste Entwickelung des Geldverschwendens, an die „friedliche" Ausdehnung des Muckertums und der königlich-preußischen Jesuiterei, an die friedliche Entwickelung des Polizei- und Kasernentums, der Spionerie, des Truges, der Heuchelei, des Übermuts und endlich der ekelhaftesten Volksvertierung neben der schamlosesten Korruption in den sogen, höhern Klassen? Es bedarf dieser Rückerinnerung um so weniger, als wir nur um uns zu blicken, nur die Hände auszustrecken brauchen, um jene „gestörte Entwickelung" wieder in vollster Blüte vor uns zu sehen und uns an der verdoppelten Auflage der gedachten „freisinnigen Institutionen" zu erquicken.
„Meine Armee", heißt's in dem königl[ichenl Gratulationsschreiben weiter, „hat ihren alten Ruhm bewährt und neuen geerntet."
Jawohl! Sie hat so viel Ruhm geerntet, daß höchstens die Kroaten11121 einen größern beanspruchen dürfen. Aber wo und wie geerntet? Erstens „schmückte sie ihre Fahnen mit neuen Lorbeern, als Deutschland Unsrer Waffen in Schleswig bedurfte". Major Wildenbruchs an die dänische Regierung gerichtete preußische Note[198] ist die Grundlage, auf welcher der neue preußische Ruhm sich auftürmte. Die ganze Kriegsführung paßte vortrefflich zu jener Note, die dem dänischen Herrn Vetter1 versicherte: es sei der preußischen Regierung ja gar nicht Ernst, sie werfe nur den Republikanern einen Köder hin und den übrigen Leuten Sand in die Augen, damit man nur Zeit gewinne. Und Zeit gewonnen, alles gewonnen. Später werde rrian sich aufs fidelste verständigen. Herr Wrangel, über den die öffentliche Meinung längere Zeit irrgeführt wurde, Herr Wrangel verließ Schleswig-Holstein heimlich wie ein Dieb in der Nacht. Er reiste in Zivil, um nicht erkannt zu werden. In Hamburg erklärten sämtliche Gastwirte, daß sie ihn nicht beherbergen könnten. Ihre Häuser und die Fenster und Türen darin hätten sie viel lieber, als die vom Volke mißachteten, aber in diesem ruhmreichen Herrn verkörperten Lorbeeren der preußischen Armee. Vergessen wir auch nicht, daß der einzige Erfolg in diesem Feldzuge nutz- und sinnloser Hin- und Herzüge, der vollständig an die Prozedur der alten Reichsgerichte erinnerte (siehe unsere Nummern der damaligen Zeit2), ein strategischer Fehler war.
1 Friedrich VII. — 2 siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 34/35 und 256-259
11 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Das einzig Überraschende an diesem Feldzuge ist die namenlose Keckheit der Dänen, die das preußische Heer mutwillig foppten und Preußen vollständig vom Weltmarkt abschnitten. Zur Vervollständigung des preußischen Ruhmes, nach dieser Seite hin, gehören außerdem die Friedensunterhandlungen mit Dänemark und der daraus entsprungene Malmöer Waffenstillstand11341. Wenn der römische Kaiser1 ein Geldstück, das für Urinsteuer eingegangen war, daran riechend, sagen konnte: „Non olet" (es riecht nicht), so steht dagegen auf den in Schleswig-Holstein geernteten preußischen Lorbeeren in ünvertilgbaren Zeichen: „Olet!" (Es stinkt!)
Zweitens „bestand Mein Heer siegreich Mühseligkeiten und Gefahren, als im Großherzogtum Posen die Insurrektion zu bekämpfen war".
Was die „siegreichen Mühseligkeiten" betrifft, so sind sie folgende: Preußen beutete erstens die hochherzige von Berlin aus auf glatten Worten genährte Illusion der Polen aus, die in den „Pommern" deutsche Waffengenossen gegen Rußland erblickten, daher ruhig ihre Armee auflösten, die Pommern einrücken ließen und erst die auseinandergesprengten Cadres wieder sammelten, als die Preußen Widerstandslose aufs schnödeste brutalisierten. Und nun die preußischen Heldentaten! Nicht während des Krieges, nach dem Kriege spielen die Heldentaten der „glorreichen" preußischen Armee.tl32] Als Mieroslawski dem Junisieger vorgestellt wurde, war Cavaignacs erste Frage, wie die Preußen es angefangen hätten, um bei Miloslaw geschlagen zu werden. (Wir können dies durch Ohrenzeugen beweisen.) 3000 Polen, kaum mit Sensen und Piken bewaffnet, schlagen zweimal und nötigen zweimal zum Rückzüge 20000 Mann wohlorganisierte und reichlich mit Geschütz versehene Preußen. Die preußische Kavallerie warf selbst in wilder Flucht die preußische Infanterie über den Haufen. Die polnische Insurrektion behauptet Miloslaw, nachdem sie die Kontrerevolution zweimal aus der Stadt herausgeschlagen. Schmählicher noch als die Niederlage der Preußen bei Miloslaw war ihr endlicher durch eine Niederlage vorbereiteter Sieg bei Wreschen. Wenn ein unbewaffneter, aber herkulischer Gegner einem mit Pistolen ausgerüsteten Feigling gegenübersteht, so flieht der Feigling und feuert aus gehöriger Ferne die Pistolen ab. So machten's die Preußen bei Wreschen. Sie flohen bis zu einer Entfernung, wo sie Kartätschen, mit 150 Kugeln gefüllte Granaten, und Schrapnells auf Piken und Sensen, die bekanntlich in der Ferne nicht treffen, abfeuern konnten. Die Schrapnells wurden sonst nur von den Engländern
1 Vespasian
gegen ostindische Halbwilde abgefeuert. Erst die braven Preußen, in fanatischer Angst vor der polnischen Tapferkeit und im Gefühle ihrer eigenen Schwäche, wandten die Schrapnells gegen sogenannte Mitbürger an. Sie mußten natürlich nach einem Mittel suchen, die Polen massenhaft aus der Ferne zu töten. Die Polen in der Nähe waren zu fürchterlich. Das war der glorreiche Sieg bei Wreschen. Aber, wie gesagt, nach dem Kriege beginnen erst die Heldentaten der preußischen Armee, wie die Heldentaten der Kerkermeister nach dem Urteilsspruch. Daß dieser Ruhm des preußischen Heeres in der Geschichte fortleben wird, dafür bürgen die Tausende der durch preußischen Verrat und schwarzweiße^471 Tücke mit Schrapnells, Spitzkugeln etc. hingemordeten und der später gehöllensteinten Polen[199]. Von diesem zweiten Lorbeerbündel der Kontrerevolutionsarmee haben die von preußischen Helden angezündeten Dörfer und Städte, die mit Kolben und Bajonetten in ihren Häusern zerstoßenen und massakrierten polnischen Bewohner, die Plünderungen und preußischen Brutalitäten aller Arten hinreichendes Zeugnis abgelegt. Unsterblicher Ruhm für diese preußischen Krieger in Posen, die den Weg angebahnt, auf welchem bald darauf der neapolitanische Henkersknecht[200] einherwandelte, als er seine getreue Hauptstadt zusammenschoß und der Soldateska zur 24stündigen Plünderung überwies. Heil und Ruhm dem preußischen Heere aus demPosener Feldzuge! Denn er leuchtete den Kroaten[112], Sereschanern[81], Ottochanern[201] und andern Horden des Windischgrätz und Konsorten mit einem Beispiel voran, das, wie Prag (im Juni), Wien, Preßburg etc. beweisen12021, zur würdigsten Nachfolge angefeuert hat. Und schließlich fand selbst dieser Mut der Preußen gegen die Polen nur aus Furcht vor den Russen statt. „Aller guten Dinge müssen drei sein." Also mußte auch „Mein Heer" einen dreifachen Ruhm ernten. Die Gelegenheit hierzu blieb nicht aus. Denn „ihre Mitwirkung zur Erhaltung der Ordnung (!) in Süddeutschland erwarb dem preußischen Neimen neue Anerkennung". Nur Bosheit oder Verkleinerungssucht könnte es ableugnen, daß „Meine Armee" dem Bundestage — der sich beim Umtaufen modernisierte und Zentralgewalt nennen ließ — die trefflichsten Büttel- und Gendarmendienste geleistet hat. Ebensowenig ist in Abrede zu stellen, daß sich der preußische Name im Vertilgen von süddeutschem Wein, Fleisch, Zider etc. vollständige Anerkennung erworben hat. Die ausgehungerten Märker, Pommern etc. haben sich ein patriotisches Ränzlein angemästet, die Durstigen haben sich erquickt und überhaupt alles, was ihnen die süddeutschen Quartiergeber vorsetzten, mit so
heroischem Mute zu vertilgen gewußt, daß dort der preußische Name überall die lauteste Anerkennung findet. Schade, daß die Quartierbillets noch nicht bezahlt sind: Die Anerkennung wäre noch lauter. Der Ruhm „Meiner Armee" ist eigentlich unerschöpflich; doch darf nicht übergangen werden, daß, „wo Ich rief, sie bereit stand, in voller Treue, in voller Disziplin", und gleich merkwürdig ist es, der Nachwelt mitzuteilen, daß „Meine Armee abscheulichen Verleumdungen ihren vortrefflichen Geist und edle Mannszucht entgegenstellte". Wie schmeichelhaft ist die Gratulation für „Meine Armee", indem ihr darin die „volle Disziplin" und die „edle Mannszucht" und damit nochmals ihre Heldentaten im Großherzogtum, außerdem aber die Lorbeeren in Mainz, Schweidnitz, Trier, Erfurt, Berlin, Köln, Düsseldorf, Aachen, Koblenz, Münster, Minden usw. in angenehme Erinnerung gebracht werden. Wir andern aber, die nicht zu „Meiner Armee" gehören, erweitern dabei unsre beschränkten Untertanenbegriffe. Greise und schwangere Frauen niederschießen, stehlen (in der Nähe von Ostrotvo protokollmäßig aufgenommen), ruhige Bürger mit Kolben und Säbeln mißhandeln, Häuser demolieren, in der Nacht mit unterm Mantel versteckten Waffen gegen unbewaffnete Leute ausziehen, Wegelagerung (man erinnere sich des Abenteuers bei Neuwied) — dieser und ähnlicher Heroismus heißt auf christlich-germanisch: „volle Disziplin", „edle Mannszucht"/ Es lebe die Mannszucht und die Disziplin, da die unter solcher Firma Gemordeten doch einmal tot sind. Die wenigen Stellen, die wir aus der königl[ich]-preußischen] Neujahrsgratulation berührt haben, zeigen uns, daß dieses Schriftstück seiner Bedeutung und seinem Geiste nach mit dem Manifeste des Herzogs von Braunschweig pro 1792[203] auf gleicher Stufe steht.
Der magyarische Kampf[2ü4]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 194 vom 13. Januar 1849] * Köln, im Januar. Während in Italien bereits der erste Gegenschlag gegen die Kontrerevolution des letzten Sommers und Herbstes eintritt1, wird in den ungarischen Ebenen der letzte Unterdrückungskampf gegen die unmittelbar aus der Februarrevolution hervorgegangene Bewegung vollendet. Die neue italienische Bewegung ist das Vorspiel der Bewegung von 1849, der Krieg gegen die Magyaren das Nachspiel der Bewegung von 1848. Wahrscheinlich wird sich dies Nachspiel noch in das neue Drama hinüberziehen, das sich in der Stille vorbereitet. Heroisch, wie die ersten rasch aufeinanderfolgenden Szenen der 48er Revolutionstragödie, wie der Fall von Paris und Wien, wohltuend heroisch nach den teils matten, teils kleinlichen Zwischenszenen zwischen Juni und Oktober, ist auch das Nachspiel. Der letzte Akt von 1848 spielt hinüber in den ersten von 1849 durch den Terrorismus. Zum ersten Mal in der revolutionären Bewegung von 1848, zum ersten Mal seit 1793, wagt es eine von der kontrerevolutionären Ubermacht umzingelte Nation, der feigen kontrerevolutionären Wut die revolutionäre Leidenschaft, der terreur blanche die terreur rouge1 entgegenzustellen. Zum ersten Male seit langer Zeit finden wir einen wirklich revolutionären Charakter, einen Mann, der den Handschuh des Verzweiflungskampfes im Namen seines Volkes aufzunehmen wagt, der für seine Nation Danton und Carnot in einer Person ist — Ludwig Kossuth. Die Übermacht ist furchtbar. Ganz Österreich, voran 16 Millionen] fanatisierte Slawen, gegen 4 Millionen Magyaren.
1 Siehe vorl. Band, S. 77-80 - 2 dem weißen Terror den roten Terror
Der Aufstand in Masse, die nationale Waffenfabrikation, die Assignaten, der kurze Prozeß mit jedem, der die revolutionäre Bewegung hemmt, die Revolution in Permanenz, kurz alle Hauptzüge des glorreichen Jahres 1793 finden wir wieder in dem von Kossuth bewaffneten, organisierten, enthusiasmierten Ungarn. Diese revolutionäre Organisation, die sozusagen binnen 24 Stunden fertig sein muß bei Strafe des Untergangs, sie fehlte in Wien, sonst wäre Windischgrätz nie hineingekommen. Wir wollen sehen, ob er nach Ungarn hineinkommt, trotz dieser revolutionären Organisation. Sehen wir uns den Kampf und die kämpfenden Parteien näher an. Die österreichische Monarchie ging hervor aus dem Versuch, Deutschland in derselben Weise zu einer einzigen Monarchie zu vereinigen, wie die französischen] Könige bis auf Ludwig XI. dies in Frankreich durchführten. Der Versuch scheiterte an der erbärmlichen Lokalborniertheit der Deutschen wie der Österreicher und an dem entsprechenden kleinkrämerhaften Geiste des Hauses Habsburg. Anstatt ganz Deutschlands erhielten die Habsburger nur diejenigen süddeutschen Länder, die im direkten Kampfe mit vereinzelten Slawenstämmen lagen oder in denen ein deutscher Feudaladel und eine deutsche Bürgerschaft vereint unterjochte Slawenstämme beherrschten. In beiden Fällen hatten die Deutschen jeder Provinz Unterstützung von außen nötig. Diese Unterstützung ward ihnen durch die Assoziation gegen die Slawen, und diese Assoziation kam zustande durch die Vereinigung der fraglichen Provinzen unter dem habsburgischen Zepter. So entstand Deutsch-Österreich. Man braucht nur im ersten besten Kompendium nachzulesen, wie die österreichische Monarchie zustande keim, wie sie sich wieder trennte und abermals zustande kam, alles im Kampfe gegen die Slawen, um zu sehen, wie richtig diese Darstellung ist. An Deutsch-Österreich stößt Ungarn. In Ungarn führten die Magyaren denselben Kampf wie die Deutschen in Deutsch-Österreich. Der zwischen slawischen Barbaren vorgeschobene deutsche Keil im Erzherzogtume Österreich und Steiermark bot dem ebenfalls zwischen slawischen Barbaren vorgeschobenen magyarischen Keil an der Leitha die Hand. Wie im Süden und Norden, in Böhmen, Mähren, Kärnten und Krain der deutsche Adel slawische Stämme beherrschte, germanisierte und damit in die europäische Bewegung hineinriß, so beherrschte im Süden und Norden, in Kroatien, Slawonien und den Karpatenländern magyarischer Adel ebenfalls slawische Stämme. Die Interessen beider waren dieselben, die Gegner beider waren natürliche Verbündete. Die Allianz der Magyaren und der österreichischen Deutschen war eine Notwendigkeit. Es fehlte nur noch eine große Tatsache, ein gewaltiger Angriff auf beide, um diese Allianz unauflöslich zu machen. Diese Tatsache
kam mit der Eroberung des byzantinischen Reichs durch die Türken. Die Türken bedrohten Ungarn und in zweiter Instanz Wien, und Ungarn kam auf Jahrhunderte unauflöslich an das Haus Habsburg. Aber die gemeinsamen Gegner beider wurden allmählich schwach. Das türkische Reich verfiel in Ohnmacht, und die Slawen verloren die Kraft, sich gegen die Magyaren und Deutschen zu erheben. Ja, ein Teil des in den slawischen Ländern herrschenden deutschen und magyarischen Adels nahm slawische Nationalität an, und damit wurden die slawischen Nationen selbst an der Erhaltung einer Monarchie interessiert, die den Adel mehr und gegen die sich entwickelnde deutsche und magyarische Bürgerschaft zu schützen hatte. Die nationalen Gegensätze verschwanden, und das Haus Habsburg nahm eine andere Politik an. Dasselbe Haus Habsburg, das sich auf den Schultern der deutschen Spießbürgerschaft auf den deutschen Kaiserthron geschwungen hatte, wurde entschiedener als irgendeine andere Dynastie der Vertreter des Feudaladels gegenüber der Bürgerschaft. In diesem Sinne beteiligte sich Ostreich an der Teilung Polens. Die großen galizischen Starosten und Woiwoden, die Potockis, Lubomirskis und Czartoryskis verrieten Polen an Ostreich und wurden die treuesten Stützen des Hauses Habsburg, das ihnen dafür ihren Besitz gegen die Angriffe des niedern Adels und der Bürgerschaft garantierte. Aber die Bürgerschaft der Städte gewann immer mehr Reichtum und Einfluß, und der mit der Industrie fortschreitende Ackerbau gab den Bauern eine veränderte Stellung gegen die Grundherren. Die Bewegung der Bürger und Bauern gegen den Adel wurde immer drohender. Und da die Bewegung der Bauern, die überall die Träger der nationalen und lokalen Borniertheit sind, notwendig eine lokale und nationale ist, so tauchten mit ihr zugleich die alten nationalen Kämpfe wieder auf. In dieser Lage der Dinge machte Metternich sein Meisterstück. Mit Ausnahme der allermächtigsten Feudalbarone nahm er dem übrigen Adel allen Einfluß auf die Staatsleitung. Der Bourgeoisie nahm er ihre Kraft, indem er die mächtigsten Finanzbarone für sich gewann — er mußte es wohl, die Finanzen zwangen ihn dazu. So gestützt auf die hohe Feudalität und die hohe Finanz, sowie auf die Bürokratie und die Armee, erreichte er am vollständigsten von allen seinen Rivalen das Ideal der absoluten Monarchie. Die Bürger und Bauern jeder Nation hielt er durch den Adel derselben Nation und die Bauern jeder andern Nation, den Adel jeder Nation durch die Furcht vor den Bürgern und Bauern ihrer Nation im Zaume. Die verschiedenen Klasseninteressen, Nationalborniertheiten und Lokalvorurteile, so kompliziert sie waren, hielten sich gegenseitig vollständig im Schach und erlaubten dem alten Gauner
Metternich die freieste Bewegung. Wie weit er es in dieser Völkeraneinanderhetzung gebracht, beweisen die galizischen Mordszenen[205], wo Metternich die demokratische, im Interesse der Bauern begonnene polnische Bewegung durch die religiös und national fanatisierten ruthenischen12061 Bauern selbst unterdrückte. Das Jahr 1848 brachte zuerst die furchtbarste Verwirrung nach Ostreich, indem es alle diese verschiedenen, bisher durch Metternich einander knechtenden Stämme einen Moment freiließ. Deutsche, Magyaren, Tschechen, Polen, Mähren, Slowaken, Kroaten, Ruthenen, Rumänen, Illyrier, Serben gerieten untereinander in Konflikt,während in jeder dieser Nationen die einzelnen Klassen sich ebenfalls bekämpften. Aber bald kam Ordnung in diesen Wirrwarr. Die Streitenden teilten sich in zwei große Heerlager; auf der einen Seite der Revolution die Deutschen, Polen und Magyaren; auf der Seite der Kontrerevolution die übrigen, die sämtlichen Slawen mit Ausnahme der Polen, die Rumänen und die siebenbürgischen Sachsen. Woher kömmt diese Scheidung nach Nationen, welche Tatsachen liegen ihr zugrunde? Diese Scheidung entspricht der ganzen bisherigen Geschichte der freiglichen Stämme. Sie ist der Anfang der Entscheidung über das Leben oder den Tod aller dieser großen und kleinen Nationen. Die ganze frühere Geschichte Ostreichs beweist es bis auf diesen Tag, und das Jahr 1848 hat es bestätigt. Unter allen den Nationen und Natiönchen Ostreichs sind nur drei, die die Träger des Fortschritts waren, die aktiv in die Geschichte eingegriffen haben, die noch jetzt lebensfähig sind — die Deutschen, die Polen, die Magyaren. Daher sind sie jetzt revolutionär. Alle andern großen und kleinen Stämme und Völker haben zunächst die Mission, im revolutionären Weltsturm unterzugehen. Daher sind sie jetzt kontrerevolutionär. Was die Polen betrifft, so verweisen wir auf unsern Artikel über die Polendebatte in Frankfurt1. Um ihren revolutionären Geist zu bändigen, appellierte schon Metternich an die Ruthenen, einen durch etwas verschiedenen Dialekt und namentlich durch die griechische Religion sich von den Polen unterscheidenden Stamm, der von jeher zu Polen gehört hatte und erst durch Metternich erfuhr, daß die Polen seine Unterdrücker seien. Als ob nicht im altenPolen die Polen selbst, ebensogut wie die Ruthenen, unterdrückt worden seien, als ob unter östreichischer Herrschaft Metternich nicht ihr gemeinsamer Unterdrücker gewesen sei!
Soviel über Polen und Ruthenen, die durch Geschichte und geographische Lage übrigens so sehr vom eigentlichen Osterreich getrennt sind, daß wir vor allen Dingen sie beseitigen mußten, um mit dem übrigen Völkerwirrwarr ins reine zu kommen. Bemerken wir indes vorher noch, daß es bei den Polen große politische Einsicht und echt revolutionären Sinn verrät, wenn sie jetzt im Bunde mit ihren alten Feinden, den Deutschen und Magyaren, gegen die panslawistische Kontrerevolution auftreten. Ein slawisches Volk, dem die Freiheit lieber ist als das Slawentum, beweist allein dadurch seine Lebensfähigkeit, sichert sich, schon dadurch seine Zukunft. Nun zum eigentlichen Österreich. Österreich, südlich von Sudeten und Karpaten, das obere Elbtal und das mittlere Donaugebiet, bildet ein im früheren Mittelalter ausschließlich von Slawen bewohntes Land. Diese Slawen gehören nach Sprache und Sitten demselben Stamm an wie die Slawen der Türkei, die Serben, Bosniaken, Bulgaren und thrazischen und mazedonischen Slawen, dem Stamme der, im Gegensatz gegen Polen und Russen, sogenannten Südslawen. Außer diesen verwandten slawischen Stämmen war das ungeheure Gebiet vom Schwarzen Meer bis zum Böhmerwald und den Tiroler Alpen nur noch im Süden des Balkan von einzelnen Griechen, im Unterdonaugebiet von zersprengten, romanisch redenden Walachen bewohnt. Zwischen diese kompakte slawische Masse schoben sich von Westen die Deutschen, von Osten die Magyaren keilförmig ein. Das deutsche Element eroberte den westlichen Teil von Böhmen und drang zu beiden Seiten der Donau bis über die Leitha vor. Das Erzherzogtum Östreich, ein Teil von Mähren, der größte Teil von Steiermark wurden germanisiert und trennte so die Tschechen und Mähren von den Kärntnern und Krainern. Ebenso wurde Siebenbürgen und das mittlere Ungarn bis an die deutsche Grenze ganz von Slawen gereinigt und von den Magyaren besetzt, die hier die Slowaken und einige ruthenische Gegenden (im Norden) von den Serben, Kroaten und Slawoniern trennten und sich alle diese Völker unterwarfen. Die Türken endlich unterjochten, nach dem Vorgange der Byzantiner, die Slawen südlich von Donau und Save, und die historische Rolle der Südslawen war für immer ausgespielt. Der letzte Versuch der Südslawen, selbständig in die Geschichte einzugreifen, war der Hussitenkrieg, ein tschechisch-nationaler Bauernkrieg religiöser Fahne gegen deutschen Adel und deutsche kaiserliche Oberherrschaft. Der Versuch scheiterte, und die Tschechen blieben seitdem ununterbrochen ans Schlepptau des deutschen Reichs gefesselt.
Dagegen übernahmen ihre Besieger, die Deutschen und Magyaren, die geschichtliche Initiative in den Donaugegenden. Ohne die Deutschen und namentlich ohne die Magyaren wären die Südslawen türkisch geworden, wie ein Teil es wirklich wurde - ja mohammedanisch, wie die slawischen Bosniaken noch heute sind. Und das ist ein Dienst, den die österreichischen Südslawen selbst mit der Vertauschung ihrer Nationalität gegen die deutsche oder magyarische nicht zu teuer bezahlen. Die türkische Invasion des 15. und 16. Jahrhunderts war die zweite Auflage der arabischen aus dem 8. Jahrhundert. Der Sieg Karl MartellsC207] ward unter den Mauern Wiens und in den ungarischen Ebenen aber und abermals erfochten. Wie damals bei Poitiers, wie nachher bei WahlstattC208] beim Mongoleneinfall, war hier wieder die ganze europäische Entwicklung bedroht. Und wo es galt, diese zu retten, da sollte es auf ein paar längst zerfallene, ohnmächtig gewordene Nationalitäten ankommen, wie die österreichischen Slawen, die obendrein ja mitgerettet wurden? Wie nach außen, so nach innen. Die treibende Klasse, die Trägerin der Bewegung, die Bürgerschaft, war überall deutsch oder magyarisch. Die Slawen haben es schwer, die Südslawen aber nur ganz stellenweise zu einer nationalen Bürgerschaft bringen können. Und mit der Bürgerschaft war die industrielle Macht, war das Kapital in deutschen resp. magyarischen Händen, entwickelte sich deutsche Bildung, kamen die Slawen auch intellektuell unter die Botmäßigkeit der Deutschen, selbst bis nach Kroatien hinein. Dasselbe geschah, nur später und deshalb in geringerem Maße in Ungarn, wo die Magyaren gemeinsam mit den Deutschen die intellektuelle und kommerzielle Leitung übernahmen. Die ungarischen Deutschen sind aber, trotz der beibehaltenen deutschen Sprache, nach Gesinnung, Charakter und Sitte echte Magyaren geworden. Nur die neueingeführten Bauernkolonisten, die Juden und die Sachsen in Siebenbürgen,1 machen eine Ausnahme und steifen sich auf die Beibehaltung einer absurden Nationalität mitten in fremdem Lande. Und wenn die Magyaren in der Zivilisation etwas hinter den Deutschösterreichern zurückgeblieben waren, so haben sie in der neueren Zeit durch ihre politische Tätigkeit dies glänzend nachgeholt. Von 1830-1848 existierte in Ungarn allein mehr politisches Leben als in ganz Deutschland, wurden die feudalen Formen der alten ungarischen Verfassung im demokratischen Interesse besser ausgebeutet als die modernen Formen der süddeutschen Konstitutionen. Und wer stand hier an der Spitze der Bewegung? Die Magyaren. Wer unterstützte die österreichische Reaktion? Die Kroaten und Slawonier. Dieser magyarischen Bewegung sowie der wiedererwachenden politischen
Bewegung in Deutschland gegenüber stifteten die österreichischen Slawen einen Sonderbund: den Panslau)ismusl209]. Der Panslawismus ist entstanden nicht in Rußland oder in Polen, sondern in Prag und in Agram. Der Panslawismus ist die Allianz aller kleinen slawischen Nationen und Natiönchen Österreichs und in zweiter Linie der Türkei zum Kampf gegen die österreichischen Deutschen, die Magyaren und eventuell die Türken. Die Türken kommen nur zufällig herein und können, als ebenfalls ganz heruntergekommene Nation, ganz außer Frage bleiben. Der Panslawismus ist, seiner Grundtendenz nach, gegen die revolutionären Elemente Österreichs gerichtet und daher von vornherein reaktionär. Der Panslawismus bewies diese reaktionäre Tendenz sofort durch einen doppelten Verrat: indem er die einzige slawische Nation, die bis jetzt revolutionär auftrat, die Polen, seinen kleinlichen Nationalborniertheiten opferte und sich und Polen an den russischen Zaren verkaufte. Der direkte Zweck des Panslawismus ist die Herstellung eines slawischen Reichs vom Erzgebirge und den Karpaten bis ans Schwarze, Agäische und Adriatische Meer unter russischer Botmäßigkeit, eines Reichs, das außer der deutschen, italienischen, magyarischen, walachischen, türkischen, griechischen und albanesischen Sprache noch ungefähr ein Dutzend slawischer Sprachen und Hauptdialekte umfassen würde. Das ganze zusammengehalten nicht durch die Elemente, die bisher Ostreich zusammenhielten und entwickelten, sondern durch die abstrakte Eigenschaft des Slawentums und die sogenannte slawische Sprache, die allerdings der Mehrzahl der Einwohner gemeinsam. Aber wo existiert dies Slawentum als in den Köpfen einiger Ideologen, wo die „slawische Sprache" als in der Phantasie der Herren Palacky, Gaj und Konsorten und annähernd in der altslawischen Litanei der russischen Kirche, die kein Slawe mehr versteht? In der Wirklichkeit haben alle diese Völker die verschiedensten Zivilisationsstufen, von der (durch Deutsche) auf einen ziemlich hohen Grad entwickelten modernen Industrie und Bildung Böhmens bis herab zu der fast nomadischen Barbarei der Kroaten und Bulgaren, und in der Wirklichkeit haben alle diese Nationen daher die entgegengesetztesten Interessen. In der Wirklichkeit besteht die slawische Sprache dieser zehn bis zwölf Nationen aus ebensoviel meist einander unverständlichen Dialekten, die sich sogar auf verschiedene Hauptstämme (tschechisch, illyrisch, serbisch, bulgarisch) reduzieren lassen, die durch die gänzliche Vernachlässigung aller Literatur und die Roheit der meisten Völker zu reinem Patois geworden sind und die mit wenig Ausnahmen stets eine fremde nichtslawische Sprache als Schriftsprache über sich hatten. Die panslawistische Einheit ist also entweder eine reine Schwärmerei oder aber - die russische Knute.
Und welche Nationen sollen an die Spitze dieses großen Slawenreiches; treten? Gerade dieselben, die seit tausend Jahren zersprengt, zersplittert, von andern, nichtslawischen Völkern ihre Zufuhr an lebens- und entwicklungsfähigen Elementen aufgedrängt bekamen, die durch die siegreichen Waffen nichtslawischer Völker vor dem Untergange in türkischer Barbarei gerettet wurden, kleine, überall voneinander getrennte, ohnmächtige, ihrer Nationalkraft beraubte Stämme von ein paar Tausend bis zu nicht zwei Millionen 1 So schwach sind sie geworden, daß z.B. der Stamm, der im Mittelalter der kräftigste und furchtbarste war, die Bulgaren, jetzt in der Türkei nur noch wegen ihrer Sanftmut und Schwachherzigkeit bekannt sind und ihren Ruhm darin setzen, sich dobre chrisztian, guter Christ, zu nennen! Wo ist ein einziger dieser Stämme, die Tschechen und Serben nicht ausgenommen, der eine nationale geschichtliche Tradition besitzt, die im Volke lebt und über die kleinsten Lokalkämpfe hinausgeht? Die Zeit des Panslawismus war im 8. und 9. Jahrhundert, als die Südslawen noch ganz Ungarn und Ostreich innehatten und Byzanz bedrohten. Konnten sie da der deutschen und magyarischen Invasion nicht widerstehen, konnten sie die Unabhängigkeit nicht gewinnen und ein haltbares Reich bilden, selbst als ihre beiden Feinde, die Magyaren und Deutschen, sich gegenseitig zerfleischten, wie wollen sie es jetzt, nach tausendjähriger Unterjochung und Entnationalisierung ? Es ist kein Land in Europa, das nicht in irgendeinem Winkel eine öder mehrere Völkerruinen besitzt, Überbleibsel einer früheren Bewohnerschaft,, zurückgedrängt und unterjocht von der Nation, welche später Trägerin der geschichtlichen Entwicklung wurde. Diese Reste einer von dem Gang der Geschichte, wie Hegel sagt, unbarmherzig zertretenen Nation, diese Völkerahfälle werden jedesmal und bleiben bis zu ihrer gänzlichen Vertilgung oder Entnationalisierung die fanatischen Träger der Kontrerevolution, wie ihre ganze Existenz überhaupt schon ein Protest gegen eine große geschichtliche Revolution ist. So in Schottland die Gälen, die Stützen der Stuarts von 1640 bis 1745. So in Frankreich die Bretonen, die Stützen der Bourbonen von 1792 bis 1800. So in Spanien die Basken, die Stützen des Don Carlos. So in Ostreich die panslawistischen Südslawen, die weiter nichts sind als der Völkerabfall einer höchst verworrenen tausendjährigen Entwicklung. Daß dieser ebenfalls höchst verworrene Völkerabfall sein Heil nur in der Umkehr der ganzen europäischen Bewegung sieht, die für ihn nicht von Westen nach Osten, sondern von Osten nach Westen gehen sollte, daß die befreiende Waffe,
clas Band der Einheit für ihn die russische Knute ist - das ist das Natürlichste von der Welt. Die Südslawen hatten also ihren reaktionären Charakter schon vor 1848 deutlich ausgesprochen. Das Jahr 1848 hat ihn offen an den Tag gelegt. Als der Februarsturm losbrach, wer machte die östreichische Revolution? Wien oder Prag? Budapest oder Agram? Die Deutschen und Magyaren oder die Slawen? Es ist wahr: Unter den gebildeteren Südslawen existierte eine kleine demokratische Partei, die zwar ihre Nationalität nicht aufgeben, aber sie doch zur Verfügung der Freiheit stellen wollte. Diese Illusion, der es gelang, auch unter den westeuropäischen Demokraten Sympathien zu erwecken, Sympathien, die vollständig berechtigt waren, solange die slawischen Demokraten gegen den gemeinsamen Feind mitkämpften - diese Illusion wurde gebrochen durch das Bombardement von Prag. Von diesem Ereignis an stellten sich sämtliche südslawischen Stämme, nach dem Vorgang der Kroaten, zur Verfügung der österreichischen Reaktion. Diejenigen Chefs der südslawischen Bewegung, welche noch ferner von Gleichberechtigung der Nationen, von demokratischem Österreich usw. fabeln, sind entweder vernagelte Schwärmer, wie z.B. viele Zeitungsschreiber, oder Schurken, wie Jellachich. Ihre demokratischen Beteuerungen bedeuten nichts mehr als die demokratischen Beteuerungen der österreichischen offiziellen Kontrerevolution. Genug, in der Praxis fängt die Wiederherstellung der südslawischen Nationalität mit dem brutalsten Wüten gegen die österreichische und magyarische Revolution an, mit einem ersten großen Liebesdienst, den sie dem russischen Zar erweisen. Die österreichische Kamarilla fand, außer dem hohen Adel, der Bürokratie und der Soldateska, nur Unterstützung bei den Slawen. Die Slawen haben den Fall Italiens entschieden, die Slawen haben Wien gestürmt, die Slawen sind es, die jetzt über die Magyaren von allen Seiten herfallen. An ihrer Spitze als Wortführer die Tschechen unter Palacky, als Schwertführer die Kroaten unter Jellachich. Das ist der Dank dafür, daß die deutsche demokratische Presse im Juni überall mit den tschechischen Demokraten sympathisierte, als sie von Windischgrätz niederkartätscht wurden, von demselben Windischgrätz, der jetzt ihr Held ist. Resümieren wir: In Österreich, abgesehen von Polen und Italien, haben die Deutschen und die Magyaren im Jahre 1848, wie seit tausend Jahren schon, die geschichtliche Initiative übernommen. Sie vertreten die Revolution.
Die Südslawen, seit tausend Jahren von Deutschen und Magyaren ins Schlepptau genommen, haben sich 1848 nur darum zur Herstellung ihrer nationalen Selbständigkeit erhoben, um dadurch zugleich die deutsch-magyarische Revolution zu unterdrücken. Sie vertreten die Kontrerevolution. Ihnen haben sich zwei ebenfalls längst verkommene Nationen ohne alle geschichtliche Aktionskraft angeschlossen: die Sachsen und Rumänen Siebenbürgens. Das Haus Habsburg, das seine Macht durch die Vereinigung der Deutschen und Magyaren im Kampf gegen die Südslawen begründete, fristet die letzten Momente seiner Existenz jetzt durch die Vereinigung der Südslawen im Kampf gegen die Deutschen und Magyaren. Das ist die politische Seite der Frage. Nun zur militärischen. Das von den Magyaren ausschließlich bewohnte Gebiet macht noch nicht den dritten Teil von ganz Ungarn und Siebenbürgen aus. Von Preßburg an, nördlich von der Donau und Theiß, bis an den Rücken der Karpaten hin wohnen mehrere Millionen Slowaken und einige Ruthenen. Im Süden, zwischen Sau, Donau und Drau, wohnen Kroaten und Slawonier; weiter östlich, längs der Donau, eine serbische Kolonie von über einer halben Million. Diese beiden slawischen Striche werden verbunden durch die Walachen und Sachsen Siebenbürgens. Von drei Seiten her sind die Magyaren also von natürlichen Feinden umringt. Die Slowaken, die die Gebirgspässe innehaben, würden bei ihren zum Parteigängerkriege vortrefflichen Gegenden gefährliche Gegner sein, wenn sie weniger gleichgültig gestimmt wären. So aber haben die Magyaren von Norden her bloß die Angriffe der aus Galizien und Mähren hereingebrochenen Armeen auszuhalten. Im Osten dagegen standen die Rumänen und Sachsen in Masse auf und schlössen sich an das dortige östreich[ische] Armeekorps an. Ihre Stellung ist vortrefflich, teils wegen der gebirgigen Natur des Landes, teils weil sie die meisten Städte und Festungen innehaben. Im Süden endlich sind die Serben des Banats, von deutschen Kolonisten, von Walachen und ebenfalls von einem östreichischen Korps unterstützt, durch den ungeheuren Morast von Alibunar gedeckt und fast unangreifbar. Die Kroaten sind durch Drau und Donau gedeckt, und da ihnen ein starkes östreichfisches] Heer mit allen Hülfsmitteln zu Gebote steht, so rückten sie schon vor dem Oktober auf magyarisches Gebiet vor und halten, jetzt ihre Verteidigungslinie an der untern Drau mit leichter Mühe. Und von der vierten Seite endlich, von Ostreich her, rücken jetzt Windischgrätz und Jellachich in geschlossener Kolonne vor. Die Magyaren sind von allen Seiten umzingelt, von einer enormen Ubermacht umzingelt.
Der Kampf erinnert an den Kampf gegen Frankreich im Jahre 1793. Nur mit dem Unterschied, daß dem dünnbevölkerten und nur halbzivilisierten Magyarenlande bei weitem nicht die Hülfsmittel zu Gebote stehen wie damals der französischen Republik. Die in Ungarn fabrizierten Waffen und Munitionen müssen notwendig von sehr schlechter Beschaffenheit sein; die Fabrikation besonders der Artillerie kann unmöglich rasch vonstatten gehen. Das Land ist lange nicht so groß als Frankreich, und jeder Zoll verlornes Terrain ist daher ein viel größerer Verlust. Es bleibt den Magyaren nichts als ihr revolutionärer Enthusiasmus, ihre Tapferkeit und die energische, schnelle Organisation, die ihnen Kossuth geben konnte. Aber darum hat Ostreich noch nicht gewonnen. „Wenn wir die Kaiserlichen nicht an der Leitha schlagen, so schlagen wir sie an der Rähnitz; wenn nicht an der Rabnitz, schlagen wir sie bei Pesth; wenn nicht bei Pesth, so schlagen wir sie an der Theiß, aber wir schlagen sie jedenfalls."^2101
So sagte Kossuth, und er tut sein möglichstes, um Wort zu halten. Selbst mit dem Falle Budapests bleibt den Magyaren noch die große niederungarische Heide, ein Terrain, das für einen Kavallerie-Parteigängerkrieg wie gemacht ist und das zahlreiche fast uneinnehmbare Punkte zwischen den Sümpfen bietet, wo die Magyaren sich festsetzen können. Und die Magyaren, die fast alle beritten sind, besitzen alle Eigenschaften, um diesen Krieg zu führen. Wagt sich die kaiserliche Armee in diese wüste Gegend hinein, wo sie all ihren Proviant aus Galizien oder Ostreich beziehen muß, weil sie nichts, gar nichts vorfindet, so ist nicht abzusehen, wie sie sich halten will. In geschlossenen Korps richtet sie nichts aus, und löst sie sich in fliegende Scharen auf, so ist sie verloren. Ihre Schwerfälligkeit würde sie den raschen magyarischen Reiterscharen unrettbar in die Hände liefern, selbst ohne Möglichkeit der Verfolgung, da, wo sie siegen sollte; und jeder versprengte Kaiserliche fände in jedem Bauern, jedem Hirten einen Todfeind. Der Krieg in diesen Steppen gleicht dem algierischen Kriege, und die plumpe östreichische Armee würde Jahre gebrauchen, um ihn zu beenden. Und die Magyaren sind gerettet, wenn sie sich nur ein paar Monate halten. Die Sache der Magyaren steht lange nicht so schlecht, als der bezahlte schwarzgelbe12111 Enthusiasmus glauben machen möchte. Sie sind noch nicht besiegt. Fallen sie aber, so fallen sie rühmlich als die letzten Helden der Revolution von 1848, und nur auf kurze Zeit. Dann wird einen Augenblick die slawische Kontrerevolution mit ihrer ganzen Barbarei die östreichfische] Monarchie überfluten, und die Kamarilla wird sehen, was sie an ihren Bundes
genossen hat. Aber bei dem ersten siegreichen Aufstand des französischen Proletariats, den Louis-Napoleon mit aller Gewalt heraufzubeschwören bemüht ist, werden die östreichischen Deutschen und Magyaren frei werden und an den slawischen Barbaren blutige Rache nehmen. Der allgemeine Krieg, der dann ausbricht, wird diesen slawischen Sonderbund zersprengen und alle diese kleinen stierköpfigen Nationen bis auf ihren Namen vernichten. Der nächste Weltkrieg wird nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt.
Die Schweizer Presse
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 197 vom 17. Januar I849f ** Bern, 11 .Januar. Die politische Presse der Schweiz entfaltet mit jedem Jahr eine größere Tätigkeit. Außer einigen zwanzig literarischen Zeitschriften bestehen jetzt 98 politische Zeitungen in den 22 Kantonen. Man darf sich unter diesen Blättern aber keine Zeitungen in großem Format, wie die deutschen oder gar die französischen, vorstellen. Es sind kleine, mit Ausnahme einiger waadtländischen Blätter sämtlich nur in einem halben Bogen und Quartformat erscheinende Blättchen, von denen kaum ein Dutzend täglich, einige fünfmal, die meisten dreimal, manche nur einmal wöchentlich erscheinen, und die, mit wenig Ausnahmen, wahrhaft erbärmlich dirigiert und geschrieben werden. Natürlich, wie können sich auch auf dem beschränkten Boden der hiesigen Kantonalverhältnisse und in der hier allein möglichen allerkleinlichsteri Polemik bedeutende journalistische Talente ausbilden, und welches wirkliche. Talent würde sich auf diese winzigen Verhältnisse und auf den Raum eines Quartblättchens dreimal wöchentlich beschränken lassen! Die beste Eigenschaft der Schweizer Presse ist ihre Unverschämtheit. Man sagt sich hier in den öffentlichen Blättern gegenseitig Dinge, man macht ganz ungeniert so freche persönliche Angriffe, daß ein rheinischer Prokurator, dem der Artikel 3671 des Code penal[901 heilig ist, es keine drei Tage in einem solchen Lande aushalten würde. Aber das ist auch alles. Man abstrahiere von dieser, übrigens ohne allen Witz ausgebeuteten Rücksichtslosigkeit, und es bleibt fast nichts als die krummbuckligste Kriecherei vor den widerlichen Borniertheiten eines kleinen, in seiner Kleinheit noch zersplitterten und grenzenlos aufgeblasenen Volks von vorsündflutlichen Alpenhirten, vernagelten Bauern und schmutzigen Spieß
1 In der „N. Rh. Ztg.": 270
12 Marz/Engels, Werke, Bd. 6
bürgern. Daß in großen Ländern ein Blatt sich nach seiner Partei richtet, daß es nichts gegen das Interesse der Partei aufnimmt, das ist begreiflich, das schadet der Diskussionsfreiheit wenig, weil jede Richtung, selbst die avancierteste, ihre Organe hat. Aber in den beschränkten Verhältnissen der Schweiz sind die Parteien selbst beschränkt, und die Presse ist ebenso beschränkt wie die Parteien. Daher die bornierten Gesichtspunkte, von denen überall ausgegangen wird, daher der Mangel aller Organe für Richtungen, die zwar avanciert, aber selbst in Deutschland längst an der Tagesordnung sind, daher die Angst, selbst der Radikalsten, auch nur ein Titelchen von dem bornierten, nur aufs allernächste gerichteten Programm ihrer Partei abzuweichen, auch nur die borniertesten der schweizerisch-nationalen Borniertheiten anzugreifen. Eine patriarchalische Lynchjustiz würde sofort den Frevler am nationalen Heiligtum züchtigen. Wofür sonst hätte der biedre Schweizer seine Fäuste? Das ist der Durchschnittsstand der Schweizer Presse. Uber diesem Durchschnitt stehn die besseren Organe der welschen Schweiz und Berns; unter ihm die große Masse der ostschweizerischen Journale. Beginnen wir mit der Presse der schweizerischen Hauptstadt. In Bern entwickelt sich bereits eine gewisse Zentralisierung der Schweizer Presse. Die Presse des Kantons ist bereits hier zentralisiert und beginnt schon einen gewissen hauptstädtischen Einfluß an sich zu reißen. Die reaktionäre, oder wie man hier sagt, aristokratische Partei hat zum Hauptorgan den „Schweizerischen Beobachter"[2121f den Moniteur der Schweizer Offiziere in ausländischen Diensten, wie ihn die „Berner Zeitung "[2131 richtig nennt. Dies saubre Blättchen (3mal wöchentlich) preist die Heldentaten der schweizerischen Kroaten in Italien, greift die Radikalen mit den schmutzigsten Waffen an, verteidigt die Militärkapitulationen[214], lobhudelt die Patrizier, besingt Radetzky und Windischgrätz, verteidigt den Mord Robert Blums, verleumdet die Revolution in allen Ländern und denunziert die Flüchtlinge der Regierung. Das edle Blatt hat eigentlich gar keinen Redakteur; es wird zusammengeschrieben aus allerhand Einsendungen und Randglossen müßiger Patriziersöhne und Burgerrats-Stellenjäger. Ihm zur Seite steht würdig das „Intelligenzblatt", ein Organ, worin vorn nur Annoncen und hinten des Pietismus und der patrizischen Burgerguts-Profitmacherei Anpreisung zu finden ist. „Die Biene" soll den „Charivari"[2151 dieser Partei vorstellen. Da aber heutzutage die Herren Patrizier im ganzen mehr zu weinen als zu lachen haben, so fällt der Witz dieser „Biene" erschrecklich ledern und lahm aus. Der gemäßigten oder liberalen Partei, der Partei Ochsenbein, dient vor allem der „Berner Verfasstmgs-Freund"[1653 zum Organ. Dies Blatt, redigiert
vom Dr. und ehemaligen Professor Karl Herzog, gilt geradezu für Ochsenbeins halboffizielles Journal. Mit einiger Routine, aber ohne alles Talent redigiert, beschränkt es sich auf die Apologie der Regierungs- und Bundesratsakte, soweit diese von der Partei Ochsenbein ausgehen. In den östlichen, besonders den Urkantonen ist es natürlich erschrecklich freisinnig, und auch bei Gelegenheit der auswärtigen Politik erläßt es zuweilen eine schallende Fanfare, um unter dem kriegerischen Ton die farbloseste Neutralität durchzuschmuggeln. Eine mehr oder weniger obskure „Bundeszeitung" schifft ungefähr in denselben Wassern sowie auch das französische Blatt „La Suisse", redigiert in schlechtem Französisch von dem Piemontesen Bassi. Weniger direkt mit der Regierung liiert als der „Verfassungs-Freund", beweihraucht sie nicht minder die regierende liberale Majorität und greift mit großer Beharrlichkeit, aber wenig Glück die revolutionäre Presse der französischen Schweiz, namentlich den „Nouvelliste Vaudois"[631 an. Anständiger benimmt sie sich in der italienischen Frage, wobei ihr Redakteur direkt beteiligt ist. - Diese drei Blätter erscheinen täglich. Die radikale Partei zählt die meisten Organe. An ihrer Spitze steht die „Berner Zeitung" unter der Oberleitung des Advokaten, Großrats-Vizepräsidenten und Ständerats Niggeler. Sie ist das Organ der im Regierungsrat durch den Finanzdirektor Stämpfli vertretenen entschieden radikalen Partei des deutschen Kantonteils. Durchführung der Demokratie in der Gesetzgebung und Verwaltung des Kantons, wo noch viel alter Unrat aufzuräumen ist, möglichste Zentralisation der ganzen Schweiz, Aufgeben der Neutralitätspolitik bei der nächsten Gelegenheit, das sind die Hauptprinzipien, nach denen dies Blatt redigiert wird. Die Notabilitäten des Berner Radikalismus arbeiten mit daran, und es darf daher nicht verwundern, daß die „Berner Zeit[un]g" das am besten redigierte Blatt des Kantons, ja der ganzen deutschen Schweiz ist. Wenn die Redaktoren und Mitarbeiter ganz frei schreiben könnten, es würde noch bedeutend besser sein; die eine und unteilbare Helvetische Republik1351, und zwar mit sehr rötlicher Färbung, würde zum Vorschein kommen; aber das geht nun einmal nicht, die Partei duldet's noch nicht. Neben der „Berner Z[ei]t[un]g" erscheint seit dem I.Januar ebenfalls täglich: „L'Helvetie federale"[2161, Fortsetzung der früher in Pruntrut im Jura erschienenen „Helvetie", Organ der jurassischen Radikalen und ihres Chefs, Oberst und Regierungsrat Stockmar. Die alte „Helvetie" trat entschieden rot auf; die neue ebenfalls, ja noch entschiedener. Die „Schweizer Zeitung" (ehemals „Der Freie Schweizer") vertritt ebenfalls den Radikalismus, aber den ausschließlich bürgerlichen, und beschränkt sich daher ganz auf die Forderung solcher ökonomischen Reformen, die der
herrschenden» besitzenden Klasse vorteilhaft sind. Im übrigen ist diese Zeitung indes auch über die gewöhnlichen schweizerischen Kantonalborniertheiten (Neutralität, Kantonalsouveränetätetc.) hinaus. Außer diesen drei täglichen Blättern besitzt der Berner Radikalismus noch ein Witzblatt, und zwar das einzig gute der Schweiz, Jennis „Gukkasten"[217]. Der „Gukkasten" (wöchentlich einmal) beschränkt sich bloß auf schweizerische und besonders Berner Kantonalinteressen, aber gerade dadurch ist es ihm gelungen, zu einer Macht im Staat zu werden, die ihr redlich Teil zum Sturz der Regierung Neuhaus beigetragen und die jetzt wieder dafür sorgt, daß die Partei Ochsenbein nicht zu lange am Ruder bleibt. Der rücksichtslose Witz, mit dem Jenni von jeder regierenden Persönlichkeit bis herab auf Ochsenbein den Nimbus der Popularität abzustreifen sich bemüht, hat ihm unter Neuhaus zahllose Prozesse und Schikanen und später Drohbriefe und Brutalitäten zugezogen, aber alles umsonst, und noch immer sehen die hohen Herren von Bern mit großer Unruhe jeder neuen Samstagsnummer des „Gukkastens" entgegen. Als Blum erschossen war, brachte der „Gukkasten" als wöchentliche Zeichnung einen Block mit einem Beil, umgeben von einer Masse zerbrochener Kronen und mit der Unterschrift: „Die einzige Hülfe." Als hierüber die gesetzten Berner Bürger sich entsetzten, folgte die nächste Woche ein Laternenpfahl mit einer daran aufgehangenen Krone und den Inschriften: „Suaviter in modo, fortiter in re — den Manen Messenhausers!"1 Der „Seeländer Anzeiger", herausgegeben von Nationalrat und Großrat J.A. Weingart, vertrat bis Neujahr allein den Sozialismus. Der „Seeländer Anzeiger" predigt ein seltsames Gemisch von tränenzerfließendem Gemütsund Wohltätigkeitssozialismus und roter Revolution. Ersteren für den Kanton Bern, letztern sobald er vom Ausland spricht. Was die Form betrifft, so ist dies wöchentlich erscheinende Blatt eines der am schlechtesten redigierten des Kantons. Übrigens ist Herr Weingart, trotz seiner christlich-weichmütigen Seelenergüsse, in der Politik ein Anhänger des entschiedensten Radikalismus. Seit Neujahr hat der „Seel[änder] Anzeiger" einen Konkurrenten bekommen in dem ebenfalls einmal wöchentlich erscheinenden „Unabhängigen", der sich die freilich etwas undankbare Aufgabe gesetzt hat, in den Zuständen des Kantons Bern und der Schweiz überhaupt Anknüpfungspunkte für die Propaganda der Anfangsgründe des Sozialismus zu finden und Maßregeln zur Abhülfe wenigstens der gröbsten Übelstände vorzuschlagen. Jedenfalls ist das Blättchen das einzige in der ganzen Schweiz, das den richtigen Weg eingeschlagen hat, um für seine Richtung hierzulande Terrain zu gewinnen;
1 „Mild in der Form, radikal in der Sache - dem Gedenken Messenhausers!"
und wenn seine Chancen des Erfolgs im Verhältnis stehen zu der Wut, die es bereits bei den hohen und höchsten Behörden erregt hat, so stehen seine Aussichten gar so schlecht nicht. Von den außerhalb der Stadt erscheinenden Blättern erwähne ich nur eins: die „Evolution"12181, wie der Freischarenführer Becker jetzt seine „Revolution" umgetauft hat. Dies entschiedenste aller in der Schweiz erscheinenden Blätter appelliert einzig und allein an eine neue europäische Revolution und sucht in seinem Kreise Kämpfer dafür zu gewinnen. Zum Dank wird es von den ruhigen Bürgern verabscheut und findet, außer den deutschen Flüchtlingen in der Schweiz, Besangon und Elsaß, wenig Publikum. In einem nächsten Artikel werde ich auf die außerbernische Presse näher eingehen12191.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Montesquieu LVI.12201
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 201 vom 2I.Januar 1849] * Köln, 20. Januar. Der „ehrenwerte" Joseph Dumont läßt einen nicht von ihm bezahlten, sondern ihn bezahlenden Anonymus, der hinter dem Strich die Urwähler bearbeitet, folgende Apostrophe an die „Neue Rheinische Zeitung" richten:
„Der .Neuen Rheinischen Zeitung', dem Organ der Demokratie, hat es gefallen, von den unter dem Titel ,An die Urwähler in diesem Blatt veröffentlichten Aufsätzen Notiz zu nehmen und dieselben als aus der ,Neuen Preußischen Zeitung' entlehnt zu bezeichnen. Dieser Lüge gegenüber einfach die Erklärung, daß diese Aufsätze als Inserate bezahlt werden, daß dieselben, mit Ausnahme des ersten, der Parlaments-Korrespondenz entlehnten, in Köln geschrieben sind und der Verfasser derselben die ,Neue Preußische Zeitung' bis jetzt noch nicht einmal gesehen, geschweige denn gelesen hat."^2211 Wir begreifen, welche Wichtigkeit es für Montesquieu LVI. hat, sein Eigentum zu konstatieren. Wir begreifen ebensosehr, wie wichtig für Herrn Dumont die Erklärung ist, daß er „bezahlt" wird, selbst für die Flugblätter und Inserate, die er im Interesse seiner eignen Klasse, der Bourgeoisie, setzen, drucken und verbreiten läßt. Was den Anonymus betrifft, so kennt er das französische Sprichwort: „Les beaux esprits se rencontrent."1 Es ist nicht seine Schuld, wenn seine eigensten Geistesprodukte denen der „Neuen Preußischen Zeitung"131 und der „Preußenvereine" [222] wie ein Ei dem andern bis zur Verwechslung gleichen. Wir haben seine Inserate in der „Kölnischen Zeitung" nie gelesen, sondern nur die aus der Dumontschen Druckerei hervorgehenden Flugblätter, die uns von links und rechts zugeschickt wurden, eines flüchtigen Blicks gewürdigt,
finden aber jetzt durch Vergleichung, daß dieselben Wische als Inserat und Flugblatt zugleich ihre Rolle spielen. Um unser Vergehen gegen den anonymen Montesquieu LVI. zu sühnen, haben wir uns die harte Buße auferlegt, seine sämtlichen Inserate in der „Kölnischen Zeitung" durchzulesen und sein geistiges Privateigentum als „Gesamteigentum" dem deutschen Publikum preiszugeben. Hier ist Weisheit! Montesquieu LVI. beschäftigt sich vorzugsweise mit der sozialen Frage. Er hat den „leichtesten, einfachsten Weg" zu ihrer Lösung gefunden und preist seine Morrisonspille1 mit salbungsvollstem, naiv-schajnlosestem Quacksalberpathos an: „Der leichteste, einfachste Weg aber ist dazu" (nämlich zur Lösung der sozialen Frage): „die am 5.Dezember v.J. oktroyierte Verfassung anzunehmen, sie zu revidieren, dann von allen Seiten beschwören zu lassen und sie so festzusetzen. Das ist der einzige Weg, der uns zum Heile führt. - Wer also ein Herz im Busen trägt für die Not seiner armen Brüder, wer die Hungrigen speisen und die Nackten kleiden will, ... wer, mit einem Worte, die soziale Frage2 lösen will... - der wähle keinen, der sich gegen die Verfassung ausspricht."t223j (Montesquieu LVI.) Stimmt für Brandenburg-Manteuffel-Ladenberg, und die soziale Frage ist auf dem „einfachsten" und „leichtesten Wege" gelöst! Stimmt für Dumont, Camphausen, Wittgenstein oder auch für dii minorum gentium3 wie Compes, Mevissen u. dgl. — und die soziale Frage ist gelöst. Die „soziale Frage" für eine Stimme! Wer „die Hungrigen speisen und die Nackten kleiden will", der stimme für die Hansemann und Stupp! Für jede Stimme eine soziale Frage weniger! Die Annahme der oktroyierten Verfassung — voilä la Solution du Probleme social !4 Wir zweifeln keinen Augenblick, daß nicht nur Montesquieu LVI., sondern auch seine Patrone im Bürgervereine[2241 die Annahme, Revision, Beschwörung und Festsetzung der oktroyierten Verfassung12251 nicht abwarten werden, um die „Hungrigen zu speisen und die Nackten zu kleiden". Auch sind dazu schon Anstalten getroffen worden. Seit einigen Wochen fliegen hier Zirkulare umher, worin den Handwerksmeistern, Krämern usw. von den Kapitalisten angezeigt wird, daß in Betracht der heutigen Umstände und des wiedererwachenden Kredits aus philanthropischen Gründen die Zinsen von 4 auf 5 Prozent erhöht werden. Erste Lösung der sozialen Frage!
1 Abführmittel -2in der „Kölnischen Zeitung": sozialen Fragen - 3 die geringeren Götter — 4 das ist die Lösung der sozialen Frage!
Der hiesige Gemeinderat hat in demselben Sinne die „Arbeiterkarte" für die Unglücklichen abgefaßt, die verhungern - oder ihre Arme der Stadt verkaufen müssen (vgl. Nr. 187 der „Neuen Rheinischen Zeitung"1). Man erinnert sich, daß in dieser den Arbeitern oktroyierten Charta der brotlos gewordene Arbeiter kontraktlich verpflichtet wird, unter polizeiliche Auf~ sieht zu treten. Zweite Lösung der sozialen Frage! In Köln stiftete der Gemeinderat kurz nach den Märzwehn eine Speiseanstalt zu kostenden Preisen, schön eingerichtet, mit prächtigen heizbaren Zimmern usw. Nach der Erteilung der oktroyierten Verfassung ist an die Stelle dieses Lokals ein andres, der Armenverwaltung untergeordnetes getreten, wo nicht geheizt wird, die Speisegeschirre fehlen, wo es nicht erlaubt ist, die Speisen an Ort und Stelle zu verzehren, sondern das Quart einer namenlosen Brühe zu 8 Pfg. verkauft wird. Dritte Lösung der sozialen Frage! In Wien hüteten die Arbeiter während ihrer Herrschaft die Bank, die Häuser und die Reichtümer der davongelaufenen Bourgeois. Bei ihrer Rückkehr denunzierten dieselben Bourgeois diese „Räuber" dem Windischgrätz zum Hängen. Die Arbeitslosen, die den Gemeinderat angingen, wurden in die Armee gegen Ungarn gesteckt. Vierte Lösung der sozialen Frage! In Breslau warfen Gemeinderat und Regierung ruhig die Elenden, die im Armenhause ihre Zuflucht suchen müssen, durch Entziehung der physisch unentbehrlichsten Lebensgenüsse der Cholera in die Arme und nahmen erst Notiz von den Schlachtopfern ihrer grausamen Mildtätigkeit, als die Seuche ihnen selbst auf den Leib rückte. Fünfte Lösung der sozialen Frage! Im Berliner Verein „mit Gott für König und Vaterland" erklärte ein Freund der oktroyierten Verfassung, es sei penibel, daß man immer noch zur Durchsetzung seiner Interessen und Absichten dem „Proletariat" Komplimente machen müsse. Das die Lösung der „Lösung der sozialen Frage". „Die preußischen Spione sind eben deshalb so gefährlich, weil sie nie bezahlt werden, sondern stets hoffen, bezahlt zu werden", sagt unser Freund Heine. Und die preußischen Bourgeois sind eben deshalb so gefährlich, weil sie nie zahlen, sondern stets zu zahlen versprechen. Die englischen und französischen Bourgeois lassen sich so einen Wahltag schweres Geld kosten. Ihre Bestechungsmanöver sind weltbekannt. Die preußischen Bourgeois, „das sind die allerklügsten Leut"! Viel zu moralisch und solid, um ihren Beutel zu ziehen, zahlen sie mit der „Lösung der sozialen Frage". Das kostet nichts! Doch Montesquieu LVI. zahlt wenigstens, wie
Dumont amtlich versichert, die Insertionsgebühren an die „Kölnische Zeitung" und gibt die Lösung der „sozialen Fragen" — gratis zu. Der praktische Teil der petits ceuvres1 unseres Montesquieu besteht also darin: Stimmt für Brandenburg-Manteuffel-Ladenberg! Wählt CamphausenHansemann! Schickt uns nach Berlin, laßt unsere Leute sich da erst festsetzen! Das ist die Lösung der sozialen Frage! Der unsterbliche Hansemann hat diese Fragen gelöst. Erst Herstellung der Ordnung, um den Kredit herzustellen. Dann, wie im Jahre 1844, wo „meinen lieben schlesischen Webern geholfen werden sollte und mußte", Pulver und Blei, um die „soziale Frage" zu lösen! Stimmt also für Freunde der oktroyierten Verfassung! Aber Montesquieu LVI. nimmt nur die oktroyierte Verfassung an, um sie hinterher „revidieren" und „beschwören" zu können. Bester Montesquieu! Hast du einmal die Verfassung angenommen, so wirst du sie nur auf ihrer eigenen Grundlage revidieren, d.h. revidieren, soweit es demBelieben des Königs und der aus Krautjunkern, Finanzbaronen, hohen Beamten und Pfaffen zusammengesetzten zweiten Kammer zusagt. Diese einzig mögliche Revision ist vorsorglicherweise schon in der oktroyierten Verfassung selbst angedeutet. Sie besteht in dem Verlassen des konstitutionellen Systems und in der Wiederherstellung des alten christlich-germanischen Ständewesens. Das ist die Revision, die nach Annahme der oktroyierten Verfassung einzig möglich und einzig gestattet ist, was dem Scharfsinn eines Montesquieu nicht entgangen2 sein kann. Der praktische Teil der petits ceuvres Montesquieus LVI. läuft also darauf hinaus: Stimmt für Hansemann-Camphausen! Stimmt für DumontStupp. Stimmt für Brandenburg-Manteuffel! Nehmt die oktroyierte Verfassung an! Wählt Wahlmänner, die die oktroyierte Verfassung annehmen und alles das unter dem Vorwande, „die soziale Frage" zu lösen. Was Teufel schert uns der Vorwand, wenn es einmal die oktroyierte Verfassung gilt. Aber unser Montesquieu hat seiner praktischen Anweisung, „die soziale Frage" zu lösen, der wirklichen Pointe seines Riesenwerkes, natürlich einen theoretischen Teil vorhergeschickt. Sehen wir uns diesen theoretischen Teil an. Der tiefsinnige Denker erklärt zuerst, u)as die „sozialen Fragen" sind. „Was ist es also eigentlich mit der sozialen Frage? Der Mensch soll und will leben.
1 kleinen Werke - 2 in der „N.Rh.Ztg.": entgegen
Zum Leben braucht der Mensch Wohnung, Kleidung, Nahrung. Wohnung und Kleidung bringt die Natur gar nicht hervor, Nahrung wächst wild nur spärlich und lange nicht zureichend. Der Mensch muß sich deshalb diese Bedürfnisse selbst anschaffen. Das geschieht durch Arbeit. Arbeit ist demnach die erste Bedingung unseres Lebens, ohne Arbeit können wir nicht leben. Bei den ersten Völkern baute sich nun jeder seine Hütte selbst, fertigte sich seine Kleidung aus Tierfellen selbst, brach sich seine Früchte zum Essen selbst. Das war der Urzustand. Wenn der Mensch aber nichts braucht als Wohnung, Kleidung, Nahrung, wenn er also bloß seine körperlichen Bedürfnisse befriedigt, so steht er mit dem Tiere auf gleicher Stufe; denn das tut das Tier auch. Der Mensch aber ist ein höheres Wesen als das Tier, er braucht mehr zum Leben: Er braucht Freude, er soll sich zu einem sittlichen Werte erheben. Das kann er aber nur, wenn er in Gesellschaft lebt. Sobald die Menschen aber in Gesellschaft lebten, trat ein ganz anderes Verhältnis ein. Sie bemerkten bald, daß die Arbeit viel leichter sei, wenn jeder einzelne nur eine bestimmte Arbeit machte. Und so fertigte der eine Kleidung, der zweite baute Häuser, der dritte sorgte für Nahrung, und der erste gab dem zweiten, was diesem fehlte. So bildeten sich die verschiedenen Stände der Menschen ganz von selbst, indem der eine Jäger, der andere Handwerker, der dritte Ackerbauer wurde. Die Menschen aber blieben dabei nicht stehen; denn die Menschheit muß vorwärts schreiten. Man machte Erfindungen. Man erfand das Spinnen und das Weben, das Schmieden des Eisens, das Gerben der Tierfelle. Je mehr man Erfindungen machte, desto mannigfaltiger ward das Handwerk, desto leichter der Ackerbau, dem das Handwerk Pflug und Spaten lieferte. Alles half sich, alles griff ineinander. Man kam dann mit benachbarten Völkern zusammen; das eine Volk hatte, was das andere entbehrte - und dieses besaß, was jenes nicht hatte. Man tauschte dieses um. So entstand der Handel und damit ein neuer Zweig der menschlichen Tätigkeit. So schritt die Bildung von Stufe zu Stufe fort; von den ersten unbeholfenen Erfindungen kam man in Jahrhunderten endlich zu den Erfindungen unserer Zeit. So bildeten sich unter den Menschen die Wissenschaften und die Künste, und immer reicher, immer mannigfaltiger wurde das Leben. Der Arzt heilte den Kranken, der Pfarrer predigte, der Kaufmann handelte, der Landmann baute das Feld, der Gärtner zog Blumen, der Maurer baute die Häuser, die der Schreiner mit Hausgerät versah, der Müller mahlte das Mehl, das der Bäcker zu Brot verbackte - eines griff in das andere; niemand konnte allein stehen, niemand sich seine Bedürfnisse selbst allein verschaffen. Das sind die sozialen Verhältnisse. Sie sind ganz naturgemäß von selbst entstanden. Und wenn ihr heute eine Revolution macht, die alle diese Verhältnisse von Grund aus zerstört, wenn ihr dann morgen wieder von neuem anfangt zu leben, so werden die Verhältnisse sich genau so wieder bilden,
wie sie jetzt sind. Seit Jahrtausenden ist es bei allen Völkern der Erde ebenso gewesen. Wenn nun jemand einen Unterschied macht zwischen Arbeitern und Bourgeoisie — so ist das eine große Lüge. Wir arbeiten alle, jeder in seiner Art, jeder nach seinen Kräften und Fähigkeiten. Der Arzt arbeitet, wenn er den Kranken besucht, der Musiker, der zum Tanze aufspielt, der Kaufmann, der seine Briefe schreibt, alle arbeiten, jeder auf seiner Stelle."[2231 Hier ist Weisheit! Wer Ohren hat zu hören, der höre! Was ist es also eigentlich mit der physiologischen Frage! Jedes körperliche Wesen setzt eine gewisse Schwere, Dichtigkeit u. dgl. voraus. Jeder organische Körper besteht aus allerhand Bestandteilen, wovon ein jeder seine eigene Funktion ausübt und wo die wechselseitigen Organe ineinandergreifen . „Das sind die physiologischen Verhältnisse." Montesquieu LVI.,es läßt sich nicht leugnen, besitzt ein originelles Talent für die Vereinfachung der Wissenschaft. Ein Patent (ohne Garantie der Regierung) für Montesquieu LVI. Arbeitsprodukte werden nur durch Arbeit hervorgebracht. Ohne Säen keine Ernte, ohne Spinnen kein Gespinst usw. Europa wird sich bewundernd beugen vor dem Riesengenie, das diese Wahrheiten in Köln selbst, ohne jede Beihülfe der „Neuen Preußischen] Z[eitung]", zutage gefördert hat. In der Arbeit treten die Menschen in bestimmte Beziehungen zueinander. Es findet eine Teilung der Arbeit statt, die mehr oder minder mannigfaltig ist. Einer backt, der andere schmiedet, der eine wühlt, der andere heult12261, Montesquieu LVI. schreibt und Dumont druckt. Adam Smith, erkenne deinen Meister -I Diese Entdeckungen nun, daß Sie Arbeit und die Teilung der Arbeit Lebensbedingungen jeder menschlichen Gesellschaft sind, befähigen Montesquieu LVI . zu dem Schlüsse, daß die „verschiedenenStände" naturgemäß sind, daß der Unterschied zwischen „Bourgeoisie und Proletariat" eine „große Lüge" ist, daß die bestehenden „sozialen Verhältnisse", mag eine „Revolution4 sie heute von Grund aus zerstören, sich „genau so wieder bilden werden, wie sie jetzt sind", und daß es endlich unumgänglich nötig ist, Wahlmänner im Sinne Manteuffels und der oktroyierten Verfassung zu wählen, wenn man anders „für die Not seiner armen Brüder ein Herz im Busen trägt" und sich der Achtung Montesquieu LVI. teilhaftig zu machen gedenkt. „Seit Jahrtausenden ist es bei allen Völkern der Erde ebenso gewesen"/// In Ägypten gab es Arbeit und Teilung der Arbeit — und Kasten; in Griechenland und Rom Arbeit und Teilung der Arbeit - und Freie und Sklaven; im
Mittelalter Arbeit und Teilung der Arbeit - und Feudalherren und Leibeigene, Zünfte, Stände u. dgl. Zu unserer Zeit gibt es Arbeit und Teilung der Arbeit — und Klassen, von denen die eine im Besitz sämtlicher Produktionsinstrumente und Lebensmittel ist, während die andere nur lebt, solange sie ihre Arbeit verkauft, und nur so lange ihre Arbeit verkauft, als die arbeitgebende Klasse sich durch den Ankauf dieser Arbeit bereichert. Ist es also nicht sonnenklar, daß „es bei allen Völkern der Erde seit Jahrtausenden ebenso gewesen istu, wie es heutzutage in Preußen ist, weil Arbeit und Teilung der Arbeit stets in einer oder der andern Form existierten? Oder zeigt sich etwa umgekehrt, daß die sozialen Verhältnisse, die Eigentumsverhältnisse, beständig umgestürzt wurden eben durch die stets veränderte Art der Arbeit und Teilung der Arbeit? Im Jahre 1789 riefen die Bourgeois der feudalen Gesellschaft nicht zu: Adel bleib Adel, Leibeigner bleib Leibeigener, Zünftiger bleib zünftig — denn ohne Arbeit und Teilung der Arbeit keine Gesellschaft! Ohne Einatmung der Luft kein Leben! Atmet also die Stickluft ein und öffnet ja nicht die Fenster so räsoniert Montesquieu LVI. Es gehört die ganze naiv-tölpelhafte Dummdreistigkeit eines in brutaler Unwissenheit ergrauten deutschen Reichspfahlbürgers dazu, nachdem er die ersten Buchstaben der politischen Ökonomie - Arbeit, Teilung der Arbeit oberflächlich und schief der trägen Hirnmaterie eingekeilt hat, in Fragen, an denen unser Jahrhundert sich die Zähne ausbeißt, orakelnd mitzusprechen. „Ohne Arbeit und Teilung der Arbeit keine Gesellschaft! Also Wählt Freunde der oktroyierten preußischen Verfassung und nur Freunde der oktroyierten Verfassung zu Wahlmännern." Dies Epitaph wird einst in großen Buchstaben auf den Wänden des prachtvollen Marmormausoleums prangen, das die dankbare Nachwelt dem Löser der sozialen Frage, Montesquieu LVI. (nicht zu verwechseln mit Heinrich CCLXXXIV. von Reuß-Schleiz-Greiz-Lobenstein-Eberswalde1), zu bauen sich verpflichtet fühlen wird. Montesquieu LVI. verheimlicht uns nicht, „wo der Knoten liegt" und was er zu tun gedenkt, sobald er zum Gesetzgeber proklamiert ist. „Dafür11, belehrt er uns, „muß der Staat sorgen, daß jeder so viel Erziehung erhält, tan etwas Ordentliches in der Welt lernen zu können."
1 Ironische Anspielung auf Heinrich LXXII., Fürst von Reuß-Lobenstein-Ebersdorf
Montesquieu LVI. hat nie davon reden gehört, daß unter den bestehenden Verhältnissen die Teilung der Arbeit an die Stelle der komplizierten Arbeit die einfache, an die Stelle der Erwachsenen die Kinder, an die Stelle der Männer die Weiber, an die Stelle des selbständigen Arbeiters Automaten setzt, daß in demselben Verhältnisse, worin die moderne Industrie sich entwickelt, die Erziehung des Arbeiters überflüssig und unmöglich wird. Wir verweisen den kölnischen Montesquieu weder auf St. Simon noch Fourier, sondern auf Malthus und Ricardo. Der Biedermann lerne erst die ersten Grundlinien der jetzigen Verhältnisse kennen, ehe er sie ausbessert und — Orakel austeilt.
„Für Leute, die durch Krankheit, durch Alter verarmt sind, muß die Gemeinde sorgen Und wenn die Gemeinde selbst verarmt, was bei den mit der neuen Verfassung gleichzeitig oktroyierten 100 Millionen Steuern1 und epidemischen Belagerungszuständen nicht ausbleiben kann, wie dann, Montesquieu?
„ Wo neue Erfindungen oder Handelskrisen ganze Ertoerbszweige zerstören, muß der Staat zu Hülfe kommen und Rat schaffen." So unvertraut der kölnische Montesquieu mit den Dingen dieser Welt ist, es kann ihm kaum verborgen geblieben sein, daß die „neuen Erfindungen" und die Handelskrisen so permanent sind wie die preußischen Ministerialerlasse und Rechtsböden. Die neuen Erfindungen werden in Deutschland speziell erst dann eingeführt, wenn die Konkurrenz mit den fremden Völkern ihre Einführung zu einer Lebensfrage macht, und sollen die neu aufkommenden Erwerbszweige sich ruinieren, um den untergehenden zur Hülfe zu kommen! Die durch Erfindungen neu aufkommenden Erwerbszweige kommen eben dadurch auf, daß sie wohlfeiler produzieren als die untergehenden. Wo Teufel wäre der Vorteil, wenn sie die untergehenden beköstigen müßten? Der Staat aber, die Regierung, gibt bekanntlich nur scheinbar. Erst muß ihm gegeben werden, damit er gebe. Wer aber soll ihm geben, Montesquieu LVI.? Der untergehende Erwerbszweig, damit er noch schneller untergehe? Oder der aufkommende, damit er schon im Aufkommen verkümmre? Oder die von den neuen Erfindungen nicht berührten Erwerbszweige, damit sie durch die Erfindung einer neuen Steuer bankeruttieren? Überlege dir das reiflich, Montesquieu LVI.! Und nun gar die Handelskrisen, Bester? Wenn eine europäische Handelskrise ausbricht, so kann der preußische Staat nichts ängstlicher in Betracht ziehen, als wie er den gewohnten Steuerquellen durch Exekution u.dgl. die
letzten Wassertropfen abpresse. Der arme preußische Staat! Damit der preußische Staat die Handelskrisen unschädlich mache, müßte er außer der Nationalarbeit noch eine dritte Einnahmequelle in den Wolken besitzen. Allerdings, wenn sich durch Allerhöchste Neujahrswünsche1, Wrangeische Armeebefehletl60] oder Manteuffelsche Ministerialerlasse Geld aus der Erde stampfen ließe, die „Steuerverweigerung" würde keinen so panischen Schrecken unter die preußischen „lieben Getreuen" geworfen und die soziale Frage auch ohne oktroyierte Verfassung gelöst worden sein. Man weiß, daß die „Neue Preußische Zeitung" unsern Hanseinann für einen Kommunisten erklärte, weil er die Steuerbefreiungen aufzuheben gedachte. Unser Montesquieu, der niemals die „N[eue] Pr[eußische] Z[eitung]" gelesen, kömmt von selbst in Köln auf den Einfall, jeden für einen „Kommunisten" und „roten Republikaner" zu erklären, der die oktroyierte Verfassung bedroht! Also stimmt für Manteuffel, oder ihr seid nicht nur persönliche Feinde der Arbeit und der Teilung der Arbeit, sondern auch Kommunisten und rote Republikaner. Erkennt den neuesten „Rechtsboden" Brüggemanns an, oder - verzichtet auf den G?de civil ![2271 Figaro, tu n'aurais pas trouve ?a!t228] Morgen mehr von Montesquieu LVI.!
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 202 vom 22. Januar 1849J * Köln, 21. Januar. Montesquieu LVI. sucht den „geschenkten Gaul", die oktroyierte Verfassung, mit der ganzen kleinpfiffigen Verschlagenheit eines vielerfahrenen Roßtäuschers an die Urwähler loszuschlagen. Er ist der Montesquieu des Pferdemarkts. Wer die oktroyierte Verfassung nicht will, der will die Republik, und nicht nur die Republik schlechthin, sondern die rote Republik! Leider handelt es sich bei unsern Wahlen um nichts weniger als Republik und rote Republik. Es handelt sich einfach darum: Wollt ihr den alten Absolutismus samt einem neu aufgefrischten Ständewesen — oder wollt ihr ein bürgerliches Repräsentativsystem? Wollt ihr eine politische Verfassung, die den „bestehenden sozialen Verhältnissen" vergangener Jahrhunderte entspricht, oder wollt ihr eine politische Verfassung, die den „bestehenden sozialen Verhältnissen" eures Jahrhunderts zusagt?
Es handelt sich in dieser Angelegenheit also um nichts weniger als um einen Kampf gegen die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, wie er in Frankreich stattfindet und in England sich vorbereitet. Es handelt sich vielmehr um den Kampf gegen eine politische Verfassung, welche die „bürgerlichen Eigentumsverhältnisse" gefährdet, indem sie den Repräsentanten der „feudalen Eigentumsverhältnisse", dem Könige von Gottes Gnaden, der Armee, der Bürokratie, den Krautjunkern und einigen mit ihnen verbündeten Finanzbaronen und Spießbürgern das Staatsruder überantwortet. Durch die oktroyierte Verfassung ist die soziale Frage im Sinne dieser Herren gelöst. Kein Zweifel. Was ist die „soziale Frage" im Sinne des Beamten? Es ist die Behauptung seines Gehalts und seiner bisherigen, dem Volke übergeordneten Stellung. Und was ist die „soziale Frage" im Sinne des Adels und seiner großen Grundbesitzer? Es ist die Behauptung der bisherigen feudalen Grundgerechtigkeiten, die Beschlagnahme der einträglichsten Stellen in Armee und Zivil durch seine Familien, endlich der direkte Almosenempfang aus der Staatskasse. Außer diesen handgreiflichen materiellen und darum „heiligsten" Interessen der Herren „mit Gott für König und Vaterland" handelt es sich für sie natürlich auch um Behauptung der gesellschaftlichen Auszeichnungen, die ihre Race von der schlechten bürgerlichen, bäuerlichen und plebejischen Race unterscheiden. Die alte Nationalversammlung wurde ja eben auseinandergejagt, weil sie die Hand an diese „heiligsten Interessen" zu legen wagte. Was die Herren unter „Revision" der oktroyierten Verfassung verstehen, ist, wie schon früher angedeutet wurde, nichts anders als die Einführung des ständischen Systems, d.h. einer Form der politischen Verfassung, welche die „sozialen" Interessen des Feudaladels, der Bürokratie und des Königtums von Gottes Gnaden vertritt. Noch einmal! Kein Zweifel, daß die „soziale Frage" im Sinne des Adels und der Bürokratie durch die oktroyierte Verfassung gelöst ist, d.h., daß sie diesen Herren eine Regierungsform schenkt, welche die Volksausbeutung durch diese Halbgötter sicherstellt. Aber ist die „soziale Frage" im Sinne der Bourgeoisie durch die oktroyierte Verfassung gelöst? In andern Worten: Erhält die Bourgeoisie eine Staatsform, in der sie die gemeinsamen Angelegenheiten ihrer Klasse, die Interessen des Handels, der Industrie, des Ackerbaus, frei verwalten, die Staatsgelder auf die produktivste Weise verwenden, die Staatshaushaltung auf die wohlfeilste Weise einrichten, die Nationalarbeit wirksam nach außen beschützen und nach innen alle vom feudalen Schlamme versperrten Springquellen des Nationalreichtums eröffnen kann?
Zeigt uns die Geschichte ein einziges Beispiel, daß die Bourgeoisie mit einem von Gottes Gnaden oktroyierten Könige je eine ihren materiellen Interessen entsprechende politische Staatsform durchzusetzen vermochte? Um die konstitutionelle Monarchie zu begründen, mußte sie in England zweimal die Stuarts verjagen, in Frankreich die angestammten Bourbonen, in Belgien den Nassauer.1229 J Woher dies Phänomen? Ein angestammter König von Gottes Gnaden, das ist kein einzelnes Individuum, das ist der leibhafte Repräsentant der alten Gesellschaft innerhalb der neuen Gesellschaft. Die Staatsmacht in den Händen des Königs von Gottes Gnaden, das ist die Staatsmacht in den Händen der alten, nur mehr ruinenweise existierenden Gesellschaft, das ist die Staatsmacht in den Händen der feudalen Stände, deren Interesse dem Interesse der Bourgeoisie aufs feindlichste gegenübersteht. Die Grundlage der oktroyierten Verfassung ist aber eben der „König von Gottes Gnaden Wie die feudalen Gesellschaftselemente in dem Königtum von Gottes Gnaden ihre politische Spitze, so erblickt das Königtum von Gottes Gnaden in den feudalen Ständen seine gesellschaftliche Unterlage, die bekannte „Königsmauer".l2m Sooft daher die Interessen der Feudalherrn und der von ihnen beherrschten Armee und Bürokratie mit den Interessen der Bourgeoisie sich kreuzen, wird das gottesbegnadete Königtum jedesmal zu einem Staatsstreich gedrängt und eine revolutionäre oder kontr er evolutionäre Krise vorbereitet werden. Warum wurde die Nationalversammlung verjagt? Nur, weil sie das Interesse der Bourgeoisie gegen das Interesse des Feudalismus vertrat; weil sie die Agrikultur hemmende Feudalverhältnisse aufheben, die Armee und Bürokratie dem Handel und der Industrie unterordnen, der Verschleudrung des Staatsschatzes Einhalt tun, die adligen und bürokratischen Titel abschaffen wollte. In allen diesen Fragen handelte es sich Vorzugsweise und unmittelbar um das Interesse der Bourgeoisie. Also Staatsstreiche und hpntrerevolutionäre Krisen, das sind die Lebensbedingungen des Königtums von Gottes Gnaden, welches durch März- oder andre Ereignisse gezwungen worden ist, sich zu demütigen und die Scheinform eines bürgerlichen Königtums widerstrebend anzunehmen. Kann in einer Staatsform, deren notwendige Pointe Staatsstreiche, kontrerevolutionäre Krisen und Belagerungszustände sind, der Kredit je wieder aufkommen?
Welcher Wahn! Die bürgerliche Industrie maß die Fesseln des Absolutismus und Feudalismus sprengen. Eine Revolution gegen beide beweist eben nur, daß die bürgerliche Industrie einen Höhepunkt erreicht hat, wo sie eine ihr angemessene Staatsform erobern oder untergehn muß. Das mit der oktroyierten Verfassung gesicherte bürokratische Vormundsschaftssystem ist der Tod der Industrie. Betrachtet nur die preußische Bergwerksverwaltung, die Fabrikreglements u.dgl.! Wenn der englische Fabrikant seine Produktionskosten mit denen des preußischen Fabrikanten vergleicht, so wird er stets in erster Linie den Zeitverlust stellen, den der preußische Fabrikant durch die notwendige Beobachtung der bürokratischen Vorschriften erleidet. Welcher Zuckerraffineur erinnert sich nicht des preußischen Handelsvertrags mit Holland im Jahre 1839?[231] Welcher preußische Industrielle errötet nicht bei der Erinnerung an das Jahr 1846, wo die preußische Regierung einer ganzen Provinz die Ausfuhr nach Galizien durch ihre Gefälligkeit gegen die östreichische Regierung abschnitt und das preußische Ministerium, als Bankerutt auf Bankerutt in Breslau ausbrach, verwundert erklärte, es habe nicht gewußt, daß eine so bedeutende Ausfuhr nach Galizien usw. stattfinde. Männer derselben Race werden durch die oktroyierte Verfassung an die Spitze des Staatsruders gestellt, wie dies Geschenk selbst aus den Händen dieser Männer kömmt. Beseht es euch also zweimal. Das Abenteuer mit Galizien ruft unsere Aufmerksamkeit auf einen andern Punkt. Damals opferte die preußische Regierung der Kontrerevolution im Bund mit Ostreich und Rußland die schlesische Industrie und den schlesischen Handel. Dies Manöver wird sich täglich wiederholen. Der Bankier derpreußisch-östreichisch-russischen Kontrerevolution, worin das gottbegnadigte Königtum mit seinen Königsmauern seine auswärtige Stütze stets suchen wird und suchen muß — ist England. Der gefährlichste Gegner der deutschen Industrie ist dasselbe — England. Wir glauben, diese zwei Data sprechen hinreichend. Im Innern die Industrie gehemmt durch bürokratische Fesseln, die Agrikultur durch feudale Privilegien, nach außen der Handel durch die Kontrerevolution an England verkauft — das sind die Schicksale des preußischen Nationalreichtums unter der Ägide der oktroyierten Verfassung. Der Bericht der „Finanzkommission" der auseinandergejagten Nationalversammlung hat hinreichendes Licht über die gottbegnadete Verwaltung des Staatsvermögens verbreitet.
t3 Marx/Engels, Werke, Bd. 6
Indes weist dieser Bericht nur beispielsweise Summen auf, die der Staatskasse entzogen wurden, um die wankenden Königsmauern zu stützen und die ausländischen Prätendenten des absoluten Königtums (Don Carlos) zu vergolden. Diese Gelder, die aus den Taschen der übrigen Staatsbürger entwendet werden, damit die Aristokratie ein etatsmäßiges Leben führe und die „Stützen" des feudalen Königtums instand erhalten bleiben, sind aber nur Nebensache bei Betrachtung des mit der Manteuffelschen Verfassung gleichzeitig oktroyierten Staatshaushalts. Vor allem eine starke Armee, damit die Minorität die Majorität beherrsche; möglichst großes Beamtenheer, damit möglichst viele dem allgemeinen Interesse durch ihr Privatinteresse entfremdet werden; Verwendung der Staatsgelder in unproduktivster Weise, damit der Reichtum, wie die „N[eue] Prjeußische] Zjeitung]" sagt, die Untertanen nicht übermütig mache; möglichstes Beiseitelegen der Staatsgelder statt industrieller Verwendung derselben, damit die gottbegnadete Regierung in leicht vorauszusehenden Momenten der Krise dem Volke selbständig gegenübertreten könne - das sind die Grundzüge der oktroyierten Staatshaltung. Verwendung der Steuern, um die Staatsmacht als unterdrückende, selbständige und geheiligte Gewalt der Industrie, dem Handel, dem Ackerbau gegenüber zu behaupten, statt sie1 zum profanen Werkzeug der bürgerlichen Gesellschaft herabzuwürdigen — das ist das Lebensprinzip der oktroyierten preußischen Verfassung! Wie der Geber, so das Geschenk. Wie die jetzige preußische Regierung, so die von ihr geschenkte Verfassung. Um die Feindschaft dieser Regierung gegen die Bourgeoisie zu charakterisieren, genügt es, auf ihre projektierte Gewerbeordnung[232] aufmerksam zu machen. Die Regierung sucht zur Zunft zurückzukehren unter dem Vorwande, zur Assoziation fortzuschreiten. Die Konkurrenz zwingt, immer wohlfeiler zu produzieren, daher auf immer größerer Stufenleiter, d.h. mit größerem Kapital, mit stets erweiterter Teilung der Arbeit und stets vermehrter Anwendung der Maschinerie. Jede neue Teilung der Arbeit entwertet die alte Geschicklichkeit des Handwerkers, jede neue Maschine verdrängt Hunderte von Arbeitern, jedes Arbeiten auf größerer Stufenleiter, d.h. mit größerem Kapital, ruiniert den kleinen Kram und den kleinbürgerlichen Betrieb. Die Regierung verspricht dem Handwerk, es gegenüber dem fabrikmäßigen Betrieb, der erworbenen2 Geschicklichkeit, sie gegenüber der Teilung der Arbeit, dem kleinen Kapital, es gegenüber dem großen durch feudale Zunftinstitutionen zu sichern. Also die deutsche, speziell die preußische Nation, die nur mit Mühe dem gänzlichen Unterliegen vor der englischen Kon
1 In der „N. Rh. Ztg.": ihn -2 in der „N.Rh.Ztg.": die erworbene
kurrenz durch die äußerste Kraftanstrengung widersteht, soll ihr widerstandslos in die Arme geworfen werden, indem ihr eine gewerbliche Organisation aufgedrungen wird, die den modernen Produktionsmitteln widerspricht und von der modernen Industrie in die Luft gesprengt worden ist! Wir sind sicher die letzten, die die Herrschaft der Bourgeoisie wollen. Wir haben zuerst in Deutschland unsre Stimme gegen sie erhoben, als die jetzigen „Männer der Tat" in subalternem Krakeel sich selbstgefällig herumtrieben. Aber wir rufen den Arbeitern und Kleinbürgern zu: Leidet lieber in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, die durch ihre Industrie die materiellen Mittel zur Begründung einer neuen, euch alle befreienden Gesellschaft schafft, als daß ihr zu einer vergangenen Gesellschaftsform zurückkehrt, die unter dem Vorwand, eure Klassen zu retten, die ganze Nation in mittelalterige Barbarei zurückstürzt! Die gottbegnadete Regierung aber hat, wie wir gesehen haben, zu ihrer gesellschaftlichen Unterlage mittelalterige Stände und Zustände. Sie paßt nicht für die moderne bürgerliche Gesellschaft. Sie muß eine Gesellschaft nach ihrem Bilde herzustellen suchen. Es ist reine Konsequenz, wenn sie die freie Konkurrenz durch die Zunft, die Maschinenspinnerei durch das Spinnrad, den Dampf pflüg durch die Hacke zu verdrängen sucht. Wie kömmt es also unter diesen Verhältnissen, daß die preußische Bourgeoisie, ganz im Widerspruch zu ihren französischen, englischen und belgischen Vorgängern, die oktroyierte Verfassung (mit ihr das Königtum von Gottes Gnaden, die Bürokratie und das Junkertum) als ihr Schibboleth ausposaunt? Der kommerzielle und industrielle Teil der Bourgeoisie wirft sich der Kontrerevolution in die Arme aus Furcht vor der Revolution. Als wenn die Kontrerevolution etwas anders als die Ouvertüre zur Revolution wäre. Außerdem gibt es einen Teil der Bourgeoisie, der, gleichgültig gegen die Gesamtinteressen seiner Klasse, ein besonderes, derselben sogar feindliches Sonderinteresse verfolgt. Es sind das die Finanzbarone, großen Staatsgläubiger, Bankiers, Rentiers, deren Reichtum in demselben Maße wächst wie die Volksarmut, und endlich Leute, deren Geschäft auf die alten Staatszustände angelegt ist, z.B. Dumont und sein literarisches Lumpenproletariat. Es sind ehrsüchtige Professoren, Advokaten u.dgl. Leute, die bloß in einem Staate, wo es ein einträgliches Geschäft ist, das Volk an die Regierung zu verraten, ansehnliche Posten zu erhaschen hoffen können. Es sind einzelne Fabrikanten, die mit der Regierung gute Geschäfte machen, Lieferanten, die ihre bedeutenden Prozente aus der allgemeinen
Volksausbeutung ziehen, Spießbürger, deren Wichtigkeit in einem großen politischen Leben verlorengeht, Gemeinderäte, die unter dem Schutz der bisherigen Institutionen ihre schmutzigen Privatinteressen auf Kosten der öffentlichen gefördert haben, Ölhändler, die durch Verrat der Revolution Exzellenzen und Ritter des Adlerordens, bankerutte Tuchhändler und Eisenbahnspekulanten, die k[öni]gl[iche] Bankdirektoren geworden sind1 usw. usw. „Das sind die Freunde der oktroyierten Verfassung." Wenn die Bourgeoisie für diese ihre armen Brüder ein Herz im Busen hat und wenn sie der Achtung Montesquieus LVI. sich würdig machen will, so wähle sie Wahlmänner im Sinne der oktroyierten Verfassung.
Geschrieben von Karl Marx.
1 Anspielung auf Camphausen und Hansemann
Preußischer Steckbrief gegen Kossuth
[„Neue Rheinische Zeitung* Nr. 207 vom 28. Januar 1849] * Köln, 2 I.Januar. Soeben erhalten wir folgendes, im „Oppelner Kreisblatt" abgedruckte erbauliche Aktenstück:
„Steckbrief. Nach einer Mitteilung der k. k. österreichischen Regierungskommission in Krakau sind in Ungarn solche Anstalten getroffen, daß Kossuth unter fremden Namen über Breslau nach Hamburg gelange, und wird vermutet, daß er die Richtung über Myslowitz, Gleiwitz und Kosel einschlagen werde. Infolge Auftrages des Herrn Oberpräsidenten der Provinz Schlesien veranlasse ich daher die Polizeibehörden, Ortsgerichte und Gendarmen auf den Kossuth, dessen Signalement nachstehend angegeben ist, genau zu vigilieren, denselben im Betretungsfalle anzuhalten und sicher an mich zur weiteren Veranlassung abzuliefern." (Folgt hierauf das Signalement Kossuths, wie wir es bereits mitgeteilt.) Das ganze erbauliche Aktenstück ist unterzeichnet:
„Oppeln, den 17. Januar 1849
Der königliche Landrat Hoffmann"
Was sagen unsre Leser hierzu? Die gottbegnadeten Manteuffel der Wasserpolakei haben nicht übel Lust, den großen Agitator Kossuth, falls er geschlagen würde und glücklich die Grenze überschreiten sollte, zu verhaften und an seine Henker zur schleunigsten Begnadigung mit Pulver und Blei abzuliefern. Diese Auslieferung, sollte sie wirklich zustande kommen, würde der niederträchtigste Verrat, der infamste Bruch des Völkerrechts sein, den die Geschichte kennt. Preußen hatte gegen Deutsch-Östreich nach dem alten Bundesrecht allerdings die Verpflichtung, die wegen auf deutschem Bundesgebiet begangener Handlungen inkriminierten politischen] Flüchtlinge auf Verlangen auszu
liefern. Die Revolution hat das alte Bundesrecht umgestoßen, und selbst unter Pfuelwaren Wiener Flüchtlinge in Berlin sicher. Aber gegen Ungarn hatPreußen keine derartige Verpflichtung. Ungarn ist ein unabhängiger Staat, und wenn Preußen ungarische Flüchtlinge, die nur wegen auf ungarischem Boden begangener Handlungen inkriminiert werden können, ausliefert, so begeht es dieselbe schamlose Infamie, als ob es russische oder polnische Flüchtlinge an Rußland auslieferte. Selbst unter dem Regime Bodelschwingh wagte man es nicht, die übergetretenen galizischen und Krakauer Flüchtlinge12051 an Österreich auszuliefern. Aber freilich, dafür waren wir auch damals unter der absoluten Monarchie, und heute sind wir konstitutionell! Noch mehr. Kossuth, sollte er preußisches Gebiet betreten, ist kein politischer Flüchtling, sondern eine auf neutrales Gebiet übergetretene kriegführende Partei. Deutsch-Österreich, ein selbständiger Staatenbund, führt mit Ungarn, einem selbständigen Staate, Krieg; weshalb, geht Preußen nichts an. Und selbst 1831 wagte man nicht, die übergetretenen Polen an Rußland auszuliefern12331; aber damals waren wir auch unter der absoluten Monarchie, und heute sind wir konstitutionell! Wir signalisieren die wohlwollenden Absichten der preußischen Regierung gegen Kossuth der öffentlichen Meinung. Wir sind überzeugt, daß dies hinreicht, um einen solchen Sturm der Sympathie für den größten Mann des Jahres 1848, der Indignation gegen die Regierung hervorzurufen, daß selbst ein Manteuffel nicht wagen wird, dagegen aufzutreten. Aber freilich! Einstweilen noch regiert Kossuth, von dem Enthusiasmus des ganzen Magyarenvolkes umgeben, in Debreczin, noch sprengen seine mutigen Husaren über die ungarischen Pußten, noch steht Windischgrätz ratlos vor den Sümpfen der Theiß, und eure Steckbriefe sind mehr lächerlich als fürchterlich!
Die Berliner „National-Zeitung" an die Urwähler
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 205 vom 26. Januar 1849] * Köln, 25. Januar. Selten, aber doch von Zeit zu Zeit hat man den Genuß, aus dem Niederschlag, den die doppelte Sündflut der Revolution und Kontrerevolution hinterlassen hat, einen Wegweiser aus der guten alten vormärzlichen Zeit emporragen zu sehen. Berge sind versetzt, Täler ausgefüllt, Wälder zu Boden gestreckt worden, aber der Wegweiser steht noch auf der alten Stelle, angestrichen mit den alten Farben, und trägt noch immer die alte Inschrift: „Nach Schiida!" Ein solcher Wegweiser streckt uns aus Nr.21 der Berliner „NaiionalZeitwigu[2M] seinen hölzernen Arm entgegen mit der Inschrift: „An die Urwähler. Nach Schiida!" Der wohlgemeinte Rat der „National-Zeitung" an die Urwähler erklärt ihnen zuerst: „Es ist die Stunde gekommen, wo zum zweiten Male das preußische Volk darangeht, das schwer errungene allgemeine Wahlrecht^2351 auszuüben" (als ob das oktroyierte sogenannte allgemeine Wahlrecht mit seiner in jedem Dorf verschiedenen Interpretation noch dasselbe Wahlrecht sei wie das vom 8. April !^129^), „aus dem die Männer hervorgehen sollen, die zum zweiten Male auszusprechen haben, welches der Sinn (!), die Meinung (!!) und der Wille (!!!) nicht einzelner Stände und Klassen, sondern des ganzen Volkes ist." Schweigen wir von dem fettwanstig-unbehülflichen Stil dieses langsam von einem Wort zum andern fortkeuchenden Satzes. Das allgemeine Wahlrecht, heißt es, soll uns enthüllen, was der Wille nicht einzelner Stände und Klassen, sondern des ganzen Volkes ist. Schön! Und woraus besteht „das ganze Volk"? Aus „einzelnen Ständen und Klassen". Und woraus besteht „der Wille des ganzen Volkes"?
Aus den einzelnen sich widersprechenden „Willen" der „einzelnen Stände und Klassen", also gerade aus dem Willen, den die „National-Zeitung" als das direkte Gegenteil des „Willens des ganzen Volkes" hinstellt. Großer Logiker der „National-Zeitung"! Aber für die „National-Zeitung" existiert ein Wille des ganzen Volkes, der keine Summe widersprechender Willen, sondern ein einiger, bestimmter Wille ist. Wie das? Das ist - der Wille der Majorität. Und was ist der Wille der Majorität? Es ist der Wille, der aus den Interessen, der Lebensstellung, den Existenzbedingungen der Majorität hervorgeht. Um also einen und denselben Willen zu haben, müssen die Glieder der Majorität dieselben Interessen, dieselbe Lebensstellung, dieselben Existenzbedingungen haben oder in ihren Interessen, ihrer Lebensstellung, ihren Existenzbedingungen einstweilen noch verkettet sein. Auf deutsch: Der Wille des Volks, der Wille der Majorität, ist der Wille nicht einzelner Stände und Klassen, sondern einer einzigen Klasse und derjenigen andern Klassen und Klassenabteilungen, die dieser einen herrschenden Klasse gesellschaftlich, d.h. industriell und kommerziell unterworfen sind. „Was sollen wir aber dazu sagen?" Der Wille des ganzen Volkes ist der Wille einer herrschenden Klasse? Allerdings, und gerade das allgemeine Stimmrecht ist nun die Magnetnadel, die, wenn auch erst nach verschiedenen Schwankungen, schließlich doch diese zur Herrschaft berufene Klasse anzeigt. Und diese gute „National-Zeitung" faselt noch immer, wie dies Anno 1847 geschah, von einem imaginären „Willen des ganzen Volkes"! Weiter. Nach diesem erhebenden Exordium setzt sie uns in Erstaunen durch die vielsagende Bemerkung: »Im Januar 1849 ist der Stand der Dinge ein anderer als in den an Hoffnung und Erhebung" (warum nicht auch an Andacht?) „so reichen Maitagen des Jahres 1848."
Damals stand alles im Blütenschmuck, Und die Sonnenlichter lachten, Und die Vöglein sangen so hoffnungsvoll, Und die Menschen hofften und dachten — Sie dachten:f52]
„Damals schien alles einig, daß die großen Reformen, die in Preußen schon längst hätten vorgenommen werden sollen, wenn auf den im Jahre 1807-118114 gelegte»
Grundlagen, in dem damaligen Geiste und entsprechend der seitdem gestiegenen Bildung und Einsicht, weiter fortgebaut worden wäre - nun vollständig und ungesäumt zur Ausführung kommen müßten." „Damals schien alles einig"! Große, göttliche Naivetät der „NationalZeitung" ! Damals, als die Garden wutknirschend aus Berlin zurückzogen, als der Prinz von Preußen in einer Postillions jacke eilends davonlaufen mußte11315, als der hohe Adel und die hohe Bourgeoisie ihren Zorn in sich fraßen ob der Schmach, die dem Könige im Schloßhof angetan, als ihn das Volk zwang, die Mütze abzuziehen vor den Märzleichen — „damals schien alles einig"! Weiß der Himmel, es ist schon stark, so etwas sich eingebildet zu haben, aber jetzt, nachdem man sich selbst als geprellt anerkennen muß, seine geprellte Leichtgläubigkeit noch an die große Glocke zu hängen - wahrhaftig, c'est par trop bonhomme!1 Und worüber „schien alles einig"? Darüber, „daß die großen Reformen, welche ... hätten vorgenommen Vierden sollen, wenn ... fortgebaut worden wäre, nun ... zur Ausführung kommen müßten". Darüber war, nein schien alles einig. Große Märzerrungenschaft, in würdiger Sprache ausgedrückt! Und welche „Reformen" waren dies? Die Entwicklung der „Grundlagen von 1807-1814, in dem damaligen Geist und entsprechend der seitdem gestiegenen Bildung und Einsicht". Das heißt in dem Geist von 1807—[18] 14 und zugleich in einem ganz andern Geist. Der „damalige Geist" bestand ganz einfach in dem höchst materiellen Druck der damaligen Franzosen auf die damalige preußische Junkermonarchie sowie in dem damaligen ebenfalls wenig günstigen Finanzdefizit des Königreichs Preußen. Um den Bürger und Bauer steuerzahlungsfähig zu machen, um wenigstens dem Scheine nach einige der Reformen bei den königl[ich]-preuß[ischenl Untertanen einzuführen, mit denen die Franzosen die eroberten Teile Deutschlands überschütteten; kurz, um die in allen Fugen krachende, verrottete Monarchie der Hohenzollern wieder einigermaßen zu flicken, deswegen wurden einige knauserige sogenannte Städteordnungen, Ablösungsordnungen, Militärinstitutionen etc. gemacht. Alle diese Reformen zeichneten sich durch nichts aus, als daß sie volle hundert Jahre hinter der französischen Revolution von 1789, ja hinter der englischen von 1640 zurückblieben. Und das sollen die Grundlagen für das revolutionierte Preußen sein?
Aber die altpreußiscbe Einbildung siebt immer Preußen im Mittelpunkt der Weltgeschichte, während der Staat der Intelligenz in Wirklichkeit stets von ihr durch den Kot nachgeschleift worden ist. Diese altpreußische Einbildung muß natürlich ignorieren, daß Preußen, solange es von den Franzosen keine Fußtritte bekam, ruhig auf den unentwickelten Grundlagen von 1807 bis 1814 hockenblieb und kein Glied rührte. Sie muß ignorieren, daß diese Grundlagen längst vergessen waren, als die glorreiche bürokratisch-junkertümliche k[öni]gl [ich]-preußische Monarchie letzten Februar von den Franzosen einen neuen so gewaltigen Stoß erhielt, daß sie von ihren „Grundlagen von 1807-1814" glorreichst herunterpurzelte. Sie muß ignorieren, daß es sich für die königlich-preußische Monarchie keineswegs um diese Grundlagen, sondern bloß um Abwendung der weiteren Folgen des von Frankreich erhaltenen Anstoßes handelte. Das alles aber ignoriert die preußische Einbildung, und als sie den Stoß plötzlich erhält, schreit sie, wie ein Kind nach der Amme, nach den verrotteten Grundlagen von 1807-1814! Als ob nicht das Preußen von 1848 nach Gebiet, Industrie, Handel, Verkehrsmitteln, Bildung und Klassenverhältnissen ein ganz andres Land sei wie das Preußen der „Grundlagen von 1807-1814"! Als ob nicht seit jener Zeit zwei ganz neue Klassen, das industrielle Proletariat und die freie Bauernklasse, in seine Geschichte eingegriffen hätten, als ob die preußische Bourgeoisie von 1848 nicht eine ganz andre sei als die schüchterne, demütige und dankbare Kleinbürgerschaft aus der Zeit der „Grundlagen"! Aber das hilft alles nichts. Ein braver Preuße darf nichts kennen als seine „Grundlagen von 1807-1814". Das sind einmal die Grundlagen, darauf wird fortgebaut und damit basta. Der Anfang einer der kolossalsten geschichtlichen Umwälzungen wird zusammengetrocknet zum Ende einer der winzigsten Scheinreformprellereien so versteht man die Revolution in Altpreußen! Und in dieser selbstgefällig-bornierten Schwärmerei aus der vaterländischen Geschichte „schien alles einig" - freilich, gottlob, nur in Berlin! Weiter. „Diejenigen Stände und Klassen, welche Privilegien und Vorrechte aufzugeben ... hatten, an denen es war, in Zukunft nur in gleichem Recht mit allen ihren Mitbürgern zu stehn, ... schienen bereit dazu - erfüllt von der Überzeugung, daß der alte Zustand unhaltbar geworden sei, daß es in ihrem eignen wohlverstandnen Interesse liege ..." Seht den sanftmütigen und von Herzen demütigen Bürgersmann, wie er <lie Revolution abermals eskamotiert! Der Adel, die Pfaffen, die Bürokraten,
die Offiziere „schienen bereit", ihre Privilegien aufzugeben, nicht weil das bewaffnete Volk sie dazu zwang, weil die, im ersten Schrecken vor der europäischen Revolution, unaufhaltsam eingerissene Demoralisation und Desorganisation in ihren eigenen Reihen sie; widerstandslos machte — nein! Die friedlichen, wohlwollenden und für beide Teile vorteilhaften „Transaktionen", um mit Herrn Camphausen zu sprechen, vom 24.Februar und 18.März[2361 hatten sie mit der „Überzeugung erfüllt", daß dies „in ihrem eignen wohlverstandenen Interesse liege"! Die Märzrevolution und vollends der 24. Februar im wohlverstandenen Interesse der Herren Krautjunker, Konsistorialräte, Regierungsräte und Gardelieutenants — das ist doch wahrhaftig ein pyramidaler Einfall! Aber leider!
„Heut ist es nicht mehr so. Die Nutznießer und Anhänger des alten Zustandes wollen, weit davon entfernt, ihrer Pflicht gemäß (!) selbst zu helfen, daß der alte Schutt abgeräumt und das neue Haus gebaut werde, nur die alten Trümmer, unter denen der Boden so bedenklich gewankt hat, stützen und mit einigen anscheinend der neuen Zeit sich anschmiegenden Formen ausputzen."
„Heut ist es nicht mehr so" - als es im Mai zu sein schien, d.h., es ist nicht mehr so, wie es im Mai nicht war, oder es ist gerade so, wie es im Mai war. Solches Deutsch schreibt man in der Berliner „National-Zeitung" und ist noch stolz darauf obendrein. Mit einem Wort: Der Mai 1848 und der Januar 1849 unterscheiden sich nur durch den Schein. Früher schienen die Kontrerevolutionäre ihre Pflicht einzusehen, heute sehen sie sie wirklich und unverhohlen nicht ein, und darüber jammert der ruhige Bürger. Es ist ja doch die Pflicht der Kontrerevolutionäre, ihre Interessen in ihrem eignen wohlverstandenen Interesse aufzugeben! Es ist ihre Pflicht, sich selbst ihre Lebensadern aufzuschneiden - und doch tun sie's nicht ~ so jammert der Mann des wohlverstandenen Interesses ! Und warum tun eure Feinde jetzt das nicht, was, wie ihr sagt, doch ihre Pflicht ist? Weil ihr selbst im Frühjahr eure „Pflicht" nicht getan — weil ihr damals, als ihr stark wäret, euch wie Memmen benommen und vor der Revolution gezittert habt, die euch groß und gewaltig machen sollte; weil ihr selbst den alten Schutt habt liegenlassen und euch selbstgefällig bespiegelt habt in der Aureole eines halben Erfolgs! Und nun, da die Kontrerevolution stark geworden über Nacht und euch den Fuß auf den Nacken setzt, nun, da unter euren Füßen der Boden bedenklich wankt, nun verlangt ihr, die Kontrerevolution soll eure
Dienerin werden, soll den Schutt wegräumen, den ihr wegzuräumen zu schwach und zu feig wäret, sie, die Mächtige, soll sich euch Schwachen opfern? Kindische Toren ihr! Aber wartet eine kurze Zeit, und das Volk wird sich erheben und mit einem mächtigen Stoß euch zu Boden strecken mitsamt der Kontrerevolution, gegen die ihr jetzt so ohnmächtig anbellt!
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.207 vom 28. Januar 1849, Zweite Ausgabe] * Köln, 27. Januar. Wir haben in unserm ersten Artikel einen Umstand nicht berücksichtigt, der der „Nat[ional]-Z[ei]t[un]g" allerdings scheinbar zur Entschuldigung gereichen könnte: Die „Nat.-Ztg." schreibt nicht frei, sie steht unter dem Belagerungszustand. Und unter dem Belagerungszustand muß sie allerdings singen:
Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigens Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht; Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen, Allein das Schicksal will es nicht!!!12373
Inzwischen erscheinen die Zeitungen nicht, selbst unter dem Belagerungszustande nicht, um das Gegenteil von ihrer Meinung zu sagen, und dann findet auf die erste, bisher von uns in Betracht gezogene Hälfte des fraglichen Artikels der Belagerungszustand keine Anwendung. Der Belagerungszustand ist nicht schuld an dem wulstigen, unklaren Stil der „N.-Z.". Der Belagerungszustand ist nicht schuld daran, daß die „N.-Z." sich nach dem März allerlei biedermännische Illusionen machte. Der Belagerungszustand zwingt die „N.-Z." keineswegs, die Revolution von 1848 zum Schleppenträger der Reformen von 1807 bis 1814 zu machen. Der Belagerungszustand, mit einem Wort, zwingt die „N.-Z." keineswegs, über den Entwicklungsgang der Revolution und Kontrerevolution von 1848 so absurde Vorstellungen zu haben, wie wir sie ihr vor zwei Tagen nachwiesen. Nicht die Vergangenheit, nur die Gegenwart fällt dem Belagerungszustand anheim. Deshalb trugen wir bei der Kritik der ersten Hälfte des fraglichen Artikels dem Belagerungszustand keine Rechnung, und eben deshalb werden wir ihm heute Rechnung tragen.
Die „N.-Z.", nach Beendigung ihrer historischen Einleitung, wendet sich nun folgendermaßen an die Urwähler :
„Es gilt den angebahnten Fortschritt zu sichern, die Errungenschaften festzuhalten." Welchen „Fortschritt"? Welche „Errungenschaften"? Den „Fortschritt", daß es „heute nicht mehr so ist", wie es im Mai „schien"? Die „Errungenschaft", daß „die Nutznießer des alten Zustandes weit entfernt sind, ihrer Pflicht gemäß selbst zu helfen, daß der alte Schutt aufgeräumt werde"? Oder die oktroyierten „Errungenschaften", die „die alten Trümmer stützen und mit einigen der neuen Zeit anscheinend sich anschmiegenden Formen ausputzen"? Der Belagerungszustand, meine Herren von der „National-Zeitung", ist keine Entschuldigung für Gedankenlosigkeit und Konfusion. Der „Fortschritt", der vorderhand am besten „angebahnt" ist, ist der Rückschritt zum alten System, und auf dieser Fortschrittsbahn schreiten wir täglich weiter. Die einzige „Errungenschaft", die uns geblieben ist — und das ist keine spezifisch-preußische, keine „ März"-Errungenschaft, sondern das Resultat der europäischen Revolution von 1848 — ist die allgemeinste, entschiedenste, blutigste, gewaltsamste Kontrerevolution, die aber selbst nur eine Phase der europäischen Revolution und daher nur die Erzeugerin eines neuen, allgemeinen und siegreichen revolutionären Gegenschlags ist. Aber die „National-Zeitung" weiß das vielleicht so gut wie wir und darf es nur nicht sagen wegen des Belagerungszustandes? Man höre:
„Wir wollen nicht eine Fortdauer der Revolution; wir sind Feinde aller Anarchie, jeder Gewalttat und Willkür; wir wollen Gesetz, Ruhe und Ordnung."
Der Belagerungszustand, meine Herren, zwingt Sie höchstens zum Schweigen, nie zum Reden. Diesen letztzitierten Satz nehmen wir daher zu Protokoll: Sprechen Sie aus ihm, um so besser; spricht der Belagerungszustand aus ihm, so brauchen Sie sich nicht zu seinem Organ herzugeben. Entweder sind Sie revolutionär, oder Sie sind es nicht. Sind Sie es nicht, so sind wir von vornherein Gegner; sind Sie es, so mußten Sie schweigen. Aber Sie sprechen mit solcher Uberzeugung, Sie haben so honette Antezedenzien, daß wir ruhig annehmen können: der Belagerungszustand ist dieser Beteurung gänzlich fremd. „Wir wollen nicht eine Fortdauer der Revolution." Das heißt: wir wollen die Fortdauer der Kontrerevolution. Denn aus der gewaltsamen Kontre
revolution, das ist eine historische Tatsache, kommt man entweder gar nicht heraus oder nur durch die Revolution. „Wir wollen nicht eine Fortdauer der Revolution," das heißt: wir erkennen die Revolution als geschlossen an, als zu ihrem Ziel gelangt. Und das Ziel, an dem die Revolution am 2I.Januar 1849, als der fragliche Artikel verfaßt wurde, angelangt war, dies Ziel war eben - die Kontrerevolution. „Wir sind Feinde aller Anarchie, jeder Gewalttat und Willkür." Also auch Feinde der „Anarchie", die nach jeder Revolution bis zur Konsolidierung der neuen Verhältnisse eintritt, Feinde der „Gewalttaten" vom 24.Februar und 18.März, Feinde der „Willkür", die einen verrotteten Zustand und seine morschen gesetzlichen Stützpfeiler rücksichtslos zertrümmert! „Wir wollen Gesetz, Ruhe und Ordnung"! In der Tat, der Moment ist gut gewählt, vor „Gesetz, Ruhe und Ordnung" niederzuknieen, gegen die Revolution zu protestieren und in das triviale Zeter gegen Anarchie, Gewalttat und Willkür einzustimmen! Gut gewählt, gerade in dem Augenblick, wo die Revolution unter dem Schutz der Bajonette und Kanonen offiziell zu einem gemeinen Verbrechen umgestempelt, wo „Anarchie, Gewalttat und Willkür" durch königliche kontrasignierte Ordonnanzen unverhohlen in Praxis gesetzt, wo das „Gesetz", das die Kamarilla uns aufoktroyiert, stets gegen uns, nie für uns angewandt wird, wo „Ruhe und Ordnung" darin bestehen, daß man die Kontrerevolution in „Ruhe" läßt, damit sie ihre altpreußische „Ordnung" der Dinge herstellen kann. Nein, meine Herren, aus Ihnen spricht kein Belagerungszustand, aus Ihnen spricht der unverfälschteste, ins Berlinische übersetzte Odilon Barrot mit all seiner Borniertheit, all seiner Impotenz, all seinen frommen Wünschen. Kein Revolutionär ist so taktlos, so verlandet, so feig, daß er die Revolution gerade dann verleugnet, wenn die Kontrerevolution ihre glänzendsten Triumphe feiert. Wenn er nicht sprechen kann, so handelt er, und wenn er nicht handeln kann, so schweigt er lieber ganz. Aber verfolgen die Herren von der „National-Zeitung" nicht vielleicht eine schlaue Politik? Treten sie vielleicht deshalb so zahm auf, um noch einen Teil der sogenannten Gemäßigten am Vorabend der Wahlen für die Opposition zu gewinnen? Wir haben es gesagt, vom ersten Tage an, als die Kontrerevolution über uns hereinbrach, von jetzt an gibt es nur noch zwei Parteien: die „Revolutionäre" und die „Kontr er evolutionäre"; nur noch zwei Parolen: „die demokratische Republik" oder „die absolute Monarchie"1. Alles, weis dazwischen
liegt, ist keine Partei mehr, ist bloße Fraktion. Die Kontrerevolution hat alles getan, unsern Ausspruch wahr zu machen. Die Wahlen sind seine glänzendste Bestätigung. Und zu einer solchen Zeit, wo die Parteien einander so schroff entgegenstehen, wo der Kampf mit der größten Erbitterung geführt wird, wo nur die erdrückende Übermacht der organisierten Soldateska verhindert, daß der Kampf mit den Waffen in der Hand ausgefochten wird — zu einer solchen Zeit hört alle Vermittlungspolitik auf. Man muß selbst Odilon Barrot sein, um dann den Odilon Barrot spielen zu können. Aber unsere Berliner Barrots haben ihre Vorbehalte, ihre Bedingungen, ihre Interpretationen. Heuler[226] sind sie, aber durchaus keine Heuler schlechtweg; sie sind Heuler mit einem „Das heißt", Heuler von der leisen Opposition: „Aber wir wollen neue Gesetze, wie sie der erwachte freie Volksgeist und der Grundsatz der Gleichberechtigung fordert; wir wollen eine wahrhaft demokratisch-konstitutionelle Ordnung" (d.h. ein wahrhaftes Unding); „wir wollen Ruhe, die auf mehr sich stützt als auf Bajonette und Belagerungszustände; die eine politisch und sittlich (!) begründete Beruhigung der Gemüter ist, hervorgerufen durch die durch Taten und Einrichtungen gewährleistete Überzeugung, daß jeder Klasse des Volks ihr Recht" etc. etc. Wir können uns die Arbeit ersparen, diesen belagemngszuständlichen Satz zu Ende zu schreiben. Genug, die Herren „wollen" nicht die Revolution, sondern nur eine kleine Blumenlese aus den Resultaten der Revolution; etwas Demokratie, aber auch etwas Konstitutionalismus, einige neue Gesetze, Entfernung der feudalen Institutionen, bürgerliche Gleichheit etc. etc. Mit andern Worten, die Herren von der „National-Zeitung" und die von der Berliner Ex-Linken[238J, deren Organ sie ist, wollen akkurat dasselbe von der Kontrerevolution erlangen, weshalb die Kontrerevolution sie auseinandergejagt. Nichts gelernt und nichts vergessen ![239] Die Herren „wollen" lauter Dinge, die sie nie erlangen werden, außer durch eine neue Revolution. Und eine neue Revolution wollen sie nicht. Eine neue Revolution würde ihnen aber auch ganz andere Dinge bringen, als die oben aufgestellten bescheiden-bürgerlichen Forderungen enthalten. Und darum haben die Herren ganz recht, keine Revolution zu wollen. Das Beste aber ist, daß sich die geschichtliche Entwickelung wenig darum kümmert, was die Barrots „wollen" oder nicht „wollen". Der Pariser OriginalBarrot „wollte" auch am 24. Februar nur ganz bescheidene Reformen und namentlich ein Portefeuille für sich durchsetzen; und kaum hatte er beides erhascht, so schlugen die Wogen über ihm zusammen, und er verschwand mit
seinem ganzen tugendhaften, kleinbürgerlichen Anhang in der revolutionären Sündflut. Auch jetzt, wo er endlich wieder ein Ministerium erhascht hat, „will" er wieder gar mancherlei; aber nichts von dem, was er will, geschieht. Das ist von jeher das Schicksal der Barrots gewesen. Und so wird es den Berliner Barrots auch gehen. Sie werden mit oder ohne Belagerungszustand fortfahren, das Publikum mit ihren frommen Wünschen zu ennuyieren, sie werden allerhöchstem einige wenige dieser Wünsche auf dem Papier durchsetzen und zuletzt entweder von der Krone oder vom Volke in Ruhestand versetzt werden. Aber in Ruhestand versetzt werden sie jedenfalls.
Geschrieben von Karl Marx.
Zustand in Paris
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 209 vom 31. Januar 1849] * Paris, 28. Januar. Die Gefahr eines Volksaufstandes ist vorderhand beseitigt durch das Votum der Kammer gegen die Dringlichkeit des Klubverbots, d.h. gegen das Klub verbot überhaupt12401. Aber eine neue Gefahr taucht auf: die Gefahr des Staatsstreichs. Man lese den heutigen „National'^ 731 und sage, ob nicht aus jeder Zeile die Furcht vor dem Staatsstreich hervorleuchtet. „Das Votum von heute ist ein tödlicher Streich für das Kabinett, und wir fordern Herrn Odilon Barrot, Faucher und tutti quanti1 heraus, jetzt ihre Portefeuilles noch länger zu behaupten .. Soweit scheint der „National" noch gutes Muts zu sein. Aber man höre den Nachsatz: „... ohne in offne Revolte gegen den Geist und den Buchstaben der Verfassung zu treten!" Und was läge Herrn Odilon Barrot, Faucher und tutti quanti daran, in offne Revolte gegen die Verfassung zu treten! Seit wann schwärmen Barrot und Faucher für die Verfassung von 1848! Der „National" droht den Ministern nicht mehr, er demonstriert ihnen, daß sie abtreten müssen, er demonstriert dem Präsidenten, daß er sie entlassen muß. Und das in einem Lande, wo sich der Rücktritt der Minister nach einem solchen Votum seit dreißig Jahren von selbst versteht! Der Präsident der Republik, sagt der „National", wird das hoffentlich einsehn, daß die Majorität und das Kabinett in vollständiger Zwietracht sind, daß er durch Entlassung des Kabinetts die Bande zwischen sich und der
1 alle Leute dieser Art
14 Marx/Engels,Werke, Bd. 6
Majorität enger knüpfen wird, daß zwischen ihm und der Majorität nur ein Hindernis des guten Vernehmens besteht: das Kabinett. Ja, der „National" sucht dem Ministerium eine goldene Brücke zum Rückzug zu bauen: Er wünscht, daß die Anklage gegen die Minister fallengelassen werde. Das Votum sei Strafe genug. Dies letzte Mittel möge aufgespart werden, bis die Minister die Konstitution wirklich durch einen vollendeten Akt verletzt haben. Ja, ruft er zuletzt aus, alles macht es dem Kabinett zur Pflicht, sich zurückzuziehen; seine eigenen Worte binden es derart, daß wir zögern zu glauben, es werde die Gewalt zu behalten wagen. Herr Barrot erklärte heut abend, daß, wenn die Dringlichkeit verworfen werde, die Versammlung selbst die Verantwortlichkeit für die Ereignisse übernehme. Gut, wo die Verantwortlichkeit aufhört, muß auch die Macht aufhören. Will das Kabinett nicht verantwortlich sein für die Ereignisse, so darf es sie auch nicht dirigieren. Herr Barrot hat seine Demission auf der Tribüne niedergelegt, indem er die Verantwortlichkeit ablehnte. Kurz: Der „National" glaubt nicht an den freiwilligen Rücktritt des Ministeriums und ebensowenig an seine Entlassung durch den Präsidenten. Wenn aber das Ministerium dem Votum der Versammlung trotzen will, so bleibt ihm nichts als — der Staatsstreich. Die Auflösung der Nationalversammlung und die Vorbereitung der monarchischen Restauration durch Militärgewalt, das ist es, was hinter der Furcht des „National" vor dem Bleiben des Ministeriums lauert. Daher bitten der „National" und die roten Blätter das Volk, nur ja ruhig zu bleiben, nur ja keinen Vorwand zum Einschreiten zu geben, da jede Erneute nur das fallende Kabinett stützen, nur der royalistischen Kontrerevolution dienen könne. Daß der Staatsstreich immer näher rückt, beweisen die Vorfälle zwischen Changarnier und den Offizieren der Mobilgarde. Die bouchers de Cavaignac1 haben keine Lust, sich zu einem royalistischen Coup gebrauchen zu lassen; deshalb sollen sie aufgelöst werden; sie murren, und Changarnier droht, sie zusammenhauen zu lassen, und steckt ihre Offiziere in Arrest. Die Situation kompliziert sich scheinbar; in der Tat aber wird sie sehr einfach, so einfach, wie sie jedesmal am Vorabend einer Revolution ist. Der Konflikt zwischen der Versammlung und dem Präsidenten nebst seinen Ministern ist zum Ausbruch gekommen. Frankreich kann unter der Impotenz, von der es seit 10 Monaten regiert wird, nicht länger existieren; das
Defizit, der gedrückte industrielle und kommerzielle Zustand, der Steuerdruck, der den Ackerbau ruiniert, werden täglich unerträglicher; große, einschneidende Maßregeln werden immer dringender, und jede neue Regierung ist immer impotenter und tatloser als die frühere; bis endlich Odilon Barrot die Untätigkeit auf die Spitze getrieben und in sechs Wochen absolut gar nichts getan hat. Dadurch aber hat er die Situation sehr vereinfacht. Nach ihm ist kein Ministerium der honetten Republik mehr möglich. Die gemischten Regierungen (das Provisorium und die Exekutivkommission)tl0lJ, die Regierung des „National", die Regierung der alten Linken, alles ist durchgemacht, alles verschlissen und abgenutzt. Die Reihe kommt jetzt an Thiers, und Thiers ist die unverhüllte monarchische Restauration. Monarchische Restauration oder — rote Republik, das ist jetzt die einzige Alternative in Frankreich. Die Krisis kann sich noch einige Wochen hinziehen, aber ausbrechen muß sie. Changarnier-Monkt241] mit seinen Dreihunderttausend, die ihm für 24 Stunden gänzlich zu Gebot stehen, scheint auch nicht länger warten zu wollen. Daher die Angst des „National". Er erkennt seine Unfähigkeit, die Situation zu beherrschen; er weiß, daß jede gewaltsame Änderung der Regierung seine heftigsten Feinde zur Herrschaft bringt, daß er bei der Monarchie wie bei der roten Republik verloren ist. Daher sein Seufzen nach einer friedlichen Transaktion, seine Höflichkeit gegen die Minister. Wir werden sehr bald sehn, ob es zum endlichen Siege der roten Republik nötig ist, daß Frankreich für einen Augenblick durch die monarchische Phase passiert. Möglich ist es, aber nicht wahrscheinlich. Das aber ist gewiß: Die honette Republik bricht an allen Ecken zusammen, und nach ihr ist, wenn auch erst nach einigen kleinen Intermezzos, nur noch möglich die rote Republik.
[Die Situation in Paris]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.209 vom 31 .Januar 1849, Außerordentliche Beilage] *"Köln, 30.Januar. Als wir gestern morgen durch ein Extrablatt einen in Paris noch bevorstehenden Sturmausbruch verkündeten, schrieben heulende12265 Urwähler zur ersten Kammer unter unser Flugblatt: Das ist gelogen! Bange machen gilt nicht! und was dergleichen bürgerliche Kraftsprüche mehr sind. Die Elenden erblickten in unserem Extrablatt ein bloßes Wahlmanöver, als ob die erste Kammer und die zweite Kammer dazu und die ganze preußische Bewegung obendrein uns bewegen könnten, die Geschichte der europäischen Revolution zu verfälschen! Stupp ist Wahlmann zur ersten Kammer! Rentner von Wittgenstein ist Wahlmann zur ersten Kammer! Kanzler v. Groote ist Wahlmann zur ersten Kammer! Und dennoch untersteht sich das revolutionäre Ungeheuer zu Paris von neuem zu brüllen! Quelle horreur!1 Wir sagten in unserer heutigen Nummer2 unter andern über die Pariser Situation: „Die Gefahr eines Volksaufstandes ist vorderhand beseitigt durch das Votum der Kammer gegen die Dringlichkeit des Klub Verbots, d.h. gegen das Klubverbot überhaupt.12401 Aber eine neue Gefahr taucht auf: die Gefahr des Staatsstreichs... Wenn das Ministerium dem Votum der Versammlung trotzen will, so bleibt ihm nichts als - der Staatsstreich. Die Auflösung der Nationalversammlung und die Vorbereitung der monarchischen Restauration durch Militärgewalt, das ist es, was hinter der Furcht des „National" vor dem Bleiben des Ministeriums lauert ... Daß der Staatsstreich immer näher rückt,
1 Welch ein Schrecken! - 2 siehe vorl. Band, S. 209-211
beweisen die Vorfälle zwischen Changarnier und den Offizieren der Mobilgarde ... Die Situation kompliziert sich scheinbar; in der Tat aber wird sie sehr einfach, so einfach, wie sie jedesmal am Vorabend einer Revolution ist. Der Konflikt zwischen der Versammlung und dem Präsidenten nebst seinen Ministern ist zum Ausbruch gekommen ... Monarchische Restauration oder rote Republik, das ist jetzt die einzige Alternative in Frankreich ... Die honette Republik bricht an allen Ecken zusammen, und nach ihr ist, wenn auch erst nach einigen kleinen Intermezzos, nur noch möglich die rote Republik Wir kündeten in dem Extrablatt die Krise für den 29. an. Die unten nachfolgenden Berichte aus Paris vom 29. werden unsern Lesern zeigen, wie genau unsere Berichte und wie schlagend richtig unsere heutige Darstellung der französischen Situation war.
Die „Kölnische Zeitung" über die Wahlen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 210 vom 1. Februar 1849] * Köln, 30, Januar. Die „Kölnische Zeitung"1211 hat endlich auch Wahlberichte erhalten, und zwar Berichte, die einigermaßen Ol in ihre Wunden gießen.
„Die demokratischen Wahlberichte", ruft Ehren-Brüggemann freudetrunken aus, „die demokratischen Wahlberichte" (d.h. die „Neue Rheinische Zeitung") „haben arg aufgeschnitten. Die Reklamationen kommen uns jetzt von allen Seiten zu."
Von allen Seiten! Die „Kölnische" wird uns mit der Wucht ihrer „Reklamationen" erdrücken. Zwei Seiten gedrängter Wahlbulletins, jedes eine „arge Aufschneiderei" der „Neuen Rheinischen Zeitung", jedes einen Sieg der Konstitutionellen nachweisend, werden uns die purpurnste Schamröte in die Wangen treiben? Im Gegenteil. „Die Reklamationen kommen uns jetzt von allen Seiten zu." Ehren-Brüggemann „schneidet" nicht „auf". Es kommen ihm wirklich summa summarum vier ganze Reklamationen zu: aus Westen (Trier), Norden (Hamm), Süden (Siegburg) und Osten (Arnsberg)! Sind das nicht „Reklamationen von allen Seiten" gegen das „arge Aufschneiden der demokratischen Wahlberichte"! Lassen wir ihr einstweilen den Genuß, zu glauben, daß in diesen vier entscheidenden Orten die Konstitutionellen gesiegt haben. Ohnehin wird dieser Genuß verbittert durch den Schmerz, daß doch an manchen Orten die Konstitutionellen der „Verführbarkeit der Massen" erlegen sind. Naives Geständnis der Konstitutionellen, daß für sie die „Massen" nicht „verführbar" sind! Doch ein Trost bleibt der „Kölnischen Zeitung". Und welcher Trost?
Der Trost, daß der Koblenzer Korrespondent der „Deutschen Zeitung"[177] ihr Leidensgenosse ist, daß er in dieser unglücklichen Konstellation passende Worte gesprochen hat, würdig, in den ersten Kolumnen der „Kölnischen Zeitung" zu figurieren:
„Merkt, daß die politische Frage auch in diesem Punkte, wie überall, klein wird gegen die soziale, daß sie ganz darin aufgeht
Noch bis vor wenig Tagen wollte die „Kölnische Zeitung" von der sozialen Frage nichts wissen. Sie kam nie, oder höchstens mit einer gewissen Frivolität (soweit es der „Kölnischen" möglich ist, frivol zu sein), auf dies jenseitige Wesen zu sprechen. Sie verhielt sich gottlos, ungläubig, freigeistig zu ihr. Da auf einmal geht es ihr wie dem Fischer in „Tausendundeiner Nacht"; wie vor ihm der Genius aus dem vom Meeresgrund aufgefischten, entsiegelten Gefäß sich riesengroß erhob, so ersteht vor der zitternden „Kölnischen" plötzlich aus der Wahlurne das dräuende Riesengespenst der „sozialen Frage". Erschrocken sinkt Ehren-Brüggemann in die Knie; seine letzte Hoffnung schwindet, das Gespenst verschluckt mit einem Zuge seine ganze, jahrelang zärtlich gehätschelte „politische Frage" samt Rechtsböden und Zubehör. Kluge Politik der „Kölnischen Zeitung". Ihre politische Niederlage sucht sie durch ihre soziale Niederlage zu beschönigen. Diese Entdeckung, daß sie nicht nur auf politischem, sondern auch auf sozialem Gebiet geschlagen ist, das ist die größte Urwahlerfahrung der „Kölnischen"! Oder schwärmte die „Kölnische Zeitung" etwa schon früher für die „soziale Frage"? In der Tat, Montesquieu LVI. hatte in der „Kölnischen Zeitung" erklärt, die soziale Frage sei unendlich wichtig, und die Anerkennung der oktroyierten Verfassung11231 sei die Lösung der sozialen Frage.1 Die Anerkennung der oktroyierten Verfassung — das ist aber vor allem das, was die „Kölnische Zeitung" die „politische Frage" nennt. Vor den Wahlen also ging die soziale Frage in die politische, nach den Wahlen geht die politische in die soziale auf. Das ist also der Unterschied, das die Urwahlerfahrung, daß nach den Wahlen gerade das Umgekehrte von dem richtig ist, was vor den Wahlen ein Evangelium war. „Die politische Frage geht in die soziale auf!" Lassen wir außer Augen, daß wir vor den Wahlen bereits möglichst handgreiflich auseinandergesetzt haben, wie von einer „sozialen Frage" als solcher
gar nicht die Rede sein kann, wie jede Klasse ihre eigene soziale Frage hat und wie mit dieser sozialen Frage einer bestimmten Klasse auch zugleich eine bestimmte politische Frage für diese Klasse gegeben ist.1 Lassen wir alle diese leichtfertigen Randglossen gegenüber der ernsten, gediegenen Kölnerin außer Augen, und gehen wir, soviel möglich, auf den Gedankengang und die Redeweise dieses charaktervollen und tiefsinnigen Blattes ein. Unter der sozialen Frage versteht die „Kölnische Zeitung" die Frage: Wie ist der Kleinbürgerschaft, den Bauern und dem Proletariat zu helfen? Und jetzt, da bei den Urwahlen die Kleinbürgerschaft, die Bauern und die Proletarier sich von der großen Bourgeoisie, dem hohen Adel und der hohen Bürokratie emanzipiert haben, jetzt ruft die „Kölnische Zeitung": „Die politische Frage geht in die soziale auf!" Schöner Trost für die „Kölnische"! Also, daß die Arbeiter, die Bauern und die kleineren Bürger die großbürgerlichen und sonstigen wohlangesehenen konstitutionellen Kandidaten der „Kölnischen Zeitung" mit eklatanten Majoritäten aus dem Felde geschlagen haben, das ist keine Niederlage der „Konstitutionellen", sondern bloß ein Sieg der „sozialen Frage"! Daß die Konstitutionellen geschlagen, beweist nicht, daß die Demokraten gesiegt haben, sondern daß die Politik gegenüber den materiellen Fragen aus dem Spiele geblieben ist. Tiefdenkende Gründlichkeit des benachbarten Publizisten ![242] Diese Kleinbürger, die am Rande des Untergangs schweben, schwärmen sie etwa für die oktroyierte Verfassung? Diese Bauern, die hier von Hypotheken und Wucher, dort von Feudallasten erdrückt werden, sind sie begeistert für die Finanz- und Feudalbarone, ihre eigenen Unterdrücker, zu deren Nutz und Frommen gerade die oktroyierte Verfassung erfunden? Und vollends diese Proletarier, die zu gleicher Zeit unter der Reglementierungswut unserer Bürokraten und unter der Profitwut unserer Bourgeoisie schmachten, haben sie Grund, sich darüber zu freuen, daß die oktroyierte Verfassung ein neues Band um diese beiden Klassen von Volksaussaugern schlingt? Haben nicht alle diese drei Klassen vor allem ein Interesse an der Wegschaffung der ersten Kammer, die nicht sie vertritt, sondern ihre direkten Gegner und Unterdrücker? In der Tat, die „Kölnische Zeitung" hat recht: Die soziale Frage verschluckt die politische, die neu in die politische Bewegung eingetretenen Klassen werden im Interesse der „sozialen Frage" gegen ihr eigenes politisches Interesse und für die oktroyierte Verfassung stimmen!
Können die Kleinbürger und Bauern, und vollends die Proletarier, eine bessere Staatsform für die Vertretung ihrer Interessen finden als die demokratische Republik? Sind nicht gerade diese Klassen die radikalsten, die demokratischsten der ganzen Gesellschaft? Ist nicht das Proletariat gerade die spezifisch rote Klasse? - Einerlei, ruft die „Kölnische", die soziale Frage verschluckt die politische. Der Sieg der sozialen Frage ist zugleich der Sieg der oktroyierten Verfassung nach der „Kölnischen". Aber die „soziale Frage" der „Kölnischen Zeitung" hat auch eine ganz aparte Beschaffenheit. Man lese den Bericht der „Kölnischen Zeitung" über die Wahlen zur ersten Kammer12431 und ihren „glücklichen Ausfall", der darin besteht, daß Herr Joseph Dumont Wahlmann geworden ist. Die eigentliche soziale Frage der „Kölnischen Zeitung" ist dadurch allerdings gelöst, und ihr gegenüber verschwinden alle die untergeordneten „sozialen Fragen", welche bei Gelegenheit der Wahlen zur plebejischen zweiten Kammer etwa auftauchen konnten. Möge der Sturm der in Paris in diesem Augenblick dräuend sich erhebenden welthistorischen „politischen Frage" die zarte „soziale Frage" der „Kölnischen Zeitung" nicht schonungslos zerknicken!
Geschrieben von Karl Marx.
Camphausen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 213 vom 4. Februar 1849] * Köln, 3. Februar. Wir erfahren aus ganz sicherer Quelle, daß vor Eröffnung der Kammer das Ministerium Brandenburg abtreten und Herr Camphausen den Kammern bei ihrer Eröffnung als neuer Ministerpräsident entgegentreten wird. Wir waren sicher, daß so etwas im Werke sei, als vor einigen Tagen die hiesigen Freunde des gewiegten Staatsmannes das Gerücht verbreiteten, ei" sei der politischen Bewegung satt:
Ach, ich bin des Treibens müde; Was soll all der Schmerz, die Lust? Süßer Friede, Komm, o komm in meine Brust^244'
und wolle sich deswegen wieder in sein häusliches Stilleben zurückziehen, um seine Meditationen auf das weniger aufregende Gebiet der Fettwarenspekulation zu beschränken. Jedem Einsichtigen mußte es klar sein: Herr Camphausen fühlte das Bedürfnis, sich abermals zur Rettung der Krone auffordern zu lassen und, „gerührt über seine eigene Großmut", zum zweiten Male die Rolle der „Wehmutter des konstitutionellen Throns"mit bekanntem Anstand zuspielen. Die bürgerliche Kammeropposition wird jubeln über diesen parlamentarischen „Sieg". Die Deutschen sind vergeßlich und verzeihen leicht. Dieselbe Linket238], die voriges Jahr Herrn Camphausen opponierte, wird seinen Amtsantritt als eine große Konzession der Krone dankbar begrüßen. Damit aber das Volk sich nicht abermals täuschen lasse, wollen wir die vornehmsten Großtaten des denkenden Staatsmannes kurz wiederholen. Herr Camphausen erweckte den am 18. März begrabenen Vereinigten
Landtagt1371 und vereinbarte mit ihm einige Grundlagen der künftigen Verfassung1911. Herr Camphausen vereinbarte dadurch den Rechtsboden, d.h. die indirekte Leugnung der Revolution. Herr Camphausen beglückte uns ferner mit den indirekten Wahlenlx29]. Herr Camphausen verleugnete abermals die Revolution in einem ihrer Hauptresultate, indem er die Flucht des Prinzen von Preußen in eine Studienreise umwandelte und ihn aus London zurückrief.11311 Herr Camphausen organisierte die Bürgerwehr so, daß sie von vornherein aus der Volksbewaffnung zu einer Klassenbewaffnung wurde und Volk und Bürgerwehr einander feindlich gegenüberstellte. Herr Camphausen duldete zu gleicher Zeit, daß die altpreußische Bürokratie und Armee sich rekonstituierten und täglich fähiger wurden, kontrerevolutionäre Staatsstreiche vorzubereiten. Herr Camphausen ließ die denkwürdigen Schrapnellmetzeleien gegen so gut wie unbewaffnete polnische Bauern führen.11321 Herr Camphausen begann den dänischen Krieg[861, um die patriotische Überkraft[1331 loszuwerden und die preußische Garde wieder populär zu machen. Als dieser Zweck erreicht, half er aus besten Kräften den Malmöer schmutzigen Waffenstillstand in Frankfurt durchsetzen11341, was zum Marsch Wrangeis nach Berlin nötig war. Herr Camphausen beschränkte sich darauf, einige reaktionäre altpreußische Gesetze in der Rheinprovinz abzuschaffen, ließ aber die ganze polizeistaatliche Landrechts-Gesetzgebung[1491 in allen alten Provinzen bestehen. Herr Camphausen war der erste, der gegen die - damals noch entschieden revolutionäre - Einheit Deutschlands intrigierte, indem er erstens neben der Frankfurter Nationalversammlung sein Berliner Vereinbarungsparlament11301 berief und später auf jede Weise gegen die Beschlüsse und den Einfluß der Frankfurter Versammlung arbeitete. Herr Camphausen verlangte von seiner Versammlung, daß sie ihr konstituierendes Mandat auf ein bloß „vereinbarendes" beschränke. Herr Camphausen verlangte ferner von ihr den Erlaß einer Adresse an die Krone, in der sie dies anerkenne — als sei sie eine nach Belieben vertagbare und auflösbare konstitutionelle Kammer. Herr Camphausen verlangte ferner von ihr die Verleugnung der Revolution und machte hieraus sogar eine Kabinettsfrage. Herr Camphausen legte seiner Versammlung jenen VerfassungsentwurfC2451 vor, der mit der oktroyierten Verfassung11231 ungefähr auf einer Linie steht und damals einen edlgemeinen Sturm des Unwillens erregte.
Herr Camphausen rühmte sich, der Minister der Vermittlung gewesen zu sein, welche Vermittlung keine andere war als die zwischen der Krone und der Bourgeoisie zum gemeinsamen Verrat am Volke. Herr Camphausen trat endlich ab, als dieser Verrat vollständig vermittelt und reif war, um durch das Ministerium der Tat und seine Konstabiert471 in die Praxis eingeführt zu werden. Herr Camphausen wurde Gesandter bei der sogenannten Zentralgewalt und blieb es unter allen Ministerien. Er blieb Gesandter, während in Wien kroatische, ruthenische[206] und walachische Truppen deutsches Gebiet verletzten, die erste Stadt Deutschlands in Brand schössen und so empörend behandelten, wie kein Tilly Magdeburg112463 behandelt hat. Er blieb Gesandter und rührte keinen Finger. Herr Camphausen blieb Gesandter unter Brandenburg, nahm damit seinen Anteil an der preußischen Kontrerevolution mit und gab seinen Namen her zu der neuesten preußischen Zirkularnotef24 7 die offen und unverhohlen die Herstellung des alten Bundestages verlangt. Herr Camphausen übernimmt endlich jetzt das Ministerium, um den Rückzug der Kontrerevolutionäre zu decken und die November- und Dezembererrungenschaften uns auf längere Zeit zu sichern. Das sind einige der Camphausenschen Großtaten/Wird er jetzt Minister, so wird er sich beeilen, die Liste zu vergrößern. Wir unsererseits werden möglichst genau darüber Buch und Rechnung führen.

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