KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 13

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 13
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
0
DIETZ VERLAG BERLIN
1961
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 13
0
DIETZ VERLAG BERLIN
1961
Die deutsche Ausgabe fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten Ausgabe in russischer Sprache
Vorwort
Der dreizehnte Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält Schriften, die in der Zeit von Januar 1859 bis Februar 1860 entstanden sind. Das Jahr 1859 leitete eine Belebung der proletarischen und demokratischen Bewegung sowie eine Verstärkung des nationalen Befreiungskampfes der unterdrückten Völker ein. In den europäischen Ländern zeigten sich Ansätze eines revolutionären Aufschwungs. Die lange Periode der politischen Reaktion, die nach der Niederlage der Revolution von 1848/49 eingetreten war, ging zu Ende. Der Arbeiterklasse eröffneten sich neue revolutionäre Perspektiven. Wie Marx und Engels vorausgesehen hatten, gab den Anstoß zur allgemeinen politischen Belebung die Wirtschaftskrise von 1857/1858, die erste Weltwirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus, hervorgerufen durch die tiefen Widersprüche, die diesem Gesellschaftssystem innewohnen. Die Folgen der Krise waren 1859 noch in vollem Maße wirksam. In ihrem theoretischen und praktischen revolutionären Wirken in dieser Zeit widmen sich Marx und Engels der Vorbereitung des Weltproletariats auf die neuen Klassenkämpfe unter den Bedingungen des beginnenden revolutionären Aufschwungs. Marx beschäftigt sich weiterhin in erster Linie mit Fragen der politischen Ökonomie und Engels mit Militärwissenschaften, Geschichte und Linguistik. Besonders intensiv gestalten Marx und Engels ihre publizistische Tätigkeit. Sie veröffentlichen in der Presse systematisch Artikel über ökonomische, politische und militärische Themen und setzen auch ihre 1857 begonnene Mitarbeit an der „New American Cyclopaedia" fort. Bei der Ausarbeitung der revolutionären Theorie des Proletariats lenken Marx und Engels in dieser Periode ihr besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der ökonomischen Lehre. Marx richtet seine Hauptanstrengungen
auf die Schaffung der proletarischen politischen Ökonomie, nachdem er bereits in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre gemeinsam mit Engels das theoretische Fundament des wissenschaftlichen Kommunismus gelegt, die Grundsätze des dialektischen und historischen Materialismus ausgearbeitet und die politischen Hauptideen des Marxismus sowie eine Reihe von Ausgangsthesen der proletarischen politischen Ökonomie formuliert hatte. Ausgehend von der Feststellung, daß die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß der Gesellschaft bedingt, untersucht Marx die Entwicklungsgesetze der Produktionsweisen, vor allem die ökonomischen Bewegungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft, und enthüllt die Widersprüche des Kapitalismus, deren Entfaltung unvermeidlich zur sozialistischen Revolution führt. Viele Jahre lang erforscht er gründlich die wichtigsten Probleme der politischen Ökonomie des Kapitalismus, studiert an Hand zahlreicher Quellen und Materialien die ökonomische Wirklichkeit der kapitalistischen Gesellschaft sowie verschiedene Zweige der Gesellschafts- und Naturwissenschaften (Geschichte der Technik, Agrochemie, Mathematik u.a.), deren Ergebnisse er benutzt, um eine Reihe ökonomischer Fragen umfassender zu klären. Nach Abschluß dieser Riesenarbeit beginnt Marx 1857 mit der unmittelbaren Abfassung eines umfangreichen Werkes über politische Ökonomie. Der Rohentwurf des ersten Teils dieses Werkes ist uns erhalten in Gestalt der ökonomischen Manuskripte von 1857/1858. Diese Manuskripte enthalten eine Reihe Schlußfolgerungen aus Marx' jahrelangen Untersuchungen auf dem Gebiet der politischen Ökonomie sowie einige wichtige Thesen, die er später in seinem ökonomischen Hauptwerk „Das Kapital" weiter ausführt. Die Manuskripte von 1857/1858 zeigen, daß Marx in diesen Jahren die Grundlagen der Mehrwerttheorie, des Eckpfeilers der marxistischen politischen Ökonomie, im wesentlichen ausgearbeitet hat. Die ökonomischen Manuskripte von 1857/1858 bildeten zum Teil das Ausgangsmaterial, das Marx bei der Abfassung des geplanten umfangreichen ökonomischen Werkes überarbeiten, ergänzen und verwerten wollte. Marx hatte die Absicht, dieses Werk in einer zwanglosen Folge von Heften erscheinen zu lassen. Das erste Heft war im Januar 1859 fertiggestellt und erschien unter dem Titel „Zur Kritik der Politischen Ökonomie". Mit der Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie", einem hervorragenden ökonomischen Werk des Marxismus, wird der vorliegende Band eröffnet. Die Schrift widerspiegelt eine wichtige Etappe in der Herausbildung der ökonomischen Lehre von Marx, in seiner Erforschung der
kapitalistischen Produktionsweise und in seiner Kritik an der bürgerlichen politischen Ökonomie. Sie gehört zu den Werken, mit denen Marx, wie W. I. Lenin bemerkte, die politische Ökonomie revolutioniert hat. Dieses Werk von Marx legt überzeugend die zutiefst wissenschaftliche Auffassung der gesellschaftlichen Verhältnisse dar, analysiert das Wesen der Ware und der warenproduzierenden Arbeit, entwickelt die Werttheorie und untersucht den Ursprung, das Wesen und die Funktionen des Geldes. Großen Raum nimmt dabei eine kritische Analyse der verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Theorien über die Ware, den Wert, das Geld und die Geldzirkulation ein. Mit dieser Schrift legte Marx den Grundstein für die wissenschaftliche Erklärung des Wesens der kapitalistischen Ausbeutung. Der Arbeit „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" ist das berühmt gewordene Vorwort vorangestellt, das von großem theoretischen Interesse ist und eine selbständige wissenschaftliche Bedeutung hat. Dieses Vorwort enthält die geniale Charakteristik des Wesens der von Marx entdeckten, einzig wissenschaftlichen materialistischen Geschichtsauffassung, die klassische Definition des historischen Materialismus. Marx gibt darin, wie W. I. Lenin sagt, „eine abgeschlossene Formulierung der Grundsätze des Materialismus, ausgedehnt auf die menschliche Gesellschaft und ihre Geschichte" (W.I. Lenin, Werke, Band 21, Berlin 1960, S. 43). Aus den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens hebt Marx den ökonomischen Bereich und aus allen gesellschaftlichen Verhältnissen die Produktionsverhältnisse als die grundlegenden, alle übrigen Verhältnisse bestimmenden hervor. Dabei betont er, daß die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse die reale Basis der Gesellschaft bildet, worauf sich ein juristischer und politischer Uberbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Marx wies damit den einzig richtigen Weg zur wissenschaftlichen Erforschung des Ursprungs, der Entwicklung und des Untergangs der ökonomischen Gesellschaftsformationen, zum Studium der Geschichte der menschlichen Gesellschaft „als eines einheitlichen, in all seiner gewaltigen Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit gesetzmäßigen Prozesses" (W. I. Lenin, Werke, Band 21, Berlin 1960, S. 46). In diesem Vorwort formuliert Marx das Gesetz der Übereinstimmung zwischen den Produktionsverhältnissen und dem Charakter der Produktivkräfte sowie die überaus wichtige marxistische These, daß die in einem bestimmten Entwicklungsstadium der Klassengesellschaft entstehenden Widersprüche zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhält
nissen die Hauptursache sozialer Revolutionen, der revolutionären Umwandlung einer ökonomischen Gesellschaftsformation in die andere, fortschrittlichere, sind. „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein." (Siehe vorl. Band, S. 9.) Marx zeigt, wie sich der dialektische Prozeß der Wechselwirkung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen in der kapitalistischen Gesellschaft äußert, und weist dabei nach, daß diese Gesellschaftsordnung unvermeidlich untergehen muß, daß die bürgerlichen Produktionsverhältnisse zugleich die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses sind und daß die künftige sozialistische Gesellschaftsordnung von den antagonistischen Widersprüchen der Klassengesellschaft frei sein wird. Bei der Untersuchung der in seinem Buch behandelten ökonomischen Probleme, im besonderen bei der Analyse der Ware, der Arbeit, des Wertes und des Geldes, wendet Marx die Methode der materialistischen Dialektik an. Er deckt den Widerspruch zwischen dem Gebrauchswert und dem Wert der Ware auf und zeigt, daß die Entfaltung dieses Widerspruchs, seine Erweiterung auf das Verhältnis zwischen Ware und Geld einen naturgeschichtlichen Prozeß darstellt. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Ökonomen, nach deren Auffassung Ware und Wert ewige Naturkategorien sind, beweist Marx ihren historisch vergänglichen Charakter. Bei der Analyse der Ware zeigt er, daß das Produkt nur unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen die Form einer Ware annimmt, daß die Warenproduktion auf einer bestimmten historischen Stufe auftaucht und in ihrer Entwicklung von der einfachen Warenproduktion bis zur kapitalistischen Warenproduktion verschiedene Stadien durchläuft. Marx sieht in der Ware den ökonomischen Kern der bürgerlichen Gesellschaft, die Keimzelle, in der bereits alle Widersprüche des Kapitalismus enthalten sind. Vom Doppelcharakter der Ware, die einen Gebrauchswert und einen Tauschwert hat, sprachen bereits die Ökonomen vor Marx. Aber Marx findet als erster, daß Gebrauchswert und Tauschwert der Ware eine widersprüchliche Einheit darstellen, die den real existierenden Widerspruch zwischen der privaten und der gesellschaftlichen Arbeit der Warenproduzenten widerspiegelt.
Bei der Analyse der Ware stellt Marx weiter fest, daß der in der Ware enthaltene Widerspruch durch den widersprüchlichen Charakter der für die Herstellung der Ware verausgabten Arbeit bedingt ist. Durch die gründliche Untersuchung der wertschaffenden Arbeit macht Marx eine wichtige Entdeckung: Er findet und beweist den Doppelcharakter der in der Ware vergegenständlichten Arbeit. Wie Marx selbst definiert, war diese Entdeckung der „Springpunkt" für die Erklärung einer ganzen Reihe komplizierter Probleme der politischen Ökonomie. Von der Analyse der Ware und der Arbeit ausgehend, entwickelt Marx seine Werttheorie weiter. Sahen die bürgerlichen Ökonomen, einschließlich Smith und Ricardo, im Austausch von Waren, im Austausch von Werten einen Austausch von Gegenständen, so findet Marx darin ein Verhältnis zwischen Menschen. Bei der Untersuchung des Wertes beschränkt sich Marx nicht wie die bürgerlichen Ökonomen auf die quantitative Seite der Frage, auf die Bestimmung der Wertgröße, sondern erklärt eingehend vor allem das Wesen des Werts, indem er ihn qualitativ als vergegenständlichte abstrakte Arbeit charakterisiert; er begründet theoretisch, daß die Wertgröße durch die gesellschaftlich notwendige Arbeit zu definieren ist. Auf Grund seiner Werttheorie kommt Marx zu der Erkenntnis, daß die zur Herstellung einer Ware verausgabte Arbeit unter den Bedingungen der Warenproduktion unvermeidlich Wertform annimmt. Gestützt auf seine Werttheorie, unterzieht Marx auch das Geld einer eingehenden Untersuchung. Als erster in der ökonomischen Wissenschaft erklärt er den Ursprung der Geldwertform und zeigt den organischen Zusammenhang zwischen Wert und Geld, indem er das Geld als das Ergebnis der historischen Entwicklung der Wertform ansieht. Er entdeckt die Natur des Geldes, erforscht seine ökonomische Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft, erklärt und bestimmt wissenschaftlich seine verschiedenen Funktionen sowie die Zirkulationsgesetze des Metall- und des Papiergeldes. Dabei zeigt Marx die Haltlosigkeit der verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Theorien über das Geld und die Geldzirkulation sowie den utopischen Charakter der Vorschläge, durch die Abschaffung des Geldes die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus aufzuheben, den Kapitalismus zu „verbessern". Die von Marx geschaffene, in sich geschlossene wissenschaftliche Werttheorie ist ein hervorragender Beitrag zur Entwicklung der proletarischen politischen Ökonomie. Auf der Grundlage seiner Werttheorie entwickelt Marx später im „Kapital" eingehend und allseitig die Theorie über den Mehrwert.
Nach dem Erscheinen des Buches „Zur Kritik der Politischen Ökonomie", des ersten Heftes des geplanten ökonomischen Werkes, will Marx sofort das zweite Heft mit einer Darlegung der Probleme des Kapitals veröffentlichen. Im Laufe der weiteren ökonomischen Forschungen ändert Marx jedoch den ursprünglichen Plan seines Werkes und hält eine Zeitlang mit der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse zurück, da er erneut eine Reihe von Fragen studiert, die er für noch nicht genügend geklärt hält. Der neue Plan von Marx findet seine Verwirklichung im „Kapital", dessen erster Band 1867 erscheint. Marx sieht im ersten Band des „Kapitals" in gewissem Sinne die Fortsetzung der Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie". Trotzdem hält er es für notwendig, ihren Hauptinhalt im ersten Abschnitt des ersten Bandes des „Kapitals" zu resümieren. Marx tut das nicht nur des Zusammenhangs und der Vollständigkeit wegen, sondern auch deshalb, weil die einzelnen Thesen seiner Waren-, Wert- und Geldtheorie, die in der „Kritik" nur angedeutet sind, im „Kapital" weiter entwickelt werden (z.B. die Analyse der Wertsubstanz und der Wertformen, die These vom Warenfetischismus usw.), während einige in der „Kritik" ausführlich entwickelte Punkte im „Kapital" nur angedeutet werden, wie Marx im Vorwort zum ersten Band selbst bemerkt. Deshalb hat seine Arbeit „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" mit dem Erscheinen des „Kapitals" keineswegs ihre selbständige wissenschaftliche Bedeutung verloren und steht mit Recht unter den klassischen Werken des Marxismus an hervorragender Stelle. Besonders wertvoll sind die Exkurse in das Gebiet der Geschichte der Warenanalyse, der Werttheorien und der Zirkulationsmitteltheorien. Marx' Buch war und bleibt die beste Monographie der ökonomischen Weltliteratur über das Geld im Kapitalismus. Einen großen Teil des Bandes füllen die in dieser Zeit verfaßten publizistischen Arbeiten von Marx und Engels. Dabei handelt es sich um Artikel, die in der damals fortschrittlichen amerikanischen Zeitung „New-York Daily Tribüne", an der sie weiterhin mitarbeiteten, und in der Londoner deutschen Zeitung „Das Volk" erschienen sind, sowie um die beiden Broschüren „Po und Rhein" und „Savoyen, Nizza und der Rhein" von Engels. Die revolutionäre Publizistik bleibt auch in dieser Periode einer der wichtigsten Tätigkeitsbereiche der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus. Sie steht ganz im Zeichen der sich verschärfenden politischen Situation in Europa und der bevorstehenden neuen revolutionären Ereignisse. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Marx und Engels stehen, wie bereits ihre Anfang 1859 in der „New-York Daily Tribüne" veröffentlichten
Artikel zeigen, die wachsende nationale Befreiungsbewegung in Italien gegen die Unterdrückung durch das absolutistische Österreich und gegen die innere Reaktion, die die Uberwindung der politischen Zersplitterung und die nationale Einigung des Landes behinderten, die Verstärkung des Kampfes gegen den Bonapartismus innerhalb und außerhalb Frankreichs sowie die Konsolidierung der revolutionär-demokratischen Kräfte in den anderen Ländern. In diesen Erscheinungen sehen Marx und Engels Anzeichen eines neuen revolutionären Aufschwungs in Europa. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgen sie auch die Entwicklung der internationalen Konflikte, die eine neue Krise in den internationalen Beziehungen und einen neuen Krieg in sich bargen. Bei der Beurteilung der Ereignisse berücksichtigen Marx und Engels vor allem, daß die bürgerlichen Reformen nicht zu Ende geführt worden sind, daß das Proletariat in einer Reihe von Ländern mit den Resten des Feudalismus aufräumen und die Durchführung der 1848/49 nicht gelösten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution - in erster Linie die Einigung Deutschlands und Italiens - erzwingen muß, um einer siegreichen proletarischen Revolution den Weg zu ebnen. In dem Artikel „Die Frage der Einigung Italiens" zeigt Marx die klare Orientierung der proletarischen Revolutionäre auf die Herstellung der nationalen Einheit des italienischen Volkes durch die Entfaltung des revolutionären Kampfes der Massen. Marx schildert die Stimmungen und Aktionen des Volkes und hebt die fortschrittlichen bürgerlichen Elemente der nationalen italienischen Bewegung, die Anhänger der „nationalen Partei", hervor, die gegen die Politik der herrschenden Kreise auftreten, die ihrerseits die Situation für ihre dynastischen, volksfeindlichen Interessen, für eine Einigung Italiens unter der Hegemonie Piemonts auszunutzen versuchen. In der Inanspruchnahme ausländischer „Hilfe" durch diese Kreise, in ihrem Bündnis mit Louis Bonaparte, der eigennützige Ziele verfolgte, sieht Marx eine Gefahr für die nationale Befreiungsbewegung in Italien. Er äußert die Hoffnung, daß der Kampf des italienischen Volkes auch die Volksmassen anderer Länder zu revolutionären Aktionen anregen würde, daß „eine erfolgreiche Revolution in Italien das Signal für einen allgemeinen Kampf der unterdrückten Nationalitäten zur Befreiung von ihren Unterdrückern sein wird" (siehe vorl. Band, S. 166). In den Artikeln „Die Kriegsaussichten in Europa", „Die Geldpanik in Europa", „Die Position Louis-Napoleons", „Frieden oder Krieg", „Die Kriegsaussichten in Frankreich", „Die Unvermeidlichkeit des Krieges" und anderen enthüllen Marx und Engels das Bestreben der reaktionären
Mächte Europas, vor allem der herrschenden bonapartistischen Kreise Frankreichs, einen revolutionären Ausbruch durch die Entfesselung eines neuen „lokalen Krieges" abzuwenden. Marx und Engels warnen vor einem solchen Krieg, denn er würde „zunächst nach allen Seiten hin konterrevolutionär wirken" (Marx an Lassalle am 4. JKebruar 1859). Zugleich äußern sie die Vermutung, daß es der europäischen Reaktion nicht gelingen würde, den Krieg zu „lokalisieren", daß „ein Krieg, in irgendeinem Teil Europas begonnen, nicht dort enden wird, wo er begonnen hat" (siehe vorl. Band, S. 167). Marx und Engels sehen bei Kriegsausbruch die Aufgabe der proletarischen Revolution darin, mit allen Mitteln dazu beizutragen, daß sich die revolutionäre Bewegung der Völker breit entfaltet und der Krieg in einen revolutionären Krieg, der ganz Europa erfaßt, verwandeln wird. Obwohl der Krieg in aller Stille vorbereitet wurde, erkennen Marx und Engels viele Monate vor seinem Ausbruch die Unvermeidlichkeit des militärischen Konflikts zwischen Frankreich und Piemoht einerseits und Österreich andererseits. Sie entdecken den Lesern der „New-York Daily Tribüne" die wahren Ursachen, die Louis Bonaparte und seine Clique in ein neues Kriegsabenteuer treiben, sie zeigen die diplomatischen Machenschaften der Regierungen der europäischen Mächte zur Verschärfung des Konflikts und vermerken die Kriegsvorbereitungen der einander feindlich gegenüberstehenden Staaten. In einer Reihe von Artikeln - „Wie Österreich Italien in Schach hält", „Die Erfolgsaussichten des bevorstehenden Krieges" und anderen - untersucht Engels vom militärisch-strategischen Standpunkt die Besonderheiten des künftigen Kriegsschauplatzes, die Aussichten der kriegführenden Parteien und sagt allgemein den Charakter der bevorstehenden Kriegshandlungen voraus. Marx und Engels erkennen, daß die neue internationale Krise mit einem Aufschwung der proletarischen und demokratischen Bewegungen verbunden sein wird und halten es unter diesen Umständen für notwendig, ihre Ansichten breiter zu propagieren und die praktische revolutionäre Tätigkeit zu verstärken. Marx stellt eine engere Verbindung zu den Londoner Organisationen deutscher Arbeiter her und wohnt vielen öffentlichen Versammlungen bei. In der neuen Situation macht sich für Marx und Engels besonders nachteilig bemerkbar, daß die Möglichkeiten, ihre Ansichten zu publizieren und die öffentliche Meinung im Interesse des Proletariats zu beeinflussen, beschränkt sind. Die Mitarbeit an der „Tribüne" reicht offenkundig nicht aus. „Die Zeiten sind verändert", schreibt Marx an Lassalle am 28. März
1859, „und ich halte es jetzt für wesentlich, daß unsere Partei, wo sie kann, Position nimmt, sollte es auch einstweilen nur sein, damit nicht andre sich des Terrains bemächtigen." Marx und Engels suchen einen unmittelbaren Weg zu den Lesermassen des europäischen Kontinents. Im März 1859 stimmt Marx einer Mitarbeit an der Wiener bürgerlich-liberalen Zeitung „Die Presse" zu, aber nach Ausbruch des Krieges in Italien wagt es die Redaktion nicht, die Spalten ihrer Zeitung dem führenden Kopf des Proletariats zur Verfügung zu stellen, und die Verhandlungen bleiben erfolglos. Im April 1859 gelingt es Engels, in Deutschland anonym die Broschüre „Po und Rhein" herauszugeben, die die Stellung von Marx und Engels zur italienischen Krise und zum bevorstehenden Krieg darlegt und begründet. Die Schrift „Po und Rhein" ist ein Musterbeispiel marxistischer Untersuchung schwieriger internationaler Probleme. Die Broschüre ist für ein breites Publikum bestimmt, einschließlich des bürgerlichen Lesers; daher rückt Engels kriegsgeschichtliche und militärisch-strategische Gesichtspunkte in den Vordergrund. Trotzdem ist die ganze Broschüre von der Idee durchdrungen, daß der revolutionär-demokratische Weg der Einigung Italiens wie auch Deutschlands vom proletarischen Standpunkt, vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus aus verteidigt werden muß; sie beweist, daß die unter dem Vor wand der Verteidigung der nationalen Interessen betriebene reaktionäre Politik der herrschenden Klassen mit den wirklichen nationalen Interessen des italienischen und des deutschen Volkes unvereinbar ist. Engels' Broschüre entlarvt die Annexionsgelüste des bonapartistischen Frankreichs auf das linke Rheinufer, die sich auf die reaktionäre „Theorie der natürlichen Grenzen" stützten, die, wie Engels schreibt, stets zur Rechtfertigung einer aggressiven Politik dient. Eine entschiedene Abfuhr erteilt Engels den Vertretern austrophiler Kreise der deutschen Bourgeoisie, die die chauvinistische Idee der Bildung einer „mitteleuropäischen Großmacht" unter der Hegemonie Österreichs und der Unterordnung aller anderen Nationen Mitteleuropas unter die Deutschen predigten. Gleichzeitig zeigt Engels den konterrevolutionären Charakter der Pläne zur Schaffungeines „Kleindeutschlands" unter der Oberhoheit der preußischen Junker. Als begeisterter Anhänger der Befreiung der Lombardei und Venetiens vom österreichischen Joch beweist Engels überzeugend, daß ein unabhängiges Italien für Deutschland sowohl in politischer als auch in militärischer Hinsicht vorteilhaft wäre. „Statt also unsre Stärke im Besitz fremden Bodens zu suchen und in der Unter
drückung einer fremden Nationalität, der nur das Vorurteil die Zukunftsfähigkeit absprechen kann, werden wir besser tun, dafür zu sorgen, daß wir in unsrem eignen Haus eins und stark sind" (siehe vorl. Band, S. 253). Die Notwendigkeit, ein eigenes proletarisches Organ als offene Tribüne der Partei für die Propaganda revolutionärer Ideen sowie als Zentrum zur Sammlung und Organisierung der in den Jahren der Reaktion versprengten Kader der proletarischen Kämpfer zu schaffen, veranlaßt Marx, Anfang Mai 1859 eine Beratung mit seinen alten Kampfgefährten vom Bund der Kommunisten - Liebknecht, Pfänder, Lochrier und anderen - durchzuführen, bei der es zu einer ausführlichen Diskussion über die proletarische Partei und ihr Presseorgan kommt. Bald darauf stellt Marx zu der Zeitung „Das Volk", dem Organ des Deutschen Bildungsvereins für Arbeiter in London, einen engen Kontakt her. Er verspricht, inoffiziell an der Zeitung mitzuarbeiten, ihr seine in der „Tribüne" veröffentlichten Artikel zur Verfügung zu stellen, Ratschläge zu erteilen und sie materiell zu unterstützen. Marx hofft, „Das Volk" im entscheidenden Augenblick in ein Kampforgan der proletarischen Partei verwandeln zu können. In Nr. 6 der Zeitung vom 11. Juni 1859 gibt die Redaktion Marx und Engels offiziell als Mitarbeiter bekannt. Bald darauf wird Marx Redakteur der Zeitung und übernimmt faktisch ihre gesamte Leitung. Obwohl die Zeitun« mit der Nr. 16 20. Ai IQPUCl* Ift^Q wPCTPn lender Geldmittel ihr Erscheinen einstellen mußte, hat „Das Volk" unter der Redaktion von Marx die Aufgabe, die Ziele der proletarischen Bewegung und die theoretischen und taktischen Prinzipien der proletarischen Revolutionäre zu verkünden, in Ehren erfüllt. In den Spalten der Zeitung propagierten Marx und Engels die Hauptthesen der revolutionären Theorie, Im „Volk" erschien das oben erwähnte Vorwort von Marx zu seiner Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie". Im August 1859 veröffentlichte Engels in zwei Nummern der Zeitung die in den vorliegenden Band aufgenommene Rezension über Marx' Buch „Zur Kritik der Politischen Ökonomie". In dieser Rezension kennzeichnet Engels das Wesen der revolutionären Umwälzung, die Marx mit seinen Entdeckungen im Bereich der Gesellschaftswissenschaften vollbracht hat, indem er die große Bedeutung dieser Entdeckungen nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Praxis, für die revolutionäre Bewegung zeigt. Engels charakterisiert glänzend die Beschränktheit der bürgerlichen politischen Ökonomie, vor allem die Rückständigkeit der bürgerlichen Nationalökonomie in Deutschland, und stellt den vulgären ökonomischen Theorien die wirklich wissenschaftliche politische Ökonomie des Proletariats gegenüber. Im zweiten Teil
seiner Rezension erläutert Engels die wesentlichen Merkmale der von Marx erarbeiteten Methode der materialistischen Dialektik. „Das Volk" nahm Stellung zu den Klassenkämpfen des Proletariats und verteidigte die Interessen der Arbeiter. Besonders eingehend beschäftigte es sich mit dem Verlauf des berühmt gewordenen Streiks der Londoner Bauarbeiter, der im Juli 1859 begonnen hatte. In dem im „Volk" veröffentlichten Artikel „Politische Rundschau" vertritt Marx die revolutionäre Auffassung des Streiks als einer gesetzmäßigen und wichtigen Form des Klassenkampfes des Proletariats. Marx zeigt, daß der Versuch der englischen Bourgeoisie, die Arbeiter mit Gewalt zum Verzicht auf den organisierten Kampf zu zwingen, „die ohnedies breite Kluft zwischen Arbeit und Kapital" noch erweitert Und den Klassenhaß, der „die sicherste Bürgschaft für eine gesellschaftliche Umwälzung" ist, weiter verstärkt. (Siehe vorl. Band, S. 488.) Im „Volk" konnten Marx und Engels ihre revolutionären Ansichten freier aussprechen als in der „Tribüne", wo dies durch die bürgerliche Ausrichtung der Zeitung verhindert wurde. Sie benutzten „Das Volk" zur offenen Darlegung der Grundsätze der proletarischen Taktik in Verbindung mit den wichtigsten Ereignissen der Außen- und Innenpolitik der europäischen Staaten, zur schonungslosen Entlarvung der Reaktion und zum Kampf gegen die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Gegner des Proletariats auf ideologischem Gebiet. So zeigen zum Beispiel die in die Beilagen des Bandes aufgenommenen „Gatherings from the Press", wie beißend „Das Volk" die vom Geiste des Philistertums und des Nationalismus durchdrungenen Artikel verspottete, die von den deutschen kleinbürgerlichen Demokraten - Gottfried Kinkel und anderen - in ihrem Londoner Organ „Hermann" veröffentlicht wurden. Die Hauptaufgabe ihrer Artikel im „Volk" sowie in der „New-York Daily Tribüne" sahen Marx und Engels in der Darlegung der revolutionären proletarischen Taktik in Hinblick auf den Krieg, der Ende April 1859 in Italien begonnen hatte. Die Beurteilung dieses Krieges, die Erklärung seiner Ursachen, die Untersuchung seines Verlaufs und seiner Folgen machen den Inhalt vieler ihrer publizistischen Arbeiten in dieser Zeit aus. Marx und Engels entwickeln ihre bereits zu Beginn der italienischen Krise, noch vor Eröffnung der Kriegshandlungen ausgesprochenen Ansichten weiter und betrachten den Krieg Frankreichs und Piemonts gegen Österreich als Fortsetzung der volksfeindlichen Politik der bonapartistischen Kreise. Dieser Krieg, betonen sie, war von dem Bestreben Louis
Napoleons und seiner Clique diktiert, das bonapartistische Regime in Frankreich vermittels relativ leichter Siege über den „äußeren Feind" zu festigen, durch demagogische Spekulation mit den Losungen „Befreiung Italiens von der österreichischen Herrschaft" und „Herstellung der Nationalitäten" Popularität zu erhaschen, unter diesen Losungen das französische Territorium auf Kosten Italiens und anderer Staaten abzurunden und die politische Hegemonie Frankreichs in Europa zu festigen. Marx und Engels reißen Louis-Napoleon die heuchlerische Maske des „Befreiers Italiens" herunter und decken seine konterrevolutionären Pläne in bezug auf die italienische Bewegung auf. Sie heben hervor, daß das bonapartistische Frankreich neben Österreich der ärgste Feind der Unabhängigkeit und Einheit Italiens war. Der von Napoleon III. entfesselte Krieg bedeutete eine getarnte Intervention gegen die revolutionäre Volksbewegung für die Einigung Italiens. In dem Artikel „Louis-Napoleon und Italien" vergleicht Marx diesen Krieg mit der französischen Intervention, die 1849 von der Zweiten Republik zur Wiedereinsetzung des römischen Papstes unternommen worden war. Für Louis-Napoleon, schreibt Marx, „war der Krieg nur eine weitere französische Expedition nach Rom - natürlich in jeder Beziehung in größerem Maßstab, aber in den Ursachen und Ergebnissen jenem .republikanischen' Unternehmen ähnlich" (siehe vorl. Band, S. 482). Das wirkliche Ziel Napoleons IIL war die Auf rechter haltung der Zersplitterung Italiens und der konterrevolutionären Regierungen in den italienischen Staaten. Sämtliche Artikel von Marx und Engels sind von heißer Sympathie für den Kampf des italienischen Volkes gegen die Fremdherrschaft durchdrungen. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus heben hervor, daß es in Italien Kräfte gibt, die trotz der bonapartistischen Machenschaften und der konterrevolutionär-dynastischen Bestrebungen der piemontesischen Monarchisten in der Lage sind, das Land auf revolutionärdemokratischem Wege zu vereinigen. Marx billigt das Manifest des italienischen Revolutionärs Mazzini, das die demagogischen Manöver LouisNapoleons entlarvte, und veröffentlicht eine Übersetzung des Manifests in der „New-York Daily Tribüne". (Siehe vorl. Band, S. 365-371.) In den gegen die Österreicher gerichteten Aktionen der von dem hervorragenden italienischen Patrioten Garibaldi geführten Freischärler sehen Marx und Engels ein Musterbeispiel des Volkswiderstandes gegen die Fremdherrschaft und des wirklichen Befreiungskrieges. Garibaldi, schreibt Engels, scheint „nicht vor jenem kühnen Draufgängertum zurückzuschrecken, vor dem Napoleon III. seine Soldaten warnt" (siehe vorl. Band, S. 372). In
dem Artikel „Die Strategie des Krieges" schätzt Engels Garibaldi als revolutionären Heerführer hoch ein. In den Artikeln „Der Krieg", „Endlich eine Schlacht", „Der Verlauf des Krieges", „Die Kriegsereignisse", „Die Schlacht von Magenta", „Die Schlacht bei Solferino", „Der italienische Krieg. Rückschau" und anderen untersucht Engels die Kriegsereignisse vom militärischen Standpunkt. Neben den anderen im Band enthaltenen kriegsgeschichtlichen Abhandlungen von Engels sind diese Artikel ein wichtiger Beitrag zur Kriegswissenschaft. Engels zeigt sich in ihnen als bedeutender Militärfachmann. Er gibt eine allseitige Analyse des Feldzuges von 1859, geht oft auf die Geschichte der Kriegskunst ein und trifft tiefgründige militärtheoretische Verallgemeinerungen. Von großem Interesse ist insbesondere der Artikel „Der Feldzug in Italien", den Engels im „Volk" veröffentlicht hat. Hier untersucht er die Veränderungen in der Kriegführung, die seit den napoleonischen Kriegen infolge der Entwicklung der Fortifikation und der die Staatsgrenzen schützenden Systeme von befestigten Lagern und Festungsgruppen sowie der großen Vervollkommnung des Transportwesens durch Eisenbahnen und Dampferlinien eingetreten sind. An Hand dieses Beispiels zeigt Engels den Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Art der Kriegführung. Viel Raum in den militärischen Übersichten widmet Engels Problemen des Festungskrieges, der Wechselwirkung zwischen Festungen und Feldarmeen, den Besonderheiten des Gebirgskrieges usw. Engels unterzieht in seinen Artikeln die Leitung der Kampfhandlungen durch die Befehlshaber der beiden kriegführenden Armeen einer scharfen Kritik. Am Beispiel der österreichischen Armee und ihrer Führer zeigt er, wie die Organisation der Streitkräfte, ihre Strategie und Taktik von der sozialen und politischen Ordnung des betreffenden Landes abhängig sind. Engels hebt den durch die wirtschaftliche Rückständigkeit des Habsburgerreiches, durch die Erhaltung halbfeudaler Zustände bedingten Konservatismus des österreichischen Militärsystems hervor. Er würdigt die Tapferkeit der österreichischen Soldaten, geißelt jedoch die österreichischen Befehlshaber wegen ihrer groben Fehler und Mißgriffe und zeigt die traurigen Folgen der Einmischung der Hofkamarilla und des Kaisers Franz Joseph persönlich in den Verlauf der Kriegsoperationen. So schreibt Engels über den Protege der Kamarilla, den österreichischen Ober kommandierenden Gyulay, daß seine Truppen „die unbesiegbare Lebenskraft der Völker, er selbst den altersschwachen Idiotismus der Monarchie" demonstrierten. (Siehe vorl. Band, S. 390.)
II Marx/Engels, Werke, Bd. 13
Auch die Leistungen der französischen Befehlshaber beurteilt Engels in seinen Artikeln sehr negativ. Er stellt fest, daß es ihnen an großangelegten strategischen Plänen und an Initiative mangelte, daß sie die militärischen Vorteile, die sich aus den Fehlern des Gegners ergaben, nicht auszunutzen verstanden. Die Methoden der Kriegführung des bonapartistischen Frankreichs, schreibt Engels, entsprachen völlig der heuchlerischen, reaktionären politischen Strategie Napoleons III., seinen Bestrebungen zur „Lokalisierung des Krieges", zur Vermeidung ernster militärischer Konflikte und ihrer revolutionären Folgen. Die Enthüllungen über die Italienpolitik des Zweiten Kaiserreichs durch Marx und Engels in der „New-York Daily Tribüne" und besonders im „Volk" waren zugleich eine umfassende Entlarvungskampagne gegen das bonapartistische Regime überhaupt. Marx und Engels weckten in ihren Lesern einen tiefen Haß gegen die bonapartistische Diktatur der Großbourgeoisie, die sich des Polizeiterrors bediente, die soziale Demagogie weidlich ausnutzte und zwischen den Klassen hin- und herlavierte. Im bonapartistischen Frankreich sahen sie die gefährlichste konterrevolutionäre Macht, die die revolutionären und nationalen Befreiungsbewegungen im damaligen Europa unterdrückte. Marx und Engels betrachteten den Kampf gegien den Bonapartismus als die vorrangige Aufgabe der proletarischen Revolutionäre. Für besonders wichtig erachteten sie, den bonapartistischen Agenturen in den demokratischen Kreisen, vor allem in der deutschen Emigration, eine Abiuhr zu erteilen. Zu diesem Zeitpunkt beginnt Marx, sorgfältig die probonapartistischen Handlungen des deutschen Vulgärdemokraten Karl Vogt zu verfolgen und Materialien zur Entlarvung Vogts als eines bezahlten Agenten Napoleons III. zu sammeln. Auf der Grundlage dieses Materials verfaßt er 1860 seine Streitschrift „Herr Vogt" (siehe Band 14 unserer Ausgabe). In den Artikeln „Invasion!", „Die französische Abrüstung", „Die Invasionspanik in England" zeigt Marx, daß die von den Anführern des Zweiten Kaiserreichs betriebene Politik der Kriegsabenteuer immer neue Konflikte und Kriege erzeugt. In einer Reihe von Artikeln brandmarken Marx und Engels auch andere reaktionäre Mächte Europas, die Frankreich bei der Vorbereitung des Krieges in Italien und während,der Kriegshandlungen selbst diplomatisch unterstützten. Marx enthüllt vor allem den konterrevolutionären Charakter des Komplotts zwischen Louis-Napoleon und Palmerston, dem Vertreter der englischen bürgerlich-aristokratischen Oligarchie, der Napoleon III. bei seinem italienischen Abenteuer den Rücken freihielt» Demselben Zweck diente, wie Marx und Engels betonen,
das im März 1859 getroffene Abkommen zwischen dem bonapartistischen Frankreich und dem zaristischen Rußland. Marx und Engels verknüpften das italienische Problem eng mit der Frage der Einigung Deutschlands. Engels' Broschüre „Po und Rhein" und Marx' Artikel für das „Volk" und die „Tribüne" heben hervor, daß die österreichische Herrschaft in Norditalien ebenso wie die bonapartistische Vorherrschaft in Europa den Kampf des deutschen Volkes für die Herstellung eines einheitlichen deutschen Staates behinderten. Eine Niederlage des bonapartistischen Frankreichs im Kriege würde nach Auffassung von Marx und Engels den revolutionären Kräften in Italien und Frankreich wie auch in Deutschland den Weg frei machen, schließlich den Sturz der volksfeindlichen Regierungen in Europa herbeiführen und den nationalen Befreiungsbewegungen einschließlich des Kampfes der von den österreichischen Habsburgern geknechteten Völker Mitteleuropas neue Impulse verleihen. In Deutschland bekämen dadurch die Anhänger der Einigung des Landes auf revolutionär-demokratischem Wege durch die Beseitigung der reaktionären Monarchien in Osterreich und Preußen und die Bildung einer einigen demokratischen deutschen Republik das Übergewicht. Deshalb waren Marx und Engels für die Teilnahme der Staaten des Deutschen Bundes am Krieg gegen das bonapartistische Frankreich, verurteilten sie die Verfechter der „Neutralität". In einer Reihe von Artikeln des Bandes wendet sich Marx gegen die Haltung, die von den herrschenden Kreisen Preußens und den sie unterstützenden Vertretern der deutschen liberalen Bourgeoisie in bezug auf den Krieg eingenommen wurde. In den Artikeln „Eine preußische Meinung zum Krieg", „Spree und Mincio" und in der unvollendeten Artikelserie „Quid pro Quo" brandmarkt Marx die von Preußen proklamierte Neutralitätspolitik einer „Mediationsmacht" als direkte Unterstützung des Bonapartismus. Im Hintergrund der erbärmlichen und feigen Ausflüchte der herrschenden Kreise Preußens während des Krieges in Italien und ihrer Liebedienerei vor Louis-Napoleon und dem russischen Zaren standen, wie Marx schreibt, die Angst vor einem revolutionären Aufschwung in Deutschland im Falle einer Ausdehnung des Krieges und die Erwartung, daß Österreich als Nebenbuhler im Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland geschwächt würde. Während es durch allerlei Manöver einem Eintritt in den Krieg auswich, hoffte Preußen, „einstweilen die Hegemonie Deutschlands auf Diskont zu eskamotieren" (siehe vorl. Band, S. 455). Der Politik Preußens lag das Bestreben der preußischen Junker zugrunde, Deutschland unter ihrer Hegemonie zu vereinigen.
11 a Marx/Engels, Werke, Bd. 13
In dem höchst bedeutsamen Artikel „Die Erfurterei im Jahre 1859" zeigt Marx, daß die deutschen bürgerlichen Liberalen - die Vertreter der sogenannten Gothaer Partei, die bereits seit dem 1850 auf Initiative Preußens einberufenen Erfurter Parlament die Verpreußung Deutschlands anstrebten - als eifrige Verfechter dieses konterrevolutionären Planes auftraten. Die Position der deutschen liberalen Bourgeoisie kennzeichnet Marx als eindeutigen Beweis, daß sie allen revolutionären und demokratischen Traditionen abgeschworen und vor der Reaktion kapituliert hatte. Infolge der konterrevolutionären Haltung der Bourgeoisie treten als Testamentsvollstrecker der bürgerlichen Revolution die reaktionären Kräfte auf, die die Forderungen dieser Revolution - einschließlich der nationalen Vereinigung des Landes - in völlig entstellter Weise erfüllen. „Freilich wird dieses Programm der Revolution", schreibt Marx, „in den Händen der Reaktion zur Satire auf die bezüglichen revolutionären Bestrebungen" (siehe vorl. Band, S. 414). Marx und Engels verteidigen den revolutionär-demokratischen Weg der Einigung Deutschlands auch in der Polemik gegen die nationalistischen Auffassungen des „königlich-preußischen Sozialisten" Lassalle. In seiner Broschüre „Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens" rechtfertigte Lassalle im Gegensatz zu Marx und Engels die Neutralität Preußens; er war wie die preußenfreundliche liberale Bourgeoisie der Meinung, daß Deutschland von oben her unter der Führung Preußens zu einigen sei. In der Position Lassalles, die Marx und Engels verurteilten, zeigte sich der Unglaube an die revolutionär-demokratischen Kräfte Deutschlands. In seinem zu dieser Zeit geschriebenen Drama „Franz von Sickingen" suchte Lassalle historisch zu begründen, weshalb er die revolutionäre Rolle der Bauern- und Plebejermassen leugnet und zum Bündnis mit den Kreisen der Adelsmonarchie aufruft. (Siehe die Briefe Marx an Lassalle vom 19. April und Engels an Lassalle vom 18. Mai 1859.) Im Gegensatz zu Lassalle zeigen Marx und Engels den revolutionären Ausweg aus der italienischen Krise: Die Volksmassen Italiens und Deutschlands sollten den nationalen Befreiungskampf zur Abschüttelung des Feudalismus verstärken und die Völker Europas sich gegen den Bonapartismus und die ihn unterstützenden konterrevolutionären Mächte erheben. Dem von den bonapartistischen Kreisen entfesselten konterrevolutionären Krieg stellen sie die Idee eines revolutionären Befreiungskrieges gegen das bonapartistische Frankreich und das zaristische Rußland im Namen der Wiedervereinigung Deutschlands und Italiens und der Befreiung der unterdrückten Völker gegenüber. Marx und Engels verfolgten die Taktik, die Aufgaben
der bürgerlich-demokratischen Revolution mit den Kräften der zum Kampf bereiten Volksmassen konsequent-revolutionär zu lösen. Lenin schrieb, „daß es Marx bei kriegerischen Konflikten, die auf dem Boden des Aufstiegs der Bourgeoisie zur Macht in den einzelnen Nationen ausbrachen, ebenso wie im Jahre 1848 in erster Linie darauf ankam, daß sich die bürgerlich-demokratischen Bewegungen ausdehnten und verschärften, indem sich breitere und mehr .plebejische' Massen, das Kleinbürgertum im allgemeinen, die Bauernschaft im besonderen und schließlich die besitzlosen Klassen daran beteiligten. Gerade durch diese Marxsche Erwägung über die Verbreiterung der sozialen Basis der Bewegung und über ihre Entwicklung unterschied sich denn auch die konsequent demokratische Marxsche Taktik grundlegend von der inkonsequenten, zum Bündnis mit den Nationalliberalen tendierenden Taktik Lassalles" (W. I. Lenin, Werke, Band 21, Berlin 1960, S. 137). Marx' Artikel „Was hat Italien gewonnen?", „Der Friede", „Der Vertrag von Villafranca", „Louis-Napoleon und Italien" und andere sowie Engels' Broschüre „Savoyen, Nizza und der Rhein" fassen die Ergebnisse des Krieges in Italien zusammen. Die Friedenspräliminarien von Villafranca (deren Festlegungen später in Zürich im wesentlichen bestätigt wurden) haben, wie diese Artikel hervorheben, die dynastischen und annexionistischen Kriegsziele Louis-Napoleons, die nichts mit der Befreiung Italiens gemein hatten, völlig bloßgestellt. Davon zeugten die Ansprüche Napoleons III. auf Savoyen und Nizza und die darauffolgende Annexion dieser Provinzen, sein Bestreben, den römischen Papst, die Hauptstütze der Reaktion in Italien, an die Spitze einer geplanten italienischen Konföderation zu stellen, und schließlich die Versuche, die vom Volk gestürzten Herzöge von Toskana, Modena und Parma wieder einzusetzen. Wie Marx und Engels vorausgesehen hatten, endete der Krieg mit einem Ubereinkommen zwischen den reaktionären Regierungen Frankreichs und Österreichs auf Kosten Italiens. Erst später wurden dank der „Güte" Napoleons III. die herrschenden Kreise Piemonts zu den Verhandlungen zugelassen. Keine einzige Grundfrage der bürgerlichen Revolution wurde gelöst. Das einzige positive Ergebnis, stellen Marx und Engels fest, war die Selbstentlarvung Napoleons III., das endgültige Fiasko seines Bestrebens, als Verfechter der italienischen Unabhängigkeit und Einheit zu erscheinen. Die Eile, mit der Frieden geschlossen wurde, war gleichfalls Beweis für die innere Brüchigkeit des Zweiten Kaiserreichs, für die Unfähigkeit dieses Regimes, längere Zeit die Lasten eines Krieges zu ertragen, ohne die Gefahr revolutionärer Explosionen heraufzubeschwören.
Und obwohl es den italienischen Revolutionären 1859 nicht gelungen war, die, wie Lenin sagt, „bescheiden liberalen" in „stürmisch demokratische Bewegungen" zu verwandeln, begünstigten die Ereignisse dieses Jahres den Aufschwung des nationalen Befreiungskampfes in Italien im darauf folgenden Jahre. In der Broschüre -Savoven, Nizza und der Rhein" widerlegt Engels auf der Grundlage einer kriegsgeschichtlichen und linguistischen Untersuchung die territorialen Ansprüche des Zweiten Kaiserreichs. Ausgehend von den ungelösten Problemen der Einigung Italiens und Deutschlands*> erörtert Engels hier erneut die schon vor dem Kriege in Italien entstandene Verteilung der Kräfte auf internationaler Stufenleiter sowie in diesen beiden Ländern. Er beweist, daß die Orientierung der proletarischen Revolutionäre auf den Kampf der revolutionär-demokratischen Kräfte gegen die von dem bonapartistischen Frankreich und dem zaristischen Rußland geführten reaktionären monarchistischen Mächte auch nach dem Kriege der einzig richtige Weg zur konsequenten Lösung der Frage der Einigung Italiens und Deutschlands ist. Dabei berücksichtigt Engels auch die revolutionäre Situation in Rußland vor der Reform von 1861, wobei er diese als wichtigen Faktor des beginnenden revolutionären Aufschwungs in Europa einschätzt und die sich gegen den Zarismus erhebenden russischen T J^ Prnl^t-iri'üfc Uann'lßf J^ciucigcncu ais v ci uuuucic ucs cuiu(jaiSi.ii£ii i luiCuii idiä uvgrüul. Einen wichtigen Platz im Band nimmt auch die Charakteristik der wirtschaftlichen und politischen Lage Englands und der englischen Kolonialpolitik ein. In den Artikeln „Der Zustand in der britischen Fabrikindustrie", „Bevölkerung, Verbrechen und Pauperismus", „Britischer Handel", „Industrie und Handel" verfolgt Marx an Hand offizieller englischer Statistiken das Wirken der wichtigsten Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Wirtschaft - die verstärkte Konzentration der Produktion und den zyklischen Charakter ihrer Entwicklung. Bei der Untersuchung des laufenden britischen Imports und Exports bemerkt Marx eine Besonderheit in der Entwicklung der englischen Wirtschaft; sie besteht darin, daß „England auf dem Weltmarkt seine Funktion als Geldverleiher noch rascher entwickelt als seine Funktion als Fabrikant und Kaufmann" (siehe vorl. Band, S. 498). An einer Reihe von Beispielen veranschaulicht Marx die in der kapitalistischen Gesellschaft wirksame Tendenz zur Verelendung der Arbeiterklasse. Er führt Tatsachen und Zahlen an, die Zeugnis ablegen von der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der englischen Arbeiter, besonders der Frauen und Kinder, von der steigenden Zahl der Betriebsunfälle
wegen des Fehlens der elementarsten Sicherheitsmaßnahmen, von dem gleichzeitigen Anwachsen der Industrieproduktion und des Handels auf der einen und des Pauperismus und der Kriminalität auf der anderen Seite. Nach Untersuchung all dieser Tatsachen kommt Marx zu folgendem Schluß: „Es muß doch etwas faul sein im Innersten eines Gesellschaftssystems, das seinen Reichtum vermehrt, ohne sein Elend zu verringern, und in dem die Verbrechen sogar rascher zunehmen als seine Bevölkerungszahl" (siehe vorl. Band, S. 492). Marx kritisiert die in England vorhandene Fabrikgesetzgebung, die den Fabrikherren alle Möglichkeiten ihrer Nichteinhaltung offenläßt. Er entlarvt die ideologischen Handlanger der Bourgeoisie - die bürgerlichen Ökonomen, die als Apologeten der kapitalistischen Ordnung bereit sind, mit ihren Theorien jedes Verbrechen der herrschenden Klasse zu rechtfertigen. Viele hier verwendete Materialien, speziell die Berichte der englischen Fabrikinspektoren, die die Methoden der englischen Fabrikherren aufdecken und zeigen, wie grausam die englischen Arbeiter ausgebeutet werden, verwertet Marx später im ersten Band des „Kapitals". In einer Reihe von Artikeln - „Politische Rundschau", „Wahlkorruption in England" und anderen - enthüllt Marx das volksfeindliche Wesen des politischen Systems in England. Er unterstreicht, daß „die wirkliche Beschaffenheit des britischen Unterhauses in dem Worte Korruption zusammengefaßt werden kann" (siehe vorl. Band, S. 525). In dem Artikel „Die neue britische Reformbill", der die im Februar 1859 von Disraeli vorgeschlagenen unbedeutenden Abänderungen des englischen Wahlsystems untersucht, betont Marx, daß dieser Entwurf vor allem das bestehende Monopol der Aristokratie und der Bourgeoisie auf die politische Herrschaft und die politische Rechtlosigkeit der Arbeiterklasse erhalten soll. „Auf den ersten Blick ist ersichtlich", schreibt Marx, „daß alle diese neuen Wahlberechtigungen, während sie einige neue Gruppen der Mittelklasse zulassen, zu dem ausdrücklichen Zweck ersonnen sind, die Arbeiterklasse auszuschließen und sie in dem jetzigen Zustand des politischen ,Parias' zu halten" (siehe vorl. Band, S. 217). Eine Reihe von Artikeln, die im vorliegenden Band enthalten sind, widerspiegeln den systematischen Kampf von Marx und Engels gegen das niederträchtige System der Unterdrückung und Ausbeutung der kolonialen und abhängigen Länder durch die kapitalistischen Mächte Europas, und zwar in erster Linie durch England.
In dem Artikel „Schwere Zerrüttung der indischen Finanzen" enthüllt Marx die räuberische Politik Englands in Indien, indem er auf die verderbenbringenden Folgen der britischen Herrschaft in diesem Lande verweist. Er beschreibt insbesondere die Zerstörung des einheimischen Handwerks durch die Masseneinfuhr britischer Baumwollwaren. Auf die Folgen der grausamen Unterdrückung des nationalen Befreiungsaufstandes in Indien 1857-1859 durch die englischen Kolonialherren eingehend, bemerkt Marx, daß die damit verbundenen riesigen Ausgaben sowie die Notwendigkeit, in Indien ständig umfangreiche Streitkräfte zu unterhalten, eine schwere Last vor allem auf die Schultern des englischen Steuerzahlers legen. In der Artikelserie „Der neue chinesische Krieg" und in dem Beitrag „Der Handel mit China" prangert Marx die Politik der englischen und französischen Kolonialherren an, die 1859 einen neuen Raubkrieg gegen China, ähnlich den Opiumkriegen von 1838-1842 und 1856-1858, zu entfesseln suchten. Marx zeigt den provokatorischen Charakter der englischen Aktionen, beweist, daß es nicht die chinesischen Behörden sind, die die bestehenden Verträge, insbesondere die Festlegungen des 1858 abgeschlossenen Vertrages von Tientsin, gebrochen haben, sondern die englischen und französischen Kolonialherren, und verteidigt das Recht der chinesischen Regierung und des chinesischen Volkes, dem bewaffneten Einfall der Kolonialherren Widerstand entgegenzusetzen, unter welchem Vorwand dieser Einfall auch immer unternommen werden möge. Marx entlarvt nicht nur die Kolonialpolitik der herrschenden Kreise Englands, sondern brandmarkt auch die englische bürgerliche Presse, die absichtlich „die blutigen Instinkte ihrer Landsleute" entfachte und die Tatsachen entstellte, um die Aggression gegen China zu rechtfertigen. In dem Beitrag „Der Handel mit China" zeigt Marx die Engstirnigkeit der Politik der englischen Bourgeoisie, die die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht begriff und die chinesische Regierung beschuldigte, künstliche Hindernisse für den britischen Handel in China errichtet zu haben; sie rief dazu auf, mit Hilfe räuberischer Kriegsabenteuer diese Schranken beiseite zu räumen. Marx legt dar, daß die Ursachen für den verhältnismäßig geringen Umfang des Handels mit China in der ökonomischen Struktur der chinesischen Gesellschaft liegen, in der Verbindung der Landwirtschaft mit der Hausindustrie, die nur im beschränkten Maße einen Tauschhandel mit anderen Ländern zuläßt. Er äußert die feste Überzeugung, daß es den englischen Kolonialherren trotz aller Kriegsabenteuer niemals gelingen wird, China auf die Knie zu zwingen.
Drei Artikel von Engels - zwei unter der Überschrift „Der Krieg gegen die Mauren" und einer unter der Überschrift „Der bisherige Verlauf des Krieges gegen die Mauren" - behandeln die Ereignisse des Kolonialkrieges, den Spanien von November 1859 bis März 1860 in Marokko führte. Engels berichtet über den hartnäckigen Widerstand der Marokkaner gegenüber den spanischen Eindringlingen. Trotz ihrer eindeutigen Überlegenheit in der zahlenmäßigen Stärke der Truppen und in der Bewaffnung konnte die reguläre spanische Armee im Verlaufe des Krieges keinen entscheidenden Sieg erringen, und die spanische Regierung mußte im März 1860 Frieden schließen. Die Beilagen des Bandes enthalten außer den bereits erwähnten „Gatherings from the Press", die Marx zusammen mit Biscamp für das „Volk" zusammengestellt hat, eine redaktionelle Erklärung dieser Zeitung, in der Marx und Engels als offizielle Mitarbeiter genannt werden. Dieses Dokument gibt einen Einblick in den Verlauf des Kampfes, den Marx für die Umwandlung der Zeitung „Das Volk" in ein Organ des Proletariats führte.
Sämtliche Artikel des Bandes sind ohne Angabe des Verfassers erschienen, einige von ihnen als Leitartikel. Wie Marx und Engels in ihren Briefen wiederholt feststellten, verfuhr die Redaktion der „New-York Daily Tribüne" willkürlich mit dem Text ihrer Artikel, machte von sich aus Ergänzungen und fügte ganze Absätze ein, besonders in den Leitartikeln, bei denen sie den Anschein erwecken wollte, sie seien in New York geschrieben worden. In der vorliegenden Ausgabe werden solche offensichtlichen Eingriffe der Redaktion in den Text der Artikel in Anmerkungen zu den betreffenden Stellen erläutert. Ebenso wird bei Artikeln, die in einer im „Volk" veröffentlichten deutschen und in einer in der „Tribüne" veröffentlichten englischen Fassung vorliegen, in einer Anmerkung darauf hingewiesen. Beim Studium des konkreten historischen Materials, das in den Artikeln des vorliegenden Bandes angeführt wird, ist zu berücksichtigen, daß Marx und Engels bei vielen Artikeln über Tagesereignisse sich im wesentlichen nur an Hand der bürgerlichen Presse informieren konnten. Die Meldungen über den Verlauf der Kriegshandlungen, über die Stärke der kriegführenden Armeen, über die Finanzlage in den verschiedenen Staaten usw. entnahmen sie den Zeitungen „Times", „Moniteur universel", „Wiener Zeitung", „Allgemeine Zeitung", „Allgemeine Militär-Zeitung",
der Zeitschrift „Economist" und anderen. In einigen Fällen entsprechen diese Angaben nicht den Ergebnissen späterer Nachforschungen. Die im Text der „New-York Daily Tribüne" und im „Volk" festgestellten Druckfehler in Eigennamen, geographischen Benennungen, Zahlenangaben, Daten usw. sind auf Grund einer Uberprüfung an Hand der Quellen, die Marx und Engels benutzt haben, berichtigt worden. Die Uberschriften der Artikel entsprechen den Titeln, unter denen sie in den Zeitungen veröffentlicht worden waren. Uberschriften, die vom Institut für Marxismus-Leninismus stammen, sind durch eckige Klammern gekennzeichnet.
Institut für Marxismus Leninismus beim ZK der KPdSU
Abweichend vom dreizehnten Band der Ausgabe in russischer Sprache enthält der dreizehnte Band der deutschen Ausgabe Marx' Entwurf einer Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, der in der Moskauer Ausgabe bereits im zwölften Band erscheint. Der Text des vorliegenden Bandes wurde an Hand der Originale oder Photokopien überprüft. Bei jeder Arbeit ist die für den Abdruck oder die Übersetzung herangezogene Quelle vermerkt. Der größte Teil der Artikel aus der „New-York Daily Tribüne" wurde neu übersetzt, die bei einer geringen Anzahl von Artikeln bereits vorliegende Übersetzung gründlich überprüft. 54 Artikel erscheinen zum erstenmal in deutscher Sprache. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden ebenfalls überprüft, soweit die Quellen zur Verfügung standen. Längere Zitate werden zur leichteren Übersicht in kleinerem Druck gebracht. In den deutschsprachigen Texten sind die Rechtschreibung und Zeichensetzung, soweit vertretbar, modernisiert; der Lautstand der Wörter wurde nicht verändert. Alle in eckigen Klammern stehenden Wörter und Wortteile stammen von der Redaktion. Offensichtliche Druck- oder Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert; in Zweifelsfällen wird in Fußnoten die Schreibweise des Originals angeführt. Fußnoten von Marx und Engels sind durch Sternchen gekennzeichnet, Fußnoten der Redaktion durch eine durchgehende Linie vom Text abgetrennt und durch Ziffern kenntlich gemacht.
Zur Erläuterung ist der Band mit Anmerkungen versehen, auf die im Text durch hochgestellte Zahlen in eckigen Klammern hingewiesen wird; außerdem sind ein Literaturverzeichnis, Daten über das Leben und die Tätigkeit von Marx und Engels, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis der literarischen und mythologischen Namen, eine Liste der geographischen Namen, ein Verzeichnis der Gewichte, Maße und Münzen sowie eine Erklärung der Fremdwörter und Abkürzungen beigefügt.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED

KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS
Januar 1859 - Februar 1860

KARL MARX
Zur Kritik der Politischen Ökonomie[1
Geschrieben August 1858 bis Januar 1859. Erschienen 1859 bei Franz Duncker, Berlin.
Der vorliegende Abdruck beruht auf dem Text der ersten Ausgabe von 1859, verbessert und ergänzt durch Übernahme der handschriftlichen Korrekturen und Randbemerkungen aus Marx' Handexemplar, dessen Photokopie sich im Archiv des Instituts für MarxismusLeninismus beim ZK der KPdSU in Moskau befindet. Sie wurden von Engels bei der Wiedergabe von Textstellen aus der „Kritik" im Dritten Band des „Kapitals" ebenfalls berücksichtigt. Alle Veränderungen gegenüber der Ausgabe von 1859, die den Inhalt berühren, sind in Fußnoten vermerkt. Fremdsprachige Zitate werden in deutscher Ubersetzung wiedergegeben, wobei in einigen Fällen die von Marx und Engels im „Kapital" gegebene Übersetzung dieser Zitate zugrunde gelegt werden konnte.
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1859.
Titelblatt der ersten Ausgabe der Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie"

Vorwort
Ich betrachte das System der bürgerlichen Ökonomie in dieser Reihenfolge: Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit; Staat, auswärtiger Handel, Weltmarkt. Unter den drei ersten Rubriken untersuche ich die ökonomischen Lebensbedingungen der drei großen Klassen, worin die moderne bürgerliche Gesellschaft zerfällt; der Zusammenhang der drei andern Rubriken springt in die Augen. Die erste Abteilung des ersten Buchs, das vom Kapital handelt, besteht aus folgenden Kapiteln: 1. die Ware; 2. das Geld oder die einfache Zirkulation; 3. das Kapital im allgemeinen. Die zwei ersten Kapitel bilden den Inhalt des vorliegenden Heftes. Das Gesamtmaterial liegt vor mir in Form von Monographien, die in weit auseinanderliegenden Perioden zu eigner Selbstverständigung, nicht für den Druck niedergeschrieben wurden, und deren zusammenhängende Verarbeitung nach dem angegebenen Plan von äußern Umständen abhängen wird. Eine allgemeine Einleitung1, die ich hingeworfen hatte, unterdrücke ich, weil mir bei näherem Nachdenken jede Vorwegnahme erst zu beweisender Resultate störend scheint, und der Leser, der mir überhaupt folgen will, sich entschließen muß, von dem einzelnen zum allgemeinen aufzusteigen. Einige Andeutungen über den Gang meiner eignen politisch-ökonomischen Studien mögen dagegen hier am Platz scheinen. Mein Fachstudium war das der Jurisprudenz, die ich jedoch nur als untergeordnete Disziplin neben Philosophie und Geschichte betrieb. Im Jahr 1842/43, als Redakteur der „Rheinischen Zeitung"121, kam ich zuerst in die Verlegenheit, über sogenannte materielle Interessen mitsprechen zu müssen. Die Verhandlungen des Rheinischen Landtags über Holzdiebstahl und Parzellierung des Grundeigentums, die amtliche Polemik, die Herr von Schaper,
1 Siehe vorl. Band, S. 615-642
damals Oberpräsident der Rheinprovinz, mit der „Rheinischen Zeitung" über die Zustände der Moselbauern eröffnete, Debatten endlich über Freihandel und Schutzzoll, gaben die ersten Anlässe zu meiner Beschäftigung mit ökonomischen Fragen.1 Andererseits hatte zu jener Zeit, wo der gute Wille „weiterzugehen" Sachkenntnis vielfach aufwog, ein schwach philosophisch gefärbtes Echo des französischen Sozialismus und Kommunismus sich in der „Rheinischen Zeitung" hörbar gemacht. Ich erklärte mich gegen diese Stümperei, gestand aber zugleich in einer Kontroverse mit der „Allgemeinen Augsburger Zeitung"133 rund heraus, daß meine bisherigen Studien mir nicht erlaubten, irgendein Urteil über den Inhalt der französischen Richtungen selbst zu wagen. Ich ergriff vielmehr begierig die Illusion der Geranten der „Rheinischen Zeitung", die durch schwächere Haltung des Blattes das über es gefällte Todesurteil rückgängig machen zu können glaubten, um mich von der öffentlichen Bühne in die Studierstube zurückzuziehn. Die erste Arbeit, unternommen zur Lösung der Zweifel, die mich bestürmten, war eine kritische Revision der Hegeischen Rechtsphilosophie, eine Arbeit, wovon die Einleitung in den 1844 in Paris herausgegebenen „DeutschFranzösischen Jahrbüchern"t4] erschien.2 Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, daß Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft" zusammenfaßt, daß aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei. Die Erforschung der letztern, die ich in Paris begann, setzte ich fort zu Brüssel, wohin ich infolge eines Ausweisungsbefehls des Herrn Guizot übergewandert war. Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den
1 Siehe Band 1 unserer Ausgabe, S. 109-147 und 172-199 - 2 siehe Band 1 unserer Ausgabe, S.378-391
sozialen,politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Uberbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozeß ihres Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.
Friedrich Engels, mit dem ich seit dem Erscheinen seiner genialen Skizze zur Kritik der ökonomischen Kategorien1 (in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern") einen steten schriftlichen Ideenaustausch unterhielt, war auf anderm Wege (vergleiche seine „Lage der arbeitenden Klasse in England" 2) mit mir zu demselben Resultat gelangt, und als er sich im Frühling 1845 ebenfalls in Brüssel niederließ, beschlossen wir, den Gegensatz unsrer Ansicht gegen die ideologische der deutschen Philosophie gemeinschaftlich auszuarbeiten, in der Tat mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen abzurechnen. Der Vorsatz ward ausgeführt in der Form einer Kritik der nachhegelschen Philosophie. Das Manuskript3, zwei starke Oktavbände, war längst an seinem Verlagsort in Westphalen angelangt, als wir die Nachricht erhielten, daß veränderte Umstände den Druck nicht erlaubten. Wir überließen das Manuskript der nagenden Kritik der Mäuse um so williger, als wir unsern Hauptzweck erreicht hatten - Selbstverständigung. Von den zerstreuten Arbeiten, worin wir damals nach der einen oder andern Seite hin unsre Ansichten dem Publikum vorlegten, erwähne ich nur das von Engels und mir gemeinschaftlich verfaßte „Manifest der Kommunistischen Partei" 4 und einen von mir veröffentlichten „Discours sur le libre echange"5. Die entscheidenden Punkte unsrer Ansicht wurden zuerst wissenschaftlich, wenn auch nur polemisch, angedeutet in meiner 1847 herausgegebenen und gegen Proudhon gerichteten Schrift „Misere de la philosophie etc."6 Eine deutsch geschriebene Abhandlung über die „Lohnarbeit"7, worin ich meine über diesen Gegenstand im Brüsseler Deutschen Arbeiterverein153 gehaltenen Vorträge zusammenflocht, wurde im Druck unterbrochen durch die Februarrevolution und meine infolge derselben stattfindende gewaltsame Entfernung aus Belgien. Die Herausgabe der „Neuen Rheinischen Zeitung"[6] 1848 und 1849 und die später erfolgten Ereignisse unterbrachen meine ökonomischen Studien, die erst im Jahr 1850 in London wiederaufgenommen werden konnten. Das ungeheure Material für Geschichte der politischen Ökonomie, das im British Museum aufgehäuft ist, der günstige Standpunkt, den London für die Beobachtung der bürgerlichen Gesellschaft gewährt, endlich das neue Entwicklungsstadium, worin letztere mit der Entdeckung des kalifornischen und australischen Goldes einzutreten schien, bestimmten mich, ganz von vorn
1 Siehe Band 1 unserer Ausgabe, S. 499-524 - 2 siehe Band 2 unserer Ausgabe, S. 225 bis 506 — 3 JDie deutsche Ideologie", siehe Band 3 unserer Ausgabe, S. 9-530 - 4 siehe Band4 Unserer Ausgabe, S. 459-493 - 5 „Rede über den Freihandel", siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 444-458 - 6 „Das Elend der Philosophie", siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 63-182 7 „Lohnarbeit und Kapital", siehe Band 6 unserer Ausgabe, S. 397-423
wieder anzufangen und mich durch das neue Material kritisch.durchzuarbeiten. Diese Studien führten teils von selbst in scheinbar ganz abliegende Disziplinen, in denen ich kürzer oder länger verweilen mußte. Namentlich aber wurde die mir zu Gebot stehende Zeit geschmälert durch die gebieterische Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit. Meine nun achtjährige Mitarbeit an der ersten englisch-amerikanischen Zeitung, der „New-York Tribune"[7], machte, da ich mit eigentlicher Zeitungskorrespondenz mich nur ausnahmsweise befasse, eine außerordentliche Zersplitterung der Studien nötig. Indes bildeten Artikel über auffallende ökonomische Ereignisse in England und auf dem Kontinent einen so bedeutenden Teil meiner Beiträge, daß ich genötigt ward, mich mit praktischen Details vertraut zu machen, die außerhalb des Bereichs der eigentlichen Wissenschaft der politischen Ökonomie liegen. Diese Skizze über den Gang meiner Studien im Gebiet der politischen Ökonomie soll nur beweisen, daß meine Ansichten, wie man sie immer beurteilen mag und wie wenig sie mit den interessierten Vorurteilen der herrschenden Klassen übereinstimmen, das Ergebnis gewissenhafter und langjähriger Forschung sind. Bei dem Eingang in die Wissenschaft aber, wie beim Eingang in die Hölle, muß die Forderung gestellt werden:
Qui si convien lasciare ogni sospetto Ogni viltä convien che qui sia morta.1
London, im Januar 1859
Karl Marx
1 Hier mußt du allen Zweifelmut ertöten, Hier ziemt sich keine Zagheit fürderhin. (Dante, „Göttliche Komödie".)

ERSTES BUCH
Vom Kapital

ABSCHNITT I
Das Kapital im allgemeinen
ERSTES KAPITEL
Die Ware
Auf den ersten Blick erscheint der bürgerliche Reichtum als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als sein elementarisches Dasein. Jede Ware aber stellt sich dar unter dem doppelten Gesichtspunkt von Gebrauchswert und Tauschwert * Die Ware ist zunächst, in der Sprachweise der englischen Ökonomen, „irgendein Ding, notwendig, nützlich, oder angenehm für das Leben", Gegenstand menschlicher Bedürfnisse, Lebensmittel im Weitesten Sinne des Wortes. Dieses Dasein der Ware als Gebrauchswert und ihre natürliche handgreifliche Existenz fallen zusammen. Weizen z. B. ist ein besonderer Gebrauchswert im Unterschied von den Gebrauchswerten Baumwolle, Glas, Papier usw. Der Gebrauchswert hat nur Wert für den Gebrauch und verwirklicht sich nur im Prozeß der Konsumtion. Derselbe Gebrauchswert kann verschieden vernutzt werden. Die Summe seiner möglichen Nutzanwendungen jedoch ist zusammengefaßt in seinem Dasein als Ding mit bestimmten Eigenschaften. Er ist ferner nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ bestimmt. Ihrer natürlichen Eigentümlichkeit gemäß besitzen verschiedene Gebrauchswerte verschiedene Maße, z. B. Scheffel Weizen, Buch Papier, Elle Leinwand usw. Welches immer die gesellschaftliche Form des Reichtums sei, Gebrauchswerte bilden stets seinen gegen diese Form zunächst gleichgültigen Inhalt.
* Aristoteles, „DeRepublica", L. I,C.9(edit. I.Bekkeri, Oxonii 1837). „Denn zweifach ist der Gebrauch jedes Guts... Der eine ist dem Ding als solchen eigen, der andre nicht, wie einer Sandale, zur Beschuhung zu dienen und austauschbar zu sein. Beides sind Gebrauchswerte der Sandale, denn auch wer die Sandale mit dem ihm Mangelnden, z. B. der Nahrung austauscht, benutzt die Sandale als Sandale. Aber nicht in ihrer natürlichen Gebrauchsweise. Denn sie ist nicht da des Austausches wegen. Dieselbe Bewandtnis hat es auch um die andern Güter."
Man schmeckt dem Weizen nicht an, wer ihn gebaut hat, russischer Leibeigner, französischer Parzellenbauer oder englischer Kapitalist. Obgleich Gegenstand gesellschaftlicher Bedürfnisse, und daher in gesellschaftlichem Zusammenhang, drückt der Gebrauchswert jedoch kein gesellschaftliches Produktionsverhältnis aus. Diese Ware als Gebrauchswert ist z. B. ein Diamant. Am Diamant ist nicht wahrzunehmen, daß er Ware ist. Wo er als Gebrauchswert dient, ästhetisch oder mechanisch, am Busen der Lorette oder in der Hand des Glasschleifers, ist er Diamant und nicht Ware. Gebrauchswert zu sein scheint notwendige Voraussetzung für die Ware, aber Ware zu sein gleichgültige Bestimmung für den Gebrauchswert. Der Gebrauchswert in dieser Gleichgültigkeit gegen die ökonomische Formbestimmung, d. h. der Gebrauchswert als Gebrauchswert, liegt jenseits des Betrachtungskreises der politischen Ökonomie.* In ihren Kreis fällt er nur, wo er selbst Formbestimmung. Unmittelbar ist er die stoffliche Basis, woran sich ein bestimmtes ökonomisches Verhältnis darstellt, der Tauschwert. Tauschwert erscheint zunächst als quantitatives Verhältnis, worin Gebrauchswerte gegeneinander austauschbar. In solchem Verhältnis bilden sie dieselbe Tauschgröße. So mögen 1 Band Properz und 8 Unzen Schnupftabak derselbe Tauschwert sein, trotz der disparaten Gebrauchswerte von Tabak und Elegie. Als Tauschwert ist ein Gebrauchswert grade so viel wert wie der andere, wenn nur in richtiger Portion vorhanden. Der Tauschwert eines Palastes kann in bestimmter Anzahl von Stiefelwichsbüchsen ausgedrückt werden. Londoner Stiefelwichsfabrikanten haben umgekehrt den Tauschwert ihrer multiplizierten Büchsen in Palästen ausgedrückt. Ganz gleichgültig also gegen ihre natürliche Existenzweise, und ohne Rücksicht auf die spezifische Natur des Bedürfnisses, wofür sie Gebrauchswerte, decken sich Waren in bestimmten Quantitäten, ersetzen einander im Austausch, gelten als Äquivalente, und stellen so trotz ihres buntscheckigen Scheins dieselbe Einheit dar. Die Gebrauchswerte sind unmittelbar Lebensmittel. Umgekehrt aber sind diese Lebensmittel selbst Produkte des gesellschaftlichen Lebens, Resultat verausgabter menschlicher Lebenskraft, vergegenständlichte Arbeit. Als Materiatur der gesellschaftlichen Arbeit sind alle Waren Kristallisationen
* Dies ist der Grund, warum deutsche Kompilatoren den unter dem Namen „Gut" fixierten Gebrauchswert con amore1 abhandeln. Sieh z. B. L. Stein, „System der Staatswissenschaft", Bd. I, den Abschnitt von den „Gütern". Verständiges über „Güter" muß man suchen in „Anweisungen zur Warenkunde".
1 mit Lust
derselben Einheit. Der bestimmte Charakter dieser Einheit, d. h. der Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, ist nun zu betrachten. Eine Unze Gold, 1 Tonne Eisen, 1 Quarter Weizen und 20 Ellen Seide seien gleich große Tauschwerte. Als solche Äquivalente, worin der qualitative Unterschied ihrer Gebrauchswerte ausgelöscht ist, stellen sie gleiches Volumen derselben Arbeit dar. Die Arbeit, die sich gleichmäßig in ihnen vergegenständlicht, muß selbst gleichförmige, unterschiedslose, einfache Arbeit sein, der es ebenso gleichgültig, ob sie in Gold, Eisen, Weizen, Seide erscheint, wie es dem Sauerstoff ist, ob er vorkommt im Rost des Eisens, der Atmosphäre, dem Saft der Traube oder dem Blut des Menschen. Aber Gold graben, Eisen aus dem Bergwerk fördern, Weizen bauen und. Seide weben sind qualitativ voneinander verschiedene Arbeitsarten. In der Tat, was sachlich als Verschiedenheit der Gebrauchswerte, erscheint prozessierend als Verschiedenheit der die Gebrauchswerte hervorbringenden Tätigkeit. Als gleichgültig gegen den besondern Stoff der Gebrauchswerte ist die Tauschwert setzende Arbeit daher gleichgültig gegen die besondere Form der Arbeit selbst. Die verschiedenen Gebrauchswerte sind ferner Produkte der Tätigkeit verschiedener Individuen, also Resultat individuell verschiedener Arbeiten. Als Tauschwerte stellen sie aber gleiche, unterschiedslose Arbeit dar, d. h. Arbeit, worin die Individualität der Arbeitenden ausgelöscht ist. Tauschwert setzende Arbeit ist daher abstrakt allgemeine Arbeit. Wenn 1 Unze Gold, 1 Tonne Eisen, 1 Quarter Weizen und 20 Ellen Seide gleich große Tauschwerte oder Äquivalente sind, sind 1 Unze Gold, 2 Tonne Eisen, 3 Bushel Weizen und 5 Ellen Seide Tauschwerte von durchaus verschiedener Größe, und dieser quantitative Unterschied ist der einzige Unterschied, dessen sie als Tauschwerte überhaupt fähig sind. Als Tauschwerte von verschiedener Größe stellen sie ein Mehr oder Minder, größere oder kleinere Quanta jener einfachen, gleichförmigen, abstrakt allgemeinen Arbeit dar, die die Substanz des Tauschwerts bildet. Es fragt sich, wie diese Quanta messen? Oder es fragt sich vielmehr, welches das quantitative Dasein jener Arbeit selbst ist, da die Größenunterschiede der Waren als Tauschwerte nur Größenunterschiede der in ihnen vergegenständlichten Arbeit sind. Wie das quantitative Dasein der Bewegung die Zeit ist, so ist das quantitative Dasein der Arbeit die Arbeitszeit. Die Verschiedenheit ihrer eignen Dauer ist der einzige Unterschied, dessen sie fähig ist, ihre Qualität als gegeben vorausgesetzt. Als Arbeitszeit erhält sie ihren Maßstab an den natürlichen Zeitmaßen, Stunde, Tag, Woche usw. Arbeitszeit ist das lebendige Dasein der Arbeit, gleichgültig gegen ihre Form, ihren Inhalt, ihre Individualität; es ist ihr lebendiges Dasein als quantitatives, zugleich mit seinem immanenten Maße.
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
Die in den Gebrauchswerten der Waren vergegenständlichte Arbeitszeit ist ebensowohl die Substanz, die sie zu Tauschwerten macht und daher zu Waren, wie sie ihre bestimmte Wertgröße mißt. Die korrelativen Quantitäten verschiedener Gebrauchswerte* in welchen dieselbe Arbeitszeit sich vergegenständlicht, sind Äquivalente, oder alle Gebrauchswerte sind Äquivalente in den Proportionen, worin sie dieselbe Arbeitszeit aufgearbeitet, vergegenständlicht enthalten. Als Tauschwert sind alle Waren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit. Zum Verständnis der Bestimmung des Täuschwerts durch Arbeitszeit sind folgende Hauptgesichtspunkte festzuhalten: die Reduktion der Arbeit auf einfache, sozusagen qualitätslose Arbeit; die spezifische Art und Weise, worin die Tauschwert setzende, also Waren produzierende Arbeit gesellschaftliche Arbeit ist; endlich der Unterschied zwischen der Arbeit, sofern sie in Gebrauchswerten, und der Arbeit, sofern sie in Tauschwerten resultiert. Um die Tauschwerte der Waren an der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit zu messen, müssen die verschiedenen Arbeiten selbst reduziert sein auf unterschiedslose, gleichförmige, einfache Arbeit, kurz auf Arbeit, die qualitativ dieselbe ist und sich daher nur quantitativ unterscheidet. Diese Reduktion erscheint als eine Abstraktion, aber es ist eine Abstraktion, die in dem gesellschaftlichen Produktionsprozeß täglich vollzogen wird. Die Auflösung aller Waren in Arbeitszeit ist keine größere Abstraktion, aber zugleich keine minder reelle, als die aller organischen Körper in Luft. Die Arbeit, die so gemessen ist'durch die Zeit, erscheint in der Tat nicht als Arbeit verschiedener Subjekte, sondern die verschiedenen arbeitenden Individuen erscheinen vielmehr als bloße Organe der Arbeit. Oder die Arbeit, wie sie sich in Tauschwerten darstellt, könnte ausgedrückt werden als allgemein menschliche Arbeit. Diese Abstraktion der allgemein menschlichen Arbeit existiert in der Durchschnittsarbeit, die jedes Durchschnittsindividuum einer gegebenen Gesellschaft verrichten kann, eine bestimmte produktive Verausgabung von menschlichem Muskel, Nerv, Gehirn usw. Es ist einfache Arbeit*, wozu jedes Durchschnittsindividuum abgerichtet werden kann und die es in der einen oder andern Form verrichten muß. Der Charakter dieser Durchschnittsarbeit ist selbst verschieden in verschiedenen Ländern und verschiedenen Kulturepochen, erscheint aber als gegeben in einer vorhandenen Gesellschaft. Die einfache Arbeit bildet die bei weitem größte Masse aller Arbeit der bürgerlichen Gesellschaft, wie man sich aus jeder Statistik überzeugen kann. Ob A während 6 Stunden Eisen und während 6 Stunden Lein
* „Unskilled labour" nennen es die englischen Ökonomen.
wand produziert, und B ebenfalls während 6 Stunden Eisen und während 6 Stunden Leinwand produziert, oder ob A während 12 Stunden Eisen und B während 12 Stunden Leinwand produziert, erscheint augenfällig als bloß verschiedene Anwendung derselben Arbeitszeit. Aber wie mit der komplizierten Arbeit, die sich über das Durchschnittsniveau erhebt als Arbeit von höherer Lebendigkeit, größerem spezifischen Gewicht? Diese Art Arbeit löst sich auf in zusammengesetzte einfache Arbeit, einfache Arbeit auf höherer Potenz, so daß z. B. ein komplizierter Arbeitstag gleich drei einfachen Arbeitstagen. Die Gesetze, die diese Reduktion regeln, gehören noch nicht hierher. Daß die Reduktion aber stattfindet, ist klar: denn als Tauschwert ist das Produkt der kompliziertesten Arbeit in bestimmter Proportion Äquivalent für das Produkt der einfachen Durchschnittsarbeit, also gleichgesetzt einem bestimmten Quantum dieser einfachen Arbeit. Die Bestimmung des Tauschwerts durch die Arbeitszeit unterstellt ferner, daß in einer bestimmten Ware, einer Tonne Eisen z.B., gleich viel Arbeit vergegenständlicht ist, gleichgültig, ob sie Arbeit von A oder B, oder daß verschiedene Individuen gleich große Arbeitszeit zur Produktion desselben, qualitativ und quantitativ bestimmten Gebrauchswerts verwenden. In andern Worten, es ist unterstellt, daß die in einer Ware enthaltene Arbeitszeit die zu ihrer Produktion notwendige Arbeitszeit ist, d.h. die Arbeitszeit erheischt, um unter gegebenen allgemeinen Produktionsbedingungen ein neues Exemplar derselben Ware zu produzieren. Die Bedingungen der Tauschwert setzenden Arbeit, wie sie sich aus der Analyse des Tauschwerts ergeben, sind gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit oder Bestimmungen gesellschaftlicher Arbeit, aber gesellschaftlich nicht schlechthin, sondern in besonderer Weise. Es ist eine spezifische Art der Gesellschaftlichkeit. Zunächst ist die unterschiedslose Einfachheit der Arbeit Gleichheit der Arbeiten verschiedener Individuen, wechselseitiges Beziehen ihrer Arbeiten aufeinander als gleicher, und zwar durch tatsächliche Reduktion aller Arbeiten auf gleichartige Arbeit. Die Arbeit jedes Individuums, soweit sie sich in Tauschwerten darstellt, besitzt diesen gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit, und sie stellt sich nur im Tauschwert dar, soweit sie auf die Arbeit aller andern Individuen als gleiche bezogen ist. Ferner erscheint im Tauschwert die Arbeitszeit des einzelnen Individuums unmittelbar als allgemeine Arbeitszeit und dieser allgemeine Charakter der vereinzelten Arbeit als gesellschaftlicher Charakter derselben. Die im Tauschwert dargestellte Arbeitszeit ist Arbeitszeit des einzelnen, aber des einzelnen ohne Unterschied vom andern einzelnen, aller einzelnen, sofern sie gleiche Arbeit vollbringen, daher die von dem einen zur Produktion einer bestimmten Ware
erheischte Arbeitszeit die notwendige Arbeitszeit ist, die jeder andre zur Produktion derselben Ware verwenden würde. Sie ist die Arbeitszeit des einzelnen, seine Arbeitszeit, aber nur als allen gemeine Arbeitszeit, für die es daher gleichgültig, die Arbeitszeit wessen einzelnen sie ist. Als allgemeine Arbeitszeit stellt sie sich dar in einem allgemeinen Produkt, einem allgemeinen Äquivalent, einem bestimmten Quantum vergegenständlichter Arbeitszeit, das gleichgültig gegen die bestimmte Form des Gebrauchswerts, worin es unmittelbar als Produkt des einen erscheint, beliebig übersetzbar ist in jede andere Form von Gebrauchswert, worin es sich als Produkt jedes andern darstellt. Gesellschaftliche Größe ist es nur als solche allgemeine Größe. Die Arbeit des einzelnen, um in Tauschwert zu resultieren, muß resultieren in ein allgemeines Äquivalent, d.h. in Darstellung der Arbeitszeit des einzelnen als allgemeiner Arbeitszeit oder Darstellung der allgemeinen Arbeitszeit als der des einzelnen. Es ist, als ob die verschiedenen Individuen ihre Arbeitszeit zusammengeworfen und verschiedene Quanta der ihnen gemeinschaftlich zu Gebote stehenden Arbeitszeit in verschiedenen Gebrauchswerten dargestellt hätten. Die Arbeitszeit des einzelnen ist so in der Tat die Arbeitszeit, deren die Gesellschaft zur Darstellung eines bestimmten Gebrauchswertes, d.h. zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses bedarf. Aber es handelt sich hier nur um die spezifische Form, worin die Arbeit gesellschaftlichen Charakter erhält. Eine bestimmte Arbeitszeit des Spinners vergegenständlicht sich z.B. in 100Pfund Leinengarn. 100 Ellen Leinwand, das Produkt des Webers, sollen gleiches Quantum Arbeitszeit darstellen. Sofern diese beiden Produkte gleich großes Quantum allgemeiner Arbeitszeit darstellen und daher Äquivalente für jeden Gebrauchswert, der gleich viel Arbeitszeit enthält, sind sie Äquivalente füreinander. Nur dadurch, daß die Arbeitszeit des Spinners und die Arbeitszeit des Webers als allgemeine Arbeitszeit, ihre Produkte daher als allgemeine Äquivalente sich darstellen, wird hier die Arbeit des Webers für den Spinner und die des Spinners für den Weber, die Arbeit des einen für die Arbeit des andern, d.h. das gesellschaftliche Dasein ihrer Arbeiten für beide. In der ländlich-patriarchalischen Industrie dagegen, wo Spinner und Weber unter demselben Dach hausten, der weibliche Teil der Familie spann, der männliche webte, sage zum Selbstbedarf der Familie, waren Garn und Leinwand gesellschaftliche Produkte, Spinnen und Weben gesellschaftliche Arbeiten innerhalb der Grenzen der Familie. Ihr gesellschaftlicher Charakter bestand aber nicht darin, daß Garn als allgemeines Äquivalent gegen Leinwand als allgemeines Äquivalent oder beide sich gegeneinander austauschten als gleich gültige und gleich geltende Ausdrücke derselben allgemeinen Arbeitszeit. Der Familienzusammenhang vielmehr mit seiner naturwüchsigen
Teilung der Arbeit drückte dem Produkt der Arbeit seinen eigentümlichen gesellschaftlichen Stempel auf. Oder nehmen wir die Naturaldienste und Naturallieferungen des Mittelalters. Die bestimmten Arbeiten der einzelnen in ihrer Naturalform, die Besonderheit, nicht die Allgemeinheit der Arbeit bildet hier das gesellschaftliche Band. Oder nehmen wir endlich die gemeinschaftliche Arbeit in ihrer naturwüchsigen Form, wie wir sie an der Schwelle der Geschichte aller Kulturvölker finden.* Hier ist der gesellschaftliche Charakter der Arbeit offenbar nicht dadurch vermittelt, daß die Arbeit des einzelnen die abstrakte Form der Allgemeinheit, oder sein Produkt die Form eines allgemeinen Äquivalents annimmt. Es ist das der Produktion vorausgesetzte Gemeinwesen, das die Arbeit des einzelnen verhindert, Privatarbeit und sein Produkt Privatprodukt zu sein, die einzelne Arbeit vielmehr unmittelbar als Funktion eines Gliedes des Gesellschaftsorganismus erscheinen läßt. Die Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, ist vorausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen. Gesellschaftlich wird sie dadurch, daß sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils, die Form der abstrakten Allgemeinheit annimmt. Es charakterisiert endlich die Tauschwert setzende Arbeit, daß die gesellschaftliche Beziehung der Personen sich gleichsam verkehrt darstellt, nämlich als gesellschaftliches Verhältnis der Sachen. Nur insofern der eine Gebrauchswert sich auf den andern als Tauschwert bezieht, ist die Arbeit der verschiedenen Personen aufeinander als gleiche und allgemeine bezogen. Wenn es daher richtig ist zu sagen, daß der Tauschwert ein Verhältnis zwischen Personen** ist, so muß aber hinzugesetzt werden: unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis. Wie ein Pfund Eisen und ein Pfund Gold trotz ihrer verschiedenen physischen und chemischen Eigenschaften dasselbe Quan
* Es ist ein lächerliches Vorurteil, in neuester Zeit verbreitet, daß die Form des naturwüchsigen Gemeineigentums spezifisch slawisch oder gar ausschließlich russische Form sei. Sie ist die Urform, die wir bei Römern, Germanen, Kelten nachweisen können, von der aber eine ganze Musterkarte mit mannigfaltigen Proben sich noch immer, wenn auch zum Teil ruinenweise, bei den Indiern vorfindet. Ein genaueres Studium der asiatischen, speziell der indischen, Gemeineigentumsformen würde nachweisen, wie aus den verschiedenen Formen des naturwüchsigen Gemeineigentums sich verschiedene Formen seiner Auflösung ergeben. So lassen sich z. B. die verschiedenen Originaltypen von römischem und germanischem Privateigentum aus verschiedenen Formen von indischem Gemeineigentum ableiten. ** „La ricchezza e una ragione tra due persone." Galiani, „Deila Moneta", p. 221. In vol. III von Custodis Sammlung der „Scrittori classici Italiani di EconomiaPolitica. Parte Moderna", Milano 1803.
tum Schwere darstellen, so zwei Gebrauchswerte von Waren, worin dieselbe Arbeitszeit enthalten ist, denselben Tauschwert. Der Tauschwert erscheint so als gesellschaftliche Naturbestimmtheit der Gebrauchswerte, als eine Bestimmtheit, die ihnen als Dingen zukommt, und infolge deren sie sich im Austauschprozeß ebenso in bestimmten quantitativen Verhältnissen ersetzen, Äquivalente bilden, wie einfache chemische Stoffe in bestimmten quantitativen Verhältnissen sich verbinden, chemische Äquivalente bilden. Es ist nur die Gewohnheit des täglichen Lebens, die es als trivial, als selbstverständlich erscheinen läßt, daß ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis die Form eines Gegenstandes annimmt, so daß das Verhältnis der Personen in ihrer Arbeit sich vielmehr als ein Verhältnis darstellt, worin Dinge sich zu einander und zu den Personen verhalten. In der Ware ist diese Mystifikation noch sehr einfach. Es schwebt allen mehr oder minder vor, daß das Verhältnis der Waren als Tauschwerte vielmehr Verhältnis der Personen zu ihrer wechselseitigen produktiven Tätigkeit ist. In höheren Produktionsverhältnissen verschwindet dieser Schein der Einfachheit. Alle Illusionen des Monetarsystems stammen daher, daß dem Geld1 nicht angesehen wird, daß es ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darstellt, aber in der Form eines Naturdings von bestimmten Eigenschaften. Bei den modernen Ökonomen, die auf die Illusionen des Monetarsystems herabgrinsen, verrät sich dieselbe Illusion, sobald sie höhere ökonomische Kategorien handhaben, z.B. das Kapital. Sie bricht hervor in dem Geständnis naiver Verwunderung, wenn bald als gesellschaftliches Verhältnis erscheint, was sie eben plump als Ding festzuhalten meinten, und dann wieder als Ding sie neckt, was sie kaum als gesellschaftliches Verhältnis fixiert hatten. Indem der Tauschwert der Waren in der Tat nichts ist als Beziehung der Arbeiten der einzelnen aufeinander als gleiche und allgemeine, nichts als gegenständlicher Ausdruck einer spezifisch gesellschaftlichen Form der Arbeit, ist es Tautologie, zu sagen, daß die Arbeit einzige Quelle des Tauschwerts sei und daher des Reichtums, soweit er aus Tauschwerten besteht. Es ist dieselbe Tautologie, daß der Naturstoff als solcher keinen Tauschwert*, weil keine Arbeit und der Tauschwert als solcher keinen Naturstoff enthält.
* „In seinem Naturzustand ist der Stoff stets von Wert entblößt." MacCulloch, „Discours sur l'origine de l'economie politique etc.", traduit par Prevost, Geneve 1825, p. 57. Man sieht, wie hoch selbst ein MacCulloch über dem Fetischismus deutscher „Denker" steht, die den „Stoff" und noch ein halbes Dutzend anderer Allotria für Elemente des Wertes erklären. Vgl. z. B. L. Stein, 1. c. Bd. I, p. 170 [195].
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) Gold
Wenn aber William Petty „die Arbeit den Vater und die Erde die Mutter des Reichtums" nennt, oder Bischof Berkeley fragt, „ob die vier Elemente und des Menschen Arbeit darin nicht die wahre Quelle des Reichtums seien"*, oder wenn der Amerikaner Th.Cooper populär klarmacht: „Nimm von einem Laib Brot die darauf verwandte Arbeit weg, die Arbeit von Bäcker, Müller, Pächter usw., und was bleibt übrig? Ein paar Graskörner, wildwachsend und unnütz für jeden menschlichen Gebrauch"**, so handelt es sich in allen diesen Anschauungen nicht von der abstrakten Arbeit, wie sie Quelle des Tauschwerts ist, sondern von der konkreten Arbeit als einer Quelle stofflichen Reichtums, kurz von der Arbeit, sofern sie Gebrauchswerte hervorbringt. Indem der Gebrauchswert der Ware vorausgesetzt ist, ist die besondere Nützlichkeit, die bestimmte Zweckmäßigkeit der in ihr aufgezehrten Arbeit vorausgesetzt, damit aber vom Standpunkt der Ware aus zugleich alle Rücksicht auf die Arbeit als nützliche Arbeit erschöpft. Am Brot als Gebrauchswert interessieren uns seine Eigenschaften als Nahrungsmittel, keineswegs die Arbeiten von Pächter, Müller, Bäcker usw. Wenn durch irgendeine Erfindung 19/20 dieser Arbeiten wegfielen, würde das Laib denselben Dienst leisten wie zuvor. Wenn es fertig vom Himmel fiele, würde es kein Atom seines Gebrauchswerts verlieren. Während sich die Tauschwert setzende Arbeit in der Gleichheit der Waren als allgemeiner Äquivalente verwirklicht, verwirklicht sich die Arbeit als zweckmäßige produktive Tätigkeit in der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Gebrauchswerte. Während die Tauschwert setzende Arbeit abstraft allgemeine und gleiche Arbeit, ist die Gebrauchswert setzende Arbeit konkrete und besondere Arbeit, die sich der Form und dem Stoff nach in unendlich verschiedene Arbeitsweisen zerspaltet. Von der Arbeit, soweit sie Gebrauchswerte hervorbringt, ist es falsch zu sagen, daß sie einzige Quelle des von ihr hervorgebrachten, nämlich des stofflichen Reichtums sei. Da sie die Tätigkeit ist, das Stoffliche für diesen oder jenen Zweck anzueignen, bedarf sie des Stoffes als Voraussetzung. In verschiedenen Gebrauchswerten ist die Proportion zwischen Arbeit und Naturstoff sehr verschieden, aber stets enthält der Gebrauchswert ein natürliches Substrat. Als zweckmäßige Tätigkeit zur Aneignung des Natürlichen in einer oder der anderen Form ist die Arbeit Naturbedingung der menschlichen Existenz, eine von allen sozialen Formen unabhängige Bedingung des Stoff
* Berkeley, „The Querist", London 1750. „Whether the four elements, and man's labour therein, be not the true source of wealth?" ** Th. Cooper, „Lectures on the Elements of Political Economy", London 1831 (Columbia 1826), p. 99.
Wechsels zwischen Mensch und Natur. Tauschwert setzende Arbeit ist dagegen eine spezifisch gesellschaftliche Form der Arbeit. Schneiderarbeit z.B. in ihrer stofflichen Bestimmtheit als besondere produktive Tätigkeit, produziert den Rock, aber nicht den Tauschwert des Rocks. Letztern produziert sie nicht als Schneiderarbeit, sondern als abstrakt allgemeine Arbeit, und diese gehört einem Gesellschaftszusammenhang, den der Schneider nicht eingefädelt hat. So produzierten in der antiken häuslichen Industrie Weiber den Rock, ohne den Tauschwert des Rockes zu produzieren. Arbeit als eine Quelle von stofflichem Reichtum war dem Gesetzgeber Moses sowohl bekannt wie dem Zollbeamten Adam Smith.* Betrachten wir nun einige nähere Bestimmungen, die sich aus der Zurückführung des Tauschwerts auf Arbeitszeit ergeben. Als Gebrauchswert wirkt die Ware ursachlich. Weizen z.B. wirkt als Nahrungsmittel. Eine Maschine ersetzt Arbeit in bestimmten Verhältnissen. Diese Wirkung der Ware, wodurch sie allein Gebrauchswert, Gegenstand der Konsumtion ist, kann ihr Dienst genannt werden, der Dienst, den sie als Gebrauchswert leistet. Als Tauschwert aber wird die Ware immer nur unter dem Gesichtspunkt des Resultats betrachtet. Es handelt sich nicht um den Dienst, den sie leistet, sondern um den Dienst**, der ihr selbst geleistet worden ist in ihrer Produktion. So ist also der Tauschwert einer Maschine z.B. bestimmt nicht durch das Quantum Arbeitszeit, das von ihr ersetzt wird, sondern das Quantum Arbeitszeit, das in ihr selbst aufgearbeitet und daher erheischt ist, eine neue Maschine derselben Art zu produzieren. Bliebe daher das zur Produktion von Waren erheischte Arbeitsquantum konstant, so wäre ihr Tauschwert unveränderlich. Aber die Leichtigkeit und Schwierigkeit der Produktion wechseln beständig. Wächst die Produktivkraft der Arbeit, so produziert sie denselben Gebrauchswert in kürzerer Zeit. Fällt die Produktivkraft der Arbeit, so wird mehr Zeit erheischt zur Produktion desselben Gebrauchswerts. Die Größe der in einer Ware enthaltenen Arbeitszeit, also ihr Tauschwert, ist daher ein wechselnder, steigt oder fällt in um
* F. List, der den Unterschied zwischen der Arbeit, sofern sie Nützliches, einen Gebrauchswert, schaffen hilft, und der Arbeit, sofern sie eine bestimmte gesellschaftliche Form des Reichtums, den Tauschwert, schafft, nie begreifen konnte, wie Begreifen überhaupt seinem interessiert praktischen Verstand fern lag, erblickte daher in den englischen modernen Ökonomen bloße Plagiarien des Moses von Ägypten. ** Man begreift, welchen „Dienst" die Kategorie „Dienst" (service) einer Sorte Ökonomen wie J. B. Say und F. Bastiat leisten muß, deren räsonierende Klugheit, wie schon Malthus richtig bemerkte, überall von der spezifischen Formbestimmtheit der ökonomischen Verhältnisse abstrahiert.
gekehrtem Verhältnis zum Steigen oder Fallen der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der Arbeit, die in der Manufakturindustrie in vorausbestimmtem Grade angewandt wird, ist in der Agrikultur und der extraktiven Industrie zugleich bedingt durch unkontrollierbare Naturverhältnisse. Dieselbe Arbeit wird eine größere oder mindere Ausbeute verschiedener Metalle ergeben, je nach dem relativ seltenem und häufigeren Vorkommen dieser Metalle in der Erdrinde. Dieselbe Arbeit mag sich mit Gunst der Jahreszeit in 2 Bushel Weizen, mit Ungunst derselben vielleicht nur in 1 Bushel Weizen vergegenständlichen. Seltenheit oder Uberfluß als Naturverhältnisse scheinen hier den Tauschwert der Waren zu bestimmen, weil sie die an Naturverhältnisse gebundene Produktivkraft besonderer realen Arbeit bestimmen. Verschiedene Gebrauchswerte enthalten in ungleichen Volumen dieselbe Arbeitszeit oder denselben Tauschwert. In je kleinerem Volumen ihres Gebrauchswerts, verglichen mit den andern Gebrauchswerten, eine Ware, ein bestimmtes Quantum Arbeitszeit enthält, um so größer ist ihr spezifischer Tauschwert. Finden wir, daß in verschiedenen, weit auseinanderliegenden Kulturepochen gewisse Gebrauchswerte unter sich eine Reihe von spezifischen Tauschwerten bilden, die, wenn nicht exakt dasselbe Zahlenverhältnis, doch das allgemeine Verhältnis der Über- und Unterordnung gegeneinander bewahren, wie z.B. Gold, Silber, Kupfer, Eisen, oder Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, so folgt daraus nur, daß die fortschreitende Entwicklung der gesellschaf tlichenProduktivkräf te gleichmäßig oder annähernd gleichmäßig auf die Arbeitszeit einwirkt, die zur Produktion jener verschiedenen Waren erfordert ist. Der Tauschwert einer Ware kommt nicht in ihrem eignen Gebrauchswert zur Erscheinung. Als Vergegenständlichung der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeitszeit jedoch ist der Gebrauchswert einer Ware in Verhältnisse gesetzt zu den Gebrauchswerten anderer Waren. Der Tauschwert der einen Ware manifestiert sich so in den Gebrauchswerten der anderen Waren. Äquivalent ist in der Tat der Tauschwert einer Ware ausgedrückt im Gebrauchswert einer andern Ware. Sage ich z.B. eine Elle Leinwand ist wert zwei Pfund Kaffee, so ist der Tauschwert der Leinwand in dem Gebrauchswert Kaffee, und zwar in einem bestimmten Quantum dieses Gebrauchswerts ausgedrückt. Diese Proportion gegeben, kann ich den Wert jedes Quantums Leinwand in Kaffee ausdrücken. Es ist klar, daß der Tauschwert einer Ware, z.B. der Leinwand, nicht erschöpft ist in der Proportion, worin eine andere besondre Ware, z.B. Kaffee, ihr Äquivalent bildet. Das Quantum allgemeiner Arbeitszeit, dessen Darstellung die Elle Leinwand ist,
ist gleichzeitig in unendlich verschiedenen Volumen von Gebrauchswerten aller andern Waren realisiert. In der Proportion, worin der Gebrauchswert jeder andern Ware gleich große Arbeitszeit darstellt, bildet er ein Äquivalent für die Elle Leinwand. Der Tauschwert dieser einzelnen Ware drückt sich daher nur erschöpfend aus in den unendlich vielen Gleichungen, worin die Gebrauchswerte aller andern Waren ihr Äquivalent bilden. Nur in der Summe n : d_ uicac i vjiciuiuiigcu uuei 111 uci ^csauiuicii uci vci suiicuciicu 1 lupui uuucii, worin eine Ware mit jeder andern Ware austauschbar ist, ist sie erschöpfend ausgedrückt als allgemeines Äquivalent. TL. B. die Reihe der Gleichungen 1 Elle Leinwand = x/2 Pfund Tee, 1 Elle Leinwand = 2 Pfund Kaffee, 1 Elle Leinwand = 8 Pfund Brot, 1 Elle Leinwand = 6 Ellen Kattun,
kann dargestellt werden als
1 Elle Leinwand - 7s Pfund Tee + V2 Pfund Kaffee + 2 Pfund Brot + IV2 Ellen Kattun.
Wenn wir daher die ganze Summe von Gleichungen vor uns hätten, worin sich der Wert einer Elle Leinwand erschöpfend ausdrückt, könnten wir ihren Tauschwert darstellen in der Form einer Reihe. In der Tat ist diese Reihe unendlich, da der Umkreis der Waren nie definitiv abgeschlossen ist, sondern sich stets ausdehnt. Indem aber so die eine Ware ihren Tauschwert mißt in den Gebrauchswerten aller andern Waren, messen sich umgekehrt die Tauschwerte aller andern Waren in dem Gebrauchswert dieser einen sich in ihnen messenden Ware.* Wenn der Tauschwert 1 Elle Leinwand sich ausdrückt in 1/2 Pfund Tee oder 2 Pfund Kaffee oder 6 Ellen Kattun oder 8 Pfund Brot usw., so folgt, daß Kaffee, Tee, Kattun, Brot usw. in dem Verhältnis, worin sie einem dritten, der Leinwand, gleich sind, untereinander gleich sind, also Leinwand als gemeinschaftliches Maß ihrer Tauschwerte dient. Jede Ware als vergegenständlichte allgemeine Arbeitszeit, d.h. bestimmtes Quantum allgemeiner Arbeitszeit, drückt ihren Tauschwert der Reihe nach aus in bestimmten Quantitäten der Gebrauchswerte aller andern Waren, und die Tauschwerte aller andern Waren messen sich umgekehrt in dem Gebrauchswert dieser einen ausschließlichen Ware. Als Tauschwert aber ist jede Ware
* „Es ist auch eine Eigentümlichkeit der Maße, ein solches Verhältnis mit dem gemessenen Ding zu haben, daß in gewisser Art das Gemessene das Maß des Messenden wird." Montanari, „Deila Moneta", p.48 in Custodis Sammlung, vol. III.,Parte Antica.
sowohl die eine ausschließliehe Ware, die als gemeinsames Maß der Tauschwerte aller andern Waren dient, wie sie andrerseits nur eine der vielen Waren ist, in deren Gesamtumkreis jede andre Ware ihren Tauschwert unmittelbar darstellt. Die Wertgröße einer Ware wird nicht davon berührt, ob wenig oder viel Waren anderer Art außer ihr existieren. Ob aber die Reihe der Gleichungen, worin ihr Tauschwert sich realisiert, größer oder kleiner ist, hängt ab von der größern oder kleinern Mannigfaltigkeit von andern Waren. Die Reihe von Gleichungen, worin sich z.B. der Wert des Kaffees darstellt, drückt die Sphäre seiner Austauschbarkeit aus, die Grenzen, worin er als Tauschwert funktioniert. Dem Tauschwert einer Ware als Vergegenständlichung der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeitszeit entspricht der Ausdruck ihrer Äquivalenz in unendlich verschiedenen Gebrauchswerten. Wir haben gesehen, daß der Tauschwert einer Ware wechselt mit der Quantität der unmittelbar in ihr selbst enthaltenen Arbeitszeit. Ihr realisierter, d.h. in den Gebrauchswerten anderer Waren ausgedrückter Tauschwert muß ebenso abhängen von dem Verhältnis, worin die auf die Produktion aller andern Waren verwandte Arbeitszeit wechselt. Bliebe z.B. die zur Produktion eines Scheffels Weizen erforderliche Arbeitszeit dieselbe, während die zur Produktion aller andern Waren erheischte Arbeitszeit sich verdoppelte, so wäre der Tauschwert des Scheffels Weizen, ausgedrückt in seinen Äquivalenten, um die Hälfte gesunken. Das Resultat wäre praktisch dasselbe, als ob die zur Herstellung des Scheffels Weizen erforderliche Arbeitszeit um die Hälfte gefallen und die zur Herstellung aller andern Waren erforderliche Arbeitszeit unverändert geblieben wäre. Der Wert der Waren ist bestimmt durch die Proportion, worin sie in derselben Arbeitszeit produziert werden können. Um zu sehen, welchen möglichen Wechseln diese Proportion ausgesetzt ist, unterstellen wir zwei Waren A und B. Erstens: Die zur Produktion von B erforderte Arbeitszeit bleibe unverändert. In diesem Falle fällt oder steigt der Tauschwert von A, in B ausgedrückt, direkt wie die zur Produktion von A erheischte Arbeitszeit fällt oder steigt. Zweitens: Die zur Produktion von A erforderliche Arbeitszeit bleibe unverändert. Der Tauschwert von A in B ausgedrückt, fällt oder steigt in umgekehrtem Verhältnisse, wie die zur Produktion von B erheischte Arbeitszeit fällt oder steigt. Drittens: Die zur Produktion von A und B erheischte Arbeitszeit falle oder steige in gleicher Proportion. Der Ausdruck der Äquivalenz von A in B bleibt dann unverändert. Nähme durch irgendeinen Umstand die Produktivkraft aller Arbeiten in demselben Maße ab, so daß alle Waren in gleicher Proportion mehr Arbeitszeit zu ihrer Produktion erheischten, so wäre der Wert aller Waren gestiegen, der
reale Ausdruck ihres Tauschwerts wäre unverändert geblieben, und der wirkliche Reichtum der Gesellschaft hätte abgenommen, da sie mehr Arbeitszeit brauchte, um dieselbe Masse von Gebrauchswerten zu schaffen. Viertens: Die zur Produktion von A und B erforderte Arbeitszeit mag für beide steigen oder fallen, aber in ungleichem Grade, oder die für A erforderte Arbeitszeit mag steigen, während die für B fällt, oder umgekehrt. Alle diese Fälle können einfach darauf reduziert werden, daß die zur Produktion einer Ware erheischte Arbeitszeit unverändert bleibt, während die der andern steigt oder fallt. Der Tauschwert jeder Ware drückt sich in dem Gebrauchswert jeder andern Ware aus, sei es in ganzen Größen oder in Brüchen dieses Gebrauchswerts. Als Tauschwert ist jede Ware ebenso teilbar wie die Arbeitszeit selbst, die in ihr vergegenständlicht ist. Die Äquivalenz der Waren ist ebenso unabhängig von ihrer physischen Teilbarkeit als Gebrauchswerte, wie die Addition der Tauschwerte der Waren gleichgültig dagegen ist, welchen realen Formwechsel die Gebrauchswerte dieser Waren in ihrer Umschmelzung zu einer neuen Ware durchlaufen. Bisher wurde die Ware unter doppeltem Gesichtspunkt betrachtet, als Gebrauchswert und als Tauschwert, jedesmal einseitig. Als Ware jedoch ist sie unmittelbar Einheit von Gebrauchswert und Tauschwert; zugleich ist sie Ware nur in Beziehung auf die anderen Waren. Die wirkliche Beziehung der Waren aufeinander ist ihr Austauschprozeß. Es ist dies gesellschaftlicher Prozeß, den die voneinander unabhängigen Individuen eingehen, aber sie gehen ihn nur ein als Warenbesitzer; ihr wechselseitiges Dasein füreinander ist das Dasein ihrer Waren, und so erscheinen sie in der Tat nur als bewußte Träger des Austauschprozesses. Die Ware ist Gebrauchswert, Weizen, Leinwand, Diamant, Maschine etc., aber als Ware ist sie zugleich nicht Gebrauchswert. Wäre sie Gebrauchswert für ihren Besitzer, d.h. unmittelbar Mittel zur Befriedigung seiner eignen Bedürfnisse, so wäre sie nicht Ware. Für ihn ist sie vielmehr Nicht-Gebrauchswert, nämlich bloß stofflicher Träger des Tauschwerts, oder bloßes Tauschmittel; als aktiver Träger des Tauschwerts wird der Gebrauchswert Tauschmittel. Für ihn ist sie Gebrauchswert nur noch als Tauschwert.* Als Gebrauchswert muß sie daher erst werden, zunächst für andere. Da sie nicht Gebrauchswert für ihren eigenen Besitzer, ist sie Gebrauchswert für Besitzer anderer Ware. Wenn nicht, war seine Arbeit nutzlose Arbeit, ihr Resultat also nicht Ware. Andererseits muß sie Gebrauchswert für ihn selbst werden, denn
* Es ist in dieser Bestimmtheit, daß Aristoteles (siehe die im Eingang des Kapitels zitierte Stelle) den Tauschwert auffaßt.
außer ihr, in den Gebrauchswerten fremder Waren, existieren seine Lebensmittel. Um als Gebrauchswert zu werden, muß die Ware dem besonderen Bedürfnis gegenübertreten, wofür sie Gegenstand der Befriedigung ist. Die Gebrauchswerte der Waren werden also als Gebrauchswerte, indem sie allseitig die Stellen wechseln, aus der Hand, worin sie Tauschmittel, übergehen in die Hand, worin sie Gebrauchsgegenstände. Nur durch diese allseitige Entäußerung der Waren wird die in ihnen enthaltene Arbeit nützliche Arbeit. In dieser prozessierenden Beziehung der Waren aufeinander als Gebrauchswerte erhalten sie keine neue ökonomische Formbestimmtheit. Vielmehr verschwindet die Formbestimmtheit, die sie als Ware charakterisierte. Brot z. B. in dem Übergang aus der Hand des Bäckers in die Hand des Konsumenten ändert nicht sein Dasein als Brot. Umgekehrt, erst der Konsument bezieht sich auf es als Gebrauchswert, als dies bestimmte Nahrungsmittel, während es in der Hand des Bäckers Träger eines ökonomischen Verhältnisses, ein sinnlich übersinnliches Ding war. Der einzige Formwechsel, den die Waren in ihrem Werden als Gebrauchswerte eingehen, ist also die Aufhebung ihres formellen Daseins, worin sie Nicht-Gebrauchswert für ihren Besitzer, Gebrauchswert für ihren Nichtbesitzer waren. Das Werden der Waren als Gebrauchswerte unterstellt ihre allseitige Entäußerung, ihr Eingehen in den Austauschprozeß, aber ihr Dasein für den Austausch ist ihr Dasein als Tauschwerte. Um sich daher als Gebrauchswerte zu verwirklichen, müssen sie sich als Tauschwerte verwirklichen. Erschien die einzelne Ware unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchswertes ursprünglich als selbständiges Ding, so war sie dagegen als Tauschwert von vornherein in Beziehung auf alle andern Waren betrachtet. Diese Beziehung jedoch war nur eine theoretische, gedachte. Betätigt wird sie nur im Austauschprozeß. Andrerseits ist die Ware zwar Tauschwert, sofern ein bestimmtes Quantum Arbeitszeit in ihr aufgearbeitet und sie daher vergegenständlichte Arbeitszeit ist. Aber, wie sie unmittelbar ist, ist sie nur vergegenständlichte individuelle Arbeitszeit von besonderem Inhalt, nicht allgemeine Arbeitszeit. Sie ist daher nicht unmittelbar Tauschwert, sondern muß erst solcher werden. Zunächst kann sie nur Vergegenständlichung der allgemeinen Arbeitszeit sein, soweit sie Arbeitszeit in bestimmter nützlicher Anwendung, also in einem Gebrauchswert darstellt. Dies war die stoffliche Bedingung, unter der allein die in den Waren enthaltene Arbeitszeit als allgemeine, gesellschaftliche vorausgesetzt war. Wenn die Ware daher nur als Gebrauchswert werden kann, indem sie sich als Tauschwert verwirklicht, kann sie sich andrerseits nur als Tauschwert verwirklichen, indem sie sich in ihrer Entäußerung als Gebrauchswert bewährt. Eine Ware kann als Gebrauchswert nur an den
veräußert werden, für den sie Gebrauchswert ist, d.h. Gegenstand besondern Bedürfnisses. Andrerseits wird sie nur veräußert gegen eine andre Ware, oder, wenn wir uns auf die Seite des Besitzers der andern Ware stellen, kann er seine Ware ebenfalls nur veräußern, d.h. verwirklichen, indem er sie in Kontakt mit dem besondern Bedürfnis bringt, dessen Gegenstand sie ist. In der allseitigen Entäußerung der Waren als Gebrauchswerte werden sie daher aufeinander bezogen nach ihrer stofflichen Verschiedenheit als besondre Dinge, die durch ihre spezifischen Eigenschaften besondre Bedürfnisse befriedigen. Aber als solche bloße Gebrauchswerte sind sie gleichgültige Existenzen füreinander und vielmehr beziehungslos. Als Gebrauchswerte können sie nur ausgetauscht werden in Beziehung auf besondre Bedürfnisse. Austauschbar aber sind sie nur als Äquivalente, und Äquivalente sind sie nur als gleiche Quanta vergegenständlichter Arbeitszeit, so daß alle Rücksicht auf ihre natürlichen Eigenschaften als Gebrauchswerte und daher auf das Verhältnis der Waren zu besondern Bedürfnissen ausgelöscht ist. Als Tauschwert betätigt sich eine Ware vielmehr, indem sie als Äquivalent beliebig bestimmtes Quantum jeder andern Ware ersetzt, gleichgültig, ob sie für den Besitzer der andern Ware Gebrauchswert ist oder nicht ist. Aber für den Besitzer der andern Ware wird sie nur Ware, sofern sie Gebrauchswert für ihn ist, und für ihren eignen Besitzer wird sie nur Tauschwert, soweit sie Ware für den andern ist. Dieselbe Beziehung also soll Beziehung der Waren als wesentlich gleicher, nur quantitativ verschiedener Größen, soll ihre Gleichsetzung als Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit und soll gleichzeitig ihre Beziehung als qualitativ verschiedene Dinge, als besondre Gebrauchswerte für besondre Bedürfnisse, kurz, sie als wirkliche Gebrauchswerte unterscheidende Beziehung sein. Aber diese Gleichsetzung und Ungleichsetzung schließen sich wechselseitig aus. So stellt sich nicht nur ein fehlerhafter Zirkel von Problemen dar, indem die Lösung des einen die Lösung des andern voraussetzt, sondern ein Ganzes widersprechender Forderungen, indem die Erfüllung einer Bedingung unmittelbar gebunden ist an die Erfüllung ihres Gegenteils. Der Austauschprozeß der Waren muß sowohl die Entfaltung wie die Lösung dieser Widersprüche sein, die sich in ihm jedoch nicht in dieser einfachen Weise darstellen können. Wir haben nur zugesehen, wie die Waren selbst wechselseitig aufeinander als Gebrauchswerte bezogen werden, d.h., wie die Waren als Gebrauchswerte innerhalb des Austauschprozesses auftreten. Der Tauschwert dagegen, wie wir ihn bisher betrachtet, war bloß da in unsrer Abstraktion oder, wenn man will, in der Abstraktion des einzelnen Warenbesitzers, dem die Ware als Gebrauchswert auf dem Speicher und als
Tauschwert auf dem Gewissen liegt. Die Waren selbst müssen aber innerhalb des Austauschprozesses nicht nur als Gebrauchswerte, sondern als Tauschwerte füreinander da sein, und dies ihr Dasein als ihre eigene Beziehung aufeinander erscheinen. Die Schwierigkeit, an der wir zunächst stockten, war, daß um sich als Tauschwert, als vergegenständlichte Arbeit darzustellen, die Ware zuvor als Gebrauchswert entäußert, an den Mann gebracht sein muß, während ihre Entäußerung als Gebrauchswert umgekehrt ihr Dasein als Tauschwert voraussetzt. Aber gesetzt, diese Schwierigkeit sei gelöst. Die Ware habe ihren besondern Gebrauchswert abgestreift und durch dessen Entäußerung die stoffliche Bedingung erfüllt, gesellschaftlich nützliche Arbeit zu sein, statt besondre Arbeit des einzelnen für sich selbst. So muß sie dann im Austauschprozeß als Tauschwert, allgemeines Äquivalent, vergegenständlichte allgemeine Arbeitszeit für die andern Waren werden und so nicht mehr die beschränkte Wirkung eines besonderen Gebrauchswerts, sondern die unmittelbare Darstellungsfähigkeit in allen Gebrauchswerten als ihren Äquivalenten erhalten. Jede Ware aber ist die Ware, die so durch Entäußerung ihres besonderen Gebrauchswerts als direkte Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit erscheinen muß. Andrerseits aber stehen sich im Austauschprozeß nur besondere Waren gegenüber, in besonderen Gebrauchswerten verkörperte Arbeiten von Privatindividuen. Die allgemeine Arbeitszeit selbst ist eine Abstraktion, die als solche für die Waren nicht existiert. Betrachten wir die Summe von Gleichungen, worin der Tauschwert einer Ware seinen realen Ausdruck findet, z. B.:
1 Elle Leinwand = 2 Pfund Kaffee, 1 Elle Leinwand = 1/2 Pfund Tee, 1 Elle Leinwand = 8 Pfund Brot usw.,
so besagen diese Gleichungen zwar nur, daß allgemeine, gesellschaftliche Arbeitszeit von gleicher Größe sich in 1 Elle Leinwand, 2 Pfund Kaffee, 1I% Pfund Tee usw. vergegenständlicht. Aber in der Tat werden die individuellen Arbeiten, die sich in diesen besondern Gebrauchswerten darstellen, nur zu allgemeiner und in dieser Form zu gesellschaftlicher Arbeit, indem sie sich wirklich gegeneinander austauschen im Verhältnis der Zeitdauer der in ihnen enthaltenen Arbeit1. Die gesellschaftliche Arbeitszeit existiert sozusagen nur latent in diesen Waren und offenbart sich erst in ihrem Austauschprozeß. Es wird nicht ausgegangen von der Arbeit der Individuen als gemeinschaftlicher, sondern umgekehrt von besondern Arbeiten von Privatindividuen,
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) im Verhältnis ihrer Zeitdauer
Arbeiten, die sich erst im Austauschprozeß durch Aufhebung ihres ursprünglichen Charakters, als allgemeine gesellschaftliche Arbeit beweisen. Die allgemein gesellschaftliche Arbeit ist daher nicht fertige Voraussetzung, sondern werdendes Resultat. Und so ergibt sich die neue Schwierigkeit, daß die Waren einerseits als vergegenständlichte allgemeine Arbeitszeit in den Austauschprozeß eingehen müssen, andrerseits die Vergegenständlichung der Arbeitszeit der Individuen als allgemeiner selbst nur Produkt des Austauschprozesses ist. Jede Ware soll durch Entäußerung ihres Gebrauchswerts, also ihrer ursprünglichen Existenz, ihre entsprechende Existenz als Tauschwert erhalten. Die Ware muß daher im Austauschprozeß ihre Existenz verdoppeln. Andrerseits kann ihre zweite Existenz als Tauschwert selbst nur eine andre Ware sein, denn im Austauschprozeß stehen sich nur Waren gegenüber. Wie eine besondere Ware unmittelbar darstellen als vergegenständlichte allgemeine Arbeitszeit, oder, was dasselbe ist, wie der individuellen Arbeitszeit, die in einer besonderen Ware vergegenständlicht ist, unmittelbar den Charakter der Allgemeinheit geben? Der reale Ausdruck des Tauschwerts einer Ware, d.h. jeder Ware als allgemeinen Äquivalents, stellt sich dar in einer unendlichen Summe von Gleichungen wie:
1 Elle Leinwand = 2 Pfund Kaffee, l Elle Leinwand = 1/2 Pfund Tee, 1 Elle Leinwand = 8 Pfund Brot, 1 Elle Leinwand = 6 Ellen Kattun, 1 Elle Leinwand = usw.
Diese Darstellung war theoretisch, soweit die Ware als bestimmtes Quantum vergegenständlichter allgemeiner Arbeitszeit nur gedacht war. Das Dasein einer besonderen Ware als allgemeines Äquivalent wird aus bloßer Abstraktion gesellschaftliches Resultat des Austauschprozesses selbst durch einfache Umkehrung der obigen Reihe von Gleichungen. Also z.B.: 2 Pfund Kaffee = 1 Elle Leinwand, V2 Pfund Tee = 1 Elle Leinwand, 8 Pfund Brot : 1 Elle Leinwand, 6 Ellen Kattun = 1 Elle Leinwand. Indem Kaffee, Tee, Brot, Kattun, kurz alle Waren, die in ihnen selbst enthaltene Arbeitszeit in Leinwand ausdrücken, entfaltet sich der Tauschwert der Leinwand umgekehrt in allen andern Waren als ihren Äquivalenten und wird die in ihr selbst vergegenständlichte Arbeitszeit unmittelbar die all
gemeine Arbeitszeit, die sich gleichmäßig in verschiedenen Volumen aller andern Waren darstellt. Die Leinwand wird hier allgemeines Äquivalent durch die allseitige Aktion edler andern Waren auf sie. Als Tauschwert wurde jede Ware zum Maß der Werte aller andern Waren. Hier umgekehrt, indem alle Waren ihren Tauschwert in einer besondern Ware messen, wird die ausgeschlossene Ware adäquates Dasein des Tauschwerts, sein Dasein als allgemeines Äquivalent. Dagegen schrumpfen die eine unendliche Reihe oder die unendlich vielen Gleichungen, worin der Tauschwert jeder Ware sich darstellte, in eine einzige Gleichung von nur 2 Gliedern zusammen. 2 Pfund Kaffee = 1 Elle Leinwand ist jetzt der erschöpfende Ausdruck des Tauschwerts von Kaffee, da er in diesem Ausdruck unmittelbar als Äquivalent für bestimmtes Quantum jeder andern Ware erscheint. Innerhalb des Austauschprozesses sind also jetzt die Waren füreinander da oder erscheinen einander als Tauschwerte in der Form Leinwand. Daß alle Waren als Tauschwerte aufeinander bezogen sind, als nur verschiedene Quanta vergegenständlichter allgemeiner Arbeitszeit, erscheint jetzt so, daß sie als Tauschwerte nur verschiedene Quanta desselben Gegenstandes, der Leinwand, darstellen. Die allgemeine Arbeitszeit stellt sich daher ihrerseits dar als ein besonderes Ding, eine Ware neben und außer allen andern Waren. Zugleich aber ist die Gleichung, worin sich Ware für Ware als Tauschwert darstellt, z. B. 2 Pfund Keiffee = 1 Elle Leinwand, noch zu verwirklichende Gleichsetzung. Nur durch ihre Veräußerung als Gebrauchswert, die davon abhängt, ob sie sich als Gegenstand eines Bedürfnisses im Austauschprozeß bewährt, verwandelt sie sich wirklich aus ihrem Dasein Kaffee in ihr Dasein Leinwand, nimmt so die Form des allgemeinen Äquivalents an und wird wirklich Tauschwert für alle andern Waren. Umgekehrt dadurch, daß alle Waren durch ihre Entäußerung als Gebrauchswerte sich in Leinwand verwandeln, wird die Leinwand das verwandelte Dasein aller andern Waren und nur als Resultat dieser Verwandlung aller andern Waren in sie unmittelbar Vergegenständlickung der allgemeinen Arbeitszeit, d. h. Produkt der allseitigen Entäußerung, Aufhebung der individuellen Arbeiten. Verdoppeln die Waren so, um als Tauschwerte füreinander zu erscheinen, ihre Existenz, so verdoppelt die als allgemeines Äquivalent ausgeschlossene Ware ihren Gebrauchswert. Außer ihrem besondern Gebrauchswert als besondere Ware, erhält sie einen allgemeinen Gebrauchswert. Dieser ihr Gebrauchswert ist selbst Formbestimmtheit, d. h. geht aus der spezifischen Rolle hervor, die sie durch die allseitige Aktion der andern Waren auf sie im Austauschprozeß spielt. Der Gebrauchswert jeder Ware als Gegenstand eines besondern Bedürfnisses hat verschiedenen Wert in verschiedener Hand, z. B. andern Wert in der Hand dessen, der sie ver
3 Marx/Engels, Werke. Bd. 13
äußert, als in der Hand dessen, der sie aneignet. Die als allgemeines Äquivalent ausgeschlossene Ware ist jetzt Gegenstand eines aus dem Austauschprozeß selbst hervorwachsenden allgemeinen Bedürfnisses und hat für jeden denselben Gebrauchswert, Träger des Tauschwerts zu sein, allgemeines Tauschmittel. So ist in der einen Ware der Widerspruch gelöst, den die Ware als solche einschließt, als besonderer Gebrauchswert zugleich allgemeines Äquivalent und daher Gebrauchswert für jeden, allgemeiner Gebrauchswert zu sein. Während also alle andern Waren jetzt zunächst ihren Tauschwert als ideelle, erst zu realisierende Gleichung mit der ausschließlichen Ware darstellen, erscheint bei dieser ausschließlichen Ware ihr Gebrauchswert, obgleich reell, in dem Prozeß selbst als bloßes Formdasein, das erst durch Verwandlung in wirkliche Gebrauchswerte zu realisieren ist. Ursprünglich stellte sich die Ware dar als Ware überhaupt, allgemeine Arbeitszeit vergegenständlicht in einem besondern Gebrauchswert. Im Austauschprozeß beziehen sich alle Waren auf die ausschließliche Ware als Ware überhaupt, die Ware, Dasein der allgemeinen Arbeitszeit in einem besondern Gebrauchswert. Als besondere Waren verhalten sie sich daher gegensätzlich zu einer besondern Ware als der allgemeinen Ware.* Daß also die Warenbesitzer wechselseitig sich auf ihre Arbeiten als allgemeine gesellschaftliche Arbeit beziehen, stellt sich so dar, daß sie sich auf ihre Waren als Tauschwerte beziehen, die wechselseitige Beziehung der Waren aufeinander als Tauschwerte im Austauschprozeß als ihre allseitige Beziehung auf eine besondere Ware als adäquaten Ausdruck ihres Tauschwerts, was umgekehrt wieder erscheint als spezifische Beziehung dieser besondern Ware zu allen andern Waren und darum als bestimmter gleichsam naturwüchsig gesellschaftlicher Charakter eines Dings. Die besondere Ware, die so das adäquate Dasein des Tauschwerts aller Waren darstellt, oder der Tauschwert der Waren als eine besondere, ausschließliche Ware, ist - Geld. Es ist eine Kristallisation des Tauschwerts der Waren, die sie im Austauschprozeß selbst bilden. Während daher die Waren innerhalb des Austauschprozesses als Gebrauchswerte füreinander werden, indem sie alle Formbestimmtheit abstreifen und sich aufeinander in ihrer unmittelbaren stofflichen Gestalt beziehen, müssen sie, um einander als Tauschwerte zu erscheinen, neue Formbestimmtheit annehmen, zur Geldbildung fortgehen. Das Geld ist nicht Symbol, so wenig wie das Dasein eines Gebrauchswerts als Ware Symbol ist. Daß ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis sich als ein außer den Individuen vorhandener Gegenstand und die bestimmten Beziehungen, die sie im Produktionsprozeß ihres
* Derselbe Ausdruck findet sich bei Genovesi. [Note im Handexemplar.]
gesellschaftlichen Lebens eingehen» sich als spezifische Eigenschaften eines Dings darstellen, diese Verkehrung und nicht eingebildete, sondern prosaisch reelle Mystifikation charakterisiert alle gesellschaftlichen Formen der Tauschwert setzenden Arbeit. Im Geld erscheint sie nur frappanter als in der Ware. Die notwendigen physischen Eigenschaften der besondern Ware, worin sich das Geldsein aller Waren kristallisieren soll, soweit sie aus der Natur des Tauschwerts unmittelbar hervorgehen, sind beliebige Teilbarkeit, Gleichförmigkeit der Teile und Unterschiedslosigkeit aller Exemplare dieser Ware. Als Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit muß sie gleichartige Materiatur sein und fähig, bloß quantitative Unterschiede darzustellen. Die andre notwendige Eigenschaft ist Dauerbarkeit ihres Gebrauchswerts, da sie innerhalb des Austauschprozesses ausdauern muß. Die edeln Metalle besitzen diese Eigenschaften in vorzüglichem Grade. Da das Geld nicht Produkt der Reflexion oder der Verabredung ist, sondern instinktartig im Austauschprozeß gebildet wird, haben sehr verschiedene, mehr oder minder unpassende Waren abwechselnd die Funktion des Geldes verrichtet. Die Notwendigkeit, auf einer gewissen Stufe der Entwicklung des Austauschprozesses, die Bestimmungen von Tauschwert und Gebrauchswert polarisch an die Waren zu verteilen, so daß eine Ware z. B. als Tauschmittel figuriert, während die andere als Gebrauchswert veräußert wird, bringt es mit sich, daß überall die Ware oder auch mehrere Waren vom allgemeinsten Gebrauchswert zunächst zufällig die Rolle des Geldes spielen. Wenn nicht Gegenstand eines unmittelbar vorhandenen Bedürfnisses, sichert ihr Dasein als stofflich bedeutendster Bestandteil des Reichtums ihnen einen allgemeinern Charakter als den übrigen Gebrauchswerten. Der unmittelbare Tauschhandel, die naturwüchsige Form des Austauschprozesses, stellt vielmehr die beginnende Umwandlung der Gebrauchswerte in Waren als die der Waren in Geld dar. Der Tauschwert erhält keine freie Gestalt, sondern ist noch unmittelbar an den Gebrauchswert gebunden. Es zeigt sich dies doppelt. Die Produktion selbst in ihrer ganzen Konstruktion ist gerichtet auf Gebrauchswert, nicht auf Tauschwert, und es ist daher nur durch ihren Überschuß über das Maß, worin sie für die Konsumtion erheischt sind, daß die Gebrauchswerte hier aufhören Gebrauchswerte zu sein und Mittel des Austausches werden, Ware. Andrerseits werden sie Waren selbst nur innerhalb der Grenzen des unmittelbaren Gebrauchswerts, wenn auch polarisch verteilt, so daß die von den Warenbesitzern auszutauschenden Waren für beide Gebrauchswerte sein müssen, aber jede Gebrauchswert für ihren Nichtbesitzer. In der Tat erscheint der Austauschprozeß von Waren
ursprünglich nicht im Schoß der naturwüchsigen Gemeinwesen*, sondern da, wo sie aufhören, an ihren Grenzen, den wenigen Punkten, wo sie in Kontakt mit andern Gemeinwesen treten. Hier beginnt der Tauschhandel und schlägt von da ins Innere des Gemeinwesens zurück, auf das er zersetzend wirkt. Die besondern Gebrauchswerte, die im Tauschhandel zwischen verschiedenen Gemeinwesen Waren werden, wie Sklave, Vieh, Metalle, bilden 11 '.1 , r1 IV 1 11 1 /""• * 11- TD-T. 1 1 aaner meist aas erste oeia innernaiD aer vaemeinwesen selbst, wir naben gesehen, wie sich der Tauschwert einer Ware in um so höherm Grade als Tauschwert darstellt, je länger die Reihe seiner Äquivalente oder je größer die Sphäre des Austausches für die Ware ist. Die allmähliche Erweiterung des Tauschhandels, Vermehrung der Austausche und Vervielfältigung der in den Tauschhandel kommenden Waren, entwickelt daher die Ware als Tauschwert, drängt zur Geldbildung und wirkt damit auflösend auf den unmittelbaren Tauschhandel. Die Ökonomen pflegen das Geld aus den äußern Schwierigkeiten abzuleiten, worauf der erweiterte Tauschhandel stößt, vergessen aber dabei, daß diese Schwierigkeiten aus der Entwicklung des Tauschwerts und daher der gesellschaftlichen Arbeit als allgemeiner Arbeit entspringen. Z. B.: Die Waren sind als Gebrauchswerte nicht beliebig teilbar, was sie als Tauschwerte sein sollen. Oder die Ware von A mag Gebrauchswert für B sein, während die Ware von B nicht Gebrauchswert für A ist. Oder die Warenbesitzer mögen ihre wechselseitig auszutauschenden unteilbaren Waren in ungleichen Wertproportionen bedürfen. In andern Worten, unter dem Vorwand, den einfachen Tauschhandel zu betrachten, veranschaulichen sich die Ökonomen gewisse Seiten des Widerspruchs, den das Dasein der Ware als unmittelbare Einheit von Gebrauchswert und Tauschwert einhüllt. Andrerseits halten sie dann konsequent am Tauschhandel als adäquater Form des Austauschprozesses der Waren fest, der nur mit gewissen technischen Unbequemlichkeiten verknüpft sei, wofür Geld ein pfiffig ausgedachtes Auskunftsmittel. Von diesem ganz flachen Standpunkt aus hat ein geistreicher englischer Ökonom daher richtig behauptet, Geld sei ein bloß materielles Instrument, wie ein Schiff oder eine Dampfmaschine, aber nicht die Darstellung eines gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses und folglich keine ökonomische Kategorie. Es werde daher nur mißbräuchlich in der poli
* Aristoteles bemerkt dasselbe von der Privatfamilie als dem ursprünglichen Gemeinwesen. Aber die ursprüngliche Form der Familie ist selbst Stammfamilie, aus deren historischer Analyse sich erst die Privatfamilie entwickelt. „Denn in der ursprünglichen Gemeinschaft (dies aber ist die Familie) bestand offenbar keinerlei Notwendigkeit für diesen (nämlich den Tausch)." (1. c.)
tischen Ökonomie, die in der Tat nichts mit der Technologie gemein hat, abgehandelt.* In der Warenwelt ist eine entwickelte Teilung der Arbeit vorausgesetzt, oder stellt sich vielmehr unmittelbar in der Mannigfaltigkeit der Gebrauchswerte dar, die sich als besondere Waren gegenübertreten und in denen ebenso mannigfaltige Arbeitsweisen stecken. Die Teilung der Arbeit, als Totalität aller besondern produktiven Beschäftigungsweisen, ist die Gesamtgestalt der gesellschaftlichen Arbeit nach ihrer stofflichen Seite, als Gebrauchswerte produzierende Arbeit betrachtet. Als solche aber existiert sie, vom Standpunkt der Waren aus und innerhalb des Austauschprozesses, nur in ihrem Resultat, in der Besonderung der Waren selbst. Der Austausch der Waren ist der Prozeß, worin der gesellschaftliche Stoffwechsel, d. h. der Austausch der besonderen Produkte der Privatindividuen, zugleich Erzeugung bestimmter gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse ist, welche die Individuen in diesem Stoffwechsel eingehen. Die prozessierenden Beziehungen der Waren aufeinander kristallisieren sich als unterschiedene Bestimmungen des allgemeinen Äquivalents, und so ist der Austauschprozeß zugleich Bildungsprozeß des Geldes. Das Ganze dieses Prozesses, der sich als ein Verlauf verschiedener Prozesse darstellt, ist die Zirkulation.
A. Historisches zur Analyse der Ware
Die Analyse der Ware auf Arbeit in Doppelform, des Gebrauchswerts auf reale Arbeit oder zweckmäßig produktive Tätigkeit, des Tauschwerts auf Arbeitszeit oder gleiche gesellschaftliche Arbeit, ist das kritische Endergebnis der mehr als anderthalbhundertjährigen Forschungen der klassischen politischen Ökonomie, die in England mit William Petty, in Frankreich mit Boisguillebert** beginnt, in England mit Ricardo, in Frankreich mit Sismondi abschließt.
* „Geld ist in Wirklichkeit nur das Instrument zur Tätigung von Kauf und Verkauf" (aber was verstehen Sie, bitte, unter Kauf und Verkauf?) „und seine Betrachtung bildet ebensowenig einen Teil der Wissenschaft der politischen Ökonomie wie die Betrachtung von Schiffen oder Dampfmaschinen, oder irgendeines anderen Instruments, das zur Erleichterung der Produktion und Verteilung des Reichtums angewandt wird." (Th. Hodgskin, „Populär Political Economy etc.", London 1827, pag. 178, 179.) ** Eine vergleichende Arbeil über die Schriften und Charaktere Pettys und Boisguilleberts, abgesehen von dem Schlaglicht, das sie auf den sozialen Gegensatz
Petty löst den Gebrauchswert in Arbeit auf, ohne sich über die Naturbedingtheit ihrer schöpferischen Kraft zu täuschen. Die wirkliche Arbeit faßt er sofort in ihrer gesellschaftlichen Gesamtgestalt, als Teilung der Arbeit.*
Englands und Frankreichs am Ende des 17. und Anfang des i S.Jahrhunderts werfen würde, wäre die genetische Darstellung des nationalen Kontrastes zwischen englischer und französischer politischer Ökonomie. Derselbe Kontrast wiederholt sich abschließend in Ricardo und Sismondi. * Petty hat die Teilung der Arbeit auch als Produktivkraft entwickelt, und zwar in großartigerer Anlage als Adam Smith. Sieh: „An essay concerning the multiplication of mankind etc.", 3. Edition 1686, p. 35/36. Er zeigt hier die Vorteile der Teilung der Arbeit für die Produktion nicht nur an der Fabrikation einer Taschenuhr, wie Adam Smith später an der Fabrikation einer Nadel tat, sondern zugleich durch Betrachtung einer Stadt und eines ganzen Landes unter dem Gesichtspunkt großer Fabrikanstalten. Der „Spectator" ® vom 26. November 1711 bezieht sich auf diese „illustration of the admirable Sir William Petty"1. MacCulloch vermutet also fälschlich, daß der „Spectator" Petty mit einem 40 Jahre jüngern Schriftsteller verwechselt. (Sieh: MacCulloch, „The Literature of Political Economy, a classified catalogue", London 1845, p.102.) Petty fühlt sich als Gründer einer neuen Wissenschaft. Seine Methode, sagt er, sei „nicht die herkömmliche". Statt eine Reihe komparativer und superlativer Worte und spekulativer Argumente zusammenzuflechten, habe er es unternommen, in therms of number, weight or measure2 zu sprechen, sich einzig aus sinnlicher Erfahrung abgeleiteter Argumente zu bedienen, und nur solche Ursachen zu betrachten, as have visible foundations in nature 3. Der Betrachtung anderer überlasse er die Ursachen, die abhängen von den mutable minds, öpinions, appetites and passions of particular men4. („Political Arithmetic etc.", London 1699, Preface.) Seine geniale Kühnheit zeigt sich z. B. in dem Vorschlag, alle Einwohner und Mobilien Irlands und Hochschottlands nach dem Rest von Großbritannien zu transportieren. Damit würde Arbeitszeit gespart, die Produktivkraft der Arbeit vermehrt, und „der König und seine Untertanen reicher und stärker werden". („Political Arithmetic", Ch. 4 [p. 2251.) Oder in dem Kapitel seiner politischen Arithmetik, worin er zu einer Zeit, wo Holland eine stets noch vorwiegende Rolle als Handelsnation spielte und Frankreich herrschende Handelsmacht zu werden schien, Englands Beruf zur Eroberung des Weltmarkts beweist: „That the king of England's subjects have stock competent and convenient to drive trade of the whole commercial world"5 (1. c. Ch.10 [p. 272]). „That the impediments of England's greatness are but contingent and removeable."6 (p. 247 seq.) Ein origineller
1 „Erläuterung des bewundernswerten Sir William Petty" — 2 in Zahlen, Gewichten oder Maßen - 3 die sichtbare Grundlagen in der Natur haben - 4 veränderlichen Ansichten, Meinungen, Neigungen und Leidenschaften einzelner Menschen - 5 „Daß die Untertanen des Königs von England entsprechendes und ausreichendes Kapital haben, um das Geschäft der ganzen kommerziellen Welt zu betreiben" - 6 „Daß die Hindernisse für Englands Größe nur zufällige sind und sich beseitigen lassen."
Diese Anschauung von der Quelle des stofflichen Reichtums bleibt nicht, wie etwa bei seinem Zeitgenossen Hobbes, mehr oder minder unfruchtbar, sondern leitet ihn zur politischen Arithmetik, der ersten Form, worin die politische Ökonomie sich als selbständige Wissenschaft abscheidet. Den Tauschwert jedoch nimmt er, wie er im Austauschprozeß der Waren erscheint, als Geld, und das Geld selbst als existierende Ware, als Gold und Silber. In den Vorstellungen des Monetarsystems befangen, erklärt er die besondere Art realer Arbeit, wodurch Gold und Silber erworben wird, für Tauschwert setzende Arbeit. Er meint in der Tat, daß die bürgerliche Arbeit nicht unmittelbaren Gebrauchswert produzieren muß, sondern Ware, einen Gebrauchswert, der fähig ist, durch seine Entäußerung im Austauschprozeß
Humor durchströmt alle seine Schriften. So zeigt er z. B. nach, daß es mit natürlichen Dingen zugegangen sei, als Holland, damals ganz so das Musterland für englische Ökonomen, wie England es jetzt für kontinentale Ökonomen ist, den Weltmarkt eroberte „without such angelicalwits and judgments, as some attribute to theHollanders"1 (I.e. p. 175, 176). Er verteidigt die Gewissensfreiheit als Bedingung des Handels, „weil die Armen fleißig seien und Arbeit und Industrie als Pflicht gegen Gott betrachten, solange man ihnen nur erlaube zu denken, daß sie, die weniger Reichtum haben, mehr Witz und Verstand in göttlichen Dingen hätten, welches sie als spezielles Eigentum der Armen betrachten". Der Handel sei daher „nicht fixiert an irgendeine Art Religion, aber eher stets an den heterodoxen Teil des Ganzen" (I.e. p. 183-186). Er bevorwortet eigne öffentliche Abgaben für Spitzbuben, weil es besser für das Publikum sei, sich selbst für die Spitzbuben zu besteuern, als sich von ihnen besteuern zu lassen (I.e. p. 199). Dagegen verwirft er die Steuern, die Reichtum von industrieller Hand übertragen auf solche, die „nichts tun als essen, trinken, singen, spielen, tanzen und Metaphysik betreiben" [I.e. p. 198]. Pettys Schriften sind beinahe buchhändlerische Raritäten und nur in alten schlechten Ausgaben zerstreut vorhanden, was um so wunderlicher, als William Petty nicht nur der Vater der englischen Nationalökonomie, sondern zugleich der Vorfahre von Henry Petty alias Marquis of Lansdowne, dem Nestor der englischen Whigs. Die Familie Lansdowne könnte indes kaum eine Gesamtausgabe von Pettys Werken veranstalten, ohne sie mit seiner Lebensgeschichte einzuleiten, und hier gilt, was von den meisten origines2 der großen Whigfamilien, the less said of them the better3. Der denkkühne, aber grundfrivole Armeechirurgus, der ebenso geneigt war, unter Gromwells Ägide in Irland zu plündern, als von Karl II. den nötigen Baronettitel für den Plunder zu erkriechen, ist ein Ahnenbild kaum passend zu öffentlicher Schaustellung. Uberdem sucht Petty in den meisten Schriften, die er bei Lebzeiten herausgab, zu beweisen, daß Englands Blütezeit unter Karl II. fällt, eine heterodöxe Ansicht dies für erbliche Exploiteurs der „glorious revolution"
V„ohne solch himmlischen Witz und Verstand, wie ihn manche den Holländern zuschreiben" - 2 Anfängen - 3 je weniger man davon spricht, desto, besser
sich als Gold und Silber darzustellen, d.h. als Geld, d.h. als Tauschwert, d.h. als vergegenständlichte allgemeine Arbeit. Sein Beispiel zeigt indes schlagend, daß die Erkenntnis der Arbeit als Quelle des stofflichen Reichtums keineswegs die Verkennung der bestimmten gesellschaftlichen Form ausschließt, worin die Arbeit Quelle des Tauschwerts ist. Boisguillebert seinerseits löst, wenn nicht bewußt, so tatsächlich den Tauschwert der Ware in Arbeitszeit auf, indem er den „wahren Wert" (la juste valeur) durch die richtige Proportion bestimmt, worin die Arbeitszeit der Individuen auf die besondern Industriezweige verteilt wird, und die freie Konkurrenz als den gesellschaftlichen Prozeß darstellt, der diese richtige Proportion schaffe. Gleichzeitig aber und im Kontrast zu Petty, kämpft er fanatisch an gegen das Geld, das durch seine Dazwischenkunft das natürliche Gleichgewicht oder die Harmonie des Warenaustausches störe und, ein phantastischer Moloch, allen natürlichen Reichtum zum Opfer verlange. Wenn nun einerseits diese Polemik gegen das Geld mit bestimmten historischen Umständen zusammenhängt, indem Boisguillebert die blindzerstörende Goldgier des Hofes eines Ludwig XIV., seiner Finanzpächter und seines Adels befehdet*, während Petty in der Goldgier den tatkräftigen Trieb feiert, der ein Volk zur industriellen Entwicklung und zur Eroberung des Weltmarkts stachelt, springt hier jedoch zugleich der tiefere prinzipielle Gegensatz hervor, der sich als beständiger Kontrast zwischen echt englischer und echt französischer** Ökonomie wiederholt. Boisguillebert sieht in der Tat nur auf den stofflichen Inhalt des Reichtums, den Gebrauchswert, den Genuß***, und betrachtet die bürgerliche Form der Arbeit, die Produktion
* Im Gegensatz zur „schwarzen Finanzkunst" der damaligen Zeit sagt Boisguillebert: „Die Finanzkunst ist nichts als die vertiefte Kenntnis der Interessen der Landwirtschaft und des Handels." („Le detail de la France" 1697. Ausgabe von Eugene Daire der „Economistes financiers du XVIII. siecle", Paris 1843, vol. I, p. 241.) ** Nicht romanischer Ökonomie, denn die Italiener in den beiden Schulen, der neapolitanischen und der maiiändischen, wiederholen den Gegensatz von englischer und französischer Ökonomie, während die Spanier der früheren Epoche entweder bloß Merkantilisten sind, und modifizierte Merkantilisten wie Ustariz, oder wie Jovellanos (sieh seine „Obras", Barcelona 1839/40) mit Adam Smith die „richtige Mitte" halten. *** „Der wahre Reichtum ... ist der vollkommene Genuß nicht nur der Lebensbedürfnisse, sondern auch des Uberflusses und all dessen, was den Sinnen Freude bereiten kann." (Boisguillebert, „Dissertation sur la nature de la richesse etc.", I.e. p. 403.) Während aber Petty ein frivoler, plünderungslustiger und charakterloser Abenteurer war, trat Boisguillebert, obgleich einer der Intendanten Ludwig XIV., mit ebensoviel Geist als Kühnheit für die unterdrückten Klassen auf.
der Gebrauchswerte als Waren und den Austauschprozeß der Waren als die naturgemäße gesellschaftliche Form, worin die individuelle Arbeit jenenZweck erreiche. Wo ihm daher der spezifische Charakter des"bürgerlichen Reichtums gegenübertritt, wie im Geld, glaubt er an Zwischendrängen usurpierender fremder Elemente und ereifert sich gegen die bürgerliche Arbeit in der einen Form, während er sie zugleich in der andern Form utopistisch verklärt.* Boisguillebert liefert uns den Beweis, daß die Arbeitszeit als Maß der Wertgröße der Waren behandelt werden kann, obgleich die im Tauschwert der Waren vergegenständlichte und durch die Zeit gemessene Arbeit mit der unmittelbaren natürlichen Tätigkeit der Individuen verwechselt wird. Die erste bewußte, beinahe trivial klare Analyse des Tauschwerts auf Arbeitszeit findet sich bei einem Manne der neuen Welt, wo die bürgerlichen Produktionsverhältnisse gleichzeitig mit ihren Trägern importiert, rasch aufschössen in einem Boden, der seinen Mangel an historischer Tradition durch einen Uberfluß von Humus aufwog. Der Mann ist Benjamin Franklin, der in seiner Jugendarbeit, geschrieben 1719, zum Druck befördert 1721, das Grundgesetz der modernen politischen Ökonomie formulierte.** Er erklärt es für nötig, ein andres Maß der Werte als die edeln Metalle zu suchen. Dies sei die Arbeit.
„Durch Arbeit kann der Wert von Silber ebensogut gemessen werden wie der aller andern Dinge. Unterstelle z.B., ein Mann sei beschäftigt, Korn zu produzieren, während ein andrer Silber gräbt und raffiniert. Am Ende des Jahres oder nach irgendeiner andern bestimmten Zeitperiode sind das volle Produkt von Korn und das von Silber natürliche Preise voneinander, und wenn das eine 20 Bushel, das andere 20 Unzen ist, dann ist eine Unze Silber wert die zur Produktion eines Busheis Korn verwandte Arbeit. Wenn aber durch die Entdeckung von näheren, leichter zugänglichen ergiebigem Minen ein Mann nun 40 Unzen Silber produzieren kann, so leicht wie früher 20, und dieselbe Arbeit wie früher erforderlich bleibt zur Produktion von 20 Bushel Korn, dann werden 2 Unzen Silber nicht mehr wert sein, als dieselbe Arbeit verwandt zur Produktion von einem Bushel Korn, und der Bushel, welcher früher 1 Unze galt, wird nun 2 gelten, caeteris paribus. So ist der Reichtum eines Landes zu schätzen durch, die Arbeitsquantität, die seine Einwohner fähig sind zu kaufen."***
* Der französische Sozialismus in der Form Proudhon leidet an demselben nationalen Erbübel. ** Franklin, B„ „The Works of etc." edit. by I. Sparks, vol. II, Boston 1836: „A modest inquiry into the nature and necessity of a paper currency." *** 1. c. p. 265. „Thus the riches of a country are to be valued by the quantity of labour its inhabitants are able to purchase."
Die Arbeitszeit stellt sich sofort bei Franklin ökonomistisch einseitig als Maß der Werte dar. Die Verwandlung der wirklichen Produkte in Tauschwerte versteht sich von selbst, und es handelt sich daher nur um Auffindung eines Maßes für ihre Wertgröße.
„Da", sagt er, „der Handel überhaupt nichts ist als der Austausch von Arbeit gegen Arbeit, wird der ^^ert aller Dinge am richtigsten geschätzt durch Arbeit."*
Setzt man hier wirkliche Arbeit an die Stelle des Worts Arbeit, so entdeckt man sofort die Vermischung von Arbeit in der einen Form, mit Arbeit in der andern Form. Da Handel z.B. im Austausch von Schusterarbeit, Minenarbeit, Spinnarbeit, Malerarbeit usw. besteht, wird der Wert von Stiefeln am richtigsten geschätzt in Malerarbeit? Franklin meinte umgekehrt, daß der Wert von Stiefeln, Minenprodukten, Gespinst, Gemälden usw. bestimmt wird durch abstrakte Arbeit, die keine besondere Qualität besitzt und daher durch bloße Quantität meßbar ist.** Da er aber die im Tauschwert enthaltene Arbeit nicht als die abstrakt allgemeine, aus der allseitigen Entäußerung der individuellen Arbeiten entspringende gesellschaftliche Arbeit entwickelt, verkennt er notwendig Geld als die unmittelbare Existenzform dieser entäußerten Arbeit. Geld und Tauschwert setzende Arbeit stehen ihm daher in keinem innern Zusammenhange, sondern Geld ist vielmehr zur technischen Bequemlichkeit in den Austausch äußerlich hereingebrachtes Instrument,*** Franklins Analyse des Tauschwerts blieb ohne unmittelbaren Einfluß auf den allgemeinen Gang der Wissenschaft, weil er nur vereinzelte Fragen der politischen Ökonomie bei bestimmten praktischen Anlässen behandelte. Der Gegensatz zwischen wirklicher nützlicher Arbeit und Tauschwert setzender Arbeit bewegte Europa während des 18. Jahrhunderts in der Form des Problems: welche besondere Art wirklicher Arbeit die Quelle des bürgerlichen Reichtums sei? So war vorausgesetzt, daß nicht jede Arbeit, die sich in Gebrauchswerten verwirklicht oder Produkte liefert, deshalb schon unmittelbar Reichtum schafft. Den Physiokraten jedoch, wie ihren Gegnern, ist die brennende Streitfrage nicht sowohl, welche Arbeit den Wert, sondern welche den Mehrwert schaffe. Sie behandeln also das Problem in komplizierter Form, bevor sie es in seiner elementarischen Form gelöst hatten, wie der geschicht
* „Trade in general being nothing eise but the exchange of labour for labour, the value of all things is, as I have said before, most justly measured by labour" (I.e. p.267). ** I.e., „Remarks and facts relative to the American paper money", 1764. *** Sieh „Papers on American Politics"; „Remarks and facts relative to the American paper money", 1764 (1. c.).
liehe Gang aller Wissenschaften durch eine Masse Kreuz- und Querzüge erst zu ihren wirklichen Ausgangspunkten führt. Im Unterschied von andern Baumeistern zeichnet die Wissenschaft nicht nur Luftschlösser, sondern führt einzelne wohnliche Stockwerke des Gebäudes auf, bevor sie seinen Grundstein legt. Indem wir hier nicht länger bei den Physiokraten verweilen und über eine ganze Reihe italienischer Ökonomen hinweggehen, die in mehr oder minder treffenden Einfällen an die richtige Analyse der Ware anstreifen*, wenden wir uns sofort zu dem ersten Briten, der das Gesamtsystem der bürgerlichen Ökonomie bearbeitet hat, zu Sir James Steuart.** Wie bei ihm die abstrakten Kategorien der politischen Ökonomie noch im Prozeß der Scheidung von ihrem stofflichen Inhalt und daher verfließend und schwankend erscheinen, so die des Tauschwerts. An einer Stelle bestimmt er den realen Wert durch die Arbeitszeit (what a workman can perform in a day1), woneben aber konfuserweise Salair und Rohmaterial figurieren.*** An einer andern Stelle tritt das Ringen mit dem stofflichen Inhalt noch schlagender hervor. Er nennt das in einer Ware enthaltene natürliche Material, z.B. Silber in einem silbernen Flechtwerk, ihren inneren Wert (intrinsic Worth), während er die in ihr enthaltene Arbeitszeit ihren Gebrauchswert (useful value) nennt.
„Der erste", sagt er, „ist etwas an sich selbst Reales... der Gebrauchswert dagegen muß geschätzt werden nach der Arbeit, die es gekostet hat, ihn zu produzieren. Die Arbeit verwandt in der Modifikation des Stoffes repräsentiert eine Portion von der Zeit eines Mannes etc."f Was Steuart vor seinen Vorgängern und Nachfolgern auszeichnet, ist die scharfe Unterscheidung zwischen der spezifisch gesellschaftlichen Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, und der realen Arbeit, die Gebrauchswerte erzielt.
* Sieh z.B Galiani, „Deila Moneta", vol. III, in den „Scrittori classici Italiani di EconomiaPolitica". (Herausgegeben von Custodi.) Parte Moderna, Milano 1803. „Die Mühe" (fatica), sagt er, „ist das einzige, das dem Ding Wert gibt." p.74. Die Bezeichnung der Arbeit als fatica ist charakteristisch für den Südländer. ** Steuarts Werk „An Inquiry into the principles of political oeconomy, being an essay on the science of domestic policy in free nations" erschien zuerst 1767 in zwei Quartbänden zu London, zehn Jahre vor Adam Smiths „Wealth of Nations". Ich zitiere nach der Dubliner Ausgabe von 1770. *** Steuart, I.e. t. I, p. 181-183. f Steuart, I.e. t. I, p.361/362: „represents a portion of a man's time".
1 was ein Arbeiter in einem Tag herstellen kann
„Die Arbeit", sagt er, „die durch ihre Entäußerung (alienation) ein allgemeines Äquivalent schafft (universal equivalent), nenne ich Industrie Die Arbeit als Industrie unterscheidet er nicht nur von der realen Arbeit, sondern von andern gesellschaftlichen Formen der Arbeit. Sie ist ihm die bürgerliche Form der Arbeit im Gegensatz zu ihren antiken und mittelalterlichen Formen. Namentlich interessiert ihn der Gegensatz von bürgerlicher und feudaler Arbeit, welche letztere er in der Phase ihres Unterganges sowohl in Schottland selbst, als auch auf seinen ausgebreiteten Reisen auf dem Kontinent beobachtet hatte. Steuart wußte natürlich sehr wohl, daß das Produkt auch in vorbürgerlichen Epochen die Form der Ware und die Ware die Form des Geldes erhält, aber er weist ausführlich nach, daß die Ware als elementarische Grundform des Reichtums und die Entäußerung als die herrschende Form der Aneignung nur der bürgerlichen Produktionsperiode angehören, also der Charakter der Tauschwert setzenden Arbeit spezifisch bürgerlich ist.* Nachdem die besondern Formen der realen Arbeit wie Agrikultur, Manufaktur, Schiffahrt, Handel usw. der Reihe nach als wahre Quellen des Reichtumsbehauptet worden waren, proklamierteSmith die Arbeit überhaupt, und zwar in ihrer gesellschaftlichen Gesamtgestalt, als Teilung der Arbeit, als die einzige Quelle des stofflichen Reichtums oder der Gebrauchswerte. Während er hier das Naturelement gänzlich übersieht, verfolgt es ihn in die Sphäre des nur gesellschaftlichen Reichtums, des Tauschwerts. Adam bestimmt allerdings den Wert der Ware durch die in ihr enthaltene Arbeitszeit, verlegt dann aber wieder die Wirklichkeit dieser Wertbestimmung in die präadamitischen Zeiten. In andern Worten, was ihm wahr erscheint auf dem Standpunkt der einfachen Ware, wird ihm unklar, sobald an ihre Stelle die höhern und kompliziertem Formen von Kapital, Lohnarbeit, Grundrente usw. treten. Dies drückt er so aus, daß der Wert der Waren durch die in ihnen enthaltene Arbeitszeit gemessen wurde in dem paradise lost3 des Bürgertums, wo die Menschen sich noch nicht als Kapitalisten, Lohnarbeiter.
* Die patriarchalische, unmittelbar auf Schöpfung von Gebrauchswerten für den Besitzer des Landes gerichtete Agrikultur erklärt er daher für einen „Mißbrauch", zwar nicht in Sparta oder Rom oder selbst in Athen, wohl aber in den industriellen Ländern des 18.Jahrhunderts. Diese „abusive agriculture"1 sei kein „trade"2, sondern „bloßes Subsistenzmittel". Wie die bürgerliche Agrikultur das Land von überflüssigen Mäulern, säubere die bürgerliche Manufaktur die Fabrik von überflüssigen Händen.
1 „mißbrauchte Landwirtschaft" - 2 Geschäft - 3 verlorenen Paradies
Grundeigentümer, Pächter, Wucherer usw., sondern nur als einfache Warenproduzenten und Warenaustauscher gegenübertraten. Er verwechselt beständig die Bestimmung des Werts der Waren durch die in ihnen enthaltene Arbeitszeit mit der Bestimmung ihrer Werte durch den Wert der Arbeit, schwankt überall in der Detaildurchführung und versieht die objektive Gleichung, die der Gesellschaftsprozeß gewaltsam zwischen den ungleichen Arbeiten vollzieht, für die subjektive1 Gleichberechtigung der individuellen Arbeiten.* Den Übergang aus der wirklichen Arbeit in die Tauschwert setzende Arbeit, d.h. die bürgerliche Arbeit in ihrer Grundform, sucht er durch die Teilung der Arbeit zu bewerkstelligen. So richtig es nun ist, daß Privataustausch Teilung der Arbeit, so falsch ist es, daß Teilung der Arbeit den Privataustausch voraussetzt. Unter den Peruanern z. B. war die Arbeit außerordentlich geteilt, obgleich kein Privataustausch, kein Austausch der Produkte als Waren stattfand. Im Gegensatz zu Adam Smith arbeitete David Ricardo die Bestimmung des Werts der Ware durch die Arbeitszeit rein heraus und zeigt, daß dies Gesetz auch die ihm scheinbar widersprechendsten bürgerlichen Produktionsverhältnisse beherrscht. Ricardos Untersuchungen beschränken sich ausschließlich auf die Wertgröße, und mit Bezug auf diese ahnt er wenigstens, daß die Verwirklichung des Gesetzes von bestimmten historischen Voraussetzungen abhängt. Er sagt nämlich, daß die Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit nur für die Waren gelte,
„die durch die Industrie beliebig vermehrt werden können und deren Produktion durch uneingeschränkte Konkurrenz beherrscht wird"**.
* So z.B. sagt Adam Smith: „Gleiche Quantitäten der Arbeit müssen zu allen Zeiten und an allen Orten für den, welcher arbeitet, einen gleichen Wert haben. In seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft und Tätigkeit, und mit dem Durchschnittsgrad von Geschicklichkeit, die er besitzen mag, muß er immer die nämliche Portion seiner Ruhe, Freiheit und seines Glücks geben. Welches also immer die Quantität von Waren sei, die er als Belohnung seiner Arbeit erhält, der Preis, den er zahlt, ist immer derselbe. Dieser Preis kann zwar bald eine kleinere, bald eine größere Quantität dieser Waren kaufen, aber bloß, weil ihr Wert wechselt, nicht der Wert der Arbeit, der sie kauft. Die Arbeit allein wechselt also nie ihren eigenen Wert. Sie ist also der Realpreis der Waren etc." [„Wealth of Nations", b. I, ch. 5.] ** Ricardo, David, „On the principles of political economy andtaxation", 3. Edition, London 1821, p. 3.
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) mit der subjektiven
Es heißt dies in der Tat nur, da das Gesetz des Wertes zu seiner völligen Entwicklung die Gesellschaft der großen industriellen Produktion und der freien Konkurrenz, d.h. die moderne bürgerliche Gesellschaft voraussetze. Im übrigen betrachtet Ricardo die bürgerliche Form der Arbeit als die ewige Naturform der gesellschaftlichen Arbeit. Den Urfischer und den Urjäger läßt er sofort als Warenbesitzer Fisch und Wild austauschen, im Verhältnis der in diesen Tauschwerten vergegenständlichten Arbeitszeit. Bei dieser Gelegenheit fällt er in den Anachronismus, daß Urfischer und Urjäger zur Berechnung ihrer Arbeitsinstrumente die 1817 auf der Londoner Börse gangbaren Annuitätentabellen zu Rate ziehen. Die „Parallelogramme des Herrn Owen"[10] scheinen die einzige Gesellschaftsform, die er außer der bürgerlichen kannte. Obgleich umfangen von diesem bürgerlichen Horizont, zerlegt Ricardo die bürgerliche Ökonomie, die in der Tiefe ganz anders aussieht, als sie auf der Oberfläche scheint, mit solch theoretischer Schärfe, daß Lord Brougham von ihm sagen konnte[irl:
„Mr. Ricardo seemed as if he had dropped from an other planet."1 In direkter Polemik mit Ricardo betonte Sismondi sowohl den spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Tauschwert setzenden Arbeit*, wie er es als „Charakter unseres ökonomischen Fortschritts" bezeichnet, die Wertgröße auf notwendige Arbeitszeit zu reduzieren, auf
„das Verhältnis zwischen dem Bedürfnis der ganzen Gesellschaft und der Quantität Arbeit, die hinreicht, dies Bedürfnis zu befriedigen"**. Sismondi ist nicht mehr befangen in Boisguilleberts Vorstellung, daß die Tauschwert setzende Arbeit durch das Geld verfälscht werde, aber wie Boisguillebert das Geld, denunziert er das große industrielle Kapital. Wenn in Ricardo die politische Ökonomie rücksichtslos ihre letzte Konsequenz zieht und damit abschließt, ergänzt Sismondi diesen Abschluß, indem er ihren Zweifel an sich selbst darstellt. Da Ricardo als Vollender der klassischen politischen Ökonomie die Bestimmung des Tauschwerts durch die Arbeitszeit am reinsten formuliert und entwickelt hat, konzentriert sich auf ihn natürlich die von ökonomischer Seite
* Sismondi, „Etudes sur l'economie politique", tom II, Bruxelles 1838. „Es ist der Gegensatz zwischen dem Gebrauchswert und dem Tauschwert, worauf der Handel die ganze Sache zurückgeführt hat." p. 162. ** Sismondi, 1. c. p. 163-166 seq.
1 „Herr Ricardo erscheint, als wäre er von einem andern Planeten heruntergefallen."
erhobene Polemik. Wird dieser Polemik die großenteils läppische* Form abgestreift, so faßt sie sich zusammen in folgenden Punkten: Erstens: Die Arbeit selbst hat Tauschwert und verschiedene Arbeiten haben verschiedenen Tauschwert. Es ist ein fehlerhafter Zirkel, Tauschwert zum Maß von Tauschwert zu machen, da der messende Tauschwert selbst wieder des Maßes bedarf. Dieser Einwand löst sich auf in das Problem: die Arbeitszeit als immanentes Maß des Tauschwerts gegeben, auf dieser Grundlage den Arbeitslohn zu entwickeln. Die Lehre von der Lohnarbeit gibt die Antwort. Zweitens: Wenn der Tauschwert eines Produkts gleich ist der in ihm enthaltenen Arbeitszeit, ist der Tauschwert eines Arbeitstages gleich seinem Produkt. Oder der Arbeitslohn muß dem Produkt der Arbeit gleich sein.** Nun ist das Gegenteil der Fall. Ergo. Dieser Einwand löst sich auf in das Problem: Wie führt Produktion auf Basis des durch bloße Arbeitszeit bestimmten Tauschwerts zum Resultat, daß der Tauschwert der Arbeit kleiner ist als der Tauschwert ihres Produkts? Dies Problem lösen wir in der Betrachtung des Kapitals. Drittens: Der Marktpreis der Waren fällt unter oder steigt über ihren Tauschwert mit dem wechselnden Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr. Der Tauschwert der Waren ist daher durch das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr bestimmt und nicht durch die in ihnen enthaltene Arbeitszeit. In der
* Am läppischsten wohl in den Annotationen von J. B. Say zur franzosischen Übersetzung Ricardos von Constancio und am pedantisch anmaßlichsten in der neulich erschienenen „Theory of Exchanges"London 1858, des Herrn Macleod. ** Dieser von bürgerlich-ökonomischer Seite gegen Ricardo beigebrachte Einwand ward später von sozialistischer Seite aufgegriffen. Die theoretische Richtigkeit der Formel vorausgesetzt, wurde die Praxis des Widerspruchs gegen die Theorie bezichtigt und die bürgerliche Gesellschaft angegangen, praktisch die vermeinte Konsequenz ihres theoretischen Prinzips zu ziehen. In dieser Weise wenigstens kehrten englische Sozialisten die Ricardosche Formel des Tauschwerts gegen die politische Ökonomie. Herrn Proudhon blieb es vorbehalten, nicht nur das Grundprinzip der alten als Prinzip einer neuen Gesellschaft, sondern zugleich sich als den Erfinder der Formel zu verkünden, worin Ricardo das Gesamtergebnis der klassischen englischen Ökonomie zusammengefaßt hat. Es ist bewiesen worden, daß selbst die utopistische Auslegung der Ricardoschen Formel in England bereits verschollen war, als Herr Proudhon sie jenseits des Kanals „entdeckte". (Vgl. meine Schrift: „Misere de la philosophie etc.", Paris 1847, den Paragraph über la valeur constituee1).
1 Siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 77-105
Tat wird in diesem sonderbaren Schlüsse nur die Frage aufgeworfen, wie sich auf Grundlage des Tauschwerts ein von ihm verschiedener Marktpreis entwickelt oder richtiger, wie das Gesetz des Tauschwerts nur in seinem eignen Gegenteil sich verwirklicht. Dies Problem wird gelöst in der Lehre von der Konkurrenz. Viertens: Der letzte Widerspruch und der scheinbar schlagendste, wenn er nicht wie gewöhnlich in der Form wunderlicher Exempel vorgebracht wird: Wenn der Tauschwert nichts ist als die in einer Ware enthaltene Arbeitszeit, wie können Waren, die keine Arbeit enthalten, Tauschwert besitzen, oder in andern Worten, woher der Tauschwert bloßer Naturkräfte? Dies Problem wird gelöst in der Lehre von der Grundrente.
ZWEITES KAPITEL
Das Geld oder die einfache Zirkulation
In einer Parlamentsdebatte über Sir Robert Peels Bankakte von 1844 und 1845[13J bemerkte Gladstone, die Liebe selbst habe nicht mehr Menschen zu Narren gemacht als das Grübeln über das Wesen des Geldes. Er sprach von Briten zu Briten. Holländer dagegen, Leute, die Pettys Zweifel zum Trotz von jeher einen „himmlischen Witz" besaßen für die Geldspekulation, haben nie ihren Witz verloren in Spekulation über das Geld. Die Hauptschwierigkeit in der Analyse des Geldes ist überwunden, sobald sein Ursprung aus der Ware selbst begriffen ist. Unter dieser Voraussetzung handelt es sich nur noch darum, seine eigentümlichen Formbestimmtheiten rein aufzufassen, was einigermaßen erschwert wird, weil alle bürgerlichen Verhältnisse vergoldet oder versilbert, als Geldverhältnisse erscheinen, und die Geldform daher einen unendlich mannigfaltigen Inhalt zu besitzen scheint, der ihr selbst fremd ist. In der folgenden Untersuchung ist festzuhalten, daß es sich nur um die Formen des Geldes handelt, die unmittelbar aus dem Austausch der Waren herauswachsen, nicht aber um seine, einer höhern Stufe des Produktionsprozesses angehörigen Formen, wie z.B. Kreditgeld. Der Vereinfachung wegen ist Gold überall als die Geldware unterstellt.
1. Maß der Werte
Der erste Prozeß der Zirkulation ist sozusagen theoretischer, vorbereitender Prozeß für die wirkliche Zirkulation. Die Waren, die als Gebrauchswert existieren, schaffen sich zunächst die Form, worin sie einander ideell als Tauschwert erscheinen, als bestimmte Quanta vergegenständlichter allgemeiner Arbeitszeit. Der erste notwendige Akt dieses Prozesses ist, wie wir sahen, daß die Waren eine spezifische Ware, sage Gold, als unmittelbare
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit oder allgemeines Äquivalent ausschließen. Kehren wir einen Augenblick zurück zur Form, in welcher die Waren Gold in Geld verwandeln. 1 Tonne Eisen 1 Quarter Weizen 1 Zentner Moccakaffee 1 Zentner Pottasche 1 Tonne brasilisches Holz Y Ware
In dieser Reihe von Gleichungen erscheinen Eisen, Weizen, Kaffee, Pottasche usw. einander als Materiatur gleichförmiger Arbeit, nämlich in Gold materialisierter Arbeit, worin alle Besonderheit der in ihren verschiedenen Gebrauchswerten dargestellten wirklichen Arbeiten völlig ausgelöscht ist. Als Wert sind sie identisch, Materiatur derselben Arbeit oder dieselbe Materiatur der Arbeit, Gold. Als gleichförmige Materiatur derselben Arbeit zeigen sie nur einen Unterschied, quantitativen, oder erscheinen als verschiedene Wertgrößen, weil in ihren Gebrauchswerten ungleiche Arbeitszeit enthalten ist. Als diese einzelnen Waren verhalten sie sich zugleich als Vergegenständlichung der allgemeinen Arbeitszeit zueinander, indem sie sich zu der allgemeinen Arbeitszeit selbst als einer ausgeschlossenen Ware, Gold, verhalten. Dieselbe prozessierende Beziehung, wodurch sie sich füreinander als Tauschwerte darstellen, stellt die im Gold enthaltene Arbeitszeit als die allgemeine Arbeitszeit dar, wovon ein gegebenes Quantum sich in verschiedenen Quantis Eisen, Weizen, Kaffee etc., kurz in den Gebrauchswerten aller Waren ausdrückt oder sich unmittelbar in der unendlichen Reihe der Warenäquivalente entfaltet. Indem die Waren allseitig ihre Tauschwerte in Gold ausdrücken, drückt Gold unmittelbar seinen Tauschwert in allen Waren aus. Indem die Waren sich selbst füreinander die Form des Tauschwerts geben, geben sie dem Gold die Form des allgemeinen Äquivalents oder Geldes. Weil alle Waren ihre Tauschwerte in Gold messen, in dem Verhältnis, worin bestimmte Quantität Gold und bestimmte Quantität Ware gleich viel Arbeitszeit enthalten, wird das Gold zum Maß der Werte, und zunächst ist es nur durch diese Bestimmung als Maß der Werte, als welches sein eigener Wert sich unmittelbar in dem Gesamtumkreis der Warenäquivalente mißt, daß es allgemeines Äquivalent oder Geld wird. Andrerseits drückt sich nun der Tauschwert aller Waren in Gold aus. Ein qualitatives und ein quantitatives Moment sind in diesem Ausdruck zu unterscheiden. Der Tauschwert der Ware ist vorhanden als Materiatur derselben gleichförmigen Arbeitszeit; die
= 2 Unzen Gold, = 1 Unze Gold, = 1/4 Unze Gold, = V2 Unze Gold, = P/2 Unzen Gold, = X Unze Gold.
Wertgröße der Ware ist erschöpfend dargestellt, denn in dem Verhältnis, worin die Waren dem Gold gleichgesetzt sind, sind sie einander gleichgesetzt. Einerseits erscheint der allgemeine Charakter der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit, andererseits die Quantität derselben in ihrem goldenen Äquivalent. Der Tauschwert der Waren, so als allgemeine Äquivalenz und zugleich als Grad dieser Äquivalenz in einer spezifischen Ware, oder in einer einzigen Gleichung der Waren mit einer spezifischen Ware ausgedrückt, ist Preis. Der Preis ist die verwandelte Form, worin der Tauschwert der Waren innerhalb des Zirkulationsprozesses erscheint. Durch denselben Prozeß also, wodurch die Waren ihre Werte als Goldpreise darstellen, stellen sie das Gold als Maß der Werte und daher als Geld dar. Wenn sie allseitig ihre Werte in Silber oder Weizen oder Kupfer mäßen und daher als Silber-, Weizen- oder Kupferpreise darstellten, würden Silber, Weizen, Kupfer Maß der Werte und damit allgemeines Äquivalent. Um in der Zirkulation als Preise zu erscheinen, sind die Waren der Zirkulation als Tauschwerte vorausgesetzt. Maß der Werte wird das Gold nur, weil alle Waren ihren Tauschwert in ihm schätzen. Die Allseitigkeit dieser prozessierenden Beziehung, woraus allein sein Charakter als Maß entspringt, setzt aber voraus, daß jede einzelne Ware sich in Gold mißt im Verhältnis der in beiden enthaltenen Arbeitszeit, daß also das wirkliche Maß zwischen Ware und Gold die Arbeit selbst ist, oder Ware und Gold durch den unmittelbaren Tauschhandel einander als Tauschwerte gleichgesetzt werden. Wie diese Gleichsetzung praktisch vor sich geht, kann nicht in der Sphäre der einfachen Zirkulation erörtert werden. So viel leuchtet indes ein, daß in Gold und Silber produzierenden Ländern bestimmte Arbeitszeit sich unmittelbar einem bestimmten Quantum Gold und Silber einverleibt, während in Ländern, die kein Gold und Silber produzieren, dasselbe Resultat auf einem Umweg erreicht wird, durch direkten oder indirekten Austausch der Landeswaren, d. h. einer bestimmten Portion der nationalen Durchschnittsarbeit gegen bestimmtes Quantum der in Gold und Silber materialisierten Arbeitszeit der Minen besitzenden Länder. Um als Maß der Werte dienen zu können, muß Gold der Möglichkeit nach ein veränderlicher Wert sein, weil es nur als Materiatur der Arbeitszeit zum Äquivalent anderer Waren werden kann, dieselbe Arbeitszeit aber mit dem Wechsel der Produktivkräfte der realen Arbeit in ungleichen Volumen derselben Gebrauchswerte sich verwirklicht. Wie bei der Darstellung des Tauschwertes jeder Ware im Gebrauchswert einer andern Ware ist bei der Schätzung aller Waren in Gold nur vorausgesetzt, daß das Gold in einem gegebenen Moment ein gegebenes Quantum Arbeitszeit darstellt. In bezug auf seinen Wertwechsel gilt das früher entwickelte Gesetz der 4*
Tauschwerte. Bleibt der Tauschwert der Waren unverändert, so ist ein allgemeines Steigen ihrer Goldpreise nur möglich, wenn der Tauschwert des Goldes fällt. Bleibt der Tauschwert des Goldes unverändert, so ist ein allgemeines Steigen der Goldpreise nur möglich, wenn die Tauschwerte aller Waren steigen. Umgekehrt im Falle eines allgemeinen Sinkens der Warenpreise. Fällt oder steigt der Wert einer Unze Gold infolge eines Wechsels der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit, so fällt oder steigt er gleichmäßig für alle andern Waren, stellt also nach wie vor allen gegenüber Arbeitszeit von gegebener Größe dar. Dieselben Tauschwerte schätzen sich nun in größern oder kleinern Goldquantis als zuvor, aber sie schätzen sich im Verhältnis zu ihren Wertgrößen, bewahren also dasselbe Wertverhältnis zueinander. Das Verhältnis von 2:4:8 bleibt dasselbe als 1 : 2: 4 oder 4: 8: 16. Die veränderte Goldquantität, worin sich die Tauschwerte schätzen mit wechselndem Goldwert, verhindert ebensowenig die Funktion des Goldes als Maß der Werte, wie der 15mal kleinere Wert des Silbers gegen Gold es verhindert, das letztere aus dieser Funktion zu verdrängen. Weil die Arbeitszeit das Maß zwischen Gold und Ware ist und das Gold nur Maß der Werte wird, sofern alle Waren sich in ihm messen, ist es bloßer Schein des Zirkulationsprozesses, als ob das Geld die Waren kommensurabel mache.* Es ist vielmehr nur die Kommensurabilität der Waren als vergegenständlichte Arbeitszeit, die das Gold zu Geld macht. Die reale Gestalt, worin die Waren in den Austauschprozeß eintreten, ist die ihrer Gebrauchswerte. Wirkliches allgemeines Äquivalent sollen sie erst
* Aristoteles sieht zwar ein, daß der Tauschwert der Waren den Warenpreisen vorausgesetzt ist: „daß... es den Tausch gab, bevor es das Geld gegeben, ist einleuchtend; denn es macht keinen Unterschied, ob fünf Polster für ein Haus oder für soviel Geld, wie fünf Polster wert sind". Andrerseits, da die Waren erst im Preise die Form des Tauschwerts füreinander besitzen, läßt er sie kommensurabel werden durch das Geld. „Alles muß einen Preis haben; denn so wird immer Austausch sein und folglich Gesellschaft. Das Geld macht, einem Maße gleich, in der Tat die Dinge kommensurabel (avjxixeTQa), um sie dann einander gleichzusetzen. Denn es gibt keine Gesellschaft ohne Austausch, der Austausch aber kann nicht sein ohne Gleichheit und die Gleichheit nicht ohne Kommensurabilität." Er verhehlt sich nicht, daß diese verschiedenen vom Gelde gemessenen Dinge durchaus inkommensurable Größen sind. Was er sucht, ist die Einheit der Waren als Tauschwerte, die er als antiker Grieche nicht finden konnte. Er hilft sich aus der Verlegenheit, indem er das an und für sich Inkommensurable durch das Geld kommensurabel werden läßt, soweit es für das praktische Bedürfnis nötig ist. „Es ist zwar in Wahrheit unmöglich, daß so verschiedenartige Dinge kommensurabel seien, aber für das praktische Bedürfnis geschieht dies." (Aristoteles, „Ethica Nicomachea", L. V, C. 8, edit. Bekkeri, Oxonii 1837.)
werden durch ihre Entäußerung. Ihre Preisbestimmung ist ihre nur ideelle Verwandlung in das allgemeine Äquivalent, eine Gleichung mit dem Gold, die noch zu realisieren bleibt. Weil aber die Waren in ihren Preisen nur ideell in Gold oder in nur vorgestelltes Gold verwandelt sind, ihr Geldsein von ihrem reellen Sein noch nicht wirklich getrennt ist, ist das Gold nur noch in ideelles Geld verwandelt, nur noch Maß der Werte, und bestimmte Goldquanta funktionieren in der Tat nur noch als Namen für bestimmte Quanta Arbeitszeit. Von der bestimmten Weise, worin die Waren füreinander ihren eignen Tauschwert darstellen, hängt jedesmal die Formbestimmtheit ab, worin das Gold sich als Geld kristallisiert. Die Waren treten sich jetzt als Doppelexistenzen gegenüber, wirklich als Gebrauchswerte, ideell als Tauschwerte. Die Doppelform der Arbeit, die in ihnen enthalten ist, stellen sie jetzt füreinander dar, indem die besondere reale Arbeit als ihr Gebrauchswert wirklich da ist, während die allgemeine abstrakte Arbeitszeit in ihrem Preise ein vorgestelltes Dasein erhält, worin sie gleichmäßige und nur quantitativ verschiedene Materiatur derselben Wertsubstanz sind. Der Unterschied von Tauschwert undPreis erscheint einerseits als ein nur nomineller, wie Adam Smith sagt, daß die Arbeit der Realpreis, das Geld der Nominalpreis der Waren ist. Statt 1 Quarter Weizen in 30 Arbeitstagen zu schätzen, wird er jetzt geschätzt in 1 Unze Gold, wenn eine Unze Gold das Produkt von 30 Arbeitstagen ist. Andrerseits ist der Unterschied so wenig bloßer Namensunterschied, daß in ihm vielmehr alle Ungewitter, die der Ware im wirklichen Zirkulationsprozeß drohen, konzentriert sind. 30 Arbeitstage sind im Quarter Weizen enthalten und er ist daher nicht erst in Arbeitszeit darzustellen. Aber Gold ist vom Weizen verschiedene Ware, und nur in der Zirkulation kann sich bewähren, ob der Quarter Weizen wirklich zur Unze Gold wird, wie in seinem Preis antizipiert ist. Es hängt dies davon ab, ob oder ob nicht er sich als Gebrauchswert, ob oder ob nicht das in ihm enthaltene Quantum Arbeitszeit sich als das von der Gesellschaft zur Produktion eines Quarters Weizen notwendig erheischte Quantum Arbeitszeit bewährt. Die Ware als solche ist Tauschwert, sie hat einen Preis. In diesem Unterschied von Tauschwert und Preis erscheint es, daß die in der Ware enthaltene besondere individuelle Arbeit erst durch den Prozeß der Entäußerung als ihr Gegenteil, individualitätslose, abstrakt allgemeine und nur in dieser Form gesellschaftliche Arbeit, d.h. Geld dargestellt werden muß. Es erscheint zufällig, ob sie dieser Darstellung fähig ist oder nicht. Obgleich daher im Preise der Tauschwert der Ware nur ideell von ihr unterschiedene Existenz erhält und das Doppeldasein der in ihr enthaltenen Arbeit nur noch als verschiedene
Ausdrucksweise existiert, andrerseits daher die Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit, das Gold, nur noch als vorgestelltes Wertmaß der wirklichen Ware gegenübertritt, ist im Dasein des Tauschwerts als Preis oder des Goldes als Wertmaß die Notwendigkeit der Entäußerung der Ware gegen klingendes Gold, die Möglichkeit ihrer NichtVeräußerung, kurz der ganze Widerspruch latent enthalten, der daraus hervorgeht, daß das Produkt Ware ist, oder daß die besondere Arbeit des Privatindividuums, um gesellschaftliche Wirkung zu haben, sich als ihr unmittelbares Gegenteil, als abstrakt allgemeine Arbeit darstellen muß. Die Utopisten, die die Ware wollen, aber nicht das Geld, auf Privataustausch beruhende Produktion ohne die notwendigen Bedingungen dieser Produktion, sind daher konsequent, wenn sie das Geld nicht erst in seiner greifbaren Form, sondern schon in der gasartigen und hirngewebten Form als Maß der Werte „vernichten". Im unsichtbaren Maß der Werte lauert das harte Geld. Den Prozeß vorausgesetzt, wodurch das Gold zum Maß der Werte und der Tauschwert zum Preis geworden ist, sind alle Waren in ihren Preisen nur noch vorgestellte Goldquanta von verschiedener Größe. Als solche verschiedene Quanta desselben Dings, des Goldes, gleichen, vergleichen und messen sie sich untereinander und so entwickelt sich technisch die Notwendigkeit, sie auf ein bestimmtes Quantum Gold als Maßeinheit zu beziehen, eine Maßeinheit, die dadurch zum Maßstab fortentwickelt wird, daß sie sich in aliquote Teile und diese sich ihrerseits wieder in aliquote Teile abteilen.* Goldquanta als solche aber messen sich durch Gewicht. Der Maßstab findet sich also schon fertig vor in den allgemeinen Gewichtsmaßen der Metalle, die bei aller metallischen Zirkulation daher auch ursprünglich als Maßstab der Preise dienen. Indem die Waren sich nicht mehr als durch die Arbeitszeit zu messende Tauschwerte, sondern als in Gold gemessene gleichnamige Größen aufeinander beziehen, verwandelt sich das Gold aus dem Maß der Werte in den Maßstab der Preise. Die Vergleichung der Warenpreise unter sich als verschiedene Goldquanta kristallisiert sich so in den Figurationen, die in ein gedachtes Goldquantum eingeschrieben werden und es als Maßstab von aliquoten Teilen darstellen. Das Gold als Maß der Werte und als Maßstab
* Die Sonderbarkeit, daß die Unze Gold in England als Maßeinheit des Geldes in nicht aliquote Teile abgeteilt ist, erklärt sich wie folgt: „Unser Münzwesen war ursprünglich nur der Verwendung von Silber angepaßt - daher kann eine Unze Silber immer in eine bestimmte aliquote Anzahl von Geldstücken geteilt werden; da aber Gold erst in einer spätem Zeit in ein Münzwesen eingeführt wurde, das nur dem Silber angepaßt war, kann eine Unze Gold nicht in eine aliquote Anzahl von Münzen ausgeprägt werden." (Maclaren, „History of the currency", p. 16, London 1858.)
der Preise besitzt ganz verschiedene Formbestimmtheit, und die Verwechslung der einen mit der andern hat die tollsten Theorien hervorgerufen. Maß der Werte ist das Gold als vergegenständlichte Arbeitszeit, Maßstab der Preise ist es als ein bestimmtes Metallgewicht. Maß der Werte wird das Gold, indem es als Tauschwert auf die Waren als Tauschwert bezogen ist, im Maßstab der Preise dient ein bestimmtes Quantum Gold andern Quantis Gold als Einheit. Wertmaß ist das Gold, weil sein Wert veränderlich ist, Maßstab der Preise, weil es als unveränderliche Gewichtseinheit fixiert wird. Hier, wie in allen Maßbestimmungen gleichnamiger Größen wird Festigkeit und Bestimmtheit der Maßverhältnisse entscheidend. Die Notwendigkeit, ein Quantum Gold als Maßeinheit und aliquote Teile als Unterabteilungen dieser Einheit festzusetzen, hat die Vorstellung erzeugt, als ob ein bestimmtes Goldquantum, das natürlich veränderlichen Wert hat, in ein fixes Wertverhältnis zu den Tauschwerten der Waren gesetzt würde, wobei nur übersehen ward, daß die Tauschwerte der Waren in Preise, in Goldquanta verwandelt sind, bevqar sich das Gold als Maßstab der Preise entwickelt. Wie auch der Goldwerf'wechsle, verschiedene Goldquanta stellen gegeneinander stets dasselbe Wertverhältnis dar. Fiele der Goldwert um 1000%, so würden nach wie vor 12 Unzen Gold einen 12 mal größern Wert besitzen als eine Unze Gold, und in den Preisen handelt es sich nur um das Verhältnis verschiedener Goldquanta zueinander. Da andrerseits eine Unze Gold mit dem Fallen oder Steigen ihres Werts keineswegs ihr Gewicht verändert, verändert sich ebensowenig das ihrer aliquoten Teile, und so tut das Gold als fixer Maßstab der Preise stets denselben Dienst, wie immer sein Wert wechsle.* Ein historischer Prozeß, den wir später aus der Natur der metallischen Zirkulation erklären werden, brachte es mit sich, daß derselbe Gewichtsname für ein stets wechselndes und abnehmendes Gewicht edler Metalle in ihrer Funktion als Maßstab der Preise beibehalten wurde. So bezeichnet das eng
* „Geld kann beständig im Wert schwanken und doch ebensogut ein Maß des Wertes sein, als wenn es völlig unverändert bliebe. Angenommen z. B., es sei im Wert vermindert... Vor der Verminderung würde eine Guinee drei Busheis Weizen kaufen oder die Arbeit von 6 Tagen; später würde sie nur 2 Busheis Weizen kaufen oder die Arbeit von 4 Tagen. In beiden Fällen, die Verhältnisse von Weizen und Arbeit zu Geld gegeben, kann deren gegenseitiges Verhältnis abgeleitet werden; mit andern Worten, wir können ermitteln, daß ein Bushel Weizen 2 Arbeitstage wert ist. Das ist alles, was Wertmessen einschließt und wird nach der Verminderung ebenso glatt besorgt wie vorher. Die Auszeichnung eines Dinges als Wertmaß ist gänzlich unabhängig von der Veränderlichkeit seines eignen Werts." (p. 9, 10. Bailey, „Money and its vicissitudes", London 1837.)
lische Pfund weniger als ein Drittel seines ursprünglichen Gewichts, das schottische Pfund vor der Union[14] nur noch 1/36, der französische Livre 1/74, der spanische Maravedi weniger als Viooo, der portugiesische Rei eine noch viel kleinere Proportion. So schieden sich historisch die Geldnamen der Metallgewichte von ihren allgemeinen Gewichtsnamen.* Da die Bestimmung der Maßeinheit, ihrer aliquoten Teile und deren Namen einerseits rein konventionell ist, andererseits innerhalb der Zirkulation den Charakter der Allgemeinheit und Notwendigkeit besitzen soll, mußte sie gesetzliche Bestimmung werden. Die rein formelle Operation fiel also den Regierungen anheim.** Das bestimmte Metall, das als Material des Geldes diente, war gesell
* „Die Münzen, deren Name heute nur noch ideell ist, sind bei allen Völkern die ältesten; aber alle waren eine Zeitlang real" (letzteres in dieser Ausdehnung unrichtig), „und eben weil sie real waren, hat man mit ihnen gerechnet." (Galiani, „Deila Moneta", I.e. p. 153 ) ** Der romantische A. Müller sagt: „Nach unseren Vorstellungen hat jeder unabhängige Souverän das Recht, das Metallgeld zu ernennen, ihm einen gesellschaftlichen Nominalwert, Rang, Stand und Titel beizulegen." (p. 288, Band II, A.H.Müller, „Die Elemente der Staatskunst", Berlin 1809.) Was den Titel angeht, hat der Herr Hofrat recht; er vergißt nur den Gehalt. Wie konfus seine „Vorstellungen" waren, zeigt sich z. B. in folgender Stelle: „Jedermann sieht ein, wieviel auf die wahre Bestimmung des Münzpreises ankommt, vorzüglich in einem Lande wie England, wo die Regierung mit großartiger Liberalität unentgeltlich münzt" (Herr Müller scheint zu glauben, daß das englische Regierungspersonal die Münzkosten aus eigener Privattasche bestreitet), „wo sie keinen Schlagschatz nimmt usw., und also, wenn diese den Münzpreis des Goldes beträchtlich höher ansetzte als den Marktpreis, wenn sie anstatt 1 Unze Goldes jetzt mit 3 Pfd. St. 17 sh. 1OV2 d. zu zahlen, 3 Pfd. St. 19 sh. als den Münzpreis einer Unze Goldes ansetzte, alles Geld nach der Münze strömen, das dort erhaltene Silber auf dem Markte gegen das hier wohlfeilere Gold umgesetzt, und so aufs neue der Münze zugebracht und das Münzwesen in Unordnung geraten würde." (p. 280, 2811. c.) Um die Ordnung auf der englischen Münze zu erhalten, versetzt Müller sich in „Unordnung". Während Shilling und Pence bloß Namen, durch Silber- und Kupfermarken repräsentierte Neimen bestimmter Teile einer Unze Gold sind, bildet er sich ein, die Unze Gold sei geschätzt in Gold, Silber und Kupfer, und beglückt so die Engländer mit einem dreifachen Standard of valae1. Silber als Geldmaß neben dem Gold wurde zwar erst formell abgeschafft im Jahre 1816 durch 56 George III. c. 682. Gesetzlich war es der Sache nach schon abgeschafft 1734 durch 14 George II. c. 42, und noch viel früher durch die Praxis. Es waren zwei Umstände, die A.Müller speziell zu einer sogenannten hohem Auffassung der politischen Ökonomie befähigten. Einerseits seine
1 einer dreifachen Währung - 2 68. Gesetz aus dem 56. Regierungsjahr Georgs III.
schaftlich gegeben. In verschiedenen Ländern ist der gesetzliche Maßstab der Preise natürlich verschieden. In England z. B. wird die Unze als Metallgewicht eingeteilt in Pennyweights, Grains und Carats Troy, aber die Unze Gold als Maßeinheit des Geldes in 37/8 Sovereigns, der Sovereign in 20 Shillinge, der Shilling in 12Pence, so daß 100 Pfund 22karätiges Gold (1200 Unzen) gleich 4672 Sovereigns und 10 Shilling. In dem Weltmarkt jedoch, worin die Landesgrenzen verschwinden, verschwinden diese nationalen Charaktere der Geldmaße wieder und weichen den allgemeinen Gewichtsmaßen der Metalle. Der Preis einer Ware oder das Goldquantum, worin sie ideell verwandelt ist, drückt sich jetzt also aus in den Geldnamen des Goldmaßstabs. Statt also zu sagen, der Quarter Weizen ist gleich einer Unze Gold, würde man in England sagen, er ist gleich 3 Pfd. St. 17 sh. IOV2 d. Alle Preise drücken sich so gleichnamig aus. Die eigentümliche Form, die die Waren ihrem Tauschwert geben, ist verwandelt in Geldnamen, worin sie einander sagen, was sie wert sind. Das Geld1 seinerseits wird zum Rechengeld* Die Verwandlung der Ware in Rechengeld im Kopfe, auf dem Papier, in der Sprache, geht jedesmal vor sich, sobald irgendeine Art des Reichtums unter dem Gesichtspunkt des Tauschwerts fixiert wird.** Zu dieser Verwandlung ist das Material des Goldes nötig, aber nur als vorgestelltes. Um den Wert von 1000 Ballen Baumwolle in einer bestimmten Anzahl von Unzen Gold zu schätzen und diese Anzahl Unzen selbst wieder in den Rechennamen der Unze, in Pfd. St., sh., d., auszudrücken, wird kein Atom wirklichen Goldes gebraucht. So zirkulierte in Schottland vor dem Bankakt Sir Robert Peels von 1845 keine Unze Gold, obgleich die Unze Gold, und zwar ausgedrückt als englischer Rechenmaßstab in 3 Pfd. St. 17 sh. 1OV2 d- zum gesetzlichen Maß der Preise diente. So dient Silber als Maß der Preise in dem Warenaustausch zwischen Sibirien und China, obgleich der Handel in der
ausgebreitete Unbekanntschaft mit ökonomischen Tatsachen, andrerseits sein bloß dilettantisches Schwärmereiverhältnis zur Philosophie. * „Als man den Anarcharsis fragte, wozu die Hellenen das Geld brauchen, antwortete er: zum Rechnen." (Athenaeus, „Deipnosophistai", L. IV, 49, v. II [p. 120], ed. Schweighäuser 1802.) ** G. Garnier, einer der ältern französischen Ubersetzer Adam Smiths, hatte den sonderbaren Einfall, eine Proportion festzusetzen zwischen dem Gebrauch von Rechengeld und dem Gebrauch von wirklichem Geld. Die Proportion ist 10 zu 1. (Garnier, G., „Histoire de la monnaie depuis les temps de la plus haute antiquite etc.", t. I, p. 78.
1 (1859) Gold
Tat bloßer Tauschhandel ist. Für das Gold als Rechengeld ist es daher auch gleichgültig, ob oder ob nicht, sei es seine Maßeinheit selbst, seien es ihre Abschnitte, wirklich gemünzt sind. In England, zur Zeit Wilhelms des Eroberers, existierten 1 Pfd. St., damals 1 Pfund reines Silber, und der Shilling, 1/20 eines Pfundes, nur als Rechengeld, während der Penny, 1/24o Pfund Silber, die größte existierende Silbermünze war. Umgekehrt existieren im heutigen England keine Snillinge und rence, obgleich sie gesetzliche Rechennamen für bestimmte Teile einer Unze Goldes sind. Das Geld als Rechengeld mag überhaupt nur ideal existieren, während das wirklich existierende Geld nach ganz anderem Maßstab gemünzt ist. So bestand in vielen englischen Kolonien in Nordamerika das zirkulierende Geld bis tief ins 18. Jahrhundert aus spanischen und portugiesischen Münzen, während das Rechengeld überall dasselbe war wie in England.* Weil das Gold als Maßstab der Preise in denselben Rechennamen erscheint wie die Warenpreise, also z. B. eine Unze Gold ebensowohl wie eine Tonne Eisen in 3 Pfd. St. 17 sh. 1072 d. ausgedrückt wird, hat man diese seine Rechennamen seinen Münzpreis genannt. Die wunderliche Vorstellung entstand daher, als ob das Gold in seinem eigenen Material geschätzt werde, und im Unterschied von allen andern Waren von Staats wegen einen fixen Preis erhalte. Man versah die Fixierung von Rechennamen für bestimmte Goldgewichte für Fixierung des Werts dieser Gewichte.** Das Gold, wo es als Element der Preisbestimmung und daher als Kechengeld dient, hat nicht nur keinen fixen, sondern überhaupt keinen Preis. Um einen Preis zu haben, d. h. in einer spezifischen Ware sich als allgemeines Äquivalent auszudrücken, müßte diese andere Ware dieselbe ausschließliche Rolle im Zirkülationsprozeß spielen wie das Gold. Zwei alle andern Waren ausschließende Waren schließen sich aber wechselseitig aus. Wo daher Silber und Gold gesetzlich als Geld, d. h. als Wertmaß nebeneinander bestehen, ist stets der vergebliche
* Der Akt von Maryland von 1723, wodurch Tabak zur legalen Münze gemacht, sein Wert aber auf englisches Goldgeld reduziert wurde, nämlich ein Penny per Pfund Tabak, erinnert an die leges barbarorum^15', worin umgekehrt bestimmte Geldsummen wieder Ochsen, Kühen usw. gleichgesetzt werden. In diesem Fall waren weder Gold noch Silber, sondern der Ochs und die Kuh das wirkliche Material des Rechengeldes. ** So lesen wir zum Beispiel in den „Familiar words" des Herrn David Urqvhart: „Der Wert des Goldes soll durch sich selbst gemessen werden; wie kann irgendein Stoff das Maß seines eignen Wertes in andern Dingen sein? Der Wert des Goldes soll durch sein eigenes Gewicht festgestellt werden, unter einer falschen Benennung dieses Gewichts - und eine Unze soll so viele Pfund und Bruchteile von Pfund wert sein. Das ist Fälschung eines Maßes und nicht Festsetzung eines Maßstabs." [p. 104/105.]
Versuch gemacht worden, sie als eine tmd dieselbe Materie zu behandeln. Unterstellt man, daß dieselbe Arbeitszeit sich unveränderlich in derselben Proportion von Silber und Gold vergegenständlicht, so unterstellt man in der Tat, daß Silber und Gold dieselbe Materie, und Silber, das minder wertvolle Metall, ein unveränderlicher Bruchteil Gold ist. Von der Regierung Edwards III. bis zur Zeit von Georg II. verläuft sich die Geschichte des englischen Geldwesens in eine fortlaufende Reihe von Störungen, hervorgehend aus der Kollision zwischen der gesetzlichen Festsetzung des Wertverhältnisses von Gold und Silber und ihren wirklichen Wertschwankungen. Bald war Gold zu hoch geschätzt, bald Silber. Das zu niedrig geschätzte Metall wurde der Zirkulation entzogen, umgeschmolzen und exportiert. Das Wertverhältnis beider Metalle wurde dann wieder gesetzlich verändert, aber der neue Nominalwert trat bald mit dem wirklichen Wertverhältnis in denselben Konflikt wie der alte. In unserer eigenen Zeit hat der sehr schwache und vorübergehende Fall im Werte des Goldes gegen Silber, infolge der indischchinesischen Silbernachfrage, dasselbe Phänomentauf der größten Stufenleiter in Frankreich erzeugt, Ausfuhr des Silbers und seine Vertreibung aus der Zirkulation durch Gold. Während der Jahre 1855, 1856, 1857 betrug der Überschuß der Goldeinfuhr in Frankreich über die Goldausfuhr aus Frankreich 41 580 000 Pfd. St., während der Überschuß der Silberausfuhr über die Silbereinfuhr 34 704 000 Pfd, St. betrug. In der Tat, in Ländern wie in Frankreich, wo beide Metalle gesetzlich Wertmaße sind, und beide in Zahlung angenommen werden müssen, jeder aber beliebig in dem einen oder andern zahlen kann, trägt das im Wert steigende Metall ein Agio und mißt wie jede andere Ware seinen Preis in dem überschätzten Metall, während letzteres allein als Wertmaß dient. Alle geschichtliche Erfahrung in diesem Gebiet reduziert sich einfach darauf, daß, wo gesetzlich zwei Waren die Funktion des Wertmaßes versehen, faktisch immer nur eine als solches den Platz behauptet.*
B.Theorien von der Maßeinheit des Geldes
Der Umstand, daß die Waren als Preise nur ideell in Gold, das Gold daher nur ideell in Geld verwandelt ist, veranlaßte die Lehre von der idealen
* „Geld als Maß des Handels sollte wie jedes andere Maß so ständig als möglich gehalten werden. Dies ist unmöglich, wenn euer Geld aus zwei Metallen besteht, deren Wertverhältnis beständig wechselt." (JohnLocke, „Some Considerations ontheLowering of Interest etc.", 1691; p. 65 in seinen „Works", 7. ed., London 1768, vol. II.)
Maßeinheit des Geldes. Weil bei der Preisbestimmung nur vorgestelltes Gold oder Silber, Gold und Silber nur als Rechengeld funktionieren, wurde behauptet, die Namen Pfund, Shilling, Pence, Taler, Frank usw. statt Gewichtteile von Gold oder Silber oder irgendwie vergegenständlichte Arbeit zu bezeichnen, bezeichneten vielmehr ideale Wertatome. Stiege also z. B. der Wert einer Unze Silber, so enthielte sie mehr solcher Atome und müßte daher in mehr Shillingen berechnet und gemünzt werden. Diese Doktrin, wieder geltend gemacht während der letzten Handelskrise in England und sogar parlamentarisch vertreten in zwei Sonderberichten, die dem Bericht des 1858 sitzenden Bankkomitees angehängt sind, datiert vom Ende des ^.Jahrhunderts. Zur Zeit von Wilhelms III. Regierungsantritt betrug der englische Münzpreis einer Unze Silber 5 sh. 2 d. oder "762 Unze Silber wurde Penny, 12 dieser Pence wurden Shilling genannt. Diesem Maßstab gemäß wurde ein Silbergewicht von z.B. 6 Unzen Silber gemünzt in 31 Stücken mit dem Namen Shilling. Der Marktpreis der Unze Silber stieg aber über ihren Münzpreis, von 5 sh. 2 d. auf 6 sh. 3 d., oder um eine Unze Rohsilber zu kaufen, mußten 6 sh. 3 d. aufgewogen werden. Wie könnte der Marktpreis einer Unze Silber über ihren Münzpreis steigen, wenn der Münzpreis bloß Rechennamen für aliquote Teile einer Unze Silber? Das Rätsel löste sich einfach. Von den 5 600 000 Pfd. St. Silbergeld, das damals zirkulierte, waren vier Millionen verschlissen, gekippt und gewippt. Es zeigte sich bei einer Probe, daß 57 200 Pfd. St. in Silber, die 220 000 Unzen wiegen sollten, nur 141 000 Unzen wogen. Die Münze prägte immer nach demselben Maßstab, aber die wirklich zirkulierenden leichten Shillinge stellten kleinere aliquote Teile der Unze dar, als ihr Name vorgab. Eine größere Quantität dieser kleiner gewordenen Shillinge mußte folglich auf dem Markt für die Unze Rohsilber gezahlt werden. Als infolge der so entstandenen Störung eine allgemeine Ummünzung beschlossen wurde, behauptete Lotendes, der Secretary to the treasury, der Wert der Unze Silber sei gestiegen, sie müsse daher künftig in 6 sh. 3 d. statt wie bisher in 5 sh. 2 d. gemünzt werden. Er behauptete also in der Tat, daß, weil der Wert der Unze gestiegen, der W'ert ihrer aliquoten Teile gefallen sei. Seine falsche Theorie war aber nur Beschönigung eines richtigen praktischen Zwecks. Die Staatsschulden waren in leichten Shillingen kontrahiert, sollten sie in schweren zurückgezahlt werden? Statt zu sagen, zahlt 4 Unzen Silber zurück, wo ihr dem Namen nach 5 Unzen, in Wirklichkeit aber nur 4 Unzen erhalten habt, sagte er umgekehrt, zahlt dem Namen nach 5 Unzen zurück, reduziert sie aber dem Metallgehalt nach auf 4Unzen und nennt Shilling was ihr bisher 4/s Shilling nanntet. Lowndes hielt sich also tatsächlich am Metallgehalt, während er in der Theorie am Rechen
namen festhielt. Seine Gegner, die bloß am Rechenneimen festhielten und daher einen um 25 bis 50% zu leichten Shilling identisch mit einem vollwichtigen Shilling erklärten, behaupteten umgekehrt, nur am Metallgehalt festzuhalten. John Loche, der die neue Bourgeoisie in allen Formen vertrat, die Industriellen gegen die Arbeiterklassen und die Paupers, die Kommerziellen gegen die altmodischen Wucherer, die Finanzaristokraten gegen die Staatsschuldner, und in einem eigenen Werk sogar den bürgerlichen Verstand als menschlichen Normalverstand nachwies, nahm auch den Handschuh gegen Lowndes auf. John Locke siegte und Geld, geborgt zu 10 oder 14 Shillingen die Guinee, wurde zurückgezahlt in Guineen von 20 Shillingen.* Sir James Steuart faßt die ganze Transaktion ironisch so zusammen: „Die Regierung gewann bedeutend auf Steuern, die Gläubiger auf Kapital und Zinsen, und die Nation, die allein Geprellte, war kreuzfidel, weil ihr StandardM (der Maßstab ihres eigenen Werts) „nicht herabgesetzt worden war."** * Locke sagt u. a.: „Nennt eine Krone, was früher eine halbe Krone hieß. Der Wert bleibt bestimmt durch den Metallgehalt. Wenn ihr V20 Silbergewicht von einer Münze abschlagen könnt, ohne ihren Wert zu verringern, so könnt ihr ebensogut 19/20 von ihrem Silbergewicht abschlagen. Nach dieser Theorie müßte ein farthing, wenn er Krone genannt wird, so viel von Gewürz, Seide oder andern Waren kaufen, als ein Kronstück, das 60mal so viel Silber enthält. Alles, was ihr tun könnt, ist, einer geringeren Quantität Silber den Stempel und den Namen einer höhern Quantität geben. Es ist aber Silber, nicht Namen, die Schulden zahlen und Waren kaufen. Wenn euer Erhöhen des Geldwerts nichts heißt als den aliquoten Teilen eines Silberstücks nach Belieben Namen geben, z.B. den achten Teil einer Unze Silber Penny nennen, so könnt ihr in der Tat Geld so hoch ansetzen als es euch beliebt." Locke antwortete Lowndes zugleich, daß das Steigen des Marktpreises über den Münzpreis nicht vom „Steigen des Silberwerts, sondern vom Leichterwerden der Silbermünze" herrühre. 77 gekippte und gewippte Shillinge wögen keinen Deut mehr als 62 vollwichtige. Endlich hob er mit Recht hervor, daß, abgesehen von der Entsilberung der zirkulierenden Münze, der Marktpreis des Rohsilbers in England einigermaßen über den Münzpreis steigen könne, weil die Ausfuhr von Rohsilber erlaubt, die von Silbermünze verboten sei. (Sieh 1. c. p. 54-116 passim.) Locke hütete sich ungemein, den brennenden Punkt der Staatsschulden zu berühren, wie er ebenso vorsichtig vermied, auf die delikate ökonomische Frage einzugehen. Letztere war diese: Wechselkurs sowohl wie das Verhältnis von Rohsilber zur Silbermünze bewiesen, daß das zirkulierende Geld bei weitem nicht im Verhältnis zu seiner wirklichen Entsilberung depreziiert war. Wir kommen auf diese Frage in allgemeiner Form im Abschnitt vom Zirkulationsmittel zurück. Nicholas Barbon in „A discourse conceming coining the new money lighter, in answer to Mr. Lock's considerations etc.", London 1696, versuchte vergebens, Locke auf schwieriges Terrain zu locken. ** Steuart, I.e. t. II, p. 154.
Steuart meinte, bei weiterer kommerzieller Entwicklung werde die Nation sich schlauer zeigen. Er irrte. Ungefähr 120 Jahre später wiederholte sich dasselbe quid pro quo1. Es war in der Ordnung, daß Bischof Berkeley, der Vertreter eines mystischen Idealismus in der englischen Philosophie, der Lehre von der idealen Maßeinheit des Geldes eine theoretische Wendung gab, was der praktische „Secretary to the treasury" versäumt hatte. Er fragt:
„Sind die Namen Livre, Pfund Sterling, Krone usw. nicht zu betrachten als bloße Verhältnisnamen?" (nämlich Verhältnis des abstrakten Werts als solchen). „Sind Gold, Silber oder Papier mehr als bloße Billette oder Marken zur Berechnung, Protokollierung und Übermachung davon?" (des Wertverhältnisses). „Ist die Macht, die Industrie anderer" (gesellschaftliche Arbeit) „zu kommandieren, nicht Reichtum? Und ist Geld in der Tat etwas anderes als Marke oder Zeichen für Übertragung oder Registrierung solcher Macht, und ist es von großer Wichtigkeit, woraus das Material dieser Marken besteht?"*
Hier findet sich Verwechslung einerseits zwischen Maß der Werte und Maßstab der Preise, andrerseits zwischen Gold oder Silber als Maß und als Zirkulationsmittel. Weil die edlen Metalle im Akt der Zirkulation durch Marken ersetzt werden können, schließt Berkeley, daß diese Marken ihrerseits nichts, nämlich den abstrakten Wertbegriff vorstellen. So völlig entwickelt ist die Lehre von der idealen Maßeinheit des Geldes bei Sir James Steuart, daß seine Nachfolger - bewußtlose Nachfolger, indem sie ihn nicht kennen - weder eine neue Sprachwendung noch selbst ein neues Beispiel finden. „Rechengeld", sagt er, „ist nichts als ein willkürlicher Maßstab von gleichenTeilen, erfunden, um den relativen Wert verkäuflicher Dinge zu messen. Rechengeld ist ganz verschieden von Münzgeld (money coin), welches Preis ist**, und es konnte existieren, obgleich es keine Substanz in der Welt gäbe, die ein proportionelles Äquivalent für alle Waren wäre. Rechengeld verrichtet denselben Dienst für den Wert der Dinge wie Grade, Minuten, Sekunden usw. für Winkel oder Maßstäbe für geographische Karten usw. In allen diesen Erfindungen wird immer dieselbe Denomination als Einheit
* „The Querist" I.e. Der Abschnitt „Queries on Money" ist übrigens geistreich. Unter anderm bemerkt Berkeley mit Recht, daß gerade die Entwicklung der nordamerikanischen Kolonien „es so klar macht wie der Tag, daß Gold und Silber nicht so notwendig sind zum Reichtum einer Nation, wie es sich die Allgemeinheit vorstellt". ** Preis meint hier reales Äquivalent, wie bei den englischen ökonomischen Schriftstellern des 17. Jahrhunderts.
1 Mißverständnis
angenommen. Wie die Nützlichkeit aller solcher Verrichtungen einfach beschränkt ist auf die Anzeige von Proportion, so die der Geldeinheit. Sie kann daher keine unveränderlich bestimmte Proportion zu irgendeinem Teil des Werts haben, d. h. sie kann nicht fixiert sein an irgendein bestimmtes Quantum von Gold, Silber oder irgendeiner andern Ware. Ist die Einheit einmal gegeben, so kann man durch Multiplikation zum größten Wert aufsteigen. Da der Wert der Waren abhängt von einem allgemeinen Zusammenfluß auf sie einwirkender Umstände und von den Grillen der Menschen, sollte ihr Wert nur als in ihrer wechselseitigen Beziehung wechselnd betrachtet werden. Was immer die Vergewisserung des Proportionswechsels vermittelst eines allgemeinen bestimmten und unveränderlichen Maßstabs stört und verwirrt, muß schädlich auf den Handel einwirken. Geld ist ein nur idealer Maßstab von gleichen Teilen. Wenn gefragt wird, weis die Maßeinheit des Werts eines Teiles sein solle, antworte ich durch die andere Frage: Was ist die Normalgröße eines Grads, einer Minute, einer Sekunde? Sie besitzen keine, aber sobald ein Teil bestimmt ist, muß der Natur eines Maßstabs gemäß der ganze Rest verhältnismäßig nachfolgen. Beispiele dieses idealen Geldes sind das Bankgeld von Amsterdam und das Angolageld der afrikanischen Küste."*
Steuart hält sich einfach an der Erscheinung des Geldes in der Zirkulation als Maßstab der Preise und als Rechengeld. Sind verschiedene Waren respektive zu 15 sh., 20 sh., 36 sh. im Preiskurant notiert, so interessiert mich in der Tat für die Vergleichung ihrer Wertgröße weder der silberne Gehalt noch der Name des Shillings. Die Zahlenverhältnisse 15, 20, 36 sagen nun alles, und die Zahl 1 ist die einzige Maßeinheit geworden. Rein abstrakter Ausdruck von Proportion ist überhaupt nur die abstrakte Zahlenproportion selbst. Um konsequent zu sein, mußte Steuart daher nicht nur Gold und Silber, sondern auch ihre legalen Taufnamen fahren lassen. Da er die Verwandlung des Maßes der Werte in Maßstab der Preise nicht versteht, glaubt er natürlich, das bestimmte Quantum Gold, das als Maßeinheit dient, sei als Maß nicht auf andere Goldquanta, sondern auf Werte als solche bezogen. Weil die Waren durch Verwandlung ihrer Tauschwerte in Preise als gleichnamige Größen erscheinen, leugnet er die Qualität des Maßes, die sie gleichnamig macht, und weil in dieser Vergleichung verschiedener Goldquanta die Größe des als Maßeinheit dienenden Goldquantums konventionell, leugnet er, daß sie überhaupt festgesetzt werden muß. Statt V360 Teil eines Kreises Grad zu nennen, mag er 1/i80 Teil Grad nennen; der rechte Winkel würde dann gemessen durch 45 statt durch 90 Grade, spitze und stumpfe Winkel entsprechend. Nichtsdestoweniger bliebe das Winkelmaß nach wie vor erstens eine qualitativ bestimmte mathematische Figur, der Kreis, und zweitens ein quantitativ bestimmter Kreisabschnitt. Was Steuarts ökonomische Beispiele betrifft, so
* Steuart, I.e. t. II, p. 102-107.
schlägt er sich mit dem einen und beweist nichts mit dem andern. Das Bankgeld von Amsterdam war in der Tat nur Rechenname für spanische Dublonen, die ihr vollwichtiges Fett durch träges Lagern im Bankkeller bewahrten, während die betriebsame Kurantmünze in harter Reibung mit der Außenwelt abgemagert war. Was aber die afrikanischen Idealisten betrifft, müssen wir sie ihrem Schicksal überlassen, bis kritische Reisebeschreiber Näheres über sie melden.* Als annähernd ideales Geld im Sinne Steuarts könnte der französische Assignat bezeichnet werden: „Nationaleigentum. Assignat von 100 Franks." Zwar war hier der Gebrauchswert spezifiziert, den der Assignat vorstellen sollte, nämlich der konfiszierte Grund und Boden, aber die quantitative Bestimmung der Maßeinheit war vergessen und „Frank" daher ein sinnloses Wort. Wie viel oder wenig Land ein Assignatenfrank vorstellte, hing nämlich vom Resultat der öffentlichen Versteigerung ab. In der Praxis jedoch zirkulierte der Assignatenfrank als Wertzeichen für Silbergeld, und an diesem Silbermaßstab maß sich daher seine Depreziation. Die Epoche der Suspension der Barzahlungen der Bank von England war kaum fruchtbarer in Schlachtbulletins als in Geldtheorien. Die Depreziation der Banknoten und das Steigen des Marktpreises über den Münzpreis des Goldes riefen auf Seiten einiger Verteidiger der Bank wieder die Doktrin von dem idealen Geldmaß wach. Den klassisch konfusen Ausdruck für die konfuse Ansicht fand Lord Castlereaghtl6], indem er die Maßeinheit des Geldes bezeichnete als „a sense of value in reference to currency as compared with commodities"1. Als die Umstände einige Jahre nach dem Pariser Frieden1171 die Wiederaufnahme der Barzahlungen erlaubten, erhob sich in kaum veränderter Form dieselbe Frage, die Lowndes unter Wilhelm III. angeregt hatte. Eine enorme Staatsschuld und eine während mehr als 20 Jahren aufgesummte Masse von Privatschulden, festen Obligationen usw., waren in depreziierten Banknoten kontrahiert. Sollten sie zurückgezahlt werden in Banknoten, wovon 4672 Pfd. St. 10 sh. nicht dem Namen, sondern der Sache nach 100 Pfund 22karätiges Gold vorstellten? Thomas Attwood, ein Bankier
* Bei Gelegenheit der jüngsten Handelskrise pries man in England von gewisser Seite das afrikanische Idealgeld emphatisch, nachdem sein Wohnsitz diesmal von der Küste weg ins Herz der Berberei gerückt war. Man leitete die Freiheit der Berber von Handels- und Industriekrisen aus der idealen Maßeinheit ihrer Bars ab. War es nicht einfacher, zu sagen, daß Handel und Industrie die conditio sine qua non2 für Handelsund Industriekrisen sind?
1 „eine Wertempfindung in bezug auf Umlaufsmittel verglichen mit Waren" - 2 unerläßliche Voraussetzung
von Birmingham, trat auf als Lowndes redivivus. Nominell sollten die Gläubiger so viel Shillinge zurückerhalten, als nominell kontrahiert waren, aber wenn x/78 Unze Gold etwa nach dem alten Münzfuß Shilling hieß, sollte nun sage V90 Unze Shilling getauft werden. Attwoods Anhänger sind bekannt als die Birminghamer Schule der „little Shillingmen"1. Der Zank über das ideelle Geldmaß, der 1819 begann, dauerte 1845 immer noch fort zwischen Sir Robert Peel und Attwood, dessen eigene Weisheit, soweit sie sich auf die Funktion des Geldes als Maß bezieht, in dem folgenden Zitat erschöpfend zusammengefaßt ist:
„Sir Robert Peel in seiner Polemik mit der Birminghamer Handelskammer fragt: Was wird eure Pfundnote repräsentieren? Was ist ein Pfund? ... Was dann umgekehrt ist zu verstehen unter der gegenwärtigen Maßeinheit des Wertes?... 3Pfd.St. 17 sh. lOVa d., bedeuten sie eine Unze Gold oder ihren Wert? Wenn die Unze selbst, warum nicht die Dinge bei ihrem Neimen benennen und statt Pfd.St., sh., d. nicht vielmehr sagen, Unze, Pennyweight und Gran? Dann kehren wir zum System des unmittelbaren Tauschhandels zurück... Oder bedeuten sie den Wert? Wenn eine Unze = 3Pfd.St 17 sh. IOV2 d., warum war sie zu verschiedenen Zeiten bald 5 Pfd.St. 4 sh., bald 3Pfd. St. 17 sh. 9 d. wert?... Der Ausdruck Pfund (£) hat Beziehung auf den Wert, aber nicht auf den Wert, fixiert in einem unveränderlichen Gewichtteil Gold. Das Pfund ist eine ideale Einheit... Arbeit ist die Substanz, worin sich die Produktionskosten auflösen, und sie erteilt dem Gold seinen relativen Wert wie dem Eisen. Welcher besondere Rechenname daher immer gebraucht werde, um die Tages- oder Wochenarbeit eines Mannes zu bezeichnen, solcher Name drückt den Wert der produzierten Ware aus."*
In den letzten Worten zerrinnt die nebelhafte Vorstellung vom idealen Geldmaß und bricht ihr eigentlicher Gedankeninhalt durch. Die Rechennamen des Goldes, Pfd.St., sh. usw. sollen Namen für bestimmte Quanta Arbeitszeit sein. Da die Arbeitszeit Substanz und immanentes Maß der Werte ist, würden jene Namen so in der Tat Wertproportionen selbst vorstellen. In andern Worten, die Arbeitszeit wird als wahre Maßeinheit des Geldes behauptet. Damit treten wir aus der Birminghamer Schule heraus, bemerken aber noch im Vorbeigehen, daß die Doktrin vom idealen Geldmaß neue Wichtigkeit erhielt in der Streitfrage über Konvertibilität oder Nichtkonvertibilität der Banknoten. Wenn Papier seine Denomination von Gold oder Silber erhält, bleibt die Konvertibilität der Note, d.h. ihre Umtauschbarkeit in Gold
* „The Currency Question, the Gemini Letters", London 1844, p. 266~272 passim.
1 „Kleinshillingmänner"
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
oder Silber, ökonomisches Gesetz, was immer das juristische Gesetz sagen mag. So wäre ein preußischer Papiertaler, obgleich gesetzlich inkonvertibel, sofort depreziiert, wenn er im gewöhnlichen Verkehr weniger als ein Silbertaler gälte, also nicht praktisch konvertibel wäre. Die konsequenten Vertreter des inkonvertiblen Papiergeldes in England flüchteten daher zum idealen Geldmaß. Wenn die Rechennamen des Geldes, Pfd.St., sh. usw. Namen für eine bestimmte Summe, Wertatome sind, deren eine Vv^are bald mehr, bald weniger im Austausch mit anderen Waren einsaugt oder abgibt, ist eine englische 5-Pfund-Note z.B. ebenso unabhängig von ihrem Verhältnis zu Gold wie von dem zu Eisen und Baumwolle. Da ihr Titel aufgehört hätte, sie bestimmtem Quantum von Gold oder irgendeiner andern Ware theoretisch gleichzusetzen, wäre die Forderung ihrer Konvertibilität, d. h. ihrer praktischen Gleichung mit bestimmtem Quantum eines spezifizierten Dings durch ihren Begriff selbst ausgeschlossen. Die Lehre von der Arbeitszeit als unmittelbarer Maßeinheit des Geldes ist zuerst systematisch entwickelt worden von John Gray* Er läßt eine nationale Zentralbank vermittelst ihrer Zweigbanken die Arbeitszeit vergewissern, die in der Produktion der verschiedenen Waren verbraucht wird. Im Austausch für die Ware erhält der Produzent ein offizielles Zertifikat des Werts, d.h. einen Empfangsschein für so viel Arbeitszeit, als seine Ware enthält**, und diese Banknoten von 1 Arbeitswoche, 1 Arbeitstag, 1 Arbeitsstunde usw. dienen zugleich als Anweisung auf ein Äquivalent in allen andern in den Bankdocks gelagerten Waren.*** Das ist das Grundprinzip, sorgfältig durchgeführt
* John Gray, „The Social System. A Treatise on the Principle of Exchange", Edinburgh 1831. Vgl. von demselben Schriftsteller: „Lectures on the nature and use of money", Edinburgh 1848. Nach der Februarrevolution sandte Gray der französischen provisorischen Regierung eine Denkschrift zu, worin er sie belehrt, daß Frankreich nicht einer „Organisation of labour"1 bedürfe, sondern einer „Organisation of exchange"2 deren Plan völlig ausgearbeitet vorliege in dem von ihm ausgeheckten Geldsystem. Der brave John ahnte nicht, daß sechzehn Jahre nach Erscheinen des „Social System" ein Patent auf dieselbe Entdeckung ausgelöst worden war von dem erfindungsreichen Proudhon. ** Gray, „The Social System etc.", p. 63. „Geld sollte lediglich ein Empfangsschein, ein Beweis dafür sein, daß sein Inhaber entweder bestimmten Wert zu dem vorhandenen nationalen Reichtum beigetragen hat, oder daß er auf den erwähnten Wert ein Recht erworben von irgend jemand, der ihn beigetragen hat." *** „Man lasse ein Produkt, das vorher einen Schätzungswert erhält, auf eine Bank
1 „Organisation der Arbeit" - 2 „Organisation des Austausches"
im Detail und überall angelehnt an vorhandene englische Einrichtungen. Unter diesem System, sagt Gray, „wäre es zu allen Zeiten ebenso leicht gemacht, für Geld zu verkaufen, als es nun ist, mit Geld zu kaufen; die Produktion würde die gleichförmige und nie versiegende Quelle der Nachfrage sein"*. Die edeln Metalle würden ihr „Privilegium" gegen andere Waren verlieren und „den ihnen gebührenden Platz im Markt einnehmen neben Butter und Eiern und Tuch und Kaliko, und ihr Wert würde uns nicht mehr interessieren als der der Diamanten".** „Sollen wir unser eingebildetes Maß der Werte beibehalten, Gold, und so die Produktivkräfte des Landes fesseln, oder sollen wir uns zum natürlichen Maß der Werte wenden, zur Arbeit, und die Produktivkräfte des Landes freisetzen?"*** Da die Arbeitszeit das immanente Maß der Werte ist, warum neben ihr ein anderes äußerliches Maß? Warum entwickelt sich der Tauschwert zum Preis? Warum schätzen alle Waren ihren Wert in einer ausschließlichen Ware, die so in das adäquate Dasein des Tauschwerts verwandelt wird, in Geld? Dies war das Problem, das Gray zu lösen hatte. Statt es zu lösen, bildet er sich ein, die Waren könnten sich unmittelbar aufeinander als Produkte der gesellschaftlichen Arbeit-beziehen. Sie können sich aber nur aufeinander beziehen als das, was sie sind. Die Waren sind unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen, oder die Arbeit auf Grundlage der Warenproduktion wird erst gesellschaftliche Arbeit durch die allseitige Entäußerung der individuellen Arbeiten. Unterstellt Gray aber die in den Waren enthaltene Arbeitszeit als unmittelbar gesellschaftliche, so unterstellt er sie als gemeinschaftliche Arbeitszeit oder als Arbeitszeit direkt assoziierter Individuen. So könnte in der Tat eine spezifische Ware, wie Gold und Silber, den andern Waren nicht als Inkarnation der allgemeinen Arbeit gegenübertreten, der Tauschwert würde nicht zum Preis, aber der Gebrauchswert würde auch nicht zum Tauschwert, das
legen und wieder herausnehmen, wann immer es benötigt wird, wobei lediglich durch allgemeines Ubereinkommen festgesetzt wird, daß derjenige, der irgendeine Art von Eigentum in die vorgeschlagene Nationalbank einlegt, aus ihr einen gleichen Wert, was immer sie enthalten mag, herausnehmen darf, statt gezwungen zu isein, dasselbe Ding herauszunehmen, das er eingelegt hat." I.e. p.67/68. * I.e. p. 16. ** Gray, „Lectures on money etc.", p. 182. *** I.e. p.169.
Produkt würde nicht zur Ware, und so wäre die Grundlage der bürgerlichen Produktion selbst aufgehoben. Das ist aber keineswegs Grays Meinung. Die Produkte sollen als Waren produziert, aber nicht als Waren ausgetauscht werden. Gray überträgt einer Nationalbank die Ausführung dieses frommen Wunsches. Einerseits macht die Gesellschaft in der Form der Bank die Individuen unabhängig von den Bedingungen des Privataustausches und andererseits läßt sie dieselben fortproduzieren auf der Grundlage des Privataustausches. Die innere Konsequenz indes treibt Gray, eine bürgerliche Produktionsbedingung nach der andern wegzuleugnen, obgleich er bloß das aus dem Warenaustausch hervorgehende Geld „reformieren" will. So verwandelt er Kapital in Nationalkapital*, das Grundeigentum in Nationaleigentum**, und wenn seiner Bank auf die Finger gesehen wird, findet sich, daß sie nicht bloß mit der einen Hand Waren empfängt und mit der andern Zertifikate gelieferter Arbeit ausgibt, sondern die Produktion selbst reguliert. In seiner letzten Schrift „Lectures on money", worin Gray ängstlich sein Arbeitsgeld als rein bürgerliche Reform darzustellen sucht, verwickelt er sich in noch schreiendem Widersinn. Jede Ware ist unmittelbar Geld. Dies war Grays Theorie, abgeleitet aus seiner unvollständigen und daher falschen Analyse der Ware. Die „organische" Konstruktion von „Arbeitsgeld" und „Nationalbank" und „Warendocks" ist nur Traumgebild, worin das Dogma als weltbeherrschendes Gesetz vorgegaukelt wird. Das Dogma, daß die Ware unmittelbar Geld oder die in ihr enthaltene Sonderarbeit des Privatindividuums unmittelbar gesellschaftliche Arbeit ist, wird natürlich nicht dadurch wahr, daß eine Bank an es glaubt und ihm gemäß operiert. Der Bankerott würde in solchem Falle vielmehr die Rolle der praktischen Kritik übernehmen. Was bei Gray versteckt und namentlich ihm selbst verheimlicht bleibt, nämlich daß das Arbeitsgeld eine ökonomisch klingende Phrase ist für den frommen Wunsch, das Geld, mit dem Geld den Tauschwert, mit dem Tauschwert die Ware, und mit der Ware die bürgerliche Form der Produktion loszuwerden, wird geradezu herausgesagt von einigen englischen Sozialisten, die teils vor, teils nach Gray schrieben.*** Herrn Proudhon aber und seiner Schule blieb es vorbehalten, die Degradation des Geldes und die Himmelfahrt der Ware ernsthaft als Kern des Sozialismus
* „Das Geschäft jedes Landes sollte auf der Grundlage eines nationalen Kapitals geführt werden." (John Gray, „The Social System etc.", p. 171.) ' ** „Der Boden muß in Nationaleigentum umgewandelt werden" O.e. p.298). *** Sieh z. B. W. Thompson, „An Inquiry into the distribution of wealth etc.", London 1824. Bray, „Labour's wrongs and labour's remedy", Leeds 1839.
zu predigen und damit den Sozialismus in ein elementares Mißverständnis über den notwendigen Zusammenhang zwischen Ware und Geld aufzulösen*
2. Zirkulationsmittel
Nachdem die Ware im Prozeß der Preisgebung ihre zirkulationsfähige Form und das Gold seinen Geldcharakter erhalten hat, wird die Zirkulation die Widersprüche, die der Austauschprozeß der Waren einschloß, zugleich darstellen und lösen. Der wirkliche Austausch der Waren, d.h. der gesellschaftliche Stoffwechsel, geht vor in einem Formwechsel, worin sich die Doppelnatur der Ware als Gebrauchswert und Tauschwert entfaltet, ihr eigener Formwechsel sich aber zugleich in bestimmten Formen des Geldes kristallisiert. Die Darstellung dieses Formwechsels ist die Darstellung der Zirkulation. Wie wir sahen, daß die Ware nur entwickelter Tauschwert ist, wenn eine Welt von Waren und damit tatsächlich entwickelte Teilung der Arbeit vorausgesetzt wird, so setzt die Zirkulation allseitige Austauschakte und den beständigen Fluß ihrer Erneuerung voraus. Die zweite Voraussetzung ist, daß die Waren als preisbestimmte Waren in den Austauschprozeß eingehen oder innerhalb desselben als Doppelexistenzen füreinander erscheinen, reell als Gebrauchswerte, ideell - im Preise - als Tauschwerte. In den belebtesten Straßen Londons drängt sich Magazin an Magazin, hinter deren hohlen Glasaugen alle Reichtümer der Welt prangen, indische Shawls, amerikanische Revolver, chinesisches Porzellan, Pariser Korsetten, russische Pelzwerke und tropische Spezereien, aber alle diese weltlustigen Dinge tragen an der Stirne fatale weißliche Papiermarken, worin arabische Ziffern mit den lakonischen Charakteren £, sh., d. eingegraben sind. Dies ist das Bild der in der Zirkulation erscheinenden Ware.
a) Die Metamorphose der Waren
Bei näherer Betrachtung zeigt der Zirkulationsprozeß zwei verschiedene Formen von Kreisläufen. Nennen wir die Ware W, das Geld G, so können wir diese beiden Formen ausdrücken als: W-G-W G-W-G
* Als Kompendium dieser melodramatischen Geldtheorie kann betrachtet werden: Alfred Darimön, „De la reforme des banques", Paris 1856.
In diesem Abschnitt beschäftigt uns ausschließlich die erste Form, oder die unmittelbare Form der Warenzirkulation. Der Kreislauf W-G—W zerlegt sich in die Bewegung W—G, Austauschen von Ware gegen Geld oder Verkaufen; in die entgegengesetzte Bewegung G—W, Austauschen von Geld gegen Ware oder Kaufen, und in die Einheit beider Bewegungen W — G — W, Austauschen von Ware gegen Geld, um Geld gegen Ware auszutauschen, oder Verkaufen um zu Kaufen. Als Resultat aber, worin der Prozeß erlischt, ergibt sich W—W, Austausch von Ware gegen Ware, der wirkliche Stoffwechsel. W-G-W, wenn man vom Extrem der ersten Ware ausgeht, stellt ihre Verwandlung in Gold und ihre Rückverwandlung aus Gold in Ware dar, oder eine Bewegung, worin die Ware zuerst als besonderer Gebrauchswert existiert, dann diese Existenz abstreift, eine von allem Zusammenhang mit ihrem naturwüchsigen Dasein losgelöste Existenz als Tauschwert oder allgemeines Äquivalent gewinnt, diese wieder abstreiftundschließlichals wirklicher Gebrauchswert für einzelne Bedürfnisse zurückbleibt. In dieser letzten Form fällt sie aus der Zirkulation in die Konsumtion. Das Ganze der Zirkulation W— G — W ist daher zunächst die Gesamtreihe der Metamorphosen, welche jede einzelne Ware durchläuft, um unmittelbarer Gebrauchswert für ihren Inhaber zu werden. Die erste Metamorphose vollzieht sich in der ersten Hälfte der Zirkulation W—G, die zweite in der andern Hälfte G—W, und die ganze Zirkulation bildet das curriculum.vitae1 der Ware. Aber die Zirkulation W-G-W ist nur die Gesamtmetamorphose einer einzelnen Ware, indem sie zugleich Summe von bestimmten einseitigen Metamorphosen anderer Waren ist, denn jede Metamorphose der ersten Ware ist ihre Verwandlung in eine andere Ware, also Verwandlung der andern Ware in sie, also doppelseitige Verwandlung, die sich in demselben Stadium der Zirkulation vollzieht. Wir haben zunächst jeden der beiden Austauschprozesse, worin die Zirkulation W-G-W zerfällt, isoliert zu betrachten. W- G oder Verkauf: W, die Ware, tritt in den Zirkulationsprozeß nicht nur als besonderer Gebrauchswert, z.B. als Tonne Eisen, sondern als Gebrauchswert von bestimmtem Preis, sage von 3 Pfd. St. 17 sh. IOV2 d. oder einer Unze Gold. Dieser Preis, während er einerseits der Exponent des im Eisen enthaltenen Quantums Arbeitszeit, d.h. seiner Wertgröße ist, drückt zugleich den frommen Wunsch des Eisens aus, Gold zu werden, d.h. der in ihm selbst enthaltenen Arbeitszeit die Gestalt der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeitszeit zu geben. Gelingt diese Transsubstantiation nicht, so hört
1 den Lebenslauf
die Tonne Eisen auf, nicht nur Ware, sondern Produkt zu sein, denn sie ist nur Ware, weil Nicht-Gebrauchswert für ihren Besitzer, oder seine Arbeit ist nur wirkliche Arbeit als nützliche Arbeit für andere, und sie ist nur nützlich für ihn als abstrakt allgemeine Arbeit. Es ist daher die Aufgabe des Eisens oder seines Besitzers, den Punkt in der Warenwelt aufzufinden, wo Eisen Gold anzieht. Diese Schwierigkeit, der salto mortale der Ware, ist aber überwunden, wenn der Verkauf, wie hier in der Analyse der einfachen Zirkulation unterstellt wird, wirklich vorgeht. Indem die Tonne Eisen durch ihre Veräußerung, d.h. ihr Übergehen aus der Hand, wo sie Nicht-Gebrauchswert, in die Hand, worin sie Gebrauchswert ist, sich als Gebrauchswert verwirklicht, realisiert sie zugleich ihren Preis und wird aus nur vorgestelltem Gold wirkliches Gold. An die Stelle des Namens Unze Gold oder 3 Pfd.St. 17 sh. 101/2 d. ist nun eine Unze wirklichen Goldes getreten, aber die Tonne Eisen hat den Platz geräumt. Durch den Verkauf W — G wird nicht nur die Ware, die in ihrem Preise ideell in Gold verwandelt war, reell in Gold verwandelt, sondern durch denselben Prozeß wird das Gold, das als Maß der Werte nur ideelles Gold war und in der Tat nur als Geldnamen der Waren selbst figurierte, in wirkliches Geld verwandelt.* Wie es ideell allgemeines Äquivalent wurde, weil alle Waren ihre Werte in ihm maßen, wird es jetzt als Produkt der allseitigen Veräußerung der Waren gegen es, und der Verkauf W-G ist der Prozeß dieser allgemeinen Veräußerung, die absolut veräußerliche Ware, reelles Geld. Gold wird aber nur im Verkauf reell Geld, weil die Tauschwerte der Waren in den Preisen schon ideell Gold waren. Im Verkauf W—G, ebenso wie im Kauf G—W, stehen sich zwei Waren gegenüber, Einheiten von Tauschwert und Gebrauchswert, aber an der Ware existiert ihr Tauschwert nur ideell als Preis, während am Gold, obgleich es selbst ein wirklicher Gebrauchswert ist, sein Gebrauchswert nur als Träger des Tauschwerts existiert und daher nur als formaler, auf kein wirkliches individuelles Bedürfnis bezogener Gebrauchswert. Der Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert verteilt sich also polarisch an die beiden Extreme von W— G, so daß die Ware dem Gold gegenüber Gebrauchswert ist, der seinen ideellen Tauschwert, den Preis, erst im Gold realisieren muß,
* „Das Geld ist von zweierlei Art, ideales und reales; und es wird in zwei verschiedenen Weisen gebraucht, um die Dinge zu schätzen und um sie zu kaufen. Zum Schätzen ist das ideale Geld geeignet, ebenso wie das reale und vielleicht auch besser. Der andere Gebrauch des Geldes besteht im Kauf jener Dinge, die es schätzt... Die Preise und die Kontrakte werden in idealem Gelde geschätzt und in realem Gelde verwirklicht." (Galiani, I.e. pag. 112 seq.)
während das Gold der Ware gegenüber Tauschwert ist, der seinen formalen Gebrauchswert erst in der Ware materialisiert. Nur durch diese Verdoppelung der Ware in Ware und Gold, und durch die wieder doppelte und entgegengesetzte Beziehung, worin jedes Extrem ideell ist, was sein Gegenteil reell ist, und reell ist, was sein Gegenteil ideell ist, also nur durch Darstellung der Waren als doppelseitig polarischer Gegensätze lösen sich die in ihrem Austauschprozeß enthaltenen Widersprüche. Wir haben bisher W—G als Verkauf betrachtet, Verwandlung von Ware in Geld. Stellen wir uns aber auf die Seite des andern Extrems, so erscheint derselbe Prozeß vielmehr als G — W, als Kauf, als Verwandlung von Geld in Ware. Verkauf ist notwendig zugleich sein Gegenteil, Kauf, das eine, wenn man den Prozeß von der einen, und das andere, wenn man ihn von der andern Seite ansieht. Oder in der Wirklichkeit unterscheidet sich der Prozeß nur, weil in W—G die Initiative vom Extrem der Ware oder des Verkäufers, in G—W vom Extrem des Geldes oder des Käufers ausgeht. Indem wir also die erste Metamorphose der Ware, ihre Verwandlung in Geld als Resultat des Durchlaufens des ersten Zirkulationsstadiums W — G darstellen, unterstellen wir gleichzeitig, daß eine andere Ware sich schon in Geld verwandelt hat, sich also schon im zweiten Zirkulationsstadium G —W befindet. So geraten wir in einen fehlerhaften Zirkel der Voraussetzungen. Die Zirkulation selbst ist dieser fehlerhafte Zirkel. Betrachten wir G in W— G nicht schon als Metamorphose einer andern Ware, so nehmen wir den Austauschakt aus dem Zirkulationsprozeß heraus. Außerhalb desselben verschwindet aber die Form W—G, und es stehen sich nur nöch zwei verschiedene W, sage Eisen und Gold gegenüber, deren Austausch kein besonderer Akt der Zirkulation, sondern des unmittelbaren Tauschhandels ist. Gold ist Ware wie jede andere Ware an der Quelle seiner Produktion. Sein relativer Wert und der des Eisens, oder jeder andern Ware, stellt sich hier dar in den Quantitäten, worin sie sich wechselseitig austauschen. Aber im Zirkulationsprozeß ist diese Operation vorausgesetzt, in den Warenpreisen ist sein eigener Wert bereits gegeben. Es kann daher nichts irriger sein, als die Vorstellung, daß innerhalb des Zirkulationsprozesses Gold und Ware in das Verhältnis des unmittelbaren Tauschhandels treten und daher ihr relativer Wert durch ihren Austausch als einfache Waren ermittelt wird. Wenn es so scheint, als ob im Zirkulationsprozeß Gold als bloße Ware gegen Waren ausgetauscht werde, entspringt der Schein einfach daher, daß in den Preisen bestimmte Quantität Ware schon bestimmtem Quantum Gold gleichgesetzt, d.h. auf das Gold schon als Geld, allgemeines Äquivalent, bezogen und daher unmittelbar mit ihm austauschbar ist. Soweit sich der Preis einer Ware im Gold realisiert, tauscht sie sich gegen
es als Ware aus, als besondere Materiatur der Arbeitszeit, aber soweit es ihr Preis ist, der sich in ihm realisiert, tauscht sie sich gegen es aus als Geld und nicht als Ware, d.h. gegen es als allgemeine Materiatur der Arbeitszeit. In beiden Beziehungen aber wird das Quantum Gold, wogegen sich die Ware innerhalb des Zirkulationsprozesses austauscht, nicht durch den Austausch bestimmt, sondern der Austausch durch den Preis der Ware, d.h. ihren in Gold geschätzten Tauschwert.* Innerhalb des Zirkulationsprozesses erscheint das Gold in jeder Hand als Resultat des Verkaufs W-G. Da aber W-G, der Verkauf, zugleich G-W, der Kauf, ist, zeigt sich, daß während W, die Ware, wovon der Prozeß ausgeht, ihre erste Metamorphose, die andere Ware, die als Extrem G gegenübersteht, ihre zweite Metamorphose vollzieht und daher die zweite Hälfte der Zirkulation durchläuft, während die erste Ware sich noch in der ersten Hälfte ihres Kursus befindet. Als Resultat des ersten Prozesses der Zirkulation, des Verkaufs, ergibt sich der Ausgangspunkt des zweiten, das Geld. An die Stelle der Ware in ihrer ersten Form ist ihr goldenes Äquivalent getreten. Dies Resultat kann zunächst einen Ruhepunkt bilden, da die Ware in dieser zweiten Form eigene ausharrende Existenz besitzt. Die Ware, in der Hand ihres Inhabers kein Gebrauchswert, ist jetzt in stets brauchbarer, weil stets austauschbarer Form vorhanden, und es hängt von Umständen ab, wann und an welchem Punkte auf der Oberfläche der Warenwelt sie wieder in Zirkulation tritt. Ihre Goldverpuppung bildet einen selbständigen Abschnitt in ihrem Leben, worin sie kürzer oder länger verweilen kann. Während im Tauschhandel der Austausch eines besondern Gebrauchswerts unmittelbar an den Austausch eines andern besondern Gebrauchswerts gebunden ist, erscheint der allgemeine Charakter der Tauschwert setzenden Arbeit in der Trennung und dem gleichgültigen Auseinanderfallen der Akte des Kaufs und Verkaufs. G — W, der Kauf, ist die umgekehrte Bewegung von W — G und zugleich die zweite oder Schlußmetamorphose der Ware. Als Gold oder in ihrem Dasein als allgemeines Äquivalent ist die Ware unmittelbar darstellbar in den Gebrauchswerten aller andern Waren, die in ihren Preisen alle das Gold zugleich als ihr Jenseits anstreben, zugleich aber die Note anzeigen, worin es erklingen muß, damit ihre Leiber, die Gebrauchswerte, auf Seite des Geldes,
* Es verhindert dies natürlich nicht, daß der Marktpreis der Waren über oder unter ihrem Wert stehen kann. Diese Rücksicht jedoch ist der einfachen Zirkulation fremd und gehört einer ganz andern, später zu betrachtenden Sphäre an, wo wir das Verhältnis von Wert und Marktpreis untersuchen werden.
ihre Seele, der Tauschwert, aber in das Gold selbst springt. Das allgemeine Produkt der Veräußerung der Waren ist die absolut veräußerliche Ware. Es existiert keine qualitative, sondern nur noch eine quantitative Schranke für die Verwandlung des Goldes in Ware, die Schranke seiner eigenen Quantität oder Wertgröße. „Es ist alles zu haben für bar Geld." Während die Ware in der Bewegung W- G durch Entäußerung als Gebrauchswert ihren eigenen Preis und den Gebrauchswert des fremden Geldes realisiert, realisiert sie in der Bewegung G -W durch ihre Entäußerung als Tauschwert ihren eigenen Gebrauchswert und den Preis der andern Ware. Wenn die Ware durch Realisierung ihres Preises zugleich das Gold in wirkliches Geld, verwandelt sie durch ihre Rückverwandlung das Gold in ihr eigenes bloß verschwindendes Gelddasein. Da die Warenzirkulation entwickelte Teilung der Arbeit voraussetzt, also Vielseitigkeit der Bedürfnisse des einzelnen in umgekehrtem Verhältnis zur Einseitigkeit seines Produkts, wird der Kauf G - W sich bald in einer Gleichung mit einem Warenäquivalent darstellen, bald zersplittern in eine jetzt durch den Kreis der Bedürfnisse des Käufers und die Größe seiner Geldsumme umschriebene Reihe von Warenäquivalenten. - Wie der Verkauf zugleich Kauf, so ist der Kauf zugleich Verkauf, G -W zugleich W- G, aber die Initiative gehört hier dem Gold oder dem Käufer. Kehren wir nun zur Gesamtzirkulation W- G - W zurück, so zeigt sich, daß in ihr eine Ware die Gesamtreihe ihrer Metamorphosen durchläuft. Gleichzeitig aber, während sie die erste Hälfte der Zirkulation beginnt und die erste Metamorphose vollzieht, tritt eine zweite Ware in die zweite Hälfte der Zirkulation, vollzieht ihre zweite Metamorphose und fällt aus der Zirkulation heraus, und umgekehrt tritt die erste Ware in die zweite Hälfte der Zirkulation, vollzieht ihre zweite Metamorphose und fällt aus der Zirkulation heraus, während eine dritte Ware in die Zirkulation eintritt, die erste Hälfte ihres Kursus durchmacht und die erste Metamorphose vollzieht. Die Gesamtzirkulation W- G-W als Gesamtmetamorphose einer Ware ist also stets zugleich das Ende der Gesamtmetamorphose einer zweiten und der Beginn der Gesamtmetamorphose einer dritten Ware, also eine Reihe ohne Anfang und Ein de. Bezeichnen wir zur Verdeutlichung, um die Waren zu unterscheiden, W in beiden Extremen verschieden, z.B. als W'-G-W". In der Tat, das erste Glied W'- G unterstellt G als Resultat eines andern W~ G, ist also selbst nur das letzte Glied von W - G - W', während das zweite Glied G - W" in seinem Resultat W"- G ist, also selbst sich darstellt als erstes Glied von W"~ G -W"' usw. Ferner zeigt es sich, daß das letzte Glied G -W, obgleich G Resultat nur eines Verkaufs ist, sich darstellen kann als G~W'+ G - W"+ G-W'"+ etc., sich also in eine Masse Käufe, d.h. eine Masse
Verkäufe, d.h. eine Masse erster Glieder von neuen Gesamtmetamorphosen von Waren zersplittern kann. Wenn also die Gesamtmetamorphose einer einzelnen Ware sich nicht nur als Glied einer anfangs- und endlosen Metamorphosenkette,sondern vieler solcher Ketten darstellt, stelltsich der Zirkulationsprozeß der Warenwelt, da jede einzelne Ware die Zirkulation W-G-W durchläuft, als ein unendlich verschlungenes Kettengewirr dieser an unendlich verschiedenen Punkten stets endenden und stets neu beginnenden Bewegung dar. Jeder einzelne Verkauf oder Kauf besteht aber zugleich als ein gleich gültiger und isolierter Akt, dessen ergänzender Akt zeitlich und räumlich von ihm getrennt sein kann und sich daher nicht als Fortsetzung unmittelbar an ihn anzuschließen braucht. Indem jeder besondere Zirkulationsprozeß W- G oder G -W als Verwandlung einer Ware in Gebrauchswert und der andern Ware in Geld, als erstes und zweites Stadium der Zirkulation, nach zwei Seiten hin einen selbständigen Ruhepunkt bildet, andererseits aber alle Waren in der ihnen gemeinschaftlichen Gestalt des allgemeinen Äquivalents, des Goldes, ihre zweite Metamorphose beginnen und sich an den Ausgangspunkt der zweiten Zirkulationshälfte stellen, reiht sich in der wirklichen Zirkulation ein beliebiges G-Wan ein beliebiges W-G, das zweite Kapitel im Lebenslauf einer Ware an das erste Kapitel im Lebenslauf der andern. A z.B. verkauft Eisen für 2 Pfd.St., vollzieht also W- G oder die erste Metamorphose der Ware Eisen, verschiebt aber den Kauf für spätere Zeit. Gleichzeitig kauft B, der 14 Tage früher 2 Quarter Weizen für 6 Pfd.St. verkauft hatte, mit denselben 6 Pfd. St. Rock und Hose von Moses und Sohn, vollzieht also G-W oder die zweite Metamorphose der Ware Weizen. Diese beiden Akte G-W und W-G erscheinen hier nur als Glieder einer Kette, weil in G, im Gold, eine Ware aussieht wie die andere und im Gold nicht wiederzuerkennen ist, ob es metamorphosiertes Eisen oder metamorphosierter Weizen. Im wirklichen Zirkulationsprozeß stellt sich also W-G-W dar als unendlich zufälliges Nebeneinander und Nacheinander buntgewürfelter Glieder verschiedener Gesamtmetamorphosen. Der wirkliche Zirkulationsprozeß erscheint also nicht als Gesamtmetamorphose der Ware, nicht als ihre Bewegung durch entgegengesetzte Phasen, sondern als bloßes Aggregat vieler zufällig nebeneinander laufender oder einander folgender Käufe und Verkäufe. Die Formbestimmtheit des Prozesses ist so ausgelöscht, und um so vollständiger als jeder einzelne Zirkulationsakt, z.B. der Verkauf, zugleich sein Gegenteil, der Kauf, ist und umgekehrt. Andrerseits ist der Zirkulationsprozeß die Bewegung der Metamorphosen der Warenwelt und muß sie daher auch in seiner Gesamtbewegung widerspiegeln. Wie er sie reflektiert, betrachten wir im folgenden Abschnitt. Hier mag nur noch bemerkt werden,
daß in W-G ~W die beiden Extreme W nicht in derselben Formbeziehung zu G stehen. Das erste W verhält sich als besondere Ware zum Geld als der allgemeinen Ware, während Geld als die allgemeine Ware sich zum zweiten W als einzelner Ware verhält. W- G -W kann daher abstrakt logisch auf die Schlußform B-A-E reduziert werden, worin die Besonderheit das erste Extrem, die Allgemeinheit die zusammenschließende Mitte und die Einzelheit das letzte Extrem bildet. Die Warenbesitzer traten in den Zirkulationsprozeß einfach als Hüter von Waren. Innerhalb desselben treten sie sich in der gegensätzlichen Form von Käufer und Verkäufer gegenüber, der eine personifizierter Zuckerhut, der andere personifiziertes Gold. Wie nun der Zuckerhut Gold wird, wird der Verkäufer Käufer. Diese bestimmten sozialen Charaktere entspringen also keineswegs aus der menschlichen Individualität überhaupt, sondern aus den Austauschverhältnissen von Menschen, die ihre Produkte in der bestimmten Form der Ware produzieren. Es sind so wenig rein individuelle Verhältnisse, die sich im Verhältnis des Käufers und Verkäufers ausdrücken, daß beide nur in diese Beziehung treten, soweit ihre individuelle Arbeit verneint, nämlich als Arbeit keines Individuums Geld wird. So albern es daher ist, diese ökonomisch bürgerlichen Charaktere von Käufer und Verkäufer als ewige gesellschaftliche Formen der menschlichen Individualität aufzufassen, ebenso verkehrt ist es, sie als Aufhebung der Individualität zu betränen.* Sie sind notwendige Darstellung der Individualität auf Grundlage einer bestimmten Stufe
* Wie tief selbst die ganz oberflächliche Form des Antagonismus, der sich in Kauf und Verkauf darstellt, schöne Seelen verwundet, zeigt der folgende Auszug aus Herrn Isaac Pereires „Le^ons sur l'industrie et les finances", Paris 1832. Daß derselbe Isaac der als Erfinder und Diktator des Credit mobilier[18^ berüchtigte Pariser Börsenwolf ist, zeigt zugleich, was es mit der sentimentalen Kritik der Ökonomie auf sich hat. Herr Pereire, damals ein Apostel St. Simons, sagt: „Weil die Individuen isoliert sind, die einen von den andern getrennt, sei es in ihren Arbeiten, sei es für die Konsumtion, darum gibt es unter ihnen A.ustausch der Produkte ihrer respektiven Gewerbe. Aus der Notwendigkeit des Tausches entspringt die Notwendigkeit, den relativen Wert der Gegenstände zu bestimmen. Die Ideen vom Wert und vom Tausch sind also eng verbunden, und alle beide drücken in ihrer wirklichen Form den Individualismus und den Antagonismus aus... Man kann den Wert der Produkte nur festsetzen, weil es Verkauf und Kauf gibt, mit andern Worten, Antagonismus zwischen den verschiedenen Gliedern der Gesellschaft. Man konnte sich nur da mit Preis, mit Wert beschäftigen, wo es Verkauf und Kauf gab, das heißt, wo jedes Individuum gezwungen war zu kämpfen, um sich die zur Erhaltung der Existenz notwendigen Gegenstände zu verschaffen." (I.e. pag. 2, 3 passim.)
des gesellschaftlichen Produktionsprozesses. Im Gegensatz von Käufer und Verkäufer drückt sich zudem die antagonistische Natur der bürgerlichen Produktion noch so oberflächlich und formell aus, daß dieser Gegensatz auch vorbürgerlichen Gesellschaftsformen angehört, indem er bloß erheischt, daß die Individuen sich aufeinander als Inhaber von Waren beziehen. Betrachten wir nun das Resultat von W- G - W, so sinkt es zusammen in den Stoffwechsel W-W. Ware ist gegen Ware, Gebrauchswert gegen Gebrauchswert ausgetauscht worden, und die Geldwerdung der Ware, oder die Ware als Geld, dient nur zur Vermittlung dieses Stoffwechsels. Das Geld erscheint so als bloßes Tauschmittel der Waren, aber nicht als Tauschmittel überhaupt, sondern durch den Zirkulationsprozeß charakterisiertes Tauschmittel, d.h. Zirkulationsmittel * Daraus, daß der Zirkulationsprozeß der Waren erlischt in W-W und daher bloß durch Geld vermittelter Tauschhandel zu sein scheint, oder daß überhaupt W- G -W nicht nur in zwei isolierte Prozesse zerfällt, sondern zugleich ihre bewegte Einheit darstellt, schließen wollen, daß nur die Einheit und nicht die Trennung zwischen Kauf und Verkauf existiert, ist eine Manier des Denkens, deren Kritik in die Logik und nicht in die Ökonomie gehört. Wie die Trennung im Austauschprozeß von Kauf und Verkauf lokal-naturwüchsige, angestammt fromme, gemütlich alberne Schranken des gesellschaftlichen Stoffwechsels sprengt, ist sie zugleich die allgemeine Form der Zerreißung seiner zusammengehörigen Momente und ihrer Festsetzung gegeneinander, mit einem Wort, die allgemeine Möglichkeit der Handelskrisen, jedoch nur, weil der Gegensatz von Ware und Geld die abstrakte und allgemeine Form aller in der bürgerlichen Arbeit enthaltenen Gegensätze ist. Geldzirkulation kann daher stattfinden ohne Krisen, aber Krisen können nicht stattfinden ohne Geldzirkulation. Dieses heißt jedoch nur, daß da, wo die auf Privataustausch beruhende Arbeit noch nicht einmal zur Geldbildung fortgegangen v ist, sie natürlich noch weniger Phänomene hervorbringen kann, welche die volle Entwicklung des bürgerlichen Produktionsprozesses voraussetzen. Man kann daher die Tiefe der Kritik messen, die durch Abschaffung des „Privilegiums" der edeln Metalle und durch ein sogenanntes „rationelles Geldsystem" die „Mißstände" der bürgerlichen Produktion beseitigen will. Als Probe ökonomistischer Apologetik andererseits mag eine Wendung hinreichen,
* „Das Geld ist nur das Mittel und die bewegende Kraft, während die dem Leben nützlichen Waren das Ziel und der Zweck sind." Boisguillebert, „Le detail de la France", 1697, in Eugene Daires „Economistes financiers du XVIII. siecle", vol. I, Paris 1843, pag. 210.
die als außerordentlich scharfsinnig verschrien ist. James Mill, der Vater des bekannten englischen Ökonomen John Stuart Mill, sagt:
„Es kann nie einen Mangel an Käufern für alle Waren geben. Wer immer eine Ware zum Verkauf darbietet, verlangt eine Ware im Austausch dafür zu erhalten, und ist daher Käufer durch das bloße Faktum, daß er Verkäufer ist. Käufer und Verkäufer aller Waren zusammengenommen, müssen sich daher durch eine metaphysische Notwendigkeit das Gleichgewicht halten. Wenn daher mehr Verkäufer als Käufer von einer Ware da sind, muß es mehr Käufer als Verkäufer von einer andern Ware geben."*
Mill stellt das Gleichgewicht dadurch her, daß er den Zirkulationsprozeß in unmittelbaren Tauschhandel verwandelt, in den unmittelbaren Tauschhandel aber wieder die dem Zirkulationsprozeß entlehnten Figuren von Käufer und Verkäufer hineinschmuggelt. In seiner Sprachverwirrung zu reden, gibt es in solchen Momenten, wo alle Waren unverkaufbar sind, wie z.B. zu London und Hamburg, während bestimmter Momente der Handelskrise 1857/58, in der Tat mehr Käufer als Verkäufer von einer Ware, dem Geld, und mehr Verkäufer als Käufer von allem anderen Geld, den Waren. Das metaphysische Gleichgewicht der Käufe und Verkäufe beschränkt sich darauf, daß jeder Kauf ein Verkauf und jeder Verkauf ein Kauf ist, was kein sonderlicher Trost für die Warenhüter, die es nicht zum Verkauf, also auch nicht zum Kauf bringen.**
* November 1807 erschien in England eine Schrift von William Spence unter dem Titel: „Britain independent of commerce", deren Prinzip William Cobbett in seinem „Political Register" unter der drastischeren Form „Perish commerce" weiter ausführte. Dagegen veröffentlichte James Mill 1808 seine „Defence of commerce", worin sich das im Text aus seinen „Elements of political economy" entlehnte Argument schon findet. In seiner Polemik mit Sismondi und Malthus über die Handelskrisen eignete sich J. B. Say den artigen Fund an, und da es unmöglich wäre zu sagen, mit welchem neuen Einfall dieser komische „prince de la science"1 die politische Ökonomie bereichert hätte - sein Verdienst bestand vielmehr in der Unparteilichkeit, womit er seine Zeitgenossen Malthus, Sismondi und Ricardo gleichmäßig mißverstand haben seine kontinentalen Bewunderer ihn als Heber jenes Schatzes vom metaphysischen Gleichgewicht der Käufe und Verkäufe ausposaunt. ** Die Manier, worin die Ökonomen die verschiedenen Formbestimmungen der Ware darstellen, mag man aus folgenden Beispielen ersehen: „ Im Besitze von Geld brauchen wir nur einen Tausch zu machen, um den Gegenstand des Wunsches zu erlangen, während wir mit anderen Surplusprodukten zwei machen müssen, von denen der erste (Besorgung des Geldes) unendlich schwieriger
1 „Fürst der Wissenschaft"
Die Trennung zwischen Verkauf und Kauf macht mit dem eigentlichen Handel eine Masse Scheintransaktionen vor dem definitiven Austausch zwischen Warenproduzenten und Warenkonsumenten möglich. Sie befähigt so eine Masse Parasiten, sich in den Produktionsprozeß einzudrängen und die Scheidung auszubeuten. Dies heißt aber wieder nur, daß mit dem Geld als der allgemeinen Form der bürgerlichen Arbeit die Möglichkeit der Entwicklung ihrer Widersprüche gegeben ist.
b) Der Umlauf des Geldes
Die wirkliche Zirkulation stellt sich zunächst dar als eine Masse zufällig nebeneinanderlaufender Käufe und Verkäufe. Im Kauf wie im Verkauf stehen sich Ware und Geld stets in derselben Beziehung gegenüber, der Verkäufer auf Seite der Ware, der Käufer auf Seite des Geldes. Geld als Zirkulationsmittel erscheint daher stets als Kaufmittel, womit seine unterschiedenen Bestimmungen in den entgegengesetzten Phasen der Warenmetamorphose unerkenntlich geworden sind. Das Geld geht in demselben Akt in die Hand des Verkäufers über, worin die Ware in die Hand des Käufers übergeht. Ware und Geld laufen also in entgegengesetzter Richtung, und dieser Stellenwechsel, worin die Ware auf die eine, und das Geld auf die andre Seite tritt, vollzieht sich gleichzeitig an unbestimmt vielen Punkten auf der ganzen Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft. Der erste Schritt aber, den die Ware in die Zirkulation tut, ist zugleich ihr letzter Schritt.* Ob sie aus der Stelle rückt, weil Gold von ihr
ist als der zweite." Opdyke, G., „A treatise on political economy", New York, pag. 287 bis 288. „Die höhere Verkaufbarkeit von Geld ist gerade die Wirkung oder natürliche Konsequenz der geringeren Verkaufbarkeit von Waren." (Corbet,Th., „An inquiry into the causes and modes of the wealth of individuals etc.", London 1841, pag. 117.) „Geld hat die Eigenschaft, immer gegen das austauschbar zu sein, was es mißt." Bosanquet, „Metallic, Paper and Credit Currency etc.", London 1842, p. 100. „Geld kann immer andere Waren kaufen, während andere Waren nicht immer Geld kaufen können." Tooke, Th., „An Inquiry into the Currency Principle", 2. ed., London 1844, p. 10. * Dieselbe Ware kann mehrmals gekauft und wieder verkauft werden. Sie zirkuliert dann nicht als bloße Ware, sondern in einer Bestimmung, die auf dem Standpunkt der einfachen Zirkulation, des einfachen Gegensatzes von Ware und Geld, nicht vorhanden ist.
(W- G), oder weil sie vom Gold angezogen wird (G -W), mit dem einen Ruck, dem einen Stellenwechsel, fällt sie aus der Zirkulation in die Konsumtion. Die Zirkulation ist fortwährende Bewegung von Waren, aber von stets andern Waren, und jede Ware bewegt sich nur einmal. Jede Ware beginnt die zweite Hälfte ihrer Zirkulation nicht als dieselbe Ware, sondern als eine andere Ware, als Gold. Die Bewegung der metamorphosierten Ware ist also die Bewegung des Goldes. Dasselbe Stück Geld oder das identische Goldindividuum, das im Akt W-G einmal die Stelle gewechselt hat mit einer Ware, erscheint umgekehrt wieder als Ausgangspunkt von G - W und wechselt so die Stelle zum zweiten Male mit einer andern Ware. Wie es aus der Hand des Käufers B in die Hand des Verkäufers A, geht es nun aus der Hand des Käufers gewordenen A in die Hand von C über. Die Formbewegung einer Ware, ihre Verwandlung in Geld und ihre Rückverwandlung aus Geld, oder die Bewegung der Gesamtmetamorphose der Ware stellt sich also dar als die äußerliche Bewegung desselben Geldstücks, das zweimal die Stellen mit zwei verschiedenen Waren wechselt. So zersplittert und zufällig Käufe und Verkäufe nebeneinanderfallen, stets steht in der wirklichen Zirkulation einem Käufer ein Verkäufer gegenüber, und das Geld, das an die Stelle der verkauften Ware rückt, muß, bevor es in die Hand des Käufers kam, schon einmal die Stelle mit einer andern Ware gewechselt haben. Andrerseits geht es früher oder später wieder aus der Hand des Käufers gewordenen Verkäufers in die eines neuen Verkäufers über, und in dieser öfteren Wiederholung seines Stellenwechsels drückt es die Verkettung der Metamorphosen der Waren aus. Dieselben Geldstücke rücken also, stets in entgegengesetzter Richtung zu den bewegten Waren, das eine häufiger, das andere minder häufig, von einer Stelle der Zirkulation zur andern, und beschreiben daher einen längern oder kürzern Zirkulationsbogen. Diese verschiedenen Bewegungen desselben Geldstücks können nur in der Zeit aufeinanderfolgen, wie umgekehrt die Vielheit und Zersplitterung der Käufe und Verkäufe in dem gleichzeitigen, räumlich nebeneinander laufenden einmaligen Stellenwechsel von Waren und Geld erscheint. Die Warenzirkulation W-G-W in ihrer einfachen Form vollzieht sich im Übergang des Geldes aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers und aus der Hand des Käufers gewordenen Verkäufers in die eines neuen Verkäufers. Damit ist die Metamorphose der Ware beendet und folglich die Bewegung des Geldes, soweit sie ihr Ausdruck. Da aber stets neue Gebrauchswerte als Waren produziert und daher stets von neuem in die Zirkulation geworfen werden müssen, wiederholt und erneuert sich W-G-W von Seiten derselben Warenbesitzer. Das Geld, das sie als Käufer ausgegeben, kehrt in
ihre Hand zurück, sobald sie von neuem als Verkäufer von Waren erscheinen. Die beständige Erneuerung der Warenzirkulation spiegelt sich so darin ab, daß das Geld nicht nur beständig rouliert aus einer Hand in die andere, über die ganze Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft, sondern zugleich eine Summe verschiedener kleiner Kreisläufe beschreibt, ausgehend von unendlich verschiedenen Punkten und zurückkehrend zu denselben Punkten, um von neuem dieselbe Bewegung zu wiederholen. Wenn der Formwechsel der Waren als bloßer Stellenwechsel des Geldes erscheint und die Kontinuität der Zirkulationsbewegung ganz auf Seite des Geldes fällt, indem die Ware immer nur einen Schritt in entgegengesetzter Richtung mit dem Geld, das Geld aber stets den zweiten Schritt für die Ware tut und B sagt, wo die Ware A gesagt hat, so scheint die ganze Bewegung vom Geld auszugehen, obgleich die Ware beim Verkauf das Geld aus seiner Stelle zieht, also ebensowohl das Geld zirkuliert, wie sie vom Geld im Kauf zirkuliert wird. Da das Geld ihr ferner stets in derselben Beziehung als Kaufmittel gegenübertritt, als solches die Waren aber nur bewegt durch Realisieren ihres Preises, erscheint die ganze Bewegung der Zirkulation so, daß Geld den Platz mit den Waren wechselt, indem es ihre Preise realisiert, sei es in gleichzeitig nebeneinander vorgehenden, besondern Zirkulationsakten, sei es sukzessiv, indem dasselbe Geldstück verschiedene Warenpreise der Reihe nach realisiert. Betrachten wir z.B. W-G-W'-G-W"-G-W'" etc. ohne -Rücksicht auf die qualitativen Momente, die im wirklichen Zirkulationsprozeß unerkenntlich werden, so zeigt sich nur dieselbe monotone Operation. G, nachdem es den Preis von W realisiert hat, realisiert der Reihe nach die Preise von W'-W" usw., und die Waren W'-W"-W"' usw. treten stets an die Stelle, die das Geld verläßt. Das Geld scheint also die Waren zu zirkulieren, indem es ihre Preise realisiert. In dieser Funktion des Realisierens der Preise zirkuliert es selbst beständig, indem es bald bloß eine Stelle wechselt, bald einen Zirkulationsbogen durchläuft, bald einen kleinen Kreis beschreibt, wo Ausgangspunkt und Punkt der Rückkehr zusammenfallen. Als Zirkulationsmittel hat es seine eigene Zirkulation. Die Formbewegung der prozessierenden Waren erscheint daher als seine eigene, den Austausch der an sich bewegungslosen Waren vermittelnde Bewegung. Die Bewegung des Zirkulationsprozesses der Waren stellt sich also dar in der Bewegung des Geldes1 als Zirkulationsmittel - im Geldumlauf. Wie die Warenbesitzer die Produkte ihrer Privatarbeiten als Produkte gesellschaftlicher Arbeit darstellten, indem sie ein Ding, Gold, in unmittel
1 (1859) Goldes
6 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
bares Dasein der allgemeinen Arbeitszeit und darum in Geld verwandelten, so tritt ihnen jetzt ihre eigene allseitige Bewegung, wodurch sie den Stoffwechsel ihrer Arbeiten vermitteln, als eigentümliche Bewegung eines Dings gegenüber, als Umlauf des Goldes. Die gesellschaftliche Bewegung selbst ist für die Warenbesitzer einerseits äußerliche Notwendigkeit, andrerseits bloß formeller vermittelnder Prozeß, der jedes Individuum befähigt, für den Gebrauchswert, den es in die Zirkulation wirft, andere Gebrauchswerte von demselben Wertumfang aus ihr herauszuziehen. Der Gebrauchswert der Ware beginnt mit ihrem Herausfallen aus der Zirkulation, während der Gebrauchswert des Geldes1 als Zirkulationsmittel sein Zirkulieren selbst ist. Die Bewegung der Ware in der Zirkulation ist nur ein verschwindendes Moment, während rastloses Umhertreiben in ihr zur Funktion des Geldes wird. Diese seine eigentümliche Funktion innerhalb des Zirkulationsprozesses gibt dem Geld als Zirkulationsmittel neue Formbestimmtheit, die nun näher zu entwickeln ist. Zunächst leuchtet ein, daß der Geldumlauf eine unendlich zersplitterte Bewegung ist, da sich in ihm die unendliche Zersplitterung des Zirkulationsprozesses in Käufe und Verkäufe und das gleichgültige Auseinanderfallen der sich ergänzenden Phasen der Warenmetamorphose widerspiegeln. In den kleinen Kreisläufen des Geldes, wo Ausgangspunkt und Punkt der Rückkehr zusammenfallen, zeigt sich zwar sich zurückbiegende Bewegung, wirkliche Kreisbewegung, aber einmal sind ebenso viele Ausgangspunkte da wie Waren, und schon durch ihre unbestimmte Vielheit entziehen sich diese Kreisläufe aller Kontrolle, Messung und Berechnung. Ebensowenig ist die Zeit bestimmt zwischen der Entfernung und der Rückkehr zum Ausgangspunkt. Auch ist es gleichgültig, ob ein solcher Kreislauf in einem gegebenen Fall beschrieben wird oder nicht. Kein ökonomisches Faktum ist allgemeiner bekannt, als daß einer Geld mit der einen Hand ausgeben kann, ohne daß er es mit der andern wieder einnimmt. Geld geht von unendlich verschiedenen Punkten aus und kehrt an unendlich verschiedenen Punkten zurück, aber das Zusammenfallen von Ausgangspunkt und Rückkenrpunkt ist zufällig, weil in der Bewegung W- G - W die Rückverwandlung des Käufers in Verkäufer nicht notwendig bedingt ist. Noch weniger aber stellt der Geldumlauf eine Bewegung dar, die von einem Zentrum nach allen Punkten der Peripherie ausstrahlt, und von allen Punkten der Peripherie nach demselben Zentrum zurückkehrt. Der sogenannte Zirkellauf des Geldes, wie er als Bild vorschwebt, beschränkt sich darauf, daß auf allen Punkten sein Erscheinen und sein
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Verschwinden, sein rastloser Stellenwechsel gesehen wird. In einer höhern vermittelnden Form der Geldzirkulation, z.B. der Banknotenzirkulation, werden wir finden, daß die Bedingungen der Ausgabe des Geldes die Bedingungen seiner Rückströmung einschließen. Für die einfache Geldzirkulation ist es dagegen zufällig, daß derselbe Käufer wieder Verkäufer wird. Wo sich wirkliche Zirkelbewegungen konstant in ihr zeigen, sind sie bloße Widerspiegelung tieferer Produktionsprozesse. Z. B. der Fabrikant nimmt am Freitag Geld von seinem Bankier, zahlt es am Samstag seinen Arbeitern aus, diese zahlen den größten Teil desselben gleich weg an Krämer usw., und letztere bringen es am Montag zum Bankier zurück. Wir haben gesehn, daß das Geld in den räumlich bunt nebeneinanderfallenden Käufen und Verkäufen eine gegebene Masse von Preisen gleichzeitig realisiert und nur einmal die Stelle mit den Waren wechselt. Andrerseits aber, soweit in seiner Bewegung die Bewegung der Gesamtmetamorphosen der Waren und die Verkettung dieser Metamorphosen erscheint, realisiert dasselbe Geldstück die Preise verschiedener Waren und vollzieht so eine größere oder geringere Anzahl von Umläufen. Nehmen wir also den Zirkulationsprozeß eines Landes in einem gegebenen Zeitabschnitt, einem Tag z.B., so wird die zur Realisation der Preise und daher zur Zirkulation der Waren erheischte Goldmasse bestimmt sein durch das doppelte Moment einerseits der Gesamtsumme dieser Preise, andrerseits der Durchschnittsanzahl der Umläufe derselben Goldstücke. Diese Anzahl der Umläufe oder die Geschwindigkeit des Geldumlaufs ist ihrerseits wieder bestimmt oder drückt nur aus die Durchschnittsgeschwindigkeit, worin die Waren die verschiedenen Phasen ihrer Metamorphose durchlaufen, worin diese Metamorphosen sich als Kette fortsetzen und worin die Waren, die ihre Metamorphosen durchlaufen haben, durch neue Waren im Zirkulationsprozeß ersetzt werden. Während also in der Preisgebung der Tauschwert aller Waren ideell in ein Goldquantum von derselben Wertgröße verwandelt und in den beiden isolierten Zirkulationsakten G-W und W-G dieselbe Wertsumme doppelt vorhanden war, auf der einen Seite in Ware, auf der andern in Gold, ist das Dasein des Goldes als Zirkulationsmittel bestimmt nicht durch seine isolierte Beziehung auf die einzelnen ruhenden Waren, sondern durch sein bewegtes Dasein in der prozessierenden Warenwelt; durch seine Funktion, in seinem Stellenwechsel den Formwechsel der Waren, also durch die Geschwindigkeit seines Stellenwechsels die Geschwindigkeit ihres Formwechsels darzustellen. Sein wirkliches Vorhandensein im Zirkulationsprozeß, d. h. die wirkliche Masse Gold, die zirkuliert, ist also nun bestimmt durch sein funktionierendes Dasein im Gesamtprozeß selbst.
Die Voraussetzung der Geldzirkulation ist die Warenzirkulation, und zwar zirkuliert das Geld Waren, die Preise haben, d. h. ideell schon bestimmten Goldquantitäten gleichgesetzt sind. In der Preisbestimmung der Waren selbst ist die Wertgröße des als Maßeinheit dienenden Goldquantums oder der Wert des Goldes als gegeben vorausgesetzt. Unter dieser Voraussetzung also ist das für die Zirkulation erheischte Quantum Gold zunächst bestimmt durch die Gesamtsumme der zu realisierenden Warenpreise. Diese Gesamtsumme selbst aber ist bestimmt 1. durch den Preisgrad, die relative Höhe oder Niedrigkeit der in Gold geschätzten Tauschwerte der Waren und 2. durch die Masse der zu bestimmten Preisen zirkulierenden Waren, also durch die Masse der Käufe und Verkäufe zu gegebenen Preisen.* Kostet ein Quarter Weizen 60 sh., so ist noch einmal soviel Gold nötig, um ihn zu.zirkulieren oder seinen Preis zu realisieren, als wenn er nur 30 sh. kostet. Zur Zirkulation von 500 Quarter zu 60 sh. ist noch einmal soviel Gold nötig, als zur Zirkulation von 250 Quarter zu demselben Preis. Endlich zur Zirkulation von 10 Quarter zu 100 sh. ist nur halb soviel Gold nötig, als zur Zirkulation von 40 Quarter zu 50 sh. Es folgt daher, daß die zur Warenzirkulation erheischte Quantität von Gold fallen kann, trotz dem Steigen der Preise, wenn die Masse der zirkulierten Waren in größerem Verhältnis abnimmt, als die Gesamtsumme der Preise wächst, und daß umgekehrt die Masse der Zirkulationsmittel steigen kann, wenn die Masse der zirkulierten Waren fällt, aber ihre Preissumme in größerem Verhältnis steigt. Schöne englische Detailuntersuchungen haben so z.B. nachgewiesen, daß in England in den ersten Stadien einer Getreideteurung die Masse des zirkulierenden Geldes zunimmt, weil die Preissumme der verminderten Getreidemasse größer ist, als die Preissumme der größern Getreidemasse war, zugleich aber die Zirkulation der übrigen Warenmasse zu ihren alten Preisen für einige Zeit ungestört fortdauert. In einem späteren Stadium der Getreideteurung fällt dagegen die Masse des zirkulierenden Geldes, entweder weil neben dem Getreide weniger Waren zu den alten Preisen oder ebensoviel Waren zu niedrigem Preisen verkauft werden.
* Die Masse des Geldes ist gleichgültig, „vorausgesetzt, daß genug vorhanden ist, um die durch die Waren gegebenen Preise aufrechtzuerhalten". Boisguillebert, „Le detail de la France", I.e. pag. 209. „Wenn die Zirkulation von Waren von 400 Millionen Pfd. St. eine Masse Gold von 40 Millionen erheischt und diese Proportion von Vio das adäquate Niveau war, dann, wenn der Wert der zirkulierenden Waren aus natürlichen Gründen zu 450 Millionen steigt, müßte die Goldmasse, um auf ihrem Niveau zu bleiben, zu 45 Millionen wachsen." W.Blake, „Observations on the effects produced by the expenditure of Government etc.", London 1823, pag. 80, 81.
Die Quantität des zirkulierenden Geldes ist aber, wie wir sahen, nicht nur durch die Gesamtsumme der zu realisierenden Warenpreise bestimmt, sondern zugleich durch die Geschwindigkeit, womit das Geld umläuft oder in einem gegebenen Zeitabschnitt das Geschäft dieser Realisation vollbringt. Wenn derselbe Sovereign an demselben Tage zehn Käufe macht, jedesmal von Ware zum Preis eines Sovereign, also lOmal die Hände wechselt, vollbringt er exakt dasselbe Geschäft wie 10 Sovereigns, deren jeder in einem Tag nur einmal umläuft.* Geschwindigkeit im Umlauf des Goldes kann also seine Quantität ersetzen, oder das Dasein des Goldes im Zirkulationsprozeß ist nicht nur durch sein Dasein als Äquivalent neben der Ware, sondern auch durch sein Dasein innerhalb der Bewegung der Warenmetamorphose bestimmt. Die Geschwindigkeit des Geldumlaufs ersetzt jedoch seine Quantität nur zu einem bestimmten Grad, da unendlich zersplitterte Käufe und Verkäufe in jedem gegebenen Zeitpunkt räumlich nebeneinanderfallen. Steigen die Gesamtpreise der zirkulierenden Waren, aber in kleinerem Verhältnis als die Geschwindigkeit des Geldumlaufs wächst, so wird die Masse der Zirkulationsmittel fallen. Nimmt umgekehrt die Geschwindigkeit der Zirkulation ab in größerem Verhältnis als der Gesamtpreis der zirkulierenden Warenmasse fällt, so wird die Masse der Zirkulationsmittel steigen. Wachsende Quantität der Zirkulationsmittel mit allgemein fallenden Preisen, abnehmende Quantität der Zirkulationsmittel mit allgemein steigenden Preisen ist eins der bestkonstatierten Phänomene in der Geschichte der Warenpreise. Die Ursachen aber, die Steigen im Grad der Preise und gleichzeitig noch höheres Steigen im Grad der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes hervorbringen, sowie die umgekehrte Bewegung, fallen außerhalb der Betrachtung der einfachen Zirkulation. Beispielsweise kann angeführt werden, daß unter anderm in Epochen vorherrschenden Kredits die Geschwindigkeit des Geldumlaufs schneller wächst als die Preise der Waren, während mit abnehmendem Kredit die Preise der Waren langsamer fallen als die Geschwindigkeit der Zirkulation. Der oberflächliche und formelle Charakter der einfachen Geldzirkulation zeigt sich eben darin, daß alle die Anzahl der Zirkulationsmittel bestimmenden Momente, wie Masse der zirkulierenden Waren, Preise, Steigen oder Fallen der Preise, Anzahl gleichzeitiger Käufe und Verkäufe, Geschwindigkeit des Geldumlaufs, abhängen von dem Prozeß der Metamorphose der Warenwelt, der wieder abhängt vom Gesamtcharakter
* „Es ist die Schnelligkeit des Geldumlaufs und nicht die Menge des Metalls, was macht, daß viel oder wenig Geld vorhanden zu sein scheint." (Galiani, I.e. pag. 99.)
der Produktionsweise, Populationsmenge, Verhältnis von Stadt und Land, Entwickelung der Transportmittel, von größerer oder geringerer Teilung der Arbeit, Kredit usw., kurz von Umständen, die alle außerhalb der einfachen Geldzirkulation liegen und sich in ihr nur abspiegeln. Die Geschwindigkeit der Zirkulation vorausgesetzt, ist die Masse der Zirkulationsmittel also einfach bestimmt durch die Preise der Waren. Preise sind also nicht hoch oder niedrig, weil mehr oder weniger Geld umläuft, sondern es läuft mehr oder weniger Geld um, weil die Preise hoch oder niedrig sind. Es ist dies eins der wichtigsten ökonomischen Gesetze, dessen Nachweisung im Detail durch die Geschichte der Warenpreise vielleicht das einzige Verdienst der Nach-Ricardoschen englischen Ökonomie bildet. Zeigt nun die Erfahrung, daß das Niveau der metallischen Zirkulation oder die Masse des zirkulierenden Goldes oder Silbers in einem bestimmten Lande zwar temporären Ebbungen und Flutungen ausgesetzt ist und manchmal sehr heftigen Ebbungen und Flutungen*, im ganzen aber für längere Zeitperioden sich gleichbleibt und die Abweichungen vom Durchschnittsniveau nur zu schwachen Oszillationen fortgehn, so erklärt sich dies Phänomen einfach aus der gegensätzlichen Natur der Umstände, die die Masse des zirkulierenden Geldes bestimmen. Ihre gleichzeitige Modifikation paralysiert ihre Wirkung und läßt alles beim alten. Das Gesetz, daß bei gegebener Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und gegebener Preissumme der Waren die Quantität des zirkulierenden Mediums bestimmt ist, läßt sich auch so ausdrücken, daß, wenn die Tauschwerte der Waren und die Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Metamorphosen gegeben sind, die Quantität des zirkulierenden Goldes von seinem eigenen Wert abhängt. Nähme daher der Wert des Goldes, d. h. die zu seiner Produktion
* Ein Beispiel vom außerordentlichen Fallen der metallischen Zirkulation unter ihr Durchschnittsniveau bot England im Jahre 1858, wie man aus folgendem Auszug aus dem „London Economist" sehen wird: „Der Natur der Sache entsprechend" (nämlich dem zersplitterten Charakter der einfachen Zirkulation) „kann man keine sehr genauen Angaben erhalten über die Menge des Bargeldes, das auf dem Markt und in den Händen der Klassen fluktuiert, die nicht Bankgeschäfte treiben. Aber vielleicht ist die Aktivität oder Unaktivität der Münzstätten der großen Handelsnationen eins der richtigsten Anzeichen für die Veränderungen jener Menge. Es wird viel erzeugt werden, wenn viel gebraucht wird, und wenig, wenn wenig gebraucht wird... In der englischen Münze betrug die Prägung im Jahre 1855: 9 245 000 Pfd.St., 1856: 6 476 000 Pfd.St., 1857: 5 293 858 Pfd.St. Während des Jahres 1858 hatte die Münze kaum etwas zu tun." „Economist ",10. Juli 1858. Gleichzeitig aber lagen im Bankkeller ungefähr 18 Millionen Pfund Sterling Gold.
erheischte Arbeitszeit, zu oder ab, so würden die Warenpreise in umgekehrtem Verhältnisse steigen oder fallen, und diesem allgemeinen Steigen oder Fallen der Preise würde bei gleichbleibender Umlaufsgeschwindigkeit eine größere oder geringere Masse des Goldes entsprechen, das zur Zirkulation derselben Warenmasse erheischt wäre. Derselbe Wechsel fände statt, wenn das alte Wertmaß durch ein wertvolleres oder wertloseres Metall verdrängt würde. So bedurfte Holland, als es aus zarter Rücksicht auf die Staatsgläubiger und aus Furcht vor den Wirkungen der kalifornischen und australischen Entdeckungen das Goldgeld durch Silbergeld ersetzte, 14- bis 15mal mehr Silber als früher Gold, um dieselbe Warenmasse zu zirkulieren. Aus der Abhängigkeit des zirkulierenden Goldquantums von der wechselnden Summe der Warenpreise und von der wechselnden Zirkulationsgeschwindigkeit folgt, daß die Masse der metallischen Zirkulationsmittel der Kontraktion und Expansion fähig sein muß, kurz, daß dem Bedürfnis des Zirkulationsprozesses entsprechend das Gold bald als Zirkulationsmittel in den Prozeß eintreten, bald wieder aus ihm ausscheiden muß. Wie der Zirkulationsprozeß selbst diese Bedingungen verwirklicht, werden wir später sehn.
c) Die Münze. Das Wertzeichen
Das Gold in seiner Funktion als Zirkulationsmittel erhält eigene Fasson, es wird Münze. Damit sein Umlauf nicht durch technische Schwierigkeiten aufgehellten werde, wird es dem Maßstab des Rechengeldes entsprechend gemünzt. Goldstücke, deren Gepräge und Figur anzeigt, daß sie die in den Rechennamen des Geldes, Pfd. St., sh. usw. vorgestellten Gewichtteile Gold enthalten, sind Münzen. Wie die Bestimmung des Münzpreises, so fällt das technische Geschäft der Münzung dem Staat anheim. Wie als Rechengeld, so erhält das Geld als Münze lokalen und politischen Charakter, spricht verschiedene Landessprachen und trägt verschiedene Nationaluniform. Die Sphäre, worin das Geld als Münze umläuft, scheidet sich daher als innere, durch die Grenzen eines Gemeinwesens umschriebene Warenzirkulation von der allgemeinen Zirkulation der Warenwelt ab. Indes Gold im Barrenzustande und Gold als Münze unterscheiden sich nicht mehr als sein Münzname und sein Gewichtname. Was in dem letzten Fall Namensunterschied, erscheint jetzt als bloßer Unterschied der Figur. Die Goldmünze kann in den Schmelztiegel geworfen und damit wieder in Gold sans phrase verwandelt werden, wie umgekehrt der Goldbarren nur auf die Münze geschickt zu werden braucht, um die Münzform zu erhalten. Die
Verwandlung und Rückverwandlung aus der einen Figur in die andere erscheint als rein technische Operation. Für 100 Pfunde oder 1200 Unzen troy 22karätiges Gold erhält man von der englischen Münze 46721/2 Pfd. St. oder Goldsovereigns, und legt man diese Sovereigns auf die eine Seite der Waagschale, 100 Pfund Barrengold auf die andere, so wiegen sie gleich schwer, und so ist der Beweis geliefert, daß der Sovereign nichts andres ist, als das mit diesem Namen im englischen Münzpreis angezeigte Gewichtteil Gold, mit eigener Figur und eigenem Stempel. Die 46721/2 Goldsovereigns werden von verschiedenen Punkten in Zirkulation geworfen, und von ihr ergriffen vollziehen sie an einem Tage eine bestimmte Anzahl von Umläufen, der eine Sovereign mehr, der andere weniger. Wäre die Durchschnittszahl der täglichen Umläufe von je einer Unze 10, so würden die 1200 Unzen Gold eine Gesamtsumme von Warenpreisen zum Belauf von 12 000 Unzen oder 46 725 Sovereigns realisieren. Man mag eine Unze Gold drehen und wenden wie man will, sie wird nie 10 Unzen Gold wiegen. Hier im Zirkulationsprozeß wiegt aber in der Tat 1 Unze 10 Unzen. Das Dasein der Münze innerhalb des Zirkulationsprozesses ist gleich dem in ihr enthaltenen Goldquantum multipliziert mit der Zahl ihrer Umläufe. Außer ihrem wirklichen Dasein als einzelnes Goldstück von bestimmtem Gewicht erhält die Münze also ein aus ihrer Funktion entspringendes ideelles Dasein. Indes der Sovereign mag einmal oder zehnmal umlaufen, in jedem einzelnen Kauf oder Verkauf wirkt er nur als einzelner Sovereign. Es ist wie mit einem General, der am Schlachttag durch rechtzeitiges Erscheinen ein 10 verschiedenen Punkten 10 Generäle ersetzt, aber doch auf jedem Punkte derselbe identische General ist. Die Idealisierung des Zirkulationsmittels, die im Geldumlauf aus dem Ersetzen von Quantität durch Geschwindigkeit entspringt, betrifft nur das funktionelle Dasein der Münze innerhalb des Zirkulationsprozesses, ergreift aber nicht das Dasein des einzelnen Geldstücks. Der Geldumlauf jedoch ist äußere Bewegung, und der Sovereign, obgleich er non ölet1, treibt sich in gemischter Gesellschaft um. In der Friktion mit allen Sorten von Händen, Beuteln, Taschen, Börsen, Katzen, Säckeln, Kisten und Kasten reibt sich die Münze auf, läßt hier ein Goldatom hängen, dort ein anderes und verliert so durch die Abschleifung im Weltlauf mehr und mehr von ihrem innern Gehalt. Indem sie benutzt wird, wird sie abgenutzt. Halten wir den Sovereign in einem Momente fest, wo sein naturwüchsig gediegener Charakter nur noch schwach angegriffen scheint.
1 nicht riecht
„Ein Bäcker, der heute einen nagelneuen Sovereign frisch von der Bank erhält und ihn morgen an den Müller wegzahlt, zahlt nicht denselben wahrhaften (veritable) Sovereign; er ist leichter als zur Zeit, wo er ihn erhielt."* „Es ist klar, daß die Münze durch die Natur der Dinge selbst stets Stück für Stück in Depreziation fallen muß, infolge der bloßen Wirkung der gewöhnlichen und unvermeidlichen Abschleifung. Es ist eine physische Unmöglichkeit, zu irgendeiner Zeit selbst für einen einzigenTag leichte Münzen ganz von der Zirkulation auszuschließen."** Jacob schätzt, daß von den 380 Millionen Pfd.St., die 1809 in Europa existierten, 1829, also in einem Zeitraum von 20 Jahren, 19 Millionen Pfd. St. durch Abschleifen völlig verschwunden waren.*** Wie also die Ware beim ersten Schritt, den sie in die Zirkulation hinein tut, aus ihr herausfällt, so stellt die Münze nach ein paar Schritten in der Zirkulation mehr Metallgehalt vor als sie hat. Je länger die Münze umläuft bei gleichbleibender Zirkulationsgeschwindigkeit, oder je lebhafter ihre Zirkulation in demselben Zeitraum wird, um so mehr löst sich ihr Dasein als Münze von ihrem goldenen oder silbernen Dasein ab. Was übrigbleibt, ist magni nominis umbra1. Der Leib der Münze ist nur noch ein Schatten. Während sie ursprünglich durch den Prozeß schwerer, wird sie jetzt leichter durch ihn, fährt aber fort, in jedem einzelnen Kauf oder Verkauf als das ursprüngliche Goldquantum zu gelten. Der Sovereign fährt fort, als «ScAein-Sovereign, als Schein-Gold, die Funktion des legitimen Goldstücks zu vollziehen. Während andre Wesen durch Reibung mit der Außenwelt ihren Idealismus einbüßen, wird die Münze durch die Praxis idealisiert, in bloßes Scheindasein ihres goldenen oder silbernen Leibes verwandelt. Diese zweite, durch den Zirkulationsprozeß selbst bewirkte Idealisierung des Metallgeldes, oder die Scheidung zwischen seinem Nominalgehalt und seinem Realgehalt, wird teils von Regierungen, teils von Privatabenteurern in Münzfälschungen buntester Art ausgebeutet. Die ganze Geschichte des Münzwesens vom Anfang des Mittelalters bis tief ins 18. Jahrhundert löst sich auf in die Geschichte dieser doppelseitigen
* Dodd, „Curiosities of industry etc.", London 1854 [p. 16]. ** „The currency theory reviewed etc. by a banker etc.", Edinburgh 1845, pag.69 etc. „Wenn ein etwas gebrauchter Taler für etwas weniger wert gälte als ein ganz neuer Taler, dann würde sich die Zirkulation beständig aufgehalten finden, und es würde keine einzige Zahlung ohne Streitigkeiten vor sich gehen." (Garnier, G., „Histoire de la monnaie etc.", tom I, p.24.) *** Jacob, W., „An historical inquiry into the production and consumption of the precious metals", London 1831, vol. II, ch. XXVI [p. 3221.
1 der Schatten eines großen Namens (Lucanus, „Pharsalia")
und antagonistischen Fälschungen, und Custodis vielbändige Sammlung der italienischen Ökonomen dreht sich zum großen Teil um diesen Punkt. Das Scheindasein des Goldes innerhalb seiner Funktion tritt jedoch in Konflikt mit seinem wirklichen Dasein. Eine Goldmünze hat mehr, die andere weniger von ihrem Metallgehalt im Umlauf eingebüßt, und der eine Sovereign ist daher jetzt in der Tat mehr wert als der andere. Da sie aber in ihrem funktionellen Dasein als Münze gleich viel gelten, der Sovereign, der 1/4 Unze ist, nicht mehr als der Sovereign, der V4 Unze scheint, werden die vollwichtigen Sovereigns teilweise in den Händen gewissenloser Besitzer chirurgischen Operationen unterworfen, und künstlich an ihnen vollbracht, was der Umlauf selbst natürlich an ihren leichten Brüdern vollzog. Sie werden gekippt und gewippt und ihr überflüssiges Goldfett wandert in den Schmelztiegel. Wenn 46721/2 Goldsovereigns auf eine Waagschale gelegt, durchschnittlich nur noch 8001 Unzen wiegen statt 1200, werden sie, auf den Goldmarkt gebracht, nur noch 8001 Unzen Gold kaufen oder der Marktpreis des Goldes stiege über seinen Münzpreis. Jedes Geldstück, auch wenn vollwichtig, gälte in seiner Münzform weniger als in seiner Barrenform. Die vollwichtigen Sovereigns würden rückverwandelt in ihre Barrenform, worin mehr Gold mehr Wert hat als weniger Gold. Sobald dies Fallen unter den Metallgehalt die hinreichende Anzahl Sovereigns ergriffen hätte, um anhaltendes Steigen des Marktpreises des Goldes über seinen Münzpreis zu bewirken, würden die Rechennamen der Münze dieselben bleiben, aber künftig ein geringeres Quantum Gold anzeigen.In andern Worten, der Maßstab des Geldes würde sich ändern und das Gold künftig diesem neuen Maßstab entsprechend gemünzt werden. Durch seine Idealisierung als Zirkulationsmittel hätte das Gold rückschlagend die gesetzlich festgesetzten Verhältnisse, worin es Maßstab der Preise war, verändert. Dieselbe Revolution würde sich nach einem gewissen Zeitraum wiederholen, und so wäre das Gold sowohl in seiner Funktion als Maßstab der Preise wie als Zirkulationsmittel einem beständigen Wechsel unterworfen, so daß der Wechsel in der einen Form den in der andern hervorbrächte und umgekehrt. Dies erklärt das früher erwähnte Phänomen, daß in der Geschichte aller modernen Völker derselbe Geldname einem sich stets vermindernden Metallgehalt verblieb. Der Widerspruch zwischen dem Gold als Münze und dem Gold als Maßstab der Preise wird ebenso zum Widerspruch zwischen dem Gold als Münze und dem Gold als allgemeinem Äquivalent, als welches es nicht nur innerhalb der Landes
1 (1859) 80
grenzen, sondern auf dem Weltmarkt zirkuliert. Als Maß der Werte war Gold stets vollwichtig, weil es nur als ideelles Gold diente. Als Äquivalent in dem isolierten Akt W-G fällt es aus seinem bewegten Dasein sofort in sein ruhendes zurück, aber als Münze tritt seine natürliche Substanz in fortwährenden Konflikt mit seiner Funktion. Vollständig ist die Verwandlung des Goldsovereigns in Scheingold nicht zu vermeiden, aber die Gesetzgebung sucht seine Festsetzung als Münze zu verhindern, indem er auf einem gewissen Grad von Substanzmangel abgesetzt wird. Nach englischem Gesetz z. B. ist ein Sovereign, der mehr als 0,747 Gran Gewicht verloren hat, kein legaler Sovereign mehr. Die Bank von England, die zwischen 1844 und 1848 allein 48 Millionen Goldsovereigns gewogen hat, besitzt in der Goldwaage des Herrn Cotton eine Maschine, die nicht nur den Unterschied von Vioo Grein zwischen zwei Sovereigns herausfühlt, sondern wie ein verständiges Wesen den untergewichtigen fortschnellt auf ein Brett, wo er unter eine andere Maschine gerät, die ihn mit orientalischer Grausamkeit zersägt. Indes könnte die Goldmünze unter diesen Bedingungen überhaupt nicht zirkulieren, würde ihr Umlauf nicht auf bestimmte Kreise der Zirkulation beschränkt, innerhalb deren Grenzen sie sich weniger schnell abnutzt. Sofern eine Goldmünze in der Zirkulation als eine Viertel-Unze gilt, während sie nur noch 1/5 Unze wiegt, ist sie in der Tat zum bloßen Zeichen oder Symbol für V-2o Unze Gold geworden, und so wird alle Goldmünze durch den Zirkulationsprozeß selbst mehr oder minder in ein bloßes Zeichen oder Symbol ihrer Substanz verwandelt. Aber kein Ding kann sein eigenes Symbol sein. Gemalte Trauben sind nicht das Symbol wirklicher Trauben, sondern Schemtrauben. Noch minder aber kann ein leichter Sovereign das Symbol eines vollwichtigen sein, so wenig wie ein abgemagertes Pferd Symbol eines fetten Pferdes sein kann. Da also Gold zum Symbol seiner selbst wird, aber nicht als Symbol seiner selbst dienen kann, erhält es in den Kreisen der Zirkulation, worin es sich am schnellsten abnutzt, d. h. in den Kreisen, wo Käufe und Verkäufe in den kleinsten Proportionen beständig erneuert werden, ein von seinem Golddasein getrenntes symbolisches, silbernes oder kupfernes Dasein. Obgleich nicht dieselben Goldstücke, würde stets eine bestimmte Proportion des gesamten Goldgeldes sich in diesen Kreisen als Münze umtreiben. In dieser Proportion wird das Gold durch silberne oder kupferne Marken ersetzt. Während also nur eine spezifische Ware als Maß der Werte und darum als Geld innerhalb eines Landes funktionieren kann, können verschiedene Waren neben dem Gold als Münze dienen. Diese subsidiären Zirkulationsmittel, silberne oder kupferne Marken z. B., repräsentieren innerhalb der Zirkulation bestimmte Fraktionen der Goldmünze. Ihr
eigener Silber- oder Kupfergebalt ist daher nicht bestimmt durch das Wertverhältnis zwischen Silber und Kupfer zu Gold, sondern wird durch das Gesetz willkürlich festgesetzt. Sie dürfen nur in den Quantitäten ausgegeben werden, worin die von ihnen repräsentierten diminutiven Fraktionen der Goldmünze, sei es zum Auswechseln höherer Goldmünzen, sei es zum Realisieren entsprechend kleiner Warenpreise, beständig umlaufen würden. Innerhalb der Detailzirkulation der Waren werden Silbermarken und Kupfermarken wieder besondern Kreisen angehören. Der Natur der Sache nach steht ihre Umlaufsgeschwindigkeit in umgekehrtem Verhältnis zum Preise, den sie in jedem einzelnen Kauf und Verkauf realisieren, oder zur Größe der Fraktion der Goldmünze, die sie vorstellen. Erwägt man den ungeheuren Umfang des kleinen täglichen Verkehrs in einem Lande wie England, so zeigt das relativ unbedeutende Verhältnis der Gesamtquantität der zirkulierenden subsidiären Münzen die Geschwindigkeit und Beständigkeit ihres Umlaufs. Aus einem vor kurzem ausgegebenen parlamentarischen Bericht[20] ersehen wir z. B., daß 1857 die englische Münze Gold zum Belauf von 4 859 000 Pfd. St. münzte, Silber zum Nominalwert von 373 000 Pfd. St. und einem Metallwert von 363 000 Pfd. St. Der Gesamtbetrag des in den zehn am 31. Dezember 1857 abgelaufenen Jahren gemünzten Goldes war 55 239 000 Pfd. St. und nur 2 434 000 Pfd. St. in Silber. Die Kupfermünze belief sich 1857 auf nur 6720 Pfd. St. Nominalwert mit einem Kupferwert von 3492 Pfd. St., wovon 3136 Pf d. St. in Pence, 2464 in Halfpence und 1120 in Farthings. Der Gesamtwert der in den letzten zehn Jahren geprägten Kupfermünze war 141 477 Pfd. St. Nominalwert mit einem Metallwert von 73 503 Pfd. St. Wie die Goldmünze verhindert wird, sich in ihrer Funktion als Münze festzusetzen durch gesetzliche Bestimmung des Metallverlustes, der sie demonetisiert, so werden umgekehrt die Silber- und Kupfermarken verhindert, aus ihren Zirkulationssphären in die Zirkulationssphäre der Goldmünze überzugehen und sich als Geld festzusetzen, indem der Preisgrad bestimmt wird, den sie gesetzlich realisieren. So z. B. braucht Kupfer in England nur zum Belauf von 6 Pence, Silber nur zum Belauf von 40 sh. in Zahlung angenommen zu werden. Würden Silber- und Kupfermarken in größern Quantitäten ausgegeben als die Bedürfnisse ihrer Zirkulationssphären erheischen, so würden die Warenpreise nicht dadurch steigen, sondern Akkumulation dieser Marken bei den Detailverkäufern stattfinden, die schließlich gezwungen wären, sie als Metall zu verkaufen. So hatten sich 1798 englische Kupfermünzen, von Privatleuten ausgegeben, zum Betrag von 20, 30, 50 Pfd. St.1 bei Krämern akkumuliert,
1 (1859) 20350 Pfd. St.
die sie vergeblich wieder in Umlauf zu setzen suchten und schließlich als Ware auf den Kupfermarkt werfen mußten.* Die Silber- und Kupfermarken, die die Goldmünze in bestimmten Sphären der innern Zirkulation repräsentieren, besitzen einen gesetzlich bestimmten Silber- und Kupfergehalt, aber von der Zirkulation ergriffen, schleifen sie ab wie die Goldmünze und idealisieren sich, der Geschwindigkeit und Beständigkeit ihres Umlaufs entsprechend, noch rascher zu bloßen Schattenleibern. Sollte nun wieder eine Grenzlinie der Entmetallung gezogen werden, auf der Silber- und Kupfermarken ihren Münzcharakter einbüßten, so müßten sie innerhalb bestimmter Kreise ihrer eigenen Zirkulationssphäre selbst wieder durch anderes symbolisches Geld, sage Eisen und Blei, ersetzt werden, und diese Darstellung von symbolischem Geld durch anderes symbolisches Geld wäre ein Prozeß ohne Ende. In allen Ländern entwickelter Zirkulation zwingt daher die Notwendigkeit des Geldumlaufs selbst den Münzcharakter der Silber- und Kupfermarken von jedem Grad ihres Metallverlustes unabhängig zu machen. Es erscheint damit, was in der Natur der Sache lag, daß sie Symbole der Goldmünze sind, nicht weil sie aus Silber oder Kupfer gemachte Symbole sind, nicht weil sie einen Wert haben, sondern soweit sie keinen haben. Relativ wertlose Dinge, wie Papier, können also als Symbole des Goldgeldes funktionieren. Das Bestehen der subsidiären Münze aus Metallmarken, Silber, Kupfer usw., rührt großenteils daher, daß in den meisten Ländern die minder wertvollen Metalle als Geld zirkulierten, wie Silber in England, Kupfer in der altrömischen Republik, in Schweden, Schottland usw., bevor der Zirkulationsprozeß sie zur Scheidemünze degradierte und edleres Metall an ihre Stelle gesetzt hatte. Es liegt übrigens in der Natur der Sache, daß das aus der metallischen Zirkulation unmittelbar hervorwachsende Geldsymbol zunächst selbst wieder ein Metall ist. Wie die Portion Gold, die stets als Scheidemünze zirkulieren müßte, durch Metallmarken ersetzt wird, kann die Portion Gold, die stets von der Sphäre der innern Zirkulation als Münze absorbiert wird, also beständig umlaufen muß, durch wertlose Marken ersetzt werden. Das Niveau, worunter die Masse der umlaufenden Münze nie sinkt, ist in jedem Lande erfahrungsmäßig gegeben. Die ursprünglich unscheinbare Differenz zwischen dem Nominalgehalt und dem Metallgehalt der Metallmünze kann also bis zur absoluten Scheidung fortgehen. Der Münzname des Geldes löst sich ab von seiner Substanz und existiert außer
* David Buchanan, „Observations on the subjects treated of in Doctor Smith's Inquiry on the wealth of nations etc.", Edinburgh 1814, pag. 31.
ihr in wertlosen Papierzetteln. Wie der Tauschwert der Waren durch ihren Austauschprozeß sich in Göldgeld kristallisiert, sublimiert sich das Goldgeld im Umlauf zu seinem eigenen Symbol, erst in der Form der verschlissenen Goldmünze, dann in der Form der subsidiären Metallmünzen und schließlich in der Form der wertlosen Marke, des Papiers, des bloßen Wertzeichens. Die Goldmünze erzeugte indes nur ihre erst metallnen, dann papiernen Stellvertreter, weil sie trotz ihres Metallverlustes fortfuhr, als Münze zu funktionieren. Sie zirkulierte nicht, weil sie verschliß, sondern verschliß zum Symbol, weil sie fortzirkulierte. Nur soweit innerhalb des Prozesses das Goldgeld selbst bloßes Zeichen seines eigenen Werts wird, können bloße Wertzeichen es ersetzen. Sofern die Bewegung W-G-W prozessierende Einheit der zwei unmittelbar ineinander umschlagenden Momente W-G, G-W ist, oder soweit die Ware den Prozeß ihrer Gesamtmetamorphose durchläuft, entwickelt sie ihren Tauschwert im Preis und im Geld, um sofort diese Form wieder aufzuheben, wieder Ware zu werden oder vielmehr Gebrauchswert. Sie geht also zu nur scheinbarer Verselbständigung ihres Tauschwerts fort. Wir sahen andrerseits, daß das Gold, soweit es nur als Münze funktioniert oder sich beständig in Umlauf befindet, in der Tat nur die Verkettung der Metamorphosen der Waren und ihr nur verschwindendes Geldsein darstellt, den Preis der einen Ware nur realisiert, um den der andern zu realisieren, nirgendwo aber als ruhendes Dasein des Tauschwertes oder als selbst ruhende Ware erscheint. Die Realität, die der Tauschwert der Waren in diesem Prozeß erhält und den das Gold in seinem Umlauf darstellt, ist nur die des elektrischen Funkens. Obgleich es wirkliches Gold ist, funktioniert es nur als Scheingold und kann daher in dieser Funktion durch Zeichen seiner selbst ersetzt werden. Das Wertzeichen, sage Papier, das als Münze funktioniert, ist Zeichen des in seinem Münznamen ausgedrückten Quantums Gold, also Goldzeichen. So wenig ein bestimmtes Quantum Gold an sich ein Wertverhältnis ausdrückt, so wenig das Zeichen, das an seine Stelle tritt. Sofern ein bestimmtes Quantum Gold als vergegenständlichte Arbeitszeit eine bestimmte Wertgröße besitzt, stellt das Goldzeichen Wert vor. Die von ihm vorgestellte Wertgröße hängt aber jedesmal ab von dem Wert des von ihm vorgestellten Goldquantums. Den Waren gegenüber stellt das Wertzeichen die Realität ihres Preises vor, ist signum pretii1 und Zeichen ihres Werts nur, weil ihr Wert ausgedrückt ist in ihrem Preise. In demProzeß W- G-W, soweit er als nur prozessierende Einheit oder unmittelbares Ineinanderumschlagen der beiden
1 Zeichen des Preises
Metamorphosen sich darstellt - und so stellt er sich dar in der Zirkulationssphäre, worin das Wertzeichen funktioniert -, erhält der Tauschwert der Waren im Preis nur ideelle, im Geld nur vorgestellte, symbolische Existenz. Der Tauschwert erscheint so nur als gedachter oder dinglich vorgestellter, aber besitzt keine Wirklichkeit außer in den Waren selbst, sofern ein bestimmtes Quantum Arbeitszeit in ihnen vergegenständlicht ist. Es scheint daher, als ob das Wertzeichen den Wert der Waren unmittelbar repräsentiere, indem es nicht als Zeichen von Gold, sondern als Zeichen des im Preis nur ausgedrückten, aber in der Ware allein vorhandenen Tauschwerts sich darstellt. Dieser Schein ist aber falsch. Das Wertzeichen ist unmittelbar nur Preiszeichen, also Goldzeichen, und nur auf einem Umweg Zeichen des Werts der Ware. Das Gold hat nicht wie Peter Schlemihl seinen Schatten verkauft, sondern kauft mit seinem Schatten. Das Wertzeichen wirkt daher nur, soweit es innerhalb des Prozesses den Preis der einen Ware gegenüber der andern oder jedem Warenbesitzer gegenüber Gold vorstellt. Ein bestimmtes relativ wertloses Ding, Stück Leder, Papierzettel usw., wird zunächst gewohnheitsmäßig Zeichen des Geldmaterials, behauptet sich jedoch nur als solches, indem sein Dasein als Symbol durch den allgemeinen Willen der Warenbesitzer garantiert wird, d. h. indem es gesetzlich konventionelles Dasein und daher Zwangskurs erhält. Staatspapiergeld mit Zwangskurs ist die vollendete Form des Wertzeichens, und die einzige Form des Papiergelds, die unmittelbar aus der metallischen Zirkulation oder der einfachen Warenzirkulation selbst herauswächst. Kreditgeld gehört einer höhern Sphäre des gesellschaftlichen Produktionsprozesses an und wird durch ganz andre Gesetze geregelt. Symbolisches Papiergeld ist in der Tat durchaus nicht verschieden von der subsidiären Metallmünze, nur in weiterer Zirkulationssphäre wirkend. Wenn die bloß technische Entwicklung des Maßstabs der Preise oder des Münzpreises und weiter die äußerliche Umformung des Rohgoldes in Goldmünze schon die Einmischung des Staats hervorriefen und damit die innere Zirkulation von der allgemeinen Warenzirkulation sich sichtbar schied, so wird diese Scheidung vollendet durch die Entwicklung der Münze zum Wertzeichen. Als bloßes Zirkulationsmittel kann sich das Geld überhaupt nur verselbständigen innerhalb der Sphäre der innern Zirkulation. Unsre Darstellung hat gezeigt, daß das Münzdasein des Goldes als von der Goldsubstanz selbst losgelöstes Wertzeichen aus dem Zirkulationsprozeß selbst entspringt, nicht aus Übereinkunft oder Staatseinmischung. Rußland bietet ein frappantes Beispiel der naturwüchsigen Entstehung des Wertzeichens. Zur Zeit, wo Häute und Pelzwerke dort als Geld dienten, schuf der Widerspruch zwischen diesem vergänglich-unbehülflichen Material und seiner
Funktion als Zirkulationsmittel die Gewohnheit, es durch kleine Stücke gestempeltes Leder zu ersetzen, die so Anweisungen wurden, zahlbar in Fellen und Pelzwerk. Später wurden sie unter dem Namen Kopeken bloße Zeichen für Fraktionen des Silberrubels und erhielten sich stellenweise in diesem Gebrauch bis 1700, wo Peter der Große sie gegen kleine vom Staat ausgegebene Kupfermünzen auszulösen befahl.* Antike Schriftsteller, die nur die Phänomene der metallischen Zirkulation beobachten konnten, fassen die Goldmünze1 schon als Symbol oder Wertzeichen auf. So Plato** und Aristoteles***. In Ländern ohne alle Kreditentwicklung wie China findet sichPapier
* Henry Storch, „Cours d'eeonomie politique etc." avec des notes par J.B.Say, Paris 1823, tom IV, pag. 79. Storch veröffentlichte sein Werk zu Petersburg in französischer Sprache. J.B.Say veranstaltete sofort einen Pariser Nachdruck, ergänzt mit angeblichen „Noten", die in der Tat nichts als Gemeinplätze enthalten. Storch (siehe seine „Considerations sur la nature du revenu national", Paris 1824) nahm diese Annexation seines Werkes durch den „prince de la science" keineswegs höflich auf. ** Plato, „De Republica", L. II. „Die Münze ist ein Symbol des Tausches" (Opera omnia etc., ed. G.Stallbaumius, London 1850, pag. 304). Plato entwickelt das Geld nur in den beiden Bestimmungen als Wertmaß und als Wertzeichen, verlangt aber außer dem für die innere Zirkulation dienenden Wertzeichen ein andres für den Verkehr Griechenlands mit dem Ausland. (Vgl. auch das 5.Buch seiner „Gesetze".) *** Aristoteles, „Ethica Nicomachea", L. 5, C. 8, I.e. [p. 98]. „Zum alleinigen Tauschmittel des gegenseitigen Bedarfs wurde das Geld zufolge Übereinkunft. Und daher hat es den Namen vo'fjuofjt-a, daß es nicht von Natur, sondern durch Gesetz besteht und es an uns liegt, dieses zu ändern und es nutzlos zu machen." Aristoteles hat das Geld ungleich vielseitiger und tiefer aufgefaßt als Plato. In der folgenden Stelle entwickelt er schön, wie aus dem Tauschhandel zwischen verschiedenen Gemeinwesen die Notwendigkeit entspringt, einer spezifischen Ware, also selbst wertvollen Substanz, den Charakter des Geldes zu geben. „Denn als die gegenseitige Hilfeleistung durch Einfuhr des Fehlenden und Ausfuhr des Uberschusses sich über größere Entfernungen erstreckte, entstand aus Notwendigkeit die Verwendung des Geldes... Man kam überein, beim gegenseitigen Austausch nichts anderes zu geben und zu nehmen, als was selbst etwas wertvolles, den Vorteil handlichen Gebrauchs hätte... wie Eisen und Silber oder etwas anderes Derartiges." (Aristoteles, „De Republica", L. I, C. 9 I.e. [p. 14].) Diese Stelle zitiert Michel Chevalier, der den Aristoteles entweder nicht gelesen oder nicht verstanden hat, um zu beweisen, daß nach Aristoteles' Ansicht das Zirkulationsmittel aus einer selbst wertvollen Substanz bestehen müsse. Aristoteles sagt vielmehr ausdrücklich, daß das Geld als bloßes Zirkulationsmittel bloß konventionelles oder gesetzliches Dasein zu haben scheine, wie schon sein Name vö[uafjt.a anzeige, und wie es in der Tat seinen Gebrauchswert als Münze nur von seiner Funktion selbst erhalte,
1 (1859) Geldmünze
geld mit Zwangskurs schon frühzeitig*. Bei altern Vorrednern des Papiergelds wird auch ausdrücklich auf die im Zirkulationsprozeß selbst entspringende Verwandlung der Metallmünze in Wertzeichen hingewiesen. So von Benjamin Franklin** und vom Bischof Berkeley***. Wieviel Ries Papier können in Zettel zerschnitten als Geld zirkulieren? So gestellt wäre die Frage abgeschmackt. Die wertlosen Marken sind Wertzeichen, nur soweit sie das Gold innerhalb des Zirkulationsprozesses vertreten, und sie vertreten es nur, soweit es selbst als Münze in den Zirkulationsprozeß eingehen würde, eine Quantität, bestimmt durch seinen eignen Wert, wenn die Tauschwerte der Waren und die Geschwindigkeit ihrer Metamorphosen gegeben sind. Zettel von der Denomination von 5 Pfd. St. könnten nur in 5mal geringerer Anzahl zirkulieren als Zettel von der Denomination von 1 Pfd. St., und vollzögen sich alle Zahlungen in Shillingszetteln, so müßten 20mal mehr Shillings- als Pfd.-St.-Zettel zirkulieren. Würde die Goldmünze durch Zettel von verschiedener Denomination repräsentiert, z.B. 5-Pfd.-St.-Zettel, 1 -Pfd.-St.-Zettel, 10-Shilling-Zettel, so wäre dieQuan
nicht von einem ihm selbst angehörigen Gebrauchswert. „Nichtig scheint das Geld zu sein und ganz und gar durch Gesetz, aber nichts von Natur, so daß es außer Umlauf gesetzt keinerleiWerthatundunbrauchbar istzu irgendetwasNotwendigem." (1-c. Ip. 15].) * Mandeville (Sir John), „Voyages and Travels", London, ed. 1705, p. 105: „Dieser Kaiser (von Cattay oder China) kann so viel ausgeben, wie es ihm beliebt, ohne Beschränkung. Denn er ist nicht abhängig und macht Geld nur aus bedrucktem Leder oder Papier. Und wenn dies Geld so lange umgelaufen ist, daß es anfängt, sich aufzulösen, dann bringt man es in des Kaisers Schatzamt, und dann nimmt man neues Geld an Stelle des alten. Und dieses Geld läuft um im ganzen Land und in allen seinen Provinzen... man macht Geld weder aus Gold noch aus Silber", und, meint Mandeville, „deshalb kann er immer von neuem und übermäßig viel ausgeben." ** Benjamin Franklin, „Remarks and facts relative to the American paper money", 1764, pag.348 I.e.: „Zu eben derZeit wird sogar das Silbergeld in England zu einem Teil seines Werts zwangsmäßig zum gesetzlichen Zahlungsmittel gemacht; dieser Teil ist der Unterschied zwischen seinem wirklichen Gewicht und seinem Nennwert. Ein großer Teil der jetzt umlaufenden Shilling- und Sechspencestücke ist durch Abnutzung 5, 10, 20 und einige der Sechspencestücke sogar 50% zu leicht geworden. Für diesen Unterschied zwischen Real- und iVomina/wert hat man keinen inneren Wert; man hat nicht einmal Papier, man hat nichts. Es ist die gesetzliche Zahlungskraft, verbunden mit dem Bewußtsein, daß man es leicht für denselben Wert weitergeben kann, was ein Silberstück im Wert von 3 Pence für ein Sechspencestück passieren macht." *** Berkeley, I.e. Ip.3]. „Wenn die Denomination der Münze beibehalten wird, nachdem ihr Metall den Weg alles Fleisches gegangen, würde nicht dennoch die Zirkulation des Handels fortbestehn?"
7 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
tität dieser verschiedenen Sorten von Wertzeichen bestimmt nicht nur durch das für die Gesamtzirkulation, sondern durch das für den Zirkulationskreis jeder besondern Sorte nötige Quantum Gold. Wären 14 Millionen Pfd. St. (dies ist die Annahme der englischen Bankgesetzgebung, aber nicht für die Münze, sondern für das Kreditgeld) das Niveau, worunter die Zirkulation eines Landes nie fiele, so könnten 14 Millionen Papierzettel, jeder das Wertzeichen für i Pfd.St., zirkulieren. Fiele oder stiege der Wert des Goldes, weil die zu seiner Produktion erheischte Arbeitszeit gefallen oder gestiegen wäre, so würde bei gleichbleibendem Tauschwert derselben Warenmasse die Anzahl der zirkulierenden Pfd.-St.-Zettel steigen oder fallen, im umgekehrten Verhältnis zum Wertwechsel des Goldes. Würde das Gold als Maß der Werte durch Silber ersetzt, wäre das Wertverhältnis von Silber zu Gold wie 1:15, repräsentierte künftig jeder Zettel dasselbe Quantum Silber, das er vorher von Gold repräsentierte, so müßten statt 14 Millionen künftig 210 Millionen Pfd.-St.-Zettel zirkulieren. Die Quantität der Papierzettel ist also bestimmt durch die Quantität des Goldgeldes, das sie in der Zirkulation vertreten, und da sie nur Wertzeichen sind, sofern sie es vertreten, ist ihr Wert einfach durch ihre Quantität bestimmt. Während also die Quantität des zirkulierenden Goldes von den Warenpreisen abhängt, hängt umgekehrt der Wert der zirkulierenden Papierzettel ausschließlich von ihrer eigenen Quantität ab. Die Einmischung des Staats, der das Papiergeld mit Zwangskurs ausgibt - und wir handeln nur von dieser Art Papiergeld -, scheint das ökonomische Gesetz aufzuheben. Der Staat, der in dem Münzpreis einem bestimmten Goldgewicht nur einen Taufnamen gab, und in der Münzung nur seinen Stempel auf das Gold drückte, scheint jetzt durch die Magie seines Stempels Papier in Gold zu verwandeln. Da die Papierzettel Zwangskurs haben, kann niemand ihn hindern, beliebig große Anzahl derselben in Zirkulation zu zwängen und beliebige Münznamen, wie 1 Pfd. St., 5 Pfd. St., 20 Pfd. St., ihnen aufzuprägen. Die einmal in Zirkulation befindlichen Zettel ist es unmöglich herauszuwerfen, da sowohl die Grenzpfähle des Landes ihren Lauf hemmen, als sie allen Wert, Gebrauchswert wie Tauschwert, außerhalb der Zirkulation verlieren. Von ihrem funktionellen Dasein getrennt, verwandeln sie sich in nichtswürdige Papierlappen. Indes ist diese Macht des Staats bloßer Schein. Er mag beliebige Quantität Papierzettel mit beliebigen Münznamen in die Zirkulation hineinschleudern, aber mit diesem mechanischen Akt hört seine Kontrolle auf. Von der Zirkulation ergriffen, fällt das Wertzeichen oder Papiergeld ihren immanenten Gesetzen anheim. Wären 14 Millionen Pfd. St. die Summe des zur Warenzirkulation erheischten Goldes und würfe der Staat 210 Millionen Zettel, jeden mit dem
Namen 1 Pfd.St., in Zirkulation, so würden diese 210 Millionen in Repräsentanten von Gold zum Belauf von 14 Millionen Pfd. St. umgewandelt. Es wäre dasselbe, als hätte der Staat die Pfd.-St.-Zettel zu Repräsentanten eines 15mal minder wertvollen Metalls oder eines 15mal kleinern Gewichtteils Goldes als zuvor gemacht. Nichts wäre geändert als die Namengebung des Maßstabs der Preise, die natürlich konventionell ist, ob sie nun direkt durch Änderung des Münzfußes oder indirekt durch Vermehrung der Papierzettel in einer für einen neuen niedrigem Maßstab erheischten Anzahl geschieht. Da der Name Pfd.-St. jetzt ein 15mal kleineres Goldquantum anzeigte, würden edle Warenpreise um das 15fache steigen und nun wären in der Tat 210 Millionen Pfd.-St.-Zettel ganz ebenso notwendig, wie vorher 14 Millionen. In demselben Maß, worin sich die Gesamtsumme der Wertzeichen vermehrt hätte, hätte sich das Quantum Gold, das jedes einzelne repräsentiert, vermindert. Das Steigen der Preise wäre nur die Reaktion des Zirkulationsprozesses, der die Wertzeichen gewaltsam dem Quantum Gold gleichsetzt, an dessen Stelle sie zu zirkulieren vorgeben. In der Geschichte der englischen und französischen Geldfälschungen durch die Regierungen finden wir wiederholt, daß die Preise nicht in dem Verhältnis stiegen, wie die Silbermünze verfälscht wurde. Einfach, weil das Verhältnis, worin die Münze vermehrt wurde, nicht dem Verhältnis entsprach, worin sie verfälscht war, d.h. weil von der niedrigeren Metallkomposition nicht die entsprechende Masse ausgegeben war, sollten die Tauschwerte der Waren künftig in ihr als Maß der Werte geschätzt und durch dieser niedrigem Maßeinheit entsprechende Münzen realisiert werden. Dies löst die in dem Duell zwischen Locke und Lowndes ungelöste Schwierigkeit. Das Verhältnis, worin das Wertzeichen, sei es Papier oder gefälschtes Gold und Silber, dem Münzpreis gemäß berechnete Gold- und Silbergewichte vertritt, hängt ab, nicht von seinem eignen Material, sondern von seiner in Zirkulation befindlichen Quantität. Die Schwierigkeit im Verständnis dieses Verhältnisses entspringt daher, daß das Geld in den beiden Funktionen als Maß der Werte und als Zirkulationsmittel nicht nur umgekehrten, sondern dem Gegensatz beider Funktionen scheinbar widersprechenden Gesetzen unterworfen ist. Für seine Funktion1 als Maß der Werte, wo das Geld nur als Rechengeld dient und das Gold nur als ideelles Gold, kommt alles auf das natürliche Material an. In Silber geschätzt oder als Silberpreise stellen sich die Tauschwerte natürlich ganz anders dar als in Gold geschätzt oder als Goldpreise. Umgekehrt in seiner Funktion als Zirkulationsmittel, wo das
1 Im Handexemplar eingefügt; (1859) fehlt: Für seine Funktion
Geld nicht nur vorgestellt ist, sondern als ein wirkliches Ding neben den andern Waren vorhanden sein muß, wird sein Material gleichgültig, während alles von seiner Quantität abhängt. Für die Maßeinheit ist es entscheidend, ob sie ein Pfund Gold, Silber oder Kupfer ist; während bloße Anzahl die Münze zur entsprechenden Verwirklichung jeder dieser Maßeinheiten macht, welches immer ihr eigenes Material sei. Es widerspricht aber dem gemeinen Menschenverstand, daß bei dem nur gedachten Geld alles von seiner materiellen Substanz und bei der sinnlich vorhandenen Münze alles von einem idealen Zahlenverhältnis abhängt. Das Steigen oder Fallen der Warenpreise mit dem Steigen oder Fallen der Papierzettelmasse - letzteres wo die Papierzettel das ausschließliche Zirkulationsmittel bilden - ist also nur durch den Zirkulationsprozeß gewaltsam bewirkte Geltendmachung des von außen mechanisch verletzten Gesetzes, daß die Quantität des zirkulierenden Goldes durch die Preise der Waren und die Quantität der zirkulierenden Wertzeichen durch die Quantität der Goldmünze bestimmt ist, die sie in der Zirkulation vertreten. Andrerseits wird daher jede beliebige Masse von Papierzetteln vom Zirkulationsprozeß absorbiert und gleichsam verdaut, weil das Wertzeichen, mit welchem Goldtitel es auch immer in die Zirkulation eintrete, innerhalb derselben zum Zeichen des Goldquantums zusammengequetscht wird, das an seiner Stelle zirkulieren könnte. In der Zirkulation der Wertzeichen erscheinen alle Gesetze der wirklichen Geldzirkulation umgekehrt und auf den Kopf gestellt. Während das Gold zirkuliert, weil es Wert hat, hat das Papier Wert, weil es zirkuliert. Während bei gegebenem Tauschwert der Waren die Quantität des zirkulierenden Goldes von seinem eigenen Wert abhängt, hängt der Wert des Papiers von seiner zirkulierenden Quantität ab. Während die Quantität des zirkulierenden Goldes steigt oder fällt mit dem Steigen oder Fallen der Warenpreise, scheinen die Warenpreise zu steigen oder zu fallen mit dem Wechsel in der Quantität des zirkulierenden Papiers. Während die Warenzirkulation nur bestimmte Quantität Goldmünze absorbieren kann, daher abwechselnde Kontraktion und Expansion des zirkulierenden Geldes sich als notwendiges Gesetz darstellt, scheint das Papiergeld in jeder beliebigen Ausdehnung in die Zirkulation einzugehen. Während der Staat die Gold- und Silbermünze verfälscht und daher ihre Funktion als Zirkulationsmittel stört, sollte er die Münze auch nur 1/100 Gran unter ihrem Nominalgehalt ausgeben, vollzieht er eine völlig richtige Operation in der Ausgabe wertloser Papierzettel, die von dem Metall nichts besitzen als den Münznamen. Während die Goldmünze augenscheinlich nur den Wert der Waren repräsentiert, soweit
dieser selbst in Gold geschätzt oder als Preis dargestellt ist, scheint das Wertzeichen den Wert der Ware unmittelbar zu repräsentieren. Es leuchtet daher ein, warum Beobachter, die die Phänomene der Geldzirkulation einseitig an der Zirkulation von Papiergeld mit Zwangskurs studierten, alle immanenten Gesetze der Geldzirkulation verkennen mußten. In der Tat erscheinen diese Gesetze nicht nur verkehrt in der Zirkulation der Wertzeichen, sondern ausgelöscht, da das Papiergeld, wenn in richtiger Quantität ausgegeben, Bewegungen vollzieht, die ihm nicht als Wertzeichen eigentümlich sind, während seine eigentümliche Bewegung, statt direkt aus der Metamorphose der Waren zu stammen, aus Verletzung seiner richtigen Proportion zum Gold entspringt.
3. Geld
Geld im Unterschied von Münze, das Resultat des Zirkulationsprozesses in der Form W- G -W, bildet den Ausgangspunkt des Zirkulationsprozesses in der Form G -W- G, d. h. Geld gegen Ware austauschen, um Ware gegen Geld auszutauschen. In der Form W-G-W bildet die Ware, in der Form G - W- G bildet das Geld den Ausgangspunkt und den Endpunkt der Bewegung. In der ersten Form vermittelt das Geld den Warenaustausch, in der letztern vermittelt die Ware das Werden des Geldes zu Geld. Das Geld, das in der ersten Form als bloßes Mittel, erscheint in der letztern als Endzweck der Zirkulation, während die Ware, die in der ersten Form als Endzweck, in der zweiten als bloßes Mittel erscheint. Da das Geld selbst schon Resultat der Zirkulation W- G - W, erscheint in der Form G - W- G das Resultat der Zirkulation zugleich als ihr Ausgangspunkt. Während in W-G-W der Stoffwechsel, bildet das aus diesem ersten Prozeß hervorgegangene Formdasein der Ware selbst den wirklichen Inhalt des zweiten Prozesses G -W— G. In der Form W- G - W sind beide Extreme Waren von derselben Wertgröße, aber zugleich qualitativ verschiedene Gebrauchswerte. Ihr Austausch W-W ist wirklicher Stoffwechsel. In der Form G-W-G dagegen sind beide Extreme Gold und zugleich Gold von derselben Wertgröße. Gold gegen Ware austauschen, um Ware gegen Gold auszutauschen, oder wenn wir das Resultat G-G betrachten, Gold gegen Gold austauschen, scheint abgeschmackt. Übersetzt man aber G -W- G in die Formel: Kaufen um zu Verkaufen, was nichts heißt als durch eine vermittelnde Bewegimg Gold gegen Gold austauschen, so erkennt man sofort die herrschende Form der bürgerlichen Produktion. In der Praxis wird jedoch nicht gekauft, um zu verkaufen, sondern wohlfeil gekauft, um teurer zu verkaufen. Geld wird gegen Ware
ausgetauscht, um dieselbe Ware wieder gegen größere Quantität Geld auszutauschen, so daß die Extreme G, G, wenn nicht qualitativ, so quantitativ verschieden sind. Solch ein quantitativer Unterschied setzt den Austausch von Nichtäquivalenten voraus, während Ware und Geld als solche nur gegensätzliche Formen der Ware selbst sind, also verschiedene Existenzweisen derselben Wertgröße. Der Kreislauf G-W-G birgt also unter den Formen Geld und Ware weiterentwickelte Produktionsverhältnisse und ist innerhalb der einfachen Zirkulation nur Reflex einer höheren Bewegung. Wir haben daher Geld im Unterschied von Zirkulationsmittel aus der unmittelbaren Form der Warenzirkulation W-G-W zu entwickeln. Gold, d.h. die spezifische Ware, die als Maß der Werte und als Zirkulationsmittel dient, wird ohne weiteres Zutun der Gesellschaft Geld. In England, wo Silber weder Maß der Werte noch herrschendes Zirkulationsmittel ist, wird es nicht Geld, ganz wie Gold in Holland, sobald es als Wertmaß entthront wurde, aufhörte, Geld zu sein. Eine Ware wird also zunächst Geld als Einheit von Wertmaß und Zirkulationsmittel, oder die Einheit von Wertmaß und Zirkulationsmittel ist Geld. Als solche Einheit besitzt das Gold aber wieder selbständige und von seinem Dasein in beiden Funktionen unterschiedene Existenz. Als Maß der Werte ist es nur ideelles Geld und ideelles Gold; als bloßes Zirkulationsmittel ist es symbolisches Geld und symbolisches Gold; aber in seiner einfachen metallischen Leibhaftigkeit ist Gold Geld oder Geld wirkliches Gold. Betrachten wir nun einen Augenblick die ruhende Ware Gold, die Geld ist, in ihrem Verhältnis zu den andern Waren. Alle Waren stellen in ihren Preisen eine bestimmte Summe Gold vor, sind also nur vorgestelltes Gold oder vorgestelltes Geld, Repräsentanten des Goldes, wie umgekehrt im Wertzeichen das Geld als bloßer Repräsentant der Warenpreise erschien.* Da alle Waren so nur vorgestelltes Geld sind, ist das Geld die einzig wirkliche Ware. Im Gegensatz zu den Waren, die das selbständige Dasein des Tauschwerts, der allgemeinen gesellschaftlichen Arbeit, des abstrakten Reichtums, nur vorstellen, ist Gold das materielle Dasein des abstrakten Reichtums. Nach der Seite des Gebrauchswerts drückt jede Ware nur ein Moment des stofflichen Reichtums aus durch ihre Beziehung auf ein besonderes Bedürfnis, eine nur vereinzelte Seite des Reichtums. Das Geld aber befriedigt jedes Bedürfnis, sofern es in den Gegenstand jedes Bedürfnisses unmittelbar umsetzbar ist.
* „Es sind nicht nur die edeln Metalle Zeichen der Dinge..sondern abwechselnd sind die Dinge ... Zeichen für Gold und Silber." (A. Genovesi, „Lezioni diEconomia Civile" (1765), p. 281 in Custodi, Parte Moderna, t. VIII.)
Sein eigener Gebrauchswert ist realisiert in der unendlichen Reihe der Gebrauchswerte, die sein Äquivalent bilden. In seiner gediegenen Metallität enthält es «dien stofflichen Reichtum unaufgeschlossen, der in der Welt der Waren entrollt ist. Wenn also die Waren in ihren Preisen das allgemeine Äquivalent oder den abstrakten Reichtum, Gold, repräsentieren, repräsentiert das Gold in seinem Gebrauchswert die Gebrauchswerte aller Waren. Gold ist daher der materielle Repräsentant des stofflichen Reichtums. Es ist der „precis de toutes les choses"1 (Boisguillebert), das Kompendium des gesellschaftlichen Reichtums. Es ist zugleich der Form nach die unmittelbare Inkarnation der allgemeinen Arbeit und dem Inhalt nach der Inbegriff aller realen Arbeiten. Eis ist der allgemeine Reichtum als Individuum.* In seiner Gestalt als Mittler der Zirkulation erlitt es allerlei Unbill, wurde beschnitten und sogar zum bloß symbolischen Papierlappen verflacht. Als Geld wird ihm seine goldene Herrlichkeit zurückgegeben. Auä dem Knecht wird es der Herr**. Aus dem bloßen Handlanger wird es zum Gott der Waren.***
* Petty: Gold und Silber sind „universal wealth". „Political Arithmetic", 1. c. P. 242. ** E. Misseiden, „Free Trade or the Means to make Trade florish etc.", London 1622. „Die natürliche Materie des Handels ist die merchandize2: which merchants from the end of trade have stiled commodities3. Die künstliche Materie des Handels ist Geld, welches den Titel erhalten hat of sinewes of warre and of state4. Geld, obgleich es in Natur und Zeit nach der merchandize kommt, yet for as much as it is now in use has become the chiefe5." (p. 7.) Er vergleicht Ware und Geld „den beiden Söhnen des alten Jakob, der seine rechte Hand auf den jüngern und die linke auf den altern legte". (I.e.) Boisguillebert, „Dissertation sur la nature des richesse etc.", 1. c. „Hier ist also der Sklave des Handels sein Herr geworden... Das Elend der Völker kommt nur daher, daß man einen Herren oder vielmehr einen Tyrannen aus dem gemacht hat, der ein Sklave war." (p. 395, 399.) *** Boisguillebert, 1. c. „Man hat ein Idol aus diesen Metallen (Gold und Silber) gemacht, und indem man nunmehr den Zweck und die Absicht aufgab, warum man sie in den Handel gerufen hatte, nämlich um hier als Unterpfand in Tausch und wechselseitiger Übergabe zu dienen, hat man sie fast von diesem Dienst befreit, um sie zu Gottheiten zu machen, denen man mehr Güter und wichtige Bedürfnisse und sogar Menschen geopfert hat und immer noch opfert, als jemals das blinde Altertum seinen falschen Göttern geopfert hat etc." 0- c. p. 395.)
1 „Sinn aller Dinge" — 2 Kaufmannsware - 3 welche Händler aus Geschäftsgründen Gebrauchswaren genannt haben - 4 Nerv des Krieges und des Staates - 5 ist dennoch, soweit es jetzt in Gebrauch ist, die Hauptsache geworden
a) Schatzbildung Das Gold schied sich zunächst als Geld vom Zirkulationsmittel dadurch, daß die Ware den Prozeß ihrer Metamorphose abbrach und in ihrer Goldverpuppung verharrte. Es erfolgt dies jedesmal, sobald der Verkauf nicht in Kauf umschlägt. Die Verselbständigung des Goldes als Geld ist also vor allem sinnfälliger Ausdruck des Zerrallens des Zirkulationsprozesses oder der Metamorphose der Ware in zwei getrennte, gleichgültig nebeneinander bestehende Akte. Die Münze selbst wird Geld, sobald ihr Lauf unterbrochen wird. In der Hand des Verkäufers, der sie für eine Ware einlöst, ist sie Geld, nicht Münze; sobald sie seine Hand verläßt, wird sie wieder Münze. Jeder ist Verkäufer der einseitigen Ware, die er produziert, aber Käufer aller andern Waren, deren er zur gesellschaftlichen Existenz bedarf. Während sein Auftreten als Verkäufer von der Arbeitszeit abhängt, die seine Ware zu ihrer Produktion erheischt, ist sein Auftreten als Käufer durch beständige Erneuerung der Lebensbedürfnisse bedingt. Um kaufen zu können, ohne zu verkaufen, muß er verkauft haben, ohne zu kaufen. In der Tat ist die Zirkulation W-G-W nur die prozessierende Einheit des Verkaufs und Kaufs, insofern sie zugleich der beständige Prozeß ihrer Trennung ist. Damit das Geld als Münze beständig fließt, muß die Münze beständig zu Geld gerinnen. Der beständige Umlauf der Münze ist bedingt durch ihre beständige Stockung in größern oder kleinem Portionen, in allseitig innerhalb der Zirkulation ebensowohl entspringenden als sie bedingenden Reservefonds von Münze, deren Bildung, Verteilung, Auflösung und Wiederbildung stets wechselt, deren Dasein beständig verschwindet, deren Verschwinden beständig da ist. Adam Smith hat diese unaufhörliche Verwandlung der Münze in Geld und des Geldes in Münze so ausgedrückt, daß jeder Warenbesitzer neben der besondern Ware, die er verkauft, eine gewisse Summe der allgemeinen Ware, womit er kauft, stets vorrätig haben müsse. Wir sahen, daß in der Zirkulation W-G-W das zweite Glied G-W sich in eine Reihe Käufe zersplittert, die sich nicht auf einmal, sondern sukzessiv m der Zeit vollziehen, so daß eine Portion von G als Münze umläuft, während die andere als Geld ruht. Das Geld ist hier in der Tat nur suspendierte Münze und die einzelnen Bestandteile der umlaufenden Münzmasse erscheinen stets wechselnd, bald in der einen, bald in der andern Form. Diese erste Verwandlung des Zirkulationsmittels in Geld stellt daher ein nur technisches Moment des Geldumlaufs selbst dar.*
* Boisguillehert wittert in der ersten Immobilisierung des perpetuum mobile, d. h. der Verneinung seines funktionellen Daseins als Zirkulationsmittel, sofort seine Ver
Die erste naturwüchsige Form des Reichtums ist die des Überflusses oder des Überschusses, der nicht als Gebrauchswert unmittelbar erheischte Teil der Produkte, oder auch der Besitz solcher Produkte, deren Gebrauchswert außerhalb des Kreises bloßer Bedürftigkeit fällt. Bei der Betrachtimg des Übergangs von Ware zu Geld sahen wir, daß dieser Überfluß oder Überschuß der Produkte auf unentwickelter Produktionsstufe die eigentliche Sphäre des Warenaustausches bildet. Überflüssige Produkte werden austauschbare Produkte oder Waren. Die adäquate Existenzform dieses Überflusses ist Gold und Silber, die erste Form, worin der Reichtum als abstrakt gesellschaftlicher Reichtum festgehalten wird. Die Waren können nicht nur in der Form des Goldes oder Silbers, d.h. in dem Material des Geldes, aufbewahrt werden, sondern Gold und Silber sind Reichtum in präservierter Form. Jeder Gebrauchswert als solcher dient, indem er konsumiert, d.h. vernichtet wird. Der Gebrauchswert des Goldes als Geld aber ist, Träger des Tauschwerts zu sein, als formloser Rohstoff Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit. Als formloses Metall besitzt der Tauschwert eine unvergängliche Form. Gold oder Silber so als Geld immobilisiert, ist Schatz. Bei Völkern von rein metallischer Zirkulation, wie bei den Alten, zeigt sich Schatzbildung als ein allseitiger Prozeß vom einzelnen bis zum Staat, der seinen Staatsschatz hütet. In den ältern Zeiten, in Asien und Ägypten, erscheinen diese Schätze in der Hut der Könige und der Priester mehr als Zeugen ihrer Macht. In Griechenland und Rom wird es Politik, Staatsschätze zu bilden, als die stets gesicherte und stets schlagfertige Form des Überflusses. Das schnelle Überführen solcher Schätze von einem Land in das andere durch Eroberer und ihre teilweise plötzliche Ausgießung in die Zirkulation bilden eine Eigentümlichkeit der antiken Ökonomie. Als vergegenständlichte Arbeitszeit bürgt das Gold für seine eigene Wertgröße, und da es Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit ist, bürgt ihm der Zirkulationsprozeß für seine stete Wirkung als Tauschwert. Durch die bloße Tatsache, daß der Warenbesitzer die Ware in ihrer Gestalt als Tauschwert oder den Tauschwert selbst als Ware festhalten kann, wird der Austausch der Waren, um sie in der verwandelten Gestalt des Goldes zurückzuerhalten,
selbständigung gegen die Waren. Das Geld, sagt er, soll sein „in einer beständigen Bewegung, was es nur sein kann, solange es beweglich ist, aber sobald es unbeweglich wird, ist alles verloren". („Le detail de la France", p. 213.) Was er übersieht, ist, daß dies Stillstehen Bedingung seiner Bewegung ist. Was er in der Tat will, ist, daß der Tauschwert* der Waren als bloß verschwindende Form ihres Stoffwechsels erscheine, aber nie sich als Selbstzweck befestige. * Soll heißen: die Wertform der Waren. /Note im Handexemplar.]
eigenes Motiv der Zirkulation. Die Metamorphose der Ware W-G findet statt um ihrer Metamorphose willen, um sie aus besonderm natürlichen Reichtum in allgemeinen gesellschaftlichen Reichtum zu verwandeln. Statt des Stoffwechsels wird der Formwechsel Selbstzweck. Aus der bloßen Form schlägt der Tauschwert um in den Inhalt der Bewegung. Als Reichtum, als Ware erhält sich die Ware nur, sofern sie sich innerhalb der Sphäre der Zirkulation erhält, und sie erhält sich nur in diesem flüssigen Zustand, soweit sie zu Silber und Gold verknöchert. Sie bleibt im Fluß als Kristall des Zirkulatiönsprozesses. Gold und Silber fixieren sich indes selber nur als Geld, sofern sie nicht Zirkulationsmittel sind. Als Nicht-Zirkulationsmittel werden sie Geld.1 Das Entziehen der Ware aus der Zirkulation in der Form des Goldes ist also das einzige Mittel, sie beständig innerhalb der Zirkulation zu halten. Der Warenbesitzer kann von der Zirkulation nur als Geld zurückerhalten, was er ihr als Ware gibt. Beständiges Verkaufen, fortwährendes Werfen von Waren in Zirkulation, ist daher erste Bedingung der Schatzbildung vom Standpunkte der Warenzirkulation. Andrerseits verschwindet das Geld beständig als Zirkulationsmittel im Zirkulationsprozeß selbst, indem es sich stets in Gebrauchswerten verwirklicht und in vergängliche Genüsse auflöst. Es muß also dem verzehrenden Strom der Zirkulation entrissen, oder die Ware muß in ihrer ersten Metamorphose festgehalten werden, indem es verhindert wird, seine Funktion als Kaufmittel zu vollziehen. Der Warenbesitzer, der nun zum Schatzbildner geworden ist, muß möglichst viel verkaufen und möglichst wenig kaufen, wie schon der alte Cato lehrte: patrem familias vendacem, non emacem esse2. Wie Arbeitsamkeit die positive, ist Sparsamkeit die negative Bedingung der Schatzbildung. Je weniger das Äquivalent der Ware in besondern Waren oder Gebrauchswerten der Zirkulation entzogen wird, um so mehr wird es ihr in der Form des Geldes oder Tauschwerts entzogen.* Die Aneignung des Reichtums in seiner allgemeinen Form bedingt also die Entsagung auf den Reichtum in seiner stofflichen Wirklichkeit. Der lebendige Trieb der Schatzbildung ist daher der Geiz, für den nicht die Ware als Gebrauchswert, sondern der Tauschwert als Ware Bedürfnis ist. Um sich des Überflusses in seiner allgemeinen Form zu bemächtigen, müssen die
* „Je mehr der Vorrat in Waren wächst, um so mehr nimmt der als Schatz (in treasure) existierende ab." E. Misseiden, 1. c. p. 23.
1 Im Handexemplar unterstrichen; (1859) nicht hervorgehoben - 2 Der Hausvater soll verkaufsbegierig, nicht kauflustig sein
besonderen Bedürfnisse als Luxus und Uberfluß bebandelt werden. So machten im Jahre 1593 die Cortes Philipp II. eine Vorstellung, worin es unter anderm heißt:
„Die Cortes von Valladolid vom Jahre 1586 baten Ew. Majestät, nicht ferner die Einfuhr in das Königreich zu erlauben von Kerzen, Glaswaren, Bijouterien, Messern und ähnlichen Dingen, die vom Ausland kommen, um diese dem menschlichen Leben so unnützen Dinge auszutauschen gegen Gold, als ob die Spanier Indianer wären."
Der Schatzbildner verachtet die weltlichen, zeitlichen und vergänglichen Genüsse, um dem ewigen Schatz nachzujagen, den weder die Motten noch der Rost fressen, der ganz himmlisch und ganz irdisch ist.
„Die allgemeine entfernte Ursache unseres Mangels an Gold", sagt Misseiden in der angeführten Schrift, „ist der große Exzeß dieses Königreichs im Konsum von Waren fremder Länder, die sich uns statt als commodities1 als discommodities2 erproben, indem sie uns von ebenso vielem Schatze abschneiden, der sonst an die Stelle dieser Spielsachen (toys) importiert würde. Wir konsumieren unter uns einen viel zu großen Uberfluß an Weinen von Spanien, Frankreich, Rheinland, Levante; die Rosinen von Spanien, die Korinthen der Levante, die Lawns (Sorte feiner Leinwand) und Cambrics3 von Hainaut, die Seidenzeuge von Italien, Zucker und Tabak von Westindien, die Gewürze von Ostindien, alles das ist kein absolutes Bedürfnis für uns, und dennoch werden diese Dinge gekauft mit hartem Gold."*
Als Gold und Silber ist der Reichtum unvergänglich, sowohl weil der Tauschwert in unverwüstlichem Metall existiert, als namentlich weil das Gold und Silber verhindert wird, als Zirkulationsmittel zur nur verschwindenden Geldform der Ware zu werden. Der vergängliche Gehalt wird so der unvergänglichen Form geopfert.
„Wird das Geld durch die Steuer von einem genommen, der es verißt und vertrinkt und einem gegeben, 4er es in Verbesserung des Landes, Fischfang, Minenwerken, Manufakturen oder selbst in Kleidern verwendet, so ist immer ein Vorteil für das Gemeinwesen vorhanden, denn selbst Kleider sind nicht so vergänglich als Mahlzeiten und Getränke. Wird es in Hausmöbeln verwandt, so ist der Vorteil um so größer, im Bauen von Häusern noch größer usw., am größten von allem, wenn Gold und Silber in das Land gebracht wird, weil diese Dinge allein nicht vergänglich sind, sondern zu allen Zeiten und allen Orten als Reichtum geschätzt werden; alles andere ist nur Reichtum pro hic et nunc4."**
* 1. c. p. 11-13 passim. ** Petty, „Political Arithmetic", 1. c. p. 196.
1 nötige Waren - 2 unnötige Waren — 3 Batiste — 4 für hier und jetzt
Das Entreißen des Geldes aus dem Strom der Zirkulation und Retten vor dem gesellschaftlichen Stoffwechsel zeigt sich auch äußerlich im Vergraben, so daß der gesellschaftliche Reichtum als unterirdischer unvergänglicher Schatz in ein ganz heimliches Privatverhältnis zum Warenbesitzer gebracht wird. Doktor Bernier, der sich eine Zeitlang zu Delhi am Hofe Aurangzebs aufhielt, erzählt, wie die Kaufleute ihr Geld heimlich und tief vergraben, besonders aber die nichtmohammedamschen Heiden, die fast allen Handel und alles Geld in der Hand haben, „befangen wie sie sind im Glauben, daß das Gold und Silber, welches sie während ihres Lebens verbergen, ihnen nach dem Tode in der andern Welt dienen wird"*. Der Schatzbildner ist übrigens, soweit sein Asketismus mit tatkräftiger Arbeitsamkeit verbunden ist, von Religion wesentlich Protestant und noch mehr Puritaner. „Das kann man nicht leugnen, daß Kaufen und Verkaufen ein notig Ding ist, das man nicht entbehren, und wohl christlich brauchen kann, sonderlich in Dingen, die zur Not und Ehre dienen, denn also haben auch die Patriarchen verkauft und gekauft, Vieh, Wolle, Getreide, Butter, Milch und andere Güter. Es sind Gottesgaben, die er aus der Erde gibt und unter die Menschen teilt. Aber der ausländische Kaufhandel, der aus Kalikat und Indien und dergleichen War herbringt, als solch köstlich Seiden und Goldwerk und Würze, die nur zur Pracht und keinem Nutzen dient, und Land und Leuten das Geld aussaugt, sollte nicht zugelassen werden, so wir ein Regiment und Fürsten hätten. Doch hievon will ich jetzt nicht schreiben; denn ich achte, es werde zuletzt, wenn wir nicht mehr Geld haben, von ihm selbst ablassen müssen, wie auch der Schmuck und Fraß: es will doch sonst kein Schreiben und Lehren helfen, bis uns die Not und Armut zwingt."**
In Zeiten der Erschütterung des gesellschaftlichen Stoffwechsels findet selbst in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft das Vergraben des Geldes
* Frangois Bernier, „Voyages contenant la description des etats du Grand Mogol", Pariser Ausgabe 1830, t. 1, conf. p. 312-314. ** Doktor Martin Luther, „Bücher vom Kaufhandel und Wucher", 1524. Anderselben Stelle sagt Luther: „Gott hat uns Deutsche dahin geschleudert, daß wir unser Gold und Silber müssen in fremde Länder stoßen, alle Welt reich machen und selbst Bettler bleiben. England sollte wohl weniger Goldes haben, wenn Deutschland ihm sein Tuch ließe, und der König von Portugal sollte auch weniger haben, wenn wir ihm seine Würze ließen. Rechne Du, wie viel Geldes eine Messe zu Frankfurt aus deutschen Landen geführt wird, ohne Not und Ursache: so wirst Du Dich wundern, wie es zugehe, daß noch ein Heller in deutschen Landen sei. Frankfurt ist das Silber- und Goldloch, dadurch aus deutschem Lande fließt, was nur quillet und wächst, gemünzt oder geschlagen wird bei uns: wäre das Loch zugestopft, so dürft man itzt der Klage nicht
als Schatz statt. Der gesellschaftliche Zusammenhang in seiner kompakten Form - für den Warenbesitzer besteht dieser Zusammenhang in der Ware und das adäquate Dasein der Ware ist Geld - wird gerettet vor der gesellschaftlichen Bewegung. Der gesellschaftliche nervus rerum1 wird bestattet neben dem Körper, dessen Nerv er ist. Der Schatz wäre nun bloß nutzloses Metall, seine Geldseele wäre aus ihm entflohen und er bliebe als ausgebrannte Asche der Zirkulation, als ihr caput mortuum2 zurück, stünde er nicht in beständiger Spannung zu ihr. Geld oder verselbständigter Tauschwert ist seiner Qualität nach Dasein des abstreikten Reichtums, andererseits aber ist jede gegebene Geldsumme quantitativ begrenzte Wertgröße. Die quantitative Grenze des Tauschwerts widerspricht seiner qualitativen Allgemeinheit, und der Schatzbildner empfindet die Grenze als Schranke, die in der Tat zugleich in qualitative Schranken umschlägt, oder den Schatz zum bloß beschränkten Repräsentanten des stofflichen Reichtums macht. Geld, als das allgemeine Äquivalent, stellt sich, wie wir sahen, unmittelbar dar in einer Gleichung, worin es selbst die eine Seite, die unendliche Reihe der Waren aber die andere Seite bildet. Von der Größe des Tauschwerts hängt es ab, wieweit es sich annähernd als solche unendliche Reihe realisiert, d. h. seinem Begriff als Tauschwert entspricht. Die Bewegung des Tauschwerts als Tauschwert, als Automat, kann überhaupt nur die sein, über seine quantitative Grenze hinauszugehen. Indem aber eine quantitative Grenze des Schatzes überschritten wird, wird eine neue Schranke geschaffen,
hören, wie allenthalben eitel Schuld und kein Geld, alle Land und Städte ausgewuchert sind. Aber laß gehen, es will doch also gehen: wir Deutsche müssen Deutsche bleiben! wir lassen nicht ab, wir müssen denn." [p. 4/5.] Misseiden in der oben angeführten Schrift will das Gold und Silber wenigstens im Kreis der Christenheit halten: „Das Geld wird vermindert durch den Handel jenseits der Christenheit mit der Türkei, Persien und Ostindien. Diese Handelszweige werden größtenteils mit barem Geld geführt, jedoch ganz anders wie die Handelszweige der Christenheit in sich selbst. Denn obgleich der Handel innerhalb der Christenheit mit barem Geld getrieben wird, ist doch das Geld fortwährend eingeschlossen innerhalb seiner Grenzen. Da ist in der Tat Strömung und Gegenströmung, Flut und Ebbe des Geldes in dem innerhalb der Christenheit geführten Handel, denn manchmal ist es reichlicher an einem Teil, mangelnder an einem andern, je nachdem ein Land Mangel hat und ein anderes Überfluß: es kommt und geht und wirbelt im Kreis der Christenheit, aber bleibt stets von seiner Linie umfangen. Aber das Geld, womit außerhalb der Christenheit in die oben angegebenen Länder hinausgehandelt wird, ist beständig ausgegeben und kehrt nie zurück." [p. 19, 20.]
1 Nerv der Dinge - 8 chemischer Rückstand
die wieder aufgehoben werden muß. Es ist nicht eine bestimmte Grenze des Schatzes, die als Schranke erscheint, sondern jede Grenze desselben. Die Schatzbildung hat also keine immanente Grenze, kein Maß in sich, sondern ist ein endloser Prozeß, der in seinem jedesmaligen Resultat ein Motiv seines Anfangs findet. Wenn der Schatz nur vermehrt wird, indem er konserviert wird, so wird er aber auch nur konserviert, indem er vermehrt wird. Das Geld ist nicht nur ein Gegenstand der Bereicherungssucht, es ist der Gegenstand derselben. Sie ist wesentlich auri sacra fames1. Die Bereicherungssucht im Unterschied von der Sucht nach besonderm natürlichen Reichtum oder Gebrauchswerten, wie Kleider, Schmuck, Herden usw., ist nur möglich, sobald der allgemeine Reichtum als solcher in einem besondern Ding individualisiert ist und daher als einzelne Ware festgehalten werden kann. Das Geld erscheint also ebensosehr als Gegenstand wie Quelle der Bereicherungssucht.* Was in der Tat zugrunde liegt, ist, daß der Tauschwert als solcher und damit seine Vermehrung zum Zweck wird. Der Geiz hält den Schatz fest, indem er dem Geld nicht erlaubt, Zirkulationsmittel zu werden, aber die Goldgier erhält seine Geldseele, seine beständige Spannung gegen die Zirkulation. Die Tätigkeit nun, wodurch der Schatz gebildet wird, ist einerseits Entziehen des Geldes aus der Zirkulation durch beständig wiederholten Verkauf, andrerseits einfaches Aufspeichern. Akkumulieren. Es ist in der Tat nur in der Sphäre der einfachen Zirkulation, und zwar in der Form der Schatzbildung, daß die Akkumulation des Reichtums als solche stattfindet, während, wie wir später sehen werden, die andern sog. Formen der Akkumulation nur mißbräuchlich, nur durch Erinnerung an die einfache Geldakkumulation, als Akkumulation gelten. Alle andern Waren werden aufgehäuft entweder als Gebrauchswerte, und dann ist die Art ihrer Aufhäufung bestimmt durch die Besonderheit ihres Gebrauchswerts. Aufhäufen von Getreide z.B. erfordert besondre Vorrichtungen. Schafe aufhäufen macht mich zum Hirten, Sklaven und Land aufhäufen macht Herrschafts- und Knechtschaftsverhälthisse nötig usw. Die Vorratbildung des besondern Reichtums erfordert besondere Prozesse, unterschieden vom einfachen Akt des Aufhäufens selbst, und entwickelt besondre Seiten der Individualität. Oder der Reichtum in der
* „Im Geld liegt der Ursprung des Geizes ... allmählich entbrennt hier eine Art Tollheit, schon nicht mehr Geiz, sondern Goldgier." (Plinius, „Historia naturalis", L. XXXIII, C. III, Sect. 14.)
1 verfluchte Gier nach Gold (Virgil „Aeneis")
Form von Waren wird als Tauschwert aufgehäuft, und dann erscheint die Aufhäufung als eine kaufmännische oder spezifisch ökonomische Operation. Das Subjekt derselben wird Kornhändler, Viehhändler usw. Gold und Silber sind Geld nicht durch irgendeine Tätigkeit des Individuums, das sie aufhäuft, sondern als Kristalle des ohne sein Zutun vor sich gehenden Zirkulationsprozesses. Er hat nichts zu tun, als sie beiseite zu schaffen und Gewicht zu Gewicht zu häufen, eine ganz inhaltslose Tätigkeit, die auf alle anderen Waren angewandt, sie entwerten würde.* Unser Schatzbildner erscheint als Märtyrer des Tauschwerts, heiliger Asket auf dem Gipfel der Metallsäule. Es ist ihm nur um den Reichtum in seiner gesellschaftlichen Form zu tun, und darum vergräbt er ihn vor der Gesellschaft. Er verlangt die Ware in ihrer stets zirkulationsfähigen Form, und darum entzieht er sie der Zirkulation. Er schwärmt für den Tauschwert, und darum tauscht er nicht aus. Die flüssige Form des Reichtums und sein Petrefakt, Elixier des Lebens und Stein der Weisen, spuken alchimistisch toll durcheinander. In seiner eingebildeten schrankenlosen Genußsucht entsagt er allem Genüsse. Weil er alle gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigen will, befriedigt er kaum die natürliche Notdurft. Indem er den Reichtum in seiner metallischen Leiblichkeit festhält, verdunstet er ihn zum bloßen Hirngespinst. In der Tat aber ist das Aufhäufen des Geldes um des Geldes willen die barbarische Form der Produktion um der Produktion willen, d.h. Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit hinaus über die Schranken herkömmlicher Bedürfnisse. Je unentwickelter die Waren
* Horaz versteht also nichts von der Philosophie der Schatzbildung, wenn er sagt („Satiren", L. II, Satire III): „Kaufte sich jemand Lauten und häufte den Kram aufeinander, Während er weder der Laute, noch einer der Musen sich hingab. Ahlen und Leist, wer nicht Schuhmacher, und Segel zur Schiffahrt, Wer nicht hold dem Verkehre zur See: Wahnwitzig und hirnlos Nennte mit Recht ihn jeder. In was ist von diesen verschieden, Wer sein Silber und Gold einscharrt, nicht weiß zu gebrauchen, Und das Gesammelte nicht, gleich Heiligem, wagt zu berühren?" Herr Senior versteht die Sache besser: „Das Geld scheint das einzige Ding zu sein, nach dem das Verlangen allgemein ist, und zwar deshalb, weil das Geld ein abstrakter Reichtum ist und weil die Menschen, wenn sie es besitzen, alle ihre Bedürfnisse befriedigen können, welcher Art sie auch seien." („Principes fondamentaux de l'economie politique, traduit par le Comte Jean Arrivabene", Paris 1836, p. 221.) Oder Storch: „Da das Geld alle andern Reichtümer repräsentiert, hat man es nur aufzuhäufen, um sich edle in der Welt existierenden Arten von Reichtum zu verschaffen." (1. c. t. II, p. 135.)
Produktion, um so wichtiger ist die erste Verselbständigung des Tauschwerts als Geld, die Schatzbildung, die daher eine große Rolle spielt bei den alten Völkern, in Asien bis auf die heutige Stunde, und bei den modernen Bauernvölkern, wo der Tauschwert noch nicht alle Produktionsverhältnisse ergriffen hat. Die spezifisch ökonomische Funktion der Schatzbildung innerhalb der metallischen Zirkulation selbst werden wir sogleich betrachten, erwähnen aber noch vorher eine andre Form der Schatzbildung. Ganz abgesehn von ihren ästhetischen Eigenschaften sind silberne und goldne Waren, sofern das Material, woraus sie bestehen, Material des Geldes ist, umwandelbar in Geld, wie Goldgeld oder Goldbarren in sie umwandelbar sind. Weil Gold und Silber das Material des abstrakten Reichtums sind, besteht die größte Schaustellung des Reichtums in ihrer Benutzung als konkrete Gebrauchswerte, und wenn der Warenbesitzer auf gewissen Stufen der Produktion seinen Schatz verbirgt, treibt es ihn überall, wo es mit Sicherheit geschehn kann, als rico hombre1 den andern Warenbesitzern zu erscheinen. Er vergoldet sich und sein Haus.* In Asien, namentlich in Indien, wo die Schatzbildung nicht wie in der bürgerlichen Ökonomie als eine untergeordnete Funktion des Mechanismus der Gesamtproduktion erscheint, sondern der Reichtum in dieser Form als letzter Zweck festgehalten wird, sind Gold- und Silberwaren eigentlich nur ästhetische Form der Schätze. Im mittelaltrigen England waren Gold- und Silberwaren, da ihr Wert nur wenig durch die zugefügte rohe Arbeit vermehrt wurde, gesetzlich als bloße Form des Schatzes betrachtet. Ihr Zweck war, wieder in Zirkulation geworfen zu werden und ihre Feinheit daher ganz ebenso vorgeschrieben, wie die der Münze selbst. Der wachsende Gebrauch von Gold und Silber als Luxusgegenstände mit wachsendem Reichtum ist eine so einfache Sache, daß sie den Alten völlig klar war**, während die modernen Ökonomen den falschen Satz aufgestellt haben, daß der Gebrauch silberner und goldner Waren nicht zunehme im Verhältnis zum Steigen des Reichtums, sondern nur im Verhältnis zum Wertfall der edeln Metalle. Ihre sonst genauen Nachweisungen über die Verwen
* Wie sehr der inner man2 des Warenindividuums unverändert bleibt, auch wo es sich zivilisiert und zum Kapitalisten entwickelt hat, beweist z. B. der Londoner Repräsentant eines kosmopolitischen Bankierhauses, der als passendes Familienwappen eine Banknote von 100 000 Pfd. St. in Glas und Rahmen hängen hat. Die Pointe ist hier das spöttisch vornehme Herabsehen der Note auf die Zirkulation. ** Siehe die später zitierte Stelle von Xenophon.
1 reicher Mann - 2 innere Mensch
düng des kalifornischen und australischen Goldes zeigen daher stets einen Ausfall, weil der gestiegne Konsum des Goldes als Rohmaterial in ihrer Einbildung nicht gerechtfertigt ist durch entsprechenden Fall in seinem Wert. Von 1810 bis 1830, infolge des Kampfs der amerikanischen Kolonien mit Spanien^22] und der Unterbrechung der Minenärbeit durch Revolutionen, hatte die jährliche Durchschnittsproduktion der edeln Metalle um mehr als die Hälfte abgenommen. Die Abnahme der in Europa zirkulierenden Münze betrug beinahe 1I6,1829 verglichen mit 1809. Obgleich also die Quantität der Produktion abgenommen hatte und die Produktionskosten gestiegen, wenn überhaupt verändert waren, nahm nichtsdestoweniger der Konsum der edeln Metalle als Luxusgegenstände außerordentlich zu, in England schon während des Krieges, auf dem Kontinent seit dem Pariser Frieden. Er stieg mit dem Wachstum des allgemeinen Reichtums.* Als allgemeines Gesetz kann aufgestellt werden, daß die Umwandlung von Gold- und Silbergeld in Luxusgegenstände während des Friedens, ihre Rückverwandlung in Barren oder auch Münze aber nur in sturmvollen Zuständen vorwiegt.** Wie bedeutend das Verhältnis des in der Form von Luxusware existierenden Gold- und Silberschatzes zu dem als Geld dienenden edeln Metall ist, mag daraus ersehn werden, daß 1829 das Verhältnis nach Jacob in England wie 2 zu 1 war, in ganz Europa und Amerika aber mehr edles Metall in Luxusgegenständen als in Geld existierte. Wir sahen, daß der Geldumlauf bloß die Erscheinimg der Metamorphose der Waren ist oder des Formwechsels, worin sich der gesellschaftliche Stoffwechsel vollzieht. Mit der wechselndenPreissumme der zirkulierenden Waren oder dem Umfang ihrer gleichzeitigen Metamorphosen einerseits, mit der jedesmaligen Geschwindigkeit ihres Formwechsels andrerseits, mußte daher die Gesamtquantität des zirkulierenden Goldes beständig expandieren oder kontrahieren, was nur möglich unter der Bedingung, daß die Gesamtquantität des in einem Lande befindlichen Geldes fortwährend in wechselndem Verhältnis steht zur Quantität des in Zirkulation befindlichen Geldes. Diese Bedingung wird durch die Schatzbildung erfüllt. Fallen die Preise oder steigt die Zirkulationsgeschwindigkeit, so absorbieren die Schatzreservoirs den aus der Zirkulation abgesonderten Teil des Geldes; steigen die Preise oder fällt
* Jacob, 1. c. t. II, ch. 25 und 26. ** „In Zeiten großer Erregung und Unsicherheit, besonders während innerer Aufstände oder Invasionen, werden Gold- und Silbergegenstände schnell in Geld verwandelt; in Perioden der Ruhe und des Wohlstandes hingegen wird Geld in Silbergeschirr und Schmuckgegenstände verwandelt" (1. c. t. II, p. 357).
8 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
die Zirkulationsgeschwindigkeit, so öffnen sich die Schätze und strömen teilweise in die Zirkulation zurück. Die Erstarrung des zirkulierenden Geldes in Schatz und das Ergießen der Schätze in die Zirkulation ist beständig Wechselnde oszillatorische Bewegung, worin das Vorwiegen der einen oder der andern Richtung ausschließlich durch die Schwankungen der Warenzirkulation bestimmt ist. Die Schätze erscheinen so als Zufuhr- und Abzugskanäle des zirkulierenden Geldes, so daß immer nur das durch die unmittelbaren Bedürfnisse der Zirkulation selbst bedingte Quantum Geld als Münze zirkuliert. Dehnt sich der Umfang der Gesamtzirkulation plötzlich aus und wiegt die flüssige Einheit von Verkauf und Kauf vor, so daß aber die Gesamtsumme der zu realisierenden Preise noch rascher wächst als die Geschwindigkeit des Geldumlaufs, so entleeren sich die Schätze zusehends; sobald die Gesamtbewegung ungewöhnlich stockt oder die Trennung von Verkauf und Kauf sich befestigt, erstarrt das Zirkulationsmittel in auffallenden Proportionen zu Geld und füllen sich die Schatzreservoirs weit über ihr Durchschnittsniveau. In Ländern rein metallischer Zirkulation oder unentwickelter Produktionsstufe sind die Schätze unendlich zersplittert und zerstreut über die ganze Oberfläche des Landes, während sie in bürgerlich entwickelten Ländern in den Bankreservoirs konzentriert werden. Der Schatz ist nicht zu verwechseln mit der Münzreserve, die selbst einen Bestandteil der stets in Zirkulation befindlichen Gesamtquantität Geld bildet, während das aktive Verhältnis von Schatz und Zirkulationsmittel das Sinken oder Steigen jener Gesamtquantität unterstellt. Gold- und Silberwaren bilden, wie wir gesehn, ebenfalls sowohl einen Abzugskanal der edlen Metalle, wie latente Zufuhrquelle. In gewöhnlichen Zeiten ist nur ihre erstere Funktion wichtig für die Ökonomie der metallischen Zirkulation.*
* In der folgenden Stelle entwickelt Xenophon Geld in seiner spezifischen Formbestimmtheit als Geld und Schatz: „In diesem einzigen Gewerbe von allen, die ich kenne, erregt niemand der andern damit Beschäftigten Neid... Denn je reicher die Silberbergwerke erscheinen, und je mehr Silber gefördert wird, desto mehr Leute ziehen sie zu dieser Arbeit heran. Wenn man für die Wirtschaft genügend Hausgerät erworben hat, wird man wenig mehr kaufen; Silber jedoch besitzt niemand so viel, daß er nicht noch mehr zu haben wünscht, und wenn es bei jemand in Fülle, dann vergräbt er das Überflüssige und freut sich daran nicht weniger, als wenn er es gebrauchte. Wenn nämlich die Städte aufblühn, dann brauchen die Leute das Silber besonders. Denn die Männer wollen außer schonen Waffen auch gute Pferde, prächtige Häüser und Einrichtungen kaufen, die Frauen aber begehren allerlei Gewänder und goldenen Schmuck. Wenn aber die Städte Not leiden durch Mißernte oder Krieg, dann braucht man Geld infolge Unfruchtbarkeit des Bodens zum Kauf von Lebensmitteln oder zur
b) Zahlungsmittel
Die beiden Formen, worin Geld sich bisher vom Zirkulationsmittel unterschied, waren die der suspendierten Münze und des Schatzes. Die erste Form reflektierte in der vorübergehenden Verwandlung der Münze in Geld, daß das zweite Glied von W- G - W der Kauf G - W, sich innerhalb einer bestimmten Zirkulationssphäre zersplittern muß in eine Reihe sukzessiver Käufe. Die Schatzbildung aber beruhte einfach auf Isolierung des Akts W-G, der nicht zu G-W fortging, oder war nur selbständige Entwicklung der ersten Metamorphose der Ware, das Geld, entwickelt als das entäußerte Dasein aller Waren im Gegensatz zum Zirkulationsmittel als dem Dasein der Ware in ihrer sich stets veräußernden Form. Münzreserve und Schatz waren nur Geld als NichtZirkulationsmittel, NichtZirkulationsmittel aber nur, weil sie nicht zirkulierten. In der Bestimmung, worin wir das Geld jetzt betrachten, zirkuliert es öder tritt in die Zirkulation, aber nicht in der Funktion des Zirkulationsmittels. Als Zirkulationsmittel war das Geld stets Kaufmittel, jetzt wirkt es als Nichtkaufmittel. Sobald das Geld durch die Schatzbildung als Dasein des abstrakten gesellschaftlichen Reichtums und materieller Repräsentant des stofflichen Reichtums entwickelt ist, erhält es in dieser seiner Bestimmtheit als Geld eigentümliche Funktionen innerhalb des Zirkulationsprozesses. Zirkuliert das Geld als bloßes Zirkulationsmittel und darum als Kaufmittel, so ist unterstellt, daß Ware und Geld sich gleichzeitig gegenüberstehen, also dieselbe Wertgröße doppelt vorhanden ist, auf dem einen Pol als Ware in der Hand des Verkäufers, auf dem andern Pol als Geld in der Hand des Käufers. Diese gleichzeitige Existenz der beiden Äquivalente auf entgegengesetzten Polen und ihr gleichzeitiger Stellenwechsel oder ihre wechselseitige Entäußerung unterstellt ihrerseits, daß Verkäufer und Käufer sich nur als Besitzer vorhandener Äquivalente aufeinander beziehn. Indes der Prozeß der Metamorphose der Waren, der die verschiedenen Formbestimmtheiten des Geldes erzeugt, metamorphosiert auch die Warenbesitzer oder verändert die gesellschaftlichen Charaktere, worin sie einander erscheinen. In dem Prozeß der
Anwerbung von Hilfstruppen." (Xenophon, „De Vectigalibus", C. IV.) Aristoteles in C. 9, L. I der „Republik" entwickelt die beiden Bewegungen der Zirkulation W-G-W und G-W- G in ihrem Gegensatz unter dem Namen der „ Ökonomik" und „Chrematistik". Beide Formen werden von den griechischen Tragikern, namentlich von Euripides, gegenübergestellt als 86a)1 und xspSo?2.
1 Recht - 2 Eigennutz
Metamorphose der Ware wechselt der Warenhüter ebensooft die Haut als die Ware wandelt oder das Geld in neuen Formen anschießt. So standen sich die Warenbesitzer ursprünglich nur als Warenbesitzer gegenüber, wurden dann der eine Verkäufer, der andre Käufer, dann jeder abwechselnd Käufer und Verkäufer, dann Schatzbildner, endlich reiche Leute. So kommen die Warenbesitzer nicht aus dem Zirkulationsprozeß heraus, wie sie in ihn eingetreten sind. In der Tat sind die verschiedenen Formbestimmtheiten, die das Geld im Zirkulationsprozeß erhält, nur kristallisierter Formwechsel der Waren selbst, der seinerseits nur gegenständlicher Ausdruck der wandelnden gesellschaftlichen Beziehungen ist, worin die Warenbesitzer ihren Stoffwechsel vollziehn. Im Zirkulationsprozeß entspringen neue Verkehrsverhältnisse, und als Träger dieser veränderten Verhältnisse erhalten die Warenbesitzer neue Ökonomische Charaktere. Wie innerhalb der innern Zirkulation das Geld sich idealisiert und bloßes Papier als Repräsentant des Goldes die Funktion des Geldes verrichtet, so gibt derselbe Prozeß dem Käufer oder Verkäufer, der als bloßer Repräsentant von Geld oder Ware in ihn eintritt, d. h. zukünftiges Geld oder zukünftige Ware repräsentiert, die Wirksamkeit des wirklichen Verkäufers oder Käufers. Alle Formbestimmtheiten, wozu sich Gold als Geld entwickelt, sind nur Entfaltung der in der Metamorphose der Waren eingeschlossenen Bestimmungen, die aber in dem einfachen Geldumlauf, der Erscheinung des Gelds als Münze oder der Bewegung W- G -W als prozessierender Einheit, nicht zu selbständiger Gestalt ausgeschieden wurden, oder auch, wie z.B. die Abbrechung der Metamorphose der Ware, als bloße Möglichkeiten erschienen. Wir sahen, daß im Prozeß W-G die Ware als wirklicher Gebrauchswert und ideeller Tauschwert sich auf das Geld als wirklichen Tauschwert und nur ideellen Gebrauchswert bezog. Indem der Verkäufer die Ware als Gebrauchswert veräußerte, realisierte er ihren eigenen Tauschwert und den Gebrauchswert des Geldes. Umgekehrt, indem der Käufer das Geld als Tauschwert veräußerte, realisierte er seinen Gebrauchswert und den Preis der Ware. Es fand dementsprechend Stellenwechsel von Ware und Geld statt. Der lebendige Prozeß dieses doppelseitig polarischen Gegensatzes wird nun wieder in seiner Verwirklichung gespalten. Der Verkäufer veräußert die Ware wirklich und realisiert ihren Preis zunächst selbst nur wieder ideell. Er hat sie zu ihrem Preis verkauft, der aber erst in einer später festgesetzten Zeit realisiert wird. Der Käufer kauft als Repräsentant von künftigem Geld, während der Verkäufer als der Besitzer von gegenwärtiger Ware verkauft. Auf der Seite des Verkäufers wird die Ware als Gebrauchswert wirklich veräußert, ohne daß sie als Preis wirklich realisiert wäre; auf der Seite des Käufers wird
das Geld wirklich im Gebrauchswerte der Ware realisiert, ohne daß es als Tauschwert wirklich veräußert wäre. Statt daß früher das Wertzeichen, vertritt hier der Käufer selbst symbolisch das Geld. Wie aber früher die allgemeine Symbolik des Wertzeichens die Garantie und den Zwangskurs des Staates, ruft jetzt die persönliche Symbolik des Käufers gesetzlich erzwingbare Privatkontrakte unter den Warenbesitzern hervor. Umgekehrt kann im Prozeß G -W das Geld als wirkliches Kaufmittel entäußert und der Preis der Ware so realisiert werden, ehe der Gebrauchswert des Geldes realisiert oder die Ware veräußert wird. Dies findet z. B. statt in der alltäglichen Form der Pränumeration. Oder in der Form, worin die englische Regierung das Opium der Ryots in Indien, oder in Rußland ansässige fremde Kaufleute großenteils russische Landeserzeugnisse kaufen. So wirkt jedoch das Geld nur in der schon bekannten Form des Kaufmittels und erhält daher keine neue Formbestimmtheit.* Wir verweilen daher nicht bei dem letztern Fall, bemerken jedoch mit Bezug auf die verwandelte Gestalt, worin beide Prozesse G-W und W-G hier auftreten, daß der bloß gemeinte Unterschied von Kauf und Verkauf, wie er unmittelbar in der Zirkulation erscheint, jetzt zum wirklichen Unterschied wird, indem in der einen Form nur die Ware, in der andern nur das Geld vorhanden ist, in beiden aber nur das Extrem, von dem die Initiative ausgeht. Zudem haben beide Formen gemein, daß in beiden das eine Äquivalent nur in dem gemeinsamen Willen des Käufers und Verkäufers vorhanden ist, ein Wille, der beide bindet und bestimmte gesetzliche Formen erhält. Verkäufer und Käufer werden Gläubiger und Schuldner. Wenn der Warenbesitzer als Hüter des Schatzes eher eine komische Figur spielte, wird er nun schrecklich, indem er nicht sich selbst, sondern seinen Nächsten als Dasein einer bestimmten Geldsumme auffaßt und nicht sich, sondern ihn zum Märtyrer des Tauschwerts macht. Aus einem Gläubigen wird er zum Gläubiger, aus der Religion fällt er in die Jurisprudenz.
„I stay here on my bond!"
In der veränderten Form W- G also, worin die Ware vorhanden und das Geld nur repräsentiert ist, funktioniert das Geld zunächst als Maß der Werte. Der Tauschwert der Ware wird in Geld als seinem Maß geschätzt, aber als kontraktlich gemeßner Tauschwert existiert der Preis nicht nur im Kopf des
* Kapital wird natürlich auch in der Form des Geldes avanciert und das vorgeschoßne Geld mag vorgeschoßnes Kapitell sein, dieser Gesichtspunkt fällt aber nicht in den Horizont der einfachen Zirkulation.
Verkäufers, sondern zugleich als Maß der Verpflichtung des Käufers. Zweitens funktioniert das Geld hier als Kaufmittel, obgleich es nur den Schatten seines künftigen Daseins vor sich herwirft. Es zieht nämlich die Ware aus ihrer Stelle, aus der Hand des Verkäufers in die des Käufers. Wird der Termin für Erfüllung des Kontrakts fällig, so tritt das Geld in Zirkulation, denn es wechselt die Stelle und geht aus der Hand des vergangnen Käufers in die des vergangnen Verkäufers über. Aber es tritt nicht in Zirkulation als Zirkulationsmittel oder Kaufmittel. Als solches funktionierte es, ehe es da war, und es erscheint,nachdem es aufgehört hat, als solches zu funktionieren. Es tritt vielmehr in Zirkulation als das einzige adäquate Äquivalent für Ware, als absolutes Dasein des Tauschwerts, als letztes Wort des Austauschprozesses, kurz als Geld, und zwar als Geld in der bestimmten Funktion als allgemeines Zahlungsmittel. In dieser Funktion als Zahlungsmittel erscheint das Geld als die absolute Ware, aber innerhalb der Zirkulation selbst, nicht wie der Schatz außerhalb derselben. Der Unterschied von Kaufmittel und Zahlungsmittel macht sich sehr unangenehm bemerkbar in den Epochen der Handelskrisen.* Ursprünglich erscheint in der Zirkulation die Verwandlung des Produkts in Geld nur als individuelle Notwendigkeit für den Warenbesitzer, sofern sein Produkt Gebrauchswert nicht für ihn ist, sondern es erst durch seine Entäußerung werden soll. Um aber zu zahlen am kontraktlichen Termin, muß er vorher Ware verkauft haben. Ganz unabhängig von seinen individuellen Bedürfnissen ist daher der Verkauf durch die Bewegung des Zirkulationsprozesses in eine gesellschaftliche Notwendigkeit für ihn verwandelt. Als vergangner Käufer einer Ware wird er zwangsweise Verkäufer einer andern Ware, nicht um das Geld als Kaufmittel, sondern um es als Zahlungsmittel zu erhalten, als die absolute Form des Tauschwerts. Die Verwandlung von Ware in Geld als abschließender Akt, oder die erste Metamorphose der Ware als Selbstzweck, die in der Schatzbildung Laune des Warenbesitzers schien, ist jetzt zu einer ökonomischen Funktion geworden. Das Motiv und der Inhalt des Verkaufs, um zu zahlen; ist aus der Form des Zirkulationsprozesses selbst entspringender Inhalt desselben. In dieser Form des Verkaufs vollzieht die Ware ihren Stellenwechsel, zirkuliert, während sie ihre erste Metamorphose, ihre Verwandlung in Geld aufschiebt. Auf der Seite des Käufers dagegen wird die zweite Metamorphose vollzogen, d. h. Geld in Ware rückverwandelt, ehe die erste Metamorphose vollzogen ist, d. h. Ware in Geld verwandelt worden ist. Die erste Meta
* Unterschied von Kaufmittel und Zahlungsmittel bei Luther betont. [Note im Handexemplar.]
morphose erseheint also hier in der Zeit nach der zweiten. Und damit erhält das Geld, die Gestalt der Ware in ihrer ersten Metamorphose, neue Formbestimmtheit. Geld oder die selbständige Entwicklung des Tauschwerts ist nicht mehr vermittelnde Form der Warenzirkulation, sondern ihr abschließendes Resultat. Daß solche Zeitverkäufe, worin beide Pole des Verkaufs getrennt in der Zeit existieren, naturwüchsig aus der einfachen Warenzirkulation hervorgehn, bedarf keines ausführlichen Beweises. Zunächst bringt es die Entwicklung der Zirkulation mit sich, daß das wechselseitige Auftreten derselben Warenbesitzer füreinander als Verkäufer und Käufer sich wiederholt. Die wiederholte Erscheinung bleibt nicht bloß zufällig, sondern Ware wird z. B. bestellt für einen künftigen Termin, an welchem sie geliefert und bezahlt werden soll. In diesem Fall ist der Verkauf ideell, d. h. hier juristisch vollzogen, ohne daß Ware und Geld leiblich erscheinen. Beide Formen des Geldes als Zirkulationsmittel und Zahlungsmittel fallen hier noch zusammen, indem einmal Ware und Geld gleichzeitig die Stelle wechseln, andrerseits das Geld nicht die Ware kauft, sondern den Preis der früher verkauften Ware realisiert. Ferner bringt es die Natur einer Reihe von Gebrauchswerten mit sich, daß sie nicht mit tatsächlicher Überlieferung der Ware, sondern nur durch Überlassimg derselben für eine bestimmte Zeit wirklich veräußert werden. Z.B. wenn der Gebrauch eines Hauses verkauft wird für einen Monat, ist der Gebrauchswert des Hauses erst nach Ablauf des Monats geliefert, obgleich es im Anfang des Monats die Hände wechselt. Da das faktische Überlassen des Gebrauchswerts und seine wirkliche Entäußerung hier der Zeit nach auseinanderfallen, findet die Realisierung seines Preises ebenfalls später statt als sein Stellenwechsel. Endlich aber veranlaßt der Unterschied der Zeitdauer und Zeitepoche, worin die verschiedenen Waren produziert werden, daß der eine als Verkäufer auftritt, während der andere noch nicht als Käufer auftreten kann, und bei der öftern Wiederholung von Kauf und Verkauf unter denselben Warenbesitzern fallen so die beiden Momente des Verkaufs auseinander, entsprechend den Produktionsbedingungen ihrer Waren. So entsteht ein Verhältnis von Gläubiger und Schuldner unter den Warenbesitzern, das zwar die naturwüchsige Grundlage des Kreditsystems bildet, aber vollständig entwickelt sein kann, bevor das letztre existiert. Es ist indes klar, daß mit der Ausbildung des Kreditwesens, also der bürgerlichen Produktion überhaupt, die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel sich ausdehnen wird auf Kosten seiner Funktion als Kaufmittel und noch mehr als Element der Schatzbildung. In England z. B. ist Geld als Münze beinahe ausschließlich in die Sphäre des Detailhandels und des Kleinhandels zwischen
Produzenten und Konsumenten gebannt, während es als Zahlungsmittel die Sphäre der großen Handelstransaktionen beherrscht.* Als allgemeines Zahlungsmittel wird Geld die allgemeine Ware der Kontrakte - zunächst nur innerhalb der Sphäre der Warenzirkulation.** Jedoch mit seiner Entwicklung in dieser Funktion lösen sich allmählich alle andern Formen der Zahlung in Geldzahlung auf. Der Grad, worin Geld als ausschließliches Zahlungsmittel entwickelt ist, zeigt den Grad an, worin der Tauschwert sich der Produktion in ihrer Tiefe undBreite bemächtigt hat.*** Zunächst ist die Masse des als Zahlungsmittel zirkulierenden Geldes bestimmt durch den Belauf der Zahlungen, d. h. die Preissumme der veräußerten Waren, nicht der zu veräußernden, wie im einfachen Geldumlauf. Die so
* Herr Macleod verkennt, trotz seines doktrinären Definitionsdünkels, so sehr die elementarischsten ökonomischen Verhältnisse, daß er das Geld überhaupt entspringen läßt aus seiner entwickeltsten Form, der des Zahlungsmittels. Er sagt unter anderm: Da die Leute nicht immer gleichzeitig ihre wechselseitigen Dienste bedürfen, und nicht in demselben Wertumfang, „so würde ein gewisser Unterschied oder Betrag des Dienstes übrigbleiben, vom Ersten an den Zweiten zahlbar - Schuld". Der Besitzer dieser Schuld braucht die Dienste eines andern, der der seinigen nicht unmittelbar bedarf, und „überträgt dem Dritten die Schuld, die der Erste an ihn hat. Der Schuldschein geht so von einer Hand zur andren - Umlaufmittel... Wenn jemand eine Schuldverpflichtung empfängt, die in Metallgeld ausgedrückt ist, so kann er nicht nur über die Dienste des ursprünglichen Schuldners verfügen, sondern über die der ganzen arbeitenden Gemeinschaft." Macleod, „Theory and Practice of Banking etc.", London 1855, v. I.ch. 1 [p. 23f., 29]. ** Bailey, 1. c. p. 3: „Geld ist die allgemeine Ware der Kontrakte, oder diejenige, in der die Mehrzahl der Eigentumsverträge, die in späterer Zeit erfüllt werden sollen, abgeschlossen werden." *** Senior, 1. c. p. 221, sagt: „Da der Wert aller Dinge in einem bestimmten Zeitraum wechselt, so nimmt man als Zahlungsmittel die Sache, deren Wert am wenigsten wechselt, die Jim längsten eine gegebene Durchschnittsfähigkeit, Sachen zu kaufen, bewahrt. So wird das Geld Ausdruck oder Repräsentant der Werte." Umgekehrt. Weil Gold, Silber etc. Geld, d. h. Dasein des verselbständigten Tauschwerts geworden sind, werden sie allgemeine Zahlungsmittel. Wo die von Herrn Senior erwähnte Rücksicht auf die Dauer der Wertgröße des Geldes eintritt, d. h. in Perioden, wo das Geld durch die Gewalt der Umstände sich als allgemeines Zahlungsmittel durchsetzt, wird grade auch das Schwanken in der Wertgröße des Geldes entdeckt. Eine solche Periode war in England die Zeit der Elisabeth, und es war zu ihrer Zeit, daß Lord Burleigh und Sir Thomas Smith, mit Rücksicht auf die sichtbar werdende Depreziation der edeln Metalle eine Parlamentsakte durchsetzten, die die Universitäten von Oxford und Cambridge verpflichtet, ein Drittel ihrer Grundrenten sich in Weizen und Malz zu reservieren.
bestimmte Summe wird jedoch doppelt modifiziert, erstens durch die Geschwindigkeit, womit dasselbe Geldstück dieselbe Funktion wiederholt oder sich die Masse der Zahlungen als prozessierende Kette von Zahlungen darstellt. A zahlt B, worauf B C zahlt und so fort. Die Geschwindigkeit, womit dasselbe Geldstück seine Funktion als Zahlungsmittel wiederholt, hängt einerseits ab von der Verkettung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner unter den Warenbesitzern, so daß derselbe Warenbesitzer der Gläubiger gegenüber dem einen, Schuldner gegenüber dem andern ist usw., andererseits von der Zeitlänge, die die verschiedenen Zahlungstermine trennt. Diese Kette von Zahlungen oder nachträglichen ersten Metamorphosen der Waren ist qualitativ verschieden von der Kette der Metamorphosen, die sich im Umlauf des Gelds als Zirkulationsmittel darstellt. Letztere erscheint nicht nur in zeitlicher Sukzession, sondern wird erst in derselben. Die Ware wird Geld, dann wieder Ware und befähigt so die andere Ware, Geld zu werden usw., oder der Verkäufer wird Käufer, wodurch ein anderer Warenbesitzer Verkäufer wird. Dieser Zusammenhang entsteht zufällig im Prozeß des Warenaustauschs selbst. Daß aber Geld, womit A den B bezahlt hat, von B an C, von C an D usw. fortgezahlt wird, und zwar in rasch aufeinanderfolgenden Zeiträumen - in diesem äußerlichen Zusammenhang tritt nur ein schon fertig vorhandener gesellschaftlicher Zusammenhang an den Tag. Dasselbe Geld läuft nicht durch verschiedene Hände, weil es als Zahlungsmittel auftritt, sondern es läuft als Zahlungsmittel um, weil die verschiedenen Hände schon ineinandergeschlagen haben. Die Geschwindigkeit, womit das Geld als Zahlungsmittel umläuft, zeigt also ein viel tieferes Hereinziehen der Individuen in den Zirkulationsprozeß, als die Geschwindigkeit, womit das Geld als Münze oder als Kaufmittel umläuft. Die Preissumme gleichzeitiger und daher räumlich nebeneinanderfallender Käufe und Verkäufe bildet die Grenze für Ersetzen der Münzmasse durch Umlaufsgeschwindigkeit. Diese Schranke fällt fort für das als Zahlungsmittel funktionierende Geld. Konzentrieren sich gleichzeitig zu leistende Zahlungen an einem Platz, was zunächst naturwüchsig nur an den großen Sammelpunkten der Warenzirkulation stattfindet, so gleichen sich die Zahlungen als negative und positive Größen gegeneinander aus, indem A an B zu zahlen, zugleich von C Zahlung zu erhalten hat usw. Die als Zahlungsmittel erheischte Summe Geldes wird daher bestimmt sein nicht durch die Preissumme der gleichzeitig zu realisierenden Zahlungen, sondern durch die größere oder geringere Konzentration derselben und die Größe der Bilanz, die nach ihrem wechselseitigen Aufheben als negative und positive Größen übrigbleibt. Eigne Vorrichtungen zu diesen Ausgleichungen entstehen ohne alle
Entwickelung des Kreditwesens, wie z. B. im alten Rom. Die Betrachtung derselben gehört aber ebensowenig hierher, wie die der allgemeinen Zählungstermine, die sich überall in bestimmten Gesellschaftskreisen festsetzen. Hier sei nur noch bemerkt, daß der spezifische Einfluß, den diese Termine auf die periodischen Schwankungen in der Quantität des umlaufenden Geldes ausüben, erst in neuester Zeit wissenschaftlich untersucht worden ist. Soweit sich die Zahlungen ausgleichen als positive und negative Größen, findet gar keine Dazwischenkunft von wirklichem Geld statt. Es entwickelt sich hier nur in seiner Form als Maß der Werte, einerseits im Preis der Ware, andererseits in der Größe der wechselseitigen Obligationen. Außer seinem ideellen Dasein erhält der Tauschwert hier also kein selbständiges Dasein, nicht einmal das Dasein als Wertzeichen, oder das Geld wird nur zu idealem Rechengeld. Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt also den Widerspruch ein, daß es einerseits, soweit sich die Zahlungen ausgleichen, nur ideell als Maß wirkt, andrerseits, soweit die Zahlung wirklich zu verrichten ist, nicht als verschwindendes Zirkulationsmittel, sondern als das ruhende Dasein des allgemeinen Äquivalents, als die absolute Ware, mit einem Wort, als Geld in die Zirkulation hereintritt. Wo daher die Kette der Zahlungen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung sich entwickelt hat, schlägt bei Erschütterungen, die den Fluß der Zahlungen gewaltsam unterbrechen und den Mechanismus ihrer Ausgleichung stören, das Geld plötzlich aus seiner gasartigen hirngewebten Gestalt als Maß der Werte in hartes Geld oder Zahlungsmittel um. In Zuständen entwickelter bürgerlicher Produktion also, worin der Warenbesitzer längst Kapitalist geworden ist, seinen Adam Smith kennt, und vornehm über den Aberglauben lächelt, daß Gold und Silber allein Geld oder daß Geld überhaupt im Unterschied von andern Waren die absolute Ware sei, erscheint Geld plötzlich wieder, nicht als Mittler der Zirkulation, sondern als allein adäquate Form des Tauschwerts, als der einzige Reichtum, ganz wie es der Schatzbildner auffaßt. Als solch ausschließliches Dasein des Reichtums offenbart es sich nicht, wie etwa im Monetarsystem, in der bloß -vorgestellten, sondern in der wirklichen Entwertung und Wertlosigkeit alles stofflichen Reichtums. Es ist dies das besondere Moment der Weltmarktskrisen, das Geldkrise heißt. Das summum bonum1, wonach in solchen Momenten als dem einzigen Reichtum geschrien wird, ist Geld, bares Geld, und daneben erscheinen alle andern Waren, eben weil sie Gebrauchswerte sind, als nutzlos, als Tand, Spielzeug, oder wie unser Doktor Martin Luther sagt, als bloßer Schmuck und Fraß.
1 höchste Gut
Dies plötzliche Umschlagen des Kreditsystems in das Monetarsystem fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen panic, und die Zirkulationsageriten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimnis ihrer eigenen Verhältnisse.* Die Zahlungen machen ihrerseits einen Reservefonds, eine Akkumulation von Geld als Zahlungsmittel nötig. Die Bildung dieser Reservefonds erscheint nicht mehr wie bei der Schatzbildung als der Zirkulation selbst äußerliche Tätigkeit, noch wie bei der Münzreserve als bloß technische Stockung der Münze, sondern Geld muß allmählich aufgesammelt werden, um an bestimmten künftigen Zahlungsterminen vorhanden zu sein. Während also die Schatzbildung in der abstrakten Form, worin sie als Bereicherung gilt, mit derEntwickelung der bürgerlichenProduktion abnimmt,wächst diese durch den Austauschprozeß unmittelbar erheischte Schatzbildung, oder vielmehr ein Teil der Schätze, die sich überhaupt in der Sphäre der Warenzirkulation bilden, wird als Reservefonds von Zahlungsmitteln absorbiert. Je entwickelter die bürgerliche Produktion ist, um so mehr werden diese Reservefonds auf das notwendige Minimum beschränkt. Locke gibt in seiner Schrift über die Herabsetzung des Zinsfußes** interessante Aufschlüsse über die Größe dieser Reservefonds zu seiner Zeit. Man ersieht daraus, welchen bedeutenden Teil des überhaupt umlaufenden Geldes die Reservoirs für Zahlungsmittel in England absorbierten grade in der Epoche, wo sich das Bankwesen zu entwickeln begann. Das Gesetz über die Quantität des zirkulierenden Geldes, wie es sich aus der Betrachtung des einfachen Geldumlaufs ergab, wird wesentlich modifiziert durch den Umlauf des Zahlungsmittels. Bei gegebener Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, sei es als Zirkulationsmittel, sei es als Zahlungsmittel, wird die Gesamtsumme des in einem gegebenen Zeitabschnitt zirkulierenden Geldes bestimmt sein durch die Gesamtsumme der zu realisierenden
* Boisguillebert, der die bürgerlichen Produktionsverhältnisse verhindern möchte, sich gegen die Bürger selbst auf die Hinterfüße zu stellen, faßt mit Vörliebe die Formen des Geldes auf, worin es nur ideell oder nur verschwindend erscheint. So früher das Zirkulationsmittel. So das Zahlungsmittel. Was er wieder nicht sieht, ist der unvermittelte Umschlag aus der idealen Form des Geldes in seine äußerliche Wirklichkeit, daß das harte Geld schon im nur gedachten Maß der Werte latent enthalten, ist. Daß, sagt er, das Geld bloße Form der Waren selbst ist, zeigt sich bei dem Großhandel, wo der Austausch vor sich geht ohne Intervention des Geldes, nachdem „les marchandises sont appreciees"1. „Le detail de la France", 1. c. p. 210. ** Locke, 1. c. p. 17, 18. 1 „die Waren abgeschätzt sind"
Warenpreise [plus] der Gesamtsumme der in derselben Epoche fälligen Zahlungen minus der durch Ausgleichung sich gegeneinander aufhebenden Zahlungen. Das allgemeine Gesetz, daß die Masse des umlaufenden Geldes von den Warenpreisen abhängt, wird dadurch nicht im geringsten berührt, da der Belauf der Zahlungen selbst durch die kontraktlich festgesetzten Preise bestimmt ist. Es zeigt sich aber schlagend, daß selbst Geschwindigkeit des Umlaufs und Ökonomie der Zahlungen als gleichbleibend vorausgesetzt, die Preissumme der in einer bestimmten Periode, z. B. einem Tag, zirkulierenden Warenmassen und die Masse des an demselben Tag zirkulierenden Geldes sich keineswegs decken, denn es zirkulieren eine Masse Waren, deren Preis erst künftig in Geld realisiert wird, und es zirkuliert eine Masse Geld, wofür die entsprechenden Waren längst aus der Zirkulation herausgefallen sind. Die letztere Masse selbst wird davon abhängen, wie groß die Wertsumme der Zahlungen ist, die an demselben Tag fällig werden, obgleich sie zu ganz verschiedenen Perioden kontrahiert sind. Wir sahen, daß der Wechsel im Wert des Goldes und Silbers ihre Funktion als Maß der Werte oder Rechengeld nicht affiziert. Dieser Wechsel wird jedoch entscheidend wichtig für das Geld als Schatz, denn mit dem Steigen oder Fallen des Gold- und Silberwerts steigt oder fällt die Wertgröße des goldnen oder silbernen Schatzes. Noch wichtiger für das Geld als Zahlungsmittel. Die Zahlung erfolgt erst später als der Verkauf der Ware oder das Geld wirkt zu zwei verschiedenen Zeiträumen in zwei verschiedenen Funktionen, erst als Maß der Werte, dann als dieser Messung entsprechendes Zahlungsmittel. Wechselt in dieser Zwischenzeit der Wert der edeln Metalle, oder die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit, so wird dasselbe Quantum Gold oder Silber, wenn es als Zahlungsmittel erscheint, mehr oder weniger wert sein als zur Zeit, wo es als Maß der Werte diente oder der Kontrakt abgeschlossen wurde. Die Funktion einer besondern Ware wie Gold und Silber als Geld oder verselbständigter Tauschwert kommt hier in Kollision mit ihrer Natur als besondrer Ware, deren Wertgröße vom Wechsel ihrer Produktionskosten abhängt. Die große soziale Revolution, die das Fallen im Wert der edlen Metalle in Europa hervorrief, ist ebenso bekannte Tatsache, wie die umgekehrte Revolution, die in einer frühen Epoche der altrömischen Republik bewirkt wurde durch das Steigen im Wert des Kupfers, worin die Schulden der Plebejer kontrahiert waren. Ohne die Wertschwankungen der edlen Metalle in ihrem Einfluß auf das System der bürgerlichen Ökonomie weiter zu verfolgen, ergibt sich schon hier, daß das Fallen im Wert der edeln Metalle die Schuldner auf Kosten der Gläubiger, ein Steigen in ihrem Wert umgekehrt die Gläubiger auf Kosten der Schuldner begünstigt.
c) Weltgeld
Gold wird Geld im Unterschied von Münze, erst indem es sich als Schatz aus der Zirkulation zurückzieht, dann als NichtZirkulationsmittel in sie eintritt, endlich aber die Schranken der innern Zirkulation durchbricht, um als allgemeines Äquivalent in der Welt der Waren zu funktionieren. So wird es Weltgeld. Wie die allgemeinen Gewichtsmaße der edeln Metalle als ursprüngliche Wertmaße dienten, werden innerhalb des Weltmarkts die Rechennamen des Geldes wieder in die entsprechenden Gewichtnamen verwandelt. Wie das formlose Rohmetall (aes rude) die ursprüngliche Form des Zirkulationsmittels und die Münzform ursprünglich selbst nur offizielles Zeichen des in den Metallstücken enthaltenen Gewichts war, so streift das edle Metall als Weltmünze Figur und Gepräge wieder ab und fällt in die gleichgültige Barrenform zurück, oder wenn nationale Münzen, wie russische Imperialen, mexikanische Taler und englische Sovereigns im Ausland zirkulieren, wird ihr Titel gleichgültig und gilt nur ihr Gehalt. Als internationales Geld endlich vollziehn die edeln Metalle wieder ihre ursprüngliche Funktion als Tauschmittel, die, wie der Warenaustausch selbst, nicht im Innern der naturwüchsigen Gemeinwesen, sondern an den Berührungspunkten verschiedner Gemeinwesen entsprang. Als Weltgeld erhält also das Geld seine naturwüchsig erste Form zurück. Indem es die innere Zirkulation verläßt, streift es die besondern Formen wieder ab, die aus der Entwicklung des Austauschprozesses innerhalb jener besondern Sphäre hervorwuchsen, seine Lokalformen als Maßstab der Preise, Münze, Scheidemünze und Wertzeichen. Wir sahen, daß in der innern Zirkulation eines Landes nur eine Ware als Maß der Werte dient. Da aber in dem einen Lande Gold, in dem andern Silber diese Funktion verrichtet, gilt auf dem Weltmarkt ein doppeltes Maß der Werte und verdoppelt das Geld seine Existenz auch in allen andern Funktionen. Die Übersetzung der Warenwerte aus Goldpreisen in Silberpreise und umgekehrt wird jedesmal bestimmt durch den relativen Wert beider Metedle, der beständig wechselt und dessen Festsetzung daher als beständigerProzeß erscheint.Die Wareninhaber jeder innern Zirkulationssphäre sind gezwungen, Gold und Silber abwechselnd für die auswärtige Zirkulation zu gebrauchen und so das Metall, das im Inland als Geld gilt, gegen das Metall auszutauschen, das sie gerade im Ausland als Geld brauchen. Jede Nation wendet also beide Metalle, Gold und Silber, als Weltgeld an. In der internationalen Warenzirkulation erscheinen Gold und Silber nicht als Zirkulationsmittel, sondern als allgemeine Tauschmittel. Das allgemeine
Tauschmittel funktioniert aber nur in den beiden entwickelten Formen des Kaufmittels und des Zahlungsmittels, deren Verhältnis sich jedoch auf dem Weltmarkt umkehrt. In der Sphäre der innern Zirkulation wirkte das Geld, soweit es Münze war, den Mittler der prozessierenden Einheit W-G-W oder die nur verschwindende Form des Tauschwerts im unaufhörlichen Stellenwechsel der Waren darstellte, ausschließlich als Kaufmittel. Auf dem Weltmarkt umgekehrt. Gold und Silber erscheinen hier als Kaufmittel, wenn der Stoffwechsel nur einseitig ist und daher Kauf und Verkauf auseinanderfallen. Der Grenzhandel zu KiachtaC24] z. B. ist tatsächlich und durch Vertrag Tauschhandel, worin Silber nur Wertmaß. Der Krieg von 1857-1858C25] bestimmte die Chinesen, zu verkaufen, ohne zu kaufen. Nun erschien Silber plötzlich als Kaufmittel. Aus Rücksicht auf den Wortlaut des Vertrags verarbeiteten die Russen französische Fünffrankenstücke in rohe Silberwaren, die als Tauschmittel dienten. Silber funktioniert fortwährend als Kaufmittel zwischen Europa und Amerika auf der einen Seite, Asien auf der andern, wo es sich als Schatz niederschlägt. Ferner funktionieren die edeln Metalle als internationale Kauf mittel, sobald das herkömmliche Gleichgewicht des Stoffwechsels zwischen zwei Nationen plötzlich unterbrochen wird, Mißernte z. B. die eine derselben in außerordentlichem Maß zu kaufen zwingt. Endlich sind die edlen Metalle internationales Kaufmittel in der Hand der Gold und Silber produzierenden Länder, wo sie unmittelbares Produkt und Ware, nicht die verwandelte Form der Ware sind. Je mehr der Warenaustausch zwischen verschiedenen nationalen Zirkulationssphären sich entwickelt, entwickelt sich die Funktion des Weltgeldes als Zahlungsmittel zur Ausgleichung der internationalen Bilanzen. Wie die innere Zirkulation, so erheischt die internationale Zirkulation eine stets wechselnde Quantität von Gold und Silber. Ein Teil der aufgehäuften Schätze dient daher bei jedem Volk als Reservefonds des Weltgeldes, der sich bald entleert, bald wieder füllt, entsprechend den Oszillationen des Warenaustausches.* Außer den besondern Bewegungen, worin es zwischen den nationalen1 Zirkulationssphären hin und her iäuft, besitzt das Weltgeld eine allgemeine Bewegung, deren Ausgangspunkte an den
* „Das angehäufte Geld kommt zu der Summe hinzu, die, um wirklich in Zirkulation zu sein und um den Möglichkeiten des Handels zu genügen, sich entfernt und die Sphäre der Zirkulation selbst verläßt." (G.R. Carli, Note zu Verri, „Meditazioni sulla Economia Politica", p. 192, t. XV bei Custodi 1. c.)
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) internationalen
Produktionsquellen liegen, von denen aus Gold- und Silber ströme sieb in verschiedener Richtung über den Weltmarkt wälzen. Als Waren treten Gold und Silber hier in die Weltzirkulation und sind als Äquivalente im Verhältnis zu der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit gegen Warenäquivalente ausgetauscht, bevor sie in die innern Zirkulationssphären fallen. In denselben erscheinen sie daher mit gegebener Wertgröße. Jedes Fallen oder Steigen im Wechsel ihrer Produktionskosten affiziert daher gleichmäßig auf dem Weltmarkt ihren relativen Wert, der dagegen durchaus unabhängig ist von dem Grad, worin verschiedne nationale Zirkulationssphären Gold oder Silber verschlucken. Der Teil des Metallstroms, der von jeder besondern Sphäre der Warenwelt aufgefangen wird, geht teils unmittelbar in den innern Geldumlauf ein, zum Ersatz der verschlißnen Metallmünzen, wird teils abgedämmt in den verschiednen Schatzreservoirs von Münze, Zahlungsmittel und Weltgeld, teils verwandelt in Luxusartikel, während der Rest endlich Schatz schlechthin wird. Auf entwickelter Stufe der bürgerlichen Produktion wird die Bildung der Schätze auf das Minimum beschränkt, das die verschiednen Prozesse der Zirkulation zum freien Spiel ihres Mechanismus erheischen. Schatz als solcher wird hier nur der brachliegende Reichtum wenn nicht augenblickliche Form eines Überschusses in der Bilanz der Zahlungen, das Resultat unterbrochnen Stoffwechsels und darum Erstarrung der Ware in ihrer ersten Metamorphose. Wie Gold und Silber als Geld ihrem Begriff nach die allgemeine Ware sind, so erhalten sie im Weltgeld die entsprechende Existenzform der universellen Ware. Im Verhältnis wie alle Produkte sich gegen sie veräußern, werden sie die verwandelte Gestalt aller Waren und daher die allseitig veräußerliche Ware. Als Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit werden sie verwirklicht, im Maße wie der Stoffwechsel der realen Arbeiten den Erdboden umspannt. Sie werden allgemeines Äquivalent in dem Grad, worin sich die Reihe der besondern Äquivalente entwickelt, die ihre Austauschsphäre bilden. Weil in der Weltzirkulation die Waren ihren eignen Tauschwert universell entfalten, erscheint dessen in Gold und Silber verwandelte Gestalt als Weltgeld. Während also die Nationen von Warenbesitzern durch ihre allseitige Industrie und allgemeinen Verkehr Gold zu adäquatem Geld umschaffen, erscheinen ihnen Industrie und Verkehr nur als Mittel, um das Geld in der Form von Gold und Silber dem Weltmarkt zu entziehn. Gold und Silber als Weltgeld sind daher ebensowohl Produkt der allgemeinen Warenzirkulation wie Mittel, ihre Kreise weiter zu ziehn. Wie hinter dem Rücken der Alchimisten, indem sie Gold machen wollten, die Chemie erwuchs, so springen hinter dem Rücken der Warenbesitzer, indem sie der Ware in ihrer verzauberten
Gestalt nachjagen, die Quellen der Weltindustrie und des Welthandels auf. Gold und Silber helfen den Weltmarkt schaffen, indem sie in ihrem Geldbegriff sein Dasein antizipieren. Daß diese ihre Zauberwirkung keineswegs auf die Kinderjahre der bürgerlichen Gesellschaft beschränkt ist, sondern notwendig hervorwächst aus der Verkehrung, worin den Trägern der Warenwelt ihre eigne gesellschaftliche Arbeit erscheint, beweist der außerordentliche Einfluß, den die Entdeckung neuer Goldländer in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Weltverkehr ausübt. Wie sich das Geld zum Weltgeld, entwickelt sich der Warenbesitzer zum Kosmopoliten. Die kosmopolitische Beziehung der Menschen zueinander ist ursprünglich nur ihr Verhältnis als Warenbesitzer. Die Ware ist an und für sich über jede religiöse, politische, nationale und sprachliche Schranke erhaben. Ihre allgemeine Sprache ist der Preis und ihr Gemeinwesen ist das Geld. Aber mit der Entwicklung des Weltgeldes im Gegensatz zur Landesmünze entwickelt sich der Kosmopolitismus des Warenbesitzers als Glaube der praktischen Vernunft im Gegensatz zu angestammten religiösen, nationalen und andern Vorurteilen, die den Stoffwechsel der Menschheit hemmen. Wie dasselbe Gold, das in der Form amerikanischer eagles in England landet, zum Sovereign wird, nach drei Tagen in Paris als Napoleon umläuft, nach einigen Wochen sich in Venedig als Dukate wiederfindet, aber stets denselben Wert behält, wird dem Warenbesitzer klar, daß die Nationalität „is but the guineä's stamp"1. Die erhabene Idee, worin ihm die ganze Welt aufgeht, ist die eines Marktes - des Weltmarkts.*
4. Die edeln Metalle
Der bürgerliche Produktionsprozeß bemächtigt sich zunächst der metallischen Zirkulation als eines fertig überlieferten Organes, das zwar allmählich umgestaltet wird, jedoch stets seine Grundkonstruktion bewahrt. Die Frage,
* Montanari, „Deila Moneta" (1683), 1. c. p. 40: „Die Verbindung zwischen allen Völkern ist derart über den ganzen Erdball ausgedehnt, daß man beinahe sagen kann, die ganze Welt sei eine einzige Stadt geworden, in der ständiger Jahrmarkt aller Waren herrscht und jedermann, in seinem Hause sitzend, vermittels des Geldes sich verschaffen und genießen kann von all dem, was die Erde, die Tiere und der menschliche Fleiß anderswo hervorgebracht haben. Eine wunderbare Erfindung."
1 „nur die Prägung der Guinee ist"
warum statt andrer Waren Gold und Silber als Material des Geldes dienen, fällt jenseits der Grenze des bürgerlichen Systems. Wir fassen daher nur summarisch die wesentlichsten Gesichtspunkte zusammen. Da die allgemeine Arbeitszeit selbst nur quantitative Unterschiede zuläßt, muß der Gegenstand, der als ihre spezifische Inkarnation gelten soll, fähig sein, rein quantitative Unterschiede darzustellen, so daß Dieselbigkeit, Gleichförmigkeit der Qualität vorausgesetzt ist. Es ist dies die erste Bedingung für die Funktion einer Ware als Wertmaß. Schätze ich z. B. alle Waren in Ochsen, Häuten, Getreide usw., so muß ich sie in der Tat in idealem DurchschnittsOchsen, Durchschnitts-Haut messen, da Ochs von Ochs, Getreide von Getreide, Haut von Haut qualitativ verschieden ist. Gold und Silber dagegen sind als einfache Körper stets sich selbst gleich und gleiche Quanta derselben stellen daher gleich große Werte dar.* Die andre, direkt aus der Funktion rein quantitative Unterschiede darzustellen, hervorgehende Bedingung für die Ware, die als allgemeines Äquivalent dienen soll, ist die Möglichkeit ihrer Zerschneidung in beliebige Teile und deren Wiederzusammensetzbarkeit, so daß das Rechengeld auch sinnlich dargestellt werden kann. Gold und Silber besitzen diese Eigenschaften in vorzüglichem Grad. Als Zirkulationsmittel besitzen Gold und Silber vor andern Waren den Vorzug, daß ihrem großen spezifischen Gewicht, relativ viel Schwere in kleinem Raum darzustellen, ihr ökonomisch spezifisches Gewicht entspricht, relativ viel Arbeitszeit, d.h. großen Tauschwert in kleinem Umfang einzuschließen. Dadurch ist Leichtigkeit des Transports, der Übertragung von einer Hand in die andre, und von einem Land in das andre, die Fähigkeit, ebenso rasch zu erscheinen wie zu verschwinden - kurz, die materielle Beweglichkeit gewährleistet, das sine qua non1 der Ware, die als perpetuum mobile des Zirkulationsprozesses dienen soll. Der hohe spezifische Wert der edeln Metalle, Dauerbarkeit, relative Unzerstörbarkeit, Nichtoxydierbarkeit an der Luft, bei dem Gold speziell seine Unauflösbarkeit in Säuren, außer in Königswasser, alle diese natürlichen Eigenschaften machen die edeln Metalle zum natürlichen Material der Schatzbildung. Peter Martyr, der ein großer Freund der Schokolade gewesen zu sein
* „Die Metalle besitzen die Eigentümlichkeit und Besonderheit, daß in ihnen allein alle Verhältnisse zurückgeführt sind auf eines, das ist ihre Quantität, daß sie Von der Natur keine verschiedene Qualität erhalten haben, weder im innern Bau, noch in der äußern Form und Bearbeitung." (Galiani, 1. c. p. 126/127.)
1 die unerläßliche Bedingung
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
scheint, bemerkt daher von den Kakaosäcken, die eine der mexikanischen Geldsorten bildeten:
„0 glückliches Geld, das dem Menschengeschlecht ein süßes und nahrhaftes Getränk bietet und seine unschuldigen Besitzer vor der höllischen Seuche der Habgier bewahrt, weil es nicht vergraben noch lange aufbewahrt werden kann." („De orbe novo".)1261
Die große Bedeutung von Metallen überhaupt innerhalb des unmittelbaren Produktionsprozesses hängt zusammen mit ihrer Funktion als Produktionsinstrumente. Abgesehen von ihrer Seltenheit macht die große Weichheit des Goldes und des Silbers, verglichen mit Eisen und selbst mit Kupfer (in dem gehärteten Zustand, worin die Alten es brauchten), sie unfähig zu dieser Nutzanwendimg und beraubt sie daher in großem Umfang der Eigenschaft, worauf der Gebrauchswert der Metalle überhaupt beruht. So nutzlos, wie sie innerhalb des unmittelbaren Produktionsprozesses sind, so entbehrlich erscheinen sie als Lebensmittel, als Gegenstände der Konsumtion. Jede beliebige Quantität derselben kann daher in den gesellschaftlichen Zirkulationsprozeß eingehen, ohne die Prozesse der unmittelbaren Produktion und Konsumtion zu beeinträchtigen. Ihr individueller Gebrauchswert gerät nicht in Widerstreit mit ihrer ökonomischen Funktion. Andrerseits sind Gold und Silber nicht nur negativ überflüssige, d.h. entbehrliche Gegenstände, sondern ihre ästhetischen Eigenschaften machen sie zum naturwüchsigen Material von Pracht, Schmuck, Glanz, sonntäglichen Bedürfnissen, kurz zur positiven Form des Uberflusses und Reichtums. Sie erscheinen gewissermaßen als gediegenes Licht, das aus der Unterwelt hervorgegraben wird, indem das Silber alle Lichtstrahlen in ihrer ursprünglichen Mischung, das Gold nur die höchste Potenz der Farbe, das Rot, zurückwirft. Farbensinn aber ist die populärste Form des ästhetischen Sinnes überhaupt. Der etymologische Zusammenhang der Namen der edeln Metalle in den verschiedenen indogermanischen Sprachen mit Farbenbeziehungen ist von Jakob Grimm nachgewiesen worden. (Siehe seine Geschichte der deutschen Sprache.) Endlich die Fähigkeit von Gold und Silber, aus der Form der Münze in die Barrenform, aus der Barrenform in die Form von Luxusartikeln und umgekehrt verwandelt zu werden, ihr Vorzug als vor andern Waren, nicht in einmal gegebene, bestimmte Gebrauchsformen gebannt zu sein, macht sie zum natürlichen Material des Geldes, das beständig aus einer Formbestimmtheit in die andre umschlagen muß. Die Natur produziert kein Geld, so wenig wie Bankiers oder einen Wechselkurs. Da die bürgerliche Produktion aber den Reichtum als Fetisch
in der Form eines einzelnen Dings kristallisieren muß, sind Gold und Silber seine entsprechende Inkarnation. Gold und Silber sind von Natur nicht Geld, aber Geld ist von Natur Gold und Silber. Einerseits ist der silberne oder goldne Geldkristall nicht nur Produkt des Zirkulationsprozesses, sondern in der Tat sein einziges ruhendes Produkt. Andrerseits sind Gold und Silber fertige Naturprodukte, und sie sind das erste unmittelbar, wie sie das zweite sind, durch keine Formverschiedenheit getrennt. Das allgemeine Produkt des gesellschaftlichen Prozesses oder der gesellschaftliche Prozeß selbst als Produkt ist ein besonderes Naturprodukt, in den Eingeweiden der Erde steckendes und aus ihr ausgrabbares Metall.* Wir haben gesehn, daß Gold und Silber den Anspruch, der an sie als Geld gestellt wird, gleichbleibende Wertgröße zu sein, nicht erfüllen können. Indes besitzen sie, wie schon Aristoteles bemerkt, permanentere Wertgröße als der Durchschnitt der andern Waren. Abgesehn von der allgemeinen Wirkung einer Appreziation oder Depreziation der edeln Metalle, sind die Schwankungen des Wertverhältnisses von Gold und Silber von besondrer Wichtigkeit, da beide nebeneinander auf dem Weltmarkt als Materie des Geldes dienen. Die rein ökonomischen Gründe dieses Wertwechsels - Eroberungen und andre politische Umwälzungen, die großen Einfluß auf den Wert der Metalle in der alten Welt ausübten, wirken nur lokal und vorübergehend - müssen auf den Wechsel der zur Produktion dieser Metalle erheischten Arbeitszeit zurückgeführt werden. Diese selbst wird abhängen von ihrer relativen natürlichen Seltenheit, wie von der größern oder mindern Schwierigkeit, die ihre Bemächtigung in rein metallischem Zustand bietet. Gold ist in der Tat das erste Metall, das der Mensch entdeckt. Einerseits stellt die Natur selbst es in gediegener kristallinischer Form dar, individualisiert, chemisch unverbunden mit andern Körpern, oder wie die Alchimisten sagten, in jungfräulichem Zustand; andrerseits übernimmt die Natur selbst in den großen Goldwäschereien der Flüsse das Werk der Technologie. Auf Seiten des Menschen ist so nur die roheste Arbeit erheischt, sei es für Gewinnung des Flußgoldes, sei es des Goldes in aufgeschwemmtem Land,
* Im Jahre 760 wanderte eine Masse armer Leute aus, um den Flußgoldsand südlich von Prag auszuwaschen, und drei Mann waren fähig, in einem Tag eine Mark Gold zu extrahieren. Infolge davon wurde der Zulauf j?u den „diggings"1 und die Zahl der dem Ackerbau entzogenen Hände so groß, daß das Land das nächste Jahr von Hungersnot heimgesucht wurde. (Siehe M.G.Körner, „Abhandlung von dem Alterthum des böhmischen Bergwerks", Schneeberg 1758 [p. 37 seq.])
1 „Goldfundstätten"
während die Darstellung des Silbers Minenarbeit und überhaupt eine relativ hohe Entwicklung der Technik voraussetzt. Trotz seiner kleinem absoluten Seltenheit ist daher der ursprüngliche Wert des Silbers relativ größer als der des Goldes. Strabos Versicherung, daß bei einem Stamme der Araber 10 Pfund Gold für 1 Pfund Eisen und 2 Pfund Gold für i Pfund Silber gegeben wurden, erscheint keineswegs unglaublich. Im Verhältnis aber, wie sich die Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit entwickeln und sich daher das Produkt der einfachen Arbeit verteuert gegen das der kombinierten, wie die Rinde der Erde allseitiger aufgebrochen wird, und die ursprünglichen oberflächlichen Quellen der Goldzufuhr versiegen, wird der Wert des Silbers fallen im Verhältnis zum Wert des Goldes. Auf einer gegebenen Entwicklungsstufe der Technologie und der Kommunikationsmittel wird die Entdeckung neuer Gold- oder Silberländer schließlich in die Waagschale fallen. Im alten Asien war das Verhältnis von Gold zu Silber wie 6 zu 1 oder 8 zu 1, letzteres Verhältnis in China und Japan noch im Anfang des 19. Jahrhunderts; 10 zu 1, das Verhältnis zu Xenophons Zeit, kann als Durchschnittsverhältnis des mittlem Altertums betrachtet werden. Die Ausbeutung der spanischen Silberminen durch Karthago und später durch Rom wirkte annähernd im Altertum wie die Entdeckung der amerikanischen Minen im modernen Europa. Für die römische Kaiserzeit kann 15 oder 16 zu 1 als rauhe Durchschnittszahl genommen werden, obgleich wir häufig tiefere Depreziation des Silbers in Rom finden. Dieselbe Bewegung, beginnend mit der relativen Depreziation des Goldes und endend mit dem Fall des Silberwerts, wiederholt sich in der folgenden Epoche, die sich vom Mittelalter bis zur neusten Zeit erstreckt. Wie zur Zeit Xenophons steht das Durchschnittsverhältnis im Mittelalter wie 10 zu 1 und schlägt infolge der Entdeckung der amerikanischen Minen wieder um zu 16 oder 15 zu 1. Die Entdeckung der australischen, kalifornischen und kolumbischen Goldquellen macht einen abermaligen Fall im Wert des Goldes wahrscheinlich.*
* Bisher haben die australischen usw. Entdeckungen das Wertverhältnis von Gold und Silber noch nicht berührt. Die gegenteiligen Behauptungen Michel Chevaliers sind gerade soviel wert wie der Sozialismus dieses Ex-St.-Simonisten. Die Quotationen des Silbers auf dem Londoner Markt beweisen allerdings, daß der Durchschnitts-Goldpreis des Silbers während 1850 bis 1858 um nicht ganz 3 % höher steht als während der Periode 1830-1850. Dies Steigen ist aber einfach aus der asiatischen Silbernachfrage zu erklären. Während 1852-1858 wechselt der Silberpreis in den einzelnen Jahren und Monaten nur mit dieser Nachfrage, keineswegs mit der Goldzufuhr von den neu entdeckten Quellen. Folgendes ist eine Ubersicht der Goldpreise des Silbers auf dem Londoner Markt:
C. Theorien über Zirkulationsmittel und Geld
Wie eine allgemeine Goldgier Völker und Fürsten im 16. und 1 J.Jahrhundert, der Kindheitsperiode der modernen bürgerlichen Gesellschaft, in überseeische Kreuzzüge nach dem goldnen Gral jagte*, so proklamierten die ersten Dolmetscher der modernen Welt, die Urheber des Monetarsystems, wovon das Merkantilsystem nur eine Variante ist, Gold und Silber, d. h. Geld, als den einzigen Reichtum. Richtig sprachen sie den Beruf der bürgerlichen Gesellschaft dahin aus, Geld zu machen, also, vom Standpunkt der einfachen Warenzirkulation, den ewigen Schatz zu bilden, den weder Motten noch Rost fressen. Es wird dem Monetarsystem nicht damit geantwortet, daß eine Tonne Eisen vom Preis von 3 Pfd. St. eine ebenso große Wertgröße als 3 Pfd. St. Gold ist. Es handelt sich hier nicht um die Größe des Tauschwerts, sondern um seine adäquate Form. Wenn das Monetär- und Merkantilsystem den Welthandel und die unmittelbar in den Welthandel mündenden besondern Zweige der nationalen Arbeit als die einzig wahren Quellen von Reichtum oder Geld auszeichnet, ist zu erwägen, daß in jener Epoche der größte Teil der nationalen Produktion sich noch in feudalen Formen bewegte und als unmittelbare Subsistenzquelle den Produzenten selbst diente. Die Produkte verwandelten sich großenteils nicht in Waren und daher nicht in Geld, gingen überhaupt nicht in den allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsel ein, erschienen daher nicht als Vergegenständlichung der allgemeinen abstrakten Arbeit und bildeten in der Tat keinen bürgerlichen Reichtum. Geld als Zweck der Zirkulation ist der Tauschwert oder der abstrakte Reichtum, nicht irgendein stoffliches Element des Reichtums, als bestimmender Zweck und treibendes Motiv der Produktion. Wie es der Vorstufe der bürgerlichen
* „Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von allem, was er wünscht. Durch Gold kann man Seelen in das Paradies gelangen lassen." (Columbus in einem Brief aus Jamaica, 1503.) [Note im Handexemplar.]
Preis des Silbers per Unze:
Jahr 1852. 1853. 1854. 1855 1856 1857 1858
Produktion entsprach, hielten jene verkannten Propheten an der gediegenen, handgreiflichen und glänzenden Form des Tauschwerts fest, an seiner Form als allgemeine Ware im Gegensatz zu allen besondern Waren. Die eigentlich bürgerlich ökonomische Sphäre der damaligen Zeit war die Sphäre der Warenzirkulation. Vom Gesichtspunkt dieser elementarischen Sphäre aus beurteilten sie daher den ganzen verwickelten Prozeß der bürgerlichen Produktion und verwechselten Geld mit Kapital. Der unauslöschliche Kampf der modernen Ökonomen gegen das Monetär- und Merkantilsystem rührt großenteils daher, daß dieses System in brutal-naiver Form das Geheimnis der bürgerlichenProduktion ausplaudert, ihr Beherrschtsein durch den Tauschwert. Ricardo, wenn auch zum Behuf falscher Nutzanwendung, bemerkt irgendwo, daß selbst in Zeiten der Hungersnot Getreide eingeführt wird, nicht weil die Nation hungert, sondern weil der Kornhändler Geld macht. In ihrer Kritik des Monetär- und Merkantilsystems fehlt die politische Ökonomie also, indem sie dieses System als bloße Illusion, als nur falsche Theorie befeindet, nicht als barbarische Form ihrer eigenen Grundvoraussetzung wiedererkennt. Zudem behält dieses System nicht nur ein historisches Recht, sondern innerhalb bestimmter Sphären der modernen Ökonomie volles Bürgerrecht. Auf allen Stufen des bürgerlichen Produktionsprozesses, wo der Reichtum die elementarische Form der Ware annimmt, nimmt der Tauschwert die elementarische Form des Geldes an, und in allen Phasen des Produktionsprozesses fällt der Reichtum immer wieder für einen Augenblick in die allgemeine elementarische Form der Ware zurück. Selbst in der entwickeltsten bürgerlichen Ökonomie werden die spezifischen Funktionen des Goldes und Silbers als Geld im Unterschied von ihrer Funktion als Zirkulationsmittel und im Gegensatz zu allen übrigen Waren nicht aufgehoben, sondern nur beschränkt, behalten also Monetär- und Merkantilsystem ihr Recht. Die katholische Tatsache, daß Gold und Silber als unmittelbare Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, daher als Dasein des abstrakten Reichtums, den andern profanen Waren gegenübertreten, verletzt natürlich das protestantische point d'honneur1 der bürgerlichen Ökonomie, und aus Angst vor den Vorurteilen des Monetarsystems büßte sie für lange Zeit das Urteil über die Phänomene der Geldzirkulation ein, wie die folgende Darstellung zeigen wird. Im Gegensatz zum Monetär- und Merkantilsystem, die das Geld nur in seiner Formbestimmtheit als kristallisches Produkt der Zirkulation kennen, war es ganz in der Ordnung, daß die klassische Ökonomie es zunächst in seiner flüssigen Form auffaßte, als innerhalb der Warenmetamorphose selbst
1 Ehrgefühl
erzeugte und wieder verschwindende Form des Tauschwerts. Wie daher die Warenzirkulation ausschließlich in der Form W-G-W und diese wieder ausschließlich in der Bestimmtheit der prozessierenden Einheit von Verkauf und Kauf aufgefaßt wird, wird das Geld in seiner Formbestimmtheit als Zirkulationsmittel gegen seine Formbestimmtheit als Geld behauptet. Wird das Zirkulationsmittel selbst in seiner Funktion als Münze isoliert, so verwandelt es sich, wie wir sahen, in Wertzeichen. Da aber der klassischen Ökonomie zunächst die metallische Zirkulation als herrschende Form der Zirkulation gegenüberstand, faßt sie das metallische Geld als Münze, die metallische Münze als bloßes Wertzeichen. Dem Gesetz der Zirkulation der Wertzeichen entsprechend, wird so der Satz aufgestellt, daß die Preise der Waren abhängen von der Masse des zirkulierenden Geldes, nicht umgekehrt die Masse des zirkulierenden Geldes von den Preisen der Waren. Wir finden diese Ansicht bei italienischen Ökonomen des 17. Jahrhunderts mehr oder minder angedeutet, bald bejaht, bald verneint von Locke, bestimmt entwickelt vom „Spectator" (in Nummer vom 19. Oktober 1711), von Montesquieu und Hume. Da Hume bei weitem der bedeutendste Repräsentant dieser Theorie im 18. Jahrhundert ist, eröffnen wir mit ihm unsre Rundschau. Unter bestimmten Voraussetzungen scheint eine Vermehrung oder Verminderung in der Quantität, sei es des zirkulierenden Metallgeldes, sei es der zirkulierenden Wertzeichen, gleichmäßig auf die Warenpreise zu wirken. Fällt oder steigt der Wert des Goldes oder Silbers, worin die Tauschwerte der Waren als Preise geschätzt sind, so steigen oder fallen die Preise, weil ihr Wertmaß sich geändert hat, und mehr oder minder Gold und Silber zirkulieren als Münze, weil die Preise gestiegen oder gefallen sind. Das sichtbare Phänomen aber ist Veränderung der Preise, bei gleichbleibendem Tauschwert der Waren, mit vermehrter oder verminderter Quantität der Zirkulationsmittel. Fällt oder steigt andrerseits die Quantität der zirkulierenden Wertzeichen über oder unter ihr notwendiges Niveau, so werden sie gewaltsam auf dasselbe reduziert durch Fallen oder Steigen der Warenpreise. In beiden Fällen scheint dieselbe Wirkimg durch dieselbe Ursache hervorgebracht, und an diesem Schein hielt Hume fest. Jede wissenschaftliche Untersuchung über das Verhältnis von Anzahl der Zirkulationsmittel und Preisbewegung der Waren muß den Wert des Geldmaterials als gegeben voraussetzen. Hume dagegen betrachtet ausschließlich Epochen der Revolution im Wert der edeln Metalle selbst, also Revolutionen im Maß der Werte. Das Steigen der Warenpreise gleichzeitig mit der Zunahme des Metallgelds seit der Entdeckung der amerikanischen Minen bildet den geschichtlichen Hintergrund seiner Theorie, wie die Polemik gegen das
Monetär- und Merkantilsystem ihr praktisches Motiv abgab. Die Zufuhr der edeln Metalle kann natürlich vermehrt werden bei gleichbleibenden Produktionskosten derselben. Andrerseits wird die Verminderung in ihrem Wert, d. h. in der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit, sich zunächst nur zeigen in der Vermehrung ihrer Zufuhr. Also, sagten später Schüler von Hume, zeigt sich der verminderte Wert der edeln Metalle in der wachsenden Masse der Zirkulationsmittel und die wachsende Masse der Zirkulationsmittel im Steigen der Warenpreise. In der Tat aber wächst nur der Preis der exportierten Waren, die sich mit Gold und Silber als Ware und nicht als Zirkulationsmittel austauschen. So steigt der Preis dieser Waren, die in Gold und Silber von gesunkenem Wert geschätzt sind, gegenüber allen übrigen Waren, deren Tauschwert fortfährt, in Gold oder Silber nach dem Maßstab ihrer alten Produktionskosten geschätzt zu werden. Diese doppelte Schätzung der Tauschwerte der Waren in demselben Lande kann natürlich nur temporär sein, und die Gold- oder Silberpreise müssen sich ausgleichen in den durch die Tauschwerte selbst bestimmten Proportionen, so daß schließlich die Tauschwerte aller Waren dem neuen Wert des Geldmaterials entsprechend geschätzt werden. Die Entwickelung dieses Prozesses gehört ebensowenig hierher wie die Art und Weise, worin überhaupt innerhalb der Schwankungen der Marktpreise der Tauschwert der Waren sich durchsetzt. Daß aber diese Ausgleichung in minder entwickelten Epochen der bürgerlichen Produktion sehr allmählich ist und sich über lange Perioden verteilt, jedenfalls aber nicht gleichen Schritt hält mit der Vermehrung der umlaufenden Barschaften, ist durch neue kritische Untersuchungen über die Bewegung der Warenpreise im 16. Jahrhundert schlagend bewiesen worden.* Ganz ungehörig sind die von Humes Schülern beliebten Beziehungen auf das Steigen der Preise im antiken Rom infolge der Eroberung von Makedonien, Ägypten und Kleinasien. Die der alten Welt eigentümliche, plötzliche und gewaltsame Übertragung aufgespeicherter Geldschätze von einem Lande in das andere, die temporäre Reduktion der Produktionskosten der edeln Metalle für ein bestimmtes Land durch den einfachen Prozeß der Plünderung, berühren ebensowenig die immanenten Gesetze der Geldzirkulation, wie etwa die Gratisverteilung von ägyptischem und sizilischem Getreide in Rom das allgemeine Gesetz, das den Getreidepreis regelt. Das zur Detailbeobachtung des Geldumlaufs erheischte Material, einerseits gesichtete Geschichte der Waren
* Diese Allmählichkeit gibt Hume übrigens zu, so wenig sie seinem Prinzip entspricht. Siehe David Hume, „Essays andtreatises on several subjects", ed. London 1777, vol. I, p. 300.
preise, andererseits offizielle und fortlaufende Statistik über Expansion und Kontraktion des zirkulierenden Mediums, Zufluß und Abfluß der edeln Metalle usw., ein Material, das überhaupt erst mit völlig entwickeltem Bankwesen entsteht, mangelte Hume wie allen andern Schriftstellern des 18. Jahrhunderts. Humes Zirkulationstheorie faßt sich in folgenden Sätzen zusammen: 1. Die Preise der Waren in einem Lande sind bestimmt durch die in ihm befindliche Geldmasse (realem Geld oder symbolischem). 2. Das in einem Lande zirkulierende Geld repräsentiert alle in ihm befindlichen Waren. Im Verhältnis wie die Anzahl der Repräsentanten wächst, d.h. des Geldes, kommt mehr oder minder von der repräsentierten Sache auf den einzelnen Repräsentanten. 3. Werden die Waren vermehrt, so fällt ihr Preis oder der Wert des Geldes steigt. Wird das Geld vermehrt, so wächst umgekehrt der Preis der Waren und der Wert des Geldes fällt.*
„Die Teuerkeit aller Dinge", sagt Hume, „infolge von Geldüberfluß ist ein Nachteil für jeden bestehenden Handel, indem er den ärmerh Ländern erlaubt, reichere zu unterkaufen auf allen fremden Märkten.** Es kann keine Wirkung, gute oder schlechte, ausüben, wenn wir eine Nation für sich selbst betrachten, ob viel oder wenig Münze zum Zählen oder Repräsentieren der Waren vorhanden ist, so wenig wie die Bilanz eines Kaufmanns alteriert würde, wenn er in der Buchführung, statt der arabischen Rechenweise, die wenig Ziffern erheischt, die römische anwendete, die einer größeren Anzahl bedarf. Ja, die größere Quantität des Geldes, gleich den römischen Rechencharakteren, ist vielmehr unbequem und kostet mehr Mühe sowohl für Aufbewahrung als Transport."***
Um überhaupt etwas zu beweisen, hätte Hume zeigen müssen, daß in einem gegebenen System von Rechencharakteren die Masse der angewandten Ziffern nicht von der Größe des Zahlenwerts, sondern die Größe des Zahlenwerts umgekehrt von der Masse der angewandten Charaktere abhängt. Es ist sehr richtig, daß es kein Vorteil ist, die Warenwerte in Gold oder Silber von gesunkenem Wert zu schätzen oder zu „zählen", und daher fanden es die Völker mit dem Wachstum der Wertsumme der zirkulierenden Waren stets bequemer, in Silber zu zählen als in Kupfer, und in Gold als in Silber. Im Maß wie sie reicher wurden, verwandelten sie die minder wertvollen Metalle in subsidiäre Münze und die wertvollem in Geld. Andrerseits vergißt Hume, daß zum Zählen der Werte in Gold und Silber weder Gold noch Silber „vorhanden" zu sein braucht. Rechengeld und Zirkulationsmittel fallen ihm
* Conf. Steuart, 1. c. t. I, p. 394-400. ** David Hume, 1. c. p. 300. *** David Hume, 1. c. p. 303.
zusammen und beide sind Münze (coin). Weil eine Wertveränderung im Maße der Werte oder den edeln Metallen, die als Rechengeld funktionieren, die Warenpreise steigen oder fallen macht, also auch die Masse des zirkulierenden Geldes bei gleichbleibender Umlaufsgeschwindigkeit, schließt Hume, daß das Steigen oder Fallen der Warenpreise von der Quantität des zirkulierenden Geldes abhängt. Daß im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur die Quantität von Gold und Silber sich vermehrte, sondern gleichzeitig ihre Produktionskosten sich verminderten, konnte Hume aus dem Schließen der europäischen Minen sehn. Im 16. und 17. Jahrhundert stiegen die Warenpreise in Europa mit der Masse des importierten amerikanischen Goldes und Silbers; also sind die Warenpreise in jedem Lande bestimmt durch die Masse des in ihm befindlichen Goldes und Silbers. Dies war Humes erste „notwendige Konsequenz"*. Im 16. und 17. Jahrhundert stiegen die Preise nicht gleichmäßig mit der Zunahme der edeln Metalle; mehr als ein halbes Jahrhundert verfloß, bevor irgendein Wechsel in den Warenpreisen sich zeigte, und selbst dann währte es noch lange, bevor die Tauschwerte der Waren allgemein dem gesunkenen Wert des Golds und Silbers gemäß geschätzt wurden, also bevor die Revolution die allgemeinen Warenpreise ergriff. Also, schließt Hume, der ganz im Widerspruch mit den Grundsätzen seiner Philosophie einseitig beobachtete Tatsachen unkritisch in allgemeine Sätze verwandelt, also ist der Preis der Waren oder der Wert des Geldes bestimmt nicht durch die absolute Masse des in einem Lande befindlichen Geldes, sondern vielmehr durch die Quantität von Gold und Silber, die wirklich in die Zirkulation eingeht, aber schließlich muß alles in einem Lande befindliche Gold und Silber als Münze von der Zirkulation absorbiert werden.** Es ist klar, daß, wenn Gold und Silber einen eignen Wert besitzen, von allen andern Gesetzen des Umlaufs abgesehen, nur eine bestimmte Quantität Gold und Silber als Äquivalent für eine gegebene Wertsumme von Waren zirkulieren kann. Muß also jede zufällig in einem Lande befindliche Quantität Gold und Silber ohne Rücksicht
* David Home, 1. c. p. 303. ** „Es ist Idar, daß die Preise nicht so sehr abhängen von der absoluten Menge der Waren, und der des Geldes, die in einem Lande vorhanden sind, als von der Menge der Waren, die auf den Markt kommt oder kommen kann, und von dem Gelde, welches zirkuliert. Wenn das gemünzte Geld in Truhen verschlossen wird, so ist dies für die Preise dasselbe, als ob es vernichtet wäre; wenn die Waren in Magazinen und Kornspeichern aufgehäuft werden, so folgt die gleiche Wirkung. Da das Geld und die Waren in solchen Fällen nie zusammentreffen, können sie auch nicht aufeinander wirken. Das Ganze (der Preise) erreicht schließlich ein richtiges Verhältnis zu der neuen Menge des Metallgeldes, die im Lande ist.u (1. c. p. 303, 307, 308.)
auf die Summe der Warenwerte als Zirkulationsmittel in den Warenaustausch eingehn, so besitzen Gold und Silber keinen immanenten Wert und sind daher in der Tat keine wirklichen Waren. Dies ist Humes dritte „notwendige Konsequenz". Waren ohne Preis und Gold und Silber ohne Wert läßt er in den Zirkulationsprozeß eingehn. Er spricht daher auch nie von Wert der Waren und Wert des Goldes, sondern nur von ihrer wechselseitigen Quantität. Schon Locke hatte gesagt, Gold und Silber hätten einen bloß eingebildeten oder konventionellen Wert; die erste brutale Form des Gegensatzes zur Behauptung des Monetarsystems, daß Gold und Silber allein wahren Wert haben. Daß das Gelddasein von Gold und Silber bloß aus ihrer Funktion im gesellschaftlichen Austauschprozeß entspringt, wird dahin ausgelegt, daß sie ihren1 eignen Wert und daher ihre Wertgröße einer gesellschaftlichen Funktion verdanken.* Gold und Silber sind also wertlose Dinge, aber innerhalb des Zirkulationsprozesses erhalten sie eine fiktive Wertgröße als Repräsentanten der Waren. Sie werden durch den Prozeß nicht in Geld, sondern in Wert verwandelt.Dieser ihr Wert wird bestimmt durch die Proportion zwischen ihrer eignen Masse und der Warenmasse, indem sich beide Massen decken müssen. Während also Hume Gold und Silber als Nichtwaren in die Welt der Waren eintreten läßt, verwandelt er sie umgekehrt, sobald sie in der Formbestimmtheit der Münze erscheinen, in bloße Waren, die sich durch einfachen Tauschhandel mit andren Waren austauschen. Bestände nun die Warenwelt aus einer einzigen Ware, z.B. einer Million Quarter Getreide, so Wäre die Vorstellung sehr einfach, daß ein Quarter sich gegen zwei Unzen Gold austauscht, wenn zwei Millionen Unzen Gold vorhanden sind und gegen 20 Unzen Gold, wenn 20 Millionen Unzen Gold vorhanden sind, Preis der Ware und Wert des Geldes also in umgekehrtem Verhältnis zur vorhandenen Quantität Geld steigen oder fallen.** Aber die Warenwelt besteht aus unendlich verschiedenen Gebrauchswerten, deren relativer Wert keineswegs durch ihre relative Quantität bestimmt ist. Wie also denkt sich Hume diesen Austausch zwischen der Masse der Waren und der Masse des Goldes? Er begnügt sich mit der begriffslos dumpfen Vorstellung, daß jede Ware als aliquoter Teil der gesamten Warenmasse sich gegen einen entsprechend aliquoten Teil der Goldmasse austauscht. Die prozessierende
* Siehe Law und Franklin über den Surpluswert, den Gold und Silber aus Funktion als Geld erhalten sollen. Auch Forbonnais. [Note im Handexemplar.] ** Diese Fiktion kommt wörtlich vor bei Montesquieu. [Note im Handexemplar.]
1 Im Handexemplar eingefügt; (1859) fehlt: ihren
Bewegung der Waren, die aus dem in ihnen enthaltenen Gegensatz von Tauschwert und Gebrauchswert entspringt, in dem Umlauf des Geldes erscheint und in den verschiedenen Formbestimmtheiten des letztern sich kristallisiert, ist also ausgelöscht, und an ihre Stelle tritt die eingebildete mechanische Gleichsetzung zwischen der Gewichtmasse der in einem Land befindlichen edeln Metalle und der gleichzeitig vorhandenen Warenmasse. Sir James Steuart eröffnet seine Untersuchung über Münze und Geld mit einer ausführlichen Kritik von Hume und Montesquieu.* Er ist in der Tat der erste, der die Frage stellt: Ist die Quantität des umlaufenden Geldes durch die Warenpreise oder sind die Warenpreise durch die Quantität des umlaufenden Geldes bestimmt? Obgleich seine Darstellung getrübt ist durch phantastische Ansicht vom Maß der Werte, durch schwankende Darstellung von Tauschwert überhaupt und durch Reminiszenzen des Merkantilsystems, entdeckt er die wesentlichen Formbestimmtheiten des Geldes und allgemeinen Gesetze des Geldumlaufs, weil er nicht mechanisch die Waren auf die eine und das Geld auf die andre Seite stellt, sondern tatsächlich aus den verschiednen Momenten des Warenaustausches selbst die verschiednen Funktionen entwickelt. „Der Gebrauch von Geld für inländische Zirkulation läßt sich zusammenfassen unter zwei Hauptpunkte, Zahlung dessen, was einer schuldet, Kaufen dessen, was einer braucht; beides zusammengefaßt bildet die Nachfrage für bares Geld (ready money demands)... Der Stand von Handel, Manufaktur, Lebensweise und herkömmlichen Ausgaben der Einwohner, wenn alle zusammengenommen, regeln und bestimmen die Masse der Nachfrage für bares Geld, d. h. die Masse der Veräußerungen. Um diese Mannigfaltigkeit der Zahlungen ins Werk zu setzen, ist eine gewisse Proportion Geld nötig. Diese Proportion ihrerseits kann zunehmen oder abnehmen, je nach Umständen, obgleich die Quantität der Veräußerung dieselbe bleibt... Jedenfalls kann die Zirkulation eines Landes nur eine bestimmte Quantität von Geld absorbieren."** „Der Marktpreis der Ware wird bestimmt durch die verwickelte Operation von Nachfrage und Konkurrenz (demand and competition), die durchaus Von der in einem Land befindlichen Gold- und Silbermasse unabhängig sind. Was wird nun aus dem nicht als Münze erheischten Gold und Silber? Es wird als Schatz aufgehäuft oder als Material von Luxusartikeln verarbeitet. Fiele die Gold- und Silbermasse unter das für die Zirkulation erheischte Niveau, so ersetzt man sie durch symbolisches Geld oder andre Auskunftsmittel. Bringt ein günstiger Wechselkurs Uberfluß von Geld ins Land und schneidet zugleich die Nachfrage für seine Versendung ins Ausland ab, so fällt es häufig in Koffer, wo es so nutzlos wird, als ob es in Minen läge."***
* Steuart, I. c. t. I, p. 394 seq. ** James Steuart, 1. c. t. II, p. 377-379 passim. *** 1. c. p. 379-380 passim.
Das zweite von Steuart entdeckte Gesetz ist der Reflux der auf Kredit gegründeten Zirkulation zu ihrem Ausgangspunkt. Endlich entwickelt er die Wirkungen, die die Verschiedenheit des Zinsfußes in verschiedenen Ländern auf die internationale Aus- und Einwandrung der edeln Metalle hervorbringt. Die beiden letztern Bestimmungen deuten wir hier nur der Vollständigkeit wegen an, da sie unserm Thema der einfachen Zirkulation fernliegen.*
* „Die zusätzlichen Münzen werden eingeschlossen werden, oder in Silbergeschirr verwandelt... Weis das Papiergeld angeht, so wird es, sobald es den ersten Zweck erfüllt, das Bedürfnis dessen zu befriedigen, der es geborgt hat, zu dem Schuldner zurückkehren und realisiert werden... Laß das Metallgeld eines Landes deshalb in noch so großer Proportion vermehrt oder vermindert werden, die Waren werden doch steigen oder fallen gemäß den Prinzipien der Nachfrage und der Konkurrenz, und diese werden beständig von den Neigungen jener abhängen, die Eigentum oder irgendwelche Art von Gegenwert zu geben haben, aber niemals von der Menge der Münzen, die sie besitzen... Laß sie" (nämlich die Menge des Metallgeldes in einem Lande) „noch so klein sein, solange es wirkliches Eigentum irgendeiner Art im Lande gibt, und eine Konkurrenz des Konsumierens unter denen, die es besitzen, so werden die Preise hoch sein vermittels Tauschhandels, symbolischen Geldes, wechselseitiger Zahlungen und tausend anderer Erfindungen... Wenn dies Land Verkehr mit andern Nationen hat, so muß eine Proportion zwischen den Preisen von mancherlei Waren dort und anderswo bestehen, und eine plötzliche Vermehrung oder Verminderung des Metallgeldes, angenommen, es könnte von sich aus die Wirkung der Erhöhung oder Senkung von Preisen hervorrufen, würde durch ausländische Konkurrenz in ihrer Wirkung beschränkt werden." Steuart, 1. c. t. I, p. 400-401. „Die Zirkulation jedes Landes muß der gewerblichen Tätigkeit der Einwohner angepaßt sein, welche die auf den Markt kommenden Waren produzieren... Wenn das Hartgeld eines Landes unter die Proportion zu dem Preise der zum Verkauf angebotenen Gewerbetätigkeit sinkt, dann wird man zu Erfindungen, wie symbolischem Geld, seine Zuflucht nehmen, um ein Äquivalent dafür zu schaffen. Wenn sich aber herausstellt, daß das Metallgeld über der Proportion zu der Gewerbetätigkeit steht, wird es keine Wirkung der Preiserhöhung haben, noch wird es in die Zirkulation eintreten: es wird in Schätzen aufgehäuft werden... Wie groß immer die Menge des Geldes in einem Lande sein mag, im Verhältnis zu der übrigen Welt, so kann niemals etwas in Zirkulation bleiben als die Menge, die der Konsumtion der reichen und der Arbeit und Gewerbetätigkeit der armen Einwohner nahezu proportional ist", und diese Proportion ist nicht bestimmt „durch die tatsächlich im Lande befindliche Menge Geldes" (1. c. p. 407-408 passim.). „Alle Länder werden sich bemühen, ihr bares Geld, das nicht für ihre eigne Zirkulation nötig ist, in jenes Land zu werfen, in dem der Geldzins im Verhältnis zu ihrem eignen hoch ist." 1. c. t. II, p. 5. „Das reichste Land in Europa kann das ärmste sein an zirkulierendem Metallgeld." 1. c. t. II, p. 6. - Sieh Polemik gegen Steuart bei Arthur Young. [Zusatz im Handexemplar.]
Symbolisches Geld oder Kreditgeld - Steuart unterscheidet diese beiden Formen des Geldes noch nicht - können die edeln Metalle als Kaufmittel oder Zahlungsmittel in der innern Zirkulation ersetzen, aber nicht auf dem Weltmarkt. Papiernoten sind daher das Geld der Gesellschaft (money of the society), während Gold und Silber das Geld der Welt sind (money of the world).* Es ist Eigentümlichkeit der Nationen von „historischer" Entwicklung im Sinn der historischen Rechtsschule t27J, ihre eigne Geschichte beständig zu vergessen. Obgleich daher die Streitfrage über das Verhältnis der Warenpreise zur Quantität der Zirkulationsmittel während dieses halben Jahrhunderts fortwährend das Parlament bewegt, und Tausende von Pamphleten, großen und kleinen, in England hervorgerufen hat, blieb Steuart mehr noch „toter Hund" als Spinoza dem Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit schien. Selbst der neueste Geschichtsschreiber der „currency", Maclaren, verwandelt Adam Smith in den Erfinder der Steuartschen Theorie, wie Ricardo in den der Humeschen.** Während Ricardo Humes Theorie verfeinerte, registriert Adam Smith die Resultate der Steuartschen Forschungen als tote Tatsachen. Adam Smith hat seinen schottischen Weisheitsspruch, daß, „wenn ihr ein wenig gewonnen habt, es oft leicht wird, viel zu gewinnen, die Schwierigkeit aber darin liegt, das wenige zu gewinnen", auch auf geistigen Reichtum angewandt und daher mit kleinlicher Sorgfalt die Quellen verheimlicht, denen er das Wenige verdankt, woraus er in der Tat viel macht. Mehr als einmal zieht er vor, der Frage die Pointe abzubrechen, wo scharfe Formulierung ihn zwingen würde, mit seinen Vorgängern abzurechnen. So in der Geldtheorie. Er nimmt Steuarts Theorie stillschweigend an, indem er erzählt, das in einem Lande befindliche Gold und Silber werde teils als Münze verwandt, teils als Reservefonds aufgehäuft für Kaufleute in Ländern ohne Banken und als Bankreserve in Ländern mit Kreditzirkulation, teils diene es als Schatz zur Ausgleichung internationaler Zahlungen, teils werde es zu Luxusartikeln verarbeitet. Die Frage über die Quantität der zirkulierenden Münze beseitigt
* Steuart, 1. c. t. II, p. 370. Louis Blanc verwandelt das „money of the society", was nichts heißt als inländisches, nationales Geld, in sozialistisches Geld, weis gar nichts heißt, und macht folgerecht Jean Law zum Sozialisten. (Sieh seinen ersten Band der Geschichte der französischen Revolution.) ** Maclaren, 1. c. p. 43 seq. Patriotismus hat einen zu früh verstorbenen deutschen Schriftsteller (Gustav Julius) verleitet, den alten Büsch als Autorität der Ricardoschen Schule gegenüberzustellen. Ehren-Büsch übertrug Steuarts geniales Englisch in Hamburger Platt und verballhornte sein Original so oft als möglich.
er stillschweigend, indem er das Geld ganz falsch als bloße Ware behandelt.* Sein Vulgarisateur, der fade J.B.Say, den die Franzosen zum prince de la science1 ernannt haben, wie Johann Christoph Gottsched seinen Schönaich zum Homer und Pietro Aretino sich selbst zum terror principum2 und lux mundi3 ernannte, hat dies nicht ganz naive Versehn Adam Smiths mit großer Wichtigkeit zum Dogma zugeritten.** Polemische Spannung gegen die Illusionen des Merkantilsystems verhinderte übrigens Adam Smith, die Phänomene der metallischen Zirkulation objektiv aufzufassen, während seine Anschauungen vom Kreditgeld originell und tief sind. Wie in den Versteinerungstheorien des 18. Jahrhunderts stets eine Unterströmung durchläuft, entspringend aus kritischer oder apologetischer Rücksicht auf die biblische Tradition von der Sündflut, so versteckt sich hinter allen Geldtheorien des 18. Jahrhunderts ein heimliches Ringen mit dem Monetarsystem, dem Gespenst, das die Wiege der bürgerlichen Ökonomie gehütet hatte und stets noch seinen Schifigschatten auf die Gesetzgebung warf. Die Forschungen über das Geldwesen wurden im 19. Jahrhundert unmittelbar angeregt, nicht durch die Phänomene der metallischen, sondern vielmehr durch die der Banknotenzirkulation. Auf die erstere wurde nur zurückgegangen, um die Gesetze der letztern zu entdecken. Die Suspension der Barzahlungen der Bank von England seit 1797, das später erfolgende Steigen im Preise vieler Waren, der Fall des Münzpreises des Goldes unter seinen Marktpreis, die Depreziation der Banknoten besonders seit 1809, boten die unmittelbar praktischen Anlässe eines Parteikampfs im Parlament, eines theoretischen Turniers außerhalb desselben, beide gleich leidenschaftlich. Als historischer Hintergrund der Debatte diente die Geschichte des Papiergelds im 18. Jahrhundert, das Fiasko der Lawschen Bank die mit der wachsenden Quantität der Wertzeichen Hand in Hand gehende Depreziation der Provinzial-Banknoten der englischen Kolonien in Nordamerika vom
* Dies nicht exakt. Spricht vielmehr an einigen Stellen das Gesetz richtig aus. [Note im Handexemplar.] ** Der Unterschied von „currency" und „money", d. h. von Zirkulationsmittel und Geld findet sich daher nicht im „Wealth of Nations". Getäuscht von der scheinbaren Unbefangenheit Adam Smiths, der seinen Hume und Steuart sehr genau kannte, bemerkt der ehrliche Maclaren: „Die Theorie von der Abhängigkeit der Preise von der Menge der Zirkulationsmittel hat bisher noch nicht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen; und Doktor Smith betrachtet gleich Herrn Locke" (Locke wechselt in seiner Ansicht) „das Metallgeld als nichts andres denn eine Ware." (Maclaren, 1. c. p. 44.)
1 Fürsten der Wissenschaft - 2 Schrecken der Fürsten - 3 Licht der Welt
Anfang bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts; dann später das von der amerikanischen Zentralregierung während des Unabhängigkeitskrieges gesetzlich aufgezwungene Papiergeld (Continental bills), endlich das auf noch größerer Stufenleiter ausgeführte Experiment der französischen Assignaten. Die meisten englischen Schriftsteller der damaligen Zeit verwechseln die Beinknotenzirkulation, die nach ganz andern Gesetzen bestimmt wird, mit der Zirkulation von Wertzeichen oder von Staatspapieren mit Zwangskurs und, während sie die Phänomene dieser Zwangszirkulation aus den Gesetzen der metallischen Zirkulation zu erklären vorgeben, abstrahieren sie in der Tat umgekehrt die Gesetze der letztern aus den Phänomenen der erstem. Wir überspringen alle die zahlreichen Schriftsteller während der Periode von 1800 bis 1809 und wenden uns sogleich zu Ricardo, sowohl weil er seine Vorgänger zusammenfaßt und ihre Ansichten schärfer formuliert, als weil die Gestalt, die er der Geldtheorie gab, bis zu diesem Augenblick die englische Bankgesetzgebung beherrscht. Ricardo, wie seine Vorgänger, wirft die Zirkulation von Banknoten oder von Kreditgeld mit der Zirkulation von bloßen Wertzeichen zusammen. Die ihn beherrschende Tatsache ist die Depreziation des Papiergelds und das gleichzeitige Steigen der Warenpreise. Was die amerikanischen Minen für Hume, waren die Papierzettelpressen in Threadneedle Street für Ricardo und er selbst identifiziert an einer Stelle ausdrücklich beide Agentien. Seine ersten Schriften, die sich nur mit der Geldfrage beschäftigen, fallen in die Zeit der heftigsten Polemik zwischen der Bank von England, auf deren Seite die Minister und die Kriegspartei standen, und ihren Gegnern, um die sich die parlamentarische Opposition, die Whigs und die Friedenspartei gruppierten. Sie erschienen als direkte Vorläufer des berühmten Berichts des Bullionkomitees von 1810, worin Ricardos Ansichten akzeptiert sind.* Die Sonderbarkeit, daß Ricardo und seine Anhänger, die das Geld für bloßes Wertzeichen erklären, Bullionists (Goldbarrenmänner) heißen, rührt her nicht allein vom Namen dieses Komitees, sondern vom Inhalt seiner Lehre selbst. In seinem Werke über politische Ökonomie hat Ricardo dieselben Ansichten wiederholt und weiter entwickelt, nirgendwo aber das Geldwesen an sich untersucht, wie er mit Tauschwert, Profit, Rente usw. tat. Ricardo bestimmt zunächst den Wert des Goldes und Silbers wie den aller andern Waren, durch das Quantum der in ihnen vergegenständlichten
* David Ricardo, „The high price of Bullion, a proof of the depreciation of Banknotes", 4. Edition, London 1811. (Die erste Ausgabe erschien 1809.) Ferner: „Reply to Mr. Bosanquet's practical observations on the report of the bullion committee", London 1811.
Arbeitszeit.* In ihnen, als Waren von gegebenem Wert, werden die Werte der andern Waren gemessen.** Die Quantität der Zirkulationsmittel in einem Lande ist nun bestimmt durch den Wert der Maßeinheit des Geldes auf der einen Seite, durch die Summe der Tauschwerte der Waren auf der andern Seite. Modifiziert wird diese Quantität durch die Ökonomie in der Zahlungsweise.*** Da so die Quantität, worin Geld von gegebenem Wert zirkulieren kann, sich bestimmt findet und sein Wert innerhalb der Zirkulation nur in seiner Quantität erscheint, können bloße Wertzeichen desselben, wenn ausgegeben in der durch seinen Wert bestimmten Proportion, es in der Zirkulation ersetzen, und zwar „befindet sich das umlaufende Geld in seinem vollendetsten Zustand, wenn es ausschließlich aus Papier besteht, das von gleichem Wert ist mit dem Gold, welches es zu repräsentieren vorgibt"f. Bisher also bestimmt Ricardo, den Wert des Geldes als gegeben vorausgesetzt, die Quantität der Zirkulationsmittel durch die Preise der Waren, und das Geld als Wertzeichen bedeutet ihm Zeichen eines bestimmten Goldquantums, nicht wie bei Hume wertlosen Repräsentanten der Waren. Wo Ricardo plötzlich abbricht vom ebenen Gang seiner Darstellung und in die umgekehrte Ansicht umschlägt, wendet er sich sofort zur internationalen Zirkulation der edeln Metalle und verwirrt so das Problem durch das Hereinbringen fremder Gesichtspunkte. Indem wir seinen innern Gedankensprecher verfolgen, schieben wir zunächst alle künstlichen Inzidenzpunkte beiseite und verlegen daher die Gold-und Silberminen in das Innere der Länder, wo die edeln Metalle als Geld zirkulieren. Der einzige Satz, der aus Ricardos bisheriger Entwicklung folgt, ist, daß bei gegebenem Wert des Goldes die Quantität des zirkulierenden Geldes sich durch die Warenpreise bestimmt findet. In einem gegebenen Moment also ist die Masse des in einem
* David Ricardo, „On the principles of political economy etc.", p. 77. „Der Wert der edeln Metalle hängt schließlich ab, wie der aller andern Waren, von der Totalquantität der Arbeit, nötig, um sie zu erhalten und auf den Markt zu bringen." **l.c.P.77, 180, 181. *** Ricardo, 1. c. p. 421. „Die Quantität Geld, die in einem Lande angewandt werden kann, hängt von seinem Wert ab. Zirkulierte Gold allein, so wäre fünfzehnmal weniger davon nötig, als wenn Silber allein angewandt würde." Siehe auch Ricardo, „Proposais for an economical and secure currency", London 1816, p. 8, wo er sagt: „Die Quantität der zirkulierenden Noten hängt ab von dem Betrag, der für die Zirkulation des Landes erheischt ist, und dieser ist geregelt durch den Wert der Maßeinheit des Geldes, den Belauf der Zahlungen und die Ökonomie in ihrer Realisierung." f Ricardo, „Principles of political economy", p. 432, 433.
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Lande zirkulierenden Goldes einfach bestimmt durch den Tauschwert der zirkulierenden Waren. Gesetzt nun, die Summe dieser Tauschwerte nehme ab, entweder weil weniger Waren zu den alten Tauschwerten produziert werden, oder weil infolge vermehrter Produktivkraft der Arbeit dieselbe Warenmasse verminderten Tauschwert erhält. Oder unterstellen wir umgekehrt, die Summe der Tauschwerte vermehre sich, weil sich die Masse der Waren bei gleichbleibenden Produktionskosten vermehrt, oder weil der Wert, sei es derselben, sei es einer kleinern Warenmasse, infolge verminderter Produktivkraft der Arbeit wächst. Was wird in beiden Fällen aus der gegebenen Quantität des zirkulierenden Metalls? Wenn das Gold nur Geld ist, weil es als Zirkulationsmittel umläuft, wenn es gezwungen ist, in der Zirkulation zu verharren, wie vom Staat ausgegebenes Papiergeld mit Zwangskurs (und dies liegt Ricardo im Sinn), dann wird die Quantität des zirkulierenden Geldes im ersten Fall überschwellen im Verhältnis zum Tauschwert des Metalls; im zweiten würde sie unter ihrem normalen Niveau stehen. Obgleich also mit eignem Wert begabt, wird das Gold im ersten Fall zu einem Zeichen von Metall von niedrigerem Tauschwert als seinem eignen, im letztern zum Zeichen eines Metalls von höherm Wert. Im ersten Fall wird es als Wertzeichen unter, im zweiten über seinem wirklichen Wert stehn (wieder eine Abstraktion vom Papiergeld mit Zwangskurs). Im ersten Fall wäre es dasselbe, als wenn die Waren in Metall von niedrigerem Wert, im zweiten, als wenn sie in Metall von höherm Wert als Gold geschätzt würden. Im ersten Fall würden die Warenpreise daher steigen, im zweiten würden sie sinken. In beiden Fällen wäre die Bewegung der Warenpreise, ihr Steigen oder Fallen, Wirkung der relativen1 Expansion oder Kontraktion der Masse des zirkulierenden Goldes über oder unter das seinem eignen Wert entsprechende Niveau, d. h. die normale Quantität, die durch das Verhältnis zwischen seinem eignen Wert und dem Wert der zu zirkulierenden Waren bestimmt ist. Derselbe Prozeß würde stattfinden, wenn die Preissumme der zirkulierenden Waren unverändert bliebe, aber die Masse des zirkulierenden Goldes unter oder über das richtige Niveau zu stehen käme, das erste, wenn die in der Zirkulation abgenutzte Goldmünze nicht durch eine entsprechende neue Produktion der Minen ersetzt würde, das zweite, wenn die neue Zufuhr von den Minen die Bedürfnisse der Zirkulation überholt hätte. In beiden Fällen ist vorausgesetzt, daß die Produktionskosten des Goldes oder sein Wert derselbe bleibt. Um zu resümieren: Das zirkulierende Geld steht auf dem normalen
1 Im Handexemplar eingefügt; (1859) fehlt: relativen
Niveau, wenn seine Quantität, bei gegebenem Tauschwert der Waren, durch seinen eignen Metallwert bestimmt ist. Es schwillt über, das Gold sinkt unter seinen eignen Metallwert und die Preise der Waren steigen, weil die Summe der Tauschwerte der Warenmasse sich vermindert oder die Zufuhr des Goldes von den Minen sich vermehrt. Es kontrahiert sich unter sein richtiges Niveau, das Gold steigt über seinen eignen Metallwert und die Warenpreise sinken, weil die Summe der Tauschwerte der Warenmasse sich vermehrt oder die Zufuhr des Goldes von den Minen nicht die Masse des abgenutzten Goldes ersetzt. In beiden Fällen ist das zirkulierende Gold Wertzeichen von größerm oder kleinerm Wert, als den es wirklich enthält. Es kann zu einem appreziierten und depreziierten Zeichen seiner selbst werden. Sobald die Waren sich allgemein in diesem neuen Wert des Geldes geschätzt hätten und die allgemeinen Warenpreise entsprechend gestiegen oder gefallen wären, würde die Quantität des zirkulierenden Goldes den Bedürfnissen der Zirkulation wieder entsprechen (eine Konsequenz, die Ricardo mit besonderm Vergnügen hervorhebt), aber den Produktionskosten der edeln Metalle und daher ihrem Verhältnis als Ware zu den übrigen Waren widersprechen. Entsprechend der Ricardoschen Theorie von den Tauschwerten überhaupt, würde das Steigen des Goldes über seinen Tauschwert, d.h. den durch die in ihm enthaltene Arbeitszeit bestimmten Wert, eine Vermehrung der Produktion des Goldes veranlassen, bis seine vermehrte Zufuhr es wieder auf seine richtige Wertgröße herabgesetzt hätte. Umgekehrt würde ein Sinken des Goldes unter seinen Wert eine Verminderimg seiner Produktion veranlassen, bis es wieder zu seiner richtigen Wertgröße gestiegen wäre. Durch diese umgekehrten Bewegungen würde der Widerspruch zwischen dem Metallwert des Goldes und seinem Wert als Zirkulationsmittel sich ausgleichen, das richtige Niveau der zirkulierenden Goldmasse sich herstellen und die Höhe der Warenpreise wieder dem Maß der Werte entsprechen. Diese Fluktuationen im Wert des zirkulierenden Goldes würden ebensosehr das Gold in Barrenform ergreifen, da nach der Voraussetzung alles Gold, das nicht als Luxusartikel verbraucht wird, zirkuliert. Da das Gold selbst, sei es als Münze, sei es als Barre, Wertzeichen von größerm oder geringerm Metallwert als seinem eignen werden kann, so versteht es sich, daß etwa zirkulierende konvertible Banknoten dasselbe Schicksal teilen. Obgleich die Banknoten konvertibel sind, also ihr Realwert ihrem Nominalwert entspricht, kann die Gesamtmasse des zirkulierenden Geldes, Gold und Noten (the aggregate currency consisting of metal and of convertible notes) appreziiert oder depreziiert werden, je nachdem ihre Gesamtquantität, aus den vorher entwickelten Gründen, über oder unter das Niveau steigt oder fällt, das durch
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den Tauschwert der zirkulierenden Waren und den Metallwert des Goldes bestimmt ist. Inkonvertibles Papiergeld, von diesem Gesichtspunkt aus, besitzt nur den Vorzug vor konvertiblem Papiergeld, daß es doppelt depreziiert werden kann. Es mag fallen unter den Wert des Metalls, das es zu repräsentieren vorgibt, weil es in zu großer Anzahl ausgegeben wird, oder es mag fallen, weil das von ihm repräsentierte Metall unter seinen eigenen Wert gefallen ist. Diese Depreziation, nicht des Papiers gegen Gold, sondern des Goldes und Papiers zusammengenommen, oder der gesamten Masse der Zirkulationsmittel eines Landes, ist eine der Haupterfindungen Ricardos, die Lord Overstone et Co. in ihren Dienst preßten und zu einem Fundamentalprinzip von Sir Robert Peels Bankgesetzgebung von 1844 und 1845 machten. Was bewiesen werden sollte, war, daß der Preis der Waren oder der Wert des Goldes von der Masse des zirkulierenden Goldes abhängt. Der Beweis besteht in der Voraussetzung des zu Beweisenden, daß jede Quantität des edeln Metalls, das als Geld dient, in welchem Verhältnis immer zu seinem innern Wert, Zirkulationsmittel, Münze, und so Wertzeichen für die zirkulierenden Waren, welches immer die Gesamtsumme ihres Wertes, werden muß. In andern Worten, der Beweis besteht in der Abstraktion von allen andern Funktionen, die das Geld außer seiner Funktion als Zirkulationsmittel [vollzieht].1 Wenn hart gedrängt, wie z.B. in seiner Polemik mit Bosanquet, flüchtet Ricardo^, ganz unter der Herrschaft des Phänomens der durch ihre Quantität depreziierten Wertzeichen, zu dogmatischer Versicherung.* Hätte Ricardo nun diese Theorie in der Art, wie wir es getan, abstrakt aufgestellt, ohne Hereinbringen konkreter Verhältnisse und von der Frage selbst ablenkender Inzidenzpunkte, so trat ihre Hohlheit schlagend hervor. Er streicht aber die ganze Entwicklung international an. Es wird sich aber leicht nachweisen lassen, daß die scheinbare Größe des Maßstabs an der Kleinheit der Grundideen nichts ändert. Der erste Satz war also: Die Quantität des zirkulierenden Metallgelds ist normal, wenn sie bestimmt ist durch die in seinem Metallwert geschätzte Wertsumme der zirkulierenden Waren. International ausgedrückt lautet dies: Im normalen Zustand der Zirkulation besitzt jedes Land eine seinem Reichtum und seiner Industrie entsprechende Masse Geld. Geld zirkuliert in
* David Ricardo, „Reply to Mr. Bosanquet's practical observations etc.", p. 49. „Daß die Waren im Preis steigen oder fallen würden, im Verhältnis zur Vermehrung oder Verminderung des Geldes, setze ich als eine unbestreitbare Tatsache voraus." «
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) von allen anderen Formbestimmtheiten, die das Geld außer seiner Form als Zirkulationsmittel besitzt
einem seinem wirklichen Wert oder seinen Produktionskosten entsprechenden Wert; d.h. es hat in allen Ländern denselben Wert.* Es würde daher nie Geld von einem Lande ins andre exportiert oder importiert werden.** Es fände also ein Gleichgewicht zwischen den currencies (den Gesamtmassen des zirkulierenden Geldes) der verschiedenen Länder statt. Das richtige1 Niveau der nationalen currency ist nun ausgedrückt als internationales Gleichgewicht der currencies, und in der Tat nichts gesagt, als daß die Nationalität nichts ändert an dem allgemeinen ökonomischen Gesetz. Wir sind jetzt wieder bei demselben fatalen Punkt angelangt wie vorher. Wie wird das richtige Niveau gestört, was nun lautet, wie wird das internationale Gleichgewicht der currencies gestört, oder wie hört das Geld auf, denselben Wert in allen Ländern zu haben, oder endlich, wie hört es auf, in jedem Lande seinen eignen Wert zu haben? Wie vorhin das richtige Niveau gestört wurde, weil die Masse des zirkulierenden Goldes zu- oder abnahm, bei gleichbleibender Wertsumme der Waren, oder weil die Quantität des zirkulierenden Geldes dieselbe blieb, während die Tauschwerte der Waren zu- oder abnahmen, so wird jetzt das internationale durch den Wert des Metalls selbst bestimmte Niveau gestört, weil die Masse des in einem Lande befindlichen Goldes wächst infolge neuer in ihm entdeckter Metallminen***, oder weil die Summe der Tauschwerte der zirkulierenden Waren in einem besondern Lande zu- oder abgenommen hat. Wie vorhin die Produktion der edlen Metalle sich verminderte oder vermehrte, je nachdem es nötig war, die currency zu kontrahieren oder zu expandieren und die Warenpreise entsprechend zu senken oder zu erhöhen, ebenso wirken jetzt Export und Import aus einem Lande in das andre. In dem Land, worin die Preise gestiegen und der Wert des Goldes, infolge der aufgeschwollenen Zirkulation, unter seinen Metallwert gefallen wäre, wäre das Gold depreziiert im Verhältnis zu den andern Ländern, und folglich wären die Preise der Waren, verglichen mit den andern Ländern, erhöht. Gold würde also ausgeführt, Waren eingeführt werden. Wenn umgekehrt, umgekehrt. Wie vorhin die Produktion von Gold, würden jetzt Import oder Export von Gold und mit ihnen Steigen oder Fallen der Warenpreise fortdauern, bis, wie vorher das richtige Wertverhältnis zwischen
* Ricardo, „The high price of Bullion etc." „Geld würde in allen Landern denselben Wert haben." (p. 4.) In seiner politischen Ökonomie hat Ricardo diesen Satz modifiziert, aber nicht in einer Weise, die hier ins Gewicht fällt. ** 1. c. p. 3-4. *** I. c. p. 4.
1 Im Handexemplar eingefügt; (1859) fehlt: richtige
Metall und Ware, nun das Gleichgewicht zwischen den internationalen currencies wiederhergestellt wäre. Wie im ersten Fall die Produktion des Goldes sich nur vermehrte oder verminderte, weil das Gold über oder unter seinem Werte stand, so würde die internationale Wanderung des Goldes nur aus diesem Grund stattfinden. Wie im ersten Fall jede Veränderung in seiner Produktion die Quantität des zirkulierenden Metalls und damit [diel Preise affizieren würde, so nun der internationale Import und Export. Sobald der relative Wert zwischen Gold und Ware oder die normale Quantität der Zirkulationsmittel hergestellt wäre, würde im ersten Fall keine fernere Produktion, im zweiten kein fernerer Export oder Import, außer zum Ersatz der abgenutzten Münze und zum Konsum der Luxusindustrie stattfinden. Es folgt daher, „daß die Versuchung, Gold auszuführen als Äquivalent für Waren, oder eine ungünstige Handelsbilanz nie stattfinden kann, außer infolge einer überschwellenden Quantität der Zirkulationsmittel"*. Es wäre stets nur die Entwertung oder Überwertung des Metalls infolge der Expansion oder Kontraktion der Masse der Zirkulationsmittel über oder unter ihr richtiges Niveau, wodurch seine Einfuhr oder Ausfuhr bewirkt würden.** Es ergäbe sich ferner: da im ersten Fall die Produktion des Goldes nur vermehrt oder vermindert, im zweiten Falle Gold nur importiert oder exportiert wird, weil seine Quantität über oder unter ihrem richtigen Niveau steht, weil es über oder unter seinen Metallwert appreziiert oder depreziiert ist, also die Warenpreise zu hoch oder zu niedrig sind, so wirkt jede solche Bewegung als Korrektivmittel***, indem sie durch Expansion oder Kontraktion des zirkulierenden Geldes die Preise wieder auf ihr wahres Niveau zurückführt, im ersten Fall das Niveau zwischen Wert des Goldes und Wert der Waren, im zweiten Falle das internationale Niveau der currencies.In andern Worten: Das Geld zirkuliert in verschiedenen Ländern nur insofern es in jedem Lande als Münze zirkuliert. Das Geld ist nur Münze, und die Quantität des in einem Lande befindlichen Goldes muß daher in die Zirkulation eingehn, kann also als Wertzeichen seiner selbst über oder unter seinen Wert steigen oder fallen. Damit sind wir auf dem Umweg dieser internationalen Verwickelung wieder glücklich bei dem einfachen Dogma angelangt, das den Ausgangspunkt bildet.
* „Eine ungünstige Handelsbilanz kann nie anders als durch eine Uberfülle von Zirkulationsmitteln entstehen." (Ricardo, 1. c. p. 11, 12 ) ** „Der Export des Hartgelds wird durch seine Billigkeit hervorgerufen und ist nicht die Wirkung, sondern die Ursache einer ungünstigen Bilanz" (1. c. p. 14). *** 1. c. p. 17.
Wie Ricardo die wirklichen Phänomene im Sinne seiner abstrakten Theorie gewaltsam zurechtkonstruiert1, werden einige Beispiele zeigen. Er behauptet z.B., in Zeiten von Mißernten, häufig in England während der Perioden von 1800 bis 1820, werde Gold exportiert, nicht weil Korn bedurft und Gold Geld ist, also auf dem Weltmarkt stets wirksames2 Kaufmittel und Zahlungsmittel, sondern weil das Gold in seinem Wert depreziiert sei gegen die andern Waren und folglich die currency des Landes, worin die Mißernte stattfindet, depreziiert sei im Verhältnis zu den andern nationalen currencies; Weil nämlich der Mißwachs die Masse der zirkulierenden Waren vermindert habe, sei die gegebene Quantität des zirkulierenden Geldes über ihr normales Niveau hinausgetreten und seien folglich alle Warenpreise gestiegen.* Im Gegensatz zu dieser paradoxen Auslegung wurde statistisch nachgewiesen, daß seit 1793 bis zur neuesten Zeit, im Fall von Mißernten in England, nicht die vorhandene Quantität der Zirkulationsmittel überschwoll, sondern ungenügend wurde, und daher mehr Geld als früher zirkulierte und zirkulieren mußte.** Ebenso behauptete Ricardo zur Zeit der napoleonischen Kontinentalsperre™ und der englischen Blockade-Dekrete[31', daß die Engländer Gold statt Ware nach dem Kontinent exportierten, weil ihr Geld depreziiert sei im Verhältnis zu dem Geld der kontinentalen Länder, ihre Waren daher imPreis
* Ricardo, 1. c. p. 74,75. „ Infolge einer schlechten Ernte würde England in die Lage eines Landes kommen, das eines Teils seiner Waren beraubt worden ist, und deshalb eines verringerten Betrags des zirkulierenden Mediums bedarf. Die Zirkulationsmittel, die vorher den Zahlungen gleich waren, würden jetzt überflüssig und verhältnismäßig billig werden seiner verringerten Produktion gegenüber. Die Ausfuhr dieser Summe würde deshalb den Wert des Zirkulationsmittels dem Wert der Zirkulationsmittel anderer Länder gegenüber wiederherstellen." Seine Konfusion zwischen Geld und Ware, und zwischen Geld und Münze zeigt sich lächerlich in folgendem Satz: „Wenn wir annehmen können, daß nach einer ungünstigen Ernte, wenn England Gelegenheit für eine ungewöhnliche Einfuhr von Korn hat, ein andres Land einen Uberfluß jener Artikel besitzt, aber kein Bedürfnis für irgendwelche Waren, so würde unzweifelhaft folgen, daß solch ein Land sein Korn nicht ausführen würde im Tausch gegen Waren: aber es würde Korn auch nicht gegen Geld ausführen, da dies eine Ware ist, die kein Land jemals absolut benötigt, sondern relativ." (1. c. p. 75.) Puschkin in seinem Heldengedicht läßt den Vater seines Helden nie begreifen, daß Ware Geld sei. Daß Geld aber Ware ist, haben die Russen von jeher begriffen, wie nicht nur der englische Kornimport von 1838 bis 1842 beweist, sondern ihre ganze Handelsgeschichte. ** Conf. Thomas Tooke, „History of prices" und James Wilson, „Capital, currency and banking". (Letzteres Buch ist der Abdruck einer Reihe von Artikeln, die 1844, 1845 und 1847 im „London Economist" ^ erschienen.) 1 (1859) zurechtkonstatiert - 2 im Handexemplar korrigiert; (1859) wirkendes
relativ höher ständen und es so eine vorteilhaftere Handelsspekulation sei, Gold statt Waren auszuführen. Nach ihm war England der Markt, wo die Waren teuer und das Geld wohlfeil war, während auf dem Kontinent die Waren wohlfeil waren und das Geld teuer. „Die Tatsache", sagt ein englischer Schriftsteller, „war der ruinierend niedrige Preis unserer Fabrikate und Kolonialprodukte unter der Wirkung des Kontinentalsystems während der letzten 6 Jahre des Krieges. Die Preise von Zucker und Kaffee z. B. waren in Gold geschätzt vier- oder fünfmal höher auf dem Kontinent als dieselben Preise in England geschätzt in Banknoten. Es war die Zeit, wo die französischen Chemiker den Runkelrübenzucker entdeckten und Kaffee durch Zichorien ersetzten, während gleichzeitig englische Pächter im Mästen der Ochsen mit Sirup und Melassen Experimente machten, wo England Besitz von Helgoland nahm, um hier ein Warendepot zu bilden zur Erleichterung des Schmuggels nach dem Norden von Europa, und wo die leichteren Sorten britischer Fabrikate ihren Weg nach Deutschland durch die Türkei suchten... Fast alle Waren der Welt waren in unsern Warenhäusern akkumuliert und lagen daselbst festgebannt, außer wenn eine kleine Quantität erlöst wurde durch eine französische Lizenz, wofür die Hamburger und Amsterdamer Kaufleute Napoleon eine Summe von 40-50 Tausend Pfd. St. bezahlt hatten. Komische Kaufleute mußten es sein, die solche Summen zahlten für die Freiheit, eine Ladung Waren von einem teuren Markt nach einem wohlfeilen zu bringen. Was war die klare Alternative für einen Kaufmann? Entweder Kaffee zu kaufen für 6 Pence in Banknoten und ihn nach einem Platz zu senden, wo er das Pfund unmittelbar verkaufen konnte für 3 oder 4 sh, in Golds oder Gold zu kaufen mit Banknoten zu 5 Pfd. St. eine Unze und es nach einem Platz zu senden, wo es zu 3 Pfd. St. 17 sh. 1OV2 d. geschätzt wurde. Es ist also abgeschmackt zu sagen, daß man Gold statt Kaffee remittierte als vorziehbare merkantilische Operation... Es gab kein Land in der Welt, wo eine so große Quantität wünschenswerter Waren damals erhalten werden konnte als in England. Bonaparte examinierte stets genau die englischen Preiskurante. Solange er fand, daß in England Gold teuer und Kaffee wohlfeil war, zeigte er sich mit dem Wirken seines Kontinentalsystems zufrieden."*
Gerade zur Zeit, wo Ricardo seine Geldtheorie zuerst aufstellte, und das Bullionkomitee sie seinem parlamentarischen Bericht einverleibte, im Jahre 1810, fand ein ruinierender Fall in den Preisen aller englischen Waren statt, verglichen mit 1808 und 1809, während das Gold1 verhältnismäßig im Wert stieg. Agrikulturprodukte bildeten eine Ausnahme, weil ihre Einfuhr von außen auf Hindernisse stieß und ihre im Inland vorhandene Masse durch Mißernten dezimiert war.** Ricardo verkannte so gänzlich die Rolle der
* James Deacon Hume, „Letters on the Cornlaws", London 1834, p. 29-31. ** Thomas Too\e, „History of prices etc.", London 1848, p. 110.
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) Geld
edeln Metalle als internationaler Zahlungsmittel, daß er in seiner Aussage vor dem Komitee des Hauses der Lords (1819) erklären konnte: „Daß Goldabflüsse für Ausfuhr gänzlich aufhören würden, sobald die Barzahlungen wiederaufgenommen und der Geldumlauf auf sein metallisches Niveau zurückgeführt wäre." Er starb rechtzeitig gerade vor dem Ausbruch der Krise von 1825, die seine Prophezeiung Lügen strafte. Die Periode, worin Ricardos schriftstellerische Tätigkeit fällt, war überhaupt wenig geeignet, um die Funktion der edeln Metalle als Weltgeld zu beobachten. Vor der Einführung des Kontinentalsystems war die Handelsbilanz fast immer zugunsten Englands und während desselben waren die Transaktionen mit dem europäischen Kontinent zu unbedeutend, um den englischen Wechselkurs zu affizieren. Die Geldsendungen waren hauptsächlich politischer Natur, und Ricardo scheint die Rolle, die die Subsidiengelder im englischen Goldexport spielten, gänzlich verkannt zu haben.* Unter den Zeitgenossen Ricardos, welche die Schule für die Prinzipien seiner politischen Ökonomie bildeten, ist James Mill der bedeutendste. Er hat versucht, Ricardos Geldtheorie auf Grundlage der einfachen metallischen Zirkulation darzustellen, ohne die ungehörigen internationalen Verwicklungen, wohinter Ricardo die Dürftigkeit seiner Ansicht versteckt, und ohne alle polemische Rücksicht auf die Operationen der Bank von England. Seine Hauptsätze sind folgende**: „Der Wert des Geldes ist gleich der Proportion, worin man es austauscht gegen andre Artikel, oder der Quantität Geld, die man im Austausch für eine bestimmte Quantität andrer Sachen gibt. Dies Verhältnis ist bestimmt durch die Totalquantität des in einem Lande befindlichen Geldes. Unterstellt man auf der einen Seite alle Waren eines Landes, und auf der andern all sein Geld, so ist es evident, daß beim Austausch der beiden Seiten der Wert des Geldes, d. h. die Quantität von Waren, für die es ausgetauscht wird, ganz von seiner eignen Quantität abhängt. Der Fall ist ganz derselbe im wirklichen Verlauf der Dinge. Die Totalmasse der Waren eines Landes tauscht sich nicht auf einmal gegen die Totalmasse des Geldes aus, sondern die Waren tauschen sich in Portionen, und oft in sehr kleinen Portionen, zu verschiedenen Epochen im Laufe des Jahres aus. Dasselbe Stück Geld, das heute zu diesem Austausch gedient hat, kann morgen zu einem andern dienen. Ein Teil des Geldes wird zu einer größern Anzahl von Austauschakten, ein andrer zu einer sehr kleinen angewandt, ein dritter wird aufgehäuft und dient gar keinem Austausch. Unter diesen Variationen wird es
* Vgl. W. Blake, die oben zitierten „Observations etc." ** James Mill, „Elements of political economy." Im Text übersetzt aus der französischen Übersetzung von /. T. Parisot, Paris 1823.
einen Durchschnitt geben, begründet auf die Anzahl von Austauschakten, wozu jedes Goldstück verwandt worden wäre, wenn jedes dieselbe Anzahl von Austauschakten realisierte. Man fixiere diese Durchschnittszahl beliebig, z. B. auf 10. Hat jedes im Land befindliche Geldstück zu 10 Einkäufen gedient, so ist dies dasselbe, als ob sich die Totalmasse der Geldstücke verzehnfacht, und iedes nur zu einem einzigen Einkauf gedient hätte. In diesem Fall ist der Wert aller Waren gleich 10 mal dem Wert des Geldes usw. Wenn umgekehrt, statt daß jedes Geldstück im Jahre zu 10 Einkäufen diente, die Totalmasse des Geldes verzehnfacht wäre und jedes Geldstück nur einen Austausch vollzöge, so ist klar, daß jede Vermehrung dieser Masse eine verhältnismäßige Verminderung im Werte jedes der Goldstücke für sich genommen verursachen würde. Da man unterstellt, daß die Masse aller Waren, wogegen sich das Geld austauschen kann, dieselbe bleibt, so ist der Wert der Gesamtmasse des Geldes nicht größer geworden nach Vermehrung seiner Quantität, als er vorher war. Unterstellt man Vermehrung um ein Zehnteil, so muß der Wert jedes aliquoten Teils der Gesamtmasse, z. B. einer Unze, sich um ein Zehnteil vermindert haben. Welches also auch immer der Grad der Verminderung oder Vermehrung der Totalmasse des Geldes sei, wenn die Quantität der andern Sachen dieselbe bleibt, so erfährt diese Gesamtmasse und jeder ihrer Teile wechselseitig eine verhältnismäßige Verminderung oder Vermehrung. Es ist klar, daß dieser Satz von absoluter Wahrheit ist. So oft der Geldwert ein Steigen oder Fallen erfahren hat, und so oft die Quantität der Waren, wogegen man es austauschen konnte, und die Bewegung der Zirkulation dieselben bleiben, muß dieser Wechsel eine verhältnismäßige Vermehrung oder Verminderung des Geldes zur Ursache gehabt haben und kann keiner andern Ursache zugeschrieben werden. Vermindert sich die Masse der Waren, während die Quantität des Geldes dieselbe bleibt, so ist es, als ob sich die Gesamtsumme des Geldes vermehrt hätte und umgekehrt. Ähnliche Wechsel sind das Resultat jedes Wechsels in der Bewegung der Zirkulation. Jede Vermehrung der Anzahl der Umläufe produziert denselben Effekt, wie eine Totalvermehrung des Geldes; eine Verminderung in jener Anzahl bringt unmittelbar die umgekehrte Wirkung hervor... Wenn ein Teil der jährlichen Produktion gar nicht ausgetauscht wird, wie das, was die Produzenten selbst konsumieren, so kommt dieser Teil nicht in Rechnung. Da er sich nicht gegen Geld austauscht, ist er in bezug auf das Geld, als ob er überhaupt nicht existierte... So oft die Vermehrung und Verminderung des Geldes frei stattfinden kann, ist die in einem Lande befindliche Gesamtquantität desselben geregelt durch den Wert der edeln Metalle... Gold und Silber aber sind Waren, deren Wert, wie der aller übrigen Waren durch ihre Produktionskosten, das Quantum in ihnen enthaltener Arbeit bestimmt wird."*
Der ganze Scharfsinn Mills löst sich in eine Reihe ebenso willkürlicher als abgeschmackter Unterstellungen auf. Er will beweisen, daß der Preis der Waren oder der Wert des Geldes bestimmt ist „durch die Totalquantität des in einem Lande existierenden Geldes". Unterstellt man, daß die Masse und
* I.e. p. 128-136 passim.
der Tauschwert der zirkulierenden Waren dieselben bleiben, nicht minder die Zirkulationsgeschwindigkeit, und der durch die Produktionskosten bestimmte Wert der edeln Metalle, und unterstellt man zugleich, daß dennoch die Quantität des zirkulierenden Metallgelds sich vermehrt oder vermindert, ini Verhältnis zu der Masse des im Lande existierenden Geldes, so wird es in der Tat „evident", daß man unterstellt hat, was man zu beweisen vorgab. Mill fällt übrigens in denselben Fehler wie Hume, Gebrauchswerte, nicht Waren von gegebenem Tauschwert, zirkulieren zu lassen, und daher wird sein Satz falsch, selbst wenn man alle seine „Unterstellungen" zugibt. Die Zirkulationsgeschwindigkeit mag dieselbe bleiben, ebenso der Wert der edeln Metalle, ebenso die Quantität der zirkulierenden Waren, und dennoch mag mit dem Wechsel ihres Tauschwerts bald eine größere, bald eine geringere Geldmasse zu ihrer Zirkulation erheischt sein. Mill sieht die Tatsache, daß ein Teil des im Lande existierenden Geldes zirkuliert, während der andere stagniert. Mit Hilfe einer höchst komischen Durchschnittsrechnung unterstellt er, daß, obgleich es in Wirklichkeit anders scheint, in der Wahrheit alles in einem Lande befindliche Geld zirkuliert. Unterstelle, es liefen 10 Millionen Silbertaler zweimal während des Jahres in einem Lande um, so könnten 20 Millionen umlaufen, wenn jeder Taler nur einen Einkauf vollzöge. Und wenn die Gesamtsumme des in dem Lande in allen Formen befindlichen Silbers 100 Millionen Taler beträgt, so kann man unterstellen, daß die 100 Millionen umlaufen können, wenn jedes Geldstück in fünf Jahren einen Einkauf bewirkt. Man könnte auch unterstellen, daß alles Geld der Welt in Hampstead umläuft, aber jeder aliquote Teil desselben, statt etwa drei Umläufe in einem Jahr, einen Umlauf in 3000000 Jahren vollzieht. Die eine Unterstellung ist gerade so wichtig wie die andre für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Summe der Warenpreise und Quantität der Umlaufsmittel. Mill fühlt, daß es für ihn entscheidend wichtig ist, die Waren unmittelbar zusammenzubringen, nicht mit dem in Zirkulation befindlichen Quantum Geld, sondern mit dem Gesamtvorrat des jedesmal in einem Lande existierenden Geldes. Er gibt zu, daß die Totalmasse der Waren eines Landes sich „nicht auf einmal" gegen die Totalmasse des Geldes austauscht, sondern verschiedene Portionen Waren zu verschiedenen Epochen des Jahres gegen verschiedenePortionen Geld. Um dies Mißverhältnis zu beseitigen, unterstellt er, daß es nicht existiere. Übrigens ist diese ganze Vorstellung von dem unmittelbaren Gegenübertreten von Waren und Geld und ihrem unmittelbaren Austausch abstrahiert aus der Bewegung der einfachen Käufe und Verkäufe oder der Funktion des Geldes als Kauf mittel. Schon in der Bewegung des Geldes als Zahlungsmittel verschwindet diese gleichzeitige Erscheinung von Ware und Geld.
Die Handelskrisen während des 19. Jahrhunderts, namentlich die großen Krisen von 1825 und 1836, riefen keine Fortentwicklung, wohl aber neue Nutzanwendung der Ricardoschen Geldtheorie hervor. Es waren nicht mehr einzelne ökonomische Phänomene, wie bei Hume die Depreziation der edeln Metalle im 16. und 17. Jahrhundert, oder wie bei Ricardo die Depreziation des Papiergeldes während des 18. und anfangs des 19. Jahrhunderts, sondern die großen Weltmarktsungewitter, worin der Widerstreit aller Elemente des bürgerlichen Produktionsprozesses sich entladet, deren Ursprung und Abwehr innerhalb der oberflächlichsten und abstraktesten Sphäre dieses Prozesses, der Sphäre der Geldzirkulation, gesucht wurden. Die eigentlich theoretische Voraussetzung, wovon die Schule der ökonomischen Wetterkünstler ausgeht, besteht in der Tat in nichts anderm als dem Dogma, daß Ricardo die Gesetze der rein metallischen Zirkulation entdeckt hat. Was ihnen zu tun übrigblieb, war die Unterwerfung der Kredit- oder Banknotenzirkulation unter diese Gesetze. Das allgemeinste und sinnfälligste Phänomen der Handelskrisen ist plötzlicher, allgemeiner Fall der Warenpreise, folgend auf ein längeres, allgemeines Steigen derselben. Allgemeiner Fall der Warenpreise kann ausgedrückt werden als Steigen im relativen Wert des Geldes, verglichen mit allen Waren, und allgemeines Steigen der Preise umgekehrt als Fallen des relativen Werts des Geldes. In beiden Ausdrucksweisen ist das Phänomen ausgesprochen, nicht erklärt. Ob ich die Aufgabe stelle: zu erklären das allgemeine periodische Steigen der Preise, wechselnd mit allgemeinem Fall derselben, oder dieselbe Aufgabe so formuliere: zu erklären das periodische Fallen und Steigen des relativen Werts des Geldes, verglichen mit den Waren, die verschiedene Phraseologie läßt die Aufgabe ebenso unverändert, wie es ihre Übersetzung aus der deutschen in die englische Sprache tun würde. Ricardos Geldtheorie kam daher ungemein gelegen, da sie einer Tautologie den Schein eines Kausalverhältnisses gibt. Woher das periodische allgemeine Fallen der Warenpreise? Vom periodischen Steigen des relativen Werts des Geldes. Woher umgekehrt das allgemeine, periodische Steigen der Warenpreise? Von einem periodischen Fall im relativen Wert des Geldes. Es könnte ebenso richtig gesagt werden, daß das periodische Steigen und Fallen der Preise von ihrem periodischen Steigen und Fallen herrührt. Die Aufgabe selbst ist gestellt unter der Voraussetzung, daß der immanente Wert des Geldes, d.h. sein durch die Produktionskosten der edeln Metalle bestimmter Wert unverändert bleibt. Soll die Tautologie mehr als Tautologie sein, so beruht sie auf Verkennung der elementarischsten Begriffe. Wenn der Tauschwert von A gemessen in B fällt, so wissen wir, daß dies ebensogut von einem Fallen des Werts von A wie von
einem Steigen des Werts von B herrühren kann. Ebenso umgekehrt, wenn der Tauschwert vonA gemessen in B steigt. Die Verwandlung der Tautologie in ein Kausalverhältnis einmal zugegeben, ergibt sich alles andre mit Leichtigkeit. Das Steigen der Warenpreise entspringt aus dem Fallen des Werts des Geldes, das Fallen des Geldwerts aber, wie wir von Ricardo wissen, aus übervoller Zirkulation, d.h. daher, daß die Masse des zirkulierenden Geldes über das durch seinen eignen immanenten Wert und die immanenten Werte der Waren bestimmte Niveau steigt. Ebenso umgekehrt das allgemeine Fallen der Warenpreise aus dem Steigen des Geldwerts über seinen immanenten Wert infolge einer untervollen Zirkulation. Die Preise steigen und fallen also periodisch, weil periodisch zu viel oder zu wienig Geld zirkuliert. Wird nun etwa nachgewiesen, daß das Steigen der Preise mit einer verminderten Geldzirkulation, und das Fallen der Preise mit einer vermehrten Zirkulation zusammenfiel, so kann trotzdem behauptet werden, infolge irgendeiner, wenn auch statistisch durchaus unnachweisbaren Verminderung oder Vermehrung der zirkulierenden Warenmasse sei die Quantität des zirkulierenden Geldes, obgleich nicht absolut, doch relativ vermehrt oder vermindert worden. Wir sahen nun, daß nach Ricardo diese allgemeinen Schwankungen der Preise auch bei einer rein metallischen Zirkulation stattfinden müssen, sich aber durch ihre Abwechslung ausgleichen, indem z.B. untervolle Zirkulation Fallen der Warenpreise, das Fallen der Warenpreise Ausfuhr der Waren ins Ausland, diese Ausfuhr aber Einfluß von Geld ins Inland, dieser Einfluß von Geld aber wieder Steigen der Warenpreise hervorruft. Umgekehrt bei einer übervollen Zirkulation, wo Waren importiert und Geld exportiert werden. Da nun trotz dieser aus der Natur der Ricardoschen Metallzirkulation selbst entspringenden allgemeinen Preisschwankungen ihre heftige und gewaltsame Form, ihre Krisenform, den Perioden entwickelten Kreditwesens angehört, so wird es sonnenklar, daß die Ausgabe von Banknoten nicht exakt nach den Gesetzen der metallischen Zirkulation reguliert wird. Die metallische Zirkulation besitzt ihr Heilmittel im Import und Export der edeln Metalle, die sofort als Münze in Umlauf treten und so durch ihren Einfluß oder Ausfluß die Warenpreise fallen oder steigen machen. Dieselbe Wirkung auf die Warenpreise muß nun künstlich durch Nachahmung der Gesetze der Metallzirkulation von den Banken hervorgebracht werden. Fließt Gold vom Ausland ein, so ist das ein Beweis, daß die Zirkulation untervoll ist, der Geldwert zu hoch und die Warenpreise zu niedrig stehn und folglich Banknoten im Verhältnis zu dem neu importierten Gold in Zirkulation geworfen werden müssen. Sie müssen umgekehrt der Zirkulation entzogen werden, im Verhältnis wie Gold aus dem Land ausströmt. In andern Worten, die Ausgabe der Banknoten
muß reguliert werden nach dem Import und Export der edeln Metalle oder nach dem Wechselkurs. Ricardos falsche Voraussetzung, daß Gold1 nur Münze ist, daher alles importierte Gold das umlaufende Geld vermehrt, und darum die Preise steigen macht, alles exportierte Gold die Münze vermindert und darum die Preise fallen macht, diese theoretische Voraussetzung wird hier zum praktischen Experiment, so viel Münze zirkulieren zu machen, als jedesmal Gold vorhanden ist. Lord Overstone (Bankier Jones Loyd), Oberst Torrens, Norman, Clay, Arbuthnot und eine Unzahl andrer Schriftsteller, in England bekannt unter dem Namen der Schule des „currency principle"2, haben diese Doktrin nicht nur gepredigt, sondern vermittelst Sir Robert Peels Bankakte von 1844 und 1845 zur Grundlage der bestehenden englischen und schottischen Bankgesetzgebung gemacht. Ihr schmähliches Fiasko, theoretisch wie praktisch, nach Experimenten auf der größten nationalen Stufenleiter, kann erst in der Lehre vom Kredit dargestellt werden.* Soviel aber sieht man, wie Ricardos Theorie, die das Geld in seiner flüssigen Form als Zirkulationsmittel isoliert, damit endet, der Zu- und Abnahme der edeln Metalle eine absolute Einwirkung auf die bürgerliche Ökonomie zuzuschreiben, wie sie der Aberglaube des Monetarsystems nie geträumt hatte. So wurde Ricardo, der das Papiergeld für die vollendetste Form des Geldes erklärt, zum Propheten der Bullionisten.
* Einige Monate vor dem Ausbruch der allgemeinen Handelskrise von 1857 saß ein Komitee des Hauses der Gemeinen, um Untersuchungen über die Wirkungen der Bankgesetze von 1844 und 1845 anzustellen. Lord Overstone, der theoretische Vater dieser Gesetze, erging sich in seiner Aussage vor dem Komitee in folgender Renommage: „Durch strenge und prompte Einhaltung der Grundsätze des Akts von 1844 ist alles mit Regelmäßigkeit und Leichtigkeit verlaufen, das Geldsystem ist sicher und unerschüttert, die Prosperität des Landes ist unbestritten, das öffentliche Vertrauen in den Akt von 1844 gewinnt täglich an Stärke. Wünscht der Ausschuß noch weitere praktische Belege für die Gesundheit der Prinzipien, auf denen dieser Akt beruht, und der wohltätigen Folgen, die er sichergestellt hat, so ist die wahre und hinreichende Antwort diese: Schauen Sie um sich; betrachten Sie die gegenwärtige Geschäftslage unseres Landes, betrachten Sie die Zufriedenheit des Volks; betrachten Sie den Reichtum und die Prosperität aller Klassen der Gesellschaft; und dann, nachdem dies geschehen, wird der Ausschuß imstande sein zu entscheiden, ob er die Fortdauer eines Akts verhindern will, unter dem solche Erfolge erreicht worden sind." So stieß Overstone in seine eigene Posaune am 14. Juli 1857; am 12. November desselben Jahres hatte das Ministerium das wundertätige Gesetz von 1844 auf seine eigne Verantwortlichkeit zu suspendieren.
1 Im Handexemplar korrigiert; (1859) Geld - 2 „Geldumlaufgesetzes"
Nachdem Humes Theorie oder der abstrakte Gegensatz gegen das Monetarsystem so bis zur letzten Konsequenz entwickelt war, wurde Steuarts konkrete Auffassung des Geldes schließlich wieder in ihr Recht eingesetzt durch Thomas Tooke* Tooke leitet seine Prinzipien nicht aus irgendeiner Theorie her, sondern aus gewissenhafter Analyse der Geschichte der Warenpreise von 1793 bis 1856. In der ersten Ausgabe seiner Geschichte der Preise, die 1823 erschien, ist Tooke noch ganz befangen von der Ricardoschen Theorie und müht sich vergebens, die Tatsachen mit dieser Theorie auszugleichen. Sein Pamphlet „On the currency", das nach der Krisis von 1825 erschien, könnte sogar als erste konsequente Aufstellung der später von Overstone geltend gemachten Ansichten betrachtet werden. Fortgesetzte Forschungen in der Geschichte der Warenpreise zwangen ihn jedoch zur Einsicht, daß jener direkte Zusammenhang zwischen Preisen und Quantität der Umlaufsmittel, wie ihn die Theorie voraussetzt, ein bloßes Hirngespinst ist, daß die Expansion und Kontraktion der Umlaufsmittel, bei gleichbleibendem Wert der edeln Metalle, stets Wirkung, nie Ursache der Preisschwankungen, daß die Geldzirkulation überhaupt nur eine sekundäre Bewegung ist, und daß das Geld im wirklichen Produktionsprozeß noch ganz andre Formbestimmtheiten erhält, als die des Zirkulationsmittels. Seine Detailuntersuchungen gehören einer andern Sphäre als der der einfachen Metallzirkulation an, und können daher hier noch nicht erörtert werden, so wenig wie die derselben Richtung angehörigen Untersuchungen von Wilson und Fullarton.** Alle diese Schriftsteller fassen das Geld nicht einseitig, sondern in seinen verschiedenen Momenten auf, aber nur stofflich, ohne irgendeinen lebendigen Zusammenhang, sei es dieser Momente untereinander, sei es mit dem Gesamtsystem der ökonomischen Kategorien. Geld im Unterschied von Zirkulationsmittel werfen sie daher fälschlich mit Kapital zusammen oder gar mit Ware, obgleich sie andererseits wieder gezwungen sind, seinen Unterschied von beiden gelegentlich geltend zu machen.*** Wenn Gold z.B. ins Ausland geschickt wird, so wird in der
* Tooke war gänzlich unbekannt mit Steuarts Schrift, wie sich aus seiner „History of prices from 1839 to 1847", London 1848, ergibt, worin er die Geschichte der Geldtheorien zusammenfaßt. ** Tookes bedeutendste Schrift, außer der „History of prices", die sein Mitarbeiter Newmarch in sechs Bänden herausgegeben hat, ist „An Inquiry into the currency principle, the connection of currency with prices etc.", 2.Edition, London 1844. Wilsons Schrift haben wir bereits zitiert. Es ist schließlich noch zu erwähnen John Fullarton, „On the regulation of currencies", 2. Edition, London 1845. *** „Es ist zu unterscheiden zwischen Geld als Ware, das heißt Kapital, und Geld als Zirkulationsmittel." (Tooke, „An Inquiry into the currency principle etc.", p. 10.)
Tat Kapital ins Ausland geschickt, aber dasselbe findet statt, wenn Eisen, Baumwolle, Getreide, kurz jede Ware exportiert wird. Beide sind Kapital und unterscheiden sich daher nicht als Kapital, sondern als Geld und Ware. Die Rolle des Goldes als internationales Tauschmittel entspringt also nicht aus seiner Formbestimmtheit als Kapital, sondern aus seiner spezifischen Funktion als Geld. Ebenso wenn Gold oder an seiner Stelle Banknoten als Zahlungsmittel im innern Handel funktionieren, sind sie zugleich Kapital. Aber Kapital in der Form von Ware, wie die Krisen z.B. sehr handgreiflich zeigen, könnte nicht an ihre Stelle treten. Es ist also wieder der Unterschied des Goldes als Geld von der Ware, nicht sein Dasein als Kapital, wodurch es zum Zahlungsmittel wird. Selbst wo Kapital direkt als Kapital exportiert wird, um eine bestimmte Wertsumme, z.B. auf Zinsen im Ausland zu verleihen, hängt es von Konjunkturen ab, ob es in der Form von Ware oder von Gold exportiert wird, und wird es in der letztern Form exportiert, so geschieht es wegen der spezifischen Formbestimmtheit der edeln Metalle als Geld gegenüber der Ware. Uberhaupt betrachten jene Schriftsteller das Geld nicht zuerst in der abstrakten Gestalt, wie es innerhalb der einfachen Warenzirkulation entwickelt wird und aus der Beziehung der prozessierenden Waren selbst hervorwächst. Sie schwanken daher beständig hin und her zwischen den abstrakten Formbestimmtheiten, die Geld im Gegensatz zur Ware erhält, und den Bestimmtheiten desselben, worin sich konkretere Verhältnisse, wie Kapital, revenue u. dergl. verstecken.*
„Man kann sich darauf verlassen, daß Gold und Silber bei ihrer Zufuhr fast genau die benötigte Summe realisieren... Gold und Silber besitzen einen unendlichen Vorteil vor allen anderen Arten von Waren... durch den Umstand, daß sie allgemein als Geld im Gebrauch sind... Nicht in Tee, Kaffee, Zucker oder Indigo sind Schulden, ausländische oder einheimische, gewöhnlich vertragsgemäß zu zahlen, sondern in Münzen; und die Geldsendung, entweder in eben der bezeichneten Münze oder in Barren, die sofort in jene Münze verwandelt werden können, durch die Münzstätte oder den Markt des Landes, in das sie geschickt werden, muß dem Absender stets die sichersten, unmittelbarsten und genauesten Mittel bieten, um diesen Zweck zu erreichen ohne Gefahr eines Fehlschlags wegen Mangels an Nachfrage oder Schwanken des Preises." (Fullarton, I.e. p. 132, 133.) „Jeder andre Artikel" (außer Gold und Silber) „kann in Menge oder Art außerhalb der gewöhnlichen Nachfrage des Landes stehn, in das er gesandt wird." (Toohfi, „An Inquiry etc." [p. 10].) * Die Verwandlung des Gelds in Kapital werden wir betrachten im 3. Kapitel, das vom Kapital handelt und den Schluß dieses ersten Abschnitts bildet.
NEW-YORK DAILY TRIBÜNE VOL. XIX NO. 3.540. NEW-YORK, SATDRDAY, AUGUST 2t, 1863. PR1CE TWO CENTS.
Karl Marx [Die Frage der Einigung Italiens]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5541 vom 24. Januar 1859, Leitartikel] Wie der Junge mit seinem Geschrei, daß ein Wolf kämeI32J, so haben die Italiener derart häufig behauptet, daß „Italien sich in Gärung und am Vorabend der Revolution befindet", haben die gekrönten Häupter Europas so oft von der „Regelung der italienischen Frage" geschwätzt, daß es nicht erstaunlich wäre, wenn das tatsächliche Erscheinen des Wolfs unbemerkt bliebe, wenn eine wirkliche Revolution und ein allgemeiner europäischer Krieg ausbrächen und uns unvorbereitet fänden! Europa zeigt 1859 ein entschieden kriegerisches Aussehen, und sollten das feindselige Gebaren, die offensichtlichen Vorbereitungen Frankreichs und Piemonts für einen Krieg mit Österreich sich im Nichts auflösen, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß der brennende Haß der Italiener gegen ihre Unterdrücker, verbunden mit ihren sich ständig mehrenden Leiden, sich in einer allgemeinen Revolution Luft machen wird. Wir beschränken uns darauf, zu sagen: nicht unwahrscheinlich denn, wenn eine sich lange nicht erfüllende Hoffnung das Herz quält, so stimmt eine sich lange nicht erfüllende Voraussage den Verstand skeptisch. Wenn wir jedoch den Berichten der englischen, italienischen und französischen Zeitungen glauben sollen, so ist die moralische Verfassung Neapels ein fac simile1 seiner physischen Struktur, und ein Strom revolutionärer Lava würde nicht mehr Erstaunen auslösen als eine neue Eruption des alten Vesuvs. Berichterstatter aus dem Kirchenstaat berichten sehr ausführlich von den wachsenden Übergriffen der Klerikalherrschaft und dem tief eingewurzelten Glauben der römischen Bevölkerung, daß eine Reform oder Verbesserung undenkbar und nur ein völliger Sturz besagter Regierimg das einzige Heil
1 getreues Abbild
11 Mary/Engels, Werke, Bd. 13
mittel sei, daß man dieses Heilmittel längst angewandt hätte, wenn nicht schweizerische, französische und österreichische Truppen anwesend wärent331, und daß trotz dieser wesentlichen Hindernisse an jedem Tag und zu jeder Stunde solch ein Versuch unternommen werden könne. Die Nachrichten aus Venedig und der Lombardei lauten bestimmter und erinnern uns eindringlich an die Symptome, die Ende 1847 und Anfang 1848 für diese Provinzen bezeichnend waren[34]. Österreichischer Tabak und österreichische Erzeugnisse werden nirgends gekauft, ebenso allgemein sind auch Proklamationen an die Bevölkerung, sich von öffentlichen Vergnügungsstätten fernzuhalten. Diese wohldurchdachten Beweise des Hasses gegen den Erzherzog1 und alle österreichischen Beamten führten so weit, daß Fürst Alfonso Parcia, ein dem Hause Habsburg ergebener italienischer Adliger, es auf offener Straße nicht wagte, seinen Hut zu ziehen, als er der Erzherzogin2 begegnete, und die Strafe für sein schlechtes Betragen - in Form eines Befehls des Erzherzogs zur sofortigen Abreise des Fürsten aus Mailand - wirkte auf seine Klasse wie ein Ansporn, sich dem Volksruf: fuori i Tedeschi!3 anzuschließen. Wenn wir zu diesen stummen Demonstrationen der Volksgefühle die täglichen Streitigkeiten zwischen dem Volk und der Soldateska, die stets von dem ersteren herausgefordert werden, den Aufruhr der Studenten von Pavia und die darauffolgende Schließung der Universität hinzufügen, so sehen wir eine neue Auflage der Einleitung zu den fünf Tagen von Mailand im Jahre I848[35j vor uns. Doch, obwohl wir glauben, daß Italien nicht immer in seinem jetzigen Zustand bleiben kann, da auch die längste Straße eine Biegung haben muß, obwohl wir wissen, daß auf der ganzen Halbinsel eine wirksame Organisierung vor sich geht, können wir nicht sagen, ob diese Kundgebungen ausschließlich das spontane Aufwallen des Volkswillens darstellen oder ob sie von den Agenten Louis-Napoleons und seines Verbündeten, des Grafen Cavour, angeregt wurden. Dem Anschein nach zu urteilen, beabsichtigt Piemont, mit Unterstützung Frankreichs und vielleicht Rußlands, im Frühjahr einen Angriff auf Osterreich. Nach dem Empfang, den der Kaiser dem österreichischen Gesandten in Paris bereitete, scheint es, daß er gegenüber der von Herrn Hübner vertretenen Regierung keine freundschaftlichen Gefühle hegt.I36] Els ist nicht abwegig, bei der Konzentrierung einer so mächtigen Streitmacht in Algerien anzunehmen, daß die Feindseligkeiten gegen Österreich mit einem Angriff auf seine italienischen Provinzen beginnen würden. Die kriegerischen Vorbereitungen Piemonts, die an Kriegserklärungen gegen Österreich grenzenden
1 Ferdinand Maximilian Joseph - 2 Charlotte - 3 hinaus mit den Deutschen!
Meldungen, die täglich von der offiziellen und offiziösen piemontesischen Presse ausgehen, bestärken uns in der Vermutung, daß der König sich des ersten Vorwandes bedienen wird, um den Ticino zu überschreiten. Außerdem wird die Nachricht, daß Garibaldi, der Held von Montevideo und RomE37], nach Turin gerufen wurde, durch private und zuverlässige Quellen bestätigt. Cavour hatte eine Unterredung mit Garibaldi; er informierte ihn, daß bald ein Krieg zu erwarten sei und legte ihm nahe, daß es klug wäre, Freiwillige zu sammeln und zu organisieren. Osterreich, eine der betroffenen Hauptparteien, liefert den klaren Beweis dafür, daß es den Gerüchten Glauben schenkt. Es verstärkt seine Streitmacht von 120 000 Mann, die in seinen italienischen Provinzen konzentriert ist, mit allen Mitteln und hat eben jetzt schleunigst eine Verstärkung von 30000 Mann abgeschickt. Die Verteidigungswerke von Venedig, Triest u.a. werden erweitert und verstärkt, und in allen anderen österreichischen Provinzen werden die Grundbesitzer und Pferdezüchter aufgerufen, ihre Pferde zu bringen, da für die Kavallerie und die Pioniere Reitpferde gebraucht werden. Während Österreich auf der einen Seite keine Vorbereitung zum Widerstand unterläßt, werden nach „vorsichtiger österreichischer Art" auch für den Fall einer Niederlage Vorkehrungen getroffen. Von Preußen, dem Piemont Deutschlands, dessen Interessen seinen eigenen diametral entgegengesetzt sind, kann es bestenfalls Neutralität erhoffen. Die Mission des österreichischen Abgesandten, Baron Seebach, für den Fall eines Angriffs Aussicht auf Unterstützung durch St. Petersburg zu erhalten, scheint völlig fehlgeschlagen zu sein. Die Pläne des Zaren stimmen in mehr als einem Punkt und nicht zuletzt in der Frage des Mittelmeerraumes, wo er auch Anker geworfen hat[38], zu sehr mit denen seines ehemaligen Gegners und jetzigen festen Verbündeten in Paris überein, als daß er es sich erlauben könnte, das „dankbare" Österreich1391 zu verteidigen. Die wohlbekannte Sympathie des englischen Volkes für die Italiener und deren Haß gegen das giogo tedesco1 läßt es sehr zweifelhaft erscheinen, ob irgendein britisches Ministerium es wagen könnte, Österreich zu unterstützen, so gern sie es auch allesamt tun würden. Überdies hegt Österreich gemeinsam mit vielen anderen den begründeten Argwohn, daß der vorgebliche „Rächer von Waterloo"2 keinesfalls seinen Wunsch nach Erniedrigung des „perfiden Albions"[40' aus dem Auge verloren hat, daß er zwar nicht riskieren möchte, den Löwen in seiner Höhle herauszufordern, aber nicht davor zurückschrecken wird, ihm im Osten die Stirn zu bieten und gemeinsam mit Rußland das Türkische Reich anzugreifen (trotz seiner Eide, dieses Reich
1 deutsche Joch - 2 Napoleon III.
unangetastet zu lassen) und so die Hälfte der britischen Streitkräfte auf dem östlichen Schlachtfeld in Aktion zu bringen, während er von Cherboürg aus die andere Hälfte in erzwungener Inaktivität hält, da sie die britischen Küsten schützen muß. Deshalb hat Österreich das unangenehme Gefühl, daß es sich im tatsächlichen Kriegsfälle nur auf sich selbst verlassen kann. Eines seiner vielen Mittel, im Falle der Niederlage möglichst geringen Schaden zu erleiden, ist bemerkenswert für seine unverschämte Gerissenheit. Die Kasernen, Paläste, Arsenale und anderen Amtsgebäude in der gesamten venetianischen Lombardei, deren Errichtung und Unterhaltung die Italiener übermäßig mit Steuern belastet hat, werden trotzdem von Österreich als sein Eigentum angesehen. Im Augenblick zwingt die Regierung die verschiedenen Gemeinden, alle diese Gebäude zu phantastischen Preisen zu kaufen. Als Grund dafür wird angeführt, daß sie beabsichtigt, in Zukunft die Gebäude zu pachten und nicht zu besitzen. Ob die Gemeinden jemals einen Heller von der Pacht sehen werden, selbst wenn Österreich die Macht behält, ist im besten Falle zweifelhaft. Sollte Österreich aber vom ganzen oder von einem Teil seines italienischen Territoriums vertrieben werden, so wird es sich zu seinem listigen Plan gratulieren, weil es einen großen Teil seines verlorenen Schatzes in Bargeld verwandelt hat, das man leicht mit sich führen kann. Es wird ferner behauptet, daß Österreich äußerste Anstrengungen unternimmt, seine eigene Entschlossenheit, allen Versuchen des Volkes oder der gekrönten Häupter zur Veränderung des bestehenden Zustandes in Italien bis zum äußersten Widerstand zu leisten, auf den Papst, den König von Neapel und die Herzöge von Toskana, Parma und Modena zu übertragen. Doch niemand weiß es besser als Österreich selbst, wie erfolglos die besten Bemühungen dieser armseligen Werkzeuge wären, der Flut eines Volksaufstandes oder einer ausländischen Intervention zu widerstehen. Während ein Krieg mit Österreich der heiße Wunsch jedes ehrlichen italienischen Herzens ist, zweifeln wir nicht, daß die große Mehrheit der Italiener die Aussichten eines von Frankreich und Piemont begonnenen Krieges in Hinblick auf seine Resultate zumindest als bedenklich ansieht. Obwohl niemand ernsthaft annimmt, daß der Mörder von Romt41] durch ein im Bereich des menschenmöglichen liegendes Verfahren in den Retter der Lombardei verwandelt werden kann, begünstigt eine kleine Clique Louis-Napoleons Pläne, Murat auf den Thron von Neapel zu setzen, glaubt sie seinen Versicherungen, den Papst aus Italien zu entfernen oder seine Macht auf die Stadt und die Campagna di Roma zu beschränken und Piemont zu helfen, ganz Oberitalien seinem Gebiet einzuverleiben. Dann gibt es eine Partei, klein aber ehrlich, die sich einbildet, daß Viktor Emanuel der Gedanke an eine
italienische Krone ebenso blendet, wie er seinen Vater1 geblendet hätte. Sie ist überzeugt, daß er begierig auf die erste Gelegenheit wartet, zur Erlangung dieser Krone sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, und daß der König sich nur mit diesem einzigen Ziel vor Augen der Hilfe Frankreichs oder irgendeiner anderen Hilfe bedienen wird, um den begehrten Schatz zu erlangen. Eine bedeutend größere Gruppe, die in allen unterdrückten Provinzen Italiens, besonders in der Lombardei und unter der lombardischen Emigration, Anhänger zählt und dem piemontesischen König oder der piemontesischen Monarchie kein besonderes Vertrauen schenkt, sagt jedoch: „Seien Piemonts Ziele wie sie wollen, es hat eine Armee von 100 000 Mann, eine Flotte, Arsenale und Schätze; laßt es Österreich den Fehdehandschuh hinwerfen; wir werden ihm auf das Schlachtfeld folgen; wenn es ehrlich ist, soll es seine Belohnung haben; wenn es seine Mission nicht erfüllt, wird die Nation stark genug sein, um den einmal begonnenen Kampf fortzusetzen und zum Siege zu führen." Die italienische nationale Partei dagegen prangert die Auslösung eines italienischen Unabhängigkeitskrieges unter den Auspizien Frankreichs und Piemonts als ein nationales Unglück an. Für sie besteht, wie oft irrtümlich angenommen wird, die Frage nicht darin, ob Italien, wenn es erst einmal von den Fremden befreit ist, unter einer republikanischen oder monarchistischen Regierungsform vereinigt wird, sondern darin, daß die vorgeschlagenen Mittel ungeeignet sind, Italien für die Italiener zu gewinnen, und daß bestenfalls nur ein fremdes Joch gegen ein anderes, ebenso drückendes, eingetauscht wird. Sie glaubt, daß der Mann des 2.Dezember[42] überhaupt niemals Krieg führen wird, wenn nicht die wachsende Ungeduld seiner Armee oder die drohende Miene des französischen Volkes ihn dazu zwingt; daß er, auf diese Weise zum Kriege gezwungen, Italien zum Kriegsschauplatz machen wird mit dem Ziel, den Plan seines Onkels2 - aus dem Mittelmeer einen „französischen See" zu machen - zu verwirklichen, indem er Murat auf den Thron von Neapel setzt; daß er seine auf der Krim begonnene Rache für die Verträge von 1815 zu vollenden suchen wird, indem er Österreich Bedingungen diktiert, das damals eine der Parteien war, die Frankreich äußerst demütigende Bedingungen für die Familie Bonaparte diktierten. Sie sieht in Piemont ein bloßes Werkzeug Frankreichs; sie ist überzeugt, daß Napoleon III., wenn er seine eigenen Ziele erreicht hat, es nicht wagen wird, Italien bei der Erlangung der Freiheit, die er Frankreich verweigert, zu unterstützen, und daß er einen Frieden mit Österreich abschließen und alle Bemühungen der
1 Karl Albert - 2 Napoleon I.
Italiener zur Fortführung des Krieges ersticken wird. Sollte Österreich sein Gebiet behaupten, so müsse sich Piemont damit begnügen, die Herzogtümer Parma und Modena seinem jetzigen Territorium hinzuzufügen, sollte aber Österreich im Kampf geschlagen werden, dann werde der Friede an der Ltsch geschlossen und ganz Venedig und ein 1 eil der Lombardei in den Händen der verhaßten Österreicher bleiben. Dieser Friede an der Etsch, so behauptet sie, wurde schon stillschweigend zwischen Piemont und Frankreich vereinbart. So zuversichtlich, wie diese Partei den Sieg des Volkes im Falle eines nationalen Krieges gegen Österreich voraussieht, so fest ist ihre Uberzeugung, daß, falls dieser Krieg mit Napoleon als Inspirator und dem König von Sardinien als Diktator begonnen wird, die Italiener sich außerstande sehen werden, gegen die von ihnen selbst akzeptierten Führer einen Schritt zu unternehmen und in irgendeiner Weise die sich daraus ergebenden diplomatischen Ränke, Kapitulationen, Verträge und das erneute Schmieden ihrer Ketten zu verhindern. Sie verweist auf das Verhalten Piemonts gegenüber Venedig und Mailand im Jahre 1848 und bei Novara im Jahre 1849[43] und dringt in ihre Landsleute, aus der bitteren Erfahrung, die sie mit ihrem verhängnisvollen Vertrauen in die Fürsten gemacht haben, Lehren zu ziehen. All ihre Bemühungen sind darauf gerichtet, die Organisierung der Halbinsel zu vollenden, das Volk dazu zu bringen, sich in seinem hohen Streben zu vereinen und den Kampf erst zu beginnen, wenn es sich imstande fühlt, den großen nationalen Aufstand zu führen, der Papst, Bomba1 & Co. entthront und die Armeen, Flotten und das Kriegsmaterial der entsprechenden Provinzen zur Vernichtung des ausländischen Feindes in seine Hände gibt. Da sie die piemontesische Armee und Bevölkerung als glühende Verfechter der italienischen Freiheit betrachten, glauben die Anhänger der nationalen Partei, daß der König von Piemont, wenn er es wünscht, auf diese Weise reichlich Gelegenheit haben wird, die Freiheit und Unabhängigkeit Italiens zu fördern. Sollte er sich als reaktionär erweisen, so wissen sie, daß die Armee und das Volk die nationalen Belange verteidigen werden; sollte er das von seinen Anhängern in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen, so werden die Italiener mit Beweisen ihrer Dankbarkeit in greifbarer Form nicht zurückhalten. Auf jeden Fall wird das Volk in der Lage sein, sein eigenes Schicksal zu bestimmen, und da die nationale Partei fühlt, daß eine erfolgreiche Revolution in Italien das Signal für einen allgemeinen Kampf der unterdrückten Nationalitäten zur Befreiung von ihren Unterdrückern sein wird, so befürchtet sie keine Einmischung Frankreichs, da Napoleon III. zu viel in seinem Land zu tun haben
1 Pius IX.. Ferdinand II.
wird, als daß er sich in die Angelegenheiten anderer Nationen einmischen könnte, nicht einmal zur Förderung seiner eigenen ehrgeizigen Ziele. A chi tocca-tocca?1 — wie die Italiener sagen. Wir wollen nicht versuchen vorauszubestimmen, ob die Revolutionäre oder die regulären Armeen zuerst auf dem Feld erscheinen werden. Ziemlich sicher zu sein scheint, daß ein Krieg, in irgendeinem Teil Europas begonnen, nicht dort enden wird, wo er begonnen hat; und wenn dieser Krieg wirklich unvermeidlich ist, so ist es unser aufrichtiger und herzlicher Wunsch, daß er eine wahrhafte und gerechte Regelung der italienischen und verschiedener anderer Fragen bringt, die, solange sie nicht geregelt sind, weiterhin von Zeit zu Zeit den Frieden in Europa stören werden und dadurch den Fortschritt und den Wohlstand der ganzen zivilisierten Welt behindern.
Geschrieben um den 5. Januar 1859. Aus dem Englischen.
1 Wer beginnt?
TT 1 1t f fvari lviarx Die Kriegsaussichten in Europa
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5547 vom 3I.Januar 1859] Paris, 11.Januar 1859[441 Die Antwort des österreichischen Kaisers auf den ungewöhnlichen Neujahrsgruß, der ihm vom „holländischen Neffen der Schlacht von Austerlitz"[45] aus Paris gesandt wurde und des vortrefflichen Emanuels Eröffnungseinsprache an die sardinischen Kammern[36] haben keineswegs dazu beigetragen, die Kriegsfurcht in Europa zu mildern. In allen Zentren des Geldmarktes weist das Barometer auf „Sturm". Der König von Neapel zeigt sich ganz plötzlich großmütig und russenfeindlich; er entläßt eine Reihe politischer Häftlinge, verbannt Poerio und seine Leute und verweigert Rußland ein Kohlendepot an der Adria; er streitet sich mit den Tedeschi1, und der Kreuzzug gegen die Raucher von österreichischen Zigarren geht weiter in Mailand, Lodi, Cremona, Brescia, Bergamo, Parma und Modena, während in Pavia die Vorlesungen an der Universität auf Befehl der Regierung eingestellt wurden; Garibaldi, nach Turin gerufen, erhielt den Auftrag, die Nationalgarde zu reorganisieren; ein neues Korps von ungefähr 15 000 Jägern wird in Turin aufgestellt, und die Befestigungsarbeiten in Casale werden mit äußerster Schnelligkeit vorangetrieben. Eine österreichische Armee von ungefähr 30 000 Mann, ein vollständiges corps d'armee (das dritte), wird inzwischen in das LombardischVenetianische Königreich einmarschiert sein und Graf Gyulay, ein General der Radetzky-Schule und ein Mann mit dem Instinkt eines Haynau, ist schon in Mailand eingetroffen, um dem sanften, gutherzigen, aber schwachen Erzherzog Ferdinand Maximilian die Zügel aus der Hand zu nehmen. In Frankreich sind Truppenverschiebungen an der Tagesordnung, während der Kaiser bei Versuchen mit der neuen Kanone in Vincennes unermeßlichen Eifer an
1 Deutschen
den Tag legt. Die preußische Regierung hat endlich ihr neues System der Freiheit eingeführt, indem sie vom Parlament Geld fordert, um das stehende Heer zu vergrößern und die Landwehr1 zu einem Anhang der Linientruppen zu machen^461 Bei solch sichtbaren Wolken am Horizont Europas muß man über das verhältnismäßig geringfügige Sinken der Kurse an der Londoner Börse staunen, die gewöhnlich den Pulsschlag der europäischen Gesellschaft deutlicher anzeigt als die finanziellen Observatorien von Paris und dem übrigen Kontinent. Zuerst waren die scharfsichtigen Beobachter an der Londoner Börse nicht ganz abgeneigt, Napoleons Neujahrsstreich als ein Spekulationsmanöver ihres erhabenen Verbündeten zu betrachten. Tatsächlich, sobald die französischen Wertpapiere zu fallen begannen, stürzten sich die Leute Hals über Kopf in Baals Tempel, um Staatsobligationen, Credit-mobilier-[18] und Eisenbahnaktien um jeden Preis loszuschlagen. Nachdem ein Teil der Spekulanten, die mit einem Steigen der Papiere gerechnet hatten, ruiniert war, gab es plötzlich am 6. Januar ein leichtes Anziehen an der Pariser Börse infolge des Gerüchts, daß eine Regierungserklärung im „Moniteur"[47] der Äußerung „Seiner Majestät" gegenüber dem österreichischen Gesandten den Stachel nehmen sollte. Solch eine Erklärung erschien tatsächlich am Freitag, dem 7. Januar; die Staatspapiere stiegen, und viele Spekulanten, die den Tuilerien nahestanden, heimsten gerade an diesem Freitag außerordentliche Gewinne ein. So erstatteten sich diese Herren die Auslagen für ihre Neujahrsgeschenke auf die billigste Weise. Nun schien sich eine ähnliche Verschwörung in London zusammenzubrauen, die nicht durch außergewöhnliche Schlauheit der britischen Finanziers vereitelt wurde, sondern durch ihre geheime Macht über einige Finanzmanager der menus plaisirs2 im Elysee148'. Die relative Stabilität der britischen Wertpapiere ist hauptsächlich durch einen anderen Umstand bedingt, der weniger schmeichelhaft für Louis-Napoleon, aber um so charakteristischer für die Verhältnisse in Europa ist. Kein Beichtvater kennt die verwundbaren Stellen im Herzen einer schönen Büßerin besser, als die Geldmänner der Chapel Street, Lombard Street und der Threadneedle Street1491 die Stelle kennen, wo den europäischen Potentaten der Schuh drückt. Sie wissen, daß Rußland eine Anleihe von ungefähr 10 Millionen Pfund Sterling braucht; daß Frankreich trotz des vorgesehenen Überschusses in seinem Staatshaushalt, der jedoch stets nur im Futurum steht, dringend Geld nötig hat; daß Österreich auf eine Zuwendung von mindestens 6 oder 8 Millionen Pfund Sterling wartet; daß das kleine Sardinien eine Anleihe
1 Landwehr: in der „New-York Daily Tribüne" deutsch - 2 Lustbarkeiten
haben will, nicht nur, um einen neuen italienischen Kreuzzug zu unternehmen, sondern auch,um die alten Schulden aus dem Krimkrieg zu bezahlen; und daß die gekrönten Häupter und Militärs eine Summe von insgesamt 30 Millionen Pfund Sterling aus dem englischen Geldsack erhalten müssen, ehe die Armeen marschieren können, ehe Blut fließen und der Kanonendonner dröhnen kann. Um nun all diese Geldgeschäfte abwickeln zu können, braucht man mindestens zwei Monate, so daß - ganz abgesehen von militärischen Erwägungen der Krieg, wenn es dazu kommen sollte, bis zum Frühjahr verschoben werden muß. Es wäre jedoch ein großer Fehler, daraus voreilig den Schluß zu ziehen, daß die Kriegshyänen durch ihre Abhängigkeit vom guten Willen der friedliebenden Kapitalisten mit Sicherheit daran gehindert werden, sich in den Kampf zu stürzen. Jetzt, wo der Zinsfuß kaum 21j2% beträgt, wo über 40 Millionen in Gold in den Kellern der Banken von England und Frankreich festliegen und wo ein allgemeines Mißtrauen gegenüber kommerziell«: Spekulation herrscht, würde selbst der Teufel, wenn er eine Anleihe für einen neuen Feldzug aufnehmen wollte, nach einigem schamhaften Zögern und ein paar scheinheiligen Konferenzen bestimmt seine Schuldverschreibungen über dem Nennwert loswerden. Die Umstände, die den europäischen Krieg abwenden können, sind dieselben, die auf ihn hindrängen. Rußland ist nach seinen glänzenden diplomatischen Erfolgen in Asien1501 eifrig bemüht, seine Vorherrschaft in Europa wiederherzustellen. Ebenso wie die Thronrede des kleinen Sardiniens tatsächlich in Paris redigiert wurde, so war die Neujahrsboutade1 Bonapartes (des Kleinen1511) nur das Echo auf eine Losung, die in St. Petersburg ausgegeben wurde. Mit Frankreich und Sardinien am Gängelband von St. Petersburg, Osterreich bedroht, England isoliert und Preußen unschlüssig, würde der russische Einfluß im Kriegsfalle unbedingt tonangebend sein, wenigstens für einige Zeit. Rußland könnte sich heraushalten, Frankreich und Österreich im Kriege verbluten lassen und schließlich die Schwierigkeiten der letzteren Macht „beheben", die bis jetzt seinen Weg nach dem Süden versperrte und seiner panslawistischen Propaganda Widerstand entgegensetzte. Früher oder später könnte die russische Regierung dann eingreifen, ihre inneren Schwierigkeiten durch einen auswärtigen Krieg abwenden und der kaiserlichen Macht durch einen Erfolg im Ausland ermöglichen, den Widerstand des Adels im Inland zu brechen. Aber andererseits würde sich dadurch der finanzielle Druck, der durch den Krimkrieg hervorgerufen wurde, verdreifachen, und
1 der Neujahrssireich
der Adel, an den man sich in solch einem Notfalle wenden müßte, würde neue Waffen für Angriff und Verteidigung erhalten, während die Bauernschaft, die unerfüllten Versprechungen1521 direkt vor Augen, durch erneutes Hinhalten, wiederholte Aushebungen und neue Steuern erbittert, dem offenen Aufruhr in die Arme getrieben würde. Österreich fürchtet zwar den Krieg, kann aber natürlich hineingedrängt werden. Bonaparte seinerseits ist höchstwahrscheinlich zu der richtigen Schlußfolgerung gelangt, daß sich jetzt eine Gelegenheit bietet, seinen Trumpf auszuspielen. Aut Caesar aut nihil!1 Der fadenscheinige Ruhm des Zweiten Kaiserreiches schwindet rasch dahin, und es braucht Blut, um diesen Riesenbetrug wieder zu befestigen. Und in welch besserer Rolle als in der eines Befreiers Italiens und unter welch günstigeren Bedingungen als Englands notgedrungener Neutralität, Rußlands geheimer Unterstützung undPiemonts offener Dienstbarkeit könnte er jemals hoffen, Erfolg zu haben? Aber andererseits protestiert die Kirchenpartei in Frankreich energisch gegen den gottlosen Kreuzzug; die Bourgeoisie erinnert ihn an sein Wort: „L'Empire c'est la paix"I53]. Die bloße Tatsache, daß England und Preußen sich im Augenblick neutral verhalten müssen, würde sie im Verlauf des Krieges zum Schiedsrichter erheben, und eine einzige Niederlage auf den lombardischen Ebenen würde genügen, um das Totengeläut für das falsche Kaiserreich erklingen zu lassen.
Aus dem Englischen.
1 Entweder Cäsar oder nichts!
Karl Marx / Friedrich Engeis Die Geldpanik in Europa1541
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5548 vom !.Februar 1859] Paris, 13. Januar 1859t44] Die Panik an den europäischen Börsen hat noch nicht nachgelassen, und nach sehr vorsichtiger Schätzung sind die staatlichen Wertpapiere um etwa 300 000 000 Dollar gefallen. Während die französischen, sardinischen und österreichischen Staatspapiere um 5 Prozent gesunken sind, fielen die Eisenbahnaktien der gleichen Länder um 15 bis 35 Prozent, die Iombardisch-venetianischen dagegen um fast 50 Prozent. London ausgenommen rechnet jetzt jede europäische Börse mit Krieg. Ich habe keine Ursache, meine früher geäußerten Ansichten zu diesem Thema zu ändern1. Ich bin überzeugt, daß Louis-Napoleon nicht beabsichtigt, wirklich Krieg zu führen, daß er nicht mehr anstrebt als einen diplomatischen Sieg über Österreich, verbunden mit einem guten Fang für sich und seinen Anhang von Abenteurern an der Pariser Börse. Der laute Ton der bonapartistischen Presse und jener käuflichen Sammlerin des Klatsches, der „Independance Beige"1555, die Prahlerei, mit der militärische Vorbereitungen angekündigt werden, beweisen zur Genüge, daß das ins Auge gefaßte Ziel nicht Kampf, sondern Einschüchterung ist. EU wird jetzt sogar vom Korrespondenten der Londoner „Times"[563  zugegeben, daß man den vollkommen verschuldeten Speichelleckern am Hofe wieder gestattet hat - und dies in einem ungeheuerlicheren Ausmaße als je zuvor-die „respektablen" Spekulanten und die kleinen Aktienbesitzer in ganz Frankreich zu rupfen, indem sie in einem noch nicht dagewesenen Maße auf Baisse spekulierten. Man sagt, daß allein Graf de Morny bei diesem Spiel bis zum 5. Januar nicht weniger als 2000000 Francs gewonnen hat, und der Gesamtbetrag des aus den Taschen der Bourgeoisie in die der bonapartisti
1 Siehe vorl. Band, S. 168-171
sehen Abenteurer verpflanzten Geldes muß sich auf ein Vielfaches dieser Summe belaufen. Es gibt drei Beweggründe, die Louis-Napoleon drängen, sich um italienische Sympathien zu bemühen und Österreich gegenüber eine drohende Haltung einzunehmen. Da ist zuerst Rußland, das ihn seit dem Pariser Friedent17! ständig wie eine Marionette benutzt hat. Der zweite Grund ist wenig bekannt, da Napoleon und sein Hof ihr Bestes tun, ihn vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen, obwohl seine Existenz eine erwiesene Tatsache ist. Seit dem Attentatsversuch Orsinis1571, sowohl vor als auch nach dessen Hinrichtung, hat der französische Kaiser Botschaften von der höchsten Venta der italienischen Karbonari[58] erhalten. Dieser Geheimgesellschaft hatte er 1831 als Mitglied angehört. Er wurde daran erinnert, welche Eide er beim Eintritt in diese Verbindung geschworen, wie er sie gebrochen hat und wie die Gesetze der Gesellschaft einen Verräter wie ihn bestrafen. Als Orsini noch im Gefängnis saß, wurde Louis-Napoleon gewarnt, daß diese Attentate auf sein Leben bis zum Erfolg wiederholt würden, wenn er ihn hinrichten ließe. Nach der Hinrichtung Orsinis wurde Louis-Napoleon ein von der Venta über ihn verhängtes offizielles Todesurteil zugestellt. Das abergläubische Gemüt des erfolgreichen Abenteurers wurde durch dieses Urteil eines geheimen Tribunals schrecklich berührt. Seine Nerven, durch zwanzig Jahre nächtliches Training am Spieltisch nicht eisern, sondern zäh und hart wie Leder geworden, waren der ständigen Vision des Damoklesschwerts nicht gewachsen. Diese geheimnisvolle Intervention einer Macht, welche fürwahr unsichtbar, ihm aber durch seine Erfahrungen aus früheren Jahren und auch späterhin durch die Pistole Pianoris und die Bomben Orsinis bekannt, war besonders geeignet, den Verstand eines Mannes durcheinanderzubringen, für den es außer der gewöhnlichen, dem eigenen Nutzen dienenden Tagespolitik keine Kausalität in der Geschichte gab, sondern nur ein geheimnisvolles Wirken irgendeines fatalistischen Einflusses, das jeder vernunftgemäßen Untersuchung spottet und oft einen ausgesprochenen Scharlatan zu höchster Macht erhebt. Diese ständige Furcht vor Ermordung hat erheblich zu der Serie handgreiflicher grober Schnitzer beigetragen, welche die letzten zwölf Monate seiner Herrschaft kennzeichnen. Um seinem Schicksal zu entrinnen - denn er glaubt an die Allmacht der italienischen Attentäter ebenso fest wie an die Worte der Zigeunerinnen beim Rennen zu Epsom-, mußte der unsichtbaren Macht ein Unterpfand gegeben werden. So wurden die Briefe Orsinis in gefälschter Fassung veröffentlicht1591, um sie als ein heiliges Vermächtnis für LouisNapoleon, die Hoffnungen der Italiener zu verwirklichen, hinstellen zu können. Doch die Karbonari waren nicht so leicht zufriedenzustellen; sie haben
den Verurteilten immer wieder daran erinnert, daß er noch dem Todesurteil untersteht und daß er etwas tun muß, um begnadigt zu werden. Schließlich ist auch die Lage Louis-Napoleons in Frankreich selbst in letzter Zeit immer schwieriger geworden. Die große Frage, woher das Geld kommen soll, steht ihm mit jedem Tag drohender vor Augen. Es besteht keine Aussicht auf eine Anleihe, denn die Staatsschuld ist so schnell angewachsen, daß davon keine Rede sein kann. Credit mobilier[18] und Credit foncier[60], das Erheben von Millionen unter dem Vorwand, dieses Geld für Eint- und Bewässerung, Aufforstung und Deichbauten zu verwenden, all dies war schon einmal da und konnte nicht wiederholt werden. Die Schwierigkeit der Lage erfordert aber mehr Geld. Seine eigene Verschwendung und vor allem die täglich wachsenden Bedürfnisse der gierigen Bande von Soldaten, Beamten und Abenteurern, deren Treue er täglich neu erkaufen muß, machen die Geldfrage für ihn zu einer Frage von Leben oder Tod, und vom rein pekuniären Standpunkt scheint in höchster Not ein Krieg mit der Aussicht auf Zwangsanleihen, auf Beute und auf Kriegskontributionen aus eroberten Gebieten der einzige Ausweg zu sein, der ihm verblieben ist. Es ist jedoch nicht nur die finanzielle Frage; es ist die allgemeine Unsicherheit seiner Stellung in Frankreich; es ist das Bewußtsein, daß er, obwohl Kaiser durch die Gnade der Armee, gewisse Grenzen im Kampf gegen die öffentliche Meinung - sowohl der Bourgeoisie als auch der Arbeiterklasse - nicht überschreiten darf; daß er, weil er Kaiser durch die Gnade der Armee ist, ihrem Willen gehorchen muß. Durch all dies war ihm und der übrigen Welt längst klar geworden, daß sein letzter Trumpf in äußerster Gefahr ein Krieg ist, und zwar ein Krieg zur Wiedereroberung des linken Rheinufers. Es ist nicht unbedingt notwendig, daß ein solcher Krieg am Rhein selbst beginnen muß. Im Gegenteil, das genannte Gebiet kann in Italien erobert werden, bzw. seine Eroberung kann in Italien beginnen, ebenso wie die erste Eroberung dieser Provinzen durch General Bonapartes Siege in der Lombardei ermöglicht wurde. Solch ein Krieg ist unvermeidlich Louis-Napoleons letzte Karte. Er setzt alles darauf und weiß als erfahrener Spieler sehr wohl, wie schlecht die Chancen für ihn stehen. Er weiß, so still und geheimnisvoll er auch zu erscheinen versucht, daß es der ganzen Welt bekannt ist und vom ersten Tage seiner Machtergreifung an bekannt war, was seine letzte Karte ist. Er weiß, daß er mit seinem sphinxhaften Auftreten niemand mehr über diesen Punkt täuschen kann. Er weiß, daß keine europäische Macht eine solche Ausdehnung des französischen Territoriums dulden würde und daß die Freundschaft Rußlands beinahe ebenso zuverlässig ist wie sein eigener Eid. Für einen Mann wie
ihn, der der Devise Ludwigs XV. „Apres moi le deluge"1 eine solche Entfaltung gegeben hat und der weiß, wie diese Sündflut aussehen wird, ist jede Stunde ein positiver und unschätzbarer Gewinn, weil es ihm dadurch möglich wird, die Spieler, die ihn umgeben, zu hemmen, hinzuhalten und zu betrügen. Gleichzeitig liegt das Spiel aber nicht in seinen Händen; es gibt Notwendigkeiten, die ihn zwingen können, seinen großen Trumpf lange vor der von ihm gewünschten Zeit auszuspielen. In Frankreich geht schon mindestens drei Monate lang eine Rüstung kolossalen Ausmaßes vor sich. Nachdem man eine beträchtliche Zahl alter Soldaten auf Urlaub entlassen hatte, wurden alle Rekruten des Jahres 1858 einberufen, und zwar 100 000 statt 60 000 wie in anderen Friedens jähren. Die in allen Arsenalen und militärischen Werkstätten entwickelte Aktivität war derartig, daß alle hohen Offiziere schon seit drei Monaten von der Vorbereitung eines ernsthaften Feldzuges überzeugt sind. Wir erfahren jetzt, daß 75 Batterien, das sind 450 Kanonen der neuen Konstruktion Louis-Napoleons (leichte Zwölfpfünder), in den staatlichen Gießereien in Auftrag gegeben wurden; daß neue verbesserte Gewehrgeschosse (erfunden von Herrn Nessler, dem offiziellen Nachfolger von Minie) eingeführt wurden; daß die Jägerbataillone von 400 auf 700 Mann und die Linienregimenter von 900 oder 1000 auf 1300 Mann verstärkt wurden durch 60 000 Mann aus den Depots (wo die Rekruten sich formiert hatten); daß in Toulon die Materialien für einen Feldzug angehäuft und zwei Lager, deren Plätze noch nicht bekannt sind, festgelegt wurden. Man kann die Plätze für diese zwei Lager leicht erraten. Das eine wird bei Lyon oder im Süden bei Toulon liegen und das andere bei Metz als Beobachtungsarmee gegen Preußen und den Deutschen Bund[611. Dies alles hat natürlich den Kriegsgeist der Armee aufs äußerste erregt, und man rechnet so bestimmt mit einem Krieg, daß die Offiziere keine Zivilkleidung mehr bestellen, da sie überzeugt sind, daß sie für geraume Zeit nur Gelegenheit haben werden, Uniform zu tragen. Während dies in Frankreich vor sich geht, haben wir in Piemont einen König, der vor Weihnachten seinen Generalen die Mitteilung machte, sich bereit zu halten, da sie vielleicht noch vor dem Frühling Pulver zu riechen bekämen und der nun seine Kammern mit einer Rede eröffnet1361, so voll allgemeinen italienischen patriotischen Wortschwalls und voll Anspielungen auf Österreichs Mißherrschaft, daß er entweder zum Krieg entschlossen sein oder sich gefallen lassen muß, von der ganzen Welt für einen vollkommenen Narren erklärt zu werden. In der Lombardei, in Rom, in den Herzogtümern
1 „Nach mir die Sündflut"
besteht eine Erregung, die nur mit der vor dem Ausbruch von 1848 zu vergleichen ist; die Bevölkerung seheint die fremden Truppen herauszufordern und nur darauf bedacht zu sein, ihre völlige Verachtung gegen die bestehende Obrigkeit zu zeigen und ihre sichere Überzeugung zu bekunden, daß die Österreicher in ein paar Monaten Italien verlassen müssen. Auf all dies antwortet Österreich, indem es sehr ruhig seine Armee in der Lombardei verstärkt. Sie bestand aus drei Armeekorps, dem 5., 7. und 8., zusammen ungefähr 100 000 Mann. Nun ist, wie ich in meinem letzten Artikel berichtete1, das 3. auf dem Wege, sich dieser Armee anzuschließen. Sechs Infanterieregimenter (30 Bataillone), vier Bataillone Tiroler Jäger, zwei Kavallerieregimenter, sechs Batterien und der ganze Stab und Geniezug des 3. Armeekorps sind auf dem Wege oder sollen schon in der Lombardei eingetroffen sein. Das erhöht die Streitmacht auf 130 000 oder 140 000 Mann, die in der Stellung zwischen Etsch und Mincio imstande sein werden, mindestens einer doppelten Anzahl Gegner zu widerstehen. So sammelt sich überall der Zündstoff an. Ist Louis-Napoleon der Mann, dies alles unter seiner Kontrolle zu halten? Er ist es nicht; das meiste davon liegt völlig außerhalb seiner Macht. Gesetzt den Fall, es gibt einen Ausbruch in der Lombardei, in Rom oder in einem der Herzogtümer, oder General Garibaldi unternimmt einen Einfall in den unmittelbar angrenzenden Teil des Nachbargebietes und rüttelt die Bevölkerung auf-wird Piemont, wird LouisNapoleon dem widerstehen können? Ist es möglich, der französischen Armee, nachdem ihr die Eroberung Italiens, wo sie als Befreier empfangen werden würde, fast versprochen war, nunmehr zu befehlen, mit gesenkten Waffen stillzustehen, während österreichische Truppen die heiße Glut des italienischen Aufstandes austreten? Das ist der springende Punkt. Der Lauf der Ereignisse in Italien liegt schon außerhalb der Kontrolle Louis-Napoleons, und der Lauf der Ereignisse in Frankreich kann sich auch jeden Augenblick seiner Kontrolle entziehen.
Aus dem Englischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 168
Karl Marx Die Position Louis-Napoleons
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5563 vom 18. Februar 18591 Paris, 26. Januar 1859[44] Sie werden sicherlich schon über den geheimen Zusammenhang zwischen Louis Bonapartes jüngster Italienpolitik und seiner eingewurzelten Angst vor italienischen Attentätern unterrichtet sein. Vor einigen Tagen hätten Sie im „France Centrale", einem Provinzblatt, das leider niemals über den Atlantik gelangt, die folgende Geschichte lesen können:
„Wir sprachen von dem Ball am vergangenen Montag in den Tuilerien. Durch Briefe aus Paris wird uns von einem Zwischenfall berichtet, der auf diesem Fest eine nicht geringe Verwirrung gestiftet hat. Das Gedränge war groß; wir vermuten, daß eine Dame in Ohnmacht fiel oder durch ein anderes ähnliches Ereignis ein Durcheinander entstand, so daß die drei- oder viertausend anwesenden Gäste glaubten, es hätte sich ein Unfall ereignet. Es entstand ein Tumult, mehrere Personen eilten auf den Thron zu; um die Wogen der Erregung zu glätten, schritt der Kaiser durch die Salons."
Nun waren aber bei der erwähnten Gelegenheit zwei- bis dreihundert Personen im Salle du Trone1 anwesend, die allerdings eine Szene erlebten, welche sich beträchtlich von derjenigen unterschied, die der „France Centrale" beschreiben durfte. Tatsächlich waren die Gäste infolge irgendeines Zwischenfalls plötzlich in den verschiedenen Salons aufgeregt zusammengeströmt, und die Menge drängte auf den Salle du Trone zu, worauf Louis Bonaparte und Eugenie eiligst den Thron verließen und sich fluchtartig ihren Weg mitten durch den Salon bahnten; die Kaiserin raffte dabei so gut sie konnte ihre Röcke mit den Händen zusammen und sah so bleich aus, daß ihre besten Freunde sagten: „Sie war anzuschauen wie eine Tote."
1 Thronsaal
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
Diese grausamen Peinigungen, denen der Usurpator und seine Freunde seit Orsinis Attentat ausgesetzt sind, erinnern geradezu an die berühmte Stelle in Piatos „Republik":
„Der Tyrann erreicht nicht einmal sein Ziel, ein Herrscher zu sein. Was immer er auch scheinen mag, der Tyrann ist ein Sklave. Sein Herz wird immer furchterfüllt sein, immer von Angst und Qualen gepeinigt. Mit jedem Tag wird er sich immer mehr als das zeigen, was er von Anfang an war: beneidet und verachtet, mißtrauisch, freundlos, ungerecht, ein Feind alles Göttlichen und ein Beschützer und Förderer alles Schändlichen. So ist er selbst der Unglücklichste der Menschen."
Bonapartes feindselige Haltung gegenüber Österreich verfolgt sicherlich auch die Absicht, der murrenden Armee an Stelle des Polizeidienstes eine Aussicht auf aktive Verwendung zu bieten, hauptsächlich ist sie aber darauf gerichtet, den italienischen Dolch unschädlich zu machen und den italienischen Patrioten ein Unterpfand für das Festhalten des Kaisers an seinem alten Karbonari-Eid[58] zu geben. Die Heirat des Prinzen Napoleon - oder des Generals Plon-Plon, wie ihn diePariser nennen - mit der Prinzessin Clotilde von Sardinien sollte vor den Augen der Welt Frankreich und Italien unwiderruflich verschmelzen und somit, wie die Herrschaften in den Tuilerien es darstellen wollen, die erste Rate der Schulden bezahlen, welche die Bonapartes bei den Italienern hätten. Aber Sie kennen ia den Helden von Satory1621, Hartnäckig in der Verfolgung eines einmal festgelegten Zieles, sind seine Wege doch gewunden, geht er nur unter beständigen Rückzügen vorwärts und unlösbare Verwicklungen scheinen ihn immer dann zu paralysieren, wenn er sich bis zum kritischen Punkt hinaufgearbeitet hat. Wie in Boulogne, in Straßburg1631 und in der Nacht zum 2. Dezember 18511421 stehen in solchen Augenblicken immer einige kühne, heißblütige, ungestüme Desperados hinter ihm, so daß er die Ausführung seiner langgehegten Pläne nicht mehr weiter aufschieben kann und gewaltsam in den Rubikon1641 gestoßen wird. Hat er diesen dann sicher überquert, beginnt er erneut seinen gewundenen Weg auf seine ihm eigene ränkevolle, schlimme Pläne heckende, verschwörerische, unentschlossene und kraftlose Weise. Seine vollkommene Falschheit verleitet ihn, ein doppeltes Spiel mit seinen eigenen Plänen zu treiben. Die sardinische Hochzeit zum Beispiel forderte er schon vor acht Monaten unter dem Vbrwand, daß Frankreich einen Kreuzzug zugunsten Italiens zu führen beabsichtige. Wäre es nach so vielen gescheiterten Versuchen, in die Königsfamilien einzudringen, nicht ein gelungener Streich, unter irreführenden Vorspiegelungen die Tochter der ältesten europäischen Dynastie in das bonapartistische Netz zu locken?
Die Position Louis-Napoleons 179
Aber Louis Bonaparte hatte zwingende Gründe, Zuflucht zu einer reculade1 zu nehmen und einen besänftigenden Ton anzuschlagen, nachdem er in das Kriegshorn gestoßen hatte. Während seiner ganzen Regierungszeit hatte die Bourgeoisie noch niemals so unmißverständlich ihre Unzufriedenheit kundgetan, und ihre Beunruhigung hatte sich bereits bei dem bloßen Gerücht von einem Krieg in heftigen Bewegungen an der Börse, auf den Warenmärkten und in den Industriezentren bemerkbar gemacht. Die Finanzmagnaten erhoben Einwendungen. Der Graf de Germiny, Direktor der Bank von Frankreich, informierte den Kaiser persönlich über die ausgedehnten kommerziellen Rückschläge, welche bei einer Beharrung auf der jetzt verfolgten gefährlichen politischen Linie mit Sicherheit eintreten würden. Die Präfekten von Marseille, Bordeaux und anderen großen Handelsstädten machten in ihren Berichten über die beispiellose Panik, von der die handeltreibenden Klassen ergriffen seien, ungewöhnliche Andeutungen über das gärende Mißbehagen unter diesem Teil der „Freunde des Eigentums und der Ordnung". Herr Thiers hielt die Zeit für gekommen, sein langes Schweigen zu brechen und in den mit Regierungsspionen durchsetzten Salons die „unsinnige Politik" der Tuilerien offen anzugreifen. In einer eingehenden politischen und strategischen Untersuchung der Erfolgsaussichten eines Krieges zeigte er, daß es Frankreich unmöglich wäre, der Niederlage zu entgehen, wenn es nicht den Kampf mit 400 000 Soldaten beginnen könne - außer den Truppen, die es in Algerien lassen und denen, die es im Mutterland zurückbehalten muß. Selbst der regierungstreue „Constitutionnel"[65] konnte, wenn auch in geheuchelten Tönen der Entrüstung, nicht umhin einzugestehen, daß der Geist Frankreichs verschwunden sei und daß es bei dem bloßen Gedanken an einen ernsthaften Krieg entsetzt wie ein Feigling dastünde. Andererseits berichteten die Spione niederen Ranges einmütig, wie allgemein in der Bevölkerung bereits über die bloße Vorstellung gespottet wird, der Despot von Frankreich könnte den Befreier Italiens spielen, und wie anläßlich der sardinischen Hochzeit respektlose Couplets gesungen würden. Eines dieser Couplets beginnt mit den Worten: „Diesmal ist es also PlonPlon, der Marie Luisens Mann werden soll."[66] Trotz der besänftigenden Instruktionen, die an alle Präfekten verschickt wurden, und der streng offiziellen Erklärungen, nach denen keinerlei Gefahr den Status quo bedrohe, ist die allgemeine Panik noch längst nicht abgeklungen. Vor allem weiß man hier, daß der Halbgott der Tuilerien weiter vorangetrieben wurde, als er zu gehen beabsichtigte. Es geht das Gerücht,Prinzessin
1 zu einem Rückzug
Clotilde, die trotz ihrer Jugend einen sehr scharfen Verstand besitzt, hätte Plon-Plons Antrag mit den Worten entgegengenommen: „Ich heirate Sie, um Papa die Unterstützung Frankreichs zu sichern. Wäre ich nicht völlig gewiß, daß dies sichergestellt wird, würde ich Sie nicht heiraten." Sie weigerte sich, der Verlobung zuzustimmen, bevor ihrem Vater „eindeutige Garantien" über die aktive Unterstützung durch Frankreich gegeben würden. So mußte Louis Bonaparte ein Verteidigungs- und Angriffsbündnis mit Viktor Emanuel abschließen^71, und die Agenten Plon-Plons waren sorgfältig darauf bedacht, diese Tatsache durch die Spalten der „Independance Beige" sofort ganz Europa mitzuteilen. In der Tat maßen sich dieser Plon-Plon und und sein Gefolge an, in diesem Augenblick dieselbe Rolle zu spielen, die Persigny während der Expedition von Boulogne, Morny, Fleury und SaintArnaud in der Nacht zum 2. Dezember auszuführen hatten - nämlich Louis Bonaparte in den Rubikon zu stoßen. Wie bekannt ist, zeichnet sich PlonPlon nicht gerade durch militärischen Schneid aus. Im Krimkrieg gab er eine sehr traurige Figur ab, und da ihm sogar der Mut fehlt, den ein gewöhnlicher Reiter braucht, weiß er nicht einmal auf dem Pferderücken das richtige Gleichgewicht zu halten. Dennoch ist er augenblicklich der leibhaftige Mars der Dynastie Bonaparte. Vizekönig der Lombardei zu werden betrachtet er als den nächsten Schritt auf dem Wege zum Thron Frankreichs. Seine Freunde sind so unvorsichtig geworden, daß ihr Anführer, Herr Emile de Girardin, vor etwa zwanzig Leuten, die über die Absichten des Kaisers sprachen, auszurufen wagte: „Welchen Kaiser meinen Sie? Der einzig wirkliche Kaiser ist der im Palais Royal[681." Während die Regierungsblätter zum Schein den Frieden predigen, berichtet Plon-Plons Moniteur, die „Presse"[691, Tag für Tag in der unverfrorensten Weise über die Vorbereitungen zum Krieg. Während Louis Bonaparte anscheinend Viktor Emanuel ermahnt, die Anhänger Mazzinis zu zügeln, treibt Plon-Plon den König, „sie anzustacheln". Während Bonaparte das Gefolge, das seinen Cousin nach Turin begleiten soll, aus den konservativsten Leuten, wie General Niel, zusammengestellt hatte, erklärte Plon-Plon, er wolle nur unter der Bedingung aufbrechen, daß Herr Bixio, der Exminister der Französischen Republik von 1848, mit ihm gehe, um seiner entourage1 einen revolutionären Geruch zu verleihen. Dazu sagen nun die Leute: „Wenn Louis-Napoleon nicht bereit ist, aufs Ganze zu gehen, dann kann nichts gefährlicher sein als die anmaßende Haltung, die Plon-Plon einnimmt, und die Artikel, die seine Freunde veröffentlichen." Deshalb halten die Befürchtungen noch an. An derer seits ist man sich allgemein
1 Umgebung
darüber im klaren, daß Louis-Napoleon Selbstmord begehen würde, wenn er, eingeschüchtert durch das Geschrei der französischen Bourgeoisie und das Stirnrunzeln der europäischen Dynastien, jetzt den Rückzug anträte, nachdem Viktor Emanuel kompromittiert ist und die Erwartungen der französischen Armee aufs höchste gesteigert wurden. Um der letzteren ein quid pro quo zu geben, beabsichtigt er Gerüchten zufolge, sie auf eine überseeische Expedition gegen Marokko, Madagaskar oder irgendeinen anderen abgelegenen Platz, der dem Wiener Vertrag nicht bekannt ist[70], zu schicken. Dennoch, irgendein unvorhergesehener Zwischenfall kann entgegen dem Willen des kaiserlichen Taschenspielers einen Krieg gegen Österreich hervorrufen.
Geschrieben am 28. Januar 1859. Aus dem Englischen.
Friedrich Engels Die französische Armee
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5568 vom 24. Februar 1859, Leitartikel] Der Pariser „Constitutionnel" hat kürzlich eine Ubersicht veröffentlicht, die den Beweis liefern sollte, daß Frankreich im Kriegsfalle eine Streitmacht von 500 000 Mann über die Grenzen schicken könne. Herr Gaillardet behauptet in seinem Brief aus Paris, der gestern im „Courrier des Etats-Unis "[71] abgedruckt wurde, daß diese Ubersicht und die Zahlen, auf die sie sich stützt, unserem Pariser Zeitungskollegen direkt vom Kaiser selbst, ohne Wissen seiner Minister, übergeben worden sind. Der erste Punkt dieser Übersicht besagt, daß, wenn alle beurlaubten Soldaten zurückberufen und keine weiteren beurlaubt werden, die französische Armee am kommenden I.April aus 568 000 Mann bestehen wird; daß, wenn sämtliche Rekruten des Jahres >1858 einberufen werden, sich dieser Bestand um 64 000 Mann erhöht; und daß, im Falle der Kriegserklärung, die Regierung mit absoluter Sicherheit auf wenigstens 50 000 Freiwilligenmeldungen entweder von alten Soldaten, deren Zeit abgelaufen ist, oder von jungen Freiwilligen rechnen kann. Dies würde eine Gesamtsumme von 682 000 Mann ergeben, die sich nach dem kaiserliche n utatistiicer wie iO Igt aufteile Ui "
Infanterie....,,..,,.., ,,.390978 Kavallerie 83 000 Artillerie ...... 46 450 Genietruppen 12110 Train 10 120 Garde 29942 Verschiedene Korps 49 000 Insgesamt 621 600
Offensichtlich gibt es einen Fehler in dieser Gesamtsumme. Es verbleiben 60 000 Mann, welche die kaiserliche Feder in der Hast des Augenblicks aufzuteilen vergaß. Doch lassen wir das. Nehmen wir an, die Zahl von 682000 Mann sei richtig. Im Kriegsfalle würden in den Depots, welche zugleich die Garnisonen im Inland bilden, 100 000 Mann zurückbleiben, die von den 25 000 Gendarmen unterstützt werden; für Algerien würden 50 000 Mann ausreichen. Zieht man diese 175 000 Mann von der obigen Gesamtsumme ab, bleiben 507 000 Mann. Aber Seine Majestät hat es wiederum fertig gebracht, 10 000 Mann zu verlieren, und zieht von 672 000 anstatt von 682 000 Mann ab, reduziert also die verfügbare Feldarmee auf 497 000 Mann. Nach unserem Gewährsmann kann demzufolge eine Armee von 500 000 zum 1 .Juni 1859 für einen auswärtigen Krieg verfügbar gemacht werden, ohne in irgendeiner Weise die bestehende militärische Organisation Frankreichs zu verändern. Nun, wir wollen sehen, wie sich die französische Armee in Wirklichkeit zusammensetzt. Die bestehende Organisation einer Armee bildet eine gewisse Grenze für ihre Erweiterung; Bataillone, Eskadronen und BatterienJ können nicht über eine bestimmte Zahl von Männern, Pferden und Kanonen in jeder beliebigen Waffengattung hinausgehen, ohne das System und die taktischen Besonderheiten dieser Waffengattung zu zerstören. Zum Beispiel könnten die französischen Bataillone mit je acht Kompanien diese Kompanien niemals auf annähernd das Doppelte ihrer normalen Stärke von 118 Kombattanten erhöhen, ohne eine völlige Umwälzung in der Grund- und Bataillonsausbildung notwendig zu machen; den französischen Batterien würde es ähnlich ergehen, wenn sie die Zahl ihrer Kanonen von sechs auf acht oder zwölf erhöhten; in beiden Fällen würden die Kompanien und Batterien äußerst schwerfällig, es sei denn, sie werden unterteilt. So setzt die Organisation jeder Armee ihrer zahlenmäßigen Stärke nach oben bestimmte Grenzen, und wenn man diese Grenzen überschreitet, werden neue Formationen notwendig. Da diese jedoch, sobald ihre Aufstellung einen gewissen Grad erreicht hat, der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht entgehen können und da, wie der „Constitutionnel" schreibt, bisher keine neuen Formationen nötig geworden sind, können wir den Aufbau der Armee, wie er zu Ende des russischen Krieges[72] bestand, als Grenze für die gegenwärtig erreichbare Truppenstärke annehmen. Das Infanteriebataillon der französischen Linie mit seiner komplexen Gliederung von sechs Linien- und zwei Elitekompanien kann nicht gut die Stärke von 1000 Mann überschreiten. Für 100 Linienregimenter zu je drei Bataillonen würde das 300000Mann ergeben .Wir schließen das dritte Bataillon
absichtlich ein, denn obwohl es bis zum russischen Krieg nur als Depotbataillon figurierte, wurde es dann mobil gemacht, und außerdem wurden drei zusätzliche Depotkompanien pro Regiment geschaffen, die zweifellos noch jetzt bestehen. Diese 300 Depotkompanien werden zusammen auf ungefähr 36 000 Mann kommen. Die 20 Bataillone chasseurs ä-pied1, die mehr zum Kampf in einzelnen Kompanien als in geschlossenen Bataillonen bestimmt sind, lassen eine größere Anzahl von Kombattanten zu; sie zählen jeweils annähernd 1300 Mann; das ergibt eine Gesamtstärke von 26 000 Mann, wobei kaum Depots benötigt werden, da sie viele ausgebildete Soldaten von anderen Regimentern erhalten. Die Garde besteht aus zwei Infanteriedivisionen, und ihre Regimenter hatten bis zum Frieden mit Rußland nur jeweils zwei Bataillone, was mit dem „Constitutionnel" übereinstimmt, nach dem ihre Infanterie aus 18 Bataillonen oder 18 000 Mann besteht. Das ist die gesamte französische Infanterie, ausgenommen die Truppen, die für den Dienst in Afrika bestimmt sind. Dazu gehören neun Bataillone Zuäven mit 9000 Mann, dazu etwa 500 im Depot; drei Strafbataillone (Zephyrs) oder 3000 Mann und neun Bataillone algerischer (eingeborener) Tirailleure, die, wenn sie ihren vollen Bestand erreicht haben, 9000 Mann zählen.[73] Somit kann die Gesamtstärke der französischen Infanterie wird folgt angegeben werden:
Linie, einschließlich Depots - 336 000 Mann in 300 Bataillonen und 300 Depotkompanien. Jäger - 26 000 Mann in 20 Bataillonen. Garde - 18 000 Mann in 18 Bataillonen. Zuaven - 9500 Mann in 9 Bataillonen. Zephyrs - 3000 Mann in 3 Bataillonen. Eingeborene Algerier - 9000 Mann in 9 Bataillonen. Insgesamt: 401 500 Mann in 359 Bataillonen und 300 Depotkompanien. Davon gehören 36 500 zu den Depots; bleiben 365 000 für den aktiven Dienst im In- und Ausland.
Der Bestand der französischen Kavallerie wurde 1856 wie folgt errechnet: 12 Regimenter schwere Kavallerie - 72 Eskadronen und 12 Depoteskadronen - 14 400 aktive Soldaten und 1800 Mann im Depot. 20 Linienregimenter - 120 Eskadronen und 20 Depoteskadronen - 24 600 aktive Soldaten und 3820 Mann im Depot.
1 Jäger zu Fuß
21 Regimenter leichte Kavallerie - 126 Eskadronen und 21 Depoteskadronen - 27 100 aktive Soldaten und 4230 Mann im Depot. 4 afrikanische Regimenter - 16 Eskadronen und 4 Depoteskadronen 3000 aktive Soldaten und 450 Mann im Depot. 3 Eingeborenen-Regimenter - 12 Eskadronen - 3600 aktive Soldaten. Insgesamt: 346 aktive und 57 Depoteskadronen - 72 700 aktive Soldaten und 10300 Mann in Depots. Dazu kommt die Garde: 30 aktive Eskadronen - 6000 aktive Soldaten. Gesamtzahl: 376 aktive, 57 Depoteskadronen - 78 700 aktive Soldaten und 10 300 Mann in Depots.
Man darf jedoch nicht vergessen, daß die einheimischen Pferde für den Kavalleriedienst in einem außergewöhnlichen Grade untauglich sind, obwohl seit 1840 in Frankreich bei der Verbesserung der Pferdezucht große Fortschritte erzielt wurden. Nur mit viel Mühe und Aufwand war es möglich, in den letzten Jahren die Kavallerie größtenteils mit französischen Pferden - und das mehr schlecht als recht - zu versorgen. Das trifft jedoch nur auf den Friedensstand zu, der kaum 50 000 Pferde überschreiten dürfte, und trotz der durch Algerien gebotenen Ressourcen mußten viele Pferde im Ausland angekauft werden, von denen nicht wenige vorher von Kavallerietruppen anderer Länder auf Grund ihrer Dienstuntauglichkeit verkauft worden waren. Gegenwärtig werden Pferde für die französische Kavallerie in Deutschland gekauft, und die österreichische Regierung hat soeben die Ausfuhr von Pferden an ihrer südwestlichen Grenze verboten. Bei all diesen Schwierigkeiten ist nicht zu befürchten, daß die französische Kavallerie jemals die oben angegebene Stärke überschreiten wird oder daß sie sich, mit Ausnahme des geringen Teils, der mit algerischen Pferden beritten ist, jemals im Felde auszeichnen wird, wenn sie nicht durch Eroberungen einen größeren Anteil guter Pferde erlangt, als sie jetzt besitzt. Die Artillerie einschließlich der Garde mag etwa 50 000 Mann zählen, mit 207 Feldbatterien oder 1242 Kanonen. Davon gehören wenigstens 5000 Mann zu den Depots. Die Genietruppen werden 9000 oder 10 000 Mann nicht überschreiten, wir wollen aber mit dem „Constitutionnel" annehmen, es wären 12 000. Der Train, die Handwerkerkompanien, die Sanitätsoffiziere usw., alles Nichtkombattanten, machen bei Kriegsstärke etwa 11 000 Mann aus. Die höchstmögliche Zahl von Soldaten, zu deren Aufnahme die französische Armee bei ihrer gegenwärtigen Organisation in der Lage ist, ist somit folgende:
Aktive Soldaten
Im Depot Insgesamt
Infanterie .. 365 000 36500 401 500 Kavallerie 78 700 10300 89 000 Artillerie 45 000 5 000 50 000 uemetruppen Nichtkombattanten.... 10 nrvr\ 11 000 11 nnr» uuu 11 000 Insgesamt ... 500 700 62800 563 500
Dieses Resultat stimmt sehr gut mit den allgemeinen Rekrutierungsmaßnahmen der französischen Armee überein. Jedes Jahr werden 100 000 junge Männer zum Militärdienst aufgerufen, doch bisher wurden in Friedenszeiten in Wirklichkeit nur 60 000 zu ihren Regimentern geschickt, und da sie sieben Jahre zu dienen hatten, pflegte die Armee 400 000 bis 420 000 Mann nicht zu überschreiten. Unter Louis-Philippe betrug die tatsächliche Dienstzeit selten mehr als vier bis fünf Jahre, so daß in dieser Zeit die wirkliche Stärke nicht über 300 000 hinauszugehen pflegte, der Rest war beurlaubt. Seitdem wurde jedoch der Rahmen der Armee durch die Hinzufügung eines weiteren Bataillons zu jedem Infanterieregiment, einer zusätzlichen Eskadron zu jedem Kavallerieregiment und des gesamten Gardekorpst74] so sehr erweitert, daß • Annnnn M,™ di e CLWCL \J\J\J www 1 v 1U11U aui^iv,iiinv.il nuiixi, Uli« 10b IIIUIL wdlllOUlClllllUi, daß Frankreich, außer in einem Krieg der nationalen Selbstverteidigung, jemals über mehr ausgebildete Soldaten auf einmal verfügen wird. Wenn wir also die Zahlen nehmen, die wir oben angegeben haben, und zu ihnen die 49 000 Gendarmen, Munizipalgarden und wer weiß was für andere „verschiedene Korps" hinzuzählen, wie es der „Constitutionnel" tut, um auf seine Summe zu kommen, stimmt die Gesamtsumme fast genau mit der Zahl überein, welche dieses Blatt als die voraussichtliche Stärke am I.April 1859 angibt. Jetzt aber beginnen die Differenzen. In der von uns errechneten Gesamtsumme befinden sich Depots, in 300 Kompanien und 57 Eskadronen gegliedert, die kaum für die Grundausbildung und die Organisierung der 46 800 darin erfaßten Infanterie- und Kavalleriesoldaten ausreichen. Nehmen wir an, diese werden plötzlich herausgezogen, um neuen Rekruten Platz zu machen und um in den Regimentern die Plätze der Männer auszufüllen, deren Dienstzeit abgelaufen ist, welche Anzahl Rekruten würden diese Depots dann auszubilden haben? Die 100 000 Mann der Aushebung von 1859 und wenigstens 20 000 unausgebildete Freiwillige, insgesamt 120000 Mann, d.h. 70 000 mehr als die Depots aufnehmen können. Es besteht daher kein Zweifel, daß zwischen dem I.April und dem I.Juni die drei Depotkompanien eines
jeden Infanterieregiments auf volle Bataillonsstärke erhöht und dementsprechend für jedes Kavallerieregiment zwei statt einer Depoteskadron aufgestellt werden müssen. Wenn gegenwärtig, wo die ganze Armee lediglich Garnisondienst versieht, die Depots bloße Durchgangsstationen für den Rekruten sind, von denen er so schnell wie möglich, gar nicht oder nur halb ausgebildet, zu seinem Regiment geschickt wird, um dort seine Ausbildung zu erhalten, so darf man nicht vergessen, daß im Kriegsfall, wo die Armee im aktiven Einsatz steht, das Depot den Soldaten gründlich ausrüsten und ausbilden muß, damit er als Kriegsdienstfähiger in sein Regiment eintritt. Wenn der „Constitutionnel" also behauptet, die Franzosen könnten ihre Streitkräfte ohne neue Formationen auf 700 000 Mann erhöhen, so weicht das sehr beträchtlich von der Wirklichkeit ab. Die Formierung von 100 Depotbataillonen aus den 300 Depotkompanien und von 57 zusätzlichen Depoteskadronen wird den Abzug von mindestens 2000 Offizieren und 10 000 Unteroffizieren aus den Reihen der aktiven Armee gerade in dem Augenblick erforderlich machen, wo ihre Dienste am meisten gebraucht werden. Doch gesetzt den Fall, die 700 000 Mann sind zusammengebracht - und wir sind weit davon entfernt zu behaupten, daß Frankreich bei Ausbruch eines Krieges nicht diese Zahl junger Männer sammeln könnte -, wie viele von den 700 000 Soldaten werden dann einsatzfähig sein? Nicht mehr als 580 000, und von diesen müssen nach dem „Constitutionnel" 50 000 Algerien verteidigen. Die Zahl der Gendarmen und Stärke der verschiedenen Korps für den Dienst im Inland dürfen wir nicht mit 25 000 annehmen, sondern müssen uns an die ursprüngliche Berechnung des „Constitutionnel", also 49 000, halten. Somit bleibt ein Rest von 481 000 Mann. Aber unser kaiserlicher Zeitgenosse muß wahrlich einen sehr starken Glauben an die Stabilität seiner Dynastie besitzen, wenn er annimmt, mit ihrer Verteidigung ausschließlich 120 000 frische Rekruten und 49 000 Gendarmen und sonstige Militärpolizisten betrauen zu können. Die Depots werden kaum in der Lage sein, die wichtigeren Festungen, Paris und Lyon nicht gerechnet, mit Garnisonen zu versehen. Diese beiden Städte würde Louis-Napoleon niemals den Händen von frischen Rekruten anvertrauen; und obgleich der „Constitutionnel" 40 000 Mann für völlig ausreichend erachtet, um sie in Schach zu halten, so steht doch fest, daß 100 000 Mann für diesen Zweck nicht zuviel sein werden. Aber angenommen, wir ziehen 100 000 Mann für die Erfordernisse der großen Städte des Inlands und für den royalistischen Süden Frankreichs ab, dann ist die ganze Streitmacht, die außerhalb der Grenzen eingesetzt werden kann, auf 381 000 Mann reduziert. Von diesen müßten wenigstens 181 000 Mann eine Beobachtungsarmee an der belgischen, deutschen und Schweizer Grenze
bilden, und nur 200 000 Mann würden für einen Angriff auf Italien verfügbar bleiben. Wir sind aber der Meinung, daß 150 000 Österreicher in ihrer starken Position an Mincio und Etsch wenigstens 300 000 Franzosen und Sardinien! gleichwertig sind, und wenn es zum Krieg kommen sollte, werden sie es vielleicht bald unter Beweis stellen können.
Geschrieben am 3I.Januar 1859. Aus dem Englischen.
Friedrich Engels Die deutschen Ressourcen für den Krieg
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5582 vom 12. März 1859] Die kürzlichen Prahlereien Louis-Napoleons über die Stärke der Truppen, die er gegen Österreich zu führen vermag, haben bewirkt, daß in den Zeitungen Deutschlands ähnliche Untersuchungen erschienen, die sich mit den militärischen Ressourcen beschäftigen, welche voraussichtlich im Falle eines Krieges gegen ihn vereinigt werden können. Diese Angaben erheben jedoch im allgemeinen nur geringen Anspruch auf Genauigkeit oder Gründlichkeit im Detail, und wir sahen uns deshalb genötigt, hinsichtlich der Tatsachen und Zahlen, die wir nun unseren Lesern vorlegen wollen, zu authentischen und offiziellen Dokumenten zu greifen. Die Armee Österreichs ist natürlich bei weitem die stärkste unter den Armeen, die in einem solchen Krieg gegen Frankreich zum Einsatz kommen würden. Ihre Infanterie besteht aus 62 Linienregimentern (jedes aus 1 Grenadierbataillon, 4 Linienbataillonen und 1 Depotbataillon zusammengesetzt) mit 310 aktiven und 62 Depotbataillonen, 14 Grenzregimenternt75] (je 2 Feldbataillone und 1 Ersatzbataillon) mit 28 aktiven und 14 Ersatzbataillonen (neben einem zur Disposition gestellten Bataillon) und 32 Schützenbataillonen. Die Stärke der österreichischen Bataillone ist unterschiedlich, sie schwankt zwischen vier und sechs Kompanien. Bei vollem Bestand erreicht die Infanterie folgende Gesamtstärke: Linie.... 370 000 Mann Grenzregimenter 55 000 Mann Schützen 32 000 Mann Insgesamt, einschließlich Depots 457 000 Mann
Die Linien- und Grenzregimenter sind mit glattläufigen Perkussionsmusketen bewaffnet, deren Schlösser eine sonderbare, nicht sehr bewunde
rungswürdige Konstruktion aufweisen; es sind aber immerhin recht taugliche Musketen. In den Grenzregimentern besitzt jede Kompanie zwanzig gezogene Gewehre. Die 32 Schützenbataillone sind gänzlich mit gezogenen Gewehren ausgerüstet, doch ist deren Reichweite viel geringer als die des französischen Minie- oder des englischen Lnfield-Gewehrs. Die Infanterie ist durchweg erstklassig, und die Soldaten können es mit allen anderen in Europa aufnehmen, obwohl bei einem Vergleich mit der englischen oder preußischen Infanterie, wo jeder Soldat eine gezogene Muskete mit großer Reichweite trägt, die schlechtere Bewaffnung sich nachteilig auswirken muß. Gegenüber französischen oder russischen Truppen bestünde dieser Nachteil nicht, wenn wir von den 20 Bataillonen französischer Jäger absehen und solange die Bewaffnung der französischen Linieninfanterie nicht geändert wird. Die österreichische Kavallerie zählt 10 schwere und 24 leichte Regimenter, erstere mit 6, letztere mit 8 Eskadronen, außerdem 1 Depoteskadron pro Regiment. Eine schwere Eskadron hat 194, eine leichte 227 Mann. Mit einem solchen Bestand ist ein österreichisches Kavallerieregiment stärker als eine französische Reiterbrigade. Die ganze Truppe ist 67 000 Mann stark, außerordentlich gut beritten, und der größte Teil der leichten Kavallerie rekrutiert sich aus zwei Reiternationen, den Ungarn und den Polen. Es gibt keinen Zweifel, daß diese 67 000 Mann den 81 000 französischen Kavalleristen, die Louis-Napoleon aufstellen will, mehr als gleichwertig sein würden. Die österreichische Kavallerie ist im Augenblick zweifellos ohne jede Konkurrenz. Die Artillerie besteht aus 12 Feldregimentern mit jeweils 13 Batterien zu je 8 Geschützen, 1 Küstenregiment und 1 Raketenregiment mit 20 Batterien, das sind insgesamt 1248 Geschütze, 240 Raketenwagen und 50 000 Mann. Die Pioniere, Sanitätstruppen usw. belaufen sich auf weitere 20 000 Mann. Die Friedensstärke der gesamten Armee einschließlich Train usw. würde 580 000 bis 600000 Mann betragen. Davon sind gewöhnlich fast 200000 Mann - und das trifft bis zu diesem Augenblick zu - beurlaubt, also stehen gegenwärtig 400 000 unter den Fahnen. Doch nicht nur sie, sondern auch noch 120 000 Mann der Reserve (die nach achtjähriger Dienstzeit entlassen werden und für zwei weitere Jahre dienstverpflichtet sind) können im Kriegsfall einberufen werden; und wenn wir den Behauptungen österreichischer Zeitungsschreiber glauben können, kann das ganze Heer in 14 Tagen unter Waffen stehen. Doch die Ressourcen des Kaiserreichs sind damit noch nicht erschöpft. Das Grenzgebiet ist vom Reservedienst ausgenommen, doch ist dort jeder Mann bis zum 60. Lebensjahr Soldat und jederzeit bereit, zu seinem Regiment gerufen zu werden. Dieses Gebiet lieferte 1848 die Truppen, die Radetzky in Italien und mit ihm die österreichische Monarchie retteten.
Es ist noch nicht vergessen, wie Bataillon auf Bataillon aus diesen zähen Slawonen formiert und nach Italien geschickt wurde, während die Armee, die zur gleichen Zeit Wien den Insurgenten entriß, sich aus dem gleichen Menschenschlag rekrutierte[76]. Dieses Gebiet, dessen Kontingent für gewöhnliche Zwecke auf 55 000 Mann begrenzt ist, kann notfalls 200 000 Soldaten ins Feld schicken. Somit würde die österreichische Armee mit den Reserven und mit nur 80 000 Mann zusätzlich aus dem Grenzgebiet insgesamt 800 000 Mann zählen, zu denen noch über 100 000 Grenzsoldaten so schnell hinzukommen, wie die Bataillone aufgestellt werden können. Angenommen, Osterreich hätte das nötige Geld, dann wäre es allein völlig imstande, seine italienischen Besitzungen gegen das vereinigte Frankreich und Piemont zu verteidigen. Als nächstes kommt Preußen. Die Infanterie dieses Königreichs besteht aus 36 Linien- und Garderegimentern mit 108 Bataillonen, 9 Reserveregimentern mit 18 Bataillonen, 8 Reservebataillonen und 10 Schützenbataillonen» alles in allem 144 Bataillone, deren Kriegsstärke etwa 150 000 Mann beträgt. Dazu kommt das erste Aufgebot der Landwehr1, 116 Bataillone mit etwa 120 000 Mann, zusammen 270 000 Mann.[77] In Kriegszeiten werden aus den 8 Reservebataillonen 36 Depotbataillone für die 36 Linienregimenter formiert, und die 9 Reserveregimenter mit ihren entsprechenden 9 Landwehrbataillonen werden für den Garnisondienst bestimmt, so daß eine aktive Feldtruppe von 228 Bataillonen mit etwa 230 000 Mann verbleibt. Die Kavallerie besteht aus 38 Linienregimentern zu je 4 Eskadronen, also 152 Eskadronen, und 34 Regimentern mit 136 Eskadronen des ersten Aufgebots der Landwehr, zusammen etwa 49 000 Mann. Artillerie: 9 Regimenter mit jeweils 11 Batterien zu je 8 Geschützen und 4 Kompanien für den Festungsdienst - insgesamt 792 Feldgeschütze und 20 000 Mann. Die Genietruppen, der Train usw. haben eine Gesamtstärke von 40 000 Mann. Alles zusammengenommen verfügt Preußen über eine Armee von 380 000 Mann der Linie und des ersten Aufgebots der Landwehr, wovon mindestens 340 000 zum Felddienst tauglich sind. Das zweite Aufgebot der Landwehr ist nicht organisiert und allein für den Festungsdienst bestimmt. Im Falle eines Krieges jedoch könnte das zweite Aufgebot, soweit es die Infanterie und die Artillerie betrifft, in etwa vier Monaten auf einen erträglichen
1 Landwehr: in der „New-York Daily Tribüne" hier und im weiteren Text des Artikels deutsch
Leistungsstand gebracht werden; die Kavallerie wird wohl kaum jemals zum aktiven Dienst fähig sein. Auf alle Fälle kann mit 100 000 bis 120 000 Mann aus dieser Quelle fest gerechnet werden, die wiederum die gleiche Anzahl Liniensoldaten vom Garnisondienst freisetzen. Die preußische Armee kann also 500 000 Mann auf die Beine bringen, wozu noch eine Menge ausgebildeter Leute kommen, für die im ersten Aufgebot der Landwehr kein Platz vorhanden war und die für neue Formationen verwendet werden könnten. Infolge der kurzen Dienstzeit (drei Jahre) und der Tatsache, daß das ganze erste Aufgebot der Landwehr durchschnittlich vier bis fünf Jahre (mit wenigen und kurzen Unterbrechungen) nicht im Armeedienst stand, ist die preußische Armee, was die Soldaten angeht, bei Ausbruch eines Krieges der österreichischen nicht gleichwertig. Die Preußen haben jedoch einen besonderen Hang für das Militärische, und wenige Wochen aktiver Felddienst werden stets gute Soldaten aus ihnen machen. Preußen hat vor allem den ersten Monat oder die ersten zwei Monate eines Krieges zu fürchten. Über die Hälfte der Armee besteht aus einer Miliztruppe; sie ist daher für einen Angriffskrieg wenig geeignet, doch wird sie um so besser in einem Verteidigungskrieg bestehen, denn mit Ausnahme der Schweiz[78] ist die Armee nirgendwo eine so wirklich nationale Einrichtung wie in Preußen. Was die Bewaffnung betrifft, so sind die gesamten Garden und ein Bataillon jedes Linienregiments mit den neuen Zündnadelgewehren ausgerüstet, die eine Reichweite von 1000 Yard haben und, das englische Enfield-Gewehr ausgenommen, weiter schießen als alle anderen im Gebrauch befindlichen Musketen. Die übrigen Linientruppen sind mit der einfachen Muskete bewaffnet, deren Lauf jedoch durch ein sehr einfaches Verfahren nach dem Prinzip Minies mit Zügen Versehen wurde und die an Reichweite und Genauigkeit dem echten Minie-Gewehr wenig nachsteht. Wenn das erste Aufgebot der Landwehr einberufen wird, erhält es ebenfalls das Zündnadelgewehr. Damit hat die preußische Infanterie, mit Ausnahme der britischen, die beste Bewaffnung von allen Infanterietruppen Europas. Für die Armee des Deutschen Bundes[61] stellt Österreich das erste, zweite und dritte, Preußen das vierte, fünfte und sechste Armeekorps. Das siebente Korps wird von Bayern gestellt. Bayern ist verpflichtet, ein einfaches Kontingent von 36 500 Mann und 17 800 Mann Reserve, insgesamt 54 300 Mann, aufzubringen. Doch die bayrische Armee ist wesentlich stärker, nämlich 54 Bataillone Infanterie mit 54000 Mann, 56 Eskadronen Kavallerie mit 9000 Mann, 224 Geschütze und 5 600 Mann Artillerie, außerdem Genietruppen usw., zusammen mehr als 72 000 Mann; dazu kommt die Reserve,
der alle entlassenen Soldaten vom 27. bis zum 40. Lebensjahr angehören und die für die Aufstellung neuer Formationen verwendet werden kann. Das achte Korps umfaßt an Kontingent und Reserve:
Soldaten Soldaten Württemberg 21 000 Baden 15 000 Hessen-Darmstadt 9 300 Geforderte Stärke. 45 300 Tatsächliche Armee ...... 19 000 Tatsächliche Armee 15 000 Tatsächliche Armee 10 500 Tatsächliche Stärke ...... 44 500
Das neunte Korps (Kontingent und Reserve) soll 36 000 Mann zählen; die Armeen, aus denen es sich zusammensetzt, umfassen tatsächlich 44 000 Mann. Das zehnte Korps soll 42 000 Mann umfassen, und wir nehmen an, daß die ihm zugehörigen Armeen etwa diese Stärke erreichen werden. Die Reservedivision (Kontingente der kleinen Staaten) ist etwa 17 000 Mann stark. Eine allgemeine Zusammenfassung ergibt also: Soldaten Österreich.... 800 000 Preußen 400 000 Bayern 70 000 Achtes Korps 45 000 Neuntes Korps 44 000 Zehntes Korps 42 000 Reservedivision 17 000 Insgesamt 1 418 000
Von dieser kolossalen Streitmacht befinden sich die 218 000 Mann der letzten fünf Gruppen ständig in Bereitschaft und bilden nur die reguläre Friedensstärke der entsprechenden Staaten nach Einberufung aller auf Urlaub befindlichen Männer. Diese Staaten könnten daher mit Leichtigkeit 100 000 bis 150 000 Mann mehr stellen, doch da für sie keine Formationen existieren, haben wir sie, ebenso wie das zweite Aufgebot der preußischen Landwehr, überhaupt nicht mitgezählt. -Österreich kann mit Sicherheit innerhalb von vierzehn Tagen 700 000 Mann unter Waffen haben. In Preußen würde es noch weniger Zeit erfordern, durch Einberufung der Kriegsreserve (auf Urlaub befindliche Soldaten) die Linientruppen auf ihre volle Stärke von 225 000 Mann zu bringen. Deutschland kann also innerhalb von vierzehn Tagen etwa l 150000 Mann ins Feld führen, einen Monat später weitere 270 000, und dann sind noch das ganze preußische zweite Aufgebot, die ganze
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 13
bayrische Reserve und ungefähr 100 000 österreichische Grenzsoldaten verfügbar. Und erst wenn diese Reserven erschöpft sind, dann, und nur dann, werden außergewöhnliche Anstrengungen nötig sein. Die Streitkräfte, die Deutschland zur Verfügung stehen, sind demnach so gewaltig, daß sie, wenn sie unter einer einigen und festen Führung stehen, keinen von Frankreich, Italien und Rußland gleichzeitig geführten Angriff zu fürchten brauchen. Ob sie eine solche Führung haben werden, ist natürlich zweifelhaft; aber wenn in einem allgemeinen Krieg kleinliche Eifersüchteleien, Unentschlossenheit und Routine die Aktionen dieser Armeen beeinträchtigen und eine Niederlage herbeiführen sollten, dann können die jetzigen Regierungen Deutschlands ihre Koffer packen, dann werden sie sich schleunigst aus dem Staube machen müssen. Das Deutschland von 1859 unterscheidet sich von dem Deutschland des Friedens von Basel und der Niederlagen von Jena, Austerlitz und Wagram[79] wie das heutige Frankreich von dem revolutionären Frankreich des Jahres 1793; und wenn das Jahr 1848 nichts weiter erreicht hat, so hat es doch in allen Teilen des Landes ein deutsches Nationalgefühl erzeugt, sogar in denen, die früher französischer Sympathien bezichtigt wurden. Louis-Napoleon mag versuchen, in Italien den Befreier zu spielen, aber er darf dieses Spiel nicht am Rhein wagen; und selbst wenn er im Kriege Teilerfolge haben sollte, würde er nur eine Revolution in Deutschland hervorrufen, die seine schließliche Niederlage sichern und durch die Kraft ihres Beispiels seinen eigenen, schon wankenden Thron in Gefahr bringen würde.
Geschrieben am 10. Februar 1859. Aus dem Englischen.
Friedrich Engels Wie Osterreich Italien in Schach hält
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5575 vom 4. März 1859] Als General Bonaparte 1796 von den Seealpen herabkam, genügte die große Woche von Dego, Millesimo, Montenotte und Mondovi, um ganz Piemont und die Lombardei zu erobern.^80} Seine Kolonnen rückten ohne Widerstand bis zum Mincio vor. Doch dort wendete sich das Blatt. Die Mauern von Mantua hielten ihn auf, und der größte General seiner Zeit brauchte neun Monate, um dieses Hindernis zu bezwingen. Der ganze zweite Teil des ersten Italienfeldzuges drehte sich um die Eroberung von Mantua. Rivoli, Castiglione, Arcole und der Marsch durch das Brentatal - alles diente der Erreichung dieses großen Zieles.1811 Zweimal wurde Napoleon von einer Festung aufgehalten. Das erste Mal in Mantua, das zweite Mal in Danzig1821. Napoleon wußte sehr gut, daß Mantua der Schlüssel zu Italien war. Nachdem er es genommen, trennte er sich erst davon, als er sich von seiner Krone trennte, und seine Herrschaft über Italien war bis dahin niemals ernsthaft gefährdet. Aus der geographischen Konfiguration Italiens erklärt sich, daß diejenige Macht ganz Italien beherrscht, die den nördlichen Teil, den Gallia Cisalpina der Römer, in den Händen hält. Das Po-Bassin ist immer das Schlachtfeld gewesen, auf dem das Schicksal der Halbinsel entschieden wurde. Von Marignano und Pavia über Turin, Arcole, Rivoli, Novi und Marengo bis Custozza und Novara - alle entscheidenden Kämpfe um die Beherrschung Italiens wurden hier ausgetragen.1831 Das ist ganz natürlich. Franzose oder Deutscher, wer immer seinen Gegner aus dem Po-Tal vertreibt, isoliert ihn von der langgestreckten Halbinsel und isoliert die Halbinsel von ihren Verbündeten. Nur auf eigene Ressourcen angewiesen, wird diese Halbinsel, der am wenigsten bevölkerte und zivilisierte Teil Italiens, bald unterworfen. In diesem Po-Bassin ist Mantua wiederum die zentralgelegenste Position. Es liegt gleich weit
entfernt vom Adriatischen wie vom Mittelmeer, etwa 70 Meilen von beiden; auf diese Weise schließt es, von einer Armee auf dem Schlachtfeld verteidigt, wirksam jeden Zugang zur Halbinsel ab. Dazu kommt der unermeßliche taktische Vorteil seiner Lage: inmitten eines Sees gelegen, mit drei Brückenköpfen zum Debouchieren, auf allen Seiten umgeben von einem mit Flüssen durchzogenem Gelände ist es in der Lage, die verschiedenen Teile einer Belagerungsarmee voneinander zu isolieren - kein Wunder, daß es eine traditionelle Redensart gibt: Wer Mantua besitzt, ist Herrscher über Italien. Diese wenigen Betrachtungen werden genügen, um zu zeigen, daß es nicht leicht sein dürfte, die Österreicher aus Italien zu vertreiben, selbst wenn sie nichts weiter als Mantua hätten. Wozu der erste Feldherr seiner Zeit neun Monate brauchte, das wird ein ehemaliger Hauptmann der Schweizer Artillerie1841 nicht in kürzerer Frist schaffen. Aber die militärische Lage der Lombardei hat sich seit 1796 stark verändert, sogar noch seit 1848. Der Feldzug von 1848 ist gewissermaßen das Gegenstück zu dem von 1796. Wenn 1796 zeigte, was Mantua in der Defensive leisten kann, zeigte 1848, was Mantua, Peschiera, Legnago und Verona zusammen bei offensiver Kriegführung leisten können; und seitdem ist diese glänzende Position, die zu den besten in Europa zählt, auf jede mögliche Art und Weise vervollkommnet und verstärkt worden, und zwar mit einer Sorgfalt, Sachkenntnis und ensemble1, die dem österreichischen Stab und seinen Ingenieuren zur höchsten Ehre gereichen. Betrachten Sie die Karte. Vom Gardasee bis zum Po fließt der Mincio, ein nicht sehr beachtlicher Fluß, im Sommer an vielen Stellen seicht, doch im ganzen für eine Verteidigungsposition nicht ungeeignet. Die Länge der Linie, die von Peschiera bis Borgoforte, obgleich dies jenseits des Flusses liegt, gemessen werden muß, beträgt etwa 30 Meilen, so daß eine Armee, die in deren Mitte liegt, in einem Tagesmarsch den jeweils äußersten Punkt erreichen kann. Diese kurze Linie von 30 Meilen, die zur Rechten (Norden) von dem See und den Tiroler Alpen und zur Linken vom Po flankiert wird, ist die erste Verteidigungsstellung, die eine österreichische Armee gegen einen von Westen kommenden Feind vorfindet. Aber dies ist nicht ihr einziger Vorteil. Fast parallel zum See, zum Mincio und zum Po, zehn bis dreißig Meilen dahinter, fließt die Etsch und bildet eine zweite und weitaus stärkere Verteidigungslinie, die zu jeder Jahreszeit ein Hindernis bildet, das nur mit Brücken zu überwinden ist. Durch diese doppelte Linie werden, wie ein Blick auf die
1 Zusammenarbeit
Karte zeigt, Tirol und die angrenzenden österreichischen Provinzen auf natürliche Weise zu einem festen Ganzen abgerundet. Sie ist, militärisch gesprochen, deren notwendige Ergänzung; darauf gründet sich der politische Grundsatz Österreichs, daß die Minciolinie zur Verteidigung Deutschlands notwendig ist und daß der Rhein am Po verteidigt werden muß. Diese von Natur aus starke Postion ist noch künstlich verstärkt worden. Die Minciolinie wird durch Mantua in zwei Teile geteilt. Diese Festung liegt so nahe an der Mündung des Flusses, daß der untere Teil bei der Berechnung gänzlich außer acht gelassen werden kann. So verkürzt sich die Linie um weitere sieben oder acht Meilen, und ihr südliches Ende wird von einer erstrangigen Festung verstärkt, die auf jeder Seite des Flusses Brückenköpfe bildet. Das andere Ende, wo der Fluß den See verläßt, wird von der kleinen Festung Peschiera verteidigt. Diese Festung ist gewiß nicht sehr stark und wurde 1848 von den Piemontesen eingenommen, sie genügt jedoch, um einem irregulären Angriff zu widerstehen und kann folglich gehalten werden, solange die Österreicher das Feld behaupten; gleichzeitig gestattet sie ihnen, auf die Westseite des Mincio zu debouchieren. Die Linie der Etsch wurde bis 1815 vernachlässigt. Sie bildete von 1797 bis 1809 die Grenze zwischen Österreich und Italien; doch seit 1815 befindet sich Österreich im Besitz beider Ufer des Flusses. Hinter Mantua, etwa 25 Meilen entfernt, liegt an der Etsch die kleine Festung Legnago; aber die nächste Stadt hinter Peschiera, Verona, war nicht befestigt. Die Österreicher brauchten jedoch nicht lange, um herauszufinden, daß Verona befestigt werden muß, damit die Position völlig ihrer Aufgabe gerecht werden kann. Und so geschah es. Aber durch die übliche Trägheit des vorsündflutlichen Österreichs wurde die Ausführung so vernachlässigt, daß 1848, als die Revolution ausbrach, nur das gegen Österreich gerichtete linke oder östliche Ufer des Flusses leidlich befestigt war, während die dem Feind zugewandte Seite verhältnismäßig ungeschützt blieb. Radetzky und seine Stabchefs, Heß und Schönhals, machten sich, nachdem die Revolution sie aus Mailand verjagt hatte, sofort an die Arbeit, um diesen Fehler zu korrigieren. Die Höhen, die Verona im Westen umgeben, wurden mit Schützengräben gekrönt, und durch diese wurden die Schutzwälle der Stadt vor einem bestreichenden Feuer geschützt. Das war Österreichs Glück. Die Minciolinie mußte aufgegeben werden. Peschiera wurde von den Piemontesen belagert, und sie drangen sogar bis zu den Schutzwällen der Redouten vor. Hier jedoch wurden sie zum Stehen gebracht. Der Tag von Santa Lucia (6.Mai 1848) zeigte ihnen, daß jeder weitere Vorstoß auf die Stellung von Verona nutzlos war.
Trotzdem befand sich noch ganz Oberitalien in den Händen der revolutionären Armee. Radetzky hielt nur seine vier Festungen und benutzte Verona als befestigtes Lager für seine Armee. Seine Front, die Flanken und fast das gesamte Hinterland waren in der Hand des Gegners; sogar die Kommunikationen mit Tirol waren bedroht und zeitweise unterbrochen. Dennoch gelang es einer Division unter General Nugent, sich durch das aufständische Venetien durchzuschlagen und gegen Ende Mai zu ihm zu stoßen. Nun zeigte Radetzky, was mit dieser glänzenden Position, die er sich gerade geschaffen hatte, erreicht werden konnte. Außerstande, noch länger in der ausfouragierten Umgebung Veronas zu verbleiben, zu schwach, um das Feld in einer entscheidenden Schlacht zu behaupten, brachte er seine Armee mit einem kühnen und geschickten Flankenmarsch über Legnago nach Mantua. Und bevor der Gegner richtig begriffen hatte, was vorging, rückte Radetzky von Mantua aus vor, um ihn auf dem westlichen Ufer des Mincio anzugreifen. Er drang in die feindliche Einschließungslinie ein und zwang die Hauptarmee der Piemontesen, sich aus ihrer Stellung vor Verona zurückzuziehen. Den Fall von Peschiera konnte er jedoch nicht verhindern, und nachdem er mit seinem Marsch nach Mantua alles erreicht hatte, was nur zu erreichen war, sammelte er seine Truppen wieder, marschierte über Legnago gegen Vicenza und entriß diese Stadt den Italienern, wodurch er sich das ganze venetianische Festland unterwarf, seine Kommunikationen wieder erlangte und die Ressourcen eines großen und reichen Gebiets im Rücken sicherte; danach zog er sich wieder auf seinen Stützpunkt Verona zurück, und die Piemontesen waren so völlig ratlos, wie er daraus zu vertreiben sei, daß sie darüber einen ganzen Monat mit Nichtstun verloren. In dieser Zeit waren jedoch drei starke österreichische Brigaden angekommen, und nun wendete sich das Blatt. In drei Tagen verjagte Radetzky die Piemontesen von den Höhen zwischen Etsch und Mincio, umging gleichzeitig ihre rechte Flanke bei Mantua und erteilte ihnen eine derartige Lektion, daß sie sich nicht eher wieder zum Kampf stellten, als bis sie den Ticino hinter sich gelassen hatten. Dieser Feldzug Radetzkys beweist, was ein General mit einer zahlenmäßig unterlegenen Armee leisten kann, wenn er von einem gut befestigten Flußliniensystem unterstützt wird. Ganz gleich, wo die Piemontesen standen oder wie sie versuchten, Front zu machen, sie konnten die Österreicher nicht angreifen; das Tasten im Dunkeln, worauf alle ihre militärischen Operationen in den letzten fünf Wochen vor ihrer endgültigen Niederlage beschränkt blieben, zeigt deutlich, wie hilflos festgefahren sie waren. Worin bestand nun die Stärke der Position Radetzkys? Lediglich darin, daß die Festungen ihn nicht nur vor einem Angriff schützten, sondern daß sie den Feind zwangen,
seine Kräfte zu teilen, während Radetzky unter ihrem Schutz an jedem Punkt mit seinen gesamten Streitkräften gegen den Teil des Feindes operieren konnte, auf den er zufällig stieß. Peschiera band eine Menge Truppen; während Radetzky in Verona war, band Mantua weitere Truppen, und kaum war er nach Mantua gegangen, da zwang Verona die Piemontesen, ein Beobachtungskorps dort zu lassen. Mehr noch: Die Italiener mußten mit getrennten Korps auf beiden Seiten der Flüsse operieren, wobei keines das andere schnell unterstützen konnte, während Radetzky, gestützt auf seine Festungen und Brückenköpfe, nach Belieben seine gesamten Kräfte von einem Ufer aufs andere werfen konnte. Vicenza und das venetianische Festland wären nie gefallen, wenn die Piemontesen imstande gewesen wären, es zu unterstützen. Aber nach Lage der Dinge ergriff Radetzky von beiden Besitz, während die Piemontesen von den Garnisonen Veronas und Mantuas in Schach gehalten wurden. Wenn die Franzosen in Algerien mit einer Kolonne durch ein feindliches Gebiet marschieren müssen1851, bilden sie vier Infanterie-Karrees und stellen sie an den vier Ecken eines Rhomboids auf; die Kavallerie und die Artillerie befinden sich in der Mitte. Wenn die Araber angreifen, werden sie durch das anhaltende Feuer der Infanterie abgewehrt, und sobald ihr Angriff gebrochen ist, stürmt die Kavallerie in sie hinein, und die Artillerie protzt ab, um ihnen ihre Kugeln zu schicken. Falls die Kavallerie zurückgeschlagen wird, findet sie hinter den Karrees der Infanterie sicheren Schutz. Was die solide Infanterie gegen solche irregulären Haufen leistet, das leistet ein System von Festungen für eine unterlegene Feldarmee, besonders wenn diese Festungen an einem Netz von Flüssen gelegen sind. Verona, Mantua, Peschiera, Legnago bilden die vier Ecken eines Quadrats, und solange nicht mindestens drei von ihnen eingenommen sind, kann selbst eine unterlegene Armee nicht gezwungen werden, die Position zu verlassen. Doch wie sie nehmen? Peschiera allerdings wird immer leicht fallen, wenn die Österreicher das Feld nicht behaupten können. Bei Mantua jedoch hatte man 1848 erst gar nicht versucht, es von allen Seiten einzuschließen, noch viel weniger, es zu belagern. Um Mantua einzuschließen, sind drei Armeen nötig: eine am westlichen, eine am östlichen Ufer des Mincio zur Belagerung, und eine, um die Belagerung gegen die Österreicher bei Verona zu decken. Durch geschicktes Manövrieren zwischen den Flüssen und Festungen kann jede dieser drei Armeen ad libitum von der Gesamtheit der österreichischen Streitkräfte angegriffen werden. Wie ist unter solchen Umständen eine Belagerung aufrechtzuerhalten? Wenn General Bonaparte neun Monate brauchte, um Mantua, auf sich allein gestellt, auszuhungern, wie stark wird es sein, wenn es von
einer Armee unterstützt wird, die sich auf Verona, Legnago und Peschiera stützt, die imstande ist, mit vereinten Kräften an beiden Ufern des Mincio oder der Etsch zu manövrieren und deren Rückzug nie abgeschnitten werden kann, da sie zwei Kommunikationslinien besitzt, eine durch Tirol und die andere durch das Venetianische? Wir haben keine Bedenken, zu behaupten» daß diese Position eine der stärksten in Europa ist, und da sie von den Österreichern nicht nur vollständig vorbereitet, sondern auch völlig richtig erkannt wird, glauben wir, daß 150 000 Österreicher die doppelte Zahl an Gegnern hier nicht zu fürchten brauchen. Aber angenommen, sie werden doch aus dieser Position herausgetrieben. Angenommen, sie verlieren Mantua und Peschiera und Legnago. Solange sie Verona halten und nicht vollständig aus dem Felde geschlagen werden, können sie den Marsch jeder französischen Armee auf Triest und Wien sehr gefährden. Wenn sie Verona als Vorposten behalten, können sie sich nach Tirol zurückziehen, ihre Kräfte sammeln und den Feind erneut zwingen, seine Kräfte zu teilen. Ein Teil muß Verona belagern, ein anderer das Tal der Etsch verteidigen; wird dann genug übrigbleiben, um auf Wien zu marschieren? Wenn ja, dann kann die Tiroler Armee sie im Tal der Brenta überfallen, dessen strategische Bedeutung General Bonaparte den Österreichern 1796 in einer recht schmerzhaften Lektion beibrachte. Ein solches Experiment 'wurde jedoch ein entscheidender i ehler sein, es sei denn, daß eine andere Armee zur Verteidigung der direkten Straße nach Deutschland zur Verfügung steht; denn wenn die Hauptkraft der Österreicher in die Tiroler Alpen geworfen wird, könnte der Feind daran vorbeimarschieren und in Wien ankommen, bevor die Österreicher sich von den Bergen gelöst hätten. Doch nehmen wir an, daß Wien befestigt ist (wir glauben, daß dies jetzt geschieht), dann wird diese Betrachtung hinfällig. Die Armee würde noch rechtzeitig ankommen, um es zu unterstützen und könnte die Verteidigung der Kärntner Grenze darauf beschränken, in den Alpen die linke Flanke des Eindringlings ständig zu umschwärmen und zu drohen, ihn entweder bei Bassano oder Conegliano zu überfallen oder sich seiner Kommunikationen zu bemächtigen, sobald er vorbeimarschiert ist. Diese indirekte Verteidigung der deutschen Südgrenze ist übrigens die beste Antwort auf das Argument, mit welchem Österreich seine Besetzung Italiens verteidigt, nämlich, daß die Linie des Mincio die natürliche Grenze Deutschlands im Süden sei. Wäre es so, dann würde der Rhein die natürliche Grenze Frankreichs sein. Jedes Argument, das für den einen Fall paßt, ist für den anderen ebenfalls voll anwendbar. Aber glücklicherweise braucht Frankreich nicht den Rhein und Deutschland nicht den Po und den Mincio.
Wer umgeht, wird selbst umgangen. Wenn das venetianische Gebiet Tirol umgeht, umgeht Tirol ganz Italien. Der Paß von Bormio führt direkt nach Mailand und kann dazu benutzt werden, einem Feind, der Triest und Gradisca angreift, ein Marengo zu bereiten, so wie der Große St. Bernhard gegen Melas benutzt wurde, als dieser die Var-Linie angrifft86]. Im Krieg gewinnt mit Sicherheit schließlich derjenige, der das Feld am längsten und besten behauptet. Laßt Deutschland mit starker Hand Tirol halten, und es kann sich sehr wohl leisten, den Italienern in der Ebene ganz ihren Willen zu lassen. Solange seine Armeen das Feld zu halten vermögen, ist wenig daran gelegen, ob das venetianische Festland politisch zu ihm gehört. Militärisch gesehen be~ herrscht seine Alpengrenze dieses Gebiet, und das sollte genügen. Dies ist selbstverständlich eine Frage, die Italien und Deutschland allein angeht. Sobald Frankreich hinzukommt, liegen die Dinge anders; wenn Frankreich sein ganzes Gewicht in die Waagschale wirft, ist es nur natürlich, daß jeder der beiden Kombattanten seine Position soweit wie möglich sichern wird. Deutschland kann es sich leisten, die Linie des Mincio und auch der Etsch aufzugeben, jedoch nur zugunsten Italiens und nicht einer anderen Nation. Bisher haben wir die Chancen eines Verteidigungskrieges nur von Seiten der Österreicher betrachtet. Wenn es jedoch zum Kriege kommen sollte, wird ihre Lage ihnen gebieterisch einen offensiven Feldzugsplan aufzwingen doch darüber später mehr.
Geschrieben Mitte Februar 1859. Aus dem Englischen.
T 7- i » ir is.ari Marx Der Zustand, in der britischen Fabrikindustrie
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5584 vom 15. März 1859] London, 25. Februar 1859 Nachdem die Fabrikinspektoren von England, Schottland und Irland ihre regelmäßigen Halbjahresberichte über ihre jeweiligen Bezirke, endend mit dem 3I.Oktober 1858, veröffentlicht haben, gebe ich Ihnen meinen üblichen Abriß über diese höchst wichtigen Industrie-Bulletins1871. Der gemeinsame Bericht ist diesmal in ein paar Zeilen zusammengedrängt und besagt nur, daß überall, mit der einzigen Ausnahme von Schottland, die Ubergriffe der Fabrikanten hinsichtlich der gesetzlichen Arbeitszeit für Jugendliche und Frauen, insbesondere was die für ihre Mahlzeiten vorgesehene Zeit anbelangt, rasch zunehmen. Die Inspektoren halten es daher für ihre Pflicht, darauf zu drängen, daß diese Umgehungen des Gesetzes durch einen Ergänzungsakt verhindert werden.
„Die Unzulänglichkeiten der Fabrikgesetze", sagen sie, „die es für die Inspektoren und Unterinspektoren äußerst schwierig machen, die Gesetzesverletzer zu entdecken und zu überführen und den unstreitigen Absichten der Gesetzgebung in den sehr wichtigen Fragen der Begrenzung der Arbeitszeit und der Sicherstellung ausreichender Möglichkeiten der Arbeiter für Erholung und Mahlzeiten im Laufe des Tages gerecht zu werden, machen einige Veränderungen des Gesetzes erforderlich. Wenn das Parlament geahnt hätte, daß solche Umgehungen vorgenommen werden könnten, dann hätte es sich zweifellos durch angemessene Verfügungen dagegen geschützt." Nun, da ich die stürmischen Parlamentsdebatten gewissenhaft studiert habe, aus denen die gegenwärtigen Fabrikgesetze hervorgegangen sind, müssen mir die Fabrikinspektoren gestatten, von ihrer Schlußfolgerung abzuweichen und auf der Meinung zu beharren, daß die Fabrikgesetze mit der ausdrücklichen Absicht formuliert wurden, jede nur mögliche Gelegenheit der
Umgehung und Überlistung zu bieten. Der scharfe Antagonismus zwischen Gutsherren und Fabrikherren, der diese Gesetze hervorbrachte, wurde gemildert durch den gemeinsamen Haß, den die beiden herrschenden Klassen für das empfinden, was sie „das gemeine Volk" nennen. Gleichzeitig nehme ich gern die Gelegenheit wahr, jenen britischen Fabrikinspektoren meine Hochachtung auszusprechen, die sich angesichts der allmächtigen Klasseninteressen des Schutzes der unterdrückten Massen mit einem moralischen Mut, einer unentwegten Energie und einer geistigen Überlegenheit angenommen haben, für die man in diesen Zeiten der Anbetung des Mammons nicht viele Parallelen finden wird. Der erste Bericht stammt von Herrn Leonard Horner, dessen Distrikt das industrielle Zentrum Englands, ganz Lancashire, Teile von Cheshire, Derbyshire, den West Riding von Yorkshire, den North Riding und die vier nördlichen Grafschaften Englands umfaßt. Da die Fabrikgesetze immer noch der Gegenstand unverminderter Opposition der Fabrikherren sind und fast jedes Jahr eine parlamentarische Kampagne für ihre Aufhebung geführt wird, beginnt Herr Horner mit einer Verteidigungsrede für die Gesetzgebung, welche Kinder und Frauen von der absoluten Herrschaft der erbarmungslosen Gesetze des Freihandels befreit. Die offiziellen Ökonomen erklärten, daß die Fabrikgesetzgebung allen gestinden „Prinzipien" widerspreche und sich in der Folge für die Industrie bestimmt als schädlich erweisen würde. Als Antwort auf den ersten Einwand stellt Herr Horner fest:
„Da in allen Fabriken ein sehr hoher Betrag von fixem Kapital in Gebäuden und Maschinen steckt, so wird der Gewinn um so größer sein, je größer die Anzahl der Stunden, während deren diese Maschinerie in Arbeit gehalten werden kann; und ganz gewiß gäbe es keine Gesetzgebung, die siich dabei einmischt, wenn diese Arbeit in einer für Menschen unschädlichen Weise durchgeführt werden könnte. Als sich aber zeigte, daß zwecks Erzielung eines größeren Gewinns aus dem Kapital Kinder, junge Personen beiderlei Geschlechts und Frauen tagsüber und oft auch nachts so lange beschäftigt wurden, daß dies mit ihrer Gesundheit, ihrer Moral, der Erziehung der Kinder, der häuslichen Bequemlichkeit und mit jedem normalen Genuß des Lebens unvereinbar war, da forderten die einfachsten sittlichen Prinzipien von der Gesetzgebung, einem so großen Übel ein Ende zu bereiten."
Mit anderen Worten, Herr Horner bringt zum Ausdruck, daß bei dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft nach Meinung der Ökonomen und der Klassen, deren theoretisches Sprachrohr sie sind, ein Prinzip „gesund" erscheinen kann, das nicht nur allen Gesetzen des menschlichen Gewissens zuwiderläuft, sondern sich sogar wie ein Krebs in das Leben einer ganzen Generation einfrißt. Was den hemmenden Einfluß anbelangt, den die Fabrik
gesetze angeblich auf die Weiterentwicklung der Industrie ausüben, so stellt Herr Horner den Deklamationen Tatsachen gegenüber. Der vom Unterhaus geforderte Bericht vom 19. März 1835 enthielt folgende Angaben über die Anzahl der Fabriken und die Anzahl der darin beschäftigten Personen in seinem jetzigen Distrikt: Fabriken beschäftig Personen Baumwolle ,.. 775 132 898 Wolle und Kammgarn ... .. 220 8 738 Flachs 6u 5 546 Seide 23 5 445 1078 152 627
In dem Bericht an das Unterhaus vom Februar 1857 ist folgender Stand angegeben: Fabriken beschäftigte Personen
Baumwolle 1 535 271 423 Wolle und Kammgarn 181 18 909 Rachs 49 6 738 Seide . 46 10 583 1 811 307 653
Aus diesen Tabellen wird ersichtlich, daß sich in 22 Jahren die Anzahl der Baumwollfabriken fast verdoppelt hat, während die Anzahl der darin beschäftigten Personen sich mehr als verdoppelt hat. In den Woll- und Kammgarnfabriken zeigt das beträchtliche Sinken der Zahl der Fabriken bei gleichzeitigem Ansteigen der Anzahl der dort beschäftigten Personen auf mehr als das Doppelte die Konzentration des Kapitals und die in großem Maße stattfindende Vernichtung der kleineren Fabriken durch die größeren. Der gleiche Vorgang, wenn auch in kleinerem Maßstab, kann bei den Flachsfabriken beobachtet werden. Was die Seidenfabriken anbelangt, so hat sich ihre Anzahl verdoppelt und die Anzahl der in ihnen beschäftigten Personen beinahe ebenfalls.
„Aber", bemerkt Herr Horner, „das Ansteigen der tatsächlichen Anzahl von Fabriken ist nicht der einzige Maßstab für den Fortschritt; denn die großen Verbesserungen, die bei der Maschinerie aller Art gemacht wurden, haben ihre Produktionsmöglichkeiten bedeutend erhöht."
Dabei ist besonders wichtig, daß ein Anreiz für diese Verbesserungen, insbesondere, was die größere Geschwindigkeit der Maschinerie in einer bestimmten Zeit anbelangt, augenscheinlich durch die gesetzlichen Beschränkungen der Arbeitszeit gegeben wurde.
„Diese Verbesserungen", sagt Herr Horner, „und die Tatsache, daß die Arbeiter dadurch mit größerem Eifer schaffen konnten, hatten zur Folge, daß - wie mir immer wieder versichert wurde - in kürzerer Frist ebensoviel Arbeit geleistet wurde wie früher bei längerer Arbeitszeit."
Seitdem sich vor kurzem die Geschäftslage gebessert hat, vermehren sich in Herrn Horners Distrikt die vorsätzlichen und wohldurchdachten Verletzungen der Verordnungen, die die Arbeitszeit beschränken, und jener, welche das Mindestalter der Arbeiter und den Schulbesuch der Kinder von acht bis dreizehn Jahren festlegen, die laut Gesetz nur Halbzeit arbeiten sollen. Ich zitiere aus dem Bericht:
„Der Versuchung gesteigerten Profits unterliegen jene Fabrikbesitzer, in deren Moralkodex Ungehorsam gegen einen Parlamentsakt kein Verbrechen darstellt und die sich ausrechnen, daß der Betrag der Strafe, den sie bei Entdeckung zahlen müssen, nur einen sehr kleinen Teil des Profits ausmacht, welchen sie erzielen, wenn sie die gesetzlichen Beschränkungen mißachten."
Um diese abgedroschene Klage zu verstehen, der wir in allen weiteren Berichten begegnen, muß in Betracht gezogen werden, daß erstens die Friedensrichter größtenteils Fabrikanten oder deren Verwandte sind, daß zweitens die vom Gesetz verhängten Strafen sehr geringfügig sind und daß schließlich Jugendliche und Frauen nur dann als arbeitend angesehen werden, „toenn das Gegenteil nicht bewiesen wird". Dazu stellt Herr Horner fest:
„Nichts ist für einen betrügerischen Fabrikbesitzer leichter, als das Gegenteil zu beweisen. Er braucht nur seine Dampfmaschine anzuhalten, sobald der Inspektor erscheint, und dann hört alle Arbeit auf, aber der Inspektor muß bei jeder Mitteilung nachweisen, daß die in der Beschwerde genannte Person tatsächlich bei der Arbeit angetroffen wurde. Sobald das ungesetzliche Arbeiten beginnt, und das ist zu sechs verschiedenen Tageszeiten, da sich der Hauptteil der täglichen Arbeit aus kleinen Teilleistungen zusammensetzt, wird ein Posten aufgestellt, der beim Herannahen eines Inspektors sofort ein Signal zum Anhalten der Maschine und zur Entfernung der Leute aus der Fabrik gibt."
Überführendes Beweismaterial können in der Tat nur solche Unterinspektoren erhalten, die den für Gentlemen natürlichen Abscheu überwinden und zu ähnlichen Maßnahmen greifen, wie sie ein Polizeidetektiv anwendet.
Da sowohl der Inspektor als auch seine Unterinspektoren in ihren entsprechenden Distrikten schnell überall bekannt sind, werden sie dadurch bald außerstande gesetzt, jene zu entdecken, die besonders geschickt das Gesetz verletzen, und als einziges Hilfsmittel verbleibt ihnen, ihre Kollegen aus den Nachbardistrikten herbeizurufen, die der Aufmerksamkeit der von den Fabrikbesitzern an den verschiedenen Eisenbahnstationen postierten Kundschafter entgehen können, weil man sie irrtümlich für fremde Kaufleute hält, die Einkäufe tätigen wollen. Das folgende Bulletin über die Verletzten und Toten des halbjährigen industriellen Feldzugs im Distrikt des Herrn Horner liefert den Studenten der Militärwissenschaft sicher ein bemerkenswertes Thema; sie werden daraus ersehen, daß die regulären Tribute an menschlichen Gliedern, Händen, Armen, Knochen, Füßen, Köpfen und Gesichtern, welche der modernen Industrie dargebracht werden, in ihrem Umfang viele als höchst mörderisch geltende Schlachten übertreffen.
Unfälle, die von Maschinen verursacht wurden
Erwachsene Jugendliche Kinder insgesamt Art der Verletzung m. w. m. w. m. w. m. w.
4 - 3 j 2 - 9 ]
Amputation der rechten Hand oder des rechten Armes 2 _ 1 _ _ _ 3 _ Amputation der linken Hand oder des linken Armes 2 _ 1 1 1 _ 4 1 Amputation eines Teils der rechten Hand 8 19 14 14 6 4 28 37 Amputation eines Teils der linken Hand 14 14 8 12 5 3 27 29 Brüche von Gliedern und Rumpf18 4 10 4 3 o D 31 11 Hand- oder Fußbrüche 26 27 23 19 8 9 57 55 Kopf- und Gesichtsverletzungen ... 11 16 12 13 7 1 30 30 Risse, Quetschungen und andere, oben nicht aufgeführte Verletzun146 97 122 138 33 35 301 270 insgesamt 231 177 194 202 65 55 490 434
Unfälle, die nicht von Maschinen verursacht wurden
Erwachsene Jugendliche Kinder insgesamt Art der Verletzung m. w. m. w. m. w. m. w.
tödlich 3 1 - - - - 3 1 Kopf- und Gesichtsverletzungen ... 2 - 1 - - - 3 Risse, Quetschungen und andere, oben nicht aufgeführte Verletzungen 3 2 4 2 - 1 7 5 insgesamt 8 3 5 2 - 1 13 6 Der zweite Bericht, der von Sir John Kincaid verfaßt wurde, bezieht sich auf ganz Schottland, wo, wie er behauptet, die Gesetze zur Regelung der Beschäftigung von Frauen, Jugendlichen und Kindern in Fabriken weiterhin streng befolgt Werden. Das trifft jedoch nicht auf die Unterrichtsgesetze zu, da es eine beliebte Methode der schottischen Fabrikherren zu sein scheint, für die bei ihnen arbeitenden Kinder Schulzertifikate von speziell für diesen Zweck geschaffenen Einrichtungen ausstellen zu lassen, welche jedoch von den Kindern gar nicht besucht werden oder, wenn die Kinder sie besuchen, ihnen nichts lehren können. Es mag genügen, zwei Fälle anzuführen. Im Jahre 1858 besuchte Sir John Kincaid in Begleitung von Herrn Unterinspektor Campbell zwei Schulen, von denen die in einigen Glasgower Stoffdruckereien beschäftigten Kinder ihre Zertifikate bekommen. Ich zitiere aus dem Bericht:
„Die erste Schule war die von Mrs. Ann Killin in Smith's Court, Bridgeton. Als wir kamen, waren keine Kinder im Schulzimmer, und als wir Frau Killin aufforderten, ihren Namen zu buchstabieren, machte sie gleich einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort korrigierend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unterschrift in den Schulzertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, daß sie ihren Namen verschiedenartig buchstabierte, während die Handschrift keinen Zweifel über ihre Lehrunfähigkeit ließ. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Register nicht führen. Die zweite Schule, die wir besuchten, war die von William Logue in Landressey Street, Calton, dessen Zertifikate für ungültig zu erklären ich ebenfalls für meine Pflicht hielt. Das Schulzimmer war ungefähr 15 Fuß lang und 10 Fuß breit, und darin zählten wir fünfundsiebzig Kinder, die mit höchstem Stimmenaufwand etwas Unverständliches herquiekten. Ich bat den Schulmeister, mir einige der Kinder zu zeigen, und ich sah aus der Art, wie er die Menge überblickte, daß er keine Ahnung hatte, ob diese Kinder anwesend waren oder nicht." In der Tat, die Erziehungsklauseln der Fabrikgesetze fordern zwar, daß die Kinder Zertifikate über den Schulbesuch bringen, aber nicht, daß sie etwas gelernt haben müssen.
In Schottland betrug die Zahl der von Maschinen verursachten Unfälle 237, von denen sich 58 bei Männern und 179 bei Frauen zutrugen; dagegen gab es nur 10 Unfälle, die nicht von Maschinen verursacht waren. Die Zahl derer, bei denen Amputationen erforderlich waren, ist ebenso gestiegen wie die Zahl derer, die kleinere Unfälle erlitten; der Unterschied erklärt sich jedoch aus der größeren Anzahl Arbeiter, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1858 beschäftigt wurde. Es gab nur einen tödlichen Unfall. Nach den Berichten der Unterinspektoren aus den westlichen Distrikten Schottlands haben einige Baumwollfabriken, die 1857 die Arbeit einstellten, diese noch nicht wieder aufgenommen, und die Industrie zur Herstellung modischer Druckstoffe ging das ganze Jahr hindurch flau. Nach den jüngsten Berichten, die Sir John Kincaid aus dem östlichen Distrikt erhielt, wurden in Dundee und Arbroath auf Grund der neulichen Bankrotte und anderer Ursachen mehrere Fabriken stillgelegt und in einigen anderen, die nach außen hin voll arbeiten, steht ein großer Teil der Maschinerie still; dieser Stand der Dinge sei in großem Maße der Überproduktion, dem Rückgang der üblichen Lieferungen von Flachs aus den Ostseeländern und den sich daraus ergebenden hohen Preisen des Rohstoffs zuzuschreiben. Die Anzahl der gewöhnlich in den Fabriken beschäftigten Personen gehe zurück, und es gebe in der Tat bei den Besitzern von Flachsspinnereien die Bestrebungen, die Arbeitszeit auf zweiundvierzig Stunden pro Woche zu reduzieren, solange die Depression anhält. In den Distrikten mit Wollproduktion, insbesondere bei der Tweedproduktion, einem Industriezweig, der mit jedem Tag wächst, war dagegen eine starke Belebung zu verzeichnen, so in Hawick, Galashiels, Selkirk usw. Alle Industriezweige arbeiteten voll, ausgenommen die Handweberei, die durch das Ansteigen der Zahl der mechanischen Webstühle ständig weiter zurückgeht und bald ganz eingestellt werden wird. Sir John Kincaid gibt folgende tabellarische Aufstellung über die Veränderungen, die in den Hauptzweigen der schottischen Industrie im Verlauf von 20 Jahren, zwischen 1835 und 1857, vor sich gingen:
Fabriken Anzahl der Arbeiter m. w. insgesamt
Baumwolle aller Art
1835 159 1857 152 10529 7609
22051 27089
32580 34698
Fabriken Anzahl der Arbeiter m. w. insgesamt
Wolle 1835 90 1 712 1 793 3 505 1857 196 4 942 4 338 9 280
Flachs 1835 170 3 392 10017 13 409 1857 168 8 331 23 391 31722
Eine Übersicht über die beiden anderen Berichte behalte ich mir für einen weiteren Artikel vor, weil insbesondere der Bericht des Herrn Robert Baker Materialien enthält, die für Industrielle jedes Landes von Interesse sind.
Aus dem Englischen.
14 Marx/Engels, Werke. Bd. 13
Friedrich Engels Die Erfolgsaussichten des bevorstehenden Krieges
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5586 vorn ! 7. März 1859, Leitartikel] Die eifrigsten Freunde des Friedens in Europa beginnen die letzte schwache Hoffnung auf die Erhaltung des Friedens aufzugeben, und statt die Möglichkeit einer friedlichen Regelung zu erörtern, diskutieren sie jetzt darüber, welche Aussichten auf Erfolg die künftigen kriegführenden Parteien haben. Es sei uns daher gestattet, unsere Betrachtungen über die militärische Bedeutung des Po-Tales und über die Chancen, die es für die Manöver der sich gegenüberstehenden französisch-sardinischen und österreichischen Armeen bietet, fortzusetzen. Wir haben bereits die starke Position der Österreicher am Mincio und an der Etsch beschrieben.1 Wenden wir uns jetzt der anderen Seite zu. Der Po, der hauptsächlich von Westen nach Osten verläuft, macht eine beachtliche Biegung und fließt in einer Länge von ungefähr sechzehn Meilen von Nordwest nach Südost, wonach er seine östliche Richtung wieder aufnimmt. Diese Biegung befindet sich auf dem Gebiet Sardiniens, ungefähr 25 Meilen von der österreichischen Grenze entfernt. Am nördlichen Flußbogen des Po mündet die Sesia, die von den Alpen nach Süden fließt, und am südlichen der Tanaro, der von den Apenninen nach Norden fließt. In diese beiden Flüsse münden kurz vor ihrer Vereinigung mit dem Hauptstrom wiederum zahlreiche kleinere Flüsse, so daß das westlich von ihnen gelegene Land auf der Karte das Schauspiel eines ausgedehnten Systems von Flußlinien bietet, die alle vom Amphitheater der Berge, die Piemont auf drei Seiten umgeben, zu einem gemeinsamen Zentrum streben, was den Radien gleicht, die von der Peripherie eines Kreises zu seinem Mittelpunkt gezogen werden. Das ist die starke Verteidigungsposition von Piemont und wurde als solche von Napoleon genau erkannt, jedoch sowohl von ihm als auch von der sardinischen Regierung, die auf die französische Herrschaft folgte, vernachlässigt; erst
1 Siehe vorl. Band, S. 195-201
nach den Niederlagen von 1849 wurde sie zur Verteidigung ausgebaut. Aber auch dann wurden die Verteidigungswerke so langsam und spärlich errichtet, daß sie gegenwärtig unvollständig sind und Befestigungen, die eine gemauerte Eskarpe und Kontereskarpe haben müßten, jetzt als einfache Feldschanzen errichtet werden, um im Frühjahr zur Verteidigung bereit zu sein. Am Po, etwa vier Meilen oberhalb der Mündung der Sesia, liegt die Stadt Casale, die befestigt war und wird, um eine Stütze für den nördlichen oder linken Flügel der Position zu bilden. Am Zusammenfluß des Tanaro und der Bormida, acht Meilen oberhalb der Mündung des ersteren in den Po, liegt Alessandria, die stärkste Festung von Piemont, die jetzt zum Mittelpunkt eines großen verschanzten Lagers gemacht wird, das den südlichen oder rechten Flügel der Position sichert. Die Entfernung zwischen den beiden Städten beträgt sechzehn Meilen, und der Po fließt vor der sie verbindenden Straße in einer Entfernung von etwa fünf bis sechs Meilen. Der linke Flügel einer Armee, die sich in dieser Stellung befindet, wird erstens von der Sesia und zweitens von Casale und dem Po gedeckt. Der rechte Flügel wird von Alessandria und den Flüssen Orba, Bormida, Belbo und Tanaro, die alle dicht bei Alessandria ineinander münden, gedeckt. Die Front wird durch die Biegung des Po gedeckt. Wenn Sardinien seine Armee in Stärke von 80000 bis 90 000 Mann in dieser Stellung konzentriert, wird es ungefähr 50 000 Mann für aktive Operationen zur Verfügung haben, die auch bereit sind, jeder Armee in die Flanken zu fallen, die versuchen sollte, die Position über Novi und Acqui im Süden oder über Vercelli im Norden zu umgehen. Turin kann daher durch diese Position als gut gedeckt angesehen werden, besonders, da diese Hauptstadt eine Zitadelle hat, die eine regelrechte Belagerung erfordert, bevor sie genommen werden kann, und keine Armee, die eine derartige Position umgeht, könnte eine Belagerung durchführen, ohne zuerst die piemontesische Armee aus ihrem verschanzten Lager vertrieben zu haben. Die Position von Casale und Alessandria hat jedoch einen schwachen Punkt; sie besitzt keine Tiefe und ihr Rücken ist völlig ungedeckt. Die Österreicher haben zwischen Mincio und Etsch ein Quadrat, das von vier Festungen, an jeder Ecke eine, gedeckt wird. Die Piemontesen haben an Po und Bormida eine Linie mit zwei Festungen, an jeder Flanke eine, und eine gut zu verteidigende Front, aber ihr Rücken ist völlig offen. Zwar würde es gewagt und verhältnismäßig zwecklos sein, Alessandria im Süden zu umgehen, doch Casale kann im Norden umgangen werden, wenn nicht über Vercelli, so zumindest über Sesto Calende, Novara, Biella, Santhia und Crescentino; und wenn eine überlegene Armee den Po oberhalb von Casale überquert und die Piemontesen von hinten H*
angreift, sind diese sofort gezwungen, die Vorteile einer stark verschanzten Position aufzugeben und auf offenem Felde zu kämpfen. Es würde das Gegenstück zu Marengo1861 sein, nur auf der anderen Seite der Bormida. Nachdem wir die zwei Operationsbasen im Po-Bassin beschrieben haben, die Basis der Österreicher in einem früheren Artikel, die der Franzosen und Piemontesen in den obigen Bemerkungen, wollen wir nun erörtern, welcher Gebrauch von ihnen gemacht werden kann. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß der ganze nordöstliche Teil der zur Schweiz gehörenden Alpenkette, von Genf bis etwa eine Meile vor dem Stelviopaß, vorerst neutrales Gebiet ist, bis die eine oder andere der kriegführenden Parteien es für passend hält, die Neutralität zu verletzen. Da die Schweizer heutzutage eine ziemlich starke Streitmacht für Verteidigungszwecke besitzen, ist es nicht wahrscheinlich, daß dies gleich zu Beginn des Krieges geschehen würde. Wir werden daher die Schweiz vorerst als wirklich neutral und für jede Partei unzugänglich betrachten. In diesem Fall haben die Franzosen vier Wege, um nach Piemont zu gelangen. Die Armee von Lyon wird durch Savoyen und über den Mont Cenis gehen müssen. Ein kleineres Korps kann über Brian^on und den Mont Genevre vorrücken. Beide werden, aus den Bergen kommend, sich bei Turin vereinen. Die Armee, die in der Provence konzentriert ist, kann zu einem Teil von Toulon über Nizza und Col di Tenda marschieren, der andere Teil kann in Toulon eingeschifft und mit Dampfern in viel kürzerer Zeit nach Genua befördert werden. Beide Teile haben ihren Konzentrationspunkt in Alessandria. Es führen noch einige Straßen zu den gleichen Konzentrationspunkten, aber sie sind entweder für das Passieren großer Truppeneinheiten ungeeignet oder nicht so vorteilhaft wie die genannten. Die Disposition der französischen Italienarmee - wir können sie jetzt wohl so zu bezeichnen wagen — ist schon in Ubereinstimmung mit dieser Lage der Dinge getroffen worden. Die zwei Hauptkonzentrationspunkte sind Lyon und Toulon, zwischen den beiden ein kleineres Korps im Rhonetal, das bereit steht, über Brianfon vorzurücken. Um rasch eine starke französische Armee im Po-Tal hinter Alessandria und Casale zu konzentrieren, ist es in der Tat notwendig, alle obengenannten Routen zu benutzen; das stärkste Korps kommt über Lyon und den Mont Cenis, das schwächste über Brianfon und den Mont Genevre, und der größtmögliche Teil der Armee der Provence wird auf dem Wasserwege nach Genua befördert; denn während ein Korps, das von der Var über den Col di Tenda marschiert, bis Alessandria mehr als zehn Tage benötigt, kann es auf dem Wasserwege von Toulon aus Genua in 24 Stunden und von dort Alessandria in drei Gewalt- oder vier Normalmärschen erreichen.
Aber angenommen, wie es naheliegt, daß Österreich den Krieg erklärt, sobald ein französisches Bataillon nach Piemont kommt, welchen Weg kann seine Italienarmee einschlagen? Sie kann in der Lombardei bleiben und Gewehr bei Fuß die Konzentration von 200 000 Franzosen und 50 000 Piemontesen abwarten und sich dann auf ihre Operationsbasis am Mincio zurückziehen und dabei die ganze Lombardei aufgeben. Eine solche Verfahrensweise würde die österreichischen Truppen entmutigen und ihre Gegner durch einen unerwartet leicht errungenen Erfolg ermuntern. Sie kann auch die Attacke der Franzosen und Piemontesen in der freien Ebene der Lombardei abwarten. In diesem Fall würde sie von der Ubermacht geschlagen werden, da sie nur 120000 Mann der doppelten Anzahl gegenüberstellen kann und außerdem durch den italienischen Aufstand gehemmt wäre, der im ganzen Lande ausbrechen würde. Sie könnte sicherlich ihre Festungen erreichen, doch diese glänzende Operationsbasis wäre auf eine unfruchtbare Defensive reduziert, nachdem die Offensivkraft der Feldarmee verlorengegangen ist. Das große Vorhaben, wofür dieses System der Festungen geschaffen wurde, nämlich einer schwächeren Armee als Basis für einen erfolgreichen und geschützten Angriff gegen eine stärkere zu dienen, wäre gänzlich zunichte gemacht, falls nicht Unterstützung aus dem Inneren Österreichs käme. In der Zwischenzeit könnten Peschiera und Legnago fallen, und die Kommunikationen durch das venetianische Territorium würden sicherlich verlorengehen. Jedes der hier erwogenen Verfahren wäre unvorteilhaft und in der Tat unzulässig, wenn es nicht durch eine zwingende Notwendigkeit diktiert wird. Doch es bleibt noch eine andere Möglichkeit. Die Österreicher können mindestens 120000 Mann ins Feld werfen. Wenn sie den richtigen Augenblick wählen, stehen sie nur 90000Piemontesen gegenüber, von denen lediglich 50 000 am Kampf teilnehmen können. Die Franzosen kommen auf vier Wegen an, die alle nach Alessandria führen. Die Winkel zwischen diesen vier Routen, also zwischen den Linien MontCenis—Alessandria und Genua—Alessandria, ergeben zusammen etwa 140°; somit kommt ein Zusammenwirken der verschiedenen französischen Korps vor ihrer Konzentration überhaupt nicht in Frage. Wenn nun die Österreicher einen günstigen Zeitpunkt wählen - wir haben 1848 und 1849 gesehen, daß sie es können und auf die piemontesische Operationsbasis marschieren, diese entweder von vorn angreifen oder im Norden umgehen, wagen wir bei allem Respekt vor der Tapferkeit der piemontesischen Armee zu behaupten, daß die Sardinier nur eine geringe Chance gegenüber der Uberzahl der Österreicher haben würden. Sobald die Piemontesen aus dem Feld geschlagen und auf eine passive Verteidigung ihrer Festungen beschränkt wären, könnten die Österreicher jedes
französische Korps einzeln, so wie es von den Alpen oder Apenninen kommt, mit überlegener Stärke angreifen. Selbst wenn sie zum Rückzug gezwungen werden, wäre dieser gesichert, solange die Neutralität der Schweiz ihre nördliche Flanke deckt, und die Armee würde bei ihrer Ankunft in Mantua noch zu einer aktiven offensiven Verteidigung ihrer Operationsbasis imstande sein. Eine andere Chance für die Österreicher wäre, bei TortonaPosition zu beziehen und die französische Kolonne zu erwarten, die auf ihrem Marsch von Genua nach Alessandria dort den Österreichern ihre Flanke darbieten muß. Dies würde jedoch nur eine lahme Offensive sein, denn die Franzosen könnten ruhig in Genua bleiben, bis die anderen Kolonnen in Alessandria konzentriert wären; in diesem Falle wären die Österreicher nicht nur völlig überlistet, sondern liefen sogar Gefahr, von Mincio und Etsch abgeschnitten zu werden. Nehmen wir an, die Österreicher wären geschlagen und müßten sich auf ihre Operationsbasis zurückziehen; die Franzosen würden dann, sobald sie über Mailand hinaus vordringen, Gefahr laufen, umgangen zu werden. Die Stelviostraße führt von Tirol durch das Tal der Adda geradewegs nach Mailand. Die Tonalestraße durch das Tal des Oglio und die Judikarienstraße durch das Tal des Chiese führen beide in das Herz der Lombardei und in den Rücken jeder Armee, die den Mincio vom Westen her angreift. Uber Tirol umgeht Österreich ganz Lombardo-Venetien, und wenn die nötigen Vorbereitungen getroffen sind, kann es seinem Feind in der Ebene der Lombardei jederzeit ein Marengo bereiten. Solange die Schweiz neutral bleibt, kann andererseits gegen Österreich, während es Piemont angreift, eine derartige Kriegslist nicht angewendet werden. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge in Italien wäre also die Offensive für Österreich das geeignetste. Direkt in eine Armee hineinmarschieren, während diese sich noch konzentriert, ist eines der großartigsten von jenen großen Manövern der modernen Kriegskunst, die Napoleon so vortrefflich auszuführen verstand. Niemand hat dies besser zu spüren bekommen als gerade die Österreicher; dafür zeugen Montenotte, Millesimo, Mondovi und Dego[80i, Abensberg und Eggmühl[83j. Daß die Österreicher von Napoleon gelernt haben, bewiesen sie großartig bei Sommacampagna und Custozza und vor allem bei Novara.[90] Das gleiche Manöver scheint daher auch gegenwärtig das vorteilhafteste für die österreichische Kriegführung zu sein. Obgleich es große Wachsamkeit und das Abpassen des richtigen Zeitpunktes erfordert, würden sich die Österreicher unermeßliche Erfolgsaussichten entgehen lassen, wenn sie sich auf eine bloße Verteidigung ihrer Territorien beschränken. Geschrieben Ende Februar 1859. Aus dem Englischen.
Karl Marx Die neue britische Reformbill1911
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5586 vom 17. März 1859J London, 1. März 1859 Am Abend des 28. Februar weihte Herr Disraeli das Unterhaus in die Geheimnisse der Reformbill der Regierung ein. Diese Bill kann man auf Grund der Herabsetzung des Wahlzensus in den Landgemeinden von 50 Pfd. St. auf 10 Pfd. St. kurz als Bill des Herrn Locke Kingt92! bezeichnen, gemäßigt durch die Entziehung des Wahlrechts für die in den Städten wohnenden 40-Shilling-Freeholders[931, soweit es ihre Stimmabgabe in den Landgemeinden betrifft, und ausgeschmückt durch einen verwickelten Mischmasch von willkürlichen Wahlrechtstiteln, die einerseits ganz und gar nichtig sind und andererseits lediglich die bestehenden Klassenmonopole stärken würden. So wichtige Fragen wie die Einbeziehung der Mehrheit des Volkes in den Kreis der Wahlberechtigten, die Ausgleichung der Wahlbezirke und der Schutz der Stimmabgabe durch geheime Abstimmung sind überhaupt nicht berührt worden. Wie zutreffend meine Charakterisierung der Bill ist, kann aus der folgenden Zusammenfassung ihrer wesentlichen Details entnommen werden: Das auf der Höhe der Pacht beruhende Wahlrecht wird für die ländlichen und städtischen Wahlbezirke auf eine einheitliche Norm reduziert, d.h., mit anderen Worten, die Chandos-Klausel der Reformbill von 1832[94], die in den ländlichen Wahlbezirken nur Pächtern das Wahlrecht gab, die mindestens 50 Pfd. St. Pacht zahlten, soll abgeschafft werden. Das auf der Höhe der Pacht beruhende Wahlrecht wird auf alle Arten von Grundbesitz ausgedehnt, gleichgültig ob zu dem Besitz ein Haus gehört oder nicht. Die Einführung des lO-Pfd.-St.-Zensus für das Wahlrecht in den ländlichen Wahlbezirken würde nach Herrn Newmarchs Berechnung die Zahl der Wähler in den Landgemeinden um 103 000 erhöhen, während Herr Disraeli
schätzt, daß die Wählerschaft in den Landgemeinden um 200 000 Stimmen zunehmen wird. Andererseits bliebe das 40-Shilling-Freehold-Wahlrecht nominell auf seiner bisherigen Grundlage bestehen, jjedoch die 40-ShillingFreeholders, die in Städten wohnen und bisher ihr Wahlrecht auf Grund ihres Eigentums in den Landgemeinden ausgeübt haben, würden dieses Privileg verlieren und gezwungen sein, in den städtischen Wahlbezirken, in denen sie wohnen, ihre Stimme abzugeben. Auf diese Weise würden etwa 100 000 Stimmen von den ländlichen auf die städtischen Wahlbezirke übergehen, während etwa 40 000 oder noch mehr solcher Wähler, die nicht in den Landgemeinden ansässig sind, ihres Wahlrechts überhaupt verlustig gingen. Das ist der Kern des neuen Plans. Lr würde der Wählerschaft der Landgemeinden mit der einen Hand entziehen, was er mit der anderen hinzufügt, und dafür Sorge tragen, daß jeglicher Einfluß der Städte beseitigt wird, den diese seit der Reformbill von 1832 durch den Kauf von 40-Shilling-Freehold auf die Wahlen in den Landgemeinden ausgeübt haben. Herr Disraeli hat sich, als er die Bill einbrachte, in einer langen Rede zu zeigen bemüht, daß in den letzten fünfzehn Jahren von den Städtern derart viele 40-ShillingFreeholds geschaffen worden sind, daß die Zahl der Wähler in den ländlichen Wahlbezirken, die
„nicht in der Landgemeinde wohnen, jetzt die Zahl derer überschreitet, die auf Grund der Pachtklausel wählen", so daß am Wahltag „einige große Städte ihre Scharen mit der Eisenbahn aufs Land ergießen und durch gewisse in der Stadt getroffene Obereinkommen die Personen überstimmen, die in den Landgeroeinden wohnen".*951
Auf die Darstellung dieses Landedelmannes gaj> Herr Bright folgende schlagende Antwort:
„Ihr Zweck ist es, die ländlichen Wahlbezirke exklusiver zu machen. Sie scheinen nichts mehr zu fürchten als eine gute Wählerschaft, besonders m den Landgemeinden. Es ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, daß in einem großen Teile Englands seit beträchtlicher Zeit die Wählerschaft in den ländlichen Wahlbezirken nicht zugenommen hat, sondern in vielen von ihnen geringer geworden ist. Herr Newmarch hat gezeigt, daß es elf ländliche Wahlbezirke gibt, in denen im Zeitraum von fünfzehn Jahren, von 1837 bis 1852, die Wählerschaft sich um nicht weniger als 2000 Wähler verringert hat; insgesamt wuchs die Wählerschaft der ländlichen Wahlbezirke von England und Wales in diesen fünfzehn Jahren nur um 36 000, wovon mehr als 17 000 auf Lancashire, Cheshire und den West Riding von Yorkshire entfallen. Im übrigen England sind die Schwierigkeiten, freies Grundeigentum zu kaufen, und der Umfang, in dem sich diePachtländereien vergrößern, derart, daß die Wählerschaft von fast allen ländlichen Wahlbezirken die gleiche geblieben ist oder sich schlechterdings verringert hat."
Wenn wir nun von den ländlichen zu den städtischen Wahlbezirken übergehen, kommen wir zu den neuen willkürlichen Wahlrechtstiteln, die zum Teil von Lord John Russells verunglückten Entwürfen von 1852 und 18541961 abstammen und zum Teil von dem Genius herrühren, der die verwickelten Verworrenheiten der unglückseligen Indienbill von Lord EHenboroughE97] ausgeheckt hat. Da gibt es zuerst einige sogenannte Wahlberechtigungen durch den Bildungsstand, die, wie Herr Disraeli ironisch bemerkte, unabhängig von wissenschaftlichen Kenntnissen vorwegnehmen, daß in die Bildimg der Klassen, die sie betreffen, „ein beträchtliches Kapital investiert ist" und diese deshalb zur allgemeinen Kategorie der Wahlberechtigten auf Grund des Vermögens gezählt werden können. Das Stimmrecht soll demzufolge den akademischen Absolventen, der Geistlichkeit der anglikanischen Kirche, den Geistlichen aller anderen Glaubensgemeinschaften, den Rechtsanwälten, Advokaten und Notaren, den Anwälten und Prokuratoren, den Ärzten, den Lehrern mit Lehrbefähigungs-Zertifikat, mit einem Wort, den Angehörigen der verschiedenen freien Berufe oder, wie es die Franzosen zur Zeit des Herrn Guizot zu nennen pflegten, den „Kapazitäten" verliehen werden. Da der größere Teil dieser „Kapazitäten" schon als 10-Pfd.-St.Leaseholders1981 Wahlrecht besitzt, ist anzunehmen, daß sich dadurch die Zahl der Wahlberechtigten nicht merldich erhöhen würde, wohl aber der klerikale Einfluß. Andere neue Wahlberechtigungen sind vorgesehen für 1. Mieter oder Besitzer jedes Hauses, ob möbliert oder unmöbliert, das eine Miete von 8 sh. wöchentlich oder 20 Pfd. St. jährlich bringt; 2. Personen, die durch Anlage persönlichen Vermögens in Staatspapieren oder Annuitäten, Aktien der Ostindischen Kompanie oder Bankaktien ein jährliches Einkommen von 20 Pfd. St. erzielen bzw. eine Pension oder ein Gnadengehalt von 20 Pfd. St. jährlich für geleistete Dienste in irgendeiner Abteilung der Armee, der Marine oder der Zivilverwaltung erhalten und dort keine Tätigkeit mehr ausüben; 3. Inhaber eines Guthabens in Höhe von 60 Pfd. St. bei einer Sparkasse. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, daß alle diese neuen Wahlberechtigungen, während sie einige neue Gruppen der Mittelklasse zulassen, zu dem ausdrücklichen Zweck ersonnen sind, die Arbeiterklasse auszuschließen und sie in dem jetzigen Zustand des politischen „Parias" zu halten, wie Herr Disraeli indiskreterweise die Nichtwahlberechtigten bezeichnete. Es kann als ein neuer Zug der im Unterhaus erhobenen Opposition angesehen werden, daß alle Gegner des Ministeriums, von Herrn John Bright bis zu Lord John Russell, auf diesen Punkt als die am meisten zu tadelnde Bestimmung der neuen Reformbill besonderen Nachdruck legten. Herr Disraeli selbst stellte fest,
„als 1831 die Reformbill eingebracht wurde, war das allgemein anerkannte Ziel, dadurch den Mittelklassen von England eine rechtmäßige Position in der Legislative zu geben". „Gut, Sir", sagte Lord John Russell, „als ich den Grundsatz der Endgültigkeit aufgab, habe ich das getan aus dem Grund, der mir der einzige zu sein schien, um bei einer so umfassenden und komplizierten Festlegung wie dieser einzugreifen, nämlich t.i»».!.. J.fi fi—D 1 : j j_ß j;„_d ui c j. auauic, uau cm giuuci x cisunciiMc» ausgrauuusscii wai unu uau uirac i cisuiicn den arbeitenden Klassen dieses Landes angehörten, die sehr wohl fähig sind, das Wahlrecht auszuüben." „Die Bill von 1832", sagte Herr Roebuck, „sollte der Mittelklasse Einfluß verschaffen. Ohne die arbeitenden Klassen wäre damals keine Reformbill zustande gekommen. Sie verhielten sich in einer Art und Weise, die ich niemals vergessen werde und die die Mittelklassen von England nicht vergessen sollten. Und ich appelliere jetzt im Namen der arbeitenden Klassen dieses Landes an die Mittelklassen." „Ich", sagte Herr Bright, „würde die arbeitenden Klassen dieses Landes aufs äußerste verachten, ja, nicht nur verachten, sondern jede Hoffnung für sie aufgeben, wenn ich der Ansicht wäre, sie würden sich mit einem solchen Ausschluß zufriedengeben."
Der Ausschluß der Arbeiterklasse, verbunden mit der Entziehung des Wahlrechts in den ländlichen Wahlbezirken für die Stadtbewohner, die dort Freehold besitzen ~ das ist der Schlachtruf, unter dem die neue Reformbill und ihre Verfasser angegriffen werden, zu einer Zeit, da die Uneinigkeit im ministeriellen Lager, die durch die vorgesehene Aufhebung der ChandosKlausel hervorgerufen wurde und durch den Austritt der Herren Walpole und Henley aus dem Kabinett bereits sichtbaren Ausdruck fand, keinesfalls dazu beiträgt, das Verteidigungsvermögen der Regierung zu stärken. Was die anderen Klauseln der Bill anbelangt, so sind sie verhältnismäßig unbedeutend. Keine Wahlgemeinde, die bisher einen Vertreter nominierte, soll dieses Recht verlieren, aber es sollen 15 neue Parlamentssitze geschaffen werden, von denen der West Riding von Yorkshire 4, Süd-Lancashire 2 und Middlesex 2 erhalten wird, während 7 neue Abgeordnete von den folgenden Städten, die in letzter Zeit stark angewachsen sind, entsandt werden können: Hartlepool, Birkenhead, West Bromwich und Wednesbury gemeinsam, Burnley, Stalybridge, Croydon und Gravesend. Um für diese zusätzlichen Parlamentsmitglieder Platz zu schaffen, sollen 15 Wahlbezirke, deren Bevölkerungszahl weniger als 6000, beträgt, statt durch jeweils zwei Mitglieder nur durch ein Mitglied im Unterhaus vertreten sein. Das also sind die Formen, in denen die „Ausgleichung" der Wahlbezirke durchgeführt werden soll. Wahllokale sollen in jeder Gemeinde oder in Gruppen von Gemeinden geschaffen werden, die nicht weniger als 200 Wähler umfassen; die zusätz
liehen Wahllokale sollen auf Kosten der ländlichen Wahlbezirke eingerichtet werden. Als eine Art Kompromiß mit den Befürwortern der geheimen Stimmabgabe ist vorgesehen, daß ein Wähler, der seine Stimme nicht öffentlich abgeben möchte, seine Zuflucht zu einem Stimmzettel nehmen kann. Dieser wird dem Wähler auf Anforderung zugesandt, von demselben in Gegenwart von zwei Zeugen, von denen einer ein Hausbesitzer sein muß, unterschrieben und in einem eingeschriebenen Brief an den Wahlkommissar zurückgesandt. Der Brief wird dann am Wahltag von einem besonders dazu Bevollmächtigten geöffnet. Schließlich sollen einige Verbesserungen hinsichtlich der Registrierung von Wählern in den ländlichen Wahlbezirken eingeführt werden. Es gibt keine einzige Londoner Zeitung mit Ausnahme der „Times" und des Regierungsorgans[99], die dieser Bill irgendeine Aussicht auf Erfolg zuspricht.11001
Aus dem Englischen.
V...1 TV/r rvari iviarx Der Zustand in der britischen Fabrikindustrie
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5592 vom 24. März 1859] London, 4.März 1859 Ich beabsichtige heute, einen Überblick über die beiden Fabrikberichte zu geben, auf die in einem früheren Artikel1 hingewiesen wurde.[87] Der erste Bericht stammt von Herrn A. Redgrave, dessen Fabrikdistrikt Middlesex (London und Umgebung), Surrey, Essex, Teile von Cheshire, Derbyshire und Lancashire und den East Riding (Yorkshire) umfaßt. Dort wurden während des Halbjahrs, das mit dem 31 .Oktober 1858 endet, 331 Unfälle durch Maschinen verursacht, von denen 12 tödlich verliefen. Herrn Redgraves Bericht befaßt sich fast ausschließlich mit einem Punkt, nämlich mit den Unterrichtsldauseln für Kinder, die in Fabriken und Stoffdruckereien arbeiten. Bevor der Fabrikant ein Kind oder eine junge Person für dauernde Beschäftigung in einer Fabrik oder Stoffdruckerei einstellen kann, ist er verpflichtet, eine Bescheinigung von dem amtlich qualifizierten Arzt zu verlangen, der gemäß 7 Vict. c. 15. sch. A[1011 verpflichtet ist, diese Bescheinigung zu verweigern, wenn die vorgestellte Person
„nicht die gewöhnliche Körperkraft und das Aussehen eines Kindes von mindestens acht Jahren oder einer jungen Person von mindestens dreizehn Jahren hat, oder wenn sie wegen Krankheit oder körperlicher Gebrechen unfähig ist, täglich in der habrik während der vom Gesetz gestatteten Zeit zu arbeiten". Kinder von acht bis dreizehn Jahren sind gesetzlich von einer VollzeitBeschäftigung ausgeschlossen und haben einen Teil ihrer Zeit dem Schulbesuch zu widmen; der Arzt ist daher nur ermächtigt, ihnen Halbzeit-Bescheinigungen auszustellen. Nun scheint es nach Herrn Redgraves Bericht, daß einerseits die Eltern, wenn sie für ihre Kinder Vollzeit-Löhne erhalten
1 Siehe vorl. Band, S. 202-209
können, bestrebt sind, sie vom Schulbesuch und halber Entlohnung abzuhalten, während andererseits die Fabrikbesitzer von den jugendlichen Arbeitern nur erwarten, daß sie kräftig genug sind, ihre jeweilige Arbeit zu leisten. Während die Eltern Vollzeit-Löhne wollen, sucht der Fabrikant den VollzeitArbeiter. Die folgende Annonce, die im Lokalblatt einer bedeutenden Manufakturstadt in Herrn Redgraves Distrikt erschien und die einen sonderbaren Beigeschmack von Sklavenarbeit besitzt, zeigt, wie die Fabrikbesitzer sich dem Buchstaben nach an die Festlegungen des Gesetzes halten:
„Gebraucht 12 bis 20 Jungen, nicht jünger als was für 13 Jahre passieren hflnn... Lohn 4 Schilling per Woche."[8Sl
Tatsächlich ist der Fabrikherr gesetzlich nicht verpflichtet, sich eine Bescheinigung von authentischer Stelle über das Alter des Kindes zu verschaffen, sondern er benötigt nur ein Gutachten, das sich auf das Aussehen des Kindes stützt. Gegen das Halbzeit-System, das auf dem Prinzip beruht, daß Kinderarbeit nicht gestattet werden sollte, wenn das Kind nicht neben dieser Beschäftigung täglich eine Schule besucht, protestieren die Fabrikanten aus zwei Gründen: Sie erheben Einspruch dagegen, daß sie die Verantwortung für den Schulbesuch der Halbzeit-Kinder (Kinder unter 13 Jahren) tragen sollen, und sie finden es billiger und weniger mühsam, eine Reihe Kinder zu beschäftigen statt zwei Reihen, die jeweils im Wechsel 6 Stunden arbeiten. Das erste Ergebnis der Einführung des Halbzeit-Systems war daher die nominelle Verminderung der Zahl der in den Fabriken beschäftigten Kinder unter 13 Jahren um beinahe die Hälfte; von 56 455 im Jahre 1835 war sie 1838 auf 29 283 gesunken. Diese Verminderung war deshalb weitgehend rein nominell, weil die Gefälligkeit der amtlich qualifizierten Arzte eine plötzliche Veränderung im jeweiligen Alter der jugendlichen Arbeiter des Vereinigten Königreichs bewirkte. Im gleichen Maße, wie die amtlich qualifizierten Ärzte durch die Fabrikinspektoren und Unterinspektoren strenger überwacht wurden und das wirkliche Alter der Kinder von den Standesbeamten leichter zu erfahren war, setzte nach 1838 eine entgegengesetzte Bewegung ein. Die Zahl der in Fabriken beschäftigten Kinder unter 13 Jahren stieg von 29 283, auf die sie 1838 gesunken war, 1850 wieder auf 35 122 und 1856 auf 46 071, wobei letztere offizielle Angabe weit davon entfernt ist, die wahren Ausmaße derartiger Beschäftigung zu zeigen. Auf der einen Seite gelingt es vielen amtlich qualifizierten Ärzten immer noch, der Wachsamkeit der Inspektoren zu entgehen, und auf der anderen Seite wurden viele tausend Kinder mit elf Jahren aus der Schule und dem Halbzeit-System durch die Änderung des Gesetzes in bezug auf Seidenfabriken[102] herausgenommen,
„ein Opfer, das", wie einer der Fabrikinspektoren sagt, „den Fabrikbesitzern dienlich gewesen sein mag, das sich aber als schädlich für das soziale Wohlergehen der Seidendistrikte erwiesen hat".
Obgleich wir daraus schließen können, daß die Zahl der jetzt in den Fabriken und Stoffdruckereien des Vereinigten Königreichs beschäftigten Kinder zwischen acht und dreizehn Jahren die Zahl der 1835 Beschäftigten gleichen Alters übersteigt, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das Halbzeit-System einen großen Teil dazu beitrug, Erfindungen zwecks Abschaffung der Kinderarbeit zu stimulieren. So stellt Herr Redgrave fest:
„Eine Gruppe von Fabrikanten, die Spinner von Wollgarn, beschäftigt tatsächlich heute selten Kinder unter dreizehn Jahren, d.h. Halbzeitler. Sie haben verbesserte und neue Maschinen verschiedener Art eingeführt, durch die eine Verwendung von Kindern ganz überflüssig wurde; als Beispiel will ich zur Illustration für diese Verminderung der Zahl der Kinder einen Arbeitsprozeß erwähnen, bei dem zu den bestehenden Maschinen ein Apparat, genannt Anstückelmaschine, angeschlossen wurde, durch den die Arbeit von sechs oder vier Halbzeitlern, je nach der Beschaffenheit der einzelnen Maschine, von einer jugendlichen Person geleistet werden kann." Wie die moderne Industrie, zumindest in den Ländern der Alten Welt, danach strebt, Kinder zur Lohnarbeit zu treiben, ist erneut durch jüngste Beispiele in Preußen illustriert worden. Das Fabrikgesetz Preußens vom jamc iOjj Oiuncue an, uau nav,n ucm i.juii ! \JJJ ft.ci.ii i\uiu 111 cmci l auilK. beschäftigt werden soll, ehe es sein 12. Jahr vollendet hat, und daß Kinder zwischen 12 und 14 Jahren nicht länger als 6 Stunden täglich beschäftigt werden und mindestens 3 Stunden täglich die Schule besuchen sollen. Dieses Gesetz begegnete einer solchen Opposition der Fabrikanten, daß die Regierung nachgeben mußte und es nicht in ganz Preußen, sondern probeweise nur in Elberfeld und Barmen einführte, zwei zusammenhängenden Fabrikstädten, die eine große Fabrikarbeiter-Bevölkerung haben, welche mit Spinnen, Kalikodrucken usw. beschäftigt ist. Im „Jahres-Bericht der Handels-Kammer" von Elberfeld und Barmen für 1856 werden der preußischen Regierung folgende Angaben gemacht:
„Besonders nachteilig auf den hiesigen Betrieb wirkte die durch die allgemeine Gewerbtätigkeit hervorgerufene Steigerung der Arbeitslöhne, sowie die erhöhten Preise der Steinkohlen und sämtlicher zum Betrieb erforderlichen Materialien, als Leder, öl, Metalle und sonstige Zutaten. Neben diesen Übelständen äußert aber auch die strenge Durchführung des Gesetzes vom 16. Mai 1853 über die Beschäftigung der jugendlichen Arbeiter in den Fabriken fortwährend den nachteiligsten Einfluß. Es wird den Spinnereien dadurch nicht allein die erforderliche Anzahl von Kindern entzogen, sondern auch die frühere Heranbildung derselben zu geschick
ten Kunstarbeitern unmöglich gemacht. Durch den Mangel an solchen jugendlichen Arbeitern kamen sogar in verschiedenen Etablissements Maschinen zum Stillstand, da deren Wartung nicht von Erwachsenen verrichtet werden konnte. Eine Modifikation jenes Gesetzes, wodurch die Schulpflichtigkeit der Kinder nach Maßgabe ihrer erworbenen Kenntnisse abgekürzt und alsdann deren Eintritt in die Fabriken erlaubt würde, erscheint daher sowohl für die bessere Subsistenz der zahlreichen Arbeiterfamilien als auch für die Fabrikbesitzer gleich wünschenswert." Der letzte der Fabrikberichte, verfaßt von Herrn Baker, Inspektor für Irland, zeichnet sich aus durch eine Analyse der Ursachen, die zu Unfällen geführt haben, und durch einen Überblick über den Stand des Geschäftes. Zum ersten Punkt stellt Herr Baker fest, daß sich auf je 340 Personen ein Unfall ereignete, was eine Zunahme um 21 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Halbjahr, das mit Ende April abschloß, bedeutet, und daß von den Unfällen, die sich an Maschinen ereigneten - nur 10 Prozent aller Unfälle stehen nicht mit Maschinen im Zusammenhang -, etwa 40 Prozent hätten vermieden und verhütet werden können durch geringfügige Ausgaben, die jedoch „infolge der kürzlich erfolgten Gesetzesänderung jetzt sehr schwer zu veranlassen sein werden, da Vermahnungen allein nicht wirken". Der Stand des Geschäftes, versichert Herr Baker, ist besser geworden, aber nach seiner Ansicht ist „in einigen Fällen das Maximum schon erreicht worden, worüber hinaus die Fabrikation immer weniger profitlich wird, bis sie endlich ganz aufhört, Profit zu liefern". Die Veränderungen in der Relation zwischen dem Preis des Rohstoffs und der Fertigwaren gemeinsam mit der Vermehrung der Maschinerie führt er mit Recht als eine der Hauptursachen dafür an, daß sich der Zyklus guter und schlechter Zeiten verkürzt. Herr Baker führt als Beispiel die Veränderungen im Kammgarn-Geschäft an: „Während der gewinnreichen Jahre im Worsted-Geschäft 1849 und 1850 stand der Preis englischer Kammwolle auf 13 Pence und von australischer 14 bis 17 Pence per Pfund, und im Durchschnitt der zehn Jahre 1841 bis 1850 stieg der Durchschnittspreis englischer Wolle nie über 14 Pence und australischer über 17 Pence per Pfund. Im Anfang des Unglücksjahrs 1857 stand australische Wolle auf 23 Pence; sie fiel im Dezember, in der schlimmsten Zeit der Panik, auf 18 Pence, ist aber im Lauf des Jahres 1858 wieder auf 21 Pence gestiegen. Englische Wolle fing mit 20 Pence an, stieg im April und September 1857 auf 21 Pence, fiel im Januar 1858 auf 14 Pence, und ist seitdem auf 17 Pence gestiegen, so daß sie 3 Pence per Pfund höher steht als der Durchschnitt der angeführten zehn Jahre. Dies zeigt, daß entweder die Fallimente von 1857, die ähnlichen Preisen geschuldet waren, vergessen sind; oder daß nur knapp soviel Wolle produziert wird, wie die vorhandenen Spindeln verspinnen können."
Im ganzen scheint Herr Baker der Ansicht zu sein, daß Spindeln und Webstühle sich sowohl an Zahl als auch an Geschwindigkeit in einem Verhältnis vermehren, wie es die Produktion von Wolle nicht rechtfertigt. In England existieren in dieser Hinsicht keine zuverlässigen Statistiken, aber die landwirtschaftlichen Statistiken von Irland, welche die Polizeibehörde, und jene von Schottland, welche Herr Hall Maxwell zusammenstellt, genügen für alle praktischen Zwecke. Sie zeigen, daß, während 1857 in beiden Ländern einige Getreidearten und die tierischen Erzeugnisse im allgemeinen wesentlich zunahmen, Schafe eine Ausnahme bildeten; ihre Zahl war in Irland 1858 um 114 557 geringer als 1855; und obgleich 1858 eine Zunahme von 35 533 gegenüber 1857 erfolgte, war die Gesamtzahl um 95 177 geringer als selbst der Durchschnitt der drei vorangegangenen Jahre, hauptsächlich bei Mutterschafen. In Schottland sieht es nicht anders aus:
Zuchtschafe aller Schlachtschafe aller Lämmer Altersstufen Altersstufen 1856 2 714301 1 146 427 1 955 832 1857 2 632 283 1 181 782 1 869 103 Abnahme 82 018 Zunahme 35 355 Abnahme 86 729
Es zeigt sich nicht nur eine allgemeine Abnahme an Schafen in Höhe von 133 392. sondern auch, daß mehr Schafe für Ernährungszwecke aufgezogen wurden als zuvor. Hieraus ist zu ersehen, wenn wir das Gewicht eines Vlieses auf 7 Pfund veranschlagen, daß Irland, während es 1855 imstande war, 16810934 Pfund Wolle zu liefern, die Lämmer nicht gerechnet, 1858 nur 16 276 330 Pfund zu liefern vermochte, und daß 1857 die Verminderung der Wollproduktion in Schottland, ebenfalls ohne die Lämmer zu rechnen, 326 641 Pfund betrug. Der Totalausfall an Wolle in beiden Ländern war 861 245 Pfund oder beinahe genau der fünfundneunzigste Teil der ganzen heimischen Wolle, die schätzungsweise jährlich für den Verbrauch im Kammgarngeschäft benötigt wird.
Aus dem Englischen.

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