KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS WERKE • BAND 5

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 5
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
DIETZ VERLAG BERLIN 1959
KARL MARX
FRIEDRICH ENGELS
BAND 5
DIETZ VERLAG BERLIN
1959
Die deutsche Ausgabe fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten Ausgabe in rassischer Sprache
Vorwort
Der fünfte Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält die von März bis November 1848 geschriebenen Arbeiten. In den Jahren, die der Februarrevolution in Frankreich und der Märzrevolution in Deutschland vorausgingen, arbeiteten Marx und Engels die philosophischen Grundlagen des wissenschaftlichen Kommunismus aus, stellten die Leitsätze des Marxismus über die welthistorische Rolle des Proletariats und die Diktatur des Proletariats auf und bestimmten die wichtigsten Prinzipien der Taktik des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse. Von besonderer Bedeutung in der revolutionären Periode der Jahre 1848/49 war die Ausarbeitung der politischen Ideen des Marxismus, die Anwendung des historischen Materialismus bei der Analyse der aktuellen politischen Ereignisse und die Festlegung der Taktik des Proletariats in allen Etappen des revolutionären Kampfes. All dies fand seine Widerspiegelung in den Schriften, die in den Bänden 5 und 6 der vorliegenden Ausgabe enthalten sind. Der Band 5 beginnt mit den „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland", dem von Marx und Engels ausgearbeiteten konkreten Programm des Proletariats in der deutschen Revolution. Bei der Aufstellung der „Forderungen" gingen die Begründer des Marxismus von den historischen Hauptaufgaben der Revolution aus, von deren Lösung das weitere Schicksal des deutschen Volkes abhing. Der Hauptpunkt der „Forderungen" war die Schaffung einer einigen, unteilbaren deutschen Republik. In der Beseitigung der ökonomischen und politischen Zersplitterung des Landes, das damals aus drei Dutzend großen, kleinen und kleinsten Staaten bestand, in der Schaffung eines einheitlichen demokratischen Staates sahen Marx und Engels die notwendige Voraussetzung für die weitere fortschrittliche Entwicklung Deutschlands. Die Aufgabe, eine einige demokratische deutsche Republik zu schaffen, verband sich in den „Forderungen" mit der zweiten entscheidenden
Aufgabe der deutschen Revolution - mit der Abschaffung der feudalen Unterdrückung, der Befreiung der Bauernschaft von jeglichen Feudallasten und der Beseitigung der ökonomischen Grundlage der Herrschaft des reaktionären Adels. Marx und Engels, die in der siegreichen bürgerlich-demokratischen Revolution den Prolog zur proletarischen Revolution sahen, erwähnen auch in den „Forderungen" eine Reihe von Übergangsmaßnahmen, über deren Charakter im „Manifest der Kommunistischen Partei" gesagt wurde, daß sie „im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind". Dazu gehören Maßnahmen, die den Feudalbesitz in Staatseigentum umwandeln und auf diesen Ländereien die landwirtschaftliche Produktion im großen organisieren, die Bergwerke, Gruben und alle Transportmittel nationalisieren, allen Arbeitern durch den Staat ihre Existenz garantieren und die Arbeitsunfähigen versorgen. Die Kraft, die durch entschlossenen und energischen Kampf diese Forderungen verwirklichen könnte, sahen Marx und Engels im deutschen Proletariat, im städtischen Kleinbürgertum und im kleinen Bauernstand. Die „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland" sind das erste Musterbeispiel für die konkrete Anwendung der allgemeinen Grundsätze des „Manifestes der Kommunistischen Partei" auf die Besonderheiten eines Landes, auf die Bedingungen der deutschen Revolution von 1848/49. Der Band 5 enthält hauptsächlich die Artikel, die Karl Marx und Friedrich Engels nach ihrer Rückkehr in ihre deutsche Heimat geschrieben und vom I.Juni bis 7.November 1848 in der „Neuen Rheinischen Zeitung" veröffentlicht haben. Diese Artikel zeigen deutlich die unmittelbare Teilnahme von Marx und Engels am revolutionären Kampf und ihre Taktik in der deutschen und europäischen Revolution. Die von Marx und Engels gegründete „Neue Rheinische Zeitung" erschien als „Organ der Demokratie", „aber einer Demokratie, die überall den spezifisch proletarischen Charakter im einzelnen hervorhob" (Engels). Dieser Standpunkt der Zeitung wurde von den historischen Besonderheiten der deutschen Revolution, von der Gruppierung der Klassenkräfte und dem Entwicklungsstand des deutschen Proletariats bestimmt. Marx und Engels konnten nach ihrer Rückkehr in die Heimat keine praktischen Schritte zur Gründung einer proletarischen Massenpartei unternehmen, da Deutschland wirtschaftlich und politisch rückständig und die deutschen Arbeiter schwach und unorganisiert waren. Die 200 bis 300 Mitglieder des Bundes der Kommunisten waren über das ganze Land verstreut und nicht imstande, einen spürbaren Einfluß auf die breiten Volksmassen auszuüben. Deshalb hielten
Marx und Engels, denen jegliches Sektierertum fremd war, es für notwendig, an dem äußersten linken Flügel der demokratischen Bewegung aufzutreten. Sie traten in die Kölner Demokratische Gesellschaft ein und empfahlen ihren Anhängern die gleiche Taktik. Marx und Engels waren der Ansicht, daß ein Bündnis mit den Demokraten eine Kritik an den Fehlern und Illusionen der Führer der kleinbürgerlichen Demokratie nicht ausschloß, sondern im Gegenteil voraussetzte. Ihr Bestreben ging dahin, die kleinbürgerlichen Demokraten zu entschlossenem Handeln zu drängen und die Volksmassen für die Sache der Demokratie zu gewinnen. Gleichzeitig lenkten sie die Aufmerksamkeit ihrer Anhänger auf die Gründung von Arbeitervereinen, auf die politische Erziehung des Proletariats und auf die Schaffung von Voraussetzungen zur Bildung einer proletarischen Massenpartei. Diese Taktik, die auf die Mobilisierung aller demokratischen Kräfte gerichtet war, verteidigten Marx und Engels gegenüber dem Sektierertum Gottschalks, der die Aufgaben des Proletariats in der bürgerlichen Revolution nicht verstand und gegen ein Bündnis mit den Demokraten auftrat. Marx und Engels verurteilten ebenfalls die opportunistische Taktik Borns, der den Kampf der Arbeiterklasse auf enge zünftlerische und gewerkschaftliche Interessen begrenzte und das Proletariat von den allgemeinen politischen Aufgaben, die vor dem deutschen Volk standen, ablenkte. Die „Neue Rheinische Zeitung", die als „Organ der Demokratie" erschien, vertrat alle fortschrittlichen Kräfte des deutschen Volkes, in erster Linie die Interessen der entschlossensten und konsequentesten Kämpferin für die Demokratie — der Arbeiterklasse. Die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung" unter der Leitung von Marx war der wirkliche Kampfstab des Proletariats. Die Zeitung äußerte sich zu allen aktuellen Fragen der deutschen und europäischen Revolution, nutzte meisterhaft die Methode der politischen Entlarvung im Kampf gegen die feudale Reaktion und die bürgerliche Konterrevolution und war Erzieher und Organisator der Volksmassen. Ihren großen Einfluß und ihre Popularität verdankte die Zeitung in nicht geringem Maße ihren glänzenden journalistischen Qualitäten: dem feurigen, kämpferischen Geist ihrer Artikel, ihrem prägnanten Stil und dem vernichtenden Sarkasmus, mit dem sie die Feinde der Revolution traf. Die „Neue Rheinische Zeitung" nimmt mit Recht einen Ehrenplatz in der Geschichte der proletarischen Presse ein. Besonders deutlich trat der proletarische Charakter der „Neuen Rheinischen Zeitung" in ihrem Verhältnis zum Juniaufstand der Pariser Arbeiter zutage. Die „Neue Rheinische Zeitung" war die einzige Zeitung in Deutsch4
land und fast in ganz Europa, die von Anfang an für die Aufständischen entschieden Partei ergriff. Dem Juniaufstand widmete Engels eine Artikelserie und eine Reihe von Notizen: „Details über den 23. Juni", „Der 23. Juni", „Der 24. Juni", „Der 25. Juni", „Die ,Kölnische Zeitung' über die Junirevolution", „Die Junirevolution (Der Verlauf des Aufstandes in Paris)". Marx feierte die Besiegten in einem seiner gewaltigsten Artikel: „Die Junirevolution". Diese während der Kampftage oder unmittelbar danach geschriebenen Artikel atmen echte Begeisterung für das heldenhafte Ringen des Pariser Proletariats und geben eine gründliche Analyse der Ursachen des Juniaufstandes und seiner historischen Bedeutung. Die Artikel über den Juniaufstand besitzen großen theoretischen Wert. Bei der Behandlung der militärischen Seite des Juniaufstandes zieht Engels eine Reihe wichtiger Schlußfolgerungen über Charakter, Bedeutung und Methoden des Straßen- und Barrikadenkampfes unter den konkreten historischen Bedingungen jener Zeit und legt das Fundament für die marxistische Lehre über den bewaffneten Aufstand. In dem Artikel „Die Junirevolution" zeigt Marx den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Juniaufstand und allen vorangegangenen Revolutionen: Die Junischlacht war eine Revolution des Proletariats gegen die Bourgeoisie, ein Kampf der Arbeit gegen das Kapital, eine selbständige Aktion des Proletariats zur Verteidigung seiner Klasseninteressen. In der gleichen Arbeit zieht Marx die wichtige theoretische Schlußfolgerung, daß der Arbeiterklasse die Form des bürgerlichen Staates nicht gleichgültig ist, denn sie ist interessiert an einer solchen Staatsordnung, die die günstigsten Bedingungen für die Entwicklung des proletarischen Klassenkampfes schafft. Marx und Engels führen in der „Neuen Rheinischen Zeitung" einen unermüdlichen Kampf für die Lösung der Hauptaufgabe der deutschen Revolution — die nationale Einigung des Landes. In solchen Artikeln wie „Programme der radikal-demokratischen Partei und der Linken zu Frankfurt", „Die,Zeitungs-Halle' über die Rheinprovinz " und anderen treten Marx und Engels gegen die bürgerlichen Pläne der Einigung Deutschlands unter der Hegemonie Preußens oder Österreichs sowie gegen die kleinbürgerlichen Projekte der Schaffung eines Föderativstaates nach Schweizer Muster auf. Marx und Engels beweisen in ihren Publikationen, daß die ökonomische Isolierung und die politische Zersplitterung Deutschlands und der ganze noch erhaltene feudale Plunder nur nach der Schaffung eines wirklich einigen und wahrhaft demokratischen Staates völlig beseitigt werden können. Die Begründer des Marxismus treten für die Einigung Deutschlands „von unten" ein, die nur durch den revolutionären Sturm der Volksmassen auf die überlebte
absolutistische Ordnung der zum Deutschen Bund gehörenden Staaten, in erster Linie Preußens und Österreichs, geschaffen werden konnte. Im Zusammenhang damit heben Marx und Engels hervor, daß die Einigung Deutschlands ein allgemein europäisches Problem ist und nur erreicht werden kann im Kampf der revolutionären Kräfte Europas gegen die herrschenden konterrevolutionären Klassen Englands und gegen den russischen Zarismus, der in jener Zeit das Hauptbollwerk der europäischen Reaktion war. Im revolutionären Krieg gegen den russischen Zarismus sahen Marx und Engels nicht nur ein Mittel zur Verteidigung der Revolution, sondern auch eine Bedingung für ihre weitere Entwicklung. In den Artikeln „Die Berliner Debatte über die Revolution", „Die Debatte über den Jacobyschen Antrag", „Die Unterdrückung der Klubs in Stuttgart und Heidelberg" und anderen heben Marx und Engels bei der Analyse der unmittelbaren Ergebnisse der Märzrevolution 1848 in Deutschland deren halben Charakter hervor; das Volk vermochte keinen entscheidenden Sieg über den Feudalismus zu erringen, die politische Ordnung des Landes, der ganze Beamten- und Polizeiapparat wurden nicht angetastet und die Volksmassen blieben gegenüber der bewaffneten Konterrevolution ohne Waffen. Die Ursache für diesen Verlauf der deutschen Revolution sahen die Begründer des Marxismus in der Politik der an die Macht gelangten liberalen Bourgeoisie, die — wie Marx später schrieb — „die Ruhe mit der Knechtschaft der bloßen Aussicht des Kampfes mit der Freiheit vorzog". Die deutsche Bourgeoisie, erschreckt durch den revolutionären Kampf des französischen Proletariats und durch das erwachte Klassenbewußtsein der deutschen Arbeiter, verriet die Interessen des Volkes und schloß ein Bündnis mit der feudalen Reaktion. In den Artikeln, die sich mit den Debatten der preußischen Nationalversammlung befassen und die Politik der Ministerien Camphausen und Auerswald-Hansemann analysieren, treten Marx und Engels entschieden gegen die „Vereinbarungstheorie" auf, die von den Führern der liberalen preußischen Bourgeoisie zur Rechtfertigung ihres Kompromisses mit den feudal-monarchistischen Kräften aufgestellt wurde. Die Begründer des Marxismus setzen dieser verräterischen Theorie die Idee der Volksherrschaft, die Idee der Souveränität des revolutionären Volkes entgegen („Die Frankfurter Versammlung", „Programme der radikal-demokratischen Partei und der Linken zu Frankfurt" u.a.). Die revolutionäre Diktatur des Volkes betrachten sie als die notwendige Voraussetzung für die siegreiche Vollendung der Revolution („Die Krisis und die Kontrerevolution"). W. I.Lenin wies bei der Analyse dieser äußerst wichtigen Thesen darauf hin, daß sie den Begriff der revolutionär-demokratischen Diktatur enthalten.
In einer Reihe von Artikeln, die sich mit der Tätigkeit der gesamtdeutschen Nationalversammlung beschäftigen, sowie in einer Artikelserie über die Debatten in der preußischen Nationalversammlung üben Marx und Engels scharfe Kritik an diesen Vertretungskörperschaften, die sich mit fruchtlosem Wortstreit beschäftigten, anstatt die reale Macht in ihren Händen zu konzentrieren, die reaktionären deutschen Regierungen zu beseitigen und der verräterischen Politik der Großbourgeoisie ein Ende zu machen. Marx und Engels kämpfen um die Schaffung wahrhafter Volksvertretungsorgane in Deutschland, die als wirklicher Ausdruck des Volkswillens mit dem Volk eng verbunden wären und in ihrer ganzen Tätigkeit dessen Unterstützung fänden. Die Begründer des Marxismus heben in ihren Artikeln hervor, daß die vom Volk gewählten Abgeordneten verpflichtet seien, über ihre Tätigkeit dem Volk Rechenschaft abzulegen und seinen Willen zu erfüllen. Sie verteidigen das Recht des revolutionären Volkes, auf die Abgeordneten einen Druck auszuüben und von ihnen wirksame revolutionäre Beschlüsse zu verlangen („Die Freiheit der Beratungen in Berlin" u.a.). Aus der Erfahrung der ersten Monate der deutschen Revolution schlußfolgern Marx und Engels, daß die Beseitigung aller alten Verwaltungs-, Militär- und Gerichtsinstanzen, die radikale Säuberung des ganzen Staatsapparates unbedingte Voraussetzungen für den Sieg der Volksrevolution sind („Vereinbarungssitzung vom 4. Juli"). Die beste Garantie für die Volkssouveränität sahen Marx und Engels in der Bewaffnung des Volkes. In einer Reihe von Artikeln („Die Vereinbarungsversammlung vom 15. Juni", „Die Vereinbarungssitzung vom 17. Juni", „Der Bürgerwehrgesetzentwurf" u. a.) treten sie für das Recht des Volkes auf Bewaffnung ein. Marx und Engels begrüßen den Versuch der Berliner Volksmassen, sich durch den Sturm auf das Zeughaus im Juni 1848 Waffen zu verschaffen. Die „Neue Rheinische Zeitung" charakterisiert diese Aktion als eine auf halbem Wege steckengebliebene Revolution und verurteilt die feige Haltung der Abgeordneten des linken Flügels der preußischen Nationalversammlung, die es nicht wagten, sich offen auf die Seite des Volkes zu stellen. Marx und Engels betrachteten den revolutionären Kampf der Volksmassen als notwendige Bedingung des Widerstandes gegen die Konterrevolution und als entscheidenden Faktor zur Vollendung der Revolution; sie verteidigten die Aufständischen von Frankfurt am Main, die sich im September 1848 aus Protest gegen die Ratifikation des schmachvollen Waffenstillstandes mit Dänemark durch die Frankfurter Nationalversammlung erhoben. Gleichzeitig betonten die Begründer des Marxismus wiederholt, daß
der vorzeitige und unvorbereitete Aufstand nur zur Zerschlagung der revolutionären Kräfte und zu einer noch größeren Aktivierung der Konterrevolution führen kann. So rufen Marx und Engels in der „Neuen Rheinischen Zeitung" die Kölner Arbeiter auf, sich nicht von der preußischen Regierung provozieren zu lassen und ihre Kräfte aufzusparen für den entscheidenden Kampf („Köln in Gefahr", „Die ,Kölnische Revolution'"). Dank der großen Aufklärungsarbeit, die Marx und Engels sowie ihre Mitarbeiter in Köln vollbrachten, gelang es, in den Septembertagen eine Zerschlagung der demokratischen Kräfte der Rheinprovinz abzuwenden. Eine der wichtigsten Bedingungen zur Erweiterung und Festigung der demokratischen Front sahen die Begründer des Marxismus in der Einbeziehung breiter Massen der Bauernschaft in den revolutionären Kampf gegen die Uberreste des Feudalismus. Eine Reihe der im vorliegenden Band enthaltenen Artikel („Patows Ablösungsdenkschrift", „Der Gesetzentwurf über die Aufhebung der Feudallasten", „Debatte über die bisherige Ablösungsgesetzgebung") befassen sich mit der Liquidierung der Feudalverhältnisse auf dem Lande. Marx und Engels rufen die Bauern zum Kampf für die unverzügliche, restlose und unentgeltliche Aufhebung aller Feudallasten auf, sie entlarven die Politik der preußischen Bourgeoisie, die die Bauern, „ihre natürlichsten Bundesgenossen, ... ohne die sie machtlos ist gegenüber dem Adel", verriet. Marx und Engels zeigen, daß die Ursache eines solchen Verhaltens der preußischen Bourgeoisie zu den Forderungen der Bauern in ihrem Bestreben lag, mit den reaktionären Kräften zu paktieren, weil sie fürchtete, daß die Aufhebung des feudalen Eigentums auch einen Angriff auf das bürgerliche Eigentum nach sich ziehen könnte. Als Vertreter des Proletariats, der konsequent revolutionären Klasse, unterstützten Marx und Engels eifrig die revolutionäre antifeudale Bewegung der Bauernschaft, in der sie eine der wichtigsten Triebkräfte der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland sahen. Größte Aufmerksamkeit schenkten Marx und Engels dem Kampf der unterdrückten Völker für die nationale Befreiung. Sie begrüßten den Aufschwung der nationalen Befreiungsbewegung der Polen, Tschechen, Ungarn und Italiener, sie sahen in ihnen Bundesgenossen im Kampf gegen die feudalabsolutistische Reaktion in Deutschland und gegen die anderen Kräfte der europäischen Konterrevolution. In den Artikeln „Auswärtige deutsche Politik", „Die auswärtige deutsche Politik und die letzten Ereignisse zu Prag", „Der dänisch-preußische Waffenstillstand" und anderen verteidigen Marx und Engels konsequent die Idee einer wirklichen Freiheit und Brüderlichkeit der Völker und verurteilen
scharf die deutsche Bourgeoisie, weil sie die frühere Unterdrückungspolitik der Hohenzollern und Habsburger gegenüber anderen Völkern fortsetzte. In der Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes der unterdrückten Völker sahen Marx und Engels nicht nur ein Mittel, die Fehler der Vergangenheit Deutschlands wiedergutzumachen, sondern auch eine notwendige Bedingung für die Zukunft des deutschen Volkes als freie demokratische Nation. „Deutschland macht sich in demselben Maß frei, worin es die Nachbarvölker freiläßt" (Engels). Die Begründer des Marxismus kämpften entschlossen und unversöhnlich für die Unabhängigkeit Polens, indem sie den Sieg der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland in unmittelbare Verbindung mit der Unterstützung des polnischen Befreiungskampfes brachten. In einer Artikelserie „Die Polendebatte in Frankfurt" und in anderen in diesem Band enthaltenen Artikeln geißelt Friedrich Engels die Politik der preußischen Regierung, die den Aufstand zur nationalen Befreiung in Posen provozierte und niederschlug, um dann unter dem Deckmantel einer „Reorganisation" einen großen Teil Posens dem Deutschen Bund anzuschließen. Marx und Engels verurteilen scharf die Haltung der bürgerlichen Mehrheit in der Frankfurter Nationalversammlung, die diese neue Teilung Polens sanktionierte. Die Begründer des Marxismus unterstützten den revolutionären Kampf der Tschechen im Sommer 1848. In den Artikeln „Der Prager Aufstand" und „Demokratischer Charakter des Aufstandes" unterstreicht Friedrich Engels den Volkscharakter des Aufstandes in Prag und zeigt, daß die Ursache für die Niederlage der nationalen Befreiungsbewegung des tschechischen Volkes nicht nur das Eingreifen der österreichischen Konterrevolution ist, sondern auch die verräterische Politik der deutschen liberalen Bourgeoisie, die die Tschechen ins Lager der Reaktion stieß. In dem Brief von Karl Marx an die Redaktion der italienischen Zeitung „L'Alba" und in den Artikeln der „Neuen Rheinischen Zeitung", die den revolutionären Kampf in Italien analysieren, kommt die Sympathie mit dem italienischen Volk, das für seine Freiheit und Unabhängigkeit kämpfte, zum Ausdruck. Das ganze Wirken von Marx und Engels im Jahre 1848 war erfüllt von dem Kampfgeist des proletarischen Internationalismus. Das kam zum Ausdruck in ihrem Verhältnis zum Juniaufstand der Pariser Arbeiter, in der Unterstützung der unterdrückten Völker im Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit, in der Solidarität mit den englischen Chartisten. Die „Neue Rheinische Zeitung" verteidigt die Chartisten vor den Angriffen der deutschen reaktionären Presse („Die ,Neue Berliner Zeitung' über die Char
tisten") und bringt ihre Solidarität mit dem Organ der Chartisten, dem revolutionären „Northern Star", zum Ausdruck. In einer Reihe von Artikeln geben Marx und Engels eine Analyse vom Verlauf der Revolution in Frankreich. Aus diesen Artikeln spricht die Erwartung eines neuen revolutionären Aufschwungs, in dem das französische Proletariat die Hauptrolle spielen würde. Die Begründer des Marxismus, die den Zusammenhang und das Kausalverhältnis zwischen den Revolutionen in den verschiedenen Ländern hervorhoben, maßen dem Sieg der proletarischen Revolution in Frankreich, der dem revolutionären Kampf der Volksmassen in anderen Ländern Europas einen mächtigen Impuls geben mußte, entscheidende Bedeutung bei. Marx und Engels hofften, daß der Sieg des französischen Proletariats die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution in Deutschland und den Übergang zur proletarischen Revolution in diesem Lande erleichtern würde. Wie Engels später bemerkte, keim darin eine gewisse Uberschätzung der ökonomischen Entwicklung des europäischen Kontinents zum Ausdruck, die damals bei weitem noch nicht eine solche Stufe erreicht hatte, daß die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise möglich war. Der letzte Teil des Bandes enthält Aufsätze, die in Verbindung mit dem Oktoberaufstand in Wien geschrieben wurden. Marx und Engels hoben die besondere Bedeutung dieses Aufstandes hervor, da von seinem Ausgang entscheidend das Schicksal nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Revolution abhing. Marx nennt den juniaufstand in Paris den ersten Akt und den Oktoberaufstand in Wien den zweiten Akt des europäischen Dramas. Eine im vorliegenden Band enthaltene Artikelreihe („Revolution in Wien", „Die »Frankfurter Oberpostamts-Zeitung' und die Wiener Revolution", „Die Wiener Revolution und die .Kölnische Zeitung'", „Die neuesten Nachrichten aus Wien, Berlin und Paris", „Sieg der Kontrerevolution zu Wien") beschäftigt sich mit dem Verlauf des Wiener Aufstandes. Marx analysiert die Ursachen der Niederlage des Aufstandes und unterstreicht, daß die Hauptursache der Verrat der Bourgeoisie war. Aus dem handschriftlichen Nachlaß von Friedrich Engels wird der Reisebericht „Von Paris nach Bern" veröffentlicht. In klarer und anschaulicher Form schildert Engels hier die Eindrücke seiner Wanderung durch Frankreich. Einen großen Raum nimmt in dem Reisebericht die Charakteristik der französischen Bauernschaft und ihrer Rolle in der Revolution ein. Engels weist auf die ablehnende Haltung der französischen Bauern gegenüber der Revolution von 1848 hin und zeigt, daß hierzu die französische Bourgeoisie beitrug, indem sie demagogisch an den Besitzerinstinkt der Bauern
appellierte, mit ihrer Steuerpolitik die Interessen der Bauern schmälerte und sie von der Revolution abstieß. Die Artikel von Marx und Engels aus der „Neuen Rheinischen Zeitung" und ihre anderen in diesem Band enthaltenen Arbeiten liefern wertvolles Material zum Verständnis der Taktik von Marx und Engels in der Revolution 1848/49 sowie jener Schlußfolgerungen und theoretischen Verallgemeinerungen, zu denen sie noch während der Revolution auf Grund der überaus reichen Kampferfahrung der Volksmassen in der stürmischen Revolutionsepoche kamen. Die Beilagen enthalten eine Reihe von Dokumenten, die das vielfältige revolutionäre Wirken von Marx und Engels im Jahre 1848 und ihre unmittelbare Arbeit unter den breiten Volksmassen widerspiegeln. Hierzu gehören Dokumente, die Bezug nehmen auf das Wirken des Bundes der Kommunisten, auf die Tätigkeit der Demokratischen Gesellschaft und des Arbeitervereins in Köln, an deren Leitung Marx und Engels beteiligt waren, sowie Zeitungsberichte über Volksversammlungen, die Marx, Engels und ihre Kampfgefährten mit organisiert und durchgeführt haben. Die Beilagen enthalten auch eine Reihe von Materialien über gerichtliche und polizeiliche Verfolgungen der Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung", die eine Vorstellung vermitteln, unter welch schwierigen Bedingungen, bei ständiger Verfolgung durch die Regierung und Verleumdung durch die „regierungstreue" Presse, Marx und Engels das Organ des revolutionären Proletariats verteidigten.
Die Autorschaft der in der „Neuen Rheinischen Zeitung" erschienenen Artikel von Karl Marx und Friedrich Engels ist sehr schwierig festzustellen, da die Artikel nicht unterzeichnet sind, Aussagen der Autoren selbst nur spärlich und handschriftliche Originale gar nicht vorhanden sind. Diese Schwierigkeit erklärt sich auch dadurch, daß viele Artikel Spuren einer kollektiven Arbeit beider Autoren tragen, eine Tatsache, die von Engels in einem Brief an Schlüter vom 15.Mai 1885 durch folgende Worte bestätigt wird: „Marx' und meine Sachen aus jener Zeit sind überhaupt fast gar nicht zu trennen, wegen der planmäßigen Teilung der Arbeit." In Fällen, wo unmöglich festzustellen war, wer von den beiden Autoren Marx oder Engels - diesen oder jenen Artikel geschrieben hat, fehlt der Hinweis auf den Verfasser. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU
Der Text des vorliegenden fünften Bandes der deutschen Ausgabe wurde nach der „Neuen Rheinischen Zeitung" und nach Originalen oder Photokopien überprüft. Bei jeder Arbeit ist die zum Abdruck herangezogene Quelle vermerkt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden ebenfalls überprüft, soweit die Originale zur Verfügung standen. Längere Zitate werden zur leichteren Übersicht in kleinerem Druck gebracht. Fremdsprachige Zitate und im Text vorkommende fremdsprachige Wörter sind in Fußnoten übersetzt. Die Ubersetzungen der fremdsprachigen Arbeiten wurden überprüft oder neu angefertigt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand der Wörter in den deutschsprachigen Texten wurde nicht verändert. Alle in eckigen Klammern stehenden Wörter und Wortteile stammen von der Redaktion; offensichtliche Druck- oder Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert. In Zweifelsfällen wurde in Fußnoten die Schreibweise des Originals angeführt. Fußnoten von Marx und Engels sind durch Sternchen gekennzeichnet, Fußnoten der Redaktion durch eine durchgehende Linie vom Text abgetrennt und durch Ziffern kenntlich gemacht. Zur Erläuterung ist der Band mit Anmerkungen versehen, auf die im Text durch hochgestellte Zahlen in eckigen Klammern hingewiesen wird; außerdem werden ein Personenverzeichnis, Daten über das Leben und die Tätigkeit von Marx und Engels, ein Literaturverzeichnis, eine Erklärung der Fremdwörter sowie ein Verzeichnis der Orte, die in der Landessprache eine andere Bezeichnung tragen, beigefügt. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED

KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS
März-November 1848

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Flugblatt mit den .Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland"

Karl Marx/Friedrich Engels
Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland111
„Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!"
1. Ganz Deutschland wird zu einer einigen, unteilbaren Republik erklärt. 2. Jeder Deutsche, der 21 Jahre alt, ist Wähler und wählbar, vorausgesetzt, daß er keine Kriminalstrafe erlitten hat. 3. Die Volksvertreter werden besoldet, damit auch der Arbeiter im Parlament des deutschen Volkes sitzen könne. 4. Allgemeine Volksbewaffnung. Die Armeen sind in Zukunft zugleich Arbeiterarmeen, so daß das Heer nicht bloß, wie früher, verzehrt, sondern noch mehr produziert, als seine Unterhaltungskosten betragen. Dies ist außerdem ein Mittel zur Organisation der Arbeit. 5. Die Gerechtigkeitspflege ist unentgeltlich. 6. Alle Feudallasten, alle Abgaben, Fronden, Zehnten etc., die bisher auf dem Landvolke lasteten, werden ohne irgendeine Entschädigung abgeschafft. 7. Die fürstlichen und andern feudalen Landgüter, alle Bergwerke, Gruben usw. werden in Staatseigentum umgewandelt. Auf diesen Landgütern wird der Ackerbau im großen und mit den modernsten Hilfsmitteln der Wissenschaft zum Vorteil der Gesamtheit betrieben. 8. Die Hypotheken auf den Bauerngütern werden für Staatseigentum erklärt. Die Interessen für jene Hypotheken werden von den Bauern an den Staat gezahlt. 1*
9. In den Gegenden, wo das Pachtwesen entwickelt ist, wird die Grundrente oder der Pachtschilling als Steuer an den Staat gezahlt. Alle diese unter 6, 7, 8 und 9 angegebenen Maßregeln werden gefaßt, um öffentliche und andere Lasten der Bauern und kleinen Pächter zu vermindern, ohne die zur Bestreitung der Staatskosten nötigen Mittel zu schmälern und ohne die Produktion selbst zu gefährden. Der eigentliche Grundeigentümer, der weder Bauer noch Pächter ist, hat an der Produktion gar keinen Anteil. Seine Konsumtion ist daher ein bloßer Mißbrauch. 10. An die Stelle aller Privatbanken tritt eine Staatsbank, deren Papier gesetzlichen Kurs hat. Diese Maßregel macht es möglich, das Kreditwesen im Interesse des ganzen Volkes zu regeln und untergräbt damit die Herrschaft der großen Geldmänner. Indem sie nach und nach Papiergeld an die Stelle von Gold und Silber setzt, verwohlfeilert sie das unentbehrliche Instrument des bürgerlichen Verkehrs, das allgemeine Tauschmittel, und erlaubt, das Gold und Silber nach außen hin wirken zu lassen. Diese Maßregel ist schließlich notwendig, um die Interessen der konservativen Bourgeois an die Revolution zu knüpfen. 11. Alle Transportmittel: Eisenbahnen, Kanäle, Dampfschiffe, Wege, Posten etc. nimmt der Staat in seine Hand. Sie werden in Staatseigentum umgewandelt und der unbemittelten Klasse zur unentgeltlichen Verfügung gestellt. 12. In der Besoldung sämtlicher Staatsbeamten findet kein anderer Unterschied statt, als der, daß diejenigen mit Familie, also mit mehr Bedürfnissen, auch ein höheres Gehalt beziehen als die übrigen. 13. Völlige Trennung der Kirche vom Staate. Die Geistlichen aller Konfessionen werden lediglich von ihrer freiwilligen Gemeinde besoldet. 14. Beschränkung des Erbrechts. 15. Einführung von starken Progressivsteuern und Abschaffung der Konsumtionssteuern. 16. Errichtung von Nationalwerkstätten. Der Staat garantiert allen Arbeitern ihre Existenz und versorgt die zur Arbeit Unfähigen. 17. Allgemeine, unentgeltliche Volkserziehung. Es liegt im Interesse des deutschen Proletariats, des kleinen Bürger- und Bauernstandes, mit aller Energie an der Durchsetzung obiger Maßregeln zu arbeiten. Denn nur durch Verwirklichung derselben können die Millionen,
die bisher in Deutschland von einer kleinen Zahl ausgebeutet wurden und die man weiter in der Unterdrückung zu erhalten suchen wird, zu ihrem Recht und zu derjenigen Macht gelangen, die ihnen, als den Hervorbringern alles Reichtums, gebührt. Das Komitee: Karl Marx Karl Schapper H. Bauer F. Engels J.Moll W.Wolff
Geschrieben zwischen dem 21. und 29. März 1848. Gedruckt als Flugblatt um den 30. März 1848 in Paris und vor dem 10. September 1848 in Köln. Nach dem Kölner Flugblatt.
Karl Marx /Friedrich Engels
[Brief an Etienne Cabet - Erklärung gegen die Deutsche demokratische Gesellschaft in PansC2]j
Bürger Cabet, wir bitten Sie, so freundlich zu sein, die beigefügte Erklärung in der nächsten Nummer des „Populaire"[3] abzudrucken. Es handelt sich darum, auf die kommunistische Partei keinerlei Verantwortung für ein Unternehmen und eine Handlungsweise fallen zu lassen, die bereits die alten nationalen und reaktionären Vorurteile eines Teils der deutschen Nation gegen das französische Volk wiedererweckt haben. Der Bund der deutschen Arbeiter — eine oriot" ZV rKoTfo^Troroirio irt ovrt PnVnnQc auch die Führer der englischen Chartisten, die Herrn Harney und Jones angehören — setzt sich nur aus Kommunisten zusammen und bekennt sich offen zum Kommunismus; die sogenannte Deutsche demokratische Gesellschaft in Paris ist im wesentlichen antikommunistisch, insofern sie erklärt, daß sie den Antagonismus und den Kampf zwischen der proletarischen und der bürgerlichen Klasse nicht anerkennt. Es geht also hierbei um eine Maßnahme, um eine Erklärung im Interesse der kommunistischen Partei, weshalb wir auch mit Ihrer Gefälligkeit rechnen. (Dieses Schreiben ist rein vertraulich.)
Mit brüderlichem Gruß! Friedrich Engels Karl Marx
Das unterzeichnete Komitee sieht sich veranlaßt, allen Zweigstellen des Bundes der deutschen Arbeiter in den verschiedenen europäischen Ländern zu erklären, daß es sich in keiner Weise an den Maßnahmen, Ankündigungen und Proklamationen beteiligte, die darauf gerichtet waren, von französischen
Bürgern Kleidung, Geld und Waffen zu erbitten. In Paris unterhält der Bund nur zu dem Klub deutscher Arbeiter Beziehungen und hat nichts mit der Gesellschaft gemein, die sich Deutsche demokratische Gesellschaft in Paris nennt und unter Leitung der Herren Herwegh und von Bornstedt steht.
Das Zentralkomitee des Bundes der deutschen Arbeiter: (gezeichnet) K. Marx K. Schapper H. Bauer F.Engels J.Moll W.Wolff
Geschrieben Ende März 1848. Nach dem Manuskript. Aus dem Französischen.
Karl Marx
[Brief an den Redakteur der Zeitung „L'Alba"
[„L'Alba" Nr. 258 vom 29. Juni 1848]
Geehrter Herr! Unter dem Titel „Neue Rheinische Zeitung" und unter der Leitung von Herrn'Karl Marx wird hier in Köln ab 1. Juni d.J. eine neue Tageszeitung herausgegeben. Diese Zeitung wird bei uns im Norden Europas die gleichen demokratischen Grundsätze verfechten, die „L'Alba" in Italien vertritt. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, welche Stellung wir hinsichtlich der gegenwärtig schwebenden italienisch-österreichischen Frage einnehmen werden* Wir werden die Sache der italienischen Unabhängigkeit verteidigen und den österreichischen Despotismus in Italien genau wie in Deutschland und Polen auf Tod und Leben bekämpfen. Wir reichen dem italienischen Volk brüderlich die Hand und wollen ihm zeigen, daß die deutsche Nation in jeder Weise die Unterdrückungspolitik verwirft, die bei Ihnen von den gleichen Leuten durchgeführt wird, die auch bei uns immer die Freiheit verfolgt haben. Wir wollen alles tun, um die Einigkeit und das gute Einvernehmen der beiden großen und freien Nationen herbeizuführen, die ein schändliches Regierungssystem bisher glauben ließ, sie seien Feinde. Aus diesem Grunde werden wir fordern, daß die brutale österreichische Soldateska unverzüglich Italien verläßt und das italienische Volk ohne jede Bevormundung eine Regierungsform wählen kann, die seinem Willen entspricht. Um uns zu ermöglichen, die italienischen Verhältnisse zu beobachten, und um Ihnen Gelegenheit zu bieten, die Aufrichtigkeit unserer Versprechungen zu beurteilen, schlagen wir Ihnen einen Austausch unserer beiden Zeitungen vor; wir würden Ihnen also die „Neue Rheinische Zeitung" und Sie uns „L'Alba" täglich übermitteln. Wir hoffen, daß es Ihnen gefallen möge, diesen Vorschlag zu akzeptieren, und bitten, die Versendung der
„L'Alba" so bald wie möglich zu beginnen, damit wir schon in unseren ersten Nummern davon Nutzen haben. Sollte es sich ergeben, daß Sie auch andere Mitteilungen nach hier zu senden haben, so bitten wir Sie, dies zu tun, wobei wir Ihnen versprechen, daß alles, was der Sache der Demokratie in dem einen oder anderen Land dienen kann, bei uns stets die größte Aufmerksamkeit finden wird.
Mit brüderlichem Gruß! Die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung" Der Redakteur Dr. Karl Marx
Geschrieben Ende Mai 1848. Aus dem Italienischen.

KARL MARX und
FRIEDRICH ENGELS
Artikel aus der „Neuen Rheinischen Zeitung" 1. Juni — 7. November 1848

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Erste Seite der „Neuen Rheinischen Zeitung" Nr. 1 vom I.Juni 1848

[Erklärung des Redaktionskomitees der „Neuen Rheinischen Zeitung"151]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 1 vom 1. Juni 1848] Das Erscheinen der „Neuen Rheinischen Zeitung" war ursprünglich auf den ersten Juli festgesetzt. Die Arrangements mit den Korrespondenten etc. waren auf diesen Termin getroffen. Da jedoch bei dem erneuten frechen Auftreten der Reaktion deutsche Septembergesetze[6] in naher Aussicht stehen, so haben wir jeden freien Tag benutzen wollen und erscheinen schon mit dem ersten Juni. Unsre Leser werden es uns also nachsehen müssen, wenn wir in den ersten Tagen an Nachrichten und mannigfaltigen Korrespondenzen noch nicht das reichhaltige Material liefern, wozu unsere ausgedehnten Verbindungen uns befähigen. In wenig Tagen werden wir auch hierin allen Anforderungen genügen können. Redaktionskomitee: Karl Marx, Redakteur en Chef Heinrich Bürgers, Ernst Dronke, Friedrich Engels, Georg Weerth, Ferdinand Wolff, Wilhelm Wolff Redakteure
Die Frankfurter Versammlung
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 1 vom 1. Juni 1848] ** Köln, 31. Mai. Seit vierzehn Tagen besitzt Deutschland eine konstituierende Nationalversammlung, hervorgegangen aus der Wahl des gesamten deutschen Volkes .[7] Das deutsche Volk hatte sich in den Straßen fast aller großen und kleinen Städte des Landes und speziell auf den Barrikaden von Wien und Berlin seine Souveränetät erobert. Es hatte diese Souveränetät in den Wahlen zur Nationalversammlung ausgeübt. Der erste Akt der Nationalversammlung mußte sein, diese Souveränetät des deutschen Volkes laut und öffentlich zu proklamieren. Ihr zweiter Akt mußte sein, die deutsche Verfassung auf Grundlage der Volkssouveränetät auszuarbeiten und aus dem faktisch bestehenden Zustande Deutschlands alles zu entfernen, was dem Prinzip der Volkssouveränetät widersprach. Während ihrer ganzen Session mußte sie die nötigen Maßregeln ergreifen, um alle Reaktionsversuche zu vereiteln, um den revolutionären Boden, auf dem sie steht, zu behaupten, um die Errungenschaft der Revolution, die Volkssouveränetät, vor allen Angriffen sicherzustellen. Die deutsche Nationalversammlung hat nun schon an ein Dutzend Sitzungen gehalten und hat von dem allen nichts getan. Dafür aber hat sie das Heil Deutschlands durch folgende Großtaten sichergestellt: Die Nationalversammlung erkannte, daß sie ein Reglement haben müsse, denn sie wußte, wo zwei oder drei Deutsche zusammen sind, da müssen sie ein Reglement haben, sonst entscheiden die Schemelbeine. Nun hatte irgendein Schulmeister diesen Fall vorhergesehen und ein apartes Reglement für die hohe Versammlung entworfen. Man trägt auf provisorische Annahme
dieses Exerzitiums an; die meisten Deputierten kennen es nicht, aber die Versammlung nimmt es ohne weiteres an, denn was wäre aus den Vertretern Deutschlands geworden ohne Reglement? Fiat reglementum partout et toujours I1 Herr Raveaux aus Köln stellte einen ganz unverfänglichen Antrag wegen der Kollisionsfälle zwischen der Frankfurter und Berliner Versammlung/83 Aber die Versammlung berät das definitive Reglement, und obwohl Raveaux' Antrag eilt, so eilt das Reglement doch noch mehr. Pereat mundus, fiat reglementum!2 Dennoch aber kann die Weisheit der gewählten Pfahlbürger^93 sich nicht versagen, auch einiges über den Raveauxschen Antrag zu bemerken, und allmählich, während man noch darüber spricht, ob das Reglement oder der Antrag vorgehen sollen, produzieren sich bereits an die zwei Dutzend Amendements zu diesem Antrage. Man unterhält sich hierüber, man spricht, man bleibt stecken, man lärmt, man vertrödelt die Zeit und vertagt die Abstimmung vom 19. auf den 22. Mai. Am 22. kommt die Sache wieder vor; es regnet neue Amendements, neue Abschweifungen, und nach langem Reden und mehrfachem Durcheinander beschließt man, die bereits auf die Tagesordnung gesetzte Frage an die Abteilungen zurückzuverweisen. Damit ist die Zeit glücklich herum, und die Herren Deputierten gehen essen. Am23. Mai zankt man sich erst über das Protokoll; dann nimmt man wieder zahllose Anträge in Empfang, und dann will man wieder zur Tagesordnung, nämlich zu dem vielgeliebten Reglement übergehen, als Zitz aus Mainz die Brutalitäten des preußischen Militärs und die despotischen Usurpationen des preußischen Kommandanten in Mainz3 zur Sprache bringt. Hier lag ein unbestrittener, ein gelungener Reaktionsversuch vor, ein Fall, der ganz speziell zur Kompetenz der Versammlung gehörte. Es galt, den übermütigen Soldaten zur Rechenschaft zu ziehen, der es wagte, Mainz fast unter den Augen der Nationalversammlung mit dem Bombardement zu bedrohen, es galt, die entwaffneten Mainzer in ihren eigenen Häusern vor den Gewalttaten einer ihnen aufgedrängten, einer gegen sie aufgehetzten Soldateska zu schützen. Aber Herr Bassermann, der badische Wassermann, erklärt das alles für Kleinigkeiten; man müsse Mainz seinem Schicksal überlassen, das Ganze gehe vor, hier sitze die Versammlung und berate im Interesse von ganz Deutschland ein Reglement - in der Tat, was ist das Bombardement von Mainz dagegen? Pereat Moguntia, fiat reglementum!4 Aber die Versammlung hat ein weiches Herz, erwählt eine Kommission, die nach Mainz gehen und die Sache
1 Es walte das Reglement, überall und allezeit! - 2 Und sollte die Welt zugrunde gehen, es walte das Reglement! - 3 siehe vorl. Band, S. 18 - 4 Und sollte Mainz zugrunde gehen, es walte das Reglement!
untersuchen soll, und - es ist richtig wieder Zeit, die Sitzung zu schließen und essen zu gehen. Am 24. Mai endlich geht uns der parlamentarische Faden verloren. Das Reglement scheint fertig geworden oder abhanden gekommen zu sein, jedenfalls hören wir nichts mehr davon. Dafür aber stürzt ein wahrer Hagelschauer wohlmeinender Anträge über uns her, in denen zahlreiche Vertreter des souveränen Volkes die Hartnäckigkeit ihres beschränkten Untertanenverstandes[10J bekundeten. Dann kamen Einlaufe, Petitionen, Proteste usw., und endlich fand der Nationalspülicht in zahllosen Reden ein vom Hundertsten ins Tausendste gehendes Debouche. Doch darf nicht verschwiegen werden, daß vier Komitees ernannt wurden. Endlich verlangte Herr Schlöffel das Wort. Drei deutsche Staatsbürger, die Herren Esselen, Pelz und Löwenstein hatten den Befehl erhalten, Frankfurt noch an demselben Tage vor 4 Uhr nachmittags zu verlassen. Die hochund wohlweise Polizei behauptete, genannte Herren hätten durch Reden im Arbeiterverein den Unwillen der Bürgerschaft auf sich geladen und müßten deshalb fort! Und das erlaubt sich die Polizei, nachdem das deutsche Staatsbürgerrecht vom Vorparlament1111 proklamiert, nachdem es selbst im Verfassungsentwurf der siebzehn „Vertrauensmänner"^21 (hommes de confiance de la diete) anerkannt ist! Die Sache ist dringend. Herr Schlöffel verlangt das Wort darüber; es wird ihm verweigert; er verlangt über die Dringlichkeit des Gegenstandes zu sprechen, was ihm reglementsmäßig zustand, und diesmal hieß es fiat politia, pereat reglementum!1 Natürlich, denn es war Zeit, nach Hause zu gehen und zu essen. Am 25. neigten sich die gedankenschweren Häupter der Abgeordneten wieder unter den massenweise eingegangenen Anträgen wie reife Kornähren unter dem Platzregen. Nochmals versuchten dann zwei Deputierte, die Ausweisungsangelegenheit zur Sprache zu bringen, aber auch ihnen wurde das Wort verweigert, selbst über die Dringlichkeit der Sache. Einige Einlaufe, namentlich einer der Polen, waren viel interessanter als sämtliche Anträge der Deputierten. Nun aber kam endlich die nach Mainz gesandte Kommission zu Worte. Sie erklärte, sie könne erst morgen berichten; übrigens sei sie, wie natürlich, zu spät gekommen; 8000 preußische Bajonette hätten durch Entwaffnung von 1200 Bürgergardisten die Ruhe hergestellt, und einstweilen könne man nur zur Tagesordnung übergehen. Dies tat man, um sofort die Tagesordnung, nämlich den Raveauxschen Antrag vorzunehmen. Da dieser in Frankfurt noch immer nicht erledigt, in Berlin aber längst durch ein
1 es walte die polizeiliche Staatsgewalt, und sollte das Reglement zugrunde gehenI
Auerswaldsches Reskript zwecklos geworden war, so beschloß die Nationalversammlung, die Sache bis morgen zu vertagen und essen zu gehen. Am 26. wurden wieder Myriaden von Anträgen angemeldet, und hierauf stattete die Mainzer Kommission ihren definitiven und sehr unentschiedenen Bericht ab. Herr Hergenhahn, Ex-Volksmann und pro tempore1 Minister, war Berichterstatter. Er schlug einen äußerst gemäßigten Beschluß vor, aber nach einer langen Diskussion fand die Versammlung selbst diesen zahmen Vorschlag zu stark; sie beschloß, die Mainzer der Gnade der von einem Hüser kommandierten Preußen zu überlassen und ging, „in Erwartung, daß die Regierungen tun werden, was ihres Amtes ist", zur Tagesordnung über! Diese Tagesordnung bestand wieder darin, daß die Herren zum Essen gingen. Am 27. Mai endlich kam, nach langen Präliminarien von wegen des Protokolls, der Raveauxsche Antrag zur Beratung. Man sprach hin und her bis halb drei und ging dann essen; aber diesmal hielt man eine Abendsitzung und brachte endlich die Sache zum Schluß. Da wegen allzu großer Langsamkeit der Nationalversammlung Herr Auerswald den Raveauxschen Antrag schon erledigt hatte, so schloß sich Herr Raveaux einem Amendement des Herrn Werner an, das die Frage wegen der Volkssouveränetät weder bejahte noch verneinte. Unsere Nachrichten über die Nationalversammlung gehen nicht weiter, aber wir haben allen Grund zu glauben, daß sie nach diesem Beschluß die Sitzung aufhob, um zum Essen zu gehen. Daß sie noch so früh zum Essen kamen, verdanken sie bloß dem Worte Robert Blums:
„Meine Herren, wenn Sie heute die Tagesordnung beschließen, so möchte die ganze Tagesordnung dieser Versammlung auf eigentümliche Weise abgekürzt werden!"
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 zur Zeit
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Hüser
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 1 vom I.Juni 1848] **Köln, den 3I.Mai. Der Herr Hüser in Mainz hat mit Hülfe alter Festungsreglements und verrotteter Bundesgesetze eine neue Methode erfunden, um Preußen und andre Deutsche zu noch größeren Sklaven zu machen, als sie es vor dem 22. Mai 1815[x3] waren. Wir raten dem Herrn Hüser, auf seine neue Erfindung ein Patent zu nehmen, es würde jedenfalls sehr einträglich werden. Nach dieser Methode nämlich schickt man zwei oder mehrere betrunkene Soldaten aus, die natürlich von selbst mit Bürgern Streit anfangen. Die öffentliche Gewalt schreitet ein, verhaftet die Soldaten; das reicht hin, damit die Kommandantur einer jeden Festung die Stadt in Belagerungszustand erklären kann, damit alle Waffen konfisziert und die Einwohner der Gnade der brutalen Soldateska preisgegeben werden. Dieser Plan ist namentlich in Deutschland um so lukrativer, da es hier mehr Festungen gegen das Inland als gegen das Ausland gibt; er muß ganz besonders lukrativ werden, weil irgendein vom Volk bezahlter Platzkommandant, ein Hüser, ein Roth von Schreckenstein und ähnliche feudale Namen, mehr wagen darf als selbst der König oder Kaiser, weil er die Preßfreiheit unterdrücken, weil er z.B. den Mainzern, die keine Preußen sind, verbieten kann, ihre Antipathien gegen den König von Preußen und das preußische Staatssystem auszusprechen. Das Projekt des Herrn Hüser ist nur ein Teil des großen Plans der Berliner Reaktion, die danach strebt, so rasch wie möglich alle Bürgergarden, namentlich am Rhein, zu entwaffnen, allmählich die ganze, erst im Entstehen begriffene Volksbewaffnung zu vernichten und uns wehrlos der meist aus Fremden bestehenden und gegen uns leicht aufzubringenden oder schon aufgebrachten Armee in die Hände zu liefern. Das ist geschehen in Aachen, in Trier, in Mannheim, in Mainz, und das kann auch anderswo kommen.
[Die neueste Heldentat des Hauses Bourbon]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 1 vom 1. Juni 1848] * Das Haus Bourbon ist noch nicht am Ziele seiner glorreichen Laufbahn angelangt. Allerdings ist seine weiße Fahne in der letzten Zeit ziemlich beschmutzt worden, allerdings ließen die welkenden Lilien1 ihre Häupter kläglich genug hängen. Karl Ludwig von Bourbon verschacherte ein Herzogtum und mußte das zweite schimpflich verlassen; Ferdinand von Bourbon verlor Sizilien und mußte in Neapel der Revolution eine Verfassung bewilligen; Ludwig Philipp, obwohl nur ein Kryptobourbon, ging dennoch den Weg alles französisch-bourbonischen Fleisches über den Kanal nach England. Aber der neapolitanische Bourbon hat die Ehre seiner Familie glänzend gerächt. Die Kammern werden nach Neapel berufen. Der Eröffnungstag soll zum entscheidenden Kampf gegen die Revolution benutzt werden, Campobasso, einer der Hauptpolizeichefs des berüchtigten Del Carretto, wird in der Stille von Malta zurückberufen; die Sbirren, ihre alten Anführer an der Spitze, durchstreifen zum erstenmal seit langer Zeit die Toledostraße wieder, bewaffnet und in hellen Haufen; sie entwaffnen die Bürger, reißen ihnen die Röcke ab, zwingen sie, die Schnurrbarte abzuschneiden. Der 14. Mai, Eröffnungstag der Kammern, kömmt heran. Der König verlangt, die Kammern sollen sich eidlich verpflichten, an der von ihm gegebenen Konstitution nichts zu ändern. Sie weigern sich. Die Nationalgarde erklärt sich für die Deputierten. Man unterhandelt, der König gibt nach, die Minister treten ab. Die Deputierten fordern, der König solle die gemachte Konzession durch eine Ordonnanz proklamieren. Der König verspricht diese Ordonnanz für den nächsten Tag. In der Nacht rücken aber sämtliche in der Umgegend stationierten Truppen nach Neapel hinein. Die Nationalgarde merkt, daß sie ver
1 Wappenzeichen des Königshauses der Bourbonen
raten ist; sie wirft Barrikaden auf, und 5000 bis 6000 Mann stellen sich dahinter. Aber ihnen gegenüber stehen 20000 Mann Soldaten, teils Neapolitaner, teils Schweizer, mit 18 Kanonen, zwischen beiden, einstweilen teilnahmslos, stehen die 20000 Lazzaroni Neapels. Am 15. morgens noch erklären die Schweizer, sie würden das Volk nicht eingreifen. Aber einer der Polizeiagenten, der sich unter das Volk gemischt, schießt auf die Soldaten in der Strada de Toledo; sofort zieht das Fort SanktElmo die rote Fahne auf - und die Soldaten stürzen bei diesem Signal auf die Barrikaden los. Eine schauderhafte Metzelei beginnt; die Nationalgarden verteidigen sich heldenmütig gegen die vierfache Übermacht, gegen die Kanonenschüsse der Soldaten; von morgens 10 bis Mitternacht wird gekämpft; trotz der Übermacht der Soldateska hätte das Volk gesiegt, wenn nicht das elende Benehmen des französischen Admirals Baudin die Lazzaroni bestimmt hätte, sich der königlichen Partei anzuschließen. Admiral Baudin lag mit einer ziemlich starken französischen Flotte vor Neapel. Die einfache aber rechtzeitige Drohung, Schloß und Forts zu beschießen, hätte Ferdinand gezwungen nachzugeben. Aber Baudin, ein alter Diener Ludwig Philipps, gewohnt an die bisherige, nur geduldete Existenz der französischen Flotte in den Zeiten der entente cordiale[14], Baudin hielt sich ruhig und entschied dadurch die schon dem Volk sich zuneigenden L azzaroni zum Anschluß an die Truouen, Durch diesen Schritt des neapolitanischen Lumpenproletariats war die Niederlage der Revolution entschieden. Schweizergarde, neapolitanische Linie, Lazzaroni stürzten vereint über die Barrikadenkämpfer her. Die Paläste der mit Kartätschen reingefegten Toledostraße krachten unter den Kanonenkugeln der Soldaten zusammen; die wütende Bande der Sieger stürzte sich in die Häuser, erstach die Männer, spießte die Kinder, notzüchtigte die Weiber, um sie alsdann zu ermorden, plünderte alles aus und überlieferte die verwüsteten Wohnungen den Flammen. Die Lazzaroni zeigten sich am habgierigsten, die Schweizer am brutalsten. Nicht zu beschreiben sind die Niederträchtigkeiten, die Barbareien, die den Sieg der vierfach stärkeren und wohlbewaffneten bourbonischen Söldlinge und der von jeher sanfedistischen[15-i Lazzaroni über die fast vernichtete Nationalgarde Neapels begleiteten. Endlich ward es selbst dem Admiral Baudin zu arg. Flüchtlinge über Flüchtlinge kamen auf seine Schiffe und erzählten, wie es in der Stadt herging. Das französische Blut seiner Matrosen geriet ins Kochen. Da endlich, als der Sieg des Königs entschieden war, dachte er an Beschießung. Das Blutvergießen wurde allmählich eingestellt; man mordete nicht mehr in den Straßen, man beschränkte sich auf Raub und Notzucht; aber die Gefangenen
wurden in die Forts abgeführt und dort ohne weiteres erschossen. Um Mitternacht war alles beendigt, die absolute Herrschaft Ferdinands faktisch wiederhergestellt, die Ehre des Hauses Bourbon im italienischen Blut rein gewaschen. Das ist die neueste Heldentat des Hauses Bourbon. Und wie immer sind es die Schweizer, die die Sache der Bourbonen gegen das Volk ausfechten. Am 1 O.August 1792, am 29. Juli 1830, in den neapolitanischen Kämpfen von 1820[16], überall finden wir die Enkel Teils und Winkelrieds als Landsknechte im Solde des Geschlechts, dessen Name in ganz Europa seit Jahren gleichbedeutend worden ist mit dem der absoluten Monarchie. Jetzt hat das freilich bald ein Ende. Die zivilisierteren Kantone haben nach langem Herumzanken das Verbot der Militärkapitulationen[17] durchgesetzt; die stämmigen Söhne der freien Urschweiz werden darauf verzichten müssen, neapolitanische Frauen mit Füßen zu treten, von dem Raube empörter Städte zu schwelgen und im Fall der Niederlage durch Thorwaldsensche Löwen1:181 verewigt zu werden, wie die Gefallenen des 1 O.August. Das Haus Bourbon aber mag einstweilen wieder aufatmen. Die seit dem 24. Februar[19] wieder eingetretene Reaktion hat nirgend einen so entschiedenen Sieg davongetragen als in Neapel; und gerade von Neapel und Sizilien ging die erste der diesjährigen Revolutionen aus. Die revolutionäre Sturmflut aber, die über das alte Europa hereingebrochen ist, läßt sich nicht durch absolutistische Verschwörungen und Staatsstreiche abdämmen. Mit der Kontrerevolution vom 15. Mai hat Ferdinand von Bourbon den Grundstein zur italienischen Republik gelegt. Schon steht Kalabrien in Flammen, in Palermo ist eine provisorische Regierung eingesetzt; die Abruzzen werden ebenfalls losbrechen, die Bewohner der sämtlichen ausgesogenen Provinzen werden auf Neapel ziehen und vereint mit dem Volk der Stadt Rache nehmen an dem königlichen Verräter und seinen rohen Landsknechten. Und wenn Ferdinand fällt, so hat er wenigstens die Genugtuung, als echter Bourbon gelebt zu haben und gefallen zu sein.
Geschrieben von Friedrich Engels.
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[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.2 vom 2. Juni 1848] ** Köln, 1 .Juni. Es ist eine gewöhnliche Anforderung an jedes neue Organ der öffentlichen Meinung: Begeisterung für die Partei, deren Grundsätze es bekennt, unbedingte Zuversicht zu ihrer Kraft, stete Bereitschaft, sei es mit der faktischen Macht das Prinzip zu decken, sei es mit dem Glanz des Prinzips die faktische Schwäche zu beschönigen. Diesem Verlangen werden wir nicht entsprechen. Wir werden erlittene Niederlagen nicht mit täuschenden ni™: — „o—„„„„Lp„ lllUdlUllCIi £U VbigUlUCU OUW1C1&. Die demokratische Partei hat Niederlagen erlitten; die Grundsätze, die sie im Augenblicke ihres Triumphes proklamiert hat, sind in Frage gestellt, das Terrain, das sie wirklich gewonnen, wird ihr Fuß für Fuß streitig gemacht; schon hat sie viel verloren, und bald wird sich die Frage bieten, was ihr noch übriggeblieben sei. Es kommt uns darauf an, daß die demokratische Partei sich ihrer Stellung bewußt werde. Man wird fragen, warum wir uns an eine Partei wenden, warum wir nicht lieber das Ziel der demokratischen Bestrebungen ins Auge fassen, die Volkswohlfahrt, das Heil aller ohne Unterschied? Es ist dies das Recht und die Gewohnheit des Kampfes, und nur aus dem Kampfe der Parteien, nicht aus scheinklugen Kompromissen, aus einem erheuchelten Zusammengehen bei widerstreitenden Ansichten, Interessen und Zwecken kann das Heil der neuen Zeit erwachsen. Wir verlangen von der demokratischen Partei, daß sie sich ihrer Stellung bewußt werde. Diese Forderung entspringt aus den Erfahrungen der letzten Monate. Die demokratische Partei hat sich viel zu sehr dem Taumel des ersten Siegesrausches hingegeben. Trunken vor Freude, daß sie endlich einmal ihr Prinzip laut und unverhohlen aussprechen durfte, bildete sie sich ein,
daß es nur seiner Verkündigung bedürfe, um auch sofort der Verwirklichung sicher zu sein. Über diese Verkündigung ist sie nach ihrem ersten Siege und den Konzessionen, die unmittelbar daran geknüpft waren, nicht herausgekommen. Aber während sie mit ihren Ideen freigebig war und jeden als Bruder umarmte, der nur nicht gleich Widerspruch zu erheben wagte, handelten die andern, denen die Macht gelassen oder gegeben war. Und ihre Tätigkeit ist nicht verächtlich gewesen. Mit ihrem Prinzipe zurückhaltend, das sie nur soweit hervortreten ließen, als es gegen den alten, durch die Revolution umgeworfenen Zustand gerichtet war, die Bewegung vorsichtig beschränkend, wo das Interesse des neu zu bildenden Rechtszustandes, die Herstellung der äußern Ordnung als Vorwand dienen konnte, den Freunden der alten Ordnung scheinbare Zugeständnisse machend, um ihrer zur Durchführung ihrer Pläne desto sicherer zu sein, dann allmählich ihr eignes politisches System in den Grundzügen aufführend, ist es ihnen gelungen, zwischen der demokratischen Partei und den Absolutisten eine Mittelstellung zu gewinnen, nach der einen Seite fortschreitend, nach der andern zurückdrängend, zugleich progressiv - gegen den Absolutismus, reaktionär - gegen die Demokratie. Das ist die Partei des besonnenen, gemäßigten Bürgertums, von der sich die Volkspartei in ihrer ersten Trunkenheit hat überlisten lassen, bis ihr endlich, als man sie schnöde zurückstieß, als man sie als Wühler denunzierte und ihr alle möglichen verwerflichen Tendenzen unterschob, die Augen aufgegangen sind, bis sie gewahrt hat, daß sie im Grunde nichts erreicht hat, als was die Herren von der Bürgerschaft mit ihrem wohlverstandenen Interesse für vereinbar halten. Mit sich selbst in Widerspruch gesetzt durch ein undemokratisches Wahlgesetz, geschlagen in den Wahlen, sieht sie jetzt eine doppelte Vertretung sich gegenüber, wovon nur das schwer zu sagen ist, welche von beiden sich entschiedener ihren Forderungen entgegenstemmt. Damit ist dann freilich ihre Begeisterung verraucht und die nüchterne Erkenntnis an die Stelle getreten, daß eine mächtige Reaktion zur Herrschaft gelangt ist, und zwar merkwürdigerweise, noch ehe es überhaupt zu einer Aktion im Sinne der Revolution gekommen ist. So unzweifelhaft dies alles ist, so gefährlich wäre es, wenn sich jetzt die demokratische Partei unter dem bittern Gefühle der ersten teilweise selbst verschuldeten Niederlage bestimmen ließe, zu jenem unseligen, dem deutschen Charakter leider so befreundeten Idealismus zurückzukehren, vermöge dessen ein Prinzip, das nicht sogleich ins Leben geführt werden kann, der fernen Zukunft anempfohlen, für die Gegenwart aber der harmlosen Bearbeitung der „Denker" überlassen wird.
Wir müssen direkt warnen vor jenen gleisnerischen Freunden, die sich mit dem Prinzip zwar einverstanden erklären, aber die Ausführbarkeit bezweifeln, weil die Welt noch nicht reif dafür sei, die keineswegs gemeint sind, sie reif zu machen, vielmehr es vorziehen, in diesem schlechten Erdendasein selber dem allgemeinen Geschicke der Schlechtigkeit anheimzufallen. Wenn das die Kryptorepublikaner sind, die der Hof rat Gervinus so sehr fürchtet, so stimmen wir ihm von Herzen bei: Die Leute sind gefährlich/213
Camphausens Erklärung in der Sitzung vom 30. Mai
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 3 vom 3. Juni 1848] * * Köln, 2. Juni. Post et non propter1, d.h. Herr Camphamen ist nicht durch die Märzrevolution, sondern nach der Märzrevolution Ministerpräsident geworden. Diese nachträgliche Bedeutung seines Ministeriums hat Herr Camphausen in feierlicher, hochbeteuernder Manier, mit jener sozusagen ernsten Körperlichkeit, welche die Mängel der Seele versteckt[22], am 30.Mai 1848 der in Berlin zwischen ihm und den indirekten Wahlmännern vereinbarten Versammlung[23] offenbart.
„Das am 29. März gebildete Staatsministerium", sagt der denkende Gesckicktsfreund„ist bald nach einer Begebenheit zusammengetreten, deren Bedeutung es nicht verkannt hat und nicht verkennt." t253 Die Behauptung des Herrn Camphausen, daß er vor dem 29. März kein Staatsministerium bildete, wird in den letzten Monatsgängen der „Preußischen Staats-Zeitung"[26] ihren Beleg finden. Und daß ein Datum hohe „Bedeutung" besitzt, namentlich für Herrn Camphausen, welches wenigstens den chronologischen Ausgangspunkt seiner Himmelfahrt bildet, darf zuverlässig angenommen werden. Welche Beruhigung für die verstorbenen Barrikadenkämpfer, daß ihre kalten Leichname als Wegweiser, als Zeigefinger auf das Staatsministerium vom 29. März figurieren. Quelle gloire!2 Mit einem Worte: Nach der Märzrevolution bildete sich ein Ministerium Camphausen. Dasselbe Ministerium Camphausen erkennt die „hohe Bedeutung" der Märzrevolution an; wenigstens verkennt es sie nicht. Die Revolution selbst ist Bagatelle, aber ihre Bedeutung! Sie bedeutet eben das Ministerium Camphausen, wenigstens post festum3.
1 Nach und nicht durch - 2 Welche Ehre! - 3 hinterher
„Diese Begebenheit" - die Bildung des Ministeriums Camphausen oder die Märzrevolution? - „gehört zu den wesentlichsten mitwirkenden Ursachen der Umgestaltung unserer inneren Staatsverfassung."
Die Märzrevolution, soll das heißen, ist eine „wesentlich mitwirkende Ursache" der Bildung des Staatsministeriums vom 29.März, d.h. des Staatsministeriums Camp hausen. Oder sollte das bloß sagen: Die preußische Märzrevolution hat Preußen revolutioniert! Eine solche feierliche Tautologie dürfte von einem „denkenden Geschichtsfreand" allenfalls präsumiert werden.
„Wir stehen am Eingange derselben' (nämlich der Umgestaltung unserer inneren Staatsverhältnisse), „und der Weg vor uns ist weit, dies erkennt die Regierung an."
Mit einem Worte, das Ministerium Camphausen erkennt an, daß es noch einen weiten Weg vor sich habe, d.h. es verspricht sich eine lange Dauer. Kurz ist die Kunst, d.h. die Revolution, und lang das Leben[27], d.h. das nachträgliche Ministerium. Es wird zum Überfluß von sich selbst anerkannt. Oder interpretiert man anders die Camphausenschen Worte? Man wird dem denkenden Geschichtsfreunde sicher nicht die triviale Erklärung zumuten, daß Völker, die am Eingang einer neuen Geschichtsepoche stehen, am Eingang stehn und daß der Weg, den jede Epoche vor sich hat, grade so lang ist, wie die Zukunft. Soweit der erste Teil der mühsamen, ernsten, förmlichen, gediegenen und gewiegten Rede des Ministerpräsidenten Camphausen. Sie resümiert sich in drei Worten: Nach der Märzrevolution das Ministerium Camphausen. Hohe Bedeutung des Ministeriums Camphausen. Weiter Weg vor dem Ministerium Camphausen! Nun der zweite Teil.
„Keineswegs aber haben wir die Lage so aufgefaßt", doziert Herr Camphausen, „als sei durch diese Begebenheit" (die Märzrevolution) „eine vollständige Umwälzung eingetreten, als sei die ganze Verfassung unseres Staates umgeworfen worden, als habe alles Vorhandene aufgehört, rechtlich zu bestehen, als müßten alle Zustände rechtlich neu begründet werden. Im Gegenteil. Im Augenblicke seines Zusammentretens hat das Ministerium sich darüber geeinigt, dies als eine Frage seiner Existenz anzusehn, daß der damals zusammenberufene Vereinigte Landtag wirklich und ungeachtet der dagegen eingegangenen Petitionen zusammentrete, daß aus der bestehenden Verfassung heraus mit den gesetzlichen Mitteln, die sie darbot, in die neue Verfassung übergegangen werde, ohne das Band abzuschneiden, welches das Alte an das Neue knüpft. Dieser unbestreitbar richtige Weg ist innegehalten, dem Vereinigten Landtage ist das Wahlgesetz vorgelegt und mit dessen Beirat erlassen worden. Später versuchte man, die Regierung zu vermögen, das Gesetz aus eigener Machtvollkommen
heit zu verändern, namentlich das indirekte Wahlsystem in das direkte zu verwandeln. Die Regierung hat dem nicht nachgegeben. Die Regierung hat keine Diktatur ausgeübt; sie hat sie nicht ausüben können, sie hat sie nicht ausüben lOollen. Wie das Wahlgesetz rechtlich besteht, so ist es auch tatsächlich zur Ausführung gekommen. Auf Grund dieses Wahlgesetzes sind die Wahlmänner, sind die Abgeordneten gewählt. Auf Grund dieses Wahlgesetzes sind Sie hier, mit der Vollmacht, mit der Krone eine für die Zukunft hoffentlich dauernde Verfassung zu vereinbaren."
Ein Königreich für eine DoktrinP8-1 Eine Doktrin für ein Königreich! Erst kommt die „Begebenheit", verschämter Titel der Revolution. Hinterher kommt die Doktrin und prellt die „Begebenheit". Die ungesetzliche „Begebenheit" macht Herrn Camphausen zum verantwortlichen Ministerpräsidenten, zu einem Wesen, das gar keinen Platz, keinen Sinn in dem Alten, in der bestehenden Verfassung hatte. Durch einen Salto mortale setzen wir über das Alte hinweg und finden glücklich einen verantwortlichen Minister, aber der verantwortliche Minister findet noch glücklicher eine Doktrin. Mit dem ersten Lebenshauche eines Verantwortlichen Ministerpräsidenten war die absolute Monarchie gestorben, verdorben. Unter den Gefallenen derselben befand sich in erster Linie der selige „Vereinigte Landtag", dieses widerliche Gemisch von gotischem Wahn und moderner Lüge[29]. Der „Vereinigte Landtag" war der „liebe Getreue", das „Grauchen" der absoluten Monarchie. Wie die deutsche Republik nur über der Leiche des Herrn Venedey ihren Einzug feiern kann, so das verantwortliche Ministerium nur über der Leiche des „lieben Getreuen". Der verantwortliche Minister nun sucht sich die verschollene Leiche heraus oder beschwört das Gespenst des lieben getreuen „Vereinigten" herauf, das wirklich erscheint, aber unglücklich baumelnd in der Luft schwebt und die absonderlichsten Kapriolen schneidet, da es keinen Boden mehr unter seinen Füßen findet, denn der alte Rechts- und Vertrauensboden war von der „Begebenheit" des Erdbebens verschlungen worden. Der Zaubermeister eröffnet dem Gespenst, daß er es berufen, um seinen Nachlaß liquidieren und als loyaler Erbe desselben sich gebaren zu können. Nicht hoch genug könne es diese höfliche Lebensart würdigen, denn im gewöhnlichen Leben lasse man Verstorbene keine Testamente nachträglich ausstellen. Das höchst geschmeichelte Gespenst winkt pagodenmäßig allem zu, was der Zaubermeister befiehlt, macht seine Reverenz beim Exit und verschwindet. Das Gesetz der indirekten Wahl[30] ist sein nachträgliches Testament. Das doktrinäre Kunststück, wodurch Herr Camphausen „aus der bestehenden Verfassung heraus mit den gesetzlichen Mitteln, die sie darbot, in die neue Verfassung übergegangen ist", verläuft sich also wie folgt:
Eine ungesetzliche Begebenheit macht Herrn Camphausen zu einer im Sinne der „bestehenden Verfassung" des „Alten" ungesetzlichen Person, zum verantwortlichen Ministerpräsidenten, zum konstitutionellen Minister. Der konstitutionelle Minister macht auf ungesetzliche Weise den antikonstitutionellen, ständischen, lieben getreuen „Vereinigten" zur konstituierenden Versammlung. Der liebe getreue „Vereinigte" macht auf ungesetzliche Weise das Gesetz der indirekten Wahl. Das Gesetz der indirekten Wahl macht die Berliner Kammer, und die Berliner Kammer macht die Konstitution, und die Konstitution macht alle folgenden Kammern in alle Ewigkeit. So wird aus der Gans ein Ei und aus dem Ei eine Gans. An dem kapitolrettenden Geschnatter[31] erkennt das Volk aber bald, daß die goldenen Ledaeier, die es in der Revolution gelegt, entwendet worden sind. Selbst der Abgeordnete Milde scheint nicht der Ledasohn zu sein, der fernhinleuchtende Kastor[32].
Geschrieben von Karl Marx.
Lebens- und Sterbensfragen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 4 vom 4. Juni 1848] ** Köln, 3. Juni. Die Zeiten ändern sich, wir ändern uns mit ihnen. Das ist ein Sprüchlein, davon unsre Herren Minister Camphausen und Hansemann auch zu erzählen wissen. Damals, als sie noch als bescheidene Abgeordnete auf den Schulbänken eines Landtags saßen, was mußten sie sich da von Regierungskommissären und Marschällen gefallen lassen ![33] Wie wurden sie auf Sekunda, auf dem rheinischen Provinziallandtage kurzgehalten von Sr. Durchlaucht dem Ordinarius Solms-Lich! Und selbst als sie nach Prima, in den Vereinigten Landtag[34] versetzt wurden, waren ihnen zwar einige Exerzitien in der Eloquenz gestattet, aber wie führte ihr Schulmeister, Herr Adolf v. Rochow, noch immer den ihm Allerhöchst überreichten Stock! Wie demütig mußten sie die Impertinenzen eines Bodelschwingh hinnehmen, wie andächtig das stotternde Deutsch eines Boyen bewundern, welch ein beschränkter Untertanenverstand110] war ihnen zur Pflicht gemacht gegenüber der groben Unwissenheit eines Duesberg! Jetzt ist das anders geworden. Der 18.März machte der ganzen politischen Schulmeistern ein Ende, und die Landtagsschüler erklärten sich reif. Herr Camphausen und Herr Hansemann wurden Minister und fühlten entzückt ihre ganze Größe als „notwendige Männer". Wie „notwendig" sie zu sein glauben, wie übermütig sie durch ihre Befreiung aus der Schule geworden sind, hat jeder fühlen müssen, der mit ihnen in Berührung kam. Sie fingen sofort damit an, die alte Schulstube, den Vereinigten Landtag, provisorisch wieder einzurichten. Hier sollte der große Akt des Übergangs aus dem bürokratischen Gymnasium in die konstitutionelle Universität, die feierliche Ausstellung des Abiturientenzeugnisses für das preußische Volk in aller vorgeschriebenen Form abgemacht werden.
Das Volk erklärte in zahlreichen Denkschriften und Petitionen, es wolle vom Vereinigten Landtage nichts wissen. Herr Camphausen erwiderte (siehe z.B. die Sitzung der Konstituante vom 30.Mai1), die Berufung des Landtags sei eine Lebensfrage für das Ministerium, und da war freilich alles aus. Der Landtag kam zusammen[35], eine an der Welt, an Gott, an sich selbst verzweifelnde, niedergeschlagene, zerknirschte Versammlung. Ihm war bedeutet worden, er solle bloß das neue Wahlgesetz akzeptieren, aber Herr Camphausen verlangt von ihm nicht nur ein papiernes Gesetz und indirekte Wahlen, sondern fünfundzwanzig klingende Millionen. Die Kurien geraten in Verwirrung, werden irre an ihrer Kompetenz, stammeln unzusammenhängende Einwände; aber da hilft nichts, es ist im Rate des Herrn Camphausen beschlossen, und wenn die Gelder nicht bewilligt werden, wenn „das Vertrauensvotum" verweigert wird, so geht Herr Camphausen nach Köln und überläßt die preußische Monarchie ihrem Schicksale. Den Herrn vom Landtage tritt bei dem Gedanken der kalte Schweiß vor die Stirne, aller Widerstand wird aufgegeben, und das Vertrauensvotum wird mit süßsäuerlichem Lächeln votiert. Man sieht es diesen fünfundzwanzig im Luftreich des Traums1-36-1 Kurs habenden Millionen an, wo und wie sie votiert worden sind. Die indirekten Wahlen werden proklamiert. Ein Sturm von Adressen, Petitionen, Deputationen erhebt sich dagegen. Die Herren Minister antworten: Das Ministerium steht und fällt mit den indirekten Wahlen. Damit ist wieder alles still, und beide Teile können sich schlafen legen. Die Vereinbarungsversammlung kommt zusammen. Herr Camphausen hat sich vorgenommen, sich eine Antwortadresse auf seine Thronrede machen zu lassen. Der Deputierte Duncker muß den Vorschlag machend25-1 Die Diskussion entspinnt sich. Es wird ziemlich lebhaft gegen die Adresse gesprochen. Herr Hansemann langweilt sich über das ewige konfuse Hin- und Herreden der unbeholfenen Versammlung, das seinem parlamentarischen Takt unerträglich wird, und erklärt kurzweg: Man könne sich das alles sparen; entweder mache man eine Adresse und dann sei alles gut, oder man mache keine und dann trete das Ministerium ab. Die Diskussion dauert dennoch fort, und Herr Camphausen tritt endlich selbst auf die Tribüne, um zu bestätigen, daß die Adreßfrage eine Lebensfrage für das Ministerium sei. Endlich, da dies noch nicht hilft, tritt Herr Auerswald ebenfalls auf und beteuert zum drittenmal, daß das Ministerium mit der Adresse stehe und falle. Jetzt
1 Siehe vorl. Band, S. 25-28
war die Versammlung hinlänglich überzeugt und stimmte natürlich für die Adresse. So sind unsre „verantwortlichen" Minister in zwei Monaten schon zu jener Erfahrung und Sicherheit in der Leitung einer Versammlung gekommen, welche der Herr Duchätel, der doch gewiß nicht zu verachten war, sich erst nach mehreren Jahren intimen Verkehrs mit der vorletzten französischen Deputiertenkammer erwarb. Auch Herr Duchätel pflegte in der letzten Zeit, wenn die Linke ihn durch ihre breiten Tiraden langweilte, zu erklären: Die Kammer ist frei, sie kann für oder gegen stimmen; stimmt sie aber gegen, so treten wir ab - und die zaghafte Majorität, für die Herr Duchätel der „notwendigste" Mann von der Welt war, scharte sich wie eine Hammelherde beim Gewitter um ihren bedrohten Anführer. Herr Duchätel war ein leichtsinniger Franzose und trieb das Spiel so lange, bis es seinen Landsleuten zu arg wurde. Herr Camphausen ist ein gesinnungstüchtiger und ruhiger Deutscher und wird wissen, wie weit er gehen kann. Freilich, wenn man seiner Leute so sicher ist wie Herr Camphausen seiner „Vereinbarer", so spart man auf diese Weise Zeit und Gründe. Man schneidet der Opposition das Wort so ziemlich rund ab, wenn man jeden Punkt zu einer Kabinettsfrage macht. Deshalb paßt diese Methode auch am meisten für entschiedene Männer, die ein für allemal wissen, was sie wollen, und denen alles weitere nutzlose Geschwätz unerträglich wird - für Männer wie Duchätel und Hansemann. Für Männer der Diskussion aber, die es lieben, „in einer großen Debatte ihre Ansichten auszusprechen und auszutauschen, sowohl über die Vergangenheit und über die Gegenwart als auch über die Zukunft" (Camphausen, Sitzung vom 31 .Mai), für Männer, welche auf dem Boden des Prinzips stehen und die Tagesereignisse mit dem Scharfblick des Philosophen durchschauen, für höhere Geister wie Guizot und Camphausen kann dies irdische Mittelchen, wie unser Konseilpräsident in seiner Praxis finden wird, gar nicht passen. Er überlasse es seinem Duchätel Hansemann und halte sich in der höhern Sphäre, in der wir ihn so gerne beobachten.
Das Ministerium Camphausen1871
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 4 vom 4. Juni 1848] ** Köln, 3. Juni. Es ist bekannt, daß der französischen Nationalversammlung von 1789 eine Versammlung der Notabein vorherging, eine Versammlung, welche ständisch zusammengesetzt war wie der preußische Vereinigte Landtag. In dem Dekrete, worin der Minister Necker die Nationalversammlung zusammenberief, bezog er sich auf das von den Notabein ausgesprochene Verlangen nach Zusammenberufung der Generalstände. Der Minister Necker hatte so einen bedeutenden Vorsprung vor dem Minister Camphausen, Er brauchte nicht die Erstürmung der Bastille und den Sturz der absoluten Monarchie abzuwarten, um nachträglich auf doktrinäre Weise das Alte an das Neue zu knüpfen, um so mühsam den Schein zu wahren, als sei Frankreich durch die gesetzlichen Mittel der alten Konstitution zur neuen konstituierenden Versammlung gelangt. Er hatte noch andere Vorzüge. Er war Minister von Frankreich und nicht Minister von Lothringen und vom Elsaß, während Herr Camphausen nicht Minister von Deutschland, sondern Minister von Preußen ist. Und mit allen diesen Vorzügen ist es dem Minister Necker nicht gelungen, aus einer revolutionären Bewegung eine stille Reform zu machen. Nicht mit Rosenöl war die große Krankheit zu heilen^38-1 Noch weniger wird Herr Camphausen den Charakter der Bewegung verändern durch eine künstliche Theorie, die eine grade Linie zieht zwischen seinem Ministerium und den alten Zuständen der preußischen Monarchie. Die Märzrevolution, die deutsche revolutionäre Bewegung überhaupt lassen sich durch Iceinen Kunstgriff in mehr oder minder erhebliche Zwischenvorfälle verwandeln. Wurde Ludwig Philipp zum König der Franzosen erwählt, weil er Bourbon war? Wurde er erwählt, ohschon er Bourbon war? Man erinnert sich, daß diese Frage kurz nach der Julirevolution die Parteien entzweite.[39]
Was bewies die Frage selbst? Daß die Revolution in Frage gestellt war, daß das Interesse der Revolution nicht das Interesse der zur Herrschaft gelangten Klasse und ihrer politischen Vertreter war. Dieselbe Bedeutung hat die Erklärung des Herrn Camphausen, sein Ministerium sei nicht durch die Märzrevolution, sondern nach der Märzrevolution zur Welt gekommen.
Geschrieben von Karl Marx.
3 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Die Kriegskomödie[40]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.5 vom 5. Juni 1848] * Schleswig-Holstein. In der Tat, die Annalen der ganzen Geschichte haben keinen solchen Feldzug, kein so frappantes Wechselspiel zwischen Waffengewalt und Diplomatie aufzuweisen wie jetzt unser einheitlich-deutschnationaler Krieg mit dem kleinen Dänemark darbietet! Die Großtaten der alten Reichsarmee mit ihren sechshundert Anführern, Generalstäben und Kriegsräten, die gegenseitigen Schikanen der Anführer der Koalition von 1792, die Ordres und Kontreordres des seligen k. k. Hofkriegsrats, alles das ist ernsthaft, ergreifend und tragisch gegen die kriegerische Komödie, welche die neue deutsche Bundesarmee1411 dermalen unter dem schallenden Gelächter von ganz Europa in Schleswig-Holstein aufführt. Verfolgen wir kurz die Intrige dieser Komödie. Die Dänen rücken von Jütland vor und landen Truppen in Nordschleswig. Die Preußen und Hannoveraner besetzen Rendsburg und die Eiderlinie. Die Dänen, trotz aller deutschen Renommagen ein rasches, mutiges Volk, greifen schnell an und werfen die schleswig-holsteinsche Armee durch eine Schlacht auf die Preußen zurück. Diese sehen ruhig zu. Endlich kommt von Berlin der Befehl zum Vorrücken. Die vereinigten deutschen Truppen greifen die Dänen an und erdrücken sie bei Schleswig durch die Übermacht. Der Sieg wird namentlich entschieden durch die Geschicklichkeit, mit der die pommerschen Gardisten, wie weiland bei Großbeeren und Dennewitz[42J, den Kolben handhaben. Schleswig ist wieder erobert und Deutschland ist im Jubel über die Heldentat seiner Armee. Inzwischen bringt die dänische Flotte - nicht zwanzig Schiffe von Bedeutung im ganzen zählend — die deutschen Kauffahrer auf, blockiert alle deutschen Häfen und deckt die Übergänge zu den Inseln, wohin sich die Armee zurückzieht. Jütland wird preisgegeben und teilweise von den Preußen besetzt, die eine Kontribution von 2 Millionen Spezies ausschreiben.
Die Kriegskomödie 35
Ehe aber noch ein Taler von der Kontribution eingegangen, macht England Vermittlungsvorschläge auf der Basis eines Rückzuges und der Neutralität Schleswigs, schickt Rußland drohende Noten. Herr Camphausen geht richtig in die Schlinge, und auf seinen Befehl ziehen die siegestrunkenen Preußen von Veile nach der Königsau, nach Hadersleben, nach Apenrade, nach Flensburg zurück. Sogleich sind die bisher verschwundenen Dänen wieder da; sie verfolgen die Preußen Tag und Nacht, sie bringen Unordnung in ihren Rückzug, sie landen an allen Ecken, schlagen die Truppen des 10. Bundeskorps bei Sundewitt und weichen nur der Überzahl. Bei dem Gefecht vom 30.Mai entschieden wieder die Kolben, diesmal geschwungen von den rechtschaffenen Fäusten der Mecklenburger. Die deutschen Einwohner flüchten mit den Preußen, ganz Nordschleswig ist der Verwüstung und Plünderung preisgegeben, in Hadersleben und Apenrade weht wieder der Danebrog1. Man sieht, daß die preußischen Soldaten aller Grade in Schleswig so gut wie in Berlin Ordre parieren. Auf einmal kommt Befehl von Berlin: die Preußen sollen wieder vorrücken. Jetzt geht's wieder lustig vorwärts nach Norden. Aber die Komödie ist noch lange nicht zu Ende. Wir wollen abwarten, wo die Preußen diesmal den Befehl zum Rückzüge erhalten werden. Kurz, es ist ein wahrer Kontretanz, ein kriegerisches Ballett, welches das Ministerium Camphausen zu seinem eigenen Vergnügen und zum Ruhm der deutschen Nation aufführen läßt. Vergessen wir nur nicht, daß die Beleuchtung der Schaubühne durch brennende schleswigsche Dörfer und der Chorus durch das Rachegeschrei dänischer Marodeurs und Freischärler gebildet wird. Das Ministerium Camphausen hat bei dieser Angelegenheit seinen hohen Beruf bekundet, Deutschland nach außen zu vertreten. Das durch seine Schuld zweimal der dänischen Invasion preisgegebene Schleswig wird das erste diplomatische Experiment unsrer „verantwortlichen" Minister in dankbarem Angedenken behalten. Vertrauen wir der Weisheit und Energie des Ministeriums Camphausen!
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 Dänische Staatsflagge
Die Reaktion
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 6 vom 6. Juni 1848] * Köln, 5. Juni. Die Toten reiten schnell/433 Herr Camphausen desavouiert die Revolution, und die Reaktion wagt der Vereinbarungsversammlung vorzuschlagen, sie als einen Aufruhr zu brandmarken. Ein Deputierter hat ihr am 3. Juni den Antrag gemacht, den am 18.März gefallenen Soldaten ein Denkmal zu setzen/253
Comite de sürete generale
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 6 vom 6. Juni 1848] * Köln, S.Juni. Berlin besitzt jetzt ebensogut sein Comite de sürete generale wie Paris im Jahre 1793[44]. Nur mit dem Unterschiede, daß der Pariser Ausschuß revolutionär war und der Berliner reaktionär ist. Nach einer in Berlin erschienenen Bekanntmachung nämlich haben die „mit Aufrechthaltung der Ruhe beauftragten Behörden" für nötig befunden, „sich zu einem gemeinsamen Zusammenwirken zu vereinigen". Sie haben deshalb einen Sicherheitsausschuß ernannt, der in der Oberwallstraße seinen Sitz aufgeschlagen hat. Diese neue Behörde ist folgendermaßen zusammengesetzt: I.Präsident: der Direktor im Ministerium des Innern, Puttkamer; 2. der Kommandant und Exbefehlshaber der Bürger wehr, Aschoff; S.Polizeipräsident Minutoli; 4. Staatsanwalt Temme; 5. Bürgermeister Naunyn und zwei Stadträte; 6. der Vorsteher der Stadtverordneten und drei Stadtverordnete; 7. fünf Offiziere und zwei Männer der Bürger wehr. Dieser Ausschuß wird
„von allem, was die öffentliche Ruhe verletzt oder zu verletzen droht, Kenntnis nehmen und die Tatsachen einer allseitigen und gründlichen Erwägung unterwerfen. Mit Umgehung der alten und unzulänglichen Mittel und Formen und mit Vermeidung unnötigen Schriftwechsels wird er die geeigneten Schritte verabreden und durch die verschiednen Kreise der Verwaltung eine schleunige und energische Ausführung der notwendigen Anordnungen veranlassen. Durch ein solches gemeinsames Zusammenwirken kann nur Schnelligkeit und Sicherheit, verbunden mit der erforderlichen Vorsicht, in den unter den heutigen Zeitverhältnissen oft sehr schwierigen Geschäftsgang gebracht werden. Besonders aber wird die Bürgerwehr, welche den Schutz der Stadt auf sich genommen hat, in den Stand gesetzt werden, den unter ihrem Beirat gefaßten Beschlüssen der Obrigkeit auf Erfordern den gebührenden Nachdruck zu verschaffen. Mit vollem Vertrauen auf die Teilnahme und Mitwirkung aller Bewohner und besonders des ehrenhaften (!) Standes der Handwerker und (!) Arbeiter beginnen die Deputierten,
frei von allen Parteiansichten1 und Bestrebungen, ihren mühevollen Beruf und hoffen, denselben vorzugsweise auf dem friedfertigen Wege der Vermittlung zur Wohlfahrt aller zu erfüllen." Die ölige, einschmeichelnde, demütig-bittende Sprache läßt schon ahnen, daß hier ein Zentrum für die reaktionäre Tätigkeit gebildet wird gegenüber dem revolutionären Volk von Berlin. Die Zusammensetzung dieses Ausschusses erhebt dies zur Gewißheit. Da ist erstens Herr Puttkamer, derselbe, der sich als Polizeipräsident durch seine Ausweisungen rühmlichst bekannt machte. Wie unter der bürokratischen Monarchie: keine hohe Behörde ohne wenigstens einen Puttkamer. Dann Herr Aschoff, der wegen seiner Korporalsgrobheit und seiner reaktionären Intrigen der Bürgerwehr so verhaßt wurde, daß sie seine Entfernung beschloß. Er hat nun auch seine Stelle niedergelegt. Dann Herr Minutoli, der 1846 das Vaterland in Posen gerettet, indem er die Verschwörung der Polen entdeckte1-45-1, und der neulich die Schriftsetzer auszuweisen drohte, als sie wegen Lohndifferenzen feierten. Dann Repräsentanten zweier äußerst reaktionär gewordenen Körperschaften, des Magistrats und der Stadtverordneten, und endlich, unter den Offizieren der Bürgerwehr, der Hauptreaktionär Major Blesson. Wir hoffen, daß das Berliner Volk sich von diesem eigenmächtig konstituierten Reaktionsausschusse in keiner Weise bevormunden lassen wird. Übrigens hat der Ausschuß seine reaktionäre Tätigkeit schon begonnen, indem er aufgefordert hat, von der auf gestern (Sonntag) angesagten Volksprozession nach dem Grabe der Märzgefallenen abzustehen, weil dies eine Demonstration, und Demonstrationen überhaupt vom Übel seien.
1 In der Bekanntmachung: Parteirücksichten
Programme der radikal-demokratischen Partei und der Linken zu Frankfurt
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 7 vom 7. Juni 1848] ** Köln, 6. Juni. Wir haben unsern Lesern gestern das „motivierte Manifest der radikal-demokratischen Partei in der konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main" mitgeteilt. Unter der Rubrik Frankfurt finden sie heute das Manifest der Linken[46]. Beide Manifeste scheinen sich auf den ersten Blick kaum anders zu unterscheiden als formell, indem die radikal-demokratische Partei einen unbeholfenen und die Linke einen gewandten Redakteur besitzt. Bei genauerer Ansicht heben sich indes einige wesentliche Unterscheidungspunkte hervor. Das radikale Manifest verlangt eine „ohne Zensus und durch direkte Wahlen ', das der Linken eine durch die „freie Wahl aller' hervorgebrachte Nationalversammlung. Die freie Wahl aller schließt den Zensus aus, keineswegs aber die indirekte Methode. Und wozu überhaupt dieser unbestimmte, vieldeutige Ausdruck? Wir begegnen noch einmal dieser größern Weite und Biegsamkeit der Forderungen der Linken, im Gegensatz zu den Forderungen der radikalen Partei. Die Linke verlangt „eine vollziehende Zentralgewalt, von der Nationalversammlung auf Zeit gewählt, und ihr verantwortlich". Sie läßt unentschieden, ob diese Zentralgewalt aus der Mitte der Nationalversammlung hervorgehen müsse, wie das radikale Manifest ausdrücklich bestimmt. Das Manifest der Linken fordert endlich sofortige Feststellung, Verkündigung und Sicherstellung der Grundrechte des deutschen Volks allen möglichen Eingriffen der Einzelregierungen gegenüber. Das radikale Manifest begnügt sich nicht hiermit. Es erklärt,
„die Versammlung vereinige jetzt noch alle Staatsgewalten des Gesamtstaates in sich und habe die verschiedenen Gewalten und politischen Lebensformen, die sie zu beschließen berufen sei, auch sofort in Wirksamkeit zu setzen und die innere und äußere Politik des Gesamtstaates zu handhaben".
Beide Manifeste stimmen darin überein, daß sie die „Konstituierung der Verfassung Deutschlands einzig und allein der Nationalversammlung" überlassen haben wollen und die Mitwirkung der Regierungen ausschließen. Beide stimmen darin überein, daß sie, „unbeschadet der von der Nationalversammlung zu proklamierenden Volksrechte", den Einzelstaaten die Wahl der Verfassung freigeben, sei es der konstitutionellen Monarchie, sei es der Republik. Beide stimmen endlich darin überein, daß sie Deutschland in einen Bundes- oder Föderativstaat verwandeln wollen. Das radikale Manifest spricht wenigstens die revolutionäre Natur der Nationalversammlung aus. Es nimmt die angemessene revolutionäre Tätigkeit in Anspruch. Das bloße Bestehn einer konstituierenden Nationalversammlung, beweist es nicht, daß keine Verfassung mehr besteht ? Wenn aber keine Verfassung mehr besteht, besteht keine Regierung mehr. Wenn keine Regierung mehr besteht, muß die Nationalversammlung selbst regieren. Ihr erstes Lebenszeichen mußte ein Dekret in sechs Worten sein: „Der Bundestag^ ist für immer aufgelöst." Eine konstituierende Nationalversammlung muß vor allem eine aktive, revolutionär-aktive Versammlung sein. Die Versammlung in Frankfurt macht parlamentarische Schulübungen und läßt die Regierungen handeln. Gesetzt, es gelänge diesem gelehrten Konzil nach allerreifster Überlegung, die beste Tagesordnung und die beste Verfassung auszuklügeln, was nutzt die beste Tagesordnung und die beste Verfassung, wenn die Regierungen unterdes die Bajonette auf die Tagesordnung gesetzt? Die deutsche Nationalversammlung, abgesehen davon, daß sie aus indirekter Wahl hervorgegangen, leidet an einer eigentümlich germanischen Krankheit. Sie residiert in Frankfurt am Main, und Frankfurt am Main ist nur ein idealer Mittelpunkt, wie er der bisherigen idealen, d.h. nur eingebildeten Einheit Deutschlands entsprach. Frankfurt am Main ist auch keine große Stadt mit einer großen revolutionären Bevölkerung, die hinter der Nationalversammlung steht, teils schützend, teils vorwärts treibend. Zum erstenmal in der Weltgeschichte residiert die konstituierende Versammlung einer großen Nation in einer kleinen Stadt. Die bisherige deutsche Entwickelung brachte dies mit sich. Während französische und englische Nationalversammlungen auf einem feuerspeienden Boden standen — Paris und London -, mußte die deutsche Nationalversammlung sich glücklich schätzen, einen neutralen Boden zu finden, einen neutralen Boden, wo sie in aller behaglichen Stille des Gemüts über die beste Verfassung und die beste Tagesordnung nachdenken kann. Dennoch bot ihr der augenblickliche Zustand Deutschlands Gelegenheit, ihre unglückliche materielle Situation zu über
winden. Sie brauchte nur überall den reaktionären Ubergriffen überlebter Regierungen diktatorisch entgegenzutreten, und sie eroberte sich eine Macht in der Volksmeinung, an der alle Bajonette und Kolben zersplittert wären. Statt dessen überläßt sie unter ihren Augen Mainz der Willkür der Soldateska und deutsche Ausländer den Schikanen Frankfurter Pfahlbürger.1 Sie langweilt das deutsche Volk, statt es mit sich fortzureißen oder von ihm fortgerissen zu werden. Es existiert für sie zwar ein Publikum, das einstweilen noch mit gutmütigem Humor den burlesken Bewegungen des wiedererwachten heiligen römischen deutschen Reichstagsgespenstes zusieht, aber es existiert für sie kein Volk, das in ihrem Leben sein eignes Leben wiederfände. Weit entfernt, das Zentralorgan der revolutionären Bewegung zu sein, war sie bisher nicht » einmal ihr Echo. Bildet die Nationalversammlung eine Zentralgewalt aus ihrem Schöße, so ist bei ihrer jetzigen Zusammensetzung und nachdem sie den günstigen Augenblick unbenutzt hat vorübergehen lassen, wenig Erquickliches von dieser provisorischen Regierung zu erwarten. Bildet sie keine Zentralgewalt, so hat sie ihre eigne Abdankung unterschrieben und wird bei dem schwächsten revolutionären Luftzug nach allen Seiten hin auseinanderstieben. Das Programm der Linken, wie der radikalen Seite, hat das Verdienst, diese Notwendigkeit begriffen zu haben. Beide Programme rufen auch mit Heine aus: „Bedenk' ich die Sache ganz genau, So brauchen wir gar keinen Kaiser" t471, und die Schwierigkeit, „wer der Kaiser sein soll", die vielen guten Gründe, die für einen Wahlkaiser und die ebenso guten Gründe, die für einen Erbkaiser sprechen, werden auch die konservative Majorität der Versammlung zwingen, den gordischen Knoten[48] zu durchhauen, indem sie gar keinen Kaiser wählt. Unbegreiflich ist es, wie die sogenannte radikal-demokratische Partei eine Föderation von konstitutionellen Monarchien, Fürstentümchen und Republikchen, einen aus so heterogenen Elementen zusammengesetzten Bundesstaat mit einer republikanischen Regierung an der Spitze - denn weiter ist doch wohl der von der Linken akzeptierte Zentralausschuß nichts - als schließliche Verfassung Deutschlands hat proklamieren können. Kein Zweifel. Zunächst muß die von der Nationalversammlung gewählte Zentralregierung Deutschlands neben den faktisch noch bestehenden Regierungen sich erheben. Aber mit ihrer Existenz beginnt schon ihr Kampf mit den Einzelregierungen, und in diesem Kampfe geht die Gesamtregierung mit
1 Siehe vorl. Band, S. 14-17
der Einheit Deutschlands unter oder die Einzelregierungen mit ihren konstitutionellen Fürsten oder Winkelrepublikchen. Wir stellen nicht das utopistische Verlangen, daß a priori1 eine einige unteilbare deutsche Republik, proklamiert werde, aber wir verlangen von der sogenannten radikal-demokratischen Partei, den Ausgangspunkt des Kampfes und der revolutionären Bewegung nicht mit ihrem Zielpunkt zu verwechseln. Die deutsche Einheit, wie die deutsche Verfassung können nur als Resultat aus einer Bewegung hervorgehen, worin ebensosehr die inneren Konflikte als der Krieg mit dem Osten zur Entscheidung treiben werden. Die definitive Konstituierung kann nicht dekretiert werden; sie fällt zusammen mit der Bewegung, die wir zu durchlaufen haben, Ls handelt sich daher auch nicht um die Verwirklichung dieser oder jener Meinung, dieser oder jener politischen Idee; es handelt sich um die Einsicht in den Gang der Entwicklung. Die Nationalversammlung hat nur die zunächst praktisch möglichen Schritte zu tun. Nichts konfuser als der Einfall des Redakteurs des demokratischen Manifestes, so sehr er uns versichert, „jeder Mensch ist froh, seine Konfusion loszuwerden", als an dem nordamerikanischen Föderativstaat sich das Maß der deutschen Verfassung nehmen zu wollen! Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, abgesehen davon, daß sie alle gleichartig konstituiert sind, erstrecken sich über eine Fläche so groß wie das zivilisierte Europa. Nur in einer europäischen Föderation könnten sie eine Analogie finden. Und damit Deutschland sich mit andern Ländern föderiert, muß es vor allem ein Land werden. In Deutschland ist der Kampf der Zentralisation mit dem Föderativwesen der Kampf zwischen der modernen Kultur und dem Feudalismus. Deutschland verfiel in ein verbürgerlichtes Feudalwesen in demselben Augenblicke, wo sich die großen Monarchien im Westen bildeten, aber es wurde auch von dem Weltmarkt ausgeschlossen in demselben Augenblicke, wo dieser sich dem westlichen Europa eröffnete. Es verarmte, während sie sich bereicherten. Es verbauerte, während sie großstädtisch wurden. Klopfte nicht Rußland an die Horten Deutschlands an, die nationalökonomischen Verhältnisse allein würden es zur straffesten Zentralisation zwingen. Selbst nur vom bürgerlichen Standpunkt betrachtet, ist die widerspruchslose Einheit Deutschlands die erste Bedingung, um es aus der bisherigen Misere zu erretten und den Nationalreichtum zu erschaffen. Und wie nun gar die modernen sozialen Aufgaben lösen auf einem in 39 Ländchen zersplitterten Terrain?
1 von vornherein
Programme der radikal-demokr. Partei und der Linken 43
Der Redakteur des demokratischen Programms hat übrigens nicht nötig, auf untergeordnete materielle ökonomische Verhältnisse einzugehen. Er hält sich in seiner Motivierung an den Begriff Föderation. Die Föderation ist eine Vereinigung Freier und Gleicher. Also muß Deutschland ein Föderativstaat sein. Können sich die Deutschen nicht auch zu einem großen Staat föderieren, ohne gegen den Begriff von einer Vereinigung Freier und Gleicher zu sündigen?
Berliner Vereinbarungsclebattent49]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 7 vom 7. Juni 1848] ** Köln, 6. Juni. Die Verhandlungen zur Vereinbarung etc.[25] nehmen in Berlin den erfreulichsten Fortgang. Anträge über Anträge werden gestellt, die meisten sogar fünf- bis sechsmal, damit sie ja nicht verlorengehen auf dem weiten Wege durch die Abteilungen und Kommissionen. Vorfragen, Nebenfragen, Zwischenfragen, Nachfragen und Hauptfragen werden bei jeder Gelegenheit in reichlichster Anzahl erhoben. Bei jeder dieser großen und kleinen Fragen entspinnt sich regelmäßig eine zwanglose Konversation „vom Platze aus " mit dem Präsidenten, den Ministern usw. und bildet zwischen der angreifenden Arbeit der „großen Debatten" den erwünschten Ruhepunkt. Besonders jene namenlosen Vereinbarer, die der Stenograph als „Stimme" zu bezeichnen pflegt, lieben es, in solchen gemütlichen Besprechungen ihre Meinung zu äußern. Diese „Stimmen" sind übrigens so stolz auf ihr Stimmrecht, daß sie, wie es am 2. Juni geschehen, zuweilen „für Ja und auch für Nein stimmen'. Neben dieser Idylle aber erhebt sich dann in der ganzen Erhabenheit der Tragödie der Kampf der großen Debatte, ein Kampf, der nicht nur von der Tribüne aus mit Worten geführt wird, sondern an dem auch der Chor der Vereinbarer Anteil nimmt durch Trommeln, Murren, Durcheinanderschreien usw. Das Drama endigt natürlich jedesmal mit dem Siege der tugendhaften Rechten und wird fast immer durch den Ruf der konservativen Armee nach Abstimmung entschieden. In der Sitzung vom 2. Juni stellte Herr Jung eine Interpellation an den Minister des Auswärtigen wegen des Kartellvertrages mit Rußland. Man weiß, daß schon 1842 die öffentliche Meinung die Aufhebung des Kartells erzwang, daß dies aber unter der Reaktion von 1844 wiederhergestellt wurde. Man weiß, wie die russische Regierung die Ausgelieferten totknuten oder nach Sibirien wandern läßt. Man weiß, welchen erwünschten Vorwand die be
dungene Auslieferung gemeiner Verbrecher und Vagabunden bietet, um den Russen politische Flüchtlinge in die Hände zu liefern. Herr Arnim, Minister des Auswärtigen, erwiderte:
„Es wird gewiß niemand etwas dagegen einzuwenden haben, daß Deserteurs ausgeliefert werden, indem es ganz in der Regel ist, daß befreundete Staaten sich dieselben gegenseitig ausliefern." Wir nehmen Akt davon, daß nach der Meinung unseres Ministers Rußland und Deutschland „befreundete Staaten" sind. Allerdings haben die Heeresmassen, die Rußland am Bug und Njemen zusammenzieht, keine andere Absicht, als das „befreundete" Deutschland baldmöglichst von den Schrecken der Revolution zu befreien.
„Die Entscheidung über die Auslieferung von Verbrechern liegt übrigens in der Hand der Gerichte, so daß alle Bürgschaft geleistet ist, daß die Angeklagten nicht vor dem Beschluß der Kriminaluntersuchung ausgeliefert werden." Herr Arnim sucht die Versammlung glauben zu machen, als führten die preußischen Gerichte über den dem Verbrecher zur Last gelegten Tatbestand die Untersuchung. Ganz im Gegenteil. Die russischen oder russischpolnischen Justizbehörden schicken einen Beschluß an die preußischen, wodurch sie den Flüchtling in Anklagezustand erklären. Das preußische Gericht hat bloß zu untersuchen, ob dies Aktenstück authentisch ist, und wird diese Frage bejaht, so muß es die Auslieferung beschließen. „So daß alle Bürgschaft geleistet ist", daß die russische Regierung ihren Richtern nur einen Wink zu geben braucht, um jeden Flüchtling, solange er noch nicht wegen politischer Angelegenheiten verklagt ist, mit preußischen Ketten geschlossen in ihre Hände zu bekommen.
„Daß eigne Untertanen nicht ausgeliefert werden, versteht sich von selbst." „Eigne Untertanen", Herr Feudalbaron von Arnim, können schon deswegen nicht ausgeliefert werden, weil es in Deutschland keine „Untertanen" mehr gibt, seit das Volk so frei war, sich auf den Barrikaden zu emanzipieren. „Eigne Untertanen!" Wir, die wir Versammlungen wählen, die Königen und Kaisern souveräne Gesetze vorschreiben, wir „Untertanen" Sr. Majestät des Königs von Preußen? „Eigne Untertanen!" Hätte die Versammlung nur einen Funken des revolutionären Stolzes, dem sie ihre Existenz verdankt, sie hätte den servilen Minister mit einem einzigen Ruf der Indignation von der Tribüne und von der Ministerbank herabgedonnert. Aber sie hat den brandmarkenden Ausdruck ruhig passieren lassen. Nicht die leiseste Reklamation ließ sich hören.
Herr Rehfeld interpellierte Herrn Hansemann wegen der erneuerten Wollaufkäufe der Seehandlung[50] und der durch Diskonto-Offerten den englischen Käufern gebotenen Vorteile über die deutschen. Die Wollenindustrie, gedrückt durch die allgemeine Krisis, hatte Aussicht, in Einkäufen zu den diesjährigen sehr niedrigen Wollpreisen wenigstens eine kleine Begünstigung zu finden. Da kommt die Seehandlung und treibt durch enorme Aufkäufe die Preise in die Höhe. Zu gleicher Zeit erbietet sie sich, englischen Käufern den Einkauf durch Diskontierung guter Wechsel auf London wesentlich zu erleichtern; eine Maßregel, die ebenfalls ganz geeignet ist, die Wollpreise durch Anziehung neuer Käufer in die Höhe zu treiben, und die den auswärtigen Käufern einen bedeutenden Vorteil gegen die einheimischen gibt. Die Seehandlung ist eine Erbschaft der absoluten Monarchie, der sie zu allerlei Zwecken dienlich war. Sie hat während zwanzig Jahren das Staatsschuldengesetz von 1820[51] illusorisch gemacht und sich auf eine sehr unangenehme Weise in den Handel und die Industrie eingemischt. Die von Herrn Rehfeld angeregte Frage ist im Grunde von wenig Interesse für die Demokratie. Es handelt sich hier um einige tausend Taler Gewinn mehr oder weniger für die Wollproduzenten auf der einen, für die Wollfabrikanten auf der andern Seite. Die Wollproduzenten sind fast ausschließlich große Gutsbesitzer, märkische, preußische, schlesische und posensche Feudalherren. Die Wollfabrikanten sind meistens große Kapitalisten, Herren von der hohen Bourgeoisie. Es handelt sich also bei den Wollpreisen nicht um allgemeine Interessen, sondern um Klasseninteressen, um die Frage, ob der hohe Grundadel die hohe Bourgeoisie, oder die hohe Bourgeoisie den hohen Grundadel schneiden soll. Herr Hansemann, nach Berlin geschickt als Repräsentant der hohen Bourgeoisie, der jetzt herrschenden Partei, verrät sie an den Grundadel, an die besiegte Partei, Für uns Demokraten hat die Sache nur das Interesse, daß Herr Hansemann auf Seite der besiegten Partei tritt, daß er nicht die bloß konservative Klasse, sondern die reaktionäre Klasse unterstützt. Wir gestehen, von dem Bourgeois Hansemann hätten wir dies nicht erwartet. Herr Hansemann versicherte erst, er sei kein Freund der Seehandlung, und fügte dann hinzu: Sowohl das Einkaufsgeschäft der Seehandlung wie ihre Fabriken können nicht auf einmal eingestellt werden. Was die Wolleinkäufe betrifft, so bestehen Verträge, nach welchen in diesem Jahre das Aufkaufen einer gewissen Partie Wolle ... eine Verpflichtung der Seehandlung ist. Ich
glaube, daß, wenn in irgendeinem Jahre dergleichen Einkäufe dem Privatverkehr nicht schaden, es gerade in diesem Jahr der Fall sein wird (?)... weil die Preise sonst zu niedrig werden dürften. Man sieht es der ganzen Rede an, Herr Hansemann fühlt sich nicht wohl, während er spricht. Er hat sich verleiten lassen, den Arnims, Schaffgotschs und Itzenplitzs einen Gefallen zu tun zum Nachteil der Wollfabrikanten, und soll nun mit den Gründen der modernen, für den Adel so unbarmherzigen Nationalökonomie seinen unbedachten Schritt verteidigen. Er selbst weiß am besten, daß er die ganze Versammlung zum besten hat. „Das Einkaufsgeschäft der Seehandlung sowohl wie ihre Fabriken können nicht auf einmal eingestellt werden." Die Seehandlung kauft also Wolle und läßt ihre Fabriken flott arbeiten. Wenn die Fabriken der Seehandlung nicht auf einmal „eingestellt werden können", so können selbstredend die Verkäufe auch nicht eingestellt werden. Die Seehandlung wird also ihre Wollenwaren auf den Markt bringen, sie wird den ohnehin überfüllten Markt noch mehr überfüllen, die gedrückten Preise noch mehr drücken. Mit einem Worte, sie wird, um den märkischen etc. Landjunkern Geld für ihre Wolle zu verschaffen, die gegenwärtige Handelskrisis noch steigern und die wenigen noch vorhandenen Kunden den Wollfabrikanten entziehen. Was die englische Wechselgeschichte betrifft, so hält Herr Hansemann eine glänzende Tirade über die enormen Vorteile, die das ganze Land davon hat, wenn die englischen Guineen in die Taschen der märkischen Landjunker spazieren. Wir werden uns wohl hüten, hierauf ernsthaft einzugehen. Wir begreifen nur nicht, wie Herr Hansemann dabei seine ernsthafte Miene behaupten konnte. Man debattierte in derselben Sitzung noch über eine wegen Posen zu ernennende Kommission. Hierüber morgen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Vereinbarungsdebatten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 8 vom 8. Juni 1848] ** Köln, 6. Juni. In der Berliner Vereinbarungssitzung vom 2.[25] stellte Herr Reuter den Antrag, eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen des posenschen Bürgerkriegs1-521 zu ernennen. Herr Parrisius verlangt, daß dieser Antrag gleich zur Debatte komme. Der Präsident will darüber abstimmen lassen, als Herr Camphausen erinnert, daß der Antrag des Herrn Parrisius noch gar nicht debattiert sei:
„Sowie ich meinerseits zu erinnern habe, daß mit Annahme jenes" (des Reuterschen) „Antrags ein wichtiges politisches Prinzip angenommen wäre, welches doch den Anspruch zu machen hat (sie!), vorher in den Abteilungen geprüft zu werden." Wir werden gespannt auf das in dem Reuterschen Antrage enthaltene „wichtige Prinzip", das Herr Camphausen einstweilen noch für sich behält. Während wir uns in dieser Beziehung gedulden müssen, entspinnt sich eine gemütliche Konversation zwischen dem Vorsitzenden (Herrn Esser, Vizepräsident) und mehreren „Stimmen" darüber, ob über denParrisiusschen Antrag eine Debatte zulässig sei oder nicht. Herr Esser kämpft dabei mit Gründen wie folgenden, die sich im Munde des Präsidenten einer soi-disant1 Nationalversammlung merkwürdig ausnehmen: „Ich habe mir gedacht, daß über alles, was die Versammlung beschließt, eine Diskussion zulässig ist!" „Ich habe mir gedacht!" Der Mensch denkt, und Herr Camp hausen lenkt - indem er Reglements entwirft, aus denen niemand klug wird, und diese von seiner Versammlung provisorisch annehmen läßt. Diesmal war Herr Camphausen gnädig. Er mußte die Diskussion haben. Ohne die Diskussion wäre der Parrisiussche Antrag, wäre der Reutersche Antrag vielleicht durchgegangen, d.h. wäre ein indirektes Mißtrauensvotum
1 sogenannten
gegen ihn gegeben worden. Und noch schlimmer, was wäre ohne Diskussion aus seinem „wichtigen politischen Prinzip" geworden? Es wird also diskutiert. Herr Parrisius wünscht, der Hauptantrag solle sofort debattiert werden, damit keine Zeit verlorengehe und damit die Kommission womöglich noch vor der Adreßdebatte Bericht erstatten könne. Sonst urteile man in der Adresse ohne alle Sachkenntnis über Posen. Herr Meusebach tritt, jedoch noch ziemlich milde, dagegen auf. Jetzt aber erhebt sich Herr Ritz, ungeduldig, dem wühlerischen Antrag Reuters ein Ende zu machen. Er ist königlich-preußischer Regierungsrat und duldet nicht, daß sich Versammlungen, und wären sie selbst Versammlungen zur Vereinbarung, in sein Fach mischen. Er kennt nur eine Behörde, die das kann, und das ist das Oberpräsidium. Ihm geht nichts über den Instanzenzug. „Wie", ruft er aus, „wollen Sie, meine Herren, eine Kommission nach Posen schicken? Wollen Sie sich zur Verwaltungs- oder Justizbehörde machen? Meine Herren, ich sehe aus dem Antrage nicht ein, was Sie machen wollen. Wollen Sie Akten verlangen von dem kommandierenden General" (welcher Frevel!) „oder von der Justizbehörde" (entsetzlich), „gar von der Verwaltungsbehörde?" (Bei dem Gedanken steht dem Regierungsrat der Verstand still.) „Wollen Sie die Untersuchung führen lassen durch eine Kommission, welche improvisiert wird" (und vielleicht kein einziges Examen gemacht hat) „über alles dies, worüber noch niemand klare Begriffe hatP" (Herr Ritz ernennt wahrscheinlich bloß Kommissionen zur Untersuchung dessen, worüber jedermann klare Begriffe hat.) „Eine so wichtige Angelegenheit, wo Sie sich Rechte arrogieren, die Ihnen nicht gebühren..." (Unterbrechung.) Was soll man sagen zu diesem Regierungsrat von echtem Schrot und Korn, zu diesem Sohn des grünen Tisches, an dem kein Falsch ist! Er ist wie jener Provinziale auf dem Bildchen von Cham, der nach der Februarrevolution nach Paris kommt, die Maueranschläge mit der Überschrift „Republique frangaise"1 sieht und zum Generalprokurator geht, um die Aufwiegler gegen die Regierung des Königs zu denunzieren. Der Mann hatte die Zeit über geschlafen. Herr Ritz hat auch geschlafen. Das Donnerwort „Untersuchungskommission für Posen" rüttelt ihn unsanft empor, und noch schlaftrunken, ruft der erstaunte Mann aus: Wollen Sie sich Rechte arrogieren, die Ihnen nicht gebühren? Herr Duncker findet eine Untersuchungskommission überflüssig, „da die Adreßkommission vom Ministerium die nötigen Aufklärungen fordern muß".
1 „Französische Republik"
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Als ob die Kommission nicht gerade dazu da sei, die „Aufklärungen" des Ministeriums mit dem Tatbestande zu vergleichen. Herr Bloem sprach über die Dringlichkeit des Antrags. Die Sache müsse abgemacht sein, ehe die Adresse beraten werde. Man spreche von improvisierten Kommissionen. Herr Hansemann habe gestern ebenfalls eine Kabinettsfrage improvisiert, und man habe doch abgestimmt» Herr Hansemann, der wahrscheinlich während dieser ganzen unerquicklichen Debatte über seinen neuen Finanzplan nachgedacht, wurde durch Nennung seines Namens unsanft aus seinen klingenden Träumen geweckt. Er wußte offenbar gar nicht, wovon die Rede war. Aber er war genannt und er mußte sprechen. Ihm blieben nur zwei Anknüpfungspunkte im Gedächtnis: die Rede seines Vorgesetzten Camphausen und die des Herrn Ritz. Aus beiden komponierte er, nach einigen leeren Worten über die Adreßfrage, folgendes Meisterstück der Beredsamkeit:
„Gerade daß man noch nicht weiß, was die Kommission alles zu tun haben wird, ob sie Mitglieder aus ihrer Mitte nach dem Großherzogtum zu schicken, ob sie dies oder jenes zu besorgen haben wird - dies beweist die große Wichtigkeit der vorliegenden Frage (!). Diese nun hier sogleich entscheiden, heißt: improvisiert eine der wichtigsten politischen Fragen zur Entscheidung bringen. Ich glaube nicht, daß die Versammlung diesen Weg wandeln werde, ich habe das Vertrauen zu ihr, daß sie vorsichtig etc."
Wie sehr muß Herr Hansemann die ganze Versammlung verachten, um ihr solche Schlußfolgerungen hinzuwerfen! Wir wollen eine Kommission ernennen, die vielleicht nach Posen gehen muß, vielleicht auch nicht. Gerade weil wir nicht wissen, ob sie in Berlin bleiben oder nach Posen gehen muß, deswegen ist diese Frage, ob überhaupt eine Kommission ernannt werden soll, von großer Wichtigkeit. Weil sie von großer Wichtigkeit ist, deswegen ist sie eine der wichtigsten politischen Fragen! Welche Frage aber diese wichtigste politische Frage ist, das behält Herr Hansemann vorderhand noch für sich, ebenso wie Herr Camphausen sein wichtiges politisches Prinzip. Gedulden wir uns abermals! Der Effekt der Hansemannschen Logik ist so niederschmetternd, daß alles sogleich nach dem Schluß schreit. Jetzt entspinnt sich folgende Szene: Herr Jung verlangt das Wort gegen den Schluß. Der Präsident: Es scheint mir unzulässig, hierzu das Wort zu erteilen. Herr Jung: Es ist überall Gebrauch, gegen den Schluß sprechen zu dürfen. Herr Temme liest § 42 der provisorischen Geschäftsordnung vor, wonach Herr Jung recht und der Präsident unrecht hat.
Herr Jung erhält das Wort: Ich bin gegen den Schluß, weil der Minister das letzte Wort gehabt hat. Das Wort des Ministers ist von der größten Wichtigkeit, weil es eine große Partei auf die eine Seite hinzieht, weil eine große Partei nicht gern einen Minister desavouiert... Ein langgezogenes, allgemeines Oho! Oho! Ein furchtbarer Lärm erhebt sich von der Rechten. Herr Justizkommissar Moritz vom Platz: Ich trage darauf an, daß Jung zur Ordnung verwiesen werde, er hat sich in Persönlichkeiten gegen die ganze Versammlung vergangen! (!) Eine andere Stimme von der „Rechten" schreit: Ich trage gleichfalls darauf an und protestiere dagegen... Der Lärm wird immer größer. Jung versucht sein möglichstes, aber es ist unmöglich durchzudringen. Er fordert den Präsidenten auf, ihm das Wort zu erhalten. Präsident: Da die Versammlung gerichtet hat, so ist meine Funktion erledigt. (!!) Herr Jung: Die Versammlung hat nicht gerichtet; Sie müssen erst förmlich abstimmen lassen. Herr Jung muß abtreten. Der Lärm läßt nicht nach, bis er die Tribüne verläßt. Präsident: Der letzte Redner scheint (!) gegen den Schluß gesprochen zu haben. Es fragt sich, ob noch jemand für den Schluß sprechen will. Herr Reuter: Die Debatte über Schluß oder Nichtschluß kostet uns nun schon 15 Minuten; wollen wir sie nicht liegenlassen? Hierauf geht nun der Redner nochmals auf die Dringlichkeit der zu ernennenden Kommission ein. Dies zwingt Herrn Hansemann, nochmals vorzutreten und endlich über seine „wichtigste politische Frage" Aufschluß zu geben. Herr Hansemann: Meine Herren! Es handelt sich um eine der größten politischen Fragen, nämlich darum, ob die Versammlung Lust habe, sich auf einen Weg einzulassen, der sie in wesentliche Konflikte bringen kann! Endlich! Herr Hansemann erklärte als konsequenter Duchätel die Frage richtig wieder für eine Kabinettsfrage. Alle Fragen haben für ihn nur die eine Bedeutung, daß sie Kabinettsfragen sind, und die Kabinettsfrage ist für ihn natürlich die „allergrößte politische Frage"! Herr Camphausen scheint diesmal nicht zufrieden zu sein mit dieser einfachen und abkürzenden Methode. Er ergreift das Wort. „Es ist zu bemerken, daß die Versammlung" (über Posen) „schon aufgeklärt sein könnte, wenn es dem Abgeordneten beliebt hätte, eine Interpellation zu stellen" (man
wünschte sich aber selbst zu überzeugen). „Dies wäre die rascheste Art und Weise, sich Aufklärung" (aber was für welche?) »zu verschaffen... Ich schließe mit der Erklärung, daß der ganze Antrag nichts weiter ist, als daß die Versammlung die Frage entscheiden soll, ob wir zu diesen oder andern Zwecken Kommissionen zur Untersuchung bilden sollen; daß diese Frage reiflich überlegt und geprüft werde, damit bin ich gänzlich einverstanden, nicht aber damit, daß sie so plötzlich hier zur Diskussion gebracht werde." Das also ist das „wichtige politische Prinzip", die Frage, ob die Vereinbarungsversammlung das Recht habe, Untersuchungskommissionen zu bilden, oder ob sie sich dies Recht selbst verweigern will! Die französischen und englischen Kammern haben von jeher solche Kommissionen (select committees) zur Untersuchung (enquete, parliamentary inquiry) gebildet, und anständige Minister haben nie etwas dagegen gehabt. Ohne solche Kommissionen ist die ministerielle Verantwortlichkeit eine leere Phrase. Und Herr Camphausen macht den Vereinbarern dies Recht streitig! Genug. Reden ist leicht, aber Abstimmen ist schwer. Man kommt zum Schluß, man will abstimmen, zahllose Schwierigkeiten, Zweifel, Spitzfindigkeiten und Gewissensskrupel erheben sich. Aber verschonen wir unsre Leser damit. Nach vielem Hin- und Herreden wird der Parrisiussche Antrag verworfen und der Reutersche geht an die Abteilungen. Sanft ruhe seine Asche!
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die Adreßfrage
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 8 vom 8. Juni 1848] *** Köln, 7. Juni. Die Berliner Versammlung hat also beschlossen, eine Adresse an den König zu richten125-1, um dem Ministerium Gelegenheit zu geben, seine Ansichten auszusprechen, seine bisherige Verwaltung zu rechtfertigen. Es soll keine Dankadresse im alten Landtagsstile sein, nicht einmal eine Respektsbezeugung: Se. Majestät bietet nach dem Geständnis Allerhöchst Ihrer „Verantwortlichen" nur den „schicklichsten", den „besten" Anlaß, die Grundsätze der Majorität mit denen des Ministeriums in „Übereinstimmung" zu bringen. Wenn so der Sache nach die Person des Königs ein bloßes Austauschmittel ist - wir verweisen wiederum auf die eigenen Worte des Konseilpräsidenten -, ein Wertzeichen, das nur das eigentliche Geschäft vermittelt, so ist sie für die Form der Verhandlung keineswegs gleichgültig. Einmal werden dadurch die Vertreter des Volkswillens unmittelbar mit der Krone in Verbindung gesetzt, und man kann hieraus sehr leicht, schon in der Adreßdebatte selbst, eine Anerkennung der Vereinbarungstheorie1531, eine Verzichtleistung auf die Volkssouveränetät herleiten. Zweitens aber wird man zu dem achtungsbedürftigen Staatsoberhaupte nicht so sprechen mögen, als wenn man sich direkt an die Minister adressierte. Man wird sich mit größerer Zurückhaltung ausdrücken, mehr andeuten als gerade heraussagen, und dann hängt es ja noch immer von der Entschließung des Ministeriums ab, ob es einen leisen Tadel mit seinem Fortbestehen für vereinbar hält. Die schwierigen Punkte aber, wobei die Gegensätze am schroffsten hervortreten, werden möglicherweise gar nicht oder nur oberflächlich berührt. Die Furcht vor einem vorzeitigen Bruche mit der Krone, der vielleicht von bedenklichen Folgen begleitet wäre, wird sich hier leicht erregen lassen und einen Deckmantel in der Beteurung finden, daß man der spätem gründlichem Diskussion über die einzelnen Fragen nicht vorgreifen wolle.
So werden aufrichtige Ehrfurcht» sei es vor der Person des Monarchen, sei es vor dem monarchischen Prinzip im allgemeinen, dann die Besorgnis, zu weit zu gehen, die Angst vor anarchischen Tendenzen, dem Ministerium bei der Adreßdebatte unschätzbare Vorteile darbieten, und Herr Camphausen konnte mit Recht die Gelegenheit die „schickliche", „beste" nennen, eine starke Majorität zu gewinnen. Es wird sich nun fragen, ob die Volksvertreter geneigt sind, in diese gehorsam abhängige Stellung einzutreten. Schon hat die konstituierende Versammlung sich viel vergeben, daß sie nicht aus eigenem Antriebe die Minister zur Rechenschaft über ihre bisherige provisorische Regierung gezogen hat; das hätte ihre erste Aufgabe sein müssen; sie ist ja angeblich deswegen so früh einberufen worden, um die Anordnungen der Regierung auf den indirekten Volkswillen zu stützen. Freilich scheint sie jetzt, nachdem sie zusammengetreten, nur da sein zu sollen, „um mit der Krone eine hoffentlich dauernde Verfassung zu vereinbaren". Aber anstatt durch ein solches Auftreten von vornherein ihre wahre Mission zu verkünden, hat die Versammlung sich die Demütigung gefallen lassen, von den Ministern zur Annahme eines Rechenschaftsberichtes gezwungen werden zu müssen. Auffallenderweise hat kein einziges ihrer Mitglieder dem Antrag auf Bildung einer Adreßkommission die Forderung entgegengestellt, das Ministerium möge ohne eine besondre „Gelegenheit" lediglich zu dem Zwecke vor die Kammer hintreten, um sich über seine bisherige Amtsführung zu verantworten. Und doch war dies das einzige schlagende Argument gegen eine Adresse; allen andern Gründen gegenüber waren die Minister völlig im Rechte.
Nene Teilung Polens
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 9 vom 9. Juni 1848] ** Köln, 8. Juni. Siebente Teilung Polenst54]. Die neue Demarkationslinie des Herrn v. Pfuel in Posen ist ein neuer Raub an Polen. Sie beschränkt den zu „reorganisierenden" Teil auf weniger als ein Drittel des ganzen Großherzogtums und schlägt den bei weitem größten Teil von Großpolen zum Deutschen Bunde. Nur in einem schmalen Streifen längs der russischen Grenze soll die polnische Sprache und Nationalität anerkannt werden. Er besteht aus den Kreisen Wreschen und Pieschen und Teilen der Kreise Mogilno, Wongrowiec, Gnesen, Schroda, Schrimm, Kosten, Fraustadt, Kröben, Krotoschin, Adelnau und Schildberg. Die andere Hälfte dieser Kreise, sowie die ganzen Kreise: Buk, Posen, Obornik, Samter, Birnbaum, Meseritz, Bomsf, Czarnikau, Chodziesen, Wirsitz, Bromberg, Schubin, Inowroclaw werden ohne weiteres durch Dekret des Herrn v. Pfuel in deutschen Boden verwandelt. Und dennoch unterliegt es keinem Zweifel, daß selbst in diesem „deutschen Bundesgebiet" die Majorität der Einwohner noch polnisch spricht. Die alte Demarkationslinie gab den Polen wenigstens die Warta zur Grenze. Die neue beschränkt den zu reorganisierenden Anteil wieder um ein Viertel. Den Vorwand dazu bietet einerseits „der Wunsch" des Kriegsministers, die Umgegend der Festung Posen in einem Rayon von drei bis vier Meilen von der Reorganisation auszuschließen, andrerseits das Verlangen verschiedener Städte, wie Ostrowo etc., an Deutschland angeschlossen zu werden. Was den Wunsch des Kriegsministers anlangt, so ist er ganz natürlich. Erst raubt man die Stadt und Festung Posen, die zehn Meilen tief im polnischen Lande steckt, dann, um im Genuß des Geraubten nicht gestört zu werden, findet man den Raub eines neuen Rayons von drei Meilen wünschenswert. Dieser Rayon führt wieder zu allerhand kleinen Arrondierungen,
und so hat man den besten Anlaß, die deutsche Grenze immer weiter nach der russisch-polnischen vorzuschieben. Mit den Anschlußgelüsten der „deutschen" Städte steht es folgendermaßen: In ganz Polen bilden Deutsche und Juden den Stamm der gewerbund handeltreibenden Bürgerschaft; es sind die Nachkommen von Einwanderern, die meist wegen Religionsverfolgungen aus ihrer Heimat geflohen sind. Sie haben mitten im polnischen Gebiet Städte gegründet und seit Jahrhunderten alle Geschicke des polnischen Reiches mitgemacht. Diese Deutschen und Juden, die enorme Minorität im Lande, suchen die momentane Lage des Landes zu benutzen, um sich zur Herrschaft emporzuschwingen. Sie appellieren an ihre Eigenschaft als Deutsche; sie sind ebensowenig Deutsche wie die Deutschamerikaner. Will man sie zu Deutschland schlagen, so unterdrückt man die Sprache und Nationalität von mehr als der halben polnischen Bevölkerung Posens, und gerade desjenigen Teils der Provinz, in welchem die nationale Insurrektion1-021 mit der größten Heftigkeit und Energie hervortrat - die Kreise Buk, Samter, Posen, Obornik. Herr v. Pfuel erklärt, er werde die neue Grenze für definitiv ansehen, sobald das Ministerium sie ratifiziert habe. Er spricht weder von der Vereinbarungsversammlung, noch von der deutschen Nationalversammlung, die doch auch ein Wort mitzusprechen haben, wo es sich um die Grenzbestimmung Deutschlands handelt. Aber immerhin mag das Ministerium, mögen die Vereinbarer, mag die Frankfurter Versammlung den Beschluß des Herrn Pfuel ratifizieren, die Demarkationslinie ist nicht „definitiv", solange ihn nicht noch zwei andre Mächte ratifiziert haben: das deutsche Volk und das polnische Volk.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Das Schild der Dynastie
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 10 vom 10. Juni 1848] ** Köln, 9. Juni. Wie deutsche Blätter melden, hat Herr Camphausen vor seinen Vereinbarern am 6. d. [Mts.] sein überströmendes Herz ausgeschüttet. Er hielt „eine nicht sowohl glänzende als vielmehr dem innersten Herzquell entströmende Rede, die an Paulus erinnert, wo er sagt: ,Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz!' Seine Rede war reich an jener heiligen Bewegung, die wir Liebe nennen ... sie sprach begeisternd zu Begeisterten, der Beifall wollte nicht enden ... und eine längere Pause war nötig, um ihrem ganzen Eindruck sich hinzugeben und ihn in sich aufzunehmen."^551 Und wer war der Held dieser herzquellentströmenden, liebevollen Rede? Wer war das Thema, das Herrn Camphausen so begeisterte, daß er begeisternd zu Begeisterten sprach? Wer der Aneas dieser Aneide[561 vom 6. Juni? Wer anders als der Prinz von Preußen! Man lese nach in dem stenographischen Bericht^251, wie der dichterische Konseilpräsident die Fahrten des modernen Anchisessohnes schildert; wie er, als der Tag gekommen,
- wo die heilige Ilios hinsank, Priamos auch und das Volk des lanzenkundigen Königs^571, wie er nach dem Fall des junkertümlichen Troja nach langen Irrfahrten zu Wasser und zu Lande endlich an den Strand des modernen Karthago geschlagen und von der Königin Dido freundschaftlichst empfangen wurde; wie es ihm besser erging als Aneas I., indem sich ein Camphausen fand, der Troja möglichst wiederherstellte und den heiligen „Rechtsboden" wieder entdeckte; wie Camphausen seinen Aneas endlich zu seinen Penaten heimkehren ließ und wie nun wieder Freude herrscht in Trojas Hallen.1581 Alles das und
zahllose dichterische Ausschmückungen muß man lesen, um zu empfinden, was es heißt, wenn ein Begeisternder zu Begeisterten spricht. Dies ganze Epos dient übrigens dem Herrn Camphausen nur zum Vorwand für einen Dithyrambus auf sich selbst und sein eigenes Ministerium.
„Ja" - ruft er aus - „wir haben geglaubt, es entspreche dem Geiste der konstitutionellen Verfassung, daß wir uns an die Stelle einer hohen Persönlichkeit setzten, daß wir uns als die Persönlichkeiten hinstellten, gegen die alle Angriffe zu richten seien... So ist es geschehen. Wir haben uns als Schild vor die Dynastie gestellt und alle Gefahren und Angriffe auf uns geleitet!" Welch ein Kompliment für die „hohe Persönlichkeit", welch ein Kompliment für die „Dynastie"! Ohne Herrn Camphausen und seine sechs Paladine war die Dynastie verloren. Für welch eine kräftige, welch eine „tief im Volk wurzelnde Dynastie" muß Herr Camphausen das Haus Hohenzollern halten, um so zu sprechen! Wahrlich, hätte Herr Camphausen weniger „begeisternd zu Begeisterten" gesprochen, wäre er weniger „reich an jener heiligen Bewegung gewesen, die wir Liebe nennen", oder hätte er nur seinen Hansemann sprechen lassen, der sich mit dem „tönenden Erz" begnügt, es wäre besser gewesen für die Dynastie!
„Allein, meine Herren, ich spreche dies nicht mit herausforderndem Stolze, sondern mit der Demut, die aus dem Bewußtsein entspringt, daß die hohe Aufgabe, die Ihnen und uns bestellt ist nur ^elösi werden kann wenn der er npr MiLh und Versöknun° sich auch auf diese Versammlung herabsenkt, wenn wir neben Ihrer Gerechtigkeit auch Ihre Nachsicht finden!" Herr Camphausen hat recht, Milde und Nachsicht für sich von einer Versammlung zu erbitten, die der Milde und Nachsicht des Publikums selbst so sehr bedarf!
Köln in Gefahr
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 11 vom 11.Juni 1848] ** Köln, 10.Juni. Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen, die Felder grünten, die Bäume blühten1591, und soweit es Leute gibt, die den Dativ mit dem Akkusativ verwechseln, bereitete man sich vor, den heiligen Geist der Reaktion auf einen Tag über alle Lande auszugießen. Der Augenblick ist gut gewählt. In Neapel ist es den Gardelieutenants und Schweizer Landsknechten gelungen, die junge Freiheit im Blut des Volks zu ersticken.1 In Frankreich legt eine Kapitalisten Versammlung der Republik den Knebel drakonischer Gesetze an und ernennt zum Kommandanten von Vincennes den General Perrot, der den 23.Februar am Hotel Guizot Feuer kommandierte. In England und Irland wirft man Chartisten1603 und Repealers[61] massenweise ins Gefängnis und sprengt unbewaffnete Meetings durch Dragoner auseinander. In Frankfurt setzt die Nationalversammlung das vom seligen Bundestag vorgeschlagene und vom Fünfzigerausschuß zurückgewiesene Triumvirat jetzt selbst ein1-62-1. In Berlin siegt die Rechte Schlag auf Schlag durch Uberzahl und Trommeln, und der Prinz von Preußen erklärt durch seinen Einzug in das „Eigentum der ganzen Nation "[63] die Revolution für null und nichtig. In Rheinhessen konzentrieren sich Truppen; rings um Frankfurt herum lagern die Helden, die im Seekreis an den republikanischen Freischaren sich ihre Sporen verdienten^641; Berlin ist zerniert, Breslau ist zerniert, und wie es in der Rheinprovinz aussieht, davon werden wir gleich sprechen. Die Reaktion bereitet einen großen Schlag vor. Während man sich in Schleswig schlägt1401, während Rußland drohende Noten schickt und dreimalhunderttausend Mann um Warschau zusammen
zieht, wird Rheinpreußen mit Truppen überschwemmt, obwohl die Bourgeois der Pariser Kammer schon wieder „den Frieden um jeden Preis" proklamieren! In Rheinpreußen, Mainz und Luxemburg stehen (nach der „Deutschen Zeitung"[65]) vierzehn ganze Infanterieregimenter (das 13=, 15.*, 16., 17., 25., 26., 27., 28., 30., 34., 35., 38., 39., 40.),_d.h. ein Drittel der gesamten preußischen Linien- und Gardeinfanterie (45 Regimenter), hin Teil davon ist völlig auf Kriegsfuß und die übrigen durch Einziehung des dritten Teils der Reserven verstärkt. Außerdem drei Ulanen-, zwei Husaren- und ein Dragonerregiment, wozu noch in kurzer Zeit ein Kürassierregiment erwartet wird. Dazu der größte "1 eil der 7. und 8. Ärtilleriebrigade, von denen wenigstens schon die Hälfte mobil gemacht (d.h. von 19 auf 121 Pferde per Fußbatterie oder von 2 auf 8 bespannte Geschütze gebracht) worden ist. Für Luxemburg und Mainz ist außerdem eine dritte Kompanie gebildet worden. Diese Truppen stehen in einem großen Bogen von Köln und Bonn über Koblenz und Trier nach der französischen und luxemburgischen Grenze. Alle Festungen werden armiert, die Gräben verpallisadiert, die Glacisbäume teils ganz, teils in der Schußlinie der Kanonen rasiert. Und wie sieht es hier in Köln aus? Die Kölner Forts sind vollständig armiert. Die Bettungen werden gestreckt, die Scharten geschnitten, die Geschütze sind da und werden aufgefahren. Jeden Tag von morgens 6 bis abends 6 wird daran gearbeitet. Die Geschütze sollen sogar nachts, um alles Geräusch zu vermeiden, mit umwickelten Rädern aus der Stadt gefahren worden sein. Die Armierung der Ringmauer hat angefangen am Bayenturm und ist schon vorgerückt bis Bastion Nr.6, d.h. bis zur Hälfte der Umwallung. Auf Abschnitt I sind schon 20 Geschütze aufgefahren. Auf Bastion Nr.2 (am Severintor) stehen die Geschütze über dem Tor. Sie brauchen nur umgedreht zu werden, um die Stadt zu beschießen. Der beste Beweis, daß diese Bewaffnungen nur scheinbar gegen einen äußern JKeind, in der Tat aber gegen Köln selbst gerichtet sind, liegt darin, daß hier die Bäume des Glacis überall stehengeblieben sind. Für den Fall, daß die Truppen die Stadt verlassen und sich in die Forts werfen müßten, sind dadurch die Kanonen des Stadtwalls nutzlos gemacht gegen die Forts, während die Mörser, Haubitzen und Vierundzwanzigpfünder der Forts keineswegs gehindert sind, Granaten und Bomben über die Bäume weg in die Stadt
* Nicht ganz richtig. Das 13. steht teilweise, das 15. ganz in Westfalen, kann aber mit der Eisenbahn in wenig Stunden hier sein.
zu werfen. Die Entfernung der Forts von der Ringmauer beträgt nur 1400 Schritt und erlaubt den Forts, Bomben, die bis zu 4000 Schritt fliegen, in jeden beliebigen Teil der Stadt hineinzuwerfen. Jetzt die Maßregeln, die direkt gegen die Stadt gerichtet sind. Das Zeughaus, dem Regierungsgebäude gegenüber, wird ausgeräumt. Die Gewehre werden hübsch emballiert, so daß es nicht auffällt, und in die Forts gebracht. In Getßehrkisten wird Artilleriemunition in die Stadt gebracht und in den bombenfesten Kriegsmagazinen längs der Ringmauer deponiert. Während wir dies schreiben, werden an die Artillerie Gewehre mit Bajonetten ausgeteilt, obwohl es bekannt ist, daß die Artillerie in Preußen gar nicht darauf einexerziert ist. Die Infanterie liegt schon teilweise in den Forts. Ganz Köln weiß, daß ihr vorgestern 5000 scharfe Patronen per Kompanie ausgeteilt wurden. Folgende Dispositionen sind getroffen für den Fall eines Zusammenstoßes mit dem Volk. Auf das erste Alarmzeichen rückt die 7. (Festungs-)Artilleriekompanie aus in die Forts. Die Batterie Nr. 37 rückt dann ebenfalls vor die Stadt. Diese Batterie ist schon vollständig „kriegsfeldmäßig" ausgerüstet. Die 5. und 8. Artilleriekompanie bleibt vorderhand in der Stadt. Diese Kompanien haben 20 Schuß in jedem Protzkasten. Die Husaren kommen von Deutz nach Köln herüber. Die Infanterie besetzt den Neumarkt, das Hahnentor und Ehrentor, um den Rückzug aller Truppen aus der Stadt zu decken, und wirft sich alsdann ebenfalls in die Forts. Dazu bieten die höheren Offiziere alles auf, um den Truppen einen altpreußischen Haß gegen die neue Ordnung der Dinge beizubringen. Bei der jetzigen Blüte der Reaktion ist nichts leichter, als unter dem Vorwande einer Rede gegen die Wühler und Republikaner die gehässigsten Angriffe gegen die Revolution und gegen die konstitutionelle Monarchie an den Mann zu bringen. Dazu ist Köln nie ruhiger gewesen als gerade in der letzten Zeit. Außer einem unbedeutenden Auflauf vor dem Hause des Regierungspräsidenten und einer Schlägerei auf dem Heumarkt ist seit vier Wochen nichts vorgefallen, das auch nur die Bürgerwehr irgendwie alarmiert hätte. Alle diese Maßregeln sind also gänzlich unprovoziert. Wir wiederholen: Nach diesen sonst ganz unbegreiflichen Maßregeln, nach den Truppenzusammenziehungen um Berlin und Breslau, die uns durch Briefe bestätigt sind, nach der Überschwemmung der den Reaktionären so
verhaßten Rheinprovinz mit Soldaten, können wir nicht daran zweifeln, daß die Reaktion einen allgemeinen großen Coup vorbereitet. Der Ausbruch scheint hier in Köln auf den zweiten Pfingsttag festgesetzt zu sein. Das Gerücht wird geflissentlich verbreitet, daß es an diesem Tage „losgehen" werde. Man wird sich bemühen, einen kleinen Skandal hervor•yliril^Tl nm JoMn i^io 8 nmai^an TU Jt« Q^-nJj' Z.U1 UlVlAj tun .UUlill OU1U1 L Ult- & 1 U^f^ll Ogl^l^ll Z.U lUOOV/li) U1L> UiaUl Hill JUC schießung zu bedrohen, die Bürgerwehr zu entwaffnen, die Hauptwühler einzusperren, kurz, uns nach Mainzer und Trierer Art1 zu mißhandeln. Wir warnen die Kölner Arbeiter ernstlich vor dieser Falle, die die Reaktion ihnen stellt. Wir bitten sie dringend, der altpreußischen Partei nicht den geringsten Vorwand zu gehen, um Köln unter den Despotismus der Kriegsgesetze zu stellen. Wir bitten sie, die beiden Pfingsttage ganz besonders ruhig vorübergehen zu lassen und dadurch den Reaktionären ihren ganzen Plan zu vereiteln. Geben wir der Reaktion Vorwand, uns anzugreifen, so sind wir verloren, so geht es uns wie den Mainzern. Zwingen wir sie, uns anzugreifen, und wagt sie den Angriff wirklich, so werden die Kölner Gelegenheit haben zu beweisen, daß auch sie keinen Augenblick anstehen, für die Errungenschaften des 18. März Blut und Leben in die Schanze zu schlagen. Nachschrift. Soeben sind folgende Befehle ausgeteilt worden: Für die beiden Pfingsttage fällt die Parole aus (während sie sonst mit ganz besonderer Feierlichkeit ausgegeben wurde). Die Truppen bleiben in den Kasernen konsigniert, wo den Offizieren die Parole mitgeteilt wird. Die Festungs- und Handwerkskompanien der Artillerie sowie die Infanteriebesatzung der Forts, erhalten von heute ab außer der gewöhnlichen Brotverpflegung täglich auf vier Tage Brot voraus, so daß sie stets auf acht Tage verproviantiert sind. Die Artillerie exerziert schon heute abend um 7 Uhr mit Gewehren.
Geschrieben von Friedrich Engels»
Inkompetenzerklärung der Versammlungen zu Frankfurt und Berlin
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 12-13 vom 13. Juni 1848] * Köln, 11 .Juni. Die beiden Versammlungen, die Frankfurter und die Berliner, haben feierlich ihre Inkompetenzerklärung zu Protokoll gegeben. Die eine erkennt durch ihr Votum in der schleswig-holsteinischen Frage den Bundestag als ihre vorgesetzte Behörde on.[66] Die andere desavouiert durch ihren Beschluß der motivierten Tagesordnung gegen den Antrag des Abgeordneten Berends1 nicht nur die Revolution; sie gesteht ausdrücklich, nur zur Vereinbarung der Verfassung berufen zu sein, und erkennt damit das Grundprinzip des vom Ministerium Camphausen vorgelegten Verfassungsentwurfes an. Beide Versammlungen haben sich richtig gewürdigt. Beide sind - inkompetent.
Die Berliner Debatte über die Revolution
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 14 vom 14. Juni 1848] ** Köln, 13.Juni. Die Vereinbarungsversammlung hat sich endlich entschieden ausgesprochen.[25J Sie hat die Revolution desavouiert und die Vereinbarungstheorie[53] anerkannt. Der Tatbestand, über den sie sich auszusprechen hatte, war folgender: Am 18.März versprach der König eine Konstitution, führte die Preßfreiheit mit Kautionen^673 ein und sprach sich in einer Reihe von Vorschlägen dahin aus, daß Deutschlands Einheit durch ein Aufgehen Deutschlands in Preußen herbeizuführen sei. Das waren die Konzessionen des 18. März, auf ihren wahren Gehalt reduziert. Daß die Berliner sich damit zufrieden erklärten, daß sie vor das Schloß zogen, um dem König dafür zu danken, das beweist am allerdeutlichsten die Notwendigkeit der Revolution vom 18.März. Nicht nur der Staat, auch die Staatsbürger mußten revolutioniert werden. Der Untertan konnte nur in einem blutigen Befreiungskampfe abgestreift werden. Das bekannte „Mißverständnis" rief die Revolution hervor. Allerdings fand ein Mißverständnis statt. Der Angriff der Soldaten, die Fortsetzung des Kampfs während 16 Stunden, die Notwendigkeit für das Volk, den Rückzug der Truppen zu erzwingen — das ist Beweis genug, daß das Volk die Konzessionen des 18.März gänzlich mißverstanden hatte. Die Resultate der Revolution waren: auf der einen Seite die Volksbewaffnung, das Assoziationsrecht, die faktisch errungene Volkssouverän etat; auf der andern die Beibehaltung der Monarchie und das Ministerium Camphaus en-Hansemann, d.h. die Regierung der Vertreter der hohen Bourgeoisie. Die Revolution hatte also zwei Reihen von Resultaten, die notwendig auseinandergehen mußten. Das Volk hatte gesiegt, es hatte sich Freiheiten entschieden demokratischer Natur erobert; aber die unmittelbare Herrschaft ging über, nicht in seine Hände, sondern in die der großen Bourgeoisie.
Mit einem Wort, die Revolution war nicht vollendet. Das Volk hatte die Bildung eines Ministeriums von großen Bourgeois zugelassen, und die großen Bourgeois bewiesen ihre Tendenzen sogleich dadurch, daß sie dem altpreußischen Adel und der Bürokratie eine Allianz anboten. Arnim, Kanitz, Schwerin traten ins Ministerium. Die hohe Bourgeoisie, von jeher antirevolutionär, schloß aus Furcht vor dem Volk, d.h. vor den Arbeitern und der demokratischen Bürgerschaft, ein Schutz- und Trutzbündnis mit der Reaktion. Die vereinigten reaktionären Parteien begannen ihren Kampf gegen die Demokratie damit, daß sie die Revolution in Frage stellten. Der Sieg des Volks wurde geleugnet; die berühmte Liste der „siebzehn Militärtoten"[68] wurde fabriziert; die Barrikadenkämpfer wurden in jeder möglichen Weise angeschwärzt. Damit nicht genug. Das Ministerium ließ den vor der Revolution berufenen Vereinigten Landtagr3o] wirklich zusammenberufen und den gesetzlichen Übergang aus dem Absolutismus in die Konstitution post festum1 anfertigen. Es leugnete dadurch die Revolution geradezu. Ferner erfand es die Vereinbarungstheorie, leugnete dadurch die Revolution abermals und leugnete zugleich die Volkssouveränetät. Die Revolution wurde also wirklich in Frage gestellt, und sie konnte in Frage gestellt werden, weil sie nur eine halbe Revolution, nur der Anfang einer langen revolutionären Bewegung war. Wir können hier nicht darauf eingehen, warum und inwiefern die augenblickliche Herrschaft der hohen Bourgeoisie in Preußen eine notwendige Übergangsstufe zur Demokratie ist und warum die hohe Bourgeoisie sich nach ihrer Thronbesteigung sogleich zur Reaktion schlug. Wir berichten vorderhand nur die Tatsache. Die Vereinbarungsversammlung hatte sich nun darüber auszusprechen, ob sie die Revolution anerkenne oder nicht. Aber unter diesen Verhältnissen die Revolution anerkennen, das hieß die demokratische Seite der Revolution anerkennen gegenüber der hohen Bourgeoisie, die sie konfiszieren wollte. Die Revolution anerkennen, das hieß in diesem Augenblick gerade die Halbheit der Revolution, und damit die demokratische Bewegung anerkennen, welche sich gegen einen Teil der Resultate der Revolution richtet. Es hieß anerkennen, daß Deutschland sich in einer revolutionären Bewegung befindet, in der das Ministerium Camphausen, die Vereinbarungstheorie, die indirekten Wahlen, die Herrschaft der großen Kapitalisten und die Produkte
1 hinterher
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
der Versammlung selbst zwar unvermeidliche Durchgangspunkte sein können, aber keineswegs letzte Resultate sind. Die Debatte in der Kammer über die Anerkennung der Revolution wurde von beiden Seiten mit großer Breite und mit großem Interesse, aber mit merkwürdig wenig Geist geführt. Man kann wenig Unerquicklicheres lesen als diese diffuse, jeden Augenblick durch Lärmen oder durch reglementarische Spitzfindigkeiten unterbrochene Verhandlung. Statt der großen Leidenschaft des Parteikampfes eine kühle Gemütsruhe, die jeden Augenblick in den Konversationston herabzusinken droht; statt schneidender Schärfe der Argumentation breites verworrenes Gerede vom Hundertsten ins Tausendste; statt schlagender Antwort langweilige Moralpredigten über das Wesen und die Natur der Sittlichkeit. Auch die Linke hat sich in dieser Debatte nicht besonders ausgezeichnet/691 Die meisten ihrer Redner wiederholen einander; keiner wagt es, der Frage entschieden auf den Leib zu rücken und offen revolutionär aufzutreten. Sie fürchten überall anzustoßen, zu verletzen, zurückzuschrecken. Hätten die Kämpfer des 18. März nicht mehr Energie und Leidenschaft im Kampfe bewiesen als die Herren von der Linken in der Debatte, es stände schlimm um Deutschland.
r„Neue Rheinische Zeitun-" Nr. 15 vom 15. Juni 1848]5 ** Köln, 14.Juni. Der Abgeordnete Berenäs von Berlin eröffnete die Debatte, indem er den Antrag stellte: „Die Versammlung erklärt, in Anerkennung der Revolution, daß die Kämpfer des 18. und 19. März sich wohl ums Vaterland verdient gemacht haben." Die Form des Antrags, die altrömisch-lakonische, von der großen französischen Revolution wieder aufgenommene Fassung, war ganz passend. Desto unpassender dagegen war die Manier, worin Herr Bermels seinen Antrag entwickelte. Er sprach nicht revolutionär, sondern versöhnend. Lr hatte den Zorn der insultierten Barrikadenkämpfer vor einer Versammlung von Reaktionären zu vertreten, und er dozierte ganz ruhig und trocken, als ob er noch als Lehrer des Berliner Handwerker Vereins spräche. Er hatte eine ganz einfache, ganz klare Sache zu verteidigen, und seine Entwicklung ist das Verworrenste, was man lesen kann. Herr Berends beginnt: " „Meine Herren! Die Anerkennung der Revolution liegt ganz in der Natur der Sache (!). Unsere Versammlung selbst ist eine redende Anerkennung der großen
Bewegung, welche durch alle zivilisierten Länder Europas hindurchgegangen ist. Die Versammlung ist aus dieser Revolution hervorgegangen, ihr Dasein ist also faktisch die Anerkennung der Revolution." Erstens. Es handelt sich keineswegs darum, die „große Bewegung, welche durch alle zivilisierten Länder Europas hindurchgegangen ist", im allgemeinen als eine Tatsache anzuerkennen; das wäre überflüssig und nichtssagend. Es handelt sich vielmehr darum, den Berliner Straßenkampf, der für eine Erneute ausgegeben wird, als eine echte, wirkliche Revolution anzuerkennen. Zweitens. Die Versammlung in Berlin ist allerdings nach einer Seite hin eine „Anerkennung der Revolution", insofern ohne den Berliner Straßenkampf keine „vereinbarte", sondern höchstens eine oktroyierte Verfassung zustande gekommen wäre. Aber durch die Art ihrer Berufung, durch das ihr vom Vereinigten Landtag und vom Ministerium gegebene Mandat ist sie ebensogut eine Leugnung der Revolution geworden. Eine „auf dem Boden der Revolution" stehende Versammlung vereinbart nicht, sie dekretiert. Drittens. Die Versammlung hatte die Vereinbarungstheorie schon in dem Votum über die Adresse1 anerkannt, sie hatte die Revolution in dem Votum gegen den Zug nach dem Grabe der Gefallenen1701 schon verleugnet. Sie hat die Revolution verleugnet, indem sie überhaupt neben der Frankfurter Versammlung „tagte". Der Antrag des Herrn Berends war also faktisch schon zweimal verworfen. Er mußte diesmal, wo die Versammlung sich offen aussprechen sollte, um so mehr durchfallen. Da die Versammlung einmal reaktionär war, da es feststand, daß das Volk von ihr nichts mehr zu erwarten hatte, so war es im Interesse der Linken, daß die Minorität für den Antrag möglichst klein war und nur die entschiedensten Mitglieder umfaßte. Herr Berends brauchte sich also gar nicht zu genieren. Er mußte möglichst entschieden, möglichst revolutionär auftreten. Statt an der Illusion festzuhalten, die Versammlung sei eine konstituierende und wolle es sein, die Versammlung stehe auf dem Boden der Revolution, mußte er ihr erklären, sie habe die Revolution bereits indirekt verleugnet, und sie auffordern, es jetzt offen zu tun. Aber nicht nur er, sondern die Redner der Linken überhaupt haben diese der demokratischen Partei einzig angemessene Politik nicht befolgt. Sie gaben sich der Illusion hin, die Versammlung zu einem revolutionären Schritt überreden zu können. Sie haben daher Zugeständnisse gemacht, sie haben
gemildert, sie haben von Versöhnung gesprochen und damit selbst die Revolution verleugnet. Herr Berends fährt nun fort, in sehr kühler Denkungsart und sehr hölzerner Sprache über Revolutionen im allgemeinen und über die Berliner Revolution im besondern sich auszulassen. Im Verfolg seiner Erörterungen kommt er auf den Einwand, daß die Revolution überflüssig war, weil der König vorher schon alles bewilligt hatte. Er antwortet:
„Allerdings hatte Se. Majestät der König vieles bewilligt ... aber war in dieser Bewilligung die Zufriedenstellung des Volks erlangt? War uns die Garantie gegeben, daß diese Verheißung wirklich zur Wahrheit v/erde? Ich glaube, diese Garantie war ... erst nach dem Kampfe erlangt!... Es ist begründet, daß eine solche Staatsumgestaltung nur in großen Katastrophen des Kampfes geboren und fest gegründet werden kann. Eine große Tatsache war am 18. März noch nicht bewilligt: das war die Bewaffnung des Volks... Erst als das Volk bewaffnet war, fühlte es sich sicher gegen die Möglichkeit von Mißverständnissen... Der Kampf ist also (!) freilich eine Art Naturereignis (!), aber ein notwendiges Ereignis ... die Katastrophe, in der die Umgestaltung des Staatslebens zur Wirklichkeit, zur Wahrheit kommt." Aus dieser langen, verworrenen, von Wiederholungen strotzenden Erörterung geht ganz klar hervor, daß Herr Berends über die Resultate und die Notwendigkeit der Revolution durchaus im unklaren ist. Von ihren Resultaten kennt er nur die „Garantie" der Verheißungen des 18. und die „Volksbewaffnung"; ihre Notwendigkeit konstruiert er auf philosophischem Wege, indem er die „Garantie" nochmals in höherem Stil umschreibt und schließlich beteuert, keine Revolution könne ohne Revolution bewerkstelligt werden. Die Revolution war notwendig, das heißt doch wohl nur, sie war notwendig, um das zu erlangen, was wir jetzt erlangt haben. Die Notwendigkeit der Revolution steht im direkten Verhältnis zu ihren Resultaten. Da aber Herr Berends über die Resultate im unklaren ist, so muß er natürlich zu überschwenglichen Beteuerungen seine Zuflucht nehmen, um ihre Notwendigkeit zu konstruieren. Was waren die Resultate der Revolution? Keineswegs die „Garantie" der Verheißungen vom 18., sondern vielmehr der Umsturz dieser Verheißungen. Am 18. war versprochen worden: eine Monarchie, in der Adel, Bürokratie, Militär und Pfaffen das Heft in der Hand behielten, aber der hohen Bourgeoisie die Kontrolle durch geschenkte Konstitution und Preßfreiheit mit Kautionen[67] gestatteten. Für das Volk deutsche Fahnen, deutsche Flotte, deutsche Bundesmilitärpflicht statt der preußischen. Die Revolution stürzte die gesamten Mächte der absoluten Monarchie, Adel, Bürokraten, Militär und Pfaffen. Sie brachte die hohe Bourgeoisie aus
schließlich zur Herrschaft. Sie gab dem Volk die Waffe der Preßfreiheit ohne Kautionen, das Assoziationsrecht, und wenigstens teilweise auch die materielle Waffe, die Muskete. Das ist aber noch nicht das Hauptresultat. Das Volk, das in den Barrikaden gefochten und gesiegt hat, ist ein ganz anderes Volk als das, welches am 18. März vor das Schloß zog, um durch Dragonerangriffe über die Bedeutung der erhaltenen Zugeständnisse aufgeklärt zu werden. Es ist ganz andrer Dinge fähig, es steht der Regierung ganz anders gegenüber. Die wichtigste Eroberung der Revolution ist die Revolution selbst.
„ Ich kann es als Berliner wohl sagen, daß es uns ein schmerzliches Gefühl" (weiter nichts!) „gewesen ist, ... diesen Kampf geschmäht zu sehen... Ich knüpfe an das Wort des Herrn Ministerpräsidenten an, welcher ... darstellte, daß es die Sache eines großen Volks sei und sämtlicher Vertreter, mit Milde zur Versöhnung zu wirken. Diese Milde nehme ich in Anspruch, indem ich als Vertreter von Berlin bei Ihnen die Anerkennung des 18. und 19. März beantrage. Das Volk von Berlin hat sich in der ganzen Zeit nach der Revolution im ganzen gewiß sehr ehrenhaft und ehrenwert gehalten. Es mag sein, daß einzelne Exzesse vorgekommen sind ... und so glaube ich, daß es am Orte, daß die Versammlung erklärt etc. etc." Diesem feigen, die Revolution verleugnenden Schluß haben wir nur hinzuzusetzen, daß nach einer solchen Motivierung der Antrag durchzufallen verdiente.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 16 vom 16. Juni 1848] ** Köln, 14. Juni. Das erste Amendement, das dem Berendsschen Antrag entgegengesetzt Wurde, verdankte dem Abgeordneten Herrn Brehmer sein kurzes Dasein. Es war eine breite, wohlmeinende Erklärung, worin 1. die Revolution anerkannt, 2. die Vereinbarungstheorie anerkannt, 3. alle diejenigen, welche zu dem stattgehabten Umschwünge beigetragen hatten, anerkannt und 4. die große Wahrheit anerkannt, daß
Nicht Roß, nicht Reisige Sichern die steile Höh', Wo Fürsten stehnt71], womit schließlich die Revolution selbst wieder in einen echt preußischen Ausdruck gebracht worden war. Der brave Herr Oberlehrer Brehmer wollte es allen Parteien recht machen, und sie wollten alle nichts von ihm wissen. Sein Amendement wurde ohne Diskussion beseitigt, und Herr Brehmer zog sich zurück mit der ganzen Resignation eines enttäuschten Menschenfreundes.
An die Tribüne schritt der Herr Schulze (von Delitzsch). Herr Schulze ist auch ein Bewunderer der Revolution, aber ein Bewunderer nicht so sehr der Barrikadenkämpfer als der Leute des folgenden Morgens, des zum Unterschiede von den „Kämpfern" sogenannten „Volks". Die „Haltung des Volks nach dem Kampfe" soll noch besonders mit anerkannt werden, wünscht er. Seine Begeisterung kannte keine Grenzen, als er hörte „von der Mäßigung und Besonnenheit des Volks, als ihm kein Gegner (!) mehr gegenüberstand ... von dem Ernste, von der Versöhnung des Volkes ... von seiner Haltung gegenüber der Dynastie ... wir sahen, daß das Volk sich wohl bewußt war, in diesen Augenblicken der Geschichte selbst unmittelbar Aug in Auge zu sehen"!! Herr Schulze schwärmt nicht so sehr für die revolutionäre Tätigkeit des Volks im Kampf, als für seine durchaus nicht revolutionäre Untätigkeit nach dem Kampf. Die Großmut des Volks nach der Revolution anerkennen, kann nur zweierlei heißen: Entweder heißt es das Volk beleidigen, denn es wäre eine Beleidigung des Volks, als Verdienst anzuerkennen, daß es nach dem Siege keine Gemeinheiten begeht. Oder es heißt die Erschlaffung des Volks nach dem Siege der Waffen anerkennen, die der Reaktion Gelegenheit gibt, sich wieder zu erheben. „Beides zu vereinigen", hat Herr Schulze seine ;;zur Begeisterung erhobene Bewunderung" darüber ausgesprochen, daß das Volk erstens sich anständig betragen und zweitens der Reaktion Gelegenheit gegeben, sich wieder zu erholen. Die „Haltung des Volkes" bestand darin, daß es sich damit beschäftigte, voll Begeisterung „der Geschichte selbst unmittelbar Aug in Auge zu sehen", wo es die Geschichte hätte machen sollen; daß es vor lauter „Haltung", „Mäßigung", „Besonnenheit", „tiefem Ernst" und „unauslöschlicher Weihe" nicht dazu kam, zu verhindern, daß die Minister ein Stück der errungenen Freiheit nach dem andern eskamotierten; daß es die Revolution für fertig erklärte, statt sie fortzusetzen. Wie ganz anders haben sich die Wiener benommen, die Schlag auf Schlag die Reaktion überwältigten und jetzt einen konstituierenden statt eines vereinbarenden Reichstags erobert haben ![721 Herr Schulze (von Delitzsch) erkennt also die Revolution unter der Bedingung an, nicht sie anzuerkennen. Dafür ward ihm ein schallendes Bravo. Nach einer kleinen reglementarischen Zwischenunterhaltung tritt Herr Camphausen selbst auf die Bühne. Er bemerkt, daß nach dem Berendsschen Antrage „die Versammlung sich über eine Idee äußern, ein Urteil aussprechen soll". Die Revolution ist für Herrn Camphausen nur eine „Idee". Er „überläßt"
es daher der Versammlung, ob sie dies tun will. Über die Sache selbst ist nach seiher Ansicht „eine Meinungsverschiedenheit in erheblichem Umfange vielleicht nicht vorhanden", nach der allgemein bekannten Tatsache, daß, wo sich zwei deutsche Bürger streiten, sie stets au fond1 einverstanden sind. „Will man wiederholen, daß ... eine Periode eingetreten ist, welche die erheblichsten Umgestaltungen ... zur Folge haben muß" (also noch nicht gehabt hat), „so kann niemand mehr damit einverstanden sein als ich." „Soll hingegen ausgedrückt werden, daß der Staat und die Staatsgewalt ihre rechtliche Begründung verloren haben, daß ein gewaltsamer Umsturz der bestehenden Gewalt stattgefunden ... dann protestiere ich gegen eine solche Auslegung." Herr Camphausen suchte bisher sein Hauptverdienst darin, den abgerissenen Faden der Gesetzlichkeit wieder angeknüpft zu haben; jetzt behauptet er, er sei nie zerrissen gewesen. Die Tatsachen mögen ihn ins Gesicht schlagen; das Dogma von der ununterbrochenen gesetzlichen Übertragung der Gewalt von Bodelschwingh bis auf Camphausen kann sich nicht um die Tatsachen kümmern.
„Soll angedeutet werden, daß wir uns am Eingange von Zuständen befinden, wie wir sie aus der Geschichte der englischen Revolution im 17., der französischen im 18. Jahrhundert kennen, Zuständen, deren Ende das ist, daß die Gewalt in die Hände eines Diktators übergeht", so muß Herr Camphausen ebenfalls protestieren. Unser denkender Geschichtsfreund[24] durfte natürlich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, bei der Berliner Revolution diejenigen Reflexionen an den Mann zu bringen, die der deutsche Bürger um so mehr zu hören liebt, je öfter er sie im Rotteck gelesen hat. Die Berliner Revolution darf schon deshalb keine Revolution gewesen sein, weil sie sonst einen Cromwell oder Napoleon zu erzeugen genötigt wäre, wogegen Herr Camphausen protestiert. Herr Camphausen erlaubt schließlich seinen Vereinbarern, „ihre Gefühle für die Opfer eines verhängnisvollen Zusammenstoßes auszudrücken", bemerkt aber, daß hier „wesentliches und vieles auf den Ausdruck ankomme", und wünscht die ganze Sache einer Kommission überwiesen zu sehen. Nach einem neuen reglementarischen Zwischenfall tritt endlich ein Redner auf, der es versteht, Herzen und Nieren in Bewegung zu setzen, weil er der Sache auf den Grund geht. Es ist Se. Hochwürden der Herr Pastor Müller aus Wohlau, der für den Schulzeschen Zusatz auftritt. Der Herr Pastor
will die Versammlung „nicht lange aufhalten, sondern nur einen sehr wesentlichen Punkt zur Sprache bringen". Zu diesem Zweck unterbreitet der Herr Pastor der Versammlung folgende Frage: „Der Antrag hat uns auf das sittliche Gebiet geführt, und nehmen wir ihn nicht in seiner Oberfläche" (wie macht man es, eine Sache in ihrer Oberfläche zu nehmen?), „sondern in seiner Tiefe" (es gibt eine leere Tiefe, wie es eine leere Breite gibt), „so werden wir nicht umhin können, wie schwierig diese Betrachtung auch sein mag, anzuerkennen, daß es sich um nichts weniger und nichts mehr handelt als um die sittliche Anerkennung des Aufstandes; und ich frage darum: Ist ein Aufstand sittlich oder ist er es nicht?" Es handelt sich nicht um eine politische Parteifrage, sondern um etwas unendlich Wichtigeres: um ein theologisch-philosophisch-moralisches Problem. Die Versammlung hat mit der Krone keine Verfassung, sondern ein System der Moralphilosophie zu vereinbaren. „Ist ein Aufstand sittlich oder nicht?" Darauf kommt alles an. Und was antwortete der Herr Pastor der vor Spannung atemlosen Versammlung? „Ich glaube aber nicht, daß wir in dem Fall sind, dieses hohe sittliche Prinzip hier entscheiden zu müssen."!! Der Herr Pastor ist der Sache bloß auf den Grund gegangen, um zu erklären, daß er keinen Grund finden kann, „Es ist der Gegenstand des Nachdenkens vieler tiefsinnigen Männer gewesen, und sie sind darüber doch zu keiner bestimmten Entscheidung gelangt. Wir werden diese Klarheit auch im Laufe einer raschen Debatte nicht erlangen." Die Versammlung ist wie niedergedonnert. Der Herr Pastor stellt ihr ein sittliches Problem mit schneidender Schärfe und mit allem Ernst, den der Gegenstand erfordert; er stellt es ihr, um ihr sodann zu erklären, das Problem sei nicht zu lösen. Den Vereinbarern mußte in dieser beklemmenden Lage zu Mute sein, als ständen sie wirklich schon „auf dem Boden der Revolution". Es war aber weiter nichts als ein einfaches seelsorgliches Manöver des Herrn Pastors, um die Versammlung zur Buße zu leiten. Er hat ein Balsamtröpfchen bereit für die Zerknirschten: „Ich glaube, daß es noch einen dritten Punkt der Betrachtung gibt, der hier ins Auge gefaßt werden muß: Jene Opfer des 18.März haben in einem Zustande gehandelt, welcher eine sittliche Entscheidung nicht gestattet."!! Die Barrikadenkämpfer waren unzurechnungsfähig. „Fragen Sie mich aber,ob ich sie für sittlich berechtigt halte, so antworte ich kräftig:
Wir fragen: Wenn Gottes Wort vom Lande sich nach Berlin wählen läßt, bloß um durch seine moralisierende Kasuistik das ganze Publikum zu langweilen, ist das sittlich oder ist es nicht sittlich? Abgeordneter Hofer protestiert gegen das Ganze in seiner Eigenschaft als pommerscher Bauer.
„Denn wer ist das Militär gewesen? Sind es nicht unsere Brüder und Söhne gewesen? Beachten Sie wohl, welchen Eindruck es machen wird, wenn der Vater am Ufer des Meeres" (wendisch po more, d.h. Pommern) „hört, wie sein Sohn hier behandelt worden ist!" Das Militär mag sich betragen haben wie es will, es mag sich zum Werkzeug des infamsten Verrats hergegeben haben — einerlei, es waren unsere pommerschen Jungen und darum ein dreifaches Hurra für sie! Abgeordneter Schultz aus Wanzleben: Meine Herren, die Berliner müssen anerkannt werden. Ihr Mut ist unbegrenzt gewesen. Sie haben nicht nur die Furcht vor den Kanonen überwunden.
„Was will das heißen, die Furcht, von den Kartätschen zerschmettert zu werden, wenn man dagegen die Gefahr erwägt, als Siraßenunfug Treibende mit harten, vielleicht entehrenden Strafen belegt zu werden! Der Mut, der dazu gehört, diesen Kampf aufzunehmen, ist so erhaben, daß selbst der Mut den offenen Kanonenschlünden gegenüber dagegen gar nicht in Anschlag kommen kann!" Die Deutschen haben also vor 1848 keine Revolution gemacht, weil sie sich vor dem Polizeikommissär fürchteten. Minister Schwerin tritt auf, um zu erklären, er werde abtreten, wenn der Vorschlag von Berends angenommen werde. Eisner und Reichenbach sprechen gegen den Zusatz von Schulze. Dierschke bemerkt, die Revolution müsse anerkannt werden, weil „der Kampf der sittlichen Freiheit noch nicht abgeschlossen" und weil die Versammlung ebenfalls „durch die sittliche Freiheit berufen" sei. Jacoby verlangte „volle Anerkennung der Revolution mit allen ihren Folgen". Seine Rede war die beste der ganzen Sitzung. Endlich freuen wir uns, nach soviel Moral, Langweile, Unentschiedenheit und Versöhnung, unseren Hansemann auf die Tribüne steigen zu sehen. Jetzt endlich hören wir doch etwas Entschiedenes, etwas, das Hand und Fuß hat aber nein, auch Herr Hansemann tritt heute mild, vermittelnd auf. Er hat seine Gründe dazu, er tut nichts, ohne seine Gründe zu haben. Er sieht, daß die Versammlung schwankt, daß die Abstimmung unsicher, daß das rechte Amendement noch nicht gefunden ist. Er will die Debatte vertagt wissen.
Zu diesem Zweck bietet er alle seine Kräfte an, möglichst sanftmütig zu sprechen. Die Tatsache ist da, sie ist unbestritten. Nur nennen die einen sie Revolution, die andern „große Tatsachen". Wir dürfen „nicht vergessen, daß hier nicht eine Revolution stattgefunden hat wie in Paris, wie früher in England, sondern daß hier eine Transaktion zwischen der Krone und dem Volke stattgefunden hat" (eine sonderbare Transaktion mit Kartätschen und Büchsenkugeln!). „Gerade nun, weil wir" (Minister) „in gewisser Beziehung gegen das Wesen der Sache keine Einwendung machen, auf der andern Seite aber der Ausdrück so zu wählen ist, daß die Basis der Regierung, auf welcher wir stehen, möglich bleibe" deswegen möge die Debatte vertagt werden, damit die Minister sich beraten können. Was muß es unserem Hansemann gekostet haben, solche Wendungen zu machen und zuzugeben, die „Basis", auf der die Regierung stehe, sei so schwach, daß sie durch einen „Ausdruck" umgestoßen werden könne! Es entschädigte ihn nur der Genuß, die Sache wieder zur Kabinettsfrage machen zu können. Die Debatte wurde also vertagt.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 17 vom 17. Juni 1848] Köln, 14. Juni. - Zweiter Tag. - Die Debatte beginnt wieder mit langen reglementarischen Verhandlungen. Nach ihrer Beseitigung tritt Herr Zachariä auf. Er hat das Amendement vorzuschlagen, das die Versammlung aus der Klemme retten soll. Das große ministerielle Wort ist gefunden. Es lautet:
„Die Versammlung geht, in Erwägung, daß die hohe Bedeutung der großen Märzereignisse, denen wir in Verbindung mit der königlichen] Zustimmung" (die selbst ein „Märzereignis" war, wenn auch kein „großes") „den gegenwärtigen staatsrechtlichen Zustand verdanken, auch das Verdienst der Kämpfer um dieselbe" (um die königliche] Zustimmung nämlich) „unbestritten ist (!!) und überdies die Versammlung ihre Aufgabe nicht darin erkennt, Urteile abzugeben" (die Versammlung soll erklären, sie habe kein Urteil!), „sondern die Verfassung mit der Krone zu vereinbaren, zur Tagesordnung über." Dieser konfuse, haltlose, nach allen Seiten Bücklinge schneidende Antrag, von dem Herr Zachariä sich schmeichelt, daß „ein jeder, selbst Herr Berends, alles darin finden wird, was er nur immer in dem guten Sinne, in welchem der Antrag von ihm gestellt wurde, hat beabsichtigen können", dieser süßsäuerliche Brei, das ist also der „Ausdruck", auf dessen „Basis" das Ministerium Camphausen „steht" und stehen kann.
Herr Pastor Sydou) aus Berlin, aufgemuntert durch den Erfolg seines Collega Müller, tritt auch auf die Kanzel. Die sittliche Frage geht ihm im Kopf herum. Was Müller nicht konnte, wird er lösen können. „Meine Herren, erlauben Sie mir an dieser Stelle gleich" (nachdem er schon eine halbe Stunde gepredigt) „das zu sagen, wozu das Pflichtgefühl mich treibt: Wenn die Debatte fortgeht, dann darf nach meiner Meinung keiner schweigen, bis er sich seiner Gewissenspflicht entledigt hätte. (Bravo!) Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. Meine Ansicht von einer Revolution ist die (zur Sache! zur Sache!), daß, wo eine Revolution vorkommt, sie nur das Symptom der Schuld auf beiden Seiten ist, der Regierenden wie der Regierten. Dies" (diese Plattheit, die wohlfeilste Manier, die Sache abzumachen) „ist die höhere sittliche Ansicht der Sache, und (!) greifen wir nicht dem christlich-sittlichen Urteil der Nation vor." (Wozu glauben denn die Herren, daß sie da sind?) (Aufregung. Zur Tagesordnung!) „Aber meine Herren", fährt der unerschütterliche Streiter der höheren sittlichen Ansicht und des unvorgreiflichen christlich-sittlichen Urteils der Nation fort, „ich bin nicht der Meinung, daß nicht Zeiten kommen können, wo die politische Notwehr (!) eines Volks mit der Notwendigkeit eines Naturereignisses hereinbricht, und ... dann bin ich der Meinung, daß der Einzelne daran auf völlig sittliche Weise teilnehmen kann." (Dank der Kasuistik, wir sind gerettet!) „Freilich auch möglicherweise auf unsittliche Weise, das ist dann seinem Gewissen zu überlassen."!! Die Barrikadenkämpfer gehören nicht vor die soi-disant1 Nationalversammlung, sie gehören vor den Beichtstuhl. Damit ist die Sache erledigt. Herr Pastor Sydou) erklärt noch, daß er „Mut" hat, spricht des breiteren über Volkssouveränetät vom Standpunkte der höhern sittlichen Ansicht, wird noch dreimal durch ungeduldigen Lärm unterbrochen und geht auf seinen Platz mit dem freudigen Bewußtsein, sich seiner Gewissenspflicht entledigt zu haben. Die Welt weiß nun, welcher Meinung der Pastor Sydow ist und welcher Meinung er nicht ist. Herr Plönnis erklärt, man solle die Sache fallenlassen. Eine mit soviel Amendements und Unteramendements, mit soviel Debatten und Häkeleien totmüde gehetzte Erklärung habe doch keinen Wert mehr. Herr Plönnis hat recht. Er konnte aber der Versammlung keinen schlimmeren Dienst tun, als indem er auf diesen Umstand, auf diesen Beweis von der Feigheit so vieler Mitglieder beider Seiten aufmerksam machte. Herr Reichensperger aus Trier: „Wir sind nicht hier, um Theorien zu bauen und Geschichte zu dekretieren, wir sollen womöglich Geschichte machen."
Keineswegs! Durch die Annahme der motivierten Tagesordnung beschließt die Versammlung, daß sie im Gegenteil da ist, Geschichte ungeschehen zu machen. Allerdings auch eine Manier, „Geschichte zu machen".
„Ich erinnere an den Ausspruch Vergniauds, daß die Revolution daran ist. ihre eignen Kinder zu verschlingen." Leider nein! Sie ist vielmehr daran, von ihren eignen Kindern verschlungen zu werden! Herr Riedel hat entdeckt, daß unter dem Berendssehen Antrage „nicht allein das verstanden werden soll, was die Worte einfach sagen, sondern sich darunter ein Prinzipienstreit verbirgt". Und dieses Opfer der „höheren sittlichen Ansicht" ist geheimer Archivrat und Professor! Wiederum schreitet ein hochehrwürdiger Herr Pfarrer auf die Bühne zu. Es ist Herr Jonas, der Berliner Damenprediger. Er scheint die Versammlung auch wirklich für ein Auditorium von Töchtern gebildeter Stände versehen zu haben. Mit der ganzen prätentiösen Breitspurigkeit eines echten Schleiermacherianers predigt er eine endlose Reihe der plattesten Gemeinplätze über den so höchst wichtigen Unterschied von Revolution und Reformation. Ehe er nur die Einleitung seiner Predigt beendet, war er dreimal unterbrochen; endlich platzte er hervor mit dem großen Satze:
„Die Revolution ist etwas, was unsrem gegenwärtigen religiösen und sittlichen Bewußtsein schnurstracks widerspricht. Eine Revolution ist eine Tat, die für groß und herrlich wohl galt im alten Griechen- und Römertum, aber im Christentum..." (Heftige Unterbrechung. Allgemeines Durcheinander. Esser, Jung, Eisner, der Vorsitzende und zahllose Stimmen mischen sich in die Debatte. Endlich kommt der beliebte Kanzelredner wieder zu Wort.) „Jedenfalls bestreite ich der Versammlung das Recht, über religiöse und sittliche Prinzipien abzustimmen; über solche kann keine Versammlung abstimmen" (? und das Konsistorium, die Synode?). „Dekretieren wollen oder erklären, die Revolution sei ein hohes, sittliches Vorbild oder irgend etwas anderes" (also überhaupt irgend etwas), „dies kommt mir gerade so vor, als wollte die Versammlung beschließen, es sei ein Gott oder es sei kein Gott, oder mehrere." Da haben wir's. Der Damenprediger hat die Frage glücklich wieder aufs Gebiet der „höheren sittlichen Ansicht" gezogen, und jetzt gehört sie natürlich nur vor die protestantischen Konzilien, vor die Katechismusfabrikanten der Synode. Gottlob! Nach all diesem Sittlichkeitsqualm tritt endlich unser Hansemann auf. Bei diesem praktischen Geist sind wir vor der „höheren sittlichen Ansicht" vollständig sicher. Herr Hansemann beseitigt den ganzen moralischen Standpunkt mit der einen wegwerfenden Bemerkung:
„Haben wir, frage ich Sie, Muße genug, uns in solche Prinzipienkämpfe einzulassen?" Herr Hansemann erinnert sich, daß gestern ein Abgeordneter von brotlosen Arbeitern sprach. Herr Hansemann benutzt diese Bemerkung zu einer geschickten Wendung. Er spricht von der Not der arbeitenden Klasse, bedauert ihr Elend und fragt: „Was ist die Ursache der allgemeinen Not? Ich glaube ... ein jeder trägt das Gefühl in sich, daß noch keine Gewißheit für etwas Bestehendes gegeben ist, solange unsre staatsrechtlichen Zustände noch nicht geordnet sind." Herr Hansemann spricht hier aus voller Seele. Das Vertrauen muß wiederhergestellt werden! ruft er aus - und das beste Mittel zur Wiederherstellung des Vertrauens ist die Verleugnung der Revolution. Und nun ergeht sich der Redner des Ministeriums, das „keine Reaktion sieht", in einer schreckenerregenden Schilderung der Wichtigkeit der freundlichen Gesinnungen der Reaktion. „Ich beschwöre Sie, die Eintracht unter allen Klassen zu fördern" (indem man den Klassen, die die Revolution gemacht haben, einen Schimpf antut!); „ich beschwöre Sie, die Eintracht zwischen Volk und Heer zu fördern; bedenken Sie, daß auf dem Heere unsre Hoffnungen beruhen, unsre Unabhängigkeit zu behaupten" (! in Preußen, wo jeder Soldat ist!); „bedenken Sie, in welchen schwierigen Verhältnissen wir uns befinden - ich brauche Ihnen das nicht weiter auseinanderzusetzen, der aufmerksame Zeitungsleser" (und das sind die Herren gewiß alle) „wird anerkennen, daß diese Verhältnisse schwierig, höchst schwierig sind. In diesem Augenblick nun eine Erklärung abzugeben, durch welche eine Saat der Zwietracht ins Land gebracht wird, halte ich nicht für geeignet... Deshalb, meine Herren, versöhnen Sie die Parteien, nehmen Sie keine Frage auf, wodurch Sie die Gegner provozieren, denn das würde gewiß geschehen. Es würde eine Annahme des Antrags die traurigsten Folgen haben können." Wie mögen die Reaktionäre gelächelt haben, als sie sahen, wie der sonst so resolute Hansemann nicht nur die Versammlung, sondern sogar sich selbst in die Angst hineinredete! Dieser Appell an die Furcht der großen Bourgeois, Advokaten und Schulmeister der Kammer wirkte mehr als alle gefühlvollen Phrasen von der „höheren sittlichen Ansicht". Die Sache war entschieden. D'Ester warf sich noch ins Gefecht, um die Wirkung zu vereiteln, aber vergebens; die Debatte wurde geschlossen, und 196 gegen 177 Stimmen nahmen die Zachariäsche moti" vierte Tagesordnung an. Die Versammlung sprach sich damit selbst das Urteil, daß sie kein Urteil habe.
Stellung der Parteien in Köln
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 18 vom 18. Juni 1848] ** Köln, 16. Juni. Wir haben hier vor einigen Tagen eine Nachwahl gehabt, die aufs schlagendste beweist, wie sehr seit der allgemeinen Wahl die Stellung der Parteien sich verändert hat[731. Herr Polizeidirektor Müller, Stellvertreter für Frankfurt, war in Gummersbach zum Abgeordneten nach Berlin gewählt worden. Drei Kandidaten waren in der Wahl. Die katholische Partei hatte Herrn Pellmann, die konstitutionelle (der Bürgerverein[74]) Herrn Advokatsanwalt t ay, die demokratische Herrn Advokat Schneider II, Präsidenten der (Stollwerkschen) Demokratischen Gesellschaft751, in Vorschlag gebracht. Bei der ersten Abstimmung (140 stimmende Wahlmänner) hatte Herr Fay 29, Herr Pellmann 34, Herr Schneider 52 Stimmen. Die übrigen Stimmen waren zersplittert. Bei der zweiten Abstimmung (139 Stimmen) hatte Herr Fay 14, Herr Pellmann 59, Herr Schneider 64 Stimmen. Die demokratische Partei war also noch in einer stets wachsenden Majorität. Bei der dritten Abstimmung (138 Stimmen) endlich hatte Herr Fay keine Stimme mehr. Herr Schneider hatte 55, Herr Pellmann 75 Stimmen, Die Herren vom Bürgerverein hatten also aus Furcht vor den Stollwerkern ihre Stimmen dem katholischen Kandidaten gegeben. Diese Abstimmungen beweisen, wie sehr sich die öffentliche Stimmung hier geändert hat. In den Hauptwahlen waren die Demokraten überall in der Minorität. In dieser Nachwahl war von den drei kämpfenden Parteien die demokratische bei weitem die stärkste und konnte nur durch eine wider« natürliche Koalition der beiden andern Parteien besiegt werden. Wir verdenken der katholischen Partei nicht, daß sie diese Koalition annahm. Wir heben nur die Tatsache hervor, daß die Konstitutionellen verschwunden sind.
Die Vereinbarungsversammlung vom 15.Junit25]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 18 vom 18. Juni 1848] **Köln, 17. Juni. Wir sagten Euch vor einigen Tagen1: Ihr leugnet die Existenz der Revolution. Durch eine zweite Revolution wird sie ihr Dasein beweisen. Die Ereignisse vom 14.Juni[76] sind nur das erste Wetterleuchten dieser zweiten Revolution, und schon ist das Ministerium Camphausen in voller Auflösung. Die Vereinbarungsversammlung hat dem Berliner Volk ein Vertrauensvotum dekretiert, indem sie sich unter seinen Schutz stellt.1-771 Es ist dies die nachträgliche Anerkennung der Märzkämpfer. Sie hat das Verfassungswerk aus den Händen der Minister genommen und sucht sich mit dem Volk zu „vereinbaren", indem sie eine Kommission zur Prüfung sämtlicher auf die Verfassung bezüglichen Petitionen und Adressen ernennt. Es ist dies die nachträgliche Kassation ihrer Inkompetenzerklärung2. Sie verspricht, das Verfassungswerk durch eine Tat zu beginnen, durch die Abschaffung der untersten Grundlage des alten Baues - der auf dem Land lastenden Feudalverhältnisse. Es ist dies die Verheißung einer Nacht vom 4.August[78]. Mit einem Wort: Die Vereinbarungsversammlung hat am 15.Juni ihre eigne Vergangenheit geleugnet, wie sie am 9.Juni die Vergangenheit des Volkes leugnete. Sie hat ihren 21 .März[79] erlebt. Noch aber ist die Bastille nicht gestürmt. Indessen naht vom Osten her ein Apostel der Revolution, unaufhaltsam, unwiderstehlich. Schon steht er vor den Toren von Thorn. Es ist der Zar. Der Zar wird die deutsche Revolution retten, indem er sie zentralisieren wird.
Der Prager Aufstand
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 18 vom 18. Juni 1848] * * Köln, 17. Juni. Ein neues posensches Blutbad[52] bereitet sich in Böhmen vor. Die österreichische Soldateska hat die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenbleibens von Böhmen und Deutschland1801 im tschechischen Blute erstickt. Der Fürst Windischgrätz läßt auf dem Wyschehrad und Hradschin1811 Kanonen gegen Prag auffahren. Militär wird konzentriert und ein Handstreich gegen den Slawenkongreß[82] und die Tschechen vorbereitet. Das Volk erfährt diese Rüstungen. Es strömt vor die Wohnung des Fürsten und verlangt Waffen. Sie werden ihm verweigert. Die Aufregung steigt, die bewaffneten und unbewaffneten Massen wachsen. Da fällt ein Schuß aus einem dem Palast des Kommandanten gegenüberliegenden Gasthof, und die Fürstin Windischgrätz sinkt tödlich verwundet nieder. Auf der Stelle wird Befehl zum Angriff erteilt, die Grenadiere rücken vor, das Volk wird zurückgedrängt. Aber überall erheben sich Barrikaden und halten das Militär auf. Kanonen werden vorgefahren, mit Kartätschen werden die Barrikaden zerschmettert. Das Blut fließt in Strömen. Die ganze Nacht vom 12. auf den 13. und noch am 13. wird gekämpft. Endlich gelingt es den Soldaten, die breiten Straßen zu nehmen und das Volk in die engeren Stadtteile zurückzudrängen, wo keine Artillerie angewandt werden kann. Soweit unsre neuesten Nachrichten. Es wird hinzugefügt, daß viele Mitglieder des Slawenkongresses unter starker Bedeckung aus der Stadt gewiesen seien. Hiernach hätte das Militär wenigstens teilweise gesiegt. Der Aufstand mag endigen wie er will, ein Vernichtungskrieg der Deutschen gegen die Tschechen bleibt jetzt die einzige mögliche Lösung. Die Deutschen haben in ihrer Revolution die Sünden ihrer ganzen Vergangenheit zu büßen. Sie haben sie gebüßt in Italien. Sie haben sich in Posen
abermals den Fluch von ganz Polen aufgeladen. Und jetzt kommt noch Böhmen dazu. Die Franzosen haben sich, selbst da, wo sie als Feinde kamen, Anerkennung und Sympathien zu erhalten gewußt. Die Deutschen werden nirgends anerkannt, finden nirgends Sympathien. Selbst wo sie als großherzige Freiheitsapostel auftreten, stößt man sie mit bitterm Hohn zurück. Und man hat recht. Eine Nation, die sich in ihrer ganzen Vergangenheit zum Werkzeug der Unterdrückung gegen alle andern Nationen hat gebrauchen lassen, eine solche Nation muß erst beweisen, daß sie wirklich revolutioniert ist. Sie muß es anders beweisen als durch ein paar halbe Revolutionen, die kein anderes Resultat haben, als unter andern Gestalten die alte Unentschiedenheit, Schwäche und Uneinigkeit fortbestehen zu lassen; Revolutionen, bei denen ein Radetzky in Mailand, ein Colomb und Steinäcker in Posen, ein Windischgrätz in Prag, ein Hüser in Mainz bleibt, ganz als ob nichts vorgefallen. Das revolutionierte Deutschland mußte sich, namentlich in Beziehung auf die Nachbarvölker, von seiner ganzen Vergangenheit lossagen. Eis mußte zugleich mit seiner eigenen Freiheit die Freiheit der Völker proklamieren, die es bisher unterdrückt hatte. Und was hat das revolutionierte Deutschland getan? Es hat die alte Unterdrückung Italiens, Polens und nun auch Böhmens durch die deutsche Soldateska vollständig ratifiziert. Kaunitz und Metternich sind vollständig gerechtfertigt. Und da verlangen die Deutschen, die Tschechen sollen ihnen vertrauen? Und man verdenkt den Tschechen, daß sie sich nicht an eine Nation anschließen wollen, die, während sie sich selbst befreit, andere Nationen unterdrückt und mißhandelt? Man verdenkt es ihnen, daß sie eine Versammlung nicht beschicken wollen, wie unsere trübselige, mattherzige, vor ihrer eignen Souveränität zitternde Frankfurter „Nationalversammlung"? Man verdenkt es ihnen, daß sie sich von der impotenten österreichischen Regierung lossagen, die in ihrer Ratlosigkeit und Lahmheit nur da zu sein scheint, um das Auseinanderfallen Österreichs nicht zu verhindern oder wenigstens zu organisieren, sondern zu konstatieren? Einer Regierung, die selbst zu schwach ist, Prag von den Kanonen und Soldaten eines Windischgrätz zu befreien? Wer aber am meisten zu bedauern ist, das sind die tapfern Tschechen selbst. Mögen sie siegen oder geschlagen werden, ihr Untergang ist gewiß. Durch die vierhundertjährige Unterdrückung von Seiten der Deutschen, die
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jetzt in dem Prager Straßenkampf fortgesetzt wird, sind sie den Russen in die Arme gejagt. In dem großen Kampfe zwischen dem Westen und dem Osten Europas, der in sehr kurzer Zeit - vielleicht in einigen Wochen - hereinbrechen wird, stellt ein unglückliches Verhängnis die Tschechen auf die Seite der Russen, auf die Seite des Despotismus gegen die Revolution. Die Revo^ • * 1 * 11* T^ 1_ 1 j j* r1 • j« "i iution wira siegen, una une iscnecnen weruen uie ersten sein, die von ihr erdrückt werden.[83] Die Schuld für diesen Untergang der Tschechen tragen wieder die Deutschen. Es sind die Deutschen, die sie ein Rußland verraten haben. Geschrieben von Friedrich Engels.
Valdenaires Haft - Sebaldt
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 19 vom 19. Juni 1848] *T Köln. Die Berliner Vereinbarungsversammlung hat bekanntlich Wencelius' Antrag in bezug auf die Verhaftung von Victor Valdenaire, des Deputierten des Landkreises von Trier, vertagt/253 Und aus welchem Grund! Weil kein Gesetz über die Unverletzlichkeit der Volksrepräsentanten in den Archiven der alten preußischen Gesetzgebung sich findet, natürlich so wenig als Volksrepräsentanten in der alten Rumpelkammer der preußischen Geschichte. Nichts leichter, als auf diese Grundlage hin alle Errungenschaften der Revolution hinterher im Interesse des Staatsfiskus zu vernichten! Die sich von selbst verstehenden Ansprüche, Bedürfnisse und Rechte der Revolution sind natürlich nicht von einer Gesetzgebung sanktioniert, deren Grundlage durch eben diese Revolution in die Luft gesprengt ist. Von dem Augenblicke an, wo preußische Volksrepräsentanten existierten, existiert die Unoerletzlichkßit der preußischen Volksrepräsentanten. Oder soll das Fortbestehen der ganzen Vereinbarungsversammlung der Laune eines Polizeipräsidenten oder eines Gerichtshofes anheimfallen? Allerdings! Zweiffei, Reichensperger und die übrigen rheinischen Juristen, die jede politische Frage in eine Prozedurstreitigkeit verwandeln und den Valdenaireschen Fall nicht vorübergehen lassen dürften, ohne eine winzige Spitzfindigkeit und einen riesigen Servilismus zur Schau zu tragen, sind vor solcher Eventualität vollständig gesichert. Bei dieser Gelegenheit eine Frage an Herrn Reichensperger II: Ist Herr Reichensperger nicht etwa bestimmt, die Kammerpräsidentschaft in Köln nach der Pensionierung des Herrn Schauberg, die am I.Juli 1848 stattfinden soll, anzutreten? Valdenaire wurde verhaftet, als er eben den Postwagen nach Merzig bestieg, wo die Wahl des Deputierten nach Frankfurt stattfinden sollte. Valdenaire hatte die große Majorität der Stimmen gesichert. Kein bequemeres
Mittel, eine mißliebige Wahl zu vereiteln, als den Kandidaten verhaften! Und die Regierung, um konsequent zu sein, beruft seinen Stellvertreter Gräff trotz seiner Reklamation nicht ein und läßt so eine mißliebige Bevölkerung von 60000 Seelen unvertreten. Wir raten Herrn Gräff, aus eigner Machtvollkommenheit sich nach Berlin zu verfügen. Schließlich können wir den Zustand in Trier nicht besser charakterisieren als durch den nachfolgenden Abdruck einer Warnung des hochvermögenden Herrn Sebaldt, königl. Landrats und Oberbürgermeisters von Trier. Warnung
An einigen Abenden hintereinander haben sich auf öffentlichen Plätzen und Straßen der Stadt ungewöhnlich zahlreiche Anhäufungen von Menschen gezeigt, welche bei manchen Ängstlichen dem Glauben an bevorstehende ordnungswidrige Demonstrationen Eingang verschafften. Ich gehöre nicht zu den Ängstlichen und mag es wohl leiden, wenn sich der Straßenverkehr ungezwungen bewegt. Sollte es jedoch wider Erwarten einzelnen unreifen Köpfen einfallen, diesen Verkehr zu Bübereien oder beleidigender Neckerei zu mißbrauchen, so müßte ich den bessern Teil des Publikums dringend ersuchen, sich sogleich von jenen Elementen zu trennen, denn ernsten Störungen der Ordnung wird Ernst entgegengesetzt werden, und es sollte mir leid tun, wenn bei einem eintretenden Konflikt der Unvorsichtige statt des Schuldigen zu Schaden kommen sollte. Trier, den 16. Juni 1848 Der k[önigliche] Landrat und Oberbürgermeister R[egierungsJ-R[at] Sebaldt
Wie gemütlich der hochstehende Mann schreibt, wie patriarchalisch! „Er mag es wohl leiden, wenn sich der Straßenverkehr ungezwungen bewegt.u Angenehme Leidenschaft des Herrn Sebaldt! Ängstliche befürchten eine Demonstration. Der Diktator von Trier hat die Eigenschaft, nicht ängstlich zu sein. Aber er muß seine Machtvollkommenheit zeigen, er muß die Hirngespinste der Ängstlichen in eine amtliche Mutmaßung verwandeln, um ernsten Störungen mit entgegengesetztem Ernst drohen zu können. Wie überraschend verbindet der große Mann den Ernst und die Gemütlichkeit! Unter dem Schutz dieser ernst-gemütlichen Vorsehung können die Bessern in Trier ruhig schlummern.
Die Vereinbarungssitzung vom 17. Juni[25]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 20 vom 20. Juni 1848] ** Köln, 19. Juni. „Nichts gelernt und nichts vergessen"[841 - das gilt vom Ministerium Camphausen ebensogut wie von den Bourbonen. Am 14. Juni dringt das Volk, empört über die Verleugnung der Revolution durch die Vereinbarer1, auf das Zeughaus ein.[76] Es will eine Garantie gegen die Versammlung haben, und es weiß, daß Waffen die beste Garantie sind. Das Zeughaus wird gestürmt, das Volk bewaffnet sich selbst. Der Sturm des Zeughauses, ein Ereignis ohne unmittelbare Resultate, eine auf halbem Wege stehengebliebene Revolution, hatte dennoch die Wirkung: 1. daß die zitternde Versammlung ihren Beschluß vom vorigen Tage zurücknahm und erklärte, sie stelle sich unter den Schutz der Berliner Bevölkerung[77]; 2. daß sie das Ministerium in einer Lebensfrage verleugnete und den Camphausenschen Verfassungsentwurf1-853 mit 46 Stimmen Majorität durchfallen ließ2; 3. daß das Ministerium sofort in volle Auflösung geriet, daß die Minister Kanitz, Schwerin und Auerswald abdankten - von denen bis jetzt erst Kanitz durch Schreckenstein definitiv ersetzt ist - und daß Herr Camphausen am 17. Juni erst sich von der Versammlung drei Tage Frist erbat, um sein gesprengtes Kabinett wieder zu vervollständigen. Das alles hatte der Sturm des Zeughauses zustande gebracht. Und zu derselben Zeit, wo die Wirkungen dieser Selbstbewaffnung des Volkes so schlagend hervortreten, wagt es die Regierung, die Handlung selbst anzugreifen! Zu derselben Zeit, wo Versammlung und Ministerium den Aufstand anerkennen, werden die Teilnehmer des Aufstandes zur Unter
suchung gezogen, nach altpreußischen Gesetzen behandelt, in der Versammlung geschmäht und als gemeine Diebe hingestellt ! An demselben Tage, wo die bebende Versammlung sich unter den Schutz der Zeughausstürmer stellt, erklären Erlasse der Herren Griesheim (Kriegsministerialkommissar) und Temme (Staatsanwalt) die Zeughausstürmer für „Räuber" und „gewaltsame Diebe". Der „liberale" Herr Temme, den die Revolution aus dem Exil zurückholte, beginnt eine strenge Untersuchung gegen die Fortsetzer der Revolution. Korn, Löwinsohn und Urban werden verhaftet. Haussuchungen über Haussuchungen werden in ganz Berlin angestellt. Der Hauptmann Natzmer, der richtigen Blick genug hatte, um die Notwendigkeit seines Abzugs aus dem Zeughause sofort einzusehen, der Mann, der durch seinen friedlichen Abzug Preußen vor einer neuen Revolution und die Minister vor den größten Gefahren bewahrte - dieser Mann wird vor ein Kriegsgericht gestellt, wird nach Kriegsartikeln behandelt, die ihn zum Tode verurteilen. Die Vereinbarer erholen sich ebenfalls von ihrem Schreck. In ihrer Sitzung vom 17. verleugnen sie die Zeughausstürmer, wie sie am 9. die Barrikadenkämpfer verleugnet haben. In dieser Sitzung vom 17. trug sich nämlich folgendes zu: Herr Camphausen erklärt der Versammlung, er werde ihr jetzt die ganze Tatsache mitteilen, damit sie entscheide, ob das ]Vfinisterrum wegen des Zeughaussturmes in Anklagezustand zu versetzen sei. Allerdings war Grund vorhanden zu einer Anklage der Minister, und zwar nicht, weil sie den Sturm des Zeughauses geduldet, sondern weil sie ihn Verursacht hatten, indem sie eine der bedeutendsten Folgen der Revolution, die Volksbewaffnung, eskamotierten. Herr Griesheim, Kommissar des Kriegsministeriums, tritt nach ihm auf. Er gibt eine breitere Beschreibung der im Zeughause befindlichen Waffen, namentlich der Gewehre „einer ganz neuen Erfindung, alleiniges Geheimnis Preußens", der Waffen „von historischer Bedeutung" und alle der andern Herrlichkeiten. Er beschreibt die Bewachung des Zeughauses: oben 250 Mann Militär, unten die Bürgerwehr. Er beruft sich darauf, daß die Waffeneinsendungen und-absendungen aus demZeughaus, als Hauptdepot des ganzen preußischen Staats, kaum durch die Märzrevolution unterbrochen worden sei[en]. Nach allen diesen Vorbemerkungen, mit denen er die Teilnahme der Vereinbarer für das so höchst interessante Institut des Zeughauses zu fangen versuchte, kommt er endlich auf die Ereignisse des H.Juni. Man habe das Volk stets auf das Zeughaus und auf die Waffensendungen aufmerksam gemacht, man habe ihm gesagt, die Waffen gehörten ihm.
Allerdings gehörten die Waffen dem Volke; erstens als Nationaleigentum und zweitens als Stücke der eroberten und garantierten Volksbewaffnung. Herr Griesheim „konnte mit Bestimmtheit versichern, daß die ersten Schüsse aus dem Volke auf die Bürgerwehr gefallen seien". Diese Behauptung ist ein Seitenstück der „siebzehn Militärtoten"1-683 des März. Herr Griesheim erzählt nun, wie das Volk ins Zeughaus eindrang, wie die Bürgerwehr sich zurückzog und nun „1100 Gewehre der neuen Erfindung gestohlen wurden, ein unersetzlicher Verlust" (!). Man habe den Hauptmann Natzmer zum Abzug, zu einer „Pflichtverletzung" überredet; das Militär sei abgezogen. Jetzt aber kommt der Herr Kriegsministerialkpmmissar zu einer Stelle seines Berichts, bei der ihm sein altpreußisches Herz blutet; das Volk hat das Heiligtum des alten Preußens entweiht. Man höre: „Jetzt aber haben förmliche Greueltaten in den oberen Räumen begonnen. Man hat gestohlen, geraubt und verwüstet. Neue Waffen sind hinuntergeworfen und zerbrochen, Altertümer von unersetzlichem Wert, Gewehre mit Silber und Elfenbein, die künstlichen, schwer zu ersetzenden Modelle der Artillerie sind verwüstet, die mit dem Blut des Volks errungenen Trophäen und Fahnen, an denen die Ehre der Nation haftet, sind zerrissen und besudelt worden!" (Allgemeine Entrüstung. Ruf von allen Seiten: Pfui, Pfui!) Diese Entrüstung des alten Haudegens über die Frivolität des Volks wirkt wahrhaft komisch. Das Volk hat an den alten Pickelhauben, Landwehrtschakos und sonstigem Gerümpel „von unersetzlichem Werte" „förmliche Greuel" begangen! Es hat „neue Waffen" hinuntergeworfen! Welch ein „Greuel" für einen im Dienst ergrauten Oberstlieutenant, der die „neuen Waffen" nur im Zeughaus ehrerbietig bewundern durfte, während sein Regiment mit den verschlissensten Gewehren exerzierte! Das Volk hat die Artilleriemodelle verwüstet! Verlangt Herr Griesheim etwa, das Volk solle sich bei einer Revolution vorher Glacehandschuhe anziehen? Aber das Schrecklichste kommt erst - die Trophäen des alten Preußens sind besudelt und zerrissen worden! Herr Griesheim berichtet uns hier eine Tatsache, aus der hervorgeht, daß das Berliner Volk am 14. Juni einen sehr richtigen revolutionären Takt gezeigt. Das Volk von Berlin hat die Befreiungskriege verleugnet, indem es die bei Leipzig[86] und Waterloo1871 eroberten Fahnen mit Füßen trat. Das erste, was die Deutschen in ihrer Revolution zu tun haben, ist, mit ihrer ganzen schimpflichen Vergangenheit zu brechen/883 Aber die altpreußische Versammlung der Vereinbarer mußte natürlich Pfui! Pfui! schreien über einen Akt, in dem das Volk zum erstenmal nicht
nur gegen seine Unterdrücker, sondern auch gegen die glänzenden Illusionen seiner eignen Vergangenheit revolutionär auftritt. Bei aller schnurrbartsträubenden Entrüstung über solchen Frevel vergißt Herr Griesheim jedoch nicht zu bemerken, daß die ganze Geschichte „dem Staat 50000 Taler und für mehrere Bataillone Truppen die Waffen kostet". Er fährt fort: „Es ist nicht das Streben nach Volksbewaffnung, welches den Angriff veranlaßt hat. Die Waffen sind für wenige Groschen verkauft worden." Nach Herrn Griesheim war der Zeughaussturm bloß die Tat einer Anzahl Diebe, die Gewehre stahlen, um sie für einen Schnaps wieder zu verkaufen. Warum die „Räuber" gerade das Zeughaus und nicht vielmehr die reichen Läden der Goldschmiede und Geldwechsler plünderten, darüber ist der Kriegsministerialkommissar eine Erklärung schuldig geblieben. „Es hat sich für den unglücklichen (!) Hauptmann eine sehr rege Teilnahme gezeigt, deshalb weil er seine Pflicht verletzt, um, wie es heißt, kein Bürgerblut zu vergießen; ja man hat die Tat als anerkennenswert und dankenswert dargestellt; es war sogar heute eine Deputation bei mir, welche verlangt, daß die Tat als dankenswert für das ganze Vaterland anerkannt werden soll. (Entrüstung.) Es waren Deputierte der verschiedenen Klubs unter Vorsitz des Assessors Schramm. (Entrüstung zur Rechten und ,Pfui!') Das steht fest, der Kapitän hat das erste, das vornehmlichste Gesetz des Soldaten gebrochen - er hat seinen Posten verlassen, trotz der ihm ausdrücklich erteilten Instruktion, dies nicht ohne besondern Befehl zu tun. Es ist ihm vorgeredet worden, daß er durch seinen Abmarsch den Thron rette, daß sämtliche Truppen die Stadt verlassen und der König aus Potsdam entflohen wäre. (Entrüstung.) Er hat ebenso gehandelt, wie jener Festungskommandant im Jahre 1806, der auch ohne weiteres das ihm Anvertraute übergab, anstatt es zu verteidigen. Was übigens die Einrede betreffe, daß er durch seinen Abmarsch das Vergießen von Bürgerblut gehindert habe, so verschwindet diese ganz von selbst; es wäre auch kein Haar gekrümmt worden, da er den Posten in dem Augenblick übergab, als der übrige Teil des Bataillons zu seiner Hülfe anrückte." (Bravo zur Rechten, Zischen zur Linken.) Herr Griesheim hat natürlich wieder vergessen, daß die Zurückhaltung des Hauptmanns Natzmer Berlin vor einem neuen Waffenkampf, die Minister vor der größten Gefahr, die Monarchie vor dem Sturz rettete. Herr Griesheim ist wieder ganz Oberstlieutenant, sieht in der Handlung Natzmers nichts als Insubordination, feiges Verlassen seines Postens und Verrat nach der bekannten altpreußischen Manier von 1806[89]. Der Mann, dem die Monarchie ihre Fortdauer verdankt, soll zum Tode verurteilt werden. Ein schönes Beispiel für die ganze Armee! Und wie benahm sich die Versammlung bei dieser Erzählung des Herrn Griesheim? Sie war das Echo seiner Entrüstung. Die Linke protestiert
schließlich durch - Zischen. Die Berliner Linke benimmt sich überhaupt immer feiger, immer zweideutiger. Diese Herren, die bei den Wahlen das Volk exploitiert haben, wo waren sie in der Nacht vom 14. Juni, als das Volk aus bloßer Ratlosigkeit die gewonnenen Vorteile bald wieder fahren ließ, als nur ein Führer fehlte, um den Sieg vollständig zu machen? Wo waren die Herren Berends, Jung, Eisner, Stein, Reichenbach? Sie blieben zu Hause oder machten ungefährliche Vorstellungen bei den Ministern. Und damit nicht genug. Sie wagen es nicht einmal, das Volk gegen die Verleumdungen und Schmähungen des Regierungskommissars zu verteidigen. Kein einziger Redner tritt auf. Kein einziger will verantwortlich sein für den Akt des Volks, der ihnen den ersten Sieg verschafft hat. Sie wagen nichts als zu - zischen! Welcher Heldenmut!
Geschrieben von Friedrich Engels.
Das Amendement Stupp
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 21 vom 21. Juni 1848] ** Köln, 20. Juni. Herr Stupp aus Köln hat zu dem Gesetze wegen Unverletzlichkeit der Abgeordneten ein Amendement gestellt, das in der Vereinbarungsversammlung nicht zur Diskussion kam, seinen Kölner Mitbürgern aber nicht uninteressant sein' dürfte. Wir wollen ihnen den ungeteilten Genuß dieses legislatorischen Kunstwerks nicht vorenthalten.
Amendement des Abgeordneten Stupp
§ 1. „Kein Mitglied der Versammlung kann für seine Abstimmungen oder für die von ihm in seiner Eigenschaft als Abgeordneter ausgesprochenen Worte und Meinungen in irgendeiner Weise zur Rechenschaft gezogen werden." Amendement: „Streichung des Wortes »Worte' in der dritten Zeile." Begründung: „Es genügt, daß der Abgeordnete seine Meinung frei äußern darf. Unter dem Ausdruck , Worte' können auch Ehrenkränkungen subsumiert werden, welche den Beleidigten zu einer Zivilklage berechtigen. Gegen solche Klagen die Abgeordneten in Schutz zu nehmen, scheint mir mit dem Ansehen und der Ehre der Versammlung in Widerspruch zu stehen." Es genügt, daß der Abgeordnete gar 'ne Meinung äußert, sondern trommelt und abstimmt. Denn warum nicht auch die „Meinung" streichen, da Meinungen in „Worten" geäußert werden müssen und sogar in „ehrenkränkenden" Worten geäußert werden können, da unter dem Ausdrucke „Meinungen" auch ehrenkränkende Meinungen „subsumiert" werden können?
§ 2. „Kein Mitglied der Versammlung kann während der Dauer derselben ohne ihre Genehmigung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, außer, wenn es entweder bei der Ausübung der Tat oder binnen 24 Stunden nach derselben festgenommen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden notwendig."
Amendement: „Streichung des Schlußsatzes: ,Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden notwendig.'" Begründtuig: „Es liegt hierin ein Eingriff in die Privatrechte der Staatsbärger, dessen Sanktion mir bedenklich erscheint. So groß das Interesse der Versammlung auch sein mag, irgendeinen Abgeordneten in ihrer Mitte zu haben, so halte ich dennoch die Achtung der Privatrechte für überwiegend. Zu bedenken ist aber insbesondere, daß wir dies Gesetz nicht für die Zukunft, d.h. nicht für die Mitglieder einer künftigen Kammer, sondern für uns beschließen. Vorausgesetzt, es seien Mitglieder unter uns, welche eine Verhaftung wegen Schulden zu befürchten hätten, so würde es doch gewiß bei unsern Wählern einen üblen Eindruck machen, wollten wir uns durch ein von uns selbst beschlossenes Gesetz gegen die rechtmäßige Verfolgung unserer Kreditoren schützen." Oder vielmehr umgekehrt! Es macht auf Herrn Stupp einen üblen Eindruck, daß die Wähler Mitglieder „unter uns" geschickt haben, die wegen Schulden verhaftet werden könnten. Welch Glück für Mirabeau und Fox, daß sie nicht unter der Gesetzgebung Stupp gelebt. Eine einzige Schwierigkeit macht Herrn Stupp einen Augenblick stutzig, es ist „das Interesse der Versammlung, irgendeinen Abgeordneten in ihrer Mitte zu haben". Das Volksinteresse - doch wer wird davon sprechen? Es handelt sich nur um das Interesse einer „geschlossenen Gesellschaft", die einen in ihrer Mitte haben will, während der Gläubiger einen draußen im Arresthause will. Kollision von zwei wichtigen Interessen! Herr Stupp konnte seinem Amendement eine bündigere Fassung geben: Individuen, welche mit Schulden behaftet sind, können nur mit Erlaubnis ihrer respektiven Gläubiger zu Volksrepräsentanten ernannt werden. Sie sind jederzeit von ihren Gläubigern abberufbar. Und in letzter Instanz sind Versammlung und Regierung der allerhöchsten Entscheidung der Staatsgläubiger unterworfen. Zweites Amendement zu § 2: „Kein Mitglied der Versammlung kann ohne deren Genehmigung während der Dauer der Sitzungen derselben wegen einer strafbaren Handlung von Amts wegen verfolgt noch verhaftet werden, es sei denn, daß letztere auf frischer Tat erfolge." Begründung: „In der ersten Linie ist das Wort .Versammlung' als Korporation genommen, darauf scheint der Ausdruck ,Dauer derselben' nicht zu passen, und schlage ich vor ,Dauer der Sitzungen derselben*. Statt ,mit Strafe bedrohte Handlung' scheint .strafbare Handlung' passender. Ich bin der Meinung, daß wir Zivilklagen wegen strafbarer Handlungen nicht ausschließen dürfen, wir würden dann einen Eingriff in die Privatrechte uns erlauben. Daher der Zusatz ,von Amts wegen'. Wenn der Zusatz ,oder in den nächsten 24 Stunden etc.' bleibt, so kann der Richter jeden Abgeordneten binnen 24 Stunden nach irgendeinem Vergehen verhaften."
Der Gesetzvorschlag sichert die Unverletzlichkeit des Deputierten während der Dauer der Versammlung, das Amendement des Herrn Stupp während „der Dauer der Sitzungen", d.h. während 6, höchstens 12 Stunden per Tag. Und welch scharfsinnige Begründung. Von der Dauer einer Sitzung kann man sprechen, aber die Dauer einer Korporation ? Von Amts wegen will Herr Stupp den Deputierten ohne Genehmigung der Versammlung weder verfolgen noch verhaften lassen. Er erlaubt sich also einen Eingriff in das Kriminalrecht. Aber von der Zivilklage wegen! Nur ja kein Eingriff in das Zivilrecht. Es lebe das Zivilrecht! Was dem Staate nicht zu' steht, muß dem Privatmanne zustehen! Die Zivilklage über alles! Die Zivilklage ist die fixe Idee des Herrn Stupp. Das Zivilrecht ist Moses und die Propheten! Schwört auf das Zivilrecht, namentlich auf die Zivilklage! Respekt, Volk, vor dem Allerheiligsten! Eis gibt keinen Eingriff des Privatrechts in das öffentliche Recht, es gibt aber „bedenkliche" Eingriffe des öffentlichen Rechts in das Privatrecht. Wozu überhaupt noch eine Konstitution, da wir den Code civil1-90-1 besitzen und bürgerliche Gerichtshöfe und Advokaten?
§ 3. „Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Versammlung und jede Haft wird für die Dauer der Sitzung aufgehoben, wenn die Versammlung es verlangt." Zu § 3 Antrag auf folgende abgeänderte Fassung:
„Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Versammlung und jede infolge desselben stattgehabte Verhaftung, wenn sie nicht kraft eines richterlichen Erkenntnisses erfolgt ist, soll sofort, sofern die Versammlung dies beschließt, aufgehoben werden." Begründung: „Es ist wohl nicht die Absicht, solche Abgeordnete, welche bereits durch richterliches Erkenntnis zur Gefängnisstrafe verurteilt sind, aus dem Arresthause zu entlassen. Geht das Amendement durch, so gilt dasselbe von denen, welche sich schuldenhalber im Arrest befinden." Könnte die Versammlung die hochverräterische Absicht hegen, die „Kraft eines richterlichen Erkenntnisses" zu schwächen oder gar einen schuldenhalber „im Arrest" befindlichen Mann in ihren Schoß zu berufen? Herr Stupp zittert vor diesem Attentat gegen die Zivilklage und die Kraft eines richterlichen Erkenntnisses. Alle Fragen über Volkssouveränität haben jetzt ihre Erledigung gefunden. Herr Stupp hat die Souveränität der Zivilklage und des Zivilrechts proklamiert. Wie grausam, solchen Mann der zivilrechtlichen Praxis zu entreißen und ihn in die untergeordnete Sphäre der gesetzgebenden Gewalt hineinzuschleudern ? Das souveräne Volk hat diesen „bedenklichen" Eingriff in das „Privatrecht" begangen. Herr Stupp macht da
iür eine Zivilklage anhängig gegen die Volkssouveränität und das öffentliche Recht. Der Kaiser Nikolaus aber mag ruhig umkehren. Bei dem ersten Uberschreiten der preußischen Grenze tritt ihm entgegen der Abgeordnete Stupp, in der einen Hand die „Zivilklage" und in der andern das „richterliche Erkenntnis". Denn, demonstriert er mit gebührender Feierlichkeit: Der Krieg, was ist der Krieg? Ein bedenklicher Eingriff in das Privatrecht! Ein bedenklicher Eingriff in das Privatrecht!
Neue Politik in Posen
[„Neue Rheinische Zeitung* Nr. 21 vom 21. Juni 1848] ** Köln, 20. Juni. Wieder eine neue Wendung in der posenschen Angelegenheit! Nach der Phase erhabner Versprechungen und begeisternder Proklamationen, nach der Phase Willisen kam die Phase Pfuel mit Schrapnells, Brandmarkung und rasierten Köpfen[91], die Phase des Blutbads und russischer Barbarei. Nach der Phase Pfuel kommt jetzt eine neue Phase der Versöhnung! Der Major Olherg, Chef des Generalstabs in Posen und Hauptbeteiligter an den Metzeleien und Brandmarkungen, wird plötzlich unfreiwillig versetzt. Der General Colomh wird von Posen nach Königsberg, ebenfalls unfreiwillig, versetzt. Der General Pfuel (von Höllenstein) wird nach Berlin berufen und der Oberpräsident Beurmann ist dort bereits angekommen. So ist Posen ganz verlassen von den Rittern, die den Höllenstein im Wappen führten und das Schermesser schwangen, von den Tapfern, die aus sicherm Hinterhalt die wehrlosen Sensenmänner auf 1000 und 1200 Schritt mit Schrapnells niederschossen. Die deutsch-jüdischen Polenfresser zittern; wie früher die Polen, so sehen jetzt sie sich verraten von der Regierung. Dem Ministerium Camphausen ist plötzlich ein Licht aufgegangen. Die Gefahr der russischen Invasion zeigt ihm jetzt, welchen enormen Fehler es gemacht hat, indem es die Polen der Wut der Bürokratie und der pommerschen Landwehr überantwortete. Jetzt möchte es um jeden Preis die Sympathien der Polen wiedergewinnen, jetzt, wo es zu spät ist! Also der ganze blutige Vernichtungskrieg gegen die Polen[52] mit allen Grausamkeiten und Barbareien, die als ewige Schmach am deutschen Namen haften werden, der gerechte tödliche Haß der Polen gegen uns, die jetzt notwendige russisch-polnische Allianz gegen Deutschland, eine Allianz, wodurch die Feinde der Revolution um ein tapfres Volk von 20 Millionen verstärkt werden - alles das ist bloß geschehen und zustande gekommen, damit Herr
Camphausen schließlich Gelegenheit erhalte, sein pater peccavi1 zu stammeln? Glaubt Herr Camphausen etwa, er könne jetzt, wo er der Polen bedarf, durch sanfte Redensarten und Konzessionen ihre im Blut erstickten Sympathien wiedererwerben? Glaubt er, die gebrandmarkten Hände würden sich je für ihn schlagen, die geschornen Stirnen sich für ihn den russischen Säbeln aussetzen? Glaubt er wirklich, den Rest, den die preußischen Schrapnells übriggelassen, jemals gegen die russischen Kartätschen führen zu können? Und glaubt Herr Camphausen, er könne noch an der Regierung bleiben, nachdem er seine Unfähigkeit selbst so unzweideutig eingestanden hat?
Geschrieben von Friedrich-Engels.
Sturz des Ministeriums Camphausen[92]
[„Neue Rheinische Zeitung0 Nr. 23 vom 23. Juni 1848]
** Köln, 22. Juni.
Scheint die Sonne noch so schön, Einmal muß sie untergehn^933, und auch die in heißem Polenblut gefärbte Sonne des 30.März[941 ist untergegangen. Das Ministerium Camphausen hatte sein liberal-bürgerliches Gewand der Kontrerevolution umgeworfen. Die Kontrerevolution fühlt sich stark genug, um die lästige Maske abzuschütteln. Ein beliebiges unhaltbares Ministerium des linken Zentrums kann möglicherweise dem Ministerium vom 30. März auf einige Tage folgen. Sein wirklicher Nachfolger ist das Ministerium, des Prinzen von Preußen. Camphausen hat die Ehre, der absolutistisch-feudalen Partei diesen ihren natürlichen Chef und sich seinen Nachfolger gegeben zu haben. Wozu noch länger die bürgerlichen Vormünder hätscheln? Stehen die Russen nicht an der östlichen Grenze und die preußischen Truppen an der westlichen ? Sind die Polen nicht durch Schrapnells und Höllenstein für die russische Propaganda geworben? Sind nicht alle Maßregeln getroffen, um das Bombardement von Prag in fast sämtlichen rheinischen Städten zu wiederholen? Hat im dänischen, im polnischen Krieg, in den vielen kleinen Konflikten zwischen Militär und Volk die Armee nicht alle Zeit gehabt, sich zu einer brutalen Soldateska auszubilden? Ist die Bourgeoisie nicht revolutionsmüd? Und erhebt sich nicht mitten im Meer der Fels, worauf die Kontrerevolution ihre Kirche bauen wird» England?
Das Ministerium Camphausen sucht noch einige Pfennige Popularität zu erhaschen, das öffentliche Mitleid rege zu machen durch die Versicherung, daß es als Düpe von der Staatsbühne abtritt. Und sicher ist es ein betrogener Betrüger. Im Dienst der großen Bourgeoisie mußte es die Revolution um ihre demokratischen Früchte zu prellen suchen, im Kampf mit der Demokratie mußte es sich mit der aristokratischen Partei verbünden und das Werkzeug ihrer kontrerevolutionären Gelüste werden. Sie ist genug erstarkt, um ihren Protektor über Bord werfen zu können. Herr Camphausen hat die Reaktion gesät im Sinne der großen Bourgeoisie, er hat sie geerntet im Sinne der Feudalpartei. Das war die gute Absicht des Mannes, das sein böses Geschick. Einen Pfennig Popularität1-953 für den enttäuschten Mann. Einen Pfennig Popularität!
Scheint die Sonne noch so schön, Einmal muß sie untergehn! Doch im Osten geht sie wieder auf.
7 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Erste Tat der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 23 vom 23. Juni 1848] ** Köln. Die deutsche Nationalversammlung1^ hat sich endlich erhoben! Sie hat endlich einen Beschluß von sofortiger praktischer Wirkung gefaßt, sie hat sich in dem östreichisch-italienischen Krieg196-1 ins Mittel gelegt. Und wie hat sie sich ins Mittel gelegt? Sie hat die Unabhängigkeit Italiens proklamiert? Sie hat einen Kurier nach Wien geschickt, mit dem Befehl, daß Radetzky und Weiden sich sofort hinter den Isonzo zurückziehen sollen? Sie hat eine Beglückwünschungsadresse an die Mailänder provisorische Regierung erlassen? Keineswegs! Sie hat erklärt, daß sie jeden Angriff auf Triest als einen Kriegsfall ansehen wird. Das heißt: Die deutsche Nationalversammlung, im herzlichen Einverständnis mit dem Bundestage, erlaubt den Östreichern, in Italien die größten Brutalitäten zu begehen, zu plündern, zu morden, Brandraketen in jede Stadt, in jedes Dorf zu schleudern (siehe unter Italien) und sich dann sicher auf neutrales deutsches Bundesgebiet zurückzuziehen! Sie erlaubt den Östreichern, jeden Augenblick von deutschem Boden aus die Lombardei mit Kroaten und Panduren[97] zu überschwemmen, aber sie will den Italienern verbieten, die geschlagnen Östreicher in ihre Schlupfwinkel zu verfolgen! Sie erlaubt den Östreichern, von Triest aus Venedig und die Mündungen der Piave, der Brenta, des Tagliamento zu blockieren; aber jede Feindseligkeit gegen Triest wird den Italienern untersagt! Die deutsche Nationalversammlung konnte sich nicht feiger benehmen, als sie es durch diesen Beschluß getan hat. Sie hat nicht den Mut, den italienischen Krieg offen zu sanktionieren. Sie hat noch viel weniger den Mut, der östreichischen Regierung den Krieg zu untersagen. In dieser Verlegenheit faßt sie — und noch dazu durch Akklamation, um durch lautes Geschrei ihre
Erste Tat der deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt 99
geheime Angst zu übertäuben — den Beschluß wegen Triest, der den Krieg gegen die italienische Revolution der Form nach weder billigt noch mißbilligt, der Sache nach aber ihn billigt. Dieser Beschluß ist eine indirekte, und darum für eine Nation von 40 Millionen, wie die deutsche, doppelt schimpfliche Kriegserklärung an Italien. Der Beschluß der Frankfurter Versammlung wird einen Sturm der Entrüstung in ganz Italien hervorrufen. Wenn die Italiener noch etwas Stolz und Energie aufzuwenden haben, so antworten sie durch ein Bombardement von Triest und durch einen Marsch an den Brenner. Aber die Frankfurter Versammlung denkt, und das französische Volk lenkt. Venedig hat französische Hülfe angerufen; nach diesem Beschluß werden die Franzosen wohl bald über die Alpen gehen, und dann dauert's nicht lange, so haben wir sie am Rhein. Ein Abgeordneter1 hat der Frankfurter Versammlung vorgeworfen, sie feiere. Im Gegenteil. Sie hat schon so viel gearbeitet, daß wir einen Krieg im Norden und einen im Süden haben und daß ein Krieg im Westen und einer im Osten unvermeidlich geworden. Wir werden uns in der glücklichen Lage befinden, zu gleicher Zeit den Zar und die französische Republik, die Reaktion und die Revolution zu bekämpfen. Die Versammlung hat dafür gesorgt, daß russische und französische, dänische und italienische Soldaten sich Rendezvous in der Frankfurter Paulskirche geben werden. Und man sagt, die Versammlung feiere!
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 Kohlparzer
Das Kabinett Hansemann1981
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 24 vom 24. Juni 1848] ** Köln, 23.Juni. Neue Wendung der Minister krisis in Berlin! Unser Hansemann ist mit der Bildung eines Kabinetts beauftragt und wird mit den Trümmern des alten Ministeriums, mit Patow, Bornemann, Schleinitz und Schreckenstein dem linken Zentrum gerührt in die Arme fallen. Herr Rodbertus soll bei der neuen Kombination sich beteiligen; er ist der Mittler, der den reuigen Trümmern des Ministeriums Camphausen die Gnade und Vergebung des linken Zentrums verschafft. Dank der Gnade des Herrn Rodbertus sieht unser preußischer Duchatel seine schönsten Wünsche gekrönt — er wird Premier. Die Lorbeeren Camphausens ließen ihn nicht schlafen; jetzt endlich wird er Gelegenheit haben zu beweisen, wessen er fähig ist, wenn er ungehemmt seine Schwingen entfalten kann. Jetzt werden wir seine riesigen Finanzpläne, jetzt seine unermeßlichen Projekte zur Hebung aller Not und alles Elends in voller Glorie bewundern können - jene Pläne, von denen er seinen Abgeordneten so Großes vorgespiegelt hat. Jetzt erst ist er imstande, dem Staate die ganze Fülle jener Talente zu widmen, die er früher als Eisenbahnmann und in andern Stellungen so glänzend und erfolgreich entwickelt hat. Und jetzt erst wird es Kabinettsfragen regnen. Herr Hansemann hat sein Vorbild überflügelt - durch Rodbertus' Aufopferung wird er Premier, was Duchatel nie war. Aber wir warnen ihn. Duchatel hatte seine Gründe, warum er immer scheinbar in zweiter Linie blieb. Duchatel wußte, daß die mehr oder weniger gebildeten Stände des Landes sowohl in als außer der Kammer einen schönrednerischen Ritter der „großen Debatte" nötig haben, einen Guizot oder Camphausen, der in jedem beliebigen Falle mit den erforderlichen Beweisgründen, philosophischen Entwicklungen, staatsmännischen Theorien und andern leeren Phrasen die
Gewissen beschwichtigt und die Herzen aller Hörer hinreißt. Duchätel gönnte seinen redseligen Ideologen gern den Nimbus der Konseilspräsidentschaft; ihm war der eitle Schimmer wertlos, ihm kam es auf die wirklich praktische Macht an, und er wußte: wo er war, da war die wirkliche Macht. Herr Hansemann will es anders versuchen; er muß es wissen. Aber wir wiederholen, die Konseilspräsidentschaft ist nicht der natürliche Platz Duchätels. Aber ein schmerzliches Gefühl ergreift uns, wenn wir uns erinnern, wie bald Herr Hansemann von seiner schwindelnden Höhe hinabstürzen wird. Ehe denn das Kabinett Hansemann sich konstituiert hat, ehe es nur einen Augenblick zum Genüsse seines Daseins kommt, ist es dem Untergang verfallen. „Der Henker steht vor der Türe"[991; die Reaktion und die Russen pochen an, und ehe der Hahn dreimal gekräht haben wird, wird das Kabinett Hansemann gefallen sein trotz Rodbertus und trotz dem linken Zentrum. Dann ade Konseilspräsidentschaft, ade Finanzpläne und Riesenprojekte zur Hebung der Not; der Abgrund wird sie alle verschlingen, und wohl Herrn Hansemann, wenn er ruhig an seinen bescheidnen Bürgerherd zurückkehren und darüber nachdenken kann, daß das Leben ein Traum[10°l ist.
Die „Neue Berliner Zeitung" über die Chartisten1601
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 24 vom 24. Juni 1848] **Köln, 23.Juni. Die „Neue Berliner Zeitung"ll01] berichtet uns mit Nr.1 ihres Blattes allerlei wunderliche Dinge aus England. Es ist hübsch, wenn man originell ist; die „Neue Berliner Zeitung" hat wenigstens das Verdienst, daß sie die englischen Zustände in ganz funkelnagelneuer Weise darstellt. Zuerst heißt es: „O'Connor, welcher in der Tat ein Mann ohne Geist und Charakter zu sein scheint, ist hier gänzlich ohne Ansehen." Wir wollen nicht entscheiden, ob O'Connor soviel L»eist und Charakter besitzt wie die „Neue Berliner Zeitung". Der Sprosse altirischer Könige, der Führer des großbritannischen Proletariats, mag in diesen Vorzügen hinter der gebildeten Berlinerin zurückbleiben; was aber das Ansehen betrifft, o gebildete Berlinerin, so hast du allerdings recht: O'Connor steht, wie alle Revolutionärs, in sehr üblem Gerüche; er hat sich nie die Achtung aller Frommen so zu erobern gewußt, wie du sie schon durch deine erste Nummer erlangt hast. Weiter sagt die Berlinerin: „O'Connell sagte, er" (nämlich O'Connor) „habe wohl Energie, aber keine Logik." Dies ist nun wieder ganz prächtig. Der selige Dan1 war ein ehrenwerter Mann; die Logik seiner Energie bestand darin, daß er jährlich eine Rente von 30000 Pfund Sterling aus den Taschen seiner armen Landsleute zog; die Logik der O'Connorschen Agitation brachte dem berüchtigten Chartisten nur den Verkauf seiner sämtlichen Güter. „Herr Jones, der zweite Führer der Chartisten von der extremen Fraktion, auf welchen jetzt die Gerichte fahnden und der nirgend zu finden ist, kann nicht einmal einen Bürgen mit 1000 Pfund Sterling für sich stellen."
Das ist die dritte Neuigkeit der extremgebildeten Berlinerin; sie sagt in diesen drei Zeilen drei extreme Lächerlichkeiten. Fürs erste kann von Bürgschaft gar nicht die Rede sein, solange die Gerichte noch auf jemanden fahnden. Fürs zweite befindet sich Herr Ernest Jones schon seit 14 Tagen in Newgate1, und die gebildete Berlinerin war wohl nur bei irgendeiner andern extremgebildeten und unterrichteten Kollegin zum Tee eingeladen, als noch vor kurzem die ganze englische Bourgeoispresse ihre brutale Freude über die Verhaftung Jones' zu erkennen gab. Drittens hat endlich Herr Jones allerdings jemanden gefunden, der gern 1000 Pfund Sterling für ihn bezahlen wollte, nämlich den geist- und charakterlosen O'Connor selbst, der aber von den Gerichten zurückgewiesen wurde, da er als Parlamentsmitglied keine Bürgschaft stellen darf. Die Berlinerin schließt damit, daß sie die Chartisten in den kleinern Städten des Landes sich häufig untereinander prügeln läßt. Teure Berlinerin, hättest du doch einmal eine englische Zeitung gelesen! Du würdest gefunden haben, daß es den Chartisten von jeher viel mehr Vergnügen gemacht hat, die Polizei zu prügeln, als sich selbst. Wir empfehlen die geist- und charaktervolle „Neue Berliner Zeitung" der besonderen Aufmerksamkeit unsrer Leser.
Drohung der Gervinus-Zeitung1651
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 25 vom 25. Juni 1848]
** Köln, 24. Juni.
„Hält das Ansehen der Frankfurter Versammlung und ihre Verfassungsbestimmungen Frankreich im Zaume, so hat es £ez'ne Not, Preußen wird aus seinen Ostprovinzen wieder sein Ansehen herstellen und dürfte dabei einen momentanen Verlust seiner Rheinprovinz vielleicht kaum scheuen." (Gervinus-Zeitung vom 22. Juni.) Wie diplomatisch der Berliner Korrespondent der Professorenzeitung schreibt! Preußen wird aus „seinen Ostprovinzen sein Ansehen" wiederherstellen. Wo wird es sein Ansehen wiederherstellen? In den Ostprovinzen? Nicht doch, aus den Ostprovinzen. In der Rheinprovinz? Noch weniger. Denn es rechnet bei diesem Wiederherstellen seines Ansehns „auf einen momentanen Verlust der Rheinprovinz11, d.h. auf einen momentanen Verlust seines „Ansehns" in der Rheinprovinz. Also in Berlin und in Breslau. Und warum wird es nicht mit seiner Ostprovinz, warum wird es aus seiner Ostprovinz das in Berlin und Breslau, wie es scheint, verlorne Ansehen wiederherstellen? Rußland ist nicht die Ostprovinz Preußens, Preußen ist vielmehr die Westprovinz Rußlands. Aber aus der preußischen Ostprovinz, Arm in Arm mit den braven Pommern, werden die Russen nach Sodom und Gomorrha ziehn und das „Ansehn" Preußens, d.h. der preußischen Dynastie, des absoluten Königtums, wiederherstellen. Verloren war dies „Ansehen" von dem Tage, wo der Absolutismus einen „geschriebenen1, von plebejischem Blut befleckten „Papierwisch''[102-1 zwischen sich und sein Volk schieben mußte, wo der Hof gezwungen war, sich unter den Schutz und die Aufsicht bürgerlicher Getreide- und Wollhändler[103] zu stellen.
Also der Freund, der Retter kömmt aus dem Osten; wozu nach dieser Seite hin die Grenze militärisch besetzen? Aus dem Westen kömmt der Feind, nach dem Westen hin muß daher die Truppenmacht konzentriert werden. Ein naiver Berliner Korrespondent der „Kölnischen Zeitung^10^ begreift den Heldenmut Pfaels nicht, des braven Polenfreundes, der eine Mission nach Petersburg annimmt, ohne eine Schutzwache von 100000 Mann hinter sich zu haben. Pfuel reist angstlos nach Petersburg! Pfuel in Petersburg! Pfuel scheut sich nicht, die russische Grenze zu überschreiten, und das deutsche Publikum fabelt von russischem Kriegsvolke an deutscher Grenze! Der Korrespondent der „Kölnischen] Zeitung" bemitleidet das deutsche Publikum. Doch zurück zu unserer Professorenzeitung! Wenn die Russen der preußischen Dynastie von Osten, werden die Franzosen dem deutschen Volke vom Westen her zu Hülfe eilen. Und ruhig mag die „Frankfurter Versammlung" über die beste Tagesordnung und die besten „Verfassungsbestimmungen" weiter debattieren. Der Korrespondent der Gervinus-Zeitung verbirgt diese Ansicht unter der Rednerblume, „daß die Frankfurter Versammlung und ihre Verfassungsbestimmungen" Frankreich „im Zaume" halten werden. Preußen wird die Rheinprovinz verlieren. Aber warum sollte es sich scheuen vor diesem Verlust? Er wird nur „momentan" sein. Der deutsche Patriotismus wird noch einmal unter russischem Kommando gegen das welsche Babylon marschieren und „das Ansehn Preußens" auch in der Rheinprovinz und in ganz Süddeutschland dauernd herstellen. Du ahnungsvoller Engel Du![105] Wenn sich Preußen nicht „vor einem momentanen Verlust der Rheinprovinz scheut", scheut sich die Rheinprovinz noch weniger vor einem „permanenten"' Verlust preußischer Herrschaft. Wenn die Preußen mit den Russen, werden die Deutschen sich mit den Franzosen alliieren und mit ihnen vereint den Krieg des Westens gegen den Osten, der Zivilisation gegen die Barbarei, der Republik gegen die Autokratie führen.[106] Wir wollen Deutschlands Einheit, aber nur aus der Zersplitterung der großen deutschen Monarchien können sich die Elemente zu dieser Einheit ausscheiden. Nur im Kriegs- und Revolutionssturm werden sie zusammengeschmiedet werden. Der Konstitutionalismus aber verschwindet von selbst, sobald die Parole der Ereignisse lautet: Autokratie oder Republik. Aber, rufen uns entrüstet die konstitutionellen Bourgeois zu, wer hat den Deutschen die Russen zugezogen? Wer anders als die Demokraten? Nieder mit den Demokraten! - Und sie haben recht! Hätten wir selbst das russische System bei uns eingeführt, so ersparten wir den Russen die Mühe, es einzuführen und uns - die Kriegskosten.
Patows Ablösungsdenkschrifttl07]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 25 vom 25. Juni 1848] ** Köln, 24.Juni. In der Vereinbarungssitzung vom 20. d. [Mts.], jener verhängnisvollen Sitzung, in der die Sonne Camphausen unterging und das ministerielle Chaos eintrat, legte Herr Patow eine Denkschrift nieder über die Hauptgrundsätze, nach welchen er die Beseitigung der Feudalität auf dem Lande zu regulieren gedenkt. Wenn man diese Denkschrift liest, so begreift man nicht, warum in den altpreußischen Provinzen nicht längst ein Bauernkrieg ausgebrochen ist. Welch ein Wust von Leistungen, Abgaben, Lieferungen, welch ein Wirrwarr von mittelalterlichen Namen, einer noch toller als der andre! Lehnsherrlichkeit, Sterbefall, Besthaupt, Kurmede, Blutzehnt, Schutzgeld, Walpurgiszins, Bienenzins, Wachspacht, Auenrecht, Zehnten, Laudemien, Nachschußrenten, das alles hat bis heute noch in dem „bestverwalteten Staate der Welt" bestanden und würde in alle Ewigkeit bestanden haben, wenn die Franzosen keine Februarrevolution gemacht hätten! Ja, die meisten dieser Lasten und gerade die drückendsten unter ihnen würden in alle Ewigkeit fortbestehen, wenn es nach dem Wunsche des Herrn Patow ginge. Herrn Patow ist ja gerade deshalb dies Departement überwiesen worden, damit er die märkischen, pommerschen und schlesischen Krautjunker soviel wie möglich schonen, die Bauern soviel wie möglich um die Früchte der Revolution prellen soll! Die Berliner Revolution hatte alle diese Feudalverhältnisse für alle Zukunft unmöglich gemacht. Die Bauern hatten sie, wie ganz natürlich, sofort in der Praxis abgeschafft. Die Regierung hatte weiter nichts zu tun, als die tatsächlich schon bestehende Aufhebung aller Feudallasten durch den Volkswillen in gesetzliche Form zu bringen. Aber ehe die Aristokratie sich zu einem vierten Augustf78] entschließt,
eher müssen ihre Schlösser in Flammen stehen. Die Regierung, hier selbst .durch einen Aristokraten vertreten, hat sich für die Aristokratie erklärt; sie legt der Versammlung eine Denkschrift vor, in der die Vereinbarer aufgefordert werden, jetzt ebenfalls die Bauernrevolution, die in ganz Deutschland im März ausbrach, an die Aristokratie zu verraten. Die Regierung ist verantwortlich für die Folgen, die die Anwendung der Patowschen Grundsätze auf dem Lande haben wird. Herr Patow will nämlich, daß die Bauern Entschädigung zahlen sollen für die Aufhebung aller Feudallasten, selbst der Laudemien. Ohne Entschädigung sollen aufgehoben werden nur die Lasten, die aus der Erbuntertänigkeit, der alten Steuerverfassung und der Patrimonialgerichtsbarkeit^083 herfließen oder die, die für den Feudalherrn wertlos sind (wie gnädig!), d.h. überhaupt die Lasten, die den allergeringsten Teil der ganzen Feudalbelastung ausmachen. Dagegen sind alle bereits durch Verträge oder Richterspruch geordneten Feudalablösungen definitiv. Das heißt: Die Bauern, welche unter den seit 1816 und namentlich seit 1840 erlassenen reaktionären, adelsfreundlichen Gesetzen ihre Lasten abgelöst haben und dabei zuerst durch das Gesetz und dann durch bestochene Beamte um ihr Eigentum zugunsten der Feudalherrn geprellt worden sind, die erhalten keine Entschädigung. Dafür sollen denn Rentenbanken[109J errichtet werden, um den Bauern Sand in die Augen zu streuen. Wenn es nach dem Wunsche des Herrn Patow ginge, so würden die Feudallasten unter seinen Gesetzen ebensowenig beseitigt werden, wie sie unter den alten Gesetzen von 1807[11°3 abgelöst sind. Der richtige Titel für den Aufsatz des Herrn Patow ist: Denkschrift wegen Erhaltung der Feudallasten auf ewige Zeiten vermittelst der Ablösung. Die Regierung provoziert einen Bauernkrieg. Vielleicht wird Preußen auch vor einem „momentanen Verlust" Schlesiens sich „nicht scheuen11.
Demokratischer Charakter des Aufstandes
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 25 vom 25. Juni 1848] * Prag. Es bestätigt sich täglich mehr, daß unsre Auffassung des Prager Aufstandes (Nr. 18 d[ieser] Zfeitung]1) die richtige und daß die Verdächtigungen deutscher Blätter gegen die tschechische Partei, sie diene der Reaktion, der Aristokratie, den Russen etc., reine Lügen waren. Man sah nur den Grafen Leo Thun und seine Aristokraten, man sah nicht die Masse des böhmischen Volks, der zahlreichen industriellen Arbeiter, der Bauern. Darin, daß die Aristokratie einen Augenblick die tschechische Bewegung zu ihren und der Innsbrucker Kamarilla Gunsten zu konfiszieren versuchte, darin lag allerdings ja schon, daß das revolutionäre Prager Proletariat, das 1844 schon drei Tage lang Prag vollständig beherrschte11111, das Interesse des Adels und der Reaktion überhaupt vertrat! Aber alle diese Verleumdungen zerstoben vor dem ersten entscheidenden Schlage der tschechischen Partei. Der Aufstand war so entschieden demokratisch, daß die Grafen Thun, statt an seine Spitze zu treten, sofort zurücktraten und als östreichische Geiseln vom Volk zurückgehalten wurden. Er war so entschieden demokratisch, daß alle Tschechen von der aristokratischen Partei vor ihm flohen. Er war ebensogut gegen die tschechischen Feudalherren wie gegen die östreichische Soldateska gerichtet. Die Östreicher griffen das Volk an, nicht weil es tschechisch, sondern weil es revolutionär war. Dem Soldaten galt der Sturm auf Prag nur als ein Vorspiel der Einäscherung und Erstürmung Wiens. So schreibt die „Berliner] Z[eitungs]-H[alle]"[112] „Wien, 20.Juni": „Heute kam die Deputation zurück, welche der hiesige Bürgerausschußnach Prag geschickt hatte, einzig und allein mit dem Auftrage, dafür zu sorgen, daß die
Berichte des Telegraphen überwacht werden und wir nicht, wie in den letzten Tagen, oft 24 Stunden auf eine Nachricht von dort warten müßten. Die Deputation stattete dem Ausschusse Bericht über ihre Mission ab. Sie berichtet Schreckliches über die Militärherrschaft in Prag. Sie habe nur ein Wort für all die Schrecken einer eroberten, bombardierten, belagerten Stadt, daß es keine Worte gebe, diese Greuel zu schildern. Mit Lebensgefahr gelangten sie von der letzten Station vor Prag zu Wagen in die Stadt, mit Lebensgefahr durch die Soldaten aufs Prager Schloß. Überall riefen ihnen die Soldaten entgegen: ,Seid ihr auch hier, ihr Wiener Hunde! Jetzt haben wir euch!' Viele wollten auf die Deputierten einhauen, selbst die Offiziere benahmen sich mit maßloser Roheit. Endlich kamen sie aufs Schloß. Graf Wallmoden nahm ihr Beglaubigungsschreiben vom Ausschuß in Empfang, sah auf die Unterschrift und sagte: Sillersdorf? der gilt hier nicht bei uns.' Windischgrätz begegnete der Bürgerkanaille schroffer als je und sagte: , Überall hat die Revolution gesiegt; hier sind wir Sieger und ernennen keine Zivilautorität an. Solange ich in Wien war, blieb's ruhig. Kaum war ich fort, da warf man alles im Sturme über den Haufen.' Der Deputation wurden die Waffen abgenommen, sie selbst in einem Zimmer auf dem Schlosse gefangengehalten. Nach zwei Tagen erhielten sie erst die Erlaubnis auszugehen; die Waffen wurden nicht zurückgestellt. So berichteten unsere Deputierten, so behandelte sie der Tilly Prags, so benahmen sich die Soldaten, und hier tut man noch, als glaube man an einen bloßen Kampf gegen die Tschechen. Sprachen etwa die Deputierten böhmisch? Hatten sie nicht Wiener Nationalgardenuniform, hatten sie nicht die Vollmacht des Ministeriums und des von diesem als legislative Autorität bevollmächtigten Bürgerausschusses in Händen? Aber die Revolution hat schon zu weite Fortschritte gemacht. Windischgrätz hält sich für den Mann, ihr einen Damm zu setzen. Die Böhmen schießt man wie Hunde nieder, und wenn das Wagestück an der Zeit ist, wird man gegen Wien rücken. Warum wurde Leo Thun von Windischgrätz befreit, derselbe Leo Thun, welcher sich an die Spitze der Prager provisorischen Regierung gestellt hatte, welcher die Losreißung Böhmens predigte? Warum, fragen wir, wurde dieser aus den Händen der Tschechen befreit, wenn sein ganzes Tun und Treiben nicht ein mit der Aristokratie abgekartetes Spiel gewesen, um den Ausbruch herbeizuführen? Vorgestern ging ein Train von Prag weg. Auf demselben befanden sich deutsche flüchtige Studenten, Wiener Nationalgarden, flüchtige Familien aus Prag, denen es dort, trotz der hergestellten Ruhe, nicht recht heimisch mehr war. Auf der ersten Station vor Prag fordert das dort aufgestellte Militärpikett, die Reisenden ohne Unterschied sollen ihre Waffen abliefern, und auf ihre Weigerung schießen die Soldaten in die Waggons hinein, mitten unter wehrlose Männer, Frauen und Kinder . Sechs Leichen zog man aus den Wagen, und die Reisenden wischten sich das Blut der Gemordeten von den Gesichtern. Das geschah gegen Deutsche vom Militär, das man hier als Rettungsengel deutscher Freiheit betrachtet wissen will."
Geschrieben von Friedrich Engels.
[Nachrichten aus Paris]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 25 vom 25. Juni 1848, Extrabeilage] * Köln, 24. Juni, 10 Uhr abends. Die Briefe aus Paris vom 23. sind ausgeblieben. Ein Kurier, der hier durchgekommen, erzählt, daß bei seiner Abreise in Paris der Kampf zwischen Volk und Nationalgarde ausgebrochen und daß er in einiger Entfernung von Paris starken Kanonendonner gehört habe.
[Nachrichten aus Paris]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 26 vom 26. Juni 1848, Extrabeilage] * Köln, 25. Juni, abends 10 Ubr. Die Briefe aus Paris sind wieder ausgeblieben; die Pariser Journale, die heute angekommen, sind vom 23. und hätten bei regelmäßigem Postenlauf schon gestern abend hier eintreffen müssen. Die einzigen Quellen, die uns unter diesen Umständen zu Gebote stehen, sind die konfusen und widersprechenden Berichte belgischer Blätter und unsere eigene Kenntnis von Paris. Wir haben versucht, hiernach unsern Lesern ein möglichst treues Bild des Aufstandes vom 23. Juni zu geben. Zu weiteren Randglossen fehlt die Zeit. Wir werden unsre ausführliche Ansicht sowie den längeren Bericht über die Sitzung der Pariser Kammer vom 23. morgen bringen.
Details über den 23. Juni
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 26 vom 26. Juni 3848, Extrabeilage] * Der Aufstand ist ein reiner Arbeiteraufstand. Der Groll der Arbeiter ist losgebrochen gegen die Regierung und die Versammlung, die ihre Hoffnungen enttäuscht, die täglich neue Maßregeln im Interesse der Bourgeoisie gegen die Arbeiter ergriffen, die die Arbeiterkommission im Luxembourg[1141 aufgelöst, die Nationalateliers[115] eingeschränkt, das Gesetz gegen die Zusammenscharungen erlassen haben. Der entschieden proletarische Charakter der Insurrektion geht aus allen Einzelnheiten hervor. Die Boulevards, die große Pulsader des Pariser Lebens, waren der Schauplatz der ersten Zusammenscharungen. Von der Porte St. Denis bis herab zu der alten Templestraße war alles gedrängt voll. Arbeiter aus den Nationalwerkstätten erklärten, sie würden nicht nach der Sologne zu den dortigen Nationalateliers gehen; andre erzählten, sie seien gestern dorthin abgereist, hätten aber schon an der Barriere Fontainebleau vergeblich auf die Marschzettel und den Befehl zur Abreise gewartet, die ihnen den Abend vorher zugesagt gewesen seien. Gegen zehn Uhr rief man nach Barrikaden. Der östliche und südöstliche Teil von Paris, vom Quartier und Faubourg Poissonniere an, wurden rasch, aber wie es scheint noch ziemlich regellos und zusammenhanglos verbarrikadiert. Die Straßen St. Denis, St. Martin, Rambuteau, Faubourg Poissonniere und auf dem linken Seineufer die Zugänge der Faubourgs St. Jacques und St. Marceau - die Straßen St. Jacques, La Harpe, La Huchette und die anstoßenden Brücken wurden mehr oder weniger stark verschanzt. Auf den Barrikaden wurden Fahnen aufgepflanzt mit der Inschrift: „Brot oder Tod!" oder: „Arbeit oder Tod!" Der Aufstand stützte sich somit entschieden auf den östlichen, vorwiegend von Arbeitern bewohntenTeil der Stadt; zuerst auf dieFaubourgs Saint Jacques,
Saint Marceau, Saint Antoine, du Temple, Saint Martin und Saint Denis, auf die „aimables faubourgs"L116], dann auf die dazwischenliegenden Stadtteile (Quartiers Saint Antoine, du Marais, Saint Martin und Saint Denis). Auf die Barrikaden folgten Angriffe. Der Wachtposten des Boulevard Bonne Nouvelle, der fast bei jeder Revolution zuerst gestürmt wird, war von Mobilgarde[117] besetzt. Er wurde vom Volk entwaffnet. Aber bald darauf rückte die Bourgeoisgarde der westlichen Stadtteile zum Entsatz heran. Sie besetzte den Posten wieder. Ein zweiter Trupp besetzte das hohe Trottoir vor dem Theatre du Gymnase, das eine große Strecke der Boulevards beherrscht. Das Volk versuchte die vorgerückten Posten zu entwaffnen; doch wurde einstweilen noch von keiner Seite Gebrauch von den Waffen gemacht. Endlich kam der Befehl, die Barrikade quer über den Boulevard an der Porte Saint Denis zu nehmen. Die Nationalgarde[118] rückte vor, den Polizeikommissär an der Spitze; man unterhandelte; einige Schüsse fielen, von welcher Seite, ist nicht klar, und das Feuer wurde rasch allgemein. Sofort gab auch der Posten Bonne Nouvelle Feuer; ein Bataillon der zweiten Legion, das den Boulevard Poissenniere besetzt hielt, rückte ebenfalls mit geladenen Gewehren vor. Das Volk war von allen Seiten umringt. Von ihren vorteilhaften und teilweise sicheren Stellungen aus eröffnete die Nationalgarde ein heftiges Kreuzfeuer auf die Arbeiter. Diese verteidigten sich eine halbe Stunde lang; endlich wurde der Boulevard Bonne Nouvelle und die Barrikaden bis zur Porte Saint Martin genommen. Hier hatte die Nationalgarde ebenfalls gegen elf Uhr von der Seite des Temple her die Barrikaden genommen und die Zugänge des Boulevards besetzt. Die Helden, die diese Barrikaden stürmten, waren die Bourgeois des zweiten Arrondissements, das sich vom Palais Ex-Royal[119] bis über das ganze Faubourg Montmartre erstreckt. Hier wohnen die reichen Boutiquiers1 der Straße Vivienne, Richelieu und des Boulevards des Italiens, die großen Bankiers der Straßen Laffitte undBergere und die lebenslustigen Rentiers der Chaussee d'Antin. Hier wohnen Rothschild und Fould, Rougemont de Lowemberg und Ganneron. Hier liegt mit einem Wort die Börse, Tortoni[120] und was daran hängt und baumelt. Diese Helden, zuerst und zumeist von der roten Republik bedroht, waren auch zuerst auf dem Platze. Es ist bezeichnend, daß die erste Barrikade des 23. Juni von den Besiegten des 24.Februar genommen wurde. Dreitausend Mann stark rückten sie vor, vier Kompanien nahmen im Sturmschritt einen um
1 Krämer
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gestürzten Omnibus. Die Insurgenten scheinen sich indes an der Porte Saint Denis wieder festgesetzt zu haben, denn gegen Mittag mußte General Lamoriciere mit starken Detachements Mobilgarde, Linie, Kavallerie und zwei Kanonen einrücken, um zusammen mit der zweiten Legion (der Nationalgarde des 2. Arrondissements) eine starke Barrikade zu nehmen. Ein Peloton Mobilgarde wurde von den Insurgenten zum Rückzüge gezwungen. Der Kampf auf dem Boulevard Saint Denis war das Signal zum Engagement in allen östlichen Bezirken von Paris. Er war blutig. Über 30 Insurgenten wurden getötet oder verwundet. Die wütenden Arbeiter schwuren, in der nächsten Nacht von allen Seiten loszubrechen und auf Tod und Leben die „Munizipalgarde der Republik"[121] zu bekämpfen. Um elf Uhr schlug man sich ebenfalls in der Straße Planche-Mibray (Fortsetzung der Straße Saint Martin nach der Seine zu), ein Mann wurde getötet. In der Gegend der Hallen, Straße Rambuteau etc. kam es ebenfalls zu blutigen Kollisionen. Vier bis fünf Tote blieben auf dem Platz. Um ein Uhr fand in der Rue du Paradis-Poissonnieie ein Gefecht statt; die Nationalgarde feuerte; das Resultat ist unbekannt. Im Faubourg Poissonniere wurden nach blutigem Zusammenstoß zwei Unteroffiziere der Nationalgarde entwaffnet. F)Ie Straße Sa^nt öcnis wurde durch I^avalleriechargen gereinigt. Im Faubourg Saint Jacques schlug man sich nachmittags mit großer Heftigkeit. In den Straßen Saint Jacques und La Harpe, auf dem Platz Maubert wurde mit wechselndem Erfolge auf Barrikaden Sturm gelaufen und stark, mit Kartätschen geschossen. Auch im Faubourg Montmartre schössen die Truppen mit Kanonen. Die Insurgenten wurden im ganzen zurückgedrängt. Das Stadthaus blieb frei; um drei Uhr war der Aufstand auf die Faubourgs und den Marais beschränkt. Übrigens sah man wenig nicht uniformierte Nationalgardisten (d.h. Arbeiter, die kein Geld zur Anschaffung der Uniform haben) unter den Waffen. Dagegen waren Leute darunter, die Lttxttswaffen, Jagdflinten etc. trugen. Auch reitende Nationalgardisten (von jeher die jungen Leute der reichsten Familien) waren zu Fuß in die Reihen der Infanterie getreten. Auf dem Boulevard Poissonniere ließen sich Nationalgardisten vom Volk ruhig entwaffnen und nahmen dann Reißaus. Um fünf Uhr dauerte der Kampf noch fort, als ein Platzregen ihn auf einmal suspendierte. An einzelnen Stellen schlug man sich jedoch bis spät abends. Um neun
Uhr fielen noch Flintenschüsse im Faubourg St. Antoine, dem Zentrum der Arbeiterbevölkerung. Bis jetzt war der Kampf noch nicht mit der ganzen Heftigkeit einer entscheidenden Revolution geführt worden. Die Nationalgarde, mit Ausnahme der zweiten Legion, scheint meist gezaudert zu haben, die Barrikaden anzugreifen. Die Arbeiter, wütend wie sie waren, blieben, wie sich versteht, auf die Verteidigung ihrer Barrikaden beschränkt. So trennte man sich des Abends, nachdem beide Parteien sich auf den nächsten Morgen Rendezvous gegeben hatten. Der erste Tag des Kampfes gab der Regierung keine Vorteile; die zurückgedrängten Insurgenten konnten während der Nacht, wie sie es auch wirklich taten, die verlornen Posten wieder besetzen. Dagegen hatte die Regierung zwei wichtige Tatsachen gegen sich: Sie hatte mit Kartätschen geschossen, und sie hatte die Erneute nicht am ersten Tage besiegt. Mit den Kartätschen aber und mit einer Nacht, nicht des Sieges, sondern des bloßen Waffenstillstandes, kört die Erneute auf und fängt die Revolution an.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Nachrichten aus Paris
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 27 vom 27. Juni 1848] * Köln, 26. Juni. Die Nachrichten aus Paris, die soeben eintreffen, nehmen so viel Raum ein, daß wir gezwungen sind, alle räsonierenden Artikel wegzulassen. Darum nur zwei Worte an unsre Leser. Die Abianhing Ledru-Rollins und Lamartines wie ihrer Minister, Cavaignacs Militärdiktatur aus Algier nach Paris verpflanzt, Marrast Zivildiktator, Paris in Blut schwimmend, die Insur~ rektion entwickelt zur größten Revolution, die je stattgefunden, zur Revolution des Proletariats gegen die Bourgeoisie — das sind unsre neuesten Nachrichten aus Paris. Den riesenhaften Umrissen dieser Junirevolution genügen nicht drei Tage wie der Julirevolution und der Februarrevolution, aber der Sieg des Volks ist unzweifelhafter als je. Die französische Bourgeoisie hat gewagt, was nie die französischenKönige gewagt haben: Sie hat ihr Los selbst geworfen. Mit diesem zweiten Akt der französischen Revolution beginnt erst die europäische Tragödie.
Der „Northern Star" über die „Neue Rheinische Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 27 vom 27. Juni 1848] Das Organ der englischen Chartisten1-60-1, der von Feargus O'Connor, G. Julian Harney und Ernest Jones redigierte „Northern Star"[122-1 enthält in seiner letzten Nummer eine Anerkennung der Art und Weise, wie die „Neue Rheinische Zeitung" die englische Volksbewegung auffaßt und die Demokratie überhaupt vertritt. Wir danken den Redakteuren des „Northern Star" für die freundschaftliche und echt demokratische Weise, in der sie unsere Zeitung erwähnt haben. Wir versichern ihnen zugleich, daß der revolutionäre „Northern Star" das einzige englische Blatt ist, an dessen Anerkennung uns etwas liegt.
Der 23. Juni
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 28 vom 28. Juni 1848] * Noch immer finden wir eine Menge Umstände über den Kampf des 23. nachzutragen. Das vor uns liegende Material ist unerschöpflich; die Zeit erlaubt uns jedoch nur das Hauptsächlichste und Charakteristische zu geben. Die Junirevolution bietet das Schauspiel eines erbitterten Kampfes, wie ihn Paris, wie ihn die Welt noch nicht gesehen. Von allen bisherigen Revolutionen weisen die Mailänder Märztage[96] den heißesten Kampf auf. Eine fast entwaffnete Bevölkerung von 170000 Seelen schlug eine Armee von 20000 bis 30000 Mann. Aber die Märztage von Mailand sind ein Kinderspiel gegen die Junitage von Paris. Was die Junirevolution vor allen bisherigen Revolutionen auszeichnet, das ist die Abwesenheit aller Illusionen, aller Begeisterung. Das Volk steht nicht wie im Februar auf den Barrikaden und singt „Mourir pour la patrie"[123] - die Arbeiter des 23. Juni kämpfen um ihre Existenz, das Vaterland hat alle Bedeutung für sie verloren. Die „Marseillaise" und alle Erinnerungen der großen Revolution sind verschwunden. Volk und Bourgeois ahnen, daß die Revolution, in die sie eintreten, größer ist als 1789 und r?93. Die Junirevolution ist die Revolution der Verzweiflung, und mit dem schweigenden Groll, mit der finstren Kaltblütigkeit der Verzweiflung wird sie gekämpft; die Arbeiter wissen es, daß sie einen Kampf auf Leben und Tod führen, und vor dem furchtbaren Ernst dieses Kampfes schweigt selbst der französische heitre Esprit. Die Geschichte bietet nur zwei Momente dar, die mit dem Kampfe Ähnlichkeit zeigen, der wahrscheinlich noch in diesem Augenblick in Paris ge= führt wird: der römische Sklavenkrieg und der Lyoner Aufstand von 1834.
Das alte Lyoner Motto „Arbeitend leben oder kämpfend sterben" ist auch plötzlich nach vierzehn Jahren wieder aufgetaucht und auf die Fahnen geschrieben worden. Die Junirevolution ist die erste, die wirklich die ganze Gesellschaft in zwei große feindliche Heerlager spaltet, die durch Ost-Paris und West-Paris vertreten sind. Die Einstimmigkeit der Februarrevolution ist verschwunden, jene poetische Einstimmigkeit voll blendender Täuschungen, voll schöner Lügen, die durch den schönrednerischen Verräter Lamartine so würdig repräsentiert wurde. Heute zerreißt der unerbittliche Ernst der Wirklichkeit alle die gleisnerischen Versprechungen des 25. Februar. Die Februarkämpfer bekämpfen heut einander selbst, und - was noch nie vorkam - es gibt keine Indifferenz mehr, jeder waffenfähige Mann kämpft wirklich mit, in der Barrikade oder vor der Barrikade. Die Armeen, die sich in den Straßen von Paris bekämpfen, sind so stark wie die Armeen, die die Völkerschlacht von Leipzig[86] schlugen. Das allein beweist die ungeheure Bedeutung der Junirevolution. Doch gehen wir über zur Schilderung des Kampfes selbst. Nach unsren gestrigen Nachrichten mußten wir glauben, die Barrikaden seien ziemlich planlos angelegt worden. Die ausführlichen Berichte von heute stellen das Gegenteil heraus. Noch nie sind die Verteidigungswerke der Arbeiter mit solcher Kaltblütigkeit, mit solcher Planmäßigkeit ausgeführt worden. Die Stadt teilte sich in zwei Heerlager. Am nordöstlichen Rande der Stadt, vom Montmartre herab bis zu der Porte St. Denis, von hier die Rue St. Denis herab, über die Insel der Cite, die Rue St. Jacques entlang bis zur Barriere ging die Scheidungslinie. Was östlich lag, war von den Arbeitern besetzt und verschanzt; von dem westlichen Teil aus griff die Bourgeoisie an und erhielt sie ihre Verstärkungen. Von morgens früh an begann das Volk schweigend seine Barrikaden zu errichten. Sie waren höher und fester als je. Auf der Barrikade am Eingang des Faubourg St. Antoine wehte eine kolossale rote Fahne. Boulevard St. Denis war sehr stark verschanzt. Die Barrikaden des Boulevards, der Rue de Clery und die in vollständige Festungen verwandelten umliegenden Häuser bildeten ein vollständiges Verteidungssystem. Hier brach, wie wir schon gestern berichteten, der erste bedeutende Kampf los. Das Volk schlug sich mit namenloser Todesverachtung. Auf die Barrikade der Rue de Clery wurde ein Flankenangriff durch ein starkes Detachement Nationalgarde gemacht. Die meisten Verteidiger der Barrikade zogen sich zurück. Nur sieben Männer und zwei Frauen, zwei junge schöne Grisetten, blieben auf
ihrem Posten. Einer der Sieben tritt auf die Barrikade, die Fahne in der Hand. Die andern beginnen das Feuer. Die Nationalgarde erwidert, der Fahnenträger fällt. Da ergreift die eine Grisette, ein großes schönes Mädchen in geschmackvoller Kleidung, mit nackten Armen, die Fahne, steigt über die Barrikade und geht auf die Nationalgarde zu. Das Feuer dauerte fort, und die Bourgeois der Nationalgarde schössen das Mädchen nieder, als sie dicht vor ihren Bajonetten angekommen war. Sofort springt die andere Grisette vor, ergreift die Fahne, hebt den Kopf ihrer Gefährtin auf, und da sie sie tot findet, schleudert sie wütend Steine auf die Nationalgarde. Auch sie fällt unter den Kugeln der Bourgeois. Das Feuer wird immer lebhafter, man schießt aus den Fenstern, aus der Barrikade; die Reihen der Nationalgarde lichten sich; endlich kommt Sukkurs an, und die Barrikade wird erstürmt. Von den sieben Verteidigern der Barrikade war nur noch einer am Leben, der entwaffnet und gefangen wurde. Es waren die Lions und Börsenwölfe der zweiten Legion, die diese Heldentat gegen sieben Arbeiter und zwei Grisetten ausführten. Nach der Vereinigung beider Korps und der Einnahme der Barrikade tritt ein momentanes angstvolles Stillschweigen ein. Aber bald wird es unterbrochen. Die tapfre Nationalgarde eröffnet ein wohlgenährtes Pelotonfeuer auf die unbewaffneten und ruhigen Menschenmassen, die einen Teil des Boulevards einnehmen. Sie stieben entsetzt auseinander. Die Barrikaden wurden aber nicht genommen. Erst als Cavaignac selbst mit der Linie und mit Kavallerie heranzog, wurde nach langem Kampfe und erst gegen drei Uhr der Boulevard bis zur Porte Saint Martin genommen. Im Faubourg Poissonniere waren mehrere Barrikaden errichtet und namentlich an der Ecke der Allee Lafayette, wo mehrere Häuser den Insurgenten ebenfalls zur Festung dienten. Ein Offizier der Nationalgarde führte sie an. Das 7. leichte Infanterieregiment, die Mobilgarde und die Nationalgarde rückten dagegen vor. Eine halbe Stunde dauerte der Kampf; endlich siegten die Truppen, aber erst nachdem sie an 100 Tote und Verwundete verloren hatten. Dieser Kampf fand nach 3 Uhr nachmittags statt. Vor dem Justizpalaste wurden ebenfalls Barrikaden errichtet, in der Rue Constantine und den umliegenden Straßen sowie auf der Brücke Saint Michel, wo die rote Fahne wehte. Nach längerem Kampfe wurden auch diese Barrikaden genommen. Der Diktator Cavaignac ließ seine Artillerie an der Brücke Notre-Dame auffahren. Von hier aus beschoß er die Straßen Planche-Mibray und der Cite und konnte sie [- die Artillerie -] leicht gegen die Barrikaden der Straße Saint Jacques auffahren lassen.
Diese letztere Straße war von zahlreichen Barrikaden durchschnitten und die Häuser in wahre Festungen verwandelt. Die Artillerie allein konnte hier wirken, und Cavaignac stand keinen Augenblick an, sie anzuwenden. Den ganzen Nachmittag erscholl der Kanonendonner. Die Kartätschen fegten die Straße. Abends 7 Uhr war nur noch eine Barrikade zu nehmen. Die Zahl der Toten war sehr groß. Am Pont Saint Michel und in der Straße Saint-Andre des Arts wurde ebenfalls mit Kanonen geschossen. Ganz am nordöstlichen Ende der Stadt, Straße du Chäteau Landon, wohin eine Truppenabteilung sich vorwagte, wurde ebenfalls eine Barrikade mit Kanonenkugeln eingeschossen. Des Nachmittags wurde das Gefecht in den nordöstlichen Faubourgs immer lebhafter. Die Bewohner der Vorstädte LI Villette, Pantin usw. kamen den Insurgenten zu Hülfe. Die Barrikaden wurden immer wieder errichtet und in sehr großer Anzahl. In der Cite hat eine Kompanie republikanischer Garde11213 sich unter dem Vorwande, mit den Insurgenten fraternisieren zu wollen, zwischen zwei Barrikaden eingeschlichen und sodann Feuer gegeben. Das Volk fiel wütend über die Verräter her und schlug sie Mann für Mann zu Boden. Kaum 20 fanden Gelegenheit zu entwischen. Die Heftigkeit des Kampfes wuchs an allen Punkten. Solange es hell war, wurde überall mit Kanonen geschossen; später beschränkte man sich auf das Gewehrfeuer, das bis tief in die Nacht hinein fortgesetzt wurde. Noch um 11 Uhr ertönte der Generalmarsch in ganz Paris, und um Mitternacht schoß man sich noch in der Richtung nach der Bastille zu. Der Bastillenplatz war ganz in der Macht der Insurgenten nebst allen seinen Zugängen. Das Faubourg Saint Antoine, das Zentrum ihrer Macht, war stark verschanzt. Auf dem Boulevard von der Montmartrestraße bis zu der Templestraße standen in dichten Massen Kavallerie, Infanterie, Nationalgarde und Mobilgarde. Um 11 Uhr abends zählte man bereits über 1000 Tote und Verwundete. Das war der erste Tag der Junirevolution, ein Tag ohnegleichen in den revolutionären Annalen von Paris. Die Arbeiter von Paris kämpften ganz allein gegen die bewaffnete Bourgeoisie, gegen die Mobilgarde, die neuorganisierte republikanische Garde und gegen die Linientruppen aller Waffengattungen. Sie haben den Kampf bestanden mit beispielloser Tapferkeit, der nichts gleichkommt als die ebenso beispiellose Brutalität ihrer Gegner. Man wird nachsichtig gegen einen Hüser, einen Radetzky, einen Windischgrätz, wenn man sieht, wie sich die Pariser Bourgeoisie mit wahrer Begeisterung zu den von Cavaignac arrangierten Metzeleien hergibt.
In der Nacht vom 23. auf den 24. beschloß die Gesellschaft der Menschenrechte1^241, die am 1 I.Juni wieder errichtet worden war,die Insurrektion zum Vorteil der roten Fahne zu benutzen und sich demgemäß daran zu beteiligen. Sie hat also eine Zusammenkunft gehalten, die nötigen Maßregeln beschlossen und zwei permanente Komitees ernannt.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Der 24. Juni
1 [„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 28 vom 28. Juni 1848] Die ganze Nacht war Paris militärisch besetzt. Starke Piketts Truppen standen auf den Plätzen und auf den Boulevards. Um vier Uhr morgens ertönte der Generalmarsch. Ein Offizier und mehrere Mann Nationalgarde gingen in jedes Haus und holten die Leute ihrer Kompanie heraus, die sich nicht freiwillig gestellt hatten. Um dieselbe Zeit ertönt der Kanonendonner wieder, am heftigsten in der Gegend der Brücke Saint Michel, dem Verbindungspunkt der Insurgenten des linken Ufers und der Cite. Der General Cavaignac, heute morgen mit der Diktatur bekleidet, brennt vor Begierde, sie gegen die Erneute auszuüben. Am vorigen Tage wurde die Artillerie nur ausnahmsweise angewandt, und man schoß meistens nur mit Kartätschen; heute aber wird an allen Punkten Artillerie nicht nur gegen die Barrikaden aufgefahren, sondern auch gegen die Häuser ; nicht nur mit Kartätschen wird geschossen, sondern mit Kanonen." kugeln, mit Granaten und mit congrevischen Raketen. Im oberen Teile des Faubourg Saint Denis begann morgens ein heftiger Kampf. Die Insurgenten hatten in der Nähe der Nordbahn ein im Bau begriffenes Haus und mehrere Barrikaden besetzt. Die erste Legion der Natio- • nalgarde griff an, ohne jedoch irgendeinen Vorteil zu erringen. Sie verschoß ihre Munition und hatte an fünfzig Tote und Verwundete. Kaum daß sie ihre Position solange hielt, bis die Artillerie herankam (gegen 10 Uhr), die das Haus und die Barrikaden in den Grund schoß. Die Truppen besetzten die Nordbahn wieder. Der Kampf in dieser ganzen Gegend (Glos Saint Lazare1 genannt, was die „Kölnische] Zeitung" in den „Hofraum von Saint Lazare" verwandelt) dauerte indes noch lange fort und wurde mit großer Erbitterung
geführt. „Es ist eine wahre Metzelei", schreibt der Korrespondent eines belgischen Blattestl25]. An den Barrieren Rochechouart undPoissonniere erhoben sich starke Barrikaden; die Verschanzung an der Allee Lafayette war ebenfalls wieder aufgeworfen und wich erst nachmittags den Kanonenkugeln. In den Straßen Saint Martin, Rambuteau und du Grand Chantier konnten die Barrikaden ebenfalls erst mit Hülfe der Kanonen genommen werden. Das Cafe Cuisinier gegenüber der Brücke Saint Michel ist von den Kanonenkugeln zusammengeschossen worden. Der Hauptkampf fand aber nachmittags gegen drei Uhr statt auf dem Blumenquai, wo der berühmte Kleiderladen „Zur schönen Gärtnerin" von 600 Insurgenten besetzt und in eine Festung verwandelt war. Artillerie und Linieninfanterie greifen an. Ein Winkel der Mauer wird niedergeschmettert. Cavaignac, der hier das Feuer selbst kommandiert, fordert die Insurgenten auf, sich zu ergeben, er werde sie sonst alle über die Klinge springen lassen. Die Insurgenten wiesen dies zurück. Die Kanonade beginnt von neuem, und endlich werden Brandraketen und Granaten hineingeworfen. Das Haus wird total zusammengeschossen, achtzig Insurgenten liegen unter den Trümmern begraben. Im Faubourg Saint Jacques, in der Gegend des Pantheon, hatten die A vIvai^av m oL n o /-»!•> ollan Qai ton l^m TroVe/^K pnrrt Ta/^oo Wono mußto fli UCli^l cu^inCiiiO nawi auvti »jwiivii um o^uuni^ig jvuvo & AUUO inuui^ belagert werden wie in Saragossa[126]. Die Anstrengungen des Diktators Cavaignac, diese Häuser zu stürmen, waren so fruchtlos, daß der brutale algierische Soldat erklärte, er werde sie in Brand stecken lassen, wenn die Besatzung sich nicht ergebe. In der Cite schössen Mädchen aus den Fenstern auf die Soldaten und die Bürgerwehr. Man mußte auch hier die Haubitzen wirken lassen, um irgendeinen Erfolg zu erzielen. Das elfte Bataillon der Mobilgarde, das sich auf Seite der Insurgenten schlagen wollte, wurde von den Truppen und der Nationalgarde niedergemacht. So sagt man wenigstens. Gegen Mittag war die Insurrektion entschieden im Vorteil. Alle Faubourgs, dieV orstädte Les Batignolles, Montmartre, La Chapelle und La Villette, kurz, der ganze äußere Rand von Paris, von den Batignolles bis zur Seine und die größte Hälfte des linken Seineufers war in ihren Händen. Hier hatten sie 13 Kanonen erobert, die sie nicht anwandten. Im Zentrum drangen sie in der Cite und in der untern Gegend der Straße Saint Martin vor aufs Stadthaus, das durch Massen von Truppen gedeckt war. Aber dennoch, erklärte Bastide in der Kammer, werde es in einer Stunde vielleicht von den Insurgenten
genommen sein, und in der Betäubung, die diese Nachricht hervorrief, wurde die Diktatur und der Belagerungszustand beschlossen/1273 Kaum damit ausgestattet, griff Cavaignac zu den äußersten, den rohsten Mitteln, wie sie noch nie in einer zivilisierten Stadt angewandt worden sind, wie sie selbst Radetzky in Mailand anzuwenden zauderte. Das Volk war wieder zu großmütig. Hätte es auf die Brandraketen und Haubitzen mit Brennen geantwortet, es wäre am Abend Sieger gewesen. Aber es dachte nicht daran, gleiche Waffen zu gebrauchen wie seine Gegner. Die Munition der Insurgenten bestand meist aus Schießbaumwolle, die in großen Massen im Faubourg Saint Jacques und im Marais fabriziert wurde. Auf dem Platz Maubert war eine Kugelgießerei angelegt. Die Regierung bekam fortwährend Unterstützung. Die ganze Nacht hindurch kamen Truppen nach Paris; die Nationalgarde von Pontoise, Rouen, Meulan, Mantes, Amiens, Havre kam an; Truppen von Orleans, Artillerie und Pioniere kamen von Arras und Douai, ein Regiment kam von Orleans. Am 24. morgens kamen 500000 Patronen und zwölf Stück Geschütz von Vincennes in die Stadt; die Eisenbahnarbeiter an der Nordbahn übrigens haben die Schienen zwischen Paris und Saint Denis ausgehoben, damit keine Verstärkungen mehr ankommen. Diesen vereinigten Kräften und dieser unerhörten Brutalität gelang es am Nachmittage des 24., die Insurgenten zurückzudrängen. Mit welcher Wut sich die Nationalgarde schlug und wie sehr sie wußte, daß es in diesem Kampf um ihre Existenz gehe, zeigt sich darin, daß nicht nur Cavaignac, sondern die Nationalgarde selbst das ganze Viertel des Pantheon in Brand stecken wollte! Drei Punkte waren als Hauptquartiere der angreifenden Truppen designiert: die Porte Saint Denis, wo General Lamoriciere kommandierte, das Hotel de Ville1, wo General Du vi vier mit 14 Bataillonen stand, und der Platz der Sorbonne, von wo aus General Damesme das Faubourg Saint Jacques bekämpfte. Gegen Mittag wurden die Zugänge des Platzes Maubert genommen und der Platz selbst zerniert. Um ein Uhr fiel der Platz; fünfzig Mann Mobilgarde fielen dabei! Um dieselbe Zeit wurde nach heftiger und anhaltender Kanonade das Pantheon genommen oder vielmehr übergeben. Die fünfzehnhundert Insurgenten, die hier verschanzt waren, kapitulierten - wahrscheinlich infolge der Drohung des Herrn Cavaignac und der wutschnaubenden Bourgeois, das ganze Viertel den Flammen zu übergeben.
Um dieselbe Zeit drangen die „Verteidiger der Ordnung" immer weiter vor auf den Boulevards und nahmen die Barrikaden der umliegenden Straßen. In der Templestraße waren die Arbeiter bis zur Ecke der Straße de la Corderie zurückgedrängt; in der Straße Boucherat schlug man sich noch, ebenfalls jenseits des Boulevard im Faubourg du Temple. In der Straße Saint Martin fielen noch einzelne Flintenschüsse; an der Pointe Saint Eustache hielt sich noch eine Barrikade. Abends gegen sieben Uhr wurden dem General Lamoriciere zwei Bataillone Nationalgarde von Amiens zugeführt, die er sofort zur Umzingelung der Barrikaden hinter dem Chäteau d'Eau1 verwandte. Das Faubourg Saint Denis war um diese Zeit ruhig und frei, desgleichen beinahe das ganze linke Seineufer. Die Insurgenten waren in einem Teile des Marais und dem Faubourg Saint Antonie zerniert. Diese beiden Viertel sind indes durch den Boulevard Beaumarchais und den dahinter liegenden Kanal Saint Martin getrennt, und dieser war frei für das Militär. Der General Damesme, Kommandant der Mobilgarde, wurde bei der Barrikade in der Straße de l'Estrapade von einer Kugel in den Schenkel getroffen. Die Wunde ist nicht gefährlich. Auch die Repräsentanten Bixio und Dornas sind nicht so gefährlich verwundet, als man anfangs glaubte. Die Wunde des Generals Bedeau ist ebenfalls leicht. j Y _ T TL J_ E1. L _ Q T _ 11 CIL- Q uih ueuu «_mr war uas i-auuourg Dann jacques una aas ranuuufg oaim Marceau so gut wie genommen. Der Kampf war ungemein heftig gewesen» Hier kommandierte jetzt der General Br6a. Der General Du vi vier im Hotel de Ville hatte weniger Erfolg gehabt. Doch waren auch hier die Insurgenten zurückgedrängt. Der General Lamoriciere hatte nach heftigem Widerstand die Faubourgs Poissonniere, Saint Denis und Saint Martin bis zu den Barrieren frei gemacht. Nur im Glos Saint Lazare hielten sich die Arbeiter noch; sie hatten sich im Hospital Louis-Philippe verschanzt. Dieselbe Nachricht stattete der Präsident2 der Nationalversammlung um halb zehn Uhr abends ab. Er mußte sich indes mehreremal selbst widerrufen. Er gab zu, daß man sich im Faubourg Saint Martin noch stark schösse.1-127-1 Der Stand der Dinge am 24. abends war also der: Die Insurgenten behaupteten noch etwa die Hälfte des Terrains, das sie am Morgen des 23. besetzt hielten. Dies Terrain machte den östlichsten Teil von Paris aus, die Faubourgs St. Antoine, du Temple, St. Martin und den
Marais. Das Glos St. Lazare und einige Barrikaden am Pflanzengarten bildeten ihre vorgeschobenen Posten. Der ganze übrige Teil von Paris war in den Händen der Regierung. Was am meisten auffällt bei diesem verzweifelten Kampfe, ist die Wut, mit der die „Verteidiger der Ordnung" kämpften. Sie, die früher für jeden Tropfen „Bürgerblut" so zarte Nerven hatten, die selbst sentimentale Anfälle hatten über den Tod der Munizipalgardisten[128] am 24. Februar, diese Bourgeois schießen die Arbeiter nieder wie die wilden Tiere. In den Reihen der Nationalgarde, in der Nationalversammlung kein Wort von Mitleid, von Versöhnung, keine Sentimentalität irgendeiner Art, wohl aber ein gewaltsam losbrechender Haß, eine kalte Wut gegen die empörten Arbeiter. Die Bourgeoisie führt mit klarem Bewußtsein einen Vernichtungskrieg gegen sie. Ob sie für den Augenblick siegt, oder ob sie gleich unterliegt, die Arbeiter werden eine fürchterliche Rache an ihr nehmen. Nach einem solchen Kampfe wie dem der drei Junitage ist nur noch Terrorismus möglich, sei er von der einen oder der andern Partei ausgeübt. Wir teilen noch einiges aus einem Briefe eines Kapitäns der republikanischen Garde über die Ereignisse des 23. und 24. mit.
„Ich schreibe Ihnen beim Knattern der Musketen, beim Donnern der Kanonen. Um 2 Uhr nahmen wir an der Spitze der Notre-Dame-Brücke drei Barrikaden; später rückten wir nach der Straße St. Martin und durchschritten sie in ihrer ganzen Länge. Als wir auf den Boulevard kommen, sehen wir, daß er verlassen und leer ist wie um 2 Uhr morgens. Wir steigen das Faubourg du Temple hinauf; ehe wir an die Kaserne kommen, machen wir halt. Zweihundert Schritt weiter erhebt sich eine formidable Barrikade, gestützt auf mehrere andere, verteidigt von etwa 2000 Menschen. Wir parlamentieren mit ihnen während zweier Stunden. Umsonst. Gegen 6 Uhr rückt endlich die Artillerie heran; da eröffnen die Insurgenten das Feuer zuerst. Die Kanonen antworteten und bis 9 Uhr zersplitterten Fenster und Ziegel von dem Donner der Geschütze; es ist ein entsetzliches Feuer. Das Blut fließt in Strömen, während sich zu gleicher Zeit ein fürchterliches Gewitter entladet. Soweit man sehen kann, ist das Straßenpflaster von Blut gerötet. Meine Leute fallen unter den Kugeln der Insurgenten; sie verteidigen sich wie Löwen. Zwanzigmal stürmen wir, zwanzigmal werden wir zurückgeschlagen. Die Zahl der Toten ist immens, die Zahl der Verwundeten noch viel größer. Um 9 Uhr nahmen wir die Barrikade mit dem Bajonette. Heute (24. Juni) um 3 Uhr morgens sind wir noch immer auf den Beinen. Fortwährend donnert das Geschütz. Das Pantheon ist das Zentrum. Ich bin in der Kaserne. Wir bewachen die Gefangenen, die man jeden Augenblick hereinbringt. Es sind viele Verwundete darunter. Manche erschießt man sogleich. Von 112 meiner Leute habe ich 53 verloren."
Der 25 Juni
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 29 vom 29. Juni 1848] * Mit jedem Tage nahm die Heftigkeit, die Erbitterung, die Wut des Kampfes zu. Die Bourgeoisie wurde immer fanatisierter gegen die Insurgenten, je weniger ihre Brutalitäten sofort zum Ziele führten, je mehr sie selbst im Kampf, Nachtwachen und Biwakieren ermattete, je näher sie ihrem endlichen Siege rückte. Die Bourgeoisie erklärte die Arbeiter nicht für gewöhnliche Feinde, die man besiegt, sondern für Feinde der Gesellschaft, die man vernichtet. Sie verbreiteten die absurde Behauptung, es sei den von ihnen selbst mit Gewalt in den Aufstand hineingejagten Arbeitern nur um Plünderung, Brandstiftung und Mord zu tun, sie seien eine Bande Räuber, die man niederschießen müsse wie die Tiere des Waldes. Und doch hatten die Insurgenten während 3 Tagen einen großen Teil der Stadt inne und benahmen sich höchst anständig. Hätten sie dieselben gewaltsamen Mittel angewandt wie die von Cavaignac kommandierten Bourgeois und Bourgeoisknechte, Paris läge in Trümmern, aber sie hätten triumphiert. Wie barbarisch die Bourgeois in diesem Kampfe verfuhren, geht aus allen Emzelnheiten hervor. Von den Kartätschen, den Granaten, den Brandraketen gar nicht zu sprechen, steht es fest, daß auf den meisten erstürmten Barrikaden kein Quartier gemacht1 wurde. Die Bourgeois schlugen alles ohne Ausnahme nieder, was sie vorfanden. Am 24. abends wurden in der Allee des Observatoire über 50 gefangene Insurgenten ohne alle Prozeßform erschossen. „Es ist ein Vernichtungskrieg", schreibt ein Korrespondent der „Independance Belge"[125], die selbst ein Bourgeoisblatt ist. Auf allen Barrikaden herrschte der Glaube, daß alle Insurgenten ohne Ausnahme niedergemacht würden.
Als Larochejaquelein in der Nationalversammlung davon sprach, daß man etwas tun müsse, um diesem Glauben entgegenzuwirken, ließen ihn die Bourgeois gar nicht aussprechen und machten einen solchen Lärm, daß der Präsident sich bedecken und die Sitzung unterbrechen mußte.[129] Als Herr Senard selbst später (s. unten Sitzung der Versammlung) einige heuchlerische Worte der Milde und Versöhnung sprechen wollte, entstand derselbe Lärm. Die Bourgeois wollten von Schonung nichts wissen. Selbst auf die Gefahr hin, einen Teil ihres Eigentums durch ein Bombardement zu verlieren, waren sie entschlossen, ein für allemal ein Ende zu machen mit den Feinden der Ordnung, den Plünderern, Räubern, Brandstiftern und Kommunisten. Dabei hatten sie nicht einmal den Heldenmut, den ihre Journale sich bemühen ihnen zuzuschreiben. Aus der heutigen Sitzung der Nationalversammlung1130-1 geht hervor, daß beim Ausbruch des Aufstandes die Nationalgarde vor Schrecken betäubt war; aus den Berichten aller Journale der verschiedensten Farben leuchtet trotz aller pomphaften Phrasen hervor, daß am ersten Tage die Nationalgarde sehr schwach erschien, daß am zweiten und dritten Cavaignac sie aus den Betten mußte holen und durch einen Gefreiten und vier Mann ins Feuer führen lassen. Der fanatische Haß der Bourgeois gegen die aufständischen Arbeiter war nicht imstande, ihre natürliche Feigheit zu überwinden. Die Arbeiter dagegen schlugen sich mit einer Tapferkeit ohnegleichen. Immer weniger imstande, ihre Verluste zu ersetzen, immer mehr durch die Übermacht zurückgedrängt, ermüdeten sie keinen Augenblick. Vom 25. morgens an mußten sie schon einsehen, daß die Chancen des Siegs sich entschieden gegen sie kehrten. Massen auf Massen neuer Truppen kamen an aus allen Gegenden; die Nationalgarde der Banlieue, die der entfernteren Städte kam in großen Trupps nach Paris. Die Linientruppen, die sich schlugen, betrugen am 25. über 40000 Mann mehr als die gewöhnliche Garnison; die Mobilgarde kam mit 20000 bis 25000 Mann hinzu; dann die Pariser und auswärtige Nationalgarde. Dazu noch mehrere tausend Mann republikanische Garde. Die ganze bewaffnete Macht, die gegen die Insurrektion zu Felde zog, betrug am 25. gewiß an 150000 bis 200000 Mann, die Arbeiter waren höchstens den vierten Teil so stark, hatten weniger Munition, gar keine militärische Direktion und keine brauchbaren Kanonen. Aber sie schlugen sich schweigend und verzweifelt gegen die kolossale Übermacht. Massen auf Massen rückten heran auf die Breschen, die das schwere Geschütz in die Barrikaden geschossen; ohne einen Ruf auszustoßen, empfingen sie die Arbeiter und kämpften überall bis auf den letzten Mann, ehe sie eine Barrikade in die Hände der Bourgeois fallen ließen. Auf dem Montmartre riefen die Insurgenten den
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Einwohnern zu: Wir werden entweder in Stücke gehauen oder wir hauen die andern in Stücke; wir werden aber nicht weichen, und bittet Gott, daß wir siegen, denn sonst brennen wir ganz Montmartre nieder. Diese nicht einmal erfüllte Drohung gilt natürlich als ein „abscheuliches Projekt", während die Granaten und Brandraketen Cavaignacs „geschickte militärische Maßregeln • l j ;„j T> ] IV«, Sffiu, uCnCxx jciaciiiicuni ucwuiiuciuiig Z.U11L I Am 25. morgens hatten die Insurgenten folgende Positionen inne: das Glos Saint Lazare, die Vorstädte St. Antoine und du Temple, den Marais und das Viertel Saint Antoine. Das Glos Saint Lazare (das ehemalige Klostergehege) ist eine große Fläche Landes, teilweise bebaut, teilweise erst mit angefangenen Häusern, projektierten Straßen etc. bedeckt. Der Nordbahnhof liegt gerade in seiner Mitte. In diesem an unregelmäßig liegenden Gebäuden reichen Viertel, das außerdem eine Menge Baumaterial umfaßt, hatten die Insurgenten eine gewaltige Festung aufgeworfen. Das im Bau begriffene Hospital Louis-Philippe war ihr Zentrum, sie hatten furchtbare Barrikaden aufgeworfen, die von Augenzeugen als ganz uneinnehmbar geschildert werden. Dahinter lag die von ihnen zernierte und besetzte Ringmauer der Stadt. Von da gingen ihre Verschanzungen bis in die Rue Rochechouart oder in die Gegend der Barrieren. Die Barrieren des Montmartre waren stark verteidigt, Montmartre war ganz von ihnen besetzt. Vierzig Kanonen, seit zwei l agen gegen sie donnernd, hatten sie noch nicht reduziert. Man schoß wieder den ganzen Tag mit 40 Kanonen auf diese Ver« schanzungen; endlich abends 6 Uhr wurden die zwei Barrikaden der Rue Rochechouart genommen und bald darauf fiel auch das Glos Saint Lazare. Auf dem Boulevard du Temple nahm die Mobilgarde morgens 10 Uhr mehrere Häuser, von wo aus die Insurgenten ihre Kugeln in die Reihen der Angreifer sandten. Die „Verteidiger der Ordnung" waren etwa bis zum Boulevard des Filles du Calvaire vorgerückt. Inzwischen wurden die Insurgenten im Faubourg du Temple immer höher hinaufgetrieben, der Kanal Saint Martin stellenweise besetzt und von hier sowie vom Boulevard aus die breiteren und geraden Straßen mit Artillerie stark beschossen. Der Kampf war ungemein heftig. Die Arbeiter wußten sehr gut, daß man sie hier im Herzen ihrer Stellung angreife. Sie verteidigten sich wie Rasende. Sie nahmen sogar Barrikaden wieder, aus denen man sie schon vertrieben hatte. Aber nach langem Kampfe wurden sie von der Übermacht der Zahl und der Waffen erdrückt. Eine Barrikade nach der andern fiel; bei Anbruch der Nacht war nicht nur das Faubourg du Temple, sondern auch vermittelst des Boulevards und
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des Kanals die Zugänge zum Faubourg Saint Antoine und mehrere Barrikaden in diesem Faubourg erobert. Am Hotel de Ville machte General Duvivier langsame aber gleichmäßige Fortschritte. Von den Quais aus kam er den Barrikaden der Rue Saint Antoine in die Flanken und beschoß zugleich die Insel St. Louis und die ehemalige Insel Louvier[131] mit schwerem Geschütz. Hier wurde ebenfalls ein sehr erbitterter Kampf geführt, über den jedoch die Details mangeln und von dem man nur weiß, daß um vier Uhr die Mairie des neunten Arrondissements nebst den umliegenden Straßen genommen, daß eine Barrikade der Rue Saint Antoine nach der andern erstürmt und die Brücke Damiette genommen wurde, die den Zugang auf die Ile Saint Louis bildete. Mit Anbruch der Nacht waren die Insurgenten hier überall vertrieben und alle Zugänge des Bastillenplatzes befreit. Damit waren die Insurgenten aus allen Teilen der Stadt geschlagen, mit Ausnahme des Faubourg Saint Antoine. Dies war ihre stärkste Stellung. Die vielen Zugänge dieses Faubourg, des eigentlichen Herdes aller Pariser Aufstände, waren mit besonderem Geschick gedeckt. Schräge, einander gegenseitig deckende Barrikaden, noch verstärkt durch das Kreuzfeuer der Häuser, boten eine furchtbare Angriffsfronte dar. Ihr Sturm würde eine unendliche Menge Leben gekostet haben. Vor diesen Schanzen lagerten sich die Bourgeois oder vielmehr ihre Knechte. Die Nationalgarde1-1181 hatte an diesem Tage wenig getan. Die Linie und die Mobilgarde111'-1 hatten die meiste Arbeit vollzogen; die Nationalgarde besetzte die ruhigen und eroberten Stadtteile. Am schlechtesten hat sich benommen die republikanische und die Mobilgarde. Die republikanische Garde[121], neu organisiert und epuriert wie sie war, schlug sich mit großer Erbitterung gegen die Arbeiter, an denen sie ihre Sporen als republikanische Munizipalgarde verdiente. Die Mobilgarde, die zum größten Teil aus dem Pariser Lumpenproletariat rekrutiert ist, hat sich in der kurzen Zeit ihres Bestehens vermittelst guter Zahlung schon sehr in eine prätorianische Garde1 der jedesmaligen Machthaber verwandelt. Das organisierte Lumpenproletariat hat dem nichtorganisierten arbeitenden Proletariat seine Schlacht geliefert. Es hat sich, wie zu erwarten war, der Bourgeoisie zur Verfügung gestellt, gerade wie die Lazzaroni in Neapel zur Verfügung Ferdinands2. Nur die Abteilungen der Mobilgarde, die aus wirklichen Arbeitern bestanden, gingen über. Aber wie verächtlich erscheint die ganze jetzige Wirtschaft in Paris,
1 Kaiserliche Leibwache im alten Rom - 2 siehe vorl. Band, S. 19-21
wenn man sieht, wie diese ehemaligen Bettler, Vagabunden, Gauner, Gamms1 und kleinen Diebe der Mobilgarde, die jeder Bourgeois im März und April als eine nicht länger zu duldende, spitzbübische, aller Verwerflichkeiten fähige Räuberbande bezeichnete, wenn diese Räuberbande jetzt gehätschelt, gepriesen, belohnt, dekoriert wird, weil diese „jungen Helden", j: v, !„,, J T c j: j Ultsc „1V1UUC1 VUU 1 ans , UC1CU i apiCIiVCll UiJLVClglCJLl.Ulldl 1ÖL, U.1C 1111L UC111 brillantesten Mute die Barrikaden erklettern usw. - weil diese gedankenlosen Barrikadenkämpfer des Februar jetzt ebenso gedankenlos auf das arbeitende Proletariat schießen, wie sie früher auf die Soldaten schössen, weil sie sich »r. l i »1 „ l 11 ] 1 "j. J 'p' Qi zur 1.Niedermetzciung inrer j_>ru*j.er uSucn uestecnen lassen mit ureiuig oous per Tag! Ehre diesen bestochenen Vagabunden, weil sie um dreißig Sous per Tag den besten, revolutionärsten Teil der Pariser Arbeiter niedergeschossen haben! Die Tapferkeit, mit der die Arbeiter sich geschlagen haben, ist wahrhaft wunderbar. Dreißig- bis vierzigtausend Arbeiter, die sich drei volle Tage halten gegen mehr als achtzigtausend Mann Soldaten und hunderttausend Mann Nationalgarde, gegen Kartätschen, Granaten und Brandraketen, gegen die noble Kriegserfahrung von Generälen, die sich nicht scheuen, algierische Mittel anzuwenden! Sie sind erdrückt und großenteils niedergemetzelt worden. Ihren Toten werden nicht die Ehren erwiesen werden, wie den Toten des Juli'16' und des Februar'1aber die Geschichte wird ihnen einen ganz andern Platz anweisen, den Opfern der ersten entscheidenden Feldschlacht des Proletariats.
Geschrieben von Friedrich Engels.
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Erste Seite der „Neuen Rheinischen Zeitung" Nr. 29 vom 29. Juni 1848 mit Karl Marx' Artikel „Die Junirevolution"

Die Junirevolution
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 29 vom 29. Juni 1848] ** Die Pariser Arbeiter sind erdrückt worden von der Übermacht, sie sind ihr nicht erlegen. Sie sind geschlagen, aber ihre Gegner sind besiegt. Der augenblickliche Triumph der brutalen Gewalt ist erkauft mit der Vernichtung aller Täuschungen und Einbildungen der Februarrevolution, mit der Auflösung der ganzen alt-republikanischen Partei, mit der Zerklüftung der französischen Nation in zwei Nationen, die Nation der Besitzer und die Nation der Arbeiter. Die trikolore Republik trägt nur mehr eine Farbe, die Farbe der Geschlagenen, die Farbe des Bluts. Sie ist zur roten Republik geworden. Keine republikanische Reputation, sei es vom '„National"^1323, sei es von der „Reforme "[133] auf Seite des Volks! Ohne andre Führer, ohne andre Mittel als die Empörung selbst, widerstand es der vereinigten Bourgeoisie und Soldateska länger, als je eine französische Dynastie, mit allem militärischen Apparat versehn, einer mit dem Volk vereinigten Fraktion der Bourgeoisie widerstand. Damit die letzte Illusion des Volks verschwinde, damit gänzlich mit der Vergangenheit gebrochen werde, mußte auch die gewohnte poetische Zutat der französischen Erneute, die enthusiastische Bourgeois jugend, die Zöglinge der ecole polytechnique1, die dreikrampigen Hüte auf der Seite der Unterdrücker stehn. Die Zöglinge der medizinischen Fakultät mußten den verwundeten Plebejern die Hülfe der Wissenschaft versagen. Die Wissenschaft existiert nicht für den Plebejer, der das unsagbare, das unsägliche Verbrechen beging, sich einmal für seine eigne Existenz in die Schanze zu schlagen, statt für Louis-Philippe oder für Herrn Marrast. Der letzte offizielle Rest der Februarrevolution, die exekutive Kommission1^134-1, ist vor dem Ernst der Ereignisse wie ein Nebelbild zerflossen.
Lamartines Leuchtkugeln haben sich verwandelt in die Brandraketen Cavaignacs. Die Fraternite, die Brüderlichkeit der entgegengesetzten Klassen, von denen die eine die andere exploitiert, diese Fraternite, im Februar proklamiert, mit großen Buchstaben auf die Stirne von Paris geschrieben, auf jedes Gefängnis, auf jede Kaserne - ihr wahrer, unverfälschter, ihr prosaischer Ausdruck, das ist der - Bürgerkrieg, der Bürgerkrieg in seiner fürchterlichsten Gestalt, der Krieg der Arbeit und des Kapitals. Diese Brüderlichkeit flammte vor allen Fenstern von Paris am Abend des 25. Juni, als das Paris der Bourgeoisie illuminierte, während das Paris des Proletariats verbrannte, verblutete, ver ächzte. Die Brüderlichkeit währte grade so lang, als das Interesse der Bourgeoisie mit dem Interesse des Proletariats verbrüdert war. Pedanten der alten revolutionären Überlieferung von 1793, sozialistische Systematiker, die bei der Bourgeoisie für das Volk bettelten und denen erlaubt wurde, lange Predigten zu halten und sich so lange zu kompromittieren, als der proletarische Löwe in Schlaf gelullt werden mußte, Republikaner, welche die ganze alte bürgerliche Ordnung mit Abzug des gekrönten Kopfes verlangten, dynastische Oppositionelle11351, denen der Zufall an die Stelle eines Ministerwechsels den Sturz einer Dynastie unterschob, Legitimisten[136], welche die Livree nicht abwerfen, sondern ihren Schnitt verändern wollten, das waren die Bundes« genossen, womit das Volk seinen Februar machte. Was es in Louis-Philippe instinktmäßig haßte, war nicht Louis-Philippe, sondern die gekrönte Herrschaft einer Klasse, das Kapital auf dem Throne. Aber wie immer großmütig, wähnt es seinen Feind vernichtet zu haben, nachdem es den Feind seiner Feinde, den gemeinschaftlichen Feind gestürzt hat. Die Februarrevolution war die schöne Revolution, die Revolution der allgemeinen Sympathie, weil die Gegensätze, die in ihr gegen das Königtum eklatierten, unentwickelt, einträchtig nebeneinander schlummerten, weil der soziale Kampf, der ihren Hintergrund bildete, nur eine luftige Existenz gewonnen hatte, die Existenz der Phrase, des Worts. Die Junirevolution ist die häßliche Revolution, die abstoßende Revolution, weil an die Stelle der Phrase die Sache getreten ist, weil die Republik das Haupt des Ungeheuers selbst entblößte, indem sie ihm die schirmende und versteckende Krone abschlug. Ordnung! war der Schlachtruf Guizots! Ordnung! schrie Sebastiani, der Guizotin, als Warschau russisch wurde. Ordnung! schreit Cavaignac, das brutale Echo der französischen Nationalversammlung und der republikanischen Bourgeoisie.
Ordnung! donnerten seine Kartätschen, als sie den Leib des Proletariats zerrissen. Keine der zahllosen Revolutionen der französischen Bourgeoisie seit 1789 war ein Attentat auf die Ordnung, denn sie ließ die Herrschaft der Klasse, sie ließ die Sklaverei der Arbeiter, sie ließ die bürgerliche Ordnung bestehen, sooft auch die politische Form dieser Herrschaft und dieser Sklaverei wechselte. Der Juni hat diese Ordnung angetastet. Wehe über den Juni! Unter der provisorischen Regierung war es Anstand und noch mehr, es war Notwendigkeit, den großmütigen Arbeitern, die, wie man in Tausend von offiziellen Plakaten abdrucken ließ, „drei Monat Elend zur Verfügung der Republik bereitstellten', es war Politik und Schwärmerei zugleich, ihnen vorzupredigen, die Februarrevolution sei in ihrem eigenen Interesse gemacht und es handle sich in der Februarrevolution vor allem um die Interessen der Arbeiter. Seit der Eröffnung der Nationalversammlung - wurde man prosaisch. Es handelte sich nur noch darum - die Arbeit auf ihre alten Bedingungen, wie der Minister Trelat sagte, zurückzuführen. Also die Arbeiter hatten sich im Februar geschlagen, um in eine industrielle Krise geworfen zu werden. Das Geschäft der Nationalversammlung besteht darin, den Februar ungeschehen zu machen, wenigstens für die Arbeiter, und sie in die alten Verhältnisse zurückzuwerfen. Aber selbst das geschah nicht, weil es so wenig in der Gewalt einer Versammlung wie eines Königs steht, einer industriellen Krise von universellem Charakter zuzurufen: bis hierhin! Die Nationalversammlung, im brutalen Eifer, zu enden mit den verdrießlichen Februarredensarten, ergriff selbst die Maßregeln nicht, die auf dem Boden der alten Verhältnisse möglich waren. Die Pariser Arbeiter von 17-25 Jahren preßt sie für die Armee oder wirft sie auf das Pflaster; die auswärtigen verweist sie aus Paris in die Sologne, ohne ihnen selbst die zum Laufpaß gehörigen Gelder auszuzahlen; den erwachsenen Parisern versichert sie provisorisch ein Gnadenbrot in militärisch organisierten Werkstätten, unter der Bedingung, daß sie an keiner Volksversammlung teilnehmen, d.h. unter der Bedingung, daß sie aufhören Republikaner zu sein. Nicht die sentimentale Rhetorik nach dem Februar reichte aus, nicht die brutale Legislatur nach dem 15.Mai[13']. Faktisch, praktisch mußte entschieden werden. Habt ihr Kanaillen die Februarrevolution für euch gemacht oder für uns? Die Bourgeoisie stellte die Frage so, daß sie den Juni beantwortet werden mußte - mit Kartätschen und Barrikaden. Und dennoch schlägt, wie ein Volksrepräsentant1 am 25. Juni sagt, der
Stupor die ganze Nationalversammlung. Sie ist betäubt, als Frage und Antwort das Pflaster von Paris in Blut ertränken, betäubt, die einen, weil ihre Illusionen im Pulverdampf zerrinnen, die andern, weil sie nicht begreifen, wie das Volk es wagen kann, seine allereigensten Interessen selbständig zu vertreten. Rassisches Geld, englisches Geld, der bonapartische Adler, die Lilie1, Amulette aller Art müssen dies sonderbare Ereignis ihrem Verstände vermitteln. Beide Teile der Versammlung aber fühlen, daß eine unermeßliche Kluft sie von dem Volke trennt. Keine wagt, sich für das Volk zu erheben. Sobald der Stupor vorüber ist, bricht die Raserei aus, und mit Recht zischt die Majorität jene elenden Utopisten und Heuchler aus, die den Anachronismus begehen, noch die Phrase Fraternite, Brüderlichkeit, im Mund zu führen. Es handelte sich ja eben um die Abschaffung dieser Phrase und der Illusionen, die ihr vieldeutiger Schoß verbirgt. Als Larochejaquelein, der Legitimist, der ritterliche Schwärmer, gegen die Infamie eiferte, mit der man „Vae victis! Weh den Besiegten!ausruft, gerät die Majorität der Versammlung in Veitstänze, als wäre sie von der Tarantel gestochen. Sie schreit Weh! über die Arbeiter, um zu verbergen, daß niemand anders der „Besiegte" ist als sie selbst. Entweder sie muß jetzt untergehen oder die Republik. Und darum heult sie krampfhaft: Es lebe die Republik!11291 Der tiefe Abgrund, der sich vor uns eröffnet hat. darf er die Demokraten irren, darf er uns wähnen lassen, die Kämpfe um die Staatsform seien inhaltlos, illusorisch, null? Nur schwache, feige Gemüter können die Frage aufwerfen. Die Kollisionen, welche aus den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft selbst hervorgehen, sie müssen durchkämpft, sie können nicht wegphantasiert werden. Die beste Staatsform ist die, worin die gesellschaftlichen Gegensätze nicht verwischt, nicht gewaltsam, also nur künstlich, also nur scheinbar gefesselt werden. Die beste Staatsform ist die, worin sie zum freien Kampf und damit zur Lösung kommen. Man wird uns fragen, ob wir keine Träne, keinen Seufzer, kein Wort für die Opfer haben, welche vor der Wut des Volkes fielen, für die Nationalgarde, die Mobilgarde, die republikanische Garde, die Linie? Der Staat wird ihre Witwen und Waisen pflegen, Dekrete werden sie verherrlichen, feierliche Leichenzüge werden ihre Reste zur Erde bestatten, die offizielle Presse wird sie unsterblich erklären, die europäische Reaktion wird ihnen huldigen vom Osten bis zum Westen.
1 Wappenzeichen des Königshauses der Bourbonen
Aber die Plebejer, vom Hunger zerrissen, von der Presse geschmäht, von den Ärzten verlassen, von den Honetten Diebe gescholten, Brandstifter, Galeerensklaven, ihre Weiber und Kinder in noch grenzenloseres Elend gestürzt, ihre besten Lebenden über die See deportiert - ihnen den Lorbeer um die drohend finstere Stirn zu winden, das ist das Vorrecht, das ist das Recht der demokratischen Presse.
Geschrieben von Karl Mars.
Die „Kölnische Zeitung" über die Junirevolution
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 31 vom 1. Juli 1848] ** Köln, 30.Juni. Man lese folgende Stellen aus dem „London Telegraph" und vergleiche damit, was die deutschen Liberalen, insonderheit Herr Brüggemann-Dumont et Wolfers über die Pariser Junirevolution zusammenschwatzen, und man wird eingestehen müssen, daß die englischen Bourgeois, von vielen andern Vorzügen abgesehen, wenigstens das vor den deutschen Spießbürgern voraushaben, daß sie große Ereignisse zwar vom Bourgeoisstandpunkte aus, übrigens aber als Männer beurteilen und nicht als Gassenuuuau Der „Telegraph" sagt in seiner Nr. 122:
„... Und hier wird man von uns erwarten, daß wir uns über Ursprung und Folgen dieses fürchterlichen Blutvergießens erklären. Von Anfang an stellt es sich als eine vollständige Schlacht zwischen zwei Klassen heraus11 (Ein Kaiserreich für einen solchen Gedanken, ruft innerlich die hehre „Kölnische" und ihr „Wolfers"). „Es ist ein Aufstand der Arbeiter gegen die Regierung, die sie selber geschaffen haben, und gegen die Klasse, von welcher die Regierung jetzt unterstützt wird. Wie der Streit unmittelbar entstand, ist weniger leicht auseinanderzusetzen, als die dauernden und immer gegenwärtigen Ursachen desselben anzugeben. Die Februarrevolution wurde hauptsächlich von den arbeitenden Klassen gemacht und man sprach es laut aus, daß sie zu ihrem Vorteil gemacht worden. Es ist nicht sowohl eine politische als eine soziale Revolution. Die Massen von mißvergnügten Arbeitern sind nicht mit einem Sprunge und mit allen Eigenschaften des Soldaten auf einmal begabt in die Welt getreten. Ebensowenig ist ihre Not und ihre Unzufriedenheit bloß die Frucht der Ereignisse der letzten vier Monate. Erst am Montag zitierten wir die vielleicht übertriebenen Angaben Herrn Leroux', der, ohne Widerspruch zu erfahren, in der Nationalversammlung anführte, daß es in Frankreich 8 Millionen Bettler und 4 Millionen Arbeiter gibt, die keinen sichern Verdienst haben. Er bezeichnete ausdrücklich die Zeit vor der Revolution und klagte eben, daß seit der Revolution gegen diese gewaltige Krankheit gar nichts
geschehen sei. Die Theorien des Sozialismus und Kommunismus, die in Frankreich herangereift waren und jetzt eine so große Gewalt auf die öffentliche Meinung ausüben, erwuchsen aus der furchtbar gedrückten Lage, in welcher sich unter Louis-Philippes Regierung die große Masse des Volkes befand. Die Hauptsache, die nicht aus dem Auge verloren werden darf, ist die unglückliche Lage der Masse; diese Lage ist die wirkliche lebendige Ursache der Revolution. In der Nationalversammlung wurde nun bald beschlossen, die Arbeiter derjenigen Vorteile zu berauben, welche ihnen von den Politikern der Revolution so voreilig und unüberlegt zugesprochen worden. In sozialer und selbst in politischer Beziehung lag eine gewaltige Reaktion klar am Tage. Die Gewalt, von einem großen Teile Frankreichs unterstützt, wurde aufgefordert, jene Menschen beiseite zu schaffen, von welchen besagte Gewalt ihr Dasein erhalten. Erst geschmeichelt und ernährt, dann geteilt und mit dem Hungertode bedroht, weggeschleppt in die Provinzen, wo alle ihre Arbeitsverbindungen vernichtet waren, und endlich der zur Vernichtung ihrer Gewalt beschlossene Plan: Kann sich da jemand über die Gereiztheit der Arbeiter wundern? Daß sie glaubten, eine zweite erfolgreichere Revolution zustande zu bringen, kann wahrlich niemanden überraschen. Und ihre Aussichten auf Erfolg gegenüber der bewaffneten Macht der Regierung erschienen nach der Dauer des bisherigen Widerstandes größer, als die meisten Leute sich einbildeten. Daraus, und daß keine politischen Leiter unter dem Volke entdeckt worden, sowie aus der Tatsache, daß die aus Paris fortgeschickten Arbeiter gleich hinter den Barrieren wieder umkehrten, geht hervor, daß der Aufstand die Folge eines allgemeinen Unwillens unter der arbeitenden Klasse und nicht das Werk politischer Agenten war. Sie halten dafür, daß ihr Interesse wieder von ihrer eigenen Regierung verraten worden. Sie haben jetzt, wie im Februar, die Waffen ergriffen, um gegen das schreckliche Elend anzukämpfen, dessen Opfer sie bereits so lange gewesen. Der jetzige Kampf ist nur eine Fortsetzung der Februarrevolution. Er ist eine Fortsetzung des durch ganz Europa gehenden Kampfes wegen gerechterer Verteilung der jährlichen Arbeitserzeugnisse. In Paris wird er jetzt wahrscheinlich bewältigt werden; denn die Gewalt, welche die neue Autorität von der alten ererbt, hat augenscheinlich das Obergewicht. Doch mag er auch noch so erfolgreich bewältigt werden, er wird sich immer und immer wieder erneuern, bis die Regierung entweder eine gerechtere Verteilung der jährlichen Arbeitsprodukte zustande bringt oder in der Unmöglichkeit, dies zu tun, von allen derartigen Versuchen absteht und die Entscheidung der freien Konkurrenz des Marktes überläßt... Die wirkliche Schlacht wird wegen ausreichender Subsistenzmittel geschlagen. Die Mittelklasse selbst ist ihrer Existenzmittel von jenen Politikern beraubt worden, welche die Leitung der Revolution übernahmen. Die Mittelklasse ist barbarischer geworden als die Arbeiter. Die gewaltigsten Leidenschaften sind auf beiden Seiten zu verderblicher Tätigkeit entflammt. Sie setzen alle Brüderlichkeit beiseite und liefern sich gegenseitig mörderische Schlachten. Die unwissende, wenn nicht böswillige Regierung, welche in dieser außerordentlichen Krisis keinen Begriff von ihrer Pflicht zu haben scheint, hat zuerst die Arbeiter gegen die Mittelklasse gehetzt und ist jetzt der letzteren behilflich, die getäuschten, betrogenen und nun wütend gewordenen Arbeiter von der Erde zu tilgen. Der Tadel wegen dieses großen Unheils darf nicht das Prinzip
der Revolution treffen, nicht den Entschluß, gegen Elend und Unterdrückung loszuschlagen. Er muß vielmehr gegen die gerichtet werden, welche in ihrer politischen Unwissenheit die von Louis-Philippe überkommenen Notzustände noch verschlimmerten." So schreibt ein Londoner Bourgeoisblatt über die Junirevolution, ein Blatt, das die Grundsätze eines Cobden, Bright etc. vertritt, das nach der „Times'1^ und dem „Northern Staru[122\ den zwei Despoten der englischen Presse, wie der „Manchester Guardian"1140^ sagt, das gelesenste Blatt in England ist. Man vergleiche Nr. 181 der „KölnischenZeitungU[l04^! Dieses merkwürdige Blatt verwandelt den Kampf zwischen zwei Klassen in den Kampf zwischen den Honetten und den Spitzbuben! Braves Blatt! Als wenn diese Epitheta von den zwei Klassen nicht wechselseitig zurückgeschleudert würden. Es ist dasselbe Blatt, das zuerst bei dem Gerücht des Juniaufstandes seine gänzliche Unwissenheit über den Charakter des Aufstandes gestand, dann sich von Paris aus schreiben lassen mußte, es handle sich um eine wichtige soziale Revolution, deren Umkreis nicht mit einer Niederlage erschöpft sei und schließlich, durch eine Niederlage der Arbeiter wieder gekräftigt, in dem Aufstand nichts sieht als den Kampf „der unermeßlichen Majorität" gegen eine „wilde Rotte" von „Kannibalen, Räubern und Mördern". Der römische Sklavenkrieg, was war er? Ein Krieg zwischen den Honetten und den Kannibalen! Herr Wolfers wird römische Geschichte schreiben und Herr Dumont-Brüggemann wird die Arbeiter. die «Unglücklichen", über ihre wahren Rechte und Pflichten aufklären, „sie in die Wissenschaft einweihen, weiche zur Ordnung führt, welche den wahren Bürger bildet"/ Es lebe die Wissenschaft Dumont-Brüggemann- Wolf er s, die Geheimwissenschaft! - Ein Beispiel dieser Geheimwissenschaft: Das wohllöbliche Triumvirat erzählt seinen gläubigen Lesern zwei Nummern hindurch, daß General Cavaignac das Viertel St. Antoine unterminieren wolle. Das Viertel St. Antoine ist zufällig etwas größer als die gute Stadt Köln. Aber das wissenschaftliche Triumvirat, das wir der deutschen Nationalversammlung zur Beherrschung von Deutschland anempfehlen, das Triumvirat Dumont-BrüggemannWolfers, siegt über diese Schwierigkeit, es versteht, die Stadt Köln durch eine Mine in die Luft zu sprengen! Seinen Vorstellungen über die Mine, welche das Faubourg St. Antoine in die Luft sprengt, entspricht die Vorstellung über die unterirdischen Gewalten, welche die moderne Gesellschaft unterminieren und das Paris vom Juni erbeben machten und Blutlava aus seinem Revolutionskrater heraufspien. Aber bestes Triumvirat! Großer Dumont-Brüggemann- Wolf ers, von der Welt der Annoncen proklamierte Größen! Annoncen-Cavaignacs! Wir haben bescheiden unser Haupt geneigt, geneigt vor der größten geschichtlichen
Krise, die je eklatiert hat: vor dem Klassenkampf der Bourgeoisie und des Proletariats. Wir haben die Tatsache nicht gemacht, wir haben sie konstatiert. Wir haben konstatiert, daß eine der Klassen die Besiegte ist, wie Cavaignac selbst sagt. Wir haben auf dem Grabe der Besiegten den Siegern „Weh!" zugerufen, und Cavaignac selbst schaudert zurück vor seiner geschichtlichen Verantwortlichkeit! Und die Nationalversammlung beschuldet jedes ihrer Mitglieder der Feigheit, das die fürchterliche geschichtliche Verantwortlichkeit nicht offen auf sich nimmt. Haben wir den Deutschen das Buch der Sibylle aufgeschlagen, damit sie es verbrennen? Wenn wir den Kampf der Chartisten[60] und der englischen Bourgeois schildern, fordern wir die Deutschen auf, Engländer zu werden? Aber Deutschland, undankbares Deutschland, du kennst zwar die „Kölnische Zeitung" und ihre Annoncen, aber du kennst die größten deiner Männer nicht, deinen Wolfers nicht, deinen Brüggemann, deinen Dumont! Wieviel Schweiß des Gehirns, Schweiß des Angesichtes, Blutschweiß ist vergossen im Kampf der Klassen, im Kampf von Freien und Sklaven, Patriziern und Plebejern, Grundherren und Leibeigenen, Kapitalisten und Arbeitern! Aber nur, weil es keine „Kölnische Zeitung" 'gab. Aber, allertapferstes Triumvirat, wenn die moderne Gesellschaft „Missetäter", „Kannibalen", „Mörder", „Plünderer" in solcher Masse mit solcher Energie erzeugt, daß ihre Erhebung die Grundfesten der offiziellen Gesellschaft erzittern macht, welche Gesellschaft! Welche alphabetisch geordnete Anarchie! Und du glaubst den Zwiespalt aufzuheben, du glaubst die Mitspieler, die Zuschauer des schrecklichen Dramas erhoben zu haben, indem du sie in die Kotzebuesche Bediententragödie[141] hinabziehst! Unter den Nationalgarden des Faubourg St. Antoine, St. Jacques, St. Marceau befanden sich nur 50, die dem Ruf der Bürgertrompete folgten - so meldet der Pariser „Moniteur", das Staatsblatt, das Blatt Ludwig XVI., Robespierres, Louis-Philippes und Marrast-Cavaignacs! Nichts einfacher für die Wissenschaft, die den Menschen zum wahren Bürger „bildet"! Die drei größten Faubourgs von Paris, die drei industriellsten Faubourgs, deren Muster die Mousseline von Dacca und den Sammet von Spitalfields erbleichen und verkohlen machten, sollen bewohnt sein von „Kannibalen", „Plünderern", „Räubern", „Missetätern". So sagt Wolfers! Und Wolfers ist ein ehrenwerter Mann![142] Er hat die Spitzbuben zu Ehren gebracht, indem er sie größere Schlachten und Kunstwerke liefern ließ, heldenmäßigere Taten vollbringen, als die Karls X., Louis-Philippes, Napoleons und der Spinner von Dacca und Spitalfields. Wir sprachen eben vom „Londoner Telegraph". Gestern haben unsere
Leser Emil Girardin gehört. Die Arbeiterklasse, sagt er, nachdem sie ihrem Schuldner, der Februarrevolution, einen Monat über Verfall Ausstand gegeben, sie, die Gläubigerin, sie klopfte an mit der Muskete, mit der Barrikade, mit dem eigenen Leib an das Haus des Schuldners! Aber Emil Girardin! Was ist er? Kein Anarchist! Bewahre Gott! Aber er ist ein Republikaner des folgenden Tages, ein Republikaner des Morgens (republicain du lendemain) und die „Kölnische Zeitung", ein Wolfers, ein Dumont, ein Brüggemann, sie alle sind Republikaner von vorgestern, Republikaner vor der Republik, Republikaner des Abends (republicains de la veille)! Emil Girardin, kann er zeugen neben Bumont? Wenn die Kölnerin dem Deportieren, dem Hängen die Schaden." freude des Deportierens, des Hängens hinzufügt, bewundert ihren Patriotismus! Sie will der Welt nur beweisen, der ungläubigen, stockblinden, deutschen Welt, daß die Republik mächtiger ist als die Monarchie, daß die republikanische Nationalversammlung vermochte mit Cavaignac und Marrast, was die konstitutionelle Deputiertenkammer nicht vermochte mit Thiers und Bugeaud! Vive la republique! Es lebe die Republik! ruft die Spartanerin, die Kölnerin aus über dem verblutenden, verächzenden, verbrennenden Paris. Die Kryptorepublikanerin! Darum wird sie als feig, als charakterlos verdächtigt von einem Gewinns, von einer Augsburgerinfi1^ Die Makellose! Die Kölnische Charlotte Corday! Bemerkt wohl, kein Pariser Blaii, nicht der „Moniieut", nicht die „Debatsa[iu\ nicht der „National"[U2i sprechen von „Kannibalenvon „Plünderern", von „Räubern', von „Mördern*. Es ist nur ein Blatt - das Blatt von Thiers, des Mannes, dessen Immoralität Jacobus Venedey in der „Kölnfischen] Zeitung" geißelte, des Mannes, gegen den die Kölnerin aus vollstem Hals
Sie sollen ihn nicht haben, Den freien deutschen RheW1451,
es ist das Blatt von Thiers, der „Constitutionner[146], aus dem die belgische „ Independance"tl25] schöpft und die rheinische Wissenschaft, verkörpert in Dumont-Brüggemann- Wolf ers! Und nun prüft mit einiger Kritik diese skandalösen Anekdoten, womit die „Kölnische Zeitung"1 die Erdrückten brandmarkt, dieselbe Zeitung, die beim Ausbruch des Kampfes erklärte, sie sei völlig unwissend über seinen Charakter, die während des Kampfes erklärte, es sei eine „wichtige soziale Revolution was nach dem Kampf ein Boxen von Gendarmen und Spitzbuben ist. Sie haben geplündert! Aber was? Waffen, Munition, Verband und die nötigsten Lebensmittel. An die Fensterläden schrieben die Spitzbuben: „Mort aux Voleurs!" Tod den Spitzbuben!
Sie haben „wie Kannibalen gemordet"/ Die Kannibalen, sie ließen nicht gutwillig von den Nationalgarden, die hinter den Linientruppen auf die Barrikaden drangen, ihren Verwundeten die Schädel einstoßen, ihre Übermannten erschießen, ihre Weiber erdolchen. Die Kannibalen, die in einem Vernichtungskyieg, wie ein französisches Bourgeoisblatt sagt, vernichteten! Sie haben gebrannt? Und doch ist die einzige Brandfackel, die sie den legitimen Brandraketen Cavaignacs entgegengeschleudert im 8. Arrondissement, nur eine poetische, eine erdichtete Fackel, wie der „Moniteur" bezeugt.
„Die einen", sagt Wolfers, „hielten das Programm des Barbes, Blanqui und Sobrier hoch empor, die andern ließen Napoleon oder Heinrich V. leben." Und die keusche Kölnerin, die weder von Napoleoniden noch von Blanquis schwanger geht, sie erklärte schon am zweiten Tage der Insurrektion, daß „im Namen der roten Republik gekämpft" werde. Was plaudert sie also von Prätendenten! Aber sie ist, wie schon angedeutet, eine verstockte Kryptorepublikanerin, und ein weiblicher Robespierre, wittert sie überall Prätendenten und erzittert ihre Moral vor den Prätendenten! „Fast alle waren mit Geld versehen und mehre mit beträchtlichen Summen." Es waren ihrer 30000 bis 40000 Arbeiter und „fast alle waren mit Geld versehen" in dieser Zeit der Not und der Geschäftsstockung! Das Geld war wahrscheinlich deshalb so rar, weil es die Arbeiter versteckt hatten! Mit der größten Gewissenhaftigkeit hat der Pariser „Moniteur" alle Fälle veröffentlicht, in denen Geld bei den Insurgenten konstatiert wurde. Diese Fälle beschränkten sich auf höchstens zwanzig. Die verschiedenen Blätter und Korrespondenzen wiederholen diese Fälle und geben die Summe verschieden an. Die „Kölnische Zeitung", von bewährtem kritischem Takt, die diese verschiedenen Erzählungen von den zwanzig Fällen als ebensoviel verschiedene Fälle nimmt und noch die gerüchtweise zirkulierenden hinzufügt, sie bekommt für den besten Fall vielleicht 200 heraus. Und das berechtigt sie zu sagen, daß fast alle, 30000 bis 40000, mit Geld versehn waren! Konstatiert ist bis jetzt bloß, daß legitimistische, bonapartistische und vielleicht philippistische Emissäre, mit Geld versehn, sich unter die Barrikadenkämpfer gemischt hatten und zu mischen beabsichtigten. Herr Payer, das höchst konservative Mitglied der Nationalversammlung, der 12 Stunden als Gefangener unter den Insurgenten verweilte, erklärt: Die meisten seien durch viermonatliches Elend zur Verzweiflung getriebene Arbeiter gewesen und hätten gesagt: Besser an einer Kugel sterben als am Hunger! „Viele, sehr viele Tote", versichert Wolfers, „trugen das verhängnisvolle Zeichen, mit welchem die Gesellschaft das Verbrechen brandmarkt."
Es ist dies eine der niederträchtigen Lügen, der schandbaren Verleumdungen, der Infamien, die Lamennais, der Gegner der Insurgenten, der Mann des „National", in seinem „Peuple constituant"[li7\ die der stets ritterliche Legitimist Larochejaquelain in der Nationalversammlung^1291 brandmarkt. Die ganze Lüge beruht auf der höchst unverbürgten, vom „Moniteur" nicht bestätigten Behauptung eines Korrespondenzbüros, man habe elf Leichen gefunden, die mit T. F.1 gezeichnet gewesen seien. Und in welcher Revolution fand man nicht diese elf Leichen? Und welche Revolution wird nicht elf mal 100 mit diesem Zeichen brandmarken? Bemerken wir wohl, die Journale, die Proklamationen, die Illuminationen der Sieger bezeugen, daß sie ausgehungert, zur Verzweiflung gejagt, gespießt, füsiliert, lebendig vermauert, deportiert, Leichen geschändet haben. Und gegen die Besiegten nur Anekdoten und nur vom „Constitutionner erzählte, von der „Independance" abgedruckte, von der „Kölnischen" ins Deutsche übertragene Anekdoten! Es gibt keine größere Beleidigung gegen die Wahrheit, als sie durch eine Anekdote beweisen wollen, sagt - Hegel. Vor den Häusern von Paris sitzen die Weiber und rupfen Charpie den Verwundeten, selbst den verwundeten Insurgenten. Die Redakteure der „Kölnischen Zeitung" gießen in ihre Wunden Schwefelsäure. Uns haben sie der bürgerlichen Polizei denunziert. Wir dagegen empfehlen den Arbeitern, den „Unglücklichen , über „ihre wahren Rechte und Pflichten sich aufklären, in die Wissenschaft sich einweihen zu lassen, welche zur Ordnung führt, welche den wahren Bürger bildet", bei dem unsterblichen Triumvirat - bei Dumont-Brüggemami- Wolfers,
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 Sträflingsbrandzeichen (travaux forc6s - Zwangsarbeit)
Die Junirevolution
[Der Verlauf des Aufstandes in Paris]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.31 vom I.Juli 1848] ** Allmählich kommt man dazu, die Junirevoiution zu überschauen; die Berichte vervollständigen sich, die Tatsachen lassen sich von den Gerüchten wie von den Lügen scheiden, der Charakter des Aufstandes tritt immer klarer hervor. Und je mehr es einem gelingt, die Ereignisse der vier Junitage in ihrem Zusammenhange zu erfassen, desto mehr erstaunt man über die kolossalen Dimensionen des Aufstandes, über den heroischen Mut, die rasch improvisierte Organisation, die Einstimmigkeit der Insurgenten. Der Schlachtplan der Arbeiter, der von Kersausie, einem Freunde Raspails und ehemaligem Offizier, gemacht sein soll, war folgender: Die Insurgenten rückten in vier Kolonnen in konzentrischer Bewegung auf das Stadthaus zu. Die erste Kolonne, deren Operationsbasis die Vorstädte Montmartre, La Chapelle und La Villette waren, rückte von den Barrieren Poissonniere, Rochechouart, St. Denis und La Villette nach Süden, besetzte die Boulevards und näherte sich dem Stadthause durch die Straßen Montorgueil, St. Denis und St. Martin. Die zweite Kolonne, deren Basis die fast ganz von Arbeitern bewohnten und durch den Kanal St. Martin gedeckten Faubourgs du Temple und St. Antoine waren, rückte durch die Straßen du Temple und St. Antoine und über die Quais des nördlichen Seineufers sowie durch alle Parallelstraßen der dazwischenliegenden Stadtviertel auf dasselbe Zentrum vor. Die dritte Kolonne, mit dem Faubourg St. Marceau, rückte vor durch die Straße St. Victor und die Quais des südlichen Seineufers auf die Insel der Cite. Die vierte Kolonne, gestützt auf das Faubourg St. Jacques und die Gegend der medizinischen Schule, rückte vor durch die Straße Saint Jacques ebenfalls auf die Cite. Von hier aus drangen beide Kolonnen vereinigt durch das rechte Seineufer und nahmen das Stadthaus im Rücken und in der Flanke.
10 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Der Plan stützte sich demnach mit Recht auf die ausschließlich von Arbeitern bewohnten Stadtteile, die die ganze östliche Hälfte von Paris in einem Halbkreis umgeben und je breiter werden, desto mehr man nach Osten kommt. Der Osten von Paris sollte erst von allen Feinden gesäubert werden, und dann wollte man auf beiden Seineufern gegen den Westen und dessen Zentren, die Tuilerien und die Nationalversammlung, rücken. Diese Kolonnen sollten von einer Menge fliegender Korps unterstützt werden, die neben und zwischen ihnen auf eigne Faust operierten, Barrikaden aufwarfen, die kleinen Straßen besetzten und die Verbindungen aufrechterhielten. Für den Fall eines Rückzugs waren die Operationsbasen stark verschanzt und kunstgerecht in furchtbare Festungen verwandelt; so das Glos St. Lazare, so das Faubourg und das Quartier St. Antoine und das Faubourg St. Jacques. Wenn dieser Plan einen Fehler hatte, so war es der, daß er die westliche Hälfte von Paris für den Anfang der Operationen ganz unberücksichtigt ließ. Hier liegen, zu beiden Seiten der Straße St. Honore, an den Hallen und am Palais National mehrere zu Erneuten vorzüglich geeignete Viertel, die sehr enge und krumme Straßen haben und vorwiegend von Arbeitern bewohnt sind. Es war wichtig, hier einen fünften Herd der Insurrektion anzulegen und dadurch sowohl das Stadthaus abzuschneiden wie auch eine große Truppen
maepß an rlioeam trArenrincf^r^pn RnlltArprl1 nm Kpcrkn^ioron .Qina rißn IILWSÖV W4A WÄVOW.I WVÖV.LWL V«» < Aufstandes hing davon ab, daß man so bald wie möglich ins Zentrum von Paris vordrang, daß man die Eroberung des Stadthauses sicherstellte. Wir können nicht wissen, inwiefern es für Kersausie unmöglich war, hier die Insurrektion zu organisieren. Es ist aber eine Tatsache, daß noch nie ein Aufstand durchgedrungen ist, der sich nicht von vornherein dieses Zentrums von Paris, das an die Tuilerien stößt, zu bemächtigen wußte. Wir erinnern nur an den Aufstand beim Begräbnis des Generals Lamarque[148], der ebenfalls bis zur Straße Montorgueil vordrang, dann aber wieder zurückgedrängt wurde. Die Insurgenten rückten nach ihrem Plane vor. Sie begannen gleich durch zwei Hauptwerke ihr Terrain, das Paris der Arbeiter, yon dem Paris der Bourgeois zu scheiden: durch die Barrikaden der Porte Saint Denis und die der Cite. Aus ersteren wurden sie verdrängt, die letzteren behaupteten sie. Der erste Tag, der 23., war ein bloßes Vorspiel. Der Plan der Insurgenten trat schon klar hervor (wie ihn die „Neue Rhfeinische] Z[ei]t[un]g"auch von Anfang an ganz richtig aufgefaßt hat, s. Nr.26, Extrabeilage1), namentlich nach den
ersten Vorpostengefechten des Morgens. Der Boulevard St. Martin, der die Operationslinie der ersten Kolonne durchkreuzt, wurde der Schauplatz heftiger Kämpfe, die hier mit dem teilweise durch die Lokalität bedingten Siege der „Ordnung" endigten. Die Zugänge der Cite wurden abgeschnitten, rechts durch ein fliegendes Korps, das in der Straße Planche-Mibray sich festsetzte, links durch die dritte und vierte Kolonne, die die drei südlichen Brücken der Cite besetzten und befestigten. Hier entspann sich ebenfalls ein sehr heftiger Kampf. Es gelang der „Ordnung", sich der Brücke St. Michel zu bemächtigen und bis zur Straße St. Jacques vorzudringen. Bis zum Abend, schmeichelte sie sich, war die Erneute unterdrückt. Wenn der Plan der Insurgenten schon deutlich hervorgetreten war, so war es der der „Ordnung" mehr. Ihr Plan bestand vorderhand nur darin, die Insurrektion mit allen Mitteln zu unterdrücken. Diese Absicht kündigte sie den Insurgenten mit Kanonenkugeln und Kartätschen an. Aber die Regierung glaubte, eine rohe Bande gewöhnlicher, planlos wirkender Emeutiers1 gegenüber zu haben. Nachdem sie bis gegen Abend die Hauptstraßen frei gemacht hatten, erklärte sie, die Erneute sei besiegt, und besetzte die eroberten Stadtteile nur höchst nachlässig mit Truppen. Die Insurgenten wußten diese Nachlässigkeit vortrefflich zu benutzen, um nach den Vorpostengefechten vom 23. die große Schlacht einzuleiten. Es ist überhaupt wunderbar, wie rasch die Arbeiter sich den Operationsplan aneigneten, wie gleichmäßig sie einander in die Hände arbeiteten, wie geschickt sie das so verwickelte Terrain zu benutzen wußten. Dies wäre rein unerklärlich, wenn nicht die Arbeiter schon in den Nationalwerkstätten11151 ziemlich militärisch organisiert und in Kompanien eingeteilt gewesen wären, so daß sie ihre industrielle Organisation nur auf ihre kriegerische Tätigkeit zu übertragen brauchten, um sogleich eine vollständig gegliederte Armee zu bilden. Am Morgen des 24. war das verlorene Terrain nicht nur gänzlich wieder besetzt, sondern noch neues hinzugenommen. Die Linie der Boulevards bis zum Boulevard du Temple blieb freilich von den Truppen besetzt und damit die erste Kolonne vom Zentrum abgeschnitten; dafür aber drang die zweite Kolonne vom Quartier St. Antoine vor, bis sie das Stadthaus fast umzingelt hatte. Sie schlug ihr Hauptquartier in der Kirche St. Gervais auf, 300 Schritt vom Stadthaus, sie eroberte das Kloster St. Merry und die umliegenden Straßen; sie drang bis weit über das Stadthaus hinaus und schnitt dieses, in Ver
1 Unruhestifter
bindung mit den Kolonnen der Cite, fast gänzlich ab. Nur ein Zugang blieb offen: die Quais des rechten Ufers. Im Süden war das Faubourg St. Jacques wieder gänzlich besetzt, die Verbindungen mit der Cite hergestellt, die Cite verstärkt und der Ubergang aufs rechte Ufer vorbereitet. Da war allerdings keine Zeit mehr zu verlieren; das Stadthaus, das revoiuticnärc Zcntiifiirn von Psnsj W3T j^sdxolrt und m1 ÜFITA FALLEN (IIP entschiedensten Maßregeln ergriffen wurden.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.32 vom 2. Juli 1848] **Die erschrockene Nationalversammlung ernannte Cavaignac zum Diktator11271, und dieser, von Algier her an „energisches" Einschreiten gewöhnt, wußte was zu tun war. Sofort rückten 10 Bataillone den breiten Quai de FEcole entlang nach dem Stadthause zu. Sie schnitten die Verbindungen der Insurgenten der Cite mit dem rechten Ufer ab, stellten das Stadthaus sicher und erlaubten sogar Angriffe auf die Barrikaden, die das Stadthaus umgaben. Die Straße Planche-Mibray und ihre Verlängerung, die Straße Saint Maitin, wurde gereinigt und durch Kavallerie fortwährend rein gehalten. Die gegenüberliegende Brücke Notre-Dame, die nach der Cite führt, wurde durch schweres Geschütz geregt, und nun rückte Cavaignac direkt auf die Cite los, um dort „energisch" zu verfahren. Der Hauptposten der Insurgenten, die „Belle Jardiniere"1, wurde erst durch Kanonenkugeln zerschossen, dann durch Raketen in Brand gesteckt; die Rue de la Cite wurde ebenfalls durch Kanonenkugeln erobert; drei Brücken nach dem linken Ufer wurden mit Sturm genommen und die Insurgenten auf dem linken Ufer entschieden zurückgedrängt. Inzwischen befreiten die 14 Bataillone, die auf dem Greveplatz und den Quais standen, das schon belagerte Stadthaus, und die Kirche Saint Gervais wurde aus einem Hauptquartier auf einen verlornen Vorposten der Insurgenten reduziert. Die Straße St. Jacques wurde nicht nur von der Cite her mit Artillerie angegriffen, sondern auch vom linken Ufer her in die Flanke genommen. Der General Damesme drang längs dem Luxembourg nach der Sorbonne vor, eroberte das Lateinische Viertel und sandte seine Kolonnen gegen das Pantheon. Der Platz des Pantheons war in eine furchtbare Festung verwandelt. Die Straße St. Jacques war längst genommen, als die „Ordnung" hier immer noch ein unangreifbares Bollwerk fand. Kanonen und Bajonettangriffe waren
1 „Schöne Gärtnerin", bekanntes Kleiderhaus
vergebens gewesen, als endlich Ermüdung, Mangel an Munition und die von den Bourgeois angedrohte Brandstiftung die von allen Seiten umringten 1500 Arbeiter zwangen, sich zu ergeben. Um dieselbe Zeit fiel der Platz Maubert nach langer, tapfrer Gegenwehr in die Hände der „Ordnung", und die Insurgenten, aus ihren festesten Positionen verdrängt, wurden genötigt, das ganze linke Seineufer aufzugeben. Inzwischen wurde die Stellung der Truppen und Nationalgarden auf den Boulevards des rechten Seineufers ebenfalls benutzt, um nach beiden Seiten hin zu wirken. Lamoriciere, der hier kommandierte, ließ die Straßen der Faubourgs St. Denis und St. Martin, den Boulevard du Temple und die halbe Templestraße durch schweres Geschütz und durch rasche Truppenangriffe fegen. Er konnte sich rühmen, bis abends glänzende Erfolge erkämpft zu haben: Er hatte die erste Kolonne im Clos St. Lazare abgeschnitten und zur Hälfte umzingelt, die zweite zurückgedrängt und durch sein Vordringen auf den Boulevards einen Keil in sie hineingetrieben. Wodurch hatte Cavaignac diese Vorteile erobert? Erstens durch die ungeheure Ubermacht, die er gegen die Insurgenten entwickeln konnte. Er hatte am 24. nicht nur die 20000 Mann Garnison von Paris, die 20000 bis 25000 Mann Mobilgarde und die 60000 bis 80000 Mann disponible Nationalgarde zu seiner Verfügung, sondern auch die Nationalgarde der ganzen Umgegend von Paris und mancher entfernteren Stadt (20000 bis 30000 Mann), und ferner 20000 bis 30000 Mann Truppen, die aus den umliegenden Garnisonen schleunigst herbeigerufen waren. Am 24. morgens standen ihm schon weit über 100000 Mann zur Verfügung, die bis abends sich noch um die Hälfte vermehrten. Und die Insurgenten waren höchstens 40000 bis 50000 Mann stark! Zweitens durch die brutalen Mittel, die er anwandte. Bisher war nur einmal in den Straßen von Paris mit Kanonen geschossen worden - im Vendemiaire 1795, als Napoleon die Insurgenten in der Rue Saint Honore mit Kartätschen auseinanderjagte/1491 Aber gegen Barrikaden, gegen Häuser war noch nie Artillerie angewandt und noch viel weniger Granaten und Brandraketen. Das Volk war noch nicht darauf vorbereitet; es war wehrlos dagegen, und das einzige Gegenmittel, das Brennen, widerstrebte seinem noblen Gefühl. Das Volk hatte bisher keine Ahnung von solch einer algierschen Kriegführung mitten in Paris gehabt. Darum wich es zurück, und sein erstes Zurückweichen entschied seine Niederlage. Am 25. rückte Cavaignac mit noch weit größeren Kräften vor. Die Insurgenten waren auf ein einziges Viertel beschränkt, auf die Faubourgs Saint Antoine und du Temple; außerdem besaßen sie noch zwei vorgeschobne
Posten, das Glos St. Lazare und einen Teil des Viertels St. Antoine bis zur Brücke von Damiette. Cavaignac, der wieder 20000 bis 30000 Mann Verstärkungen nebst bedeutenden Artillerieparks an sich gezogen hatte, ließ zuerst die abgesonderten Vorposten der Insurgenten angreifen, namentlich das Glos St. Lazare. Hier waren die Insurgenten wie in einer Zitadelle verschanzt. Nach zwölfstündigem Kanonieren und Granatenwerfen gelang es Lamoriciere endlich, die Insurgenten aus ihren Stellungen zu vertreiben und das Glos zu besetzen; es gelang ihm jedoch erst, nachdem er einen Flankenangriff von den Straßen Rochechouart und Poissonniere her möglich gemacht und nachdem er die Barrikaden den ersten Tag mit 40, den zweiten mit noch mehr Geschützen hatte zusammenschießen lassen. Ein andrer Teil seiner Kolonne drang durch das Faubourg Saint Martin in das Faubourg du Temple, erreichte aber keinen großen Erfolg; ein dritter rückte die Boulevards hinunter nach der Bastille zu, kam aber ebenfalls nicht weit, da hier eine Reihe der furchtbarsten Barrikaden erst nach langem Widerstand einer heftigen Kanonade erlag. Hier wurden die Häuser furchtbar zerstört. Die Kolonne Duviviers, die vom Stadthause her angriff, trieb die Insurgenten unter fortwährendem Kanonenfeuer immer weiter zurück. Die Kirche St. Gervais wurde genommen, die Straße Saint Antoine bis weit vom Stadthause gesäubert und durch mehrere den Quai und seine Parallelstraßen entlangrückende Kolonnen wurde die Brücke Damiette genommen, vermittelst welcher die Insurgenten des Viertels St. Antoine sich an die der Inseln St. Louis und Cite anlehnten. Das Viertel Saint Antoine war flankiert, und den Insurgenten blieb nur noch der Rückzug ins Faubourg, den sie unter heftigen Gefechten mit einer über die Quais bis zur Mündung des Kanals St. Martin und von da längs dem Kanal auf dem Boulevard Bourdon vorrückenden Kolonne bewerkstelligten. Einige wenige Abgeschnittene wurden massakriert, nur wenige wurden als Gefangene eingebracht. Durch diese Operation war das Viertel St. Antoine und der Bastillenplatz erobert. Gegen Abend gelang es der Kolonne Lamoricieres, den Boulevard Beaumarchais ganz zu erobern und auf dem Bastillenplatze ihre Vereinigung mit den Truppen Duviviers zu bewerkstelligen. Die Eroberung der Brücke von Damiette erlaubte Duvivier, die Insurgenten von der Insel St. Louis und der ehemaligen Insel Louvier[131] zu vertreiben. Er tat dies mit einem anerkennenswerten Aufwand von algierischer Barbarei. In wenig Stadtteilen wurde das schwere Geschütz mit so verwüstendem Erfolg angewandt wie gerade auf der Insel St. Louis. Doch was machte
das? Die Insurgenten waren vertrieben oder massakriert, und die „Ordnung" triumphierte unter den blutbefleckten Trümmern. Auf dem linken Seineufer war noch ein Posten zu erobern. Die Austerlitzer Brücke, die östlich vom Kanal St. Martin das Faubourg St. Antoine mit dem linken Seineufer verbindet, war stark verbarrikadiert und auf dem linken Ufer, wo sie auf dem Platz Valhubert vor dem Pflanzengarten mündet, mit einem starken Brückenkopf versehen. Dieser Brückenkopf, nach dem Fall des Pantheons und des Platzes Maubert die letzte Schanze der Insurgenten auf dem linken Ufer, wurde nach hartnäckiger Verteidigung genommen. Für den nächsten Tag, den 26., bleibt den Insurgenten also nur ihre letzte Festung, das Faubourg St. Antoine und ein Teil des Faubourgs du Temple. Beide Faubourgs sind nicht sehr zu Straßenkämpfen geeignet; sie haben ziemlich breite und fast ganz grade Straßen, die der Artillerie einen trefflichen Spielraum lassen. Von der westlichen Seite sind sie durch den Kanal St. Martin vortrefflich gedeckt, von der nördlichen dagegen ganz offen. Hier gehen fünf bis sechs ganz grade und breite Straßen mitten ins Herz des Faubourg Saint Antoine hinab. Die Hauptbefestigungen waren am Bastillenplatz und in der wichtigsten Straße des ganzen Viertels, der Straße des Faubourg St. Antoine, angebracht. Barrikaden von merkwürdiger Stärke waren hier errichtet, teils von den großen Pflasterquadern gemauert, teils von Balken zusammengezimmert. Sie bildeten einen Winkel nach innen zu, teils um die Wirkung der Kanonenkugeln zu schwächen, teils um eine größere, ein Kreuzfeuer eröffnende Verteidigungsfront darzubieten. In den Häusern waren die Brandmauern durchbrochen und so jedesmal eine ganze Reihe in Verbindung miteinander gesetzt, so daß die Insurgenten nach dem Bedürfnis des Augenblicks ein Tirailleurf euer auf die Truppen eröffnen oder sich hinter ihre Barrikaden zurückziehen konnten. Die Brücken und Quais am Kanal sowie die Parallelstraßen des Kanals waren ebenfalls stark verschanzt. Kurz, die beiden noch besetzten Faubourgs glichen einer vollständigen Festung, in der die Truppen jeden Zollbreit Landes blutig erkämpfen mußten. Am 26. morgens sollte der Kampf von neuem beginnen. Cavaignac hatte aber wenig Lust, seine Truppen in dieses Gewirre von Barrikaden hineinzuschicken. Er drohte mit einem Bombardement. Die Mörser und Haubitzen waren aufgefahren. Man unterhandelte. Währenddessen ließ Cavaignac die nächsten Häuser unterminieren -was freilich wegen der Kürze der Zeit und wegen des eine der Angriffslinien deckenden Kanals nur in sehr beschränktem Maße geschehen konnte - und von den schon besetzten Häusern aus
ebenfalls innere Kommunikationen mit den anstoßenden Häusern durch Offnungen in den Brandmauern herstellen. Die Unterhandlungen zerschlugen sich; der Kampf begann wieder. Cavaignac ließ den General Perrot vom Faubourg du Temple her, den General Lamoriciere vom Bastillenplatz her angreifen. Auf beiden Punkten wurde stark gegen die Barrikaden kanoniert. Perrot drang ziemlich rasch vor, nahm den Rest des Faubourgs du Temple und kam an einigen Stellen sogar bis ins Faubourg St. Antoine. Lamoriciere kam langsamer vorwärts. Seinen Kanonen widerstanden die ersten Barrikaden, obwohl die ersten Häuser der Vorstadt durch seine Granaten in Brand geschossen wurden. Er unterhandelte nochmals. Mit der Uhr in der Hand wartet er auf die Minute, wo er das Vergnügen haben wird, das bevölkertste Viertel von Paris in Grund und Boden zu schießen. Da endlich kapituliert ein Teil der Insurgenten, während der andere, in seinen Flanken angegriffen, sich nach kurzem Kampf aus der Stadt zurückzieht. Das war das Ende des Barrikadenkampfes vom Juni. Draußen vor der Stadt fielen noch Tirailleurgefechte vor, die aber ohne alle Bedeutung waren. Die flüchtigen Insurgenten wurden in der Umgegend versprengt und werden von Kavallerie einzeln eingefangen. Wir haben diese rein militärische Darstellung des Kampfes gegeben, um unsern Lesern zu beweisen, mit welcher heldenmütigen Tapferkeit, mit welcher Ubereinstimmung, mit welcher Disziplin und welchem militärischen Geschick die Pariser Arbeiter sich schlugen. Ihrer 40000 schlugen sich vier Tage lang gegen eine vierfache Ubermacht, und nur ein Haar fehlte, so waren sie Sieger. Nur ein Haar und sie faßten Fuß im Zentrum von Paris, sie nahmen das Stadthaus, sie setzten eine provisorische Regierung ein und verdoppelten ihre Anzahl, sowohl aus den eroberten Stadtteilen wie aus den Mobilgarden, die damals nur eines Anstoßes bedurften, um überzugehn. Deutsche Blätter behaupten, dies sei die entscheidende Schlacht zwischen der roten und der trikoloren Republik, zwischen Arbeitern und Bourgeois gewesen. Wir sind überzeugt, daß diese Schlacht nichts entscheidet als den Zerfall der Sieger in sich selbst. Im übrigen beweist der Verlauf der ganzen Sache, daß die Arbeiter in gar nicht langer Frist siegen müssen, selbst wenn wir die Sache rein militärisch betrachten. Wenn 40000 Pariser Arbeiter schon so Gewaltiges ausrichteten gegen die vierfache Überzahl, was wird erst die Gesamtmasse der Pariser Arbeiter zustande bringen, wenn sie einstimmig und im Zusammenhange wirkt! Kersausie ist gefangen und in diesem Augenblick wohl schon erschossen. Erschießen können ihn die Bourgeois, aber ihm nicht den Ruhm nehmen,
daß er zuerst den Straßenkampf organisiert hat. Erschießen können sie ihn, aber keine Macht der Erde wird verhindern, daß seine Erfindungen in Zukunft bei allen Straßenkämpfen benutzt werden. Erschießen können sie ihn, aber nicht verhindern, daß sein Name als der des ersten Barrikadenfeldherrn in der Geschichte fortdauert.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Auswärtige deutsche Politik
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 33 vom 3. Juli 1848] + Köln, 2. Juli. Die Völker aneinander zu hetzen, das eine zur Unterdrückung des andern zu benutzen und so für die Fortdauer der absoluten Herrschermacht zu sorgen - das war die Kunst und das Werk der bisherigen Gewalthaber und ihrer Diplomaten. Deutschland hat sich in dieser Hinsicht ausgezeichnet. Es hat, um nur die letzten 70 Jahre ins Auge zu fassen, seine Landsknechte für englisches Gold den Briten gegen die für ihre Unabhängigkeit kämpfenden Nordamerikaner überliefert; als die erste französische Revoi..*.; — i :_ ^n. iULioii lubuiäui, waicii co aua mais u.ic x^culs^iich, vxic sicu wie eine lOlie Meute gegen die Franzosen hetzen ließen, die mit einem brutalen Manifeste des Herzogs von Braunschweigtl50] ganz Paris bis auf den letzten Stein zu schleifen drohten, die sich mit den ausgewanderten Adligen gegen die neue Ordnung in Frankreich verschworen und sich dafür von England unter dem Titel von Subsidien bezahlen ließen. Als die Holländer während der letzten zwei Jahrhunderte einen einzigen vernünftigen Gedanken faßten, der tollen Wirtschaft des Hauses Oranien ein Ende und ihr Land zur Republik zu machen11513, waren es wiederum Deutsche, die als die Scharfrichter der Freiheit auftraten. Die Schweiz weiß ebenfalls ein Lied zu singen von deutscher Nachbarschaft, und Ungarn wird sich nur langsam von dem Schaden erholen, den ihnen Ostreich, der deutsche Kaiserhof, zugefügt. Ja, bis nach Griechenland hin entsandte man deutsche Söldnerscharen, die dem lieben Otto[152] sein Thrönchen stützen mußten, und bis nach Portugal deutsche Polizisten. Und die Kongresse nach 1815, Ostreichs Züge nach Neapel, Turin, der Romagna, Ypsilantis Haft, Frankreichs Unterdrückungskrieg gegen Spanien von Deutschland erzwungen[153], Dom Miguel[154], Don Carlos[155] von Deutschland unterstützt - dje Reaktion in England mit hannoverschen Truppen bewaffnet, Belgien durch deutschen Einfluß zerstückelt und thermidorisiert,
im tiefesten Innern von Rußland Deutsche die Hauptstützen des einen und der kleinen Autokraten - ganz Europa mit Coburgern überschwemmt! Mit Hülfe deutscher Soldateska Polen beraubt, zerstückelt, Krakau gemeuchelt^. Mit Hülfe deutschen Geldes und Blutes die Lombardei und Venedig geknechtet und ausgesogen, mittel- oder unmittelbar in ganz Italien jede Freiheitsbewegung durch Bajonett, Galgen, Kerker und Galeeren erstickt.1 Das Sündenregister ist viel länger; schlagen wir es zu. Die Schuld der mit Deutschlands Hülfe in andern Ländern verübten Niederträchtigkeiten fällt nicht allein den Regierungen, sondern zu einem großen Teil dem deutschen Volke selbst zur Last. Ohne seine Verblendungen, seinen Sklavensinn, seine Anstelligkeit als Landsknechte und als „gemütliche" Büttel und Werkzeuge der Herren „von Gottes Gnaden" wäre der deutsche Name weniger gehaßt, verflucht, verachtet im Auslande, wären die von Deutschland aus unterdrückten Völker längst zu einem normalen Zustand freier Entwicklung gelangt. Jetzt, wo die Deutschen das eigene Joch abschütteln, muß sich auch ihre ganze Politik dem Auslande gegenüber ändern, oder in den Fesseln, womit wir fremde Völker umketten, nehmen wir unsere eigene junge, fast nur erst geahnte Freiheit gefangen. Deutschland macht sich in demselben Maß frei, worin es die Nachbarvölker freiläßt. In der Tat wird es endlich lichter. Die Lügen und Verdrehungen, von den alten Regierungsorganen gegen Polen und Italien so emsig verbreitet, die Versuche, einen künstlichen Haß aufzuregen, jene hochtrabenden Redensarten, um die deutsche Ehre handle es sich, um die deutsche Macht - die Kraft dieser Zauberformeln ist gebrochen. Nur wo das materielle Interesse sich verbirgt unter diese patriotischen Arabesken, nur bei einem Teil der großen Bourgeoisie, die mit diesem offiziellen Patriotismus Geschäfte macht, macht der offizielle Patriotismus noch Geschäfte. Das weiß und benutzt die reaktionäre Partei. Die gfoße Masse des deutschen Mittelstandes aber und der Arbeiterklasse begreift oder fühlt in der Freiheit der benachbarten Völker die Garantie der eignen Freiheit. Ostreichs Krieg gegen Italiens Selbständigkeit, Preußens Krieg gegen Polens Wiederhergestaltung — sind sie populär oder verrauchen nicht vielmehr die letzten Illusionen über diese „patriotischen" Kreuzfahrten? Doch weder diese Einsicht genügt, noch dies Gefühl. Soll Deutschlands Blut und Geld nicht länger gegen seinen eigenen Vorteil zur Unterdrückung anderer Nationalitäten vergeudet werden, so müssen wir eine wirkliche Volksregierung erringen, das alte Gebäude muß bis auf seine Grundmauern weggeräumt werden. Erst dann kann die blutig-feige Politik des
alten, des wieder erneuten Systems Platz machen der internationalen Politik der Demokratie. Wie wollt ihr demokratisch auftreten nach außen, solange die Demokratie im Inland geknebelt ist? Unterdes muß dies- und jenseits der Alpen alles geschehn, um das demokratische System auf alle Weise vorzubereiten. Die Italiener lassen es nicht an Erklärungen fehlen, aus denen ihre freundlichen Gesinnungen gegen Deutschland hervorleuchten. Wir erinnern hier an das Manifest der provisorischen Regierung zu Mailand an das deutsche Volk[156] und an die vielfachen, in demselben Geiste gehaltenen Artikel der italienischen Presse. Wir haben ein neues Zeugnis jener Gesinnungen vor unsern Augen, ein Privatschreiben des Verwaltungsausschusses der in Florenz erscheinenden Zeitung „L'Alba" an die Redaktion der „Neuen Rheinischen Zeitung". Es ist vom 20. Juni datiert und lautet unter anderem:
Wir danken Euch herzlich für die Achtung, welche Ihr gegen unser armes Italien hegt.1 Indem wir Euch aufrichtig versichern, daß die Italiener sämtlich wissen, wer eigentlich ihre Freiheit antastet und bekämpft, und daß ihr tödlichster Feind nicht sowohl das mächtige und hochherzige deutsche Volk als vielmehr die despotische, ungerechte und grausame Regierung desselben ist; indem wir Euch versichern, daß jeder wahre Italiener nach dem Augenblick schmachtet, wo er frei dem deutschen Bruder wird die Hand reichen können, welcher, wenn einmal seine unverjährbaren Rechte festgestellt sind, sie zu verteidigen und sie selbst zu achten, wie ihnen bei allen seinen Brüdern Achtung zu verschaffen wissen wird. Indem wir in die Prinzipien Vertrauen setzen, deren sorgfältige Entwickelung Ihr Euch zur Aufgabe macht, unterzeichnen wir hochachtungsvoll Eure ergebenen Freunde und Brüder (gez.) L.Alinari" Die „Alba" ist eines der wenigen Blätter in Italien, das entschieden demokratische Prinzipien vertritt.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Marrast und Thiers
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.33 vom 3. Juli 1848] * Die Leser der „Neuen Rheinischen Zeitung" haben wir fortwährend auf die Intrigen der Partei des „National "[132], verkörpert in Marrast, aufmerksam gemacht. Wir sind die Schleichwege nachgegangen, worauf diese Partei die Diktatur zu erhaschen strebt. Wir haben zugleich angedeutet, wie die Diktatur Marrast eine Diktatur Thiers heraufbeschwört. Wie sehr nun schon die Partei des „National" durch ihren Sieg der Thierspartei[157] erliegt, die jetzt innig verschmolzen ist mit der dynastischen Opposition^353, geht aus einigen Tatsachen schlagend hervor. Die Ernennung Carnots, eines Mannes vom „National", zum Minister erregte stürmischen Lärm in der Nationalversammlung. Maries Kandidatur zum Präsidenten der Nationalversammlung hatte zur Rivalin Dufaures Kandidatur und ging nur durch, wie die „Debats"[144] sagen, weil er als „der weiseste und gemäßigtste Mann der alten Exekutivkommission" galt, d.h. weil er der alten dynastischen Partei die meisten Konzessionen machte, weil er das Gesetz über die Zusammenscharungen, diese Fortsetzung der Septembergesetze1-63, entwarf, in der Nationalversammlung vorbrachte und verteidigte. Die Tatsache bleibt, daß die Präsidentschaft der Nationalversammlung zwischen „Marrast" und „Thiers" ausgewürfelt wurde. Doch das genügt der „dynastischen Opposition" nicht. Eins der ersten Gesetze, das sie vorbereitet, ist ein Gesetz über die Munizipalräte, ein Gesetz, das direkt gegen Marrasts, des Maires von Paris, Alleinherrschaft und Einfluß gerichtet ist. Und er wird fallen. In wenigen Tagen wird die ganze Nationalversammlung sich zerfleischen. Die Reaktion wird fortgehen bis zur Ausschließung der Partei des „National" von aller Machthaber ei. „Republik" und „dynastische Opposition" werden
sich noch einmal gegenüberstehen, aber die Republik wird nicht mehr siegen unter den Bedingungen des Februar. Das Volk wird nicht mehr schwärmen. Es wird die Rache nicht mehr in „den Sack stecken", wie Caussidiere sagt, und die „Empfindungen des Grolls" nicht mehr „in die Fluten des Styx schleudern"fl58]. Qui vivra verra.1
Vereinbarungsdebatten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.34 vorn 4. Juli 1848] ** Köln, 2. Juli. Nach der Tragödie die Idylle, nach dem Donner der Pariser Junitage das Getrommel der Berliner Vereinbarer. Wir hatten die Herren ganz aus dem Aug verloren und finden nun, daß in demselben Augenblick, wo Cavaignac das Faubourg St. Antoine kanonierte, Herr Camphausen eine wehmütige Abschiedsrede hielt und Herr Hansemann das Programm des neuen Ministeriums unterbreitete/203 Wir bemerken zuerst mit Vergnügen, daß Herr Hansemann unsern Rat angenommen hat1 und nicht Ministerpräsident geworden ist. Er hat erkannt, daß es größer ist, Ministerpräsidenten zu machen als Ministerpräsident zu sein. Das neue Ministerium ist und bleibt, trotz des Namenborgens (pretenom) Auerswald, das Ministerium Hansemann. Es gibt sich als solches, indem es sich als das Ministerium der Tat, der Ausführung hinstellt. Herr Auerswald hat wahrhaftig keinen Anspruch darauf, Minister der Tat zu sein! Das Programm des Herrn Hansemann ist bekannt. Wir gehen auf seine politischen Punkte nicht ein, sie sind bereits zum Futter der mehr oder minder kleinen deutschen Blätter geworden. Nur an einen Punkt hat man sich nicht gewagt, und damit Herr Hansemann nicht zu kurz kommt, wollen wir ihn nachnehmen. Herr Hansemann erklärt: „Zur Belebung der Erwerbtätigkeit, also zur Beseitigung der Not der handarbeitenden Volksklassen, gibt es für jetzt kein wirksameres Mittel als die Herstellung des geschwächten Vertrauens auf Erhaltung der gesetzlichen Ordnung und der baldigen festen Begründung der konstitutionellen Monarchie. Indem wir mit allen Kräften dies Ziel verfolgen, wirken wir also der Erwerbslosigkeit und Not am sichersten entgegen."
Im Anfange seines Programms hatte Herr Hansemann schon gesagt, daß er zu diesem Zweck neue Repressionsgesetze vorlegen werde, soweit die alte (polizeistaatliche!) Gesetzgebung nicht ausreiche. Das ist deutlich genug. Die alte despotische Gesetzgebung reicht nicht aus! Nicht der Minister der öffentlichen Arbeiten, nicht der Finanzminister, sondern der Kriegsmimster ist es, zu dessen Ressort die Hebung der Not der arbeitenden Klassen gehört! Repressivgesetze in erster, Kartätschen und Bajonette in zweiter Linie - in der Tat, „es gibt kein wirksameres Mittel"! Sollte Herr Schreckenstein, dessen bloßer Name nach jener westfälischen Adresse1-1593 den Wühlern Schrecken einflößt, Lust haben, seine Trierer Heldentaten[160] fortzusetzen und ein Cavaignac nach verjüngtem preußischen Maßstab zu werden? Doch Herr Hansemann hat noch andre als dies „wirksamste" Mittel:
„Aber die Beschaffung von Beschäftigung durch öffentliche Arbeiten, die dem Lande wahren Nutzen bringen, ist hierzu ebenfalls notwendig." Herr Hansemann wird hier also „noch weit umfassendere Arbeiten zum Heil aller erwerbenden Volksklassen anordnen" als Herr Patow. Aber er wird dies tun, „sobald es dem Ministerium gelingt, die durch Unruhen und Auf~ reizttngen genährten Besorgnisse vor dem Umsturz der staatlichen Verhältnisse zu beseitigen und das zur Beschaffung der erforderlichen Geldmittel notwendige allgemeine Vertrauen wiederherzustellen". Herr Hansemann kann für den Augenblick keine Arbeiten vornehmen lassen, weil er kein Geld bekommen kann. Er kann erst Geld bekommen, sobald das Vertrauen hergestellt ist. Aber sobald das Vertrauen hergestellt ist, sind, wie er selbst sagt, die Arbeiter beschäftigt, und die Regierung braucht keine Beschäftigung mehr zu beschaffen. In diesem keineswegs lasterhaften, sondern sehr bürgerlich-tugendhaften Kreislauf drehen sich die Maßregeln des Herrn Hansemann zur Hebung der Not. Für den Augenblick hat Herr Hansemann den Arbeitern nichts zu bieten als Septembergesetze161 und einen verkleinerten Cavaignac. In der Tat, das ist ein Ministerium der Tatl Auf die Anerkennung der Revolution im Programm gehen wir nicht weiter ein. Der „wohlunterrichtete G-Korrespondent" der „Kölnischen Zeitung" hat es dem Publikum bereits angedeutet, inwiefern Herr Hansemann den Rechtsboden zum Besten benachbarter Publizisten[161] gerettet hat. Herr Hansemann hat an der Revolution das anerkannt, daß sie im Grunde keine Revolution war. Kaum hatte Herr Hanse mann geendigt, so erhob sich der Ministerpräsi
dent Auerswald, der doch auch etwas sagen mußte. Er nahm einen beschriebenen Zettel heraus und verlas ungefähr folgendes, aber ungereimt:
M. H.! Ich bin glücklich, heut In Eurer Mitte zu weilen, Wo so viel' edle Gemüter mir Mit Liebe entgegenheulen. Was ich in diesem Augenblick Empfinde, ist unermeßlich; Ach! Diese schöne Stunde bleibt Mir ewig unvergeßlich/1621
Wir bemerken, daß wir hierin dem ziemlich unverständlichen Zettel des Herrn Ministerpräsidenten noch die günstigste Deutung gegeben haben. Kaum ist Herr Auerswald fertig, so springt unser Hansemann wieder auf, um durch eine Kabiriettsfrage zu beweisen, daß er immer noch der alte ist. Er verlangt, der Adreßentwurf1 solle an die Kommission zurückgehen, und sagt:
„Die Aufnahme, welche dieser erste Antrag bei der Versammlung findet, wird einen Maßstab geben von dem größern oder kleinern Vertrauen, womit die hohe Versammlung das neue Ministerium aufnimmt." Das war denn doch zu arg. Der Abgeordnete Weichsel, ohne Zweifel ein Leser der „Neuen Rheinischen Zeitung"2, rennt erbost nach der Tribüne und spricht einen entschiedenen Protest gegen diese unveränderliche Methode der Kabinettsfrage aus. Soweit ganz hübsch. Aber wenn ein Deutscher einmal das Wort ergriffen hat, so läßt er's sich so bald nicht wieder nehmen, und so erging sich Herr Weichsel nun in einem langen Diskurs über dieses und jenes, über die Revolution, das Jahr 1807 und das Jahr 1815, über ein warmes Herz unter einem Kittel und mehrere andere Gegenstände. Alles dies, weil „es notwendig sei, daß er sich ausspreche". Ein furchtbarer Lärm, mit einigen Bravos der Linken vermischt, zwang den braven Mann, von der Tribüne zu steigen. Herr Hansemann versicherte die Versammlung, es sei keineswegs die Absicht des Ministeriums, leichtsinnig Kabinettsfragen zu erheben. Auch sei es diesmal keine ganze, sondern nur eine halbe Kabinettsfrage, also nicht der Mühe wert, davon weiter zu sprechen. Jetzt entspinnt sich eine Debatte, wie sie selten vorkommt. Alles spricht durcheinander, und die Verhandlung geht vom Hundertsten ins Tausendste.
1 Siehe vorl. Band, S. 53/54 - 2 siehe vorl. Band, S. 29-31
11 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Kabinettsfrage» Tagesordnung, Geschäftsordnung, polnische Nationalität, Vertagung mit resp. Bravos und Lärmen kreuzten sich eine Zeitlang. Endlich bemerkt Herr Parrisius, Herr Hansemann habe im Namen des Ministeriums einen Antrag gestellt, während das Ministerium als solches gar keine Anträge stellen, sondern bloß Mitteilungen machen könne. Herr Hansemann erwidert: Er habe sich versprochen; der Antrag sei im Grunde kein Antrag, sondern bloß ein Wunsch des Ministeriums. Die großartige Kabinettsfrage reduziert sich also auf einen bloßen „Wunsch" der Herren Minister! Herr Parrisius springt von der linken Seite auf die Tribüne. Herr Ritz von der rechten. Oben begegnen sie sich. Eine Kollision ist unvermeidlich keiner der beiden Helden will nachgeben -, da ergreift der Vorsitzende, Herr Esser, das Wort, und beide Helden kehren um. Herr Zachariä macht den Antrag des Ministeriums zu dem seinigen und verlangt sofortige Debatte. Herr Zachariä, der dienstwillige Handlanger dieses wie des vorigen Ministeriums, der auch bei dem Berendsschen Antrage mit einem im rechten Moment gestellten Amendement als rettender Engel auftrat1, findet zur Motivierung seines Antrags nichts mehr zu sagen. Was der Herr Finanzminister gesagt hat, genügt vollständig. Es entspinnt sich nun eine längere Debatte mit den unentbehrlichen Amendements, Unterbrechungen, Trommeln, Poltern und Reglementsspitzfindigkeiten. Es ist nicht zu verlangen, daß wir unsre Leser durch dies Labyrinth geleiten, wir können ihnen bloß einige der anmutigsten Perspektiven in diesem Wirrwarr eröffnen. 1. Der Abgeordnete Waldeck belehrt uns: Die Adresse kann nicht an die Kommission zurückgehen, denn die Kommission existiert nicht mehr. 2. Der Abgeordnete Hüjfer entwickelt: Die Adresse ist eine Antwort nicht an die Krone, sondern an die Minister. Die Minister, die die Thronrede gemacht haben, existieren nicht mehr; wie sollen wir also jemanden antworten» der nicht mehr existiert? 3. Der Abgeordnete d'Ester zieht hieraus in Form eines Amendements folgenden Schluß: Die Versammlung wolle die Adresse fallenlassen. 4. Dies Amendement wird vom Vorsitzenden, Esser, folgendermaßen beseitigt: Dieser Vorschlag scheint ein neuer Antrag und kein Amendement zu sein.
Das ist das ganze Skelett der Debatte. Um dies dünne Skelett gruppiert sich aber eine Masse schwammiges Fleisch in Gestalt von Reden der Herren Minister Rodbertus und Kühlwetter, der Herren Abgeordneten Zachariä, Reichensperger II usw. Die Situation ist im höchsten Grade befremdend. Wie Herr Rodbertus selbst sagt, ist es „in der Geschichte der Parlamente unerhört, daß ein Ministerium abtrat, während der Adreßentwurf vorlag und die Debatte darüber beginnen sollte"! Preußen hat überhaupt das Glück, daß in seinen ersten parlamentarischen sechs Wochen fast nur „in der Geschichte der Parlamente unerhörte" Dinge vorgekommen sind. Herr Hansemann ist in derselben Klemme wie die Kammer. Die Adresse, ostensibel eine Antwort auf die Thronrede Camphausen-Hansemann, soll der Sache nach eine Antwort auf das Programm Hansemann-Auerswald sein. Die gegen Camphausen gefällige Kommission soll deshalb eine gleiche Gefälligkeit gegen Herrn Hansemann beweisen. Die Schwierigkeit ist nur, diese „in der Geschichte der Parlamente unerhörte" Forderung den Leuten beizubringen. Alle Mittel werden aufgeboten. Rodbertus, diese Äolsharfe des linken Zentrums, säuselt seine lindesten Töne. Kühlwetter beschwichtigt nach allen Seiten hin; es sei ja möglich, daß man bei der neuen Prüfung des Adreßentwurfs „zu der Überzeugung gelangen könne, daß auch jetzt keine Veränderung vorzunehmen ist (!), aber um diese Überzeugung zu gewinnen " (!!), müsse der Entwurf noch einmal an die Kommission zurück! Herr Hansemann endlich, den diese lange Debatte wie immer ennuyiert, durchhaut den Knoten, indem er gradezu ausspricht, weshalb der Entwurf an die Kommission zurückgehen soll: Er will nicht, daß die neuen Veränderungen als ministerielle Amendements zur Hintertür hineinschlüpfen, sie sollen als Kommissionsvorschläge zur großen Flügeltür und mit weitgeöffneten Flügeln in den Saal hineinstolzieren. Der Ministerpräsident erklärt, es sei nötig, daß „das Ministerium in verfassungsmäßiger Weise beim Adreßentwurf mitwirkeWas das heißen soll und was Herr Auerswald dabei für Verfassungen im Auge hat, sind wir selbst nach langem Nachdenken zu sagen nicht imstande. Um so weniger, als Preußen in diesem Augenblick gar keine Verfassung hat. Von der entgegengesetzten Seite sind nur zwei Reden zu erwähnen: die der Herren d'Ester und Hüffer. Herr d'Ester hat das Programm des Herrn Hansemann mit vielem Glück persifliert, indem er dessen frühere wegwerfende Äußerungen über Abstraktionen, nutzlose Prinzipstreitigkeiten usw. auf das sehr abstrakte Programm anwandte. D'Ester forderte das Ministerium der Tat auf, „endlich zur Tat zu schreiten und die Prinzipienfragen beiseite zu ll*
lassen". Seinen Antrag, den einzig vernünftigen des Tages, erwähnten wir schon oben. Herr Hüffer, der den richtigen Gesichtspunkt in betreff der Adresse am schärfsten ausgesprochen, formulierte ihn auch am schärfsten in bezug auf die Forderung des Herrn Hansemann: Das Ministerium verlangt, wir sollen im Vertrauen zu ihm die Adresse an die Kommission zurückverweisen, und macht von diesem Beschluß seine Existenz abhängig. Nun aber kann das Ministerium ein Vertrauensvotum nur für Handlungen, welche es selbst ausübt, in Anspruch nehmen, nicht aber für Handlungen, welche es der Versammlung zumutet. Kurz und gut: Herr Hansemann forderte ein Vertrauensvotum, und die Versammlung, um Herrn Hansemann eine Unannehmlichkeit zu ersparen, votierte ihrer Adreßkommission einen indirekten Tadel. Die Herren Abgeordneten werden unter dem Ministerium der Tat bald lernen, was die berühmte Treasury-Whip[163] (Ministerialpeitsche) für ein Ding ist.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Verhaftungen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.34 vom 4. Juli 1848] * Köln, 3. Juli. Das Ministerium der Tat bewährt sich bisher nur als Polizeiministerium. Seine erste Tat war die Verhaftung der Herren Monecke und Fernbach in Berlin. Seine zweite war die des Bombardier1 Funk in Saarlouis. Jetzt beginnt die „Tat" auch hier in Köln sich geltend zu machen. Heute morgen wurden die Herren Dr. Gottschalk und Lieutenant a. D. Anneke verhaftet. Uber die Motive und die Art und Weise der Verhaftung fehlen uns noch die bestimmten Nachrichten. Wir behalten uns daher unser Urteil vor. Die Arbeiter werden klug genug sein, sich durch keine Provokation zu einem Krawall verleiten zu lassen.
1 In Preußen die unterste Charge der Unteroffiziere bei der Artillerie
Verhaftungen
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.35 vom 5. Juli 1848] ** Köln, 4. Juli. Wir haben unsern Lesern gestern versprochen, auf die Verhaftung der Herren Dr. Gottschalk und Anriefe zurückzukommen. Bisher sind uns nur über Annekes Verhaftung nähere Details zugegangen. Morgens zwischen sechs und sieben Uhr betraten sechs bis sieben Gendarmen Annekes Wohnung, mißhandelten sofort auf der Hausflur das Dienstmädchen und schlichen leise die Treppe hinauf. Drei blieben im Vorzimmer stehen, vier drangen ins Schlafzimmer, wo Änneke und seine hochschwangre Frau schliefen. Von diesen vier Säulen der Gerechtigkeit wankte die eine mehr oder minder, so guter Stunde schon angefüllt mit dem „Geist", dem Wasser des wahren Lebens, dem gebrannten Wasser. Anneke frug, was man wolle? - Er solle mitgehen! lautete die lakonische Antwort. Anneke bat, wenigstens seine kranke Frau zu schonen und ins Vorzimmer zu gehen. Die Herren von der heiligen Hermandad[164] erklären, das Schlafzimmer nicht verlassen zu wollen, treiben Anneke an, sich rasch anzukleiden, und erlauben ihm nicht einmal, mit seiner Frau zu sprechen. Dies Antreiben geht im Vorzimmer zu Tätlichkeiten über, wobei einer der Gendarmen die Glastüre in Scherben stößt. Anneke wurde die Treppe hinuntergestoßen. Vier Gendarmen führen ihn ab ins neue Arresthaus, drei bleiben bei Frau Anneke, um sie bis zur Ankunft des Staatsprokurators zu bewachen. Nach gesetzlicher Vorschrift muß bei der Verhaftung wenigstens ein Beamter der gerichtlichen Polizei — Polizeikommissär u. dgl. - zugegen sein. Wozu solche Förmlichkeiten, seitdem das Volk zur Vertretung seiner Rechte zwei Versammlungen besitzt, eine zu Berlin und eine zu Frankfurt? Nach einer halben Stunde kamen Herr Staatsprokurator Hecker und Instruktionsrichter Geiger, um die Haussuchung zu halten.
Frau Anneke beschwert sich, daß der Staatsprokurator die Verhaftung den brutalen, durch die Gegenwart keiner Magistratsperson gezügelten Gendarmen überlassen. Herr Hecker erklärt, er habe keinen Befehl zu Brutalitäten gegeben. Als ob der Herr Hecker Brutalitäten befehlen könne? Frau Anneke: Man habe, wie es scheine, die Gendarmen allein vorausgeschickt, um ihre Brutalität nicht verantworten zu müssen. Die Verhaftung habe überdem nicht in der gesetzlichen Form stattgefunden, da kein Gendarm einen Verhaftsbefehl vorgezeigt, sondern bloß einer einen Wisch aus der Tasche gezogen, den Anneke nicht lesen durfte. Herr Hecker: „Die Gendarmen seien zu der Verhaftung richterlich kommandiert worden." Und das Kommando der Richter, steht es nicht unter dem Kommando des Gesetzes? Staatsprokurator und Instruktionsrichter konfiszierten eine Masse Papiere, Flugschriften, worunter die ganze Mappe der Frau Anneke usw. Herr Instruktionsrichter Geiger ist, beiläufig gesagt, zum Polizeidirektor designiert. Abends wurde Anneke eine halbe Stunde lang verhört. Der Grund seiner Verhaftung sei eine aufrührerische Rede, die er in der letzten Volksversammlung auf dem Gürzenich[165] gehalten. Art. 102 des Code penal[166] spricht von öffentlichen Reden, die unmittelbar auffordern zu Komplotten gegen den Kaiser und seine Familie oder die dahin zielen, die Ruhe des Staats durch Bürgerkrieg, durch gesetzwidrigen Gebrauch der bewaffneten Macht, durch öffentliche Verheerung und Plünderung zu stören. Der Code kennt nicht das preußische „Erregen von Mißvergnügen". In Ermangelung des preußischen Landrechts[167] wird man einstweilen den Art. 102 überall anwenden, wo seine Anwendung zu den juristischen Unmöglichkeiten gehört. Bei der Verhaftung selbst war eine große Militärmacht entwickelt - seit vier Uhr Konsignation der Truppen in den Kasernen. Bäcker und Handwerker wurden in sie hinein, aber nicht wieder herausgelassen. Die Husaren rückten gegen sechs Uhr von Deutz nach Köln und durchritten die ganze Stadt. Das neue Arresthaus war mit 300 Mann besetzt. Für den heutigen Tag sind vier neue Verhaftungen, von Jansen, Kalker, Esser und einem Vierten angekündet. Der Maueranschlag Jansens, worin er die Arbeiter zur Ruhe ermahnt, wurde, wie uns Augenzeugen versichern, gestern abend von der Polizei abgerissen. Geschah das im Interesse der Ordnung? Oder suchte man einen Anlaß, um längst gehegte Pläne in der guten Stadt Köln zur Ausführung zu bringen? Herr Oberprokurator Zweiffei soll schon früher beim Oberlandsgericht in Arnsberg angefragt haben, ob er den Anneke wegen seiner früheren Verurteilung[168] verhaften und nach Jülich transportieren solle. Die königliche
Amnestie scheint dieser wohlmeinenden Absicht im Wege gestanden zu haben. Die Sache ging ans Ministerium. Herr Oberprokurator Zweiffei soll außerdem erklärt haben, daß er binnen 8 Tagen mit dem 19. März, mit den Klubs und der Preßfreiheit und andern Ausartungen des bösen Jahres 1848 zu Köln am Rhein ein Ende machen werde. Herr Zweiffei gehört nicht zu den Skeptikern. Verbindet Herr Zweiffei etwa die exekutive Gewalt mit der legislativen? Sollen die Lorbeeren des Oberprokurators die Blößen des Volksrepräsentanten bedecken? Noch einmal werden wir unsre vielgeliebten stenographischen Berichte durchmustern und dem Publikum ein treues Bild entwerfen von der Wirksamkeit des Volksrepräsentanten und Oberprokurators Zweiffei. Das also sind die Taten des Ministeriums der Tat, des Ministeriums des linken Zentrums, des Ministeriums des Übergangs zu einem altadeligen, altbürokratischen, altpreußischen Ministerium. Sobald Herr Hansemann seinen transitorischen Beruf erfüllt hat, wird man ihn entlassen. Die Linke zu Berlin[69] aber muß einsehn, daß die alte Macht kleine parlamentarische Siege und große Konstitutionsentwürfe ihr getrost überlassen kann, wenn sie nur unterdessen sich aller wirklich entscheidenden Positionen bemächtigt. Getrost kann sie die Revolution des 19. März in der Kammer anerkennen, wenn dieselbe nur außerhalb der Kammer entwaffnet
«V1IU> Die Linke könnte an einem schönen Morgen finden, daß ihr parlamentarischer Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammenfallen. Die deutsche Entwicklung bedarf vielleicht solcher Kontraste. Das Ministerium der Tat erkennt die Revolution im Prinzip an, um in der Praxis die Kontrerevolution zu vollziehen.
Verembarungsdebatten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 35 vom 5. Juli 1848] ** Köln, 4.Juli. Wir kommen heute zur Vereinbarungssitzung vom 28. Juni.[25] Die Versammlung hat einen neuen Präsidenten, ein neues Reglement und neue Minister sich gegenüber. Man kann sich also denken, wie groß die Konfusion ist. Nach längeren reglementarischen und andern Vordebatten kommt endlich der Abgeordnete Gladbach zu Wort. Die preußische Soldateska hat vor einigen Tagen in Spandau die von Schleswig-Holstein zurückkehrenden Freischärler der wegen republikanischer Gesinnungen aufgelösten 6. Kompanie des Freikorps gewaltsam entwaffnet und einige sogar verhaftet. Sie hatte durchaus keinen gesetzlichen Grund und keine gesetzliche Vollmacht. Das Militär kann, gesetzlich, überhaupt solche Handlungen auf eigene Faust gar nicht vornehmen. Aber die meisten dieser Freischärler waren Berliner Barrikadenkämpfer, und die Herren von der Garde mußten sich an ihnen rächen. Herr Gladbach interpellierte das Ministerium wegen dieses Akts des Militärdespotismus. Der Kriegsminister Schreckens fein erklärt, er wisse nichts davon und müsse sich vorbehalten, Bericht darüber von der betreffenden Behörde einzufordern. Also dafür bezahlt das Volk einen Kriegsminister, damit er am 28. in Berlin noch nichts davon weiß, was am 25., drei Stunden von Berlin, in Spandau, das Militär für Schritte getan hat und damit, drei Stunden von Berlin, vor seinen Augen sozusagen, die Gardelieutenants Bahnhöfe besetzen und dem bewaffneten Volk die ihm gehörenden, die von ihm auf dem Schlachtfelde eroberten Waffen wegnehmen, ohne den Herrn Kriegsminister auch nur der Ehre eines Rapports zu würdigen! Aber freilich, der Herr Oberstlieutenant Schlichting, der diese Heldentat vollbrachte, handelte nach
„Instruktionen", die er wahrscheinlich von Potsdam empfängt, und wohin er wahrscheinlich auch rapportiert! Morgen, fleht der wohlunterrichtete Kriegsminister, morgen werde ich vielleicht Antwort geben können I1 Folgt eine Interpellation von Zacharias: Das Ministerium hat einen Gesetzvorschlag über Bürgerwehr versprochen. Wird dieser Vorschlag auf dem Grundsatz allgemeiner Volksbewaffnung beruhen? Der neue Minister des Innern, Herr Kühlwetter, antwortet: Allerdings liege ein Gesetz über Bürgerwehr vor, aber es sei noch nicht im Ministerium beraten, und daher könne er nichts Näheres darüber sagen. Also das neue Ministerium ist so übereilt zusammengebracht, hat sich so wenig über die leitenden Grundsätze verständigt, daß sogar die brennende Frage der Volksbewaffnung noch gar nicht zur Debatte gekommen ist! Eine zweite Interpellation des Abgeordneten Gladbach betraf die definitive Ernennung von Bürgermeistern und andern Beamten durch die bisher damit beauftragten Behörden. Da die ganze bisherige Verwaltung nur interimistisch weiterbesteht, so wird sie auch nur interimistisch die entstehenden Lücken ausfüllen können, bis die Gesetzgebung darüber statuiert hat, wie und von wem die verschiedenen Behörden ernannt werden sollen. Trotzdem sind aber Bürgermeister und andere Beamte definitiv ernannt worden. Der Minister Kühlwetter erklärt sich im ganzen mit Herrn Gladbach einverstanden und wird nur provisorische Bürgermeister ernennen lassen. Eine fernere Interpellation des Herrn Gladbach wegen Suspendierung der vielen, ihren Verwalteten gehässigen Beamten, von denen manche, namentlich auf dem Lande, im ersten revolutionären Eifer verjagt, wird vom Herrn Präsidenten Grabow geschickt eskamotiert. Nach einigen reglementarischen Verhandlungen kam die Interpellation des Abgeordneten Dierschke wegen der Kösliner Adresse[169] und deren Beförderung durch die Regierungen und Landratämter zur Tagesordnung. Aber der Herr Abgeordnete hatte total vergessen, daß sein Antrag an der Tagesordnung war und hatte daher auch die nötigen Papiere nicht mitgebracht, um ihn zu begründen. Es blieb ihm also nichts übrig, als sich in einigen allgemeinen Phrasen über Reaktion zu ergehen, eine höchst unbefriedigende Antwort des Ministers entgegenzunehmen und sich dann vom Präsidenten sagen zu lassen, er werde wohl befriedigt sein. Er hat aber noch eine zweite Interpellation zu stellen: Ob die Minister
den Reaktionsversuchen des Adels und der Beamtenpartei entgegenzutreten beabsichtigten. Er scheint auch hierzu die Papiere vergessen zu haben. Er führt wieder statt Tatsachen deklamatorische Redensarten an und weiß nichts Besseres vom Ministerium zu verlangen, als daß es eine Proklamation gegen die Reaktion erlasse. Herr Kühlwetter antwortet natürlich, die Gesinnungen der Rittergutsbesitzer und Beamten gingen ihn nichts an, sondern nur ihre Handlungen, die Leute hätten dieselbe Freiheit wie Herr Dierschke, und im übrigen möge Herr Dierschke Fakta anführen. Den albernen Gedanken eines „Erlasses" gegen die Reaktion weist er mit gebührender Vornehmheit zurück. Herr Dierschke führt nun als Tatsache an, daß in seinem, dem Ohlauer Kreise, der Landrat gesagt habe, die Nationalversammlung werde nicht eher einig werden, bis sie mit Kartätschen zusammengeleimt werde, und ihr Deputierter (Dierschke selbst) habe geäußert, es sei eine Kleinigkeit, einen Minister zu hängen. Hieraus schloß der Vorsitzende, Herr Dierschke habe sich auch in Beziehung auf die zweite Interpellation zufrieden gegeben, und Herr Dierschke fand nichts zu erinnern. Herr Hansemann aber gibt sich nicht zufrieden. Er wirft dem Redner vor, er sei von der Frage abgewichen. Er „überläßt der Beurteilung der Versammlung, inwiefern sie es geeignet erachte, persönliche Beschuldigungen, wenn nicht zugleich Beweise dafür vorgebracht werden, gegen Beamte zu erheben". Mit dieser stolzen Herausforderung und unter schallendem Bravo der Rechten und der Zentren setzt Herr Hansemann sich nieder. Der Abgeordnete Eisner stellt einen dringenden Antrag. Es soll sofort eine Kommission zur Untersuchung der Lage der Spinner und Weber sowie der gesamten preußischen Leinenmanufaktur ernannt werden. Herr Eisner erzählt der Versammlung in einem kurzen, schlagenden Vortrag, wie die alte Regierung die Leinenindustrie in jedem einzelnen Falle dynastischen und legitimistischen Interessen oder vielmehr Einfällen geopfert hat. Spanien, Mexiko, Polen, Krakau dienten zu Beweisen/1703 Glücklicherweise waren die Tatsachen schlagend und trafen nur die alte Regierung. Daher wurden von keiner Seite Schwierigkeiten erhoben; die Regierung stellte sich im voraus der Kommission zur Verfügung, und der Antrag wurde einstimmig angenommen. Folgt die Interpellation d'Esters wegen der geschornen Polen.[171] D'Ester erklärt, er wolle nicht bloß über das Faktum Aufschluß haben, sondern speziell über die vom Ministerium gegen dies Verfahren ergriffenen
Maßregeln. Er wende sich deshalb auch nicht an den Kriegsminister, sondern an das ganze Ministerium. Herr Auerswald: Wenn d'Ester den speziellen Fall nicht beantwortet wünscht, so „hat das Ministerium kein Interesse", darauf einzugehen. Wirklich, das Ministerium hat kein „Interesse", auf die Frage einzugehn! Welche Neuigkeit! In der Tat pflegt man Interpellationen nur in solchen Fragen zu stellen, auf die einzugehen „das Ministerium" durchaus „kein Interesse" hat! Gerade deswegen, weil es kein Interesse hat, sie zu beantworten, gerade deswegen, Herr Ministerpräsident, interpelliert man das Ministerium. Der Herr Ministerpräsident muß übrigens geglaubt haben, er befinde sich nicht unter Vorgesetzten, sondern unter seinen Subalternen. Die Beantwortung einer Frage versucht er abhängig zü machen von dem Interesse, das nicht die Versammlung, sondern das Ministerium daran hat! Wir schreiben es nur der Unerfahrenheit des Herrn Präsidenten Grabow zu, daß er Herrn Auerswald wegen dieser bürokratischen Arroganz nicht zur Ordnung rief. Der Ministerpräsident versicherte übrigens, man werde dem Polenscheren kräftig entgegentreten, Näheres könne er aber erst später mitteilen. D'Ester willigt in die Vertagung sehr gern ein, wünscht aber Angabe des Tages, wann Auerswald antworten wolle. Herr Auerswald, der wohl harthörig sein muß, antwortet: Ich glaube, daß in meiner Erklärung nichts liegt, was bezeichne, daß das Ministerium nicht später darauf zurückkommen wolle (!); den Tag könne er noch nicht bestimmen. Behnsch und d'Ester erklären übrigens ausdrücklich, daß sie auch über das Faktum selbst Aufklärung verlangen. Dann folgt d'Esters zweite Interpellation: Was die Rüstungen in der Rheinprovinz und namentlich in Köln zu bedeuten haben, und ob vielleicht eine Deckung der französischen Grenze nötig geworden? Herr Schreckenstein antwortet: Mit Ausnahme einzelner Reservisten sind seit Monaten keine Truppen an den Rhein gegangen. (Allerdings, tapfrer Bayard, aber es waren ihrer längst zu viele da.) Sämtliche Festungen werden armiert, nicht bloß Köln1, damit das Vaterland nicht in Gefahr kommt. Also wenn in Köln die Truppen nicht in die Forts gelegt werden, wo sie gar nichts zu tun haben und sehr schlecht logiert sind, wenn die Artillerie nicht Gewehre bekommt, wenn die Truppen nicht auf acht Tage Brot voraus
erhalten, wenn die Infanterie nicht mit scharfen Patronen, die Artillerie nicht mit Kartätsch- und Kugelschuß versehen wird, so ist das Vaterland in Gefahr? Nach Herrn Schreckenstein ist also das Vaterland erst dann außer Gefahr, wenn Köln und andre großen Städte in Gefahr sind! Übrigens „müssen alle Bewegungen der Truppen lediglich der Einsicht eines Militärs, des Kriegsministers, anheimgestellt bleiben, sonst kann dieser nicht verantwortlich sein"! Man glaubt ein bei seiner Tugend angefaßtes junges Mädchen zu hören und nicht den preußischen pro tempore1 Bayard ohne Furcht und Tadel, Reichsfreiherrn Roth von Schreckenstein, schreckenerregenden Namens! Wenn der Abgeordnete Dr. med. d'Ester, der doch wahrlich ein Zwerg ist neben dem gewaltigen Reichsfreiherrn Roth v. Schreckenstein, besagten Schreckenstein fragt, was diese oder jene Maßregel zu bedeuten habe, so glaubt der große Reichsfreiherr, der kleine Dr. med. wolle ihm die freie Verfügung über die Truppenaufstellung nehmen, und dann könne er ja nicht mehr verantwortlich sein! Kurz und gut: Der Herr Kriegsminister erklärt, man dürfe ihn nicht zur Verantwortung ziehen, sonst könne er gar nicht verantwortlich sein. Übrigens, was wiegt die Interpellation eines Abgeordneten gegen die „Einsicht eines Militärs und gar eines Kriegsministers"! D'Ester erklärt sich zwar nicht zufrieden, zieht aber aus Schreckensteins Antwort den Schluß, die Rüstungen seien zum Schutz der französischen Grenze geschehen. Der Ministerpräsident Auerswald verwahrt sich gegen diese Schlußfolgerung. Wenn alle Grenzfestungen armiert werden, so werden doch wohl alle Grenzen „gedeckt". Wenn alle Grenzen gedeckt werden, so wird doch auch die französische Grenze „gedeckt". Herr Auerswald gibt die Prämissen zu und nimmt den Schluß „im Namen des Staatsministeriums nicht an". Wir dagegen „nehmen an im Namen" des gesunden Menschenverstandes, daß Herr Auerswald nicht bloß harthörig ist. D'Ester und Pfahl protestieren sofort. Reichenbach erklärt, Neiße, die bedeutendste Festung Schlesiens gegen Osten, werde gar nicht armiert und sei im erbärmlichsten Zustande. Als er Details darüber gibt, fängt die Rechte, von den Zentren unterstützt, einen fürchterlichen Lärm an, und Reichenbach muß die Tribüne verlassen.
Herr Moritz: „Graf Reichenbach hat keinen Grund angegeben, weshalb er das Wort ergriffen hat (!). Aus demselben Grunde, glaube ich, kann ich auch das Wort ergreifen (!!). Ich halte es für unparlamentarisch und bis jetzt in der Geschichte der Parlamente unerhört, auf solche Weise ... (große Unruhe) das Ministerium in Verlegenheit zu bringen, Dinge zur Sprache zu bringen, die nicht ins Publikum gehören ... wir sind nicht hergeschickt, um das Vaterland in Gefahr zu bringen." (Furchtbares Gepolter. Unser Moritz muß von der Tribüne herabsteigen.) Der Abgeordnete Esser I beschwichtigt den Tumult durch eine ebenso gründliche wie passende Erörterung des § 28 der Geschäftsordnung. Herr Moritz protestiert, er habe nicht eine Tatsache berichtigen, sondern bloß „aus demselben Grunde sprechen wollen, wie der Graf Reichenbach" I Die konservative Seite nimmt sich seiner an und oktroyiert ihm ein lautes Bravo, wogegen die äußerste Linke indessen trommelt. Auerswald: „Ob es passend sei, über die Wehrhaftigkeit des preußischen Staats im einzelnen oder ganzen solche Details zu besprechen?" Wir bemerken erstens, daß man nicht von der Wehrhaftigkeit, sondern von der Wehrlosigkeit des Staats gesprochen hat. Zweitens, daß das Unpassende darin liegt, daß der Kriegsminister gegen das Inland und nicht gegen das Ausland rüstet, nicht aber, daß man ihn an seine Schuldigkeit erinnert. Die Rechte langweilt sich entsetzlich und schreit nach dem Schluß. Der Präsident erklärt unter allerlei Lärm, die Sache sei erledigt. An der Tagesordnung ist ein Antrag Jungs. Herr jung findet es angemessen, abwesend zu sein. Wunderbare Volksvertretung! Jetzt kommt eine Interpellation des Abgeordneten Scholz. Diese lautet wörtlich: „Interpellation an den Herrn Minister des Innern, ob derselbe wegen der unzweckmäßigen Einführung der Konstabier in den Kreisen Auskunft zu geben imstande oder zu antworten geneigt sei."'-172! Präsident: Ich frage zunächst, ob diese Interpellation verstanden wird. (Sie wird nicht verstanden und nochmals verlesen.) Minister Kühlwetter: Ich weiß in der Tat nicht, worüber Auskunft von mir verlangt wird. Ich verstehe die Frage nicht. Präsident: Wird die Interpellation unterstützt? (Wird nicht unterstützt.) Scholz: Ich ziehe meinen Antrag vorläufig zurück. Auch wir ziehen uns nach dieser unbezahlbaren, „in der Geschichte der Parlamente unerhörten" Szene für heute „zurück".
Gerichtliche Untersuchung gegen die „Neue Rheinische Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 37 vom 7. Juli 1848] * Köln, 6. Juli. Wir erhalten soeben folgende Entgegnung auf den in der gestrigen „[Neuen] Rheinischen Zeitung" abgedruckten Artikel, de dato „Köln, 4.Juli", betreffend die Verhaftung der Herren Dr. Gottschalk und Anneke1.
„ Ich erkläre es für eine Unwahrheit, daß ich auf die Beschwerde der Frau Anneke über die ohne Gegenwart einer Magistratsperson vorgenommene Verhaftung ihres Mannes erwidert habe: ich habe keinen Befehl zu Brutalitäten gegeben. Ich habe vielmehr nur geäußert, daß ich es bedauern müsse, wenn sich die Gendarmen ungebührlich benommen haben sollten. Ich erkläre es ferner für eine Unwahrheit, daß ich mich des Ausdrucks bedient habe: die Gendarmen seien zu der Verhaftung richterlich kommandiert worden, und habe nur bemerkt, daß die Verhaftung kraft eines Vorführungsbefehls des Herrn Instruktionsrichters vollzogen worden sei. Vorführungsbefehle werden nach dem Gesetz durch Gerichtsvollzieher oder Agenten der bewaffneten Macht vollstreckt. Die Anwesenheit eines Beamten der gerichtlichen Polizei ist nirgend vorgeschrieben. Die in dem Artikel enthaltenen Verleumdungen resp. Beleidigungen gegen den Herrn Oberprokurator Zweiffei und die Gendarmen, welche die Verhaftung vollzogen haben, werden in der gerichtlichen Untersuchung, die deshalb eingeleitet werden wird, ihre Würdigung finden.
Köln, den 5. Juli 1848
Der Staatsprokurator: Hecker"
Unsere werten Leser ersehn aus dem Vorstehenden, daß die „Neue Rheinfische] Z[ei]t[un]g" einen neuen, vielversprechenden Mitarbeiter gewonnen hat - das Parquet. Wir haben geirrt in einem juristischen Punkt. Bei der Verhaftung bedarf es keines „Beamten der gerichtlichen Polizei", sondern nur eines Agenten der öffentlichen Gewalt= Mit welch sorglichen Garantien der Code die persönliche Sicherheit umgibt! Es bleibt übrigens nach wie vor ungesetzlich, daß die Herrn Gendarmen ihren Verhaftungsbefehl nicht vorgezeigt haben. Es bleibt ungesetzlich, daß sie, wie uns nachträglich versichert wird, schon vor dem Erscheinen des Herrn Hecker und seines Herrn Begleiters Briefschaften durchmustert haben. Vor allem aber bleiben die Brutalitäten ungesetzlich, die Herr Hecker bedauert hat. Wir sind erstaunt, eine gerichtliche Untersuchung nicht gegen die Herrn Gendarmen, sondern gegen die Zeitung verhängt zu sehn, welche die Ungebühr der Herrn Gendarmen denunziert. Die Beleidigung könnte sich nur auf den einen der Herrn Gendarmen beziehn, von dem versichert wurde, er habe zu guter Stunde „gewankt" aus mehr oder minder spirituellen oder Spirituosen Gründen. Ergibt aber die Untersuchung, 'wie wir keinen Augenblick zweifeln, die Richtigkeit des Tatbestandes - der von den Herren Agenten der öffentlichen Gewalt verübten Brutalitäten —, so glauben wir nur den einzig „mildernden Umstand^ mit der ganzen Unparteilichkeit, welche der Presse geziemt, im eigensten Interesse der von uns beschuldigten Herren sorglichst hervorgehoben zu haben, und die menschenfreundliche Angabe des einzig mildernden Umstandes verwandelt das Parquet in eine „Beleidigung"! Und nun die Beleidigung, resp. Verleumdung des Herrn Oberprokurator Zweiffei! Wir haben einfach berichtet und, wie wir selbst im Bericht andeuteten, Gerüchte berichtet, Gerüchte, die uns aus guter Quelle zukamen. Die Presse, sie hat aber nicht nur das Recht, sie hat die Pflicht, die Herren Volksrepräsentanten aufs genaueste zu überwachen. Wir haben zugleich angedeutet, daß die bisherige parlamentarische Wirksamkeit des Herrn Zweiffei jene ihm zugeschriebenen volksfeindlichen Äußerungen nicht unwahrscheinlich macht — und will man der Presse das Recht abschneiden, die parlamentarische Wirksamkeit eines Volksrepräsentanten zu beurteilen? Wozu dann die Presse? Oder hat die Presse nicht das Recht, in dem Volksrepräsentanten Zweiffei zuviel von dem Oberprokurator und in dem Oberprokurator zuviel von dem Volksrepräsentanten zu finden? Wozu dann in Belgien, in Frankreich usw. die Debatten über die Inkompatibilitäten?
Was den konstitutionellen Usus betrifft, so lese man nach, wie der „Constitutionnel"[U6], der „Siecle"[173], die „Presse "[174] unter Louis-Philippe die parlamentarische Wirksamkeit der Herren Hebert, Plougoulm usw. beurteilten, zur Zeit, wo diese Herren die obersten Chefs des Parquets und zugleich Deputierte waren. Man lese die belgischen Blätter nach, und zwar die engkonstitutionellen, den „Observateur"[175], die „Politique", die „Emancipation", wie sie die parlamentarische Wirksamkeit des Herrn Bavay noch vor kaum einem Jahre beurteilten, als Herr Bavay in einer Person den Deputierten und den Generalprokurator vereinigte. Und was unter dem Ministerium Guizot, unter dem Ministerium Rogier stets erlaubt war, sollte nicht erlaubt sein in der Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage? Ein Recht, was kein Ministerium der französischen Restauration bestritt, wird zum Unrecht unter dem Ministerium der Tat, das die Revolution im Prinzip anerkennt? Übrigens hat sich das Publikum durch unsere Extrabeilage von heute morgen überzeugt, wie richtig wir den Gang der Ereignisse beurteilt. Rodbertus ist aus dem Ministerium aus- und Ladenberg ist in das Ministerium eingetreten. Das Ministerium des linken Zentrums hat sich nach einigen Tagen in ein entschieden altpreußisch-reaktionäres Ministerium verwandelt. Die Rechte hat einen Staatsstreich gewagt, Sie Linke hat sich drohend zurückgezogen.[1761 Und es wäre nicht mit Händen zu greifen, daß die jüngsten Taten zu Köln in dem großen Feldzugsplan des Ministeriums der Tat verzeichnet standen? Soeben wird uns berichtet, daß der „Neuen Rheinischen Zeitung" der Zugang ins Arresthaus versperrt ist. Berechtigt die Gefängnisordnung zu diesem Verbot? Oder sind politisch Angeschuldigte zur Strafe verurteilt, ausschließlich die „Kölnische Zeitung" zu lesen?
Geschrieben von Karl Marx.
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 5
Berliner Vereinbarungsdebatten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 37 vom 7. Juli 1848] ** Köln, 6. Juli. Während in Berlin die Ministerkrisis Nr.2 ihren weiteren Verlauf nimmt, wollen wir uns einstweilen, um mit dem Abgeordneten Mätze zu sprechen, „aus diesen Stürmen" in den bisher so „stillen See" der Vereinbarungsdebatte zurückbegeben. Man mag sagen, was man will, wir haben hier mehr als eine Stunde gemütlicher Heiterkeit verlebt
Hier herrschen noch Zucht und Sitte, Und manches stille Vergnügen blüht Auch hier, in unserer Mitte J1771 Die Sitzung vom 30. Juni ist an der Reihe.[2o] Gleich von vornherein eröffnet sie sich durch bedeutende, ganz besonders charakteristischeV orkommnisse. Wer hat nicht gehört von dem großen Feldzuge der siebenundfünfzig bergisch-märkischen Familienväter zur Rettung des Vaterlandes? Wer weiß nicht, mit welcher Todesverachtung diese Blüte der konservativen Pfahlbürgerschaft sich aufgemacht, Weib und Kind und Geschäft im Stich gelassen hat, um auf die Bresche zu treten, um der Revolution eine Schlacht auf Tod und Leben zu liefern, um, mit einem Wort, nach Berlin zu ziehen und dem Ministerium eine Petition gegen die Wühler zu überreichen? Diese siebenundfünfzig Paladine haben denn auch der Vereinbarungsversammlung eine Zuschrift, enthaltend leise reaktionäre fromme Wünsche, eingereicht. Die Zuschrift wird verlesen. Einige Herren von der Rechten wünschen auch die Unterschriften zu hören. Der Sekretär fängt an zu lesen, es entsteht Unterbrechung, man ruft: „Genug, genug!" Abgeordneter Berg: „Das verlesene Schriftstück ist entweder ein Antrag oder eine Petition. Ist es ein Antrag, so möchte ich wissen, welches Mitglied ihn zu dem seinigen macht. Ist es eine
Petition, so möge man sie an die betreffende Kommission gehen lassen und uns nicht weiter damit ennuyieren." Diese lakonische Antwort des Herrn Berg beseitigt die Sache. Der Präsident stammelt einige Entschuldigungen und legt die Zuschrift der siebenundfünfzig Familienväter beiseite. Hierauf erhebt sich unser und der Linken alter Freund, der Abgeordnete Schultz von Wanzleben:
„Ich habe vorgestern meine Anträge wegen Zivilehe etc. zurückgezogen mit der Erklärung, daß die Gesetzentwürfe anders von mir formuliert werden sollten. Ich finde hierbei in den stenographischen Berichten bemerkt: ,Gelächter. Es mag sein, daß der eine oder der andere hierbei gelacht hat, aber gewiß ohne Grund." (Neues Gelächter.) Der Abgeordnete Schultz von Wanzleben setzt nun mit der biedersten Gutmütigkeit auseinander, wie er nur das Beste wolle und sich gern eines Bessern belehren lasse; wie er sich über die Unvollkommenheit der von ihm eingereichten Gesetzentwürfe habe belehren lassen, wie er nun doch nicht selbst Amendements zu seinen eignen Vorschlägen einreichen könne, und wie er es daher für seine Pflicht halte, den Antrag der Versammlung in der ursprünglichen Form nicht „unterzubreiten", sondern ihn vorläufig zurückzuziehen.
„Ich kann daran nichts Lächerliches finden und muß mich dagegen verwahren, wenn durch das Wort »Gelächter' meine wohlmotivierte Verfahrensweise als eine lächerliche dargestellt ist." Es geht dem Abgeordneten Schultz von Wanzleben wie dem Ritter Tannhäuser: Wenn ich an dieses Lachen denk', So weine ich plötzliche TränenJ
Der Abgeordnete Brill bemerkt, in den sonst so ausgezeichneten stenographischen Berichten fehle eine Phrase des Ministers Hansemann, daß das Programm des gegenwärtigen Ministeriums eine Fortsetzung der Thronrede sei. Es sei ihm dies ganz besonders im Gedächtnis geblieben, weil er als Buchdrucker dabei an die so oft von ihm gedruckte Phrase „Fortsetzung folgt" gedacht habe. Diese leichtfertige Behandlung der ernstesten Gegenstände entrüstet den Abgeordneten Herrn Ritz aufs äußerste. Er stürzt auf die Tribüne und äußert:
„Meine Herren, ich glaube, es gehört zur Würde der Versammlung, daß wir uns der Gleichnisse in den Reden und der Vergleichungen, die hier nicht an Ort und Stelle sind, enthalten. Sie sind auch nicht parlamentarisch. (Große Unruhe.) Wir haben die
vorige Sitzung mit großer Hilarität zugebracht, das halte ich für die Würde der Versammlung nicht angemessen ... ich würde im Interesse der Würde dieser Versammlung eine gewisse Sobrietät empfehlen." „Im Interesse" der vom Abgeordneten Ritz empfohlenen „Sobrietät" würden wir dem Abgeordneten Ritz „im Interesse der Würde der Versammlung" empfehlen, so wenig als möglich das Wort zu ergreifen, da ihm „große Hilarität" stets auf dem Fuße folgt. Wie sehr aber die wohlgemeinten Absichten solcher Biedermänner wie der Herren Schultz von Wanzleben und Ritz stets in dieser argen Welt mißkannt werden, zeigte sich sogleich. Der Präsident Herr Grabow ernannte nämlich die Skrutatoren und unter ihnen für das linke Zentrum den Herrn Schultz von Wanzleben (Gelächter) und für das rechte Zentrum den Herrn Brill (Hilarität). Was Herrn Brill angeht, so müssen unsere Leser wissen, daß dieser Abgeordnete, der der entschiedensten Linken angehört, sich ins rechte Zentrum mitten unter die oberschlesischen und pommerschen Bauern gesetzt hat, bei denen er durch sein populäres Redetalent manche Einflüsterungen der reaktionären Partei scheitern machte. Folgt die Interpellation des Herrn Behnsch wegen der russischen Note, die den Rückzug Wrangeis aus Jütland bewirkt haben soll. Auerswald leugnet trotz „Morning Chronicle"[17ö] und russischer „Biene"[180] die Existenz dieser Note ab. Wir glauben, daß Herr Auerswald recht hat; wir glauben nicht, daß Rußland eine offizielle „Note" nach Berlin geschickt hat. Was aber Nikolaus nach Potsdam geschickt hat, können wir ebensowenig wissen wie Herr Auerswald. Herr Behnsch interpelliert ebenfalls wegen der Note des Majors Wildenbruch an die dänische Regierung[181], wonach der dänische Krieg nur ein Scheinkrieg, eine. Spielerei zur Beschäftigung der patriotischen Überkraft[1821 sei. Auf diese Interpellation findet Herr Auerswald Veranlassung, nicht zu antworten. Nach einer langweiligen und verzwickten Diskussion über Fachkommissionen kommt endlich einmal eine wirklich interessante parlamentarische Szene vor, eine Szene, bei der etwas Indignation, etwas Leidenschaft siegreich das stereotype Getrommel der Rechten übertönt. Es ist der Abgeordnete Gladbach, dem wir diese Szene verdanken. Der Kriegsminister hatte auf heute seine Interpellation wegen Entwaffnung und Verhaftung der zurückgekommenen Freischärler zu beantworten versprochen.1
Sowie der Präsident anzeigt, daß dieser Gegenstand vorliegt, erhebt sich sofort der Herr Oberstlieutenant Griesheim, den wir schon lange kennen, und beginnt zu sprechen. Diese bürokratisch-soldatische Aufdringlichkeit wird aber sogleich durch heftige Unterbrechung zurückgewiesen. Der Präsident erklärt, nach § 28 der Geschäftsordnung können Assistenten der Minister nur mit Genehmigung der Versammlung das Wort ergreifen. Griesheim: Ich bin als Vertreter des Kriegsministers hier. Präsident: Es ist mir dies nicht angezeigt worden. Griesheim: Wenn die Herren mich nicht hören wollen... (Oho! Unruhe.) „Die Herren!" Für den Herrn Griesheim sind „die Herren" doch wohl immer noch eine „hohe Versammlung"! Der Herr Präsident hätte den Herrn Griesheim wegen seiner wiederholten Hinwegsetzung über allen Anstand zur Ordnung rufen sollen. Die Versammlung will Herrn Griesheim hören. Vorher hat noch Herr Gladbach das Wort, um seine Interpellation zu motivieren. Zuerst aber erklärt er, daß er den Kriegsminister interpelliert habe und seine Anwesenheit verlange, welche Befugnis der Versammlung reglementarisch zusteht. Der Präsident beseitigt dies jedoch, und unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der Sache geht Herr Gladbach auf die Interpellation näher ein. Er erzählt, wie die Freischärler, nachdem sie wegen Anwendung des Militärdespotismus auf ihr Korps ausgetreten und heimgekehrt, in Spandau von dem „über Nacht aus seinen Schlupfwinkeln wieder hervorgekrochenen fluchwürdigen Polizeisystem" mit dem Brandmal der Vagabunden geächtet, wie man sie in Spandau entwaffnet, festgehalten und mittelst Zwangspaß nach Hause geschickt habe. Herr Gladbach ist der erste Abgeordnete, dem es gelungen ist, eine solche schmähliche Handlung mit der ganzen entsprechenden Indignation zu erzählen. Herr Griesheim erklärt, die Maßregel sei auf Requisition des Berliner Polizeipräsidiums geschehen. Herr Gladbach liest nun den ehrenvollen, vom Prinzen Friedrich von Schleswig-Holstein unterzeichneten Abschied eines der Freiwilligen vor und hält dagegen den ganz vagabundenmäßig lautenden Zwangspaß, der demselben Freiwilligen „auf Ministerialbeschluß" in Spandau ausgestellt wurde. Er weist hin auf die in dem Zwangspaß angedrohte Arretierung, Straf arbeit und Geldbuße, straft die Behauptung des Herrn Griesheim, als sei die Maßregel vom Polizeipräsidenten ausgegangen, durch ein offizielles Aktenstück Lügen und fragt, ob es etwa in Spandau noch ein besonderes russisches Ministerium gebe? Zum ersten Male war das Ministerium auf einer direkten Unwahrheit ertappt. Die ganze Versammlung gerät in die größte Aufregung.
Der Minister des Innern, Herr Kühlwetter, muß sich endlich notgedrungen erheben und einige Entschuldigungen stammeln. Es sei ja weiter nichts geschehen, als daß 18 Bewaffneten die Waffen genommen seien — weiter nichts als eine Ungesetzlichkeit! Man habe nicht dulden können, daß bewaffnete Scharen ohne Erlaubnis das Land durchziehen - 22 Mann Freischärler, die nach Hause ziehen! (ohne Erlaubnis!) Die ersten Worte des Herrn Ministers werden mit unzweideutigen Zeichen des Mißfallens aufgenommen. Selbst die Rechte ist noch zu sehr unter dem niederschlagenden Eindruck der Tatsachen, als daß sie nicht wenigstens schwiege. Aber bald, wie sie ihren unglücklichen Minister sich mühsam zwischen dem Gelächter und dem Murren der Linken hindurchwinden sieht, ermannt sie sich, schreit seinen lahmen Ausflüchten ein lautes Bravo zu, die Zentren fallen teilweise mit ein, und so wird Herr Kühlwetter schließlich so couragiert, daß er sagen kann: Nicht ich, sondern mein Vorgänger hat die Maßregel angeordnet, aber ich erkläre, daß ich sie vollkommen billige und im vorkommenden Falle ebenso heindein werde. Die Rechte und die Zentren krönen die Tapferkeit ihres heroischen Kühlwetters mit einem donnernden Bravo. Gladbach läßt sich indes nicht einschüchtern. Unter Lärmen und Schreien der Konservativen besteigt er die Tribüne und fragt abermals: Wie hängt es zusammen, daß Herr Schreckenstein, der doch schon vor der Spandauer Geschichte Minister war, nichts davon wußte? Wie ist es möglich, daß vier Freischärler mit vorteilhaften Zeugnissen die Sicherheit des Staats gefährden können? (Unterbrechung - reglementarische Bemerkungen der Herren vom Zentrum.) Die Frage ist nicht erledigt. Wie kann man diese Leute wie Vagabunden zwangsweise in die Heimat senden? (Unterbrechung. Lärm.) Ich habe noch keine Antwort auf die Frage wegen des Zwangspasses. Die Leute sind mißhandelt worden. Warum duldet man doch ein Rudel von Traktätleinhelden, welche zur Schmach der Hauptstadt (lauter Lärm) aus dem Wupperiale bewaffnet angekommen sind?1 (Lärm. Bravo.) Kühlwetter kommt endlich damit heraus, daß es unter dem Vorwande zweifelhafter Legitimation geschehen sei! Also der Abschied, von dem schleswig-holsteinischen Generalkommando unterzeichnet, ist den Polizeibüralisten des Herrn Kühlwetter eine Legitimation, die „Zweifelnunterliegt"? Sonderbare Bürokratie! Noch einige Abgeordnete sprechen gegen die Minister, bis endlich der Präsident die Sache fallenläßt und der Abgeordnete Mätze die Versammlung
aus den Stürmen dieser Debatte in die stille See des Schullehrerlebens führt, wo wir sie unter Anwünschung der schönsten idyllischen Freuden verlassen. Wir freuen uns, daß es endlich einmal einem Abgeordneten der Linken gelungen ist, durch eine gutbegründete Interpellation und entschiedenes Auftreten die Herren Minister Spießruten laufen zu lassen und eine Szene hervorzurufen, die an französische und englische Parlamentsdebatten erinnert.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Das Ministerium der Tat
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.39 vom9.juli 1848] * Köln, 7. Juli. Wir haben eine neue Ministerkrisis. Das Ministerium Camphausen ist gestürzt, das Ministerium Hansemann ist gestolpert. Das Ministerium der TaP8^ hatte eine Lebensdauer von acht Tagen, trotz aller Hausmittelchen, Schönpflaster, Preßprozesse, Verhaftungen, trotz der dünkelhaften Keckheit, womit die Bürokratie ihr aktenbestaubtes Haupt wieder erhob und für ihre Entthronung kleinlich-brutale Rache ausbrütete. Das „Ministerium der Tat", aus lauter Mittelmäßigkeiten zusammengesetzt, war beim Beginn der letzten Sitzung der Vereinbarungsversammlung noch so befangen, an seine Unerschütterlichkeit zu glauben. Am Schluß der Sitzung[176] war es völlig zersprengt. Diese folgenreiche Sitzung brachte dem Ministerpräsidenten v. Auerswald die Überzeugung bei, daß er seine Entlassung einreichen müsse; auch der Minister v. Schreckenstein wollte nicht länger Hansemanns Schleppenträger bleiben, und so begab sich gestern das gesamte Ministerium zum König nach Sanssouci. Was da abgemacht wurde, werden wir bis morgen erfahren. Unser Berliner zj^z-Korrespondent schreibt in einer Nachschrift: „Soeben verbreitet sich das Gerücht, daß Vincke, Pinder, Mevissen eiligst herberufen worden sind, um ein neues Ministerium bilden zu helfen." Bestätigt sich dies Gerücht, so wären wir also endlich vom Ministerium der Vermittlung durch das Ministerium der Tat zu einem Ministerium der Kontrerevolution gelangt. Endlich! Die sehr kurze Lebensfrist dieser ministeriellen Kontrerevolution würde hinreichen, um die Zwerge, die bei dem geringsten Windzuge der Reaktion ihre Köpfchen wieder erheben, dem Volke in ganzer Lebensgröße zu zeigen.
Vereinbarungsdebatte
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.39vom9.Juü 1848] ** Köln, 8 .Juli. Zugleich mit der Nachricht von der Auflösung des Ministeriums Hansemann kommt uns auch der stenographische Bericht über die Vereinbarungssitzung vom 4. Juli zu.[2°3 In dieser Sitzung wurde das erste Symptom dieser Auflösung, der Austritt des Herrn Rodbertus, bekanntgemacht und zugleich der Zerfall des Ministeriums durch die beiden widersprechenden Abstimmungen über die Posener Kommission und den Austritt der Linken^1763 einen bedeutenden Schritt weitergefördert. Die Ankündigungen der Herrn Minister über den Austritt von Rodbertus enthalten auch im stenographischen Bericht nichts Neues. Wir übergehen sie. Es erhob sich Herr Forstmann: Er müsse protestieren gegen die Ausdrücke, Welche Herr Gladbach am 30. Juni von der „Deputation der achtbarsten Männer des Rheinlands und Westfalens" gebraucht habe.1 Herr Berg: Ich habe bereits neulich zur Geschäftsordnung die Bemerkung gemacht, daß die Verlesung des Schreibens nicht hierher gehöre und daß sie mich langweile.2 (Ruf: Uns langweile!) Gut, uns. Ich habe für mich und mehrere gesprochen, und der Umstand, daß wir heute durch eine nachträgliche Bemerkung gelangweilt werden, hebt diese Bemerkung nicht auf. Herr Tüshaus, Referent der Zentralabteilung in der posenschen Kommissionsfrage, stattet Bericht ab. Die Zentralabteilung trägt darauf an, daß die Kommission ernannt werde, um alle auf die Posener Angelegenheit bezüglichen Fragen zu untersuchen, und läßt die Frage offen, welche Mittel die Kommission zu diesem Zweck zu ihrer Verfügung haben soll. Die Herren Wolff, Müller, Reichensperger II und Sommer haben Amendements gestellt, die sämtlich unterstützt werden und zur Diskussion kommen.
Herr Tüshaus fügt seinem Bericht noch einige Bemerkungen hinzu, in denen er sich gegen die Kommission ausspricht. Die Wahrheit liege wie immer auch diesmal offenbar in der Mitte, und man werde nach langen und widersprechenden Berichten nur zu dem Resultate kommen, daß von beiden Seiten Unrecht geschehen sei. Damit sei man gerade so weit wie jetzt. Man solle sich wenigstens erst von der Regierung einen detaillierten Bericht geben lassen und daraufhin das Weitere beschließen. Wie kommt die Zentralabteilung dazu, einen Berichterstatter zu wählen, der gegen seinen eignen Bericht das Wort ergreift? Herr Reuter entwickelt die Gründe, die ihn veranlaßten, den Antrag zur Ernennung der Kommission zu stellen. Er bemerkt schließlich, er habe keineswegs eine Anklage der Minister beabsichtigt; er als Jurist wisse zu gut, daß alle bisherige Verantwortlichkeit der Minister illusorisch sei, solange kein Gesetz über diesen Punkt existiere. Herr Reichensperger II erhebt sich. Er beteuert seine enormen Sympathien für Polen, er hofft, daß der Tag nicht fern sein wird, wo die deutsche Nation den Enkeln Sobieskis eine alte Ehrenschuld abträgt. (Als ob diese Ehrenschuld nicht längst abgetragen sei durch acht Teilungen Polens, durch Schrapnells, Höllenstein und Stockprügel!) „Aber wir werden auch die ruhigste Besonnenheit behaupten müssen, damit die deutschen Interessen immerdar in erster Linie bleiben." (Die deutschen Interessen bestehen natürlich darin, daß man von dem Gebiet soviel behält wie möglich.) Und gegen eine Kommission zur Untersuchung des Tatbestandes ist Herr Reichensperger besonders: „Dies ist eine Frage, welche ausdrücklich1 der Geschichte oder den Gerichten angehört." Hat Herr Reichensperger vergessen, daß er selbst in der Revolutionsdebatte erklärte, die Herren seien da, um „Geschichte zu machen"P2 Er schließt mit einer juristischen Spitzfindigkeit über die Stellung der Abgeordneten. Wir kommen später auf die Kompetenzfrage zurück. „ Jetzt aber erhebt sich der Herr Bauer aus Krotoschin, selbst ein Deutschpole, um die Interessen seiner Genossenschaft zu verteidigen. „Ich hätte gern die Versammlung gebeten, einen Schleier vor die Vergangenheit zu ziehen und sich nur mit der Zukunft eines Volks zu beschäftigen, das unsere Teilnahme mit Recht in Anspruch nimmt." Wie rührend! Herr Bauer aus Krotoschin ist so sehr von Teilnahme an der Zukunft des polnischen Volks in Anspruch genommen, daß er über seine Vergangenheit, über die Barbareien der preußischen Soldateska, der Juden
und Deutschpolen „einen Schleier ziehen" möchte! Im Interesse der Polen selbst soll man die Sache fallenlassen!
„Was verspricht man sich von so betrübenden Erörterungen? Finden Sie die Deutschen schuldig, wollen Sie deshalb weniger für die Wahrung ihrer Nationalität, für die Sicherung ihrer Person und ihres Eigentums sorgen?" In der Tat, eine großartige Offenherzigkeit! Herr Bauer aus Krotoschin gibt zu, daß die Deutschen möglicherweise unrecht haben könnten — aber wenn auch, die deutsche Nationalität muß doch auf Kosten der Polen unterstützt werden! „ Ich vermag nicht abzusehen, was das Aufwühlen des Schuttes der Vergangenheit Ersprießliches zutage fördern kann für eine befriedigende Lösung dieser schwierigen Fragen." Allerdings nichts „Ersprießliches" für die Herren Deutschpolen und ihre wütigen Bundesgenossen. Darum sperren sie sich auch so sehr dagegen. Herr Bauer sucht dann die Versammlung zu intimidieren: Durch eine solche Kommission werde von neuem der Feuerbrand in die Gemüter geworfen, von neuem der Fanatismus angeregt, und von neuem könne ein blutiger Zusammenstoß entstehen. Diese menschenfreundlichen Rücksichten verhindern Herrn Bauer, für die Kommission zu stimmen. Aber damit es nicht scheine, seine Kommittenten hätten die Kommission zu fürchten, kann er auch nicht dagegen stimmen. Aus Rücksicht für die Polen ist er gegen, aus Rücksicht für die Deutschen ist er für die Kommission, und um in diesem Dilemma seine ganze Unparteilichkeit zu bewahren, stimmt er gar nicht. Ein anderer Abgeordneter aus Posen, Büßmann von Gnesen, sieht seine bloße Gegenwart als einen Beweis an, daß in Posen auch Deutsche wohnen. Er will statistisch beweisen, daß in seiner Gegend „ganze Massen Deutsche" wohnen. (Unterbrechung.) Das Vermögen vollends sei zu mehr als zwei Drittel in den Händen der Deutschen. „Dagegen glaube ich de« Beweis zu liefern, daß wir Preußen Polen nicht bloß 1815 durch unsere Waffen erobert haben (!?!), sondern durch einen 33jährigen Frieden, durch unsere Intelligenz" (wovon diese Sitzung Proben bietet) „zum zweiten Male erobert haben. (Unterbrechung. Der Präsident fordert Herrn Bußmann auf, bei der Sache zu bleiben.) Gegen Reorganisation bin ich nicht; die vernünftigste Reorganisation wäre aber eine Gemeindeordnung mit Wahl der Beamten; diese und die Frankfurter Beschlüsse über Schutz aller Nationalitäten^1833 würde den Polen alle Garantien bieten. Gegen die Demarkationslinie bin ich aber sehr. (Unterbrechung. Nochmalige Zurechtweisung.) Wenn ich denn bei der Sache bleiben soll, so bin ich gegen die Kommission, weil sie nutzlos und aufregend ist; übrigens fürchte ich sie nicht,
sondern werde für die Kommission sein, wenn es darauf ankomme... (Unterbrechung: Er spricht also dafür!) Nein, ich spreche dagegen... Meine Herren, um wenigstens die Gründe, weshalb der Aufruhr entstanden, zu begreifen, will ich Ihnen mit kurzen Worten..." (Unterbrechung. Widerspruch.) Cieszkpwski: Nicht unterbrechen! Ausreden lassen! Präsident: Ich bitte den Redner abermals, streng bei der Frage zu bleiben. Bußmann: „Ich habe mich gegen die Kommission darüber ausgesprochen und habe weiter nichts zu sagen!" Mit diesen wütenden Worten verläßt der entrüstete deutschpolnische Herr Rittergutsbesitzer die Tribüne und eilt unter dem schallenden Gelächter der Versammlung seinem Platze zu. Herr Heyne, Abgeordneter des Bromberger Kreises, sucht die Ehre seiner Landsleute zu retten, indem er für die Kommission stimmt. Er kann sich indes auch nicht enthalten, den Polen Arglist, Betrug usw. vorzuwerfen. Herr Baumstark, ebenfalls ein Deutschpole, ist wieder gegen die Kommission. Die Gründe sind immer die alten. Die Polen enthalten sich der Diskussion. Nur Pokrzywnicki spricht für die Kommission. Es ist bekannt, daß gerade die Polen von jeher auf Untersuchung drangen, während es sich jetzt herausstellt, daß die Deutschpolen mit einer Ausnahme alle dagegen protestieren. Herr Pohle ist so wenig Pole, daß er ganz Posen zu Deutschland rechnete und die Grenze zwischen Deutschland und Polen für eine „durch Deutschland gezogene Scheidewand" erklärte! Die Verteidiger der Kommission sprachen im allgemeinen breit und mit wenig Schärfe. Wie bei ihren Gegnern, kamen auch bei ihnen Wiederholungen über Wiederholungen vor. Ihre Argumente waren meist feindlich trivialer Natur und weit weniger unterhaltend als die interessierten Beteuerungen der Deutschpolen. Auf die Stellung der Minister, Beamten in dieser Frage sowie auf die vielberühmte Kompetenzfrage kommen wir morgen zurück.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die Ministerkrisis
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.40 vom 10. Juli 1848] * Köln, 9. Juli. Das Ministerium HansemanrPschiebt mit großer Zähigkeit seine Auflösung einige Tage hinaus. Der Minister der Finanzen namentlich scheint zu patriotisch, um ungeübten Händen die Verwaltung des Staatsschatzes überlassen zu wollen. Parlamentarisch zu sprechen, war das Ministerium aufgelöst, und dennoch existiert es faktisch noch fort. Zu Sanssouci scheint der Versuch einer Lebensverlängerung noch einmal beschlossen worden zu sein. Die Vereinbarungsversammlung selbst, jeden Augenblick auf dem Sprung, dem Ministerium die Todeswunde beizubringen, fährt den folgenden Augenblick wieder zusammen, erschrickt vor ihren eigenen Gelüsten, und die Majorität scheint zu ahnen, daß, wenn das Ministerium Hansemann noch nicht das Ministerium nach ihrem Herzen, ein Ministerium nach ihrem Herzen zugleich das Ministerium der Krise und der Entscheidung ist. Daher ihre Schwankungen, ihre Inkonsequenzen, ihre mutwilligen Ausfälle, ihr plötzliches Umschlagen zur Reue. Und das Ministerium der Tat akzeptiert ein so geliehenes, jeden Augenblick in Frage gestelltes, gedemütigtes, von den Almosen der Schwäche zehrendes Leben mit unerschütterlichem, fast zynischem Gleichmut. Duchatel! Duchatel! Der unvermeidliche, nur mühsam für einige Tage verschleppte Untergang dieses Ministeriums wird so unrühmlich sein wie seine Existenz. Einen v/eitern Beitrag zur Beurteilung dieser Existenz wird dem Leser die Berliner ^-Korrespondenz unsrer heutigen Nummer bringen. Mit einem Wort können wir die Vereinbarungssitzung vom 7. Juli1 schildern. Die Versammlung hänselt das Ministerium Hansemann, sie macht sich das Vergnügen, ihm halbe Niederlagen beizubringen, es beugt halb schmunzelnd, halb grollend sein Haupt, aber beim Abschied ruft die hohe Versammlung ihm nach: „Nichts für ungut!'1 und das stoische Triumvirat HansemannKühlwetter-Milde murmelt zurück: Pas si bete! Pas si bete!2
Geschrieben von Karl Marx.
\7 Im. A I..i: V CI CillUclI UIlgääJLlZ.UUg VUI11 T. J Uli
(Zweiter Artikel)
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 41 vom 11. Juli 1848] ** Köln, 9. Juli. Welch ein dringend notwendiger Akt der Gerechtigkeit gegen die Polen die Ernennung einer Untersuchungskommission mit unbedingter Vollmacht ist, geht aus dem Bericht hervor, den wir seit drei Tagen angefangen haben, nach authentischen Aktenstücken zu geben.[184] Die altpreußischen Beamten, schon von vornherein in einer feindlichen Stellung gegen die Polen, sahen sich durch die Reorganisationsverheißungen in ihrer Existenz bedroht. Der kleinste Akt der Gerechtigkeit gegen die Polen brachte ihnen Gefahr. Daher die fanatische Wut, womit sie, unterstützt von der losgelassenen Soldateska, über die Polen herfielen, die Konventionen brachen, die harmlosesten Leute mißhandelten, die größten Schändlichkeiten durchgehen ließen oder sanktionierten, nur um die Polen zu einem Kampfe zu zwingen, in dem ihre Erdrückung durch die kolossalste Übermacht gewiß war. Das Ministerium Camphausen, nicht nur schwach, ratlos, schlecht berichtet, sondern sogar absichtlich, aus Prinzip untätig, ließ alles gehen, wie es ging. Die schauderhaftesten Barbareien geschahen, und Herr Camphausen rührte sich nicht. Weiche Berichte liegen jetzt vor über den posenschen Bürgerkrieg^23? Hier die-parteiischen, interessierten Berichte der Urheber des Kriegs, der Beamten, der Offiziere, und die auf beide gestützten Data, die das Ministerium geben kann. Das Ministerium ist ebenfalls selbst Partei, solange Herr Hansemann darin sitzt. Diese Aktenstücke sind parteiisch, aber sie sind offiziell. Dort die von den Polen gesammelten Tatsachen, ihre Klagschriften ans Ministerium, namentlich die Briefe des Erzbischofs Przyluski an die Minister t185-1. Diese Aktenstücke haben meist keinen offiziellen Charakter, ihre Verfasser erbieten sich aber zum Beweise der Wahrheit.
Die beiden Klassen von Berichten widersprechen einander total, und die Kommission soll untersuchen, welche Seite recht hat. Sie kann — wenige Ausnahmsfälle abgerechnet — dies nur dadurch tun, daß sie sich an Ort und Stelle begibt und durch Zeugenverhör wenigstens die wichtigsten Punkte ins klare bringt. Wird ihr dies untersagt, so ist ihre ganze Tätigkeit illusorisch, so mag sie eine gewisse historisch-philologische Kritik üben, den einen oder den andern Bericht für glaubwürdiger erklären, aber entscheiden kann sie nicht. Die ganze Bedeutung der Kommission hängt also von der Befugnis ab, Zeugen zu verhören, und daher der Eifer sämtlicher Polenfresser in der Versammlung, sie durch allerlei tiefsinnige und spitzfindige Gründe zu beseitigen, daher der Staatsstreich am Schluß der Sitzung. Der Abgeordnete Bloem sagte in der Debatte des 4. [Juli][25]:
„Heißt es Wahrheit erforschen, wenn man, wie einige Amendements wollen, aus den Regierungsvorlagen die Wahrheit schöpfen will? Wahrlich mitnichten! Woraus sind die Regierungsvorlagen entstanden? Aus den Berichten der Beamten größtenteils. Woraus sind die Beamten hervorgegangen? Aus dem alten System. Sind diese Beamten verschwunden, hat man aus neuer, volkstümlicher Wahl neue Landräte eingesetzt? Keineswegs. Werden wir von den Beamten über die wahre Stimmung unterrichtet? Die alten Beamten berichten noch heute wie früher. Es ist also klar, die bloße Einsicht der Ministerialakten wird uns zu nichts führen." Der Abgeordnete Richter geht noch weiter. Er sieht in dem Benehmen der Posener Beamten nur die äußerste, aber notwendige Folge der Beibehaltung des alten Verwaltungssystems und der alten Beamten überhaupt. Ähnliche Konflikte zwischen der Amtspflicht und dem Interesse der alten Beamten können alle Tage auch in andern Provinzen vorkommen.
„Wir haben seit der Revolution ein anderes Ministerium und sogar ein zweites erhalten; aber das Ministerium ist ja nur die Seele, es hat überall gleichmäßig zu organisieren. Dagegen in den Provinzen ist überall die alte Organisation der Verwaltung dieselbe geblieben. Wollen Sie ein anderes Bild haben? Man gießt nicht den neuen Wein in alte verrottete Schläuche. Auf diese Art haben wir im Großherzogtum die furchtbarsten Klagen. Sollten wir nicht schon deswegen eine Kommission niedersetzen, daß man sehe, wie sehr es nötig ist, in andern Provinzen ebensogut wie in Posen, die alte Organisation durch eine neue zu ersetzen, die für Zeit und Umstände paßt?" Der Abgeordnete Richter hat recht. Nach einer Revolution ist eine Erneuerung sämtlicher Zivil- und Militärbeamten sowie eines Teils der gerichtlichen, und besonders der Parquets, die erste Notwendigkeit. Sonst scheitern die besten Maßregeln der Zentralgewalt an der Widerhaarigkeit der Subalternen. Die Schwäche der französischen provisorischen Regierung, die
Schwäche des Ministeriums Camphausen haben in dieser Beziehung bittere Früchte getragen. In Preußen aber, wo eine seit vierzig Jahren vollständig organisierte bürokratische Hierarchie in der Verwaltung und im Militär mit absoluter Gewalt geherrscht hat, in Preußen, wo gerade diese Bürokratie der Hauptfeind war, den man am 19.März besiegt hatte, hier war die vollständige Erneuerung der Zivil- und Militärbeamten noch unendlich dringender. Aber das Ministerium der Vermittlung hatte natürlich nicht den Beruf, revolutionäre Notwendigkeiten durchzuführen. Es hatte eingestandnermaßen den Beruf, gar nichts zu tun, und ließ daher seinen alten Gegnern, den Bürokraten, einstweilen die wirkliche Macht in den Händen. Es „vermittelte" die alte Bürokratie mit den neuen Zuständen; dafür „vermittelte" die Bürokratie ihm den posenschen Bürgerkrieg und die Verantwortlichkeit für Grausamkeiten, wie sie seit dem Dreißigjährigen Kriege nicht mehr vorgekommen waren. Das Ministerium Hansemann, Erbe des Ministeriums Camphausen, hatte sämtliche Aktiva und Passiva seines Erblassers übernehmen müssen, also nicht nur die Majorität in der Kammer, sondern auch die posenschen Ereignisse und die posenschen Beamten. Das Ministerium war also direkt interessiert, die Untersuchung durch die Kommission so illusorisch wie möglich zu machen. Die Redner der ministeriellen Majorität, und namentlich die Juristen, wandten ihren ganzen Vorrat von Kasuistik und Spitzfindigkeit an, um einen tiefsinnigen, prinzipiellen Grund zu entdecken, weshalb die Kommission keine Zeugen verhören dürfe. Es würde zu weit führen, wollten wir uns hier auf die Bewunderung der Jurisprudenz eines Reichensperger usw. einlassen. Wir müssen uns darauf beschränken, die gründliche Erörterung des Herrn Ministers Kühlwetter ans Tageslicht hervorzuziehen. Herr Kühlwetter, die materielle Frage gänzlich beiseite lassend, beginnt mit der Erklärung, wie äußerst angenehm es dem Ministerium sein werde, wenn solche Kommissionen ihm in Erfüllung seiner schweren Aufgabe durch Aufklärungen etc. zur Hand gingen. Ja, hätte Herr Reuter nicht den glücklichen Einfall gehabt, eine solche Kommission vorzuschlagen1, so würde Herr Kühlwetter unbedingt selbst darauf gedrungen haben. Man möge der Kommission nur recht weitläuftige Aufträge geben (damit sie nie fertig werde), er sei damit einverstanden, daß eine ängstliche Abwägung durchaus nicht erforderlich sei. Sie möge die ganze Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Provinz Posen in den Bereich ihrer Wirksamkeit ziehen; sofern es sich nur um Aufklärungen handle, werde das Ministerium die Kompetenz der Kommis
sion nicht ängstlich prüfen. Freilich könne man zu weit gehen, doch überlasse er es der Weisheit der Kommission, ob sie z.B. auch die Frage wegen Absetzung der posenschen Beamten in ihren Bereich ziehen wolle. Soweit die einleitenden Konzessionen des Herrn Ministers, die, mit einigen biedermännischen Deklamationen verbrämt, sich mehrerer lebhaften Bravos zu erfreuen hatten. Jetzt folgen die Aber.
„Wenn aber bemerkt worden ist, daß die Berichte über Posen unmöglich ein richtiges Licht verbreiten könnten, weil es nur Beamte seien, und zwar Beamte aus der alten Zeit, halte ich es für meine Pflicht, einen ehrenwerten Stand in Schutz zu nehmen. Ist es wahr, daß einzelne Beamte ihrer Pflicht nicht getreu gewesen sind, so ahnde man dies an den einzelnen Pflichtvergessenen, aber der Stand der Beamten darf niemals herabgewürdigt werden, weil einzelne Glieder desselben ihre Pflicht verletzt haben."
Wie kühn Herr Kühlwetter auftritt! Allerdings haben einzelne Pflichtverletzungen stattgefunden, aber im ganzen haben die Beamten ihre Pflicht in ehrenwerter Weise getan. Und in der Tat, die Masse der posenschen Beamten hat ihre „Pflicht" getan, ihre „Pflicht gegen ihren Diensteid", gegen das ganze altpreußische System der Bürokratie, gegen ihr eignes, mit dieser Pflicht zusammenfallendes Interesse. Sie haben ihre Pflicht erfüllt, indem ihnen jedes Mittel gut war, um den 19. März in Posen zu vernichten. Und gerade deswegen, Herr Kühlwetter, ist es Ihre „Pflicht", diese Beamten in Masse abzusetzen! Aber Herr Kühlwetter spricht von der durch die vorrevolutionären Gesetze bestimmten Pflicht, da wo es sich von einer ganz andern Pflicht handelt, die nach jeder Revolution eintritt und die darin besteht, die veränderten Verhältnisse richtig aufzufassen und ihre Entwicklung zu befördern. Und den Beamten zumuten, sie sollen den bürokratischen Standpunkt mit dem konstitutionellen vertauschen, sie sollen sich ebensogut wie die neuen Minister auf den Boden der Revolution stellen, das heißt nach Herrn Kühlwetter einen ehrenwerten Stand herabwürdigen! Auch den Vorwurf, es seien Parteihäupter begünstigt und Verbrechen ungestraft geblieben, weist Herr Kühlwetter in dieser Allgemeinheit zurück. Man soll einzelne Fälle angeben. Behauptet Herr Kühlwetter etwa alles Ernstes, auch nur ein kleiner Teil der Brutalitäten und Grausamkeiten sei bestraft worden, die die preußische Soldateska verübt, die die Beamten zugelassen und unterstützt, denen die Deutschpolen und Juden Beifall zugejubelt haben? Herr Kühlwetter sagt, er habe bisher das kolossale Material noch nicht von allen Seiten prüfen können. In der Tat, er scheint es höchstens nach einer Seite hin geprüft zu haben.
13 Marx/Engels. Werke, Bd. 5
Jetzt aber kommt Herr Kühlwetter zu der „schwierigsten und bedenklichsten Frage", nämlich der, in welchen Formen die Kommission verhandeln solle. Herr Kühlwetter hätte diese Frage gründlicher diskutiert gewünscht, denn „es liegt in dieser Frage, wie mit Recht bemerkt worden, eine Prinzipienfrage, die Frage des droit d'enquete1". Herr Kühlwetter beglückt uns nun mit einer längeren Entwicklung über die Teilung der Gewalten im Staat, die gewiß manches Neue für die oberschlesischen und pommerschen Bauern in der Versammlung enthielt. Es macht einen merkwürdigen Eindruck, im Jahre des Heils 1848 einen preußischen Minister, und noch dazu einen „Minister der Tat", auf der Tribüne mit feierlichem Ernst den Montesquieu auslegen zu hören. Die Teilung der Gewalten, die Herr Kühlwetter und andre große Staatsphilosophen als ein heiliges und unverletzliches Prinzip mit der tiefsten Ehrfurcht betrachten, ist im Grunde nichts anders als die profane industrielle Teilung der Arbeit, zur Vereinfachung und Kontrolle angewandt auf den Staatsmechanismus. Sie wird wie alle andern heiligen, ewigen und unverletzlichen Prinzipien nur soweit angewandt, als sie gerade den bestehenden Verhältnissen zusagt. So laufen in der konstitutionellen Monarchie z.B. die gesetzgebende und vollziehende Gewalt in der Person des Fürsten durcheinander; ferner in den Kammern die gesetzgebende Gewalt mit der Kontrolle über die vollziehende usw. Diese unentbehrlichen Beschränkungen der Teilung der Arbeit im Staat drücken nun Staatsweise von der Force eines „Ministers der Tat" folgendermaßen aus:
„Die gesetzgebende Gewalt, soweit dieselbe durch die Volksrepräsentation ausgeübt wird, hat ihre eigenen Organe; die vollziehende Gewalt hat ihre eignen Organe und nicht minder die richterliche Gewalt. Es ist daher (!) nicht zulässig, daß die eine Gewalt direkt die Organe der andern Gewalt in Anspruch nehme, es sei denn, daß es ihr durch ein besonderes Gesetz übertragen werde." Die Abweichung von der Teilung der Gewalten ist nicht zulässig, „es sei denn, daß sie durch ein besondres Gesetz" vorgeschrieben sei! Und umgekehrt, die Anwendung der vorgeschriebenen Teilung der Gewalten ist ebenfalls nicht zulässig, „es sei denn, daß sie durch besondere Gesetze" vorgeschrieben sei! Welcher Tiefsinn! Welche Aufschlüsse! Von dem Fall einer Revolution, wo die Teilung der Gewalten ohne „ein besonderes Gesetz" aufhört, spricht Herr Kühlwetter gar nicht. Herr Kühlwetter ergeht sich nun in eine Erörterung darüber, daß die Vollmacht für die Kommission, Zeugen eidlich zu vernehmen, Beamte zu
requirieren usw., kurz, mit eignen Augen zu sehen, ein Eingriff in die Teilung der Gewalten sei und durch ein besonderes Gesetz festgestellt werden müsse. Als Beispiel wird die belgische Konstitution beigebracht, deren Artikel 40 das droit d'enquete den Kammern ausdrücklich gibt. Aber, Herr Kühlwetter, besteht denn in Preußen gesetzlich und tatsächlich eine Teilung der Gewalten in dem Sinn, in welchem Sie das Wort verstehen, in konstitutionellem Sinn? Ist die existierende Teilung der Gewalten nicht die beschränkte, zugestutzte, die der absoluten, der bürokratischen Monarchie entspricht? Wie kann man also konstitutionelle Phrasen auf sie anwenden, ehe sie konstitutionell reformiert ist? Wie können die Preußen einen Artikel 40 der Konstitution haben, solange diese Konstitution selbst noch gar nicht existiert? Resümieren wir. Nach Herrn Kühlwetter ist die Ernennung einer Kommission mit unbeschränkter Vollmacht ein Eingriff in die konstitutionelle Teilung der Gewalten. Die konstitutionelle Teilung der Gewalten besteht in Preußen noch gar nicht; man kann also auch keinen Eingriff in sie tun. Aber sie soll eingeführt werden, und während des revolutionären Provisoriums, in dem wir leben, muß sie nach der Ansicht des Herrn Kühlwetter als schon bestehend vorausgesetzt werden. Hätte Herr Kühlwetter recht, so müßten doch wahrlich auch die konstitutionellen Ausnahmen als bestehend vorausgesetzt werden! Und zu diesen konstitutionellen Ausnahmen gehört ja gerade das Untersuchungsrecht der gesetzgebenden Körper! Aber Herr Kühlwetter hat keineswegs recht. Im Gegenteil: Das revolutionäre Provisorium besteht gerade darin, daß die Teilung der Gewalten provisorisch aufgehoben ist, daß die gesetzgebende Behörde die Exekutivgewalt oder die Exekutivbehörde die gesetzgebende Gewalt momentan an sich reißt. Ob die revolutionäre Diktatur (sie ist eine Diktatur, mag sie noch so schlaff geübt werden) sich in den Händen der Krone oder einer Versammlung oder beider zusammen befindet, ist ganz gleichgültig. Will Herr Kühlwetter Beispiele aller drei Fälle, die französische Geschichte seit 1789 liefert die Menge. Das Provisorium, an das Herr Kühlwetter appelliert, beweist gerade gegen ihn. Es gibt der Versammlung noch ganz andere Attribute als das bloße Untersuchungsrecht - es gibt ihr sogar das Recht, sich nötigenfalls in einen Gerichtshof zu verwandeln und ohne Gesetze zu verurteilen! Hätte Herr Kühlwetter diese Konsequenzen vorausgesehen, er wäre vielleicht etwas vorsichtiger mit der „Anerkennung der Revolution" umgegangen.
Aber er beruhige sich: Deutschland, die fromme Kinderstube, Ist keine römische Mördergrube,[1861 und die Herren Vereinbarer mögen sitzen, solange sie wollen, sie werden nie ein „langes Parlament"1187' werden. Wenn wir übrigens den Amtsdoktrinär des Ministeriums der Tat mit seinem Vorgänger in der Doktrin, Herrn Camphausen, vergleichen, so finden wir doch einen bedeutenden Abstand. Herr Camphausen besaß jedenfalls unendlich mehr Originalität; er streifte an Guizot, aber Herr Kühlwetter erreicht nicht einmal den winzigen Lord john Russell. Wir haben die staatsphilosophische Fülle der Kühlwetterschen Rede genugsam bewundert. Betrachten wir jetzt den Zweck, den eigentlichen praktischen Grund dieser bemoosten Weisheit, dieser ganzen Montesquieuschen Teilungstheorie. Herr Kühlwetter kommt nämlich jetzt zu den Konsequenzen seiner Theorie. Das Ministerium ist ausnahmsweise geneigt, die Behörden anzuweisen, dasjenige auszuführen, was die Kommission für nötig findet. Nur dagegen muß es sich erklären, daß Aufträge an die Behörden direkt von der Kommission ausgehen; d.h. die Kommission, ohne direkte Verbindung mit den Behörden, ohne Macht über sie, kann sie nicht zwingen, ihr andere Auskunft zu schaffen, als die die Behörden zu geben für gut finden. Und dazu noch der schleppende Geschäftsgang, der endlose Instanzenzug! Ein hübsches Mittel, unter dem Vorwande der Teilung der Gewalten die Kommission illusorisch zu machen!
„Es kann die Absicht nicht sein, der Kommission die ganze Aufgabe zu übertragen, welche die Regierung hat." Als ob jemand daran dächte, der Kommission das Recht zum Regieren zu geben! „Die Regierung würde neben der Kommission zu ermitteln fortfahren müssen, welche Ursachen der Entzweiung in Posen zu Grunde gelegen" (eben daß sie schon so lange „ermittelt" und noch nichts aiisgemittelt hat, ist Grund genug, sie jetzt ganz außer Frage zu lassen), „und dadurch, daß auf doppeltem Weg dieser Zweck verfolgt wird, dürfte Zeit und Mühe oft unnütz verwendet und dürften Kollisionen kaum zu vermeiden sein." Nach den bisherigen Antezedentien würde die Kommission gewiß sehr viel „Zeit und Mühe unnütz verwenden", wenn sie sich auf Herrn Kühlwetters Vorschlag mit dem langwierigen Instanzenzuge einließ. Die Kollisionen sind auf diesem Wege ebenfalls viel leichter, als wenn die Kommission direkt
mit den Behörden verkehrt und sofort Mißverständnisse aufklären, bürokratische Trotzgelüste niederschlagen kann.
„Es scheint daher (!) in der Natur der Sache zu liegen, daß die Kommission im Einverständnis mit dem Ministerium und unter steter Mitwirkung desselben den Zweck zu erreichen suche." Immer besser! Eine Kommission, die das Ministerium kontrollieren soll, im Einverständnis mit ihm und unter seiner steten Mitwirkung! Herr Kühlwetter geniert sich nicht, merken zu lassen, wie er es für wünschenswert hält, daß die Kommission unter seiner Kontrolle, nicht er unter der ihrigen stehe.
„Wollte dagegen die Kommission eine isolierte Stellung einnehmen, so müßte die Frage entstehen, ob da die Kommission die Verantwortlichkeit übernehmen will und kann, welche dem Ministerium obliegt. Mit ebensoviel Wahrheit als Geist ist bereits die Bemerkung gemacht worden, daß die Unverletzlichkeit der Deputierten mit dieser Verantwortlichkeit nicht vereinbarlich ist." Es handelt sich nicht um Verwaltung, sondern bloß um Feststellung von Tatsachen. Die Kommission soll die Vollmacht erhalten, die dazu nötigen Mittel anzuwenden. Das ist alles. Daß sie sowohl wegen nachlässiger, wie wegen übertriebener Anwendung dieser Mittel der Versammlung verantwortlich ist, versteht sich von selbst. Die ganze Sache hat mit ministerieller Verantwortlichkeit und Deputiertenunverantwortlichkeit ebensowenig [zu] tun wie mit „Wahrheit" und „Geist". Genug, Herr Kühlwetter legte diese Vorschläge zur Lösung der Kollision unter dem Vorwand der Teilung der Gewalten den Vereinbarern ans Herz, ohne indes einen bestimmten Vorschlag zu machen. Das Ministerium der Tat fühlt sich auf unsicherm Boden. Wir können auf die weitere Diskussion nicht eingehen. Die Abstimmungen sind bekannt: die Niederlage der Regierung bei der namentlichen Abstimmung, der Staatsstreich der Rechten, die eine bereits verworfene Frage nachträglich noch annahm.[176] Wir haben dies alles schon gegeben. Wir fügen nur hinzu, daß unter den Rheinländern, die gegen die unbedingte Vollmacht der Kommission stimmten, uns folgende Namen auffallen: Arntz, Dr. jur. Bauerband, Frencken, Lensing, v. Loe, Reichensperger II, Simons und der letzte, aber nicht der geringste, unser Oberprokurator Zioeiffel.
Gerichtliche Untersuchung gegen die „Neue Rheinische Zeitung"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 41 vom 11. Juli 1848] * Köln, 10. Juli. Gestern sind elf Setzer unserer Zeitung und Herr Clouth als Zeugen vorgeladen worden, um Dienstag, den 11. Juli, vor dem Instruktionsamt zu erscheinen. Es handelt sich immer noch darum, den Autor des angeschuldeten Artikels1 auszumitteln. Wir erinnern uns, daß zur Zeit der alten „Rheinischen Zeitung"t188], zur Zeit der Zensur und des Ministeriums Arnim, als man den Einsender des famosen „Ehegesetzentwurfs "[189] ausmitteln wollte, weder zur Haussuchung noch zum Verhör der Setzer und des Druckereibesitzers geschritten wurde. Seit der Zeit haben wir allerdings eine Revolution erlebt, die das Unglück hat, von Herrn Hansemann anerkannt zu werden. Wir müssen noch einmal auf die „Entgegnung" des Herrn Staatsprokurator Hecker vom 5. Juli zurückkommen.2 Herr Hecker straft uns in dieser Entgegnung Lügen in bezug auf die eine oder die andere ihm zugeschriebene Äußerung. Wir haben vielleicht jetzt die Mittel in der Hand, die Berichtigung zu berichtigen, aber wer bürgt uns dafür, daß in diesem ungleichen Kampf nicht abermals mit § 222 oder § 367 des Strafgesetzbuches[166] geantwortet wird? Die Entgegnung des Herrn Heeke*" endet mit folgenden Worten: „Die in dem Artikel" (d[e] d[ato] Köln, 4. Juli) „enthaltenen Verleumdungen resp. Beleidigungen gegen den Herrn Oberprokurator Zweiffei und die Gendarmen, welche die Verhaftung vollzogen haben, werden in der gerichtlichen Untersuchung, die deshalb eingeleitet werden wird, ihre Würdigung finden." Ihre Würdigung! Haben die schwarz-rot-goldnen Farben in den unter dem Ministerium Kamptz[WOi eingeleiteten „gerichtlichen Untersuchungen" ihre „Würdigung" gefunden?
Schlagen wir das Strafgesetzbuch nach. Wir lesen § 367:
„Des Vergehens der Verleumdung ist schuldig, wer an öffentlichen Orten, oder in einer authentischen und öffentlichen Urkunde, oder in einer gedruckten oder ungedruckten Schrift, welche angeschlagen, verkauft oder ausgeteilt worden ist, irgend jemanden solcher Tatsachen beschuldigt, die, wenn sie wahr wären, denjenigen, dem sie Schuld gegeben werden, einer kriminal- oder zuchtpolizeilichen Verfolgung, oder auch nur der Verachtung oder dem Hasse der Bürger aussetzen würden." § 370: „Wird die den Gegenstand der Beschuldigung ausmachende Tatsache in gesetzlicher Art als wahr erwiesen, so ist der Urheber der Beschuldigung von aller Strafe frei. Als gesetzlicher Beweis wird nur derjenige angesehen, der aus einem Urteile oder aus irgendeiner andern authentischen Urkunde hervorgeht." Zur Erläuterung dieses Paragraphen fügen wir noch § 368 hinzu: „Demzufolge wird der Urheber der Beschuldigung zu seiner Verteidigung nicht mit dem Gesuche gehört, den Beweis darüber aufzunehmen; er kann ebensowenig als Entschuldigungsgrund anführen, daß die Beweisstücke oder die Tatsache notorisch oder daß die Beschuldigungen, die zu der Verfolgung Anlaß geben, aus fremden Blättern oder sonstigen Druckschriften abgeschrieben oder ausgezogen worden seien."1 Die Kaiserzeit mit ihrem ganzen raffinierten Despotismus leuchtet aus diesen Paragraphen heraus. Dem gewöhnlichen Menschenverstände nach wird jemand verleumdet, wenn man ihn erdichteter Tatsachen bezichtigt; aber im außergewöhnlichen Verstand des Strafgesetzbuchs wird er verleumdet, wenn man ihm wirkliche Tatsachen vorwirft, Tatsachen, die bewiesen werden können, aber nur nicht auf eine exzeptionelle Art, nur nicht durch ein Urteil, durch eine amtliche Urkunde. Wundertätige Kraft der Urteile und amtlichen Urkunden! Nur Verurteilte, nur amtlich beurkundete Tatsachen sind wahre, sind wirkliche Tatsachen. Hat je ein Gesetzbuch den gewöhnlichsten Menschenverstand ärger verleumdet? Hat je die Bürokratie eine ähnliche chinesische Mauer zwischen sich und der Öffentlichkeit aufgeworfen? Mit dem Schild dieses Paragraphen bedeckt, sind Beamte und Deputierte unverletzlich wie konstitutionelle Könige. Begehen mögen diese Herren so viele Tatsachen, „die sie dem Haß und der Verachtung der Bürger preisgeben", als sie für gut finden, aber ausgesprochen, geschrieben, gedruckt dürfen diese Tatsachen nicht werden unter Strafe des Verlustes der bürgerlichen Rechte, nebst obligater Gefängnis- und Geldstrafe. Es lebe die durch die §§ 367,368,370 gemilderte Preß- und Redefreiheit! Du wirst ungesetzlich eingesperrt. Die Presse denunziert die Ungesetzlichkeit. Resultat: Die Denunziation findet ihre „Würdigung" in einer
„gerichtlichen Untersuchung" wegen „Verleumdung" des ehrwürdigen Beamten, der die Ungesetzlichkeit begangen hat, es sei denn, daß ein Wunder geschieht und über die Ungesetzlichkeit, die er heute begeht, schon gestern ein Urteil gefällt worden ist. Kein Wunder, daß die rheinischen Juristen, und unter ihnen der VolksRepräsentant Zweiffei, gegen eine Polenkommission mit absoluter Vollmacht gestimmt! Von ihrem Standpunkt aus mußten die Polen wegen „ Verleumdung" der Colomb, Steinäcker, Hirschfeld, Schleinitz, pommerscher Landwehrmänner und altpreußischer Gendarmen zur Entziehung ihrer bürgerlichen Rechte nebst obligater Gefängnis- und Geldstrafe verurteilt werden. So wäre die eigentümliche Pazifizierung Posens rühmlichst gekrönt. Und welcher Widerspruch, mit Bezugnahme auf diese §§ des Strafgesetzbuchs das Gerücht von der Drohung des Fertigwerdens mit „dem 19. März, den Klubs und der Preßfreiheit"1 eine Verleumdung zu taufen! Als wäre nicht die Anwendung der §§367, 368, 370 des Strafgesetzbuchs auf politische Reden und Schriften die wirkliche definitive Abfertigung des 19. März und der Klubs und der Preßfreiheit! Was ist ein Klub ohne Redefreiheit? Und was ist die Redefreiheit mit §§ 367, 368, 370 des Strafgesetzbuchs? Und was ist der 19.März ohne Klubs und Redefreiheit? Rede- und Preßfreiheit durch die Tat unterdrücken, gibt es einen schlagendem Beweis, daß nur die Verleumdung von der Absicht dieser Tat fabeln konnte? Hütet euch, die gestern auf dem Gürzenich abgefaßte Adresse^1913 zu unterschreiben. Das Parquet wird eure Adresse „würdigen", indem es eine „gerichtliche Untersuchung" einleitet wegen „Verleumdung" von Hansemann-Auerswald, oder dürfen nur die Minister ungestraft verleumdet werden, verleumdet im Sinn des französischen Strafgesetzbuchs, dieses in Lapidarstil ausgehauenen Kodex' der politischen Sklaverei? Besitzen wir verantwortliche Minister und unverantwortliche Gendarmen? Nicht also der angeschuldigte Artikel kann seine Würdigung finden durch die Anwendung der Paragraphen über die „Verleumdung im juristischen Sinn", der Verleumdung im Sinne einer despotischen, den gesunden Menschenverstand empörenden Fiktion. Was darin seine Würdigung finden kann, das sind einzig und allein die Errungenschaften der Märzrevolution, das ist der Höhegrad, den die Kontrerevolution erreicht hat, das ist die Waghalsigkeit, womit die Bürokratie die Waffen, die sich noch im Arsenal der alten Gesetzgebung finden, gegen das neue politische Leben hervorholen und geltend machen darf. Diese Anwendung des Kalumnieartikels bei Angriffen auf
Volksrepräsentanien, welch prächtiges Mittel, die Herrn der Kritik und die Presse der Jury zu entziehen? Gehen wir von der Klage der Verleumdung über zur Klage der Beleidigung. Da begegnet uns § 222, der also lautet:
„Wenn eine oder mehre obrigkeitliche Personen aus dem Verwaltungs- oder gerichtlichen Fache in der Ausübung ihrer Amtspflichten oder aus Veranlassung dieser Ausübung irgendeine Beleidigung durch Worte erfahren, welche dahin zielen, ihre Ehre oder ihre Delikatesse anzugreifen, so wird derjenige, welcher sie auf diese Art beleidigt hat, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft." Herr Zweiffei funktionierte, als der Artikel der „Neuen Rheinischen Zeitung" erschien, als Volksrepräsentant zu Berlin und keineswegs als obrigkeitliche Person*aus dem gerichtlichen Fach zu Köln. Da er keine Amtsverrichtungen ausübte, war es tatsächlich unmöglich, ihn in Ausübung seiner Amtsverrichtungen oder aus Veranlassung dieser Ausübung zu beleidigen. Die Ehre und Delikatesse der Herren Gendarmen aber stände nur dann unter der Schutzwache dieses Artikels, wenn man sie durch Worte (par parole) beleidigt hätte. Wir haben aber geschrieben und nicht gesprochen, und par ecrit1 ist nicht par parole. Was bleibt also übrig? Die Moral, mit mehr Umsicht von dem letzten Gendarmen als von dem ersten Prinzen zu sprechen, und namentlich die höchst irritablen Herren vom Parquet nicht anzutasten sich zu erfrechen. Das Publikum machen wir noch einmal darauf aufmerksam, daß an verschiedenen Orten gleichzeitig, so zu Köln, zu Düsseldorf, zu Koblenz dieselben Verfolgungen begonnen haben. Sonderbare Methode des Zufalls!
Geschrieben von Karl Marx.
Die auswärtige deutsche Politik und die letzten Ereignisse zu Prag
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.42 vom 12. Juli 1848] **Köln, 1 I.Juli. Trotz des patriotischen Geheuls und Getrommeis fast der ganzen deutschen Presse hat die „Neue Rheinische Zeitung" vom ersten Augenblick an in Posen für die Polen, in Italien für die Italiener, in Böhmen für die Tschechen Partei ergriffen. Vom ersten Augenblick an durchschauten wir die machiavellistische Politik, welche, im Innern Deutschlands in den Grundfesten erschwankend, die demokratische Energie zu lähmen, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, der revolutionären Glutlava einen Abzugskanal zu graben, die Waffe der innern Unterdrückung zu schmieden suchte, indem sie einen engherzigen, dem kosmopolitischen Charakter des Deutschen widerstrebenden Stammhaß heraufbeschwor und in Stammkriegen von unerhörtem Greuel, von namenloser Barbarei eine Soldateska heranbildete, wie der Dreißigjährige Krieg sie kaum aufzuweisen hat. In demselben Augenblick, wo die Deutschen um die innere Freiheit mit ihren Regierungen ringen, sie unter dem Kommando derselben Regierungen einen Kreuzzug gegen die Freiheit Polens, Böhmens, Italiens unternehmen lassen, welche Tiefe der Kombination! Welch geschichtliches Paradoxon! In revolutionärer Gärung begriffen, macht sich Deutschland nach außen Luft in einem Krieg der Restauration, in einem Feldzug für die Befestigung der alten Macht, gegen die es eben revolutioniert. Nur der Krieg mit Rußland^10Q] ist ein Krieg des revolutionären Deutschlands, ein Krieg, worin es die Sünden der Vergangenheit abwaschen, worin es sich ermannen, worin es seine eigenen Autokraten besiegen kann, worin es, wie einem die Ketten langer, träger Sklaverei abschüttelnden Volke geziemt, die Propaganda der Zivilisation mit dem Opfer seiner Söhne erkauft und sich nach innen frei macht, indem es nach außen befreit. Je mehr das Tageslicht der Öffentlichkeit die jüngsten Ereignisse in scharfen Umrissen hervortreten läßt, desto mehr besiegeln Tat
Sachen unsere Auffassung der Stammkriege, womit Deutschland seine neue Ära verunehrt hat. Als Beitrag zu solcher Aufklärung lassen wir nachstehenden, obschon verspäteten Bericht von einem Deutschen in Prag folgen: a
Prag, 24. Juni 1848 (Verspätet) Die „Deutsche Allg[emeine] Z[ei]t[un]g" vom 22.d. [Mts.] enthält einen Artikel über die am 18. d. [Mts.] in Aussig abgehaltene Deutschenversammlung, in welcher Reden gehalten worden sind, die eine solche Unkenntnis unserer letzten Vorfälle und teilweise, um gelind zu sprechen, eine solche Bereitwilligkeit zeigen, unsere unabhängige Presse mit schmählichen Vorwürfen zu überhäufen, daß es [der] Referent für seine Pflicht hält, diese Irrtümer soviel als jetzt möglich aufzuklären und den Unbesonnenen und Böswilligen mit der Festigkeit der Wahrheit entgegenzutreten. Es ist überraschend, wenn Männer wie „der Gründer des Vereins zur Wahrimg der deutschen Interessen im Osten" vor einer ganzen Versammlung aussprechen: „Solange der Kampf in Prag währt, kann von einer Verzeihung nicht die Rede sein, und wird uns der Sieg, so muß er künftig benutzt werden." Welcher Sieg ist denn den Deutschen, welche Verschwörung ist denn vernichtet worden? Wer freilich dem Korrespondenten der „Deutschen Allgemeinen]", der, wie es scheint, sich immer nur sehr oberflächlich unterrichtet, den pathetischen Phrasen eines „kleinen Polen- und Franzosenfressers" oder den Artikeln des perfiden „Frankfurter Journals" vertraut, das wie bei den Vorfällen in Baden Deutsche gegen Deutsche, so Deutsche gegen Böhmen aufzuhetzen sucht, der wird nie einen klaren Blick in die hiesigen Verhältnisse tun. Es scheint in Deutschland überall die Meinung zu herrschen, daß der Kampf in den Straßen Prags nur auf die Unterdrückung des deutschen Elements und auf Gründung einer slawischen Republik abgesehen gewesen sei. Vom letztem wollen wir nicht sprechen, denn die Idee ist zu naiv; was das erstere aber anbelangt, so war bei den Kämpfen auf den Barrikaden nicht die geringste Spur einer Rivalität der Nationalitäten bemerkbar; Deutsche und Tschechen standen zusammen zur Verteidigung bereit, und ich selbst habe öfters einen Redner, der tschechisch sprach, das Gesagte deutsch zu wiederholen aufgefordert, welches denn auch allemal ohne die geringste Bemerkung geschah. Man hört einwerfen, daß der Ausbruch der Revolution um zwei Tage zu zeitig gekommen sei, allein, dann hätte demungeachtet doch schon eine gewisse Organisation da und wenigstens für Munition gesorgt sein müssen; allein, hiervon ebenfalls keine Spur. Die Barrikaden wuchsen aufs Geratewohl da aus der Erde, wo sich zehn bis zwölf Menschen zusammen befanden; übrigens hätte man unmöglich mehr aufwerfen können, denn die Ideinsten Gassen waren drei- bis viermal verbarrikadiert. Die Munition wurde in den Straßen gegenseitig ausgetauscht und war nur im höchsten Grade spärlich da. Von Oberbefehl, von irgendeinem Kommando war gar keine Rede; die Verteidiger hielten sich da, wo angegriffen wurde, und schössen ohne Leitung, ohne Kommando aus den Häusern und Barrikaden. Wo sollte also bei solch einem ungeleiteten, unorganisierten Widerstande der Gedanke an eine Verschwörung Grund finden, wenn es nicht durch eine offizielle Erklärung und Veröffentlichung der Untersuchung geschähe; allein, die
Regierung scheint dieses nicht für angemessen zu finden, denn vom Schlosse aus verlautet nichts, was Prag über seine blutigen Junitage aufklären könnte. Die gefangenen Swornostmitglieder sind bis auf einige wieder freigelassen; andere Gefangene werden es ebenfalls, nur Graf Büquoy, Villäny und einige andere sind noch in Haft, und eines schönen Morgens können wir vielleicht ein Plakat an Prags mauern lesen, nach weichern alles auf einem Mißverständnisse beruht habe. Die Operationen des kommandierenden Generais lassen ebensowenig auf einen Schutz der Deutschen gegen die Tschechen hindeuten; denn anstatt alsdann die deutsehe Bevölkerung durch Aufklärung der Sache an sich zu ziehen, die Barrikaden zu nehmen und den „treuen" Bewohnern der Stadt Leben und Eigentum zu schützen, räumt er die Altstadt, zieht auf das linke Moldau-. ufer und schießt Tschechen und Deutsche zusammen, denn die Bomben und Kugeln, welche in die Altstadt flogen, konnten sich unmöglich bloß Tschechen heraussuchen, sondern rissen nieder, ohne auf die Kokarde zu sehen. Wo ist also vernünftigerweise auf eine slawische Verschwörung zu schließen, wenn die Regierung bis jetzt keine Aufklärung verschaffen kann oder will. Der Bürger Dr. Göschen aus Leipzig hat eine Dankadresse an den Fürst v. Windischgrätz abgefaßt, welcher der General aber doch ja nicht zu viel Wichtigkeit als Ausdruck der Volksstimme beilegen möge. Der Bürger Göschen ist einer von den vorsichtigen Liberalen, die nach den Februartagen plötzlich liberal wurden; er ist der Antragsteller einer Vertrauensadresse an das sächsische Ministerium, das Wahlgesetz betreffend, während ganz Sachsen einen Schrei der Mißbilligung ausstieß, denn ein Sechstel seiner Bewohner, und gerade ein Teil der befähigteren Köpfe, verlor sein erstes bürgerliches Recht, sein Stimmrecht; er ist einer von denen, die sich im Deutschen Vereine entschieden gegen die Zulassung der deutschen Nichtsachsen zur Wahl in Sachsen aussprachen, und - hört, welche Doppelzüngigkeit! - kurze Zeit nachher dem Vereine der in Sachsen wohnenden nichtsächsischen deutschen Staatsbürger zur Wahl eines eigenen Deputierten nach Frankfurt seine ganze Mitwirkung im Namen seines Klubs zusagte; kurz, um ihn mit einem Worte zu charakterisieren, er ist der Gründer des Deutschen Vereins. Dieser Mann richtet eine Dankadresse an den österreichischen General und dankt ihm für den Schutz, den er dem gesamten deutschen Vaterlande habe angedeihen lassen. Ich glaube gezeigt zu haben, daß aus dem Geschehenen noch durchaus nicht erwiesen ist, inwiefern sich der Fürst v. Windischgrätz bis jetzt um das deutsche Vaterland verdient gemacht hat; der Ausgang der Untersuchung erst wird es zeigen. Wir wollen daher „den hohen Mut, die kühne Tatkraft, die feste Ausdauer" des Generals der Geschichte zur Beurteilung anheimstellen und hinsichtlich des Ausdrucks „niedriger Meuchelmord" in betreff des Todes der Fürstin nur erwähnen, daß es keineswegs bewiesen ist, daß jene Kugel für die Fürstin bestimmt gewesen ist, die die ungeteilteste Achtung ganz Prags besessen; ist es der Fall, so wird der Mörder seiner Strafe nicht entgehen, und der Schmerz des Fürsten ist gewiß nicht größer gewesen als der jener Mutter, welche ihre neunzehnjährige Tochter, auch ein unschuldiges Opfer, mit zerschmettertem Kopfe hintragen sah. Was den Ausdruck der Adresse „tapfere Scharen, die so mutvoll unter Ihrer Führung kämpften" betrifft, so bin ich gänzlich mit dem Bürger Göschen einverstanden, denn wenn er wie
ich gesehen hätte, mit welchem kriegerischen Ungestüm jene „tapferen Scharen" Montag mittag in der Zeltner Gasse auf die wehrlose Menge einstürmten, so würde er seine Ausdrücke viel zu schwach gefunden haben. Ich selbst muß es gestehen, so wehe es auch meiner militärischen Eitelkeit tut, daß ich mich, als friedfertiger Spaziergänger unter einer Gruppe Frauen und Kinder beim Tempel stehend, samt diesen von dreißig bis vierzig k. k. Grenadieren habe in die Flucht schlagen lassen und so komplett, daß ich meine ganze Bagage, d.h. meinen Hut, den Händen der Sieger überlassen mußte, denn ich fand es überflüssig zu erwarten, bis die hinter mir in den Haufen fallenden Schläge auch mich ereilten, habe aber doch zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß sechs Stunden später an der Barrikade der Zeltner Gasse dieselben k. k. Grenadiere es für gut befanden, eine halbe Stunde lang mit Kartätschen und Sechspfündern auf die höchstens mit zwanzig Mann besetzte Barrikade zu schießen und dieselbe dann - doch nicht zu nehmen, bis sie gegen Mitternacht von den Verteidigern verlassen wurde. Zum Handgemenge ist es nicht gekommen, außer in einzelnen Fällen, wo die Übermacht auf seiten der Grenadiere war. Graben und neue Allee sind, den Verwüstungen der Häuser nach zu urteilen, größtenteils durch Artillerie gesäubert worden, und ich lasse es dahingestellt sein, ob es großer Todesverachtung bedarf, eine breite Straße von einem Hundert kaum bewaffneter Verteidiger mit Kartätschenschüssen zu reinigen. Was nun die letzte Rede des Herrn Dr. Stradal aus Teplitz betrifft, nach welchem „die Prager Blätter zugunsten fremder Zwecke wirkten", also vermutlich russischer, so erkläre ich im Namen der unabhängigen Presse Prags diese Äußerung entweder für ein Übermaß von Unwissenheit oder eine infame Verleumdung, deren Absurdität aus der Haltung unserer Blätter hinlänglich sich erwiesen hat und erweisen wird. Prags freie Presse hat nie eine andere Tendenz als Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Böhmens und gleiche Berechtigung beider Nationalitäten verteidigt. Sie weiß aber sehr wohl, daß die deutsche Reaktion wie in Posen, wie in Italien, einen engherzigen Nationalismus heraufzubeschwören sucht, teils um die Revolution im Innern Deutsch' lands zu unterdrücken, teils um die Soldateska zum Bürgerkrieg heranzubilden.
Vereinbarungsdebatten vom 7. Juli
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 44 vom 14. Juli 1848] ** Köln, 12. Juli. Erst gestern abend spät ist uns der Bericht über die Vereinbarungssitzung vom 7. Juli zugekommen. Die stenographischen Berichte[25], die sonst immer nur 24 Stunden später als die brieflichen Berichte hier eintrafen, verspäten sich immer mehr, statt daß sie früher fertig werden sollten. Wie leicht dieser Verschleppung abzuhelfen ist, geht aus der Schnelligkeit hervor, mit der französische und englische Blätter die Berichte ihrer gesetzgebenden Versammlungen bringen. Das englische Parlament sitzt oft bis vier Uhr morgens, und schon vier Stunden später bringt die „Times"'1129' den stenographischen Bericht der Sitzung fertig gedruckt in alle Teile von London. Die französische Kammer eröffnete ihre Sitzungen selten vor ein Uhr, schloß zwischen fünf und sechs, und schon um sieben mußte der „Moniteur" einen Abzug der stenographierten Verhandlungen in sämtlichen Pariser Zeitungsbüros abliefern. Warum kann der wohllöbliche „Staats-Anzeiger"[26] nicht ebenso rasch fertig werden? Gehn wir jetzt zur Sitzung vom 7. über, der Sitzung, worin das Ministerium Hansemann gehänselt wurde, Wir übergehn die gleich anfangs eingci ciuncu x iui.coiv,, ueu vi uicisuiui miuag wegen nuiucuuug u.c3 am 4. gegen Ende der Sitzung gefaßten Beschlusses[176] (dieser Antrag blieb auf der Tagesordnung stehn) und mehrere andre auf die Tagesordnung gesetzte Anträge. Wir beginnen gleich mit den Interpellationen und unangenehmen Anträgen, die heute auf das Ministerium regneten. Zuerst trat Herr Philipps auf. Er interpellierte das Ministerium, welche Maßregeln zum Schutz unsrer Grenzen gegen Rußland getroffen worden sind? Herr Auerswald: Ich halte diese Frage für nicht geeignet, in der Versammlung beantwortet zu werden.
Das glauben wir dem Herrn Auerswald herzlich gern. Die einzige Antwort, die er geben könnte, wäre: gar keine, oder wenn man genau sein will: die Verlegung mehrerer Regimenter von der russischen Grenze an den Rhein. Was uns nur wundert, ist, daß die Versammlung die kurzweilige Antwort des Herrn Auerswald, diesen Appell an das car tel est notre bon plaisir[192], so ohne weiteres mit etwas „Zischen" und etwas „Bravo" durchgehen läßt. Herr Borries trägt an, daß die Klassensteuer der untersten Steuerstufe für das letzte Halbjahr 1848 erlassen und alle Zwangsmaßregeln zur Eintreibung der rückständigen Beträge des ersten Halbjahrs derselben Stufe sofort eingestellt werden. Der Antrag geht in die Fachkommission. Herr Hansemann erhebt sich und erklärt, daß solche Finanzsachen doch sehr gründlich beraten werden müßten. Man könne übrigens um so eher warten, als er in der nächsten Woche mehrere Finanzgesetze zur Beratung einbringen werde, worunter auch eins, was sich auf die Klassensteuer beziehe. Herr Krause interpelliert den Finanzminister: ob es möglich sei, die Mahl-, Schlacht- und Klassensteuer bis Anfang 1849 mit der Einkommensteuer zu vertauschen? Herr Hansemann muß abermals aufstehn und ärgerlich erklären, er habe schon einmal gesagt, daß er nächste Woche die Finanzgesetze einbringen werde. Aber damit ist sein Leidenskelch noch nicht erschöpft, jetzt erst erhebt sich Herr Grebel mit einem langen Antrage, von dem jedes Wort ein Stich durchs Herz des Herrn Hansemann sein mußte: In Erwägung, daß zur Begründung der in Aussicht gestellten Zwangsanleihe die bloße Angabe keineswegs genüge, Schatz und Finanzen seien erschöpft; in Erwägung, daß zur Diskussion der Zwangsanleihe selbst (gegen welche Herr Grebel protestiert, solange nicht eine alle Versprechungen erfüllende Verfassung festgesetzt ist) die Einsicht aller Bücher und Belege des Staatshaushalts nötig ist, trägt Herr Grebel an: eine Kommission zu ernennen, die alle Bücher und Belege über die Verwaltung der Finanzen und des Schatzes von 1840 bis jetzt einsehen und darüber Bericht erstatten soll. Noch schlimmer aber als der Antrag ist die Motivierung des Herrn Grebel. Er spricht von den vielen Gerüchten über Verschleuderung und widerrechtliche Verwendung des Staatsschatzes, die die öffentliche Meinung beunruhigen; er verlangt im Interesse des Volks zu wissen, wohin all das Geld gekommen sei, das es seit 30 Friedensjahren bezahlt; er erklärt, solange
diese Aufklärung nicht gegeben, könne die Versammlung keinen Groschen votieren. Die Zwangsanleihe hat enorme Sensation hervorgerufen, die Zwangsanleihe bricht den Stab über die ganze bisherige Finanzverwaltung, die Zwangsanleihe ist der vorletzte Schritt zum Staatsbankerott. Die Zwangsanleihe überraschte um so mehr, als wir gewohnt waren, stets zu hören, die Finanzlage sei ausgezeichnet und der Staatsschatz überhebe uns selbst im Falle eines bedeutenden Kriegs der Notwendigkeit einer Anleihe. Herr Hansemann selbst habe im Vereinigten Landtage berechnet, der Staatsschatz müsse wenigstens 30 Millionen betragen. Dies war auch zu erwarten, da nicht nur dieselben hohen Steuern wie in den Kriegsjahren fortgezahlt, sondern der Betrag der Steuern sich fortwährend vermehrte. Da plötzlich kam die Nachricht von der beabsichtigten Zwangsanleihe, und mit ihr, mit dieser schmerzlichen Enttäuschung, sank das Vertrauen sofort auf Null herab. Das einzige Mittel, das Vertrauen herzustellen, ist die sofortige rückhaltlose Darlegung der Finanzlage des Staats. Herr Hansemann hat zwar gesucht, das Bittre seiner Mitteilung wegen der Zwangsanleihe durch einen humoristischen Vortrag zu versüßen; er mußte aber dennoch zugeben, daß durch eine Zwangsanleihe ein unangenehmer Eindruck hervorgerufen werde. Horr H™ Bemann antwortet: Iis verste cir k ^ofi rlno m; nistenurn 'vsnn es Geld verlangt, auch alle nötigen Aufklärungen darüber geben wird, Wo die bisher eingezahlten Gelder geblieben sind. Man warte doch, bis die von mir bereits zweimal erwähnten Finanzgesetze vorgelegt werden. Was die Gerüchte angeht, so ist es nicht richtig, daß enorme Summen im Staatsschatz waren, daß sie in den letzten Jahren verringert wurden. Es ist natürlich, daß sich in den letzten Notjahren, in der jetzigen, mit beispielloser Geschäftsstockung verbundenen politischen Krisis, ein blühender Finanzzustand in einen bedenklichen verwandeln konnte. „Es ist gesagt worden, die Zwangsanleihe werde eine Vorläuferin des Staatsbankerotts sein. Nein, meine Herren, das soll sie nicht sein, sie soll im Gegenteil dazu dienen, daß der Kredit sich belebe(Sie soll! sie soll! als ob der Effekt der Zwangsanleihe auf den Kredit von den frommen Wünschen des Herrn Hansemann abhinge!) Wie ungegründet solche Besorgnisse sind, geht aus dem Steigen der Staatspapiere hervor. Warten Sie, meine Herren, die Finanzgesetze ab, die ich Ihnen hiermit zum viertenmal verspreche. Also der Kredit des preußischen Staats ist so ruiniert, daß kein Kapitalist ihm gegen noch so wucherische Zinsen Geld vorschießen will, daß Herr Hansemann keinen andern Ausweg mehr sieht, als den letzten Notbehelf
bankrotter Staaten, die Zwangsanleihe - und dabei spricht Herr Hansemann von steigendem Staatskredit, weil die Fonds in demselben Maße, als man sich vom 18. März entfernt, mühsam zwei bis drei Prozent in die Höhe gekrochen sind! Und wie werden die Fonds erst purzeln, sobald mit der Zwangsanleihe erst Ernst gemacht wird! Herr Behnsch dringt auf Ernennung der vorgeschlagenen Finanz-Untersuchungskommission. Herr Schramm: Die Abhülfe der Not aus Staatsmitteln war nicht der Rede wert, und wenn die Freiheit uns Geld kostet, so hat sie bis jetzt der Regierung wenigstens nichts gekostet. Im Gegenteil hat die Regierung eher Geld dazu gegeben, daß die Freiheit nicht in ihr gegenwärtiges Stadium trete. Herr Mätze: Zu dem, was wir wußten, daß im Staatsschatze nichts ist, erfahren wir jetzt noch, daß seit lange nichts mehr darin war. Diese Neuigkeit ist ein neuer Beweis für die Notwendigkeit der Ernennung einer Kommission. Herr Hansemann muß sich wieder erheben: „Ich habe nie gesagt, daß im Staatsschatz nichts sei und nichts gewesen sei; ich erkläre vielmehr, daß in den letzten sechs bis sieben Jahren der Staatsschatz sich bedeutend vermehrt hat." (Man vergleiche des Herrn Hansemann Denkschrift an den Vereinigten Landtag und die Thronrede[193], und man wird jetzt erst recht nicht mehr wissen, woran man ist.) Cieszkpvoski: Ich bin für den Grebelschen Antrag, weil Herr Hansemann uns immer Versprechungen gemacht hat und jedesmal, wenn Finanzsachen hier zur Sprache kommen, auf seine nächstens zu gebenden, aber nie eintreffenden Aufschlüsse verweist. Dies Zaudern ist um so unbegreiflicher, als Herr Hansemann jetzt doch schon über drei Monate Minister ist. Herr Milde, Handelsminister, kommt endlich seinem bedrängten Kollegen zu Hülfe. Er fleht die Versammlung an, doch ja die Kommission nicht zu ernennen. Er verspricht die größte Offenheit von seiten des Ministeriums. Er beteuert, man solle die Lage der Sachen genau übersehn. Nur jetzt möge man die Regierung gewähren lassen, denn sie sei eben damit beschäftigt, das Staatsschiff aus den Schwierigkeiten herauszusteuern, in denen es sich gegenwärtig befindet. Die Versammlung werde gewiß dabei hülfreiche Hand leisten. (Bravo.) Herr Baumstark versucht auch, Herrn Hansemann einigermaßen unter die Arme zu greifen. Aber einen schlimmeren und taktloseren Verteidiger konnte der Finanzminister nicht finden: „Es wäre ein schlechter Finanzminister, der den Zustand der Finanzen verheimlichen wollte, und wenn ein Finanzminister sagt, er werde die nötigen Vorlagen machen, so müssen wir ihn entweder für einen ehrlichen Mann halten oder für das
14 Marx/Engel, Werke, Bd. 5
GegenteilQü). (Aufregung.) Meine Herren, ich habe niemand beleidigt, ich habe gesagt, wenn ein, nicht wenn der Finanzminister (!!!)." Reichenbach: Wohin sind die schönen Tage der großen Debatten, der Prinzipien- und Kabinettsfragen? Damals wünschte Herr Hansemann nichts sehnlicher, als eine Lanze brechen zu können, und jetzt, wo die Gelegenheit dazu da ist und noch dazu in seinem eignen Fach, jetzt weicht er aus! In der Tat, die Minister versprechen immerfort und stellen Grundsätze auf, bloß zu dem Zweck, sie ein paar Stunden nachher schon nicht mehr zu halten. (Aufregung.)
keiner, der für ihn aufträte. Endlich sieht er mit Schrecken, daß der Abgeordnete Baumstark sich erhebt, und damit dieser ihn nicht nochmals für einen „ehrlichen Mann" erkläre, ergreift er rasch selbst das Wort. Wir erwarten, daß der geplagte, mit Nadeln gestochene, von der ganzen Opposition gezerrte Löwe Duchatel endlich in der ganzen Fülle seiner Kraft sich erheben, daß er seine Gegner niederschmettern, daß er, mit einem Wort, die Kabinettsfrage stellen wird? Ach, es ist nichts mehr zu sehen von der ursprünglichen Festigkeit und Keckheit, und die alte Größe ist dahingeschwunden, wie der Staatsschatz in den schweren Zeiten! Gebeugt, geknickt, verkannt steht der große Finanzier da; es ist so weit mit ihm gekommen, daß er sich auf Gründe einlassen muß! und was für Gründe noch dazu!
„Jeder, der sich mit Finanzen und mit den darin vorkommenden vielen Zahlen (!!) beschäftigt hat, wird wissen, daß eine Erörterung über Finanzfragen nicht gelegentlich einer Interpellation gründlich erörtert werden kann, daß Steuerfragen so umfassend sind, daß darüber in gesetzgebenden Versammlungen" (Herr Hansemann denkt an seine glänzenden Reden im weiland Vereinigten Landtag) „tage-, ja wochenlang diskutiert worden ist." Aber wer verlangt denn eine gründliche Diskussion? Man hat von Herrn Hansemann erstens eine Erklärung, ein einfaches Ja oder Nein, über Steuerfragen verlangt; man hat ferner seine Zustimmung zu einer Prüfungskommission für die bisherige Verwaltung des Staatsschatzes etc. verlangt; und man hat, als er beides verweigerte, auf den Kontrast zwischen seinen früheren Versprechungen und seiner jetzigen Zurückhaltung hingewiesen. Und eben weil „Erörterungen über Finanzen und über die darin vorkommenden vielen Zahlen" Zeit erfordern, eben deswegen soll die Kommission sofort ihre Arbeit beginnen!
„Wenn übrigens die Finanzsachen nicht früher vorgekommen sind, so hat es seinen guten Grund darin, daß ich geglaubt habe, es würde günstiger für die Lage des Landes
sein, wenn ich noch etwas wartete. Ich habe Hoffnung gehabt, daß die Ruhe des Landes und damit der Staatskredit sich etwas heben werde; ich wünsche, daß diese Hoffnung nicht zuschanden werde, und nach meiner Überzeugung habe ich wohlgetan, diese Gesetze nicht früher einzubringen." >
Welche Enthüllungen! Die Finanzgesetze des Herrn Hansemann, die den Staatskredit doch wohl befestigen sollten, sind also der Art, daß sie den Staatskredit bedrohen! Herr Hansemann hielt es für besser, die Finanzlage des Landes einstweilen noch geheimzuhalten! Wenn der Staat so steht, so ist es unverantwortlich von Herrn Hansemann, eine solche unbestimmte Äußerung zu tun, anstatt sofort den Stand der Finanzen offen darzulegen und durch die Tatsachen selbst alle Zweifel und Gerüchte niederzuschlagen. Im englischen Parlament wäre einer so taktlosen Äußerung sofort ein Mißtrauensvotum gefolgt. Herr Siebert:
„Bisher haben wir nichts getan. Alle wichtigen Fragen wurden, sowie sie reif zur Lösung waren, abgebrochen und beiseite geschoben. Wir haben bis jetzt noch keinen Beschluß gefaßt, der irgend etwas Ganzes enthielt, wir haben noch gar nichts Ganzes gemacht. Sollen wir es heute wieder so machen, sollen wir wieder auf Versprechungen hin die Frage aufschieben? Wer bürgt uns dafür, daß das Ministerium noch acht Tage am Ruder bleibt?"
Herr Parrisius stellt ein Amendement, wonach Herr Hansemann aufgefordert wird, einer gleich zu wählenden Prüfungskommission aus 16 Mitgliedern binnen 14 Tagen die nötigen Vorlagen über Finanz- und Schatzverwaltung vom Jahre 1840 an zu machen. Herr Parrisius erklärt, es sei spezieller Auftrag seiner Kommittenten: Sie wollten wissen, wohin der Staatsschatz, der 1840 über 40 Millionen betragen, gekommen sei. Dies Amendement, noch schärfer als der ursprüngliche Antrag, wird doch wohl den ermatteten Duchätel emporstacheln? Jetzt wird doch wohl die Kabinettsfrage gestellt werden? Im Gegenteil! Herr Hansemann, der gegen den Antrag war, hat gegen dies Amendement mit seiner beleidigenden Präklusivfrist durchaus nichts einzuwenden ! Er bemerkt nur, die Sache werde erstaunlich viel Zeit erfordern, und bedauert die armen Kommissionsmitglieder, die sich dieser sauren Arbeit unterziehen müssen. Eis wird noch über die Abstimmung etwas hin und her gesprochen, wobei auch noch einige unangenehme Worte für Herrn Hansemann abfallen. Dann wird abgestimmt, die verschiedenen motivierten und unmotivierten Tages
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Ordnungen verworfen, und das Parrisiussche Amendement, dem sich Herr Grebel anschließt, fast einstimmig angenommen. Herr Hansemann entging einer entscheidenden Niederlage nur durch seine Widerstandslosigkeit, nur durch die Selbstverleugnung, mit der er die Parrisiussche Beleidigung hinnahm. Geknickt, gebrochen, vernichtet saß er da auf seiner Bank, ein entlaubter Stamm, der das Mitleid selbst der rohesten Spötter erregt. Erinnern wir uns der Worte des Dichters:
Es ziemt Germaniens Söhnen Gar schlecht, mit herzlos schlechtem Witz rvi-ii r-za L^I (H94] vjciaucnc vjuuuc z.u numiciir Die zweite Hälfte der Sitzung morgen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Herr Forstmann über den Staatskredit
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 44 vom 14. Juli 1848] ** Köln, 13. Juli. In der Vereinbarungssitzung vom 7. d. [Mts.][25] schlug Herr Forstmann alle Zweifel der gewissenlosen Linken an der Unerschütterlichkeit des preußischen Staatskredits durch folgendes siegreiche Argument zu Boden: „Ich bitte zu entscheiden, ob das Vertrauen zu Preußens Finanzen auf Null gesunken, wenn an der gestrigen Börse ein 31/2prozentiges Staatspapier bei einem Diskonto von S1/^ Prozent auf 72 Prozent gestanden!" Man sieht, Herr Forstmann ist ebensowenig Börsenspekulant als Staatsökonom. Wäre die Voraussetzung des Herrn Forstmann richtig, daß der Preis der Staatspapiere stets im umgekehrten Verhältnis zum Preis des Geldes steht, so ständen die preußischen 31/2 prozentigen allerdings merkwürdig günstig. Sie dürften dann, bei 51/2 Prozent "Diskonto, nicht 72, sondern nur 637/u stehen. Aber wer hat dem Herrn Forstmann gesagt, daß - nicht im Durchschnitt von 5 bis 10 Jahren, sondern im einzelnen Moment der Geschäftsstockung — dies umgekehrte Verhältnis existiert? Wovon hängt der Preis des Geldes ab? Von dem jedesmaligen Verhältnis der Nachfrage zum Angebot, von dem gerade vorhandenen Geldmangel oder Geldüberfluß. Wovon hängt der Geldmangel oder Geldüberfluß ab? Von dem jedesmaligen Stande der Industrie, von dem Stocken oder der Prosperität des Verkehrs im ganzen und großen. Wovon hängt der Preis der Staatspapiere ab? Ebenfalls vom jedesmaligen Verhältnis der Nachfrage und des Angebots. Aber wovon hängt dies Verhältnis ab? Von sehr vielen, namentlich in Deutschland höchst verwickelten Verhältnissen. In Frankreich, England, Spanien, in den Ländern überhaupt, deren Staatspapiere auf den Weltmarkt kommen, ist der Staatskredit das entschei
dende Moment. In Preußen und den kleinern deutschen Staaten, deren Papiere nur auf kleinen Lokalbörsen Kurs haben, entscheidet der Staatskredit erst in zweiter Instanz. Hier dient die große Masse der Staatspapiere nicht zur Spekulation, sondern zur sichern Anlage von Kapital, zur Sicherung einer fixen Rente. Nur ein unverhältnismäßig kleiner Teil kommt an die Börsen und in den Handel. Fast die ganze Masse der Staatsschuld ist in den Händen von kleinen Rentiers, Witwen und Waisen, Pupillenkollegien usw. Fallen die Kurse durch Abnahme des Staatskredits, so ist das ein Grund mehr für diese Klasse von Staatsgläubigern, ihre Fonds nicht zu verkaufen; für sie reicht ihre Rente eben zum Auskommen hin. Verkaufen sie sie mit starkem Verlust, so sind sie ruiniert. Die geringe Quantität Papiere, die an den paar kleinen Lokalbörsen zirkulieren, kann natürlich nicht den enormen und raschen Schwankungen von Nachfrage und Angebot, von Fallen und Steigen ausgesetzt sein wie die enorme Masse der französischen, spanischen etc. Papiere, die hauptsächlich der Spekulation dienen und auf allen großen Fondsmärkten der Welt in großen Posten umgeschlagen werden. Der Fall, daß Kapitalisten aus Geldmangel genötigt sind, ihre Fonds zu jedem Preise loszuschlagen und dadurch die Kurse zu drücken, kommt daher in Preußen nur selten vor, während er in Paris, Amsterdam etc. an der Tagesordnung ist und namentlich nach der Februarrevolution auf das unerhört rasche Fallen der französischen Staatspapiere viel mehr einwirkte als der gesunkene Staatskredit. Dazu kommt, daß in Preußen die Scheinkäufe (marches a terme)[l9o\ die in Paris, Amsterdam etc. die Masse der Börsengeschäfte ausmachen, verboten sind. Durch diese gänzlich verschiedene kommerzielle Stellung der preußischen Lokalmarktfonds und der französischen, englischen, spanischen etc. Weltmarktpapiere erklärt es sich, daß die Kurse der preußischen Papiere keineswegs die kleinsten politischen Verwicklungen ihres Staats in dem Maße widerspiegeln, wie dies mit den französischen etc. Papieren der Fall ist: daß der Staatskredit auf die Kurse der preußischen Fonds bei weitem nicht den entscheidenden und raschen Einfluß ausübt wie auf die Papiere andrer Staaten. In demselben Maße, als Preußen und die kleinen deutschen Staaten in die Schwankungen der europäischen Politik hineingerissen werden, als die Herrschaft der Bourgeoisie sich entwickelt, in demselben Maße werden auch die Staatspapiere, ganz wie das Grundeigentum, diesen patriarchalischen, unveräußerlichen Charakter verlieren, in den Verkehr hineingerissen, zu einem ordinären, oft umgeschlagenen Handelsartikel werden und vielleicht sogar eine bescheidne Existenz auf dem Weltmarkt beanspruchen dürfen.
Folgern wir aus diesen Tatsachen: Erstens. Es wird nicht bestritten, daß im Durchschnitt einer längern Epoche und bei unverändertem Staatskredit der Kurs der Staatspapiere überall in demselben Verhältnis steigt als der Zinsfuß fällt, und umgekehrt. Zweitens. In Frankreich, England etc. findet dies Verhältnis selbst in kürzeren Epochen statt, weil hier die Spekulanten den größten Teil der Staatspapiere in Händen haben und weil häufig notgedrungene Verkäufe aus Geldmangel vorkommen, die das Verhältnis zwischen Kurs und Zinsfuß jeden Tag regulieren. Daher ist hier selbst im einzelnen Moment das Verhältnis oft wirklich vorhanden. Drittens. In Preußen dagegen findet dies Verhältnis nur im Durchschnitt längerer Epochen statt, weil die Menge der disponiblen Staatspapiere gering und das Börsengeschäft beschränkt ist; weil die Verkäufe aus Geldmangel, die eigentlichen Regulatoren des Verhältnisses, nur selten vorkommen; weil auf diesen Lokalbörsen die Fondskurse in erster Instanz durch Lokaleinflüsse, die Geldpreise aber durch den Einfluß des Weltmarkts bestimmt werden. Viertens. Wenn also Herr Forstmann vom Verhältnis des Geldpreises zum Kurs der Staatspapiere auf den preußischen Staatskredit schließen will, so beweist er eine gänzliche Unkenntnis der Verhältnisse. Der Kurs von 72 für die 31/2 prozentigen bei 51/3 Prozent Diskont beweist nichts für, die Zwangsanleihe beweist alles gegen den preußischen Staatskredit.
Verembarungsdebatten
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 45 vom 15. Juli 1848] ** Köln, 14.Juli. Wir kommen heute zur zweiten Hälfte der Vereinbarungssitzung vom 7. d. [Mts.][2ö]. Nach der für Herrn Hansemann so schmerzlichen Debatte über die Finanzkommission kam noch eine Reihe kleiner Trübsale für die Herren Minister vor. Es war der Tag der Dringlichkeitsanträge und Interpellationen, der Tag der Anfechtungen und der Ministerialbedrängnis. Der Abgeordnete Wander trug an, jeder Beamte, der einen Bürger ungerechterweise verhatten ließe, solle zu völligem Schadenersatz verpflichtet sein und außerdem viermal solange sitzen als der von ihm Verhaftete. Der Antrag geht, als nicht dringlich, an die Fachkommission. Justizminister Märker erklärt, die Annahme dieses Antrags werde die bisherige Gesetzgebung gegen ungesetzlich verhaftende Beamte nicht nur nicht verschärfen, sondern sogar noch mildern. (Bravo.) Der Herr Justizminister hat nur vergessen zu bemerken, daß es nach den bisherigen, namentlich altpreußischen Gesetzen für einen Beamten kaum möglich ist, jemanden ungesetzlich zu verhaften. Die willkürlichste Verhaftung kann nach den Paragraphen des altehrwürdigsten Landrechts1-1671 gerechtfertigt werden. Wir machen übrigens auf die höchst unparlamentarische Methode aufmerksam, die die Herren Minister sich angewöhnt haben. Sie warten, bis der Antrag an die Fachkommission oder die Abteilung verwiesen ist, und dann sprechen sie noch darüber. Sie sind dann sicher, daß ihnen niemand antworten kann. So hat es Herr Hansemann bei dem Antrage des Herrn Borries1 gemacht, so macht es jetzt Herr Märker. In England und Frankreich würde man
die Herren Minister, wenn sie solche parlamentarische Unschicklichkeiten je versucht hätten, ganz anders zur Ordnung zurückgeführt haben. Aber in Berlin! Herr Schulze (von Delitzsch): Antrag zur Aufforderung an die Regierung, die bereits vollendeten oder bald zu vollendenden Entwürfe organischer Gesetze sofort der Versammlung zur Beratung in den Abteilungen zu übergeben. Dieser Antrag enthielt wieder einen indirekten Tadel der Regierung wegen Lässigkeit oder absichtlicher Verschleppung in der Vorlage der die Verfassung ergänzenden organischen Gesetze. Der Tadel war um so empfindlicher, als denselben Morgen zwei Gesetzentwürfe, worunter das Bürgerwehrgesetz[196], vorgelegt worden waren. Der Ministerpräsident hätte also bei einiger Energie diesen Antrag entschieden zurückweisen müssen. Aber statt dessen macht er nur einige allgemeine Phrasen über das Bestreben der Regierung, den gerechten Wünschen der Versammlung in jeder Weise entgegenzukommen, und der Antrag wird mit großer Majorität angenommen. Herr Besser interpelliert den Kriegsminister über den Mangel eines Dienstreglements. Die preußische Armee ist die einzige, der ein solches Reglement mangelt. Daher herrscht in allen Heeresabteilungen bis zu den Kompanien und Schwadronen herab die größte Verschiedenheit der Ansichten über die wichtigsten Dienstsachen, und namentlich über die Rechte und Pflichten der verschiedenen Chargen. Es bestehen zwar Tausende von Befehlen, Erlassen und Vorschriften, aber sie sind gerade wegen ihrer zahllosen Menge, ihrer Verwirrung und der in ihnen herrschenden Widersprüche schlimmer als nutzlos. Außerdem ist jedes solches Aktenstück durch ebensoviel verschiedene Zusätze, Erläuterungen, Randglossen und Glossen zu Randglossen verquickt und unkenntlich gemacht, als es Zwischenbehörden passiert hat. Diese Verwirrung kommt natürlich dem Vorgesetzten bei allen Willkürlichkeiten zugut, während der Untergebne nur den Nachteil davon zu tragen hat. Daher kennt der Untergebne keine Rechte, sondern nur Pflichten. Früher existierte ein Dienstreglement, genannt das schweinslederne Reglement, aber dies wurde in den 20 er Jahren den Privatbesitzern abgenommen. Seitdem darf kein Untergebner es zu seinen Gunsten anführen, während die höheren Behörden es fortwährend gegen die Untergebnen anführen dürfen! Ebenso geht es mit den Dienstvorschriften für das Gardekorps, die der Armee nie mitgeteilt, den Untergebnen nie zugänglich wurden, nach welchen sie aber trotzdem bestraft werden! Die Herren Stabs- und Generaloffiziere haben natürlich nur den Vorteil von dieser Konfusion, die ihnen die größte Willkür, die härteste Tyrannei gestattet. Aber die Subalternoffiziere, die Unteroffiziere und Soldaten leiden darunter, und in ihrem Interesse interpelliert Herr Besser den General Schreckenstein.
Wie mußte Herr Schreckenstein erstaunt sein, als er diese lange „Federfuchserei", um den beliebten Ausdruck von Anno dreizehn zu gebrauchen, zu hören bekam! Wie, die preußische Armee hat kein Dienstreglement? Welche Abgeschmacktheit! Die preußische Armee, auf Ehre, hat das allerbeste Reglement von der Welt, das zugleich das allerkürzeste ist und nur aus zwei Worten besteht: „Ordre parieren/" Bekommt ein Soldat der „ungeprügelten" Armee Püffe, Fußtritte oder Kolbenstöße, wird er von einem eben dem Kadettenhause entlaufenen unmündigen Lieutenant am Bart oder an der Nase gezupft und beklagt sich: „Ordre parieren!" Läßt ein angetrunkener Major nach dem Essen zu seiner besonderen Erheiterung sein Bataillon bis an den Leib in den Sumpf marschieren und dort Carre1 formieren, und ein Untergebner wagt zu klagen: „Ordre parieren!"1 Wird den Offizieren verboten, dies oder jenes Cafe zu besuchen, und sie erlauben sich eine Bemerkung: „Ordre parieren!" Das ist das beste Dienstreglement, denn es paßt auf alle Fälle. Von allen Ministern ist Herr Schreckenstein der einzige, der den Mut noch nicht verloren hat. Der Soldat, der unter Napoleon gedient, der während dreiunddreißig Jahren preußischen Kamaschendienst getrieben, der manche Kugel pfeifen gehört hat, wird sich doch vor Vereinbarern und Interpellationen nicht fürchten! Und vollends wenn das große „Ordre parieren!" in Gefahr ist! Meine Herren, sagt er, ich muß das besser wissen. Ich muß wissen, was daran zu ändern ist. Es handelt sich hier um ein Einreißen, und das Einreißen darf nicht einreißen, weil das Aufbauen sehr schwer ist. Die Wehrverfassung ist von Scharnhorst, Gneisenau, Boyen und Grolmann gemacht, umfaßt 600000 bewaffnete und taktisch gebildete Staatsbürger und bietet jedem Staatsbürger eine sichere Zukunft, solange die Disziplin besteht. Diese werde ich aber erhalten, und damit habe ich genug gesagt. Herr Besser: Herr Schreckenstein hat die Frage gar nicht beantwortet. Aus seinen Bemerkungen scheint aber hervorzugehen, daß er glaubt, ein Dienstreglement werde die Disziplin lockern! Herr Schreckenstein: Ich habe schon gesagt, daß ich das tun werde, was zeitgemäß für die Armee ist und zum Nutzen des Dienstes gereicht. Herr Behnsch: Wir haben doch wenigstens zu verlangen, daß der Minister uns Ja oder Nein antwortet oder erklärt, er wolle nicht antworten. Bis jetzt haben wir bloß abweichende Redensarten gehört. Herr Schreckenstein, ärgerlich: Ich halte es nicht für den Dienst für nützlich, mich weiter auf diese Interpellation einzulassen.
Der Dienst, immer der Dienst! Herr Schreckenstein glaubt immer noch Divisionär zu sein und mit seinem Offizierskorps zu sprechen. Er bildet sich ein, auch als Kriegsminister brauche er nur den Dienst, nicht aber die rechtliche Stellung der einzelnen Heereschargen gegeneinander und am allerwenigsten die Stellung des Heeres zum Staate im ganzen und zu seinen Bürgern zu berücksichtigen! Wir sind noch immer unter Bodelschwingh; der Geist des alten Boyen schaltet ununterbrochen fort im Kriegsministerium. Herr Piegsa interpelliert wegen Mißhandlungen der Polen in Mielzyn am 7. Juni. Herr Auerswald erklärt, er müsse erst vollständige Berichte abwarten. Also einen ganzen Monat von 31 Tagen nach dem Vorfall ist Herr Auerswald noch nicht vollständig unterrichtet! Wunderbare Verwaltung! Herr Beknsch interpelliert Herrn Hansemann, ob er bei Vorlage des Budgets eine Übersicht über die Verwaltung der Seehandlung[60] seit 1820 und des Staatsschatzes seit 1840 vorlegen wolle. Herr Hansemann erklärt unter schallendem Gelächter, er werde in acht Tagen antworten können! Herr Behnsch interpelliert abermals in Beziehung auf Unterstützung der Auswanderung durch die Regierung. Herr Kühlwetter antwortet, dies sei eine deutsche Angelegenheit, und verweist Herrn Behrisch an den Erzherzog Johann. Herr Grebel interpelliert Herrn Schreckenstein wegen der Militär-Administrationsbeamten, die zugleich Landwehroffiziere sind, bei Landwehrübungen in aktiven Dienst treten und dadurch andern Landwehroffizieren die Gelegenheit entziehen, sich auszubilden. Er trägt darauf an, daß diese Beamten von der Landwehr[197J entbunden werden. Herr Schreckenstein erklärt, er werde seine Pflicht tun und die Sache sogar in Erwägung ziehen. Herr Feldhaus interpelliert Herrn Schreckenstein wegen der am 18. Juni auf dem Marsch von Posen nach Glogau umgekommenen Soldaten und der zur Bestrafung dieser Barbarei getroffenen Maßregeln. Herr Schreckenstein: Die Sache hat stattgefunden. Der Bericht des Regimentskommandeurs ist eingereicht. Der Bericht des Generalkommandos, das die Etappen angeordnet hat, fehlt noch. Ich kann also noch nicht sagen, ob die Marschordnimg überschritten ist. Außerdem wird hier über einen Stabsoffizier geurteilt, und solche Urteile sind schmerzlich. Die „höhe Generalversammlung" (!!!) wird hoffentlich warten, bis die Berichte eingetroffen sind. Herr Schreckenstein beurteilt diese Barbarei nicht als Barbarei, er fragt bloß, ob der betreffende Major „Ordre pariert"' hat? Und was liegt daran, ob
18 Soldaten auf der Landstraße wie so viel Stück Vieh elendiglich umkommen, wenn nur Ordre pariert wird! Herr Behnsch, der dieselbe Interpellation wie Herr Feldhaus gestellt hatte: Ich ziehe meine jetzt überflüssige Interpellation zurück, verlange aber, daß der Kriegsminister einen Tag festsetze, an dem er antworten will. Es sind schon 3 Wochen seit dem Vorfall verflossen, und die Berichte könnten längst hier sein. Herr Schreckenstein: Es ist kein Augenblick versäumt, die Berichte vom Generalkommando sind sofort eingefordert worden. Der Präsident will die Sache über hülfen. Herr Behnsch: Ich bitte den Kriegsminister nur zu antworten und einen Tag festzusetzen. Präsident: Will Herr Schreckenstein... Herr Schreckenstein: Das läßt sich noch gar nicht übersehen, wann dies sein wird. Herr Gladbach: Der § 28 des Reglements legt den Ministern die Verpflichtung auf, einen Tag zu bestimmen. Ich bestehe ebenfalls darauf. Präsident: Ich frage den Herrn Minister nochmals. Herr Schreckenstein: Einen bestimmten Tag kann ich nicht festsetzen. Herr Gladbach: Ich bleibe bei meiner Forderung. Herr Temme: Ich bin derselben Meinung. Präsident: Wird der Herr Kriegsminister etwa in 14 Tagen... Herr Schreckenstein: Wohl möglich. Sobald ich weiß, ob Ordre pariert worden ist, werde ich antworten. Präsident: Also in 14 Tagen. So tut der Herr Kriegsminister „seine Pflicht" gegen die Versammlung! Herr Gladbach hat noch eine Interpellation an den Minister des Innern zu richten wegen Suspendierung mißliebiger Beamten und vorläufiger, nur provisorischer Besetzung erledigter Stellen. Herr Kühhüetter antwortet sehr ungenügend, und die weiteren Bemerkungen des Herrn Gladbach werden unter dem Gemurr, Geschrei und Getrommel der endlich über soviel Unverschämtheit empörten Rechten nach tapferer Gegenwehr erdrückt. Ein Antrag von Herrn Berends, daß die zum innern Dienst einberufene Landwehr[197] unter das Kommando der Bürgerwehr gestellt werde, wird nicht für dringlich erkannt und danach zurückgezogen. Hierauf beginnt eine angenehme Unterhaltung über allerlei mit der posenschen Kommission verknüpfte Spitzfindigkeiten. Der Sturm der Interpellationen und Dringlich
keitsanträge ist vorüber, und wie sanftes Säuseln des Zephyr und anmutiges Murmeln des Wiesenbachs verhallen die letzten versöhnenden Klänge der berühmten Sitzung vom 7. Juli. Herr Hansemann geht nach Hause mit dem Trost, daß das Poltern und Trommeln der Rechten ihm einige wenige Blumen in seine Dornenkrone gewunden hat, und Herr Schreckenstein dreht selbstzufrieden seinen Schnurrbart und murmelt: „Ordre parieren!"
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die Debatte über den Jacobyschen Antrag
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 48 vom 18. Juli 1848] ** Köln, 17. Juli. Wir haben wieder einmal eine „große Debatte" gehabt, um mit Herrn Camphausen zu sprechen, eine Debatte, die volle zwei Tage dauerte.[25] Die Grundlagen der Debatte sind bekannt: der Vorbehalt der Regierung gegen die sofortige Rechtsgültigkeit der Beschlüsse der Nationalversammlung und der Jacobysche Antrag auf Anerkennung der Befugnis der Versammlung, sofort rechtskräftige Beschlüsse zu fassen, ohne die Zustimmung von irgend jemand abzuwarten, aber auch auf Mißbilligung des Beschlusses über die Zentralgewalt.1:198] Wie eine Debatte über diesen Gegenstand nur möglich war, wird andern Völkern unbegreiflich erscheinen. Aber wir sind im Land der Eichen und der Linden11861, und da darf uns so leicht nichts verwundern. Das Volk schickt eine Versammlung nach Frankfurt mit dem Mandat, sie soll sich souverän erklären über ganz Deutschland und alle seine Regierungen; sie soll kraft ihrer vom Volk ihr übertragenen Souveränetät eine Verfassung für Deutschland beschließen. Die Versammlung, statt sogleich ihre Souveränetät gegenüber den Einzelstaaten und dem Bundestag zu proklamieren, umgeht schüchtern jede Frage, die darauf Bezug hat, und bewahrt eine unentschiedene, schwankende Stellung. Endlich kommt sie zu einer entscheidenden Frage: zur Ernennung einer provisorischen Zentralgewalt. Scheinbar unabhängig, in der Tat aber von den Regierungen durch Gagerns Vermittlung geleitet, wählt sie selbst den ihr von den Regierungen im voraus bestimmten Reichs Verweser. Der Bundestag erkennt die Wahl an und zeigt eine gewisse Prätension, ihr durch seine Bestätigung erst Rechtskraft zu geben.
Trotzdem aber laufen von Hannover und selbst von Preußen Vorbehalte ein; und der preußische Vorbehalt ist es, der der Debatte vom II. und 12. zum Grunde liegt. Die Berliner Kammer ist also diesmal nicht so sehr schuld daran, wenn die Debatten sich ins Nebelhafte verlaufen. Eis ist die Schuld der unentschiedenen, schlaffen, energielosen Frankfurter Nationalversammlung, wenn ihre Beschlüsse derart sind, daß sich schwer andres über sie sagen läßt als bloße Kannegießereien. Jacoby leitet seinen Antrag kurz und mit seiner gewöhnlichen Präzision ein. Er erschwert den Rednern der Linken ihren Standpunkt sehr; er sagt alles, was man über den Antrag sagen kann, wenn man nicht auf die für die Nationalversammlung so kompromittierende Entstehungsgeschichte der Zentralgewalt eingehen will. In der Tat haben nach ihm die Abgeordneten der Linken wenig Neues mehr vorgebracht, wogegen es der Rechten noch viel schlimmer erging: sie verlief sich entweder in pure Kannegießerei oder in juristische Spitzfindigkeiten. Auf beiden Seiten wurde unendlich oft wiederholt. Der Abgeordnete Schneider hat die Ehre, die Argumente der Rechten zuerst der Versammlung zu unterbreiten. Er beginnt mit dem großen Argument, daß der Antrag sich selbst widerspreche. Einerseits erkenne er die Souveränetät der Nationalversammlung an, andrerseits fordre er die Vereinbarungskammer auf, einen Tadel gegen sie auszusprechen und sich dadurch über sie zu stellen. Jeder Einzelne könne den Tadel aussprechen, nicht aber die Versammlung. Dieser feine Beweisgrund, auf den die Rechte augenscheinlich sehr stolz ist, denn er geht durch alle ihre Reden, stellt eine ganz neue Theorie auf. Nach ihr hat die Versammlung weniger Recht als ein Einzelner gegenüber der Nationalversammlung. Auf dies erste große Argument folgt das republikanische. Deutschland besteht größtenteils aus konstitutionellen Monarchien und daher muß es auch ein konstitutionelles, unverantwortliches Oberhaupt haben, kein republikanisches, verantwortliches. Dies Argument hat am zweiten Tage Herr Stein beantwortet: Deutschland war seiner Zentralverfassung nach immer eine Republik, freilich auch eine erbauliche Republik. „Wir haben", sagt Herr Schneider, „das Mandat erhalten, die konstitutionelle Monarchie zu vereinbaren, und die Frankfurter haben das ähnliche Mandat erhalten, mit den deutschen Regierungen eine Verfassung für Deutschland zu vereinbaren." Die Reaktion spricht ihre Wünsche schon als bestehende Tatsachen aus. Damals, als der zitternde Bundestag auf Befehl einer Versammlung ohne
irgendein rechtskräftiges Mandat, des sogenannten Vorparlaments[11], die deutsche Nationalversammlung einberief, damals war von Vereinbarung nicht die Rede, damals galt die berufene Nationalversammlung für souverän. Jetzt aber ist das anders. Die Pariser Junitage haben die Hoffnungen nicht nur der großen Bourgeoisie, sondern auch der Anhänger des gestürzten Systems neu geschwellt. Jeder Krautjunker erwartet die Herstellung seines alten Kantschur egiments, und von dem kaiserlichen Hoflager zu Innsbruck bis zu der Stammburg Heinrichs LXXII. beginnt schon der Ruf nach „Vereinbarung der deutschen Verfassung" sich zu erheben. Das hat die Frankfurter Versammlung sich freilich selbst zuzuschreiben.
„Die Nationalversammlung hat also nach ihrem Mandat gehandelt, indem sie ein konstitutionelles Oberhaupt wählte. Sie hat aber auch nach dem Willen des Volkes gehandelt; die große Majorität will die konstitutionelle Monarchie. Ja, ich hätte es für ein Unglück gehalten, hätte die Nationalversammlung anders beschlossen. Nicht weil ich gegen die Republik bin, im Prinzip erkenne ich - darin bin ich mit mir vollständig einig - die Republik als die vollkommenste und edelste Staatsform an, aber in der Wirklichkeit sind wir dahin noch lange nicht gelangt. Wir können die Form nicht haben, ohne den Geist zu haben. Wir können keine Republik haben wollen, wenn uns die Republikaner fehlen, d.h. die edlen Charaktere, die nicht nur in der Begeisterung, sondern zu jeder Zeit mit ruhigem Bewußtsein und in edler Selbstverleugnung ihr Interesse dem gemeinsamen Interesse unterzuordnen wissen." Kann man einen schönern Beweis verlangen, welche Tugenden in der Berliner Kammer vertreten sind, als diese edlen, bescheidenen Worte des Abgeordneten Schneider? Wahrlich, wenn noch ein Zweifel bestehen konnte über die Befähigung der Deutschen zur Republik, er mußte in sein Nichts verschwinden vor diesen Proben echter Bürgertugend, edler, bescheidenster Selbstaufopferung unseres Cincinnatus-Schneider! Möge Cincinnatus Mut fassen und Vertrauen zu sich und den zahllosen edlen Bürgern Deutschlands, die ebenfalls die Republik für die edelste Staatsform, aber sich selbst für schlechte Republikaner halten; Sie sind reif für die Republik, sie würden die Republik mit demselben heroischen Gleichmut ertragen wie die absolute Monarchie. Die Republik der Biedermänner würde die glücklichste sein, die je bestand: eine Republik ohne Brutus und Catilina, ohne Marat und Junistürme, die Republik der satten Tugend und zahlungsfähigen Moral[199]. Wie sehr täuscht sich Cincinnatus-Schneider, wenn er ausruft:
„Unter dem Absolutismus können sich keine republikanischen Charaktere bilden; es läßt sich der republikanische Geist nicht hervorrufen, wie man die Hand umdreht; wir haben unsere Kinder und Kindeskinder dahin erst zu erziehen! Gegenwärtig würde ich die Republik nur für das höchste Unheil halten, denn sie wäre die Anarchie
mit dem entheiligten Namen der Republik, der Despotismus unter der Larve der Freiheit!" Im Gegenteil, die Deutschen sind, wie Herr Vogt (von Gießen) in der Nationalversammlung173 sagte, die gebornen Republikaner, und CincinnatusSchneider kann seine Kinder nicht besser zur Republik erziehen, als wenn er sie in der alten deutschen Zucht, Sitte und Gottesfurcht erzieht, in der er selbst schlecht und recht herangewachsen. Die Republik der Biedermänner würde anstatt Anarchie und Despotismus dieselben gemütlichen Weißbierverhandlungen erst zur höchsten Vollkommenheit entwickeln, in denen Cincinnatus-Schneider sich so sehr auszeichnet. Die Republik der Biedermänner, fern von allen Greueln und Verbrechen, die die französische erste Republik besudelten, rein von Blut und die rote Fahne verabscheuend, würde das bisher Unerreichte möglich machen, daß jeder honette Bürger ein stilles und ruhiges Leben führe in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Wer weiß, ob uns die Republik der Biedermänner nicht gar die Zünfte mit sämtlichen erheiternden Bönhasenprozessen wiederbrächte! Diese Republik der Biedermänner ist kein luftgewebtes Traumbild, sie ist eine Wirklichkeit, sie existiert in Bremen, Hamburg, Lübeck und Frankfurt und selbst noch in einigen Teilen der Schweiz. Überall aber droht ihr Gefahr im Sturm der Zeiten, überall ist sie am Untergehen. Darum auf, Cincinnatus-Schneider, verlaß Pflug und Rübenfeld, Weißbier und Vereinbarung, steig zu Roß und rette die bedrohte Republik, deine Republik, die Republik der Biedermänner!
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.49 vom 19. Juli 1848] ** Köln, 18. Juli. Nach Herrn Schneider betritt Herr Waldeck die Tribüne, um für den Antrag zu sprechen:
„Wahrlich, die Lage des preußischen Staats ist jetzt beispiellos, und im Grande kann man sich nicht verhehlen, sie ist auch einigermaßen bedenklich." Dieser Anfang ist ebenfalls einigermaßen bedenklich. Wir glauben noch immer den Abgeordneten Schneider zu hören:
„Preußen war, wir dürfen es sagen, berufen zur Hegemonie in Deutschland." Noch immer die altpreußische Illusion, noch immer der süße Traum, Deutschland in Preußen aufgehen zu machen und Berlin zum deutschen Paris zu erklären! Herr Waldeck sieht zwar diese süße Hoffnung vor seinen Augen zerrinnen, aber mit schmerzlichem Gefühl schaut er ihr nach, er
15 Marx/Eneels, Werke, Bd. 5
macht der vorigen und jetzigen Regierung einen Vorwurf daraus, sie habe es verschuldet, daß Preußen nicht an der Spitze von Deutschland stehe. Leider, die schönen Tage sind vorüber, in denen der Zollverein^2001 die preußische Hegemonie über Deutschland anbahnte, in denen der Provinzialpatriotismus glauben konnte, „der märkische Stamm habe seit 200 Jahren die Geschicke Deutschlands entschieden" und werde sie auch ferner entscheiden; die schönen Tage, in denen das gänzlich zerfallende Bundestags-Deutschland[41] selbst in der allgemeinen Anwendung der preußisch-bürokratischen Zwangsjacke ein letztes Mittel des Zusammenhalts sehen konnte! „Der längst von der öffentlichen Meinung gerichtete Bundestag verschwindet, und plötzlich steht vor den Augen der erstaunten Welt die konstituierende Nationalversammlung zu Frankfurt!" Die „Weit" mußte allerdings „erstaunen", als sie diese konstituierende Nationalversammlung sah. Man vergleiche darüber die französischen, englischen und italienischen Blätter. Herr Waldeck erklärt sich noch des breiteren gegen einen deutschen Kaiser und macht dem Herrn Reichensperger II Platz. Herr Reichensperger II erklärt die Unterstützer des Jacobyschen Antrags für Republikaner und wünscht, sie möchten nur so offen mit ihren Absichten hervortreten wie die Frankfurter Republikaner. Dann beteuert auch er, Deutschland besitze noch nicht das „Vollmaß bürgerlicher und politischer Tugend, welches ein großer Staatslehrer1 als die wesentliche Bedingung der Republik bezeichnet". Es muß schlimm um Deutschland stehen, wenn der Patriot Reichensperger das sagt! Die Regierung, fährt er fort, hat keine Vorbehalte gemacht (!), sondern bloße Wünsche ausgesprochen. Dazu war Veranlassung genug, und auch ich hoffe, daß nicht immer die Regierungen bei den Beschlüssen der Nationalversammlung umgangen werden. Eine Festsetzung der Kompetenz der Frankfurter Nationalversammlung liegt außer unserer Kompetenz; die Nationalversammlung selbst hat sich dagegen ausgesprochen, Theorien über ihre Kompetenz aufzustellen, sie hat praktisch gehandelt, wo die Notwendigkeit das Handeln gebot. Das heißt, die Frankfurter Versammlung hat nicht in der Zeit der revolutionären Aufregung, wo sie allmächtig war, den unausbleiblichen Kampf mit den deutschen Regierungen durch einen entscheidenden Schlag abgemacht; sie hat vorgezogen, die Entscheidung aufzuschieben, bei jedem einzelnen Beschluß kleine Scharmützel mit dieser oder jener Regierung zu
bestehen, die für sie in demselben Maße schwächend sind, als sie sich von der Zeit der Revolutionen entfernt und durch ihr schlaffes Auftreten in den Augen des Volks kompromittiert. Und insofern hat Herr Reichensperger recht: Es verlohnt sich für uns nicht der Mühe, einer Versammlung zu Hülfe zu kommen, die sich selbst im Stich läßt! Rührend aber ist es, wenn Herr Reichensperger sagt:
„Es ist also unstaatsmännisch, derartige Kompetenzfragen zu erörtern; es kömmt nur darauf an, die jedesmal sich darbietenden praktischen Fragen zu lösen." Allerdings, es ist „unstaatsmännisch", diese „praktischen Fragen" ein für allemal durch einen energischen Beschluß zu beseitigen; es ist „unstaatsmännisch", das revolutionäre Mandat, das jede aus den Barrikaden hervorgegangene Versammlung besitzt, geltend zu machen gegenüber den Versuchen der Reaktion, die Bewegung aufzuhalten; allerdings, Cromwell, Mirabeau, Danton, Napoleon, die ganze englische und französische Revolution waren höchst „unstaatsmännisch", aber Bassermann, Biedermann, Eisenmann, Wiedenmann, Dahlmann benehmen sich „staatsmännisch"! Die „Staatsmänner" hören überhaupt auf, wenn die Revolution eintritt, und die Revolution muß für den Augenblick eingeschlafen sein, wenn die „Staatsmänner" wieder auftreten! Und vollends die Staatsmänner von der Stärke des Herrn Reichensperger II, Abgeordneten des Kreises Kempen!
„Gehen Sie von diesem System ab, so wird es schwerlich gelingen, Konflikte mit der deutschen Nationalversammlung oder mit den Regierungen der Einzelstaaten zu vermeiden; in jedem Falle werden Sie beklagenswerten Zwiespalt säen; infolge des Zwiespalts wird die Anarchie sich erheben, und niemand schützt uns alsdann vor Bürgerkrieg. Der Bürgerkrieg aber ist der Anfang noch größern Unglücks ... ich halte es nicht für unmöglich, daß es alsdann auch einmal von uns heißen wird: Die Ordnung ist in Deutschland hergestellt - durch unsere Freunde von Osten und Westen!" Herr Reichensperger mag recht haben. Wenn die Versammlung sich auf Kompetenzfragen einläßt, so mag das Veranlassung zu Kollisionen sein, die den Bürgerkrieg, die Franzosen und die Russen herbeirufen. Aber wenn sie es nicht tut, wie sie es wirklich nicht getan hat, so ist uns der Bürgerkrieg doppelt sicher. Die Konflikte, im Anfang der Revolution noch ziemlich einfach, verwickeln sich täglich mehr, und je länger die Entscheidung aufgeschoben wird, desto schwieriger, desto blutiger wird die Lösung sein. Ein Land wie Deutschland, das gezwungen ist, sich aus der namenlosesten Zersplitterung zur Einheit emporzuarbeiten, das bei Strafe des Untergangs einer um so strengeren revolutionären Zentralisation bedarf, je zerfallener es bisher war; ein Land, das zwanzig Vendeen[201] in seinem Schöße birgt, das 15*
von den beiden mächtigsten und zentralisiertesten Kontinentalstaaten eingeklemmt, von zahllosen kleinen Nachbarn umgeben und mit allen gespannt oder gar im Kriege ist - ein solches Land kann in der gegenwärtigen Zeit der allgemeinen Revolution weder dem Bürgerkriege noch dem auswärtigen Kriege entgehen. Und diese Kriege, die uns ganz sicher bevorstehen, werden um so gefährlicher, um so verheerender werden, je unentschlossener das Volk und seine Leiter sich benehmen, je länger die Entscheidung hinausgeschoben wird. Bleiben die „Staatsmänner" des Herrn Reichensperger am Ruder, so können wir einen zweiten Dreißigjährigen Krieg erleben. Aber zum Glück haben die Gewalt der Ereignisse, das deutsche Volk, der Kaiser von Rußland und das französische Volk noch ein Wort mitzusprechen.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 53 vom 23. Juli 1848] ** Köln, 22. Juli. Endlich gestatten uns die Ereignisse, Gesetzentwürfe, Waffenstillstandsprojekte usw. wieder zu unsern geliebten Vereinbarungsdebatten zurückzukehren. Wir finden den Abgeordneten Herrn v. Berg aus Jülich auf der Tribüne, einen Mann, der uns doppelt interessiert: erstens als Rheinländer und zweitens als Ministerieller neuesten Datums. Herr Berg ist aus verschiedenen Gründen gegen den Jacobyschen Antrag. Der erste ist dieser:
„Der erste Teil des Antrags, der an uns die Forderung stellt, eine Mißbilligung eines Beschlusses des deutschen Parlaments auszusprechen, dieser erste Teil ist weiter nichts als ein Protest im Namen einer Minorität gegen eine gesetzliche Majorität. Es ist weiter nichts als ein Versuch einer Partei, die innerhalb eines gesetzgebenden Körpers unterlegen ist, sich von außen zu stärken, ein Versuch, der in seinen Konsequenzen zum Bürgerkrieg führen muß." Herr Cobden befand sich von 1840 bis 1845 mit seinem Antrag zur Aufhebung der Korngesetze im Unter hause in der Minorität. Er gehörte zu „einer Partei, die innerhalb eines gesetzgebenden Körpers unterlegen" war. Was tat er? Er suchte sich „von außen zu stärken". Er erließ nicht bloß eine Mißbilligung der Beschlüsse des Parlaments; er ging viel weiter, er gründete und organisierte die Anti-Korngesetz-Ligue[202J, die Anti-Korngesetz-Presse, kurz die ganze kolossale Agitation gegen die Korngesetze. Nach der Ansicht des Herrn Berg war das ein Versuch, der „zum Bürgerkrieg führen mußte". Die Minorität des seligen Vereinigten Landtags[84] suchte sich ebenfalls „von außen zu stärken". Herr Camphausen, Herr Hansemann, Herr Milde nahmen in dieser Beziehung nicht den mindesten Anstand. Die beweisenden Tatsachen sind notorisch. Es ist klar, nach Herrn Berg, daß die Konsequenzen
auch ihres Benehmens „zum Bürgerkrieg führen mußten". Sie führten aber nicht zum Bürgerkrieg, sondern zum Ministerium. Und so könnten wir noch hundert andre Beispiele anführen. Also die Minorität eines gesetzgebenden Körpers soll sich bei Strafe, zum Bürgerkriege zu führen, nicht von außen zu stärken suchen. Aber was ist denn „von außen"? Die Wähler, d.h. die Leute, die die gesetzgebenden Körper machen. Und wenn man sich nicht mehr durch Einwirkung auf diese Wähler „stärken" soll, wodurch soll man sich stärken? Sind die Reden der Herrn Hansemann, Reichensperger, v. Berg etc. bloß für die Versammlung gehalten oder auch fürs Publikum, dem sie durch stenographische Berichte mitgeteilt werden? Sind diese Reden nicht ebenfalls Mittel, wodurch diese „Partei innerhalb eines gesetzgebenden Körpers" sich „von außen zu stärken sucht" oder zu [stärken] hofft? Mit einem Wort: Das Prinzip des Herrn Berg würde zur Aufhebung aller politischen Agitation führen. Die Agitation ist nichts anders als die Anwendung der Unverantwortlichkeit der Repräsentanten, der Preßfreiheit, des Assoziationsrechts — d.h. der in Preußen zu Recht bestehenden Freiheiten. Ob diese Freiheiten zum Bürgerkriege führen oder nicht, geht uns gar nichts an; genug, sie bestehen, und wir wollen sehen, wohin es „führt", wenn man fortfährt, sie anzutasten.
„Meine Herren, diese Versuche der Minorität, sich außerhalb der gesetzgebenden Gewalt Kraft und Geltung zu verschaffen, sind nicht von heute und gestern, sie datieren vom ersten Tag der deutschen Erhebung. Auf dem Vorparlament entfernte sich die Minorität protestierend, und die Folge davon war ein Bürgerkrieg."
Erstens ist hier beim Jacobyschen Antrag von einer „protestierenden Entfernung der Minorität" keine Rede. Zweitens „sind die Versuche der Minorität, sich außerhalb der gesetzgebenden Gewalt Geltung zu verschaffen", allerdings „nicht von heute und gestern", denn sie datieren von dem Tage, wo es gesetzgebende Gewalten und Minoritäten gab. Drittens hat nicht die protestierende Entfernung der Minorität des Vorparlaments zum Bürgerkrieg geführt, sondern die „moralische Überzeugung" des Herrn Mittermaier, daß Hecker, Fickler und Konsorten Landesverräter seien, und die infolge davon ergriffenen, durch die schlotterndste Angst diktierten Maßregeln der badischen Regierung.[203] Nach dem Argument des Bürgerkriegs, das natürlich ganz geeignet ist, dem deutschen Bürger gewaltige Angst einzujagen, kommt das Argument des mangelnden Mandats.
„Wir sind von unsern Wählern gewählt, um eine Staatsverfassung für Preußen zu begründen; dieselben Wähler haben andere ihrer Mitbürger nach Frankfurt entsendet, um dort die Zentralgewalt zu begründen. Es ist nicht zu leugnen, daß dem Wähler, welcher das Mandat gibt, allerdings zusteht, das, was der Mandatar tut, zu billigen oder zu mißbilligen; aber die Wähler haben uns nicht beauftragt, in dieser Beziehung die Stimmen für sie zu führen."
Dies triftige Argument hat große Bewunderung hei den Juristen und juristischen Dilettanten der Versammlung erregt. Wir haben kein Mandat! Und dennoch behauptet derselbe Herr Berg zwei Minuten später, die Frankfurter Versammlung sei „berufen worden, um im Einvernehmen mit den deutschen Regierungen die künftige Verfassung Deutschlands aufzubauen", und die preußische Regierung würde in diesem Falle doch hoffentlich ihre Bestätigung nicht geben, ohne die Vereinbarungsversammlung oder die nach der neuen Konstitution gewählte Kammer zu Rate zu ziehen. Und dennoch hat das Ministerium die Anerkennung des Reichsverwesers der Versammlung sogleich nebst ihren Vorbehalten angezeigt und die Versammlung dadurch aufgefordert, ihr Urteil abzugeben! Gerade der Standpunkt des Herrn Berg, seine eigene Rede und die Mitteilung des Herrn Auerswald führen also zu der Konsequenz, daß die Versammlung allerdings ein Mandat hat, sich mit den Frankfurter Beschlüssen zu beschäftigen! Wir haben kein Mandat! Also wenn die Frankfurter Versammlung die Zensur wieder vorschreibt, bei einem Konflikt zwischen Kammer und Krone bayrische und östreichische Truppen zur Unterstützung der Krone nach Preußen schickt, so hat Herr Berg „kein Mandat"! Welches Mandat hat Herr Berg? Buchstäblich nur das, „die Verfassung mit der Krone zu vereinbaren". Er hat also keineswegs das Mandat zu interpellieren, UnVerantwortlichkeitsgesetze, Bürgerwehrgesetze, Ablösungsgesetze und andere nicht in der Verfassung figurierende Gesetze zu vereinbaren. Die Reaktion behauptet das auch täglich. Er selbst sagt: .Jeder Schritt über dieses Mandat hinaus ist Ungerechtigkeit, ein Aufgeben desselben oder gar Verrat!" Und dennoch gibt Herr Berg und die ganze Versammlung jeden Augenblick, von der Notwendigkeit gezwungen, ihr Mandat auf. Sie muß es infolge des revolutionären oder vielmehr jetzt reaktionären Provisoriums. Infolge dieses Provisoriums gehört aber alles zur Kompetenz der Versammlung, was dazu dient, die Errungenschaften der Märzrevolution sicherzustellen, und wenn dies durch einen moralischen Einfluß auf die Frankfurter Versammlung geschehen kann, so ist die Vereinbarungskammer dazu nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet.
Folgt das rheinpreußische Argument, das für uns Rheinländer von besondrer Wichtigkeit ist, weil es beweist, wie wir in Berlin vertreten sind.
„Wir Rheinländer, Westfalen und noch andere Provinzen haben mit Preußen durchaus kein anderes Verband, als daß wir zur Krone Preußen gekommen sind. Lösen wir das Band auf, so fällt der Staat auseinander. Ich sehe auch gar nicht ein, und ich glaube, die meisten Deputierten meiner Provinz auch nicht, was wir mit einer Republik Berlin sollen. Da könnten wir ja lieber eine Republik Köln wollen." Auf die kannegießerlichen Möglichkeiten, was wir wohl „wollen könnten", wenn Preußen sich in eine „Republik Berlin" verwandelte, auf die neue Theorie über die Lebensbedingungen des preußischen Staats usw. gehen wir gar nicht ein. Wir protestieren als Rheinländer nur dagegen, daß „wir zur Krone Preußen gekommen sind". Im Gegenteil, die „Krone Preußen" ist zu uns gekommen. Der nächste Redner gegen den Antrag ist der Herr Simons aus Elberfeld. Er wiederholt alles, was der Herr Berg gesagt hat. Auf ihn folgt ein Redner der Linken und sodann der Herr Zachariä. Er wiederholt alles, was Herr Simons gesagt hat. Der Abgeordnete Duncker wiederholt alles, was Herr Zachariä gesagt hat. Er sagt aber auch noch einige andere Dinge, oder er sagt das schon Gesagte in so krasser Form, daß wir gut tun, auf seine Rede kurz einzugehen.
„Wenn wir, die konstituierende Versammlung von 16 Millionen Deutschen, der konstituierenden Versammlung sämtlicher Deutschen einen solchen Tadel hinwerfen, stärken wir dadurch in dem Bewußtsein des Volks die Autorität der deutschen Zentralgewalt, die Autorität des deutschen Parlaments? Untergraben wir nicht damit den freudigen Gehorsam, der ihr von den einzelnen Stämmen [gewährt] werden muß, wenn sie wirken soll für die Einheit Deutschlands?" Nach Herrn Duncker besteht die Autorität der Zentralgewalt und Nationalversammlung, der „freudige Gehorsam"; er besteht darin, daß das Volk sich ihr blindlings unterwirft, aber die einzelnen Regierungen ihre Vorbehalte machen und gelegentlich ihr den Gehorsam kündigen.
„Wozu in unserer Zeit, wo die Gewalt der Tatsachen eine so unermeßliche ist, wozu theoretische Erklärungen?" Die Anerkennung der Souveränetät der Frankfurter Versammlung durch die Vertreter „von 16 Millionen Deutschen" ist also eine bloß „theoretische Erklärung"!? „Wenn in Zukunft die Regierung und die Volksvertretung Preußens einen Beschluß, der in Frankfurt gefaßt würde, für unmöglich, für unausführbar hielten, würde dann überhaupt die Möglichkeit der Ausführung eines solchen Beschlusses da sein?"
Die bloße Meinung, das Dafürhalten der preußischen Regierung und Volksvertretung wäre also imstande, Beschlüsse der Nationalversammlung immöglich zu machen. „Wenn das ganze preußische Volk, wenn zwei Fünftel Deutschlands sich den Frankfurter Beschlüssen nicht unterwerfen wollten, so wären sie unausführbar, wir mögen heute aussprechen, was wir wollen." Da haben wir den ganzen alten Preußen hochmut, den Berliner Nationalpatriotismus in der ganzen alten Glorie mit dem Zopf und Krückstock des alten Fritzen. Wir sind zwar die Minorität, wir sind nur zwei Fünftel (nicht einmal), aber wir werden der Majorität schon zeigen, daß wir die Herren in Deutschland, daß wir die Preußen sind! Wir raten den Herrn von der Rechten nicht, einen solchen Konflikt zwischen „Zwei Fünftel" und „Drei Fünftel" zu provozieren. Das Zahlenverhältnis würde sich doch ganz anders stellen, und manche Provinz dürfte sich erinnern, daß sie seit undenklichen Zeiten deutsch, aber erst seit dreißig Jahren preußisch ist. Aber Herr Duncker hat einen Ausweg. Die Frankfurter so gut wie wir müssen „solche Beschlüsse fassen, daß in ihnen ausgesprochen ist der vernünftige Gesamtwille, die wahre öffentliche Meinung, daß sie bestehen können vor dem sittlichen Bewußtsein der Nation", d.h. Beschlüsse nach dem Herzen des Abgeordneten Duncker. „Wenn wir, wenn jene in Frankfurt solche Beschlüsse fassen, dann sind wir, dann sind sie souverän, sonst sind wir es nicht, und wenn wir es zehnmal dekretieren." Nach dieser tiefsinnigen, seinem sittlichen Bewußtsein entsprechenden Definition der Souveränetät, stößt Herr Duncker den Seufzer aus: „Jedenfalls gehört dies der Zukunft an" - und damit schließt er seine Rede. Raum und Zeit schließen ein Eingehen auf die an demselben Tage gehaltenen Reden der Linken aus. Indessen werden unsre Leser schon aus den gegebenen Reden der Rechten gesehen haben, daß Herr Parrisius nicht ganz unrecht hatte, wenn er auf Vertagung antrug, aus dem Grunde, weil „die Hitze in dem Saale so hoch gestiegen ist, daß man seine Gedanken nicht Vollständig klar haben kann"!
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.55 vom 25. Juli 1848] ** Köln, 24. Juli. Als wir vor einigen Tagen durch den Drang der Weltereignisse genötigt waren, die Schilderung dieser Debatte zu unterbrechen, hat ein benachbarter Publizist^61]  die Gefälligkeit gehabt, diese Schilderung an
unsrer Stelle zu übernehmen. Er hat das Publikum bereits auf „die Fülle treffender Gedanken und heller Ansichten", auf „den guten gesunden Sinn für wahre Freiheit" aufmerksam gemacht, welche „die Redner der Majorität in dieser großen zweitägigen Debatte gezeigt haben "[204] - und namentlich unser unvergleichlicher Baumstark. Wir müssen uns beeilen, die Debatte zu Ende zu bringen, aber wir können nicht umhin, einige Beispiele der „treffenden Gedanken und hellen Ansichten" der Rechten aus der „Fülle" hervorzusuchen. Den zweiten Tag der Debatte eröffnet der Abgeordnete Ahegg mit der Drohung an die Versammlung: Wenn man über diesen Antrag ins reine kommen wolle, so müsse man die ganzen Frankfurter Debatten vollständig wiederholen — und dazu sei die hohe Versammlung doch offenbar nicht berechtigt! Das würden ihre Herren Kommittenten „bei dem praktischen Takt und praktischen Sinn, der ihnen beiwohnt", nie billigen können! Übrigens, was solle aus der deutschen Einheit werden, wenn man sich (jetzt kömmt ein ganz besonders „treffender Gedanke") „nicht nur auf Vorbehalte beschränke, sondern zu einer entschiedenen Billigung oder Mißbilligung der Frankfurter Beschlüsse" übergehe! Da bleibe ja nichts als die „lediglich formelle Fügsamkeit"! Natürlich, die „lediglich formelle Fügsamkeit'', die kann man durch „Vorbehalte" und im Notfall auch direkt weigern, das kann der deutschen Einheit keinen Schaden tun; aber eine Billigung oder Mißbilligung, ein Urteil über diese Beschlüsse vom stilistischen, logischen oder Nützlichkeitsstandpunkt da hört wirklich alles auf! Herr Abegg schließt mit der Bemerkung, es sei die Sache der. Frankfurter, nicht der Berliner Versammlung, sich über die der Berliner, nicht der Frankfurter Versammlung vorgelegten Vorbehalte zu erklären. Man dürfe den Frankfurtern nicht vorgreifen; das beleidige ja die Frankfurter! Die Herren in Berlin sind inkompetent, über Erklärungen zu urteilen, die ihre eignen Minister ihnen machen. Überspringen wir nun die Götter der kleinen Leute, einen Baltzer, einen Kämpff, einen Gräff, und eilen wir, den Helden des Tages, den unvergleichlichen Baumstark, zu hören. Der Abgeordnete Baumstark, erklärt, er werde sich nie für inkompetent erklären, sobald er nicht zugeben müsse, er verstehe von der Sache nichts und das werde doch wohl nicht das Resultat der achtwöchentlichen Debatte sein, daß man von der Sache nichts verstehe? Der Abgeordnete Baumstark ist also kompetent. Und zwar folgendermaßen:
„Ich frage, sind wir denn durch unsere bisher bewiesene Weisheit dazu vollkommen berechtigt" (d. h. kompetent), „einer Versammlung gegenüberzutreten, welche das allgemeine Interesse Deutschlands, die Bewunderung von ganz Europa, durch die Vortreffiichkeit ihrer Gesinnung, durch die Höhe ihrer Intelligenz, durch die Sittlichkeit ihrer Staatsanschauung auf sich gezogen hat - ich sage, durch alles, was in der Geschichte den Namen Deutschlands groß gemacht und verherrlicht hat? Dem beuge ich mich" (d.h. erkläre mich inkompetent) „und wünsche, daß die Versammlung in dem Gefühl der Wahrheit (!!) sich ebenfalls beugen" (d.h, inkompetent erklären) „möge!" „Meine Herren", fährt der „kompetente" Abgeordnete Baumstark fort, „man hat in der gestrigen Sitzung gesagt, daß man von Republik usw. gesprochen, das sei ein unphilosophisches Wesen. Es kann aber unmöglich unphilosophisch sein, als ein Charakteristikum der Republik im demokratischen Sinne die Verantwortlichkeit dessen zu bezeichnen, der an der Spitze des Staats steht. Meine Herren, es steht fest, daß alle Staatsphilosophen von Plato an bis herab zu Dahlmann" (tiefer „herab" konnte der Abgeordnete Baumstark allerdings nicht steigen) „diese Ansicht ausgesprochen haben, und wir dürfen ohne ganz besondere Gründe, die noch erst vorgebracht werden müssen, dieser mehr als tausendjährigen Wahrheit (!) und historischen Tatsache nicht widersprechen."
Herr Baumstark meint also doch, daß man wohl zuweilen »ganz besondere Gründe" haben könne, um sogar „historischen Tatsachen" zu widersprechen. Die Herren von der Rechten pflegen sich allerdings in dieser Beziehung nicht zu genieren. Herr Baumstark erklärt sich ferner abermals inkompetent, indem er die Kompetenz auf die Schultern „aller Staatsphilosophen von Plato bis herab zu Dahlmann" schiebt, zu welchen Staatsphilosophen Herr Baumstark natürlich nicht gehört.
„Denke man sich dies Staatsgebäude! Eine Kammer und ein verantwortlicher Reichsverweser, und basiert auf das jetzige Wahlgesetz! Bei einiger Betrachtung würde man finden, daß dies der gesunden Vernunft widerspricht."
Und nun tut Herr Baumstark folgenden tiefgeschöpften Ausspruch, der selbst bei der schärfsten Betrachtung nicht „der gesunden Vernunft" widersprechen wird:
„Meine Herren! Zur Republik gehört zweierlei: die Volksansicht und die leitenden Persönlichkeiten. Wenn wir unsere deutsche Volksansicht etwas näher betrachten, so werden wir darin von dieser" (nämlich der erwähnten reichsverweserlichen) „Republik wenig finden!"
Herr Baumstark erklärt sich also abermals inkompetent, und diesmal ist es die Volksansicht, die für die Republik statt seiner kompetent ist. Die Volksansicht „versteht" also mehr von der Sache als der Abgeordnete Baumstark. Endlich aber beweist der Redner, daß es auch Sachen gibt, von denen er etwas „versteht", und zu diesen Sachen gehört vor allen Dingen die Volkssouveränetät. „Meine Herren! Die Geschichte, und ich muß darauf zurückkommen, gibt den Beweis, wir haben Volkssouveränetät von jeher gehabt, aber sie hat sich unter verschiedenen Formen verschieden gestaltet." Und jetzt folgt eine Reihe der „treffendsten Gedanken und hellsten Ansichten" über die brandenburgisch-preußische Geschichte und die Volkssouveränetät, welche den benachbarten Publizisten alle irdischen Leiden im Übermaß konstitutioneller Wonne und doktrinärer Seligkeit verschwinden macht. „Als der Große Kurfürst jene morschen ständischen Elemente, infiziert von dem Gift französischer Entsittlichung" (das Recht der ersten Nacht war allerdings allmählich von der „französischen entsittlichten" Zivilisation zu Grabe getragen worden!) „unberücksichtigt ließ, ja (!) niederschmetterte" (das „Niederschmettern" ist allerdings die beste Art, etwas unberücksichtigt zu lassen), „da ward ihm allgemein vom Volke zugejauchzt in dem tiefen Gefühl der Sittlichkeit, einer Kräftigung des deutschen, insbesondere des preußischen Staatsgebäudes." Man bewundre das „tiefe Gefühl der Sittlichkeit" der brandenburgischen Spießbürger des 17. Jahrhunderts, die im tiefen Gefühl ihrer Profite dem Kurfürsten zujauchzten, als er ihre Feinde, die Feudalherren, angriff und ihnen selbst Konzessionen verkaufte — man bewundre aber noch mehr die „gesunde Vernunft" und „helle Ansicht" des Herrn Baumstark, der in diesem Zujauchzen „Volkssouveränetät" erblickt!
„Zu jener Zeit ist keiner gewesen, der dieser absoluten Monarchie nicht gehuldigt hätte" (weil er sonst Stockprügel bekommen), „und der Große Friedrich wäre zu jener Bedeutung nicht gekommen, hätte ihn diewahre Volkssouveränetät nicht getragen." Die Volkssouveränetät der Stockprügel, Leibeigenschaft und Frondienste - das ist für Herrn Baumstark die wahre Volkssouveränetät. Naives Geständnis ! Von der wahren kommt Herr Baumstark jetzt zu den falschen Volkssouverän etäten. „Aber es kam eine andere Zeit, die der konstitutionellen Monarchie." Dies wird bewiesen durch eine lange „konstitutionelle Litanei", deren kurzer Sinn ist, daß das Volk in Preußen von 1811 bis 1847 stets nach der
Konstitution, nie nach der Republik gerufen habe (!), woran sich ungezwungen die Bemerkung knüpft, daß auch von der letzten süddeutschen republikanischen Schilderhebung[64] „das Volk sich mit Entrüstung hinweggewendet hat". Daraus folgt nun ganz natürlich, daß die zweite Art der Volkssouveränetät (freilich nicht mehr die „wahre") die „eigentlich konstitutionelle" ist.
„Es ist die, durch welche die Staatsgewalt unter König und Volk geteilt wird, es ist eine geteilte Volkssouveränetät" (die „Staatsphilosophen von Plato bis herab zu Dahlmann" mögen uns sagen, was das heißen soll), „welche dem Volke unverkürzt und unbedingt werden muß (!!), aber ohne daß der König an seiner gesetzlichen Gewalt" (durch welche Gesetze ist diese in Preußen seit dem 19.M ÄV7 htf^efrimmf^ wvliprf — darüber ist Klarheit" (namentlich im Kopfe des Abgeordneten Baumstark); „der Begriff ist durch die Geschichte des konstitutionellen Systems festgesetzt, und kein Mensch kann mehr darüber im Zweifel sein" (die „Zweifel" fangen leider erst wieder an, wenn man die Rede des Abgeordneten Baumstark liest). Endlich „gibt es eine dritte Volkssouveränetät, es ist die demokratisch-republikanische, auf den sogenannten breitesten Grundlagen ruhen sollende . Dieser unglückliche Ausdruck ,breiteste Grundlage'!" Gegen diese breiteste Grundlage „erhebt" nun Herr Baumstark „ein Wort". Diese Grundlage führt zum Verfall der Staaten, zur Barbarei! Wir haben keine Catonen, die der Republik die sittliche Unterlage geben könnten. Und jetzt beginnt Herr Baumstark so laut in das alte, langst verstimmte und mit Beulen besäte Montesquieusche Horn von der republikanischen Tugend zu stoßen, daß der benachbarte Publizist von Bewunderung fortgerissen ebenfalls einstimmt und zum Erstaunen von ganz Europa den glänzenden Beweis führt, daß die „republikanische Tugend ... eben zum Konstitutionalismus führt"! Zu gleicher Zeit aber fällt Herr Baumstark in eine andere Tonart und läßt sich durch die Abwesenheit der republikanischen Tugend ebenfalls zum Konstitutionalismus führen. Den glänzenden Effekt dieses Duetts, in dem nach einer Reihe der herzzerreißendsten Dissonanzen zuletzt beide Stimmen auf dem versöhnenden Akkord des Konstitutionalismus zusammenkommen, mag sich der Leser denken. Herr Baumstark kommt nun durch längere Erörterungen zu dem Resultat, daß die Minister eigentlich gar „keinen eigentlichen Vorbehalt" gemacht hätten, sondern nur „einen leisen Vorbehalt im Betreff der Zukunft", gerät zuletzt selbst auf die breiteste Grundlage, indem er das Heil Deutschlands nur in einem Jemo^rafiscA-konstitutionellen Staate sieht, und wird dabei so sehr „von dem Gedanken an die Zukunft Deutschlands überwältigt", daß er sich durch den Ruf Luft macht: „Hoch, dreimal hoch das volkstümlichkonstitutionelle erbliche deutsche Königtum!"
In der Tat, er hatte recht zu sagen: Diese unglückliche breiteste Grundlage! Es sprechen nun noch mehrere Redner beider Seiten, aber nach dem Abgeordneten Baumstark wagen wir sie unsern Lesern nicht mehr vorzuführen. Nur eins erwähnen wir noch: Der Abgeordnete Wachsmuth erklärt, an der Spitze seines Glaubensbekenntnisses stehe der Satz des edlen Stein: Der Wille freier Menschen ist der unerschütterliche Pfeiler jedes Throns.
„Das", ruft der benachbarte Publizist, in Entzücken schwelgend, „das trifft den Mittelpunkt der Sache! Nirgends gedeiht der Wille freier Menschen besser als im Schatten des unerschütterlichen Throns, nirgends ruht der Thron so unerschütterlich wie auf der intelligenten Liebe freier Menschen!" In der Tat, die „Fülle treffender Gedanken und heller Ansichten", der „gesunde Sinn für wahre Freiheit", die die Majorität in dieser Debatte entwickelt hat, reicht noch lange nicht an die inhaltreiche Gedankenschwere des benachbarten Publizisten!
Geschrieben von Friedrich Engels.
n* T T . 1 .. 1 1 T/1 1 • o. .. uie unterarucKung aer rsjuos in otuttgart und Heidelberg
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 50 vom 20. Juli 1848]
**Köln, 19. Juli. Mein Deutschland trank sich einen Zopf, Und du, du glaubtest den Toasten! Du glaubtest jedem Pfeifenkopf Und seinen schwarz-rot-goldnen Quasten!12051 Und dies, biederer Deutscher, ist in der Tat abermals dein Schicksal gewesen. Du glaubst eine Revolution gemacht zu haben? Täuschung! - Du glaubst mit dem Polizeistaat fertig geworden zu sein ? Täuschung! - Du glaubst das Recht der freien Vereinigung zu besitzen, Preßfreiheit, Volksbewaffnung und andere schöne Worte, die man dir über die Märzbarrikaden hinüberrief ? Täuschung, nichts als Täuschung!
Doch als der holde Rausch entwich, Mein teurer Freund, du standst betroffen!1^051 Betroffen über deine indirekt gewählten sog. Nationalversammlungen12061, betroffen über die erneuerten Ausweisungen deutscher Bürger aus deutschen Städten, betroffen über die Säbeltyrannei in Mainz, Trier, Aachen, Mannheim, Ulm, Prag, betroffen über die Verhaftungen und politischen Prozesse in Berlin, Köln, Düsseldorf, Breslau usw. Aber eins blieb dir, biederer Deutscher - die Klubs! Du konntest in die Klubs gehen und dich vor dem Publikum beschweren über die politischen Prellereien der letzten Monate; du konntest dein beschwertes Herz vor Gleichgesinnten ausschütten und Trost finden in den Worten gleichgesinnter, gleichgedrückter Patrioten! jetzt aber hat auch das ein Ende. Die Klubs sind unvereinbar mit dem Bestehen der „Ordnung". Damit „das Vertrauen wiederkehre", ist es dringend nötig, daß dem wühlerischen Treiben der Klubs ein Ziel gesetzt werde.
Wir haben gestern erzählt» wie die württembergische Regierung den demokratischen Kreis verein in Stuttgart durch königliche] Ordonnanz geradezu verboten hat. Man gibt sich nicht mehr die Mühe, die Klubführer vor Gericht zu stellen, man kommt auf die alten Polizeimaßregeln zurück. Ja, die Herren Harpprecht, Duvernoy und Maucler, welche diese Ordonnanz kontrasigniert haben, gehen noch weiter - sie schreiben außergesetzliche Strafen gegen die Übertreter des Verbots vor, Strafen, die bis zu einem Jahr Gefängnis gehen; sie machen Strafgesetze, und noch dazu exzeptionelle Strafgesetze ohne die Kammern, bloß „kraft des § 89 der Verfassung'"! Nicht besser in Baien. Wir erzählen heute das Verbot des demokratischen Studentenvereins in Heidelberg. Hier wird das Assoziationsrecht im allgemeinen nicht so offen bestritten, man bestreitet es nur den Stuienten, kraft der alten, längst abgeschafften Ausnahmsgesetze des Bundestags^2071, man bedroht sie mit den in diesen ungültigen Gesetzen vorgeschriebenen Strafen. Wir haben nun wohl zu erwarten, daß nächstens auch bei uns die Klubs unterdrückt werden. Damit die Regierungen aber dergleichen Maßregeln mit vollständiger Sicherheit treffen können, ohne der öffentlichen Meinung gehässig zu werden - dafür haben wir eine Nationalversammlung in Frankfurt. Diese Versammlung wird natürlich über dergleichen Polizeimaßregeln ebenso leichten Schritts zur Tagesordnung übergehen, wie über die Mainzer Revolution1. Also nicht um irgend etwas bei der Versammlung durchzusetzen, sondern bloß um die Majorität der Versammlung noch einmal zu zwingen, ihren Bund mit der Reaktion vor ganz Deutschland zu proklamieren — deswegen fordern wir die Deputierten der äußersten Linken in Frankfurt auf, zu beantragen: Daß die Urheber dieser Maßregeln, und namentlich die Herren Harpprecht Duvernoy, Maucler und Mathy wegen Verletzung der „Grundrechte des deutschen Volkes" in Anklagezustani gesetzt werien.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Der preußische Preßgesetzentwurf2081
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 50 vom 20. Juli 1848] ** Köln, 19.Juli. Wir dachten, unsre Leser heute wieder mit den Vereinbarungsdebatten erheitern und ihnen namentlich eine brillante Rede des Abgeordneten Baumstark vorlegen zu können, aber die Ereignisse verhindern uns daran. Jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn die Existenz der Presse bedroht ist, läßt man selbst den Abgeordneten Baumstark fahren. Herr Hansemann hat der Vereinbarungsversammlung ein interimistisches Preßgesetz vorgelegt. Die väterliche Sorgfalt des Herrn Hansemann für die Presse verlangt sofortige Berücksichtigung. Früher verschönerte man den Code Napoleon[80] durch die erbaulichsten Titel des Landrechts[167]. Jetzt, nach der Revolution, ist das anders geworden; jetzt bereichert man das allgemeine Landrecht durch die duftigsten Blüten des Code und der Septembergesetzgebung[6]. Duchatel ist natürlich kein Bodelschwingh. Wir haben bereits vor mehreren Tagen die Hauptbestimmungen dieses Preßgesetzentwurfs mitgeteilt. Kaum hatte man uns durch einen Verleumdungsprozeß1 Gelegenheit gegeben zu beweisen, daß die Artikel 367 und 368 des Code penal[16ö] mit der Preßfreiheit im schreiendsten Widerspruch stehen, so trägt Herr Hansemann darauf an, nicht nur sie auf die ganze Monarchie auszudehnen, sondern auch sie noch dreifach zu verschärfen. Wir finden alles in dem neuen Entwurf wieder, was uns bereits durch die praktische Erfahrung so lieb und teuer geworden ist: Wir finden das Verbot, bei drei Monaten bis zu drei Jahren Strafe, jemanden einer Tatsache zu beschuldigen, die gesetzlich strafbar ist oder ihn nur
„der öffentlichen Verachtung aussetzt"; wir finden das Verbot, die Wahrheit der Tatsache anders als durch eine „vollgültige Beweisurkunde" zu führen, kurz, wir finden die klassischsten Denkmäler napoleonischer Preßdespotie wieder. In der Tat, Herr Hansemann hält sein Versprechen, die alten Provinzen der Vorteile der rheinischen Gesetzgebung teilhaftig zu machen! Der § 10 des Gesetzentwurfs setzt diesen Bestimmungen die Krone auf: Geschah die Verleumdung gegen Staatsbeamte in bezug auf ihre Staats Verrichtungen, so kann die ordentliche Strafe um die Hälfte erhöht werden. Artikel 222 des Strafgesetzbuches bestraft mit einmonatlicher bis zweijähriger Gefängnisstrafe, wenn ein Beamter in Ausübung oder gelegentlich (ä l'occasion) der Ausübung seines Amtes eine Beleidigung durch Worte (outrage par parole) erhalten hat. Dieser Artikel war trotz der wohlwollenden Anstrengungen der Parquets bisher auf die Presse nicht anzuwenden, und aus guten Gründen. Um diesem Ubelstande abzuhelfen, hat ihn Herr Hansemann in obigen § 10 verwandelt. Erstens ist das „gelegentlich" in das bequemere „in bezug auf ihre Amts Verrichtungen" verwandelt; zweitens ist das lästige par parole1 in par ecrit2 verwandelt; drittens ist die Strafe verdreifacht. Von dem Tage an, wo dies Gesetz in Kraft tritt, können die preußischen Beamten ruhig schlafen. Brennt Herr Pfuel den Polen die Hände und Ohren mit Höllenstein, und die Presse veröffentlicht das - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gefängnis! Werden Bürger aus Versehen ins Gefängnis geworfen, obwohl man weiß, daß sie nicht die rechten sind, und die Presse teilt das mit - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gefängnis! Machen sich Landräte zu reaktionären Kommis-Voyageurs3 und Unterschriftensammlern für royalistische Adressen4, und die Presse enthüllt die Herren — viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gefängnis! Von dem Tage an, wo dies Gesetz in Kraft tritt, können die Beamten ungestraft jede Willkürlichkeit, jede Tyrannei, jede Ungesetzlichkeit begehen; sie können ruhig prügeln und prügeln lassen, verhaften, ohne Verhör festhalten; die einzig wirksame Kontrolle, die Presse, ist unwirksam gemacht. An dem Tage, wo dies Gesetz in Kraft tritt, kann die Bürokratie ein Freudenfest feiern: sie wird mächtiger, ungehinderter, stärker als sie es vor dem März war. In der Tat, was bleibt von der Preßfreiheit, wenn man das, Was die öffentliche Verachtung verdient, nicht mehr der öffentlichen Verachtung preisgeben darf?
1 durch Worte - 2 durch Schriften - 3 Handlungsreisenden - 4 siehe vor!. Band, S. 170
16 Marx/Engels» Werke, Bd. 5
Nach den bisherigen Gesetzen konnte die Presse wenigstens Tatsachen als Beweise ihrer allgemeinen Behauptungen und Anklagen anführen. Das wird jetzt ein Ende nehmen. Sie wird nicht mehr berichten, sie wird nur noch allgemeine Phrasen machen dürfen, damit die Wohlmeinenden, vom Herrn Hansemann abwärts bis zum Weißbierbürger, das Recht haben zu sagen, die Presse schimpfe bloß, sie beweise nichts! Gerade deswegen verbietet man ihr das Beweisen. Wir empfehlen übrigens Herrn Hansemann einen Zusatz zu seinem wohlwollenden Entwurf. Er möge es auch für strafbar erklären, die Herren Beamten nicht nur der öffentlichen Verachtung, sondern auch dem öffentlichen Gelächter auszusetzen. Diese Lücke dürfte sonst schmerzlich empfunden werden. Auf den Unzüchtigkeitsparagraphen, auf die Konfiskationsvorschriften usw. gehen wir nicht näher ein. Sie übertreffen die creme der Louis-Philippistischen und Restaurations-Preßgesetzgebung. Nur eine Bestimmung: Der Staatsanwalt kann nach §21 die Beschlagnahme nicht nur der fertigen Druckschrift beantragen, er kann selbst die eben erst zum Druck abgegebene Handschrift konfiszieren lassen, wenn der Inhalt ein von Amts wegen verfolgbares Verbrechen oder Vergehen begründet! Welch ein Weites Feld für menschenfreundliche Prokuratoren! Welch eine angenehme Zerstreuung, zu jeder beliebigen Zeit auf Zeitungsbüros zu gehen und sich die „zum Druck abgegebene Handschrift" zur Begutachtung vorlegen zu lassen, da es doch möglich wäre, daß sie ein Verbrechen oder Vergehen begründen könnte! Wie possierlich nimmt sich daneben der feierliche Ernst jenes Paragraphen des Verfassungsentwurfs1851 und der „Grundrechte des deutschen Volks" aus, nach dem es heißt: Die Zensur kann nie wieder hergestellt werden!
Geschrieben von Karl Marx.
Der Bürgerwehrgesetzentwurf
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.51 vom 21. Juli 1848] ** Köln, 20.Juli. Die Bürgerwehr ist aufgelöst, das ist der Hauptparagraph des Gesetzentwurfs über die Errichtung der Bürgerwehr[196], obgleich er erst am Ende desselben als § 121 auftritt unter der bescheidnen Form:
„Durch die Bildung der Bürgerwehr nach der Bestimmung dieses Gesetzes werden alle zur Bürgerwehr gegenwärtig gehörenden oder neben derselben bestehenden bewaffneten Korps aufgelöst." Mit der Auflösung der nicht direkt zur Bürgerwehr gehörigen Korps hat man ohne weitere Umstände begonnen. Die Auflösung der Bürgerwehr selbst kann nur unter dem Scheine ihrer Reorganisation vollbracht werden. Der gesetzgeberische Anstand zwang in § 1 die hergebrachte konstitutionelle Phrase aufzunehmen: „Die Bürgerwehr hat die Bestimmung, die Verfassungsmäßige Freiheit und die gesetzliche Ordnung zu schützen." Um dem „Wesen dieser Bestimmung" zu entsprechen, darf die Bürgerwehr aber weder denken an öffentliche Angelegenheiten noch von ihnen sprechen, noch über sie beraten oder beschließen (§1), noch sich versammeln, noch unter die Waffen treten (§ 6), noch überhaupt ein Lebenszeichen von sich geben, es sei denn mit hoher obrigkeitlicher Erlaubnis. Nicht die Bürgerwehr „schützt" die Verfassung vor den Behörden, sondern die Behörden schützen die Verfassung vor der Bürgerwehr. Sie hat also (§4) den „Requisitionen der Behörden" blindlings „Folge zu leisten" und sich alles Einmischens „in die Verrichtungen der Gemeinde- oder Verwaltungs- oder gerichtlichen Behörden", wie alles etwaigen Räsonierens zu entschlagen. „Verweigert" sie den passiven Gehorsam, so kann der Herr Regierungspräsident sie auf vier Wochen „ihres Dienstes entheben" (§ 4). Erregt sie gar das allerhöchste Miß16*
vergnügen, so kann eine „Königliche Verordnung" sie für „sechs Monate" ihres „Dienstes entheben" oder gar ihre „Auflösung" verfügen, der erst nach sechs Monaten eine Neubildung auf dem Fuße folgen soll (§ 3). Es „soll" also (§ 2) in „jeder Gemeinde des Königreichs eine Bürgerwehr bestehn", soweit nämlich der Herr Regierungspräsident oder der König nicht in jeder Gemeinde das Gegenteil zu verfügen sich veranlaßt finden. Wenn die Staatsangelegenheit nicht zum „Ressort" der Bürgerwehr, so gehört dagegen die Bürgerwehr „zum Ressort des Ministers des Innern", d.h. des Polizeiministers, der ihr natürlich Vorgesetzter und dem „Wesen seiner Bestimmung nach" der getreue Eckart der „verfassungsmäßigen Freiheit" ist (§ 5). Soweit die Bürgerwehr von dem Herrn Regierungspräsidenten und den übrigen Herrn Beamten nicht zum „Schutz der verfassungsmäßigen Freiheit", d.h. zur Ausführung des Dafürhaltens der Herrn Vorgesetzten beordert, d.h. zum Dienst kommandiert wird, besteht ihre eigentümliche Lebensaufgabe darin, das von einem königlichen] Oberst entworfene Dienstreglement auszuführen. Das Dienstreglement ist ihre Magna Charta1, zu deren Schutz und Ausübung sie sozusagen gebildet ist. Es lebe das Dienstreglement! Die Einrollierung2 in die Bürger wehr gibt endlich Veranlassung, jeden Preußen „nach vollendetem 24. und vor zurückgelegtem 50. Lebensjahre" folgenden Eid schwören zu lassen:
„Ich schwöre Treue und Gehorsam dem Könige, der Verfassung und den Gesetzen des Königsreichs." Die arme Verfassung! Wie eingeengt, wie verschämt, wie bürgerlich bescheiden, mit welch subalterner Haltung sie dasteht, mitten zwischen dem Könige und den Gesetzen. Erst kommt der royalistische Eid, der Eid der lieben Getreuen, und dann kommt der konstitutionelle Eid, und zum Schluß kommt ein Eid, der gar keinen Sinn hat, es sei denn den legitimistischen, daß neben den Gesetzen, die aus der Verfassung hervorgehn, noch andre Gesetze bestehn, die aus königlicher Machtvollkommenheit entspringen. Und nun gehört der gute Bürger von Kopf bis Fuß zum „Ressort des Ministeriums des Innern". Der brave Mann hat die Waffen und den Waffenrock erhalten, unter der Bedingung, zunächst auf seine ersten politischen Rechte, das Assoziationsrecht usw., zu verzichten. Seine Aufgabe, die „verfassungsmäßige Freiheit" zu schützen, wird dem „Wesen ihrer Bestimmung" gemäß dadurch gelöst, daß er blindlings die Befehle der Behörden vollzieht, daß er die gewöhnliche, selbst unter der absoluten Monarchie geduldete bürgerliche Freiheit ver
1 Grundgesetz der englischen Verfassung aus dem Jahre 1215 - 2 Einreihung
tauscht mit dem passiven, willen- und selbstlosen Gehorsam des Soldaten. Schöne Schule, um, wie Herr Schneider in der Vereinbarungsversammlung sagt1, die Republikaner der Zukunft heranzuziehn! Was ist aus unserm Bürger geworden? Ein Mittelding zwischen einem preußischen Gendarmen und einem englischen Konstabier. Aber für alle seine Verluste tröstet ihn das Dienstreglement und das Bewußtsein, Ordre zu parieren. Statt die Armee in das Volk, war es nicht origineller, das Volk in die Armee aufzulösen? Es ist ein wahrhaft bizarres Schauspiel, diese Verwandlung konstitutioneller Phrasen in preußische Tatsachen. Wenn das Preußentum sich bequemt, konstitutionell, so soll aber auch der Konstitutionalismus sich bequemen, preußisch zu werden. Armer Konstitutionalismus! Brave Deutsche! Solange haben sie gejammert, daß man die „heiligsten' Versprechen nicht erfülle. Bald werden sie nur noch eine Furcht kennen, die Furcht vor der Erfüllung der heiligen Versprechen! Das Volk wird gestraft, par oü il a peche2. Ihr habt Preßfreiheit verlangt? Ihr sollt mit der Preßfreiheit gestraft werden und eine Zensur ohne Zensoren erhalten, eine Zensur durch das Parquet, eine Zensur durch ein Gesetz, das es im „Wesen der Bestimmung" der Presse findet, sich um alles zu kümmern, nur nicht um die Behörden, die unfehlbaren Behörden, eine Zensur der Gefängnis- und Geldstrafen. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so sollt ihr schreien nach dem guten, alten, vielgelästerten, vielverkannten Zensor, dem letzten Römer, unter dessen asketischer Vorsehung ihr einen so bequemgefahrlosen Lebenswandel führtet. Ihr habt Volkswehr verlangt? Ihr sollt ein Dienstreglement erhalten. Ihr sollt zur Disposition der Behörden gestellt, ihr sollt militärisch einexerziert und im passiven Gehorsam geschult werden, daß euch die Augen übergehn. Der preußische Scharfsinn hat ausgewittert, daß jede neue konstitutionelle Institution den interessantesten Anlaß bietet zu neuen Strafgesetzen, zu neuen Reglements, zu neuer Maßreglung, zu neuer Überwachung, zu neuen Schikanen und zu einer neuen Bürokratie. Noch mehr konstitutionelle Forderungen! Noch mehr konstitutionelle Forderungen! ruft das Ministerium der Tat. Für jede Forderung haben wir eine Tat! Forderung: Jeder Bürger soll zum Schutz der „verfassungsmäßigen Freiheit" bewaffnet werden. Antwort: Jeder Bürger gehört von nun an zum Ressort des Ministeriums des Innern.
Es wäre leichter, die Griechen wiederzuerkennen unter den Tierformen, worin die Circe sie verwandelt1-2091, als die konstitutionellen Institutionen unter den Phantasiegebilden, worin das Preußentum sie umzaubert und sein Ministeritan der Tat, Nach der preußischen Reorganisation Polens[521 die preußische Reorganisa
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[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.52 vom 22. Juli 1848] ** Köln, 21. Juli. Wir haben gesehn, die „allgemeinen Bestimmungen" des Gesetzentwurfs über die Bürgerwehr verlaufen sich dahin: Die Bürgerwehr hat aufgehört zu existieren. Wir gehn noch flüchtig auf einige andere Abschnitte des Entwurfs ein, um den Geist des „Ministeriums der Tat" abzudestillieren, und auch hier müssen wir wählig mit dem Rohstoff des Pseudonymen Instituts verfahren. Eine große Anzahl §§ unterstellt die neue Gemeinde- und Kreisordnung, eine neue administrative Einteilung der Monarchie usw., lauter Wesen, die, wie bekannt, nur noch im geheimnisschwangern Schöße des Ministeriums der Tat ihr verborgnes Leben führen. Warum also hat das Ministerium der Tat seinen Gesetzentwurf über die Reorganisation der Bürgerwehr den verheißenen Gesetzentwürfen über die Gemeinde- und Kreisordnung usw. vorhergehen lassen? Im Abschnitt III finden wir zwei Dienstlisten, die Dienstliste der Honetten und die Dienstliste der aus öffentlichen Mitteln unterstützten Bürgerwehrpflichtigen (§14 [und 16]). Zu den Leuten, die aus öffentlichen Mitteln unterstützt werden, zählt natürlich nicht das Heer der Beamten. Man weiß, daß sie in Preußen die eigentlich produktive Klasse bilden. Die Paupers nun sind, wie die Sklaven im alten Rom, „nur in außerordentlichen Fällen zum Dienste heranzuziehen". Wenn die Paupers ihrer bürgerlichen Unselbständigkeit wegen zum Schutz der „verfassungsmäßigen Freiheit" so wenig berufen sind als die Lazzaroni in Neapel, verdienen sie in diesem neuen Institut des passiven Gehorsams eine untergeordnete Stellung einzunehmen? Abgesehen von den Paupers, finden wir aber eine ungleich wichtigere Unterscheidung zwischen den zahlungsfähigen und den zahlungsunfähigen Bürger wehrpflichtigen. Vorher noch eine Bemerkung. Nach § 53 soll
„die Bürgerwehr eine im ganzen Lande gleiche, einfache Dienstkleidung tragen, welche vom Könige bestimmt wird. Die Dienstkleidung darf nicht so beschaffen sein, daß sie Veranlassung zur Verwechselung mit dem Heere gibt."
Natürlich! Die Kleidung muß so beschaffen sein, daß das Heer der Bürgerwehr und die Bürgerwehr dem Volke gegenübersteht und daß bei solchen Gelegenheiten wie Einhauen, Füsilieren u. dgl. Kriegsmanövern keine Verwechselung vorfallen kann. Die Dienstkleidung als solche ist aber ebenso unentbehrlich wie die Diensfliste, wie das Dienstreglement. Die Livree der Freiheit ist eben die Dienstkleidung. Diese Livree gibt Anlaß, die Kosten der Ausstattung eines Bürgerwehrmanns bedeutend zu vermehren, und die vermehrten Kosten dieser Ausstattung geben willkommnen Anlaß, zwischen den Bourgeois der Bürgerwehr und den Proletariern der Bürgerwehr eine unendliche Kluft zu graben. Man höre: § 57. „Für die Dienstkleidung, wo eine solche stattfindet, für die Dienstzeichen und für die Waffen muß jedes Mitglied der Bürgerwehr auf eigene Kosten sorgen. Die Gemeinde ist jedoch verpflichtet, diese Gegenstände auf ihre Kosten in solcher Menge zu beschaffen, als zur Ausrüstung desjenigen Teils der wirklich diensttuenden Mannschaft, welcher die Kosten aus eignen Mitteln nicht tragen kann, erforderlich ist." § 59. „Die Gemeinde behält das Eigentumsrecht1 der von ihr angeschafften Ausrüstungsgegenstände und £artn dieselben außer der Zeit des Dienstgebrauches an besonderen Orten aufbewahren lassen.'1 Alle also, die sich nicht von Kopf bis Fuß militärisch ausrüsten können und es ist dies die große Mehrzahl der preußischen Bevölkerung, es ist die Gesamtheit der Arbeiter, es ist ein großer Teil des Mittelstandes —, diese alle sind gesetzlich entwaffnet „außer der Zeit des Dienstgebrauchs", während die Bourgeoisie der Bürgerwehr zu jeder Zeit im Besitz von Waffen und Dienstkleidungen bleibt. Da dieselbe Bourgeoisie in der Form der „Gemeinde" sämtliche von ihr „angeschafften Ausrüstungsgegenstände" an „besondern Orten aufbewahren lassen kann", so befindet sie sich nicht nur im Besitz ihrer eignen Waffen, sie befindet sich zudem im Besitz der Waffen des bürgerwehrlichen Proletariats, und sie „kann" und „wird", sollte es zu ihr mißliebigen politischen Kollisionen kommen, die Herausgabe der Waffen selbst zum „Dienstgebrauch" verweigern. So ist das politische Privilegium des Kapitals in der unscheinbarsten, aber in der wirksamsten, in der entschiedensten Form wiederhergestellt. Das Kapital besitzt das Privilegium der Waffen gegenüber dem Wenigvermögenden, wie der mittelaltrige Feudalbaron gegenüber seinem Leibeignen. Damit das Privilegium in seiner ganzen Ausschließlichkeit wirke, ist nach § 56 nur
„auf dem Lande und in Städten unter 5000 Einwohnern die Bewaffnung der Bürgerwehrmänner mit Pike oder Seitengewehr ausreichend und hei dieser Bewaffnungsart statt der Dienstkleidung nur ein vom Obersten zu bestimmendes Dienstzeichen erforderlich." In allen Städten über 5000 Einwohner muß die Dienstkiddung den Zensus, der wirklich erst in den Besitz der Wehrfähigkeit setzt, und mit ihm die Zahl des bürgerwehr liehen Proletariats vermehren. Wie Dienstkleidung und Waffen diesem Proletariat, d.h. dem größten Teil der Bevölkerung, nur geliehen sind, so ist ihm überhaupt das Wehrrecht nur geliehen, seine Existenz als Wehrmann ist nur eine geliehene, und - beati possidentes, glücklich die Besitzenden! Die moralische Unbehaglichkeit, worin ein geliehener Rock das Individuum einhüllt, und nun gar ein geliehener Rock, der, wie beim Soldaten, von einem Leib auf den andern der Reihe nach herumfliegt - diese moralische Unbehaglichkeit ist natürlich das erste Erfordernis für die Römer, die berufen sind, die „verfassungsmäßige Freiheit zu schützen". Aber im Gegensatz dazu, wird nicht das stolze Selbstgefühl der zahlungsfähigen Bürgerwehr wachsen, und was will man mehr? Und selbst diese Bedingungen, welche das Wehrrecht für den größten Teil der Bevölkerung illusorisch machen, sie sind im Interesse des besitzenden Teils, des privilegierten Kapitals, wieder unter neue, noch einengendere Bedingungen eingeschachtelt. Die Gemeinde braucht nämlich die Ausrüstungsgegenstände nur vorrätig zu haben für den „wirklich diensttuenden" Teil der zahlungsunfähigen Mannschaft. Nach § 15 verhält es sich mit diesem „wirklich diensttuenden" Teil wie folgt:
„In allen Gemeinden, in welchen die Gesamtzahl der für den laufenden Dienst verwendbaren Männer den 20. Teil der Bevölkerung übersteigt, hat die Gemeindevertretung das Recht, die wirklich diensttuende Mannschaft auf diesen Teil der Bevölkerung zu beschränken. Macht sie von dieser Befugnis Gebrauch, so muß sie einen Wechsel des Dienstes in der Art feststellen, daß alle für den laufenden Dienst verwendbaren Männer nach und nach an die Reihe kommen. Es darf jedoch bei dem jedesmaligen Wechsel nicht mehr als ein Drittel auf einmal ausscheiden; auch müssen alle Altersklassen nach Verhältnis der darin vorhandenen Zahl von Bürgerwehrmännern gleichzeitig herangezogen werden." Und nun berechne man, für welchen winzigen Teil des bürgerwehrlichen Proletariats und der Gesamtbevölkerung die Ausrüstungsgegenstände wirklieh von der Gemeinde beschafft werden? In unsrem gestrigen Artikel sahen wir das Ministerium der Tat das konstitutionelle Institut der Bürgerwehr reorganisieren im Sinne des altpreußi
seilen, des "bürokratischen Staats. Erst heute sehen wir es auf der Höhe seiner Mission, sehen wir es dies Institut der Bürgerwehr gestalten im Sinne der Julirevolution, im Sinne Louis-Philippes, im Sinne der Epoche, welche dem Kapital die Krone aufsetzt und
mit Pauken und Trompeten seiner jungen Herrlichkeit^2103
huldigt. Ein Wort an das Ministerium Hansemann-Kühlwetter-Milde. Herr Kühlwetter hat vor einigen Tagen ein Rundschreiben gegen die Umtriebe der Reaktion an sämtliche Regierungspräsidenten erlassen. Woher dieses Phänomen? Das Ministerium der Tat will die Herrschaft der Bourgeoisie begründen, indem es gleichzeitig mit dem alten Polizei- und Feudalstaate einen Kompromiß abschließt. In dieser doppelschlächtigen widerspruchsvollen Aufgabe sieht es jeden Augenblick die erst zu gründende Herrschaft der Bourgeoisie und seine eigne Existenz von der Reaktion im absolutistischen, im Feudalsinn überflügelt - und es wird ihr unterliegen. Die Bourgeoisie kann ihre eigne Herrschaft nicht erkämpfen, ohne vorläufig das gesamte Volk zum Bundesgenossen zu haben, ohne daher mehr oder minder demokratisch aufzutreten. Aber die Restaurationsepoche verbinden wollen mit der Juliepoche, die noch mit dem Absolutismus, dem Feudalismus, dem Krautjunkertum, der Soldaten- und Bürokratenherrschaft ringende Bourgeoisie das Volk schon ausschließen, schon unterjochen und beiseite werfen lassen — das ist die Quadratur des Zirkels[211], das ist ein historisches Problem, woran selbst ein Ministerium der Tat» selbst ein Triumvirat Hansemann-Kühlwetter-Milde scheitern wird. [„Neue Rheinische Zeitung" Nr.54 vom 24. Juli 1848] ** Köln, 23. Juli. Der Abschnitt des Bürgerwehrgesetzentwurfs über die „Wahl und Ernennung der Vorgesetzten" ist ein wahres Labyrinth von Wahlmethoden. Wir wollen die Ariadne spielen und dem modernen Theseus — der wohllöblichen Bürgerwehr - den Faden geben, der sie durch das Labyrinth durchführen wird. Aber der moderne Theseus wird so undankbar sein wie der antike, und nachdem er den Minotaurus getötet, seine Ariadne - die Presse — treulos auf dem Felsen von Naxos sitzenlassen. Numerieren wir die verschiedenen Gänge des Labyrinths. Gang I. Direkte Wahl. § 42. „Die Anführer der Bürgerwehr bis zum Hauptmann hinauf einschließlich werden von den wirklich diensttuenden Bürgerwehrmännern gewählt."
Seitengang. „Die wirklich diensttuenden Bürgerwehrmänner" bilden nur einen kleinen Teil der wirklich „wehrfähigen" Mannschaft. Vergleiche § 15 und unsern vorgestrigen Artikel. Die „direkte" Wahl ist also auch nur sozusagen eine direkte Wahl. Gang II. Indirekte Wahl. § 48. „Der Major des Bataillons wird von den Hauptleuten, Zugführern und Führern [der Rotten] der betreffenden Kompanien nach absoluter Stimmenmehrheit gewählt." Gang III. Kombination der indirekten Wahl mit königlicher Ernennung. § 49. „Der Oberst wird von dem Könige aus einer Liste von drei Kandidaten ernannt, welche von den Anführern der betreffenden Bataillone bis abwärts zu den Zugführern, diese mit eingeschlossen, gewählt werden." Gang IV. Kombination der indirekten Wahl mit Ernennung von Seiten der Herren Befehlshaber. § 50. „Die Adjutanten werden von den betreffenden Befehlshabern aus der Zahl der Zugführer, der Bataillonsschreiber aus der Zahl der Führer der Rotten, der Bataillonstambour aus der Zahl der Trommler ernannt." Gang V. Direkte Ernennung auf bürokratischem Wege. § 50. „Der Feldwebel und der Schreiber der Kompanie wird von dem Hauptmann, der Wachtmeister und der Schreiber der Schwadron von dem Rittmeister, der Rottenmeister von dem Zugführer ernannt." Wenn also diese Wahlmethoden mit einer verfälschten direkten Wahl beginnen, so schließen sie mit dem unverfälschten Aufhören aller Wahl, mit dem Gutdünken der Herren Hauptleute, Rittmeister und Zugführer. Finis coronat opus.1 Es fehlt diesem Labyrinth nicht an der pointe, der Spitze. Die aus diesem verwickelten chemischen Prozeß sich niederschlagenden Kristalle vom strahlenden Oberst bis zum unscheinbaren Gefreiten herab setzen sich für sechs Jahre fest. § 51. „Die Wahlen und Ernennungen der Anführer geschehen auf sechs Jahre." Man begreift nicht, warum nach solchen Vorsichtsmaßregeln das Ministerium der Tat in den „allgemeinen Bestimmungen" noch der Taktlosigkeit bedurfte, der Bürgerwehr ins Gesicht zu rufen: Aus einem politischen sollt ihr zu einem rein polizeilichen Institut und zu einer Pflanzschule altpreußi~ scher Dressur reorganisiert werden. Wozu die Illusion rauben! Die königliche Ernennung ist so sehr eine Kanonisation, daß in dem Abschnitt „Bürgerwehrgerichte" kein Gericht für den „Oberst", sondern aus
drücklich nur Gerichte bis zu den Majoren hinauf sich finden. Wie könnte ein königlicher] Oberst ein Verbrechen begehen? Das bloße Dasein als Wehrmann ist dagegen so sehr eine Profanation des Bürgers, daß ein Wort seiner Vorgesetzten genügt, ein Wort von dem königlichen] unfehlbaren Oberst bis zu dem ersten besten Kerl hinab, den der Herr Hauptmann zum Feldwebel oder der Herr Zugführer zum Rottenmeister ernannt hat, um den Wehrmann 24 Stunden seiner persönlichen Freiheit zu berauben und einsperren zu lassen. §81. „Jeder Vorgesetzte kann seinen Untergebenen im Dienste zurechtweisen; er kann sogar dessen sofortige Verhaftung und Einsperrung auf 24 Stunden anordnen, wenn der Untergebene sich im Dienste der Trunkenheit oder einer sonstigen groben DienstWidrigkeit schuldig macht." Der Herr Vorgesetzte entscheidet natürlich, was eine sonstige grobe Dienstwidrigkeit ist, und der Untergebene hat Ordre zu parieren. Wenn also der Bürger gleich im Eingang dieses Entwurfs dadurch dem „Wesen seiner Bestimmung", dem „Schutz der verfassungsmäßigen Freiheit" entgegenreifte, daß er aufhörte das zu sein, was nach Aristoteles die Bestimmung des Menschen ist - ein „Zoon politikon", ein „politisches Tier"1 -, so vollendet er erst seinen Beruf durch die Preisgebung seiner bürgerlichen Freiheit an das Gutdünken eines Obersten oder eines Rottenmeisters. Das „Ministerium der Tat" scheint eigentümlich orientalisch-mystischen Vorstellungen, einer Art von Molochskultus zu huldigen. Um die „verfassungsmäßige Freiheit" der Regierungspräsidenten, Bürgermeister, Polizeidirektoren und Präsidenten, Polizeikommissarien, Beamten der Staatsanwaltschaft, Gerichtspräsidenten oder Direktoren, Untersuchungsrichter, Friedensrichter, Ortsschulzen, Minister, Geistlichen, im aktiven Dienst befindlichen Militärpersonen, Grenz-, Zoll-, Steuer-, Forstschutz- und Postbeamten, der Vorsteher und Gefangenwärter in allen Gefangenanstalten, der exekutivischen Sicherheitsbeamten und der Leute unter 25 oder über 50 Jahre - lauter Personen, die nach den §§9, 10, 11 nicht zur Bürgerwehr gehören um die „verfassungsmäßige Freiheit" dieser Elite der Nation zu schützen, muß der übrige Rest der Nation seine verfassungsmäßigen Freiheiten bis zur persönlichen Freiheit herab auf dem Altar des Vaterlandes eines blutigen Opfertodes sterben lassen. Pends toi, Figaro! Tu n'aurais pas invente cela![212] Es bedarf keiner Andeutung, daß der Abschnitt über die Strafen mit wollüstiger Gründlichkeit ausgearbeitet ist. Das ganze Institut soll „dem Wesen seiner Bestimmung" nach ja nur eine Strafe für die konstitutionellen
und volkswehrlichen Gelüste einer wohllöblichen Bürgerschaft sein. Wir bemerken nur noch, daß außer den gesetzlich bestimmten Straffällen auch die vom königlfichen] Obersten unter Zuziehung des Majors und Genehmigung der apokryphischen „BezirksVertretung" entworfene Magna Charta der Bürgerwehr, das Dienstreglement, zu einer neuen Musterkarte von Strafen (siehe § 82 und folgende) Veranlassung gibt. Es versteht sich von selbst, daß Geldstrafen die Gefängnisstrafen ersetzen können, damit der Unterschied zwischen der zahlungsfähigen und der wizahlungsfähigen Bürgerwehr, der von dem „Ministerium der Tat" erfundene Unterschied zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat der Bürgerwehr sich einer hochnotpeinlichen Sanktion erfreue. Den eximierten Gerichtsstand, den das Ministerium der Tat in der Verfassung im großen und ganzen aufgeben muß, schmuggelt es in die Bürgerwehr wieder ein. Alle Disziplinarvergehen der Bürgerwehrmänner und Rottenführer gehören zur Kompetenz der Kompaniegerichte, bestehend aus zwei Zugführern, zwei Rottenführern und drei Bürgerwehrmännern. (§ 87.) Alle Disziplinarvergehn der „Anführer der zum Bataillon gehörenden Kompanien, vom Zugführer aufwärts bis einschließlich des Majors" gehören zur Kompetenz der Bataillonsgerichte, bestehend aus zwei Hauptleuten, zwei Zugführern und drei Rottenführern. (§88.) Für den Major findet wieder ein besonderer eximierter Gerichtsstand statt, denn, verfügt derselbe § 88, „betrifft die Untersuchung einen Major, so treten dem Bataillonsgerichte zwei Majore als Gerichtsmitglieder hinzu". Der Herr Oberst endlich, wie schon gesagt, ist von jedem Gerichtsstand eximiert. Der treffliche Gesetzentwurf endet mit folgendem Paragraphen:
(§ 123.) „Die Bestimmungen über die Mitwirkung der Bürgerwehr zur Verteidigung des Vaterlandes im Kriege, sowie über ihre dann eintretende Bewaffnung, Ausrüstung und Verpflegung, bleiben dem Gesetze über die Heeresverfassung vorbehalten." Mit andern Worten: Die Landwehr*197* existiert fort neben der reorganisierten Bürgerwehr. Verdient das Ministerium der Tat nicht allein wegen dieses Gesetzentwurfs und wegen seines Waffenstillstandsprojektes mit Dänemark12131 in Anklagezustand versetzt zu werden ?
Das „Fädreland" über den Waffenstillstand mit Dänemark12131
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr.51 vom 2I.Juli 1848] * Köln, 20. Juli. Damit das Vaterland sich überzeuge, daß es durch die sogenannte Revolution mit Nationalversammlung, Reichsverweser usw. weiter nichts erlangt hat als eine vollständige Erneuerung des vielberühmten heiligen römischen Reichs teutscher Nation, geben wir nachfolgenden Artikel aus dem dänischen „ Fädreland "[214]. Er wird hoffentlich hinreichen, um selbst den vertrauensvollsten Freunden der Ordnung zu beweisen, daß die vierzig Millionen Deutsche von den zwei Millionen Dänen durch englische Vermittlung und russische Drohungen wieder ebenso geprellt worden sind, als dies unter den „allzeit Mehrern des Reichs"[215] jeden Augenblick geschah. Das „Fädreland", des Ministers Orla Lehmann eignes Blatt, spricht sich folgendermaßen über den Waffenstillstand aus:
„Betrachtet man den Waffenstillstand nur in Beziehung auf unsere Hoffnungen und Wünsche, so kann man sich natürlicherweise nicht damit zufriedengestellt finden; nimmt man an, daß die Regierung die Wahl hatte zwischen ihm und der Aussicht, mit schwedisch-norwegischer Hülfe die Deutschen aus Schleswig zu jagen und sie zu zwingen, Dänemarks Recht anzuerkennen, die Angelegenheiten dieses Herzogtums im Verein mit seinen Bewohnern zu regeln - so muß man allerdings sagen, daß die Regierung unverantwortlich gehandelt hat, indem sie den Waffenstillstand einging. Aber so hat die Wahl nicht gestanden. Man muß annehmen, daß sowohl England wie Rußland - die beiden Großmächte, die am nächsten bei dieser Streitfrage und ihrer Erledigung interessiert sind — die Eingehung des Waffenstillstands verlangt haben als Bedingung ihrer zukünftigen Sympathie und Vermittlung und daß ebenso die schwedisch-norwegische Regierung den Versuch einer friedlichen Ausgleichung gefordert hat, ehe sie sich zu irgendeiner wirksamen Hülfe bestimmte, und daß sie diese Hülfe nur mit der gleich anfangs gegebenen Begrenzung leisten will: nämlich nicht zur Wiedereroberung Schleswigs, sondern bloß zur Verteidung Jütlands und der Inseln. So war also die Alternative folgende: Auf der einen Seite eine gewonnene Frist, sowohl um den
Gang der Begebenheiten im Ausland abzuwarten, wie auch, um die innere politische und militärische Organisation zu vollenden; auf der andern die Aussicht auf einen verzweifelten Einzelkampf gegen die Ubermacht, welcher, wenn auch das Bundesheer in seinen vorteilhaften Stellungen von unserm um die Hälfte geringeren Heer angegriffen werden sollte, so gut wie unmöglich zum Siege, wohl aber nach Zurückberufung des schwedisch-norwegischen Heeres zur Besetzung der ganzen Halbinsel durch die Deutschen führen könnte; ein Kampf, der uns im glücklichsten Fall teuer erkaufte, nutzlose Siege, im unglücklichsten die Erschöpfung aller unserer Verteidigungskräfte und einen demütigenden Frieden in Aussicht stellt." Das dänische Blatt verteidigt nun die Bedingungen des Waffenstillstandes als vorteilhaft für Dänemark. Die Befürchtung, daß die Wiedereröffnung des Krieges in den Winter falle, wo die deutschen Truppen über das Eis nach Fünen und Alsen gehen könnten, sei grundlos; die Deutschen seien ebenso unfähig wie die Dänen, in diesem Klima einen Winterfeldzug auszuhalten, während die Vorteile einer dreimonatlichen Waffenruhe für Dänemark und die gutgesinnte Bevölkerung Schleswigs sehr groß seien. Wenn binnen der drei Monate der Friede nicht geschlossen, so werde der Waffenstillstand sich von selbst bis ins Frühjahr verlängern. Dann heißt es:
„Daß die Blockade aufgehoben und die Gefangenen auf freien Fuß gesetzt werden, wird man in Ordnung finden; dagegen hat vielleicht die Auslieferung der genommenen Schiffe die Unzufriedenheit einzelner erweckt. Inzwischen war ja die Aufbringung deutscher Schiffe mehr ein Zwangsmittel, um Deutschland von der Überschreitung unserer Grenze abzuschrecken, und hatte keineswegs den Zweck, uns durch Aneignung fremden Privateigentums zu bereichern; und dann ist der Wert dieser Schiffe bei weitem nicht so groß, als manche glauben möchten. Sollten sie während der gegenwärtigen Stockung in unserm eignen wie in dem ganzen europäischen Handel versteigert werden, so würden sie allerhöchstem l1 /2 Millionen, d.h. zweimonatliche Kriegskosten einbringen. Und dann ist der Ersatz dafür die Räumung der beiden Herzogtümer durch die Deutschen und der Ersatz der in Jütland ausgeschriebenen Requisitionen. Das angewandte Zwangsmittel hat also seinen Zweck erreicht, es ist also in der Ordnung, daß es damit aufhört. Und es scheint uns, als ob die Räumung dreier Länder durch ein überlegenes Heer, das mit unsrer eignen Macht hinauszuschlagen keine Aussicht war, den kleinen Vorteil zehnmal aufwiegt, den der Staat von dem Verkauf der aufgebrachten Schiffe ziehen konnte." Der § 7 sei der bedenklichste. Er schreibe die Fortdauer der besonderen Regierung der Herzogtümer und damit des „Schleswig-Holsteinismus" vor. Der König von Dänemark sei für die beiden von ihm zu ernennenden Mitglieder der provisorischen Regierung an die schleswig-holsteinischen Notabein gebunden, und es werde schwerfallen, einen zu finden, der kein „SchleswigHolsteiner" sei. Aber dafür werde auch ausdrücklich der „ganze Aufruhr0
desavouiert, alle Beschlüsse der provisorischen Regierung annulliert und der Zustand Vor dem 17. März hergestellt.
„Wir haben somit die wesentlichsten Bedingungen des Waffenstillstandes vom dänischen Standpunkt betrachtet. Versuchen wir nun aber einmal, uns auf den deutschen Standpunkt zu stellen. Alles was Deutschland verlangt, ist die Freigebung der Schiffe und die Aufhebung der Blockade. Was es aufgibt, ist folgendes: Erstens, die Herzogtümer, besetzt von einer Armee, die bis jetzt keine Niederlage erlitten hat und stark genug ist, ihre Stellung gegen eine doppelt so starke Armee zu behaupten als die, die ihr bisher entgegenstand; Zweitens, Schleswigs Aufnahme in den Bund, welche feierlich vom Bundestag erklärt und von der Nationalversammlung durch Aufnahme der schleswigschen Deputierten bestätigt wurde; Drittens, die provisorische Regierang, die es als legitim anerkannt und mit der es als solcher verhandelt hatte; Viertens, die schleswig-holsteinsche Partei, deren von ganz Deutschland unterstützte Forderungen unabgemacht der Entscheidung nichtdeutscher Mächte übertragen werden; Fünftens, die augustenburgischen Prätendenten1, denen der König von Preußen persönlich Beistand gelobt hat, die aber im Waffenstillstand mit keinem Wort erwähnt, denen keine Amnestie, kein Asyl zugesichert wird; Endlich die durch den Krieg verursachten Kosten, welche teils den Herzogtümern, teils dem Bunde zur Last fallen, die aber, soweit sie vom eigentlichen Dänemark getragen Worden sind, erstattet werden. Uns kommt es so vor, als müßten unsere übermächtigen Feinde an diesem Waffenstillstände weit mehr auszusetzen haben als wir, das kleine verachtete Volk." Schleswig hat den unbegreiflichen Wunsch gehabt, deutsch zu werden. Es ist in der Ordnung, daß es dafür bestraft, daß es von Deutschland im Stich gelassen werde. Den Text des Waffenstillstands geben wir morgen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
1 Herzog Christian August und Prinz Friedrich von Schleswig-Holstein
Der Waffenstillstand mit Dänemark[213]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 52 vom 22. Juli 1848] ** Köln, 21.Juli. Unsere Leser wissen es, wir haben den dänischen Krieg[40] immer mit großer Kaltblütigkeit betrachtet. Wir haben ebensowenig eingestimmt in die tobenden Renommistereien der Nationalen, wie in die ewige Leier des schleswig-holstein-meerumschlungenen[216] Strohenthusiasmus. Wir kannten unser Vaterland zu gut, wir wußten was es heißt, sich auf Deutschland verlassen. Die Ereignisse haben unsere Anschauungsweise vollständig gerechtfertigt. Die unverhinderte Eroberung Schleswigs durch die Dänen, die Wiedereroberung des Landes und der Zug nach Jütland, der Rückzug nach der Schlei, die abermalige Eroberung des Herzogtums bis zur Königsau — diese ganze unbegreifliche Führung des Kriegs von Anfang bis zu Ende hat es den Schleswigern bewiesen, welchen Schutz sie von dem revolutionierten, großen, starken, einigen usw. Deutschland, von dem angeblich souveränen Volk von 45 Millionen zu erwarten haben. Damit sie aber alle Lust verlieren, deutsch zu werden, damit ihnen die „dänische Unterdrückung" unendlich lieber werde als die „deutsche Freiheit", zu diesem Zweck hat Preußen im Namen des Deutschen Bundes den Waffenstillstand unterhandelt, den wir heute in buchstäblicher Ubersetzung mitteilen. Wenn man einen Waffenstillstand schließt, so war es bisher üblich, daß beide Armeen ihre Stellung behaupteten und höchstens ein schmaler neutraler Strich zwischen sie gelegt wurde. In diesem Waffenstillstand, dem ersten Erfolg des „preußischen Waffenruhms", ziehen sich die siegreichen Preußen über 20 Meilen zurück, von Kolding bis diesseits Lauenburg, während die geschlagenen Dänen ihre Stellung bei Kolding behaupten und nur Alsen verlassen. Noch mehr: Wird der Waffenstillstand gekündigt, so rücken die Dänen wieder vor in die Stellungen, die sie am 24. Juni einnahmen, d.h. sie besetzen einen 6-7 Meilen breiten Streifen von Nordschleswig ohne Schwert
streich wieder, einen Streifen, aus dem sie zweimal herausgeschlagen sind, während die Deutschen nur bis Apenrade und Umgegend wieder vorrücken dürfen. So wird „die Ehre der deutschen Waffen gewahrt" und dem durch viermalige Truppenüberschwemmung ausgesogenen Nordschleswig eine fünfte und sechste Überziehung in Aussicht gestellt! Damit noch nicht genug, wird ein Teil von Schleswig selbst während des Waffenstillstandes von dänischen Truppen besetzt werden. Schleswig wird nach Art. 8 von den Cadres der im Herzogtum ausgehobnen Regimenter okkupiert, d.h. teils von den schleswigschen Soldaten, die an der Bewegung sich beteiligt haben, teils von denen, die zu jener Zeit in Dänemark garnisonierten, gegen die provisorische Regierung in den Reihen der dänischen Armee gekämpft haben, von dänischen Offizieren kommandiert werden und in jeder Hinsicht dänische Truppen sind. Die dänischen Blätter sehen die Sache auch unter diesem Gesichtspunkt an: „Unzweifelhaft", sagt „Fädrelandet"^2143 vom 13. Juli, „wird die Anwesenheit der treuen sehleswigschen Truppen im Herzogtum bedeutend die Volksstimmung stärken, welche jetzt, nachdem das Land die Unglücksfälle des Krieges erfahren hat, sich mit Kraft gegen die Urheber dieser Unglücksfälle erheben wird." Und nun gar die schleswig-holsteinische Bewegung! Sie wird von den Dänen ein Aufruhr genannt und von Preußen als Aufruhr behandelt. Die provisorische Regierung, die Preußen und der Deutsche Bund anerkannt haben, wird ohne Gnade geopfert; alle Gesetze, Verordnungen etc., die seit der Unabhängigkeit Schleswigs erlassen, treten außer Kraft; die aufgehobenen dänischen Gesetze treten dagegen wieder in Wirksamkeit. Kurz, die Antwort wegen der berühmten Note Wildenbruchs[181\ die Herr Auerswald zu geben sich weigerte1 - diese Antwort befindet sich hier in Art. 7 des Waffenstillstandsprojekts. Alles was revolutionär an der Bewegung war, ist rücksichtslos vernichtet, und an die Stelle der aus der Revolution hervorgegangenen Regierung tritt eine legitime, durch drei legitime Fürsten ernannte Verwaltung. Die holsteinischen und schleswigschen Truppen werden wieder dänisch kommandiert und dänisch gefuchtelt werden, die holsteinischen und schleswigschen Schiffe bleiben nach wie vor „Dansk-Eiendom"2, trotz der neuesten Verfügung der provisorischen Regierung. Und die beabsichtigte neue Regierung setzt dem allen erst die Krone auf. Man höre das „Fädrelandet": „Wenn wir auch in dem beschränkten Wahlkreis für die dänisch-gewählten Mitglieder der neuen Regierung wahrscheinlich nicht die Vereinigung von Energie und
1 Siehe Vorl. Band, S. 180 - 2 „dänisches Eigentum"
17 Mars/Engels, Werke, Bd. 5
Talent, Intelligenz und Erfahrung finden, die Preußen bei seiner Auswahl zu Gebote stehen werden" - so ist damit noch nichts verloren. „Die Mitglieder der Regierung müssen allerdings aus der Bevölkerung der Herzogtümer gewählt werden; aber niemand verbietet uns, ihnen Sekretäre und Helfer beizugeben, welche anderswo geboren und ansässig sind. In der Wahl dieser Sekretäre und Regierungsräte kann man ohne lokale Rücksicht nach Tüchtigkeit und Talent verfahren, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Männer bedeutenden Einfluß auf den ganzen Geist und Gang der Verwaltung haben werden. Ja, es werden hoffentlich selbst hochstehende dänische Beamte einen solchen in Rücksicht auf den Amtsrang untergeordneten Posten übernehmen ; jeder gute Däne wird sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Ehre aus einer solchen Stellung machen," Das ministerielle Blatt stellt also den Herzogtümern eine Überschwemmung nicht nur durch dänische Truppen, sondern auch durch dänische Beamte in Aussicht. Eine halbdänische Regierung wird in Rendsburg auf anerkanntem deutschem Bundesgebiete ihren Sitz aufschlagen. Das sind die Vorteile des Waffenstillstandes für Schleswig. Die Vorteile für Deutschland sind ebenso groß. Von der Aufnahme Schleswigs in den Bund wird kein Wort erwähnt, im Gegenteil der Bundesbeschluß durch die Zusammensetzung der neuen Regierung förmlich desavouiert. Der Deutsche Bund wählt für Holstein, der König von Dänemark von Schleswig wegen. Schleswig steht also unter dänischer, nicht unter deutscher Oberhoheit. Deutschland konnte sich in diesem dänischen Kriege wirklich ein Verdienst erwerben, indem es die Aufhebung des Sundzolls[217], dieser altfeudalen Räuberei, erzwang. Die deutschen Seestädte, durch die Blockade und durch die Aufbringung ihrer Schiffe gedrückt, würden diesen Druck gern noch länger ertragen haben, wenn die Aufhebung des Sundzolls erreicht worden wäre. Die Regierungen hatten auch überall verbreiten lassen, die Aufhebung des Sundzolls solle in jedem Fall erzwungen werden. Und was ist aus dieser Prahlerei geworden? England und Rußland wollen die Beibehaltung des Sundzolls, und das gehorsame Deutschland bescheidet sich natürlich. Daß gegen die Rückgabe der Schiffe die Erstattung der jütischen Requisitionen erfolgt, versteht sich von selbst nach dem Grundsatz, daß Deutschland reich genug ist, seinen Ruhm zu bezahlen. Das sind die Vorteile, welche das Ministerium Hansemann dem deutschen Volk in diesem Waffenstillstandsprojekt darbietet! Das sind die Früchte eines dreimonatlichen Kampfes gegen ein kleines Völkchen von 11/z Millionen! Das ist das Resultat aller Großprahlereien unserer nationalen Blätter, unserer gewaltigen Dänenfresser! Wie man hört, wird der Waffenstillstand nicht abgeschlossen werden. Der General Wrangel, durch Beseler aufgemuntert, hat sich definitiv geweigert,
ihn zu unterzeichnen, trotz aller Bitten des Grafen Pourtales, der ihm Auerswalds Befehl dazu brachte, trotz aller Erinnerungen an seine Pflicht als preußischer General. Wrangel erklärte, er stehe vor allem unter den Befehlen der deutschen Zentralgewalt, und diese werde nicht einwilligen, wenn nicht die jetzige Stellung der Armeen beibehalten und die provisorische Regierung bis zum Frieden bleiben werde. So wird das preußische Projekt wohl nicht zur Ausführung kommen; aber interessant bleibt es trotzdem als Beweis, wie Preußen, wenn es sich an die Spitze stellt, die Ehre und die Interessen Deutschlands zu wahren versteht.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die Tunner „Concordia"
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 55 vom 25. Juli 1848] * Köln, 23. Juli. Kürzlich erwähnten wir des in Florenz erscheinenden Blattes „ISAlba"1, das uns brüderlich die Hand über die Alpen hinüberreichte. Es war zu erwarten, daß ein anderes Journal, „La Concordia"[218] in Turin, ein Blatt von entgegengesetzter Farbe, sich auch in entgegengesetzter, wenn auch keineswegs feindseliger Weise erklären werde. In einer frühern Nummer meinie „La Concordia", die „Neue Rheinische Zeitung" nehme sich jeder Partei an, wofern sie nur „unterdrückt" sei. Zu dieser wenig sinnreichen Erfindung verhalf ihr unsere Beurteilung der Prager Ereignisse, unsere Teilnahme für die demokratische Partei gegen den reaktionären Windischgrätz et Comp.2 Vielleicht ist das Turiner Journal über die sogenannte tschechische Bewegung inzwischen klarer geworden. Neuerdings sieht sich jedoch „La Concordia" veranlaßt, der „Nuova Gazzetta Renana"3 einen mehr oder minder doktrinären Artikel zu widmen. Sie hatte in unserm Blatt das Programm für den nach Berlin berufenen Arbeiterkongreßt219] gelesen, und die acht von den Arbeitern zu diskutierenden Punkte machen ihr bedeutende Unruhe. Nachdem sie das Ganze getreulich übersetzt, beginnt sie eine Art von Kritik mit folgenden Worten:
„In diesen Vorschlägen gibt es viel Wahres und Gerechtes, allein die .Concordia' würde an ihrer Mission einen Verrat begehen, wenn sie nicht ihre Stimme gegen die Irrtümer der Sozialisten erhöbe."
1 Siehe vorl. Band, S. 156 - 2 ebenda, S. 80-82 u. 108/109 - 3 „Neuen Rheinischen Zeitung"
Wir unsererseits erheben uns gegen den „Irrtum" der „Concordia", welcher darin besteht, das von der betreffenden Kommission für den Arbeiterkongreß aufgestellte und von uns nur mitgeteilte Programm für unser eignes zu versehen. Gleichwohl sind wir bereit, uns mit der „Concordia" auf eine nationalökonomische Diskussion einzulassen, sobald ihr Programm etwas mehr als einige bekannte philanthropische Redensarten und aufgegriffene Freihandelsdogmen bieten wird.
Der Gesetzentwurf über die Zwangsanleihe und seine Motivierung12201
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 56 vom 26. Juli 1848] ** Köln, 25. Juli. Ein berüchtigter Gauner des gesegneten Viertels von St. Giles in London erschien vor den Assisen. Er war eingeklagt, den Koffer eines berüchtigten Geizhalses der City um 2000 Pfund Sterling[221] erleichtert zu haben. „Meine Herren Geschwornen", begann der Angeklagte, „ich nehme Ihre Geduld nicht für lange Zeit in Anspruch. Meine Verteidigung ist nationalökonomischer Natur und sie wird ökonomisch mit den Worten umgehen. Ich habe dem Herrn Cripps 2000 Pfund Sterling genommen. Nichts sicherer als das. Aber ich habe einem Privatmann genommen, um dem Publikum zu geben. Wo sind die 2000 Pfund Sterling hingekommen? Habe ich sie etwa egoistisch an mir gehalten? Durchsuchen Sie meine Taschen. Wenn Sie einen Pence finden, verkaufe ich Ihnen meine Seele um einen Farthing. Die 2000 Pfund, Sie finden sie wieder bei dem Schneider, dem Shopkeeper1, im Restaurant usw. Was habe ich also getan? Ich habe ,nutzlos liegende Summen, die nur durch eine Zwangsanleihe' dem Grabe des Geizes zu entreißen waren, ,in Zirkulation gesetzt'. Ich war ein Agent der Zirkulation, und die Zirkulation ist die erste Bedingung des Nationalreichtums. Meine Herren, Sie sind Engländer! Sie sind Ökonomen! Sie werden einen Wohltäter der Nation nicht verurteilen!" Der Ökonom von St. Giles sitzt in Vandiemensland2 und hat Gelegenheit, über die verblendete Undankbarkeit seiner Landsleute nachzudenken. Aber er hat nicht umsonst gelebt. Seine Prinzipien bilden die Grundlage der Hansemannscken Zwangsanleihe. „Die Zulässigkeit der Zwangsanleihe", sagt Hansemann in den Motiven zu dieser Maßregel, „beruht auf der gewiß begründeten Voraussetzung, daß ein großer Teil des baren Geldes in den Händen von Privatpersonen in kleinern oder größern Summen nutzlos liegt und nur durch eine Zwangsanleihe in Zirkulation gesetzt werden kann."
1 Krämer - 2 heute Tasmanien, von 1803 bis 1854 britische Sträflingskolonie
Wenn ihr ein Kapital verzehrt, bringt ihr es in Zirkulation. Wenn ihr es nicht in Zirkulation bringt, verzehrt es der Staat, um es in Zirkulation zu bringen. Ein Baumwollfabrikant beschäftigt z.B. 100 Arbeiter. Er zahle täglich jedem von ihnen 9 Silbergroschen. Es wandern also täglich 900 Silbergroschen, resp. 30 Taler aus seiner Tasche in die Tasche der Arbeiter und aus den Taschen der Arbeiter in die Taschen des Epiciers1, des Hausbesitzers, des Schusters, des Schneiders usw. Diese Wanderung der 30 Taler heißt ihre Zirkulation. Von dem Augenblicke an, wo der Fabrikant seine Baumwollstoffe nur noch mit Verlust verkaufen oder gar nicht verkaufen kann, hört er auf zu produzieren, hört er auf, die Arbeiter zu beschäftigen, und mit dem Aufhören der Produktion hört die Wanderung der 30 Taler, hört die Zirkulation auf. Wir werden die Zirkulation zwangsweise herstellen! ruft Hansemann aus. Warum läßt der Fabrikant auch sein Geld nutzlos liegen? Warum läßt er es nicht zirkulieren? Wenn schönes Wetter ist, zirkulieren viele Leute im Freien. Hansemann treibt die Leute ins Freie, zwingt sie zu zirkulieren, um das schöne Wetter herzustellen. Großer Wetterkünstler! Die ministerielle und kommerzielle Krise raubt dem Kapital der bürgerlichen Gesellschaft die Zinsen. Der Staat hilft ihr wieder auf die Beine, indem er auch das Kapital wegnimmt. Der Jude Pinto, der berühmte Börsenspieler des 18. Jahrhunderts, empfiehlt in seinem Buch über die „Zirkulation "[222] das Börsenspiel. Das Börsenspiel produziere zwar nicht, aber es befördre die Zirkulation, die Wanderung des Reichtums aus einer Tasche in die andere. Hansemann verwandelt die Staatskasse in ein Roulette, worauf das Vermögen der Staatsbürger zirkuliert. Hansemann-Pinto! In den „Motiven" zum „Zwangsanleihegesetz" stößt Hansemann nun auf eine große Schwierigkeit. Warum hat die freiwillige Anleihe nicht die nötigen Summen eingebracht? Man kennt ja das „unbedingte Vertrauen", dessen sich die jetzige Regierung erfreut. Man kennt den schwärmerischen Patriotismus der großen Bourgeoisie, die sich über nichts mehr beklagt, als daß einige Wühler ihr hingegebenes Vertrauen nicht zu teilen sich erfrechen. Man kennt ja die Loyalitätsadressen aus allen Provinzen. Und „trotz alledem und alledem"[223] ist Hansemann genötigt, die poetische freiwillige Anleihe in die prosaische Zwangsanleihe zu verwandeln! Im Regierungsbezirke Düsseldorf z.B. haben Adlige 4000 Taler, Offiziere
900 Taler beigesteuert - und wo herrscht mehr Vertrauen als unter den Adligen und Offizieren im Regierungsbezirk Düsseldorf? Von den Beiträgen der Prinzen des königlichen Hauses gar nicht zu reden. Lassen wir uns von Hansemann das Phänomen erklären. „Die freiwilligen Beiträge sind bisher nur spärlich eingegangen. Es ist dies wohl weniger dem. Mangel an Vertrauen zu unseren Zuständen, als der Ungewißheit über das wirkliche Bedürfnis des Staates zuzuschreiben, indem man abwarten zu dürfen glaubte, ob und in welchem Maße die Geldkräfte des Volks in Anspruch genommen werden möchten. Auf diesen Umstand gründet sich die Hoffnung, daß jeder nach Kräften freiwillig beitragen werde, sobald ihm die Beitragspflicht als eine unabweisbare Notwendigkeit vorgeführt wird." Der Staat, in höchsten Nöten, appelliert an den Patriotismus. Er ersucht höflichst den Patriotismus, auf den Altar des Vaterlands 15 Millionen Taler niederzulegen, und zwar nicht einmal als Geschenk, sondern nur als freiwilliges Darlehn. Man besitzt das höchste Vertrauen in den Staat, aber man bleibt taub gegen seinen Notschrei! Man befindet sich leider in solcher „ Ungewißheit" über das „wirkliche Bedürfnis des Staats", daß man sich vorläufig unter den größten Seelenleiden entschließt, dem Staate gar nichts zu geben. Man hat zwar das höchste Vertrauen zu der Staatsbehörde, und die ehrenwerte Staatsbehörde behauptet, der Staat bedürfe 15 Millionen. Eben aus Ve rtrauen traut man der Versicherung der Staatsbehörde nicht, betrachtet vielmehr ihr Geschrei nach 15 Millionen als eine reine Spielerei. Man kennt die Geschichte von jenem wackern Pennsylvanier, der seinen Freunden nie einen Dollar lieh. Er besaß solches Vertrauen in ihren geordneten Lebenswandel, er schenkte ihrem Geschäft einen solchen Kredit, daß er bis zu seiner Todesstunde nie die „Gewißheit" gewann, sie befänden sich in einem „wirklichen Bedürfnis" nach einem Dollar. In ihren stürmischen Forderungen erblickte er nur Prüfungen seines Vertrauens, und das Vertrauen des Mannes war unerschütterlich. Die preußische Staatsbehörde fand den ganzen Staat von Pennsylvaniern bewohnt. Aber Herr Hansemann erklärt sich das sonderbare politisch-ökonomische Phänomen noch aus einem andern merkwürdigen „Umstand1". Das Volk steuerte nicht freiwillig bei, „weil es abwarten zu dürfen glaubte, ob und in welchem Maße seine Geldkräfte in Anspruch genommen werden möchten1. Mit andern Worten: Niemand zahlte freiwillig, weil jeder abwartete, ob und in welchem Maße er zum Zahlen gezwungen würde. Vorsichtiger Patriotismus 1 Höchst verwickeltes Vertrauen! Auf diesen „Umstand" nun, daß hinter der blauäugig-sanguinischen freiwilligen Anleihe jetzt die dunkelblickende
hypochondrische Zwangsanleihe steht, „gründet" Herr Hansemann „die Hoffnung, daß jeder nach Kräften freiwillig beitragen werde". Wenigstens muß der verstockteste Zweifler die Ungewißheit verloren und die Überzeugung gewonnen haben, daß es der Staatsbehörde mit ihren Geldbedürfnissen wirklicher Ernst ist, und das ganze Übel lag ja, wie wir gesehen, nur in dieser peinlichen Ungewißheit. Wenn ihr nicht gebt, wird euch genommen, und das Nehmen macht euch und uns Unbeschwerlichkeiten. Wir hoffen also, daß euer Vertrauen von seiner überspannten Art abläßt und statt in hohlklingenden Phrasen in vollklingenden Talern sich äußert. Est-ce clair?1 So sehr nun Herr Hansemann auf diesen „ Umstand11 „Hoffnungen1 gründet, so hat jedoch die grübelnde Gemütsart seiner Pennsylvanier ihn selbst angesteckt, und er sieht sich veranlaßt, nach noch stärkeren Reizmitteln zum Vertrauen umzuschauen. Das Vertrauen ist zwar da, aber es will nicht heraus. Es bedarf der Reizmittel, um es aus seinem latenten Zustand zu treiben.
„Um aber für die freiwillige Beteiligung einen noch stärkeren Antrieb" (als die Aussicht auf die Zwangsanleihe) „zu schaffen, ist [in] § 1 die Verzinsung der Anleihe zu 3x/3 Prozent projektiert und ein Termin" (bis zum ersten Oktober) „offen gelassen, bis zu welchem freiwillige Darlehen zu 5 Prozent noch angenommen werden sollen." Herr Hansemann setzt also eine Prämie von 12/3 Prozent auf das freiwillige Darlehn, und nun wird der Patriotismus wohl flüssig werden, die Koffer werden springen, und die goldenen Fluten des Vertrauens werden in die Staatskasse strömen. Herr Hansemann findet es natürlich „billig", den großen Leuten l2/3 Prozent mehr zu zahlen als den kleinen, die nur gewaltsam das Unentbehrliche sich nehmen lassen. Zur Strafe ihrer weniger komfortablen Vermögensumstände werden sie überdem noch die Rekurskosten zu tragen haben. So erfüllt sich der Bibelspruch. Wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht hat, dem wird genommen.
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 60 vom 30. Juli 1848] ** Köln, 29. Juli. Wie Peel einst für die Getreidezölle, so hat HansemannPinto für den unfreiwilligen Patriotismus eine „gleitende Skala"[224] entdeckt.
„In betreff des Prozentsatzes für die Beitragspflichtigkeit", sagt unser Hansemann in seinen Motiven, „ist eine progressive Skala angenommen, da offenbar die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, mit dem Betrage des Vermögens in arithmetischem Verhältnis steigt."
Mit dem Vermögen steigt die Fähigkeit, Geld zu beschaffen. Mit andern Worten: In dem Maße, als man über mehr Geld zu verfügen hat, hat man über mehr Geld zu verfügen. Soweit nichts richtiger. Daß aber die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, nur in arithmetischem Verhältnis steigt, mögen die verschiedenen Vermögens beträge auch in geometrischem Verhältnis stehn - das ist eine Entdeckung Hansemanns, die ihm größeren Ruhm bei der Nachwelt sichern muß als dem Malthus der Satz, daß die Lebensmittel nur in arithmetischem Verhältnis wachsen, während die Bevölkerung in geometrischem Verhältnis steigt. Wenn also z.B. verschiedene Vermögensbeträge sich zueinander verhalten, wie 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512, so wächst nach der Entdeckung des Herrn Hansemann die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, wie 1,2,3,4,5,6,7,8,9, 10. Trotz des scheinbaren Wachsens der Beitragspflichtigkeit nimmt also nach unserm Ökonomen die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, in demselben Maße ab, worin das Vermögen zunimmt. In einer Novelle des Cervantes[225] finden wir den größten spanischen Finanzmann im Irrenhaus. Der Mann hatte ausfindig gemacht, daß die spanische Staatsschuld vernichtet sei, sobald „die Cortes das Gesetz genehmigen, daß alle Vasallen Seiner Majestät vom 14. bis in das 60. Jahr verpflichtet sein sollen, einen Tag im Monat bei Wasser und Brot zu fasten, und zwar an einem nach Belieben auszuwählenden und zu bestimmenden Tage. Der Aufwand aber, der sonst an Früchten, Gemüse, Fleischspeisen, Fischen, Weinen, Eiern und Hülsenfrüchten an diesem Tage verbraucht worden wäre, soll zu Geld angeschlagen und Seiner Majestät abgeliefert werden, ohne daß ein Heller, bei Strafe des Meineides, wegfalle." Hansemann kürzt das Verfahren ab. Er hat seine sämtlichen Spanier, die ein jährliches Einkommen von 400 Talern besitzen, aufgefordert, einen Tag im Jahr ausfindig zu machen, an dem sie 20 Taler entbehren können. Er hat die Kleinen aufgefordert, der gleitenden Skala gemäß sich für 40 Tage ungefähr aller Konsumtion zu enthalten. Wenn sie zwischen August und September die 20 Taler nicht finden, wird ein Gerichtsvollzieher im Oktober sie suchen nach den Worten: Suchet, so werdet ihr finden. Folgen wir weiter den „Motiven", die der preußische Necker uns anvertraut. „Jedes Einkommen", belehrt er uns, „aus Gewerbe im weitesten Sinne des Wortes, also ohne Rücksicht darauf, ob davon Gewerbesteuer bezahlt wird, wie das Einkorn
men der Ärzte, Advokaten, kann nur nach Abzug der Betriebsausgaben, einschließlich der von den Schulden zu zahlenden Zinsen, in Betracht kommen, da nur auf diese Weise das reine Einkommen gefunden wird. Aus demselben Grunde mußte das Gewerbebetriebskapital außer Anspruch gelassen werden, sofern der nach dem Einkommen zu berechnende Anleihebeitrag sich höher beläuft als der nach dem Betriebskapital berechnete." Nous marchons de surprise en surprise.1 Das Einkommen kann nur in Betracht kommen nach Abzug des Betriebskapitals, denn die Zwangsanleihe kann und soll nichts anderes sein als die außerordentliche Form einer Einkommensteuer. Und die Betriebskosten gehören so wenig zum Einkommen des Industriellen, wie der Baumstamm und die Wurzel des Baums zu seinen Früchten gehören. Aus diesem Grunde also, weil bloß das Einkommen besteuert werden soll und nicht das Betriebskapital, wird eben das Betriebskapital besteuert und nicht das Einkommen, wenn die erste Manier dem Fiskus profitlicher scheint. Es ist Herrn Hansemann also völlig gleichgültig, „auf welche Weise das reine Einkommen gefunden wird". Was er sucht, ist, „auf welche Weise das größte Einkommen" für den Fiskus „gefunden wird". Herr Hansemann, der das Betriebskapital selbst angreift, gleicht dem Wilden, der den Baum fällt, um in den Besitz seiner Früchte zu gelangen.
„Wenn also" (Art. 9 des Gesetzentwurfs) „sich die nach dem Gewerbebetriebskapital zu bemessende Anleihebeteiligung höher als nach dem zehnfachen Betrage des Einkommens beläuft, tritt die erstere Art der Abschätzung ein" und wird also das „Gewerbebetriebskapital" selbst „in Anspruch genommen". Sooft es also dem Fiskus beliebt, kann er das Vermögen statt des Einkommens seinen Forderungen zugrunde legen. Das Volk verlangt den mysteriösen preußischen Staatsschatz in Augenschein zu nehmen. Das Ministerium der Tat antwortet auf diese taktlose Anforderung durch den Vorbehalt, einen durchdringenden Blick in sämtliche Kaufmannsbücher zu werfen und ein Inventarium über den Vermögensbestand seiner sämtlichen Angehörigen aufzunehmen. Die konstitutionelle Ära in Preußen beginnt damit, nicht das Staatsvermögen durch das Volk, sondern das Volksvermögen durch den Staat kontrollieren zu lassen, um so der schamlosesten Einmischung der Bürokratie in den bürgerlichen Verkehr und die Privatverhältnisse Tür und Tor zu eröffnen. In Belgien hat der Staat ebenfalls zu einer Zwangsanleihe seine Zuflucht genommen, aber er hält sich bescheiden an die Steuerregister und Hypothekenbücher, an vorhandene öffentliche Dokumente. Das Ministerium der Tat dagegen spielt das Spartanertum aus der preußischen Armee in die preußische Nationalökonomie hinein.
In seinen „Motiven" sucht Hansemann zwar den Bürger zu beschwichtigen durch edlerlei milde Worte und freundliche Vorstellungen. „Der Verteilung der Anleihe", flüstert er ihm zu, „liegt die Selbstschätzung zum Grunde." Alles „Gehässige" wird vermieden. „Auch nicht einmal eine summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile wird erfordert s =, Die zur Prüfung der Selbstschätzungen niedergesetzte Kreiskommission soll im Wege gütlicher. Vorstellung zu angemessener Beteiligung auffordern, und erst, wenn dieser Weg ohne Erfolg ist, den Betrag einschätzen. Gegen diese Entscheidung steht der Rekurs an eine Bezirkskommission usw." Selbstschätzung! Nicht einmal summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile! Gütliche Vorstellung! Rekurs!
Sage, was willst du mehr*2263 Fangen wir gleich mit dem Ende an, mit dem Rekurs. Art. 16 bestimmt: „Die Einziehung erfolgt ohne Rücksicht auf eingelegten Rekurs zu den festgesetzten Terminen, vorbehaltlich der Rückzahlung, insoweit der Rekurs für begründet befunden wird." Also erst die Exekution trotz dem Rekurs, hinterher die Begründung trotz der Exekution! Noch mehr! Die durch den Rekurs verursachten „Kosten fallen dem Rekurrenten zur Last, wenn sein Rekurs ganz oder teilweise verworfen wird und v/erden nötigenfalls exekutivisch beigetrieben". (Art. 19.) Wer die ökonomische Unmöglichkeit einer exakten Vermögensabschätzung kennt, sieht auf den ersten Blick, daß der Rekurs immer teilweise verworfen werden kann, der Rekurrent also jedesmal den Schaden davonträgt. Der Rekurs mag also beschaffen sein, wie er will, eine Geldbuße ist sein unzertrennlicher Schatten. Allen Respekt vor dem Rekurs! Von dem Rekurs, dem Ende, gehen wir zurück zum Anfang, der Selbstschätzung. Herr Hansemann scheint nicht zu fürchten, daß seine Spartaner sich selbst überschätzen. Nach Art. 13 bildet „die Selbstangabe der zum Beitrag Verpflichteten die Grundlage der Anleiheverteilung". Die Architektonik des Herrn Hansemann ist so beschaffen, daß man aus der Grundlage seines Gebäudes keineswegs auf die weitern Umrisse desselben schließen kann. Oder vielmehr die „Selbstangabe", die in der Form einer „Erklärung" den vom Herrn „Finanzminister oder in dessen Auftrage von der Bezirksregie
rung zu bestimmenden Beamten einzureichen ist" — diese Grundlage wird nun tiefer begründet. Nach Art. 14 „treten zur Prüfung der abgegebenen Erklärungen eine oder mehrere Kommissionen zusammen, deren Vorsitzender sowie übrige Mitglieder zur Zahl von mindestens fünf vom Finanzminister oder der von ihm beauftragten Behörde zu ernennen sind". Die Ernennung des Finanzministers oder der von ihm beauftragten Behörde bildet also die eigentliche Grundlage der Prüfung. Weicht die Selbstschätzung ab von dem „Ermessen" dieser vom Finanzminister ernannten Kreis- oder Stadtkommission, so wird der „Selbstschätzer" aufgefordert, sich zu erklären. (Art. 15.) Er mag nun eine Erklärung abgeben oder nicht abgeben, es kömmt alles darauf an, ob sie der von dem Finanzminister ernannten Kommission „genügt". Genügt sie nicht, „so hat die Kommission den Beitrag nach eigner Schätzung festzusetzen und davon den Beitragspflichtigen zu benachrichtigen". Erst schätzt der Beitragspflichtige sich selbst und benachrichtigt davon den Beamten. Jetzt schätzt der Beamte und benachrichtigt davon den Beitragspflichtigen. Was ist aus der „Selbstschätzung" geworden? Die Grundlage ist zugrunde gegangen. Während aber die Selbstschätzung nur den Anlaß bot zu einer schweren „Prüfung" des Pflichtigen, schlägt die fremde Schätzung sofort in Exekution um. Art. 16 verfügt nämlich: „Die Verhandlungen der Kreis- (Stadt-) Kommissionen sind der Bezirksregierung einzureichen, welche danach alsbald die Rollen der Anleihebeträge aufzustellen und den betreffenden Kassen zur Einziehung - nötigenfalls im Wege der Exekution - nach den für die [...1 Steuern geltenden Vorschriften zuzufertigen hat." Wir haben schon gesehen, wie bei den Rekursen nicht alles „Rose" ist. Der Rekurs weg versteckt noch andere Dornen. Erstens. Die Bezirkskommission, welche die Rekurse prüft, wird von Deputierten gebildet, welche von den nach dem Gesetz vom 8. April 1848[30] gewählten Wahlmännern usw. erwählt werden. Aber der ganze Staat zerfällt vor der Zwangsanleihe in zwei feindselige Lager, das Lager der Widerspenstigen und das Lager der Wohlmeinenden, gegen deren geleisteten oder angebotenen Beitrag Ausstellungen bei der Kreiskommission nicht erhoben sind. Die Deputierten dürfen nur aus dem v/ohlmeinenden Lager erwählt werden. (Art. 17.) Zweitens. „Den Vorsitz führt ein vom Finanzminister zu ernennender Kommissarius, dem zum Vortrage ein Beamter beigeordnet werden kann." (Art. 18.) Drittens. „Die Bezirkskommission ist befugt, die spezielle Abschätzung des Vermögens oder Einkommens anzuordnen und zu diesem Ende Werttaxen
aufzunehmen oder kaufmännische Bücher einsehen zu lassen. Reichen diese Mittel nicht aus, so kann vom Rekurrenten eidesstattliche Versicherung gefordert werden." [Art. 19.] Wer sich also den „Schätzungen" der vom Finanzminister ernannten Beamten nicht unbedenklich fügt - muß zur Strafe seine sämtlichen Vermögensverhältnisse zwei Bürokraten und 15 Konkurrenten vielleicht offenlegen. Dornenvoller Pfad des Rekurses! Hansemann verhöhnt also nur sein Publikum, wenn er in den Motiven sagt:
„Der Verteilung der Anleihe liegt die Selbstschätzung zum Grunde. Um solche aber in ktiner Weise gehässig zu machen, ist auch nicht einmal eine summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile erforderlich." Die Strafe des „Meineides" des Projektenmachers des Cervantes, sie sogar fehlt nicht im Projekt des Ministers der Tat. Statt sich mit seinen Scheinmotiven abzuquälen, hätte unser Hansemann besser getan, mit dem Mann in der Komödie zu sagen: „Wie wollt Ihr, daß ich alte Schulden zahle und neue Schulden mache, wenn Ihr mir nicht Geld leiht p"[225] In diesem Augenblicke aber, wo Preußen an Deutschland im Dienst seiner Sonderinteressen einen Verrat zu begehen und gegen die Zentralgewalt zu rebellieren sucht, ist es die Pflicht eines jeden Patrioten. keinen Pfennig freiwillig zur Zwangsanleihe beizusteuern. Nur durch eine konsequente Abschneidung der Lebensmittel kann Preußen gezwungen werden, sich an Deutschland zu ergeben.
Vereinbarungsdebatten über die Kreisstände
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 56 vom 26. Juli 1848] ** Köln, 25. Juli. (Vereinbarungssitzung voml8PoJ) Unter den vielen verworrenen, zwecklosen und rein persönlichen Dokumenten und Verhandlungen, die am Anfang jeder Sitzung vorkommen, heben wir heute zwei Punkte hervor. Der erste ist die dem Präsidenten schriftlich eingereichte und von der Tribüne herab wiederholte Erklärung des Exministers Rodbertus: Er habe sich zwar als Redner gegen den Jacobyschen Antrag1 einschreiben lassen, habe aber dennoch nur gegen den ersten, den Frankfurter Beschluß mißbilligenden Teil desselben, und zugleich gegen die betreffende am 4. Juli abgegebene Erklärung des Ministeriums sprechen wollen. Wie bekannt, wurde die Debatte abgebrochen, ehe Herr Rodbertus zum Wort kam. Der zweite ist eine Erklärung des Herrn Brodowski im Namen sämtlicher polnischen Deputierten und gelegentlich einer beliebigen Erklärung der deutsch-polnischen Abgeordneten: Er erkenne die Einverleibung eines Teils von Posen in den Deutschen Bund gar nicht als zu Recht bestehend an auf Grund der Verträge von 1815 und der vom Könige provozierten Erklärung der Provinzialstände gegen die Aufnahme in den Bund.t227] „Einen späteren legalen Weg kenne ich nicht, denn die Nation ist noch nicht darüber befragt worden.'1 Folgt die Schluß Verhandlung über die Adresse. Die Adresse wurde, wie bekannt, verworfen unter dem Ruf der Linken: „Zweimalige Kabinettsfrage!" und allgemeinem Gelächter. Jetzt kam an die Reihe der Kommissionsbericht über den Antrag von 94 Abgeordneten, den Kreisständen die Befugnis zur Steuerausschreibung zu nehmen.
Wir gehen absichtlich auf diesen Gegenstand ein. Er führt uns wieder einmal em Stück echter altpreußischer Gesetzgebung ins Gedächtnis zurück» und die steigende Reaktion hält uns mehr und mehr diese Gesetzgebung als unverbesserliches Muster vor, während das Ministerium der Tat, das das Ministerium des Übergangs nicht vertreten will, sich täglich ungenierter zum Lobredner des Ministeriums Bodelschwingh aufwirft. Die Kreisstände haben durch eine Anzahl Gesetze, die sämtlich jüngern Datums als 1840 sind, die Befugnis erhalten, Steuern mit verpflichtender Wirkung für die Kreisbewohner zu beschließen. Diese Kreisstände sind ein prächtiges Muster altpreußischer „Vertretung". Sämtliche größeren grundbesitzenden Bauern des Kreises schicken drei Abgeordnete,* jede Stadt schickt in der Regel einen; jeder Rittergutsbesitzer aber ist geborner Kreisstand. Gar nicht vertreten sind in den Städten die Arbeiter und ein Teil der kleinen Bürgerschaft, auf dem Lande die kleinen Eigentümer und die nicht angesessenen Bewohner, zusammen die ungeheuere Majorität. Diese nicht vertretenen Klassen werden aber nichtsdestoweniger von den Vertretern, und namentlich von den Herren „gebornen Kreisständen" besteuert, und wie und zu welchen Zwecken, werden wir gleich sehen. Diese Kreisstände» die noch dazu über das Kreisvermögen ganz selbständig verfügen können, sind bei Steuerbeschlüssen an die Genehmigung, bald des Oberpräsidenten, bald des Königs» und außerdem noch, wenn sie in Teile gegangen und ein Stand ein Separatvotum abgegeben, an die Entscheidung des Ministers des Innern gebunden. Man sieht» wie pfiffig das Altpreußentum die „wohlerworbenen Rechte" der großen Grundbesitzer, zugleich aber auch das Oberaufsichtsrecht der Bürokratie zu wahren wußte. Daß aber dies Oberaufsichtsrecht der Bürokratie nur besteht, um etwaige Eingriffe der Kreisstände in die Rechte des grünen Tisches zu verhüten, nicht aber um die Kreisbewohner, und namentlich die gar nicht vertretenen, vor den Eingriffen der Herren Kreisstände zu schützen, das erkennt der Zentralkommissionsbericht ausdrücklich an. Der Bericht schließt mit dem Antrag, die Gesetze aufzuheben, welche den Kreisständen das Recht der Besteuerung erteilen. Herr Bucher, Referent, entwickelte den Antrag. Gerade die Beschlüsse der Kreisstände, welche die Nichtvertretenen am meisten drückten und erbitterten, sind vorzugsweise von den Regierungen bestätigt worden. „Es ist gerade ein Fluch des Polizeistaats, der im Prinzip gefallen ist, leider aber tatsächlich noch bis auf diese Stunde fortbesteht, daß ein Beamter oder eine Behörde, je höher sie in dem Mandarinentum stehen, desto besser alles, auch solche Detailmaß
regeln zu verstehen glauben, obwohl sie den Lokalbedürfnissen um gerade soviel ferner stehn." Der Vorschlag empfehle sich um so mehr, als er nicht aufbauend, sondern bloß zerstörend sei.
„Es läßt sich nicht leugnen, daß die Versammlung in den Versuchen produktiver Tätigkeit bisher nicht glücklich gewesen ist... es möchte daher geraten sein, uns einstweilen mehr einer zerstörenden Tätigkeit hinzugeben." Der Redner rät demnach, namentlich die seit 1815 erlassenen reaktionären Gesetze aufzuheben. Das war zu arg. Nicht nur das Altpreußentum, die Bürokratie und die Kreisstände hatte der Berichterstatter für verwerflich erklärt, er hatte sogar auf die bisherigen Produkte der Vereinbarungsdebatten einen ironischen Seitenblick geworfen. Die Gelegenheit für das Ministerium war günstig. Ohnehin durfte es aus Hofrücksichten nicht zugeben, daß gerade nur die unter dem jetzigen Könige erlassenen Gesetze aufgehoben würden. Herr Kühlwetter erhebt sich also.
„Die Kreisstände sind so zusammengesetzt, daß ohne Zweifel ihre Verfassung geändert wird, indem" - die ständische Wirtschaft überhaupt der Gleichheit vor dem Gesetz widerspricht? Im Gegenteil! Bloß „indem jetzt noch jeder Rittergutsbesitzer geborner Kreisstand ist, eine Stadt aber, wenn sie auch noch so viele Rittergüter in sich schließt, nur einen Kreisstand zu entsenden berechtigt ist und die bäuerlichen Gemeinden nur durch drei Deputierte vertreten werden." Wir tun einen Blick in die verborgenen Pläne des Ministeriums der Tat. Das Ständewesen mußte bei der Zentralvolksvertretung aufgehoben werden, das ließ sich nicht ändern. Aber in den kleineren Bezirken der Vertretung, in den Kreisen (vielleicht auch in den Provinzen?) wird man versuchen, die ständische Vertretung zu erhalten, indem man nur die gröbsten Übervorteilungen der Bürger und Bauern durch die Ritterschaft ausmerzt. Daß Herrn Kühlwetters Erklärung nicht anders zu fassen ist, geht daraus hervor, daß der Bericht der Zentralkommission geradezu auf Anwendung der Gleichheit vor dem Gesetz in der Kreisvertretung provozierte. Herr Kühlwetter übergeht diesen Punkt aber mit dem tiefsten Stillschweigen. Gegen den Inhalt des Antrags hat Herr Kühlwetter nichts einzuwenden; nur fragt er, ob es nötig sei, diesen Antrag im „Wege der Gesetzgebung" zur Geltung zu bringen.
„Die Gefahr, daß die Kreisstände vom Besteuerungsrecht Mißbrauch machen möchten, ist wohl nicht so groß... Das Aufsichtsrecht der Regierung ist keineswegs so
18 Mars/Engels, Werke, Bd. 5
illusorisch, wie dargestellt worden; dasselbe ist mit Gewissenhaftigkeit stets ausgeübt worden und dabei namentlich ,die unterste Klassensteuerstufe möglichst von Beiträgen befreit worden'." Natürlich 1 Herr Kühlwetter war Bürokrat unter Bodelschwingh, und selbst auf die Gefahr hin, das ganze Ministerium der Tat zu kompromittieren, müssen die vergangenen Heldentaten der Bodelschwinghschen Bürokratie verteidigt werden. Wir bemerken, daß Herr Hansemann abwesend war, als ihn sein Kollege Kühl Wetter so mit Herrn Bodelschwingh fraternisieren ließ. Herr Kühlwetter erklärt, er habe bereits alle Regierungen instruiert, bis auf weiteres keine kreisständischen Steuern mehr zu bestätigen, und damit sei ja der Zweck erreicht. Herr Jentzsch verdirbt dem Herrn Minister das Spiel, indem er bemerkt, es sei Mode bei den Kreisständen, die Chausseebeiträge, die gerade meist den Rittergütern zugut kommen, nach der Klassensteuer zu repartieren, von der die Rittergüter ganz befreit sind. Herr Kühlwetter und Herr von Wangenheim, ein Beteiligter, suchen die Kreisstände zu verteidigen; namentlich hält der Herr Oberlandesgerichtsrat von Wangenheim, Kreisstand zu Saatzig, eine große Lobrede auf dies rühm« liehe Institut. Aber der Abgeordnete Moritz vereitelt den Effekt wieder. Was hilft die Verfügung des Herrn Kühlwetter? Wenn das Ministerium einmal abtreten sollte, so lassen die Regierungen die Verfügung unbeachtet. Haben wir so schlechte Gesetze wie diese, so sehe ich nicht ein, warum wir sie nicht aufheben sollten. Und was die geleugneten Mißbräuche angeht,
„nicht nur haben die Kreisstände die ihnen zustehende Befugnis, Abgaben aufzulegen, gemißbraucht in der Art, daß sie persönliche Begünstigungen eintreten ließen, daß sie Ausgaben beschlossen haben, welche nicht zum Gemeinnutzen des Kreises gereichten, sondern sie haben auch Chausseebauten im Interesse einzelner, eines bevorzugten Standes beschlossen... Die Kreisstadt Ruppin soll mit der Hamburg-Berliner Eisenbahn verbunden werden. Statt die Chaussee über die Stadt Wusterhausen zu legen, ob= wohl diese Stadt sich erklärt hat, die Mehrkosten aus eignen Mitteln zu geben, ist dieser kleinen, nahrungslosen Stadt die Durchführung der Chaussee von der Regierung verweigert worden, und dagegen die Chaussee durch drei Güter eines und desselben Rittergutsbesitzers geführt"!! Herr Reichenbach macht darauf aufmerksam, daß die MinisterialVerfügung auf die den Kreisständen gänzlich freigelassene Disposition über das Kreis vermögen gar keinen Einfluß habe. Der Minister antwortet einige lahme Phrasen.
Herr Bacher erklärt, er halte den Minister für gar nicht befugt, Verordnungen 2x1 erlassen, welche bestehende Gesetze faktisch aufheben. Nur durch die Gesetzgebung könne hier gebessert werden. Herr Kühlwetter stammelt noch einige unzusammenhängende Worte, um sich zu verteidigen, und sodann wird abgestimmt. Die Versammlung nimmt den Zentralkommissionsantrag an, daß die Gesetze, wodurch den Kreisständen das Besteuerungsrecht und die Verfügung über das Kreisvermögen erteilt wird, aufgehoben werden, mit dem Zusatz: „unbeschadet der auf Grund dieser Verordnungen gefaßten kreisständischen Beschlüsse". Man sieht, die „Taten" des Ministeriums der Tat bestehen in polizeilichen Reaktionsversuchen und parlamentarischen Niederlagen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Die Auflösung der demokratischen Vereine in Baden
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 58 vom 28. Juli 18481 ** Köln, 27.Juli. Die reaktionären Polizeimaßregeln gegen das Assoziationsrecht folgen sich Schlag auf Schlag. Zuerst wird der demokratische Verein in Stuttgart, dann der von Heidelberg aufgehoben.1 Der Erfolg macht die Herren von der Reaktion kühn; die badische Regierung hebt jetzt sämtliche demokratischen Vereine in Baden auf. Das geschieht in demselben Augenblicke, wo die soi-disant2 Nationalversammlung in Frankfurt173 sich damit beschäftigt, das Assoziationsrecht als eins der „Grundrechte des deutschen Volkes" für ewige Zeiten sicherzustellen. Die Grundbedingung des freien Assoziationsrechtes ist, daß kein Verein, keine Gesellschaft durch die Polizei aufgelöst oder verboten werden kann, daß dies nur geschehen kann infolge eines richterlichen Spruchs, der die Ungesetzlichkeit des Vereines oder seiner Handlungen und Zwecke feststellt und die Urheber dieser Handlungen bestraft. Dieser Weg ist natürlich für die maßregelnde Ungeduld des Herrn Mathy viel zu langwierig. Gerade wie es ihm zu langweilig war, erst einen Verhaftsbefehl auszuwirken oder sich wenigstens zum Spezialkonstabler ernennen zu lassen, als er kraft des Gendarmen in seiner Brust den „Landesverräter" Fickler verhaftete - gerade so verächtlich und unpraktisch erscheint ihm auch jetzt noch der gerichtliche, der gesetzliche Weg. Die Motive dieser neuen Polizeigewalttat sind äußerst erbaulich. Die Vereine hätten sich an die vom demokratischen Kongreß zu Frankfurt[228] ausgegangene Organisation der demokratischen Vereine für ganz Deutschland eingeschlossen. Dieser Kongreß habe
„die Erringung einer demokratischen Republik als Zweck hingestellt" (als ob das verboten seil), „und wie es mit den Mitteln gemeint ist, durch welche dieser Zweck erreicht werden soll, geht unter andern aus den in jenen Beschlüssen ausgedrückten Sympathien für die Aufrührer hervor" (seit wann sind „Sympathien" ungesetzliche „Mittel"?), „sowie auch daraus, daß der Zentralausschuß dieser Vereine sogar der deutschen Nationalversammlung die fernere Anerkennung versagte und zur Bewirkung einer förmlichen Losreißung der Minderheit behufs der Bildung einer neuen Versammlung auf ungesetzlichem Wege auffordert."1^2291 Folgen dann die Beschlüsse des Kongresses über die Organisation der demokratischen Partei. Nach Herrn Mathy sind also die badischen Vereine verantwortlich für die Beschlüsse des Zentralkomitees, auch wenn sie sie nicht ausführen. Denn hätten diese Vereine infolge der Aufforderung des Frankfurter Komitees wirklich eine Adresse an die Linke der Nationalversammlung erlassen und sie zum Austritt aufgefordert, so würde Herr Mathy nicht ermangeln, dies anzuzeigen. Ob übrigens die betreffende Aufforderung ungesetzlich war, darüber hat nicht Herr Mathy, darüber haben die Gerichte zu entscheiden. Und um die Organisation der Partei in Kreise, Kongresse und Zentralkomitees für ungesetzlich zu erklären - dazu muß man wirklich Herr Mathy sein! Und organisieren sich die konstitutionellen und reaktionären Vereine1230-1 nicht nach diesem Muster? Aber freilich! Es „erscheint unzulässig und verderblich, wenn die Grundlage der Verfassung unterwühlt und so das ganze Staatsgebäude durch die Kraft der Assoziationen erschüttert wird". Gerade dazu, Herr Mathy, ist das Assoziationsrecht ja da, daß man die Verfassung ungestraft „unterwühlen" kann, in der gesetzlichen Form versteht sich! Und wenn die Kraft der Assoziationen größer ist als die des Staats, desto schlimmer für den Staat! Wir fordern die Nationalversammlung abermals auf, wenn sie nicht alles Ansehen verlieren will, Herrn Mathy sofort in Anklagestand zu versetzen.
Geschrieben von Friedrich Engels.
Der Gesetzentwurf über die Aufhebung der Feuda!lasten[231]
[„Neue Rheinische Zeitung" Nr. 60 vom 30. Juli 1848] ** Köln, 29.Juli. Wenn hier und da ein Rheinländer vergessen haben sollte, was er der „Fremdherrschaft", der „Unterdrückung des korsischen Tyrannen" verdankt^2323, so möge er den Gesetzentwurf über die unentgeltliche Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben lesen, den Herr Hansemann im Jahre der Gnade 1848 seinen Vereinbarern „zur Erklärung" zugehen läßt. Lehnsherrlichkeit, Allodifikationszins, Sterbefall, Besthaupt, Kurmede, Schutzgeld, Jurisdiktionszins, Dreidinggelder, Zuchtgelder, Siegelgelder, Blutzehnt, Bienenzehnt usw. — wie fremd, wie barbarisch klingen diese widersinnigen Namen unseren durch die französisch-revolutionäre Zertrümmerung der Feudalität, durch den Code Napoleon[90] zivilisierten Ohren! Wie unverständlich ist uns dieser ganze Wust mittelaltriger Leistungen und Abgaben, dies Naturalienkabinett des modrigsten Plunders der vorsündflutlichen Zeit! Und doch, ziehe deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden, deutscher Patriot! Diese Barbareien, sie sind die Trümmer der christlichgermanischen Glorie, sie sind die letzten Ringe einer Kette, die sich durch die Geschichte hinzieht und dich verbindet mit der Herrlichkeit deiner Väter bis hinauf zu den cheruskischen Wäldern! Diese Moderluft, dieser Feudal« schlämm, die wir hier in klassischer Unverfälschtheit wiederfinden, sind unseres Vaterlandes ureigenste Produkte, und wer ein echter Deutscher ist, der muß mit dem Dichter ausrufen:
Das ist ja meine Heimatluft! Die glühende Wange empfand es! Und dieser Landstraßenkot, er ist Der Dreck meines Vaterlandes ![233^
Wenn man diesen Gesetzentwurf überliest, so scheint es auf den ersten Blick, als tue unser Minister des Ackerbaues, Herr Gierke, auf Befehl Herrn Hansemanns einen gewaltig „kühnen Griff "[234], als hebe er mit einem Federzug ein ganzes Mittelalter auf, und alles gratis, versteht sich! Wenn man dagegen die Motive, zum Entwurf ansieht, so findet man, daß sie gleich damit anfangen, zu beweisen, daß eigentlich gar keine Feudallasten unentgeltlich aufgehoben werden dürfen - also mit einer kühnen Behauptung, welche dem „kühnen Griff" direkt widerspricht. Zwischen diesen beiden Kühnheiten laviert nun die praktische Schüchternheit des Herrn Ministers behutsam und vorsorglich durch. Links „die allgemeine Wohlfahrt" und die „Anforderungen des Zeitgeistes", rechts die „wohlerworbenen Rechte der Gutsherrschaften", in der Mitte der „preiswürdige Gedanke der freieren Entwickelung der ländlichen Verhältnisse", verkörpert in der schamhaften Verlegenheit des Herrn Gierke - welche Gruppe! Genug. Herr Gierke erkennt vollständig an, daß die Feudallasten im allgemeinen nur gegen Entschädigung aufgehoben werden dürfen. Damit bleiben die drückendsten, die verbreitetsten, die hauptsächlichsten Lasten bestehen, oder, da sie tatsächlich durch die Bauern schon abgeschafft waren, werden sie wiederhergestellt. Aber, meint Herr Gierke,
„wenn dennoch einzelne Verhältnisse, deren innere Begründung mangelhaft oder deren Fortdauer mit den Anforderungen des Zeitgeistes und der allgemeinen Wohlfahrt nicht vereinbar ist, ohne Entschädigung aufgehoben werden, so mögen die dadurch Betroffenen nicht verkennen, daß sie nicht allein dem allgemeinen Besten, sondern auch ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse einige Opfer bringen, um das Verhältnis der Berechtigten und Verpflichteten zu einem friedlichen und freundlichen zu gestalten und dadurch dem Grundbesitz überhaupt die Stellung im Staate zu bewahren, die ihm zum Heile des Ganzen gebührt". Die Revolution auf dem Lande bestand in der tatsächlichen Beseitigung aller Feudallasten. Das Ministerium der Tat, das die Revolution anerkennt, erkennt sie auf dem Lande dadurch an, daß es sie unter der Hand vernichtet. Den ganzen alten Status quo zurückzuführen, ist unmöglich; die Bauern würden ihre Feudalbarone ohne weiteres totschlagen, das sieht selbst Herr Gierke ein. Man hebt also eine pomphafte Liste von unbedeutenden, nur hie und da existierenden Feudallasten auf und stellt die Hauptfeudallast, die sich in dem einfachen Wort Frondienste zusammenfaßt, wieder her. Der Adel opfert durch sämtliche aufzuhebende Rechte nicht 50000 Taler jährlich und rettet dadurch mehrere Millionen. Ja, wie der Minister hofft,
wird er sich dadurch die Bauern versöhnen und in Zukunft sogar ihre Stimmen bei den Kammerwahlen erwerben. In der Tat, das Geschäft wäre gut, wenn Herr Gierke sich nicht verrechnete! Die Einwände der Bauern wären damit beseitigt, des Adels, soweit er seine Situation richtig erkennt, ebenfalls. Bleibt noch die Kammer, die Bedenken der juristischen und radikalen Konsequenzmacherei. Der Unterschied zwischen den aufzuhebenden und nicht aufzuhebenden Lasten, der kein anderer ist als der zwischen ziemlich wertlosen und sehr wertvollen Lasten, muß um der Kammer willen eine scheinbare juristische und ökonomische Begründung erhalten. Herr Gierke muß nachweisen, daß die aufzuhebenden Lasten 1. eine mangelhafte innere Begründung haben, 2. der allgemeinen Wohlfahrt, 3. den Anforderungen des Zeitgeistes widersprechen und 4. ihre Aufhebung im Grunde keine Verletzung des Eigentumsrechts, keine Expropriation ohne Entschädigung ist. Um die mangelhafte Begründung dieser Abgaben und Leistungen zu beweisen, vertieft sich Herr Gierke in die düstersten Regionen des Lehnrechts. Die ganze, „ursprünglich sehr langsame Entwicklung der germanischen Staaten seit einem tausendjährigen Zeitraum" wird von Herrn Gierke heraufbeschworen. Aber was hilft das Herrn Gierke? Je tiefer er geht, je mehr er den stockigen Schlamm des Lehnrechts aufrührt, desto mehr beweist ihm das Lehnrecht nicht die mangelhafte, sondern die vom feudalen Standpunkt aus sehr solide Begründung der fraglichen Lasten; und der unglückliche Minister setzt sich nur der allgemeinen Heiterkeit aus, wenn er sich abarbeitet, das Lehnrecht modern-zivilrechtliche Orakelsprüche ausstoßen, den Feudalbaron des 12. Jahrhunderts ebenso denken und urteilen zu lassen wie den Bourgeois des neunzehnten. Herr Gierke hat glücklicherweise den Grundsatz des Herrn v. Patow geerbt: alles was Ausfluß der Lehnsherrlichkeit und Erbuntertänigkeit sei, unentgeltlich aufzuheben, alles andere aber nur ablösbar zu lassen.1 Aber glaubt Herr Gierke, es gehöre ein größerer Aufwand von Scharfsinn dazu, um ihm nachzuweisen, daß die aufzuhebenden Lasten durchschnittlich ebenfalls „Ausflüsse der Lehnsherrlichkeit" seien? Wir brauchen wohl nicht hinzuzufügen, daß Herr Gierke im Interesse der Konsequenz überall moderne Rechtsbegriffe zwischen die feudalen Rechtsbestimmungen einschmuggelt und im höchsten Notfall immer an sie appelliert. Mißt Herr Gierke aber einige dieser Lasten an den Vorstellungen des modernen Rechts, so ist nicht einzusehn, warum dies nicht bei allen ge
schieht. Aber freilich, da würden die Frondienste vor der Freiheit der Person und des Eigentums schlimm wegkommen. Noch schlimmer aber geht es Herrn Gierke mit seinen Unterscheidungen, wenn er das Argument der öffentlichen Wohlfahrt und der Anforderungen des Zeitgeistes anführt. Es versteht sich doch wohl von selbst: Wenn diese unbedeutenden Lasten der öffentlichen Wohlfahrt im Wege sind und den Anforderungen des Zeitgeistes widersprechen, so tun es die Frondienste, Roboten, Laudemien usw. noch viel mehr. Oder findet Herr Gierke das Recht, die Gänse der Bauern zu rupfen (§ 1, Nr. 14) unzeitgemäß, das Recht aber, die Bauern selbst zu rupfen, zeitgemäß? Folgt die Beweisführung, die betreffende Aufhebung verletze kein Eigentumsrecht. Der Beweis dieser schreienden Unwahrheit kann natürlich nur scheinbar, und zwar nur dadurch geführt werden, daß man der Ritterschaft vorrechnet, diese Rechte seien wertlos für sie, und diese Wertlosigkeit kann natürlich nur annähernd bewiesen werden. Herr Gierke rechnet nun mit der größten Emsigkeit alle 18 Abteilungen des ersten Paragraphen durch und merkt nicht, daß in demselben Maße, als es ihm gelingt, die Wertlosigkeit der fraglichen Lasten zu beweisen, er auch die Wertlosigkeit seines Gesetzentwurfs nachweist. Guter Herr Gierke! Wie hart es uns ankommt, ihn aus seiner süßen Täuschung zu reißen und ihm seine archimedisch-feudalistischen Zirkel zu zertreten! Nun aber noch eine Schwierigkeit! Bei den früheren Ablösungen der jetzt aufzuhebenden Lasten, wie bei allen Ablösungen, sind die Bauern von den bestochenen Kommissionen fürchterlich zugunsten des Adels übervorteilt worden. Sie verlangen jetzt Revision aller unter der alten Regierung abgeschlossenen Ablösungsverträge, und sie haben vollkommen recht! Aber Herr Gierke kann sich auf nichts einlassen. Dem „steht das formelle Recht und Gesetz entgegen", was überhaupt jedem Fortschritt entgegensteht, da jedes neue Gesetz ein altes formelles Recht und Gesetz aufhebt. „Die Folgen davon sind mit Sicherheit dahin vorauszusagen, daß man, um den Verpflichteten Vorteile auf einem den Rechtsgrundsätzen aller Zeiten widersprechenden Wege" (Revolutionen widersprechen auch den Rechtsgrundsätzen aller Zeiten) „zu verschaffen, über einen sehr großen Teil des Grundbesitzes im Staate, mithin (!) über den Staat selbst unberechenbares Unheil bringen mußte!" Und nun beweist Herr Gierke mit erschütternder Gründlichkeit, daß solch ein Verfahren „den ganzen Rechtszustand des Grundbesitzes in Frage stellen und erschüttern und dadurch in Verbindung mit zahllosen Prozessen und Kosten1 dem Grundbesitz, der
1 Im stenogr. Bericht: unermeßlichen Kosten und zahllosen Prozessen
Hauptgrundlage des Nationalwohlstandes, eine schwer heilbare Wunde schlagen werde"; daß es „ein Engriff in die Rechtsgrundsätze über die Gültigkeit der Verträge sei, ein Angriff auf die unzweifelhaftesten Vertragsverhältnisse, welcher in seinen Konsequenzen jedes Vertrauen auf die Stabilität des Zivilrechts erschüttern und somit den ganzen Geschäftsverkehr auf die bedrohlichste Weise gefährden müsse"!!! Hier also sieht Herr Gierke einen Eingriff ins Eigentumsrecht, der alle Rechtsgrundsätze erschüttern würde. Und warum ist die unentgeltliche Aufhebung der fraglichen Lasten kein Eingriff? Hier liegen nicht bloß unzweifelhafteste Vertragsverhältnisse, hier liegt eine seit unvordenklicher Zeit unverweigerlich ausgeführte, unangefochtene Berechtigung vor, während bei dem Verlangen der Revision die fraglichen Verträge keineswegs unangefochten sind, da die Bestechungen und Ubervorteilungen notorisch und in vielen Fällen erweisbar sind. Wir können es nicht leugnen: So unbedeutend die aufgehobenen Lasten sind, Herr Gierke verschafft durch ihre Aufhebung „den Verpflichteten Vorteile auf einem den Rechtsgrundsätzen aller Zeiten widersprechenden Wege", dem „das formelle Recht und Gesetz direkt entgegensteht"; er „zerrüttet den ganzen Rechtszustand des Grundbesitzes", er greift die „unzweifelhaftesten" Rechte in ihrer Wurzel an. In der Tat, Herr Gierke, so schwere Sünden begehen, um so pauvre1 Resultate zu erreichen, war das der Mühe wert? Allerdings, Herr Gierte greift das Eigentum, an - das ist unleugbar -, aber nicht das moderne, bürgerliche Eigentum, sondern das feudale. Das bürgerliche Eigentum, das sich auf den Ruinen des feudalen erhebt, stärkt er durch diese Zerstörungen des feudalen Eigentums. Und er will bloß deshalb die Ablösungsverträge nicht revidieren, weil durch diese Verträge die feudalen Eigentumsverhältnisse in bürgerliche verwandelt worden sind, weil er sie also nicht revidieren kann, ohne zugleich formell das bürgerliche Eigentum zu verletzen. Und das bürgerliche Eigentum ist natürlich ebenso heilig und unverletzlich, wie das feudale angreifbar und, je nach Bedürfnis und Courage der Herren Minister, verletzlich ist. Was ist nun des langen Gesetzes kurzer Sinn? Der schlagendste Beweis, daß die deutsche Revolution von 1848 nur die Parodie der französischen Revolution von 1789 ist. Am 4. August 1789[78], drei Wochen nach dem Bastillensturm, wurde das französische Volk auf einen Tag mit den Feudallasten fertig. Am 11.Juli !848[231], vier Monate nach den Märzbarrikaden, werden die Feudallasten mit dem deutschen Volk fertig, teste Gierke cum Hansemanno3. 1 ärmliche - 2 bezeugt durch Gierke und Hansemann
Die französische Bourgeoisie von 1789 ließ ihre Bundesgenossen, die Bauern, keinen Augenblick im Stich. Sie wußte, die Grundlage ihrer Herrschaft war Zertrümmerung des Feudalismus auf dem Lande, Herstellung der freien, grundbesitzenden Bauernklasse. Die deutsche Bourgeoisie von 1848 verrät ohne allen Anstand diese Bauern, die ihre natürlichsten Bundesgenossen, die Fleisch von ihrem Fleisch sind, und ohne die sie machtlos ist gegenüber dem Adel. Die Fortdauer, die Sanktion der Feudalrechte in der Form der (illusorischen) Ablösung, das ist also das Resultat der deutschen Revolution von 1848. Das ist die wenige Wolle von dem vielen Geschrei!
Geschrieben von Karl Marx.

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