KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS • BAND 37

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 37
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
<B
DIETZ VERLAG BERLIN
1967
BAND 37
Die deutsche Ausgabe der Werke von Marx und Engels fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten zweiten russischen Ausgabe.
Die Texte werden nach den Handschriften bzw. nach deren Photokopien gebracht. Wiedergabe nach Sekundärquellen wird besonders vermerkt.
Vorwort
Der siebenunddreißigste Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält Engels* Briefe aus den Jahren 1888 bis 1890. In diesen Jahren begann sich der unmittelbare Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus, zum Imperialismus,zu vollziehen. Diese Jahre waren gekennzeichnet durch die zunehmende Konzentration der Produktion in großen Betrieben und den Zusammenschluß ganzer Wirtschaftszweige zu Monopolen. Die koloniale Expansion europäischer kapitalistischer Staaten und ihr Kampf um Einflußsphären verschärften sich, die Widersprüche zwischen den Großmächten wuchsen, und die Gefahr kriegerischer Zusammenstöße nahm zu. Die Arbeiterbewegung konnte Ende der achtziger Jahre große Erfolge erringen. Immer breitere Schichten der Arbeiterklasse wurden in die Streikkämpfe einbezogen. Die Konzentration der Arbeiter in Großbetrieben, ihr in den Kämpfen gewachsenes Klassenbewußtsein und der zunehmende Einfluß der Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus schufen die Voraussetzung für die Entwicklung sozialistischer Massenparteien. In Deutschland und Frankreich wuchs der Einfluß der proletarischen Parteien auf die Arbeiterklasse immer mehr. Die sozialistischen Parteien und Organisationen in Österreich, Ungarn, den USA, Italien, Spanien, Belgien, Holland, der Schweiz und in anderen Ländern festigten sich organisatorisch und ideologisch. Auch in der englischen Arbeiterbewegung gewannen sozialistische Ideen größeren Einfluß. Die erste russische marxistische Organisation, die Gruppe „Befreiung der Arbeit", verbreitete erfolgreich die Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus. Die proletarischen Parteien und Organisationen drängten nach einem internationalen Zusammenschluß zum Kampf gegen den Kapitalismus. Engels' Briefe aus dieser Zeit geben einen Einblick in seine umfangreiche theoretische und politische Arbeit, die er für die weitere Entwicklung
und. Verbreitung der marxistischen Theorie leistete. Seine Korrespondenz widerspiegelt auch die große Hilfe, die er den Führern der Arbeiterbewegung in den einzelnen Ländern erwies. Wilhelm Liebknecht würdigte die Arbeit, die Engels nach dem Tode von Marx geleistet hat, mit den Worten: „Er vollendete, soweit dies möglich, den Torso des »Kapitals4, entwickelte selbstschöpferisch erstaunliche Tätigkeit auf wissenschaftlichem Gebiet und behielt bei seiner außerordentlichen Arbeitskraft noch Zeit genug übrig für einen umfassenden internationalen Briefverkehr. Und Engels* Briefe, das waren oft Abhandlungen, politisch-ökonomische Fremdenführer und Wegweiser. Überall, wo man ihn brauchte, da half er, nach allen Richtungen wirkte er anregend; als Ratgeber, Mahner, Warner nahm er, bis kurz vor seinem Tod noch aktiver Soldat, an den Kämpfen der großen internationalen Arbeiterbewegung teil." („Mohr und General", Berlin 1964, S. 436/437.) Im Briefwechsel widerspiegelt sich Engels' Kampf für die Reinheit der Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus, gegen bürgerliche und kleinbürgerliche Einflüsse, Opportunismus und Sektierertum in der internationalen Arbeiterbewegung. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentrierte Engels darauf, den dritten Band von Marx' „Kapital" für die Veröffentlichung fertigzustellen. Er maß dem theoretischen Inhalt des dritten Bandes außerordentlich große Bedeutung bei und wollte deshalb der kämpfenden Arbeiterklasse so schnell wie möglich diese mächtige ideologische Waffe in die Hand geben. „Es brennt mir ordentlich auf den Nägeln" (siehe vorl. Band, S. 103), schrieb er zur Begründung, warum er alle anderen Arbeiten abgebrochen und zurückgestellt habe. Wiederholt hatte Engels die große Bedeutung der Herausgabe aller Bände des „Kapitals" für den Sieg des wissenschaftlichen Kommunismus in der internationalen Arbeiterbewegung hervorgehoben. Der dritte Band, diese „so großartige und völlig unangreifbare Arbeit" (siehe vorl. Band, S.244), sollte die Vollendung des Systems der von Marx geschaffenen proletarischen politischen Ökonomie sein. Engels kündigte an, daß in diesem Band die sämtlichen zur Sache gehörenden Fragen, die in den beiden ersten Büchern des Werks notwendig offengelassen werden mußten, ihre Erledigung finden. Der dritte Band würde auch den Kritikern des ersten und zweiten Bandes des „Kapitals" einen empfindlichen Schlag versetzen und „wie eine Bombe einschlagen in diese Gesellschaft" (siehe vorl. Band, S. 103). Viele der im vorliegenden Band veröffentlichten Briefe vermitteln ein Bild von Engels' angestrengter und umfangreicher Arbeit bei der Vorbereitung des dritten Bandes des „Kapitals" für den Druck. Die Herausgabe des
dritten Bandes erforderte die Lösung außerordentlich komplizierter Probleme. Das nachgelassene Manuskript war nur ein, noch dazu äußerst lückenhafter, erster Entwurf. Einige Abschnitte waren in „einem Zustand, daß sie ohne genaue Revision und teilweise Neuordnung" nicht veröffentlicht werden konnten (siehe vorl. Band, S.377). Engels war gezwungen, viele nur angedeutete Punkte auszuführen, begonnene Passagen zu vollenden und ein ganzes Kapitel selbst auszuarbeiten (siehe Band 25 unserer Ausgabe, S. 80-86). Durch umfangreiche Anmerkungen und Zusätze trug Engels auch neuen Momenten im internationalen Wirtschaftsleben Rechnung, die mit dem beginnenden Übergang zum Imperialismus zutage traten. Vom ersten Band des „Kapitals" bereitete Engels eine notwendig gewordene vierte deutsche Auflage vor. Er machte Veränderungen und Zusätze, die sich vor allem aus dem Vergleich mit der f ranzösischen Ausgabe sowie handschriftlichen Notizen von Marx ergaben, und schrieb ein Vorwort (siehe Band23 unserer Ausgabe, S.41-46). Diese vierte Auflage, die letzte zu Engels* Lebzeiten, dient seitdem als Grundlage für die Herausgabe oder Übersetzung des ersten Bandes des „Kapitals". Sehr aufmerksam verfolgte Engels die Wirkung des ersten und des zweiten Bandes des „Kapitals". Am 5.Januar 1888 berichtete er an N. F. Danielson: „ Der Verkauf der deutschen Ausgabe des I. und 11. Bandes geht sehr gut weiter. Es werden viele Artikel über das Buch und seine Theorien geschrieben." Er begrüßte den Versuch von Conrad Schmidt, die Herausbildung der Durchschnittsprofitrate auf Grundlage des Marxschen Wertgesetzes zu erklären (siehe vorl. Band, S. 102, 187, 290 und 302). Dagegen nannte Engels die Versuche der bürgerlichen Ökonomen, die Lehre von Marx zu widerlegen, ein lächerliches Unterfangen. „Wenn irgendein miserabler, unfähiger Kerl für sich faire de la reclame will, so greift er unseren Autor an", schrieb Engels an Danielson (siehe vorl. Band, S.9). Viele Briefe von Engels enthalten Bemerkungen über die weitere Vulgarisierung der bürgerlichen politischen Ökonomie und ihr Abgleiten auf unwissenschaftliche Positionen. Er entlarvte die Modetheorien, die die bürgerlichen Gelehrten dem Marxismus als „neueste" wissenschaftliche Entdeckungen entgegenzustellen versuchten. Engels bewies, daß der eigentliche Erbe der klassischen politischen Ökonomie die politische Ökonomie des Proletariats ist. Die Epigonen der bürgerlichen politischen Ökonomie fürchteten die gefährlichen Konsequenzen, die sich unvermeidlich aus den von Smith und Ricardo aufgestellten Prämissen ergaben, und „jetzt finden sie", stellte Engels fest, „daß iran, wenigstens auf diesem Ge
biet, am sichersten fährt, wenn man auf jede Wissenschaft verzichtet" (siehe vorl. Band, S.l12). Damit die von Marx hinterlassenen Manuskripte nicht „ein Buch mit sieben Siegeln bleiben", sondern zum Besitz der Arbeiter werden, bemühte sich Engels, aus den Reihen der deutschen Sozialisten Mitarbeiter heranzuziehen, die unter seiner Anleitung lernen sollten, die schwer lesbare Handschrift von Marx zu entziffern. Am 28. Januar 1889 unterbreitete er Kautsky den Vorschlag, ihm vorerst bei der Entzifferung des Manuskripts „Theorien über den Mehrwert" (siehe Band 26 unserer Ausgabe) zu helfen. Engels hatte dabei aber auch im Auge, daß „später einmal Gesamtausgaben der Marxschen" und seiner eigenen Arbeiten gemacht werden können. Auch in diesen Jahren setzte Engels sein Bemühen fort, Arbeiten von Marx und eigene Arbeiten neu herauszugeben. Er korrigierte die englische Übersetzung von Marx' „Rede über die Frage des Freihandels", die von Florence Kelley-Wischnewetzky für eine amerikanische Ausgabe angefertigt worden war, und schrieb ein Vorwort dazu (siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.360-375). Für den 1888 erschienenen Sonderdruck seiner Arbeit „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" schrieb er eine Vorbemerkung (siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.263/264). 1890 begann Engels, die vierte deutsche Auflage seines Buches „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" vorzubereiten. Dazu studierte er neueste Forschungsergebnisse, insbesondere die letzten Arbeiten von Lewis Henry Morgan und Maxim M. Kowalewski (vgl. vorl. Band, S.409/410 und 451). Viel Zeit und große Aufmerksamkeit widmete er auch einer englischen und der vierten deutschen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei", für die er einige neue Anmerkungen und neue Vorworte verfaßte (siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.352-359 und Band 22 unserer Ausgabe, S.52-59). In diesen Vorworten, die eine selbständige wissenschaftliche Bedeutung haben, analysierte Engels die neuen ökonomischen und politischen Erscheinungen der letzten Jahre, schätzte die Entwicklung der Arbeiterbewegung ein und gab den Arbeiterparteien Hinweise zu den wichtigsten Fragen ihres Kampfes. Engels betonte, daß die im „Manifest" entwickelten Grundsätze im großen und ganzen ihre volle Gültigkeit behalten haben. Engels versuchte in den Jahren 1888 bis 1890 auch einige eigene wissenschaftliche und literarische Pläne weiterzuverfolgen. Viele Briefe widerspiegeln seine Arbeit an der unvollendet gebliebenen Schrift „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte" (siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.405 bis 465). Am 7. Februar 1888 schrieb er an Paul Lafargue, daß er beabsichtige,
in dieser Arbeit eine „Kritik der gesamten Bismarck-Politik" zu geben, „die als Ergänzung zur ,Gewaltstheorie des ,Anti~Dühring& oder vielmehr als deren Anwendung in der gegenwärtigen Praxis erscheinen" sollte. In einigen Briefen berührte Engels auch Fragen, die mit seiner von Dezember 1889 bis Februar 1890 geschriebenen Arbeit „Die auswärtige Politik des russischen Zarentums" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 11-48) zusammenhingen. Eine bedeutsame Bereicherung des Marxismus sind Engels* Briefe zu Fragen des historischen Materialismus und zu anderen theoretischen Fragen, z.B. an Paul Ernst vom 5.Juni 1890, an Conrad Schmidt vom 5. August und 27. Oktober 1890, an Otto v. Boenigk vom 21. August 1890 und an Joseph Bloch vom 21./22. September 1890. Engels wandte sich entschieden gegen die Versuche einiger zur Partei gestoßener Schriftsteller, die materialistische Geschichtsauffassung zu einem Dogma zu machen und den historischen Materialismus durch einen vulgären ökonomischen Materialismus zu ersetzen. Gleichzeitig hatten auch bürgerliche Ideologen begonnen, die materialistische Geschichtsauffassung als ökonomischen Materialismus auszulegen, um den Marxismus zu verfälschen. Engels wies mit Nachdruck darauf hin, daß die materialistische Geschichtsauffassung ernstes, intensives Studium der jeweiligen ökonomischen Gesellschaftsformation erheischt. Er kritisierte diejenigen, die dieses Studium durch eine Systemkonstruktion ersetzen wollten. So schrieb er am S.Juni 1890anPaul Ernst: „Was Ihren Versuch, die Sache materialistisch zu behandeln, angeht, so muß ich vor allem sagen, daß die materialistische Methode in ihr Gegenteil umschlägt, wenn sie nicht als Leitfaden beim historischen Studium behandelt wird, sondern als fertige Schablone, wonach man sich die historischen Tatsachen zurechtschneidet." In einigen- der erwähnten Briefe hob Engels hervor, daß es eine Verleumdung der Marxschen Theorie sei, ihr eine mechanistische Auffassung von der historischen Entwicklung zu unterschieben. Die materialistische Geschichtsauffassung sei im erbitterten Kampf gegen den Idealismus entstanden, und deshalb lag der Schwerpunkt auf dem Nachweis, daß die Produktion und Reproduktion der materiellen Lebensbedingungen das bestimmende Moment in der Geschichte ist. Jedoch haben weder Marx noch er behauptet, daß der ökonomische Faktor der einzig bestimmende sei und alle anderen gesellschaftlichen Erscheinungen passive Wirkungen dieses Faktors seien. Engels analysierte in mehreren Briefen die relativ selbständige Entwicklung und die aktive Rolle der Ideen, der politischen, juristischen, philosophischen und religiösen Anschauungen, sowie der ver
schiedenen Institutionen des Überbaus. Er machte auf die Wechselwirkung aller dieser Momente aufmerksam und hob hervor, daß in der gesellschaftlichen Entwicklung unter der Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Prozesse und Erscheinungen die ökonomische Bewegung die in letzter Instanz bestimmende ist. Er wies darauf hin, daß Marx' Arbeiten über die Rolle der politischen Macht und Bewegung die vulgären Auslegungen der materialistischen Geschichtsauffassung besonders klar widerlegen, Engels' Brief an Conrad Schmidt vom 27. Oktober 1890 enthält wichtige Gedanken über die Rückwirkung der Staatsmacht auf die ökonomische Entwicklung. Engels bewies, daß der Staat die ökonomische Entwicklung hemmen, sich ihr entgegenstellen bzw. ihr bestimmte Richtungen abschneiden kann und daß in diesen Fällen „die politische Macht der ökonomischen Entwicklung großen Schaden tun und Kraft- und Stoffvergeudung in Massen erzeugen kann" (siehe vorl. Band, S.491). Die Staatsmacht kann aber auch in derselben Richtung wie die ökonomische Bewegung vorgehen, dann wird sie zu einem stark fördernden Faktor. Besonders wichtig ist diese Rolle des Staates wie überhaupt die Rolle des Überbaus in der Periode der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft. In seinen Ausführungen über die künftige kommunistische Gesellschaft wiederholte Engels einen Grundgedanken der von Marx und ihm ausgearbeiteten Lehren, daß die materiellen Voraussetzungen der neuen Gesellschaftsordnung schon im Schöße des Kapitalismus heranreifen und daß das Entscheidendste die „Organisation der Produktion auf Grundlage des Gemeineigentums zunächst der Nation an allen Produktionsmitteln" ist (siehe vorl. Band, S.447). Er betonte nachdrücklich, daß die sozialistische und kommunistische Gesellschaftsordnung kein „stabiles, ein für allemal fixiertes Ding'1 sei, sondern „wie alle andern Gesellschaftszustände, als in fortwährender Verändrung und Umbildung begriffen zu fassen" ist (siehe vorl. Band, S.436 und 447). Deshalb sah Engels für die damalige Zeit die Aufgabe darin, zu entdecken, womit man den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft beginnt, und die allgemeine Tendenz der Weiterentwicklung zu finden (siehe vorl. Band, S.436). Er wandte sich gegen die Versuche, einen für die sozialistische Gesellschaftsordnung ein für allemal feststehenden Verteilungsmodus festzulegen, und betonte, „daß der Verteilungsmodus doch wesentlich davon abhängt, wieviel zu verteilen ist, und daß dies doch wohl mit den Fortschritten der Produktion und gesellschaftlichen Organisation sich ändert" (siehe vorl. Band, S. 436). In dem Brief an Otto v. Boenigk vom 2I.August 1890 äußerte sich Engels über den Weg zur Umgestaltung der Landwirtschaft beim Aufbau der kommunistischen Ge
sellschaft. Er stellte fest, daß die großen Latifundien „ohne Schwierigkeit unter gehöriger technischer Leitung den jetzigen Tagelöhnern resp. Hofgesinde in Pacht gegeben und in Assoziation bebaut werden" können. Große Bedeutung haben auch Engels* Gedanken über die Einbeziehung der bürgerlichen Intelligenz bei der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft und über ihre Bewußtseinsentwicklung im Verlaufe dieses Prozesses. Bei der Untersuchung der verschiedenen Gebiete des Überbaus und der Rolle der Ideologie analysierte Engels auch das künstlerische Schaffen. Engels' Äußerungen über den Realismus in seinem Brief an die englische Schriftstellerin Margaret Harkness (April 1888) sind von großer Bedeutung für die theoretische Bestimmung und die Entwicklung einer sozialistischen Literatur. Engels weist in Abgrenzung vom kritischen Realismus und dem zeitgenössischen Naturalismus auf die neue Qualität der sozialistischen Literatur hin. Diese versucht er - entsprechend der historischen Entwicklung der sozialen Wirklichkeit - vor allem von den revolutionären Kämpfen der Arbeiterklasse her zu bestimmen. Engels' Äußerungen zum literarischen Schaffen sind wesentliche Bausteine einer Theorie des sozialistischen Realismus. Engels' theoretische Arbeit war eng mit den praktischen Erfordernissen der Arbeiterbewegung verbunden. Immer wieder erklärte er seinen Briefpartnern das Wesen der vor sich gehenden Ereignisse und half den proletarischen Revolutionären, die richtige Taktik auszuarbeiten. Er deckte den Zusammenhang zwischen den Erscheinungen der Gegenwart und den Besonderheiten der historischen Vergangenheit in Deutschland, Frankreich, Rußland auf (siehe z. B. die Briefe an Karl Kautsky vom 15. September 1889, an Victor Adler vom 4. Dezember 1889 und an V. I.Sassulitsch vom 3. April 1890). In diesem Zusammenhang sind auch die Briefe an August Bebel vom 23. Januar 1890 und an Laura Lafargue vom 8. und 29. Oktober 1889 und vom 26. Februar 1890 zu erwähnen, in denen Engels eine Charakteristik bürgerlicher Parteien in Deutschland, Frankreich, England, den USA und anderen Ländern gab. Von besonderem Interesse sind einige Briefe an deutsche, französische, dänische u. a. Arbeiterführer, in denen Engels die Lehre von der proletarischen Partei als der politischen Organisation der Arbeiterklasse weiterentwickelte. Er betonte, daß die Grundbedingung für einen erfolgreichen Kampf der Arbeiterklasse die Existenz einer politisch und ideologisch selbständigen Partei ist. „Damit am Tag der Entscheidung das Proletariat stark genug ist zu siegen, ist es nötig-und das haben Marx und ich seit 1847
vertreten daß es eine besondre Partei bildet, getrennt von allen andern und ihnen entgegengesetzt, eine selbstbewußte Klassenpartei", schrieb er am 18. Dezember 1889 an Gerson Trier. In diesem Brief wies er auch darauf hin, daß gemeinsame Aktionen der proletarischen Partei mit kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Parteien notwendig sind, wenn sie „entweder unrfUllciDai ucin i i uicLai lai vui icmiaii uuci uic i uiisuniiic 1111 >->11111 uci uKunomischen Entwicklung oder der politischen Freiheit sind". Gesichert werden muß, „daß der proletarische Klassencharakter der Partei dadurch nicht in Frage gestellt wird". An andere Briefpartner schrieb er, daß die proletarischen Parteien nur erfolgreich sein können, wenn sie sich mit den Massen verbinden, auf deren Erfahrungen stützen und diese Erfahrungen in der Propaganda berücksichtigen. Im Zusammenhang mit der Lage in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Dänemarks und dem Auftreten der „Jungen" in Deutschland nahm Engels zu Fragen des innerparteilichen Lebens und der Parteidisziplin Stellung. Er stellte besonders in seinen Briefen an Gerson Trier vom 18. Dezember 1889, an Friedrich Adolph Sorge vom 9. August 1890 und an Wilhelm Liebknecht vom 10. August 1890 fest, daß für alle Mitglieder der Partei eine strenge Parteidisziplin bindend sei und daß die Kritik innerhalb der Partei entwickelt werden müsse. In diesen Briefen sowie in dem Brief an Friedrich Adolph Sorge vom 8. Februar 1890 gab er auch bedeutsame Hinweise auf Methoden der ideologischen Erziehung der Parteimitglieder und die Wichtigkeit der ideologischen Klarheit innerhalb der Partei. Engels hielt es durchaus für natürlich und auch unvermeidlich, daß innerhalb einer proletarischen Massenpartei unterschiedliche Meinungen auftreten. Es komme aber darauf an, in gründlich geführten Diskussionen alle wichtigen Fragen innerhalb der Partei zu beraten und eine einheitliche, für alle Mitglieder bindende Auffassung zu erarbeiten Der Briefwechsel aus den Jahren 1888-1890 widerspiegelt den bestimmenden theoretischen, ideologischen und politischen Einfluß, den Engels auf die verschiedenen nationalen revolutionären Arbeiterparteien ausübte. Voller Stolz sprach er von sich als einem Menschen, „der fast 50 Jahre lang die Ehre gehabt hat, an den meisten Kämpfen des streitbaren Proletariats teilzunehmen" (siehe vorl. Band, S.43). Engels* ausgedehnte Korrespondenz mit den Sozialisten der verschiedensten Länder war für ihn ein wichtiges Mittel, die Tätigkeit der sozialistischen Parteien zu beeinflussen, die internationale Einheit der verschiedenen nationalen Parteien auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kommunismus zu sichern und ?ie zum proletarischen Internationalismus zu erziehen»
Die Beziehungen zwischen den proletarischen Parteien wurden durch Engels' Ratschläge und Hilfe wesentlich verbessert und gefestigt. Er regte die gegenseitige Information, den Austausch von Zeitungen, die wechselseitige Mitarbeit in der sozialistischen Presse an und förderte sie. Im Geiste der internationalen Solidarität vermittelte er die materielle Unterstützung der Parteien und der Arbeiter der verschiedenen Länder in den Streikund Wahlkämpfen gegen die Bourgeoisie. Einen breiten Raum im vorliegenden Band beansprucht Engels* Korrespondenz, die er im Zusammenhang mit der Gründung der II. Internationale führte. Ende der achtziger Jahre drängten die proletarischen Parteien und Organisationen verstärkt nach einem internationalen Zusammenschluß, um ihre Kräfte für den Sturz des Kapitalismus zu vereinen. Die Bedingungen für die Schaffung einer neuen internationalen Organisation des Proletariats waren herangereift. Darüber schrieb Engels am 4. Januar 1888 an den rumänischen Sozialdemokraten Ion Nädejde: „Diese Fortschritte sind so groß, daß, zumindest für die europäische Partei, eine gemeinsame internationale Politik möglich und notwendig geworden ist." Engels erkannte die Gefahr, daß das Verlangen der Arbeiter nach internationalem Zusammenschluß von den Opportunisten ausgenutzt werden könnte, sich an die Spitze der internationalen Arbeiterbewegung zu stellen. Diese Erkenntnis veranlaßte ihn, seine wissenschaftlichen Arbeiten, selbst die Arbeit am dritten Band des „Kapitals", zu unterbrechen und sich aktiv in die Vorbereitung des Pariser Kongresses von 1889 einzuschalten. „Engels (er war damals 68 Jahre alt) stürzt sich wie ein Jüngling in den Kampf", schrieb später W.I.Lenin über diese Zeit. (W.I.Lenin: Werke, Band 12, S.367.) Engels betrachtete es als wichtigste Aufgabe, die internationale Einheit des Proletariats auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kommunismus zu sichern, und unternahm alles, um den Sieg der marxistischen Kräfte zu garantieren und die Machenschaften der Opportunisten - der Possibilisten in Frankreich und der Führer der Social Democratic Federation in England - zu durchkreuzen. Engels korrespondierte intensiv mit den marxistischen Arbeiterführern der wichtigsten Länder und führte eine Reihe von persönlichen Besprechungen. Durch Prinzipienfestigkeit und Beharrlichkeit, durch Elastizität und rasches Handeln trug er zur Überwindung vieler Schwierigkeiten bei. Er forderte von den Führern der französischen Arbeiterpartei mehr Beweglichkeit im Kampf gegen die Possibilisten und bemühte sich, die internatonale Autorität der französischen Marxisten zu stärken. Gleichzeitig machte er die Führer der deutschen Sozialdemokratie auf ihre Ver
antwortung aufmerksam. Sie hatten sich einige Zeit gegenüber den Versuchen der Opportunisten, die Führung der internationalen Arbeiterbewegung in die Hand zu bekommen, allzu passiv verhalten. Die Briefe an Paul und Laura Lafargue und an Wilhelm Liebknecht, an die er in dieser Zeit fast täglich schrieb, zeigen, wie Engels die Führer der sozialistischen Parteien lehrte, einheitlich und geschlossen zu handeln und dabei die Interessen und Auffassungen der einzelnen Arbeiterparteien zu berücksichtigen. (Siehe die Briefe an Paul Lafargue vom 21., 23. und 25. März 1889 und an Wilhelm Liebknecht vom 4., 5. und 17. April 1889.) Der Inhalt der Briefe zeigt, mit welcher Tatkraft Engels die Vorbereitung des Pariser Kongresses 1889 leitete. Er redigierte die auf seine Veranlassung von Eduard Bernstein geschriebenen Broschüren, in denen die Intrigen der Possibilisten in Frankreich und ihrer Verbündeten in England entlarvt wurden. (Siehe Band21 unserer Ausgabe, S.512-524 und S.526 bis 543.) Mit der Veröffentlichung und Verbreitung dieser Broschüren leistete Engels einen wesentlichen Beitrag zur Zerschlagung der Absichten der Opportunisten, die Führung der internationalen Arbeiterbewegung an sich zu reißen. Mit Genugtuung schrieb er am 5. April 1889 an Wilhelm Liebknecht: „Unser Pamphlet ... hat eingeschlagen wie eine Bombe und ein kolossales Loch gerissen in das Hyndman-Broussesche Intrigengewebe." Engels leistete selbst eine umfangreiche organisatorische Arbeit und unterstützte die französischen Marxisten bei der Vorbereitung des Kongresses mit zahlreichen konkreten Ratschlägen und Hinweisen. Er mahnte und drängte Paul Lafargue, den Aufruf zur Einberufung des Kongresses zu erlassen und dafür zu sorgen, daß die ausländischen Genossen ihn unterschreiben. Er redigierte ihn, veranlaßte seine Übersetzung ins Englische und übersetzte ihn ins Deutsche. (Siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.524 bis 526 und S. 544/545.) Zusammen mit Eleanor Marx trug er zur Veröffentlichung und Verbreitung des Aufrufs bei. Engels' Bemühungen waren von Erfolg gekrönt. Am 17. Juli 1889 konnte er an Friedrich Adolph Sorge schreiben: „Unser Kongreß sitzt und ist ein brillanter Erfolg." Der Pariser Internationale Sozialistische Arbeiterkongreß von 1889 wurde zum Gründungskongreß der II. Internationale. Er stellte sich in allen wesentlichen Punkten von Anfang an auf den Boden des Marxismus. Der Kongreß orientierte die internationale Arbeiterbewegung auf den Kampf gegen Militarismus und Krieg, die Bildung und Stärkung politischer Arbeiterparteien und gewerkschaftlicher Massenorganisationen in allen Ländern. Er forderte den Kampf um demokratische Rechte, die Aus
nutzung aller legalen Möglichkeiten des Kampfes und wies auf das Ziel der Arbeiterbewegung hin: die Eroberung der politischen Macht. Den Beschluß, am I.Mai 1890 für den Achtstundentag und die internationale proletarische Solidarität zu demonstrieren, bezeichnete Engels als das „Beste, was unser Kongreß vollbracht hat" (siehe vorl. Band, S.266). Mit diesem Beschluß wurde der große Weltfeiertag und Kampftag der Arbeiterklasse geboren. An der Vorbereitung des nächsten Kongresses der II. Internationale in Brüssel 1891 war Engels ebenfalls entscheidend beteiligt. Einige Briefe widerspiegeln seine Unterstützung der marxistischen Parteien bei der Ausarbeitung der richtigen Taktik zur Einberufung des Kongresses, die die Opportunisten isolierte und den Sieg der Anhänger des Marxismus sicherte. (Siehe die Briefe an Paul Lafargue vom 15. und 19. September 1890, an Friedrich Adolph Sorge vom 27. September 1890, an Leo Frankel vom 25.September 1890 u.a.) Als eine der wichtigsten Aufgaben der internationalen Arbeiterbewegung in dieser Periode betrachtete, Engels den entschlossenen Kampf gegen die heraufziehende Gefahr eines Krieges zwischen den europäischen Großmächten. Diese Gefahr wurde in erster Linie heraufbeschworen durch die vom preußisch-deutschen Militarismus betriebene fieberhafte Aufrüstung sowie die weitere Annäherung Frankreichs an Rußland, die die mit der Gründung des Dreibundes begonnene Bildung aggressiver Staatenblocks in Europa weiter vorantrieb. Engels befaßte sich in einer Reihe von Briefen mit den Beziehungen der europäischen Staaten, deckte die sie beherrschenden Gegensätze auf und erklärte den Zusammenhang zwischen ihrer Innenund Außenpolitik. Er trat ganz entschieden gegen Eroberungskriege auf, untersuchte die möglichen Folgen, die ein Krieg für die Völker Europas, insbesondere für die Arbeiterbewegung, mit sich bringen würde. Dabei ging Engels davon aus, daß der Sieg des Proletariats über den Kapitalismus eine historische Gesetzmäßigkeit ist, die auch durch einen Krieg nicht aufgehalten werden kann. Engels machte wiederholt darauf aufmerksam, daß jedoch ein Krieg von europäischem Ausmaß unsägliche Not und massenhaftes Elend über die Völker brächte. Er würde die zeitweilige Festigung reaktionärer Regimes und - wenn auch nur vorübergehend - einen Rückschlag für die Entwicklung der Arbeiterbewegung zur Folge haben (siehe u.a. den Brief an Paul Lafargue vom 25.März 1889). Die unermeßlichen Zerstörungen und Opfer eines künftigen Krieges erklären, wie Engels betonte, weshalb die Arbeiterklasse daran interessiert ist, ihre Ziele unter den Bedingungen des Friedens zu verwirklichen.
In einer bedeutenden Zahl von Briefen nimmt Engels zu den Problemen der deutschen Arbeiterbewegung Stellung. Wie schon in den vorangegangenen Jahren stand die deutsche Sozialdemokratie in der vordersten Kampffront des internationalen Proletariats. Der Marxismus setzte sich in der deutschen Arbeiterbewegung immer entschiedener durch. Selbst unter den c/*knraynrt ßin mtr»nari «4io <4n»V»l* /lia V/ayerkäl'fimrt Jar» Q/x'yi o 1t of omma» At-««» oviivvv^xuii A/vuiiiguiigwi) uiv uuivn uiv v viowHvituiig uvo K^v;z.iuiioiuugC9Cl^iCd eingetreten waren, entwickelte sich die Partei weiterhin erfolgreich. Sie war fest mit der Arbeiterklasse verbunden, hatte es gelernt, den Kampf gegen den preußisch-deutschen Staat auf die vielfältigste Weise zu organisieren, und war fähig, der Politik der Bismarck-Regierung eine feste, proletarische Position, ein echtes Alternativprogramm entgegenzustellen. Mit Genugtuung konstatierte Engels, daß immer mehr deutsche Arbeiter in die Klassenkämpfe einbezogen würden und daß der Einfluß der sozialdemokratischen Partei unter den Arbeitern wachse. So schrieb er am 16. Mai 1889 an Paul Lafargue über den Ruhrbergarbeiterstreik, den bis dahin größten und bedeutendsten Streik in der deutschen Geschichte: „Der Streik der Bergarbeiter in meiner Heimatist ein Ereignis von größter Bedeutung ... Von nun an gehören die Bergarbeiter ganz Deutschlands uns - und das ist eine Kraft," Engels hatte zu den Führern der Partei, August Bebel und Wilhelm Liebknecht,, sowie zu den Redaktionen der Parteiorgane „Sozialdemokrat" und „Die Neue Zeit" enge Verbindung. Seine in vielen Briefen gegebenen konkreten Hinweise und Ratschläge halfen den deutschen Sozialdemokraten, eine richtige Politik durchzuführen und eine den komplizierten Kampfbedmgungen entsprechende Taktik auszuarbeiten. Die Reichstagsreden von August Bebel, Paul Singer u.a. gegen die von der reaktionären Regierung vorgelegten Gesetzentwürfe über die Verlängerung und rigorose Verschärfung des Sozialistengesetzes fanden üngeis volle Zustimmung (siehe die Briefe an Paul Lafargue voin 7. Feb ruar 1888, an Ferdinand Domela Nieuwenhuis vom 23. Februar 1888 und an Laura Lafargue vom 25. Februar 1888). Diese Reden trugen wesentlich dazu bei, daß eine Verschärfung des Sozialistengesetzes im Reichstag abgelehnt wurde. Entscheidend für den großen Sieg der deutschen Arbeiterklasse über die Bismarcksche Diktatur und das Sozialistengesetz im Jahre 1890, über den sich Engels in vielen Briefen mit Genugtuung äußerte, waren die Verbundenheit der deutschen Arbeiterbewegung mit dem Marxismus, die Entwicklung der Sozialdemokratie zur revolutionären Massenpartei, ihre revolutionäre Politik und Taktik innerhalb und außerhalb des Parlaments
und der mutige und opferreiche Kampf der Massen in den Jahren des Ausnahmegesetzes. Die revolutionäre deutsche Sozialdemokratie hatte mit diesem Sieg der preußisch-deutschen Militärmacht eine ernsthafte Niederlage beigebracht. Als bei den Reichstagswahlen am 20. Februar 1890 die Sozialdemokratie zur stärksten Partei in Deutschland geworden war, ist Engels von Stolz auf die Arbeiterklasse und vom Glauben an ihre wachsende Kraft erfüllt. Bereits vor den Wahlen war er davon überzeugt, daß die Sozialdemokratie siegen würde (siehe den Brief an August Bebel vom 17. Februar1890). Und nach dem Wahlsieg schrieb er am 12. April 1890 an Conrad Schmidt: „Man hat gesehn, daß die deutschen Bourgeois und Junker nicht die deutsche Nation ausmachen; der brillante Sieg der Arbeiter nach lOjährigem Druck, und unter dem Druck, hat imponiert mehr als Königgrätz und Sedan; die Welt weiß, daß wir es sind, die den Bismarck gestürzt haben." In dem Brief an Friedrich Adolph Sorge vom 27. September 1890 schrieb er, daß eine Folge des Wahlsiegs der Sturz des Sozialistengesetzes sei und daß er die deutsche Partei „ganz direkt zur ausschlaggebenden Partei Europas macht". Schon vor dem Fall des Sozialistengesetzes half Engels den Führern der deutschen Sozialdemokratie, sich auf die neuen Kampfbedingungen zu orientieren. Er forderte, alle sich nach der Aufhebung des Ausnahmegesetzes ergebenden neuen Möglichkeiten für den Kampf gegen den Ausbeuterstaat richtig zu nutzen. Nach dem Wahlerfolg warnte er die deutschen Arbeiter davor, die Waffen zu früh aus der Hand zu legen; „das ist bloß der Anfang, es stehn ihnen schwerere Kämpfe bevor", schrieb er am 9. März 1890 an Wilhelm Liebknecht. Aus der Analyse der Wahlergebnisse in den verschiedenen Teilen Deutschlands zog Engels den Schluß, daß die Agitation unter den Landarbeitern, besonders im Osten des Landes, verstärkt werden muß. Engels riet, bei der Ausarbeitung der Taktik und der Festlegung der Kampfmethoden sorgfältig die Veränderungen im Kräfteverhältnis der Klassen und die konkreten historischen Bedingungen zu berücksichtigen, revolutionäre Ausdauer und Disziplin zu fördern, die Kräfte zu sammeln, die Arbeit unter den Massen und besonders die Erziehung der in den letzten Jahren zur Partei gestoßenen Mitglieder zu verstärken (siehe die Briefe an Laura Lafargue vom 26. Februar 1890, an Paul Lafargue vom 7. März 1890 und an Friedrich Adolph Sorge vom 12. April 1890). „Wir dürfen uns nicht im Siegeslauf irremachen lassen, nicht unser eignes Spiel verderben, nicht unsre Feinde verhindern, unsre Arbeit zu tun", schrieb Engels am 9.März 1890 an Wilhelm Liebknecht. „Ich bin also darin Deiner
II Marx/Engels. Werke, Bd. 37
Ansicht, daß wir für jetzt so friedfertig und gesetzlich wie möglich aufzutreten [haben] und jeden Vorwand zu Kollisionen vermeiden müssen." Er billigte die taktische Linie, die die Partei bei der Vorbereitung der Feier des 1. Mai 1890 in Deutschland einschlug. Man mußte Provokationen durch die Behörden und jeden Anlaß zu neuen polizeilichen Verfolgungen vermeiden. „Ihr hattet ganz recht", schrieb Engels an August Bebel am 9. Mai 1890. „die Sache so einzurichten, daß Kollisionen unmöglich waren." Unter den Bedingungen der zurückeroberten Legalität der Partei kam es zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen den marxistischen und den opportunistischen Kräften. Engels führte in den Jahren, die der vorliegende Band umfaßt, einen entschiedenen Kampf gegen lassalleanische und andere kleinbürgerliche und bürgerliche Einflüsse auf die deutsche Arbeiterbewegung. In diesen Jahren mußte Engels sich besonders gegen das Auftreten der linkssektiererischen Gruppe der „Jungen" wenden, die vornehmlich aus jüngeren, eben zur Partei gestoßenen Akademikern, Schriftstellern und Redakteuren einiger lokaler Parteizeitungen bestand. Diese Gruppe nutzte verschiedene opportunistische Erscheinungen in der Partei und die gesunde Kritik der Parteimitgliedschaft an diesen Erscheinungen zu politischen Vorstößen und persönlichen Angriffen auf den marxistischen Führungskern um August Bebel aus. Sie trat gegen die revolutionäre Taktik der Partei auf und versuchte, der Partei eine sektiererische Verschwörerpolitik aufzuzwingen. In verschiedenen öffentlichen Stellungnahmen sowie in seinen Briefen an August Bebel vom 9. Mai 1890, an Friedrich Adolph Sorge vom 9. und 27. August 1890 und an Conrad Schmidt vom 27. Oktober 1890 verurteilte Engels diese lautstarken Angriffe gegen die Farteilinie, die er ironisch als „Studentenrevolte" bezeichnete. Engels wies entschieden den Versuch der „Jungen" zurück, für ihr parteischädigendes Auftreten seine Autorität in Anspruch zu nehmen und zu mißbrauchen. Er charakterisierte ihre Phraseologie als „einen krampfhaft verzerrten .Marxismus', bezeichnet einerseits durch starkes Mißverständnis der Anschauungsweise, die man zu vertreten behauptete, andrerseits durch grobe Unbekanntschaft mit den jedesmal entscheidenden historischen Tatsachen". (Siehe „Antwort an die Redaktion der .Sächsischen ArbeiterZeitung'", Band 22 unserer Ausgabe, S.69.) Als Hauptmethode im Kampf gegen die Opposition der „Jungen" empfahl Engels der deutschen Parteiführung, die Masse der Mitglieder ständig zu schulen und in allen die Überzeugung von der Richtigkeit der Taktik und der Prinzipien der Partei zu festigen. Er warnte die Führer der
Partei davor, unbegründet schroffe Maßnahmen gegenüber Parteimitgliedern anzuwenden. „Macht keine unnötigen Märtyrer, zeigt, daß Freiheit der Kritik herrscht, und wenn herausgeworfen werden muß, dann nur in Fällen, wo ganz eklatante und vollauf erweisbare Tatsachen... der Gemeinheit und des Verrats vorliegen" (siehe vorl. Band, S.445). Große Hilfe erwies Engels der deutschen Parteiführung bei der organisatorischen Festigung der Partei nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes. Den Entwurf des Organisationsstatuts, der während der Vorbereitung des Hallenser Parteitags 1890 zur Diskussion gestellt worden war, unterzog Engels in einem Brief an Wilhelm Liebknecht vom 10. August 1890 einer ernsten Kritik. Er wies die Verfasser auf einige „schwache Punkte" hin, die von den Opportunisten „mit Instinkt herausgerochen" würden. So hielt er es für unannehmbar, daß im Statut Kontrollfunktionen der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gegenüber dem Parteivorstand festgelegt werden sollten. Das war um so weniger möglich, weil in der Parlamentsfraktion starke opportunistische Kräfte vertreten waren. Diese Kritik von Engels wurde in der endgültigen Fassung des Organisationsstatuts berücksichtigt. Großen Raum nahmen in Engels* Briefwechsel die Probleme der französischen Arbeiterbewegung ein. Seine äußerst rege Korrespondenz mit Paul und Laura Lafargue zeugt von der umfassenden Unterstützung, die er den Führern der französischen Arbeiterpartei bei der Umwandlung ihrer Partei in eine wirkliche sozialistische Massenpartei gab. Er half ihnen durch Kritik und Ratschläge, ihren Einfluß auf die Massen zu stärken und die Partei ideologisch und organisatorisch zu festigen. Dringend empfahl er den Führern der französischen Arbeiterpartei, unbedingt wieder ein eigenes Presseorgan herauszugeben, nachdem der „Socialiste" sein Erscheinen eingestellt hatte. „Das Verschwinden des .Socialiste' bedeutet Euer Verschwinden als Partei vom Pariser Horizont", schrieb er an Paul Lafargue am 7. Februar 1888. Engels unterstützte die revolutionären Führer der französischen Arbeiterpartei in ihrem Kampf gegen die französischen Opportunisten, die Possibilisten. Gleichzeitig wies er die französischen Marxisten auch auf ihre Fehler hin - eine gewisse Neigung zum Sektierertum und eine nicht genügend elastische Taktik im Kampf um die Überwindung des Einflusses der Possibilisten auf Teile der Pariser Arbeiter und auf Teile der internationalen Arbeiterbewegung. Außerdem half Engels den Führern der Arbeiterpartei, eine im wesentlichen richtige Stellung zu der boulangistischen Bewegung zu beziehen, die
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er in dem Brief an Paul Lafargue vom 3. Oktober 1889 als „dritten Anfall des bonapartistischen Fiebers" bezeichnete. In Briefen an Paul und Laura Lafargue unterstrich er den chauvinistischen und reaktionären Charakter des Boulangismus. Er wies nach, daß Boulanger ein Regime der persönlichen Macht, die Restauration der Monarchie, die Stärkung des Revanchismus und einen europäischen ICrieg anstrebte. Eindringlich mahnte Engels, die von der boulangistischen Bewegung ausgehende Gefahr nicht zu unterschätzen. Er forderte, daß die Arbeiterpartei eine klare und eindeutige Haltung einnimmt und konsequent das reaktionäre Wesen des Boulangismus und seine soziale und politische Demagogie entlarvt (siehe die Briefe an Paul Lafargue vom 25. März und 16. November 1889). Die falsche Einschätzung Boulangers und das unzulässige kompromißlerische Verhalten gegenüber den Boulangisten hielt er für einen schwerwiegenden Fehler der französischen Sozialisten. „Es ist nicht zu leugnen, daß Eure Haltung gegenüber dem Boulangismus Euch in den Augen der Sozialisten außerhalb Frankreichs außerordentlich geschadet hat", schrieb er an Paul Lafargue am 4.Dezember 1888. „Ihr habt mit den Boulangisten kokettiert, geflirtet, aus Haß gegen die Radikalen, während Ihr leicht sowohl die einen als auch die anderen angreifen und jeden Zweifel über Eure unabhängige Haltung beiden Parteien gegenüber vermeiden konntet". (Siehe auch den Brief an Laura Lafargue vom 15. Juli 1888.) Während der Vorbereitung der Wahlen zur Deputiertenkammer gab Engels den Führern der französischen Arbeiterpartei Hinweise für die Ausarbeitung einer richtigen Wanlkampftaktik. Er schätzte die Lage und die Aussichten der verschiedenen Parteien bei diesem Wahlkampf ein und gab seiner Hoffnung Ausdruck, „daß der Boulangismus bei den nächsten Wahlen ein Fiasko erleben wird" (siehe vorl. Band, S.265). Nach den Wahlen warnte Engels die französischen Sozialisten davor, bei der Bildung einer sozialistischen Fraktion mit den unter Boulangers Flagge gewählten Abgeordneten, die sich als Sozialisten bezeichneten, zusammenzugehen. Dadurch würde das Vertrauen breiter Wählermassen und der Sozialisten des Auslandes zur französischen Arbeiterpartei erschüttert werden (siehe die Briefe an Laura Lafargue vom 29. Oktober 1889, an August Bebel vom 15. November 1889 und an Paul Lafargue vom 16. November 1889). Nach wie vor widmete Engels der Entwicklung der Arbeiterbewegung in England große Aufmerksamkeit. In vielen Briefen stellte er fest, daß in der englischen Arbeiterklasse eine wachsende Aufgeschlossenheit für
sozialistische Ideen zu beobachten ist, daß die sozialistische Bewegung an Einfluß gewinnt, die Gewerkschaftsbewegung die Stagnation zu überwinden beginnt und der Drang nach einer politisch selbständigen Arbeiterpartei zunimmt. Gleichzeitig deckte er aber auch die Ursachen für die Schwäche der englischen sozialistischen Organisationen auf. Reiches Material bieten Engels* Briefe über die Entwicklung einer Massenstreikbewegung in England, vor allem über den Dockerstreik 1889, und über die Einbeziehung neuer Schichten des Proletariats in diesen Kampf. Während die Führer der alten Trade-Unions, in denen ausschließlich qualifizierte Arbeiter organisiert waren, an ihrer reformistischen Politik festhielten, zeichneten sich die neuen Trade-Unions durch Kampfentschlossenheit aus. Engels begrüßte den Ende der achtziger Jahre beginnenden Aufbau dieser neuen Trade-Unions, die bisher unorganisierte, schlecht bezahlte und im allgemeinen ungelernte Arbeiter erfaßten. „Es ist ein ganz andrer Zug darin. Während die Alten noch an die »Harmonie4 glauben", schrieb Engels an Conrad Schmidt am 9. Dezember 1889, „lachen die Jungen jeden aus, der von Identität der Interessen zwischen Kapital und Arbeit spricht." Die Einbeziehung großer Arbextermassen in den Streikkampf hielt Engels für ein wesentliches Mittel zur Überwindung des Reformismus in der englischen Arbeiterbewegung, Er schrieb am 7. Dezember 1889 an Friedrich Adolph Sorge, daß diese Arbeitermassen „selbst noch nicht wissen", daß sie zum Sozialismus hinstreben. „Aber diese dunkle Ahnung sitzt tief genug in ihnen, um sie zu bewegen, nur offenkundige Sozialisten zu Führern zu wählen." Eine hervorragende Rolle bei der Führung dieser Streikkämpfe spielten Eleanor Marx-Aveling, Edward Aveling, Tom Mann u.a. Besonders hoch schätzte Engels die Tätigkeit von Eleanor MarxAveling. Am 24. Dezember 1889 berichtete er an Natalie Liebknecht: „Tussy ist seit dem Dockstrike, wo sie Tag und Nacht auf dem Comite arbeitete ..., bis über die Ohren in der Strikebewegung. Gleichzeitig mit dem Dockstrike entbrannte ein kleiner Strike in Silvertown, am äußersten Ostende, etwa 3000 Leute, da war sie mittendrin, organisierte einen Fachverein von Mädchen, mußte jeden Morgen hinaus ... Jetzt ist sie mit im Gas-Strike auf der Südseite tätig, sprach Sonntagmorgen im HydePark..." Durch die in Bewegung geratenen Massen der englischen Arbeiter wurde auch die Mai-Demonstration geprägt. Begeistert schilderte Engels das Meeting in London am 4. Mai 1890, das für den Kampf um den gesetzlichen Achtstundentag durchgeführt wurde. „Ich kann Dir versichern, ich
sah ein paar Zoll größer aus, als ich von dem alten wackligen Güterwagen herabstieg, der als Tribüne diente - nachdem ich zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder die unmißverständliche Stimme des englischen Proletariats gehört hatte" (siehe vorl. Band, S.403). Engels betonte die große Bedeutung, die dieses Meeting für die internationale Arbeiterbewegung hatte. Als wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung und den erfolgreichen Kampf der englischen Arbeiterbewegung betrachtete Engels die Schaffung einer unabhängigen, wahrhaft proletarischen Partei (siehe die Briefe an Ferdinand Domela Nieuwenhuis vom 23. Februar 1888 und an August Bebel vom 23. Januar 1890). Er betonte, daß nur eine solche Partei wirklicher Führer der Massen sein kann. Sie würde der Situation ein Ende setzen, wo die „Chefs der alten faulen Trades Unions und der vielen politischen und sozialen Sekten und Sektchen und die Streber und Stellenjäger und Literaten" die Arbeiterbewegung infolge ihrer politischen Unreife und des Einflusses der reformistischen Ideologie rücksichtslos für ihre Interessen ausbeuten (siehe vorl. Band, S.401). Engels kritisierte auch die sektiererische und reformistische Haltung der Führer der Social Democratic Federation. Da sie keine Verbindung zu der Massenbewegung der Arbeiter hatten, bezeichnete Engels sie „als Offiziere einer Armee ohne Soldaten" (siehe die Briefe an Florence Kelley-Wischnewetzky vom 2. Mai 1888 und an Friedrich Adolph Sorge vom 7. Dezember 1889). Die äußerste rechte Position in der englischen sozialistischen Bewegung wurde von der reformistischen Fabian Society eingenommen. In einer Reihe von Briefen schätzte Engels sie als antirevolutionär und bürgerlich ein, Si Ihr Hauptzweck ist..., den Bürger zum Sozialismus zu bekehren und so die Sache peacefully und constitutionally einzuführen" (siehe vorl. Band, S. 355). Interessant sind auch Engels' Bemerkungen über den Verlauf und die Entwicklung der sozialistischen und Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Wie für England, so hielt Engels auch für die amerikanische Arbeiterklasse die Schaffung einer selbständigen, politisch unabhängigen Partei als notwendige Voraussetzung, um erfolgreich den Klassenkampf des Proletariats führen zu können. Engels kritisierte wiederholt das dogmatische und sektiererische Verhalten der in den USA lebenden deutschen Sozialisten, die als Führer der Sozialistischen Arbeiter-Partei von Nord-Amerika den Anspruch erhoben, die ideologischen und politischen Führer der amerikanischen Arbeiterbewegung zu sein (siehe z.B. den Brief an Conrad Schmidt vom 11 .Januar
1889). In dem Brief an August Bebel vom 23. Januar 1890 vertrat er die Meinung, daß diese „Partei keine Partei, sondern eine Sekte, und noch dazu eine rein deutsche Sekte, ein Ableger, auf fremdem Boden, der deutschen Partei, und zwar speziell ihrer spezifisch Lassalleschen veralteten Elemente" sei und zu einem Hindernis für die amerikanische Arbeiterbewegung geworden sei. Engels betonte in Briefen an Friedrich Adolph Sorge und andere Briefpartner in Amerika, daß die Zukunft der Arbeiterbewegung in den Händen des amerikanischen Proletariats selbst liege. „Die Massen werden das alles in Ordnung bringen, sind sie einmal in Bewegung gekommen" (siehe Brief an Florence Kelley-Wischnewetzky vom 22. Februar 1888). Bei der Analyse der weiteren Entwicklung Nordamerikas und der amerikanischen Arbeiterbewegung wies Engels darauf hin, daß der Einfluß der bürgerlichen Ideologie auf die amerikanische Arbeiterklasse besonders wirke, „eben weil Amerika so rein bürgerlich ist, so gar keine feudale Vergangenheit hat". Die Erfahrungen des praktischen Klassenkampfes würden diesen bürgerlichen Einfluß aber schließlich zurückdrängen. „Ist aber einmal der erste Schritt über die bürgerliche Anschauung hinaus getan, dann wird's rasch gehn", schrieb er am 8. Februar 1890 an Friedrich Adolph Sorge. Mit unvermindertem Interesse verfolgte Engels die Entwicklung der revolutionären Bewegung in Rußland. In einigen in diesem Bande veröffentlichten Briefen charakterisierte er den russischen Zarismus als „größte Reserve der europäischen Reaktion" (siehe vorl. Band, S.5) und entlarvte die aggressive Außenpolitik der zaristischen Regierung. Engels erkannte schon den beginnenden Verfall des Zarismus und sah voraus, daß die Woge der revolutionären Bewegung in Rußland immer stärker anwachsen und dann auch den reaktionären Einfluß der zaristischen Politik in der internationalen Arena lähmen werde. „Seit es in Rußland selbst eine revolutionäre Bewegung gibt, gelingt dieser einst unbesiegbaren Diplomatie nichts mehr. Und das ist sehr gut so, denn diese Diplomatie ist unser gefährlichster Feind, Ihrer wie auch unserer", schrieb Engels am 3. April 1890 an V. I.Sassulitsch. Engels war davon überzeugt, daß die heranreifende russische Revolution der europäischen Arbeiterbewegung sehr günstige Perspektiven eröffne. „Eine Revolution in Rußland im gegenwärtigen Augenblick würde Europa vor dem Unglück eines allgemeinen Krieges bewahren und wäre der Anfang der Revolution in der ganzen Welt", schrieb er (siehe vorl. Band, S.6). Und Lenin würdigte diesen Weitblick mit den Worten: „Außerdem haben
sowohl Marx als auch Engels klar gesehen, daß die politische Revolution in Rußland auch für die westeuropäische Arbeiterbewegung von ungeheurer Tragweite sein wird." (W.I.Lenin: Werke, Band 2, S. 13.) Aufmerksam beachtete Engels die Erfolge der jungen revolutionären Kräfte Rußlands. Er unterhielt ständige Verbindung und enge freundschaftliche Beziehungen zu den Mitgliedern der ersten russischen marxistischen Gruppe „Befreiung der Arbeit", V. I.Sassulitsch und G.W.Plechanow. Er bemühte sich, den Kontakt zwischen ihnen und der internationalen Arbeiterbewegung zu festigen. Seiner Initiative ist es vor allem zu danken, daß die russischen Sozialisten an dem Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongreß von 1889 und der Gründung der II. Internationale teilnahmen; er interessierte sich ständig für ihre Probleme. Nach Engels' Ansicht war es die Hauptaufgabe der russischen Marxisten in jener Zeit, eine breite Massenorganisation zu schaffen. In seinem Brief an V.I.Sassulitsch vom 17.April 1890 schrieb er, daß es notwendig sei, sich von den veralteten Formen - geschlossenen Zirkeln und halbverschwörerischen Organisationen, die bereits die Entwicklung der proletarischen revolutionären Bewegung Rußlands zu hemmen begannen - loszureißen und zu neuen Kampf formen überzugehen. Mit Genugtuung äußerte er sich über die Tätigkeit der russischen Marxisten, die in ihren Werken die Anschauungen der Volkstümler zu kritisieren begannen. Engels hatte schon in den vorangegangenen Jahren die Ideologie der Volkstümler als eine Abart des utopischen, kleinbürgerlichen Sozialismus bezeichnet. Man müsse den Massen den unwissenschaftlichen Charakter dieser Ideologie erklären und ihnen die Ideen der wissenschaftlichen revolutionären Weltanschauung nahebringen. Er ließ auch nicht jene Entwicklung nach rechts außer acht, die sich während der achtziger Jahre in den Ansichten und in der Tätigkeit der liberalen Volkstümler widerspiegelte. Diese verzichteten dem Wesen nach auf den Kampf gegen den Zarismus und verhielten sich dem Marxismus gegenüber feindselig. Engels stimmte der Meinung V. I.Sassulitschs zu und schrieb, „daß man das HapoßHHqeCTBO überall, sei es das deutsche, das französische, das englische oder das russische, bekämpfen muß" (siehe vorl. Band, S.374). In demselben Brief berührte Engels auch ein Problem, das nicht nur für • die revolutionäre Entwicklung in Rußland erstrangige Bedeutung hatte. Er zeigte am Beispiel der polnischen nationalen Befreiungsbewegung, wie sich eine revolutionäre Partei in territorialen Fragen und in der Frage der Selbstbestimmung der Nationen zu verhalten habe. „Die in Frage kommende Bevölkerung", schrieb Engels über die zum Westen Rußlands gehörigen
Bezirke, muß „selbst über ihr Los" entscheiden, „ebenso wie die Elsässer selbst zwischen Deutschland und Frankreich wählen müssen" (siehe vorl. Band, S.374). In einigen Briefen äußerte sich Engels auch zu Problemen der österreichischen, dänischen, holländischen und belgischen Arbeiterbewegung. Engels' Briefwechsel dieser Jahre ist eine reiche Quelle für das Studium der Biographien der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus und vieler bedeutender Führer der internationalen Arbeiterbewegung. Seine Korrespondenz mit Marx' Tochter Laura u.a. zeigt, daß er das Vermächtnis von Marx hoch in Ehren hielt. Er war der beste Freund der Kinder und Enkelkinder von Marx, und nicht selten unterstützte er sie auch finanziell. In den Briefen ist die ganze Größe von Engels' Persönlichkeit sichtbar. Trotz seines Alters hatte sich Engels seine große Arbeitsfähigkeit und jugendliche Lebensfreude bewahrt; selbstlos erfüllte er seine Pflichten im Dienste der internationalen Arbeiterbewegung. Die Briefe zeigen ihn warmherzig, uneigennützig und feinfühlig gegenüber alten Kampfgefährten sowie angesehenen Führern und Teilnehmern der Arbeiterbewegung. Diese Eigenschaften verbanden sich bei Engels mit hoher Prinzipienfestigkeit und Unversöhnlichkeit gegenüber den Feinden der Arbeiterklasse, mit dem unablässigen Streben, bis ans Lebensende den Interessen des Proletariats zu dienen. Engels sprach wiederholt davon, wie hoch er das Vertrauen der Arbeiter der verschiedenen Länder schätzte. „Soweit ich Vertrauen besitze bei den Arbeitern, beruht dies auf der Voraussetzung, daß ich ihnen unter allen Umständen die Wahrheit sage, und nur die Wahrheit" (siehe vorl. Band, S.343). In seinen Antworten auf die zahlreichen Gratulationen und Glückwünsche zu seinem siebzigsten Geburtstag würdigte Engels in der ihm eigenen persönlichen Bescheidenheit und in seiner großen Hochachtung gegenüber dem Andenken an Marx vor allem dessen Verdienste bei der Ausarbeitung der Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus und bei der Anleitung der internationalen Arbeiterbewegung.
Dieses Vorwort folgt im wesentlichen dem Vorwort zum Band 37 der zweiten russischen Ausgabe. Im vorliegenden Band werden 248 Briefe nach den Photokopien der Handschriften gebracht. Ein sorgfältiger Vergleich mit diesen Unterlagen ermöglichte es, in einer Reihe von Fällen Entzifferungsfehler früherer Aus
gaben zu berichtigen. Als Beispiele seien genannt: „Siegs", bisher „Kriegs" (S. 11); „Virchow", bisher „Vischer" (S.51); „Plattsburg", bisher „Pittsburg" (S. 100); „...namentlich blieb der W[eitling]sche Kommunismus separat...", bisher fehlte „separat" (S. 117); „verdreht", bisher „verkehrt" (S. 118); „...die Provinzialen entweder wegbleiben...", bisher „...die Provinzialvertreter wegbleiben... (S. 131); „eingeführt , bisher „ausgeführt" (S.350); „Willich", bisher „Willy" (S.356); „...Chemnitz, Leipzig-Land usw.; Stichwahl Berlin drei...", bisher „...Chemnitz, Leipzig, Leipzig-Land usw. Stichwahl drei..." (S.358). Die beim Vergleich mit den Photokopien der Handschriften festgestellten Auslassungen einzelner Satzteile wurden eingefügt. In früheren Ausgaben fehlten zum Beispiel: „... sie wiegen sich in Träumen von Vereinigung beider Kongresse, sobald sie zusammentreten, und perhorreszieren dabei das einzige Kampfmittel, das dies fertigbringen kann: nämlich den Brousse-Hyndman die Zähne zu zeigen. Wer diese Leute einigermaßen kennt, weiß doch klar, ..." (S.216); außerdem: „Ist das zu lang, dann: fünfzehn Siege, siebzehn Stichwahlen" (S.358). Von 14 Briefen liegen uns nur die Photokopien der Entwürfe vor, über den Verbleib der Briefe selbst ist uns nichts bekannt. Wir weisen diese Fälle im Kopf der Texte aus. Von drei Briefen besitzen wir die Photokopien sowohl des Entwurfs als auch der abgesandten Fassung. Wesentliche Abweichungen zwischen Entwurf und endgültiger Fassung werden in Fußnoten ausgewiesen. Von 12 Briefen besitzen wir keine Handschriften. Sie werden nach Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern oder nach maschinengeschriebenen Abschriften gebracht. Die jeweiligen Redaktionsunterlagen werden im Fuß des Briefes vermerkt. Für den Brief von O.A.Ellissen vom 22. Oktober 1889 (S.294) wurde vom Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam ein Entzifferungsvergleich mit dem Original vorgenommen, wofür an dieser Stelle gedankt sei. Dadurch konnten einige Textstellen präzisiert werden. Es wurden 61 Briefe aus dem Englischen, 43 aus dem Französischen, je einer aus dem Ungarischen und Rumänischen ins Deutsche übersetzt. Bereits vorliegende Übersetzungen wurden neu überprüft. Das trifft auch auf den Brief Engels' an Margaret Harkness zu (S.42-44), wo gegenüber dem bisher veröffentlichten Text einige Änderungen erfolgt sind. Für die Wortwahl bei Übersetzungen wurden entsprechende deutschsprachige Texte aus Briefen und Werken von Engels zum Vergleich herangezogen. Alle eingestreuten Wörter aus anderen Sprachen blieben in der Original
fassung. Sie werden in Fußnoten erklärt. Die von Engels angeführten Zitate wurden - soweit die Quellen zugänglich waren - überprüft, fremdsprachige Zitate in Fußnoten übersetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand und die Silbenzahl in den deutschsprachigen Briefen wurden nicht verändert. Allgemein übliche Abkürzungen wurden beibehalten. Alle anderen in der Handschrift abgekürzten Wörter wurden ausgeschrieben, wobei die Ergänzung von Namen und Zeitungstiteln sowie von solchen abgekürzten Wörtern, die nicht völlig eindeutig sind, durch eckige Klammern kenntlich gemacht wird. Alle Wörter und Satzteile in eckigen Klammern stammen von der Redaktion. Offensichtliche Schreib- und Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert; in allen anderen Fällen wird in Fußnoten die Schreibweise der Handschrift angegeben. Pseudonyme sowie Bei- und Spitznamen sind entweder durch Fußnoten oder durch Verweise im Personenverzeichnis erklärt. Zur Erläuterung wurden dem Band Anmerkungen beigefügt, auf die im Text durch hochgestellte Ziffern in eckigen Klammern hingewiesen wird. Sie sollen sowohl Verbindungen zu den Arbeiten von Marx und Engels herstellen (vor allem zu den 1888-1890 entstandenen Werken Engels', die in den Bänden 21 und 22 unserer Ausgabe veröffentlicht sind, und den von Engels in der gleichen Zeit besorgten Übersetzungen oder Neuauflagen) als auch Daten aus dem Leben und der Tätigkeit von Engels vermitteln, Erläuterungen zu einzelnen Fakten und Personen geben und einiges zum Charakter der Briefverbindungen aussagen. Prinzip war hierbei, Quellen auszunutzen, die nicht jedem Leser ohne weiteres zur Verfügung stehen, z.B. zeitgenössische Publikationen, Briefe dritter Personen an Engels usw. In einzelnen Fällen wurden wir hierbei durch Fachwissenschaftler der Deutschen Demokratischen Republik oder aus dem Ausland unterstützt, denen wir an dieser Stelle unseren Dank sagen. In vielen Anmerkungen werden Auszüge aus Briefen von Arbeiterführern zitiert und hierdurch zum Teil erstmalig einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht. Als Grundlage dienten hierbei sowohl die dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zur Verfügung stehenden Photokopien der Handschriften dieser Briefe, die großenteils vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU freundlicherweise überlassen wurden, als auch in Einzelfällen die vorliegenden Publikationen, vor allem des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte zu Amsterdam.
Ferner enthält der Band ein Literaturverzeichnis, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis literarischer und mythologischer Namen und eine Aufstellung der Briefe, deren Datierung gegenüber früheren Ausgaben auf Grund neuer Erkenntnisse verändert wurde.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED
FRIEDRICH ENGELS
Briefe
Januar 1888-Dezember 1890

1888
1
Engels an Ion Nädejde in JassyE1]
122, Regent's Park Road, N.W. London, den 4. Jan. 1888
Lieber Bürger, Mein Freund K. Kautsky, Redakteur der „Neuen Zeit", hat mir mehrere Nummern der „Revista socialä" und des „Contemporanul" zugesandt, die unter anderem Ihre Übersetzungen einiger meiner Arbeiten und insbesondere meines „Ursprungs der Familie usw." enthalten.12^ Gestatten Sie mir, Ihnen meinen Dank auszusprechen für die Mühe, die Sie auf sich genommen haben, um den rumänischen Lesern diese Schriften zugänglich zu machen. Abgesehen von der Ehre, die Sie mir damit zuteil werden ließen, haben Sie mir noch die Gefälligkeit erwiesen, mir behilflich zu sein, endlich ein wenig Ihre Sprache zu erlernen. Ich sage endlich, denn seit fünfzig Jahren habe ich dies, jedoch vergeblich, mit der „Grammatik der romanischen Sprachen" von Diez versucht. Schließlich habe ich mir die Grammatik von Cionca besorgt; aber ohne Lesetexte und ohne Wörterbuch bin ich nicht sehr weit gekommen. Durch ihre Übersetzung ist es mir nun möglich gewesen, einige Fortschritte zu machen: mein Text, die lateinische und die slawische Etymologie haben mir das Wörterbuch ersetzt, und dank Ihrer Übersetzung kann ich jetzt sagen, daß das Rumänische mir nicht mehr eine völlig unbekannte Sprache ist. Wenn Sie mir jedoch ein besseres Wörterbuch zum Kauf empfehlen könnten, sei es Rumänisch-Deutsch, -Französisch oder -Italienisch, würden Sie mich sehr verpflichten; dann könnte ich leichter die Artikel und die Broschüren: „Ce vor sociali§tii romini?" und „Karl Marx si economi§tii no§tri"f3], die Kautsky mir geschickt hat, im Original lesen und verstehen. Mit großem Vergnügen habe ich gesehen, daß die Sozialisten Rumäniens in ihrem Programm den Grundprinzipien der Theorie zustimmen, die es i*
vermochte, fast alle Sozialisten Europas und Amerikas zu einer einzigen Kämpferschar zusammenzuschließen, ich meine die Theorie meines verstorbenen Freundes Karl Marx. Die beim Tode dieses großen Denkers vorhandene soziale und politische Situation und die Fortschritte unserer Partei in allen zivilisierten Ländern ließen ihn die Augen in der Gewißheit schließen, daß seine Bemühungen, die Proletarier beider ^X^eltcn zu einer einzigen großen Armee und unter ein und derselben Fahne zu vereinen, von vollem Erfolg gekrönt sein würden. Wenn er aber erst die ungeheuren Fortschritte sehen könnte, die wir seither in Amerika und in Europa gemacht haben! Diese Fortschritte sind so groß, daß, zumindest für die europäische Partei, eine gemeinsame internationale Politik möglich und notwendig geworden ist. Auch in dieser Hinsicht freue ich mich zu sehen, daß Sie im Prinzip mit uns und mit den Sozialisten des Westens übereinstimmen. Die Übersetzung meines Artikels „Die politische Lage Europas" sowie Ihr Brief an die Redaktion der „Neuen Zeit" beweisen mir das zur Genüge. Tatsächlich stehen wir alle vor dem gleichen großen Hindernis, das eine freie Entwicklung aller Völker und jedes einzelnen Volkes hemmt, eine Entwicklung, ohne die wir nicht an die soziale Revolution in den verschiedenen Ländern denken, geschweige denn sie mit gegenseitiger Unterstützung vollenden könnten. Dieses Hindernis ist die alte Heilige Allianz1 der drei Mörder Polens, die seit 1815 vom russischen Zarismus gelenkt wird und trotz aller vorübergehenden inneren Streitigkeiten fortbesteht bis auf unsere Tage. Im Jahre 1815 wurde die Allianz gegen den revolutionären Geist des französischen Volkes gegründet; im Jahre 1871 wurde sie durch den Raub von Elsaß und Lothringen gefestigt, ein an Frankreich verübter Raub, der aus Deutschland den Sklaven des Zarismus und aus dem Zaren den Schiedsrichter Europas machte; 1888 bleibt die Allianz aufrechterhalten, um die
1 Im Entwurf folgt der gestrichene Passus: Rußlands, Österreichs und Preußens unter der Oberherrschaft und zum eigentlichen Nutzen des russischen Zarismus. Diese Allianz besteht weiterhin fort, selbst in Zeiten innerer Streitigkeiten, die nur Familienzank sind. Sie wird sogar in dem Fall weiterbestehen, wenn es zu einem Krieg unter den Verbündeten kommen sollte; denn das Ziel des Krieges wäre, Preußen oder das störrische Österreich wieder gefügig zu machen. Diese Allianz einmal gegeben, entspringt die Vorherrschaft des Zarismus über die beiden anderen aus der militärischen Vorrangstellung Rußlands; eine Stellung, die enorm gefestigt wurde, seit Bismarck in seinem Wahn durch den Raub des Elsaß dem Zar die Kräfte Frankreichs zur Verfügung stellte, sobald Preußen sieh zu rühren wagen würde. Mehr noch, Rußland ist nur von Polen her anzugreifen; das heißt, es ist fast unangreifbar für die beiden anderen Partner, wenn sie nicht einen Krieg wollen, der ihnen selbst zu schaffen machen würde. Alle diese Gründe machen heute wie 1815 Rußland zum Kernstück der Heiligen Allianz, Zur großen Reserve der europäischen Reaktion.
revolutionäre Bewegung im Innern der drei Kaiserreiche sowie die nationalen Bestrebungen und die politischen und sozialen Bewegungen der Arbeiter zu vernichten. Da Rußland eine fast uneinnehmbare strategische Position innehat, bildet der russische Zarismus das Kernstück dieser Allianz, die größte Reserve der europäischen Reaktion. Den Zarismus zu stürzen, diesen Alpdruck zu vernichten, der auf ganz Europa lastet, das ist in unseren Augen die erste Bedingung für die Emanzipation der Nationen Mittelund Osteuropas. Ist erst einmal der Zarismus gestürzt, wird die unheilvolle, heute durch Bismarck repräsentierte Macht, der dann die Hauptstütze genommen ist, zusammenbrechen2; Österreich wird zerfallen, da es seine einzige Daseinsberechtigung verliert, nämlich durch seine Existenz den Zarismus daran zu hindern, sich die verstreuten Nationen der Karpaten und des Balkans einzuverleiben; Polen wird neu erstehen; Kleinrußland kann frei seine politischen Verbindungen wählen; die Rumänen, die Magyaren, die Südslawen werden frei von jeder fremden Einmischung ihre Angelegenheiten und ihre Grenzfragen unter sich regeln können; schließlich wird die edle Nation der Großrussen nicht mehr sinnlosen Eroberungen zugunsten des Zarismus nachjagen, sondern ihre wahre zivilisatorische Bestimmung in Asien erfüllen und in Verbindung mit dem Westen ihre bedeutenden geistigen Fähigkeiten entwickeln, statt ihre Besten auf dem Schafott und in der Zwangsarbeit zu opfern. Übrigens müssen die Rumänen den Zarismus kennen: Sie haben genug gelitten durch das „Reglement organique" von Kisselew, durch die Niederwerfung des Aufstands von 1848, durch den zweimaligen Raub Bessarabiens[4), durch die zahllosen Einfälle in Rumänien, das für Rußland weiter nichts als ein Lagerplatz auf dem Wege zum Bosporus war; durch die Gewißheit, daß die nationale Unabhängigkeit Rumäniens an dem Tage aufhört, an dem sich der Traum des Zarismus, die Eroberung Konstantinopels, erfüllen würde. Bis dahin wird Euch der Zarismus hinhalten, indem er Euch auf das rumänische Transsilvanien in den Händen der Magyaren hinweist, während doch gerade der Zarismus es von Rumänien getrennt hält; wenn morgen der Despotismus in Petersburg fiele, gäbe es übermorgen in Europa kein Österreich-Ungarn mehr.3 Gegenwärtig scheint die Allianz aufgelöst, der Krieg bevorzustehen. Aber selbst wenn es Krieg gäbe, so nur, um das widerspenstige ÖsterreichUngarn und Preußen wieder gefügig zu machen. Hoffen wir, daß es nicht
2 im Entwurf folgt: und unsere Arbeiterpartei wird mit Riesenschritten der Revolution entgegengehen. — 3 im Entwurf fehlt der letzte Satz
zum Krieg kommt; in einem derartigen Kampf könnte man mit keinem der Kämpfenden sympathisieren, man würde im Gegenteil wünschen, daß alle geschlagen würden, wenn das möglich wäre. Das würde ein furchtbarer Krieg sein. Aber komme was wolle, sicher ist, daß schließlich alles zugunsten der sozialistischen Bewegung enden und die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse beschleunigt würde. Entschuldigen Sie diese Weitschweifigkeit, aber es war mir unmöglich, einem Rumänen zu schreiben, ohne meine Ansicht über diese brennenden Fragen zu äußern. Sie läßt sich kurz so zusammenfassen: Eine Revolution in Rußland im gegenwärtigen Augenblick würde Europa vor dem Unglück eines allgemeinen Krieges bewahren und wäre der Anfang der Revolution in der ganzen Welt.4 Falls die Verbindungen mit den deutschen Sozialisten, der Austausch von Zeitungen usw. zu wünschen übrig lassen, könnte ich Ihnen in dieser Beziehung behilflich sein. Nehmen Sie meine brüderlichen Grüße entgegen. Fr. Engels
Aus dem Rumänischen. Nach: „Contemporanul" Nr.6, vom Januar 1888.
4 hier endet der Entwurf
2
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 5. Jan. 1888
Werter Herr, Ich bin umgezogen. Meine neüe Adresse ist: Mrs. Rjosher], Cottesloe, Burton Road, Kilburn, London, N.W. Keine Nummer, Cottesloe ist der Name des Hauses. Ich habe sofort bei meinem hiesigen Buchhändler das Werk von Dr. Keussler bestellt. Selbst wenn die ersten Bände auf unvollständigem Material basieren, habe ich genug von der Arbeit Ihrer Semstwos gesehen, um zu wissen, daß ein resume ungemein wertvolles Material enthalten und, da es deutsch geschrieben ist, eine wahre Offenbarung für den Westen sein muß.[51 Ich werde dafür sorgen, daß von diesem Material Gebrauch gemacht wird. Ich fürchte, Ihre Landbank für den Adel[6] wird ungefähr denselben Erfolg haben, den die preußischen Landbanken hatten. Dort nahm der Adel Anleihen unter dem Vorwand auf, seine Güter zu verbessern, in Wirklichkeit aber gab er den größten Teil des Geldes für die Aufrechterhaltung seiner gewohnten Lebensweise aus, für Spiel, Reisen nach Berlin und den chefslieux1 usw. Denn der Adel betrachtete es als seine erste Pflicht, standesgemäß zu leben2, und als die erste Pflicht des Staates, ihm das zu ermöglichen. Und so sind trotz aller Banken, trotz aller enormen direkten und indirekten Geldgeschenke des Staates die preußischen Adligen bis über die Ohren bei den Juden verschuldet, und keine Erhöhung der Einfuhrzölle auf Agrarprodukte wird sie retten. Ich erinnere mich an einen bekannten Deutschrussen, er gehörte illegitim dem russischen Adel an, der diese preußischen Adligen noch zu geizig fand. Als er sie bei seiner Ankunft OTT Toro KT> jjpyrOMy 6epery[71 zu Hause sah, rief er aus: Wie doch diese Leute Geld zu sparen versuchen, während bei uns ein Mensch als der Armseligste der Armseligen gelten würde, gäbe er nicht um die Hälfte mehr
1 größeren Provinzstädten - 2 in der Handschrift deutsch: standesgemäß zu leben
als sein Einkoramen aus! Sollte das wirklich das Prinzip des russischen ßBOpHHCTBO3 sein, dann wünsche ich seinen Banken viel Glück. Auch die Bauernbank scheint den preußischen Bauernbanken ähnlich zu sein; und es ist kaum faßbar, wie schwer manche Leute begreifen, daß alle den Landbesitzern (großen oder kleinen) sich neu erschließenden Kreditquellen zu ihrer Versklavung durch die siegreichen Kapitalisten führen müssen. Meine Augen verlangen noch immer des menagements4, doch hoffe ich in kurzer Zeit, vielleicht nächsten Monat, die Arbeit am 3. Band5 wieder aufnehmen zu können; aber ich kann leider noch nicht versprechen, wann ich fertig werde. Die englische Ubersetzung6 wurde und wird gut verkauft, sogar erstaunlich gut für ein Buch dieses Umfangs und dieser Art; der Verleger ist von seiner Spekulation begeistert. Die Kritiker hingegen bewegen sich weit, weit unter dem üblichen niedrigen Niveau. Nur ein guter Artikel im „Athenaeum"; die übrigen geben entweder nur Auszüge aus dem Vorwort oder sind, wenn sie sich das Buch selbst vornehmen, unsagbar kläglich. Mode ist hier gerade die Theorie von Stanley Jevons, nach der der Wert durch die Nützlichkeit bestimmt wird, i.e. Tauschwert = Gebrauchswert7, und auf der anderen Seite durch die Größe des Angebots (i.e. durch die Produktionskosten), was nur eine konfuse Manier ist, hintenherum zu sagen, daß der Wert durch Angebot und Nachfrage bestimmt werde.[8] Vulgärökonomie überall! Das zweite große literarische Organ hier, die „Academy", hat sich noch nicht geäußert. Der Verkauf der deutschen Ausgabe des L und IL Bandes5 geht sehr gut weiter. Es werden viele Artikel über das Buch und seine Theorien geschrieben, ein Extrakt oder vielmehr eine selbständige Reproduktion in: „Karl Mjarx's] ökonomische Lehren" von K. Kautsky, nicht schlecht, wenn auch nicht immer ganz richtig; ich werde es Ihnen zusenden. Dann hat ein miserabler abtrünniger Jude, Georg Adler, Privatdozent in Breslau8, einen dicken Wälzer geschrieben191 - den Titel habe ich vergessen - um Mfarx] zu widerlegen, aber es ist einfach ein gemeines und lächerliches Pamphlet, durch das der Verfasser die Aufmerksamkeit - des Ministeriums und der Bourgeoisie - auf sich und seine Bedeutung lenken will. Ich habe alle meine Freunde gebeten, davon keine Notiz zu nehmen. So ist es nun
3 Adels - 4 der Schonung - 5 des „Kapitals" - 6 des ersten Bandes des „Kapitals" - 7 in der Handschrift deutsch: Tauschwert = Gebrauchswert - 8 in der Handschrift deutsch: Privatdozent in Breslau
mal, wenn irgendein miserabler, unfähiger Kerl für sich faire de la reclame9 will, so greift er unseren Autor an. Pariser Freunde haben die Richtigkeit Ihrer sehr traurigen Nachricht über Mr. Mutual bezweifelt.110] Können Sie mir auf dem einen oder anderen Wege Einzelheiten über dieses Ereignis zukommen lassen? Ich lege eine vor einigen Jahren publizierte kleine Sache bei.
Ihr ergebener P.W.Rosher™
Aus dem Englischen.
9 Reklame machen
3
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Rochester
London, 7. Jan. 88
Lieber Sorge, Zuerst Prosit Neujahr und die Hoffnung, daß Du Dich in die neue Lokalität bald eingewöhnen wirst1-121 und daß Du von allen Unfällen des Sommers wieder vollständig kuriert bist. Hoffentlich bläst die Kriegswolke vorbei - es geht alles ohnehin so schön nach unsern Wünschen, daß wir eine Störung durch einen allgemeinen Krieg, und zwar einen so kolossalen wie nie vorher, sehr gut entbehren können, obwohl auch dies schließlich zu unsern Gunsten ausschlagen müßte. Die Politik Bismarcks treibt uns die Arbeiter- und Kleinbürgermassen haufenweis zu; die Jämmerlichkeit der so pompös angekündigten Sozialreform1131, die ein purer Vorwand ist zu Zwangsmaßregeln gegen die Arbeiter (Strike-Erlaß Puttkamers[141, vorgeschlagne Wiedereinführung der Arbeitsbücher, Diebstahl von Gewerkschafts- und Hülfskassen), wirkt enorm. Das neue Sozialistengesetz1151 wird wenig schaden, die Verbannung geht diesmal schwerlich durch, und wenn sie durchgeht, ist ihre Dauer fraglich. Denn wenn - was für uns am besten wäre - der alte Wilhelm1 bald krepierte und dann der Kronprinz2 auch nur für sechs Monate ans Ruder käme, so würde wahrscheinlich alles in Verwirrung kommen. Bismarck hat so stark daran gearbeitet, den Kronprinzen ganz zu beseitigen und eine Regentschaft des jungen Wilhelm3 , eines schnoddrigen Jardeleutnants, zustande zu bringen, daß er in diesem Fall wohl beseitigt würde und ein kurzes illusionsvolies liberales Regime ihn ersetzte. Das würde hinreichen, das Vertrauen des Philisters in die Beständigkeit der Bismarckschen Wirtschaft zu zerstören: und wenn dann auch nachher mit dem jungen Bengel Bismarck wieder drankäme, so ist doch der Glaube des Philisters fort und der Junge eben nicht der Alte. Denn die falschen Bonapartes von heute sind nichts, wenn man nicht an sie und ihre Unbesiegbarkeit glaubt. Und wenn dann der Junge und sein Mentor Bism[arck] frech würden und noch schnoddrigere
1 Wilhelm I. - 2 Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) -3 Sohn Friedrich Wilhelms (Wilhelm II.)
Maßregeln als jetzt vorbrächten, dann würden die Dinge rasch auf den kritischen Punkt losmarschieren. Ein Krieg dagegen würde uns um Jahre zurückwerfen. Der Chauvinismus würde alles überfluten, da es einen Kampf um die Existenz gäbe. Deutschland würde an die 5 Millionen Bewaffnete stellen, oder 10% der Bevölkerung, die andern etwa 4-5%, Rußland relativ weniger. Aber 10 bis 15 Mill. Kombattanten wären da. Wie sie zu ernähren, möchte ich sehn; es würde eine Verwüstung geben wie im 30jährigen Krieg. Und rasch ist nichts zu erledigen, trotz der kolossalen Streitkräfte. Denn Frankreich ist durch sehr ausgedehnte Befestigungen an der Grenze im Nordwesten und im Südosten geschützt, und die Neuanlagen von Paris sind musterhaft. Das dauert also lange, und ebenso ist Rußland nicht im Sturm unterzukriegen. Selbst wenn also alles nach Bismarcks Wunsch geht, werden Ansprüche an die Nation gestellt wie nie vorher, und möglich genug ist, daß Verschleppung des entscheidenden Siegs und partielle Schlappen einen Umschwung im Innern hervorrufen. Würden aber die Deutschen von vornherein geschlagen oder auf die dauernde Defensive gedrängt, so ging's sicher los. Wenn der Krieg ohne innere Bewegungen bis zuletzt ausgekämpft würde, so träte eine Erschöpfung ein, wie Europa sie seit 200 Jahren nicht durchgemacht. Die amerikanische Industrie würde dann auf der ganzen Linie siegen und uns alle vor die Alternative stellen: entweder Rückfall in die reine Agrikultur für den Selbstgebrauch (jeden andern verbietet das amerikanische Getreide) oder - soziale Umgestaltung. Ich vermute daher, daß man es nicht zum Äußersten, zu mehr als einem Scheinkrieg nicht zu bringen vorhat. Aber ist der erste Schuß gefallen, so hört die Kontrolle auf, das Roß kann durchgehn. So drängt alles zur Entscheidung, Krieg oder Friede, und ich muß mich beeilen, mit dem III.Band4 fertig zu werden. Aber die Ereignisse verlangen, daß ich au courant5 bleibe, und das nimmt viel Zeit weg, besonders nach der militärischen Seite; und doch muß ich meine Augen noch schonen. Ja, wenn ich mich auf den reinen Stubengelehrten zurückziehen könnte! Indes, es muß gehn, spätestens nächsten Monat geh' ich dran. Schorljemmer], der hier ist, grüßt bestens. Die Pariser Präsidentschaftskrisis ist direkt durch unsre Leute entschieden worden.[161 Die Blanquisten stellten sich an die Spitze, Vaillant riß das Büro des Stadtrats mit sich. Vaillant, wenn es bald losgeht, wird die Seele der nächsten provisorischen Regierung. Er hat es gut, als Blanquist
4 des „Kapitals" - 5 auf dem laufenden
braucht er keine ökonomische Theorie zu vertreten, kann also manchem Krakeel fernbleiben. Die Possibilisten1171 haben sich total blamiert, waren für Abstention von aller Aktion, haben dem Stadtratsbüro, das sich so gut benahm, wie von solchen Radikalen nur erwartet werden konnte, ein Tadelsvotum im Stadtrat bringen Wollen, zusammen mit den Reaktionären, fielen aber durch. „C[ommon]w[ea]l", „Gleichh[ei]t", „To-Day" hast Du hoffentlich regelmäßig erhalten. Dein alter F.E.
4
Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 10. Jan. 88
Lieber Liebknecht, Mit der Expatriation1151 wird es wohl nicht so eilig gehn, so lumpig die deutschen Bourgeois auch sind, so gehört zu solcher Feigheit doch ein gewisser Mut, und den, glaube ich, wird Bismarck ein Jahr brauchen, um ihn ihnen einzuprügeln. In einem Jahr kann aber manches passieren. Monsieur Bismarck hat mit seiner Intrige gegen den Kronprinzen1 sich einen argen Knüppel zwischen die eignen Beine geworfen. Und wenn nach dem Absocken des Alten2 jetzt der Kronprinz nur auf sechs Monate drankommt, so reicht das hin, um alles in Verwirrung zu bringen und das Vertrauen des Philisters in die Ewigkeit der Bismarekschen Wirtschaft gründlich zu erschüttern. Dann kann der schnoddrige Junge Wilhelm3 nur drankommen, dann nützt er unendlich mehr, als er schaden kann. So hoffe ich, daß Du nächstes Jahr nur temporär nach Amerika gehst1-181 und wir Dich so auf Hin- wie Rückreise hier sehn werden. In Amerika wirst Du Arbeit genug vorfinden, wie Du sagst, haben die Dortigen1191 die Sache arg verfahren. Die Amerikaner selbst sind noch zu neu und zu fremd in der ganzen Bewegung, als daß sie nicht noch eine Reihe kolossaler Böcke schießen sollten. Aber man kann ihnen auch zu Hülfe kommen, und da wäre ein Mann wie Du, der englische Bewegung kennt und englisches Publikum zu behandeln versteht, von großem Nutzen. Hier gibt's nichts Neues. Der alte kommunistische Verein1201 verkommt mehr und mehr, er ist jetzt in den Händen des Lumpazius Gilles und fraternisiert mehr und mehr mit den Anarchisten, deren Hauptquartier London jetzt ist. Die Trafalgar-Square-Geschichte[21] feiert Nachfeiern in den massenhaften Verurteilungen- II. wie I. Instanz-der bei der Demonstration Beteiligten. Graham und Burns kommen dieser Tage vor. Werden sie auch verurteilt, so hat damit der Londoner Juryman dem Warren und der Polizei ein Dankvotum gegeben, was die Spaltung der Klassen nur befördern wird.
1 Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) -2 Wilhelm I. -3 Sohn Friedrich Wilhelms (Wilhelm II.)
Der Haß der Arbeiter gegen die Polizei ist kolossal, und bei der nächsten Wahl werden die dummen Tories dran denken. Prosit Neujahr nachträglich, und möge es innerlich und äußerlich Frieden bleiben, ich möchte jetzt weder Krieg noch Putsche, dafür geht alles zu famos. Dein F. Engels
5
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 10. Jan. 88
Lieber Herr Schlüter, Ich habe nichts dagegen, daß Ede den Schluß der Vorrede der „Mords*pfatrioten]"1 abdruckt.1221 Bitte mir zu sagen, wann ungefähr mit dem Druck der „ Gewaltstheorie begonnen werden kann. Ich schreibe nämlich ein viertes Kapitel dazu, worin ich die Gewaltspraxis Bismarcks und die Ursachen ihres momentanen Erfolgs untersuche . Ich schreibe es jetzt, muß es aber unmittelbar vor dem Druck revidieren und nach den neuesten Tatsachen ergänzen. Auch dies Kapitel steht natürlich Ede gern zur Verfügung, wenn alles soweit ist.[23] Ich komme nächstens zur Ordnung meiner Bücher. Es kann sein, daß sich da noch ein Ex. der „Heil[igen] Familie" findet; wenn so, dann soll das Archiv1241 es haben. Inzwischen bitte wegen „Revue der N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g" weiter achtzuhaben - die einzelnen Äufsätze würden nur im äußersten Notfall nützen könnend251 Die von Bruhn entstellte Geschichte ist erwähnt im „Herr Vogt", S. 124, Anmerkung - Bangya hatte sich als Vertreter eines in Berlin angeblich neu sich etablierenden Buchhändlers, Eisenmann oder so sollte der Kerl heißen, hingestellt und sich anheischig gemacht, daß dieser das Ms. drucken würde.1261 Letzteres ist von M[arx] und mir, und das Original liegt hier bei mir. Der eigentliche Käufer der Abschrift war aber Stieber, der dumm genug war zu glauben, in einem von uns für den Druck bestimmten Ms. würde die preußische Polizei geheime Enthüllungen finden und nicht bloße Verhöhnung der großen Männer der Emigration, denn weiter war natürlich nichts drin. Wir waren um die Veröffentlichung geprellt, aber die eigentlichen Geprellten blieb die preußische Polizei, die sich auch wohl gehütet hat, je damit zu renommieren, und nebenbei Herr Kossuth, der erst durch diesen Vorgang
Friedrich Engels: „Einleitung [zu Sigismund Borkheims Broschüre ,Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806-1807']"
aufgeklärt wurde, welchen säubern Vogel er protegierte, obwohl er ihn auch dann noch zu halten suchte. Ihren freundlichen Neujahrswunsch herzlich erwidernd,
der Ihrige F. E.
6
Engels an Pasquale Martignetti in Benevent
London, 10. Januar 1888
Lieber Freund, Ich hätte Ihnen längst geschrieben, aber ich mußte glauben, daß Sie nicht mehr in Benevent seien, denn auf einer der mir gütigst gesandten Zeitschriften stand eine andre Adresse mit einem mir unbekannten Wohnort. Ich wartete daher bis auf weitere Nachricht von Ihnen. Die gegen Sie erhobne lächerliche Anklage wegen Unterschlagung von L. 15 000 ist am besten widerlegt durch die Tatsache, daß der Präfekt der Regierung selbst Ihnen Beschäftigung gibt. Hoffentlich zerfällt die ganze Intrige, ehe es zur öffentlichen Verhandlung kommt. Wie es mit der Hamburger Angelegenheit gegangen ist, weiß ich nicht, von Wedde habe ich weiter nichts darüber gehört.1271 Aber es ist gut, daß nichts daraus geworden ist. Die preußische Regierung hat es endlich fertiggebracht, die Regierung der „Republik" Hamburg zum Gehorsam zu zwingen. Unsere Zeitung1 dort ist verboten, der Redakteur Wedde, obwohl Hamburger Bürger, aus seiner Vaterstadt verbannt, an zwanzig Sozialisten sind in Altona (preußische Nachbarstadt) verurteilt und werden bei ihrer Freilassung aus Hamburg ausgewiesen. Unter diesen Umständen wären Sie ebenfalls von dort, und als Ausländer aus dem ganzen Deutschen Reich, ausgewiesen worden, und die Kosten' des doppelten Umzugs mit Familie wären ruinierend gewesen. Ich danke Ihnen für die Mühe, die Sie sich mit meiner Biographie geben, nnd werde Ihre Übersetzung gern revidieren.1281 Aber ich zweifle, ob es sich lohnen wird, dieselbe als Broschüre drucken zu lassen. Ich bin ja in Italien so gut wie unbekannt, und unter denen, die mich allenfalls kennen, sind viele Anarchisten, und diese hassen mich mehr, als sie mich lieben. Doch das überlasse ich Ihnen. Ihr Manuskript werde ich auch jetzt in einigen Wochen vornehmen
1 „Bürger-Zeitung"
.2 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
können1295 und es Ihnen dann gleich zuschicken. Leider erfordern meine Augen immer noch Schonung. Mit aufrichtigem Gruß der Ihrige F. Engels „Mefistofele" I folgt heute abend.
7
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
[London] Jan. 23./88
Lieber Herr Schlüter, Die „Gewaltstheorie"[23] sollen Sie bis 20. Febr. haben; Sie erhielten sie noch früher, aber da ist die englische Übersetzung des „Manifests" dazwischengekommen, die ich mit Sam Moore, dem Übersetzer des „Kapital", der hier ist, rasch fertigmachen muß, will ich nicht eine brillante Gelegenheit vorübergehn lassen. Sobald diese - Ende der Woche - fertig, geht's wieder an den Schluß der „G[ewalts]th[eorie]", die eine rapide Übersicht der Geschichte von 1848 bis 88 gibt, soweit sie dahinein gehört. Diesmal werde ich Bismarck noch mehr ärgern als mit dem „Schnaps"t30]. Besten Gruß. Ihr F.E.
Das einzige, was allenfalls dazwischenkommen könnte, wären meine Augen, die ich einer Kur unterwerfe, um endlich den Kram loszuwerden - aber dann schreibe ich.
8
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 7. Febr. 88
Mein lieber Lafargue, Hierbei der Scheck über £ 15. Ich bin mit Arbeit überhäuft - das englische „Manifest" ist endlich fertig, und ich erwarte in wenigen Tagen die Korrekturen. Ich rechne auf Laura wegen improvements1 in der Ubersetzung - meine Durchsicht mußte ziemlich rasch erfolgen und für eine Neuauflage wäre mir dies von großem Nutzen. Dann schreibe ich eine Kritik der gesamten Bismarck-Politik, die als Ergänzung zur „Geioaltstheorie" des „Anti-Dührings" oder vielmehr als deren Anwendung in der gegenwärtigen Praxis erscheinen soll.[23] Ich habe das Ms. für den 20. er. versprochen, und Sie können sich wohl denken, daß alles sorgfältig erwogen werden muß. Das wäre etwas für den „Socialiste" gewesen, wenn Ihr ihn nicht gerade hättet eingehen lassen. Das Verschwinden des „Socfialiste]" bedeutet Euer Verschwinden als Partei vom Pariser Horizont.1311 Die Possibilisten halten den „Proletariat" antrerlii-' wpnn Ihr das nicht ^enauso fertigbringen könnt nehmt Ihr ab anstatt zu wachsen; es liegt nicht daran, daß Euer Blatt ein wöchentliches Organ ist, auch das andere erscheint wöchentlich. Indessen widerstrebt es mir zu glauben, daß die Pariser Arbeiter endgültig in eine Periode des Verfalls eingetreten seien. Die Franzosen sind unberechenbar und aller möglichen unerwarteten Dinge fähig. Ich warte also ab. Was Bismarck angeht, so spielt er ebenso wie die russischen Panslawisten und die französischen Chauvinisten mit dem Feuer. Die gegenwärtige Situation kommt ihm zupaß, solange der alte Lehmann (Sie kennen diesen Spitznamen Wilhelms2) sein Leben noch fristet. Bismarck hat allen Grund, sich für den Tag, an dem der Alte stirbt, unentbehrlich zu machen. Er und der junge Wilhelm3 haben gegen den Kronprinzen4 konspiriert, er hat ihn zu 1 Verbesserungen - 2 Wilhelm I. - 3 Sohn Friedrich Wilhelms (Wilhelm II.) - 4 Friedrich Wilhelm (Friedrich III.); in der Handschrift deutsch: Kronprinz
der Kehlkopfoperation drängen wollen, d. h. sich den Hals abschneiden zu lassen. Der Kronprinz4 und seine Frau5 wissen das alles, so daß Bismarck] sich ihnen gegenüber fast unmöglich gemacht hat. Und das ist einer der Gründe, weshalb das neue Sozialistengesetz im Reichstag6 gescheitert ist.[32] Ein Katholik aus Köln7 hat in der Sitzung gesagt, es sei wohl möglich, daß vor dem 30. Sept. (der Ablaufsfrist des bestehenden Gesetzes) andere Männer in der Regierung sein würden. Diese Debatte über das Sozialistengesetz war ein großer Triumph für uns. Die von Singer und Bebel angeführten Tatsachen haben die Regierung geschlagen, und besonders Bebels Rede ist ein wahres Meisterwerk. Es ist das erste Mal, daß unsere Leute im Reichstag6 einen vollständigen Sieg errungen haben. Das Gesetz wird um zwei Jahre verlängert, wahrscheinlich zum letzten Mal. Aber alle Argumente und alle Tatsachen der Welt hätten nicht genügt, die Forderungen der Regierung zurückzuweisein, wenn man an die unmittelbare Nachfolge des jungen Wilhelm hätte glauben können, der ein echter Preuße ist, unverschämt und anmaßend wie die Berliner Offiziere von 1806, die ihre Säbel auf der Freitreppe der französischen Gesandtschaft wetzten, um sie zwei Monate später als Besiegte den Soldaten Napoleons auszuhändigen. Die Möglichkeit eines Krieges hat mich von neuem in militärische Studien gestürzt. Wenn es keinen Krieg gibt, um so besser. Aber wenn er ausbricht - das hängt von allen möglichen unberechenbaren Ereignissen ab hoffe ich, daß die Russen ordentlich Keile beziehen und an der französischen Grenze nichts Entscheidendes passiert - dann bestände Aussicht auf einen passablen Frieden. Bei fünf Millionen Deutschen unter Waffen, denen befohlen wird, sich für Dinge zu schlagen, die sie nichts angehen, würde Bismarck nicht mehr Herr der Lage sein. Inzwischen kuriere ich meine Augen, die sich seit der Behandlung durch meinen Spezialisten gebessert haben, obwohl er mir nicht den Tränenkanal aufgeschnitten hat. Aber ich muß sie schonen. Herzliche Grüße an Laura.
Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
5 Victoria - 6 in der Handschrift deutsch: Reichstag - 7 Peter Franz Reichensperger
9
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 12. Febr. 88
Lieber Herr Schlüter, Leider kann ich Ihnen das versprochne Ms.1 nicht bis 20. er. zusenden. Störungen aller Art und die nächste Woche einlaufenden Korrekturen des „Manifests" sowie die grade jetzt während der Kur gebotne besondre Schonung meiner Augen sind die Ursache. Wollen Sie mir so genau wie möglich sagen, wann der Druck beginnen müßte? Die 3 Kapitel der ursprünglichen „Gewaltstheorie" sind druckfertig, aber der neue Abschnitt noch nicht ganz im ersten, mir gar nicht zusagenden Entwurf, er wird länger, als ich vorhatte - wie gewöhnlich. Dabei ist das Thema der Art, daß es schlagend behandelt werden muß oder gar nicht.' Sobald Sie mir den bestimmten Termin angeben, kann ich Ihnen sagen, ob ich bis dahin soweit sein werde oder nicht. In letzterem Falle wäre es dann am besten, Sie druckten etwas Kleineres dazwischen, denn es kann sich höchstens um 3-4 Wochen handeln. Ob das Ms. sich zum Abdruck im „S[ozial]d[emokratj" eignen wird, wird man dort am besten beurteilen können, wenn es eintrifft. Bei der jetzigen kritischen politischen Lage ist mir etwas Aufschub - die Ereignisse abzuwarten - ohnehin fast geboten. Mit bestem Gruß. Ihr F. Engels
1 Friedrich Engels: „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte"
10
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 19. Febr. 88
Lieber Herr Schlüter, Ich werde nicht fertig. Sie tun also am besten, etwas dazwischen zu drucken und mich 14 Tage-3 Wochen wo möglich vorher wissen zu lassen, wann Sie soweit sind und bis wann Sie das Ms. brauchen können.[23] Es kommt mir jetzt alles auf einmal über den Pelz. Diese Woche z.B. werde ich fast ganz brauchen, um die grundsätzlich beiseite gelegte Korrespondenz zu erledigen. Sobald möglich, schicke ich Ihnen das englische „Manifest" fürs Archiv[24J. Beste Grüße an Euch alle. Ihr F. Engels
II
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Rochester
London, 22. Febr. 88
Lieber Sorge, Aufrichtig gestanden, habe ich es von vornherein für kaum möglich gehalten, daß Du es in dem kleinen Landstädtchen aushalten würdest.[12J Ich kenne kein größeres Pech für einen zivilisierten, in einer großen Bewegung alt gewordenen Menschen, als in so ein Ratzeburg oder Krähwinkel verbannt zu werden, wenn man jahrelang in einer Weltstadt gelebt. Nun, ich bin froh, daß Du zu einem Entschluß gekommen bist. Das wird Dir die paar Monate erträglicher machen. Ich mache eine Kur wegen meiner Augen durch - der Augenarzt sagt, there was nothing the matter with them1, aber Schonung während der Kur tue not. Der Mann hat gut sprechen, und da sind ungefähr ein Dutzend Leute, die an mir herumzerren, deutsche, englische, italienische etc. Arbeit von mir verlangen - alles dringend! - und daneben darauf drängen, ich soll den II I.Band „Kapital" herausgeben. Alles sehr schön, aber die Leute selbst verhindern mich dran. Ein alter Wunsch von Dir wird jedenfalls in ein paar Tagen erfüllt: das »»«Lo'x!' 1,1er l,m Dootio onnlio^L T lUcr»»!'^.»» C RA ttlTlUlUAVOt UOVUW1U 111V1 UV/1 1U.VVV.O V.llgllSV.11, uMViin/UUllg «Uli U.1V1UUIC, revidiert von uns beiden, Vorrede von mir. I.Korrektur ist schon gelesen. Sobald ich Ex. erhalte, schicke ich Dir zwei, wovon eins für Wischnewetzkys. Nämlich Reeves zahlt S. Moore royalty2 fürs Autorrecht, und da ich den Kontrakt abgeschlossen, kann ich nicht direkt dazu beitragen, daß es in Amerika nachgedruckt wird. Sonst könnte R[eeves] den Kontrakt dadurch gebrochen erklären, und der arme Sam Moore erhielte nichts. Es ist aber klar, daß ich gegen einen Nachdruck nichts tun kann und nichts tun werde. Hat doch R[eeves] auch meine Vorrede zur „Condition of the Working Class" nachgedruckt.1331 Aveling bringt ein paar Stücke auf die Bühne, wenn's gut geht, kommt er aus der Journalisten-Misere heraus. Er und Tussy werden gleich hier sein, sie essen hier, da Afveling] eine Versammlung hier in der Nähe hat.
1 es fehlte ihnen weiter nichts - 2 Gewinnanteil
Lafargues sind Weihnachten nach Le Perreux jenseits Vincennes, 20 Minuten Eisenbahn von Paris, gezogen und amüsieren sich mit ländlichen Arbeiten. Der „Socialiste" ist wieder einmal tot. Die Pariser Arbeiter wollen kein Wochenblatt lesen. Vaillant macht sich famos im Gemeinderat; bei der Präsidentenkrisis[16], wo Ferrys Wahl durch die drohende Haltung der Arbeiter verhindert wurde, hat er sich sehr hervorgetan. Er wird die Seele der nächsten provisorischen Regierung, wenn's bald kommt. Bebel und Singer haben den Preußen eine heillose Niederlage beigebracht, beim Sozialistengesetz.1321 Zum erstenmal hat ganz Europa auf unsre Reichstagsleute horchen müssen. Du wirst B[ebeljs Rede in der „Gleichheit" gelesen haben - ein Meisterstück, worin er sich selbst übertroffen. Ich hoffe, es kommt nicht zum Krieg, obwohl ich dann meine militärischen Studien, die ich jetzt eben wegen des Kriegslärms habe wieder aufnehmen müssen, für die Katz* gemacht habe. Die Chancen stehn so: Deutschland, dank der lang bestehenden allgemeinen Wehrpflicht und Schulbildung, kann 21/2~3 Mill. gediente Leute aufstellen und mit Offizieren und Unteroffizieren versehn. Frankreich nicht über I1/^-^ V2 Mill. Rußland kaum 1 Mill. Schlimmstenfalls ist Deutschland beiden gewachsen zur Abwehr. Italien kann 300 000 Mann stellen und auf den Beinen halten. Ostreich ca. 1 Million. Für den Landkrieg stehn also die deutsch-östreichisch-italienischen Chancen gut, und den Seekrieg entscheidet Englands Verhalten. Es wäre gottvoll, wenn Bismarck seine eigne Hauptstütze, den russischen Zarismus, absägen müßte! Es nähert sich alles einer Krisis, Krieg oder nicht. Die Geschichte in Rußland kann nicht lange mehr halten. Die Hohenzollern sind kaputt, der Kronprinz3 todkrank, sein Sohn4 ein Krüppel, schnoddriger Jardeleutnant. In Frankreich der Sturz der Bourgeoisrepublik der Ausbeuter immer näher rückend; die Skandäler, wie 1847, drohen eine revolution du mepris[34]. Und hier bemächtigt sich der Massen mehr und mehr ein instinktiver Sozialismus, der glücklicherweise noch aller bestimmten Formulierung nach dem Dogma einer oder der andern sozialistischen Organisation widerstrebt, sie also um so leichter von einem entscheidenden Ereignis annehmen wird. Es braucht nur irgendwo loszugehn, und die Bourgeois werden sich wundern über den versteckten Sozialismus, der dann ausbrechen und offenbar werden wird. Dein alter F. Engels
3 Friedrich Wilhelm (Friedrich III.) - 4 Sohn Friedrich Wilhelms (Wilhelm II.)
12
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
122, Regent's Park Road, N. W. London, 22. Febr. 88
Werte Frau Wischnewetzky, Ihre Briefe vom 2I.Dez, und 8.Jan. habe ich richtig erhalten, und ich schicke Ihnen Lovells Brief mit Dank zurück. Über Gronlunds Verhalten bin ich nicht erstaunt. Ich war eigentlich froh, daß er mich hier nicht aufgesucht hat. Nach allem, was ich höre, ist er voller Eitelkeit und Selbstüberschätzung in einem sogar für einen Deutschen unerreichbaren Grade, den nur ein Skandinavier erreichen kann, aber dabei auch so naiv, wie nur ein Skandinavier sein kann - bei einem Deutschen wäre das anstößig. Es muß auch solche Käuze geben.1 In Amerika nicht weniger als in England werden alle diese ihren eigenen Ruhm verkündenden grands hommes2 auf den ihnen gebührenden Platz gelangen, sobald die Massen sich zu rühren beginnen - und auf diesen ihnen gebührenden Platz werden sie sich dann mit einer Schnelligkeit geschoben finden, die sie erstaunen wird. Wir haben das alles erlebt in Deutschland und Frankreich und auch in der Internationale. Ich habe unlängst von dem armen alten Sorge Nachrichten erhalten, die alles bestätigen, was Sie sagen. Von Anfang an habe ich erwartet, daß er in dieser Einsamkeit und Wildnis nicht werde leben können. Hoffentlich wirkt sich seine Rückkehr nach Hoboken günstig aus. Ich habe Ihnen eine Nummer von Bradlaughs „National Reformer** mit einem Artikel Nr. 1 über mein Buch3 geschickt. Exemplare davon wurden gesandt an „National Reformer", „Weekly Dispatch", „Reynolds's Newspaper", „Club Journal", „Our Corner" (Mrs. Besant), „To-Day" (H. Bland), „Christian Socialist", „Pall Mall Gazette". Ich habe Freunde gebeten, auf diese Zeitungen und Zeitschriften zu achten und mich wissen zu lassen, wenn etwas erscheint, dann sollen Sie es haben.
1 Dieser Satz in der Handschrift deutsch - 2 großen Männer - 3 Friedrich Engels: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England"
Reeves hat auch 1000Broschüren4 erbeten; ob das nur eine List ist, um die Konkurrenz auszuschalten, bleibt abzuwarten- Das Ding scheint einen außerordentlich guten Absatz zu finden. , „ Justice" hatte ein Exemplar des" Buches von Ihnen, „Commonweal" brauchte keins, da ich eins an Morris persönlich geschickt habe. „Justice" brachte die alte amerikanische Übersetzung des „Kommunistischen Manifestes" wieder heraus.[35] Das veranlaßte Reeves, wegen einer autorisierten Übersetzung anzufragen. Ich hatte eine von S.Moore, und Sam war gerade hier. So revidierten wir sie und verkauften sie an R[eeves] er bekam die Korrekturen letzte Woche, und sobald es herauskommt, erhalten Sie ein Exemplar. Sam Moore ist der beste Übersetzer, den ich kenne, aber nicht in einer Position, die ihm erlaubt, zu arbeiten, ohne etwas dafür zu bekommen. Ich verstehe nicht ganz Ihre Bemerkung, daß das Buch hier 1 sh. teurer -verkauft werde. $ 1.25 entspricht, soviel ich weiß, 5 sh., und das ist der hiesige Verkaufspreis. Frau Campbell hat bisher noch nicht bei mir vorgesprochen. Ihre Bemerkungen über die Boykottierung meiner Schriften durch die offiziellen deutschen Sozialisten New Yorks[361 sind durchaus richtig, aber ich bin an derlei Dinge gewöhnt, und deshalb amüsieren mich die Anstrengungen dieser Herren. Besser so, als ihre Protektion ausstehen zu müssen. Für sie ist die Bewegung ein Geschäft, und „Geschäft ist Geschäft". Derartige Sachen können nicht lange dauern, ihre Anstrengungen, die amerikanische Bewegung zu beherrschen, so wie sie es mit der deutsch-amerikanischen getan haben, müssen schmählich scheitern. Die Massen werden das alles in Ordnung bringen, sind sie einmal in Bewegung gekommen. Hier gehen die Dinge langsam, aber gut voran. Die verschiedenen kleinen Organisationen haben ihren Platz gefunden und sind bereit, ohne Zänkerei zusammenzuarbeiten. Die Polizeibrutalitäten auf dem Trafalgar Square[21] haben wunderbar dazu beigetragen, die Kluft zu erweitern zwischen den Arbeiter-Radikalen und den bürgerlichen Liberalen und Radikalen; die letzteren haben sich inner- und außerhalb des Parlaments feige benommen. Die Gesetz- und Freiheitsliga - die jeden Tag mehr an Boden gewinnt - ist die erste Organisation, in welcher sozialistische Delegierte, als solche, an der Seite von radikalen Delegierten sitzen.[371 Die Dummheit der jetzigen Toryregierung ist schauderhaft, wenn der alte Disraeli noch lebte, würde er sie
4 Friedrich Engels: „Die Arbeiterbewegung in Amerika. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe der ,Lage der arbeitenden Klasse in England'"
links und rechts hinter die Ohren hauen. Doch fördert diese Stupidität die Dinge vortrefflich. Homerule[38] für Irland und für London ist jetzt die Losung hier; vor dem Letzteren haben die Liberalen sogar mehr Furcht als die Tories. Das Arbeiterklassenelement wird mehr und mehr durch die stupiden Toryprovokationen gereizt, täglich wird es sich seiner Kraft an der Wahlurne stärker bewußt, und wird es mehr durchdrungen vom sozialistischen Ferment. Das amerikanische Beispiel hat ihnen die Augen geöffnet, und gäbe es nächsten Herbst in irgendeiner großen amerikanischen Stadt eine Wiederholung der New-Yorker Wahlkampagne von 1886[39], die Wirkung hier wäre eine augenblickliche. Die beiden großen angelsächsischen Nationen werden zweifellos miteinander konkurrieren auf dem Felde des Sozialismus wie auch in anderen Dingen, und dann wird es ein Wettrennen geben mit immer schnellerem Tempo. Können Sie mir den amerikanischen Zolltarif besorgen und die Liste der Inlandsteuern auf amerikanische industrielle und andere Produkte? Und wenn möglich einige Auskunft darüber, wie die letzteren ausgeglichen werden durch die ersteren in bezug auf die Produktionskosten? Das heißt zum Beispiel, wenn die Inlandsteuer auf Zigarren 20% beträgt, so würde ein Einfuhrzoll von 20% sie ausgleichen, soweit es die ausländische Konkurrenz, betrifft. Darüber möchte ich gern einige Auskunft haben, bevor ich meine Vorrede zum „Freihandel"5 schreibe. Ihren liebenswürdigen Wunsch erwidernd, verbleibe ich
Ihr sehr aufrichtiger FEngels
Aus dem Englischen.,
6 Friedrich Engels: „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' .Rede über die Frage des Freihandels'"
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 23. Febr. 88
Lieber Liebknecht, Die Sozialistengesetz-Debatte1323 war der größte Triumph, den wir noch auf parlamentarischem Gebiet erfochten haben, und tut es mir nur leid, daß Du nicht dabeisein konntest. Das wird nun wohl nicht lange mehr dauern, Du wirst doch nächstens an Hasencl[evers] Stelle rücken.1403 Wir haben auch einen Puttkamer hier - den Balfour, Sekretär für Irland. Wie P[uttkamer] des Bismarcks] Vetter, so ist Balfour Salisburys Neffe. Ganz so schnoddrig vorlaut, junkermäßig hochnäsig wie Puttk[amer]. Wird auch ebenso verhauen, und klappte vorige Woche unter den Hieben O'Briens1411 ebenso zusammen wie P[uttkamer] unter denen unsrer Leute. Ist auch den Irländern ebenso nützlich wie der Putt[kamer] uns. Übrigens erfährst Du aus dem elenden „Saturday Review", wenn Du's noch hältst, gar nichts über hier, für alles Wichtige herrscht da conspiration du silence1. Die Rede Bism[arck]s war direkt an den Zar Alexander gerichtet, damit der Gefangne von Gatschina doch endlich mal die Wahrheit erfahre.1423 Ob's was hilft, fragt sich. Die Russen reiten sich in ihrer Unentschlossenheit immer tiefer hinein und können am Ende nicht mehr mit Ehren zurück. Das ist die Gefahr. Sonst sind sie die größten Esel, wenn sie Krieg machen. Es ist wieder: ^ Kpotcro?, "AXüv Scdcßa?, [JLeyaXTjv Suvajjav SiaXucrei.2 Sie bringen keine Million Mann an die Grenze und haben für mehr nicht Offiziere genug. Frankreich stellt IV4 Million sehr guter Truppen, hat aber nicht mehr an gedienten Leuten und noch weniger Offiziere für mehr. Mit 21/2 Mill. gedienter und hinreichend mit Offizieren und Unteroffizieren versehener Truppen hat Bism[arck] die Stärke Deutschlands allein noch zu niedrig angegeben. Es ist auch gut, daß es so ist. Ehe in Rußland die Revolution im Gang, darf Bismarck nicht durch äußere Niederlage gestürzt werden. Das würde ihn nur wieder populär machen.
1 Verschwörung des Schweigens - 2 Krösus wird, wenn er den Halys überschritten hat, ein großes Reich zierstören.
Was aber aus der Sache wird, wenn es wirklich zum Krieg kommt, das ist nicht abzusehn. Man wird sicher versuchen, einen Scheinkrieg daraus zu machen, das geht aber nicht so leicht. Wenn es nach dem geht, was uns am besten paßt und viel Chancen für sich hat, dann stehender Krieg mit wechselndem Erfolg an der französischen, Angriffskrieg mit Einnahme der polnischen Festungen an der russischen Grenze und Revolution in Petersburg, die den Herren Kriegführenden auf einmal alles in ganz anderm Licht erscheinen läßt. Soviel ist sicher: Es gibt keine raschen Entscheidungen und Triumphzüge mehr, weder nach Berlin noch nach Paris. Frankreich ist sehr stark und sehr geschickt befestigt, die Anlagen um Paris sind, was ihre Verteilung betrifft, meisterhaft. Vorigen Montag, in dem Meeting, wo Cunninghame-Graham (Kommunist, Marxianer, forderte dort Nationalisation aller Produktionsmittel) und Burns bewillkommt wurden[431, lief die Mutter Schack herum und verkaufte „Freedom", das extrem-brüllendste hiesige Anarchistenblatt. Sie offerierte es unter andern aus Versehn auch dem Leßner. Sie scheint aus unbefriedigtem Tatendrang rein verrückt geworden. Reuß hat die „Commonweal" (Morris) verklagt, weil sie ihn als Spion denunziert.1443 Offenbar will die preußische Gesandtschaft hier das in Berlin verlorne Terrain wiedergewinnen. Kann sich aber höllisch schneiden. Mr. Reuß has to go into the witness box3, und mit der perjury4 ist hier nicht zu spaßen, hier hilft kein Puttkamer! Das „Manifest" erscheint englisch, von mir herausgegeben. Ich schicke Dir eins, sobald ich welche habe. Dein F. E,
Apropos, Pfänders Witwe lebt hier im größten Elend. Ich tue, was ich kann, habe ihr eben wieder ein paar £ geschickt. Der Knotenverein1201 gab ein Konzert für sie, Einnahme etwa £ 5. Sie selbst ist krank, ihre Tochter malt, sie machen beide kleine Handarbeiten, aber das ist alles ein Elend. Kann die Partei nicht eine Kleinigkeit vierteljährlich aussetzen? Der Dr. sagt, sie würde den Winter kaum überleben. Sieh, was Du tun kannst, wir müssen auch Witwenpension für unsre Veteranen aussetzen.
8 Reuß muß in den Zeugenstand - 4 dem Meineid
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Engels an Ferdinand Domela Nieuwenhuis in Den Haag
122, Regent's Park Road, N.W. London, 23. Febr. 88
Lieber Freund Nieuwenhuis, Gleich nach Empfang Ihres Briefs teilte ich Kautsky dessen Inhalt mit* und er hat, glaube ich, seitdem alles nach Wunsch besorgt. Von hier aus kann ich Ihnen im ganzen recht gute Nachrichten melden. Die verschiednen sozialistischen Organisationen haben darauf verzichtet, den natürlichen normalen, und daher notwendig etwas langsamen, Entwicklungsgang der englischen Arbeiterklasse mit Gewalt voranzuforcieren, daher weniger Lärm, weniger Prahlerei, aber auch weniger Enttäuschungen. Auch vertragen sie sich untereinander. Dafür, daß die Massen in Bewegung kommen, dafür sorgt die unbegreifliche Dummheit der Regierung und die unerschütterliche Feigheit der liberalen Opposition. Die Trafalgar-SquareAffäre1211 hat nicht nur Leben unter die Arbeiter gebracht; die elende Weise* wie sich die Chefs der Liberalen dabei und nachher benommen, treibt die radikalen Arbeiter mehr und mehr den Sozialisten zu, und um so mehr,..als diese sich grade bei dieser Gelegenheit sehr gut benommen, überall in erster Reihe gestanden haben. Cunninghame-Graham ist erklärter Marxist und hat in dem Meeting vorigen Montag[43] direkt die Beschlagnahme aller Produktionsmittel durch die Nation gefordert. Also auch hier sind wir im Parlament vertreten. Der beste Beweis, wie sehr es hier unter den Arbeitern vorangeht, wird geliefert durch die radikalen Klubs[45] der Arbeiter im East End. Bei diesen wirkte zuerst das Beispiel der New-Yorker Wahlkampagne November 1886[39]; denn was Amerika tut, das wirkt hier mehr, als was der ganze Kontinent von Europa tut. Das New-Yorker Beispiel machte den Leuten Idar, daß die Arbeiter doch am Ende am besten täten, eine eigne Partei zu bilden. Als Avelings zurückkament46], bemächtigten sie sich dieser Stimmung und haben seitdem unter diesen Klubs - den einzigen politischen Arbeiterorganisationen von Bedeutung, die es hier gibt - sehr tätig gewirktAveling sowohl wie seine Frau halten dort wöchentlich mehrmals Vorträge
und haben großen Einfluß dort, sie sind jetzt unter den Arbeitern entschieden die populärsten Redner. Hauptsache ist natürlich Lostrennung der Klubs von der Abhängigkeit von der great Liberal Party1, Vorbereitung einer eignen Arbeiterpartei, und allmähliches Herüberziehn der Leute zum bewußten Sozialismus. Darin hat uns denn, wie gesagt, die Feigheit der liberalen Führer und auch der meisten Londoner liberalen und radikalen Parlamentsmitglieder enorm unterstützt. Die Leute, die seit 3, 4 Jahren als Arbeitervertreter gewählt worden, die Cremer, Howell, Potter etc., sind jetzt schon ganz verschlissen. Würden hier Stichwahlen eingeführt, statt daß, wie jetzt, die relative Mehrheit des ersten Wahlgangs entscheidet, so wäre die Arbeiterpartei in sechs Monaten organisiert; bei dem jetzigen Wahlsystem ist die Herausbildung einer neuen, dritten Partei sehr erschwert. Aber das wird schon kommen, inzwischen können wir uns dabei beruhigen, daß wir vorwärtsmarschieren auf der ganzen Linie. In 8-14 Tagen erscheint eine von mir revidierte englische Ausgabe des „Komm[unistischen] Manifests", ich sende sie Ihnen - es ist hier großes Verlangen danach, das ist auch ein gutes Zeichen. An unserm brillanten Sieg im Berliner Reichstag[32] werden Sie auch Ihre Freude gehabt haben. Bebel hat sich selbst übertroffen. Er war im Herbst bei mir, und ich will wünschen, daß Ihnen das Gefängnis so gut bekommen ist wie ihm; er sagt, er sei immer bedeutend wohler nachher (er ist nervös, und im Gefängnis legt sich seine nervöse Aufregung!). Kommen Sie nächsten Sommer nicht wieder einmal herüber? Mit besten Grüßen. Ihr F. Engels
ar
1 großen Liberalen Partei
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 25. Febr. 1888
Meine liebe Laura, Nachdem ich die letzten Korrekturen des „Manifests" abgeschickt habe, habe ich gerade noch eine halbe Stunde Zeit bis Postschluß, um Dir ein Lebenszeichen zu geben. Ich hoffe, Ihr habt besseres Wetter als wir hier: nichts als scharfe Ostwinde, Frost, Schneeschauer, von einigen Stunden Tauwetter unterbrochen. Sehr ungemütlich bei diesem englischen System von Kaminen, doch schließlich kann dieses Wetter nicht ewig anhalten. Ich habe in der letzten Zeit die „P[all] Mjall] G[azette]w nicht geschickt, weil buchstäblich nichts drin steht. Es ist ein ausschließlich lokales Londoner Blatt und deshalb todlangweilig, wenn in London nichts passiert. Bebel und Singer errangen im Reichstag1 nicht nur in der ersten, sondern auch in der dritten Lesung des Gesetzentwurfs einen brillanten Sieg.t321 Das war genauso wie O'Briens Sieg über Balfour[41] (der durch und durch ein schottischer Puttkamer ist). Die meisten unserer Leute waren vorigen Montag auf dem Meeting, wo C[unninghame]-Graham und Burns bewillkommnet wurden11431; O'Brfien] sprach dort wieder und sehr gut. CunninghameGraham, der bereits zuvor in Glasgow öffentlich erklärt hatte, daß er „absolut und vollständig" auf dem Boden von K.Marx stehe, proklamierte hier wieder die Nationalisation aller Produktionsmittel. Also sind wir auch im britischen Parlament vertreten. Hyndman, den man nicht zum Reden aufgefordert hatte, ließ sich von einigen seiner Leute rufen, nahm von dem Podium Besitz, jedoch nur, um einige anwesende radikale Mitglieder des Parlaments - geladene Gäste - heftig und persönlich anzugreifen, die, nebenbei bemerkt, vorher von anderen genügend über ihre Unzulänglichkeiten zu hören bekommen hatten. Dieser Angriff von Hjyndman] war jedoch so ungerechtfertigt und fehl am Platze, daß er niedergebrüllt wurde. Du wirst gehört haben, daß Reuß Morris wegen Verleumdung verklagt hat, weil er ihn im „Commonweal" als Spion denunziert hat.t44] Offen
1 In der Handschrift deutsch: Reichstag
3 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
sichtlich die Arbeit der Bismarckschen Gesandtschaft. M[orris] war zuerst sehr ängstlich, weil er keine Beweise zur Hand hatte, doch ich glaube, wir haben seitdem genügend Beweise herbeigeschafft, um Puttkamer und Co. eine Niederlage zu bereiten, wenn sie darauf beharren, was ich bezweifle. Ich glaube nicht, daß Reuß es riskiert, in den Zeugenstand zu gehen; Meinciuc amu uui icguiaicu uiiuouicn x uii^-ciiiOuoLauiciii cnauui. Nim möchte, daß ich Dich wieder bitte, Longuet einen Hinweis zu geben, daß er lieber beginnen soll, etwas von dem Geld zurückzuzahlen. Sie scheint in diesem Punkt sehr empfindlich zu sein. Wird es Krieg geben? Wenn ja, dann wird es die größte Dummheit sein, die der Zar2 und die französischen Chauvins3 begehen. Ich habe letztens die militärischen Chancen studiert. Wenn Bismarck sagt, daß Deutschland 21/%-3 Millionen gediente und hinreichend mit Offizieren versehene Truppen stellen kann, ist das eher unter- als übertrieben. Rußland wird in der Tat niemals eine Million auf dem Kriegsschauplatz haben, und Frankreich kann iVaHVa Millionen gediente und hinreichend mit Offizieren versehene Truppen stellen; für mehr werden Offiziere und Unteroffiziere entweder fehlen oder untauglich sein. Also wird Deutschland allein imstande sein, wenigstens eine Zeitlang, einem Angriff von beiden Seiten gleichzeitig Widerstand zu leisten. Der große Vorteil Deutschlands liegt in der größeren Zahl gedienter Leute, besonders von Unteroffizieren und Offizieren. Was die Qualität derLimentruppen betrifft, werden die Franzosen den Deutschen völlig ebenbürtig sein; darüber hinaus ist die deutsche Landwehr^1 ] weitaus besser als die französische Territorialarmee. Die Russen halte ich für schlechter, als sie es sonst waren; sie haben ein System der allgemeinen Wehrpflicht angenommen, für das sie nicht genügend zivilisiert sind und wofür es ihnen zweifellos an guten Offizieren mangelt. Die Korruption herrscht dort wie eh und je - und wird wahrscheinlich auch auf französischer Seite, urteilen wir nach den W^ilsoniaden''161 und anderen Skandalen, eine gewisse Rolle spielen. Jollymeier ist sehr traurig, daß Du ihm noch keine Zeile mit jener Goldfeder geschrieben hast. Tut er Dir nicht leid? Er wird in etwa vier Wochen wieder hier sein, zu Ostern, das in diesem Jahr auf Bismarcks Geburtstag alias Narrentag4 fällt. Das ist auch der richtige Name dafür, nachdem die Menschen seit 1800 Jahren dumm genug sind, solch einen phantastischen Feiertag zu begehen. Mich deucht, ich höre eine gewisse Glocke mich zum Verzehr von - ich
2 Alexander III. - 3 Chauvinisten - 4 1. April
glaube wohl, Kalbskoteletts - rufen. Lebe wohl für heute, und mögen die Hosen Pauls mit ihrer Überlänge auch ihren Geruch sauren Kleisters verlieren - ein Parfüm, das einem alten Manchestermann leider nur zu gut bekannt ist! Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 29. Febr. 88
Lieber Liebknecht, Wenn Ihr Frau Pf [ander] 100M vierteljährlich aussetzt, so will ich dasselbe tun, dann hat sie 40 £ jährlich, und das schützt sie vor äußerster Not. Nach Pf[änders] Tod hatte sie einiges Geld, fing ein Logierhaus an, mußte sich aber auf eine sehr second-rate1 Nachbarschaft beschränken, hatte auch sonst Pech (bekam z. B. einige Päderasten ins Haus, die ausgefunden wurden), kurz, es ging nicht. Dann gab's einen kleinen Laden, da starb die eine Tochter, die allein so einem Geschäftchen vorzustehn verstand, kurz, das Geld schmolz zusammen. Pf[änder]s Bruder, den dieser s.Z. vom Militär losgekauft und fortwährend gehalten, ist in Neu-Ulm, Minnesota, und bestand darauf, sie solle mit ihrer andern Tochter hinkommen. Als sie ankam, sollten sie als „arme Verwandte" behandelt v/erden, Magddienst tun. Frau Pf[änder], rasch entschlossen, kam sofort zurück, sie war kaum 14 Tage dort. Das zehrte ihre letzten Mittel auf. Seitdem ist hier das Mögliche für MO ahgv rtaiigyri ann hier nur ich ^eben und bei de71 vielen andern Ansprüchen nicht das Genügende. Aber, wie gesagt, wenn Dein Vorschlag durchgeht, so ist für das Schlimmste gesorgt. Lange wird's ohnehin nicht dauern. Ich lese „Daily News" morgens, „Evening Standard" und „Pali Mall Gazette" abends, sonntags „Weekly Dispatch". D.h. augenblicklich, das -wechselt manchmal. Wenn aber was Interessantes drinsteht, so schick' ich's an Laura nach Paris und kann das nicht gut ändern. Will aber sehn, was ich Dir schicken kann. Falls Du nicht auf literarische Beiträge mehr siehst als auf die Politik, ist „Weekly Dispatch" jedenfalls besser als „Sat[urday] Rev[iew]". Gehört der Mrs. Ashton Dilke, Redakteur Dr. AI. Hunter, M.P. for2 Aberdeen. Borniert bürgerlich-radikal, aber vollständig für englische Nachrichten, während der Session viel Parlamentsklatsch, sehr gute 1 zweitrangige - 2 Parlamentsmitglied für
Pariser Korrespondenz (Mrs. Crawford von der „Daily News", die hier viel freier sprechen kann). Will Dir's mal schicken. Von der von Dir erwähnten irischen Trikolore habe ich nie gehört. Die irischen Fahnen in Irland und hier sind einfach grün, mit goldner Harfe, ohne Krone drin (im britischen Reichswappen trägt die Harfe eine Krone). Zur Fenierzeit 1865-67 [48] trügen viele grün-orange, um den Orangemen des Nordens[49] zu zeigen, daß man sie nicht kaputtmachen, sondern als Brüder aufnehmen wolle. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr. Für so dumm halte ich Bismarck] doch nicht, daß er glauben sollte, die Russen würden sich dazu hergeben, ihm zur Zermalmung Frankreichs zu helfen. Ewiger Krakeel zwischen Frankreich und Deutschland ist ja ihr Hauptmittel zur Beherrschung Europas, und dazu gehört, daß sie sich die Waage halten. Daß Bismarck] nichts sehnlicher wünscht, als Frankreich wo möglich in die See zu versenken, das ist freilich sicher. Aber das hat gute Wege. Die neuen französischen Befestigungen - die Maas- und Mosellinie, die beiden Festungsgruppen im Norden und im Südosten (Beifort, Besan^on, Lyon, Dijon, Langres, Epinal) und endlich die wunderschönen neuen Fortsgruppen um Paris — haben einen Stock vorgesteckt; wie die Dinge jetzt stehn, kann weder Deutschland Frankreich, noch Frankreich Deutschland kleinkriegen. Und das ist sehr gut. Kommt's zum Schlimmsten, dann gibt's an jener Grenze wahrscheinlich einen stehenden Krieg mit wechselndem Glück, der beiden Armeen Respekt vor dem Gegner einflößt und einen passablen Frieden ermöglicht. Dagegen können die Russen heillose Keile besehn, und das wäre das beste. Eben schneit's wieder - seit 3 Wochen nichts als Schnee, Frost und Ostwind mit ein wenig Tauen dazwischen. Ihr dort scheint auch ein rechtes Sauwetter zu haben. Viele Grüße. Dein F. E.
Kennst Du einen Arbeiter Carl August Nitzer aus Lindenau, der von Leipzig ausgewiesen sein will (nach 3 Monat Untersuchungshaft), dann aber noch 3 Monate für Viereck agitiert haben will und dann entflohn (weshalb er keinen Ausweisungsbefehl vorzeigen könne). Der Bursche war zwei-dreimal bei mir wegen Unterstützung, macht aber den Eindruck eines hartgesottnen Bummlers und Schnorrers.
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 17. März 88
Lieber Herr Schlüter, Mit der Broschüre1231 ist es wieder nichts für den von Ihnen gesetzten Termin. Es tut mir sehr leid, Sie so an der Nase herumgeführt zu haben, aber ich kann nicht dafür. Ich muß den Vorschriften meines Augenarztes genau folgen, wenn ich endlich wieder ins rechte Geleise kommen will, darf nicht mehr als 2 Stunden schreiben, d.h. muß abbrechen, wenn ich eben recht in Zug komme, und kann oft wegen Korrespondenzdrang gar nicht einmal anfangen. Da ist es besser, ich nehme mir die Zeit und mache das Ding ordentlich. Eine Masse nötiges Material ist mir auch erst in diesen Tagen zugekommen und will studiert sein. Kurz, es ist am besten, Sie folgen Ihrer eignen Konvenienz, und wenn ich so weit bin, schreibe ich Ihnen. Lehmann der Jüngere1 schreibt ein abscheulich affektiertes Deutsch. Er hat allen Grund, vor der Halbbildung zu warnen, von der er selbst in seiner konfus liberal-konservativ-manchesterlichen Proklamation1001 ein so abschreckendes Beispiel darstellt. Indes, es ist hart, Kaiser spielen zu müssen, wenn man auf dem letzten Loche pfeift. Jedenfalls, wenn er noch 6 Monate vorhält, wird er etwas Schwanken und Unsicherheit in die Wirtschaft bringen, und das ist alles, was wir brauchen. Sowie der Philister eine Ahnung bekommt, daß die bisherige Wirtschaft nicht ewig dauert und im Gegenteil arg wackelt, ist auch der Anfang vom Ende da. Lehmann I2 war der Schlußstein des Gebäudes, der ist ausgebrochen, und es wird sich bald zeigen, wie morsch der ganze Kram ist. Das kann für uns momentane Erleichtrung bedeuten, aber auch - unter Umständen - momentane Verschlimmerung, oder aber auch Krieg. Jedenfalls kommt wieder Leben in die Bude. Beste Grüße an Ede und Liebknecht, wenn er, wie ich vermute, dort ist.
Ihr F.E.
1 Friedrich III. - 2 Wilhelm I.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
,, . ... T f London, den 19. März 88 Mein lieber Latargue, Ich schicke Ihnen einen „Weekly Dispatch", der Sie über die Ursachen aufklären wird, die „Freund Fritz"1 so hart arbeiten lassen.1511 Bismarck würde zwei Jahre seines Lebens dafür geben, wenn es ihm gelänge, ihn, den Fritz - so weit zu bringen, seine Unfähigkeit zum Regieren zuzugeben. Darum macht man ihm die Hölle heiß, und daher muß Fritz schwitzen. Die Intrige dauert schon lange, es ging darum, den Fritz vor dem Tode des Alten2 völlig auszuschalten; das ist fehlgeschlagen, nun versucht man, ihn mit Arbeit, mit Repräsentationspflichten usw. umzubringen. Alles das muß zu einem offenen Bruch führen, falls Fritz nicht zu früh unterliegt; wenn er sich während des Sommers ein wenig bessert und eine Umbildung der Ministerien vornimmt, haben wir viel gewonnen. Die Hauptsache ist, daß die Stabilität der Innenpolitik erschüttert wird, daß der Philister sein Vertrauen in die Beständigkeit des Bismarckschen Regimes verliert, daß er sich einer Situation gegenübersieht, wo er, der Philister, sich entschließen und handeln muß, statt alles der Regierung zu überlassen. Der alte Wilhelm war der Schlußstein des Gebäudes, der ist ausgebrochen, und das ganze Gebäude droht einzustürzen. Wir brauchen den Fritz noch mindestens sechs Monate, um es noch mehr zu erschüttern; um die Philister und die Beamten hinsichtlich der Zukunft unsicher zu machen; um die Möglichkeit einer anderen Innenpolitik auftauchen zu lassen. Der Fritz ist weich, sogar bei guter Gesundheit hält er sich an die Meinung desjenigen, der das letzte Wort hat, und das ist im allgemeinen seine Frau3. Nur die Intrigen Bismarcks und seines eigenen Sohnes4 werden ihn zwingen, zu handeln. Findet erst einmal ein Frontenwechsel statt, bedeutet es wenig, ob er längere oder kürzere Zeit dauert, Wilhelm II. wird immer unter für uns günstigen Umständen an die Macht kommen. Andererseits wird, wenn der Fritz vorher stirbt, Wilhelm II. nicht mehr Wilhelm I. sein, und wir werden auch eine Wende der bürgerlichen 1 Friedrich III. - 2 Wilhelm I. - 3 Victoria - 4 Wilhelm II.
Meinung erleben. Dieser junge Mann wird gewiß Dummheiten begehen, die man ihm nicht verzeihen wird wie dem Alten. Wenn die Ärzte seinem Vater den Hals abschneiden, könnte er, der Sohn, ein ähnliches Schicksal haben, aber durch andere Hände. Übrigens ist er nicht gelähmt. Der Arm wurde ihm bei der Geburt gebrochen, man hat es nicht gleich gemerkt, und das ist die Ursache für die Atrophie des Arms. Auf alle Fälle ist das Eis gebrochen; die Kontinuität in der Innenpolitik ist gestört, und es wird Bewegung geben statt Stagnation. Das ist alles, was wir brauchen. Der Boulanger ist sicherlich ein wenig Scharlatan, aber das beweist nicht, daß er eine Null ist. Er hat militärische Klugheit bewiesen, die Scharlatanerie kann ihm in der französischen Armee nützlich sein, Napoleon hatte auch eine gute Portion davon. Aber politisch scheint er unfähig zu sein, vielleicht durch übermäßigen Ehrgeiz. Sicher ist, wenn die Franzosen jede Aussicht verlieren wollen, die verlorenen Provinzen zurückzubekommen, so brauchen sie nur den Freunden Boulangers zu folgen und besonders Rochefort, der vollkommen verrückt zu sein scheint. Es bedarf nur eines verlorenen Revanchekrieges, um die Schafsköpfe von Elsässern mit Deutschland auszusöhnen, die Bauern sind Landsknechte, die immer mit Vorliebe in der Armee des Siegers dienen, und die Bourgeois finden ihre Gewinne durch den deutschen Tarif ebenso gesichert wie durch den französischen. Was die Russen angeht, so werden sie sicherlich geschlagen werden, ich habe gerade ihren Feldzug in der Türkei 1877-78 studiert, da kamen auf 98 unfähige 2 einigermaßen gute Generale, die Armee war äußerst schlecht organisiert, mit Offizieren unter jeder Kritik, mit tapferen, an außerordentliche Strapazen gewöhnten Soldaten (sie haben hei minus 10 GradReaumur Furten passiert, in denen ihnen das Wasser bis zur Achselhöhle ging), sehr gehorsamen, aber auch sehr ungeschickten Soldaten für den in unserer Zeit einzig möglichen Kampf des Scharmützels. Ihre Stärke war der Kampf in geschlossenen Reihen, den gibt es nicht mehr, und wer ihn wieder führen will, wird vom Feuer der modernen Waffen hinweggefegt. Aber wenn Boulanger Euch von der Listenwahl[52] befreit, werden wir ihm eine Vendome-Säule[53] errichten, ohne daß er sie sich auf dem Schlachtfeld verdienen mußte. Tussy und Edward fahren Donnerstag auf ihr Schloß in Stratford-onAvon, Kautskys folgen ihnen. Das muß schön sein, eine labourer's cottage5
5 Bauernhütte
bei der Kälte und dem Wind und den zeitweiligen Schneefällen, die wir haben. Wir haben hier den Winter sehr gut überstanden, bis wir vor acht Tagen einen strahlenden und warmen Frühlingstag hatten, dem Eis, Nordostwind und Schnee folgten. Das hat Nim den Mumps, alias Ziegenpeter eingebracht und mir einen grippeartigen Schnupfen, Dinge, die bei diesem Wetter schwer zu kurieren sind. Aber sie belästigen nicht allzusehr. Ich schicke Ihnen inliegend den Scheck über £ 15. Viele Grüße an Laura. Wie geht es Longuet und den Kindern? Nim fragt mich stets nach ihnen, sobald ein Brief aus Paris ankommt.
Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Margaret Harkness in London (Entwurf)
[London, Anfang April 18881
Verehrte Miss H[arkness], Ich danke Ihnen sehr für die Übersendung Ihres „City girl" durch Messrs. Vizetelly. Ich habe es mit dem größten Vergnügen und mit Heißhunger gelesen. Es ist wirklich, wie mein Freund Eichhoff, Ihr Ubersetzer, es nennt, ein kleines Kunstwerk1; er fügt hinzu - was für Sie eine Genugtuung sein wird -, daß infolgedessen seine Ubersetzung nahezu wörtlich sein muß, da jede Auslassung oder versuchte Änderung den Wert des Originals nur beeinträchtigen könnte. Was mich neben seiner realistischen Wahrheit an Ihrem Roman am meisten beeindruckt, ist die Tatsache, daß sich in ihm der Mut des echten Künstlers zeigt. Nicht nur in der Art, wie Sie die Heilsarmee[54] behandeln, dem hochnäsigen Philistertum zum Trotz, das vielleicht aus Ihrem Roman zum erstenmal erfahren wird, warum die Heilsarmee einen solchen Einfluß auf die Volksmassen hat; sondern hauptsächlich in der einfachen, ungeschminkten Weise, in der Sie die alte, alte Geschichte vom Proletariermädchen, das von einem Mann aus dem Bürgertum verführt wurde, zum Angelpunkt des ganzen Buches machen. Mittelmäßigkeit hätte sich verpflichtet gefühlt, die für sie abgedroschene Fabel unter einem Haufen von künstlichen Verwicklungen und Ausschmückungen zu verbergen, und wäre dennoch dem Schicksal, ertappt zu werden, nicht entgangen. Sie fühlten, daß Sie es sich leisten konnten, eine alte Geschichte zu erzählen, weil Sie in der Lage waren, sie zu einer neuen zu machen, indem Sie sie einfach aufrichtig erzählten. Ihr Mr. Arthur Grant ist ein Meisterstück. Wenn ich etwas zu kritisieren habe, so wäre es dies, daß der Roman vielleicht doch nicht realistisch genug ist. Realismus bedeutet, meines Erachtens, außer der Treue des Details die getreue Wiedergabe typischer Charaktere unter typischen Umständen. Nun sind Ihre Charaktere in ihrer
1 In der Handschrift deutsch: ein kleines Kunstwerk
Art typisch genug, aber die Umstände, die sie umgeben und die sie veranlassen zu handeln, sind es vielleicht nicht in gleichem Maße. Im „City girl" erscheint die Arbeiterklasse als eine passive Masse, die unfähig ist, sich selbst zu helfen und nicht einmal danach zu streben versucht, sich selbst zu helfen. Alle Versuche, sie aus ihrem stumpfen Elend herauszuziehen, kommen von außen, von oben. War dies nun eine zutreffende Schilderung um 1800 oder 1810, in den Tagen Saint-Simons und Robert Owens, so kann sie als solche nicht im Jahre 1887 einem Manne erscheinen, der fast 50 Jahre lang die Ehre gehabt hat, an den meisten Kämpfen des streitbaren Proletariats teilzunehmen. Die rebellische Auflehnung der Arbeiterklasse gegen das Milieu der Unterdrückung, das sie umgibt, ihre Versuche - konvulsivisch, halbbewußt oder bewußt -, ihren Status als menschliche Wesen wiederzuerlangen, gehören zur Geschichte und müssen darum auf einen Platz im Bereich des Realismus Anspruch erheben. Ich bin weit davon entfernt, darin einen Fehler zu sehen, daß Sie keinen Roman geschrieben haben, der offen und direkt sozialistisch ist - einen „Tendenzroman", wie wir Deutschen es nennen -, um die sozialen und politischen Anschauungen des Autors zu verherrlichen. Das ist es keineswegs, was ich meine. Je mehr die Ansichten des Autors verborgen bleiben, desto besser für das Kunstwerk. Der Realismus, von dem ich spreche, kann sogar trotz der Ansichten des Autors in Erscheinung treten. Gestatten Sie mir ein Beispiel. Balzac, den ich für einen weit größeren Meister des Realismus halte als alle Zolas passes, presents et a venir2, gibt uns in „La Comedie humaine" eine wunderbar realistische Geschichte der französischen „Gesellschaft", indem er in der Art einer Chronik fast Jahr für Jahr von 1816 bis 1848 die fortschreitenden Einbrüche der aufsteigenden Bourgeoisie in die Gesellschaft der Adligen schildert, die sich nach 1815 rekonstituierte und, soweit sie es vermochte, den Standard der vieille politesse fran?aise3 -wieder herstellte. Er schildert, wie die letzten Überreste dieser für ihn musterhaften Geselllschaft allmählich dem Eindringen des vulgären, reichen Emporkömmlings nachgaben oder von ihm zersetzt wurden; wie die grande dame4, deren eheliche Untreue nur eine Methode darstellte, um sich Geltung zu verschaffen, die mit der Art und Weise, wie sie verheiratet worden war, vollkommen im Einklang stand, der Bürgersfrau Platz machte, die ihrem Ehemann für Geld oder Garderobe Hörner aufsetzte; und um dieses zentrale Bild gruppiert er eine vollständige Geschichte der französi
2 der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - 3 alten französischen Lebensart - 4 große Dame
sehen Gesellschaft, aus der ich, sogar in den ökonomischen Einzelheiten (zum Beispiel der Neuordnung des beweglichen und unbeweglichen Eigentums nach der Revolution), mehr gelernt habe als von allen berufsmäßigen Historikern, Ökonomen und Statistikern dieser Zeit zusammengenommen. Gewiß, Balzac war politisch ein Legitimist[55]; sein großes Werk ist ein ständiges Klagelied über den unaufhaltsamen Verfall der guten Gesellschaft; all seine Sympathien gehören der Klasse, die zum Untergang verurteilt ist. Aber trotz alledem ist seine Satire niemals schärfer, seine Ironie niemals bitterer, als dann, wenn er eben die Männer und Frauen in Bewegung setzt, mit denen er zutiefst sympathisiert - die Adligen. Und die einzigen Leute, von denen er immer mit unverhohlener Bewunderung spricht, sind seine schärfsten politischen Gegner, die republikanischen Helden vom Cloitre Saint-Mery[56], die Männer, die zu dieser Zeit (1830 bis 1836) in der Tat die Vertreter der Volksmassen waren. Daß Balzac so gezwungen war, gegen seine eigenen Klassensympathien und politischen Vorurteile zu handeln, daß er die Notwendigkeit des Untergangs seiner geliebten Adligen sah und sie als Menschen schilderte, die kein besserem Schicksal verdienen; und daß er die wirklichen Menschen der Zukunft dort sah, wo sie damals allein zu finden waren - das betrachte ich als einen der größten Triumphe des Realismus und als einen der großartigsten Züge des alten Balzac. Ich muß zu Ihrer Verteidigung zugeben, daß nirgends in der zivilisierten Welt die Arbeiterschaft weniger aktiv Widerstand leistet, passiver sich dem Schicksal ergibt, mehr hebetes5 ist als im Londoner East End. Und wie kann ich wissen, ob Sie nicht sehr gute Gründe hatten, sich diesmal mit einem Di ld der passiven Seite des Lebens der Arbeiterklasse zu begnügen, während Sie die aktive Seite einem anderen Werk vorbehielten?
Aus dem Englischen.
6 abgestumpft
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
... ... T London, 10. April 88 Meine hebe Laura, Schorlemmer ist gestern nach Manchester zurückgefahren, daher kann ich mich heute hinsetzen und einige Zeilen schreiben, das heißt, wenn Edward und Tussy, die von ihrem Schloß zurückkehren und etwa gegen 5 hier sein werden, nicht zu früh eintreffen. Zuallererst muß ich Paul zu seinen glänzenden etymologischen Entdeckungen gratulieren, die wirklich erstaunlich sind.1571 Daß eine große Anzahl französischer Wörter, die wir vom lateinischen bos1 abzuleiten gewohnt waren, vom griechischen boüs1 abstammen, ist schon etwas. Aber daß bouillon von boüs kommt und nicht von bullire für kochen, ist eine große Entdeckung, und es ist nur schade, daß Paul dies nicht noch ein wenig weiter verfolgt hat. Somit ist ßoa-strapaf58] offensichtlich gleichen Ursprungs und ßuo-naparte (für ßou-naparte) ebenfalls; und da der Bonapartismus auf diese Weise mit dem Ochsen verbunden ist, muß ßoa-langer2 von boüs abgeleitet werden und dann auch sein englisches äquivalent Baker2, was ein völlig neues Licht auf das Abenteuer von Oberst Baker im Eisenbahnwagen wirft: wie konnte er anders handeln, als sich auf Europa-Robinson zu stürzen, da er von boüs Jupiter abstammt1595? Überdies kann kein Zweifel bestehen, daß in moa-tarde3 das m statt eines ursprünglichen b steht, und somit ist seine Ableitung von boüs gesichert - welch grelles Licht wirft dies auf die Tatsache, daß Senf nur zu Rindfleisch und nicht zu Hammelfleisch gegessen wird! Ein weiterer großer Fortschritt ist, das Sanskrit auf demselben Niveau zu behandeln wie die Schädellehre und des linguistes dAllemagne et d'Angleterre4 entdeckt zu haben, die erklären, daß le finnois offre plus d'analogie avec les idiomes aryens que le sanscrit5. Ich habe nur von einigen gehört, die sich, da sie den arischen Nationen einen europäischen Ursprung zuschreiben statt eines asiatischen, in die unangenehme Lage versetzt sehen, einen finnischen Ursprung der arischen Sprachen akzeptieren zu müssen, ohne bisher imstande zu sein, auch nur die geringste Spur einer Verbindung 1 Ochse - 2 Bäcker - 3 Senf — 4 deutsche und englische Sprachwissenschaftler - 5 das Finnische mehr Analogien mit den arischen Idiomen aufweist als das Sanskrit
zwischen den beiden nachzuweisen. Wenn Paul versucht hätte, das Französische vom Japanischen abzuleiten statt vom Griechischen, hätte er das getan, was nach seiner Behauptung diese armen Teufel von Deutschen und Engländern getan haben. Sie sind ohnehin schlimm genug dran. Sie sind zweit- und drittrangige Epigonen - das heißt die Deutschen, einige sind sogar Böhmen -3 die der Sensation wegen eine paradoxe Theorie aufgestellt haben - oder vielmehr (durch eine Reihe von Fehlern) darauf hingelenkt worden sind -, eine Theorie, die sie in eine Sackgasse geführt hat; die Engländer haben die Sache als Mode aufgefaßt, wie das von Anfängern, die sich als Meister ausgeben wollen, zu erwarten war - sie haben ihren Unsinn auf dem letzten Meeting der British Associationte01 ganz en famille erörtert, aber das, was Paul ihnen zuschreibt - die Entdeckung einer Verbindung zwischen dem Arischen und Finnischen, eine Verbindung, die sogar enger sei, als die der anderen arischen Sprachen mit dem Sanskrit, ihrer Schwestersprache -, ist etwas, wonach sie noch lechzen, und es ist zu hoffen, daß sie nicht die „Nouvelle Revue" lesen, sonst würden sie tatsächlich erfahren wollen, wer dieser Fergus ist, der den Zauberstab besitzt, Arisch in Finnisch zu verwandeln und umgekehrt. Aber falls sie dahinterkommen, kann Fergus auf seinen irischen Namen verweisen zur Rechtfertigung seiner irischen Bulls6 oder boüs. Aber Scherz ä part7, die Artikel sind sehr gut, und was kümmert es die Pariser, qui s'en fichent8, ob Fergus ihnen einige Ungereimtheiten auf dem Gebiete der Etymologie serviert. Es ist viel wichtiger, daß sie etwas über ihre eigene Sprache erfahren, und das finden sie hier. Nur halte ich es nicht für notwendig, daß sich ein Autor zum Vergnügen der Pariser durch solche Behauptungen bloßstellt. Aber schließlich neigen wir alle dazu, mit dem am meisten zu prahlen, wovon wir am wenigsten wissen; jedenfalls weiß ich das von mir. 11. April. Es kam genau, wie ich erwartet hatte. Die beiden hungrigen Seelen trafen genau in dem Augenblick ein, als ich die vorhergehende Seite beendet hatte, und brachten Eier, Butter, Schweinefleisch-Pastete und Würstchen von ihrem wirklich ländlichen Zufluchtsort und guten Appetit mit. Heute war mein amerikanischer Posttag, und jetzt versuche ich, diesen Brief zu beenden. In Frankreich scheinen mir die Dinge sehr gut zu stehen. Der Boulangismus ist die gerechte und verdiente Strafe für die Feigheit aller Parteien angesichts dieses bürgerlichen Chauvinismus, der sich einbildet, er könne 9 Wortspiel: bull heißt im Englischen sowohl Bulle als auch Ungereimtheit, Unsinn - 7 beiseite - 8 denen es einerlei ist
die Uhr der Weltgeschichte zum Stehen bringen, bis Frankreich das Elsaß zurückerobert hat. Zum Glück beweist Boulanger selbst immer mehr, daß er ein politischer Esel ist, der, meiner Meinung nach, sich selbst gefährlicher ist als irgend jemand anderem. Un homme qui a son plan comme Trochu9, kann sich begraben lassen10. Übrigens werden die Opportunisten^1' mehr und mehr worn out, verschlissen11, und gedrängt, wieder auf die Allianz mit den Monarchisten zurückzugreifen, d.h. auf den politischen Selbstmord. Der große Fortschritt in der öffentlichen Meinung Frankreichs ist der, daß die Republik als die einzig mögliche Regierungsform anerkannt ist, daß die Monarchie gleichbedeutend ist mit Bürgerkrieg und äußerem Krieg. Die Tätigkeit der Opportunisten (neben ihrer flagranten Korruption) treibt die öffentliche Meinung immer mehr nach links und zwingt zur Nominierung immer radikalerer Regierungen. Alles dies in strenger Harmonie mit der allgemeinen Entwicklung seit 1875. Wir können uns nichts mehr wünschen, als daß dies andauert, und wenn Boulanger diese Bewegung unbeabsichtigt unterstützt um so besser. Der gesunde Menschenverstand der Franzosen, ihnen selbst unbewußt - das notwendige logische Erbe einer großen, unbewußt logischen Geschichte -, wird sich, wie ich hoffe, stärker erweisen als all der Unsinn* den sie bewußt und absichtlich anrichten. Der deutsche Philister überzeugt sich mehr und mehr davon, daß mit. dem alten Wilhelm12 der clef de voüte13 des jetzigen Systems ausgebrochen ist, und daß das ganze voüte14 allmählich folgt. Ich hoffe nur, daß Bismarck nicht davongejagt wird, bloß um im Triumph wieder einzuziehen. Dann sollte er lieber bleiben. Was für ein Narr dieser Rochefort ist! Zitiert katholische Münchener Zeitungen, um zu beweisen, die Deutschen warteten nur darauf, daß die Franzosen wieder in Deutschland einmarschieren, damit sie sich ihnen anschließen können, Bismarck absetzen und die französische Herrschaft in Deutschland wiederherstellen! Kann dieser Idiot nicht sehen, daß Bismarck durch nichts mehr gestärkt würde, als durch solch einen französischen Versuch, Deutschland zu „befreien", und daß wir die Absicht haben, unsere inneren Angelegenheiten selber zu regeln! Immer De n F. Engels - den die Glocke zum Mittagessen ruft. Aus dem Englischen.
9 Ein Mann, der seinen Plan hat wie Trochu-10 in der Handschrift deutsch: kann sich begraben, lassen -X1in der Handschrift deutsch: verschlissen-12 Wilhelm I.-13 Schlußstein-14 Gebäude
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
London, 11. April 88
Werte Frau Wischnewetzky, Ihr Verlangen nach dem Ms.1 kommt sehr plötzlich, und ich fürchte, Ihnen nicht dienen zu können. Ich darf täglich nur zwei Stunden schreiben, nicht mehr; habe eine ausgedehnte Korrespondenz zu besorgen; fühle mich am Ende der zwei Stunden gerade erst warm im Geschirr, und dann, gerade dann, muß ich aufhören. Unter diesen Umständen bin ich wirklich nicht imstande, articles de saison2 auf Bestellung zu machen, noch dazu für einen "fernen Markt, und ich kann nicht sehen, wie ich die Broschüre3 im Ms. zum 15. Mai fertig haben, viel weniger noch, wie sie um diese Zeit in New York fertig gedruckt sein soll. Immerhin werde ich mich sofort daranmachen, nachdem ich dringende Briefe besorgt, und mein Bestes tun. Ich unterbreche ein wichtiges Stück Arbeit4 absichtlich, um diese Sache zu erledigen. Übrigens brauchen Sie, meiner Meinung nach, den Verlust einer passenden Gelegenheit nicht zu befürchten. Die Freihandelsfrage wird vom amerikanischen Horizont nicht verschwinden, bis sie erledigt ist. Ich bin sicher, daß der Schutzzoll seine Aufgabe für die Vereinigten Staaten erfüllt hat und jetzt ein Hindernis bildet, und was auch mit der Mills-Bill[oiil geschehen mag, der Kampf wird nicht enden, bevor entweder der Freihandel die Fabrikanten der Vereinigten Staaten in den Stand setzt, die Führung auf dem Weltmarkt zu übernehmen, zu der sie in vielen Handelszweigen berechtigt sind - oder bis beide, Schutzzöllner und Freihändler, beiseite geschoben werden von denen, die hinter ihnen stehen. Ökonomische Tatsachen sind stärker als Politik, ganz besonders, wenn die Politik so sehr mit Korruption durchsetzt ist wie in Amerika. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn in den nächsten Jahren eine Gruppe amerikanischer Fabrikantan nach der anderen zu den Freihändlern überginge - wenn sie ihre Interessen erkennen, so müssen sie. 1 „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' .Rede über die Frage des Freihandels'" - 2 aktuelle Artikel - 3 Karl Marx: „Rede über die Frage des Freihandels" - 4 den dritten Band des „Kapitals"
Besten Dank für die offiziellen Schriftstücke1631 - ich denke, sie sind gerade das, was ich brauche. Ich freue mich über Ihren Erfolg gegen das Exekutivkomitee, soweit man davon reden kann - aus dem „Wochenblatt der [N.Y.] Volksz[eitung]" vom 3I.März ersehe ich, daß es noch nicht nachgeben will —, jedenfalls erkennen Sie daran, welchen Vorteil es bietet, an Ort und Stelle zu sein. Das schwächliche, widerstandslose Verhalten, das sich sogleich gegen die Avelings richtete1461, weil sie abwesend waren, konnten Sie zu Ihren Gunsten wenden, weil Sie nicht abwesend waren, und daher ist die Feindseligkeit gegen Sie reduziert auf bloßen lokalen Klatsch5, den Sie sicherlich mit Ausdauer überwinden und unterkriegen werden1641. Ich war sehr erfreut zu erfahren, daß Sorges sich in ihrem alten Quartier wieder wohler fühlen. Ich hoffe, es bleibt so. Der alte Sorge konnte ebensowenig in einem Nest wie Rochester leben wie ich in Krähwinkel6 oder seinen Lancashire-Äquivalenten Chowbent oder Bullocksmithy. Ich sende Ihnen hiermit die Briefe des Aufsichtsrats zurück. In Eile Ihr aufrichtiger F. Engels
Aus dem Englischen.
® in der Handschrift deutsch: Klatsch - 6 in der Handschrift deutsch: Krähwinkel
4 Marz/Engels. Werke, Bd. 37
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Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
London, 12. April 88
Lieber Bebel, Seit Deinem Brief vom 8. März habe ich mir den Verlauf etwas ansehn wöllen[65]; die Dinge scheinen sich jetzt soweit zu klären, daß man allmählich ein Urteil fällen kann. Eure Politik, zu sagen: es bleibt alles beim alten, ist taktisch, für die Massenverwendung, ganz richtig; aber meiner Ansicht nach erschöpft sie die geschichtliche Lage keineswegs. Fritz's Proklamationen1501 kennzeichnen ihn als eine äußerste Mittelmäßigkeit an Verstand. Wer nach soviel Jahren Kronprinzentum nichts andres vorzuschlagen hat als kleine individuelle Steuerausstreichungen und militärisch die Abschaffung des 3. Glieds, das ganz bedeutungslos, weil in der Gefechtsordnung längst abgeschafft, der wird die Welt nicht aus den Angeln heben. Die Klage über die böse Halbbildung ist bekanntlich Monopol grade der Halbgebildeten selbst - wie Figura zeigt. Soviel über den Verstand. Den Charakter muß man - des Gesundheitsstands wegen - äußerst nachsichti® beurteilen, ^^enn man '•eden Augenblick riskiert- VATI /^PTl Ärzten zur Halsabschneidung verurteilt zu werden, ist man dispensiert von irgendwelchem Aufwand an Energie; nur im Fall der Besserung wäre so etwas am Platz. Es ist daher begreiflich, daß Bismarck und Puttkamer freiere Hand im Innern haben als je vorher. Darum ist aber doch nicht alles beim alten. Mit Wilhelm1 ist der Schlußstein des Gebäudes ausgebrochen, und die Wackelei macht sich stark fühlbar. Die innere Politik zeigt ein krampfhaftes Anklammern Bismarck und Co's an ihre Stellung. Die Eure ist nicht dieselbe geblieben, sie ist verschlimmert, grade weil Bism[arck] beweisen will, daß alles beim alten. Der demonstrative Ausschluß der Sozialdemokraten] von der Amnestie, die massenhaften Haussuchungen und Verfolgungen, die krampfhaften Anstrengungen, den „Soz[ial]d[emokrat]" in der Schweiz totzumachen[66] —
alles das beweist, daß Bismarck] und Co. den Boden wanken fühlen, ebensosehr wie die Anstrengungen der Karteller[671, dem Fritz beizubringen, was ein Monarch ist. Echt monarchisch: in allen politischen Fragen wird klein beigegeben, aber eine Hofintrige bringt den Konflikt an den Tag. Die Sache ist rein lächerlich: nach Bismarck hat der Zar2 das Recht, dem Battenberg das Heiraten zu verbieten, und nach Fritz und Victoria sollen in diesem Spezialfall auf einmal alle die unergründlichen tiefen Staatsmaximen abgeschafft sein, nach denen sie ihr Leben lang sich gerichtet!1681 Bei dem hülflosen Zustand des Fritz wird er wohl auch hier nachgeben müssen - es sei denn, daß er sich bessert und wirklich eine Ministerkrisis durchmachen kann. Es ist gar nicht in unserm Interesse, daß Bismarck grollend abzieht, um nach 4 Wochen im Triumph und vergöttert vom Kartellphilister wieder einzuziehn. Wir können uns schon damit begnügen, daß der Kartellphilister an der Beständigkeit des Bismarckschen Regimes überhaupt irre wird. Und diese Beständigkeit wird nicht wiederhergestellt, solange Fritz lebt. Da über die Natur der Krankheit absolut nichts mehr veröffentlicht wird, auch Waldeyers Bericht nicht, der, wenn günstig, doch sofort veröffentlicht wäre, so ist wohl kein Zweifel mehr daran, daß Krebs vorliegt. Und da beweisen wieder unsre Fortschrittsmänner1691, was für Kerle sie sind. Virchow, der grade als Mediziner - und schon früher konsultierter — jetzt am Platz sein müßte, gräbt Altertümer in Ägypten! Er will wohl offiziell gerufen sein! Es gibt kein empire ohne empereur3, keinen Bonapartismus ohne Bonaparte. Das System ist auf den Mann zugeschnitten, steht und fällt mit ihm. Unser Bonaparte hatte drei Köpfe wie der alte slawisch-pommersche Götze Triglav; der mittelste Kopf ist fort, von den andern beiden ist Moltke auch überreif, und Bismarck wackelt. Mit der Victoria wird er nicht fertig, die hat von ihrer Mutter4 gelernt, wie man Minister, auch allmächtige, behandelt. Die alte Sicherheit ist hin. Die Unsicherheit des Bodens wird sich auch in der Politik zeigen; nach außen Böcke, nach innen ruckweise Gewaltstreiche. Und sie wird sich zeigen in dem Irrewerden des Philisters an seinem eignen Götzen, an der erschlaffenden Schneid und Diensteifrigkeit der Beamten, die an die Möglichkeit einer Änderung und an ihre dann veränderte Zukunft denken. Alles das, wenn, wie wahrscheinlich, Bismarck] bleibt. Wird Fritz aber besser und B[ismarck]s Stellung gerät ernstlich in
2 Alexander III. - 3 Kaiserreich ohne Kaiser - 4 Victoria, Königin von England
4*
Gefahr, dann, behauptet Lenchen, wird auf Fritz geschossen werden. Das konnte sogar schon kommen, wenn nur Puttkfamer] und seine IhringNaporras in Gefahr kämen. Jedenfalls also ein Interregnum, mit sehnsüchtiger Hoffnung des Bismarck] auf Fritzens Abfahrt und des neuen Wilhelms5 Einfahrt. Dann aber ist's erst recht nicht mehr beim alten. Dann wird's toll. Unser Bonapartismus ist jetzt etwa bei seiner mexikanischen Periode1705 angekommen. Wenn der kommt, so kommt unser 1866 und bald 1870; d.h. von Innen, ein inneres Sedan[71]. Meinetwegen! In Frankreich ganz logische Fortentwicklung: die Rechtsrepublikaner gedrängt zur Allianz mit den Monarchisten, woran sie kaputtgehn, die möglichen Ministerien müssen immer weiter links gebildet werden. Boulanger ist politisch offenbar kopflos, wird sich in der Kammer wohl bald ruinieren. Der französische Provinzialphilister hat nur einen Glaubensartikel: Die Republik ist unentbehrlich, die Monarchie, das ist der Bürgerkrieg und der äußere Krieg. Den Schein über die 100 M von Frau Pf[änder] mit meinem nächsten; ich vergaß, ihn mir geben zu lassen. Einstweilen besten Dank für die Gabe; ich will das meinige tun, die Frau obenzuhalten, werde mir aber erlauben, nochmals bei Euch vorzusprechen. Beste Grüße an Deine Frau und Tochter und Singer. Dein F.E.
5 Wilhelm II.
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 16. April 88
Lieber Liebknecht, Ich war eben dran, Dir auf Deinen Brief vom 4. zu antworten, als Dein zweiter mit Einlage für K. Kfautsky] ankam und mich belehrte, daß meine Antworten nicht minder wie Deine Fragen bereits einer vergangnen Periode angehören. Ich will Dir nur noch sagen, wie das mit dem Zirkular der Sozialdemokratischen Föderation zusammenhängt.[72] 1. Die Sozialdemokratische Föderation1731 geriert sich noch immer als einzige sozialistische Organisation Englands und einzig berechtigt, im Namen der Gesamtbewegung hier zu handeln und zu sprechen. Also mußte jetzt, bei der Kongreßvorbereitung, diese Stellung betont werden. Um so mehr, als die Socialist League1741 in ihrer jetzigen Form wohl bald einschlafen wird, und die Sozialdemokratische Föderation die disjecta membra1 absorbieren möchte. Das wird aber glücklicherweise nicht gelingen, denn dann finge der alte Personenkrakeel sofort wieder an. 2. Die Sozialdemokratische Föderation steht in engstem Kartell mit den Possibilisten1171 in Paris, und da diese wieder in Kartell mit Broadhurst & Co.1751 stehn, muß die Sozialdemokratische Föderation lavieren. Dieser zweite Grund ist der entscheidende. Hyndman & Co. haben sich so tief mit den Possibilisten hineingeritten, daß sie nicht wieder zurück können, selbst wenn sie wollten. Meine Meinung über die ganze Kongreßgeschichte? Ich kann kaum eine haben, da ich gar nicht weiß, was verhandelt worden ist und ohnehin die Ansichten auch bei Dir kaleidoskopisch wechseln. Ich halte im allgemeinen alle solche Kongresse, wenn man seines Erfolgs nicht von vornherein absolut sicher ist, für sehr riskiert und, wenn nicht etwas Bestimmtes und Erreichbares zu tun vorliegt, für ziemlich überflüssig. Die Kleinen, namentlich die Belgier, führen das große Wort, und da das auswärtige
1 zerstreuten Glieder
Departement in Belgien nicht von den Flamändern, sondern von der alten Brüsseler Clique - Familie Brismee[761 - verwaltet wird, ist's immer dieselbe alte Sauce. Euren Kongreß aber 8 Tage nach dem der Trades Unions hier halten zu wollen^771, wäre reiner Ruin. Die Gelder wären verzehrt, die Leute liefen Euch auseinander, und Ihr wärt rettungslos in die Hände der Londoner Macher geliefert - ad majorem gloriam Hyndmanni2! Daß die Franzosen - einerlei welcher Sorte - einen zum Jubiläum der Französischen Revolution von 1789 und ä propos der Pariser Ausstellung berufnen Kongreß in Genf abhalten sollten, werdet Ihr ihnen sicher nicht beibringen. Wenn also Euer Kongreß auch nicht zustande kommt, so ist das nach meiner Ansicht kein Weltunglück. Ohnehin ist die Tagesordnung unnötig beschränkt. Auf einen von unsrer Reichstagsfraktion berufnen Kongreß kommen doch nur Sozialisten und Anarchisten, keine bloßen TradesUnionisten. Die Anarchisten hätte ein sozialdemokratischer-Kongreß an die Luft setzen können, ein allgemeiner Arbeiterkongreß kann's nicht, und sie sind imstand, sich sehr mausig zu machen. Fritz3 muß sich sehr eilen, besser zu werden - mit seiner Gesundheit; sonst wächst ihm Bismarck ganz über den Kopf. Ich hoffe, Bismarck] treibt's zu toll, fliegt, es wird aufgelöst und neugewählt, unter irgendwelchem Interimsministerium. Das würde ein schönes desillusionnernent für den Philister geben. Aber freilich, wenn man tagtäglich zu ärztlicher Halsabschneidung verdonnert werden kann, hat man schwerlich Schneid für ernstlichen Kampf. Und daß Bismarck] sich wehrt mit Krallen und Zähnen, zeigt er schon jetzt. Beste Grüße. Dein F.E.
Was wir Dir Samstag schickten, ist wohl was Du wünschest? Sonst verstehn wir Dich nicht. Das Deutsch ist von Eccarius.
2 zur größeren Ehre Hyndmans - 3 Friedrich III.
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevent
122, Regent's Park Road London, 20. April 1888
Lieber Freund, Ich freue mich, daß sich eine neue Aussicht für Sie aufzutun scheint, und hoffe, daß es Ihnen gelingen wird, sich für das Examen vorzubereiten. Leider bin ich nicht imstande, Ihnen Bücher anzugeben, aus denen Sie sich dafür unterrichten könnten. Deutsche Bücher würden für ein italienisches Examen einerseits zuviel, andrerseits zuwenig geben; außerdem kenne ich die neueren kurzen Kompendien nicht. Und italienische Bücher für Ihren Zweck kenne ich erst recht nicht; ich könnte Ihnen höchstens Carlo Botta, „Storia dei Popoli d'Italia" empfehlen, welches mit Constantinus Magnus, zirka 300 unsrer Zeitrechnung anfängt. Vielleicht auch Pietro Colletta, „Storia del Reame di Napoli", 1735-1825 umfassend, ein klassisches Buch. Wahrscheinlich aber werden Ihnen die dort gebräuchlichen Schulbücher der mittleren Lehranstalten (entsprechend den französischen Lycees und Colleges, unsern Gymnasien) am meisten nützen, weil doch die meisten Kandidaten für archivalische Amter Schüler dieser Anstalten gewesen sein werden und daher die Examinatoren sich nach dem Lehrplan jener Schulen werden richten müssen. Da es Ihnen aber unmöglich sein wird, sich in Ihrer jetzigen bedrängten Lage solche Bücher anzuschaffen, so halte ich es für meine Pflicht, Ihnen meinen Beistand dazu anzubieten. Ich habe mir also die Freiheit genommen, die inliegende Postanweisung über vier Pfund Sterling, gleich fr. 100 80 centesimi, auf Ihren Namen aufzunehmen, und hoffe, Sie werden mir nicht zürnen, daß ich Ihnen diese kleine Summe, ohne vorher Ihre Erlaubnis einzuholen, übersende. Ich wünsche nur, daß sie hinreicht, damit Sie sich die nötigen Hülfsmittel anschaffen und das Examen glücklich bestehn. Die Ausweisung unsrer Züricher Freunde aus der Schweiz1661 werden Sie gelesen haben.
Die Übersetzung werde ich dieser Tage - sobald eine wichtige Arbeit für Amerika1 fertig - durchsehn und zurückschicken.1281 Es macht mir weniger Arbeit, wenn ich eine Reihe Nummern auf einmal durchnehme. Mit freundschaftlichem Gruß. Ihr 17 17 - I r. angeis
Mein Vorname ist bei der Post in englischer Form angegeben worden: „Frederick".
1 „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' .Rede über die Frage des Freihandels'"
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
[London, um den 29. April 1888]
Lieber Liebknecht, Nebenstehendes heut morgen erhalten.[78] Es ist gut, daß Fritz1 etwas besser ist. Wenn der junge Wilhelm2 drankommt, grade jetzt, so würde er und Bismarck] - wenn nicht alle Zeichen trügen - Rußland abfinden, um Erlaubnis zu einem Krieg gegen Frankreich zu bekommen. Es scheinen schon jetzt gewisse eventuelle Abmachungen abgeschlossen. Dadurch, und dadurch allein, würde Boulanger eine Gefahr, für Frankreich wie für Deutschland. Die Franzosen würden geschlagen, aber der Krieg würde langwierig infolge der starken französischen Befestigungen, und andre Leute würden sich einmischen. Wahrscheinlich Ostreich und Italien gegen Deutschland, denn Rußlands Erlaubnis zu dergleichen ist nicht zu haben, ohne daß beide den Russen geopfert werden. Das hieße also, daß Bismarck den Russen Konstantinopel erobern hilft, und das hieße den Weltkrieg unter Bedingungen, wo wir ganz sicher schließlich unterliegen: im Bunde mit Rußland gegen die Welt! Ich hoffe, diese Gefahr geht vorüber. Dein F.E.
1 Friedrich III. -2 Sohn Friedrichs III. (Wilhelm II.)
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
London, 2. Mai 1888
Werte Frau Wischnewetzky, Mit gleicher Post sende ich Ihnen eingeschrieben das Ms.1, d.h. die Abschrift, die Frau Aveling davon gemacht hat, als sie feststellte, daß bei Ihrer engen Handschrift und dem Fehlen eines Randes die vorgeschlagenen Änderungen unmöglich mit Bleistift leserlich eingesetzt werden konnten. Es waren eine ganze Reihe, was sich aus der Tatsache erklärt, daß Sie nach einer deutschen Übersetzung übersetzt haben und wir das Original zum Arbeiten hatten. Viele Änderungen haben daher nur den Zweck, den englischen Text dem französischen Original mehr anzunähern. Bei anderen habe ich mir mehr Freiheiten erlaubt um der Klarheit willen. Das Vorwort2 ist im Rohentwurf nahezu fertig, da Sie aber eine deutsche Übersetzung brauchen, werde ich es deshalb etwas länger behalten müssen. Jedoch werde ich mich so sehr beeilen, wie es mir die beiden Stunden am Tage erlauben - mein Arzt hat mich vorige Woche wieder verpflichtet, mich streng danach zu richten. Bitte, sagen Sie Sorge, daß den jetzigen Vorbereitungen gemäß der „Sozialdemokrat" nach London verlegt wird.[6S3 Es wird aber gut sein, dies einstweilen nicht an die große Glocke zu hängen; wenn unsere Freunde es besprochen und in die neuigkeitslüsterne Presse gebracht zu sehen wünschen, werden sie das ohne Zweifel selbst arrangieren. Ich werde hier beinahe ebensosehr boykottiert wie Sie in New York. Die verschiedenen hiesigen sozialistischen Cliquen sind unzufrieden wegen meiner absoluten Neutralität ihnen gegenüber, und da sie in diesem Punkte alle übereinstimmen, zahlen sie mir das heim durch Totschweigen meiner Schriften. Weder „Our Corner" (Mrs.Besant) noch „To-Day", noch der „Christian Socialist" (von letzterer Monatsschrift kann ich es übrigens nicht bestimmt sagen) haben die „Lage der arbeitenden Klasse" erwähnt,
1 Karl Marx: „Rede über die Frage des Freihandels" - 2 „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx* ,Rede über die Frage des Freihandels'"
obgleich ich ihnen selbst Exemplare zuschickte. Ich habe das erwartet, wollte Ihnen aber nichts davon sagen, bevor ich den Beweis dafür hatte. Ich nehme es ihnen nicht übel, denn ich habe sie schwer beleidigt durch meine Bemerkung, daß bis jetzt hier keine "wirkliche Arbeiterklassenbewegung bestehe und daß, sobald eine entstehe, all die großen Männer und Frauen, die sich jetzt als Offiziere einer Armee ohne Soldaten so wichtig tun, auf ihr Niveau verwiesen werden, und zwar auf ein viel niedrigeres, als sie erwarten.179 ] Aber wenn sie glauben, daß ihre Nadelstiche mein altes, wohlgegerbtes und dickhäutiges Fell durchdringen können, so irren sie sich.
Ihr sehr aufrichtiger F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 9. Mai 88
Meine liebe Laura, Ich habe soeben, nach vielen Unterbrechungen, ein längeres Vorwort1 zur englischen Ausgabe von Möhrs Rede über den Freihandel (Brüssel 1848) beendet, das in New York herauskommen soll, und da dies das letzte Stück Arbeit war, das innerhalb einer festgesetzten Frist getan werden mußte, mache ich Gebrauch von meiner wiedererlangten Freiheit, um Dir sofort zu schreiben. Und ich habe auch eine ziemlich wichtige Angelegenheit, über die ich Dir schreiben muß, nämlich — daß wir Dich hier in London brauchen. Wie ich von Schorlemmer höre, hast Du in Deinem Garten etwas Waldmeister2 angebaut, und da es uns völlig unmöglich sein wird, hinüberzukommen und ihn dort zu verbrauchen, so bleibt nichts anderes übrig, als daß Du hierherkommst und ihn mitbringst; die anderen Zutaten sollen rechtzeitig und schnell gefunden werden. Das Wetter ist prächtig, am Sonnabend, dem Geburtstag von Mohr, gingen Nim und ich nach Highgate, und heute waren wir in Hampstead Heath; ich habe beim Schreiben beide Fenster geöffnet. Und wenn Du dann kommst, was, so hoffe ich, nächste Woche geschehen wird, werden wir Flieder und Goldregen zu Deinem Empfang bereithalten. Wenn Du nur antwortest, daß Du kommen willst, je me charge du reste3. Außerdem wirst Du bis dahin Euer Landhaus iiilu den Garten in einen so vor treffl hen Zustand versetzt haben, daß Du sie der Obhut Pauls überlassen kannst, der schon ein vollendeter Gärtner geworden sein muß. Nim sehnt sich seit einiger Zeit nach Lohr, und gewiß solltest Du bei Edwards großem dramatischen Triumph am 5. Juni zugegen sein, wenn seine Dramatisierung von N.Hawthornes „Scarlet Letter" auf einer matinee zum erstenmal aufgeführt wird. Und ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß ich, genau wie alle anderen, Dich hier haben möchte.
1 „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx* .Rede über die Frage des Freihandels'" - 2 in der Handschrift deutsch: Waldmeister - 3 kümmere ich mich um das Weitere
Außerdem gibt es für Dein Kommen so viele andere Gründe, daß ich von ihrer Aufzählung hier Abstand nehmen muß, aus Angst, ich könnte die Post verpassen und Dich durch Langeweile töten. Also entschließe Dich sofort, und sage zu. Von Edwards bemerkenswerten bisherigen Erfolgen auf dramatischem Gebiet wirst Du gehört haben. Er hat ungefähr ein halbes Dutzend oder mehr Stücke verkauft, die er in aller Stille fabrizierte; einige davon wurden mit Erfolg in der Provinz gespielt, andere hat er selbst mit Tussy auf kleinen Abenden vorgetragen, und sie haben den Leuten, die am meisten daran interessiert sind, nämlich solchen Schauspielern und Impresarios, die sie aufführen wollen, sehr gefallen. Sollte er jetzt in London einen beachtlichen Erfolg erringen, ist er auf diesem Gebiet ein gemachter Mann und wird bald aus allen Schwierigkeiten heraus sein. Und ich sehe nicht ein, warum ihm das nicht gelingen sollte, er scheint bemerkenswertes Geschick zu haben, London das zu bieten, was London braucht. Pauls Artikel im „Intransigeant"[80] war wirklich sehr gut. Er hat es fertiggebracht, die Radikalen zu treffen, ohne dem Boulangismus die geringste Konzession zu machen, und mit der Forderung nach allgemeiner Bewaffnung hat er ihre Pläne durchkreuzt. Dies geschah mit großem Takt. Hast Du gehört, daß Fritz Beust verlobt ist - mit einem italienischschweizerischen Mädchen aus Castasegna, dicht an der Grenze zur Lombardei. Ich weiß nicht, wer sie ist, das werden wir bald von unseren Züricher Freunden erfahren, die in weniger als vierzehn Tagen hier erwartet werden. Vielleicht siehst Du Bernstein in Paris auf seiner Durchreise; er kann jeden Tag dort eintreffen. Ich bin neugierig, wie sie hier mit der Zeitung zurechtkommen werden.1661 Aus vielerlei Gründen ist London nicht der beste Ort dafür, obgleich es zur Zeit vielleicht der einzige ist. Wir werden ja sehen, und im allgemeinen regeln sich die Dinge auf ihrer natürlichen Ebene. Pauls „Victor Hugo" in der „Neuen Zeit" ist sehr gut. Ich möchte gern wissen, was sie in Frankreich sagen würden, wenn sie es lesen könnten. Der große Stead hat sich nach Petersburg begeben, um den Zar4 zu interviewen und ihn zu bewegen, die Wahrheit über Frieden oder Krieg zu sagen. Ich schicke Dir seine Pariser Interviews[81]; der profunde Mann verließ Paris genauso klug, wie er es betreten hatte. Die Russen werden ihm genügend schmeicheln; ich fürchte, er wird aus Petersburg als ein noch größerer Esel zurückkommen, als er es jetzt schon ist. Vielleicht können wir in den heutigen Abendzeitungen lesen, daß er Bismarck sondiert hat.
Die Rumänen sind sonderbare Leute. Ich schrieb an Nadejde in Jassy einen Brief6, in dem ich versuchte, sie auf die antirussische Linie zu lenken. Jetzt streiten sich die Jassyer Marxisten mit den Bukarester Anarchisten wegen der von den Russen angezettelten Bauernrevolte1821, und deshalb übersetzen und drucken sie meinen Brief sofort! Diesmal tut es mir nicht leid, doch es zeigt, was für indiskrete Kerls sie sind. Nicht nur das Papier ist zu Ende, sondern auch die Zeit - 5.20 p.m., und Nim wird sofort läuten, und in 10 Minuten schließt die Post. Deshalb Lebewohl für heute, und sage doch, daß Du kommst!
Herzlich Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
28
Engels an Eleanor Marx-Aveling in London
[London] 10. Mai 88
Meine liebe Tussy, Besten Dank, aber wir können nicht kommen. Nim muß ihre Einkäufe besorgen, andernfalls werdet Ihr am Sonntag kein Mittagessen bekommen» und ich muß die Arbeit1 am Samstag mit der Post nach Amerika abschicken, die alles andere als fertig ist (die Arbeit, nicht die Post). Sage Mahon, daß ich am Sonntag meine persönlichen Freunde empfange und daß sich sonntags hier keine Möglichkeit bietet, über Geschäftsangelegenheiten zu sprechen. Wenn er mich besuchen möchte, ist er an jedem Abend in der Woche willkommen, und hat er den Wunsch, daß Edward zugegen ist, mögen sie es so einrichten, daß sie an einem Abend gemeinsam kommen - vielleicht kommst Du auch? Gruß von Nim. Immer Dein F. E.
Aus dem Englischen.
1 „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' .Rede über die Frage des Freihandels'"
29
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 10. Mai 88
Lieber Herr Schlüter, Wie steht's mit Ihrem Hieherkommen? Von Ede hören wir nur, daß er -via Paris geht und dort etwas hängenbleiben wird. Von den andern schreibt •er nichts Bestimmtes.1661 Wir sitzen hier also in der Ungewißheit und können nichts tun. Sein Sie also so gut, sich mit den andern zu verständigen und uns wissen zu lassen, wann Sie alle kommen - wir setzen voraus, Sie, Mfotteler] und T[auscher] - und ob wir etwas inzwischen hier für Sie tun können. Lassen Sie uns auch ja wissen, an welchem. Bahnhof hier Sie ankommen und auf Welcher Route, damit man Sie in Empfang nehmen kann* Sonst kann's eine wunderbare Konfusion geben, Wobei ein ziemliches Geld in die Brüche gehn kann. Mit besten Grüßen an Sie alle Ihr F. Engels
Friedrich Engels (1888)

30
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
London, 16. Mai 1888
Werte Frau Wischnewetzky, Mit der heutigen Post geht der Rest des Vorworts1 per Einschreiben ab. Reeves ist bereit, die Broschüre2 zu demselben Prozentsatz wie früher in Kommission zu nehmen, und möchte, daß sein Name auf der Titelseite unter dem des New-Yorker Verlegers wie folgt erscheint: London, William Reeves, 185 Fleet Street, E.C. Das ist wenigstens eine gewisse Garantie gegen einen unbefugten Nachdruck von seiner Seite, und er ist in dieser Hinsicht der gefährlichste Mann. Wenn Sie die für ihn bestimmten Exemplare an mich senden wollen, werde ich sie gegen Quittung ausliefern lassen; 3-500 werden am Anfang genügen. Die deutsche Übersetzung folgt, sobald Frau Kautsky mit dem Abschreiben fertig ist. Das könnte sich um einige Tage verzögern, da wir die Züricher Ausgewiesenen3 hier jeden Tag erwarten, und sie werden uns zuerst ziemlich beschäftigen.1661 Ihr ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
1 „Schutzzoll und Freihandel. Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' .Rede über die Frage des Freihandels'" - 2 Karl Marx: „Rede über die Frage des Freihandels" 3 in der Handschrift deutsch: Ausgewiesenen
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
31
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 3. Juni 1888
Meine liebe Laura, Es tut mir sehr leid, daß Du keine Möglichkeit siehst, um eben jetzt zu kommen; daß der Waldmeister in Deinem Garten nicht geraten ist, hätte keine Rolle gespielt, dehn Nim hat welchen bekommen, und wir werden ihn heute abend probieren. Es wäre so schön, wenn Du hier sein könntest, um daran teilzuhaben. Wir haben sechs Flaschen Moselwein, die wir heute abend opfern wollen. Unsere Züricher Freunde1661 beginnen sich etwas an die Londoner Verhältnisse zu gewöhnen, und es wird auch Zeit, denn ihre Vorstellungen von den Möglichkeiten, sich hier niederzulassen, waren ungewöhnlich kleinstädtisch1. Ich hoffe, daß in der nächsten Woche die prinzipiellen Fragen über Lokalität usw. geregelt sind, dann wird es weniger Schwierigkeiten und Diskussionen geben. Pauls Argumente wegen Boulanger sind dem französischen Ruf ziemlich abträglich. Erst sagt er, c'est un mouvement populaire2, doch nicht gefährlich, da B[oulanger] ein Esel ist. Occh was soll man von einem peuple capable d'un mouvement populaire3 zugunsten eines Esels, denken? Das erklärt er so: En France on patauge pendant un temps donne dans un semblant de parlementarisme, puis on reclame un sauveur, un gouvernement personnel... en ce moment on reclame un sauveur et B[oulanger] se presente4. Das soll heißen: die Franzosen sind so, daß ihre wirklichen Bedürfnisse ein bonapartistisches regime erfordern, während ihre idealistischen Illusionen republikanisch sind und nicht über den Parlamentarismus hinausgehen. Nun, wenn die Franzosen keinen anderen Ausweg finden als entweder eine Regierung der persönlichen Macht oder eine parlamentarische Regierung, können sie es gleich aufgeben. Was ich von unseren Leuten erwarte, ist, zu
1 In der Handschrift deutsch: kleinstädtisch - 2 das ist eine Fo/^sbewegung -3 Volk, fähig einer Volksbewegung - 4 In Frankreich patscht man eine Zeitlang im Schlamm des Scheinparlamentarismus, dann ruft man einen Retter, eine Regierung der persönlichen Macht... gegenwärtig ruft man nach einem Retter, und es erscheint B[oulanger].
beweisen, daß es einen realen dritten Weg außer diesem vermeintlichen Dilemma gibt - das nur für die gewöhnlichen Philister ein Dilemma darstellt - und daß sie die verworrene philisterhafte und au fond5 chauvinistische boulangistische Bewegung nicht als wirkliche Volksbewegung betrachten. Die chauvinistische Forderung, daß sich die ganze Weltgeschichte nur in der Wiedererlangung des Elsaß durch Frankreich erschöpfen solle und daß sich bis dahin nichts ereignen dürfe - dieser Forderung beugten sich unsere Freunde in Frankreich zu sehr, es gibt da faktisch keine Ausnahme, und das ist das Ergebnis. Weil B[oulanger] diese Forderung mit einbezieht, die alle Parteien stillschweigend anerkannt haben, ist er mächtig. Seine Gegner - die Clemenceau und Co. - widersprechen dieser Forderung nicht, sie wagen das nicht, aber sie sind zu feige, es offen zu proklamieren, und deshalb sind sie schwach. Und weil die Bewegung im Grunde chauvinistisch ist und nichts anderes, darum spielt sie Bismarck in die Hand, der nur zu froh wäre, diesen armen Teufel Fritz6 in einen Krieg zu verwickeln. Und das alles zu einer Zeit, da selbst unter den deutschen Philistern die Erkenntnis dämmert: je eher sie das Elsaß loswerden, desto besser, und wo Bismarcks verrückte Paßverordnungent83] ein offenes Eingeständnis dafür sind, daß das Elsaß französischer denn je ist! Die Revolution in unserem Haushalt, die ich seit mehr als einem Jahr herbeizuführen versuche, ist endlich vollbracht. Gestern abend ging Annie, nachdem ich ihr gekündigt habe, und wir haben jetzt ein anderes Mädchen. Nim wird endlich nicht mehr arbeiten müssen, als sie wirklich möchte, und wird morgens ausschlafen können. . Inliegend der Scheck, um den Paul gebeten hat. Da es Samstag ist, muß ich schließen, bevor die Gäste kommen. Immer herzlich Dein F. Engels
Denk daran, daß Du in diesem Sommer oder spätestens im Herbst kommen mußt!
Aus dem Englischen.
5 im Grunde - 6 Friedrich III.
32
Engels an Hermann Schlüter in London
122, Regent's Park Road [London] 15. Juni 88
Lieber Schlüter, Willst Du und will Tauscher mir den Gefallen tun, Sonntag mittag halb drei bei mir zu essen? Euer F. Engels
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 30. Juni 88
Mein lieber Lafargue, Der kleine MacDonnell vom Generalrat, Redakteur einer Arbeiterzeitung in Paterson1, New Jersey, hat mir einen jungen Mann, R.Block, geschickt, Sohn eines alten Sozialisten in New York - der Vater ist Redakteur der deutschen Bäckerzeitung2 und Sekretär ihrer Trades Union. Da der junge Mann einige Tage in Paris verbringen wird, habe ich ihm eine Empfehlung für Sie gegeben - er hat für Paris nur ein Empfehlungsschreiben an Delahaye! - und ihm gesagt, daß Sie auf dem Lande wohnen und ihm daher kaum nützlich sein könnten, außer vielleicht für einige Auskünfte. Er befaßt sich nicht mit Politik oder Sozialismus und will nichts weiter, als Europa sehen in the most approved fashion3. Wenn er also den Weg nach Perreux finden sollte, würden Sie mir einen Gefallen tun, wenn Sie ihm gute Ratschläge geben, wie man sie einem Reisenden gibt, der in kürzester Zeit soviel wie möglich sehen will. Er weiß genau, daß Sie auf keinen Fall in der Lage sind, ihm Paris zu zeigen. Aveling ist wieder in London wegen eines Stücks, das heute abend aufgeführt wird - das fünfte -, und ein sechstes wird wahrscheinlich in der nächsten Woche gespielt werden. Sicherlich „he has Struck oil"4, wie die Yankees sagen, indem er sich aufs dramatische Fach geworfen. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
1 „Paterson Labor Standard" - 2 „Deutsch-Amerikanische Bäcker-Zeitung" - 3 in der üblichen Art und Weise - 4 „hat er das Richtige getroffen"
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Engels an Karl Kautsky in St. Gilgen
[London, vor dem 6. Juli 1888]
Lieber Baron, Nachdem ich Dich eben richtig herausgestiebert und nach Länge und Breite festgestellt und dabei entdeckt habe, daß die Jegend sehr scheen sein muß, will ich Dir rasch noch wegen Shelley antworten[84], Ich bin gern bereit, die Sache zu machen, muß aber des Zusammenhangs wegen ein Ex. von Shelley haben, habe aber keins und weiß in der Eile keins aufzutreiben. E. A[veling] wollte mir gestern, wo er hier war, das seinige holen, ist aber ohne Worthaltung abgereist. Hätte ich die Stellen, so würde ich mir aber den Sh[elley] schon verschaffen. Ich hoffe, die taenia mediocanellata1 wird nun doch glücklich ad absurdum geführt. Bei Pumps hat der Junge die Masern, verlaufen bis jetzt äußerst günstig, Lili2 ist deshalb bei uns. Frau Schlüter] und Frau Ede3 sind hier, die Tante4 wird noch erwartet, unbekannt wann. War en Sonntag alle hier. Die Konfusion ist noch nicht [...]5 ledigt. E.A[veling] hat viel Glück mit seinen [...]5 - vor ca. 10 Tagen einstimmig [...] 5men. Viele 15 n/r r 15 i £„n„ „:„ „..:„ i j * v u uuc an i apa, iviama, .. j uuuicc, laus aic, wie; iv,n nunc, uui i.
General
[Dein Bein]5 hoffentlich wieder all right.
1 der Bandwurm - 2 Liliän Rosher - 3 Regina Bernstein - 4 Emilie Motteier - 5 Papier beschädigt
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Engels an Laura Lafargue Le. Perreux
London, 6. Juli1 1888
Meine liebe Laura, Heute schreibe ich geschäftlich, daher kurz und, wie ich hoffe, angenehm. Jollymeier kam gestern abend und reist nächste Woche nach Deutschland ab, wahrscheinlich am Mittwoch. Er wird nicht genügend Zeit haben, um über Paris zurückzukehren, doch sieht der jetzige Plan vor, daß Nim ihn bis Koblenz begleitet und dann nach St. Wendel reist, um ihre Freunde zu besuchen. Sie beabsichtigt, über Paris zurückzufahren, vorausgesetzt, daß Du und die Kinder2 dort seid. Würdest Du deshalb so gut sein und uns durch einen Brief, möglichst am Sonntag, aber spätestens am Montag, Bescheid geben, ob Du 1. zu Hause sein wirst und 2. ob die Kinder um den 26. oder 28. Juli in Asnieres sein werden? Mit ziemlicher Sicherheit hätte Dich Pumps zu gleicher Zeit besucht, da auch sie hoffte, mit Jollymeier mitfahren zu können, doch am letzten Sonntag kam sie mit der Nachricht, daß ihr Junge die Masern habe, und das wird sie wohl hier festhalten. Tussy und Edward sind noch auf ihrem Schloß, und sie beabsichtigen, irgendwann im August nach Amerika zu fahren, wo Edward die mise en scene3 dreier seiner Stücke beaufsichtigen wird, die gleichzeitig in New York, Chicago und Gott weiß wo sonst noch gespielt werden sollen. Ich glaube nicht, daß sie insgesamt mehr als 8 bis 10 Wochen fort sein werden. Wenn sich seine dramatischen Erfolge in dem Tempo fortsetzen, wird er vielleicht nächstes Jahr auf Kosten irgendeines Theaterimpresarios nach Australien gehen müssen. Unsere Züricher Freunde sind noch nicht untergebracht[66J - aber auf dem Wege dazu. Es ist höchst erstaunlich, wieviel Ärger, Verzögerungen und Laufereien durch das Londoner System der monopolistischen Hausbesitzer verursacht werden, die den Pächtern ihre eigenen Bedingungen vorschreiben. So ist man gezwungen, will man von einem der letzteren ein
1 In der Handschrift: August - 2 Jean, Edgar, Marcel und Jenny Longuet - 3 Inszenierung
Geschäftslokal übernehmen - und das muß man es dem Gutdünken des großen Hausbesitzers zu überlassen, einem zu erlauben, die notwendige Maschinerie in Gang zu setzen. Die französischen oder preußischen bürokratischen Eingriffe sind nichts dagegen. Und das haben die Londoner seit Jahrhunderten ertragen, und selbst jetzt wagen sie kaum dagegen zu rebellieren! Freundliche Grüße an Paul. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 11. Juli 88
Lieber Sorge, In aller Eile eine Mitteilung, die Du aber absolut geheimhalten mußt. Du darfst Dich nicht wundern, wenn Du mich um Mitte August oder ein paar Tage später dort bei Dir siehst - ich werde vielleicht eine kurze Spritztour über den Ozean machen. Sei so gut, mir umgehend zu sagen, wo Du wohnst, damit ich Dich aufsuchen kann, und falls Du um jene Zeit nicht dort sein solltest, u)o ich Dich finden kann. Auch, ob Wisch[newetzky]s um jene Zeit in New York sein werden. Sonst werde ich bei Ankunft niemand sehn, denn ich will nicht in die Hände der Herren deutschen Sozialisten fallen - daher muß die Sache geheimgehalten werden. Ich werde, wenn ich komme, nicht allein kommen - mit Avelings, die dort Geschäfte haben» Nächstens mehr. Dein F. E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 15. Juli 1888
Meine liebe Laura, Du fragst, weshalb Schorlemmer nicht auch kommen kann, und Du hoffst, Pumps in Le Perreux zu sehen. Nun, ich befürchte, Dein Wunsch wird erfüllt und Deine Frage mehr als genug beantwortet werden. Nachdem Pumps' Junge außerordentlich schnell genesen ist, kam man am letzten Montag zu überraschenden Entschlüssen, und am Mittwoch machte sich die ganze Gesellschaft - Jollymeier, Nim und Pumps - auf den Weg nach Deutschland. Pumps zu Paulis, Nim nach St. Wendel. Und dann sollen Pumps und Sch[orlemmer], wie es hier vereinbart wurde, Nim aus St. Wendel abholen und alle drei nach Paris fahren, wo sie vermutlich am 29. oder 30. Juli eintreffen werden - sie werden Dir aber Bescheid geben. Nim und Sch[orlemmer] müssen Sonnabend, den 4. August, wieder hier sein; Pumps sprach davon, von Paris nach St.-Malo und Jersey zu fahren, wohin Percy die Kinder bringen will. Wie Du es anstellen willst, die ganze Gesellschaft unterzubringen, übersteigt meine Vorstellung. Aber Nim meinte, Du würdest diese Schwierigkeiten schon meistern. Auf jeden Fall wirst Du hierfür etwas Geld nötig haben, und ich werde nicht versäumen, es Dir rechtzeitig zu schicken. Gestern abend traf Dein Brief mit Longuets Dokument ein - zu gleicher Zeit mit Edward, den seine Stückeschreiberei wieder nach London gebracht hat. Er wird heute zwei Stücke vor unternehmungslustigen Schauspielern lesen (Alma Murray ist eine von ihnen), die in etwas Neuem Geld anlegen wollen. Natürlich macht Longuet wieder seine Rechnung ohne den Wirt, da Edward und Tussy für mindestens zwei Monate nach Amerika gehen und ich meine Ferien nehmen werde, sobald Nim zurückkommt. Wenn er Jean bei Nim in meinem Hause lassen möchte - in Ordnung; Nim würde sich über seine Gesellschaft freuen; doch es fragt sich, ob Longuet das beabsichtigt. Auf jeden Fall wird Tussy Dir das plaidoyer zurückschicken und schreiben, und Du und Nim, Ihr könnt das übrige regeln. Was für einen üblen Brei haben Boulanger und Floquet doch da neulich
zusammen angerührt: Boulangers coup de theätre, bis ins kleinste Detail vorbereitet und doch mißlungen, weil er seine Rolle nicht bis zu Ende spielen konnte - Floquets Wut und Ausfall, wo eine kühle Erwiderung angebracht gewesen wäre - die Beleidigungen, das Duell und le beau, le brave general1 durch einen avocat bezwungen!t85] Zweifellos, wenn das Zweite Kaiserreich eine Karikatur des Ersten war, so wird die Dritte Republik zu einer Karikatur nicht der Ersten, sondern vielmehr der Zweiten. Wollen wir jedenfalls hoffen, daß dies das Ende Boulangers ist, denn wenn die Popularität dieses Narren andauerte, würde sie den Zar2 in die Arme Bismarcks treiben, und das wollen wir ebensowenig wie den russisch-französischen Revanchekrieg. Wenn die Volksmassen in Frankreich durchaus einen leibhaftigen Gott haben wollen, sollten sie sich lieber nach einem anderen Mann umsehen, dieser macht sie lächerlich. Aber es ist überdies klar, daß dieser Wunsch nach einem sauveur de la societe3, falls wirklich in den Massen vorhanden, nur eine andere Form des Bonapartismus ist, und deshalb kann ich mich beim besten Willen nicht zu dem Glauben aufraffen, daß er so tief verwurzelt und vraiment populaire4 sei, wie das manche Leute behaupten. Daß unsere Leute die Radikalent86] bekämpfen - gut und schön, das ist eine ihnen zukommende Aufgabe, aber laßt sie mit ihnen kämpfen unter ihrer eigenen Flagge. Da eine journee5 nur mit Hilfe der Radikalen möglich ist (wie bei der Wahl Carnots) - solange das Volk unbewaffnet -, können sich unsere Leute jetzt nur an die Wahlurne halten, auch sehe ich keinen Vorteil darin, den Verstand der Wähler durch diesen plebiszitären Boulangismust87] zu verwirren. Unsere Sache ist es nicht, zu komplizieren, sondern vielmehr zu vereinfachen und die Streitfragen zwischen den Radikalen und uns klarzulegen. Das wenige Gute, das Boulanger tun konnte, hat er getan, und das Beste, was er vollbracht hat, war, die Radikalen an die Macht zu bringen. Eine Auflösung wäre eine gute Sache - solange eine radikale Regierung am Ruder ist, auf die wir einen Druck ausüben können; doch Boulanger scheint mir am wenigsten geeignet, diese Auflösung herbeizuführen. Nach zwei schönen Tagen regnet es hier seit heute morgen wieder in Strömen. Das ist wirklich eine Lösung - der Sommer löst sich in Regenwasser auf -, was einen zur Auflösung und zum Trinken treibt. In der Tat werde ich eine Flasche Pilsner öffnen und auf Deine Gesundheit trinken. Sur ce, je vous embrasse. , „ Biena vous p ß Aus dem Englischen. 1 der schöne, der tapfere General - 2 Alexander III.-8 Retter der Gesellschaft -4 wahrhaft volkstümlich -5 entscheidende Schlacht - 6 Ich umarme Dich. Freundschaftlichst Dein
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux London, 23. Juli 1888 Meine liebe Laura, Tussy schickt mir Longuets Brief zurück, anstatt ihn Dir zu übermitteln, deshalb sende ich ihn beiliegend. Sie sagte, sie würde an ihn schreiben. Edward teilte mir vorige Woche mit, daß sie gestern wieder hier sein würden, doch er hat ein Talent, Tatsachen zu mißachten, wenn sie seinen Wünschen entgegenstehen, eine Fähigkeit, die mehr einem jugendlichen Alter anstehen würde. Sie werden also nicht vor Ende der Woche hier sein. Natürlich können Pumps und Nim in Deinem Zimmer schlafen, und wenn Du für Schorlemmer irgendwo in Le Perreux ein Bett finden kannst, wird er zufrieden sein. Ich lege einen Scheck über £ 15 bei, um Dich hinsichtlich der Mittel und Wege zu beruhigen. Unsere Zürichert66] sind endlich auf anständige Weise untergebracht. Ihre Frauen sind angekommen; sie haben ein Geschäftslokal bekommen — das heißt, den Vertrag über ein leerstehendes und noch nicht ganz fertiges Haus - und Wohnungen für sich selbst, so daß sie in einer Woche oder in zehn Tagen unter Dach und Fach1 sein werden. Der weibliche Teil des „Sozialdemokrat" ist nicht allzu reizvoll. Ede Bernsteins Frau scheint die angenehmste zu sein, eine lebhafte kleine Jüdin, doch sie schielt fürchterlich; Schlüters Frau ist ein außerordentlich gutmütiges und zurückhaltendes kleines Dresdner Wesen, doch ungewöhnlich weich; und was die Tante2 betrifft, id est Frau Motteier, so laß Dir von Nim eine Beschreibung dieser würdevollen Jugendlichen von fünfzig (so sagt man) geben, dieser schwäbischen Kleinstädterin3, die eine dame du monde4 vorstellen will - dennoch soll sie im Grunde eine sehr treffliche Frau sein, aber ich glaube nicht, daß sie sich in unserer würdelosen Gesellschaft wohl fühlt, und sehe einigen netten kleinen Wortgeplänkeln entgegen, wenn Tussy und sie zusammenkommen. Doch Nim und Pumps werden Dir eine Beschreibung von ihr ganz nach Deinem Geschmack geben. Gestern hatte ich sie alle zum Abend
1 In der Handschrift deutsch: unter Dach und Fach - 2 in der Handschrift deutsch: Tante — 3 in der Handschrift deutsch: Kleinstädter - i Dame von Welt
brot bei mir, da unser neues Mädchen (ich glaube, ich berichtete Dir, daß ich Annie fortgeschickt habe5) ganz passabel kocht und ziemlich stolz darauf ist, für Gäste zu kochen; Frau M[otteler] versäumte es auch nicht, mir zu sagen, daß der Eierrahm angebrannt wäre (ebenso wie sie zu Pumps sagte: Sie sind aber mal fett!6 stell Dir Pumps' Entsetzen vor!). Wenn sie erst einmal in ihren eigenen Etablissements untergebracht sind - alle um Junction Road und den Boston herum - hoffe ich, daß die Entfernung die erfreuliche Aussicht auf beträchtlich reduzierte Besuche der ganzen Gesellschaft eröffnet - ich habe durchaus nicht vor, in der Nr. 122[88] alles vom deutschen Element überschwemmen zu lassen. Ich habe mich photographieren lassen, bevor ich vollständig grau werde, und lege das Bild bei, von dem sie alle sagen, daß es das beste sei. Postzeit und Tischzeit, deshalb höre ich jetzt auf. Sehr herzlich Dein alter F. Engels
Aus dem Englischen.
5 siehe vorl. Band, S.67 - 6 in der Handschrift deutsch: Sie sind aber mal fett!
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Engels an Hermann Schlüter in London
[London] Samstag [21. oder 28. Juli 1888]
Lieber Schlüter, Grover war bei mir wegen des Hauses in Kentish Town, ich habe ihm die ganze Sache erklärt, und wenn er seine Meinung nicht wieder ändert, so habt Ihr das Haus. Dein F.E.
Sorge dafür, daß inzwischen nicht wieder zu Salto Rex & Co. hingegangen wird (wenn nicht etwa Grover oder S.R[ex] & Co. Euch dazu auffordern; denn ich weiß natürlich nicht, ob Gr[over] direkt oder durch jenen vermieten wird).
40
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 30 Juli 8&
Meine liebe Laura, Ich hoffe, daß Du jetzt die Reisenden1 bei Dir hast. Diesen Morgen Brief von Sch[orlemmer]. Als er in Bonn eintraf, rieten ihm seine Freunde, sich dort seine Verletzung2 kurieren zu lassen, und so ging er zur Universitätsklinik, aus der er am Samstag kuriert entlassen wurde. Aber er leidet noch an einem Magenkatarrh3 oder, wie es sein Bruder4, der bei ihm ist und ihm als Amanuensis dient, treffender nennt, Magenkater5 und hat Order, sich einige Zeit ruhig zu verhalten - er fürchtet sogar, daß anderweitige Pläne, die wir für eine längere Seereise hatten, soweit es ihn angeht, ins Wasser fallen könnten. Das werden wir jedoch mit der Zeit sehen. Jedenfalls wollte er gestern nach Darmstadt fahren und wird von dort wieder schreiben. Zu Nims Information: Gestern hatten wir Roastbeef und Erbsen, sehr gut gekocht; es waren nur Edward und Tussy anwesend, denn Percy und die Kinder speisten in Sandhurst Lodge, da seine Mutter Geburtstag hatte. Nach dem Mittagessen kamen sie herüber (und Charley6; seine Frau war am vorigen Sonntag zum Abendessen da, es tut mir nur leid, daß sie diesmal nicht vorbeikam), und später kamen die vier Züricher7 mit Frau Bernstein und Frau Schlüter - die Tantes war glücklicherweise unpäßlich -, und wir waren sehr fidel. Ich komme mit dem Mädchen ganz gut aus, nur sind ihre Süßspeisen nicht so, wie sie eigentlich sein sollten; sie bereitet einen wundervoll lederartigen Teig und gleicht bei ihrem Eierrahm andere Mängel dadurch aus, daß sie genausoviel Bittermandelessenz wie Zucker hinzufügt - dem habe ich jedoch ein Ende gemacht. Das Mädchen ist schon in Ordnung, nur muß sie etwas mehr durch Nim eingearbeitet werden; für
1 Helene Demuth und Mary Ellen Rosher - 2 siehe vorl. Band, S. 82 - 3 in der Handschrift deutsch: Magenkatarrh - 4 Ludwig Schorlemmer - 6 in der Handschrift deutsch: Magenkater -6 wahrscheinlich Charles Roesgen -7 Eduard Bernstein, Julius Motteier, Leonhard. Tauscher und Hermann Schlüter - 8 in der Handschrift deutsch: Tante (Emilie Motteier)
länger als drei Wochen mehr oder weniger selbständigen Wirtschaftens ist sie noch nicht geeignet, da sie eine Menge Ansichten aus dem East End Logierhaus importiert, wo sie „ladyships"9 bediente. Doch da sie sich hauptsächlich auf das Kochen beschränken, wird Nim sie ihr schnell abgewöhnen, und im großen und ganzen habe ich keinen Grund zur Klage, wenn auch manchmal zum Lachen. Ich hoffe, Ihr habt besseres Wetter. Ich bin gegen 2 in die Stadt gegangen, es begann vor 3 zu regnen, und es regnet noch immer. Grüße an Euch alle. Immer Dein F. E.
Aus dem Englischen.
* „gnädige Frauen"
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
_ . 1 _ London, 4. Aug. 88 Lieber borge, Deine beiden Briefe dankend erhalten, und danke ich Dir bestens für die mir angebotene Gastfreundschaft. Ob ich sie aber werde benutzen können, ist, wie Folgendes Dir zeigen wird, ziemlich fraglich. Nämlich, wenn alles gut geht, kommt Schorlemmer auch mit - er ist in Deutschland und nicht ganz wohl, telegraphiert aber seine Ankunft auf Montag. Da wir nun zusammenbleiben müssen - wenigstens Schforlemmer] und ich -, hat Aveling bereits im voraus für uns alle in einem Hotel Zimmer bestellt, und so werde ich jedenfalls zunächst dorthin gehn müssen. Wie es weitergeht, wird sich dann finden. Jedenfalls werden Schforlemmer] und ich nur ein paar Tage in der Stadt bleiben und sobald als möglich das Land besichtigen, denn er muß Anfang Okt. wieder Vorlesungen halten, und wir wollen doch möglichst viel sehn. Daß mir der kleine Cuno auflauern wird, erwarte ich, ich denke indes, ich habe einen Zauberspruch, womit ich ihn kirre machen kann. Wenn ich wieder, kurz vor der Abreise, nach dort komme, werde ich doch diesen und jenen von der ,,V[olks]z[eitung]" sehn müssen, das ist nicht zu vermeiden und schadet auch nichts, ich will nur im Anfang Ruhe haben. Wir kommen mit der „Stadt Berlin" 8. ds. Aveling hat sich mit Erfolg aufs dramatische Fach geworfen und soll dort in 4 Städten 4 Stücke (wovon 3V2 von ihm) einstudieren. Da Montag Bank Höliday[8®3 ist, wo man nichts machen kann, weil alle Läden geschlossen, und wir Dienstag1 von hier fortmüssen, so hab* ich noch allerlei zu besorgen - muß auch um 5.40 an Charing Gross Lenchen und Pumps (die seit 7 Jahren verheiratet ist und 2 Kinder hat) auf der Rückkunft von Deutschland resp. Paris abholen und daher schließen. Auch ich freue mich ungeheuer aufs Wiedersehn. Also alles andre mündlich.
DeinF.£.
17. August
6 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
42
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 6. Aug. 88
Meine liebe Laura, Wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich mit Tussy, Edward und Schorlemmer auf der „City of Berlin" den Küsten der Neuen Welt entgegentreiben. Es ist ein schon seit langem gehegter Plan, nur wurde er beständig durch alle möglichen Hindernisse durchkreuzt, nicht zuletzt durch Sch[orlemmer]s Mißgeschick - doch er wird heute abend hier sein (falls sich keine neuen Unfälle ereignen), und morgen hoffen wir bereits unterwegs zu sein und die Liverpooler Landungsbrücke am Mittwoch1 um fünf p.m. zu verlassen. Die Sache mußte geheimgehalten werden, erstens tatsächlich wegen der vielen Hindernisse, die sie zum Scheitern zu bringen drohten, und zweitens, um mich soweit wie möglich bei meiner Ankunft vor den Interviewern der „N[ewj Y[orker] Volkszeitung" und anderen zu retten (unter denen, wie Sorge schreibt, der kleine Cuno jetzt einer der schrecklichsten ist) sowie vor der zärtlichen Aufmerksamkeit der Exekutive der deutschen Sozialisten usw. von New York1903, da dies den ganzen Spaß unserer Spritztour verderben und ihren ganzen Zweck vereiteln würde. Ich möchte sehen und nicht predigen, und vornehmlich totalen Luftwechsel usw. haben, um endlich über die Augenschwäche und die chronische Konjunktivitis hinwegzukommen, die, wie Dr. Reeves, Edwards Freund, sagt, vollständig auf Mangel an Spannkraft zurückzuführen ist und wahrscheinlich auf einer längeren Seereise usw. vergehen wird. Als ich Schforlemmer] dieses Unternehmen vorschlug, ging er sofort darauf ein, aber er muß natürlich Anfang Oktober wieder zurück sein, so daß sein Vlissingen-Unfall zu sehr ungelegener Zeit kam. Doch das scheint jetzt in Ordnung zu sein, und er wird heute abend erwartet. Edward und Tussy werden, soweit wir es übersehen können, nicht mit uns zurückkehren, sie werden sicherlich mindestens zwei Wochen länger dort aufgehalten werden.
Unsere Reisenden trafen am Sonnabend hier wohlbehalten ein, wenn auch mit einer halben Stunde Verspätung, und wie Ihr durch unsere Postkarte erfahren haben werdet, fanden Eure Johannisbeeren - sowohl die Beeren als auch der Saft, den Helen - ich meine Nim - herausgepreßt hatte, höchste und allgemeine Anerkennung. Die Begeisterung über Euren Garten ist nahezu grenzenlos, und ich glaube, daß beide, Pumps wie auch Nim, davon träumen. Trotz ihrer ziemlich stürmischen Überfahrt war keine seekrank, sie waren klug genug, sich sofort hinzulegen. Ich lege einen Scheck über £ 25 bei, damit Ihr etwas habt während meiner Abwesenheit. Werde Euch bei meiner Ankunft wieder schreiben und über Abenteuer, Seeungeheuer, Eisberge und die anderen Wunderdinge des Meeres berichten, falls wir nicht von der irischen Flotte gefangen werden, der es gelungen ist, Samstag abend die englische Blockade zu durchbrechen und die jetzt den englischen Handel zerstört, schottische Küstenstädte einnimmt usw.[91] - ein famoses Vorzeichen für den wahren politischen Sieg der Iren über den britischen Philister, den die nächsten allgemeinen Wahlen gewiß bringen werden. So leb wohl bis dann. Ich war sehr stolz, von Nim zu hören, daß Du sehr gut aussiehst und jünger denn je. Hoffe, daß Du so bis zu unserem nächsten freudigen Wiedersehen bleibst. Immer in Zuneigung und mit den freundlichsten Grüßen an Paul
Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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c jung
Lieber Ede, Berlin ist mir nie so schön vorgekommen als auf dieser „City of Berlin". Wenn die Jardeleutnants wüßten, wie gut und wie viel es hier zu essen gibt, sie vertauschten das Berlin zu Lande (oder zu Sande) sofort mit dem zu Wasser. In 21/2 Stunden sind wir in Queenstown, und dann geht's hinaus in den Ozean. Grüß Deine Frau, Schlüters, Mottelers und Tauscher herzlich. Dein alter General [„City of Berlin"] 9./8./88
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Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
S. S. „City of Berlin", zwischen Liverpool und Queenstown, 9. August 1888
Lieber Hermann, Ich bin seit gestern auf einer kleinen Spritztour nach Amerika unterwegs und wollte Dir dies noch eben wissen lassen, ehe wir den letzten europäischen Hafen verlassen. Wir sind eine fidele Gesellschaft von 4 - ich, Prof. Schorlemmer von Manchester, Dr. Aveling von London und seine Frau, die jüngste Tochter von Marx. Schorlemmer und ich kommen Ende September zurück und denken am 2./3. Okt. wieder in England zu sein. Es traf sich sehr günstig, daß ich diesen alten Plan diesen Sommer verwirklichen konnte, und es ist mir auch ärztlich sehr empfohlen worden, die beiden längeren Seereisen und den totalen Luftwechsel durchzumachen. Unser Schiff ist viel schöner als das Berlin zu Lande, es ist fast 6000 Tons groß, Avelings kamen vor IV2 Jahren darauf von New York zurück und kennen Kapitän, Beamte und Mannschaft, was sehr angenehm. Wir haben hübsche Kajüten, die Beköstigung ist vortrefflich, dazu amerikanisches Lagerbier, das gar nicht übel ist, ein langes Verdeck, um sich darauf herumzutreiben, nicht zu viel Passagiere - falls nicht in Queenstown noch viele dazukommen kurz, alles läßt sich sehr angenehm an. Ich bin recht neugierig auf die Welt da drüben, wir werden zwischen 3 und 4 Wochen Zeit dort haben, was, glaube ich, grade lang genug ist. Wir nähern uns Queenstown, und so schließe ich am besten. Haltet Euch alle gesund, vom jenseitigen Ufer gebe ich mal wieder Nachricht. Grüß Deine Frau und Kinder und alle andern Verwandten.
Aufrichtigst Dein alter Friedrich
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken193 ]
[Poststempel: Boston, 28. August 1888]
Lieber Alter, Gestern morgen hier angekommen, heut morgen Deine Briefe an S[chorlemmer] und mich erhalten - besten Dank! Das Hustenzeug habe ich in Hoboken gelassen, und auch Sfchorlemmer] ist von seinen Beschwerden kuriert. Wir waren soeben bei Frau Harney, sie sagt, Harney werde Oktober nach London kommen, wo ich ihn also sehn werde. Meinen Neffen1 habe ich noch nicht auftreiben können, denke ihn morgen hier im Hotel oder in Roxbury zu treffen. Das Nest Boston ist arg weitläuftig, aber menschlicher als New York City, Cambridge sogar sehr hübsch, ganz europäisch kontinental anzusehn. Herzliche Grüße an Dich und Deine Frau, ohne Euch wären wir noch nicht gesund! Wir bleiben bis Samstag2 hier. Briefe treffen uns bis Freitag abend sicher. Dein F.E.
1 Willie Burns - 2 1 .September
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken1941
... „ Boston, 3 I.Aug. 1888 Lieber borge, Die Zeitung1 vorgestern und Deinen Brief heute erhalten. Dank! Aber leid tut es mir, daß Du mit Deinem Hals noch nicht in Ordnung bist und sogar, wie es scheint, meinen Husten übernommen hast. Wenn unsre Besuche bei Dir uns gesund und Dich krank machen, so ist das sehr fatal. Gestern in Concord, im Reformatory und der Stadt. Beides hat uns sehr gefallen. Ein Gefängnis, worin die Gefangnen Romane und wissenschaftliche Bücher lesen, Klubs bilden, sich ohne Gegenwart von Beamten versammeln und beraten, zweimal täglich Fleisch und Fisch, dabei Brot ad libitum essen, Eiswasser in jedem Arbeitsraum, fließendes frisches Wasser in jeder Zelle, die Zellen mit Bildern etc. dekoriert, wo die Leute, wie gewöhnliche Arbeiter gekleidet, einem frei ins Gesicht schaun ohne den hang-dog look2 des gewöhnlichen Verbrecher-Gefangnen, das sieht man in ganz Europa nicht, dazu sind die Europäer, wie ich dem Superintendenten sagte, not bold enough3. Und der antwortete echt amerikanisch, well, we try to make it pay, and it does pay4. Ich habe dort großen Respekt vor den Amerikanern bekommen. Concord ist wunderschön, geschmackvoll, wie man es nach New York und selbst Boston nicht erwarten sollte, aber ein prächtig Örtchen, um dort begraben zu sein, aber nicht lebendig! ich wäre in 4 Wochen dort kaputt oder verrückt. Mein Neffe Willie Burns ist ein prächtiger Kerl, gescheut, energisch, mit Leib und Seele in der Bewegung. Es geht ihm gut, er ist an der Boston and Providence R.R.5 (jetzt Old Colony), hat $ 12 die Woche, eine nette Frau (aus Manchester mitgebracht) und drei Kinder. Er ginge um keinen Preis nach England zurück, er ist ganz der Junge für ein Land wie Amerika. Rosenbergs Abgang und die sonderbare Debatte über den „Sozialist" in der „ V[olks]z[eitung]" scheinen Symptome des Zusammenbruchs.1951 1 „New Yorker Volkszeitung" vom 28. August 1888 - 2 Galgenvogel-Blick - 3 nicht mutig genug - 4 wir versuchen, ob es sich rentiert, und es rentiert sich - 5 Eisenbahngesellschaft
Von Europa erfahren wir hier nur wenig und selten, nur durch „N[ew]~ Y[ork] World" und „Herald"6. Heute wird Aveling mit seiner ganzen Arbeit in Amerika fertig, und der Rest ist freie Zeit. Ob wir nach Chicago gehn, ist noch unsicher, für das übrige Programm haben wir reichlich Zeit. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich von uns allen, besonders aber von Deinem F. Engels
8 „Boston Herald"
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig[94J
Boston, 3I.Aug. 1888
Lieber Liebknecht, Soeben 9.30 morgens lesen wir im „Boston Herald" Deine Wahl in Berlin mit über 10 000 Stimmen absoluter Majorität1401 und gratulieren Dir von Herzen dazu - ich, Schorlemmer und beide Avelings. Wir sind 7 Tage in New York resp. Hoboken (bei Sorge) gewesen, seit Montag1 hier, morgen nach Niagara, wenn möglich nach Chicago, sonst in die Oil Regions und über Toronto, Montreal, Lake Champlain, Adirondacks, Albany, down Hudson2 nach New York zurück, von wo wir 18./19. Sept. per „City of New York" nach Liverpool zurückfahren. Sehr schöne Reise, viel gelernt, endlich auch ordentlich geschwitzt, was uns drüben diesen Sommer nicht vorgekommen. Grüß Deine Frau, Bebel und Singer.
Dein F.E.
1 27. August - 2 den Hudson hinab
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken[96]
[Niagara Falls, N.Y.] 4. Sept. 88
Lieber Sorge, Wir sind seit Sonntag1 morgen hier und amüsieren uns sehr gut, die Natur ist sehr schön hier, die Luft ausgezeichnet, das Essen vortrefflich, die nigger waiters2 erheiternd - was will man bei dem schönen Wetter noch mehr? Moskitos gibt's auch bis jetzt nicht, trotz dem vielen Wasser. Die Tour nach den Oil Regions ist aufgegeben - ob wir nach Chicago kommen, wird sich wohl heute entscheiden - ich glaube nicht. Gehn wir nicht hin, so wird Dein Reiseprogramm strikt befolgt. Daß Jonas hinter meine Schliche gekommen, ist ein Grund mehr, die Rückkehr nach New York so lange wie möglich aufzuschieben. Indes, wenn er mir jetzt auch seinen Cuno zuschickt, so macht das gar nichts aus, ich hab' die Reise hinter mir, und er kann mich höchstens 1/2 Stunde schinden. Herzliche Grüße von uns allen an Deine Frau und Dich selbst.
Dein
1 2. September - 2 Negerbedienten
TM Spthttr HMSI«le t«>y falls odhi iinittr and miniec, ASid ctmhn.s all ihs «'«*»<* ncäcmRo1A with «e Quirinen otiÄ «ornjort D?a>cmc. Jlsiatlt nu aluM'Jt t.'m ai&mjmslt&fvrits excellenee.nl iti ajsrtmeal»
g&eaeer House, Niagara Falls, N. Y,
Engels' Brief an Friedrich Adolph Sorge vom 4. September

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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken1971
f . . 0 Montreal, 10. Sept. 1888 Lieber borge, Gestern hier angekommen, nachdem wir zwischen Toronto und Kingston wegen Sturm (es war eine ganz lumpige Brise) umkehren und in Port Hope beilegen gemußt. So wurden aus den 2 Tagen von Toronto bis hier drei. Der Lorenz und die Stromschnellen sehr schön. Kanada ist reicher an verfallnen Häusern als irgendein Land außer Irland. Hier bemühen wir uns, das kanadische Französisch zu verstehn, that language beats Yankee English hollow1. Heut abend geht's nach Plattsburg und dann in die Adirondacks und wo möglich auch in die Catskills, so daß wir vor Sonntag2 schwerlich in New York zurück sein werden. Da wir Dienstag3 abend aufs Schiff müssen und noch verschiednes in New York zu sehn haben, auch gradein diesen letzten Tagen mehr alle zusammen sein müssen als sonst nötig, so werden Sch[orlemmerl und ich diesmal nicht nach Hoboken zu Dir ziehn können, so leid es uns tut, sondern mit A[veling]s ins St.Nicholas gehn müssen. Jedenfalls kommen wir zu Dir, Dich aufzusuchen, sobald wir dort sind. Es ist ein sonderbarer Ubergang von den Staaten nach Kanada. Erst kommt's einem vor, als wär' man wieder in Europa, dann meint man, man wäre in einem positiv zurückgehenden und verkommenden Land. Es zeigt sich hier, wie notwendig zur raschen Entwicklung eines neuen Landes der fieberhafte Spekulationsgeist der Amerikaner ist (kapitalistische Produktion als Basis vorausgesetzt), und in zehn Jahren wird dies schläfrige Kanada zur Annexion reif sein - die Farmer in Manitoba etc. werden sie dann selbst verlangen. Das Land ist ohnehin schon halb annektiert in sozialer Beziehung Hotels, Zeitungen, Reklamen etc., alles nach amerikanischem Muster. Und sie mögen sich zerren und sträuben, die ökonomische Notwendigkeit der Infusion von Yankeeblut wird sich durchsetzen und diese lächerliche Grenzlinie abschaffen - und wenn die Zeit gekommen ist, wird John Bull Ja und Amen dazu sagen. Dein F. E. 1 diese Sprache stellt das Yankee-Englisch noch in den Schatten - 2 16. September 3 18. September
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken1981
[Plattsburg, N.Y.] Dienstag, 11. Sept. 1888
Lieber Sorge, Glücklich hier gelandet. Gleich 1 p. m. geht's in die Adirondacks, morgen abend zurück und dann über die Seen zum Hudson. Samstag1 abend New York, hoffentlich. Solltest Du Briefe für mich erhalten haben, so bitte ich, sie mir nach Albany, Narragansatt Hotel, zu schicken, aber sie müssen spätestens Freitag abend dort sein. Meinen Brief aus Montreal hast Du hoffentlich erhalten. Dein Hals ist doch wieder in Ordnung? Werden wir Deinen Sohn vor unsrer Abreise in New York sehn? Alles wohl und fidel. Beste Grüße von allen an Dich und Deine Frau.
Dein F. Engels
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken1981
Plattsburg, N.Y., 12. Sept. 1888 Mittwoch
Lieber Sorge, Heute abend von Lake Placid zurück, morgen down Lake Champlain1. Ich glaube, ich vergaß in meinem Letzten Dich zu bitten, uns noch 150 Stück von den bewußten Zigarren zu besorgen, wir sind ganz blank. Beste Grüße. Dein F. Engels
1 den Lake Champlain hinunter
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York[99]
New York, 18. Sept. 1588
Werte Frau Wischnewetzky, Wir kehrten am Samstag abend von unserer Spritztour nach Boston, dem Niagara, dem St. Lorenz, den Adirondacks, dem Lake Champlain und Lake George, den Hudson hinab nach New York City zurück; wir haben die Zeit sehr genossen, und jeder von uns brachte einen Vorrat neugeschöpfter Kraft nach Hause, die, so hoffe ich, uns den Winter gut überstehen hilft. Morgen nachmittag reisen wir ab per „City of New York" und sehen einiger Aufregung, Maschinenhavarien und dergleichen Dingen entgegen, hoffen aber trotz alledem in 8-10 Tagen in London einzutreffen. Ich kann Amerika nicht verlassen, ohne nochmals mein Bedauern darüber auszudrücken, daß unglückliche Umstände mich hinderten, mit Ihnen mehr als das eine Mal, und das auch nur für einige Augenblicke, zusammenzutreffen. Es gibt da so viele Dinge, über die wir miteinander zu sprechen gehabt hätten, das läßt sich aber nicht ändern, und ich werde mich einschiffen müssen, ohne mich von Ihnen persönlich zu verabschieden. Ich hoffe jedoch, daß die Unannehmlichkeiten, die Sie in letzter Zeit durchzumachen hatten1641, die letzten gewesen sein werden, daß Ihre eigene Gesundheit und die Dr. Wischnewetzkys und der Kinder so ist, wie Sie es sich wünschen. Ich würde mich freuen, bald wieder von Ihnen zu hören, und alle Ihre Wünsche werden bei mir größte Beachtung finden. Ich bekam von Frau Sorge einige Exemplare der Broschüre2; sie ist sehr gut ausgestattet, und bisher habe ich nur zwei Druckfehler entdeckt. Bitte lassen Sie mich wissen, wie viele Exemplare Sie mir nach England schicken und wie viele ich an die Presse verteilen kann; ich denke, man sollte sie an edle führenden Tages- und Wochenzeitungen in London und an einige in den Provinzen schicken, auch an die Monatsschriften. Natürlich werde ich den Verkauf Reeves anvertrauen, falls keine gegenteilige Anweisung erfolgt. Da er im allgemeinen akzeptiert hat, Ihre amerikanische Ausgabe in
1 15. September - 2 Karl Marx: „Rede über die Frage des Freihandels"
Kommission zu nehmen, könnte sein Name auf die Titelseite gesetzt werden; er wird eine neue Titelseite drucken müssen und die Rechnung dafür einsenden. In der Hoffnung, Dr. Wischnewetzky in London vor seiner Rückkehr zu sehen, verbleibe ich, liebe Frau Wischnewetzky,
Ihr stets ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
7 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
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Engels an die Redaktion der „New Yorker Volkszeitung"1,001 (Entwurf)
336, Washington Street Hoboken, 18.9.88
Privat-Mitteilung An die Red. der „N[ew] Yforker] V[olks]z[eitung]" („Der Sozialist"). Am Schluß einer kurzen Reise nach Amerika beabsichtigte ich, auf Ihrem Büro persönlich vorzusprechen. Die Zeit meines Aufenthalts in New York bis zu meiner Abreise per „City of New York" ist aber so kurz bemessen gewesen, daß es mir zu meinem Bedauern nicht möglich war, diese meine Absicht auszuführen. Ich bitte, mich deshalb gütigst entschuldigen zu wollen.
Aufrichtigst Ihr ergebner F.E.
54 • Engels an die Redaktion der „Chicagoer Arbeiter-Zeitung" • 18. September 1888 99
54
Engels an die Redaktion der „Chicagoer Arbeiter-Zeitung" (Entwurf)
[Hoboken, 18. September 1888]
Privat-Mitteilung „Chic[agoer] Arb[eiter]-Z[ei]t[un]g" Auf einer kurzen Reise nach Amerika ist es mir leider nicht vergönnt gewesen, nach Chicago zu kommen und Sie auf Ihrem Büro persönlich aufzusuchen. Indem ich mir erlaube, Ihnen hierüber mein Bedauern auszusprechen, bleibe ich aufrichtigst Ihr ergebener
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Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
S.S. „City of New York" Donnerstag, 27. Sept. 1888
Lieber Hermann, Ich schreibe Dir unter Schwierigkeiten, denn unser Schiff schwankt entsetzlich, und die Hälfte der Leute ist noch immer seekrank. Wir haben eine höchst angenehme, interessante und belehrende Reise gehabt, kamen nach einer guten Überfahrt - nur ein recht netter Sturm - am 17. Aug. in New York an, blieben dort ca. 8 Tage, dann 7 Tage in Boston, dann 5 Tage am Niagarafall, dann über den Ontariosee nach dem Lorenzstrom, diesen hinunter per Dampfschiff nach Montreal, von da zurück in die Staaten, nach Plattsburg, dann ein Abstecher in die Adirondackberge, die sehr schön sind, weiter per Dampfschiff über den Lake Champlain und Lake George (ein Stückchen Corner See im kleinen, aber ganz wild) nach Albany und schließlich den Hudson per Dampfer hinab wieder nach New York. Das Unglück wollte, daß wir Plätze auf dem neuen Schiff „City of New York" belegt, das größte Passagierschiff auf dem Ozean, 10 500 Tons, das 500 Seemeilen per Tag machen sollte. Aber dies ist erst die vierte Reise, die es macht, die Maschinen weigern den Dienst, die eine ist marode und arbeitet mit kaum halber Kraft, die andre muß scharf angestrengt werden und ist daher alle Augenblick flickbedürftig. Glücklicherweise sind wir ohne ein besondres Unglück an der Maschinerie bis hieher gekommen, 51 Grad nördl. Breite und 21 westl. Länge von Greenwich ungefähr, und hoffen, morgen nachmittag in Queenstown zu sein und Samstag abend in London. Die Fahrt war ziemlich rauh, zwei tüchtige Stürme und mit Ausnahme der zwei ersten Tage stets hohe See. Von unsrer kleinen Gesellschaft hat keiner mit der Seekrankheit das geringste zu tun gehabt, wir haben ununterbrochen gegessen, getrunken und geraucht, und ich werde eben - 11 Uhr morgens - zum Frühschoppen kommandiert. Die Reise hat mir wunderbar gutgetan, ich fühle mich mindestens 5 Jahr jünger, alle meine kleinen Gebrechen sind in den Hintergrund gedrängt, auch meine Augen besser, und ich empfehle jedem, der sehr schwachmatisch
oder krackbrüchig ist, eine Reise über den Ozean mit 14 Tagen oder 3 Wochen am Niagara und dieselbe Zeit in den Adirondacks, 2000 Fuß über Meereshöhe. Die Luft dort ist ganz ausgezeichnet, lombardische Augustsonne und der frische Lufthauch unsres rheinischen Oktobers dabei. Ich habe schon jetzt wieder Lust, nächstes Jahr wieder hinüberzugehn, wenn ich wieder Gesellschaft finde. Überlege Dir das einmal, Du und Rudolf1 könntet eine solche Stärkung ganz gewiß gebrauchen. Strapazant ist die Tour gar nicht, das Essen ist in guten Hotels überall recht gut, das deutsche, d.h. nach deutscher Art gebraute Bier überall sehr gut, nur Wein ist teuer, aber für 1 Dollar bis 1 Dollar 50 c. bekommt man überall eine gute Flasche Rheinwein, und der amerikanische Wein ist gar nicht schlecht, leider aber in den Hotels meist nicht zu haben. Wir haben 24 Flaschen an Bord und trinken sie mit Vergnügen - Ohiowein (Riesling und Schaumwein) und kalifornischen Riesling, der sehr gut schmeckt, aber keine Blume hat. Herzliche Grüße an Emma2 und die Kinder, ditto an alle Geschwister.
Dein alter Friedrich
Freitag morgen 10 Uhr Seit heut früh an der irischen Küste, um 12 in Queenstown, wo ich dies aufgebe, morgen früh in Liverpool, abends in London. Nochmals viele Grüße!
1 Rüdolf Engels - 2 Emma Engels
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Engels an Conrad Schmidt in Berlin
London, 8. Okt. 88
Sehr geehrter Herr Doktor, Ihren Brief vom 2. Febr. hätte ich längst beantwortet, wenn ich gewußt hätte, wohin; ich dachte von Ihnen täglich die Nachricht von Ihrer erfolgten Habilitierung in der Schweiz und demgemäß Übersiedelung nach Zürich oder Bern zu erhalten. Zuletzt nahm ich ihn noch mit nach Amerika, wo ich diesen August und September in Gesellschaft von Dr. Aveling und Frau und Schorlemmer zugebracht habe, kam aber auf der Reise auch nicht zur Beantwortung, und finde nun bei meiner Rückkehr Ihre weiteren Zeilen vom 23. August (an welchem Tage ich mich in New York mit den Moskitos herumschlug, die viel gefährlichere Gegner sind als alle deutschen Professoren der Ökonomie). Die Erzählung Ihrer Habilitationsabenteuer haben mir die deutsche Universitätsmisere wieder einmal recht vor die Augen geführt. So etwas nennt sich Freiheit der Wissenschaft. Es ist die alte Geschichte von Bruno Bauer aus den vierziger Jahren11011, nur daß wir jetzt weiter sind und es nicht nur theologische und politische, sondern auch ökonomische Ketzer gibt. Nun, ich will hoffen, daß Thukydides menschlich fühlt und Ihnen in Leipzig keine ernstlichen Schwierigkeiten macht.[1021 Sehr interessant war mir zu erfahren, daß es in Deutschland auch noch eine „konfessionelle" Universität gibt.11031 Was das „wiedergeborne" Vaterland noch für sonderbare Dinge beherbergt! Auf Ihre Arbeit bin ich sehr begierig. Außer Ihnen hat auch Lexis die Frage zu lösen versucht, auf die ich in der Vorrede zum II I.Band des „Kapital" zurückzukommen verpflichtet bin.11041 Daß Sie im Verlauf Ihrer Studien schließlich auf dem Marxschen Standpunkt angekommen sind, wundert mich keineswegs, ich glaube, es geht jedem so, der die Sache unbefangen und gründlich anfaßt. Kostet es doch noch heute manchen Professoren Mühe genug, bei ihrer gewohnheitsmäßigen Ausbeutung von Marx die mit dem Annektierten notwendig verknüpften Schlußfolgerungen sich einigermaßen anständig vom Leibe zu halten, und müssen doch andre, wie
die von Ihnen ausgezogne Stelle unsres Thukydides[1051 beweist, auf die reine Kinderei verfallen, um nur etwas antworten zu können! Wenn meine Augen vorhalten, was ich hoffe - meine amerikanische Spritztour hat mir außerordentlich wohlgetan -, so wird der III.Band1 diesen Winter druckfertig und übers Jahr wie eine Bombe einschlagen in diese Gesellschaft. Ich habe alle andren Arbeiten abgebrochen oder zurückgestellt, um endlich hiermit fertig zu werden, es brennt mir ordentlich auf den Nägeln. Der größte Teil ist fast druckfertig, aber zwei bis drei Abschnitte aus sieben bedürfen starker Nacharbeit, besonders der erste, von dem zwei Bearbeitungen vorliegen. Amerika hat mich sehr interessiert, man muß in der Tat dies Land mit eignen Augen gesehn haben, dessen Geschichte nicht hinter die Warenproduktion zurückreicht und das das gelobte Land der kapitalistischen Produktion ist. Unsre gewöhnlichen Vorstellungen davon sind so falsch wie die eines deutschen Schuljungen über Frankreich. Auch viel Naturschönheit haben wir genossen, am Niagara, auf dem Lorenzstrom, in den Adirondacks, und den kleineren Seen dort. Die Plattersche Kritik von G.Cohn habe ich gelesen; der Anfang ist sehr witzig und gut, nachher wird der gute Platter schwach. Hier geht alles den alten Gang, nur daß die vier Züricher Ausgewiesenen^61 dazugekommen sind und Aveling jetzt Theaterstücke schreibt, die bei den Bühnenherrschern sehr gute Aufnahme finden; er war nach Amerika geschickt, um dort 3 seiner Stücke einzustudieren. Ich habe noch einen ganzen Haufen Briefe zu beantworten, und wenn ich diese Post verpasse, fürchte ich unterbrochen zu werden; so schließe ich lieber gleich. Leben Sie wohl und lassen Sie recht bald wieder von sich hören, hoffentlich als wohlbestallter Dozent! Aufrichtigst Ihr F. Engels
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 10. Okt. 88
Lieber Sorge, Wir sind endlich vorigen Samstag1 vor 8 Tagen wieder hier angekommen, und habe ich Dir seitdem 2 „To-Days", einen Haufen „Commonweals" und heute einen Haufen „Gleichheiten" mit 2 noch übrigen „Commonweals" geschickt. Eine „Gleichheit" fehlt, Ede Bernstein hat sie sich geholt, und ich habe sie noch nicht zurück. Hier wenig Änderung, die nächste Nr. ,,Soz[ial]demokr[at]" wird hier gedruckt.[66] Sonst scheint aber auch gar nichts vorgefallen zu sein. Die „City of New York" ist ein humbug, bei ruhigem Wasser natürlich ruhig, wenn sie aber einmal ins Rollen geraten, bringt sie sobald niemand wieder heraus. Dabei die Maschinerie in miserablem Stand, eine Maschine arbeitete mit kaum halber Kraft, und die andre war infolge Überanstrengung auch alle Augenblick wacklig. Wir haben keinen Tag über 370 Knoten gemacht und einmal nur 313. Soweit sich die politische Lage übersehn läßt, haben wir sie drüben ganz richtig beurteilt. Bismarck hat dem dummen jungen Wilhelm2 so lange vorgeredet, daß er ein größerer alter Fritz3 ist, daß der Bengel das jetzt ernsthaft nimmt und „Kaiser und Kanzler in einer Person" sein will. Jetzt läßt Bismarck ihn gewähren, damit er sich ernsthaft blamiert, um dann als rettender Genius einspringen zu können; inzwischen hat er dem schnoddrigen Bengel seinen Herbert4 beigegeben als Spion und Bewachung. Der Krakeel zwischen den zweien wird nicht lange auf sich warten lassen, und dann fängt der Spaß an. In Frankreich blamieren sich die Radikalen[86] an der Regierung mehr, als zu hoffen war. Gegenüber den Arbeitern verleugnen sie ihr ganzes eignes altes Programm und treten als reine Opportunisten[6l] auf, holen den Opportunisten die Kastanien aus dem Feuer, waschen ihnen die schmutzige Wäsche. Das wäre ganz vortrefflich, wäre nicht Boulanger und jagten sie
1 29.September - 2 Wilhelm II. - 3 Friedrich II. - 4 Herbert von Bismarck
nicht diesem die Massen fast zwangsmäßig in die Arme. Der Mann ist persönlich nicht sehr gefährlich, aber diese Massenpopularität jagt ihm die Armee vollständig zu, und da liegt eine ernsthafte Gefahr - ein momentanes Emporkommen dieses Abenteurers und als Rettung aus seiner Verlegenheit der Krieg. Jonas hat sich also doch noch ganz geschickt aus der Schlinge gezogen und ein Interview fingiert in einer Weise, die ich nicht gut dementieren kann.[1061 Mutter Wischnew[etzkly ist wütend, daß ich „10 Tage in New York gewesen und nicht Zeit fand, die two hours easy railway journey5 zu ihr zu unternehmen, sie hatte doch so viel mit mir zu besprechen". Ja, wenn ich nicht erkältet und mit Indigestion geplagt gewesen und wenn ich überhaupt 10 Tage hintereinander in New York gewesen wäre! Herzliche Grüße an Deine Frau. Dein alter F. Engels
6 zweistündige bequeme Bahnfahrt
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Engels an Louise Kautsky in Wien (Entwurf)
London, M./10./88
Meine liebe, liebe Louise, Ihr Brief kam gleich nach unsrer Rückkehr in Tussys Hände, und dann ging er an Schorljemmer], von dem ich ihn erst heute zurückerhielt. Daher die Verspätung meiner Antwort. Die Nachricht, die Ede bereits Nimmie mitgeteilt hatte, traf uns alle wie ein Blitz aus heiterm Himmel. Aber als ich Ihren Brief gelesen, da stand mir erst recht der Verstand still. Sie wissen, solange ich Sie kenne, habe ich Sie stets hoch und höher geachtet und stets lieb und lieber gehabt. Was aber ist das alles gegen die Bewunderung, die Ihr heroischer und unaussprechlich großherziger Brief erweckt - nicht nur bei mir, sondern bei allen, die ihn gelesen, Nim, Tussy, Schorl[emmer]? In dem Augenblick, wo der härteste Schlag Sie trifft, der überhaupt eine Frau treffen kann, in demselben Augenblick finden Sie die Fassung, den Mann freizusprechen, dessen Hand diesen Schlag doch immer geführt. Und solch ein hochherziges Weib nach fünf Jahren aufgeben - mir steht der Verstand still. Sie sagen, von einer Schuld Karls1 könne keine Rede sein. Gut, Sie sind hier höchste Richterin. Aber das berechtigt uns andre nicht, gegen Sie ungerecht zu sein. Sie sprechen von der Trennung als der einzig richtigen Lösung bei Ihren Charakteren. Aber wären Ihre Charaktere wirklich unverträglich gewesen, so hätten wir das doch auch merken müssen, so hätten wir eine Trennung als etwas Natürliches, Unvermeidliches längst erwartet. Aber gesetzt den Fall der wirklichen Unverträglichkeit. Karl hatte Sie unter Kämpfen mit seiner und mit Ihrer Familie erworben, er wußte, was Sie ihm zum Opfer gebracht, er hatte fünf Jahre, wie wir nicht anders wissen, glücklich mit Ihnen gelebt. Da durfte kein momentanes Unbehagen, um Ihren eignen Ausdruck zu gebrauchen, ihn irremachen. Und wenn eine neue, plötzlich emporgeschoßne Leidenschaft ihn zum äußersten Schritt antrieb, so durfte er diesen Schritt nicht übereilt tun, und vor allen Dingen
mußte er auch den leisesten Schein vermeiden, als tue er ihn unter dem Einfluß von Leuten, die seine Verbindung mit Ihnen nicht wollten und die vielleicht noch heute Ihnen nie ganz verziehen haben, daß Sie seine Frau waren. Sie sagen von Karl: Seine Natur geht zugrunde ohne Liebe, ohne Leidenschaft. Wenn sich diese Natur darin äußert, daß er alle paar Jahre einer neuen Liebe bedarf, so wird er sich doch wohl selbst sagen, daß unter den heutigen Verhältnissen eine solche Natur entweder niedergekämpft werden oder ihn und andre in endlose tragische Konflikte verwickeln muß. Das, liebe Louise, hielt ich mich verpflichtet, Ihnen zu sagen. Im übrigen sind unsre gesellschaftlichen Verhältnisse ja der Art, daß es einem Mann förmlich leicht gemacht wird, an einer Frau ein schweres Unrecht zu begehn, und wieviel Männer gibt es, die sich von solcher Schuld ganz freisprechen können? Geht, ihr seid der Frauen nicht wert! sagte einer der Größten, der es aus eigner Erfahrung am besten wußte. Und das mußte ich mir wieder sagen, als ich Ihren Brief las. Uns ist die Sache nicht wieder aus dem Kopf gekommen. Nim und ich sprechen immer wieder davon wie von etwas Unbegreiflichem, Unmöglichem. Ich sagte ihr: Karl wird eines morgens wie aus einem tiefen Traum erwachen und finden, daß er die größte Torheit seines Lebens begangen hat. Und das scheint sich erfüllen zu wollen, wenn, wie er an Ede schreibt, seine neue Geliebte ihn verlassen und sich gleich in den ersten fünf Tagen in seinen Bruder Hans verliebt und mit diesem verlobt hat. Wir hatten uns alle so gefreut, Sie wieder hier zu sehn, und es war uns schon so leid, als wir in New York durch Percy die Nachricht erhielten, Sie und Karl würden den Winter in Wien bleiben. Daß wir aber Ihr liebes Gesicht gar nicht wieder hier bei uns sehn sollen, das will Nim und mir gar nicht in den Sinn. Und wer weiß, was geschieht, wer weiß, ob Sie doch nicht eines Tages wieder in dem alten Stuhl sitzen, wo Sie so oft gesessen. Was aber auch geschieht, darüber bin ich sicher: Ihr Heldenmut wird Sie über alle Schwierigkeiten, durch alle Kämpfe siegreich hindurchführen. Meine und Nims herzlichste Wünsche begleiten Sie. Was wir für Sie tun können, tun wir mit Freuden - verfügen Sie unbedingt über uns, und wenn das Schicksal Sie je wieder hieher führt, so sehn Sie unter allen Umständen unser Haus als das Ihrige an. Von ganzem Herzen die Ihrigen
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 13.Okt.88
Meine liebe Laura, Endlich. Der Stapel Briefe, der, wie Paul es voraussah, mich hier erwarten würde und der wirklich erschreckend war, ist zum größten Teil weggeräumt, und ich kann mich hinsetzen, um Dir ein paar Zeilen zu schreiben. Gleich zu Beginn etwas Klatsch. Als wir ankamen, erzählte Nim uns als erste Neuigkeit, daß Kautsky und seine Frau drauf und dran sind, sich scheiden zu lassen, daß K[autsky] sich in ein Mädchen der Salzburger Alpen verliebt hat, seine Frau davon unterrichtete und Louise ihn, soweit es sie betrifft, freigegeben hat. Wir waren alle wie vom Blitz getroffen. Ein Brief Louises an mich jedoch - ein wirklich heroischer Brief - bestätigte die Nachricht und sprach sogar mit einer bewunderungswürdigen Großherzigkeit K[autsky] aller Schuld ledig. Wir alle hier haben Louise immer lieber gewonnen und konnten nicht verstehen, daß K[autsky] solch ein Narr sein könne - und dazu ein so erbärmlicher; es sei denn, eine Intrige steckt dahinter, geplant von seiner Muttsr und seiner Schwester (die beide Louise haßten), und er ist in die Falle gegangen. Aus allem, was wir erfahren können, scheint das wirklich der Fall gewesen zu sein. Das Mädchen ist eines Bezirksrichters1 Tochter, die sich offensichtlich nach einem Ehemann sehnt, und besonders nach einem, der sie nach Wien mitnehmen wird. K[autsky] flirtete mit ihr, während seine Frau in Wien war, um ihre kranke Mutter zu pflegen; und eines schönen Morgens wurde die Entdeckung gemacht, daß keiner ohne den anderen leben könne - die Schwester natürlich ließ hinter den Kulissen beide Puppen tanzen, während die Mutter vorgab, nichts zu sehen. Kurz, K[autsky] kam her, erzählte es Bernstein, verkaufte seine Möbel, nahm seine Bücher mit sich und kehrte mit seinem jüngeren Bruder Hans nach St. Gilgen in der Nähe Salzburgs zurück, dem Schau
1 In der Handschrift deutsch: Bezirksrichters
platz obigen Dramas. Als die jugendliche Bella (so heißt sie) den ebenfalls jugendlichen Hans sah, ein flotter, strammer Bursch2, entdeckte sie sofort, daß sie in Karl wirklich nur Hans geliebt habe, und Hans revanchierte sich mit der einem jungen Wiener anstehenden Munterkeit; innerhalb von fünf Tagen waren sie verlobt, und Karl fand sich zwischen zwei Stühlen sitzend, die er selbst gestellt hatte. Karl hat in seiner Großzügigkeit beiden vergeben, doch die alte Mutter schäumt und droht, der jungen Frau ihr Haus zu/verbieten - und dies wirft ein eigenartiges Licht oder vielmehr Schatten auf ihre vorgegebene Schuldlosigkeit an der Affäre. Natürlich entdeckt Kautsky jetzt auf einmal, daß er während der letzten zwölf Monate mit Louise unglücklich gelebt habe (das heißt, seitdem seine Mutter und seine Schwester hier waren und einen Monat mit ihnen auf der Insel Wight verbracht haben), und auch Ede Bernstein will einige Disharmonie bemerkt haben, als er aus der Schweiz kam. Dies ist um so merk-' würdiger, da zur selben Zeit, in der er sich mit ihr nicht verstehen konnte, wir alle hier sie immer lieber gewannen, je länger wir sie kannten; was beweist, daß sie nicht nur eine heroische Frau ist, denn das ist sie unzweifelhaft (und das sind gewiß nicht immer die besten für den Haushalt), sondern eine Frau, mit der vernünftige Leute auskommen können. Ich glaube un<i sagte es zu Nim: Das ist die größte Dummheit3, die K[autskyl je in seinem Leben begangen hat, und ich beneide ihn nicht um den moralischen Kater4, der bei all dem schließlich herauskommen wird (sans calembourg!5). Bis jetzt ist die Sache nicht bekannt. Hier wissen nur Ede Bernstein und seine Frau, Nim und Schorl[emmerl davon, auch Tussy und Edward und wahrscheinlich ein oder zwei von Louises und Tussys gemeinsamen Freundinnen. Wie das alles enden wird, weiß ich nicht, doch ich vermute, K[autskyl wünschte, es wäre alles ein Traum gewesen. Jetzt das Geschäftliche. Inliegend die Abrechnung vom „Kapital" für die letzten 12 Monate, wonach ich Dir £ 2.8.9 schulde, und da Du gegenwärtig ziemlich knapp bei Kasse sein mußt, füge ich £ 15 hinzu - was einen Scheck auf insgesamt £ 17.8.9 ausmacht. Nim teilt mir mit, daß das Mittagessen fertig wird, und deshalb höre ich auf und nutze den Rest der Seite für die Abrechnung. Herzliche Grüße von Nim und Deinem alten General
2 in der Handschrift deutsch: flotter, strammer Bursch - 3 in der Handschrift deutsch: Dummheit - 4 in der Handschrift deutsch: moralischen Kater - 5 ohne Spaß!
Erhalten von S. Sonnenschein & Co. für Gewinnanteile Juli 1887-Juni 1888
£ 12.3.9
1/5 Longuets Kinder £ 2.8.9 Vs Laura Lafargue » 2.8.9 V, Tussy » 2.8.9 £ 7.6.3 Rest 2/5 für die Übersetzer »4.17.6 »12.3.9
davon Sam Moore 3/5 £ 2.18.6 E. Aveling 2/5 »1.19.£4.17.6
Meißners Abrechnung habe ich noch nicht erhalten.
Aus dem Englischen.
60
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 15. Okt. 1888
Werter Herr, Ich war verhindert, Ihre freundlichen Briefe vom 8./20.Jan. und 3./ 15. Juni - wie auch viele andere Briefe - zu beantworten, erstens wegen einer Augenerkrankung, die es mir unmöglich machte, täglich mehr als zwei Stunden zu schreiben, und deshalb zu einer fast vollständigen Vernachlässigung von Arbeit und Korrespondenz zwang, zweitens durch eine Reise nach Amerika im August und September, von der ich eben erst zurückgekehrt bin. Mit meinen Augen geht es besser, aber da ich jetzt Bd. III1 in Angriff nehmen und fertigstellen werde, muß ich mich noch hüten, sie zu sehr anzustrengen; und deshalb müssen mich meine Freunde entschuldigen, wenn meine Briefe nicht so lang und häufig sind. Die Erörterungen in Ihrem ersten Brief über das Verhältnis von Mehrwert- und Profitrate sind höchst interessant und zweifellos von großem Wert für statistische Gruppierungen; doch das ist nicht die Art, wie unser Autor2 das Problem angreift. Sie nehmen in Ihrer Formel an, daß jeder Industrielle den ganzen Mehrwert, den er sich zunächst angeeignet, behält. Aber bei dieser Annahme wären Handels- und Bankkapital unmöglich, weil sie keinen Profit machen würden. Der Profit des Industriellen kann daher nicht den ganzen Mehrwert ausmachen, den er aus seinen Arbeitern herausgepreßt hat. Andererseits könnte Ihre Formel dazu dienen, die Zusammensetzung verschiedener Kapitale in verschiedenen Industrien unter der Bedingung einer allgemeinen und gleichen Profitrate annähernd zu errechnen. Ich sage könnte, weil ich im Augenblick kein Material zur Hand habe, vermittels dessen ich die von Ihnen auf gestellte theoretische Formel verifizieren könnte. Sie wundern sich, warum die politische Ökonomie in England sich in einem so kläglichen Zustand befindet. Es ist überall dasselbe; auch die klassische Ökonomie, nein sogar die vulgärsten Freihandels-Hausierburschens
1 des „Kapitals" - 2 Karl Marx - 3 in der Handschrift deutsch: Hausierburschen
werden von den noch vulgäreren „höheren" Wesen, die die Lehrstühle für Ökonomie an den Universitäten innehaben, mit Verachtung angesehen. Das ist zu einem großen Teil die Schuld unseres Autors; er hat die Leute gelehrt, die gefährlichen Konsequenzen der klassischen Ökonomie zu sehen, und jetzt finden sie, daß man, wenigstens auf diesem Gebiet, am sichersten fährt, wenn man auf jede Wissenschaft verzichtet. Und sie haben den gewöhnlichen Philister so sehr geblendet, daß gegenwärtig in London vier Leute auftreten können, die sich „Sozialisten" nennentl07] und die behaupten, unseren Autor völlig widerlegt zu haben, indem sie seiner Theorie die von Stanley Jevons[8] entgegenstellen. Pariser Freunde bleiben dabei, daß Mr. Mutual nicht tot ist[10]; ich habe keine Möglichkeit, ihre Nachricht zu überprüfen. Mit großem Interesse las ich Ihre physiologischen Bemerkungen über die bei verlängerter Arbeitszeit eintretende Erschöpfung und über die Menge potentieller Energie in Form von Nahrungsmitteln, die man braucht, um die Erschöpfung wieder auszugleichen. Zu der von Ihnen zitierten Behauptung von Ranke[108] habe ich einen kleinen Einwand zu machen: Wenn die 1 000 000 kgmetres4 in den Nahrungsmitteln lediglich den Gegenwert der Wärme und der geleisteten mechanischen Arbeit ersetzen, so werden sie noch nicht ausreichen; denn sie ersetzen nicht die Verausgabung von Muskel und Nerv; dafür wird nämlich nicht nur Wärme erzeugende Nahrung gebraucht, sondern auch Eiweiß, und das kann nicht nur in kgmetres gemessen werden, da der tierische Körper unfähig ist, Eiweiß aus den Elementen aufzubauen. Die beiden Bücher von Ed.Young und Phil. Bevan kenne ich nicht, aber es muß ein Fehler in der Feststellung sein, daß Spinner und Weber in der amerikanischen Baumwollindustrie $ 90—120 im Jahr erhalten. Das wären $ 2 die Woche oder 8 Shilling, die jedoch in Wirklichkeit an Kaufkraft weniger als 5 in England sind. Nach allem, was ich gehört habe, sind die Löhne von Spinnern und Webern in Amerika nominell höher als die in England, tatsächlich aber ihnen völlig gleich, das heißt ungefähr $ 5-6 die Woche, die 12 bis 16 Shilling in England entsprechen. Beachten Sie dabei, daß die Spinner und Weber jetzt alles Frauen sind oder Knaben von 15 -18 Jahren. Was Kautskys Behauptung angeht, so hat er den Fehler gemacht, Dollar gleich Pfund Sterling zu setzen; um sie auf Mark umzurechnen, hat er mit 20 statt mit 5 multipliziert und so das Vierfache der richtigen Summe erhalten. Die Zahlen der Volkszählung („Compendium of the lOth
4 Meterkilogramm v
census of the U.S., 1880", Washington 1883[109], S. 1125: Specific Cotton Manufactures) sind: Arbeiter und Angestellte 174 659 davon ab: Angestellte, Geschäftsführer usw. 2 115 172 544 Arbeiter
Männer (über 16 Jahre) 59 685 Knaben (unter 16 Jahren) 15 107 Frauen (über 15 Jahre) 84 539 Mädchen (unter 15 Jahren) 13 213 172 544
Gesamtlöhne $ 42 040 510 oder 243.06 per Kopf und Jahr, was mit meiner obigen Schätzung übereinstimmt, da, was die Männer mehr bekommen, durch das ausgeglichen wird, was Mädchen und Knaben weniger erhalten. Wie tief die ökonomische Wissenschaft gesunken ist, beweist der von Lujo Brentano veröffentlichte Vortrag über „Die klassische Nationalökonomie" (Leipzig 1888), in dem er proklamiert: Allgemeine oder theoretische Ökonomie ist wertlos, aber spezielle oder praktische Ökonomie ist alles. Wie in der Naturwissenschaft (!) müssen wir uns auf die Beschreibung von Tatsachen beschränken; und solche Beschreibungen sind von unendlich größerem Wert als alle Deduktionen a priori. „Wie in der Naturwissenschaft" ! Das ist unbezahlbar im Jahrhundert von Darwin, Mayer, Joule und Clausius, im Jahrhundert der Entwicklungslehre und der Umwandlung der Energie! Dank für die Nummer der „PyccKia B^omocth" 5 mit dem interessanten Artikel über die Unterbindung der statistischen Arbeiten der Semstwos. Es ist sehr schade, daß diese wertvolle Arbeit unterbrochen werden soll.
Ihr sehr ergebener P.W.Rlosher]™
Aus dem Englischen.
5 „Russkije Wedomosti"
8 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
61
Engels an Karl Kautsky in Wien
London, 17. Oktober 1888
Lieber Kautsky, Ich kann meine Antwort auf Deinen Brief nur damit anfangen, wie ich auch an Louise geschrieben1: mir steht der Verstand still bei dem, was zwischen Euch vorgefallen. War eine ernstliche Störung vorhanden, so mußte sich das doch in wenn auch noch so geringem Maß hier vor uns zeigen, namentlich, als Ihr mit Avelings in Dodwell wart. Aber niemand hat etwas gemerkt - außer Ede. Du sagst selbst, Louise wolle das auch nicht anerkennen, und bei der staunenswerten Großherzigkeit, die sie in dieser ganzen Sache an den Tag gelegt, nehme ich unbedingt an, daß sie sagt, was sie fühlt und glaubt. Es könnte aber sein, daß Ihr beide recht habt. Du datierst Deine Unbefriedigtheit von seit mehr als einem Jahr. Das bringt Euch ungefähr nach Ventnor. Deine Verwandten haben Eure Heirat nicht gern gesehn. Ich weiß aus Erfahrung in meiner eignen Familie, wie schwer, und momentan unmöglich» es Eltern wird, einem Schwiegerkind gerecht zu werden, das wider ihren Willen in die Familie gekommen ist. Die Eltern sind sich bei alledem der besten Absichten bewußt, aber diese besten Absichten haben meist kein andres Resultat, als die Hölle für das Schwiegerkind und indirekt auch für das eigne Kind zu pflastern. Jeder Mann hat an seiner Frau irgend etwas auszusetzen und umgekehrt; das ist in der Ordnung. Aber durch wohlgemeinte Ingerenz2 Dritter kann dies kritische Verhalten zum Mißbehagen und zu dauernder Störung sich steigern. Ist das bei Euch der Fall, so habt Ihr beide recht: Louise darin, daß zwischen Euch beiden kein Grund der Störung vorliegt; Du, daß das Verhältnis faktisch gestört ist. Wenn nun die Störung so bedeutend war - einerlei, aus welchem Grund -, daß Du ernstlich die Absicht der Trennung faßtest, so war nach meiner Ansicht vor allem zu erwägen die Verschiedenheit der Lage von Frau und Mann unter den heutigen Verhältnissen. Dem Mann schadet die Trennung
1 Siehe vorl. Band, S. 106/107 - 2 Einmischung
gesellschaftlich absolut nicht, er behält seine ganze Lebensstellung, wird bloß wieder Junggesell. Die Frau verliert ihre ganze Stellung, muß wieder von vorn anfangen, und das unter erschwerten Umständen. Wenn daher die Frau von Trennung spricht, kann der Mann alles tun, bitten und Hehn, ohne sich zu erniedrigen; spielt dagegen der Mann nur leise auf Trennung an, so ist die Frau, wenn sie sich achtet, fast gezwungen, ihn sofort beim Wort zu nehmen. Daraus folgt, daß der Mann nur im äußersten Fall, nur nach reifer Überlegung, nur in vollster Klarheit über die Notwendigkeit der Sache diesen äußersten Schritt tun darf, und dann auch nur in der rücksichtsvollsten Form. Ferner: Eine tiefe Störung kann nicht stattfinden, ohne daß beide Teile sie fühlen. Und Du kennst Louise genug, um zu wissen, daß in diesem Fall sie die erste gewesen wäre, sich und Dich freizusetzen. Wolltest Du aber dennoch den ersten Schritt tun, dann hatte Louise doch wahrlich um Dich verdient, daß Du ihn bei vollem Verstand tatest und nicht in dem Rausch, in dem Du Dich in St. Gilgen befandest und der so rasch zerrinnen sollte. Genug. Wie gesagt, uns allen, außer Ede, ist die Sache rein unbegreiflich. Während Du mit Louise unzufrieden wurdest, hat sie sich Freunde über Freunde hier erworben, haben wir alle sie immer lieber gewonnen, hat man Dich um sie beneidet. Und ich bleibe dabei, Du hast den dümmsten Streich Deines Lebens begangen. Du sagst, Du glaubst in Wien bleiben zu müssen. Das mußt Du natürlich am besten wissen. Ich an Deiner Stelle würde das Bedürfnis fühlen, zunächst einmal in relativer Einsamkeit, fern von allen Beteiligten, mit mir selbst ins reine zu kommen über den Charakter und die Tragweite des Geschehenen. Und hiermit genug davon. Deine Nachrichten über den Parteistand in Ostreich sind wenig erbaulich, wenn auch kaum unerwartet. Der Nationalitätenhader sitzt auch der Masse der Arbeiter noch zu tief in den Knochen, um einen allgemeinen Aufschwung zu gestatten, das will Zeit. Von den 3 von Dir erwähnten Gruppen kommen die Alpenländer kaum in Betracht, mit Ausnahme von Wien, das ich nicht dazu rechne. Die Brünner haben den großen Vorzug, eine internationale Gruppe zu sein. Schließlich sind die Streitigkeiten um die Führerschaft doch nur, grade wie hier, der Beweis, daß die großen Massen noch nicht im Übergang zur Partei begriffen sind, daß es zu langsam geht und daher die Schuld dafür von jedem auf andre geschoben und beßrer Erfolg von diesem oder jenem Zaubermittel erwartet wird.[110] Da kann nur Geduld helfen, und ich bin froh, daß ich mich nicht einzumischen habe.
Ich muß jetzt mit Macht an den III.Band3. Sonst hätte ich Dir für die „N[eue] Z[eit] "einiges über meine amerikanischen Erfahrungen gemacht[U1]; aber ich werde schwerlich die Zeit finden - über 14 Tage sind schon mit Korrespondenz, Nachlesen des Eingegangnen usw. verschleppt worden. Meine Augen sind momentan besser, aber wie es werden wird, wenn ich wieder ins Geschirr muß, muß ich abwarten. Morgen geh' ich wieder zum Augenarzt. Dein F. Engels
62
Engels an August Bebel in Berlin
London, 25. Okt. 88
Lieber Bebel, Ich habe Dir per Schlüter geschickt „Der Hülferuf der deutschen Jugend" nebst Fortsetzung: „Die junge Generation" - Weitlings Zeitschrift aus den vierziger Jahren. Das andre hatte Schlüter und hat es Dir geschickt; die „Garantien", das „Evangelium des armen Sünders" usw.11123 Nach meiner Ansicht ist es besser, die 3 Richtungen der deutschen Bewegung der 40er Jahre auseinanderzuhalten. Sie durchkreuzen sich nur wenig, namentlich blieb der W[eitling]sche Kommunismustll3] separat, bis er ausstarb oder die Leute zu uns übergingen - eine Phase, die in der Literatur nicht vertreten ist. Für die Geschichte des „wahren Sozialismus"11141 (Heß zum Teil, Grün und eine Anzahl andrer Belletristen) ist das Material des Archivs1241 lange nicht vollständig genug und wären außerdem die alten Ms. von Marx und mir zu benutzen, diese aber kann ich unter keinen Umständen aus der Hand geben. Auch ist da manches unumgänglich, was hinter den Kulissen vorgegangen, namentlich die Entfremdung zwischen Heß und uns, und was sich nicht so ohne weiters in ein paar Zeilen mitteilen läßt ich müßte dazu den ganzen alten Kram selbst wieder durchsehn. Was endlich die 3te Richtung - die unsrige - anlangt, so ist der Entwicklungsgang auch nur in den alten Ms. zu studieren, und die äußere Geschichte habe ich in der Einleitung1 zum „Komm[unisten-]Prozeß"2 gegeben. Dagegen ist der W[eitling]sche Kommunismus eine für sich abgeschloßne und gedruckt vorliegende Sache. Es fällt mir dabei ein, daß Du vielleicht auch das Kuhlmannsche Buch haben mußt - die Prophetenreligion, die auf Weitling in der Schweiz folgte und viele seiner Anhänger herüberzog. Ich habe es ganz vergessen, S[chlüter] zu geben. Ich lege Dir einen Brief Weitlings an Heß (aus dem Archiv) bei. Es
1 „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" - 2 Karl Marx: „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln"
war die Sitzung des kleinen Vereins engerer Genossen, worin es zum Bruch zwischen W[eitling] und uns kam.[115i (Dieselbe Sitzung ist auch beschrieben von dem anwesenden Russen Annenkow, abgedruckt in der „Neuen Zeit" vor einigen Jahren.)11161 Der Kasus war dieser: Heß war in Westfalen (Bielefeld etc.) gewesen, die Leute dort - Lüning, Rempel u. andre - wollten die Mittel schaffen zur Herausgabe unsrer Schriften[117!, sagte er. Jetzt kam W[eitling] und wollte seine utopistischen Systemausarbeitungen und sonstigen großen Werke (darunter eine neue Grammatik, worin der Dativ als Erfindung der Aristokraten abgeschafft war11181) sofort dort unterbringen Sachen, die wir grade in dem Augenblick kritisieren und bekämpfen mußten, wenn der Plan sich realisierte. Wie unsre Argumente sich im Kopf von W[eitling] verdreht widerspiegelten, zeigt der Brief. Er sah überall nur Brotneid, nur den Versuch, sein Genie zu unterdrücken, ihn „von den Geldquellen zu trennen". Aber in Nr.5 und 6 seines Resümes[1191 tritt der prinzipielle Gegensatz zwischen ihm und uns doch klar genug hervor, und das ist die Hauptsache. Auf S.3, Z. 10-12: dies bezieht sich darauf, daß wir die großen Utopisten in Übersetzungen und mit kritischen Einleitungen und Noten deutsch herausgeben wollten - gegenüber den faselnden Berichten von Lorenz Stein, Grün11201 u. a. Der unglückliche WJeitlingl sieht darin nur ungerechte Konkurrenz gegen sein System. S.3 unten: E. ist Ewerbeck in Paris. Notabene: schließlich stellte sich heraus, daß Moses3 uns die Hauptsache verschwiegen, nämlich, daß die Westfalen sich nur erboten hatten, für etwaige Verluste an unsern Sachen bei dritten Verlegern Garantie zu leisten; Moses hatte uns vorgemacht, sie, die Westfalen, wollten selbst den Verlag übernehmen. Sobald wir erfuhren, wie es stand, brachen wir natürlich sofort alles ab, westfälisch garantierte Schriftsteller zu sein, fiel uns nicht ein. Die Geschichte mit Kautskys hat uns alle in Erstaunen gesetzt. Louise hat sich in der ganzen Sache mit seltnem Heroismus benommen. K[autsky] war in einem vollständigen Rausch, ist aber bitter ernüchtert worden, als sein neuer Schatz innerhalb 5 Tagen ihn sitzenließ und sich mit seinem Bruder Hans verlobte. Jetzt wollen sie beide abwarten, was draus wird; das sonderbarste aber ist, daß jetzt Louise sich darüber beklagt, wir alle seien gegen Karl ungerecht! Ich habe K[autsky] geschrieben, es sei der dümmste Streich seines Lebens gewesen, und wenn Louise das zu hart findet, so muß ich allerdings den Degen einstecken.
Ich bin jetzt am III.Band „Kapital". Meine Augen soll ich noch sehr schonen, nicht mehr als 2 Stunden täglich schreiben und nur bei Tageslicht. Da wird meine Korrespondenz recht sehr beschnitten werden müssen. Gruß an Singer. Dein F. E.
63
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 24. Nov. 88
Meine liebe Laura, Ich war gerade im Begriff, an Paul ein paar Zeilen zu schreiben, als Dein Brief eintraf. Ich bin mit einem sehr wichtigen Kapitel im Buch III beschäftigt gewesen, das ich vollkommen umarbeiten mußte; die von Mohr hinterlassenen Materialien lagen alle nur im Entwurf vor, und da es sich um ein mathematisches Kapitel handelt, erforderte es große Aufmerksamkeit.[121] Wenn nun der Doktor einem nur zwei Bruchteile von je 11/2 Stunden täglich zum Arbeiten gestattet, dauert eine Sache, die sonst in 14 Tagen erledigt wäre, jetzt mehr als 6 Wochen - und so beschloß ich, erst alles fertigzumachen, bevor ich mir eine Pause für die Korrespondenz gönnte. Nun, der Hauptteil ist heute fertig geworden, und so kann ich eben ein paar Zeilen schicken, um Paul zu bitten, mich wie gewöhnlich wissen zu lassen, wann er Geld braucht, ich will dann tun, was ich kann. Sobald ich mein Kapitel endgültig los bin, werde ich wieder schreiben ich habe so viele Briefschulden! -, inzwischen hoffe ich, heute abend den „Figaro" zu bekommen, bis jetzt ist er nicht eingetroffen. Die Lage in Frankreich scheint wirklich sehr merkwürdig - unsere Freunde haben sich durch ihren Haß gegen die Radikalen1863 erlaubt, Boulanger zu wenig au serieux1 zu nehmen, und stellen jetzt fest, daß er eine wirkliche Gefahr ist jedenfalls hat er die unteren Chargen der Armee auf seiner Seite, und das ist eine Macht, die nicht zu verachten ist. Auf jeden Fall macht die Art, in der der Kerl die Unterstützung der Monarchisten nicht nur annimmt, sondern sucht, ihn in meinen Augen verachtenswerter als selbst die Radikalen. Wollen wir hoffen, daß die unbewußte Logik der französischen Geschichte die bewußten Verstöße gegen die Logik, die alle Parteien begangen haben, überstehen wird - doch dann darf man nicht vergessen, daß die Form jeder unbewußten Entwicklung die Negation der Negation2 ist, die Bewegung in Gegensätzen, und das heißt in Frankreich Republikanismus (oder ent
1 ernst - 2in der Handschrift deutsch: Negation der Negation
sprechend Sozialismus) und Bonapartismus (oder Boulangismus). Und Boulangers avenement3 würde ein europäischer Krieg sein - gerade das» was am meisten zu befürchten ist. Immer Dein F. Engels
Pumps* Junge mußte am letzten Mittwoch in einen Juden verwandelt werden - soll Paul seinen Segen für seine Lieblingsoperation[122] geben! Dem Jungen geht es schon besser. Nim hatte eine schwere Erkältung, sie mußte fast 3 Wochen das Haus hüten.
Aus dem Englischen.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 4. Dez. 1888
Mein lieber Lafargue, Ich habe soeben die Revision eines sehr wichtigen Kapitels des 3. Bandes beendet, ein Kapitel, das Marx unvollendet gelassen hat - noch dazu ein mathematisches11211; um es zu Ende zu bringen, mußte ich jede andere Arbeit, besonders jede Korrespondenz beiseite lassen. Das ist der Grund meines Schweigens. Bernstein hat Ihren Artikel an Bebel geschickt, um zu erfahren, was er darüber denkt.[123] Ich würde Ihnen raten, ihn zurückzuziehen. Was Sie in Ihrer historischen Einleitung sagen, ist bekannt, und wir stimmen darin alle überein. Als Sie aber bei den Possibilisten[171 anlangen, behaupten Sie lediglich, sie hätten sich an die Regierung verkauft, ohne den geringsten Beweis dafür zu erbringen, ohne irgendein Detail zu nennen. Wenn Sie nichts anderes über die Possibilisten zu sagen haben, wäre es besser, gar nichts zu sagen. Hätten Sie alle Schweinereien erzählt, die sie, wie Sie sagen, im Gemeinderat begangen haben, und die Geschichten mit der Arbeitsbörse[124], und hätten Sie schließlich Tatsachen und Gründe angeführt für die Behauptung, daß sie sich haben kaufen lassen, so wäre das besser gewesen. Aber die einfache Behauptung, daß sie sich verkauft haben, hat keinerlei Wirkung. Vergessen Sie nicht, diese Herren würden antworten, Ihr wäret von den Boulangisten gekauft. Es ist nicht zu leugnen, daß Eure Haltung gegenüber dem Boulangismus Euch in den Augen der Sozialisten außerhalb Frankreichs außerordentlich geschadet hat. Ihr habt mit den Boulangisten kokettiert, geflirtet, aus Haß gegen die Radikalen1861, während Ihr leicht sowohl die einen als auch die anderen angreifen und jeden Zweifel über Eure unabhängige Haltung beiden Parteien gegenüber vermeiden konntet. Ihr wart nicht gezwungen, zwischen diesen beiden Dummheiten zu wählen, Ihr kontet über die eine wie über die andere spotten. Statt dessen habt Ihr die Boulangisten mit Samthandschuhen angefaßt, Ihr habt sogar davon gesprochen, mit ihnen bei den nächsten Wahlen eine gemeinsame Liste auf
zustellen, mit Leuten, die mit den Bonapartisten und Royalisten alliiert sind und sicher ebensoviel wert sind wie die radikalen Verbündeten des Herrn Brousse! Wenn die Haltung der Blanquisten, die - sie, die Reinen Boulanger wegen des von Rochefort erhaltenen Geldes ebenfalls schonend behandeln, Euch irregeführt hat, so müßten Sie „die Reinen" doch kennen, da wir sie auch in London gehabt haben. Sie meinen, das Volk müsse sein Sehnen personifizieren - wenn das wahr ist, dann wären die Franzosen also als Bonapartisten geboren, und dann können wir die Bude in Paris ja zumachen. Aber selbst wenn Sie dies glaubten, ist das für Sie ein Grund, diesen Bonapartismus in Schutz zu nehmen? Boulanger, so sagen Sie, will keinen Krieg. Als ob es sich darum handelte, was dieser arme Mann will! Er muß wohl oder übel tun, was seine Lage von ihm verlangt. Einmal an der Macht, ist er der Sklave seines chauvinistischen Programms, des einzigen, das er hat, abgesehen von dem Programm, wie er an die Macht gelangt. Es wird keine sechs Wochen dauern, und Bismarck wird ihn in eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, Provokationen, Grenzzwischenfällen usw. verwickelt haben, worauf Boulanger den Krieg erklären oder eben abtreten muß; zweifeln Sie etwa, wie er sich entscheiden wird? Boulanger, das ist der Krieg, das ist fast so gut wie sicher. Und was für ein Krieg? Frankreich mit Rußland verbündet, folglich außerstande, eine Revolution zu machen; bei der geringsten Bewegung in Paris würde sich der Zar1 mit Bismarck verständigen, um ein für allemal den revolutionären Herd zu ersticken; schlimmer noch: der Krieg, einmal begonnen, würde den Zaren zum absoluten Herrn über Frankreich machen und Euch die Regierung aufzwingen, die er will. Sich also aus Haß gegen die Radikalen Boulanger in die Arme zu werfen, das ist genau dasselbe, wie sich dem Zaren in die Arme zu werfen aus Haß gegen Bismarck. Ist es denn so schwer, auszusprechen, daß sie alle beide stinken, wie die Königin Blanka bei Heine sagt? Ich weiß nicht, was Liebkjnecht] hinsichtlich der Possibilisten hat machen können. Jedenfalls bin ich sicher, daß sich unsere Partei in Deutschland nur sehr schwer entschließen würde, zu dem Possibilistenkongreß[125] zu gehen, und wenn sie es täte, dann nur infolge ernster Fehler von Eurer Seite. Aber vergeßt nicht, daß es die Possibilisten erreicht haben, als die offiziellen Vertreter des französischen Sozialismus auftreten zu können; daß sie als solche von den Engländern, den Amerikanern und den Belgiern
anerkannt sind; daß sie auf dem Londoner Kongreß[1261 mit den Holländern und Dänen fraternisiert haben, weil Ihr nicht vertreten wart, Ihr hattet verzichtet. Wenn Ihr nichts tut, um Euren Kongreß für 1889 anzukündigen und vorzubereiten[127], wird alle Welt zu dem der Broussisten gehen, denn man läuft nicht hinter denen her, die verzichten. Kündigt also Euren Kongreß an, macht ein bißchen Lärm in der sozialistischen Presse aller Länder, damit die anderen merken, daß Ihr immer noch da seid. Und wenn Euer Kongreß von Troyes[128] Erfolg hat - er muß Erfolg haben, sonst ist es um Eure Partei geschehen - rührt die Trommel, bildet ein Zentralkomitee, das handelt und an das man sich wenden kann, und - wenn möglich - gebt ein kleines Wochenblatt heraus, womit Ihr vor der Welt Euer Vorhandensein beweist. Und grenzt Euch entschieden von den Boulangisten ab, sonst wird niemand kommen. Liebk[necht] wird seinen Kongreß haben, wenn es möglich ist, und es ist ihm egal, was für ein Kongreß, wenn er nur dabei ist. Und wenn Euer Kongreß ihm zu wenig Chancen auf Erfolg bieten sollte, würde er zu den Possibilisten gehen. Ich werde mein Bestes tun, um bei den anderen vorzubeugen; bei Bebel ist das schon durch Bernstein geschehen, der selbst im „Sozialdemokrat" über die Possibilisten schreiben wird. Aber er hat nicht die Macht, die Partei zu binden. Hat sich Liebkjnecht] an Sie gewandt, und was haben Sie ihm geantwortet? Das müßte ich wissen, um in Kenntnis der Tatsachen handeln zu können. Letzten Sonntag besuchten mich Anseele und Van Beveren, und wer begleitete sie? Adolphe Smith Headingley! Natürlich habe ich ihm sehr rasch die Tür gewiesen. Stellen Sie sich diese Unverschämtheit vor! Percys Angelegenheiten stehen hier ziemlich schlecht; vor Ende des Jahres werde ich nicht feststellen können, wie das enden wird, aber das Jahr 1889 könnte hinsichtlich meiner Finanzen recht revolutionär werden. Inzwischen schicke ich Ihnen einen Scheck über £ 15, um Sie über Wasser zu halten. Herzliche Grüße an Laura. Nim hat Bionchialkatarrh gehabt, aber nach 3 Wochen ist er endlich verschwunden. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
65
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
In Eile: Sage doch Speyer, daß Leßner seine Schwägerin gefunden hat. Die Leute wohnen noch in dem alten Hause, die Frau hat versprochen, gleich an Speyers zu schreiben, doch wollte ich diese Anzeige nicht versäumen. Der II I.Band1 macht mehr Arbeit, als ich dachte. Ein Kapitel habe ich ganz aus dem Material umarbeiten müssen, ein zweites, wovon nur der Titel vorhanden, muß ich selbst fabrizieren.tl29] Indes geht's voran und wird die Herren Ökonomen sehr in Verwunderung setzen. Meine Augen sind besser, und ich bin noch immer fünf Jahre jünger als vorigen Juli. Grüße an Deine Frau. Dein F. E. [London] 15. Dez. 88
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Engels an F. Walter in London (Entwurf)
[London] 2I.Dez. 88
Herrn F.Walter, 47, Marshallst., Golden Sq., W. Geehrter Herr Walter, Als Sie an mich zuerst schrieben, waren Sie mir gänzlich unbekannt, und konnte ich daher auf Ihren Brief nicht mehr Rücksicht nehmen wie auf die vielen Briefe ähnlichen Inhalts, die mir von Unbekannten zukommen. Sie beziehen sich jetzt auf Most, woraus ich schließen muß, daß Sie zu den Anarchisten gehören. Solange aber die Anarchisten weit mehr gegen unsre in Deutschland kämpfende Partei ankämpfen als gegen den gemeinsamen Feind, gehören meine Mittel den Opfern der Verfolgung der deutschen Regierungen und ist nicht zu verlangen, daß ich Leute unterstützen soll, die meinen Freunden und Parteigenossen in Deutschland und anderwärts feindlich gegenübertreten. Unter allen Umständen bin ich außerstande, Ihnen den Broker1 aus dem Hause zu schaffen. Wenn ich mich aber in bezug auf Ihre Parteirichtung irren sollte, so können Sie sich ja leicht bei meinem alten Freund Leßner, 12, Fitzroyst., legitimieren, und würde ich dann gern für einen wirklichen Parteigenossen etwas tun, obwohl die Abzahlung einer Schuld wie die Ihrige meine Kräfte weit übersteigt. Achtungsvoll und ergebenst.
1889
67
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 2. Jan. 89*
Meine liebe Laura, Unsere besten Wünsche zum neuen Jahr für Dich und Paul! Wir sind auf sehr sonderbare Art hineingekommen - wie gewöhnlich fuhren wir in einer Droschke zu Pumpses, der Nebel wurde immer dichter, und in Belsize Road blieben wir stecken, der Kutscher mußte das Pferd führen; bald genügte das nicht mehr, ein Mann mit einer Laterne nahm das Pferd und führte es. Nach einer ganzen Stunde Fahrt in der Dunkelheit und in der Kälte kamen wir bei Pumpses an, wo wir Sam Moore, Tussy, die Schlüters (Edward tauchte überhaupt nicht auf) und auch Tauscher vorfanden. Das Dinner natürlich eine Stunde später, unseres Abenteuers wegen. Nun, es wurde immer dunkler, und als das neue Jahr anbrach, war die Luft so dick wie Erbsensuppe. Keine Aussicht fortzukommen; unser Droschkenkutscher, für ein Uhr bestellt, kam nicht, und so mußte die ganze Gesellschaft bleiben, wo sie war. Also fuhren wir fort mit Trinken, Singen, Kartenspielen und Lachen bis halb sechs, als Sam und Tussy von Percjr zum Bahnhof begleitet wurden und den ersten Zug erreichten; ungefähr um sieben gingen die anderen, draußen klarte es etwas auf; Nim schlief mit Pumps, Schorljemmer] und ich in dem Reservebett, Percy im Kinderzimmer (es war nach sieben Uhr, als wir schlafen gingen), und ungefähr um 12 oder 1 standen wir wieder auf, um zum Pilsner usw. zurückzukehren;: die Sonne schien klar auf einen prachtvoll gefrorenen Boden. Der fidele Abend sagte uns allen außerordentlich zu, und niemandem von uns ist das Gelage schlecht bekommen. Die anderen tranken ungefähr um halb fünf Kaffee, aber ich blieb bis um sieben beim Rotwein. Es freut mich zu erfahren, daß die Boulangitis eine persönliche Affektion Pauls war, obwohl die „Parti Ouvrier" vorgibt, Guesde und Deville hätten ihm beigepflichtet.[130] Wir sind uns völlig einig darüber, was Du über die
Possibilistent171 sagst, aber ich war verpflichtet, Dich und Paul hinzuweisen auf die Entschuldigungen, die Liebk[necht] und andere - beispielsweise die Belgier - aus der sehr rücksichtsvollen Behandlung entnehmen könnten, die die Boulangisten zweifellos von unserer Seite erfahren haben. Alles, worauf ich von Anfang an bestand, und alles, was Paul mir verweigerte, war die klare und unmißverständliche Versicherung, daß die Boulangisten genauso wie die Cadettistentl31] als bourgeoise Feinde behandelt werden müßten. Denn unter keinen Umständen könnte ich unsere deutschen Freunde ermutigen, an einem Kongreß teilzunehmen, dessen Einberufer die alte, traditionelle Politik des Proletariats so weit vergessen haben, daß sie mit einer Partei der Bourgeoisie kokettieren, et encore un parti tel que les boulangistes1. Nun, die bevorstehenden Pariser Wahlen müssen unsere Leute zur Vernunft bringen - das war mein erster Gedanke nach Hudes Todtx32J, und der Kongreß von Troyes hat in der Tat wenigstens einen Schritt auf dem richtigen Wege gemacht, indem er die Notwendigkeit einer unabhängigen sozialistischen Kandidatur proklamierte^331 (ich hoffe auf die von Vaillant, der, wie mir deucht, augenblicklich der einzige ist, der eine gewisse Anzahl von Stimmen auf sich vereinigen kann, da unsere eigenen Leute gegenwärtig scheinbar nicht im Rennen sind). Aber keine Zeitung berichtet, welche anderen Resolutionen vom Kongreß gefaßt wurden; es gab einzelne antiboulangistische Pronunziamentos (obgleich ich dabei keine von Paul gesehen habe), doch von dem Kongreß nichts Offizielles, außer der obigen Resolution. Nun, Liebk[necht] wird ungefähr Mitte Januar nach Paris kommen5134', und ich muß in einigen l agen an Bebel schreiben. Daher muß Paul, möchte er, daß ich im Interesse ihres Kongresses handle, mir das ermöglichen durch eine klare und unzweideutige Erklärung darüber, was unsere Leute von ihm und den anderen in bezug auf die Boulanger--Manie erwarten können. Und je früher, desto besser, es ist nicht viel Zeit zu verlieren. Ich habe nie den wirklich antichauvinistischen Charakter der Marxisten bezweifelt, doch das ist eben der Grund, weshalb ich nicht verstehen konnte, wie sie an eine offene oder versteckte Allianz mit der Partei denken konnten, die fast ausschließlich vom Chauvinismus lebt. Ich habe niemals mehr verlangt als das offene Eingeständnis, daß Cadettisten und Boulangisten, daß sie alle beide stinken2; wahrhaftig, eine so selbstverständliche Sache hätte ich
1 und noch dazu mit einer Partei wie die Boulangisten - 8 in der Handschrift deutsch: daß sie alle beide stinken
schon längst haben müssen! Auch die in Troyes angenommenen Resolutionen müßte ich haben. Wenn es die Vorstellung gab, einige unserer Leute in die Kammer zu bekommen, indem man sie auf die Liste der Boulangisten setzte, so wäre das viel schlimmer, als überhaupt nicht in die Kammer zu kommen. Alles in allem, wäre der arme alte „Socialiste" auf die eine oder andere Weise am Leben erhalten worden, wären wir, glaube ich, besser dran. Am vergangenen Sonntag war Cunninghame-Graham hier - ein netter Kerl, der aber immer einen Manager braucht, sonst tapfer bis zur Tollkühnheit, im ganzen hat er viel von einem englischen Blanquisten. Herzliche Grüße von Nim, Schorl[emmer] und mir selbst.
Immer herzlichst Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
9 Marx/Engrels, Werke, Bd. 37
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Engels an August Bebel in Berlin
. . , n , i London, 5. Jan. 89 Lieber bebel, Vorab herzliche Erwiderung Eurer freundlichen Neujahrswünsche! Wenn der Nebel erlaubt, soll ich Dir heute auf Aufforderung über zwei delikate Punkte schreiben. Beidemal wird befürchtet, daß Lfiebknecht] auf seiner angemeldeten Reise nach hier und Paris[134J die Partei in einer nicht wünschenswerten Richtung engagieren möchte (wenn er nämlich allein kommt), und bei seiner Abhängigkeit von momentanen Stimmungen (die wieder oft auf Selbsttäuschung beruht) kann ich den Leuten nicht ganz unrecht geben. In Paris handelt es sich um den Kongreß oder die beiden Kongresse den possibilistischen und den der Unsern, auf dem Gewerkschaftskongreß von Bordeaux im Nov.[1351 und jetzt wieder auf dem sozialistischen Kongreß von Troyes11331 beschloßnen internationalen Kongreß. Lafargue befürchtet, L[iebknecht] habe sich mit den Possibilisten eingelassen, und möglicherweise könntet Ihr deren Kongreß beschicken. Ich habe Lfafargue] geschrieben1, daß dies meiner Ansicht nach für Euch rein unmöglich ist. Die Possibilisten haben die Unsern, die sog. Marxisten, auf den Tod bekämpft, sich als alleinseligmachende Kirche aufgeworfen, die allen Verkehr, alles Zusammenwirken mit den andern - Marxisten wie Blanquisten - absolut verbietet, und mit der hiesigen alleinseligmachenden Kirche (der Social Democratic Federation"31) eine Allianz abgeschlossen, deren nicht geringster Zweck ist, der deutschen Partei so lange überall entgegenzuwirken, als sie sich nicht dem säubern Bund anschließt und alle Gemeinschaft mit andern Franzosen und Engländern abschwört. Dazu sind die Possibilisten an die jetzige Regierung verkauft, ihre Reisegelder, Kongreßkosten, Journale werden aus den geheimen Fonds gedeckt, alles unter dem Vorwand, den Boulanger zu bekämpfen und die Republik zu verteidigen, also auch die opportunistischen Ausbeuter Frankreichs, die Ferrys etc., ihre jetzigen Alliierten. Und sie verteidigen die jetzige radikale Regierung, die, um am
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Amt zu bleiben, den Opportunisten[61] alle schmutzigen Dienste tun muß, die bei Eudes* Begräbnis11361 aufs Volk einhauen Keß und in Bordeaux und Troyes, ganz wie in Paris, gegen die rote Fahne wütender auftritt als irgendeine Regierung vor ihr. Mit dieser Bande zusammenzugehn, wäre Verleugnung Eurer ganzen bisherigen auswärtigen Politik. Diese Gesellschaft hat vor 2 Jahren in Paris mit den verkauften englischen Trades Unions gemeinsame Sache gegen die sozialistischen Forderungen gemacht11371, und wenn sie hier im Nov. anders auftraten*1261, so war es, weil es nicht anders ging. Dazu sind sie nur in Paris stark, in der Provinz sind sie Null. Beweis: In Paris können sie keinen Kongreß halten, weil die Provinzialen entweder wegbleiben oder feindlich sein würden. In der Provinz können sie auch keinen halten. Vor 2 Jahren gingen sie in ein verborgnes Nest der Ardennentl38], dies Jahr glaubten sie in Troyes unterzukommen, wo einige Arbeiter-Stadträte nach der Wahl ihre Klasse verraten hatten und sich an sie anschlössen. Aber diese wurden nicht wiedergewählt, und das Comite - ihr eignes Comite - lud alle französischen Sozialisten ein. Darob Entsetzen im Pariser Lager; Versuch, dies rückgängig zu machen, umsonst. Und so gingen sie nicht zu ihrem eignen Kongreß, von dem unsre Marxisten Besitz nahmen und ihn mit Glanz durchführten. Was die Gewerkschaften der Provinz von ihnen halten, beweist inl. Beschluß des Bordeauxer Gewerkschaftskongresses von Nov. - Sie haben in Paris 9 Mann im Stadtrat, deren Hauptzweck ist, Vaillants sozialistischer Tätigkeit unter allerhand Vorwänden entgegenzüwirken, die Arbeiter zu verraten und dafür für sich und Anhang Geldbewilligung und Alleinherrschaft über die Arbeitsbörse11241 zu erhalten. Die Marxisten, die die Provinz beherrschen, sind die einzige antichauvinistische Partei in Frankreich, haben sich durch ihr Auftreten für die deutsche Arbeiterbewegung in Paris unpopulär gemacht, und einen ihnen feindlichen Kongreß in Paris zu beschicken, wäre ein Faustschlag, den Ihr Euch selbst ins Gesicht gäbt. Sie haben auch die richtige Methode, den Boulanger zu bekämpfen, der die allgemeine Unzufriedenheit in Frankreich repräsentiert. Als Bfoulanger] in Montlu?on ein Bankett halten wollte, nahmen unsre Leute 300 Karten, um ihn durch Dormoy - ein sehr tüchtiges Kerlchen - vor sehr kategorische Fragen über seine Stellung zur Arbeiterbewegung etc. zu stellen. Als der brave General dies erfuhr, ließ er das ganze Bankett absagen! Nebel verbietet Weiteres für heute. Bis über ein paar Tage.
Dein f. E.
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Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover
London, 10. Jan. 89
Lieber Kugelmann, Ditto herzliche Neujahrswünsche Dir, Deiner Frau und Tochter! Die Soetbeersche Weisheitt139 3 wird mich erheitern, wenn Du so gut sein willst, sie mir zu schicken; die Randglossen sind für hiesige Post unverfänglich, die nur anything in the nature of a letter1 verbietet. Die französische Bauerngeschichte ist cum grano salis zu nehmen. PaizeMen-Bebauung war in Frankreich wie Deutschland und Osteuropa Regel, Großkultur mit Fronarbeit relative Ausnahme, was Sie Flächengröße betrifft. Durch die Revolution wurde der Bauer allmählich Eigentümer seiner Parzelle, nachdem er oft noch eine Zeitlang wenigstens nominell Pächter gewesen war (die Pacht aber meist nicht zahlte). Was aus den Nationalgütern wurde (von denen Napoleon und die Restauration viel an den Adel zurückgab, andres nach 1826 aus der Emigranten-Milliarde11403 vom Adel aufgekauft wurde) und wie der Kleinbauernbesitz bis 1830 auf seine höchste Entwicklung kam, darüber Avenels „Lundis Revolutionnaires" und Balzacs Roman „Les Paysans". Taine ist nicht viel wert. Den Artikel Schweichel habe ich nicht gelesen. Der 3. Band2 rückt langsam voran. Meine Gesundheit ist durch meine amerikanische Spritztour famos gehoben, aber mit den Augen wackelt's noch - chronische leichte Konjunktivitis und zunehmende Myopie des linken wegen Zurücktreten der Hinterwand der Sclerotica infolge Überarbeitung. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.
Dein F. Engels
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Engels an Conrad Schmidt in Zürich
London, 11. Januar 89
Sehr verehrter Herr, Ihre beiden Briefe vom 5.Nov. und 28./3I.Dez, habe ich erhalten und die Entwicklung Ihrer Experimente mit deutschen Universitäten mit großem Interesse verfolgt.tl41] Die Herrschaft der verbündeten Junker und Bourgeois unterscheidet sich nur dadurch von der Herrschaft der verbündeten Junker und Bürokraten vor 48, daß sie eine breitere Unterlage hat. Damals erregte die Behandlung Bruno Bauers[101] allgemeine Entrüstung im Philisterium, heute wird Dühring ebenso behandelttl42], werden Ihnen alle Universitätstüren vor der Nase zugeschlagen, und dasselbe Philisterium findet das ganz in der Ordnung. Es wird Ihnen nun in der Tat nichts andres übrigbleiben, als sich auf die Schriftstellern zu verlegen, und da ist Berlin natürlich im Reich der beste Platz. Daß Sie von Ihren amerikanischen Plänen nicht weiter sprechen (in Ihrem 2. Brief), ist mir lieb, Sie würden drüben eine starke Enttäuschung erlebt haben. Daß man unter der Herrschaft des Ausnahmsgesetzes1153 die amerikanisch-deutsche sozialistische Presse gut findet, begreife ich, namentlich vom Standpunkt des Journalisten aus. In Wirklichkeit ist sie, sowohl vom theoretischen wie vom lokalamerikanischen Standpunkt aus, nicht viel wert. Am besten ist „Philadelphia] Tag[e]blatt"; gut gemeint, aber schwach „St. Louis Tag[e]blatt"; geschäftlich gut geführt, aber eben vor allem Geschäft, „New Yorker Volkszeitung"; sehr schlecht der „Sozialist" (N[ew] York), amtliches Organ der deutschen Partei[19]. Für theoretische Köpfe ist vorderhand in Amerika wenig Platz. Die Deutschen bestehen - in ihrer offiziellen Organisation wenigstens - darauf, ein Ableger der deuts- hländischen Partei zu bleiben, sehn mit echt lassallianischem Hochmut auf die „unwissenden" Amerikaner herab, verlangen, daß diese sich ihrer deutschen Partei anschließen, d.h. unter deutsche Leitung stellen sollen, kurz, benehmen sich mit sektiererischer Engheit und Kleinlichkeit. Im Innern ist es besser, aber die New-Yorker behalten doch die Oberhand. Die „Chicagoer Arbeiter-Zeitung" (Jetzt von Christensen redigiert) sehe ich nur selten.
Kurz, in Amerika ist nur in der Tagespresse zu wirken, und da muß man wenigstens ein Jahr drüben sein, um die nötige Personalkenntnis und Sicherheit zu erwerben; ferner muß man sich den dortigen Anschauungen fügen, die oft um so bornierter sind, weil das in Deutschland durch die große Industrie ausgerottete Knotentum dort unter den Deutschen noch Vertreter findet (das ist das Kuriose in Amerika, daß neben dem Neusten und Revolutionärsten das Altertümlichste und Verjährteste ruhig fortvegetiert). In ein paar Jahren kann's und wird's wohl besser werden, aber wer an der Fortbildung der wissenschaftlichen Seite mithelfen will, findet hier in Europa ein weit mehr vorbereitetes Publikum. Übrigens finden Sie auch in der schriftstellerischen Karriere Raum genug für wertvolle Arbeiten. Brauns „Archiv", Conrads „Jahrbücher etc." und die Schmollersche Sammlung von Darstellungen[143] werden Ihnen ja wohl offenstehn. Eine Arbeit z.B. über das in Berlin jedenfalls ebensosehr wie in London etc. in der Konfektionsbranche herrschende Ausbeutungssystem durch Vermittler (sweating system) wäre als Parallele zu dem englischen Bericht des Oberhausausschusses[1441 sicher sehr nützlich - ich will Ihnen diesen Bericht, wenn Sie es wünschen, gern zuschicken. So sind noch manche andre Reihen von ökonomischen Zuständen in Deutschland zu untersuchen und darzustellen, abgesehn von direkt theoretischen Arbeiten, die Sie zeitweilig aus der Tagesschriftstellerei hinausheben würden. Darüber können wir weitersprechen, wenn Sie einmal in Berlin sitzen und an die Arbeit gehn. Wenn Ihre Erlebnisse (die wohl der Veröffentlichung wert wären) an die Zeit Friedrich W[ilhelmls IV., so erinnern die Erfahrungen von Hoch direkt an die schlimmste Demagogenriecherzeit[145]. Das ist doch seit 1835 nicht mehr vorgekommen, daß man Leuten wegen politischer Ansichten die Immatrikulation verweigert. Vom III. Band1 ist der I.Abschnitt (von sieben) druckfertig, an II und III bin ich dran und hoffe sie bald fertig zu haben. Die Arbeit nimmt mehr Zeit, als ich dachte, und mit meinen Augen muß ich mich sehr in acht nehmen. Die kolossalen Nebel im Dez. haben mich momentan schlimmer gemacht, jetzt geht's aber wieder besser. In der Neujahrsnacht waren wir bei Pumps, wir, Schorlemmer, Sam Moore, Tussy und einige Leute vom „Sozialdemokrat]". Der Weg ist 2 englische Meilen, der Nebel ließ uns über eine Stunde brauchen, bis wir hinkamen. Dann so schlimm, daß keiner fortkonnte. Die ganze Gesellschaft mußte also nolens volens durchkneipen
bis an den hellen (oder vielmehr stockdunkeln) Morgen, was unter großer Heiterkeit geschah; gegen fünf konnten einige mit dem ersten Zug nach der Stadt fahren, wir andern legten uns um sieben in eilig improvisierte Betten und schliefen bis an den ersten Mittag des neuen Jahrs. Voila la vie de Londres.2 Mit besten Grüßen Ihr aufrichtiger F. Engels
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 12. Jan. 89
Lieber Sorge, Prosit Neujahr Dir und Deiner Frau von ganzem Herzen! Brief vom 29. Dez. erhalten. Es tut mir leid zu hören, daß Dir die Arbeit anfängt schwerzufallen und Deiner Frau auch. Ich will aber hoffen, es ist nur temporär und findet sich mit der Eingewöhnung. Mir gehtV gut, aber während der schauerlichen Dezembernebel wurden meine Augen wieder etwas schlimmer. Dem habe ich so ziemlich ein Ende gemacht durch verstärkte Bewegung und Aufenthalt in freier Luft. Das Zeichen, worin der europäische Sozialismus steht, heißt augenblicklich: Krakeel. In Frankreich haben sich die Possibilisten[17J an die Regierung verkauft und stützen ihre absatzlosen Blätter durch die geheimen Fonds; bei der Wahl am 27 . stimmen sie für den Bourgeois Jacques, während die Unsern und Blanquisten Boule aufgestellt11461, von dem L[afargue] glaubt, daß er nur 16-20000Stimmen erhalten wird, und darin sehn sie eine Niederlage. Dagegen in der Provinz geht's besser. Die Possibilisten hatten ihren Kongreß nach Troyes angesagt, ließen ihn aber fallen, als die Organisatoren dort alle Sozialisten einluden.1""01 Es kamen also nur die Unsrigen, und diese haben dort bewiesen, daß, wenn in Paris die Possibilisten herr'schen, die Provinz jenen gehört. Nun gibt's dies Jahr in Paris 2 Kongresse (internationale), den der Unsern und den der Possibilisten. Die Deutschen werden wohl zu keinem gehn. Hier in London dauert der tuck1 der Armee von Offizieren ohne Soldaten fort. Es ist die Kolonne Robert Blum von 49: ein Oberst, 11 Offiziere, 1 Hornist und 1 Mann. Vor dem Publikum vertragen sie sich äußerlich, aber der Klüngel im stillen ist um so größer. Von Zeit zu Zeit gibt's doch wieder öffentlichen Zank. So ist Champion aus der Sozialdemokratischen Föderation1731 geworfen, hat ein Blatt2 gegründet (wovon l.Nr. diese Woche an Dich geht) und greift nun Hyndman an, besonders aber dessen Alliierten
Adolphe Smith Headingley, einen Franco-Engländer, der auf die Possibilisten schwört und Hauptvermittler der Allianz von Hyndman und den Possibilisten ist. Der Kerl war zur Zeit nach der Kommune hier Mitloafer3 der Branche fran?aisetl47], die auf uns schimpfte und log, dann ditto des Pseudo-Generalrats11481 von Jung, Haies & Co. und verlügt uns auch noch jetzt, wovon ich Beweise habe. Dieser Lump - Dolmetscher beim internationalen Trades Congress hier hatte die Unverschämtheit, unter dem Schutz von Anseele und Van Beveren eines Sonntags in mein Haus zu kommen; Schlüter, wenn er kommt, kann Dir erzählen, wie ich ihn ein die Luft spediert habe. Sobald die jetzt nur noch zuckende Arbeiterklasse hier wirklich in Bewegung gerät, wird jeder der Herren hier auf sein Niveau und seinen Posten verwiesen werden - teils in, teils außerhalb der Bewegung. Es ist das Stadium der Kinderkrankheiten. Auf dem Büro des „Soz[ial]demokrat" herrscht auch Krakeel. Darüber kann Dir Schlfüter] berichten. Er ist übrigens auch in etwa Partei und weiß zu verschweigen, was nicht für ihn paßt. Wenn ich sehe, wie verkehrt hier am Zentrum des Blatts operiert wird, bewundre ich unsre Arbeiter um so mehr, die das alles auszugleichen und zu neutralisieren wissen. Mutter Wischnewetzky ist sehr beleidigt, daß ich, statt mein Unwohlsein bei Dir auszukurieren und mich für die Reise auf den Damm zu bringen, ich ihr nicht einen Besuch in Long Branch abgestattet. Sie scheint wegen Etikettenbruchs und Mangel an Galanterie gegen ladies verletzt. Ich erlaube aber nicht den Women's-rights4-Madämchen, von uns Galanterie zu verlangen: wollen sie Männerrechte, sollen sie sich auch als Männer behandeln lassen. Sie wird sich aber wohl beruhigen. Neujahrsnacht waren wir bei Pumps und mußten Nebels halber die ganze Nacht dort durchkneipen. Tussy kam erst 5 Uhr morgens mit dem ersten Zug fort, sie ist jetzt in Cornwall für ein paar Wochen. Bismarck hat sich bei Geffcken und Morier zwei hübsche Ohrfeigen geholt.11491 Daß das Reichsgericht noch immer nicht soweit ist, seine Korpsburschen-Interpretation des Strafgesetzes zu akzeptieren, ist indes die Folge davon, daß der junge Wilhelm5 diese Herren neulich in Leipzig durch besondre Verachtung ausgezeichnet hat. Die diplomatische Klüngelei ist auf dem Höhepunkt. Die Russen haben 20 Mill. Pfund bekommen11501, die Preußen bekommen im April ihr neues 8-mm-Magazingewehr (das 11 mm - umgeändertes Mauser - war absolut
3 einer der Mittaugenichtse - 4 Frauenrechts - 5 Wilhelm II.
nicht kriegstüchtig), die Ostreicher renommieren wie toll, daß sie prets et archiprets6 sind, was beweist, daß sie wieder Keile haben wollen, und in Frankreich kann Boulanger drankommen. Bismarcks Manöver mit Salisbury in Ostafrika11513 haben nur den Zweck, England so tief mit Deutschland in gemeinsame Operation zu verwickeln, daß es auch unter Gladstone nicht zurück kann. Die Moriergeschichte ist daher entschieden gegen seinen Willen von Wilhelm inszeniert, aber sie fällt auf ihn. Kurz, die Situation spitzt sich zu und £ann zu Krieg im Frühjahr führen. Dein F.E.
Vom II I.Band7 Abschn. I fertig, II und III in Arbeit. Sieben Abschn, in allem.
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
xvr , ir wr i . i London, 12. Jan. 1889 Werte rrau Wischnewetzky, Zweifellos sind Sie enttäuscht, daß ich Amerika verlassen habe, ohne Sie an Ihrem Aufenthaltsort an der See zu besuchen. Aber ich fühlte mich während meines New-Yorker Aufenthaltes wirklich zu unwohl, um irgendeinen Ausflug wagen zu können - wie Sie wissen, kam ich mit einer schweren Erkältung an, die Dr. Wfischnewetzkyl als Bronchitis bezeichnete. Diese wurde schlimmer statt besser, und außerdem bekam ich eine ernste Magenverstimmung, so daß ich gleichsam an Land die Seekrankheit spürte, die ich auf dem Ozean nicht gehabt hatte. Unter diesen Umständen und im Hinblick auf eine mir bevorstehende lange Reise auf fremdem Boden fühlte ich mich verpflichtet, mich sofort auszukurieren und alles andere dieser Überlegung unterzuordnen - daher begab ich mich in die mütterliche Pflege von Frau Sorge, verließ Hoboken tagelang nicht und war gerade endlich wieder in Ordnung, als wir New York verlassen mußten. Andernfalls wäre ich bestimmt gekommen, um einen Tag bei Ihnen zu verbringen; so wie die Dinge jedoch lagen, mußte ich mich zwischen'vollkommener Ruhe in Hoboken und einem Ausflug entscheiden, der mich sicherlich für die ganze übrige Reise untauglich und vielleicht irgendwo weit weg im Lande-bettlägerig gemacht hätte. Die 500 Exemplare1 von Lee und Shepard sind eingetroffen - aber zu spät, um rechtzeitig vor den Weihnachtsfeiertagen versandt zu werden, wo nichts als Feiertagsliteratur Beachtung findet; ich habe sie daher bis jetzt zurückbehalten. Am Montag werden die Exemplare an die Presse hinausgehen, und die übrigen bekommt Reeves. Da der Boykott gegen Marx und mich durch die Londoner Sozialisten2 (genau wie der Boykott Morgans durch die englischen prähistorischen alten Käuze[152]) noch in Kraft zu sein scheint, bin ich auf die Wirkung neugierig. Mit den besten Wünschen für das neue Jahr T1 . Ihr ergebener F.Engels Aus dem Englischen. 1 Karl Marx: „Rede über die Frage des Freihandels" - 2 siehe vorl. Band, S. 58/59
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 14. Jan. 89?
Mein lieber Lafargue, Antwort von L[iebknecht] und B[ebel] nach gemeinsamer Beratung.11531 Es scheint, daß man niemals die Absicht gehabt hat, ohne weiteres zum Kongreß der Possibilisten11251 zu gehen und Euch zu übergehen. Aber 1. da der Londoner Kongreß[126] beschlossen hat, einen Kongreß nach Paris einzuberufen, und die Possibilisten damit beauftragte, gibt ihnen das eine gewisse Legitimation, insbesondere gegenüber den in London vertretenen Nationalitäten, die an diesem Beschluß mitgewirkt haben (warum habt Ihr auch vollständig verzichtet und das Feld den Possibilisten überlassen?); 2. verlangen die Holländer ausdrücklich, daß die Possibilisten eingeladen werden, sich an dem Kongreß zu beteiligen, als Bedingung dafür, daß sie (die Holländer) erscheinen; 3. und darin hat L[iebknecht] recht, die Deutschen können sich in Paris nicht Angriffen französischer Arbeiter aussetzen - ein Risiko, sagt er, gegen das Ihr ihnen keinerlei Garantie geben konntet. Offenbar hat man also beschlossen, eine Vorkonferenz nach Nancy11541 einzuberufen - mit einem Delegierten von jeder fremden Nationalität und einem Delegierten von jeder der 3 französischen Parteien: Ihr, die BJanquisten und die Possibilisten - und vorzuschlagen, daß der Kongreß jedem Redner das Wort entziehen soll, der über innere Angelegenheiten dieser drei Parteien und ihre Streitigkeiten spricht, so daß es einen einzigen Kongreß gäbe, an dem alle teilnähmen. Ich sehe keine Möglichkeit, daß Ihr Euch dem widersetzen könntet.. Wird dann festgestellt, daß Ihr bereit seid, mit allen gemeinsam zu handeln, und daß die Possibilisten Euch ausschließen wollen, so wird das genügen», um die Possibilisten ins Unrecht zu setzen, selbst vor den Holländern und Belgiern (die Flamen sind gut, aber in ihrer auswärtigen Politik unterstehen sie der Leitung der unsicheren Kantonisten von Brüssel, die Sie ja kennen);: wenn sie hingegen akzeptieren, dann liegt es nur an Euch, wenn Ihr nicht
vor aller Welt zu beweisen versteht, daß Ihr den französischen Sozialismus repräsentiert und nicht sie. L[iebknecht] schreibt wörtlich: „Ich richtete also am Dienstag, 8.Jan. nach Besprechung mit Bebel eine formelle Einladung an das Blatt1 (der Possibilisten). Kommt Delegierter derselben (zur Konferenz), so haben wir freie Hand. Kommt einer oder kommen mehrere, so werden wir schon mit ihnen fertig werden. Fügen sie sich, dann gut. Fügen sie sich nicht, dann sind sie isoliert und werden von uns totgemacht... In jedem Fall sichert die Konferenz das Gelingen des Kongresses und die Lahmlegung der Broussisten."2 Wenn das alles stimmt, sehe ich für Euch keinen Grund zur Klage, im Gegenteil, das wäre eine gute Gelegenheit, um den Possibilisten die Hände zu binden. Ehe ich antworte, möchte ich jedoch gern wissen, ob die Tatsachen stimmen, und hören, was Sie dazu zu sagen haben. Schreiben Sie mir also nach Beratung mit den Freunden und auch, nachdem Sie die Ansicht der Blanquisten erfahren haben, was Sie von alledem halten; und schnell, es eilt. Umarmen Sie Laura von Nim und mir. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
1 „Le Parti Ouvrier" - 2 das Zitat in der Handschrift deutsch
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Engels an Karl Kautsky in Wien
Die beabsichtigte Beratung mit Tussy und Edward kann noch nicht stattfinden, da beide in Cornwall sind und erst nächste Woche oder später zurückkommen wollen. Inzwischen hat Tussy Deiner Frau schon vorher über den bewußten Punkt geschrieben, was sie selbst wußte. Wie es aber auch damit sein möge, wir müssen Euch wieder hieher haben, und in der einen oder andern Art wird sich's bis Frühjahr auch wohl machen lassen. Jetzt muß ich wieder an meine Ms.1, die seit einem Monat haben ruhen müssen - wegen Nebel und allerhand Korrespondenz über Pariser und Londoner Krakeele. Grüß Louise herzlich. Dein alter General London, 18. Jan. 89
75 • ... • . .
Engels an Karl Kautsky in Wien
London, 28. Jan. 89
Lieber Kautsky, Ich habe Dir heute einen Vorschlag zu machen, der Edes, Ginas1 und Tussys Beifall hat. Ich sehe voraus, daß ich günstigstenfalls noch sehr lange meine Augen werde schonen müssen, um wieder in Ordnung zu kommen. Damit ist wenigstens auf Jahre hinaus die Möglichkeit ausgeschlossen, daß ich selbst das Ms. des IV. Buchs „Kapital"[155] jemandem diktiere. Andrerseits muß ich daran denken, daß nicht nur dies, sondern auch die andern Ms. von Marx benutzbar bleiben auch ohne mich. Dies ist nur dadurch möglich, daß ich Leute« die im Notfall meine Stelle einnehmen und jedenfalls inzwischen mich bei der Herausgabe unterstützen können, in diese Hieroglyphenschrift einpauke. Und dazu kann ich nur Dich und Ede gebrauchen. Ich schlage also zunächst vor, daß wir drei dies tun. Nun aber ist das IV. Buch das erste, was angegriffen werden muß, und da ist Ede zu sehr von der Red. des „Sozialdemokrat]" und den vielen mit dem hiesigen shop2 verknüpften Abhaltungen und Klüngeleien in Anspruch genommen. Ich denke aber, Du hast soviel freie Zeit, um mit einiger Einpaukung und Praxis und mit Hülfe Deiner Frau die zirka 750 Seiten des Originals (wovon wahrscheinlich ein gut Stück als im III. Buch3 enthalten abgehn wird) im Laufe von sage zwei Jahren in ein leserliches Ms. zu übersetzen. Kannst Du die Handschrift erst einigermaßen lesen, so kannst Du Deiner Frau diktieren, und dann geht's rasch. Nun rechne ich so: Wenn ich, wie früher, dem Eisengarten 5 Stunden täglich diktieren könnte, so würde es mir - mit Einrechnung der Störungen etwa ein Jahr wegnehmen. Dafür müßte ich Eiseng[arten] a £ 2 die Woche = £ 100 zahlen. Diese Summe würde es mich also unter allen Umständen kosten, und wenn Du die Arbeit dafür unternehmen willst, so zahle ich sie
Dir. Auf 2 Jahre verteilt, wäre das ein Zuschuß von £ 50 per Jahr; geht's rascher, so wird der Zuschuß in kürzerer Zeit flüssig. Wir sind nun hier der Ansicht, daß Ihr vielleicht unter diesen Umständen kein Bedenken tragen werdet, wieder herzukommen. Ich würde vorschlagen, Dir das Geld in vierteljährlichen Reiten von £ 12.10 vorauszuzahlen, denn da es im Anfang langsam« nachher rascher gehn wird, wäre es Unsinn, es nach der fertiggestellten Arbeit von vornherein abmessen zu wollen. Ede brennt auch vor Begierde, in die Hieroglyphen eingeweiht zu werden, ich habe schon andre Ms. für ihn und werde ihn ebenfalls einpauken, aber ich habe ihm natürlich gesagt, daß ich nur einen bezahlen kann, und «r ist damit sehr einverstanden. Es handelt sich hierbei auch in letzter Instanz darum, später einmal - was vielleicht zu meinen Lebzeiten nicht möglich wird - Gesamtausgaben der Marxschen und meiner Sachen zu machen, und grade für diesen Punkt möchte ich hierbei die nötige Vorsorge treffen. Ich habe auch dies Tussy erwähnt, und von ihrer Seite haben wir auch nur alle mögliche Unterstützung zu erwarten. Sobald ich Euch beide dahin gebracht, daß Ihr die Handschrift von Mfarx] gut lesen könnt, ist mir eine schwere Sorge vom Hals genommen, und kann ich meine Augen während der Zeit schonen, ohne eine wesentliche Pflicht zu versäumen, denn dann sind die Ms. wenigstens für zwei Leute nicht länger ein Buch mit sieben Siegeln. Bis jetzt wissen außer Lenchen nur Edes und Avelings von meinem Plan, und wenn Du darauf eingehst, braucht auch außer Euch niemand von den Details der Sache etwas zu wissen. Für Louise findet sich dabei vielleicht auch eine ihr zusagende Tätigkeit. Also überlegt Euch die Sache, und wenn Ihr zusagt, dann so bald möglich hieher. Schlüters Möbel bekämt Ihr wohlfeil und gleichzeitig eine hübsche, wenigstens provisorische Wohnung. Louise wird wohl erst ihren Kursus und Examina11561 abmachen wollen, wie sich das einpassen läßt, werdet Ihr besser beurteilen können als wir hier. Die Wahl Boulangers11461 bringt die Lage in Frankreich zur Krisis. Die Radikalen1861 in ihrer Hast, an die Regierung zu kommen, haben sich zu Knechten des Opportunismus1611 und der Korruption gemacht und damit den Boulangismus förmlich gezüchtet. Es ist aber kein gutes Symptom für Paris, daß es sich aus Wut darüber einem kaum verkleideten Bonapartismus in die Arme geworfen hat. Ich kann für heute darin nichts andres sehn, als daß Paris auf seine traditionelle revolutionäre Mission verzichtet. Glücklicherweise ist die Provinz besser. Das schlimmste ist, daß die Kriegsgefahr bedeutend wächst, und daß Bismarck jetzt den Krieg haben kann, wann
er will. Er braucht nur irgendeine Schnäbelei11571 anzustiften - die kann Boulanger nicht so einstecken wie Ferry. Grüß Louise herzlich von Nim und mir. Dein F. E.
Grüß mir meine treuen Neujahrsgratulanten, und namentlich Frankel. Ihr scheint dort wieder gut in Zug zu kommen.
10 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
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Engels an Hermann Schlüter in London
[London] 3I.Jan. 89
Lieber Schlüter, Ich hatte gehofft, Dich und Deine Frau gestern bei mir zu sehn. Ist Frau B[ernstein] mitgekommen? Wenn ja, so hoffe ich, sie und Euch einen. Abend bei mir zu sehn, spätestens Sonntag. Beste Grüße. Dein F. Engels
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
«> i*i t London, 4. Febr. 89 Meine hebe Laura, Die Nachricht über die „ligalite" (ominöser Name, hoffentlich nicht egalite devant la mort1!) ist wirklich eine gute Nachricht, und ich bin auf die Ergebnisse gespannt.11581 Daß die Blanquisten zur Vernunft gebracht würden, was das Maß ihres journalistischen Vermögens anbelangt, war ziemlich klar - aber daß dieser notwendige Versuch das für eine Zeitung erforderliche Betriebskapital auffressen würde, war noch klarer. Also ist's gut, daß ein anderer, unternehmungslustiger bailleur de fonds2 aufgetaucht ist. Daß unsere Leute eine Zeitung zum Erfolg führen können, haben sie mit dem „Citoyen" und dem „Cri" bewiesen. In beiden Fällen versuchten andere Störenfriede, Kapital aus dem Erfolg unserer Leute zu schlagen, und erlitten damit Schiffbruch. Und die Zusammensetzung des comite ist für unsere Leute günstig, die Blanquisten sichern ihnen in den ökonomischen Fragen die Mehrheit, und die Hovelacque-Anhänger werden helfen, die verrückten Ansichten der Blanquisten zu zügeln. Aber wie lange werden diese verschiedenen Elemente zusammenhalten? Warten wir jedenfalls ab, bis alles in Ordnung ist. In der Wahl Boulangers11461 kann ich nichts anderes sehen als ein deutliches Wiederaufleben des bonapartistischen Elements imPariser Charakter. In den Jahren 17993, 1848 und 1889 erwuchs dieses Wiederaufleben jeweils aus der Unzufriedenheit mit der bürgerlichen Republik, aber diese spezifische Richtung - Ruf nach einem Retter der Gesellschaft - erhielt es ausschließlich infolge einer chauvinistischen Strömung. Und was noch schlimmer ist: 17993 müßte Napoleon einen coup d'etat machen, um jene Pariser zu erobern, die er im Vendemiaire niedergeschossen hatte, 1889 wählen die Pariser selber einen Schlächter der Kommune. Gelinde gesagt hat Paris, wenigstens vorläufig, als revolutionäre Stadt abgedankt, abgedankt nicht vor einem siegreichen coup d'etat und mitten im Kriege wie 17993; nicht sechs Monate nach einer vernichtenden Niederlage wie im Dezember 1 Gleichheit vor dem Tod - 2 Finanzier (Jules Roques) - 3 in der Handschrift: 1798 10*
1848tl59], sondern mitten im Frieden, 18 Jahre nach der Kommune und am Vorabend einer möglichen Revolution. Und wenn Bebel in der Wiener „Gleichheit" sagt: „die Pariser Arbeiter haben sich in ihrer Mehrheit einfach erbärmlich benommen - mit ihrer sozialistischen und klassenbewußten Gesinnung muß es sehr traurig stehn, wenn nur 17000 Stimmen auf einen sozialistischen Kandidaten fallen und ein Hanswurst und Demagog wie Boulanger 244000 Stimmen erhält"4 - kann niemand sagen, daß er unrecht habe. Die Wirkung auf unsere Partei war überall die: wenn Floquet eine vernichtende Niederlage erhalten hat, so auch wir. Sich die Nase abzuschneiden, um das eigene Gesicht zu ärgern, ist zweifellos auch eine Art von Politik, doch was für eine? Nun, Boulanger ist jetzt sicher, der Herr Frankreichs zu sein, es sei denn, er begeht eine Erzdummheit, und die Pariser haben ihn dann satt. Wenn die Sache ohne Krieg ausgeht, ist schon einiges erreicht - doch die Gefahr ist groß. Bismarck hat allen Grund, rasch einen Streit vom Zaune zu brechen, denn Wilhelm5 tut sein Bestes, die deutsche Armee zu ruinieren, indem er seine Günstlinge an die Stelle der alten Generale setzt, und läßt man ibn weiter gewähren, werden die Deutschen in fünf Jahren von nichts als Einfaltspinseln und eingebildeten Eseln befehligt werden. Und wie Boulanger, einmal an die Macht gekommen, die Folgen eines allgemeinen desillusionnement, das er hervorrufen muß, ohne einen Krieg überstehen will - ist mehr, als ich mir vorstellen kann. In all diesem Durcheinander ist es nur ein schwacher Trost, daß sich die Possibilisten1171 selbst etwas früher ruiniert haben, als sie es ohnehin getan hätten. Da es aber so ist, wollen wir uns darüber freuen. Ich schicke Dir zwei „Recht voor Allen", aus denen Du ersiehst, wie sie behandelt werden von ebenderselben Masse, die ihre Anwesenheit auf dem Kongreß gefordert hatte.11601 Bernstein hat es ihnen denn auch in dieser Woche im „Sozialdemokrat]" gegeben, und selbst Hyndman hat nicht den Mut, für sie in der „Justice" einzutreten. Um sich zu rächen, schreibt er in einem Brief an Bax, daß Paul für Boulanger gearbeitet hat. Paul könnte an Bax schreiben (5, Canning Road, Croydon) und ihn fragen, was er, Bax, darüber im Büro des „Sozialdemokrat" gesagt habe - was mir gestern von Joos (einem der Leute dort) wiederholt wurde. Ich würde um so mehr darüber erfreut sein, da auch Bax gestern hier gewesen ist und mir gegenüber kein Wort davon erwähnte - es kam erst heraus, nachdem er gegangen war. Er kann Bax sagen, daß ich es ihm so erzählt habe.
4 das Zitat in der Handschrift deutsch - 5 Wilhelm II.
Nun hoffe ich, daß die neue Zeitung herauskommt; wir müssen die Situation so nehmen, wie sie ist, und das Beste daraus machen. Wenn Paul wieder an einer Zeitung zu arbeiten anfängt, wird er sich für den Kampf rüsten und nicht länger verzweifelt sagen: il n'y a pas ä aller contre le courant6. Niemand verlangt von ihm, den Strom aufzuhalten, doch wenn wir uns nicht gegen den allgemeinen Strom momentaner Torheit wenden, was zum Teufel ist dann unsere Aufgabe? Die Einwohner der Ville lumiere7 haben den Beweis erbracht, daß sie 2 Millionen sind, „meistens Dummköpfe", wie Carlyle sagt, doch ist das kein Grund, weshalb auch wir Dummköpfe sein sollten. Laß die Pariser Reaktionäre werden, wenn sie nicht anders glücklich werden können - die soziale Revolution wird ihnen zum Trotz weitermarschieren, und wenn es vollbracht ist, können sie ausrufen: Ah tiens! c'est fait - et sans nous - qui l'aurait imagine!8 Mit herzlichen Grüßen von Nim immer Dein F. E. Braucht denn Paul kein Geld?
Aus dem Englischen.
es hat keinen Sinn, gegen den Ström zu schwimmen - 7 Stadt des Lichts es ist vollbracht - und ohne uns - wer hätte das gedacht! - 8 Ach, sieh da!
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Engels an Karl Kautsky in Wien
Das Ms.1 hat gar feine £i/e.2 Richtet Euch also ganz ein, wie es Euch am besten paßt. Ich bin zunächst noch vollauf mit III3 beschäftigt (ca. V3 bis jetzt fertig). Heute erscheint in Paris „L'£galite" als Nachfolgerin des „Cri du Peuple", täglich; außer Vaillant und seiner Fraktion Laffargue], Guesde, Deville, vielleicht noch andre. Malon wird wohl mit übernommen werden müssen/1581 Alles andre nächstens, ich wollte heute nur die von Dir gestellte Hauptfrage gleich erledigen. Herzliche Grüße an Louise auch von Nim. Dein F. E. [London] 7. Febr. 89
1 Karl Marx: „Theorien über den Mehrwert (Vierter Band des .Kapitals')" Band, S. 143/144 - 3 dem dritten Band des „Kapitals"
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 11. Febr. 89
Meine liebe Laura, Nun, diese „Egalite" ist auf jeden Fall eine wirkliche Erleichterung nach dem lieben todlangweiligen „Cri du Peuple" (ennuyeux). Die letzten paar Nummern dieses verblichenen Blattes waren wirklich niederschmetternd. Armer Vaillant, kann sehr gute Artikel schreiben, wenn's kritisch geworden ist, aber er ist der letzte, wenn es gilt, Tag für Tag ellenweise Geschichten auszuspinnen - Du hast ihn selbst über seinem täglichen Pensum schwitzen sehen, und das war ein entmutigender Anblick. Die Verwicklungen, Drehungen und Wendungen Longuets bei seinen Bemühungen, sich bei seinen Ex-Freunden, den Radikalen1863, ins rechte Licht zu setzen (und zugleich ins unrechte), sind wenigstens amüsant und ganz geschickt gemacht.0613 Pauls „Nachtarbeit" 11623 ist wirklich gut; allerdings hätte er Boulanger un peu plus dur tape1 können. Heute habe ich keine „£galite" bekommen vielleicht wurde sie durch den Schnee aufgehalten. Bei uns liegt er sechs Zoll hoch. Ich las gestern Deine Ermahnung Tussy vor, und sie bekennt sich schuldig. Wieweit sie sie beachten wird, weiß ich nicht. Nim war in der letzten Woche etwas unpäßlich, irgendeine Art Darmstörung, doch jetzt geht es ihr wieder besser. Ich habe gestern Abschnitt IV des III. Bandes des „Kapitals" beendet ungefähr ein Drittel des ganzen Kubikfußes des Ms. Beachte bitte im „Dispatch", den ich Dir geschickt habe, A.Smith auf Seite 2 - voller Lügen wie gewöhnlich -, das zeigt aber, was die Possibilisten[17] beabsichtigen. Daß die Deutschen zu ihrem Kongreß 0253 kämen, ist eine ausgemachte Lüge, und daß die Dänen, Holländer usw. kämen, ist wahrscheinlich auch eine. Bax erzählte Tussy, daß Hyndman ihn auszufragen versucht habe, was die Deutschen in dieser Hinsicht zu tun gedenken, und Bax fragte ihn: Sind Sie denn der Vertreter der Possibilisten in
London? Worauf H[yndman] erwiderte, daß er es wäre und in dieser Eigenschaft die Information wolle. Daraufhin sagte Bax: Dann schreiben Sie mir lieber einen Brief, den ich Engels und Bernstein unterbreiten kann. Dabei ist es verblieben. Daran siehst Du, wie sie hinterher sind. Fährt Paul am 28. d. M. nach Den Haag (zur Konferenz)?[163] Bebel und L[ie]bk[necht] fahren, von hier wahrscheinlich Bernstein, ich dränge ihn zur Teilnahme. Was das Geld anbelangt, inliegend Scheck über £ 20, der hoffentlich M.Vautour beruhigen wird. Immer Dein F.E.
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Engels an John Lincoln Mahon in London
Soviel ich weiß, ist G.J.H[arney] noch in England. Gebe Ihnen bestimmten Bescheid, sobald ich kann; werde sogleich versuchen, ihm zu schreiben und seinen Aufenthalt herauszubekommen. Wenn ich Herrn Atherley Jones irgendwie dienlich sein kann, würde ich mich über seinen Besuch freuen, bin fast jeden Abend zu Hause.[164J Habe noch nicht Zeit gehabt, Ihr Programm11653 hinreichend zu studieren, um eine Meinung zu äußern, bin durch medizinische Order sehr gehindert, bei Gaslicht zu lesen. Ihr aufrichtiger F. Engels [London] 14./II./89 \
Aus dem Englischen.
81 Engels an Karl Kautsky in Wien
London, 20. Febr. 89
Lieber Kautsky, Hiermit gleichzeitig die „N[eue] Z[eit]"-Artikel[le6] zurück, mit flüchtigen Randglossen. Hauptfehler ist Mangel an gutem Material - die vom Philister vergötterten Taine und Tocqueville11671 reichen da nicht hin. Hättest Du die Arbeit hier gemacht, welch ganz andres Material fandest Du beßres zweiter Hand und Massen erster Hand. Abgesehen davon, daß die beste Schrift über die Bauern, von Karejew, russisch ist. Kannst Du aber dort erhalten: Moreau de Jonnes, „Etat econjomique] et social de la France depuis Henri IV jusqu'a Louis XIV", Paris 1867, so wirst Du dies mit Nutzen lesen. Abschnitt II, S.3. Hier fehlt eine klare Darstellung davon, wie die absolute Monarchie als naturwüchsiger Kompromiß zwischen Adel und Bourgeoisie aufkommt und wie sie daher nach beiden Seiten hin Interessen schützen, Gunstbezeugungen austeilen muß. Dabei fällt dem - politisch in Ruhestand versetzten - Adel die Plünderung der Bauern, die des Staatsschatzes und der indirekte politische Einfluß durch Hof, Armee, Kirche und hohe Verwaltung zu - der Bourgeoisie der Schutz durch Zölle, Monopole und eine relativ geordnete Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Fängst Du damit an, so wird vieles klarer und leichter. In diesem Abschnitt fehlt auch eine Erwähnung des Juristenadels (noblesse de robe) und der Juristen - la robe - überhaupt, die faktisch ebenfalls einen privilegierten Stand bildeten und in den Parlamenten eine große Macht besaßen - gegenüber der Krone, in ihrer politischen Kapazität als Verteidiger der die Krone beschränkenden Institutionen auftraten, also die populäre Seite hielten, aber in ihrer richterlichen Kapazität die Korruption selbst waren (vgl. „Memoires" de Beaumarchais). Was Du später über diese Bande sagst, genügt nicht. III. S.49. Vgl. Note I aus Karejew beiliegend.11681 S.50. verwandelt sich „diese Sorte Bourgeois" plötzlich in „den" Bourgeois par excellence, was der Zerklüftung der Bürgerklasse, von der die
Rede, ins Gesicht schlägt. Überhaupt generalisierst Du viel zuviel und wirst dadurch oft absolut, wo höchste Relativität geboten. IV. S.54. Hier wäre doch einigermaßen zu erwähnen, wie diese außer der ständischen Ordnung stehenden, daher relativ rechtlosen, vogelfreien Plebejer in der Revolution erst allmählich zu dem kamen, was Du „Sansculottismus " (wieder ein Ismus!) nennst, welche Rolle sie spielten. Dann kommst Du über die Schwierigkeiten weg, die Du S. 53 mit unbestimmten Äußerungen und mysteriösen Andeutungen über neue Produktionsweisen bombardierst. Dann wird es einfach, daß die Bourgeois hier wie immer zu feig waren, für ihre eignen Interessen einzustehn, daß von der Bastille an der Plebs alle Arbeit für sie tun mußte, daß ohne sein Einschreiten 14. Juli, 5./6.0kt. bis 10. Aug., 2. Sept. usw. die Bourgeoisie dem ancien regime jedesmal erlegen wäre, die Koalition im Bund mit dem Hof die Revolution erdrückt hätte und daß also nur diese Plebejer die Revolution durchführten11691; daß dies aber nicht ging, ohne daß diese Plebejer den revolutionären Forderungen der Bourgeoisie einen Sinn unterlegten, den sie nicht hatten, die Gleichheit und Brüderlichkeit zu extremen Konsequenzen poussierten, die den bürgerlichen Sinn dieser Stichworte total auf den Kopf stellten, weil dieser Sinn, aufs Extrem getrieben, eben in sein Gegenteil umschlug; daß diese plebejische Gleichheit und Brüderlichkeit ein reiner Traum sein mußte zu einer Zeit, wo es sich darum handelte, das grade Gegenteil herzustellen, und daß wie immer - Ironie der Geschichte - diese plebejische Fassung der revolutionären Stichworte der mächtigste Hebel wurde, dieses Gegenteil - die bürgerliche Gleichheit - vor dem Gesetz - und Brüderlichkeit — in der Exploitation - durchzusetzen. Ich würde weit weniger von der neuen Produktionsweise sprechen. Sie ist jedesmal durch einen berghohen Abstand von den Tatsachen getrennt, von denen Du sprichst, und so unvermittelt erscheint sie als reine Abstrakr tion, die die Sache nicht klarer macht, sondern eher dunkler. Was den Schrecken angeht, so war er wesentlich Kriegsmaßregel, solange er einen Sinn hatte. Die Klasse oder Klassenfraktionsgruppe, die allein den Sieg der Revolution sicherstellen konnte, hielt sich dadurch nicht nur am Ruder (das war nach dem Sieg über die Aufstände das wenigste), sondern sicherte sich Bewegungsfreiheit, elbow-room, Möglichkeit der Konzentrierung der Kräfte auf den entscheidenden Punkt, die Grenze. Ende 1793 war diese schon ziemlich gesichert, 1794 fing gut an, die französischen Armeen machten fast überall Fortschritte. Die Kommune11701 mit ihrer extremen Richtung wurde überflüssig; ihr Propagandismus der Revolution wurde ein Hindernis für Robesp[ierre] wie für Danton, die beide - aber jeder
auf andre Weise - den Frieden wollten. In diesem Konflikt dreier Elemente siegte Robespierre, aber nun umrde für ihn der Schrecken Mittel der Selbsterhaltung und damit absurd: am 26. Juni legte bei Fleurus[171! Jourdan der Republik ganz Belgien zu Füßen, damit wurde er unhaltbar; am 27. Juli fiel Robespierre, und die Bourgeois-Orgie begann. -Wohlstand für alle auf Grundlage der Arbeit" drückt die Aspirationen der plebejischen fraternite von damals noch viel zu bestimmt aus. Was sie wollten, konnte keiner sagen, bis lange nach dem Sturz der Kommune Babeuf dem Ding eine bestimmte Form gab. Kam die Kommune mit ihren Fraternitätsaspirationen zu früh, so kam Babeuf wieder zu spät. S. 100. Bettler - s. Note II. aus Karejew. Der Abschnitt über die Bauern leidet am meisten an Abwesenheit aller, außer den ordinärsten Quellen. Die Rankeschnitzer[1721 sind gut! Leider hast Du bei Sybel[173] nicht die östreichischen Gegenschriften benutzt, da war über die II. Teilung Polens11741 usw. noch manches zu holen, und da sie archivalisch sind, sind sie soweit unbedingt benutzbar.
Was Rudolf1 angeht, so beweist die Geschichte, daß auch in Ostreich die feudale Liederlichkeit, wo der Fürst und seine Familie die Untertanenweiber ehrt, wenn er sie fleischlich begnadigt, Platz machen muß der bürgerlichen Liederlichkeit, wo der Begnadiger dem Ehemann der Begnadigten oder ihrem Bruder etc. Rede stehn muß auf der Mensur oder im divorce court2. Grüß Louise herzlich, dito Frankel, Adler etc. Was macht Bardorf? von dem hört man gar nichts mehr. Hyndman macht durch Bax Versuche, Ede zu ködern in eine Allianz mit ihm und den Possibilisten1171. Der Esel stellt sich vor, bei uns ginge das alles wie hier im Literatenklüngel, wo man Allianzen schließt und bricht nach Belieben, weil man eben niemand hinter sich hat. Wie gefällt Dir der Roman der „Egalite' über Rudolf? Dein F.E. Note /. Vierter Stand. Die Vorstellung eines vierten Standes neben I. II. III. sehr früh in der Revolution. Gleich anfangs erschien Dufourny de Villiers, „Cahier du 4e ordre, celui des pauvres journaliers, des infirmes, des indigents etc.J'ordre
1 Rudolf Franz Karl Joseph - 2 Scheidungsgericht
des infortunes - 25 avril 1789". Aber meist wird unter 4. Stand der Bauer verstanden. Z. B. Noilliac, „Le plus fort des pamphlets. L'ordre des paysans aux Etats-generaux. 26 fevr[ier] 1789", p.9: „Prenons de la Constitution suedoise les quatre ordres"3. - Vartout, „Lettre d'un paysan ä son eure, sur une nouvelle maniere de tenir les Etats-generaux", Sartrouville 1789, p.7: „J'avons entendu dire que dans un pays qui est au Nord ... on admettait aux Etats assembles l'ordre des paysans."4 - Einige andre Auslegungen des 4. Standes kommen auch vor: eine Broschüre will den 4. Stand der Kaufleute, eine andre den des magistrats etc. Nach Karejew, „Die Bauern und die Bauernfrage in Frankreich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts", Moskau 1879, p.327. Note II. Bettler. „Es ist bezeichnend, daß die Zahl der Verarmten (rtiscich, niscyi ist bettelarm) am allergrößten war in den Provinzen, die für die fruchtbarsten galten, dies kam daher, weil in diesen Gegenden es nur sehr wenig grundbesitzende Bauern gab. Doch lassen wir die Zahlen sprechen. In Argentre (Bretagne), aus 2300 Einwohnern, die nicht von Industrie und Handel leben, schlägt sich mehr als die Hälfte nur notdürftig durch, und mehr als 500 Leute sind zur Bettelarmut heruntergebracht. In Dainville (Artois) kommen aüf 130 Familien 60, die verarmt sind. Normandie: in Saint-Patrice leben von 1500 Einwohnern 400, in Saint-Laurent von 500 Einwohnern drei viertel von Almosen (Taine). Aus den Cahiers5 der Bailliage Douai erfahren wir, daß z.B. in einem Dorf von 332 Familien die Hälfte von Almosen lebt (Pfarrei Bouvignies), in einem zweiten sind auf 143 Familien 65 verarmt (Pfarrei Aix), in einem dritten auf 413 gegen hundert gänzlich verarmt (Pfarrei Landüs), usw. In der Senechaussee von Puy-en-Velay, nach den Worten des Cahiers der dortigen Geistlichkeit, sind von 120000 Einwohnern 58897 außerstand, irgendwelche Steuern irgendwelcher Art zu zahlen (,Archives Parlementaires de 1787 ä 1860', vol. V, p. 467). In den Dörfern des Bezirks Carhaix sah es folgendermaßen aus: Frerogan: 10 wohlhabende (dostatocnyi, genug habend) Familien, 10 verarmte, 10 bettelarme. Motref: 47 bemittelte Familien, 74 weniger gutgestellte, 64 arme und Taglöhner. - Paule: 200 Wirtschaften, deren größtem Teil von Rechts wegen der Name von Bettlerherbergen zukommt. (Archives Nationales, BA, IV, 17) - Das Cahier der
3 „Entnehmen wir der schwedischen Verfassung die vier Stände" - 4 „Ich habe gehört, daß man in einem nordischen Land ... zu den Ständeversammlungen den Bauernstand zuließ." 5 Denkschriften
Pfarrei Marboeuf klagt, daß aus 500 Einwohnern derselben gegen TOO Bettler sind (Boivin-Champeaux, ,Notice historique sur la Revolution] dans le dep[artemen]t de l'Eure', 1872, p.83). Die Bauern des Dorfes Harviile sagen, daß wegen Arbeitsmangel ein volles Drittel von ihnen in Bettelarmut sind. (Requete des habitants de la Commune d'Harville6, Archives Nationales.) In den Städten war es nicht besser. In Lyon waren 1787 30000Arbeiter verpaupert. In Paris fanden sich auf 650000 Einwohner 118784 indigents7 (Taine I. 507). In Rennes lebte V3 der Einwohner von Almosen, und ein andres V3 war in beständiger Gefahr der Verpauperung (Duchatellier, ,L'agriculture en Bretagne', Paris, 1863, p. 178). Das jurassische Städtchen Lons-le-Saunier war so verpaupert, daß, als die Konstituante11755 den Wahlzensus einführte, unter 6518 Einwohnern nur 728 als aktive Bürger aufgeführt werden konnten (Sommier, ,Hist[oire] de la revfoiution] dans le Jura', Paris 1846, p.33) Es ist begreiflich, daß zur Zeit der Revolution die von Almosen lebenden Leute nach Millionen zählten. So sagt eine klerikale Broschüre von 1791, daß es in Frankreich 6 Millionen Paupers (indigents) gibt (,Avis aux Pauvres sur la r£vol[ution] presente et sur les biens du clerge', p. 15), was doch etwas übertrieben; aber die für das Jahr 1774 gegebne Zahl von 1200000 Paupers ist vielleicht nicht unter der wirklichen (Duval, ,Cahiers de la Marche4, Paris 1873, 116)." (Ich habe gedacht, ein paar wirkliche Beispiele werden Dir angenehm sein.) Karejew, p.211-13. (Den kurz angebundnen Ton meiner Noten bitte aus der Kürze der Zeit und Schmalrandigkeit des Papiers zu erklären. Ich hatte auch nicht die Zeit, Quellen zu vergleichen, mußte alles aus dem Gedächtnis machen daher manches nicht so bestimmt, wie ich wohl möchte.)
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Engels an John Lincoln Mahon in London
122, Regent's Park Road, N. W. [London] 21. Febr. 89
Lieber Mahon, Ich bekam einen Brief von Harney. Er befindet sich noch in Macclesfield (58, Bridge st.) und leidet so arg an seinen alten Beschwerden, an rheumatischer Gicht, daß er seinen Brief diktieren mußte. Er sagt, in seinem augenblicklichen Zustand sei er „nicht in der Stimmung, mit Menschen zusammenzutreffen, und, wie Sie sehen, kaum imstande zu schreiben und sei es noch so kurz. Aber ich glaube nicht, daß ich Herrn Atherley Jones bei seinem lobenswerten Vorhaben" und der Erfüllung seiner eigentlichen Sohnespflicht, die Schriften seines Vaters zu sammeln, um sie neu herauszugeben, irgendwie nützlich sein kann." Ich muß es also, soweit es Harney angeht, Ihnen und Herrn A.Jones überlassen, das Beste daraus zu machen. Es ist durchaus möglich, daß ich einige einzelne Nummern der „People's Paper" habe, und wenn, so werde ich sie nicht heraussuchen können, bis ich Zeit finde, meine Sammlung alter Zeitungen, Broschüren usw. wieder zu ordnen.11641 Ihr aufrichtiger F. Engeh
Aus dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 23. Febr. 89
Lieber Sorge, Postkarte 19. Jan. und Brief 10.Febr. erhalten. Den „Labor Standard" erhalte ich und gebe die Artikel der Wfischnewetzky] an Tussy, die sie für etwaige Neuauflage des „Labour Mov[emen]t" benutzen wird. Sie enthalten ein für Amerika charakteristisches Material. Dergleichen Vernachlässigung der Sicherheit gegen Feuer etc. würde sich in Europa einfach nicht bezahlen. Aber bei Euch geht's damit wie mit Eisenbahnen und allem andern; wenn sie nur da sind, einerlei wie, das reicht hin. Dank für Appleton-Notiz.[176] Sonnenschein erklärt auf Befragen, daß er 500 Ex. der wohlfeilen Ausgabe an Applfeton] verkauft hat. Den „Armen Teufel" sah ich nicht. Der ist Mottelers Lieblingslektüre, und es beneidet ihn kein Mensch darum. Was er über A[veling] sagt, ist einfach gelogen, was es auch sein mag.[177] Dem Kautsky werde ich schreiben, was Du über Rappap[ort] sagst.tl78] Mangel an Stoff und Wunsch nach Vielseitigkeit bringt da manchen hinein, der nicht hingehört. Kfautsky] ist seit Juli in Wien und kommt vor Juli nicht wieder her. Ich habe Dir ein registriertes Book Packet geschickt, enthaltend außer einigen französischen Sachen die „Heilige Familie". Du darfst aber Schlüter nicht sagen, daß ich sie Dir geschickt, ich hatte ihm mein Reserve-Ex. halb und halb fürs Archiv1241 versprochen, schon eh' ich nach Amerika ging, aber Du gehst vor. Er wird wohl im März oder April kommen. Ferner— alles per heutige Post - außer „Commonweal" und „Gleichheit" noch ein Paket französischer Sachen. Die Vorlesungen von Laf[argue] und Deville*1791 sind hier nicht mehr zu haben, und von den Verfassern bekommt man keine Antwort. Ich pauke aber immer wieder drauflos. Die „Egalite"-Nrn. wirst Du erhalten haben. Die Blanquisten haben mit ihrem „Cri du Peuple" kein Glück gemacht, sie waren tödlich langweilig, und so haben sie sich genötigt gesehn (was Vaillant von vornherein wollte, aber überstimmt wurde), mit Guesde, Laf[argue] etc. zusammen
zugehn. Dazu einige unzufriedne Radikale. Bis jetzt verträgt sich die Gesellschaft gut - wollen hoffen, es bleibt so. Nächstens wieder einige Nrn. Bei der letzten Wahl in Paris haben die Possibilisten[17] sich schmählich blamiert und für den Opportunisten Jacques gearbeitet.[146] Jetzt fangen die Arbeiter an, ihnen untreu zu werden. In der Provinz, die weit besser als Paris, haben sie allen Anhang verloren. Der Versuch, mit Hülfe der englischen Trades Unions und Hyndmans hier, ihres treuen Alliierten, einen internationalen Kongreß in Paris[125] zustande zu bringen ohne unsre Franzosen, aber mit den Belgiern, Dänen, Holländern und, wie sie hofften, dann auch den Deutschen, ist schmählich am Scheitern. Die Deutschen erklären, auf feinen Kongreß zu gehn, wenn ihrer 2 stattfinden in Paris. Und beide Parteien sind auf 28. er. nach dem Haag vorgeladen vor eine Konferenz11635, wo Liebk[necht], Bebel und Bernstein von Deutschen, dann die Holländer und Belgier sein werden. Laffargue] geht hin. Da müssen sie entweder klein beigeben, oder sie bekommen alle gegen sich. In Deutschland wird's immer bunter. Der Philister hat kein Vertrauen mehr in die Machthaber, seitdem der alte Wilhelm1 tot ist und Bismarck wackelt. Der junge, eitle Narr2, der zweite, größere alte Fritz3 (pour rire4), will selbst Kaiser und Kanzler sein, die Urreaktionäre, Pfaffen und Junker am Hof bieten alles auf, um ihn gegen Bismfarck] zu verhetzen und einen Konflikt zu erzeugen - und Wilhefmchen pensioniert inzwischen alle alten Generale und setzt seine Günstlinge an die Stelle. Noch drei Jahre, und die Kommandos sind alle in den Händen von schnoddrigen Gecken, und die Armee ist für Jena reif.^1801 Das sieht Bism[arck], und das ist es, was ihn zu einem raschen Krieg treiben könnte, besonders wenn der Lappes Boulanger obenauf kommt. Dann wird's schön; eine Allianz Frankreichs mit Rußland, die den Franzosen jede Revolution verbietet, da sonst Rußland sich gegen sie wendet. Aber ich hoffe, es weht vorüber. Herzliche Grüße an Deine Frau. Dein F.E.
1 Wilhelm I. - 2 Wilhelm II. - 3 Friedrich II. - 4 zum Lachen
1 1 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 12. März 89
Mein lieber Lafargue, Die Possibilisten1173 haben sich verhalten, wie es sich gehört-für sie und für uns.11811 Ich befürchtete, sie würden annehmen - unter scheinbar unbedeutenden Vorbehalten, die jedoch genügt hätten, um die ganze Sache zu verwirren. Glücklicherweise scheinen sie auf dem einmal gewählten Weg der finanziellen Ausnutzung ihrer Stellung im Gemeinderat zu sehr engagiert zu sein. Diesmal haben sie sich den Gnadenstoß gegeben. Was die 50000 fr. des Gemeinderats angeht, so werden sie sie wahrscheinlich bekommen, Ihr werdet es nicht verhindern. Sollen sie mit diesem Geld ihren Kongreß*1253 machen, das schadet nichts, alles Geld des Pariser Gemeinderats wird nicht ausreichen, um einen sozialistischen Kongreß zu fabrizieren, es sei denn, als Lacherfolg. Die Deutschen haben genug Konzessionen gemacht, sie werden kaum noch mehr machen. Die Holländer sind von den Possibilisten direkt angegriffen worden, die Schweizer und Dänen gehen mit den Deutschen, und die Belgier sind gespalten, denn wenn die Brüsseler durch und durch Possibilisten sind, wie Sie sagen, so sind die Flamen bedeutend besser, es handelt sich nur darum, sie dem Einfluß der Brüsseler zu entziehen. Bis jetzt haben sie ihre auswärtige Politik vollständig den Brüsselern überlassen, diesmal könnte sich das wohl ändern. Das große Unglück ist, daß Euch in diesem entscheidenden Augenblick eine Zeitung fehlt. Herr Roques ist ein Dummkopf, der sein Geld zum Fenster hinauswirft. Seine jetzige Redaktion wird ihn zehnmal die 35 fr. pro Tag kosten, um derentwillen er die einzige Redaktion hat gehen lassen, die aus seiner Zeitung einen Erfolg hätte machen können.*1823 Aber das ändert nichts daran, daß dies zum unpassendsten Zeitpunkt geschehen ist. Wenn Ihr, wie ich aus Ihrem Brief schließen muß, die League*743 zur Konferenz*1633 eingeladen hattet, und nicht auch die hiesige Federation*733» so war das ein Fehler. Entweder mußte man alle beide übergehen oder alle beide einladen. Erstens ist die Federation sicherlich bedeutender als die
League, und zweitens gibt ihnen das einen Vorwand zu sagen, die ganze Konferenz sei ohne ihr Wissen veranstaltet worden. Hyndman hätte unter Euch keinen Schaden anrichten können, im Gegenteil; wenn er sich hier auch für den Vertreter der Possibilisten in Sachen des Kongresses ausgibt, so hat er es doch nicht gewagt, sie letzthin in seiner Zeitüng zu verteidigen, er hat sie sogar gescholten, wenn auch ganz sanft11835 - und Bernstein, der das alles kennt, hätte ihn in angemessenen Grenzen gehalten. Aber es war Angelegenheit der Deutschen, die Konferenz einzuberufen, und Liebkfnecht] hat wie immer unter dem Einfluß irgendeines momentanen Impulses gehandelt - oder unterlassen zu handeln. Ich schicke Ihren Brief an Bernstein, damit er ihn für die am Donnerstag erscheinende Nummer der Zeitung1 benutzen kann. Ich muß noch mit gleicher Post an Liebk[necht] schreiben — dahjer schließe ich. Ich schicke Ihnen inliegend einen Scheck über £ 20, der Ihnen hoffentlich im Augenblick aus der Verlegenheit helfen wird. Umarmen Sie Laura von mir. Ich hoffe, daß sie nicht mehr erkältet ist. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
1 „Der Sozialdemokrat" 11*
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Engels an Conrad Schmidt in Berlin
122, Regent's Park Road, N.W. London, 12.März89
Verehrter Herr Doktor, Verzeihen Sie, daß ich auf Ihre Zeilen vom 5. er. erst heute antworten kann. Ich hatte eine Familie aus Deutschland hier zum Besuch und war keinen Augenblick frei. Also nach den Universitätsabenteuern die Preßabenteuer[18d]. Es ist ganz wie 1842-45, und Sie können sich jetzt eine Vorstellung davon machen, wie es uns damals ergangen ist. Indes sind wir heute doch etwas weiter, und die Kniffe der offiziellen Welt, wenn auch noch ganz so boshaft wie damals, reichen doch nicht mehr so weit. Wenn Sie sich an Meißner wenden, so beziehen Sie sich nur direkt auf mich, und wenn er bei mir anfragt, werde ich gern mein Möglichstes tun. Ich weiß aber, daß er in der Regel Broschüren prinzipiell ablehnt, und es sollte mich nicht wundern, wenn er diesen Grund geltend machte. Ich will Ihnen aber noch einen andern Vorschlag machen: Schreiben Sie doch an Karl Kautsky, den Sie ja von hier kennen - Igelgasse 13/1, Wien IV -, ob er nicht vermitteln kann, daß Dietz in Stuttgart die Schrift nimmt. Oder ferner an Dr. H. Braun, München, ob er Ihnen nicht einen Verleger namhaft machen kann. Wenn Sie während der Reichstagssession eine Empfehlung von mir an Bebel, Liebknecht oder Singer wünschen, so steht sie gern zu Diensten. Ist die Sache nicht zu lang, so würde Kautsky sie vielleicht für die „Neue Zeit" nehmen, Also Sie wohnen auch Dorotheenstraße - ich habe 1841 da auch gewohnt*1851, auf der Südseite, etwas östlich von der Friedrichstraße -, das wird sich jetzt alles sehr verändert haben. Ihre Zeilen vom 18. Jan. habe ich s.Z. ebenfalls das Vergnügen gehabt zu erhalten. Ich hoffe, Ihre mir darin angedeuteten Pläne wegen literarischer Beschäftigung realisieren sich. Natürlich müssen Sie sieh erst in dieser neuen Welt etwas zurechtfinden, und wenn die Preßleute dort von dem
selben Schlage sind wie hier, werden Sie an manchen unvermeidlichen, aber nicht eben wünschenswerten Bekanntschaften schwerlich vorbeikommen. Ich habe mir den Sweating-Committee-Bericht11441 angesehn - es sind zwei dicke Folianten (mit den Zeugenaussagen) und glaube ich schwerlich, daß Sie sich berufen fühlen werden, diese durchzuarbeiten. Wollen Sie indes vorläufige Bekanntschaft damit machen, so finden Sie sie auf der Reichstagsbibliothek, irgendein Abgeordneter kann sie Ihnen besorgen, und wenn Sie dann Lust verspüren, dem Ding näher auf den Leib zu rücken, so schick' ich sie Ihnen mit Vergnügen. Inzwischen mit aufrichtigen Grüßen und mit der Bitte, mir gelegentlich weitere Nachricht zu geben, der Ihrige F. Engels
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
[London] den 21. März 89
Mein lieber Lafargue, Sie haben alle beide recht, Sie und Bebel, und die Sache ist ganz einfach. Man hat im Haag[163] beschlossen, daß, falls die Possibilisten1171 die gestellten Bedingungen nicht annehmen, die Belgier und die Schweizer die Initiative ergreifen und einen Kongreß in Paris einberufen sollen und daß man eine gemeinsame Erklärung gegen die Possibilisten abgeben wird; dieser Kongreß soll Ende September stattfinden. Das ist beschlossen worden - wenn Sie abwesend waren - in Gegenwart von Bonnier, der Ihr Dolmetscher für Deutsch war und es wissen muß. Die Belgier haben ausdrücklich zugestimmt. Wenn jetzt die Belgier und die Schweizer die Initiative ergreifen, wird es Aufgabe Eurer Organisation sein, alles zu organisieren und vorzubereiten, so daß Ihr alles bekommt, was Ihr verlangt, aber habt doch ein wenig Geduld. Wenn Eure Gruppen ebenso unvernünftig sind wie die Possibilisten, wird es ihre eigene Schuld sein, wenn das Ganze mit einem Erfolg der Possibilisten endet. Es geht darum, den Kongreß der Possibilisten11251 zum Scheitern zu bringen. Das ist im besten Zuge, falls Eure Ungeduld nicht alles verdirbt. Die Possibilisten sind vor der Welt ins Unrecht gesetzt. Jetzt paßt auf, daß Ihr Euch nicht auch ins Unrecht setzt, indem Ihr den Anschein erweckt, als wolltet Ihr den Sozialisten der anderen Nationen Vorschriften machen. Entweder müssen die Belgier jetzt handeln, oder sie werden sich ebenfalls ins Unrecht setzen - ich bitte Euch, gebt ihnen keinen plausiblen Vorwand, sich aus der Verlegenheit zu ziehen! Wenn die Belgier nichts unternehmen, ist meiner Meinung nach das letzte Wort noch nicht gesprochen, vorausgesetzt, Ihr verderbt nicht Eure eigene Sache, indem Ihr unbedacht handelt. Euer Kongreß kann nicht am 14. Juli stattfinden, das steht fest, oder Ihr werdet ihn ganz allein abhalten. Ich diskutiere nicht darüber, ob dieses oder
jenes Datum angebracht ist, aber schließlich scheint das im Haag beschlossen worden zu sein, und Ihr werdet das nicht ändern können, was Ihr auch tut. Bei Verhandlungen kann man nicht,alles haben, was man möchte. Auch die Deutschen haben in vielen Punkten nachgeben müssen, um eine gemeinsame Aktion zu sichern. Nehmt also, was man Euch bietet, das ist im wesentlichen alles, was Ihr mit Recht verlangen könnt, und das wird, wenn Ihr keine Fehler macht» zum internationalen Ausschluß der Possibilisten und zu Eurer Anerkennung als die einzigen französischen Sozialisten, mit denen man in Beziehung steht, führen. Der Fehler war, daß man Ihnen nicht offiziell eine Kopie des im Haag diesbezüglich gefaßten Beschlusses gegeben hat. Aber Sie wissen, es ist nicht das erste Mal, daß man bei internationalen Konferenzen so nachlässig handelt. Freundschaftlichst Ihr 7 F-EInliegend „Justice". Wir bereiten eine Erwiderung vor, worin die Intrigen der Possibilisten -vor den Engländern dargelegt werden.11861 Sie sehen, wir tun unser Möglichstes, aber alles das wird vergebens sein, wenn Ihr auch so starrköpfig seid wie die Possibilisten.
Aus dem Französischen.
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Engels an Paul Lafargue in Ls Perrsux
. , London, den 23. März 89 Mein lieber Larargue, Es steht fest, man ist im Haag11631 übereingekommen, daß, falls sich die Possibilisten1171 nicht rühren, die Belgier und die Schweizer, die beiden neutralen Nationen, den Kongreß einberufen werden; daß eine gemeinsame Erklärung gegen die Possibilisten veröffentlicht und der Kongreß für Ende September nach Paris einberufen wird. Bernstein sagte mir, er habe Ihnen das gesagt; und im übrigen scheint es mir unmöglich, daß sich etwas so Wichtiges ereignen konnte, ohne daß Sie die geringste Kenntnis davon haben. Und wenn Sie nicht anwesend waren, so war doch Bonnier da, wie mir Bernstein sagte. Wenn wir die Sache jetzt zu einem guten Ende führen wollen, ist es unbedingt notwendig, daß sich alle dem einmal Beschlossenen unterwerfen. Ihr könnt die Initiative für die Einberufung sehr wohl den Belgiern und Schweizern überlassen; ein internationaler Kongreß kann auch sehr gut zusammentreten, wenn er nicht von den Sozialisten des Landes einberufen wurde, in dem er stattfinden soll. Es ist sicher, daß die eigentliche Arbeit, die Organisation und die Vorbereitung, in Euren Händen liegen wird, und das muß Euch genügen. Wenn Ihr mehr verlangt, werdet ihr überhaupt keinen Kongreß haben, und die Possibilisten werden als Sieger aus dem Kampf hervorgehen, sie werden vor ganz Europa ihren Kongreß11255 haben, der dann der einzige internationale Arbeiterkongreß des Jahres sein wird. Wenn die Sache noch zu diskutieren wäre, würde ich zu Ihrer Ansicht neigen, daß-der Kongreß neben dem der Possibilisten abgehalten wird, selbst auf die Gefahr einer Keilerei mit ihnen. Aber man war der Meinung, ihn im September abzuhalten, und das ist beschlossen worden. Es hat keinen Sinn, darauf zurückzukommen, und wenn Ihr darauf besteht, werdet Ihr den Kongreß allein abhalten, zum Gespött Europas und zum großen Vergnügen der Possibilisten. Andererseits habe ich Bebel geschrieben11871, daß er nicht das Recht hat, Euch ein Ultimatum zu stellen und zu sagen: wenn die Belgier ihr gegebenes Wort nicht halten, sind wir frei und werden nicht zum Kongreß kommen;
daß auch sie, die Deutschen, sich zu sehr engagiert haben, um sich auf diese Weise zurückzuziehen, und daß der Rückzug der Belgier, wenn er erfolgt, was wir nicht wissen, die anderen nicht von ihren gegenseitigen Verpflichtungen entbinden würde. Bebel ist ein Mann mit sehr gesundem Menschenverstand» und ich habö allen Grund anzunehmen, daß er sich eines Besseren besinnen wird, wenigstens wenn Ihr nicht diese neuen Schwierigkeiten macht und versucht, die einmal im Haag gefaßten Beschlüsse zu revidieren. Die Sache ist auf dem besten Wege und kann nur durch Euch verdorben werden. Selbst wenn wir annehmen, daß sich die Belgier zurückziehen, dann würden die Schweizer allein einberufen, und da sie im Auftrag der anderen Nationalitäten handeln würden, wäre der Erfolg gesichert. Es gibt aber nur eine Möglichkeit, um die Belgier zu entbinden oder ihnen einen Vorwand zu geben, ihr Wort zu brechen, nämlich, daß Ihr Franzosen den Haager Beschlüssen zuwiderhandelt und die ersten seid, die sie nicht einhalten. Wenn Ihr Euch danach richtet, bin ich fast sicher, daß die Belgier sich ihnen unterwerfen werden, und dann sind die Possibilisten isoliert, was schließlich das Hauptziel ist, das erreicht werden soll. Unsere Erwiderung auf die Angriffe der „Justice"11861 (die notwendig war, seitdem sich der „Sozialdemokrat" in London etabliert hat) ist gedruckt» ich schicke Ihnen mit gleicher Post 6 Ex. unter Kreuzband, davon Je 1 für Laura, Longuet und Vaillant. Am Montag wird die Sache in ganz London verbreitet und in allen sozialistischen Versammlungen verteilt sowie in die Provinz geschickt werden. Die Herren Possibilisten und Herr Hyndman werden noch daran zurückdenken, hoffe ich. Den Angriff der „ Justice" müssen Sie haben, ich glaube, ich habe ihn in meinem letzten Brief mitgeschickt. Ich wiederhole also: Seid vernünftig, führt genau aus, was beschlossen worden ist, macht es Euren besten Freunden nicht unmöglich, Euch zu unterstützen, give and take1. Nehmt die im Haag gewonnene Position als Ausgangspunkt, als eine erste, dem Feind abgerungene Position und als Basis für weitere Erfolge. But do not force down the throat of the other nationalities things which they certainly will not swallow.2 Ich sage Euch, Ihr habt die Schlacht schon halb gewonnen; wenn Ihr sie jetzt verliert, ist es ganz allein Eure Schuld. Freundschaftlichst Ihr _ _ F.E. Aus dem Französischen.
1 gebt und nehmt - 2 Aber zwingt änderen Nationalitäten nicht Dinge auf, die sie bestimmt nicht schlucken werden.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 25. März 89
Mein lieber Lafargue, Sie sprechen von einem Kongreß im August. Sie wissen doch, daß die Konferenz[163] beschlossen hat, ihn Ende September abzuhalten. Ich wiederhole: Wenn Ihr nur um ein millionster Millimeter von dem abweicht, was von allen im Haag vereinbart worden ist, gebt Ihr den Belgiern den Vorwand, sich zurückzuziehen, und dann ist, wie Bebel Euch gesagt hat, alles in Frage gestellt. Ich will gern die Deutschen veranlassen, die Belgier zu drängen, aber ich werde es erst dann tun, wenn ich sicher weiß, daß Ihr Franzosen, ebenso wie die anderen, ohne Einwände zu den Beschlüssen der Konferenz steht. Andernfalls wird man mir mit Recht sagen: Wie kannst du von uns verlangen, daß wir uns für Leute einsetzen, die die übernommenen Verpflichtungen nicht respektieren? Also: Entweder Ihr werdet den Kongreß so haben, wie er im Haag beschlossen worden ist, oder Ihr werdet überhaupt keinen haben. Und an dem Tag, an dem ich die Gewißheit habe, daß Ihr Pariser offen und ohne Vorbehalt zu den gefaßten Beschlüssen steht, an diesem Tag kann und werde ich handeln. Es geht nicht darum, was besser wäre, August oder September - diese Frage ist entschieden, und sie von neuem aüfzuwerfen, wäre für die Possibilisten[17] gewonnenes Spiel. Was Boulanger angeht, so bin ich beinahe sicher, daß Ihr ihn werdet ertragen müssen ünd daß dieser Dummkopf Rochefort, wenn er nicht ganz zum Lumpen wird, sich als Belohnung für seine Dienste abermals in Kaledonien1 wiederfinden könnte. Die Franzosen haben von Zeit zu Zeit bonapartistische Perioden, und diese ist noch schmachvoller als die letzte. Sie werden die Folgen ihrer eigenen Taten tragen müssen, das ist das Gesetz der Geschichte; und sie werden sie wahrscheinlich zum hundertsten Jahrestag ihrer großen Revolution zu spüren bekommen - das ist die Ironie der
Geschichte. Ein schönes Schauspiel, das man der Welt bietet - Frankreich feiert das Jubiläum der Revolution und liegt vor diesem Abenteurer auf den Knien. Zweifellos wird er die Hochfinanz schröpfen, aber nur, um die Schulden seiner Kampagne um die persönliche Macht zu bezahlen und seine Bande zu belohnen. Und das Geld der Hochfinanz wird nicht ausreichen. Wie Marx von Boustrapa[58J sagt, er müßte das Geld ganz Frankreichs stehlen, um mit diesem Geld ganz Frankreich zu kaufen.[188] Und Euch, Euch wird er vernichten. Was einen Krieg betrifft, so ist er für mich die schrecklichste aller Möglichkeiten. Sonst würde ich mich den Teufel um die Launen von Madame Frankreich scheren. Abeir ein Krieg, in dem es 10 bis 15MillionenKämpfende geben wird, der, allein um sie zu ernähren, eine noch nie dagewesene Verwüstung mit sich bringen wird; ein Krieg, der eine verstärkte und allgemeine Unterdrückung unserer Bewegung, eine Verschärfung des Chauvinismus in allen Ländern und schließlich eine Schwächung mit sich bringen wird, zehnmal schlimmer als nach 1815, eine Periode der Reaktion als Folge der Erschöpfung aller ausgebluteten Völker - und alles dies gegen die geringe Chance, daß aus diesem erbitterten Krieg eine Revolution hervorgeht - das entsetzt mich. Besonders wegen unserer Bewegung in Deutschland, die niedergeworfen, zermalmt und mit Gewalt vernichtet würde, während der Friede uns den fast sicheren Sieg bringt. Und Frankreich könnte während dieses Krieges keine Revolution machen, ohne seinen einzigen Verbündeten, Rußland, in die Arme Bismarcks zu treiben und sich durch eine Koalition vernichtet zu sehen. Die geringste revolutionäre Bewegung wäre Vaterlandsverrat. Wie würde die russische Diplomatie da lachen! Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 27. März 89
Mein lieber Lafargue, Sie wissen, was Hegel sagt: Alles, was verdorben worden ist, das ist aus guten Gründen verdorben worden.11891 Und Eure Pariser geben sich die größte Mühe, das zu beweisen. Das ist die Situation: Nach dem Eingehen des „Socialiste" war Eure Partei von der internationalen Bühne verschwunden.1311 Ihr hattet abgedankt, Ihr wart für die anderen sozialistischen Parteien im Ausland tot. Das war einzig und allein die Schuld Eurer Arbeiter, die eins der besten Organe, das die Partei jemals gehabt hat, nicht lesen und unterstützen wollten. Aber nachdem sie Euer Verbindungsorgan zu den anderen Sozialisten zugrunde gerichtet haben, werden sie unvermeidlich die natürlichen Folgen ihrer Handlungsweise zu fühlen bekommen. Die Possibilisten, allein im Besitz des Schlachtfeldes geblieben, haben die Situation, die Ihr ihnen bereitet habt, ausgenutzt; sie haben Freunde gefunden - Brüsseler und Londoner mit deren Hilfe sie vor der Welt als die einzigen Vertreter der französischen Sozialisten dastehen. Es ist ihnen gelungen, die Dänen, die Holländer und die Flamen für ihren Kongreß zu gewinnen; und Sie wissen, welche Mühe wir gehabt haben, die von ihnen erzielten Erfolge zunichte zu machen. Jetzt bieten Euch die Deutschen die Gelegenheit, nicht nur mit Glanz wieder die Bühne zu betreten, sondern auch von allen organisierten Parteien Europas als die einzigen französischen Sozialisten anerkannt zu werden, mit denen sie fraternisieren wollen. Man bietet Euch die Gelegenheit, die Folgen aller Fehler, aller erlittenen Niederlagen mit einem einzigen Schlage auszulöschen, die Position wiederzuerlangen, die Ihr auf Grund Eures theoretischen Niveaus verdient, die Ihr aber durch Eure falsche Taktik kompromittiert habt; man bietet Euch einen Kongreß an, auf dem alle wirklichen Arbeiterparteien erscheinen werden, sogar die Belgier; man bietet Euch die Chance, die Possibilisten zu isolieren, so daß sie sich auf einen
bogus-Kongreß1 werden beschränken müssen; kurz gesagt, man bietet Euch sehr viel mehr, als Ihr angesichts der von Euch selbst geschaffenen Lage erhoffen durftet. Und Ihr - greift Ihr nun etwa mit beiden Händen zu? Keineswegs, Ihr benehmt Euch wie ein verzogenes Kind, Ihr feilscht, Ihr fordert mehr, und wenn es endlich gelingt, Euch zur Annahme dessen zu bewegen, was von allen beschlossen worden ist, kommt Ihr mit neuen Forderungen, die alles gefährden, was man für Euch erreicht hat. Für Euch ist nur wichtig, daß ein Kongreß stattfindet - und zwar in Paris, auf dem Ihr von allen anerkannt werdet als die einzige französische sozialistische Partei, die international gilt, und daß - im Gegensatz dazu der Kongreß der Possibilisten ein 6ogus-Kongreß ist, trotz des ganzen Aufsehens, das ihm der 14. Juli11903 und die geheimen Fonds2 verschaffen können. Alles übrige ist sekundär und noch weniger als sekundär. Um Euch wieder auf die Beine zu bringen, muß Euer Kongreß stattfinden, und es ist völlig unwichtig, ob das in den Augen des bourgeoisen Publikums ein Reinfall ist. Um Eure Position in Frankreich zurückzugewinnen, braucht Ihr in erster Linie internationale Anerkennung und die internationale Verurteilung der Possibilisten. Man bietet sie Euch an - und Ihr mault! Ich habe Ihnen bereits gesagt, ich glaube, für die Wirkung in Frankreich wäre Euer Termin besser. Aber das hätte man dann im Haag[163] vorbringen müssen. Es ist nicht die Schuld der anderen, wenn Sie im entscheidenden Augenblick in ein Nebenzimmer gegangen sind und sich alles ohne Sie abgespielt hat. Ich habe Bebel Ihre Argumente gewissenhaft dargelegt und ihn gebeten, sie ernsthaft zu erwägen; aber ich mußte hinzufügen, daß meiner Ansicht nach die Einberufung des Kongresses, ganz gleich zu welchem Datum, gesichert bleiben muß und daß jeder Schritt, der diese Einberufung gefährden könnte, falsch wäre. Vergessen Sie nicht, daß man sich bei der Wiederaufnahme der Terminfrage in endlose Diskussionen und Zwistigkeiten verlieren und wahrscheinlich gegen Ende Oktober alle Stimmen auf den 14. Juli vereinigt haben wird - wenn man sich überhaupt auf irgendein neues Datum einigt, ohne eine neue Konferenz, die sicherlich niemals stattfindet. Und dann schreiben Sie mir mit echt Pariser Naivität: Man erwartet mit Ungeduld die Festsetzung des Datums für den internationalen Kongreß! Aber das Datum war auf Ende Sept. festgelegt, und derselbe „man" (der „erwartet" usw.) - dieser selbe „man" will dieses Datum abändern und eine neue Debatte eröffnen! „Man" wird warten müssen, bis die anderen von den neuen
1 ScAemkongreß - 2 siehe vorl. Band, S. 162
Vorschlägen dieses selben „man" Kenntnis genommen, sie erörtert und Übereinstimmung erzielt haben, wenn überhaupt eine solche Übereinstimmung möglich ist! „Man erwartet auch den Protest der Belgier." Aber es sind nicht allein die Belgier, die protestieren werden, alle haben den Beschluß gefaßt, gemeinsam zu protestieren3. Dieser Protest wäre wahrscheinlich schon unterwegs, wenn Ihr nicht wieder alles in Frage gestellt hättet, durch die Forderung, das Datum zu ändern. Und solange man sich darüber nicht einig geworden ist, wird nichts geschehen. Nehmt also an, was man Euch bietet, der entscheidende Punkt ist doch: der Sieg über die Possibilisten. Gefährdet nicht das Zusammentreten des Kongresses, gebt den Brüsselern keinen Vorwand, sich aus der Affäre zu ziehen, Ausflüchte zu suchen und zu intrigieren; verwirrt nicht von neuem alles, was man für Euch erreicht hat. ihr könnt nicht edles haben, was Ihr wünscht, aber Ihr könnt den Sieg erringen. Treibt die Deutschen, die alles für Euch tun, nicht so weit, daß sie die Hoffnung auf ein gemeinsames Handeln mit Euch aufgeben müssen. Zieht Eure Forderung nach Änderung des Termins zurück^ handelt wie Männer und nicht wie verzogene Kinder, who want to eat their cakß and to have it* - sonst fürchte ich, daß es keinen Kongreß geben wird und die Possibilisten Euch auslachen werden, und das mit Recht. Freundschaftlichst Ihr . .,. F.E.
Ich habe natürlich an Bebel geschrieben, daß Ihr alle Haager Beschlüsse akzeptiert, aber er wird einwenden, daß Ihr schließlich alles wieder in Frage stellt. Bernstjein] habe ich nicht angetroffen, kann Ihnen also die Schweizer Adressen erst morgen schicken. Unser Pamphlet[186] beginnt hier seine Wirkung zu tun.
Aus dem Französischen.
8siehe vorl. Band, S. 166/167 - 4 die ihren Kuchen essen möchten, ohne ihn aufzuessen
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 1..April T f (St.-Bismarcks-Tag) 1889 Mein lieber Laiargue, Wenn diese Kongreßgeschichte zu nichts anderem gut ist, so ist sie doch für mich eine ausgezeichnete Geduldsprobe, denn Geduld ist eine Tugend, in der ich kaum glänze. Kaum ist es einem gelungen, eine Schwierigkeit zu beseitigen, da machen Sie schon Wieder eine neue, und Sie ärgern sich über Nichtigkeiten. Ich habe Bernstein, auf dessen Wort ich mich unbedingt verlassen kann, nochmals gefragt, und er versichert mir erneut, daß kein Beschluß in Ihrer Abwesenheit erschlichen worden ist. Es ist absurd anzunehmen, man habe Ihnen irgend etwas verheimlichen wollen. Wenn Sie zufällig abwesend waren, so war doch Bonnier da, der überdies auch alles verstand, was deutsch gesprochen wurde. Und bis ich nicht eines Besseren belehrt worden bin, muß ich annehmen, daß er genügend unterrichtet war» um Sie informieren zu können; was sonst, zum Teufel, hat er da.unten gemacht? Besonders, da ich Ihre Aufmerksamkeit mehr als einmal darauf gelenkt habe, daß B[onnier} vollkommen informiert war oder sein mußte, und Sie niemals darauf geantwortet, geschweige denn widersprochen haben. Wozu führen alle diese Streitereien um des Kaisers Bart, wenn nicht dazu, jeden Kongreß unmöglich zu machen und vor der ganzen Welt die Herren Brousse und Co. als Sieger aufmarschieren zu lassen? , Daß die Deutschen keine Lust haben, sich einer Schlägerei mit den von der Polizei protegierten und unterstützten Possibilisten1173 auszusetzen und als Preußen und Bismarckianer von den Pariser Einfaltspinseln halbtot geschlagen zu werden, die, wie in allen Großstädten, die nötige Courage haben, wenn sie zehn gegen einen sind - das kann ich verstehen. Wir wissen aus der Zeit der Lassalleaner aus Erfahrung, wie wenig bei einem Kampf Mann gegen Mann mit einer rivalisierenden Partei zu gewinnen ist,wenn, diese Partei mit Polizei und Regierung im Bündnis steht - und das hat sich auf unserem eigenen Terrain abgespielt. Sie können es ihnen daher gewiß nicht verdenken, wenn sie zögern, sich in einen ähnlichen Kampf einzulassen auf einem Terrain, wo der bloße Ruf Preuße oder Bismarck-Agent.
genügt, um die unwissende Menge gegen sie aufzuhetzen, die darauf brennt, ihren Patriotismus wohlfeil zu beweisen. Und obwohl ich glaube, daß die Wirkung des Kongresses im Juli sehr viel größer wäre als zu jedem anderen Zeitpunkt, habe ich nicht das Recht, L[iebknecht] oder BfebelJ zu sagen, daß sie, wenn sie dem zustimmen, sich dieser Gefahr nicht aussetzen würden. Auf alle Fälle seht Ihr, daß Euer Kongreß im Juli einfach unmöglich ist. Je mehr Ihr darauf besteht, desto weniger werdet Ihr erreichen. Die Mehrheit ist gegen Euch, und wenn Ihr mit ihr zusammengehen wollt, müßt Ihr Euch fügen. Ihr wollt alles und werdet nichts bekommen. Qui trop «mbrasse, mal etreint. Denkt also daran, daß die Deutschen, die Holländer und die Dänen sehr wohl auf einen Kongreß verzichten können, daß Ihr das aber nicht könnt. Ihr braucht diesen Kongreß, sonst riskiert Ihr, auf Jahre hinaus von der internationalen Bühne zu verschwinden. Wenn Ihr wenigstens ein noch so kleines Organ hättet, das Lebenszeichen von Euch gäbe! In den anderen Ländern hat selbst die schwächste Partei ihr Wochenblatt, und Ihr habt nichts, was von Eurer Existenz zeugt und was Euch mit den anderen in regelmäßige Verbindung bringt. Aber Ihr mußtet ja entweder eine Tageszeitung haben oder gar nichts. Wollt Ihr, was den Kongreß angeht, den gleichen Fehler wiederholen? alles haben oder nichts? nun gut, dann werdet Ihr nichts haben, und niemand wird mehr von Euch sprechen, und in sechs Monaten wird Boulanger das übrige tun und Euch abwürgen, Euch und die Possibilisten. Ich wüßte nicht, daß Antoine im Reichstag1 jemals etwas anderes getan hätte, als protestieren. Von seinem Standpunkt aus konnte er nicht anders handeln. Die Radikalen'861 sind verrückt, Boul[anger] durch einen Prozeß'1911 erledigen zu wollen, zu glauben, daß das allgemeine Stimmrecht (so dumm es auch sein mag) durch eine politische Verurteilung geändert wird, das ist der Gipfel der Dummheit. Ihr werdet ihn trotzdem bekommen, diesen guten Boulanger, den Ihr braucht, und die Sozialisten werden die ersten Opfer sein. Denn ein erster Konsul muß unparteiisch sein, und für jeden Aderlaß, den er der Börse auferlegt, wird er, um das Gleichgewicht zu halten, dem Proletariat neue Zügel anlegen. Bestünde nicht die Gefahr eines Krieges, dann wäre diese neue Phase sehr amüsant, sie würde nicht lange dauern, und es gäbe etwas, worüber man lachen könnte. Freundschaftlichst Ihr p g
Aus dem Französischen.
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 4. April 89
Lieber Liebknecht, Außer Deinen Briefen an mich liegen die an Bonnier und Ede vor mir. Ich sehe daraus, daß, wie gewöhnlich, wir sehr bedeutend auseinandergehn, sobald es ans Handeln kommt. Bei den Engländern würdest Du jetzt mit Deiner „Höflichkeit" post festum nur ausgelacht werden. Dein Rat an die Franzosen, eventuell d'arriver a un arrangement quelconque avec les Broussistes1, d. h. extra hingehn und den Hintern hinhalten, um drauf Tritte zu empfangen, hat die Leute begreiflicherweise wütend gemacht. Dieser Rat und Dein Ärger darüber, daß wir - denn das Pamphlet ist auf meine Anregung unternommen und fast ganz von mir redigiert11861 die Possibilisten1171 als das hingestellt, was sie sind - Reptilienfondsempfängertl92] der Opportunisten1611, d.h. der haute finance -, und daß wir damit einem großen Teil der Engländer die Augen über ihnen absichtlich verheimlichte Dinge geöffnet haben, ist nur dann erklärlich, wenn Du Dir ein Hinterpförtchen offenhalten wolltest, um - selbst nach dem Euch von den Possibilisten erteilten Tritt - noch ein kleines Geschäftchen auf Rechnung und Gefahr der deutschen Partei einzufädeln. Sollte das der Fall sein, so bin ich keineswegs verdrießlich darüber, da ein kleines Stöckchen vorgesteckt zu haben. Dies alles sowie Deine Meinung, Ede habe der „Justice" redaktionell, d.h. im „Soz[ial]dem[okrat]", d.h. deutsch, ohne den Engländern verständlich und zugänglich zu sein, antworten sollen, beweist, daß Du aus den französischen wie englischen Verhältnissen total heraus bist, mit antiquierten Daten und eingebildeten Situationen rechnest. Eis ist das auch nicht anders zu erwarten, da Du dort die betr. Journale gar nicht erhältst und mit keiner irgendwie bedeutenden Persönlichkeit in England und Frankreich in regelmäßiger Korrespondenz stehst (ich meine natürlich von den sozialistischen
1 zu irgendeinem Arrangement mit den Broussisten zu gelangen
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
Parteien). Über alle diese Dinge ist Ede weit besser unterrichtet als Du, und Du tätest besser, bei ihm Information zu holen, als ihn über Dinge abzukanzeln, wo er Dir weit über ist und sein muß. Daß das Pamphlet nicht nur der größte Dienst war, der Euch von uns erwiesen werden konnte, sondern auch eine absolute Notwendigkeit, hoffe ich, wenn nicht Dir, so doch Singer klarmachen zu können, wenn Ihr herkommt. Soviel ist sicher, den nächsten Kongreß könnt Ihr allein machen, ich lasse die Finger davon. Die Resolution vom Haag war mir von Laffargue! ausdrücklich zur Veröffentlichung zugeschickt, und nach der schnöden Abweisung, die Euch die Possibilisten erteilt, war sie absolut notwendig.11931 Ich werde da verdammt wenig nach Etikette fragen und ruhig abwarten, ob sich außer Dir noch sonst jemand darüber beschwert. Was das Datum des Kongresses angeht, so wird jede Änderung des einmal Beschlossenen eine neue Schwierigkeit der Verständigung, da jeder ein andres Datum vorschlagen wird und man sich z.B. über den 10.August erst am 10. Oktober wird geeinigt haben. Euch darüber Vorschläge zu machen, wird nichts nutzen, ich will nur hoffen, daß nach all der Schererei ich habe seit 4 Wochen wegen der verdammten Geschichte keinen Strich am II I.Band2 tun können - doch noch irgend etwas Reelles herauskommt. Grüße Deine Frau und die andern, wenn Du sie siehst, herzlich.
Dein F. E.
Daß Ihr Keilerei mit den Possibilisten vermeiden wollt, die notabene noch mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung und unter dem Schutz der Possibilisten durch die Polizei stattfinden würden, wo Ihr also zum Dank für Eure Haltung zugunsten Frankreichs seit 1870 von den Franzosen als prussiens3 verhauen würdet, begreife ich vollkommen und habe es Laffargue] auch deutlich genug gesagt.4
2 des „Kapitals" - 3 Preußen - 4 siehe vorl. Band, S. 175/176
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Horsdorf bei Leipzig
London, 5. April 89
Lieber Liebknecht, Als ich Dir gestern schrieb, erwartete ich nicht, daß ich Dir heute schon die Probe auf mein Exempel liefern könnte. Unser Pamphlet11861 - verbreitet in 2000 Ex. in London und 1000 in der Provinz, und, dank Tussy, an die richtigen Stellen - hat eingeschlagen wie eine Bombe und ein kolossales Loch gerissen in das Hyndman-Broussesche Intrigengewebe, und zwar an der entscheidenden Stelle. Die Leute hier, plötzlich aufgeklärt über den wahren Sachverhalt, finden, daß Hyndman sie über den Kongreß, die französischen sozialistischen Parteien, die Deutschen und die Haager Geschichte[163] schändlich angelogen und ihnen die wichtigsten Sachen verheimlicht hat. Die rebellischen, fortschrittlichen Elemente der Trades Unions11943, die Hyndman eben abzufangen im Begriff stand, wenden sich jetzt an Ede, und alles will weitere Aufklärung haben. In seinem eignen Lager, der Social Democratic Federation[73], hat H[yndman] ebenfalls Opposition erhalten, so daß unser Pamphlet die einzig sichern Alliierten der Possibilisten*173, die Social Democratic Federation, wackelig gemacht hat. Die Folge ist beiliegende, rückwärtskonzentrierende, im Gegensatz zu seiner früheren schnoddrigen Sprache geradezu beschissene Antwort Hyndmans in „Justice"11953. Noch nie hat HJyndman] einen so schmählichen Rückzug angetreten, und der Artikel wird uns neue Erfolge eintragen. Der „Soz[ial]d[emokrat]" hat mit einem Schlag eine achtunggebietende Stellung in London erobert, wozu es sonst Jahre gebraucht hätte. Und statt auf uns zu schimpfen, bittet man uns jetzt förmlich, doch keine zwei Kongresse zuwege zu bringen. Nun also. Ede wird antworten, er könne nur in eignem Namen sprechen, aber er glaube sagen zu können, daß, wenn die Possibilisten jetzt noch, aber ungesäumt, die Haager Beschlüsse unbedingt akzeptieren, es vielleicht noch nicht zu spät sei zur Einigung und er gern dahin wirken werde. Da die Possibilisten auch aus Spanien schlechte Nachrichten haben, indem ihr Agent Gely in Madrid, wo wir alles in der Hand haben, einfach
abgewiesen wurde und auch sonst nur in Barcelona bei einer Trades Union irgendwelche Aussichten hat, und da die Belgier sich auch zäher zu halten scheinen, als sie, die Possibilisten, erwarteten, so ist es sehr möglich, daß dieser letzte Schlag - der ihre Hauptreserve wackelig macht - sie weich stimmen wird. Um nun das Eisen zu schmieden, weil es warm ist, wäre es gut, wenn Du ml. Brief an Ede möglichst wörtlich schreiben und ihm umgehend zuschicken würdest.11961 Denselben schicke ich an Bebel, mit derselben Bitte.'1971 Aber möglichst wörtlich, denn ein einziger, für die hiesige Lage ungeeigneter Ausdruck würde uns verbieten, Gebrauch davon zu machen. Möglicherweise würden die Briefe dann veröffentlicht. Es handelt sich darum, den Hfyndman] dahin zu bringen, daß er auf die Possibilisten in tmserm Sinn wirkt; geschieht das, so geben sie sicher klein bei, und wir haben den einen Kongreß gerettet. Alles dies ist zwischen Ede und mir heute verabredet. Und nun darfst Du auch im Hinblick auf meinen gestrigen Brief wieder sagen, daß ich der gröbste Mann in Europa bin. Dein F.E. Lieber Ede, Ich bin sehr erfreut zu hören, daß die Social Democratic Federation sich versöhnlicher zeigt. Aber wir sind durch die Ablehnung der Haager Beschlüsse seitens der Possibilisten in die Zwangslage versetzt, selbständig Vorgehn und einen Kongreß berufen zu müssen, auf dem alle Zutritt haben und der souverän in seinen eignen Angelegenheiten entscheidet. Die Vorbereitungen dazu sind im Gang und können nicht unterbrochen werden. Wenn die Social Democratic Federation die Einigung ernstlich will, so kann sie vielleicht noch jetzt dazu beitragen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Diese Einigung kann möglicherweise noch stattfinden, wenn die Possibilisten die Haager Beschlüsse purement et simplement1 akzeptieren - aber unverweilt, denn wir können uns nach der einmal erfolgten Abweisung nicht noch länger hinhalten lassen. Ich kann hier nicht im Namen der deutschen Partei sprechen, da die Fraktion nicht versammelt ist, noch weniger im Namen der übrigen im Haag vertretenen Gruppen. Aber das will ich gern versprechen: falls die Possibilisten ihre unbedingte Annahme der Haager Beschlüsse, von denen wir kein Haarbreit abgehn können, bis zum 20. April er. spätestens in die
Hände der belgischen Delegierten Volders und Anseele schriftlich deponierten, will ich das Meinige tun, um die Einigung und das Erscheinen aller auf dem von den Possibilisten unter Einhaltung der Haager Beschlüsse zu berufenden Kongreß zu ermöglichen. Dein W.L.
Der Datum 20. Apr. ist wichtig - weil die Entscheidung fallen muß vor dem belgischen Nationalkongreß am 21.tl98] Inliegendes auch aus „Sozialist"[199] - die Amerikaner halten hier ganz mit Ede. Mehr als alles andre hat hier grade die Veröffentlichung des Haager Beschlusses*1933 gewirkt, über den Hyndman lauter Lügen verbreitet hatte und der in seiner Beschränkung auf die Forderung von eigentlich selbstverständlichen Sachen enorm eingeschlagen hat.
93
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 10. April 89
Mein lieber Lafargue, Ich komme soeben von Bonnier, wir haben die Situation besprochen. Wie ich erwartete, hat Eure Forderung, das Datum des Kongresses zu ändern, überall Verwirrung gestiftet. Liebkfnecht] erklärt in der Berliner Presse, es sei kaum zu hoffen, daß der Kongreß in diesem Jahr in Paris stattfindet, und es wäre günstiger, ihn im nächsten Jahr in der Schweiz abzuhalten. Die Schweizer Presse greift diesen Vorschlag begeistert auf. Bebel scheint so vieler Schwierigkeiten überdrüssig zu sein und bereit, alles Liebknecht zu überlassen. Und die Belgier antworten ihnen nicht, weder B[ebel] noch Lfiebknecht]. Zum Glück kennen wir das Geheimnis der Belgier. Anseele, der ehrlich ist, hat es Bernstein geschrieben: sie werden die Haager Beschlüsse*1631 ihrem Nationalkongreß in Jolimont am 22. April vorlegen, und ihr Nationalrat wird erst nach Ermächtigung durch den Kongreß handeln.*1981 So fassen diese guten Brüsseler die internationale Aktion auf. Die Sache ist durchsichtig. Die Brüsseler Possibilisten gewinnen so einen ganzen Monat, um mit den Pariser Possibilisten*1'1 übereinzukommen und zu intrigieren; auf dem Kongreß in Jolimont werden sie einen Vorschlag von Brousse und Co. vorlegen, der ihnen mehr oder weniger lächerliche Zugeständnisse (je nach der Situation des Augenblicks) anbietet, die Belgier werden annehmen und den anderen vorschlagen, sich mit diesen großen und edelmütigen Zugeständnissen zufriedenzugeben. Und da die Masse immer für Versöhnung ist und die kleinen Nationalitäten ganz verrückt nach Kongressen sind, werden sich die Holländer, die Dänen, sogar die Schweizer, die Amerikaner und, wer weiß, vielleicht auch Liebk[nechtl zugunsten der Einigung und des Kongresses 1889 in Paris erklären, das schließt nicht aus, daß sie sich 1890 in der Schweiz von neuem berauschen. Denn dies ist gewiß: Wenn die Idee an Boden gewinnt, daß der antipossibilistische Kongreß in Paris für 1889 aufgegeben ist, haben die Possibilisten das Spiel gewonnen, und alle Welt wird zu ihnen gehen, mit Ausnahme vielleicht allein der Deutschen.
Das habe ich Ihnen von Anfang an gesagt. Ihr wolltet alles und riskiert, nichts zu bekommen. Es gibt noch eine Chance, die Situation zu retten, und wir haben sie entschlossen genutzt. Unsere Broschüre[186] hat hier, wie ich Ihnen vorausgesagt habe, eine außerordentliche Wirkung erzielt. Sie müssen einen Brief vom Komitee der rebellischen Trades Unionists[194] bekommen haben, die sich auch an Bernstein und andere gewandt haben. Obwohl sie zum Possibilistenkongreß neigen, zweifeln sie noch. Und auch in der Social Democratic Federation1731 gibt es rebellische Elemente, sonst hätte Hyndman nicht den Artikel vom letzten Samstag geschrieben.11951 Wir haben also die Reserve der Possibilisten erschüttert, und nun gilt es, den Vorteil zu nutzen. Bernstein hat nun an die „Justice" geschrieben, in Anbetracht des versöhnlicheren Tons dieser Zeitung erkläre er - allerdings nur in seinem eigenen Namen -, es sei vielleicht noch nicht zu spät, zu einer Einigung zu kommen; wenn die „Justice" diese Einigung so sehr wünsche, so brauche sie nur auf die Possibilisten einzuwirken, die Haager Beschlüsse vorbehaltlos zu akzeptieren, aber unverzüglich; bezüglich der beiden Punkte: Zulassung aller auf gleichberechtigter Basis, vorbehaltlich der Bestätigung durch den Kongreß, und Souveränität des Kongresses könnten keine Konzessionen gemacht werden; entweder sie nehmen an oder lehnen ab; sollten die Possibilisten aber sofort akzeptieren, so werde er sein Bestes tun, um die allgemeine Einigung zu erleichtern. Er und Tussy haben Montag abend Hyndman aufgesucht, um ihm diese Antwort zu überreichen, die veröffentlicht wird. Sie haben die Gelegenheit genutzt, um ihm zu verstehen Zu geben, daß sie die Situation im Ausland besser kennen als er, in England ebensogut wie er, und daß es zwecklos sei, sie mit seinen üblichen Finten an der Nase herumzuführen. Sie haben ihm gesagt, wenn zwei Kongresse stattfänden, würden zu dem unseren außer den Deutschen, Holländern, Belgiern und Schweizern auch die Österreicher, Dänen, Schweden, Norweger, Rumänen, Amerikaner und die im Westen lebenden Russen und Polen kommen. Sie haben ihm erklärt, sie wüßten genau, wie sehr seine eigene Position hier durch unsere Enthüllungen über die von ihm verbreiteten Lügen über die Situation in Frankreich usw. untergraben sei. Sie hatten den Eindruck, daß seine possibilistischen Freunde ihn selbst über mehrere Punkte getäuscht haben, und sie haben ihn in der Überzeugung verlassen, daß er sein Möglichstes tun wird, um die Possibilisten zum Nachgeben zu bewegen.
Wir haben auch einen Brief von Liebkjnecht] \ in dem er sich verpflichtet, zur Versöhnung beizutragen, vorausgesetzt, daß die Possibilisten die Haager Beschlüsse vorbehaltlos bis zum 20. April akzeptieren. Ich erwarte einen weiteren von Bebel, und dann werden wir uns ihrer bedienen. Es wird darin gesagt, daß wir auf gar keinen Fall in den beiden Hauptpunkten auch nur einen Millimeter nachgeben werden. Hyndman sagte, daß die Possibilisten befürchteten, von ihrem eigenen Kongreß vor die Tür gesetzt zu werden, hinc illae lacrimae!2 So vereiteln wir die Brüsseler Intrige: Wir geben von Anfang an zu verstehen, daß kein Verhandeln möglich ist. Entweder nehmen die Possibilisten an, und dann haben wir den vollständigsten Sieg über sie, wir haben ihre Position untergraben, wir haben sie dahin gebracht, uns humble-pie3 zu essen» und ihr Anspruch auf die Rolle als ausschließliche und allein anerkannte französische sozialistische Partei ist für immer zunichte gemacht; Ihr habt alles, was Ihr braucht, und der Kongreß wird das übrige tun, wenn Ihr ihn» wie Bonnier uns sagt, mit Delegierten aus der Provinz überschwemmen könnt. Oder aber, sie lehnen ab, und dann haben wir den Vorteil, vor der Welt das Äußerste für die Versöhnung getan zu haben; wir werden alle Unentschlossenen auf unserer Seite haben, wir werden trotz Liebkfnecht] den Kongreß im Herbst in Paris machen, denn dann gibt es von keiner Seite mehr eine Verzögerung. Ich schicke Ihnen zwei Zeitungen mit Artikeln über den Kongreß, aus denen Sie ersehen, wie rührig wir sind. Besser jedoch als alles andere wäre, wenn es uns gelänge, die Possibilisten durch ihren eigenen Kongreß zu ruinieren. Liebkfnecht] bildete sich ein, die Possibilisten an sich binden zu können» trotz Brousse, gegen Brousse und über den Kopf von Brousse hinweg! Die Idee, die Welt zu beherrschen, mit Borsdorf als Hauptstadt! Umarmen Sie Laura! Was macht sie, sie ist doch nicht krank? Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 17. April 89
Lieber Liebknecht, Daß Ihr Borsdorfer Wilden doch beßre Menschen seid, daran zweifelte ich nie - ich möchte fast sagen, besser bis zur Unverbesserlichkeit. Eure Haager Konferenz11631 wird immer komischer. Von der einen Resolution - was nach Ablehnung durch die Possibilisten1171 zu geschehn - wissen Lafargue und Bonnier (der hier ist) nichts, und von der andern, wegen der Geheimhaltung, wissen Laffargue], Bonnier und Ede nichts. Das muß eine eigentümliche Präsidentschaft und ein sonderbares Sekretariat gewesen sein, wobei so etwas passieren kann. Also, was wir nicht wußten, konnten wir auch nicht einhalten. Daß bis zur Ablehnung durch die Possibilisten der Mund zu halten war, verstand sich von selbst und ist auch geschehn. Aber nachher mußte sofort losgeschlagen werden. Und wenn Dir dabei wie gewöhnlich das Pech passierte, durch unvorherzusehende Umstände verhindert zu sein und kein andrer von Euch in den Riß trat und Laffargue] mir die Resolution11933 grade zum Zweck der Veröffentlichung eingeschickt hatte, so war es unsre verdammte Schuldigkeit - wie die Umstände hier lagen, ganz besonders -, diese Verantwortlichkeit auf uns zu nehmen und diesen horrenden Etikettenbruch zu begehn. Euer Gesamtprotest1 hätte allerdings ganz anders gewirkt als unsre Broschüre'1861 - jawohl, wenn er überhaupt je erschienen wäre. Warum ist er denn noch nicht da? Wer zum Kuckuck hindert Euch? Du weißt so gut als ich, daß er nie oder doch sechs Monat post festum zustande kommt. Dein Plänchen, die Possibilisten durch moralische Ermahnungen von Borsdorf aus zu sprengen und über den Kopf von Brousse weg mit ihnen zur Verständigung zu kommen, ist eine kindliche Chimäre, an deren Durchführung übrigens unser „Geschimpfe" auf die Possibilisten Dich nicht hindern kann. Du kannst ja aus Leibeskräften den Herren Deine Unschuld
beteuern. Solange die Herren, mit denen Du korrespondierst, unter Brousses Fahne segeln, sind sie mitverantwortlich für seine Klüngeleien,und wenn man diese ins rechte Licht stellt, sollte man meinen, daß Dir das nur behülflich sein könne. Wenn alles, was Brousse sie tun läßt, gut und schön ist, haben sie ja gar keinen Grund, gegen ihn aufzutreten. Wenn Ede. der durchweg im Pamphlet in eignem Namen spricht und nicht anders auftritt als im Blatt2 selbst, dadurch den Staatsanwälten Wasserfälle auf ihre Mühle macht, so ist das Blatt selbst Euch viel gefährlicher als das Pamphlet. Dann schreibt doch um alles in der Welt den Leuten hier, sie sollen entweder Euch angreifen, statt Euch zu verteidigen, oder aber noch besser, die Bude zuschließen. Und wenn Ihr auf so unsicherm Boden sitzt, dann laßt vor allen Dingen die Finger weg von allen internationalen Kongressen etc. Was die Geschichte mit Schlesinger*2003 angeht, so wollen wir mündlich darüber weitersprechen. Ich habe das Ding noch nicht gesehn, aber so kann's nicht bleiben, daß so etwas-selbst nur die Reklamenanzeige - unter Deiner Ägide erscheint, ohne Protest Deinerseits. Was ich in der Sache zu tun genötigt sein werde, hängt natürlich von dem Inhalt des Machwerks selbst ab. Schorljemmer] ist seit Samstag hier. Er und Lenchen lassen grüßen. Dein F.E.
Dein Brief an Ede3 wird nicht benutzt. Wenn Du an Lee im selben Sinn schreibst, ist das viel besser. Zur Erheiterung: Ede war vorigen Freitag auf einer sozialistischen Soiree der hiesigen jebildeten Sozialisten.t201] Da sagte ihm Herr Sidney Webb, Professor der politischen Ökonomie am Working Men's College, der auch Marx' Werttheorie widerlegt hat: We are only 2000 socialists in England but we are doing more than all the 700 000 socialists in Germany.4
3 „Der Sozialdemokrat" - 3 siehe vorl. Band, S. 180/181 -4 Wir sind nur 2000 Sozialisten in England, aber wir leisten mehr als die 700 000 Sozialisten in Deutschland.
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Engels an Karl Kautsky in Wien
London, 20. April 89
Lieber Kautsky, Wegen Schlesinger][200] werde ich mit Liebk[necht] sprechen, wenn er in ca. 14 Tagen - herkommt. Ich habe ihm schon das Nötigste angedeutet. Sei aber so gut, und schick mir das Ding - hier ist ja von solchen Sachen nichts zu haben, und ich möchte nicht in der Lage sein, alle Behauptungen unwidersprochen hinnehmen zu müssen. Was Schmidt angeht, so hab' ich ihm den Rat gegeben, Dir das Ms. zu schicken1 und zu sehn, ob Du es nicht unterbringen kannst. Schmidt hat sich in aller Stille zum Marxianer entwickelt und infolgedessen alle Aussicht auf Universitätskarriere verloren, nachdem er in Halle als Dissident11033 diese edle Universität ist konfessionell! - und in Leipzig als Sozialist abgewiesen[141] und die Schweizer ihn um Gottes Willen gebeten, sie zu verschonen. Jetzt sucht er seine Habilitationsschrift drucken zu lassen, die Kathedersozialisten[202] sagen, sie sei doch zu marxistisch, das ginge nicht, und da sind der Verleger nur wenige. Schmidt ist ganz von selbst zu uns gekommen, ohne irgendwelche Aufmunterung, ja trotz vieler indirekter Warnungen meinerseits, und einfach, weil er der Wahrheit nicht widerstehn konnte. Unter den heutigen Verhältnissen ist ihm das hoch anzurechnen, und er hat sich sehr brav dabei benommen. Nun ist der Kasus der, daß grade ich das Ms. nicht lesen und beurteilen darf. Er will versuchen, auf die von mir in der Vorrede zum II.Band gestellte Frage[104] zu antworten. Ich darf aber nicht mit dem Inhalt des III. Bandes vorlaut herausplatzen, und das hindert mich, direkt in der Sache irgend etwas zu tun. Ich kann Dir also diesmal nicht behülflich sein. Er - Schmidt - hat sich in Berlin auf die Journalistik geworfen, wie das gehn wird, weiß ich nicht. Er hat sich jedenfalls mit mehr Verstand und Energie benommen, als ich ihm zutraute. Für einen Journalisten ist er von
einer Schwerfälligkeit sondergleichen, aber das schadet am Ende nicht viel in Deutschland. Hoffentlich kommt Louise glücklich über ihre sechs letzten Wochen weg und ruht sich dann aus.11561 Ich habe wegen dem verdammten Pariser Kongreß Schererei über Schererei. Das ist ein Wirrwarr! Ede hilft mir und ich ihm, wo wir können, und Tussy uns beiden, sonst ist alles Tohuwabohu. Dein Oberlieutnant2 noch nicht hiergewesen. Dafür ist Schorl[emmer] hier. Wetter glorios. Nim und ich waren heut auf Highgate - drei Stunden Bummel. Jetzt aber Essenszeit und Postzeit 5.30. Beste Grüße an Louise und Dich von uns allen. Dein F. E.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 30. April 89
Mein lieber Lafargue, Pere Duchesne ist, wie ich sehe, heute morgen verdammt wütend und schilt alle Welt Jammerlappen*2031, selbst wegen nicht begangener Taten. Der gute Mann täte besser, sich in seiner nächsten Nähe umzuschauen und sich zu fragen, welchen Namen die Leute verdienen, die drei „Egalites"12041 und einen „Socialiste"*311 eingehen ließen und damit die internationale Existenz Eurer Partei vernichtet haben, denn eine Partei, die nicht zu den anderen sprechen und Beweise für ihre Existenz bringen kann, hört auf, für sie zu existieren. Aber lassen wir das. Sie sehen also nicht, daß Euch das Verhalten der Belgier*1981 Eure Handlungsfreiheit zurückgibt? Daß Ihr jetzt, wenn Euch soviel daran liegt, Euren Kongreß zu einem Datum einberufen könnt, das Ihr für gut befindet, l.Juli, 14.Juli oder I.August? Daß es keineswegs zu spät ist, so zu handeln, wenn Ihr sofort handelt und wenn Ihr, was selbstverständlich ist, eine Partei hinter Euch habt, die bereit ist, die erforderlichen Kosten zu tragen? Ich habe an Bebel geschrieben, daß ich es nicht mehr auf mich nehme, Euch zur Untätigkeit zu raten, daß Ihr im Recht wart, Euch zu beklagen, da alle Seiten Fehler gemacht haben.*2051 Das war gestern; heute schreibt er mir, daß die Holländer dem Beispiel der Belgier folgen und beide Kongresse besuchen wollen; daß die Deutschen nicht zum Kongreß der Possibilisten gehen werden, trotz der Stimmen von Auer und Schippel, die sich im entgegengesetzten Sinne geäußert haben (Bonnier hat beiden geantwortet*2061); daß er, Bebel, für eine Delegation zu Eurem Kongreß ist, den er vorschlagen würde, im August abzuhalten; daß jedoch, um einen endgültigen Beschluß zu fassen, die Abgeordneten zusammenkommen müssen, und das kann nicht vor der Sitzung des Reichstags1, am 7. Mai, sein*2071.
Ihr habt jetzt lange genug gewartet, und Ihr könnt nicht den 7. Mai abwarten, da das Ergebnis ungewiß ist. Ich werde also an B[ebel] schreiben, daß Ihr jetzt wahrscheinlich handeln werdet, wie Ihr es für richtig haltet, und ihn bitten, übereilte Beschlüsse zu verhindern, falls das von Euch gewählte Datum ihnen nicht ganz zusagt. Die Zurückhaltung der Deutschen hat einen sehr wesentlichen Grund. In wenigen Tagen findet ein Monstreprozeß gegen 128 Sozialisten aus Barmen-Elberfeld statt12081, und der Staatsanwalt kündigt in der Anklageschrift an, daß er nach der Verurteilung der 128 und nach Schluß der Reichstagssession erwägen wolle, alle Abgeordneten der Partei unter Anklage zu stellen, das Zentralkomitee des ausgedehnten sozialistischen Geheimbundes in Deutschland zu sein. Das ist der bedrohlichste Schlag, den man sich bis jetzt gegen uns ausgedacht hat. Als ein Beweis wird die Einberufung der Kongresse von Wyden'2091 und von St. Gallen'2101 angeführt. Wir wußten das seit 5 oder 6 Wochen, und die Befürchtung, dieser Anklage neues Material zu liefern, hat B[ebels] Handeln gelähmt. Das Vorgehen der Holländer scheint mir nach dem Verhalten von Nieuwenhuis im Haag etwas zweifelhaft.12111 Bernstein meint, wenn zwei Kongresse zu gleicher Zeit tagen, müßte dies genügen, um vor allem bei den ausländischen Delegierten die Meinung entstehen zu lassen, daß diese beiden Kongresse vereinigt werden müssen. Sie werden beurteilen können, ob diese Ansicht richtig ist; auf alle Fälle vorausgesetzt, daß dies eintritt - könnte sich Euer Kongreß sehr gut mit dem anderen vereinigen, auf Einladung des ganzen Kongresses und nach getrennter Prüfung der Mandate durch jeden Kongreß. Da Ihr der Abstimmung nach Nationalitäten uneingeschränkt zustimmt, wäre die Souveränität des Kongresses gesichert. Bernstein sagt mir auch, daß der „Soz[ial]dem[okrat]", trotz der Herren Abgeordneten, in Deutschland sein Möglichstes tun wird, um für Euren Kongreß Propaganda zu machen; er sagt: Man hat so oft von mir gefordert, eine unabhängige Politik zu betreiben - die es ihnen gestattet, den „S[ozialld[emokrat]", der als ihr Organ angesehen wird, zu desavouieren - daß ich ihnen diesmal das Vergnügen machen werde. Natürlich könnte das einen offiziellen Beschluß der Abgeordneten zur Folge haben, aber bis dahin ist es noch weit! Meine Ansicht ist also: versammelt Eure Kommission'2121, beruft den Kongreß, setzt das Datum fest, das Euch unter den Umständen am geeignetsten scheint, verfaßt das Berufungszirkular, das Laura ins Englische und ich mit Vergnügen ins Deutsche übersetzen werde. Alles das wird uns bis,
in die nächste Woche hinein in Anspruch nehmen; falls wir inzwischen andere Nachrichten haben, die eine Änderung im Detail nach sich ziehen könnten, wäre dazu noch Zeit. So würde Euer Zirkular gegen Ende der nächsten Woche in französischer Sprache gedruckt und sogleich verteilt werden. Ich werde Ihnen die notwendigen Adressen schicken. Der Druck in englischer und in deutscher Sprache würde hier erfolgen. Ist Euer Kongreß erst einmal zu einem bestimmten Datum einberufen, wird die Debatte wieder aufleben, und wir werden sie vorantreiben. In Eurem Berufungszirkular müßtet Ihr die Souveränität des Kongresses und den rein provisorischen Charakter der von Euch aufgestellten Geschäftsordnung hervorheben. Man müßte auch einen Vorschlag für die Zulaßbedingungen machen, etwa ein Delegierter je Ortsgruppe - vorbehaltlich natürlich der Bestätigung durch den Kongreß. Die anderen haben das offengelassen, um drei oder vier Delegierte je Pariser Gruppe zu haben, falls Ihr dort durch einen Delegierten je Provinzgruppe vertreten wäret. Wenn Ihr eine definitive Grundlage schafft, zwingt Ihr die anderen, Stellung zu nehmen. Nun ans Werk! Ihr habt gut zwei Monate vor Euch, und das muß für alles genügen. Und daß Euer Berufimgszirkular ja versöhnlich ist - die Possibilisten sparen nicht mit Honig, und je mehr Ihr davon gebraucht, um so besser. Ihr habt durchaus das Recht zu sagen, daß Ihr Euch allen Forderungen der anderen gefügt habt, solange Hoffnung bestand, daß Ihr aber jetzt die Pflicht habt, die Initiative zu ergreifen. Geht aber so sanft wie möglich über den Verrat der Belgier hinweg - um den Possibilisten keinen Anlaß zum Triumph zu geben. Eins ist übrigens sicher: Diesmal haben sich die Belgier zugrunde gerichtet. Sie werden in Zukunft niemanden mehr täuschen. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Faul Lafargue in Le Perreux
London, den 1. Mai 89
Mein lieber Lafargue, Seit meinem gestrigen Brief hat Bernstfein] folgenden von Liebkfnecht] erhalten'2131: „In der gegenwärtigen Situation kann der Kongreß nur durch einen Akt der Franzosen gerettet werden, der eine vollendete Tatsache schafft; sie werden also einen Kongreß einberufen - als Folge des belgischen Beschlusses'1981, der eine gemeinsame Aktion der Teilnehmer an der Haager Konferenz'1631 unmöglich macht, und vorbehaltlich der Zustimmung der Deutschen, Österreicher, Schweizer (Dänen usw.), deren Zustimmung sich vorher zu sichern die vorgeschrittene Zeit nicht mehr gestattet. Der Kongreß muß genau zu dem Tag einberufen werden, an dem die Possibilisten ihren Kongreß eröffnen (14. Juli), in den im Haag genau festgelegten Formen und mit der Begründung für das Datum des 14. Juli durch die ausdrückliche Zusicherung, daß man dem anderen Kongreß keinerlei Konkurrenz machen will, aber die bestimmte Erwartung hegt, daß das Gefühl der Solidarität die beiden Kongresse zwingen wird, gemeinsam zu tagen." (Das wäre dumm, auch wir erwarten, daß dies das Ergebnis sein wird, aber das auszusprechen hieße, den Possibilisten gewonnenes Spiel zu geben, die dann die Bedingungen diktieren würden. Ihr könntet vielleicht sagen, daß die beiden nebeneinander tagenden Kongresse wohl selber alle Streitigkeiten lösen könnten.) „Natürlich müßte gleichzeitig ganz kurz eine Darstellung der Lage, der letzten Ereignisse (Kongresse von Troyes'1281 und Bordeaux'1351, Verhandlungen, um eine Einigung zu erreichen, Konferenz usw.) gegeben werden, aber ohne jede Polemik gegen die Possibilisten. Dann ist es notwendig zu sagen: wir bitten die Arbeiter- und Sozialistengruppen der anderen Länder, durch ihre Unterschriften unserem Berufungszirkular zuzustimmen, da uns die Zeit gefehlt hat, uns diese Zustimmung vorher zu beschaffen.
Wenn wir sie nicht vor vollendete Tatsachen stellen, wird kein Kongreß zustande kommen, und die belgische Abstimmung hat unseren französischen Freunden Handlungsfreiheit gegeben. Sobald wir sie vor vollendete Tatsachen gestellt haben, werden sie zum Kongreß kommen." Das ist echt Liebknecht! Er ist eines kühnen Entschlusses fähig, aber erst, nachdem er selber die Sache derart verfahren hat, daß er keinen anderen Ausweg mehr sieht. Im übrigen billige ich, was er schreibt - mit der oben vermerkten Ausnahme. Ihr könnt in Eurer Einladung gar nicht honigsüß genug sein, was Euch nicht hindert zu sagen, daß die Daseinsberechtigung Eures Kongresses in der Weigerung der Possibilisten liegt, die volle und ungeteilte Souveränität des Kongresses anzuerkennen. Nach diesem Brief Liebk[nechtsl gibt es nicht mehr den geringsten Grund zu zögern. Also handelt, haltet Eure Nationalkongresse ab, und laßt möglichst alle dort versammelten Delegierten an dem internationalen Kongreß teilnehmen, der darauf folgen muß. Sobald Euer Zirkular[214] erschienen ist, werden wir mit der Agitation beginnen, zunächst für Euren Kongreß und dann, um die Delegierten, die wir nicht daran hindern können, zum Kongreß der Possibilisten zu gehen Belgier usw. - zu instruieren, auf die Vereinigung der beiden Kongresse zu bestehen. Aber da Ihr jetzt freie Hand habt, zögert nicht, verliert keinen Tag. Wenn wir Euer Zirkular Montag oder auch Dienstag früh haben, wird es in den „Sozialdemokrat" kommen uncTim „Labour Elector" angekündigt werden. Sobald das Datum für Euren Kongreß feststeht, wird hier vielleicht noch einiges zu machen sein, obwohl uns die Niederträchtigkeit der Belgier ungeheuer geschadet hat. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, 2. Mai 89
Mein lieber Lafargue, Nun geht es vorwärts. Bebel schreibt mir folgendes: „Liebk[necht] und ich haben uns verständigt, Lafargue und Genossen aufzufordern, sofort den Kongreß für den 14. Juli einzuberufen. Wir rechnen darauf, daß, wenn erst die beiden Kongresse auf einen Tag versammelt sind, ihr Nebeneinandertagen ein Ding der Unmöglichkeit wird und sie sich über die Köpfe der Possibilisten hinweg vereinigen. Ich denke, Ihr seid nunmehr auch zufrieden. Wir werden, sobald die Einladung der Franzosen vorliegt, eine öffentliche Aufforderung an die Deutschen richten, den Kongreß zu beschicken, und ihnen die Formen angeben, in welcher Weise sie das am besten können" (unter der deutschen Gesetzgebung). „Im gleichen Sinne habe ich an die Österreicher geschrieben, und die Schweizer und Dänen sollen ebenfalls benachrichtigt werden. So, denke ich, sind wir imstande, die Possibilisten zu expropriieren - jedenfalls ist ihr Plan gründlich durchkreuzt." 4.30 Uhr nachmittags. Ich komme soeben von Bernstein, den ich nicht angetroffen habe. Er hat von Liebk[necht] eine Karte bekommen, worin dieser ihm erklärt, daß Ihr freie Hand habt, von „ihren Namen" Gebrauch zu machen, da sie dem Kongreß zustimmen. „Ihre Namen" bedeutet wahrscheinlich B[ehel] und L[iebknecht], denn offiziell haben sie noch nicht das Recht, für die deutsche Partei zu sprechen. Ich habe die Karte nicht gesehen, aber Bonnier, der in meiner Abwesenheit hier war, hat Nim dasselbe gesagt. Ich hoffe, morgen früh einige Zeilen von Ihnen zu erhalten, die es mir ermöglichen, Bebel von neuem einzuheizen, indem ich ihm berichte, daß Ihr bereits handelt. Apropos - vergessen Sie nicht, mir den Brief aus Lyon - mit Entzifferung ~ zurückzusenden.12151 Ich kann die Arbeiter dort nicht ohne Antwort lassen. Da Euch jetzt mehrere Provinzzeitungen zur Verfügung stehen, wählt eine davon als Euren Moniteur für die Kongreßperiode aus und sorgt dafür,
daß er mit allen Euren Veröffentlichungen an die verschiedenen Parteien geschickt wird.*2161 Ich gebe Ihnen untenstehend einige Adressen, die anderen folgen. Umarmen Sie Laura von mir, ich werde ihr schreiben, sobald der verdammte Kongreß mir die rechte Hand freigibt.
Freundschaftlichst Ihr F. E.
A.Bebel, Hohe Straße 22, Dresden-Plauen, Deutschland. W.Liebknecht, Borsdorf-Leipzig, Deutschland. Redaktion „Social-Demokraten", Römersgade 22, Kopenhagen, Dänemark. F. Domela Nieuwenhuis, 96, Malakkastraat, Den Haag, Holland. Redaktion „Recht voor Allen", Roggeveenstraat 54, Den Haag. Redaktion „Arbejderen", Nansensgade 28 A, Kopenhagen, Dänemark. Redaktion „Gleichheit", Gumpendorfer Straße 79, Wien VI, Österreich. Redaktion „Muncitorul", 38 Strada Sarariei, Jassy, Rumänien. Editor „Justice", 181, Queen Victoria st., E.C., London. „ „Labour Elector", 13, Paternoster Row, E.C., London. „ „Commonweal", 13, Farrington Road, E.C., London. Rechtsanwalt A. Reichel, Bern, Schweiz \ die beiden DelegierRechtsanwalt Henri Scherrer, St. Gallen, Schweiz J ten in Den Haag*1631. Redaktion „Sozialdemokrat", 114, Kentish Town Road, N. W., London. Redaktion „Volkszeitung", Box 3560, New York City, U.S.A. „Sozialist", 25 East 4th st., New York City, U.S.A. (Wird fortgesetzt.)
Die Amerikaner (Deutsche)*193 haben sich, obwohl sie von den Possibilisten und Hyndman bearbeitet werden, immer für Euch und gegen die Possibilisten erklärt. Wenn ihnen Euer Zirkular rechtzeitig zugeht, zweifle ich nicht an ihrer Zustimmung, sie werden aber zu irgendeinem Kongreß gehen. „Arbejderen" ist das radikale Oppositionsblatt von Petersen (der Rouanet und Malon in Paris gekannt, sich aber seitdem sehr gewandelt hat) und von Trier, dem Übersetzer meines „Ursprungs der Familie". Sie täten gut, ihnen aus taktischen Gründen nichts zu schicken, das nicht gleichzeitig an „Social-Demokraten", das Organ der gemäßigten Majorität, geht.*2171 \3*
Die Adresse von P. Christensen, Delegierter in London[126] (gut), ist 9, Römersgade, Kopenhagen. Belgier: „Vooruit" (Redaktion), Marche au fil, Gent. Dieselbe Adresse gilt für Anseele (E.). Die Genter haben auf dem Kongreß von Jolimont[198] erklärt, daß sie nicht zum Kongreß der Possibilisten gingen, solange diese auf ihren Forderungen bestünden. Der Bericht des „Proletariat"[218] ist voller possibilistischer Lügen.
Aus dem Französischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
... .. . . London, 7. Mai 1889 Meine hebe Laura, Ich habe mich sehr gefreut, als heute morgen die Einberufung eintraf.[214] Wie Du schon sagst, gilt es, keine Zeit zu verlieren, und Paul, der vor frommer Entrüstung überzuschäumen scheint, ließ mich eine endlose Reihe bürokratischer Schwierigkeiten und Verzögerungen befürchten. Jetzt, da so schnell und entschlossen gehandelt wurde, ist alles in Ordnung. Die Einberufung ist kurz und gut, enthält das Nötige und weiter nichts; alles, was ich daran auszusetzen habe, ist, daß es besser gewesen wäre, darin zu erklären, daß das zweite Zirkular mit den ausländischen Unterschriften, die aus Zeitmangel bisher nicht beschafft werden konnten, folgen wird. Darüber hinaus hoffe ich, daß die Mitteilung, die Socialist League1743 hätte sich im voraus den Haager Beschlüssen11633 angeschlossen, auf Tatsachen beruht und nicht auf einem Mißverständnis, da ein Widerruf ihrerseits peinlich sein würde. Um ihre Unterschrift zu beschaffen, müßten wir über den Inhalt der Antwort Morris' an Paul informiert sein, um nicht ganz im dunkeln zu tappen. Würdest Du bitte eine englische Übersetzung anfertigen, die Paul untein mit: „Für die englische Übersetzung - Paul Laf[argue]" unterschreibt und würde er mich bevollmächtigen, dasselbe mit einer von mir angefertigten deutschen Übersetzung zu tun? Wir würden sie dann hier sofort drucken lassen und zu Tausenden verteilen und Euch auch soviel Exemplare senden, wie Ihr benötigt. Der Zeitverlust ist ausschließlich Liebk[nechtl zuzuschreiben, der sich als den Mittelpunkt der internationalen Bewegung betrachtet oder es doch gern sein, möchte und der, absolut davon überzeugt, eine Vereinigung herbeizuführen, sich sechs oder acht Wochen lang von den Belgiern an der Nase herumführen ließ. Selbst jetzt ist er überzeugt, daß, sobald er sich nur in Paris blicken läßt, die Vereinigung folgt. Doch da es jetzt noch nicht zu spät ist, ist die verlorene Zeit in Wirklichkeit nicht verloren. Sie hat bewirkt, daß die Masse der Ausländer, die anfangs ablehnend war und gewiß ablehnend geblieben wäre, hätte man das Datum ohne diese Vorbereitungen
und gegen ihren Wunsch festgesetzt, nun dem von den Franzosen gewünschten Datum zustimmte. In Wirklichkeit leidet durch L[ie]bk[necht]s Handeln niemand als wir hier, die wir, nachdem wir unsere Kampagne mit ungewöhnlichem Erfolg begonnen hatten, völlig auf unsere eigenen Hilfsmittel angewiesen blieben, da alle von den Arbeitern abgesandten Briefe, die hier auf unsere Veranlassung hin gegen den Possibilistenkongreß verfaßt wurden, von den Dänen, Holländern, Belgiern und Deutschen in höchst unentschlossener und vager Art und Weise beantwortet wurden; und keiner konnte ihnen irgendeine Auskunft über den anderen Kongreß geben, demzufolge fielen sie Smith Headingley und Hyndman in die Hände. Nun gut, sobald die Einberufung in Englisch heraus ist, müssen wir von neuem beginnen, und ich hoffe, mit größerem Erfolg. Doch wenn Paul annimmt, wir könnten die Leute hier in England zwingen, jene fictio juris1 zu glauben, daß die Possibilisten keine Sozialisten seien, daß folglich ihr Kongreß überhaupt nicht existiere oder zähle, dann irrt er sehr. Er meint, daß Bonniers Brief an den „Labour Elector"12193 eine betise2 war, weil er nicht von diesem Standpunkt ausging. Nun, für diese betise bin ich verantwortlich, da ich den Brief schrieb und B[onnier] ihn nur unterzeichnete. Die Possibilisten mögen all das sein, was Paul sagt, und ich glaube ihm auch; wenn er jedoch möchte, daß wir das öffentlich verkünden, müßte er es zuvor öffentlich bewiesen haben, und das, bevor von einem Kongreß die Rede ist. Statt dessen organisierten unsere Leute eine conspiration du silence3 gegen sich selbst, überließen die Publizität völlig den Possibilisten, die immerhin von den Belgiern, Holländern und Dänen und im letzten Herbst von einigen Engländern in London'12®3 als Sozialisten anerkannt wurden; und das Dekret der Exkommunizierung, vom Stapel gelassen von einer Partei, die jetzt selbst in Paris über keine Zeitung verfügt, mit der sie sich Gehör verschaffen kann, kann und wird nicht ohne weitere Beweise von der übrigen Welt akzeptiert werden. Wir müssen mit den Leuten hier eine Sprache führen, die sie verstehen, und wenn wir in der Weise sprächen, wie es Paul von uns fordert, hieße das, uns selbst lächerlich zu machen, und man würde uns in jeder Londoner Redaktion die Tür weisen. Paul weiß nur zu gut, daß die Possibilisten in Paris eine Macht sind, und obgleich es für unsere Pariser Freunde ganz gut sein mag, sie zu ignorieren, können wir nicht das gleiche tun oder die Tatsache leugnen, daß am 14. Juli zwei rivalisierende Kongresse stattfinden werden. Und wenn wir den Leuten hier sagten, daß bei unserem Kongreß „ce sont les ouvriers et les
1 juridische Fiktion - 2 Dummheit - 3 Verschwörung des Schweigens
socialistes de France sans distinction de parti qui convoquent le congres"4, wäre das nicht nur eine betise, sondern eine grobe Unwahrheit, da Paul sehr wohl weiß, daß die ouvriers de Paris5, soweit sie überhaupt Sozialisten, in ihrer Mehrheit Possibilisten sind. Jedenfalls werden wir fortfahren. au/ unsere eigene Weise für den Kongreß zu arbeiten und die Krittelei nicht beachten. Ich habe bisher in dieser Angelegenheit noch nichts getan, doch hatte bereits jemand daran etwas auszusetzen. Aber ich bin an derlei Dinge so ziemlich gewöhnt und werde weiter so handeln, wie ich es für richtig halte. Das schönste dabei ist, daß drei Monate nach diesen beiden Kongressen Boulanger aller Wahrscheinlichkeit nach Diktator von Frankreich sein wird, mit dem Parlamentarismus Schluß macht, die Richter unter dem Vorwand der Korruption hinauswirft, eine Regierung a poigne6 und eine chambre pour rire7 schafft und die Marxisten, Blanquisten und Possibilisten alle miteinander unterdrücken wird. Und dann ma belle France - tu l'as voulu8! Sechs Monate danach könnten wir Krieg haben - das hängt vollständig von Rußland ab; es ist jetzt zur Wiederherstellung seines Kredits mit gewaltigen Finanzoperationen beschäftigt und kann sich nicht gut in einen Kampf einlassen, bevor diese beendet sein werden[2201. In diesem Krieg wird die Neutralität Belgiens und der Schweiz das erste sein, was in Scherben geht, und wenn der Krieg wirklich gefährlich wird, ist unsere einzige Chance die, daß die Russen geschlagen werden und dann Revolution machen. Die Franzosen können keine machen, solange sie mit dem Zaren alliiert sind - das wäre Hochverrat. Doch wenn der Krieg nicht durch eine Revolution unterbrochen wird, wenn er seinen Lauf nehmen kann, dann wird die Seite siegen, der sich England anschließt, wenn England überhaupt in den Krieg eintritt. Denn diese Seite kann dann mit Englands Hilfe die andere Seite durch das Unterbinden der auswärtigen Kornlieferungen, die heutzutage das ganze westliche Europa benötigt, aushungern. Morgen wird eine Deputation (Bax, Tussy, Edward) beim „Star" Protest einlegen gegen den Artikel vom letzten Samstag über den Kongreß, ein Artikel, der wahrscheinlich von Hyndman und Smith H[eadingley] in Abwesenheit Massinghams eingeschmuggelt wurde12211. Herzliche Grüße von Nim und Deinem FE
Aus dem Englischen.
4 „die Arbeiter und Sozialisten Frankreichs ohne Unterschied der Partei den Kongreß einberufen" - 5 Pariser Arbeiter - 6 der Faust - 7 Kammer nur dem Namen nach - 8 mein schönes Frankreich - du hast es so gewollt
100
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 1 I.Mai 89
Lieber Sorge, Die Schreibereien und Laufereien wegen des verdammten Kongresses lassen mir kaum Zeit zu etwas anderm. Es ist eine Schererei vom Teufel, nichts als Mißverständnisse, Krakeel und Verdrießlichkeit von allen Seiten, und dabei kommt bei der ganzen Sache schließlich nichts heraus. Die Haager Konferenzler[l63] haben sich von den Belgiern zum Narren halten lassen. Statt, wie beschlossen war, nach Ablehnung der Possibilisten[17] gleich mit Protest und Berufung des Gegenkongresses vorzugehn (was Schweizer und Belgier gemeinsam tun sollten), taten die Belgier nichts, schwiegen hartnäckig auf alle Briefe und kamen endlich mit der lahmen Ausrede: sie müßten die Sache ihrem Nationalkongreß - 21 ./22. April[198] - vorlegen! Darauf täten die andern erst recht nichts (weil Liebk[necht] durch die Schweizer mit einigen Possibilisten mogelte, da er ja der Mann war, dem die Einigung gelingen mußte), und so legten die Possibilisten mit ihren Proklamationen die ganze Öffentlichkeit mit Beschlag, während die Unsrigen nicht nur schwiegen, sondern auch den noch Zweifelhaften unter den Engländern auf deren Anfrage, wie es mit dem Gegenkongreß stehe, nur nichtssagende Antworten gaben. Diese schlaue Politik brachte es endlich dahin, daß selbst in Deutschland die Leute rebellisch wurden, und Auer und Schippe! verlangten, man solle auf den Possibilistenkongreß gehn12081. Das öffnete endlich dem L[ieblk[necht] die Augen, und da schrieb er - nachdem ich und Ede Bernstein den Franzosen gesagt, sie seien nun frei und könnten den Kongreß, wie sie ursprünglich vorgehabt, auch auf den 14. Juli berufen1 - ganz dasselbe an die Franzosen. Und so haben die Franzosen ihren Willen, schimpfen aber mit Recht auf die Verschleppung und Mogelei Liebk[necht]s, wofür sie alle Deutschen verantwortlich machen. Hier aber sind wir es, die am meisten unter der Klugscheißerei von L[iebknecht] zu leiden haben. Unser Pamphlet11861 hatte wie der Blitz ein- •
geschlagen, die Hyndman & Co. als Lügner und Betrüger nachgewiesen, alles war uns günstig, und hätte L[ie]bk[necht], wie seine verdammte Schuldigkeit war, bei den Belgiern eine rasche Aktion durchgesetzt oder aber sie laufenlassen und mit den übrigen selbst gehandelt und den Kongreß auf irgendein Datum einberufen oder von den Franzosen einberufen lassen, so lief uns hier die Masse zu, und die Social Democratic Federation1731 wurde dem Hyndman untreu. So aber kam nichts als Vertröstungen, man solle warten, und da hier der Hauptstreit in den Trades Unions war, ob man, wie die Führer wollten, den Kongreß nicht beschicken oder aber ihn, gegen die Führer, doch beschicken sollte - wobei die Qualität des Kongresses ganz sekundär war und es sich um den Eintritt oder Nichteintritt in die internationale Bewegung handelte -, so war es klar, daß die Leute sich denen anschlössen, die wußten, was sie wollten, und nicht denen, die das nicht wußten. Und so haben wir eine famose, eben eroberte Position wieder verloren, und wenn kein Wunder geschieht, kommt kein der Rede werter Engländer auf unsern Kongreß. Eben war Bernstein hier, hat mich bis Postschluß aufgehalten, muß also schließen. Wisch[newetzky]2 war nicht bei mir, weiß nicht, was die Leute wollen.
Dein F.E.
101
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 11. Mai 89
Mein lieber Lafargue, Wir haben Euch niemals anders genannt als „the so-called Marxists"1, und ich wüßte nicht, wie man Euch anders nennen sollte. Habt Ihr einen anderen, ebenso kurzen Namen, dann macht ihn bekannt, und wir werden ihn mit Vergnügen und ohne Umstände anwenden. Aber wir können nicht sagen: agglom6rationt2221, was hier niemand versteht, noch Anti-Possibilisten, was Euch ebensosehr mißfallen würde und auch nicht exakt wäre, da es zuviel umfaßt. Tussy hat Ihnen gestern Ihren Brief an den „Star" zurückschicken müssen. Da der „Star" schon am Abend vorher im Besitz der von Tussy übersetzten Einladung war, hatte Ihre Auslegung dieses Dokuments nicht die geringste Chance, gebracht zu werden. Wir brauchen Briefe aus Paris, direkt an den „Star" gerichtet, mit Pariser Poststempel, in denen die Verleumdungen der Possibilisten in den Nrn. vom Samstag und Dienstagm3] widerlegt werden: daß die Wahl Boulesimi mit Botdangistengeldern unterstützt worden sei, daß Vaillant als Verbündeter der Boulangisten gehandelt habe usw. Mir scheint, Ihr könntet dies sehr gut machen, ohne Eurer neuen Würde als alleinseligmachende Kirche des französischen Sozialismus etwas zu vergeben. Der „Star" ist die von den Arbeitern am meisten gelesene Tageszeitung, die einzige, die uns hin und wieder ihre Spalten offenhält. Massingham hatte in Paris A.Smith als Bärenführer und Dolmetscher, der ihn den Brousse und Co. zugeführt hat. Diese haben sich seiner bemächtigt, ihn nicht mehr losgelassen, ihn mit Absinth und Wermut benebelt; und auf diese Weise ist es ihnen gelungen, den „Star" für ihren Kongreß zu gewinnen und ihn ihre Lügen schlucken zu lassen. Wenn wir Euch hier von Nutzen sein sollen, so helft uns, etwas Einfluß auf den „Star" zurückzuerobern, indem Ihr ihm beweist, daß man ihn auf einen gefährlichen Weg gebracht
hat, daß die Brousse und Co. ihn in Wirklichkeit Lügen drucken ließen. Und dafür gibt es keinen anderen Weg, als direkt aus Paris Protestbriefe gegen diese Artikel zu schicken. Andernfalls wird er uns immer vorhalten: Niemand in Paris hat protestiert, es muß also doch wahr sein. Außer dem „Star" haben wir nur den „Labour Elector", eine sehr unbekannte und sehr zweifelhafte Zeitungj von Geldern aus verborgenen Quellen lebend und daher sehr verdächtig.2 Sicherlich ist Euch an ein wenig Publizität hier in England gelegen, bombardiert also den „Star" mit Protesten - Sie, Vaillant, Longuet, Deville, Guesde und tutti quanti3. Laßt Ihr uns aber ohne Unterstützung, so beklagt Euch nicht, wenn keine Zeitung von Eurem Kongreß spricht und wenn die Possibilisten'171 hier als die einzigen französischen Sozialisten angesehn werden und. Ihr als eine unbedeutende Clique von Intriganten und Einfaltspinseln. Seit drei Monaten haben Tussy und ich fast nichts anderes getan, als in Eurem Interesse gearbeitet. Wir hatten bereits die erste Schlacht mit dem Pamphlet von Bernstein'1861 gewonnen, als wir alle eroberten Positionen durch das Nichtstun und das Zögern Liebknechts eine nach der anderen verloren. Jetzt, da wir auf die Verteidigung beschränkt und in Gefahr sind, selbst die Positionen zu verlieren, die wir vorher hatten, ist es sehr hart, uns auch von den Franzosen im Stich gelassen zu sehen, wo einige Briefe mit jeweils einigen Zeilen im richtigen Moment eine so große Wirkung haben könnten. Aber wenn Ihr jede Möglichkeit der Publizität hier in England gerade in dem Augenblick verlieren möchtet, wo diese für Euch von größter Wichtigkeit wäre, können wir nichts machen; das wird mir bestimmt eine Lehre sein, ich werde zu meinem 3. Band4 zurückkehren, den ich seit drei Monaten im Stich gelassen habe, und ich werde es verwinden, wenn der Kongreß zu nichts führt. Es ist sehr gut, daß man sich mit der Unterbringung und den Restaurants für die Delegierten befaßt - Bebel hat mir diesbezüglich geschrieben, und da Paris im Juli ein wahrer Ameisenhaufen sein wird, ist das von höchster Wichtigkeit. Wir werden Lauras englische Übersetzung drucken lassen. Was die deutsche Übersetzung angeht, so gibt es eine im „Sozialdemokrat]", in der Bernstein am Ende einen für die Deutschen zu gefährlichen Satz (die Nr. 3 Eurer Einladung) abgeändert hat.'2141 Schickt den französischen Text der Einberufung, der von allen unterschrieben werden soll, an B[ebel] und L[iebknecht], damit sie Euch die Stellen angeben, die sie nicht unter
schreiben können, ohne sich strafbar zu machen - sonst riskiert Ihr, die deutschen Unterschriften nicht zu bekommen. Ich werde auf Nachrichten von Bebel warten, bevor wir hier eine deutsche Übersetzung drucken, und Ihnen werde ich vorher die Änderungen, die er vorschlägt, mitteilen. Seit einiger Zeit taucht der Name Labusquiere in den possibilistischen Zeitungen nicht mehr auf - sollte er auch zu den Unzufriedenen1-2241 gehören? Die beginnende Desorganisation unter den Possibilisten ist für uns sicher eine angenehme Tatsache, aber unsere Angriffe und der Kongreß könnten die Rückkehr zur Einigung wohl begünstigen. Auf jeden Fall ist die Auflösung noch nicht weit genug fortgeschritten, um auf die ausländischen Verbündeten der Possibilisten zu wirken. Inliegend Scheck über £ 20. Was den Staatsstreich Ferrys[225] angeht, so könnte er wohl fehlschlagen, denn der einfache Soldat ist 1889 viel mehr Boulangist, als er bei dem Staatsstreich Mac-Mahons[226], den er zum Scheitern brachte, Republikaner war. Der gute Boulanger ist nicht so dumm, wegen der Sache mit dem obersten Gericht einen Ruf zu den Waffen zu provozieren, das besagt aber nichts für den Fall einer direkten Verletzung der Verfassung. Daß Ferry die direkte öder indirekte Macht nicht ohne Kampf aus den Händen lassen wird, glaube ich gern. Aber das ist gewagt. Freundschaftlichst Ihr F. E.
Aus dem Französischen.
102
Engels an Eleanor Marx-Aveling in London
[London, um den 13. Mai 1889] Da Laura ihren Brief an Dich im offenen Briefumschlag geschickt hat, füge ich dies bei.[227] Sehe Dich heute abend bei Sam.
Aus dem Englischen.
103
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 14. Mai 89
Meine liebe Laura, Könnten nicht Eure Leute in Paris jetzt, da sich die Dinge zum Besseren wenden und reibungslos ablaufen, das, was wir zu ihrer Unterstützung versuchen, mit etwas weniger Nervosität betrachten? Es hat sie niemand gebeten, in eine Polemik mit dem „Star" einzutreten oder lange Widerlegungen zu schreiben. Doch wie wäre es, wenn Vaillant an den „Star" schreiben würde: „In Ihrer Nr. - erklären Sie auf Grund der Ihnen gegenüber gemachten possibilistiscnen Behauptungen, daß ich ... (das und das getan habe, ,Star' vom 7. Mai1). Ich habe weder die Zeit, noch haben Sie den Platz, solchen Unsinn im Detail zu widerlegen. Ich bitte Sie daher lediglich, mir zu gestatten, in Ihrer nächsten Ausgabe zu erklären, daß das eine infame Verleumdung ist" (oder irgend etwas dergleichen). Und angenommen, der Schatzmeister, Vorsitzende oder Sekretär von Boules Komitee schriebe: „In Ihrer Ausgabe usw. sagen Sie, daß die Wahl Boules[146] mit Boulangistengeldern unterstützt worden sei1. Als Vorsitzenclsir ^odcr was sr siicli iinmci* v/s») von Sonics ICoiDitcc v/siß icliy wolicr (die sehr kleine Summe Geldes, über die wir verfügen konnten, kam - alles aus Zeichnungen der Arbeiter. Deshalb erkläre ich, daß die obige, von Possibilisten[171 herrührende Behauptung eine infame Lüge ist" usw. Und in dieser Art noch einiges von verschiedenen Leuten. Das würde unseren Einfluß auf den „Star" sehr stärken. Besonders in diesem Augenblick. Der „Star" von heute morgen hat Pauls Einladung[22S] - fürchte ich - nur deshalb gebracht, um eine Entschuldigung dafür zu haben, die offizielle Einberufung mit allen Unterschriften nicht zu bringen. Dennoch wird Bernstein in ein oder zwei Tagen nochmals bei ihm2 einen Versuch damit (Exemplar beiliegend) unternehmen. Edward und Bonnier haben ihn heute morgen aufgesucht, worauf er versprach, morgen einen Brief von Bonnier zu bringen, und Bonnier für
nächsten Montag zum Essen einlud. Bjonnierl muß dann versuchen, ihn zu bearbeiten. Du siehst, das Eisen ist noch immer nicht ganz erkaltet, und es könnte geschmiedet werden, wenn wir nur durch einige wenige Schläge von Paris aus unterstützt würden. Wenn wir jetzt nicht zuschlagen, wird es bald zu spät sein. Du sagst, die Pariser Kommission12121 würde durch ihre zahlreichen Proklamationen wirken, und das sei besser, als Briefe an die Redaktion zu richten. Ganz gewiß, aber die Briefe an die Redaktion sollen eben den Zweck verfolgen, sie zu bewegen, die Proklamationen zu veröffentlichen, wenn sie kommen. Welchen Nutzen würden all die Proklamationen hier haben, wenn wir sie in keine Zeitung bringen können, ausgenommen den „Labour Elector", was vielleicht mehr schadet als nützt, wenn das die einzige Zeitung ist, welche davon Notiz nimmt. Da ein Teil der Unterhaltung mit Massingham englisch geführt und von B[onnier] nicht verstanden wurde, weiß ich noch nicht alles, was los ist. Jedenfalls hoffe ich, Du verstehst, daß unser Schlachtplan - die Position, die wir von Anfang an hatten, zu behaupten und den „Star" für Mitteilungen von unserer Seite offenzuhalten - der einzig mögliche war und nicht ganz so absurd, wie unsere Pariser Freunde zu glauben scheinen. Wir wissen, daß in der Redaktion des „Star" großer Wert auf solche Bombardements mit Briefen vom auswärtigen Publikum gelegt wird, und in diesem Falle ist es um so wichtiger, da, wie Du selbst weißt, die Possibilisten, Smith Hjeadingleyl und Hyndman, alle unisono M[assinghaml in den Ohren liegen, die ganze Sache sei nur eine persönliche Angelegenheit der Familie Marx und nichts anderes. Ich habe Bebel schriftlich gebeten12291, den Dänen und Österreichern zu schreiben, sie sollten sich mit ihren Unterschriften beeilen, und über die Dänen auf die Schweden und Norweger einzuwirken. Ich habe ihn auch wegen seiner Befürchtungen beruhigt, während der bevorstehenden Feierlichkeiten in Paris weder Logis noch Essen zu bekommen. Bebel, der niemals etwas Größeres als Berlin gesehen hat (denn hier war er nur ein paar Tage und unter gutem Schutz), ist in diesen Dingen ein bißchen kleinstädtisch3. Je eher das Zirkular mit allen Unterschriften erscheint, desto besser; das wird die beste Wirkung auf die Leute hier haben. Ich bin sicher, Eure Leute in Paris haben allen Grund, zufrieden zu sein. Sie haben das erreicht, was sie wollten, und es bleibt noch reichlich Zeit für alles. Warum sollten sie also so ängstlich bestrebt sein, an Freund
und Feind gleichermaßen Rache zu nehmen, bei jedem Vorschlag, der ihnen gemacht wird, verdrießlich dreinzuschauen, Schwierigkeiten zu suchen, wo keine sind, und zu brummen wie John Bull? Sicherlich toute la gaite fran?aise ne s'est pas evanouie4 - laß sie wieder Franzosen werden, der Weg zum Sieg liegt offen vor ihnen; wir hier sind es, die eine Niederlage erlitten haben, doch das ist nicht das Entscheidende, und wie Ihr seht, führen wir unseren Kampf weiter, so gut wir nur können. Immer Dein F. E.
Aus dem Englischen.
104
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 16. Mai 89
Mein lieber Lafargue, Hier meine Bemerkungen zu Eurem Entwurf des Aufrufs12301, den ich mit Bernstein besprochen habe. — Übrigens, wenn Ihr sagt, daß der Kongreß von Troyes[1281 die gesamte französische Arbeiterklasse vertrat, so stellt Ihr Euch in flagranten Widerspruch zu den Tatsachen und setzt Euch Protesten und Ablehnungen seitens der Ausländer aus - und das ohne jede Notwendigkeit. Eure Dekrete schaffen die Possibilisten und ihre Pariser Majorität nicht aus der Welt. Ich habe das englische Zirkular an die Wochenpresse geschickt, morgen geht es an die Tagespresse, an die radikalen Klubs1451 in London, an die sozialistischen Organisationen und an einflußreiche Persönlichkeiten, die sich dafür interessieren. Das sind ungefähr 1000 Exemplare, Tussy wird über weitere 500 verfügen und K. Hardie in Schottland ebenfalls über 500. Die Adressen und Kreuzbänder sind fertig, alles geht morgen ab, so daß es Samstagabend, dem Versammlungsabend der Klubs, Trade-Unions usw., verteilt werden wird. Der „Star" bringt Bonniers Brief. Clara Zetkin hat einen ausgezeichneten Artikel in der „Berliner [Volks-] Tribüne" geschrieben - wenn wir vor drei Monaten eine so genaue Darstellung gehabt hätten, wäre dies für uns sehr wertvoll gewesen. Bernstein sucht morgen Massingham auf und wird davon guten Gebrauch machen. Er wird auch die Vorfälle im 13.[224] ausnutzen, deren Bedeutung aus dem Artikel der „Egalite" nicht hervorging, sie1 hat Bernst[ein] aber alle Einzelheiten darüber gegeben. Daß sich der Nationalrat nicht in Paris befinden wird, ist sehr richtig da die Provinz Eure Stärke ausmacht, muß auch die offizielle Führung dort sein und nicht in Paris. Übrigens ist es ein sehr gutes Omen, daß die Provinz mehr Gewicht hat als Paris.
1 Clara Zetkin
14 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
Morgen ist Premiere eines neuen Stücks von Aveling - wenn er auch das Publikum nicht im Sturm erobert hat, so beschäftigt sich doch die Kritik mit ihm, sogar die Leute, die ihn bis jetzt totgeschwiegen haben. Der Streik der Bergarbeiter in meiner Heimat (das Steinkohlenrevier beginnt zwei oder drei Meilen von Barmen entfernt) ist ein Ereignis von größter Bedeutung.12311 Wie er auch enden mag, er öffnet uns ein bisher verschlossenes Terrain und bedeutet für uns von jetzt an 40-50000 Stimmen mehr bei den Wahlen. Die Regierung hat schreckliche Angst, denn jeder Versuch einer energischen Aktion oder, wie man heute in Preußen sagt, „schneidiges Handeln"2 (das Wort ist übrigens österreichisch!) könnte eine Blutwoche provozieren wie die von Paris 71[2321. Von nun an gehören die Bergarbeiter ganz Deutschlands uns - und das ist eine Kraft. Was Boulanger angeht, hoffe ich, daß Sie recht haben und der Gaukler sein Spiel verloren hat. Aber Post-time3! Freundschaftlichst Ihr F.E. An Djanielson] werde ich schreiben.4
Internationaler Sozialistischer Arbeiterkongreß 14. bis 21. Juli 1889 Arbeiter und Sozialisten Europas und Amerikas! . IS . O TS 1 1 11 iftft t .. o f r. . i l^er rs-ongreu von uoraeaux, aer von menr ais £.w jranzosiscnetr oynaiKatsicammern aus den verschiedenen Industriezentren Frankreichs beschickt war, und der Kongreß von Troyes, der von 300 Arbeiter- und6 Sozialistengruppen beschickt war, welche die Gesamtheit der Arbeiterklasse und des revolutionären Sozialismus Frankreichs5 vertraten, beschlossen, im Laufe der Weltausstellung einen Internationalen Kongreß in Paris einzuberufen, der den Arbeitern der ganzen Welt offenstehen soll. Diese Resolution wurde von den Sozialisten Europas und Amerikas freudig begrüßt, in froher Genugtuung, sich am Vorabend ernster Ereignisse, die den zivilisierten Nationen drohen, versammeln und verständigen zu können. Die Kapitalisten laden die Reichen und Mächtigen zu der Weltausstellung ein, das Werk der Arbeiter zu betrachten und zu bewundern, die inmitten des kolossalsten Reichtums, den je eine menschliche Gesellschaft besessen, zum Elend verurteilt sind.
2 in der Handschrift deutsch: „schneidiges Handeln" - 3Postschluß-4siehevorl.Band,S.2435 von Engels hinzugefügt und mit einem Fragezeichen versehen -6 von Engels unterstrichen und mit einem Fragezeichen versehen
Wir Sozialisten, deren Streben die Befreiung der Arbeit, die Abschaffung der Lohnsklaverei und die Errichtung eines Gesellschaftszustandes ist, in dem alle, ohne Unterschied des Geschlechtes und der Nationalität, ein Recht auf den durch ihre gemeinsame Arbeit geschaffenen Reichtum haben - wir laden die wirklichen Produzenten ein, mit uns am 14. Juli in Paris zusammenzutreffen. Wir laden sie ein, den Pakt7 der Brüderlichkeit zu besiegeln!, der, indem er die Proletarier aller Länder in ihrem Kampfe stärkt, den Beginn der neuen Welt beschleunigen wird. Arbeiter aller Lander, vereinigt euch!
den Pakt besiegeln könnte Schwierigkeiten hervorrufen. Es ist den Deutschen verboten, irgendeine Organisation zu haben, und wenn sie trotz des Gesetzes eine haben, wird sie als Geheimbund behandelt. Man muß also jeden Ausdruck vermeiden, der den Begriff der formalen Organisation einschließt. Ladet sie zu einem Fest der Solidarität ein, zu einer öffentlichen Manifestation der Brüderlichkeit, alles, was Ihr wollt, nur nicht dazu, eine formale Organisation zu bilden, oder words to that effect8, wie die englischen Rechtsgelehrten sagen. Mit scheint auch, daß ein oder zwei Sätze zu einem guten Abschluß fehlen. Und Sie könnten die internationalen Sozialisten, die unterzeichnen werden, wissen lassen, daß die Einzelheiten über den Ort usw. später durch die Pariser Kommission12123 mitgeteilt werden. Ein bißchen Prosa nach soviel Rhetorik ist nicht schlecht. Das ist mehr businesslike9.
Aus dem Französischen.
7 von Engels unterstrichen - 8 Bezeichnungen, die diesen Eindruck hervorrufen -9 geschäftsmäßig
105
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, 17.Mai89
Mein lieber Lafargue, Hier sind 25 englische Zirkulare.12141 Wann werden Sie mir den Brief aus Lyon entziffert zurückschicken?12151 Ich möchte französischen Arbeitern gegenüber nicht nachlässig und unhöflich erscheinen. Da der „Sozialdemokrat]" und das „Berliner Volksblatt" deutsche Übersetzungen gebracht haben, ist es nicht mehr notwendig, hiervon eine Sonderausgabe zu drucken. Überdies - welchen Text sollte man nehmen: 1. Französischer Text: Die Socialist League™ Englands und die dänischen Sozialisten erklärten ... im voraus, daß sie sich den gefaßten Beschlüssen anschließen. 2. Englischer Text: W. Morris von der Socialist League und die Dänen usw. usw. 3. Deutscher Text in der Berliner Übersetzung (wahrscheinlich Liebknecht): [während] die Socialist League und die dänischen Sozialisten sich entschuldigten - die Socialist League» indem sie ihre Zustimmung zu den Beschlüssen von vornherein erklärte usw. (nach dieser Fassung hätten die Dänen nicht zugestimmt). Da die Possibilisten deutsche Freunde in Paris und englische hier haben, wäre es nicht ausgeschlossen, daß sie von diesen Abweichungen Kenntnis erhielten. Das wäre sehr unangenehm, hoffen wir, daß das nicht geschieht aber Sie sehen auch, wohin ein neues Zirkular*2301 führen würde, in dem Ihr erklärt, für „die Gesamtheit der französischen Arbeiterklasse" zu sprechen die Übersetzungen würden wiederum voneinander abweichen, denn Sie können sicher sein, daß L[iebknecht] das im Deutschen ändern würde. Morgen gehen 100 englische Zirkulare nach Amerika ab. Der „Star" hat das Zirkular noch nicht gebracht. Bernstein hat Mass[ingham] gestern nicht angetroffen. Avelings Stück ist besser aufgenommen worden, als ich erwartet hatte es ist eine sehr gute Skizze, die aber - ä la Ibsen - ohne Lösung endet, und
das hiesige Publikum ist an so etwas nicht gewöhnt. Diesem Stück ging ein anderes voraus - von Baby Rose und einem anderen - eine sehr freie englische Version des „Conflicto entre dos deberes" von Echegaray.t233] Letzteres, stark gewürzt mit Sensationen, ist sehr gut aufgenommen worden, obwohl es schwerfällig und plump ist, auch für den englischen Geschmack.
Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
106
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
... v , . , London, den 20. Mai 89 Mein lieber JLatargue, Ich schicke Ihnen zwei Zeitungen: 1. „Reynolds's", die auf Tussys Bitte das Zirkular12141 gebracht hat, aber ohne die Unterschriften. Das gibt Ihnen eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihr zu schreiben: The Commission of Organization is very much obliged to you for Publishing in your paper our circular of convocation for the International Working Men's and Socialist's Congress at Paris to be opened on July 14th, but as you have not given any address will you allow me to State, through your columns that all communications from abroad are to be sent to the undersigned foreign Secretary to the Commission. Yours etc. P. Llafargue}.1 Le Perreux, Paris, Banlieue, Mai - usw. oder etwas in dieser Art. 2. Den „Sun", ein neues radikales Weekly2, mit einer kurzen Notiz12341, die ebenfalls Tussys Einfluß zu danken ist. Wir werden sehen, ob eine Möglichkeit besteht, von dieser Zeitschrift weiteren Gebrauch zu machen. Aber der Einfluß des „Star" könnte uns schaden. In der „Justice", die ich Ihnen schicken werde, sobald ich Exemplare habe, stößt Hyndman ein 1 riumphgeschrei ausiai30J, er glaubt, uns mit dem „Star" jede Publikationsmöglichkeit in London genommen zu haben. Er sagt, daß Sie, ein liebenswürdiger und schätzenswerter Mensch, sich lächerlich gemacht hätten, und Bebel, L[ie]bk[necht] und Bernstein ebenfalls; und er hofft, daß wir endlich unsere ohnmächtigen Anschläge einstellen werden usw. Haben Sie „Le Proletariat]" (oder „Parti ouvrier"?) gelesen, wo die Possibilisten behaupten, daß sie der Dänen sicher seien?12361 Bernst[ein] hat nach Deutschland geschrieben, um zu erfahren, was daran ist. 1 Die Organisationskommission ist Ihnen sehr verbunden, daß Sie in Ihrer Zeitung unser Beruf ungszirkular zu dem am 14. Juli beginnenden internationalen Arbeiter- und Sozialistenkongreß in Paris veröffentlicht haben, da Sie jedoch keine Adresse angegeben haben, erlauben Sie mir, in Ihren Spalten darauf hinzuweisen, daß alle Mitteilungen von außerhalb an den unterzeichneten Sekretär für das Ausland der Kommission zu richten sind. Ihr usw. P.L[afargue]. - 2 Wochenblatt
Sobald Rochefort nicht mehr den Boden der Boulevards unter den Füßen hat, tut er alles, um sich lächerlich zu machen - in Genf in seinem Streit mit dem alten Becker, hier, indem er in der Regent's St. seinen Revolver zieht, nachdem er eine Ohrfeige eingesteckt hatt237]. Die Geschichte wird heute auf dem Police Court3 verhandelt, ich werde Ihnen die Zeitung schicken. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Karl Kautsky in Wien
London, 21. Mai 89
Lieber Kautsky, Endlich ein paar Minuten, um an Dich zu schreiben. Der verdammte Kongreß und was daran hängt hat mir seit 3 Monaten alle Zeit weggenommen, es ist eine Hin- und Herschreiberei, Lauferei, Schinderei vom Teufel und dabei nichts als Arger, Verdruß und Krakeel. Die braven Deutschen bildeten sich in und seit St. Gallen*2101 ein, sie brauchten nur einen Kongreß zu berufen, und er sei da: jehi 6r, vajehi or!1 (laß Dir das von Adler erklären). Sie bildeten sich ein, seitdem sie ihren inneren Krakeel überwunden, herrsche in der ganzen sozialistischen Welt Liebe und Freundschaft, Friede und Eintracht, und hatten keine Ahnung, daß die Berufung eines Kongresses bedeute - entweder Beugung unter die Allianz BrousseHyndman oder aber Kampf mit ihr. Nachdem sie jetzt doch hinreichende Erfahrung gehabt, scheint es ihnen noch nicht ganz klar, sie wiegen sich in Träumen von Vereinigung beider Kongresse, sobald sie zusammentreten, und perhorreszieren dabei das einzige Kampfmittel, das dies fertigbringen kann: nämlich den Brousse-Hvndman die Zähne zu zeigen. Werd iese Leute einigermaßen kennt, weiß doch klar, daß sie nur der Macht weichen und jede Konzession als Zeichen der Schwäche ansehn. Statt dessen verlangt L[ie]bk[necht], man soll sie schonen, nicht nur mit Glacehandschuhen anfassen, sondern selbst fast auf den Händen tragen. L[ie]bk[necht] hat die ganze Sache in den Dreck geritten. Die Haager Konferenz, von Hyndman hier als caucus*2381 bezeichnet, weil er nicht eingeladen war (was schon eine Dummheit), konnte erst Bedeutung erlangen, etwas andres werden als ein caucus, nachdem die Possibilisten1171 weggeblieben, wenn man sich nachträglich die Unterschriften andrer, der Ostreicher, Skandinavier etc. verschaffte. Das hätte auch auf die Belgier gedrückt. Davon geschah nichts - es geschah überhaupt nichts, die Haager Geschichte, die ein guter Anfang war, sollte eben auch schon das Ende sein. Nun ziehn die Belgier, nach
Ablehnung durch die Possibilisten, die Sache in die Länge, antworten nicht, sagen endlich, sie wollen ihren Kongreß am 2 I.April11981 entscheiden lassen. Statt jemand hinzuschicken, der die Belgier zwingt, gleich ja oder nein zu sagen, und dann danach die Aktion der andern einleitet, läßt man alles schlendern, wie es geht. L[ieb]k[necht] hält Festreden in der Schweiz12391, und als wir hier - in einem für hier entscheidenden Moment - loslegen, fängt er an zu schimpfen, wir hätten die beschlossene Geheimhaltung der Haager Beschlüsse'1931 durchbrochen (welche Geheimhaltung nach Ablehnung der Possibilisten rein wahnsinnig und uns obendrein unbekannt war), wir hätten seine Aktion, die Possibilisten über die Köpfe von Brousse etc. hinweg (!) auf unsre Seite zu bringen, durchkreuzt etc. Und als die durch uns aufgerüttelten Engländer - discontented2 Trades Unionists[194] nun in Belgien, Holland, Deutschland, Dänemark anfragen, wie es mit unserm Kongreß stehe, erhalten sie nur nichtssagende, unbestimmte Antworten und entschließen sich natürlich für die Leute, die wußten, was sie wollten, die Possibilisten. So wurde monatelang gezappelt und gezaudert, während die Possibilisten die Welt mit ihren Zirkularen überschwemmten, bis endlich auch im deutschen Lager selbst die Leute die Geduld verloren und verlangten, zum Possibilistenkongreß zu gehn.[2061 Das schlug durch, und 24 Stunden nachdem wir hier den Franzosen gesagt, sie seien durch die belgischen Kongreßbeschlüsse frei, zu tun, was sie wollten, und könnten ihren Kongreß auf 14. Juli auch berufen3, 24 Stunden nachher kam L[ie]bkfnecht] auch mit diesem bisher so heftig bekämpften Plan. Er muß eben sich erst ganz festgeritten haben, ehe er fähig ist, einen kühnen Entschluß zu fassen. Jetzt aber ist's für vieles zu spät. Hier ist die Schlacht auf der ganzen Linie verloren, weil man uns im entscheidenden Moment im Stich gelassen. Leute, die mit uns sympathisieren, haben sich Glück wünschen müssen, daß sie gewählt wurden - für den andern, possibilistischen Kongreß. In Belgien haben die Possibilisten, dank den Brüsseler Intriganten, faktisch gesiegt; Anseele, der sonst gut war, scheint es nicht auf Bruch mit den Brüsselern ankommen lassen zu wollen. Und selbst die Dänen scheinen zu wackeln, und ihnen folgen Schweden und Norweger, die zwar noch nicht viel bedeuten, aber doch 2 Nationen vorstellen. Es ist zum Tollwerden, wenn man sieht, wie L[ie]bk[necht] die prachtvolle internationale Stellung der Deutschen so total kompromittiert und vielleicht teilweise ruiniert hat.
In fester Allianz mit den Östreichern, die Amerikaner, soweit nur ein Ableger der deutschen Partei; die Dänen, Schweden, Norweger, Schweizer, sozusagen Sprößlinge der Deutschen; die Holländer, ein verläßliches Mittelglied für den Westen; dazu überall deutsche Kolonien und die nicht possibilistischen Franzosen, auf die deutsche Allianz fast direkt angewiesen; die slawischen Kolonien und Flüchtlinge im Westen, seit der Blamage des Anarchismus ebenfalls nach den Deutschen gravitierend - was für eine famose Position! Und alles das ins Wackeln gebracht durch die Illusion L[ie]bk[necht]s, er brauche bloß den Mund aufzutun, und ganz Europa tanze nach seiner Pfeife, und wenn er nicht Marsch kommandiere, tue der Feind auch nichts. Und dank der begreiflichen, aber sehr bedauernswerten Unbekanntschaft Bebels mit den auswärtigen Dingen hatte L[iebknecht] ziemlich freie Hand. Wenn die Sache schief geht, so trägt er die Schuld durch sein Nichtstun (als Klüngeln) und sein Nichtheraustreten an die Öffentlichkeit in der Zeit von der possibilistischen Ablehnung Anfang März bis nach dem belgischen Kongreß 22. April. Ich denke aber, es geht noch gut, wenn alle mit am selben Strick ziehn. Können wir die Dänen herumkriegen, so ist die Sache gewonnen - aber auf die kann eben nur von Deutschland aus gewirkt werden, d.h. durch Liebknecht]. Aber es ist doch zum Tollwerden, daß es überhaupt zu dieser zweifelhaften Lage gekommen ist, wo rasches Handeln im März und Anfang April uns ganz Europa zuführen mußte. Die Possibilisten haben gehandelt, während L[iebknecht] nicht nur nichts tat, sondern auch allen andern das Handeln unmöglich machte: die Franzosen durften sich ja nicht rühren, keinen Beschluß fassen, kein Zirkular erlassen, keinen Kongreß berufen, bis L[iebknecht] endlich merkte, daß die Brüsseler ihn sechs Wochen an der Nase herumgeführt und daß der Einfluß der possibilistischen Aktion, im Gegensatz zu seiner masterly inactivity4 ihm endlich seine eignen Deutschen abspenstig machte,Dazu nochdieGeschichte mit Lumpazius Schlesinger.12001 Er, L[iebknecht], appelliert ans Gefühl: der kleinste öffentliche Schritt könne ihn ruinieren, ihm 6000 M. Schulden aufladen, ihn zur Auswanderung nach Amerika zwingen. Unter diesen Umständen will ich abwarten so denke ich wenigstens jetzt bis das ganze Ding erschienen, und dann sehn, was zu tun ist. Die Geschichte ist aber für ihn sehr blamabel, und wenn er sich einbildet, er könne so einfach darüber weg, daß sein Name auf einer solchen Sauerei steht, so schneidet er sich. Sei so gut, und schick mir die folgenden Lieferungen. Die schnoddrige Arroganz des Bengels5 wird
nur erreicht durch seine platte Unwissenheit. Du hast ganz recht, stände nicht L[iebknecht]s Name drauf, so wär's zum Lachen. Was macht Louise? Praktiziert sie noch immer so flott in der Menschheitsvermehrung? Hoffentlich ist sie wohl und munter und über ihr letztes Examen hinaus.[156] Grüße sie herzlich von Nim und mir, jetzt kann sie sich doch auch wohl ein bißchen ausruhn. Ich habe das Rauchen aufgeben müssen wegen Wirkung auf die Nerven, besonders aufs Herz, das sonst ganz gesund ist. Ditto das Trinken sehr beschränken, da dies in diesem nervengestörten Zustand auch stärker wirkt als sonst. Nehme Sulfonal zum Schlafen und viel freie Luft oben auf Hampstead und Highgate. Das nimmt auch Zeit weg. Wenn nur erst der verdammte Kongreß vorbei, daß man nicht so viel Zeitungen durchzuschnüffeln braucht, ich komme zu gar nichts mehr, wenn ich endlich an ein vernünftiges Buch komme, sind meine Augen müd und muß ich was andres treiben. Der Arzt sagt, ganz kuriert würden meine Augen nie, es sei aber nichts Ernsthaftes, nur bleibende Unbequemlichkeit - d. h. Beschränkung der Schreib- und Lesezeit. Tussy schreibt jetzt per Schreibklavier. Beste Grüße von Nim und Deinem F. E.
108
Engels an A. F. Robinson in London
122, Regent's Park Road, N.W. [London] 21. Mai 1889
Mr. A.F.Robinson 47, Little George St. Hampstead Rd.
Mein Herr, Da ich unterrichtet bin, daß Sie jetzt eine gute Stellung haben und wohl in der Lage sind, allmählich die von mir vorgeschossenen 25 sh. zurückzuzahlen, und da Herr Lahr, Ihr Nachbar, ohne Beschäftigung ist, ersuche ich Sie, ihm dieses Geld in wöchentlichen Raten, die Sie selbst untereinander vereinbaren mögen, zu zahlen. Ich werde ihre - Herrn und Frau Lahrs - Quittung für das Geld so gut wie meine eigene betrachten. Ich verbleibe, mein Herr, hochachtungsvoll Ihr F. Engels
Aus dem Englischen.
109
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
...... . f London, den 24. Mai 89 Mein lieber Latargue, Um alles in der Welt, bringt schnellstens das Zirkular mit den ausländischen Unterschriften heraus!'2301 Es ist hier und überall für uns von größter Wichtigkeit. Es hat nichts zu sagen, wenn der Inhalt blaß und ohne große Worte ist - die Unterschriften machen die Musik. Wenn es in 8-10 Tagen bei uns ist, haben wir hier gewonnen, wenn nicht, verlieren wir die Schlacht zum zweiten Mal, und diesmal durch die Schuld der Pariser. Ist es denn so schwer, ein Zirkular abzufassen, das alle unterschreiben können! Inliegend die „Justice" mit einem Manifest'2401, dessen Wut und unverschämte Lügen sehr gut zeigen, wie hier die Einberufung'2141 gerade jetzt gewirkt hat. Wie Sie sehen, ist sich die Social Democratic Federation'731 oder vielmehr Hyndman völlig darüber im klaren, daß es ebenso um ihre Position hier geht, wie um die der Possibilisten in Frankreich. Natürlich antworten wir. Aber wenn wir die Einberufung mit den ausländischen Unterschriften an das Ende unseres Flugblatts anfügen könnten, würde das eine enorme Wirkung haben. Die Einberufung ist vom „Commonweal" abgedruckt worden, und Morris erklärt sich offen für unseren Kongreß. Im „Labour Elector" erklärt W.Parnell, Delegierter auf dem Londoner Kongreß'1261, ein sehr tüchtiger und befähigter Junge - Arbeiter -, daß er Ex. der Einberufung für diejenigen bereithalte, die welche haben wollen. Sehr guter Zuwachs. Für morgen hat Tussy eine Zusammenkunft arrangiert, auf der Bernstein (wir nennen ihn hier Ede; falls mir das einmal in die Feder kommt, wissen Sie, wer gemeint ist) mit Burns, Tom Mann und anderen einflußreichen Arbeitern zusammentreffen wird. Burns ist von seiner Sektion zum Possibilistenkongreß gewählt worden; es ist sehr gut, solche Leute auf dem Possibilistenkongreß zu haben, wenn wir sie nicht auf unserem haben können. Der „Star" hat den Brief von Okecki noch nicht gebracht1, aber den von Bax über Vaillant. Wir werden ihn2 an den anderen erinnern. Da er den
Absatz seiner Zeitung in Paris erhöben will, werden wir ihn mit den Radikalsozialisten im Gemeinderat: Longuet, Daumas usw. bekannt machen. Was enthält der Brief von Ok[ecki] ? Weist er die Anschuldigung, Boule habe Geld von den Boulangisten erhalten, energisch zurück? Sie können sich nicht vorstellen, wie wichtig für uns - und für Euch - diese Tageszeitung hier ist und wie sehr es sich lohnen würde, sie Hyndman zu entreißen. In dem Manifest der „Justice" wird behauptet, daß Farjat (auf dem Londoner Kongreß) für den Possibilistenkongreß gestimmt habe. Das kann nicht wahr sein! Ich bitte ihn mit gleicher Post um einen Brief, den wir veröffentlichen könnten.[241] Aber nein, ich habe seine Adresse nicht, und der Mann, an den ich dachte, ist Frejac aus Commentry und nicht Farjat. Sie würden uns daher einen großen Dienst erweisen, wenn Sie uns diesen Brief beschaffen könnten, und schnell, denn hier darf man keine Zeit verlieren, sonst verliert man sein Publikum. Ich habe nach Dänemark geschrieben, um die Ursache der Verzögerung da unten zu erfahren12421 - aber mein Korrespondent3 gehört zur radikalen Opposition und nicht zur gemäßigten Richtung, die die Partei leitet. Auch an Bebel haben wir geschrieben, daß es sehr wichtig ist, die Dänen zu haben, denen die Schweden und Norweger dann folgen würden, und wir haben ihm vorgeschlagen, daß einer der Deutschen persönlich dorthin fährt, wenn es nicht weitergeht. Also, mein lieber Lafargue, beschleunigen Sie die von allen unterzeichnete Einberufung. Das ist das einzig wirksame Mittel, um alle Verleumdungen und Lügen der anderen zu ersticken, und es ist wegen der noch unentschlossenen Länder sehr wichtig, daß dies geschieht, bevor sie eine Entscheidung getroffen haben. Durch L[ie]bk[necht]s Unentschlossenheit und seine Verzögerungen sind uns viele Positionen verlorengegangen; folgen Sie nicht seinem Beispiel, denn das versichere ich Ihnen, wenn wir durch Eure Verzögerungen, die kein Mensch begreift, noch eine Schlacht verlieren, dann haben wir hier wohl das Recht, die Geduld zu verlieren und Euch shift for yourselves4 zu überlassen. Es ist unmöglich, den Leuten zu helfen, wenn sie sich nicht selbst ein wenig helfen wollen. Schickt also ohne weiteren Aufschub irgendein Zirkular an die ausländischen Parteien, aber eins, das keinen Widerspruch hervorrufen kann, sammelt die Unterschriften, und laßt es drucken, oder schicken Sie es uns zu diesem Zweck - von Laura ins Englische übersetzt -, damit wir keine Zeit verlieren. Die Chancen sind so gut, wenn Ihr nur alle darin übereinstimmen wolltet, das Prinzipielle
und Wichtigste an die erste Stelle zu setzen und alle kleinen Rivalitäten und Detailfragen beiseite zu lassen. Verderbt Euch nicht Euren eigenen Kongreß, seid nicht deutscher als die Deutschen! Freundschaftlichst Ihr und Lauras F.E.
Ich schicke Ihnen „Justice" und „Commonweal".
Aus dem Franzosischen.
110
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 25. Mai 89
Mein lieber Lafargue, Aus einem Brief von Guesde an Bonnier erfahre ich, daß die Einberufung mit den ausländischen Unterschriften[230] im Druck ist. Sie können noch hinzusetzen: R. Cunninghame-Graham, Mitglied des englischen Parlaments, und, wenn Sie bis Montag kein Telegramm haben, das dies widerruft, auch
T^n^Mann } Delegierte auf dem Londoner Kongreß 1888[126]. Die formelle Zustimmung der letzteren haben wir nicht. Bernstein hat beide sowie Graham und Burns heute morgen gesehen. Letzterer sagte, daß er sich endgültig von der Sozialdemokratischen Föderation1731 trennen wolle, daß er von den Machenschaften Hyndmans genug habe, der die Assoziation ruiniert hat, daß der Absatz der „ Justice" von 4000 auf 1400 zurückgegangen sei usw. Obwohl von seiner Sektion zum Possibilistenkongreß gewählt, wird er in unserem Sinne handeln; die Verhandlungen darüber, auf welche Weise das geschehen könnte, sind noch im Gange. Schicken Sie sobald als möglich Ex. der Einberufung.
Freundschaftlichst Ihr F.E.
Später werden wir wahrscheinlich noch weitere Unterschriften bekommen.
Aus dem Französischen.
III
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
[London] 27. Mai 89
Mein lieber Lafargue, Mit gleicher Post sende ich Ihnen den Bericht über die Allianz1. Wollen Sie auch die angeblichen Spaltungen2} Schicken Sie mir den Artikel für die russische Zeitschrift*2431, ich werde ihn an Dfanielson] schicken.3 Da Lawrow Schwierigkeiten macht, wenden Sie sich an N. Axelrod, Kephir-Anstalt, Hirschengraben, Zürich, und bitten Sie ihn, uns die Unterschriften von Vera Sassulitsch (deren Adresse Sie nicht haben), seine eigene, die von G. Plechanow und anderen russischen Marxisten zu schicken. Das wird unseren braven Eklektiker in Erstaunen setzen. Die englische Einberufung*2301 ist schon beim Drucker; morgen werde ich die Abzüge haben, übermorgen werden sie verteilt. Parnell verweigert uns seine persönliche Unterschrift, aber er hat sie als Ehrensekretär der Labour Electoral Association*2441 gegeben. Da Sie diese Unterschrift mit denen der anderen Mitglieder (Champion, Mann, Bateman) erhalten haben müssen, habe ich nicht telegraphiert, denn selbstverständlich haben Sie die Unterschriften so genommen, wie sie unmittelbar bei Ihnen eingegangen sind und nicht nach meinem Brief. Der Grund ist der, daß Parnell von seiner Sektion der Trades Union (Kunsttischler) zum Possibilistenkongreß delegiert wird, wo er und Burns in unserem Sinne wirken werden. Es kann sogar sein, daß sie sich, sollten, die Possibilisten ihren Vorschlag auf Vereinigung ablehnen, von ihnen trennen und zu uns kommen. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Ich habe Sie gedrängt, weil wir einander widersprechende Nachrichten aus Paris erhielten und weil ich nicht wußte, ob man sich über den Text der
1 KarlMarx/Friedrich Engels: „EinKomplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation" 2 Karl Marx/Friedrich Engels: „Die angeblichen Spaltungen in der Internationale" - 8 siehe vorl. Band, S.243
15 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
Einberufung geeinigt hatte oder nicht. Jetzt geht es hier auch vorwärts. Das wird einschlagen. Eure Taktik ist die beste, besonders da Ihr kein Organ habt und in Frankreich schon jeder Partei ergriffen hat. Hier, wo es nicht nur noch genug schwankende Elemente gibt, sondern wo es auch gilt, noch die ins Wanken zu bringen, die schon zum Feind übergegangen sind - und das ist möglich muß man angreifen. Morgen hoffe ich endlich ein wenig gegen Hyndman arbeiten zu können12451, heute haben mir das Arrangement der englischen Einberufung und etliche Laufereien den ganzen Tag geraubt. Der Brief aus Lyon war in dem beigefügten Umschlag. Ich habe ihn an Sie geschickt, damit Sie mir die Adresse und die Unterschrift entziffern.12151 Man erwartet von mir Ex. meiner Schriften. Sie haben inzwischen meinen Brief bekommen, der ihn begleitete und in dem ich diese Aufklärungen von Ihnen erbat. In Eile freundschaftlichst Ihr F. E.
Wir müssen unbedingt von Farjat ja oder nein wissen; vielleicht war er vor dieser Abstimmung abgereist?*2411
Aus dem Französischen.
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Erste Seite des Briefes von Engels an Paul Lafargue vom 27.Mai 1889

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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 8. Juni 89
Lieber Sorge, Es tut mir fast leid, daß Du die Wisch[newetzkys] ernsthaft genug genommen hast, um mit ihnen zu brechen. Ich ließ ihnen gern die Genugtuung, mir durch sein Wegbleiben ihr allerhöchstes Mißfallen zu bezeugen; indes muß ich doch annehmen, daß er Dich durch ungehobeltes Benehmen Dir gegenüber dazu gezwungen. Die Stimmung über den Kongreß, in der Dein Brief geschrieben, hat mich auch von Mitte März bis fast Mitte Mai beherrscht. Wunderbarerweise ist alles jetzt gerettet, wie Dir das gesandte zweite Berufungszirkular mit den Unterschriften von fast ganz Europa12301 gezeigt hat (vervollständigt im Anhang zu Bernstein Nr. II*2451, heute gesandt). Die erste Broschüre, gezeichnet Bernstein*1861, war von mir redigiert wie alles, was englisch in der Sache erschienen. Was Du daran zu tadeln finden kannst, war von hiesigem Standpunkt notwendig. Namentlich die Aufklärungen über die Possibilisten*171, die Dir als Angriffe erscheinen. Am allernotwendigsten aber war die Veröffentlichung der Haager Beschlüsse*1931, die die weisen Leute in Haag beschlossen hatten, geheimzuhalten, und zwar in infinitum. Glücklicherweise wußte hier und in Paris niemand von diesem gescheuten Beschluß, und so legten wir los, da die Possibilisten und ihre hiesigen Anhänger grade auf diesen Beschlüssen tagtäglich herumritten, die größten Lügen darüber erzählten usw. Natürlich mußte nun, nachdem die Possibilisten abgelehnt, rasch gehandelt werden. Aber die Belgier, die ja mit den Schweizern den Kongreß einberufen sollten, rührten sich nicht - sie wollten die Sache bis zu ihrem Kongreß, Ostern in Jolimont*1981, verschleppen und sich hinter den dort zu fassenden Beschlüssen verschanzen. Und von den Schweizern war Scherrer auch a bissei faul, unter dem Vorwand, mit L[ie]bk[nechtls Einwilligung die Masse der Possibilisten „über die Köpfe von Brousse und Co. weg" zum Übertritt auf unsre Seite zu verführen!! L[ielbk[necht] aber hielt Festreden
in der Schweiz12391, und Bebel kannte das Terrain viel zu wenig, um in seiner Abwesenheit selbständig vorzugehn. Der eigentliche Kampfplatz war hier. Bernsteins Broschüre Nr. I hatte wie das Donnerwetter hier eingeschlagen. Die Leute sahen, daß sie von Hyndman & Co. schmählich angelogen worden. Wurde unser Kongreß sofort einberufen, so hatten wir sie alle, und Hyndman und Brousse waren allein. Die hiesigen Unzufriednen der Trades Unionstl94] wandten sich an uns, an die Deutschen, Holländer, Belgier, Dänen. Aber von keinem erhielten sie Auskunft über unsern Kongreß, wann, wo und wie. Für sie aber war Beschickung eines Kongresses, einerlei welches, als Opposition gegen Broadhurst, Shipton & Co. die Hauptsache, und da entschieden sie sich für den, der berufen war. So verloren wir hier Terrain Schritt vor Schritt, auch unser foothold1 in der hiesigen radikalen Presse wankte stark, und zuletzt kam noch der belgische Kongreßbeschluß: beide Kongresse mit je einem Delegierten zu beschicken. Und selbst in der deutschen Parteipresse traten Auer und Schippel dafür auf, man müsse zu den Possibilisten gehn[2061, schon um zu beweisen, daß man nicht franzosenfeindlich-chauvinistisch sei. Kurz, ich gab die Sache verloren, wenigstens für England. Ich schrieb aber gleich an die Franzosen2 (die von vornherein darauf bestanden, der Kongreß müsse am 14./2l.Juli neben dem possibilistischen gehalten werden, sonst sei er nicht der Mühe wert), der belgische Beschluß gebe ihnen ihre Freiheit wieder, und sie sollten jetzt den Kongreß auf diese Zeit sofort berufen. Und Monsieur Liebk[necht], dem die Artikel von Auer und Schippel das Feuer unter dem eignen Arsch angezündet, fand jetzt plötzlich, daß er lange genug die Sache verschleppt und daß jetzt rasch gehandelt werden müsse - er gab den Franzosen denselben Rat3. Die Berufung erfolgte - die Wirkung war über alle Erwartung gut, die Adhäsionen4 strömten zu und kommen noch immer. Und selbst hier haben wir mehr als einen succes d'estime5, und die Veröffentlichung der Unterschriften wirkt hier noch nach. Selbst hier haben wir alles, was außerhalb der (sehr heruntergekommnen) Social Democratic Federation1731 steht, und moralisch einen Teil von dem, was noch in ihr steht. Denn John Burns, der sozialistische County Councillor von London12461, wird sich mit der ganzen Battersea Branch[2471 wahrscheinlich lossagen oder hat es schon getan. Er und Parnell (der auf unsrem Zirkular gezeichnet) sind als Delegierte zum Possibilistenkongreß schon gewählt und werden dort für uns wirken.
1 Stand - 2 siehe vorl. Band, S. 189 -191 - 3 siehe vorl. Band, S. 194 - 4 Beitrittserklärungen 5 Achtungserfolg
Die Possibilisten haben außer der Social Democratic Federation keine einzige sozialistische Organisation in ganz Europa. Sie fallen daher auf die nichtsozialistischen Trades Unions zurück und gäben die Welt darum, könnten sie selbst die alten Trades Unions hier haben, Broadhurst und Konsorten, aber die hatten im November hier in London*1261 genug. Von Amerika erhalten sie einen Knight of Labor.*2481 Die Hauptsache dabei ist - und war für mich der Grund, mich so ins Zeug zu legen -, daß es wieder der alte Riß durch die Internationale ist, der hier zutage tritt, der alte Kampf vom Haag*2491. Die Gegner sind dieselben, nur daß die anarchistische Flagge mit der possibilistischen vertauscht ist: Verkauf des Prinzips an die Bourgeoisie gegen Konzessionen im Detail und namentlich gegen gutbezahlte Posten für die Führer (Stadtrat, Arbeitsbörse*1241 etc.). Und die Taktik ist ganz dieselbe. Das Manifest der Social Democratic Federation*2411, das offenbar von Brousse geschrieben, ist eine neue Auflage des Zirkulars von Sonvillier*2501. Und Brousse weiß es auch: Er greift le Marxisme autoritaire noch immer mit denselben Lügen und Verleumdungen an, und Hyndman macht es ihm nach - seine Hauptquellen über die Internationale und über die politische Tätigkeit von Marx sind die hiesigen Malkontenten des Generalrats, Eccarius, Jung & Co. Die Allianz der Possibilisten und der Social Democratic Federation sollte den Kern der neuen Internationale bilden, die in Paris gegründet werden sollte: mit den Deutschen, wenn sie sich einfügten als Dritte im Bund, sonst gegen sie. Daher die vielen kleinen, stets wachsenden Kongresse nacheinander, daher die Ausschließlichkeit, womit die Alliierten alle andern französischen und englischen Richtungen als nicht existierend behandelten, daher die Klüngelei namentlich mit den kleinen Natiönchen, auf die auch Bakunin sich stützte. Diesem Treiben wurde aber unheimlich, als die Deutschen mit dem St. Galler Beschluß*771 ganz naiv - in absoluter Unwissenheit über das, was draußen vorging- auch in die Kongreßbewegung eintraten. Und da die Leutchen lieber gegen als mit den Deutschen gingen die galten sdoch als gar zu vermarxt wurde der Kampf unvermeidlich. Aber von der Naivität der Deutschen hast Du keinen Begriff. Es hat mich unendliche Mühe gekostet, selbst Bebel beizubringen, um was es sich eigentlich handelt, obwohl die Possibilisten es sehr gut wissen und täglich proklamieren. Und bei allen diesen Irrungen hatte ich wenig Hoffnung, daß es gut gehn, daß die immanente Vernunft, die sich in dieser Geschichte allmählich zum Bewußtsein ihrer selbst entwickelt, schon jetzt siegen werde. Um so mehr freut mich der Beweis, daß doch heute solche Dinge wie 1873 und 74 nicht mehr möglich sind. Die Intriganten sind schon jetzt geschlagen, und
die Bedeutung des Kongresses - ob er den andern an sich zieht oder nicht besteht darin, daß die Einhelligkeit der sozialistischen Parteien Europas vor aller Welt dargelegt wird und die paar Klüngler, wenn sie sich nicht fügen, draußen im Kalten bleiben. Sonst hat der Kongreß wenig zu bedeuten. Ich gehe natürlich nicht hin, ich kann mich dauernd nicht wieder in die Agitation stürzen. Aber die Leute Wollen nun einmal wieder Kongresse spielen, und da ist es besser, diese werden nicht von Brousse und Hyndman dirigiert. Es war grade noch Zeit, ihnen das Handwerk zu legen. Auf die Wirkung von Bernstein Nr. II bin ich neugierig. Hoffentlich ist's das letzte Aktenstück in der Sache. Im übrigen geht's hier so so. Ich habe das Rauchen drangeben müssen wegen Nervenwirkung, kostet merkwürdig wenig Überwindung, rauche alle. 2-3 Tage noch den Inhalt einer Drittelzigarette, denke aber, nächstes Jahr doch wieder anzufangen. Sam Moore geht als Oberrichter ins Nigergebiet nach Afrika. Nächsten Samstag ab von Liverpool, kommt in 18 Monaten auf 1/2 Jahr zurück, wird dort II I.Band6 übersetzen. Herzliche Grüße an Deine Frau. Dein F. Engels
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 11. Juni 89
Meine liebe Laura, Endlich finde ich ein paar Minuten für einen ruhigen Schwatz mit Dir. Vor allen Dingen laß mich Dir für Deine liebenswürdige Einladung nach Le Perreux während des Kongresses danken. Ich befürchte nur, ich werde es wie bisher aufschieben müssen, ihr Folge zu leisten. Es gibt zwei Dinge, die zu besuchen ich prinzipiell vermeide und wohin ich nur zwangsweise gehe: Kongresse und Ausstellungen. Der Lärm und das Gedränge Eurer „world's fair"1, um mich in dem Slang des respektablen Briten auszudrücken, ist für mich alles andere als reizvoll, und von dem Kongreß muß ich mich auf jeden Fall fernhalten; das würde mich in eine neue Agitationskampagne stürzen, und ich würde zum Vorteil einer Menge Nationalitäten mit einer Ladung voll Aufgaben hierher zurückkehren, die mich für ein paar Jahre beschäftigt hielten. So etwas kann man auf einem Kongreß nicht ablehnen, und doch muß ich es, wenn der 3. Band2 das Licht der Welt erblicken soll. Über drei Monate konnte ich keinen Blick darauf werfen, und jetzt ist es zu spät, um vor den Ferien, die ich zu nehmen gedenke, damit zu beginnen; ich bin auch nicht sicher, ob ich meine Kongreßsorgen ganz los bin. Wenn ich also in diesem Jahr nicht nach Le Perreux hinüberkomme, aufgeschoben ist nicht aufgehoben3. Diesen Sommer jedoch werde ich mich etwas in einem stillen Ort an der See ausruhen, um mich wieder in die Kondition zu bringen, eine Zigarre rauchen zu können, was ich seit mehr als zwei Monaten nicht getan habe; ungefähr ein Gramm Tabak jeden zweiten Tag ist alles, was ich vertragen kann - doch ich schlafe wieder, und mäßiges Trinken hat für mich keine unangenehme Wirkung mehr. Hier einige Neuigkeiten für Paul: Sam Moore gibt für uns heute abend ein Abschiedsessen; er segelt am Samstag nach dem Niger ab, wo er in Asaba, im Innern Afrikas, Oberrichter der Gebiete der Royal Niger Company,
1 „Weltausstellung" - a des „Kapitals" - 3 in der Handschrift deutsch: aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Charteret! and Limited, sein wird, mit sechs Monaten Urlaub für Europa jedes zweite Jahr, gute Bezahlung und der Aussicht, nach etwa acht Jahren als ein unabhängiger Mann zurückzukehren. Es war hauptsächlich zu Ehren Pauls, daß er einwilligte, Lord-Oberrichter der Niger-Neger, der höchsten Elite der nigritischen4 Niger-Neger zu werden. Es tut uns allen sehr leid, ihn zu verlieren, aber er hat seit mehr als einem Jahr nach etwas Ähnlichem gesucht, und dies ist eine ausgezeichnete Stellung. Er ist nicht nur seiner juristischen Qualifikation wegen ernannt worden, sondern vielmehr auch, weil er ein tüchtiger Geologe und Botaniker und ehemaliger Freiwilligen-Offizier ist - alles sehr wertvolle Eigenschaften in einem unbekannten Lande. Er wird einen botanischen Garten haben und eine meteorologische Station einrichten; seine richterlichen Pflichten werden hauptsächlich darin bestehen, deutsche Schmuggler von Bismarcks***KartoffeIsprit, von Waffen und Munition zu bestrafen. Das Klima ist weit besser als sein Ruf, und Sams medizinischer Befund war höchst zufriedenstellend, der Arzt sagte ihm, daß er eine bessere Chance haben werde als junge Männer, die sich selbst - aus purer Langerweile - mit Whisky und schwarzen Harems töten. Somit wird, wenn der dritte Band herauskommt, wenigstens ein Teil davon in Afrika übersetzt werden, da ich ihm die Aushängebogen schicken werde. Um zu unserem geliebten Kongreß zurückzukehren. Ich betrachte diese Kongresse als unvermeidliche Übel in der Bewegung. Die Leute wollen sich unbedingt auf Kongressen in Szene setzen, und obgleich Kongresse ihre brauchbare demonstrative Seite haben und insofern gut sind, als sie Leute aus den verschiedenen Ländern zusammenbringen, so ist es doch zweifelhaft, ob le jeu vaut la chandelle5, wenn es ernsthafte Differenzen gibt. Doch die ständigen Bemühungen der Possibilisten1171 und Hyndmaniten, sich mittels ihres Kongresses in die Führung einer neuen Internationale einzuschleichen, machten einen Kampf für uns unvermeidlich, und das ist der einzige Punkt, worin ich mit Brousse übereinstimme: daß es wieder der alte Riß durch die Internationale ist, der jetzt die Leute in zwei entgegengesetzte Lager treibt. Auf der einen Seite die Anhänger Bakunins, unter einer anderen Flagge, aber mit der ganzen alten Ausrüstung und Taktik, eine Bande von Intriganten und Betrügern, welche über die Bewegung der Arbeiterklasse für ihre eigenen persönlichen Ziele „herrschen" wollen; auf der anderen Seite die wirkliche Arbeiterbewegung. Und das allein war der Grund, mich für die Sache so ins Zeug zu legen. Debatten über die gesetzlichen Details
interessieren mich nicht so sehr. Doch die Position, die wir nach 1873 von den Anarchisten zurückerobert haben, wurde jetzt von ihren Nachfolgern angegriffen, und deshalb hatte ich keine Wahl. Nun, wir waren siegreich, wir haben der Welt bewiesen, daß fast alle Sozialisten in Europa „Marxisten" sind (sie werden darüber verrückt werden, daß sie uns diesen Namen gegeben haben!) und daß sie mit Hyndman, der sie trösten kann, kaltgestellt sind. Und nun hoffe ich, wird man meine Dienste nicht mehr länger benötigen. Da sie niemanden haben, der zu ihnen kommt, greifen sie auf nichtsozialistische oder halbsozialistische Trades Unions zurück, und auf diese Weise wird ihr Kongreß einen von dem unsrigen völlig unterschiedlichen Charakter tragen. Das macht die Vereinigung zu einer zweitrangigen Frage; zwei solche Kongresse können ohne Skandal nebeneinander tagen. Meine liebe Laura, ich wollte noch viel mehr schreiben, doch ich kann kaum sehen, so neblig ist es, und deshalb mußte ich unterbrechen und auf hellere Pausen warten bis jetzt, wo es Postzeit ist. Ich kann also nur noch den Scheck über £ 20 beifügen - von dem Paul schreibt. Wegen des Geldes für den Kongreß sollten die Deutschen etwas tun wenn ich kann, werde ich Paul morgen darüber schreiben.
Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Conrad Schmidt in Berlin
122, Regent's Park Road, N. W. London, 12. Juni 1889
Sehr geehrter Herr, Ich bitte tausendmal um Verzeihung, daß ich die Anfrage in Ihrem werten Brief vom 15.April so gänzlich unbeantwortet gelassen. Ich bin wider meine Absicht in die Debatte über den internationalen Kongreß hineingeraten und habe mir dadurch einen Haufen Arbeit, Korrespondenz, Lauferei etc. aufladen lassen, der mich leider eine Masse andrer Dinge hat vernachlässigen lassen. Darunter eine Menge Briefe, die unbeantwortet liegengeblieben. Um Sie nun keinen Augenblick länger warten zu lassen, teile ich Ihnen mit, daß ich die betreffende Broschüre[251] seit ihrem Erscheinen in Köln nicht wieder gesehn habe und auch in Marx' Nachlaß meines Wissens ein Ex. sich nicht befindet. Die Broschüre erschien kurz vor Eröffnung des Prozesses, und ist mir nie von einem zweiten Heft derselben irgend etwas bekannt geworden. Ein solches wäre auch wohl in der „N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]gtt angezeigt worden, dort ist aber bloß die einfache Broschüre selbst, als 1. Heft, zuerst am 9. Juli 48, annonciert, und am 5. Aug. begannen die Verhandlungen; in den dazwischenliegenden Nrn. ist kein zweites Heft angezeigt und sicher auch keins erschienen. Nach der Freisprechung hatte Lassalle keinen Grund, eine Kritik fortzusetzen, die eben nur zur Bewirkung dieser Freisprechung hatte beitragen sollen.[252] Auf Ihre jetzt endlich glücklich in den Hafen gelaufene Schrift bin ich sehr neugierig. Den Artikel der „Vossischen" über Kant werde ich erst nach heutigem Postschluß lesen können, kann Ihnen für jetzt also nur meinen besten Dank dafür aussprechen. Wenn Sie in die „Vossische" eintreten und dort den Orient zu vermöbeln bekommen, will ich Sie nur auf den „Standard" aufmerksam machen, der von allen Londoner und vielleicht von allen europäischen Blättern (einige ungarische ausgenommen) die besten Nachrichten über den Orient enthält, soweit er Rußland interessiert. So brachte er vor ein paar Tagen zuerst 1. die
Nachricht vom russischen, jetzt wieder ans Licht tretenden Plänchen des großserbischen Reichs unter dem Fürsten von Montenegro - ein Plänchen, dessen Förderung die russische Regierung einstweilen dem panslawistischen Comite überläßt, um es je nach Umständen selbst aufzunehmen oder wieder auf eine Zeitlang beiseite zu legen; 2. die Nachricht von der geheimen Abmachung zwischen Zar1 und Schah2, wonach Persien keine Eisenbahn-, Schiffahrts- etc. Konzessionen erteilt ohne Rußlands Einwilligung und im Kriegsfall den Russen Khorassan zur Disposition stellt (d.h. die strategische Umklammerung Afghanistans ihnen ermöglicht). Manchmal vergehn Monate, ohne daß so etwas im „Stjandard]" erscheint, dann aber kommen die Enthüllungen meist dick. Die Antirussen der konservativen Partei, der Armee und der indischen Bürokratie versorgen den „Standard" damit. Ich fürchte, daß, sobald Rußland seine Schuldkonvertierung12201 erledigt und dadurch eine Kreditstellung erhalten hat wie noch nie zuvor, wird die panslawistische Partei einerseits und die Notwendigkeit, der Armee (deren jüngere gebildete Offiziere durch die Bank konstitutionell12531, also den Preußen weit voraus sind) Beschäftigung und dadurch Abwendung von politischen Konspirationen zu geben, andrerseits, die russische Regierung zum Krieg treiben. Was dann wird, kann kein Mensch vorhersagen, es ist das alte delphische Orakel: Kpoisos, "AXuv Siaßocs, [isyaXTjv Suvafnv SiaXüast,.3
Kaputt geht dabei jedenfalls sehr viel und, wenn man einem gewissen eingebildeten jungen Bengel4 die Zeit läßt, sie zu desorganisieren, vielleicht auch die deutsche Armee. Inzwischen war der Kohlengrubenstreik12311 auch ein sehr schönes Ereignis und beleuchtete wie ein Blitz die ganze Lage. Das sind drei Armeekorps, die zu uns übergehn. Also bis nächstens! Mit besten Grüßen. Ihr ergebener F. Engels
1 Alexander III. - 2 Nasr-ed-Din - 3 Krösus wird, wenn er den Halys überschritten hat, ein großes Reich zerstören. - 4 Wilhelm II.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 15. Juni 89
Mein lieber Lafargue, Ich habe Bebel geschrieben12541, daß Eure Beiträge ziemlich langsam eingehen, daß Ihr wegen der für den Kongreß notwendigen Fonds in Verlegenheit seid usw., ich habe ihm die Ursache erklärt (Eure zahlenmäßige Schwäche in Paris, die Notwendigkeit für die Provinzen, ihre Mittel für die Delegationen aufzusparen, die übliche Langsamkeit der Franzosen in der Beitragszahlung usw.), und ich habe ihm suggeriert, daß sich hier eine Gelegenheit für eine Subvention seitens der deutschen Partei bietet as a good international investment1. Sie täten gut, Liebk[nechtl auch ein wenig für diese Subvention zu erwärmen, Sie könnten ihm besser als ich Eure Situation schildern und ihm sagen, daß ich Ihnen geraten habe, ihm deswegen zu schreiben. Ich schicke Ihnen die „Justice" mit Hyndmans Antwort. Das ist der Ausbruch der ohnmächtigen Wut des Mannes, der sich auf der ganzen Linie geschlagen fühlt. Was er von Parnell und Stepniak sagt, ist eine glatte | „ ¥1-1-1-1-° • n • £ CiT "11 J „ _ TP i_uge. ich näuG iiier einen uilci VOil »Jt^cpmäKl, ucn ef gCSLClil äll 1 USSy geschrieben hat, nachdem er die „Justice" zu Gesicht bekam; er schreibt darin, daß das falsch sei und er unverzüglich an die „J[ustice|" schreiben werde.12551 Was Parnell angeht, so ist uns sein Name offiziell von der Labour Electoral Association12441 gegeben worden, und falls er nicht seine Funktion als Sekretär dieser Assoziation niederlegt, kann er die Gültigkeit seiner Unterschrift2 nicht in Abrede stellen. Er verweigerte uns seine Unterschrift als Einzelperson, und wir haben seine diesbezüglichen Bedenken respektiert. Niemand kennt diesen Field, der mit solchem Eifer unseren Kongreß verteidigt. Die dänische Zeitung von Trier und Petersen3 ergreift offen für uns Partei, aber sie tun recht, nicht darüber hinauszugehen. Wenn sie eine Delegation zu unserem Kongreß vorschlügen, würden sie die offizielle
1 als eine gute internationale Geldanlage - 2 siehe vorl. Band, S. 225 - 3 „Arbejderen14
dänische Partei zum Possibilismus treiben. Wir haben die Genugtuung, daß diese geheimen Possibilisten nicht zum Kongreß der anderen zu gehen wagen. Da nun die beiden Kongresse völlig verschiedenen Charakter haben der unsrige den der vereinigten Sozialisten, der andere den von Leuten, die nicht über den Trade-Unionismus hinausgehen (denn andere, außer den Possibilisten1171 und der Social Democratic Federation1731 werden nicht zu ihnen kommen) -, ist es zweifelhaft, ob die Vereinigung zustande kommt. Und wenn sie nicht zustande kommt, wird das kein Unglück sein. Denn es ist kein Geheimnis, daß der Sozialismus noch nicht die ganze Arbeiterklasse Europas unter seiner Fahne vereint hat, und die Existenz der beiden Kongresse nebeneinander würde diese bekannte Tatsache nur bestätigen. Andererseits haben wir jetzt andere Pflichten, da unser Kongreß fortschrittlicher ist als der andere. Wenn beide Kongresse offen sozialistisch wären, könnten wir hinsichtlich der Form manche Konzession machen, um einen Skandal zu verhindern. Aber die Gruppierung in zwei Lager unter zwei verschiedenen Fahnen, die sich ohne uns ergeben hat, fordert, daß wir die Ehre der sozialistischen Fahne schützen; die Vereinigung, wenn sie zustande kommt, wird keine Vereinigung, sondern eher eine Allianz sein, und die Bedingungen einer solchen Allianz müßten dann genau diskutiert werden. Auf alle Fälle muß man sehen, wie sich die Dinge entwickeln werden, und sich nicht vorher durch unwiderrufliche Entschlüsse binden. Wesentlich ist immer, seinen Gegner ins Unrecht zu setzen, damit, falls es zum Bruch kommt, ihm die Schuld gegeben wird. Sie können sicher sein, daß nach dem, was sich zugetragen hat, weder die Possibilisten noch die Social Democratic Federation eine unbändige Lust verspüren, sich zu vereinigen, wohl aber das brennende Verlangen haben, uns die Schuld an dem Bruch zu geben, den sie insgeheim wünschen und der allein ihnen weiter eine Scheinexistenz geben könnte. Ihnen den Gefallen tun und den Bruch provozieren, hieße, ihnen neues Leben verleihen. Nur durch Fehler von uns könnten sie sich von ihrer Niederlage wieder erholen, und wir würden diese Fehler begehen, wenn wir unter dem Einfluß der Leidenschaft oder irgendeines Gefühls handelten. Das ist eine ganz einfache Rechnung, nichts anderes. Umarmen Sie Laura von mir und Nim. Heute abend ist Sam Moore von Liverpool in Ihr afrikanisches Vaterland abgereist.
Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 28. Juni 89
Meine liebe Laura, Was Deine „freie und leichte" Übersetzung meines Aufgeschoben1 usw. betrifft2, so fürchte ich, ich kann bei dieser tropischen Hitze nicht mehr Energie aufbringen, als Dir völlig die Verantwortung dafür zu überlassen und dies, wie es bei den Advokaten heißt, „ohne Verbindlichkeit". Ich weiß nur, daß ich Dich, wenn dieses Wetter anhält, nicht um den Kongreß beneide. Der einzige Kongreß, der mich interessiert, ist einer mit Nim bei einer gutgekühlten Flasche Bier. Was Euren Kongreß angeht, so ersehe ich aus Deinem Brief an Maggie Harkness, daß man beabsichtigt, die Sitzungen über administrative Angelegenheiten nicht öffentlich abzuhalten. Nun bin ich aber durchaus der Ansicht, daß diese Frage nur vom Kongreß selbst und nachdem man die Deutschen, Österreicher usw. gehört hat, entschieden werden kann. Doch bezüglich der Tagesordnung sehe ich überhaupt keinerlei Notwendigkeit, auf geschlossene Sitzungen zu bestehen, und ich möchte annehmen, daß v r\ . ' _.U 1 1 •_./! »,V_L_ ;_] -^J die L/eutscnen seiDsc auitnwcg uiieiiuiciic üiwuugcn voi Lienen vvUi den = es sei denn, in einigen Kreisen bestehe das Verlangen nach einer Wiederherstellung der Internationale in der einen oder anderen Form, und dem würden und sollten sich die Deutschen mit aller Macht widersetzen. Unsere Landsleute und die Österreicher sind die einzigen, die einen wirklichen Kampf durchzumachen und wirkliche Opfer zu bringen haben, mit ständig etwa 100 Mann im Gefängnis, und sie können es sich daher nicht leisten, mit internationalen Organisationen zu spielen, die gegenwärtig ebenso unmöglich wie nutzlös sind. Andererseits werden die Possibilisten1173 und Co. alles tun, um ihrem Kongreß retentissement3 zu geben, sie werden wahrscheinlich nach der verification des pouvoirs4 überhaupt keine geschlossenen Sitzungen durch1 In der Handschrift deutsch: Aufgeschoben - 2 siehe vorl. Band, S.233 -3 eine Resonanz 4 Bestätigung der Mandate
führen und vielleicht nicht einmal deswegen. Und mit den Vorteilen auf ihrer Seite, bei ihrer Verbindung mit der bürgerlichen Presse in Frankreich und hier, werden sie uns - schwer gehandikapt wie wir sind - in der Hand haben, falls wir nicht kühn handeln und die Presse so oft wie möglich zulassen. Aus alledem schließe ich, daß es am besten sein wird, keine festgelegte Meinung über diese und über andere mit dem Kongreß zusammenhängende Fragen zu haben, sondern abzuwarten, bis die anderen gehört worden sind, um dann zu einem Entschluß zu kommen. Dies würde ich auch darauf beziehen, was Paul über die Verhinderung der Fusion beider Kongresse schreibt. Mir scheint, sollte diese Frage auftauchen, so werden sich so viele praktische Schwierigkeiten ergeben, daß wahrscheinlich nichts daraus wird, wenn die Possibilisten nicht in jedem Punkt nachgeben. Aber die Possibilisten werden nicht nachgeben, und da sie sicher sind, mit den Trades Unions das aufzuwiegen, was ihnen an Sozialisten fehlt, und sie ein ganz schönes Aufgebot an Franzosen und Engländern (jener beiden Nationen, die, wie Dir bekannt ist, ihrer Meinung nach die ganze zivilisierte Welt bilden) aufmarschieren lassen und einen Knight of Labor12481 haben werden, der nach seiner eigenen Angabe mindestens 500 000 vertritt, und einen Abgesandten der American Federation of Labor12561, der 600 000 vertritt, so werden sie auf dem Papier eine große Zahl von Arbeitern repräsentieren und von uns armen Sozialisten erwarten, daß wir nachgeben. Ich befürchte jedenfalls, sie könnten ein Täuschungsmanöver durchführen, um uns vor der Öffentlichkeit ins Unrecht zu setzen (ein Trick, auf den sie sich verstehen), und Liebk[necht] könnte in die Falle gehen. In solchem Falle verlasse ich mich besonders auf Dich, Tussy und D. Nieuwenhuis, daß Ihr Bebel die Augen öffnet und verhindert, daß Liebk[necht]s Vereinigungswut5 Erfolg hat. Tussy hat Pauls Frage betreffs Lavy beantwortet, ich war nicht dort, sie weiß über alles Bescheid.12571 Meiner Meinung nach könnten die beiden Kongresse ohne Schaden nebeneinander tagen - sie sind dem Charakter nach wesentlich unterschiedlich, der eine besteht aus Sozialisten und der andere hauptsächlich aus Aspiranten des Sozialismus, und ich glaube nicht, daß Bebel unter diesen Umständen bereit wäre, eine Vereinigung um jeden Preis einzugehen. Er schrieb mir, daß die Fusion nur auf der Basis völliger Gleichheit vor sich gehen könne, und das wird zweifelsohne das Minimum seiner Bedingungen sein. Er hat jedoch niemals außerhalb Deutschlands gelebt und kann sich
5 in der Handschrift deutsch: Vereinigungswut
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
kein Urteil über englische oder französische Lebensbedingungen oder Ideen bilden - und da kann Lfie]bk[necht] gefährlich werden, besonders deshalb, weil er unglückseligerweise in Ermangelung eines besser informierten Mannes der Außenminister der Deutschen ist. Was Du Bebel noch einschärfen mußt, ist, daß die Possibilisten und die Sozialdemokratische Föderation1731 die Absicht haben, den Kongreß als Mittel zur Wiederherstellung der Internationale zu benutzen - die Deutschen können das nicht zulassen, ohne sich selbst zahllosen Verfolgungen auszusetzen und daß es deshalb besser wäre, wenn die Deutschen einem solchen Kongreß fernblieben. Meine Gratulationen zu Pauls Doppelkandidatur[258] - in Avignon wird er sicher gewinnen, c'est laville deLaure6! Er müßte Karten haben mit der Aufschrift ,,P[aul] L[afargue], candidat, successeur (plus heureux) de Petrarque" 7. Ich nehme jedoch an, daß Du auch ohne mich diese schlechten Witzeleien häufig genug in Paris gehört hast. Ich vermute, unsere Leute in Paris bereiten für den Kongreß einen projet de reglement8 vor? das ist absolut notwendig, um Zeit zu sparen, er müßte sehr kurz sein und dem Vorsitzenden alle Details überlassen. Wenn ich Zeit habe, werde ich Paul einige Zeilen zur Frage der nationalen Aufrüstung und zur Abschaffung der stehenden Heere schreiben. Sam wird jetzt ungefähr in Senegal oder Gambia sein; wir erwarten in ein bis zwei Tagen einige Zeilen aus Madeira. Von Schorlemmer kein Wort. Werde versuchen, ihn ein wenig aufzumuntern. Aber vielleicht hat er an Dich geschrieben; er hatte M.Harkness gesagt, er beabsichtige, auf dem Kongreß in Paris zu sein. Parnell hat einen Brief im „Labour Elector" veröffentlichen lassen, den er tatsächlich in seiner Eigenschaft als ehrenamtlicher Sekretär der Labour Electoral Association*2441 zeichnete - o cio basta9. Grüße von Nim. r» •
5 p.m. Habe soeben Deinen Brief an Tussy und ihre Antwort erhalten. Mit dem, was sie in dem beiliegenden Brief über die Frage der geschlossenen Sitzungen schreibt, stimme ich vollkommen überein. Ich werde morgen in derselben Sache an Bebel schreiben.
Aus dem Englischen.
6 das ist Lauras Stadt - 7 ,,P[aul] L[afargue], Kandidat, Nachfolger (mit mehr Glück) von Petrarca" - 8 Plan für die Geschäftsordnung - 9 das genügt
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 4. Juli 1889
Werter Herr, Ich habe Herrn Lafargue und Herrn Kautsky mitgeteilt^591, was Sie so freundlich waren, mir über ihre in der „Northern Review" veröffentlichten Artikel[260] zu sagen. Herr Lafargue hat mir daraufhin einen Artikel über die Entwicklung des Eigentums geschickt mit der Bitte, ihn an Sie zu senden und Sie zu ersuchen, ihn dem Herausgeber der „Northern Review"1 zu den üblichen Bedingungen in bezug auf Honorar usw. anzubieten/2611 Ich schicke ihn heute eingeschrieben per Buchpost. Die Nachrichten, die Sie uns über Herrn M[utual]s Gesundheit geben konnten, sind sehr erfreulich und stimmen ganz mit dem überein, was wir von anderer Seite erfahren haben/2621 Ein Mann mit so kräftiger Konstitution wird sicher durchkommen, und wir dürfen hoffen, ihn eines schönen Tages wieder in voller jugendfrischer Gesundheit hier zu sehen. Der dritte Band2 ist während der letzten drei Monate infolge verschiedener unvermeidbarer Umstände unbearbeitet liegengeblieben, und da der Sommer immer eine sehr müßige Zeit ist, fürchte ich, vor September oder Oktober nicht viel daran arbeiten zu können. Der Abschnitt über Bankwesen und Kredit bietet beträchtliche Schwierigkeiten. Die leitenden Prinzipien sind klar genug ausgesprochen, aber der ganze Zusammenhang setzt voraus, daß der Leser mit den Hauptwerken über dieses Thema, wie z.B. mit Tooke und Fullarton, gut bekannt ist, und da dies im allgemeinen nicht der Fall ist, werden viele erläuternde Anmerkungen usw. notwendig sein. Übrigens habe ich ein zweites Exemplar von Fullartons „Regulation of Currencies", dem Hauptwerk über diese Frage; sollten Sie das Buch nicht haben, so würde ich mich sehr glücklich schätzen, wenn Sie mir erlaubten, es Ihnen zu senden. Der letzte Abschnitt „über die Grundrente" wird, soweit ich mich erinnere, nur eine formale Revision erfordern, so daß, wenn der Bank- und
1 Anna Michailowna Jewreinowa - 2 des „Kapitals" 16*
Kreditabschnitt einmal fertig ist (das ist des Ganzen), das letzte Drittel (Rente und die verschiedenen Formen der Revenue) nicht mehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber da dieser abschließende Band eine so großartige und völlig unangreifbare Arbeit ist, halte ich es für meine Pflicht, ihn in einer Form herauszubringen, in der die Gesamtlinie der Beweisführung klar und plastisch herauskommt. Bei dem Zustand dieses Ms. - einer ersten, oft unterbrochenen und unvollständigen Skizze - ist das nicht so ganz leicht. Ich versuche, mit zwei kompetenten Herren3 Vereinbarungen darüber zu treffen, daß sie für mich die Teile aus dem Ms. des vierten Bandes11551 abschreiben, die zu diktieren mir der Zustand meiner Augen kaum gestatten wird. Wenn mir das gelingt, werde ich die beiden auch in der Entzifferung dieser Manuskripte trainiert haben, die im Augenblick für jeden außer mir, der ich an die Handschrift und die Abkürzungen gewöhnt bin, ein Buch mit sieben Siegeln sind - und so werden die anderen Manuskripte des Autors4 benutzbar bleiben, ganz unabhängig von meinem Leben oder Tod. Ich hoffe, daß diese Vereinbarungen bis zum Herbst zum Abschluß gebracht werden. Ihr sehr ergebener P. W.R[osher]tui
Der englische Übersetzer des größeren Teiles von Band I, Herr Moore, ist soeben nach Afrika abgereist, nachdem er zum Oberrichter für die Gebiete der Niger Company ernannt worden ist. So wird der 3. Band wenigstens zum Teil an den Gestaden des Niger übersetzt werden!
Aus dem Englischen.
118
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 5. Juli 89
Mein lieber Lafargue, Ich verstehe durchaus, daß ein Delegiertenkongreß einer Assoziation geschlossene Sitzungen abhält, um Dinge zu erörtern, die nur die Mitglieder betreffen, und das wird sogar allgemein obligatorisch sein. Aber daß ein Delegiertenkongreß von Arbeitern und Sozialisten, der einberufen worden ist, um allgemeine Fragen zu diskutieren wie die des 8-Stunden-Tages, die Gesetzgebung für Frauen- und Kinderarbeit, die Abschaffung der stehenden Heere usw. - daß ein solcher Kongreß die Öffentlichkeit ausschließt und hinter verschlossenen Türen berät, dafür gibt es meines Erachtens keinen Grund. Ob das Pariser Publikum hingeht oder nicht, ist nicht so wichtig, obwohl das Interesse, das Eure Partei diesem Kongreß entgegenbringen sollte, ausreichen müßte, um ihm ein gewisses Auditorium zu sichern. Die öffentlichen Sitzungen werden aber, meiner Ansicht nach, keineswegs darunter leiden, wenn die gewöhnlichen Einfaltspinsel durch Abwesenheit glänzen. Was wir brauchen, ist die Resonanz in der Presse, und dazu bedarf es der Öffentlichkeit; die Presse kann sich nur mit Ereignissen beschäftigen, zu denen sie zugelassen ist. Und die deklamatorischen Sitzungen am Abend, in denen die französische Sprache obligatorisch ist, weil sie allein vom Publikum verstanden wird, werden für die Delegierten, die sie nicht sprechen, wenig Reiz haben. Nach einer langen Sitzung am Nachmittag oder am Morgen werden sie Paris sehen wollen, statt Reden anzuhören, die sie nicht verstehen. Das hindert Euch nicht daran, ein oder zwei Versammlungen am Abend in einem großen Saal zu machen; aber die Türen schließen aus Angst, man könnte sagen, der Saal sei nur halb voll gewesen, das hieße, dem Pariser Publikum allzu große Bedeutung beizumessen. Der Kongreß wird zum Wohle der ganzen Welt abgehalten, und die Abwesenheit oder Anwesenheit einiger Pariser mehr oder weniger spielt keine Rolle. Ihr, die Ihr immer sagt, daß die Possibilisten1171 ohne Einfluß seien, daß Ihr das französische Proletariat repräsentiert, Ihr habt jetzt Angst, daß sie ein größeres Auditorium haben könnten als Ihr!
Übrigens hat mir Bebel geschrieben, daß/ür sie geheime Sitzungen nicht in Frage kommen; für die Deutschen ist die Öffentlichkeit die einzige Garantie gegen neue Anklagen wegen Geheimbündelei. Diesem Argument werden zweitrangige Erwägungen hinsichtlich des Pariser Publikums und seiner möglichen Abwesenheit wahrscheinlich weichen müssen. Lr schreibt außerdem, daß wahrscheinlich 60 deutsche Delegierte kommen werden. In Deutschland scheint die Begeisterung grenzenlos zu sein. Die Social Democratic Federation*731 sitzt schön in der Sch... Wer, glauben Sie, soll ihr zu Hilfe kommen? Der arme H. Jung, der diese Woche in einem Brief erklärt hat, daß unser Kongreß absolut nichts bedeute, daß er eine happy family1 von Feinden sei, daß Longuet kein Sozialist sei, daß Jaclard kein Sozialist sei, daß Liebk[necht] für die Kolonialpolitik Bismarcks gestimmt habe (was eine Lüge ist), usw. Arme Leute, sie liegen in den letzten Zügen. Sie werden wissen, daß D. Nieuwenhuis die Vereinigung vorschlagen wird, „in Erwägung, daß die Tagesordnung der beiden Kongresse die gleiche ist". Da die Tagesordnung nicht die gleiche ist, sehe ich nicht, wer für diesen Vorschlag stimmen könnte. Auf alle Fälle habe ich an Bebel geschrieben*2631, um ihn darauf hinzuweisen, daß die Dinge nicht mehr so liegen wie im Haag*1631, daß Ihr inzwischen von ihnen ermächtigt worden seid, Euren Kongreß einzuberufen; daß das ganze sozialistische Europa dem zugestimmt hat und Ihr infolgedessen das Recht habt, neue Bedingungen für eine eventuelle Vereinigung zu stellen; daß die Vereinigungssucht f T_: j uic \_>iiiuiiio«.cii uauiu uciucii A.U11HLC, siv.il suuicuiiui mit. iin tu i ciuiacn geeint und von ihren Freunden und Verbündeten getrennt zu finden; endlich, daß es einen Haufen kleiner Schwierigkeiten gäbe. Tatsächlich hätte meiner Meinung nach eine Vereinigung nicht den geringsten Nutzen, es sei denn, von den Komitees der beiden Kongresse würden detaillierte Bedingungen ausgearbeitet, diskutiert und von letzteren angenommen. Ohne solche würde der Zusammenschluß keine zwei Stunden dauern. Und um zu einer Lösung zu kommen, müßte man Zeit haben, so daß die Vereinigung erst gegen Lnde erfolgen könnte, wenn sie überhaupt erfolgt. Ihr Artikel ist gestern registered2 nach Rußland abgegangen.3 Was Sie mir über die Weinbauern der Champagne schreiben, ist außerordentlich interessant - der Ruin des Bauern geht jetzt durch den entwickelten Kapitalismus schnell vor sich!
Es ist sehr gut, daß Liebk[necht] bei Vaillant wohnen wird, ich habe den starken Verdacht, daß er noch immer die Einigung mit den „guten Elementen" der Possibilisten und „über den Kopf von Brousse hinweg" möchte wie im März und April. Umarmen Sie Laura von mir und Nim. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevent
London, 9. Juli 1889
Lieber Freund, Als ich Ihren Brief vom 7. Juni erhielt, mußte ich daraus schließen, daß Sie sich vielleicht schon nicht mehr in Freiheit befänden, ehe meine Antwort dorthin gelangte. Damit mein Brief nicht in unrechte Hände gelange und Ihnen am Ende neuen Schaden zuziehe, schrieb ich lieber gar nicht. Ihr Brief vom 6. d. M. hat mich hierüber beruhigt. Das harte Schicksal, das Sie, wie ich nicht zweifle, unverdient betroffen hat1, hat meine ganze und aufrichtige Teilnahme. Erlauben Sie mir, in einem Augenblick, wo Ihre ganze bisherige Existenz vernichtet ist, Ihnen ein weiteres kleines Darlehn anzubieten in der Gestalt inliegender Postanweisung auf fünf Pfund Sterling. Wie die Umstände jetzt liegen, glaube ich allerdings, daß Ihre Familie recht hat mit Buenos Aires, und wäre dieser Plan sofort in Angriff zu nehmen. Aber bei der jetzigen Sachlage kann die geringste, selbst unfreiwillige Indiskretion meinerseits Ihnen zum Schaden ausschlagen. Die Post ist nirgends zuverlässig. Ich sage daher lieber nichts mehr, bis wir wieder mit voller Sicherheit miteinander korrespondieren können. Mit herzlicher Teilnahme der Ihrige F.E.
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 15. Juli
Werter Herr, Entschuldigen Sie meine lächerliche Vergeßlichkeit, Ihnen die Adresse von Herrn Lafargue nicht gegeben zu haben. Sie ist P. Lafargue 60, Avenue des Champs Elysees Le Perreux Seine-France.
Das erwähnte Buch und die andere wichtige Arbeit über die gleiche Frage von Tooket264], von der ich ebenfalls zufällig eine Doublette habe, wird Ihnen morgen zugesandt werden. Ihr sehr ergebener P.W.R[osherVU]
Aus dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 17. Juli 89
Lieber Sorge, Unser Kongreß sitzt und ist ein brillanter Erfolg.[265] 358 Delegierte bis vorgestern, und noch immer neue am Kommen. Über die Hälfte Ausländer, darunter 81 Deutsche aus allen Staaten und Stäätchen und Provinzen außer Posen. Das erste Lokal schon am ersten Tag zu klein, das zweite schon am zweiten, ein drittes wurde gesucht. Die Sitzungen, trotz einzelner französischer Einwendungen (sie dachten, in Paris würden die Possibilisten1171 ein größres Publikum haben und deshalb sitze man besser geschlossen), auf einstimmiges Verlangen der Deutschen - einzige Sicherheit vor Mouchards1 durchweg öffentlich. Ganz Europa vertreten. Mit nächster Post wird der „Soz[ial]dem[okratl" die Zahlen nach Amerika bringen. Schottische und deutsche Bergleute aus den Kohlendistrikten kommen dort zum ersten Mal zur gemeinsamen Beratung/2661 Die Possibilisten haben 80 Ausländer (42 Briten, davon 15 Social Democratic Federation[731, 17 Trades Unions), 7 Ostreich-Ungarn (kann nicht • | l _ 1 C L ' J 1 1* 1* L. D l .. • . VISI rnenr als Dciiwindei sein, aie ganze WIIKÜCUC juewegung aort ist mit uns), 7 Spanier, 7 Italiener (3 Repräsentanten von italienischen Gesellschaften im Ausland), 7 Belgier, 4 Amerikaner (2 davon, Bowen und Georgei aus Washington DC, waren bei mir), 2 Portugiesen, 1 Schweizer (nomine par lui-meme2), 1 Pole. Fast alles Trades Unionisten. Daneben 477 Franzosen, die aber nur 136 Chambres Syndicales3 und 77 cercles d'etudes socialistes4 vertreten, jede kleine Clique kann nämlich 3 Delegierte schicken, während unsre 180 Franzosen jeder eine besondre Gesellschaft vertreten. Der Verschmelzungsschwindel bei beiden Kongressen natürlich sehr stark; die Fremden wollen Verschmelzung, die Franzosen in beiden Fällen halten zurück. Die Verschmelzung unter rationellen Bedingungen ist ganz gut, aber der Schwindel besteht im Geschrei nach Verschmelzung ä tout prix von seiten einiger der Unsern. Polizeispitzeln - 8 durch sich selbst nominiert-3 Syndikatskammern -4 sozialistische Gruppen
Soeben aus dem „Sozialdemokrat]" erfahren, daß Liebk[necht]s Verschmelzungsantrag wirklich mit großer Majorität angenommen. Worin er besteht, ob er eine wirkliche Verschmelzung auf Grund privater Verhandlungen bedeutet oder nur einen abstrakten Wunsch, der zu solchen leiten soll, ist leider aus dem Brief nicht zu ersehn. Die deutsche Gemütlichkeit ist über solche Kleinigkeiten erhaben, indes bürgt mir die Tatsache, daß die Franzosen ihn akzeptiert, hinreichend dafür, daß keine Blamage gegenüber den Possibilisten vorliegt. Weiteres werde ich erst nach Postabgang erfahren können, wohl erst morgen. Übrigens erfährst Du wahrscheinlich das wesentliche ebenso früh als ich, da Avelings mit dem Pariser ,,N[ew]-Y[ork] Herald"-Mann darüber Arrangements abgeschlossen wegen cabling5. Ich schicke Dir heute „Reynolds's"6 von Samstag und „Star" von Montag - alles, was bis jetzt hier in der Presse Wesentliches erschienen. Weiteres am Samstag. Die Intrige der Possibilisten und Social Democratic Federation, sich die leitende Stellung in Frankreich und England respektive zu erschleichen, ist jedenfalls total gescheitert und ihre Prätension auf internationale Leitung noch mehr. Wenn die beiden Kongresse nebeneinander nur den Zweck erfüllten, die Streitkräfte aufmarschieren zu lassen - der possibilistischen und Londoner Klüngler hier, der europäischen Sozialisten (die, dank jenen, als Marxisten figurieren) dort - und damit vor der Welt zu zeigen, wo die wirkliche Bewegung konzentriert ist und wo der Schwindel, so reicht das hin. Natürlich wird die wirkliche Verschmelzung, wenn sie zustande kommt, keineswegs die Fortdauer des Krakeels in England und Frankreich verhindern, im Gegenteil. Sie wird nur eine imposante Demonstration für das große Bourgeoispublikum bedeuten, einen Arbeiterkongreß von über 900 Mann, und von den zahmsten Trades Unions bis zu den revolutionärsten Kommunisten. Und sie wird den Klünglern für die nächsten Kongresse das Handwerk ein für allemal gelegt haben, denn diesmal haben sie gesehn, wo die wirkliche Macht liegt, daß wir ihnen in Frankreich gewachsen, auf dem ganzen Kontinent überlegen sind und daß ihre Stellung auch in England sehr wackelt. Schlüters Brief habe ich erhalten und antworte ihm nächstens. Hoffe, sein Geschäft geht gut und daß das amerikanische Klima seiner Frau gut bekommt. Grüß Deine Frau herzlich. Schorl[emmer] kommt heute abend. Nächste Woche kommt Adler7 aus Wien von Paris herüber. 0 •
5 telegraphischer Berichterstattung - 6 „Reynolds's Newspaper" - 7 Victor Adler
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Mount Desert
T . . & London, 20. Juli 89 Lieber borge, In meinem Letzten vergaß ich, Dich zu bitten, wo möglich Hartmann wegen des Artikels der „Evening News and Post" zu interpellieren. Können wir zwei Zeilen von seiner Hand bekommen, daß die Sache erlogen ist und er nicht in Europa war, so wäre das für hier wichtig.[267] Nämlich, 1. Bismarck versucht, den Zar1 an sich zu fesseln durch Entdeckung angeblicher Komplotte gegen dessen Leben. 2. Diese spielten bis jetzt in der Schweiz, da aber die Schweiz alle möglichen Komplotteure ausgewiesen, muß der Sitz nach London verlegt werden. 3. Dazu dient der Mouchard2 Carl Theodor Reuß, der schon früher in der „Evening News" seine Dynamitlügen abgelagert. 4. Diese neuste Reußiade ist von Berlin aus allen deutschen Blättern zutelegraphiert. Können wir die Geschichte direkt enthüllen, so gibt's einen netten Skandal hier. Gestern abend Deins vom 7. er. erhalten. Ich verlange von Wisch[newetzky] speziell keine Satisfaktion dafür, daß er mich nicht besucht hat das tut mir nicht weh. Wenn er Dir also humble-pie ißt3, und so ist's mir recht. Ich war nicht bei der Frau4, sie fühlt sich beleidigt, dafür besucht er mich nicht, und damit wäre die Sache ausgeglichen. Wenn die Leute das auch so ansehn, bin ich's gern zufrieden. Natürlich, wenn sie mehr verlangen , kann ich ihnen nicht dienen. Da ich aber mit der Frau Geschäftssachen zu erledigen haben werde, ist's immer besser, man ist wenigstens on speaking terms5, näher werde ich sie mir so bald nicht wieder kommen lassen, soviel kenne ich sie jetzt auch. Es sind zwei eitle Narren. Ouf! die Versöhnungsblase in Paris ist geplatzt. Welches Glück, daß die Possibilisten und Social Democratic Federation in richtiger Erkenntnis ihrer 1 Alexander III. - 2 Polizeispitzel - 3 sich bei Dir also entschuldigt - 4 siehe vorl. Band, S. 96 - 5 man spricht wenigstens miteinander
Lage es vorzogen, den Unsern einen Tritt zu versetzen, der dem Schwindel ein Ende machte. Die Sache war vorbereitet de longue main6, wie eine ganze Reihe jetzt verständlicher Manöver und Äußerungen dieser Herren seit 2 Monaten beweisen. Es ist die alte bakunistische Verleumdung gegen den Haager Kongreß [249]etc„ als hätten wir stets mit falschen Mandaten operiert. Diese stets von Brousse seit 1883 wieder aufgewärmte Verleumdung mußte hier wieder vorhalten, sobald sie sahen, daß sie von allen Sozialisten verlassen waren und sich nur durch die Trades Unions retten konnten.*2683 Wie ihre Mandate beschaffen, wird sich nun wohl auch während der jetzt entbrennenden wütenden Polemik zeigen. Leider zieht dieser alte Dreck, der schon 1873 nicht ziehen wollte, heute erst recht nicht mehr; aber es mußte was gefunden werden, die kolossale Blamage zu verdecken, die den Herren passiert war. Recht aber ist es unsern sentimentalen Versöhnungsbrüdern, daß sie für alle ihre Freundschaftsbeteurungen diesen derben Tritt auf den Allerwertesten erhalten. Das wird sie wohl auf einige Zeit kurieren. Neue Blätter kann ich Dir erst mit nächster Post senden (Wochenblätter, worin Aveling schreibt, die aber erst heut abend und morgen kommen), Briefe aus Paris hab' ich seit Dienstag nicht einen. Gratuliere zu dem losgeeisten Posten wegen Lingenau.[2691 Daran war nur L[ie]bk[necht] schuld, Bebel ist ordentlich und exakt in solchen Sachen. Mount-Desert wird Dir wohl guttun, ich werde jetzt auch bald ans Wasser gehn. Herzliche Grüße an Deine Frau und Schlüters. Dein F. E.
Schorlemmer, der seit vorgestern hier, grüßt Euch beide herzlich.
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevent
London, 20. Juli 1889
Lieber Freund Martignetti, Auf Ihren Brief vom 14. dieses kann ich Ihnen nur antworten, daß meine Hülfsmittel nur beschränkt und dabei von sehr vielen Seiten in Anspruch genommen sind. Wenn der Plan mit Buenos Aires ausgeführt wird, kann ich daher unmöglich die Verpflichtung übernehmen, Ihre Existenz zu garantieren, bis Sie sich eine neue Existenz gegründet haben. Ich will Ihnen aufrichtig sagen, was ich noch weiter tun kann. Ich kann Ihnen noch fünf Pfund Sterling zur Verfügung stellen, und wenn es sich um eine sehr wichtige Sache handelt, will ich versuchen, Ihnen noch weitere fünf, also zusammen zehn Pfund zu schicken. Damit wären dann aber auch meine Mittel auf längere Zeit hinaus erschöpft und ich außerstande gesetzt, mehr für Sie zu tun. Ich hoffe, daß Ihnen in der Appell-Instanz Gerechtigkeit wird und bleibe aufrichtigst
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Mount-Desert
4, Cavendish Place Eastbourne, 17. Aug. 89
Lieber Sorge, Briefe vom l.Aug. erhalten. Wir sind also beide in der Sommerfrische, die hier in ziemlich viel frischem Regen besteht. Blätter kann ich nicht schicken, derlei wird mir von London nur unregelmäßig nachgeschickt. Nur „Labour Elector". Dies Blatt wird jetzt wichtig. Nämlich gegründet von Champion gegen Hyndman, aber mit verdächtigen Geldern (von Liberal Unionist[2701 Seite) gehalten und daher auch arg toryfreundlich und albern antiirisch, so daß man sich damit sehr in acht nehmen mußte, es war aber verdächtig und schon so verrufen als tory-socialist12711, daß kein Mensch mehr es kaufte. Das brachte aber die Revolution zustande. Die Torygelder schienen alle geworden zu sein, und so sah Champion - ein au fond1 ebenso unzuverlässiger Bursch wie Hyndman - sich genötigt nach langem Widerstreben die Offerten eines Comites anzunehmen (Burns, Bateman (Typograph), Mann (Engineer), Cunninghame-Graham), wonach dieses Comite Eigentümer und Ch[ampion] sein absetzbarer Redakteur wird. Die Namen des Comites bürgen für Abbruch aller Verbindungen mit andern Parteien und deren Geldern, und das Blatt hebt sich zusehends, soll sich schon fast decken. Der Tory- und antiirische Blödsinn hat aufgehört, dagegen hat das Blatt uns in der Kongreßgeschichte12651 vortreffliche Dienste geleistet. Der Plan der Bande Hyndman und Co. war, die Mandate des Marxistenkongresses als gefälscht zu verdächtigen, daher ihre unannehmbare Fusionsbedingung.*2681 Es war die alte bakunistische Taktik von anno Tobak und speziell auf England berechnet. Daß die Sache auf dem Kontinent nicht ziehn würde, war klar, war ihnen aber auch egal; zog es nur hier in England, so waren sie auf einige Zeit in ihrer Position gesichert - und hier hatten sie
alle Chancen. Aber unsre energische Offensive hat dem Ding ein jähes Ende gemacht - Bums' und meine Artikel12721 (über die östreichischen Mandate) im „Labour Elector" haben ihnen, denk ich, alle Lust benommen, weiter auf Mandatsanzweifelung zu rekurrieren, die Possibilisten haben's eben selbst so toll getrieben, daß da nichts zu wollen ist. Es ist nun Aussicht, daß sich eine lebensfähige sozialistische Organisation hier bildet, die der Social Democratic Federation1731 allmählich den Boden entzieht oder sie aufsaugt. Mit der League1741 ist nichts zu machen, es sind lauter Anarchisten, und Morris ist ihre Gliederpuppe. Der Plan ist, in den demokratischen und radikalen Klubs1451 - our recruiting grounds here2 - und den Trades Unions Achtstundenagitation zu machen und die 1. Mai-1890-Demonstration zu organisieren. Da diese letztere auf unserm Kongreß beschlossen, so muß die Social Democratic Federation entweder sich anschließen - d.h. sich unsern Beschlüssen unterwerten - oder opponieren und sich damit kaputtmachen. Wie Du aus dem „Ljabour] E[lector]" siehst, ist die Bewegung unter den Trades Unions endlich ausgebrochen, und mit Broadhurst, Shipton und Co. scheint's rasch zu Ende zu gehn. Ich glaube, bis nächstes Frühjahr machen wir hier sehr große Fortschritte. Die Russen sind fortwährend stark am Mogeln. Erst die armenischen ätrocities3, dann welche an der serbischen Grenze. Dann das den Serben mit der laterna magica gezeigte großserbische Reich und die Andeutung der Notwendigkeit einer serbischen Militärkonvention mit Rußland. Jetzt die kretischen Krawalle, die sonderbarerweise damit anfingen, daß die kretischen Christen sich untereinander totschlugen, bis der russische Konsul es fertigbrachte, sie zum Massakrieren von Türken zusammen und unter einen Hut zu bringen. Und die dumme türkische Regierung schickt den Schakir Pascha nach Kreta, der 8 Jahre türkischer Gesandter in Petersburg war und dort von den Russen gekauft wurde! Diese ganze kretische Geschichte hat unter andern den Zweck, die Engländer am Abschluß einer Allianz mit Preußen11511 zu verhindern. Darum wurde sie grade losgelassen, als Wilhelm Aer^am12731 - damit Gladstone wieder in Philhellenismus machen und die Liberalen sich für die kretensischen Hammeldiebe begeistern können, Wilhelmchen wollte den Russen „über" sein, den Griechen Kreta als Morgengabe seiner Schwester12741 zuschustern, durch den Zauber seiner Gegenwart den Sultan4 zur Abtretung bringend; aber die Russen haben ihm wieder mal gezeigt, daß er gegen sie ein purer dummer Junge ist: wenn Griechenland Kreta bekommt, dann von Rußlands Gnaden.
Dank für Nachricht wegen Hartmann. Näheres sehr erwünscht, ich möchte diesem preußischen Lügendepot in der „Evening News" ein Ende machen.[267] Daß Dein Sohn eine Stelle annehmen will, ist sehr vernünftig, ich wollte, mein Neffe Rosher5 wär' auch dahin zu bringen. Diese jungen Herren glauben alle, die Welt wäre mit Geld besäet, wir Alten seien nur zu dumm, es aufzuheben. Bis sie dann den Sachverhalt verstehn lernen, kostet es eine Masse Geld. Herzliche Grüße an Dich und Deine Frau. Schorljemmer] ist Mittwoch von hier nach Deutschland. Dein F. E.
5 Percy Rosher
17 Marx/Engels, Werke, Bd .37
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
4, Cavendish Place, Eastboume 17. August 89
Lieber Liebknecht, Ich habe die Beantwortung Deines Briefs vom 19. 4. bis nach dem Kongreß verschoben, weil vorher doch auf keine Verständigung zu rechnen war; unsre Wege gingen eben alle fingerlang auseinander. Auch jetzt übergehe ich alle Deine Versuche, Deine Unterlassungssünden andern Leuten auf die Kappe zu schieben. Du sagst: der Vorwurf, daß ich „wie gewöhnlich" auch in der Kongreßangelegenheit „durch unvorhergesehene Umstände" an der Erfüllung meiner Pflicht verhindert worden sei, ist mehr als eine Grobheit - er ist eine schwere Beleidigung usw. Eine Beleidigung kannst Du aus meinen Worten nur machen, wenn Du ihren Sinn verdrehst, aus dem Passivuni, daß Dir sehr gewöhnlich etwas Gewisses passiert, ein Aktivum machst, daß Du Dir dies Gewisse absichtlich angewöhnt hast. Dann verwandelst Du den Vorwurf einer Schwäche in den einer Böswilligkeit und hast die Beleidigung glücklich fertiggebracht. Daß es Dir aber sehr gewöhnlich passiert, nicht zu Hause zu sein, wenn man Dich beim Wort halten oder von Dir etwas haben will, was sich eigentlich von selbst versteht, das solltest Du doch endlich selbst gemerkt haben. Wie war es mit der Avelingschen Geschichte in Amerika?t46] Anfangs, unter dem unmittelbaren Eindruck der von der New-Yorker Exekutive begangnen Gemeinheit, schriebst Du: „Die New-Yorker sind Aveling eine Ehrenerklärung schuldig, ich werde sie von ihnen verlangen, und wenn sie sich auf die Hinterbeine stellen, trete ich öffentlich gegen sie auf." Später aber, als es darauf ankam, dies Wort einzulösen, sah es ganz anders aus: Du schriebst eine Erklärung, die nicht gehauen und nicht gestochen war, die dem Aveling kein gut und den New-Yorkern kein Weh tat, - unvorhergesehene Umstände! Und erst gelinder Druck meinerseits brachte Dich zu einer Erklärung, die wenigstens einen Teil des Versprochnen enthielt.
Selbst Dein Brief vom 19. 4. muß einen neuen Beweis liefern. Dein Schwiegersohn1 gibt unter Deckung durch Deinen Namen als Herausgeber eine Sammlung Schriften heraus. Du, der Du ihn doch kennst, vertraust ihm Auswahl, Redaktion, kurz, die ganze Leitung an. Das Unvermeidliche passiert. Es erscheint, mit Deinem Namen gedeckt, eine Schundschrift von einem mehr als zweideutigen Lumpazius, eine wahre Sauerei, worin dieser unwissende Lumpazius sich zum Verbesserer von Marx aufwirft.1200J Diese Sauerei wird den deutschen Arbeitern durch Deinen Namen als Herausgeber auf dem Titelblatt als bildende Lektüre im Sinn unsrer Partei empfohlen. Daß eine solche Sauerei irgendwo erscheint, ist natürlich ganz gleichgültig und würde nicht verdienen, daß man davon spricht. Daß sie aber von Dir herausgegeben, unter Deiner Ägide erscheint, als von Dir gebilligt und empfohlen (denn was sonst bedeutet Dein Name darauf?) - das ist das Unerträgliche. Natürlich hat Dein Schwiegersohn Dich geprellt, absichtlich hättest Du das nie getan. Aber jetzt - wo Deine erste Pflicht ist, diese Sauerei abzuschütteln, zu erklären, Du seist schmählich hintergangen worden, und unter Deinem Namen werde kein Bogen mehr davon erscheinen— wie da? Da schreibst Du mir eine ganze Seite lang von den unvorhergesehnen Umständen, die Dich daran verhindern. Wozu also die sittliche Entrüstung darüber, daß ich dies Gewöhnliche auch einmal beim Namen nenne? Ich bin ohnehin nicht der einzige, der es gemerkt hat. Und ist hier jemand beleidigt, so bin ich es weit eher als Du. Welche Schritte Du weiter in der Schlesingerschen Sache getan, davon weiß ich bis jetzt nichts. Aber eins weiß ich: Wenn Du die Herausgabe der Schl[esingerschen] Sauerei einstellst, so kann ich die Sache einschlafen lassen. Erscheint aber Fortsetzung resp. Schluß unter Deinem Namen, so bin ich es Marx schuldig, dagegen öffentlich zu protestieren. Hoffentlich läßt Du es nicht dahin kommen, ich bin überzeugt, dieser Dir aufgedrängte Wechselbalg liegt Dir selbst schwer genug im Magen. Und Du wirst doch selbst einsehn, daß Du Herrn Geiser nicht erlauben kannst, Deine ganze Parteistellung, die Frucht vierzigjähriger Arbeit, für ein Linsengericht zu verschachern. Ich bin seit 14 Tagen hier und bleibe wohl noch die erste Septemberwoche hier — im selben Hause wie damals, als Du nach Amerika gingst12755. Herzliche Grüße. Dein F.E.
1 Bruno Geiser 17*
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Engels an Eduard Bernstein in London12763
4, Cavendish Place Eastboume, 22. Aug. 89
Lieber Ede, Wer ist Paul Fischer? Er will meinen alten Artikel aus „Progress"1 für die „Bjerlinerj Vfolks-] Tribüne" übersetzen. Da ich dazu Noten machen, also als direkter Mitarbeiter der „V[olks-iTr[ibünej" erscheinen müßte, habe ich Bedenken, die ich durch aufschiebende Antwort bis zu meiner Rückkehr in der Schwebe halte. Du solltest in nächster Nr.2 den Dock Labourers Strike[277] vornehmen. Die Sache ist von der höchsten Wichtigkeit für hier. Das Ostend war bisher in passiver Elendsversumpfung - die Widerstandslosigkeit der durch Hunger Gebrochnen, der absolut Hoffnungslosen war seine Signatur. Wer da hineingeriet, war physisch und moralisch verloren. Da kommt voriges Jahr der siegreiche Strike der Matchgirls.*2783 Und nun dieser Riesenstrike der Verkommensten der Verkommenen, der dock labourers, nicht der ständigen, starken, geübten, relativ gut bezahlten und regelmäßig beschäftigten, sondern der zufällig an die Docks verschlagnen, der Pechvögel, die in allen andren Zweigen Schiffbruch gelitten, der professionellen Hungerleider, dieser Masse gebrochner, dem totalen Ruin entgegentreibender Existenzen, für die man an die Docktore Dantes Wort schreiben könnte: lasciate ogni speranza, voi che' entrate!3 Und diese dumpfverzweifelnde Masse, die sich jeden Morgen bei Eröffnung der Docktore buchstäblich Schlachten liefert um den Vortritt zu dem Kerl, der die Arbeiter engagiert - buchstäbliche Schlachten des Konkurrenzkampfs der überzähligen Arbeiter untereinander diese zufällig zusammengewürfelte, täglich wechselnde Masse bringt es fertig, sich 40000 Mann stark zusammenzutun, Disziplin zu halten und den mächtigen Dockgesellschaften Angst einzujagen. Das erlebt zu haben, macht mir Freude. Wenn diese Schicht organisationsfähig ist, dann
1 „Das Buch der Offenbarung" - 2 „Der Sozialdemokrat" - 3 laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!
ist das eine große Tatsache. Wie auch der Strike enden möge - ich bin darin nie sanguin4 im voraus mit den Dockarbeitern tritt die tiefste Schicht der Arbeiter des Ostends ein in die Bewegung, und da müssen die höherliegenden Schichten dem Beispiel folgen. Das Ostend hat die größte Masse der einfachen Arbeiter in England, derjenigen, deren Arbeit kein oder fast kein Geschick erfordert. Organisieren sich diese bisher von den Trades Unions der gelernten Arbeiter mit Verachtung behandelten Schichten des Proletariats in London, so ist das Beispiel für die Provinz gegeben. Und noch mehr: Wegen des Mangels an Organisation, wegen des passiven Dahinvegetierens der wirklichen Arbeiter des Ostends führte dort bisher das Lumpenproletariat das große Wort, gerierte sich und galt als der Typus und Repräsentant der Million Hungerleider des Ostends. Das wird jetzt aufhören. Der Höker und seinesgleichen wird in den Hintergrund gedrängt werden,der Ostendarbeiter wird seinen eignenTypus entfalten können und durch Organisation zur Geltung bringen, und das ist für die Bewegung enorm viel wert. Szenen, wie damals bei Hyndmans Zug durch Pall Mall und Piccadilly[279], werden dann unmöglich, der Lumpazius, der sein Mütchen kühlen will, wird einfach totgeschlagen. Kurz, es ist ein Ereignis. Und wie selbst die lumpige „Daily News" die Sache behandelt! Daran sieht man den Donnereffekt. Es ist, was bei uns der Grubenarbeiterstreik[231J war: eine neue Schicht tritt ein in die Bewegung, ein neues Armeekorps. Und der Bourgeois, der vor 5 Jahren noch geflucht und geschimpft hätte, muß jetzt verzagten Beifall klatschen, während ihm und weil ihm der Allerwerteste mit Grundeis geht. Hurra! Was Du im Anarchistenartikel über den Parlamentarismus und seinen Verfall sagst, ist das einzig richtige. Hab' mich sehr gefreut. Hier so so - wackliges Wetter - bin infolge übermäßigen Gehens wieder etwas lahm und daher teetotal5 trotz Julius6 - aber Tee darf ich abends auch nicht trinken wegen der Nerven, so daß ich doch statt Tee ein Glas Bier trinke - aus teetotallismus! Grüß Deine Frau und Kinder und alle Freunde. Dein F. E.
4 zuversichtlich - 5 abstinent - 6 wahrscheinlich Julius Motteier
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Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
4, Cavendish Place Eastboume, 22. Aug. 1889
Lieber Hermann, Den Kontokorrent dankend erhalten, er wird wohl richtig sein. Willst Du so gut sein, inliegende Zeilen dem jungen oder wohl jetzt alten Caspar1 zu überschicken, ich weiß nicht, wo er wohnt, Krefeld oder Barmen. Wie ich von R. Blank höre, den ich vor 8 Tagen hier traf, soll es mit den Vermögensverhältnissen der Leute nicht besonders stehn, das sollte mir leid tun. Ich bin seit 14 Tagen hier, habe aber leider mehr Regen, als ich brauchen kann. Seitdem die Engländer im August Flottenmanöver abhalten, ist das Wetter dieses Monats total verdorben, und gestern wurde das Wort des alten Lieds hier zur Wahrheit: Am 21.August soeben Kam ein Spion bei Sturm und Regen, ,„:„!•', 'J [280j UC11WU 1 O UVILI X X 1114.^11 UHU ^IGL O 111111 CS. 11 UOVV« Infolgedessen sind denn auch heut morgen drei große Kriegsschiffe hier vorbeigefahren, wir warten aber noch immer auf die berühmte Seeschlacht, die sich vor unsern Augen im Kanal ereignen soll. Ich werde wohl noch 14 Tage-3 Wochen hier bleiben, wenn es nicht zu arg regnet, denn Nach Hause kann ich auch nicht hin, da sind nämlich die Weißer, Tapezierer, Anstreicher und andres Volk und machen drei Viertel der Räume unbewohnbar, und wenn man sie erst im Hause hat, weiß niemand, wann man sie wieder los wird. Das kommt davon, daß in England die große Industrie das Handwerk ruiniert hat, aber nichts an seine Stelle zu setzen gewußt. Die Deutschen haben schon lange nicht
1 Caspar Engels
mehr das Privilegium allein, schlechte Ware für gutes Geld zu liefern, die Londoner können das ganz brillant. Das ist doch in Amerika ganz anders. Ich glaube, für den gewöhnlichen, alltäglichen Geschäftsverkehr, wo keine Spekulation hineinkommt, ist Amerika das solideste Land der Welt, das einzige, wo man noch „gute Arbeit" geliefert bekommt. Hoffentlich seid Ihr alle wohl. Grüße Emma2 und die Kinder und Kindeskinder sowie das übrige Engelskirchen herzlich. Dein alter Friedrich
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
4, Cavendish Place Eastboume, 27. Aug. 89
Meine liebe Laura, Das Briefeschreiben an der See ist nahezu eine Unmöglichkeit, ich dachte, Du wüßtest das längst. Und wenn, wie in meinem Falle, eine Menge Leute, die ich nie gesehen habe, sich scheinbar verschworen haben, mich mit Briefen, Besuchen, Anfragen, Bitten aller Art zu überfallen, wird die Unmöglichkeit zur vollendeten Tatsache. Osterreichische Studentenklubs, ein Wiener „Wahrheits"-Sucher, der wissen möchte, ob er nicht lieber Hegel verschlingen sollte (lieber nicht, antworte ich), ein rumänischer Sozialist in propria persona1, ein unbekannter Mann aus Berlin, jetzt in London usw. usw., sie alle sind auf einmal über mich hergefallen, und alle erwarteten sie, daß man sich ihnen sofort widmet. So, mit sechs Menschen um mich in einem Zimmer, wohin sie nur zu oft vom Regen getrieben werden, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich von Zeit zu Zeit in mein Schlafzimmer zurückzuziehen und es in mein „Büro" zu verwandeln. Du hattest Deine Erlebnisse mit Seraphine» Nim hatte ihres mit Ellen. Was erfahrene Leute seit langem bei Ellen vermutet haben, wurde eines Morgens vom Doktor als ein seit sechs Monaten auf dem Weg Befindliches gemeldet, und zwar auf dem Weg, auf dem alles Fleisch in die Welt kommt, und sie mußte deshalb weggehen - einen Monat, bevor wir hierherkamen. Wenn wir zurückkommen, werden wir eine Neue einstellen - vielleicht eine Schlechtere. Ich freue mich, daß faul auf seiner Wahlreise*2811 ist und noch dazu mit Mitteln seiner Mama. Von den drei für Marseille Aufgestellten könnte einer, vielleicht zwei durchkommen; ich hoffe, Paul wird einer davon sein. Aber auf jeden Fall ist es ein deutlicher Schritt nach vorn, einmal als Kandidat für die Partei aufgestellt worden zu sein, und es erleichtert weitere Schritte; besonders bei einer im Aufstieg begriffenen Partei, wie es die
1 eigener Person
unsrige gegenwärtig in Frankreich unzweifelhaft ist, bedeutet einmal Kandidat zu sein im allgemeinen, immer Kandidat zu sein. Ich hoffe sehr, daß der Boulangismus bei den nächsten Wahlen ein Fiasko erleben wird. Uns könnte nichts Schlimmeres passieren als selbst ein succes d'estime2 dieses Humbugs, der zumindest das offensichtliche Dilemma verlängern könnte: entweder Boulanger oder Ferry - ein Dilemma, welches allein jedem der beiden Schurken Lebenskraft gibt. Wenn Boulanger ordentliche Hiebe bezieht und seine Anhänger mehr oder weniger auf die Bonapartisten reduziert werden, würde das beweisen, daß dieser bonapartistische Hang im französischen Charakter - erklärbar aus dem Erbe der großen Revolution - allmählich ausstirbt. Und mit dem Verschwinden dieser Erscheinung würde die reguläre Entwicklung der französischen republikanischen Evolution reprendre son cours3; die Radikalen1861 würden sich mit ihrer neuen Inkarnation Millerand allmählich ebenso diskreditieren wie mit der Inkarnation Clemenceau, und die besseren Elemente unter ihnen gingen zu uns über; die Opportunisten1611 würden den letzten Vorwand für ihre politische Existenz verlieren, nämlich daß sie zumindest Verteidiger der Republik gegen Prätendenten seien; die von den Sozialisten eroberten Freiheiten würden nicht nur erhalten, sondern allmählich erweitert werden, so daß unsere Partei in einer besseren Lage wäre, ihren Kampf durchzufechten, als irgendeine andere auf dem Kontinent; und die größte Kriegsgefahr wäre beseitigt. Wer wie die Boulanger-Blanquisten[282] glaubt, man könnte durch Unterstützung Boulangers ein paar Sitze im Parlament erlangen, gleicht diesen einfältigen purs, die ein Dorf niederbrennen würden, um ein Kotelett zu braten. Es ist zu hoffen, daß diese Erfahrung Vaillant guttun wird. Er weiß ganz genau, was für eine Sorte von Kerlen die Mehrzahl der Blanquisten ist, und seine Illusionen darüber, was aus solchem Material gewonnen werden kann, müssen einen schweren Stoß erlitten haben. Hyndmans Kampagne in puncto Verdächtigung der marxistischen Mandate12681 scheint völlig gescheitert zu sein. Burns' Eröffnungen waren ein geschickter Schlag, und unsere weiteren Enthüllungen, besonders über die Mandate der possibilistischen Österreicher12721, taten das übrige. Diese Leute wissen gar nicht, in welchem Glashaus sie selbst sitzen. Und da in Frankreich die Possibilisten sich in dieser Frage scheinbar ruhig verhalten haben (diese Burschen sind - in ihrem kleinen Maßstab weitaus klüger als Hyndman und Co -,) so besteht keine Notwendigkeit mehr, den Sieg weiter
2 Achtungserfolg - 3 wieder ihren Lauf nehmen
zu betreiben, wenn nicht neue Versuche unternommen werden. Der ganze Trick war für den britischen Markt berechnet, und dort ist er fehlgeschlagen - cela suffit4. Dann gibt es die Entschließung über die 1. Mai-Demonstration. Das ist das Beste, was unser Kongreß vollbracht hat. Das wird hier in England gewaltig ins Gewicht fallen. Die Hyndmanbande wagt nicht, dagegen aufzutreten; wenn sie es tut, ruiniert sie sich selbst, wenn sie es nicht tut, muß sie unseren Fußtapfen folgen; mögen sie wählen. Eine andere Sache von höchster Wichtigkeit ist der Streik der Dockarbeiter.[277] Sie sind, wie Du weißt, die elendsten aller miserables5 vom East End, die Verkommensten aus allen Berufen, die niedrigste Schicht vor dem Lumpenproletariat6. Daß diese armen, hungernden, niedergebrochenen Geschöpfe, die sich jeden Morgen Schlachten liefern um den Vortritt zur Arbeit, sich zum Widerstand zusammentun, mit 40-50 000 Mann in den Ausstand treten, praktisch jeden Zweig im East End, der irgendwie mit der Schiffahrt verbunden ist, nach sich in den Streik ziehen, über eine Woche ausharren und den reichen und mächtigen Dockgesellschaften Angst einjagen würden - das ist ein Erwachen, das erlebt zu haben7 mir Freude macht. Und sie haben selbst bürgerliche Meinungen auf ihrer Seite: die Kaufleute, die durch diese Unterbrechung des Handels schwer zu leiden haben, klagen nicht die Arbeiter, sondern die widerspenstigen Dockgesellschaften an. So daß sie, wenn sie noch eine Woche ausharren, des Sieges so gut wie sicher sind. Und dieser ganze Streik wird von unseren Leuten organisiert und geführt, von Bums und Mann, und die Hyndmaniten sind nirgends. Meine liebe Laura, ich bin so ziemlich sicher, daß Ihr Geld benotigt, und ich hätte inliegend einen Scheck geschickt, wenn ich nicht selber knapp wäre. Mein Bankguthaben zeigt niedrigste Ebbe: eine Dividende von etwa £ 33, gewöhnlich um den 18. August fällig, ist noch nicht eingezahlt worden, und Edward hat bis zum Ende dieses Monats £ 15 geborgt, da er stark in der Klemme war. Deshalb habe ich kaum Bewegungsfreiheit, aber sobald ich eine Geldsendung erhalte, werde ich es überweisen, spätestens am nächsten Montag, ich hoffe jedoch früher. Domela8 wird völlig unverständlich. Ist er nach allem vielleicht nicht Jesus Christus, sondern Jan van Leiden? le prophete de Meyerbeer9? Vegetarismus und Einzelhaft scheinen am Ende sonderbare Resultate hervorzubringen.
4 das genügt - 5 Elenden - 6 in der Handschrift deutsch: Lumpenproletariat - 7 in der Handschrift deutsch: erlebt zu haben - 8 Domela Nieuwenhuis - 9 der Prophet von Meyerbeer
Edward und Tussy werden nach Dundee gehen, um über den TradeUnion-Kongreß[283] zu berichten, und wir werden dann die Jungen10 inzwischen hierhaben. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
[Eastbourne] I.Sept. 1889, Sonntag
Meine liebe Laura, Gestern spätabends bekam ich Nachricht von meiner Bank, daß die lang erwartete Dividende von £ 36 eingezahlt worden ist, und ich beeile mich daher, Euch einen Scheck über £ 30 zu schicken. Zehn davon sind die zweite Hälfte der Summe, die ich Paul für seine Wahlunkostent2811 versprochen habe und nach der er sich in einem Brief erkundigte, der am letzten Freitag aus Cette hier ankam. Seine Aussichten in der Stadt scheinen gut zu sein, doch Cette ist nur klein, und die Stimmen auf dem Lande werden entscheiden - ich hoffe, in den nächsten Tagen mehr von ihm zu hören. Wollen wir das Beste hoffen. Kann nicht viel schreiben, da es Sonntag ist und unsere Leute dauernd ein- und ausgehen; muß außerdem an Tussy schreiben wegen des Streiks[277], der sich gestern in einer ernsten Krise befand. Da die Dockdirektoren stur blieben, wurden unsere Leute zu einer ganz unsinnigen Entscheidung verleitet. Sie hatten ihre Hilfsmittel verausgabt und mußten kundtun, daß am Samstag den Streikenden keine Unterstützung ausgezahlt werden könne. Um das akzeptabel zu machen - so fasse ich das zumindest auf erklärten sie, wenn die Dockdirektoren bis Samstag mittag nicht nachgegeben haben, würde am Montag Generalstreik sein, wobei man hauptsächlich von der Annahme ausging, daß die Gaswerke aus Mangel an Kohle, Arbeitern oder beidem stillstehen und London im Dunkeln lassen würden. Diese Drohung sollte sie alle dazu zwingen, den Forderungen der Arbeiter nachzugeben. Nun, das hieße va banque spielen, bei dem £ 1000 eingesetzt werden, um möglicherweise £ 10 zu gewinnen; das hieße mehr androhen als sie ausführen könnten; das hieße Millionen hungrige Mäuler schaffen, nur weil sie einige Zehntausende haben, die sie nicht ernähren können; das hieße, sich mutwillig all die Sympathien der Kaufleute und sogar der großen Masse der Bourgeoisie verscherzen, die alle die Dockmonopolisten haßten, die sich jetzt aber sofort gegen die Arbeiter wenden würden; es war tatsächlich eine
derartige Deklaration der Verzweiflung und ein so verzweifeltes Spiel, daß ich sofort an Tussy schrieb12843: wenn darauf hartnäckig bestanden wird, brauchen die Dockgesellschaften nur bis zum Mittwoch auszuhalten, und sie werden siegreich sein. Glücklicherweise haben sich unsere Leute eines Besseren besonnen. Sie zogen nicht nur ihre Drohung „einstweilen" zurück, sondern kamen sogar dem Verlangen der Werftbesitzer (in gewissem Sinne Konkurrenten der Docks) nach und setzten ihre Forderungen auf Erhöhung der Löhne herab, auch das wurde wieder zurückgewiesen von den Dockgesellschaften. Dies, denke ich, wird ihnen den Sieg sichern. Die Drohung mit dem Generalstreik wird jetzt eine heilsame Wirkung haben, und die Großzügigkeit der Arbeiter, sowohl das Zurückziehen der Drohung wie die Bereitschaft zu einem Kompromiß, wird ihnen neue Sympathien und Hilfe sichern. Am Freitag werden wir nach London zurückkehren. Schorl[emmer] ist vor ungefähr vierzehn Tagen nach Deutschland abgereist; wo er sich jetzt aufhält, was er macht und welches seine Absichten sind, weiß ich nicht. Was Boulanger betrifft, so zeigt sich seine Schwäche in seiner Wahltaktik: er nimmt Paris und überläßt den Monarchisten die ganze Provinz. Das müßte seine zähesten Anhänger eines Besseren belehren, wenn sie noch Republikaner sein wollen. Paul schreibt mir, ein Marseiller Boulangist habe ihm bekannt, daß B[oulanger] von der russischen Regierung 15 Millionen erhalten hat. Das erklärt den ganzen Schwindel. Die russische Dynastie, jetzt mit den Orleans durch Dänemark verwandt*2853, wünscht eine Restauration der Orleans, und zwar eine durch Rußland zustande gebrachte, denn dann wären die Orleans ihre Sklaven. Und nur mit einem monarchischen Frankreich kann der Zar1 ein sicheres Bündnis haben, wie er es für einen langen Krieg mit zweifelhaften Aussichten braucht. Um das zustande zu bringen, wird B[oulanger] als Werkzeug benutzt. Wenn er als Sprungbrett für die Monarchie erfolgreich ist, wird er zu gegebener Zeit abgefunden oder, wenn nötig, aus dem Wege geschafft werden, denn die russische Regierung wird in diesem Fall nicht die Skrupel haben wie unsere Sozialisten: „denn die abzumurksen, ist uns Wurscht"2, ist ihr Motto. Was Millerand angeht, so glaube ich, daß Du recht hast. In seiner Zeitung3 gibt es bei allen Ansätzen eines Radikalismus einen Ton der Schwäche, halber Verzagtheit und vor allem so viel von der Milch der Menschenliebe (so abgestanden sie ist, hat sie doch nicht das Zeug in sich, um sauer zu werden), daß sie selbst bei
1 Alexander III. - 2 in der Handschrift deutsch: „denn die abzumurksen, ist uns Wurscht" 3 „La Voix"
einem Vergleich mit „La Justice", wie ich diese Zeitung einmal gekannt habe, Mitleid erregt, vermischt mit einem Schuß Verachtung. Und das wollen die Nachfolger der alten französischen Republikaner, les fzls des heros de la rue Saint-Mery4, sein!1561 Immer Dein F.E.
Herzliche Grüße von Nim und der ganzen Gesellschaft hier.
Aus dem Englischen.
4 die Söhne der Helden der Rue Saint-M6ry
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 9. Sept. 89
Meine liebe Laura, Heute habe ich die angenehme Aufgabe, Dir einen Scheck über £ 14.6.8 zu schicken, ein Drittel Anteil der Überweisung Meißners von £ 43; die Abrechnung folgt. Eine vierte Auflage des Bandes I1 steht bevor, vielleicht beginnen wir sie vor Neujahr zu drucken. Tussy war gestern hier mit Liebknecht, seinem Sohn und seiner Tochter Gertrud, Singer, Bernstein, Fischer usw. usw. Sie steht noch immer bis über die Ohren in dem Streik12771. Die Vorschläge des Lord Mayors2, Kardinal Mannings und des Bischofs von London3 waren zum Lachen günstig für die Dockgesellschaften und hatten gar keine Chance, angenommen zu werden. Jetzt ist die Zeit der meisten Arbeit, von Weihnachten bis April wird in den Docks nahezu überhaupt nicht gearbeitet, so daß die Verschiebung der Lohnerhöhung bis Januar in Wirklichkeit bedeuten würde, sie bis April hinauszuschieben. Du wirst Liebk[necht] in ungefähr einer Woche in Paris haben, das heißt, wenn Du noch da bist. Und auch seine Frau und ein oder zwei mehr von der Familie. Domela4 und seine Holländer scheinen an ihrer neuen Linie festzuhalten. Noch ein Beweis dafür, daß die kleinen Nationen in der sozialistischen Entwicklung nur eine sekundäre Rolle spielen können, während sie erwarten, daß man ihnen die Führung zugesteht. Die Belgier wollen den Gedanken niemals aufgeben, daß ihre zentrale Lage und ihre Neutralität ihnen offenkundig die Bestimmung verleiht, der zentrale Sitz der künftigen Internationale zu sein. Die Schweizer sind und waren immer Philister und Kleinbürger, die Dänen sind ebenso geworden, und es muß sich noch erweisen ob Trier, Petersen und Co. sie aus dieser ihrer gegenwärtigen Stagnation herausbringen können. Und jetzt fangen die Holländer genauso an. Keiner von ihnen kann und wird vergessen, daß in Paris[265] die Deutschen und
1 des „Kapitals" - 2 Henry Aaron Isaacs - 8 John Lubbock - 4 Domela Nieuwenhuis
Franzosen den Weg bestimmten und daß es ihnen nicht gestattet wurde, mit ihren kleinlichen Sorgen den Kongreß für sich in Anspruch zu nehmen. Das macht jedoch nichts; es besteht jetzt mehr Hoffnung auf ein gemeinsames Vorgehen der Franzosen, Deutschen und Engländer, und wenn die Ideinen Babies Krach machen, nous en ferons cadeaux aux possibilistes5. Liebk[necht] ist jetzt fürchterlich antipossibilistisch, sagt, sie hätten sich als Schurken und Verräter erwiesen, und es wäre unmöglich, mit ihnen zu arbeiten. Woraufhin ich ihm sagte, daß wir das schon seit sechs Monaten wüßten und ihnen - ihm und seiner Partei - das gesagt hätten, doch hätten sie es besser gewußt. Er steckte das stillschweigend ein. Er ist sich seiner Unfehlbarkeit keineswegs mehr so sicher wie sonst - wenigstens zeigt er es nicht, wenn es anders sein sollte. Sonst ist er persönlich das Gegenteil von dem, was er in der Korrespondenz ist - er ist der alte, joviale, sich mit jedermann schnell bekannt machende Liebknechi. Doch ich muß schließen. Ich habe die beiden Jungen6 hier, die von dem Brief des kleinen Marcel7 entzückt waren. Sie sind im Zoo gewesen und wollen ihrem eher8 Papa9 schreiben, und ich muß den Schreibtisch räumen. Viel Erfolg für Paul in Cher - ich habe sein Schicksal in Cette voll und ganz erwartet, da die Stadt zu klein ist, um von den 74 Dörfchen nicht überstimmt zu werden, welche den circonscription10 bilden.12811 Grüße von Nim. Herzlich Dein F. E.
Aus dem Englischen.
5 werden wir sie den Possibilisten schenken - 6 Jean und Edgar Longuet - 7 Marcel Longuet 8 lieben - 9 Charles Longuet -10 Wahlkreis
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Engels an Karl Kautsky in Wien
London, 15. Sept. 89 T., , 122, Regent's Park Road, N.W. Lieber Kautsky, Ich benutze den Sonntagmorgen, Dir zu schreiben, was ich längst hätte tun sollen - aber die Störungen! Erst Kongreß12653 und Nachzügler, dann Eastboume, wo die Nachwehen des Kongresses mich in Gestalt von Briefen aller Art hinverfolgten, dabei die sechs Menschen in einem Zimmer, keine Ruhe und Besinnung. Dann hieher, um Paul1 und den Soldaten2 nebst 2 Kindern3 ejusdem hier zu finden, der Dockstrike12773 etc. Endlich heut morgen ein Stündchen Ruhe, die beiden Longuets-Jungen4, die bei mir sind, stören mich nicht. Daß Dein Verhältnis zu Louise dieses negative Ende genommen, hat uns allen, Nim, Tussy, Edward, mir, unendlich leid getan. Daran ist nun nichts zu ändern. Ihr zwei seid allein kompetent, und was Ihr gutheißt, müssen wir andern akzeptieren. Was ich aber nicht begreife - ich begreife überhaupt gar nichts in dieser Geschichte -, ist, daß Du in einem fort von „Mitleid" sprichst, Du habest für Louise nur noch „Mitleid". Louise hat sich in dieser ganzen Sache mit einem solchen Heroismus und einer solchen Weiblichkeit benommen, daß wir alle sie nicht genug bewundern können. Wenn in dieser Angelegenheit überhaupt jemand zu bedauern wäre, so wäre es sicher nicht Louise. Ich bleibe dabei, Du hast einen Streich gemacht, den Du eines Tages bereuen wirst. Wie ich schon Adler5 sagte, kann diese Wendung Eures Verhältnisses nichts daran ändern, was ich Dir wegen des Ms. des IV. Bandes11553 vorschlug6. Die Arbeit muß gemacht werden, und Du und Ede seid die einzigen, denen ich sie anvertrauen kann. Die Archivgeschichte1243 ist, wie Paul sagt, nun auch geregelt, und so wirst Du wohl im Winter wieder herkommen, wo wir dann Weiteres besprechen und einleiten können. Wegen des verdammten Kongresses habe ich seit Februar am III.Band7 nichts tun können, und jetzt kommt mir noch dazwischen, daß eine 4.Auflage des I.Bandes nötig 1 Paul Singer - 2 Wilhelm Liebknecht - 3 Gertrud und Theodor Liebknecht - 4 Jean und Edgar Longuet - 5 Victor Adler - 6 siehe vorl. Band, S. 143/144 - 7 des „Kapitals"
18 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
wird und ich diese erst erledigen muß. Das ist keine große Arbeit, aber wenn man nur 3 Stunden täglich am Pult arbeiten darf, verschleppt's doch ziemlich. Und dann stehn die 2 Monate ewige Nacht und Nebel bevor. Aus Petersburg wurde mir geschrieben, daß die „Revue du Nord"8 („Sjevernoje obozrenie"?) Deine „Klassengegensätze in Frankreich" übersetzt und diese großes Aufsehn in Rußland gemacht haben. Wenn Du herkommst, werde ich Dir einige Winke geben, wie Du vielleicht in Rußland Geld herausschlagen kannst für Artikel. Deine Artikel über die Bergarbeiter in Thüringen sind das Beste, was Du noch gemacht, wirkliches, die entscheidenden Punkte erschöpfendes Studium, und zwar auf einfache Erforschungen der Tatsachen, nicht wie bei der Bevölkerungsgeschichte und der Urfamiliengeschichte auf Bestätigung einer vorgefaßten Meinung gerichtet. Daher kommt auch etwas Wirkliches dabei heraus. Die Arbeit klärt ein wesentliches Stück der deutschen Geschichte auf, es sind einige kleine Lücken hie und da in der Entwicklungskette, aber das ist nicht wesentlich. Mir ist dabei erst recht klar geworden (was ich aus Soetbeer[2861 nur undeutlich und unbestimmt erfaßt), wie sehr die Gold- und Silberproduktion Deutschlands (und Ungarns, dessen Edelmetall dem ganzen Westen via Deutschland vermittelt wurde) das letzte treibende Moment war, das Deutschland 1470-1530 ökonomisch an die Spitze Europas stellte und damit zum Mittelpunkt der ersten bürgerlichen Revolution, in religiöser Verkleidung der sog. Reformation, machte. Das letzte Moment in dem Sinn, daß es zu der relativ hohen Zunfthandwerks- und Zwischenhandelsentwicklung kam und damit für Deutschland gegenüber Italien, Frankreich, England den Ausschlag gab. L[ie]bk[necht] hat jetzt eingesehn, daß mit den Possibilisten nichts zu wollen ist, wenn man mit ihm spricht, ist er lange nicht mehr so sicher seiner selbst wie sonst wohl, und namentlich, wenn er schreibt. Es ist ein Glück, daß die Possibilisten ablehnten, denn die Vereinigung beider Kongresse hätte zu Keilerei, Mord und Totschlag geführt, und die Blamage wäre enorm geworden. Die Kampagne der Possibilisten und Social Democratic Federation in puncto Mandatsverdächtigung der Unsem ist jämmerlich gescheitert.12681 Nicht nur, daß Adlers Enthüllungen über die possibilistischen Östreichert287] zermalmend waren (hier im „Labour Elector"), sondern was hier noch mehr wirkte, die Esel hatten den Burns zur Mandatsprüfungskommission zugelassen, und dieser zergliederte im „L[abour] Eflector]" die Mandate der Social Democratic Federation unbarmherzig.12721 Hyndman
8 „Sewerny Westnik"
vertrat 28 Mann! Die ganze Federation angeblich nur 1925 Mann, in Wirklichkeit nicht die Hälfte! Trades Union Congress*2831 war Broadhursts letzter Sieg. Der Dockstrike hielt Burns, Mann und Bateman hier, die einzigen, die genau über die Anklagen gegen Broadh[urst] Bescheid wußten, das kam Broadh[urstl zugunsten; aber der Kongreß war präpariert, alles aufgeboten, um nur Trades Unionists von der alten Sorte dort zu haben, und das war diesmal noch möglich. Trotzdem starke Symptome der Auflösung des Alten. In Dänemark hat die alte Parteileitung sich bei der Kongreßsache arg blamiert, und die Opposition, Trier, Petersen etc., gewinnen stark Terrain.*2171 Ihr solltet Euch den Trier für die; „A[rbeiter]-Z[eitung]M als Korrespondent engagieren: Gerson Trier, Ahlefeltsgade 16, Kopenhagen. Der Dockstrike ist gewonnen. Das größte Ereignis in England seit den letzten Reformbills*2881, Anfang einer vollständigen Revolution im East End. Die allgemeine Sympathie der Presse und selbst des Philisters erklärt sich 1. aus dem Haß gegen die Dockmonopolisten, die, statt ihr verschleudertes, nicht existierendes Kapital abzuschreiben, Schiffsreeder, Kaufleute und Arbeiter schinden, um Dividenden darauf zu ermöglichen; 2. aus dem Bewußtsein, daß die Dockers Wähler sind und kajoliert werden müssen, wenn die 16-18 Ostenddeputierte liberalen und konservativen Schlags wiedergewählt sein wollen (was ihnen nicht passiert, diesmal gibt's Arbeiterdeputierte). Entschieden haben den Sieg die £ 14 000 aus Australien: die australischen Arbeiter halten sich dadurch einen plötzlichen Massenimport von englischen Arbeitern vom Halse. Burns, Champion, Mann, Tillett haben sich Lorbeeren erworben, die Social Democratic Federation war nowhere9. Der Strike ist für England, was der Kohlengräberstrike*2311 für Deutschland: Eintritt einer neuen Schicht, einer Riesenarmee, in die Arbeiterbewegung. Wenn wir jetzt an dem Krieg vorbeikommen, kann's bald lustig werden. Guesde in Marseille, Lafargue in Saint Amand (Cher) Kandidat. Herzliche Grüße an Adler. Dein F. Engels
Da ich nicht weiß, ob Du Deine Igelwohnung*2891 noch hast, schick' ich dies an Adler, dessen Adr. sicher. Von „Arb[eiter-lZ[ei]t[un]g" nur Nr. 1 und Nr.4 erhalten. Lebt sie noch? Erhaltet Ihr den „Labour Elector"? Ich schick* Dir eine Nr.
9 nirgends
18*
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken12901
Dank für ,,V[olks]z[eitung]" etc. Die Revolution im Glas Wasser, die sich bei Euch ereignet hat, ist sehr heiter.12911 Womöglich Anfang der Besserung. Die Nemesis marschiert langsam, aber sicher, und die Ironie der Geschichte bringt es mit sich, daß dieselben Leute, die sich gegen die Masse der Partei, besonders des Westens, stets auf die New-Yorker stützten, grade von den New-Yorkern gestürzt werden. Von dem Russen kein Wort gehört. Seine Postkarte mit Nächstem zurück.12671 Daß ich nur per Postkarte schreibe, kommt von der vielen Arbeit. Hier, von Eastbourne zurück, empfing mich die Nachricht, daß 4. Auflage „Kapital" I.Band nötig. Dazu werden nur wenige Änderungen und Zusatznoten nötig, diese müssen aber um so sorgfältiger ausgesucht und bearbeitet werden und der gedruckte Text genau durchgesehn, damit keine Sinnverdrehung durchschlüpft. Auch müssen die Hinweise auf Buch III jetzt präzisiert werden. Der Dockstrike12771 war grandios. Tussy hat schwer mitgearbeitet, der TSjpi'rf nur dif» Stplliinu rlif» cif» sirk rlarlurrh opmarkt linrlit srlinn ssrt schiednen Ecken hervor. Ich schicke Dir den Artikel von Harney, der im „Labour Elector" zitiert.12921 Der alte Kerl liegt 12 Meilen von hier, war im August am Draufgehn, ist aber besser. Lenchen dankt für „Kalender"1 und läßt grüßen. In Frankreich hat Guesde Chance bei Stichwahl.1281 ^Leider bin ich noch ohne genaue Nachrichten über die Wahlen. Beste Grüße an Deine Frau und Schlüters. T> • L/ein F.E. [London] 2Ö./9./89 Die Nationalzeitung2 von Boston (Nr. 1-5) dankend erhalten. Sind die hiesigen „Fabians".12931
1 „Pionier. Illustrirter Volks-Kalender" — 2 „Nationalist"
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 3. Okt. 89
Mein lieber Lafargue, Nach allem ist unsere Partei die einzige, die in den Wahlen12813 einen Machtzuwachs zu verzeichnen hat. Wir zählen - und unsere Informationen sind sehr unvollständig - 60 000 Stimmen für unsere Kandidaten, d.h. für die Kandidaten der auf unserem Kongreß*2651 vertretenen Gruppen, und über 19 000 Stimmen, die wahrscheinlich uns gehören (die Kandidaten, die weder Possibilisten noch „Radikalsozialisten" sind), die wir uns jedoch ohne neue Nachrichten nicht anzueignen wagen. Aber wie kommt es, daß man uns hier ohne andere Informationen über die Wahlstatistik läßt und wir nur auf die bürgerlichen Zeitungen angewiesen sind, aus denen wir unmöglich die Position all dieser unbekannten Kandidaten erkennen können? Wie sollen wir wissen, welche Stimmenzahl uns gehört, wenn die Zeitungen die Kandidaten nur in der unbestimmtesten Art und Weise klassifizieren? Denn mir scheint doch, daß die deutschen und englischen Sozialisten es wohl verdienen, über Eure Tätigkeit auf dem laufenden gehalten zu werden, da Ihr keine Zeitung habt, die es ihnen mitteilt. Und Ihr wißt, daß wir hier alle bereit sind, im Interesse Eurer Partei zu arbeiten und daß wir das immer und mit allen unseren Kräften getan haben; aber wenn die Herren Franzosen sich nicht die Mühe machen wollen, uns über die cosas de Francia1 unterrichtet zu halten, sind wir machtlos, und viele von uns werden die Lust zu einer Arbeit verlieren, wenn diejenigen, für die sie gemacht wird, sie so wenig schätzen. Schicken Sie uns also nach der Stichwahl so schnell wie möglich eine vollständige Liste der sozialistischen Kandidaten, die zu den auf unserem Kongreß vertretenen Gruppen gehören, sowie der anderen Sozialisten (wenn es sie gibt), die weder Possibilisten noch Radikalsozialisten sind, mit der Stimmenanzahl, die jeder von ihnen beim 1. Wahlgang und bei der Stichwahl erhalten hat. Wir können uns hier nicht der Gefahr aussetzen, daß
1 französischen Angelegenheiten
unsere Angaben von Hyndman und Co. in Abrede gestellt werden, und das würde der Fall sein, wenn wir uns wieder auf unsere eigenen Informationsquellen beschränken müßten. Ihr habt auf dem Kongreß einen Nationalrat12941 gebildet, der verschiedene Beschlüsse gefaßt hat. Keiner von Euch hat es für nötig gehalten, uns ein Wort davon zu sagen; wenn ich es nicht zufällig im Madrider „Socjjalista1" gelesen hätte, wäre es weder im deutschen „Soz[ialldem[okrat]" noch im „Labour Elector", und auch das erst zwei Monate nach dem Ereignis, veröffentlicht worden. Ihr müßt selbst einsehen, daß Ihr durch eine derartige Handlungsweise den Possibilisten und ihren Freunden hier das Spiel zu leicht macht. Ich habe an Bebel geschrieben, damit man etwas Geld für die Wahl von Guesde schickt, deren Wichtigkeit ich vollkommen anerkenne.*2951 Ich hoffe, daß man dem zustimmen wird, aber man muß berücksichtigen, daß die Deutschen schon 500 fr. für den Kongreß gegeben haben, 1000 für Saint-Etienne*2961, 900 für den Kongreßbericht*2971 (dessen erste Lieferung denen, die sie gemacht haben, nicht gerade zur Ehre gereicht; sie haben sich, das kann man wohl sagen, sehr große Mühe gegeben, die Namen zu verstümmeln), 2500 für die Schweizer Zeitung2, für die sie außerdem noch mehr als 3500 fr. bereithalten. Das macht 8400 fr., die für internationale Zwecke bewilligt wurden, und das am Vorabend ihrer eigenen allgemeinen Wahlen*2981! Und nach all diesen Opfern beleidigt Herr Jaclard sie ohne jeden Grund in der „Foix", indem er sie Maschinen nennt, die auf Kommando abstimmen!*2991 Als ob es die Schuld der Deutschen wäre, daß die Pariser Arbeiter entweder Possibilisten oder radikale Cadettisten*1311 oder Boulangisten oder gar nichts sind! Es scheint, daß in den Augen des Herrn jaclard die Fähigkeit der Deutschen, sich einem Mehrheitsbeschluß zu fügen und gemeinsam zu handeln, schon an sich eine Beleidigung für die Herren Pariser darstellt und daß es, wenn Paris auf der Stelle tritt, den anderen verboten ist, vorwärtszumarschieren! Aber wenn ich mich recht erinnere, ist Herr Jaclard Blanquist und muß daher Paris als heilige Stadt, als Rom und Jerusalem zugleich betrachten. Um auf die Wahlen zurückzukommen. Wenn es stimmt, daß Guesde und Thivrier Chancen haben, und wenn sie durchkommen, werden wir in der Kammer viel besser placiert sein als die Possibilisten. - Baudin scheint sicher, dann sind da noch Cluseret, Boyer, Basly, von denen der eine oder andere durchkommen wird, und mit 4 oder 5 von ihnen könnte Guesde
2 „Arbeitstag: Der achtstündige Arbeitstag"
eine Gruppe bilden, die nicht allein auf die Kammer und das Publikum Eindruck machen, sondern auch die Possibilisten in eine komische Lage bringen wird. Es war gerade das Nebeneinander unserer Abgeordneten und der Lassalleaner im Reichstag3, das mehr als jeder andere Umstand die Einigung der beiden Gruppen erzwang, d.h. die Kapitulation der Lassalleaner.13005 Ebenso würde unsere Gruppe die stärkste sein und schließlich die Dumay und Joffrin in ihre Einflußsphäre zwingen, so daß die possibilistischen Führer die Wahl hätten, entweder zu kapitulieren oder abzutreten. Vorläufig ist das noch Zukunftsmusik. Aber sicher ist: der Boulangismus liegt in extremis*. Und das scheint mir sehr wichtig. Das war der dritte Anfall des bonapartistischen Fiebers: der erste mit einem echten, und großen Bonaparte, der zweite mit dem unechten Bonaparte5, der dritte mit einem Mann, der nicht einmal ein unechter Bonaparte, sondern einfach ein unechter Held war, ein unechter General, durch und durch unecht, und die Hauptsache an ihm war sein schwarzes Roß. Aber sogar mit diesem Scharlatan von Abenteurer war die Sache gefährlich - Sie wissen das besser als ich; doch der akute Anfall, die Krise ist vorbei, und wir können hoffen, daß das französische Volk kein Cäsarenfieber mehr haben wird. Das ist ein Beweis dafür, daß seine Konstitution robuster geworden ist als 1848. Aber die Kammer ist gewählt worden gegen den Boulangismus, und das wird sie noch spüren; dieser negative Charakter wird ihr anhaften, und ich bezweifle, ob sie bis zu ihrem natürlichen Ende lebensfähig sein wird. Wenn sich die Mehrheit nicht wenigstens selbst davon überzeugt, daß eine Revision der Verfassung notwendig ist, wird sie bald von einer neuen Kammer mit revisionistischer, aber antiboulangistischer Mehrheit abgelöst werden. Sie werden die Zusammensetzung der neuen Mehrheit besser kennen als ich und können mir sagen, ob ich mich irre. Aber ich glaube, hätte es keine boulangistische Episode gegeben, so gäbe es schon jetzt eine revisionistisch-republikanische Mehrheit oder wenigstens eine starke Minderheit. Alles dies, wenn es keinen Krieg gibt. Die Niederlage des humbug6 von Portland Place[3011 wird ihn wenigstens hinauszögern; andererseits aber drängen die verstärkten Rüstungen aller Mächte zum Krieg, und wenn es Krieg gibt, dann, sozialistische Bewegung, lebe wohl für einige Zeit! Wir werden überall zermalmt, desorganisiert, der Ellbogenfreiheit beraubt werden. Frankreich, an den Karren Rußlands gespannt, könnte sich nicht rühren, müßte auf jeden revolutionären Anspruch verzichten oder liefe
3 iii der Händschrift deutsch: Reichstag - 4 in den letzten Zügen - 5 Napoleon III. 6 Schwindlers
sonst Gefahr, seinen Verbündeten ins andere Lager übergehen zu sehen; die Kräfte wären auf beiden Seiten ungefähr gleich, und England wäre das Zünglein an der Waage. Das gilt für die nächsten zwei oder drei Jahre; aber wenn der Krieg später ausbricht, wette ich, daß die Deutschen auf der ganzen Linie geschlagen werden; denn in 3 - 4 Jahren hat der junge Wilhelm7 alle guten Generale durch Günstlinge ersetzt, Dummköpfe oder falsche Genies wie jene, welche die Österreicher und die Russen bei Austerlitz13021 anführten und die in ihren Taschen Rezepte für militärische Wunder haben. Und von solchen wimmelt es jetzt in Berlin; sie haben viele Chancen hochzukommen, denn der junge Wilhelm ist selber einer von ihnen. Umarmen Sie Laura von Nim und mir. Ich schreibe ihr bald.
Freundschaftlichst Ihr
Aus dem Französischen.
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig (Entwurf)
[London] 3. Okt. 89
Lieber L[iebknecht], An Bebel habe ich sofort nach Erhalt der Gewißheit, daß Guesde in der Stichwahl12813, d.h. gestern vor 8 Tagen, sehr dringend geschrieben.13033 Was beschlossen wurde, weiß ich nicht. Deinen Brief von Paris betreffend, bleibe ich in Beziehung auf Dein Verhalten in Beziehung auf den Kongreß im März und April1 ebenso fest bei meiner Meinung wie Du bei der deinigen. Es ist also nutzlos, über Vergangnes zu zanken. Was die Schlesingeriade[2003 angeht, so wird es mich sehr freun, wenn Du sie glücklich wieder loswerden solltest. Inzwischen hast Du gesehn, daß die Sache doch nicht so zu vertuschen ist, und hast eine Erklärung erlassen müssen, die mich sehr freut.[304] Hättest Du sie gleich erlassen, so war uns beiden diese unangenehme Korrespondenz erspart. Ich weiß so gut wie Du, und Du weißt so gut wie ich, daß es keineswegs bloß Kautsky und ich waren, die es für einen Skandal ansahen, daß Dein Name so einer Schrift von so einem schoflen Kerl zur Deckung diente. Jedenfalls überhebt Deine Erklärung mich der Notwendigkeit, dies Machwerk selbst zu kritisieren. Gekennzeichnet aber muß und wird es werden, grade weil Dein Name unglücklicherweise darauf geraten ist, und zwar nicht bloß als Verleger, sondern als Herausgeber. Auch ich sehe Guesdes Wahl für höchst wichtig an. Die Wahlen sind, was die Stimmzahl angeht, sehr günstig für uns ausgefallen, ich rechne 60000 heraus, die uns (den auf unserem Kongreß Vertretenen) sicher, und 18000 weitere, die uns wahrscheinlich gehören. Gegen etwa 43000 possibilistische in ganz Frankreich. Baudin scheint sicher, ferner Boyer, Cluseret und Ferroul, daneben noch ein paar, die gute Aussichten haben. Kommt dazu Guesde, so wird er das Zeug haben, sie alle um sich zu gruppieren. Dann kommen die Possibilisten Joffrin und Dumay in die Lage wie 1874
die Lassalleaner im Reichstag, und dann, aber auch nur dann kann davon die Rede sein, mit ihnen zu verfahren, wie mit den Lassalleanern in Deutschland verfahren wurde; und es ist Bedingung des Erfolgs, daß sie bis dahin als Feinde behandelt und vermöbelt werden, daß sie die Macht der Unsern respektieren lernen. jedenfalls ist der Boulangismus kaputt und wird vermutlich bei den Stichwahlen noch mehr Hiebe bekommen, falls nicht die abgeschmackte Annullierung der Stimmen in Montmartre1305] ihm wenigstens in Paris neuen Anhang schafft. Wenn dann die russischen Gelder ausbleiben, wird le brave General2 von Portland Place nach Soho ziehn oder ein paar Zimmer bei Leßner mieten müssen. Grüß Deine Frau und Theodor3. Dein
8 der tapfere General - 3 Theodor Liebknecht
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 8. Okt. 89
Meine liebe Laura, Was für eine melancholische Gesellschaft unsere französischen Freunde doch sind! Weil Paul und Guesde nicht erfolgreich waren, scheinen sie an allem zu verzweifeln, und Paul denkt, je weniger über diese Wahlen gesprochen wird, um so besser! Nun, ich halte die Wahlergebnisse nicht für eine deroute1, sondern für einen verhältnismäßigen Erfolg, der es Wert ist, sowohl in England wie in Deutschland registriert zu werden. Beim ersten Wahlgang hatten wir zwischen 60 und 80000 Stimmen, was völlig ausreicht für den Beweis, daß wir nahezu doppelt so stark sind wie die Possibilisten*171, und während von ihnen nur zwei Leute2 (wovon einer3 sterbenskrank) gewählt wurden, haben wir Baudin, Thivrier, Lachize und auch Cluseret und Ferroul, die wohl oder übel mit den ersten dreien gemeinsame Sache machen müssen; das macht fünf gegen zwei und wird bei geschickter Führung ausreichen, um die beiden Possibilisten in eine wirklich unmögliche Lage zu bringen. Aber sowohl in England wie in Deutschland wird die Wirkung nicht durch die Anzahl der eroberten Sitze erzielt, sondern durch die Anzahl der abgegebenen Stimmen. Darf ich Dich also bitten, dafür zu sorgen, daß wir für den „Labour Elector" und den „Sozialdemokrat]" so bald wie möglich, sagen wir nicht später als bis nächsten Montag morgen, doch wenn möglich schon vorher, eine Liste der Stimmen erhalten, die beim ersten und zweiten Wahlgang für unsere Kandidaten abgegeben worden sind. Paul wird das droit a la paresse*3061 gewiß nicht so weit treiben, um uns das bißchen Arbeit zu verweigern. Natürlich ist Guesdes Niederlage eine Schlappe, aber während ich es für notwendig hielt, alles zu tun, um sie zu verhindern, habe ich nach den 1445 Stimmen au premier tour4 niemals so recht an seinen Erfolg geglaubt. Mit dem, was man nicht ändern kann, müssen wir uns abfinden. Es ist für
1 Niederlage - 2 Jean-Baptiste Dumay und Jules-Frangois-Alexandre Joffrin - 3 Joffrin 4 im ersten Wahlgang
uns weitaus vorteilhafter, la Boulange5 losgeworden zu sein. Boulange in Frankreich und die irische Frage in England sind die beiden großen Hindernisse auf unserem Wege, die beiden Nebenfragen, welche die Bildung einer unabhängigen Arbeiterpartei hemmen. Jetzt, wo Boulanger hinweggefegt ist, ist der Weg in Frankreich frei. Und gleichzeitig ist der monarchistische Angriff auf die Republik mißlungen. Das bedeutet allmählichen Übergang des Monarchismus von dem Boden einer praktischen Politik zum Boden einer von Sentiments getragenen Politik, Annäherung der Monarchisten an den Opportunismus[61], Bildung einer neuen konservativen Partei aus beiden und Kampf dieser konservativ-bürgerlichen Partei gegen die Kleinbürger und Bauern (Radikalen1861) und gegen die Arbeiterklasse; ein Kampf, in welchem die Sozialisten aus der Arbeiterklasse bald die Oberhand über die Radikalen gewinnen werden, besonders, nachdem diese sich selbst der« artig diskreditiert haben. Ich erwarte nicht, daß alles in dieser einfachen, klassischen Form verläuft, doch die innere Logik der Entwicklung in Frankreich wird sicherlich alle Nebendinge und Hindernisse überwinden, um so mehr, als beide Formen einer antiquierten (nicht einfach bürgerlichen) Reaktion - Boulangismus und Monarchismus - so wirksam geschlagen worden sind. Und alles, was wir verlangen können, ist, daß alle diese Nebendinge beseitigt werden und das Feld frei wird für den Kampf der drei großen Gruppen der französischen Gesellschaft: bourgeois, petits bourgeois et paysans, ouvriers6. Und das, glaube ich, werden wir erreichen. Nun ist Ferry weg, und ich glaube, Mutter Crawford hat recht, wenn sie ihn als ein Hindernis selbst für seine eigene Partei betrachtet.[307] Kolonialabenteuer werden nicht langer den ^^eg versperren, und die Respektierung der Traditionen des Ferryismus wird die Bildung einer neuen bürgerlichen Partei nicht hemmen. Deshalb verzweifle ich überhaupt nicht, im Gegenteil, ich sehe in dem Ergebnis der Wahlen einen deutlichen Fortschritt, eine sehr bestimmte Klärung der Lage7. Natürlich werdet Ihr anfangs eine konservative Regierung haben; doch nicht eine solche, wie Ihr sie hattet, die Regierung nur einer bestimmten Schichi der Bourgeoisie. Die Opportunisten waren genauso nur eine Gruppe der französischen Bourgeoisie, wie es die satisfaits[3081 von Louis-Philippe und Guizot waren: diese waren die haute finance8, die anderen sind die Schicht, die danach strebt, die haute finance zu werden. Nun werdet Ihr zum ersten Male eine wirkliche Regierung der gesamten
5 die Boulange - 6 Bürger, Kleinbürger und Bauern, Arbeiter - 7 in der Handschrift deutsch: eine sehr bestimmte Klärung der Lage - 8 Hochfinanz
Bourgeoisie bekommen. In den Jahren 1849/51 bildete die rue de Poitiers[309] unter Thiers auch eine Regierung der gesamten Klasse der Bourgeoisie; aber das geschah durch einen Waffenstillstand zwischen zwei sich bekämpfenden monarchistischen Parteien und war seiner ganzen Natur nach passager9. Jetzt werdet Ihr eine bekommen, die basiert auf der Hoffnungslosigkeit, die Republik stürzen zu können, auf deren Anerkennung als unvermeidlichen pis aller10 und die daher eine bürgerliche Regierung ist, die das Zeug dazu hat, bis zu ihrem endgültigen Zusammenbruch zu bestehen. Die Zersplitterung der französischen Bourgeoisie in so viele Gruppen, Fraktionen und Parteien war es, die das Volk so oft getrogen hat. Ihr stürzt eine Gruppe, sagen wir die haute finance, und denkt, die gesamte Bourgeoisie wäre gestürzt; aber Ihr habt lediglich eine andere Gruppe zur Macht gebracht. Es gibt 1. die legitimistischen oder vornehmlich monarchistischen Grundeigentümer, 2. die alte haute finance aus der Zeit LouisPhilippes, 3. die zweite Garnitur der haute finance aus dem Zweiten Kaiserreich, 4. die Opportunisten, die zum größten Teil noch ihr Glück machen müssen, 5. die industrielle und Handelsbourgeoisie, hauptsächlich in den Provinzen, die, selbst verstreut und ohne ein gemeinsames Zentrum, gewöhnlich Anhänger praktisch jeder Gruppe sind, die sich gerade an der Macht befindet. Nun, sie alle werden sich jetzt als „Gemäßigte" und „Konservative" vereinigen müssen, werden ihre alten Losungen und Parteiparolen, die sie getrennt haben, fallenlassen müssen und zum ersten Male als eine une et indivisible11 Bourgeoisie handeln. Und diese concentration bourgeoise12 wird der eigentliche Sinn aller concentrations republicaines et autres13 sein, von denen neuerdings so oft die Rede ist, und es wird ein großer Fortschritt sein, der allmählich zu einer Zersplitterung der Radikalen und zu einer wirklichen Konzentration der Sozialisten führt. Uff, das ist jetzt genug über diesen verdammten Gegenstand. Heute abend erwarte ich Longuet hier und werde von seinen Lippen Weisheit schöpfen. Es tut mir leid, daß er geschlagen wurde, da es für ihn persönlich eine sehr wichtige Sache war. Von Sam Moore keine Nachricht, seitdem er Sierra Leone passiert hat. Tussy hat versucht, seinen Bruder aufzusuchen, doch kann ihn zu Hause nicht antreffen. So wissen wir nicht, ob seine Familie von ihm gehört hat. Nim hat den ganzen Sommer lang für Euren Garten mit dem Gemüse und dem Obst geschwärmt; und ich habe den speziellen Auftrag, Euch zu sagen,
9 vorübergehend - 10 Notbehelf - 11 einige und unteilbare - 12 bourgeoise Konzentration 13 republikanischen und anderen Konzentrationen
daß sie sehnsüchtig ihren Anteil an Birnen, Weintrauben und anderen guten Dingen erwartet, die jetzt reif sein werden. Würdest Du bitte Paul den inliegenden Scheck von £ 20 überreichen. Immer Dein alter F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken12901
Hiermit wie gewöhnlich „Labour Elector" und „Commonweal". Die „International Review" soll bereits verstorben sein, so rasch hat Hyndman sie abgewirtschaftet. Dagegen ist Bax in Unterhandlung wegen einer andern Revue1, erhält er sie, so wird Aveling wahrscheinlich sein Unterredakteur. Die New-Yorker Revolution12911 wird immer amüsanter, die Versuche von Rosenb[erg] und Co., sich ä tout prix oben zu erhalten, sind erheiternd, aber glücklicherweise auch nutzlos. Deine Korrespondenz mit den Nationalisten im „W[orkmen's] Afdvocate]"13101 hat mich gefreut, erstens, weil man darin den alten Sorge auf 10 Meilen weit erkennt, und zweitens, weil es wieder ein öffentliches Lebenszeichen von Dir ist. Ich weiß nicht, ob ich Dir geschrieben, daß Sam Moore im Juni nach Asaba am Niger (Afrika) gegangen ist als Oberrichter im Gebiet der englischen Niger-Kompagnie. Gestern erhielt ich den ersten Brief von dort, er findet das Klima sehr gut und anscheinend gesund, die Hitze nicht groß, 75°F morgens, 81-83° nachmittags. Also kühl gegen New York. Somit wird der 3. Band des „Kapitals" wohl in Afrika ins Englische übersetzt werden. Ich bin an der 4.Aufl. des I.Bands, die sämtlichen Zitate müssen nach der englischen Ausgabe revidiert werden, das geht nun einmal nicht anders. Dann mit Macht an den 3ten. Longuet ist gestern gekommen, seine 2 ältesten Jungen2 abholen, die bei Tussy sind. Er ist durch Stimmenthaltung der Opportunisten1611 um 800 Stimmen in der Minorität geblieben. Von den Unsern ca. 6 gewählt; Guesde leider nicht3. Dein F.E. [London] 12. Okt. 89
1 „Time" - 2 Jean und Edgar Longuet - 3 siehe vorl. Band, S. 283-285
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 17. Okt. 89
Meine liebe Laura, Vielen Dank von Nim und mir für die prächtige Kiste mit Obst, das in ausgezeichnetem Zustand ankam und in das wir bereits ein ansehnliches Loch gegessen haben. Ich bleibe bei meiner amerikanischen Gewohnheit» jeden Morgen vor dem Frühstück Obst zu essen, und so kannst Du Dir vorstellen, daß das Tempo, in dem die Produkte Eures Gartens verschwinden, alles andere als langsam ist. Auch Tussy und Pumps werden ihre Anteile beanspruchen - sie sind auch bereits beiseite gelegt. Seit dem Dockerstreik12771 ist Tussy eine richtige East-Enderin geworden, sie organisiert Trades Unions und unterstützt Streiks - am letzten Sonntag haben wir sie überhaupt nicht gesehen, da sie morgens und abends Reden zu halten hatte. Diese neuen Trade-Unions ungelernter Arbeiter und Arbeiterinnen unterscheiden sich völlig von den alten Organisationen der Arbeiteraristokratie und können nicht auf dieselben konservativen Wege geraten; sie sind zu arm, zu wacklig und zu sehr aus unbeständigen Elementen zusammengesetzt; denn jeder dieser ungelernten Leute kann jeden Tag seine Tätigkeit wechseln. Und sie sind unter ganz anderen Voraussetzungen organisiert - alle führenden Männer und Frauen sind Sozialisten und noch dazu sozialistische Agitatoren. In ihnen sehe ich hier den wirklichen Anfang der Bewegung. Die Federation1731 ist zur Zeit am Ende - die heftigen Angriffe der „Justice" gegen Champion, Burns usw. haben plötzlich aufgehört, statt dessen herrscht eine Art verstecktes, verschämtes1 Seufzen nach einer Art allgemeiner Brüderschaft - der letzte Bericht von den französischen Wahlent3U1 zum Beispiel bringt auch unsere Ergebnisse, und das ohne irgendwelche gehässigen Anspielungen oder Bemerkungen; es sieht aus, als ob die große Masse der Mitglieder rebellisch geworden ist. Wenn unsere Leute hier - ich meine besonders Champion - keine Fehler machen, werden
sie sich bald ganz durchsetzen. Ich gestehe aber, ich kann zu diesem Mann kein volles Vertrauen gewinnen - er ist zu undurchsichtig. Er pflegte zu Kirchenkongressen zu gehen, um dort Sozialismus zu predigen; und jetzt hat er ein Komitee zur Organisierung der East-End-Frauen gegründet mit einer Anzahl bürgerlicher Philanthropen, die unter dem Vorsitz des Bischofs von Bedford eine Versammlung durchführten - natürlich sorgten sie dafür, daß Tussy davon ausgeschlossen blieb! Das gefällt mir gar nicht, und wenn sie so weitermachen, werde ich mich bald von ihnen trennen. Burns liebt die Popularität viel zu sehr, um solchen Sachen widerstehen zu können, und macht mit Champion mit - wenn ich ihn einmal allein treffe, werde ich mit ihm reden. Longuet erzählte uns, daß Du gesagt hättest, Du kämst über Weihnachten hierher. Wir würden uns sehr freuen, Dich hier zu sehen, und werden alles zu Deiner Bequemlichkeit vorbereiten, falls Du es nicht vorziehst, das nächste Mal in der besseren Jahreszeit zu kommen, wie Du zu Nim gesagt hast. Doch schließlich, was ist hier die bessere Jahreszeit? Nach dem außergewöhnlich schönen Sommer, den wir hatten (und haben, denn es ist jetzt ein regelrechter rheinischer Altweibersommer2), werden wir vielleicht ein ganzes Jahr hindurch Regen haben! Sam Moore ist in Asaba angekommen und hat, unmittelbar nachdem er afrikanischen Boden betreten hatte, den Negerkapitän eines Dampfschiffes zu neun Monaten Zwangsarbeit wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt. Er berichtet, daß das Klima sehr gut wäre, 23 °C am Morgen, 26-29° um 3 Uhr nachmittags (im Juli und August!), und allem Anschein nach gesund. Ausführlichere Nachrichten hat er uns versprochen, doch leider scheint es zwischen Akassa und Asaba (beide am Niger) keinen regelmäßigen Postverkehr zu geben, und als Poststempel von Akassa dient der Stempel der Niger Co., und das Datum wird mit Tinte dazugeschrieben! Herzliche Grüße von Nim. Immer Dein F.E.
Aus dem Englischen.
2 in der Handschrift deutsch: rheinischer Altweibersommer
19 Marx/Engels, Werke, Bd. 37
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Engels an Conrad Schmidt in Berlin
122, Regent's Park Road, N.W. London, 17. Okt. 89
Lieber Schmidt, Durch Ihre Schrift, für deren gütige Zusendung ich Ihnen bestens danke, sind wir einander um soviel nähergerückt, daß ich mich nicht überwinden kann, Ihnen gegenüber die hergebrachten feierlichen Titulaturen anzuwenden, und wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen, so behandeln Sie mich desgleichen. Wenn ich auch nicht grade sagen kann, daß Sie das fragliche Problem11041 gelöst haben, so berührt sich doch Ihr Gedankengang und der des II I.Bandes „Kapital" in manchen und selbst in wichtigen Punkten in einer Weise, daß Ihnen die Lektüre dieses II I.Bandes ganz besondre Freude machen wird; Eine eingehende Kritik Ihrer Arbeit ist mir aus naheliegenden Gründen für jetzt untersagt; in der Vorrede zum III.Band1 wird sie erfolgen; dort wird es mir zur besondern Genugtung gereichen, Ihrer Schrift die volle Anerkennung zu zollen, die ihr gebührt. Bis dahin wollen Sie sich also gedulden. Soviel ist aber jetzt schon sicher, daß Sie sich mit dieser Arbeit einen Platz in der ökonomischen Literatur erobert haben, um den die sämtlichen Herren Professoren Sie beneiden dürfen. Mir persönlich hat die Schrift noch ganz besondre Freude gemacht durch den Beweis, daß wieder einer mehr da ist, der theoretisch denken kann. Deren Zahl ist in der jüngeren Generation in Deutschland merkwürdig gering. Bebel, der einen famosen theoretischen Kopf besitzt, wird durch die praktische Parteiarbeit verhindert, diese seine beste Eigenschaft anders als in der Anwendung der Theorie auf praktische Fälle auszuüben. Bernstein und Kautsky sind dann bisher noch die einzigen gewesen, und Bernstein wird auch durch die praktische Tätigkeit viel zu sehr in Anspruch genommen, als daß er sich theoretisch so betätigen und weiterbilden könnte, wie er wohl möchte und könnte. Und es ist theoretisch doch noch so
viel zu tun, namentlich auf dem Gebiet der ökonomischen Geschichte und ihrer Zusammenhänge mit der politischen, der Rechts-, Religions-, Literatur- und Kulturgeschichte überhaupt, wo nur ein klarer theoretischer Blick den richtigen Weg im Labyrinth der Tatsachen zu zeigen imstande ist. Sie können sieh also denken, wie sehr ich mir zu dem neuen Mitarbeiter gratuliert habe. Daß Sie die Knappsche „Bauernbefreiung" für die ,,N[eue] Z[eit]" bearbeiten, ist sehr gut. Vortreffliches Material dazu ist Wolffs „Schlesische Milliarde", aus der „Neuen Rheinischen] Z[ei]t[un]g" von 1849, wieder abgedruckt als Nr.VI des I.Bandes der „Sozialdemokratischen Bibliothek". Ich schicke sie Ihnen in einzelnen Bogen in englische Zeitungen eingelegt, dies scheint ein ganz sichrer Weg zu sein. Kautsky wird sich ebenfalls freuen, wieder einen tüchtigen Mitarbeiter gefunden zu haben - er muß Schund genug nehmen. Am II I.Band habe ich seit Februar keinen Strich tun können. Der verfluchte Pariser Kongreß[265] hat mir eine solche Masse Korrespondenz nach allen Weltteilen aufgeladen, daß alles andre zurücktreten mußte. Die Leute hatten überall die internationale Fühlung verloren und kramten infolgedessen die unbegreiflichsten Pläne aus - es hätte aus lauter gutem Willen und mangelnder gegenseitiger Kenntnis der Personen, Dinge und Verhältnisse die schönste Katzbalgerei gegeben, man hätte sich überall mit seinen Freunden verfeindet, ohne sich mit seinen Feinden zu versöhnen. Das ist nun glücklich überstanden - da kommt die Nachricht, daß die 4.Auflage vom I.Band2 nötig. Und da inzwischen die englische Ausgabe erschienen und die sämtlichen Zitate von Frau Aveling mit den Originalen verglichen sind, wobei sich formelle Abweichungen hie und da, aber noch mehr Schreib- und Druckfehler in den Nachweisen ergeben, kann ich unmöglich die 4. Auflage erscheinen lassen, ohne dies zu berichtigen. Das alles nimmt Zeit weg, dann die Korrektur - aber in ca. 14 Tagen komme ich doch wieder an den II I.Band, und dann lasse ich keine, aber auch gar keine Unterbrechung mehr einreißen. Ich glaube, über die schwierigsten Stücke bin ich hinaus. Beste Grüße von Ihrem ergebnen F. Engels
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Engels an Max Hildebrand in Berlin
122, Regent's Park Road, N.W. London, 22. Okt. 89
Sehr geehrter Herr, In Beantwortung Ihrer Zeilen vom 19.[312] lernte ich Stirner gegen Anfang 1842 in Berlin11851 im Verkehr mit E.Meyen, Buhl, Edgar und später Bruno Bauer etc. kennen. Daß er Schmidt hieß, ist richtig, der Spitzname Stirner kam von seiner merkwürdig hohen Stirn. Er konnte noch nicht sehr lange in diesem Kreise verkehrt haben, denn er kannte Marx nicht, der Berlin, ich glaube nicht ganz ein Jahr früher, verlassen13131 und bei den Leuten sehr im Respekt stand. Gymnasiallehrer war er, glaube ich, nicht mehr oder doch nicht lange mehr. Außer den Obengenannten verkehrten da noch ein gewisser von Leitner, Österreicher, K. F. Koppen, Gymnasiallehrer und Spezialfreund von Marx, Mussak, dessen Kollege, der Buchhändler Cornelius (der in Fritz Reuters „Festungstid" vorkommt), Mügge, Dr. J. Klein, der Dramatiker und Dramaturg, ein gewisser Wachenhusen, Dr. Zabel, der spätere „National-Zeitungs"-Mann, Rutenberg, der aber ! I I I I/..1 . M T 7 « » oaia nacn rvoin zur ersten „Knemiscnen /.eitung ging, ein gewisser Waldeck1 (nicht der Jurist und Obertribunalsrat2) und andre, die mir nicht einfallen; es waren eigentlich mehrere Gruppen, die je nach Zeit und Gelegenheit zusammen- und durcheinander kamen. Jungnitz, Szeliga, Faucher kamen erst, nachdem ich Nov. 42 mein Militärjahr absolviert und Berlin verlassen hatte. Man traf sich bei Stehely, abends in wechselnden Bayrischbierlokalen der Friedrichsstadt und, wenn man bei Kasse war, in einer Weinkneipe der Poststraße, die Köppens Stammlokal war. Ich kannte Stirner gut, wir waren Duzbrüder, er war eine gute Haut, lange nicht so schlimm wie er sich in seinem „Einzigen" macht, mit einem aus der Lehrerzeit ihm anhaftenden leisen Anflug von Pedanterie. Wir diskutierten viel über Hegeische Philosophie, er hatte damals die Entdeckung gemacht, daß Hegels Logik mit einem Fehler anfängt: Das Sein, welches sich als das
1 Julius Waldeck - 2 Benedikt Waldeck
Nichts erweist und so in Gegensatz mit sich selbst tritt, kann nicht der Anfang sein; der Anfang muß gemacht werden mit etwas, das selbst schon die unmittelbare, naturwüchsig gegebne Einheit von Sein und Nichts ist und aus dem erst dieser Gegensatz sich entwickelt. Und dies war nach Stirner das „Es" (es schneit, es regnet), etwas das ist und zugleich auch Nichts ist. Nachher scheint er dann doch dahintergekommen zu sein, daß es mit dem Es, nicht minder als mit dem Sein und Nichts, doch nichts ist. In der letzten Zeit meines Berliner Aufenthalts sah ich Stirner weniger, wahrscheinlich entwickelten sich schon damals die Gedankengänge bei ihm, die dann zu seinem Hauptwerk führten. Als dies herauskam, hatten sich unsre Richtungen schon sehr auseinandergetan; die zwei Jahre, die ich in Manchester zugebracht, hatten ihre Wirkung bei mir getan.[314] Als Marx und ich dann in Brüssel das Bedürfnis fühlten, uns mit den Ausläufern der Hegelschen Schule auseinanderzusetzen13151, kritisierten wir u.a. auch Stirner - die Kritik ist so dick, wie das Buch selbst. Das nie gedruckte Ms. liegt noch bei mir, soweit die Mäuse es nicht gefressen haben. Eine Wiedergeburt hat Stirner erlebt durch Bakunin, der übrigens zu jener Zeit auch in Berlin war und in Werders Kolleg über Logik mit noch 4-5 Russen auf der Bank vor mir saß (1841/42). Die harmlose, nur etymologische Anarchie (d.h. Abwesenheit einer Staatsgewalt) von Proudhon hätte nie zu den jetzigen anarchistischen Doktrinen geführt, hätte nicht Bakunin ein gut Teil Stirnerscher „Empörung"[3161 in sie hineingegossen. Infolgedessen sind die Anarchisten denn auch lauter „Einzige" geworden, so einzig, daß ihrer keine zwei sich vertragen können. Sonst weiß ich von Stirner nichts, über seine späteren Schicksale habe ich nichts mehr erfahren, außer daß auch Marx mir erzählte, er sei fast buchstäblich verhungert; woher er das erfahren, weiß ich nicht. Seine Frau3 habe ich hier einmal gesehn, sie knüpfte - ah que j'aime le militaire!4 - ein Verhältnis mit dem Exlieutenant Techow hier an und ging, wenn ich mich nicht irre, mit ihm nach Australien. Wenn ich später einmal Zeit habe, könnte es wohl sein, daß ich einiges über jene in ihrer Art sehr interessante Zeit aufzeichnete. Hochachtungsvoll und ergebenst F. Engels
3 Marie Dähnhardt - 4 ah, wie liebe ich das Militär!
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Engels an 0.A.EIIissen in Einbeck
122, Regent's Park Road, N. W. London, 22. Okt. 89
Hochgeehrter Herr, In ergebenster] Beantwortung Ihres Zirkulars13171 bedaure ich, Ihnen sagen zu müssen, daß die in meinem Besitz befindlichen Briefschaften seit 20 Jahren nicht geordnet worden sind und es mir daher unmöglich ist, die wenigen Briefe von F. A. Lange aus diesem Haufen herauszusuchen, bis ich 3 - 4 Wochen freie Zeit vorfinde, um das Ganze zu ordnen. Sobald ich mit der Schlußredaktion des III.Bandes von Marx' „Kapital" fertig bin - im Laufe des Frühjahrs -, muß ich diese nicht länger aufschiebbare Arbeit vornehmen, stehen Ihnen obige Briefe mit Vergnügen zur Verfügung. Meine Briefe an Lange können Sie ja nach Umständen ganz oder teilweise abdrucken, in letzterem Falle bitte ich jedoch die betreffenden Stellen gefälligst in ihrem ganzen Zusammenhang geben zu wollen. Hochachtungsvoll Fr. Engels
Herrn Dr. 0. A. Ellissen Gymnasiallehrer Einbeck
Nach einer maschinengeschriebenen Abschrift.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 29. Okt. 89
Meine liebe Laura, Ich muß Dir eine feierliche Danksagung für die neue, von Edward geschickte Sendung Birnen übermitteln, die zum großen Teil am Sonntag zum Portwein verzehrt worden sind. Sie waren ausgezeichnet, und was übriggeblieben ist, wird bis nächsten Sonntag gereift sein. Außerdem wurde auch die Legende von der Weihnachtsreise durch Edward geklärt1 - es war der kleine Marcel2, der in Longuets Hirn das Mißverständnis verursacht hat. Wie dem auch sei, wann immer Du zu kommen bereit bist, wir werden zu Deinem Empfang gerüstet sein. Ich muß mich ziemlich unklar ausgedrückt haben über die bevorstehende Herrschaft der französischen Bourgeoisie als Klasse.3 Ich meinte, daß zunächst4 die Masse der Royalisten und Bonapartisten - allmählich - in die Reihen der gemäßigten Republikaner hinüberwechselt und wie im Jahre 1851, als die Mehrzahl der Republikaner und Royalisten zu Bonaparte überlief, diejenigen Führer aufgibt, die an ihren überholten Parteilosungen festhalten. Das würde eine Stärkung der gemäßigten Republikaner bedeuten (wenn auch nicht unbedingt der Spekulantenclique der Ferryisten oder der Leon Sayisten), andererseits gleichzeitig die Macht der alten Losung: la republique en danger5 ein für allemal beenden. Dann, und nur dann können die Radikalen1861 auftreten als „Ihrer Majestät, der Republik, getreueste Oppositionund dann habt Ihr die realen Bedingungen für die Herrschaft der gesamten Bourgeoisklasse, für den Parlamentarismus in voller Blüte: zwei Parteien, die um die Majorität kämpfen und abwechselnd die Rolle der Ins and Outs spielen, der Regierung und der Opposition. Hier in England haben wir die Herrschaft der gesamten Bourgeoisklasse; doch das bedeutet nicht, daß Konservative und Radikale sich vereinigen, im Gegenteil, sie lösen sich gegenseitig ab. Wenn die Dinge ihren langsamen, klassischen Verlauf nähmen, dann würde sie schließlich das Aufkommen der prole1 Siehe vorl. Band, S.289 - 2 Marcel Longuet - 3 siehe vorl. Band, S. 284/285 - 4 in der Handschrift deutsch: zunächst - 5 die Republik in Gefahr
tarischen Partei zweifellos dazu zwingen, sich gegen diese neue und unparlamentarische Opposition zu vereinigen. Doch das wird kaum geschehen, denn es wird eine stürmische Beschleunigung der Entwicklung gehen. Der Fortschritt besteht meiner Meinung nach in dem Umstand, daß ein Kampf gegen die Republik aussichtslos geworden ist, in dem folgerichtigen allmählichen Aussterben aller antirepublikanischen Parteien, was bedeutet, daß sich alle Gruppen der Bourgeoisie an der Regierung beteiligen - als Regierung oder als Opposition, wobei gegenwärtig die Regierung von den verstärkten Gemäßigten und die Opposition von den Radikalen gebildet werden. Eine Wahl kann nicht alles auf einmal lösen; wollen wir zufrieden sein, daß diese eine den Boden geebnet hat. Über die Niederlage der Sozialisten sind wir völlig einer Meinung. Nur daß ich sie erwartet habe - und eine weitaus schlimmere - und daß unsere Pariser Freunde Wunder erwarteten, die natürlich nicht eintrafen. Ich bin mit dem Ergebnis - unter den jetzigen Umständen - völlig zufrieden. Daß wir sechs oder sieben Leute hineinbekommen haben, gegen die Cadettisten11311 oder gegen die Boulangisten, und ungefähr 120000 Stimmen, ist mehr, als ich erwartet habe. Hinsichtlich der Politik gegenüber den Kerlen, die unter Boulangers Flagge hineingekommen sind, bin ich eher der Auffassung Vaillants und Guesdes als der Pauls. Wenn Ihr die Boulangisten aufnehmt, müßt Ihr auch die Cadettisten - Joffrin und Dumay - aufnehmen. Und überdies, nachdem sich die Boulanger-BIanquisten12821 so unverschämt gegen Vaillant in seinem circonscription6 benommen und ihn zu Fall gebracht haben, sollten wir, meine ich, mit ihnen nichts zu tun haben. Außerdem haben wir kein Interesse daran, die sich in Auflösung befindliche blanquistische Fraktion als solche wiederherzustellen. Wir wissen, welche besonders „reinen" Elemente sie immer enthielt. Granger ist ein schwachsinniger chauvin7, daß wir den losgeworden sind, scheint mir ein Segen. Was Jourde betrifft (der mir derjenige zu sein scheint, nach dem sich Paul eigentlich sehnt), so kann man ihn vielleicht veranlassen, später hineinzurutschen, wenn er vaut la peine, ce que j'ignore8, und wenn er vollständig mit den Boulangisten bricht. Aber darin besteht kein Zweifel, Pauls frühere boulangistische Sympathien haben uns ungeheuer viel Schaden zugefügt und werden jetzt von Liebknecht ausgenutzt, der sie mir vor die Nase hält. Wie die Dinge stehen, wird die neue sozialistische Fraktion schwer zu führen sein, und je weniger ihre Zahl durch zweifelhafte (noch zweifelhaftere)
® Wahlkreis - 7 Chauvinist - 8 der Mühe wert ist, was ich nicht weiß
Elemente vergrößert wird, um so besser. Besonders da Guesde nicht gewählt wurde. Wenn sich herausstellt, daß es gut geht, könnten Neuaufnahmen obiger Art weniger schaden und deshalb erwogen werden; und dann sollten die Neulinge öffentlich Buße tun, andernfalls würde die französische Partei vor den Deutschen, Schweizern, Holländern und sogar Belgiern als korrupt erscheinen. Welcher Triumph wäre es für die Possibilistenfl7], wenn sie auf ausgesprochene Boulangisten in unseren Reihen weisen könnten! Und wie schwierig würde es dann für mich sein, den Deutschen Verständnis beizubringen für die Handlungen unserer französischen Partei! Nun eine andere Sache. Percy ist vollständig bankrott. Um die Zwangsvollstreckung in ihrem Haus zu vermeiden, haben sie es abgeschlossen und sind alle hier. Verhandlungen werden mit seinem Vater und seinen Brüdern geführt, um den offenen Bankrott zu vermeiden, doch wie das enden wird, kann niemand sagen; und wenn nicht irgend etwas geschieht, wird er selbst noch in dieser Woche den Bankrott erklären müssen. Der alte Rosher ist halb idiotisch, hat seine Angelegenheiten unwiderruflich durcheinandergebracht, hat sein Geschäft den zwei jüngeren Söhnen übergeben und sagt, daß er selber ohne Geld oder Kredit sei (er hat den Ruin des letzteren fast absichtlich herbeigeführt). Ich hatte vor einigen Tagen eine Unterredung mit seiner Mutter - es ist insgesamt ein schreckliches Durcheinander. Wie immer es auch enden mag, es wird mich bestimmt eine Menge Geld kosten. Kautsky ist noch nicht hier. Großes Wehklagen bei allen hier, als sie hörten, daß Diane weggelaufen ist oder gestohlen wurde. Herzliche Grüße von Nim und herzlichst Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
142
Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 29. Okt. 89
Lieber Liebknecht, Über den Propheten Gottschalk kann ich Dir nur sehr wenig sagen, ich habe das Tier längst vergessen. Moses Heß nahm ihn vor 1848 in den Bund[318] auf und schilderte ihn als ein kolossales Wundertier. 1848, in den ersten Märztagen, spielte er sich in Köln als Arbeiterführer auf.^3191 War ein für damalige Verhältnisse perfekter Demagog, der den eben erst aufdämmernden Massen schmeichelte, auf alle ihre traditionellen Vorurteile einging - sonst ein totaler Hohlkopf, wie es zum Propheten gehört, und sah sich deshalb auch für einen Propheten an; dabei war er, als echter Prophet, über alle Skrupel erhaben und somit jeder Gemeinheit fähig. Ob er das von Dir Angeführte[320] je gesagt hat, bezweifle ich, er fabrizierte systematisch Legende über sich selbst. Genug, er spielte in den ersten Märztagen eine gewisse Rolle in Köln und hatte ganz verrückte Pläne, deren Einzelheiten ich vergessen, wodurch über Nacht Wunder geschehn sollten. Das war alles vor unsrer Zeit. Als wir im April nach Köln kamen, war er schon sehr am Abnehmen, und als wir uns zur definitiven Publikation der Zeitung1 wieder dort zusammenfanden, war er schon fast verschollen. Die Zeitung und unser Arbeiterverein13211 stellten ihn ins Dilemma, entweder mit uns zu gehn oder gegen uns. Zum Glück für ihn wurde er und Anneke Anfang Juli verhaftet wegen irgendwelcher Reden, glaub' ich; Ende 1848 oder Anfang 49 wurden sie freigesprochen (ich habe die ,,N[eue] Rh[einische] Z[eitung]" vergebens nach Datum etc. durchsucht und muß aufhören zu suchen, wenn der Brief fort soll). Da exilierte sich der Prophet Gottschalk freiwillig nach Paris, in der Erwartung, von riesigen Demonstrationen zurückberufen zu werden. Aber kein Mensch rührte sich. Nachdem wir fort, kam G[ottschalk] wieder nach Köln (vielleicht auch kurz eh' wir gingen), und da er sich seine frühere Popularität auf Grund seiner Praxis als Armenarzt erworben, ging er bei Ausbruch der Cholera wieder stark ins Geschirr mit Gratisbehandlung proletarischer Patienten, fing die Cholera selbst und starb.
1 „Neue Rheinische Zeitung"
Das ist alles, was ich weiß. Die Pariser Sachen scheinen wieder in Ordnung zu sein. Lafargue ist lange nicht so schlimm, wie Du ihn machst - Jourde ist kein Boulangist, sondern hat sich in Bordeaux mit Einwilligung der dortigen Parteigenossen der houlangistischen Maske bedient, was ich natürlich entschieden mißbillige. Der Mann hat einen Bock gemacht und wird dafür büßen müssen, wenigstens zunächst, wenn er aber sonst gut ist, was ich nicht weiß, kann man ihn später wieder zu Gnaden annehmen. Daß Du bei der „Volks-Bibliothek" solche Verluste gehabt hast, tut mir sehr leid.[3223 Aber bei Deiner mangelnden Geschäftserfahrung war es doch vorherzusehn, daß Geiser Dich hineinreiten würde. Die von ihm herausgegebnen schlechten Sachen wurden doch nicht besser dadurch, daß Dein Name darauf kam, und dann mußte die Schlesingeriade[200] doch notwendig dem Faß den Boden ausschlagen. Ich glaube, das erklärt sich alles ganz natürlich, ohne daß Du den Grund im bösen Willen Dritter zu suchen brauchst. Du kannst doch der Partei nicht zumuten, für diese „Volks-Bibliothek" zu schwärmen. Bei mir steht's auch schlecht. Percy ist bankerott, die ganze Familie wohnt bei mir, um Exekution in ihrem Haus zu entgehn, die Sache schwebt noch, mit dem Alten2 wird verhandelt, aber der behauptet, selbst im Dreck zu sitzen, und ist so ziemlich versimpelt, kurz, Augustin liegt im Dreck, o du lieber Augustin, alles ist hin. Wie's enden wird, weiß ich nicht. Herzliche Grüße von Lenchen und Deinem F. E.
8 Vater von Percy Rosher
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevent
London, 9. Nov. 1889
Lieber Freund, Ich kann Ihnen in Ihrer schwierigen Lage keinen bestimmten Rat geben, dazu müßte ich an Ort und Stelle sein, aus der Ferne kann man da nicht mit Sachkenntnis urteilen. Nur eins kann ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen: Wedef hier noch sonst in Europa ist es möglich, für Sie etwas zu finden. Bei der geringen Entfernung würde man überall Ihre Extradition1 verlangen, und Sie wären keinen Augenblick sicher. Für Sie hier auch nur provisorisch eine Beschäftigung Zu finden, ist rein unmöglich. Weder ich noch meine Freunde hier könnten Ihnen solche verschaffen, die Tatsache Ihrer Verurteilung könnte nicht verheimlicht werden. Am „Sozialdemokrat]" ist es unmöglich, Sie unterzubringen. Und zudem würde die Extraditionsforderung bald genug nachfolgen, jenseits des Ozeans ist das etwas anderes. Es bleibt Ihnen also nur die Wahl zwischen dem Gefängnis und Buenos Aires. Werden Sie schließlich und in letzter Instanz verurteilt und gehn ins Gefängnis, dann bleibt Ihnen an dem Tage, wo Sie herauskommen, doch schwerlich etwas anderes übrig als Buenos Aires, denn in Europa könnten Sie doch kaum eine Beschäftigung finden. Es fragt sich also, nach meiner Meinung, für Sie nur: Wollen Sie jetzt gehn, oder wollen Sie erst gehn, nachdem Sie drei oder vier Jahre im Gefängnis zugebracht haben? Wenn Sie sich entschließen, jetzt zu gehn, so kann ich Ihnen als Beitrag zu Ihren Reisekosten 200 Franken zur Verfügung stellen. Dies ist aber auch das letzte, was ich für Sie tun kann. Ich habe von meinen eignen Verwandten augenblicklich zwei Familien am Leben zu erhalten und bin deswegen selbst manchmal in Verlegenheit, wie ich das Geld dazu auftreiben soll.
1 Auslieferung
Es tut mir leid, nicht mehr für Sie tun zu können. Aber meine Hülfsmittel sind beschränkt, und gegen die italienischen Richter bin ich ohnmächtig. Ich begreife sehr wohl das Verzweifelte Ihrer Lage und zolle Ihnen mein aufrichtiges Mitgefühl, aber weiter, als oben gesagt, ist es außer meiner Macht, Ihnen zu helfen. Aufrichtigst der Ihrige F. Engels
144
Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
T . , r> i i London, 15. Nov. 89 Lieber Bebel, Ich erhielt Deinen Brief vom 17. Okt. inmitten der dicksten Arbeit für die 4. Auflage des „Kapitals"1, die nicht gering war, weil alle von Tussy für die englische Ausgabe kontrollierten Zitate wieder verglichen und die vielen Schreib- und Druckfehler berichtigt werden mußten. Kaum fertig damit, mußte ich wieder an den II I.Band, der jetzt rasch erscheinen muß, denn die Schrift vom kleinen Schmidt in Berlin über die Durchschnittsprofitrate zeigt, daß der Junge schon mehr herausgetüftelt hat, als gut ist - es gereicht ihm zur höchsten Ehre. Du siehst, ich habe schon damit alle Hände voll zu tun; dazu kommt noch die Notwendigkeit, die internationalen Parteizeitungen zu verfolgen und die auf den III.Band bezügliche ökonomische Literatur nachzusehn und stellenweise wieder ganz durchzulesen - Du siehst, ich sitze ziemlich fest und entschuldigst daher, daß ich mich nicht so oft mit Dir unterhalte, wie ich wohl möchte. Was die Franzosen angeht, so würdest Du, bei längerem Aufenthalt unter ihnen und näherer Bekanntschaft mit der Art der Wirkung ihrer eigentümlichen Handlungsweisen, doch wohl milder urteilen. Die Partei[31] dort war in einer für Frankreich unerhörten, in der Tat aber schließlich günstigen Lage: Sie war in der Provinz stark, in Paris schwach. Es handelte sich also um einen Sieg der soliden Provinz über das übermütige, herrschaftsgewohnte, hochnäsige und teilweise korrumpierte Paris (Korruption beweist 1. die dortige Herrschaft der korrumpierten Führer der Possibilisten, 2. der Umstand, daß dagegen in Paris nur in Form des Boulangismus Opposition erfolgreich sein konnte). Nun kam dazu, daß in der Provinz 2 Leitungen waren: für die Trades Unions eine in Bordeaux, für die sozialistischen Gruppen, die als solche organisiert, in Troyes.[323] Es mangelte also nicht nur die altgewohnte Pariser Leitung (und die Möglichkeit einer solchen), sondern auch eine einheitliche provinziale Leitung resp. die geistige Befähigung und allgemeine Anerkennung einer solchen.
1 erster Band
Daß Euch in diesem Interregnum die Sachlage höchst verworren und unbefriedigend vorkam, begreife ich. Aber das ist nur temporär. Daß allerdings die Franzosen in dieser Desorganisation ihrer eignen Partei, und nachdem sie Fehler über Fehler gemacht, dennoch einen Kongreß nach Paris[265] beriefen, wo das alles sich vor Europa zeigen mußte, war echt französisch. Sie dachten mit Recht, daß diese Blamage weit aufgewogen würde durch die Tatsache, daß auf ihrem Kongreß Europa vertreten war und auf dem der Possibilisten12681 nur ein paar Sekten. Daß die Rücksicht auf den momentanen Effekt in der Öffentlichkeit dort mehr Gewicht hat als bei Dir und mir und bei der Masse der deutschen Partei, ist kein bloß französischer Fehler. Hier und in Amerika ist es gradeso. Das ist Folge des freieren und länger gewohnten politischen Lebens. Nicht nur tut Liebkfnecht] in Deutschland genau dasselbe (einer der Hauptgründe unsres steten Krakeels), sondern schaff morgen das Sozialistengesetz1151 ab, und Du wirst sehn, wie rasch diese faule Rücksicht sich vordrängt. Auch täuschest Du Dich, glaub' ich, wenn Du nach Deinen Pariser Kongreßerfahrungen schließest, daß die Arbeiter von den, sagen wir, Literaten in den Hintergrund gedrängt werden. Das ist vielleicht auf einem Pariser Kongreß scheinbar der Fall, und um so mehr, als dort die Unmöglichkeit der Verständigung in fremden Sprachen die Arbeiter in den Hintergrund drängt. In Wirklichkeit halten die französischen Arbeiter weit mehr auf volle und grade formelle Gleichheit mit Literaten und Bourgeois als die irgendeiner andern Nation, und hättest Du die Berichte gelesen, die ich über die Agitation von Guesde, Lafargue etc. während der letzten Wahlen erhalten, würdest Du wohl anders urteilen. Daß Guesde in Marseille nicht gewählt, war nur dem Protot gedankt (s. inl. Proklamation).13241 Es ist allgemeine Regel in Frankreich (weil in der Stichwahl die Kandidatenzahl nicht beschränkt, dafür aber die relative Majorität entscheidend ist), daß bei 2 Kandidaturen derselben Partei derjenige zurücktritt, der beim ersten Wahlgang in der Minorität war. Protot war in der Lage, aber er blieb Kandidat und verbreitete die infamsten Verleumdungen über Guesde. Beide waren in Marseille lokalfremd, aber P[rotot] war altes Kommunemitglied und von den Anhängern des Großmauls Pyat - des vorigen Deputierten von Marseille - gehalten. Daß er da in der Stichwahl die 900 Stimmen erhielt, die Guesde in die Kammer gebracht, ist begreiflich. Den besten Distrikt von Marseille hatte sich Boyer ausgesucht, der auch früher dort gewählt, und der ging durch. Jetzt also haben wir 7 Mann, keineswegs die bestmöglichen. Diese haben Guesde zu ihrem Sekretär und Redefabrikanten gewählt. Im Stadtrat
bilden Vaillant, Longuet und andre ebenfalls eine separate Gruppe. Beide Gruppen werden Lafargue, Deville etc. zuziehn und dann ein Zentralkomite der vereinigten (oder föderierten) Blanquisten und Marxisten bilden.13251 So kommt eine Organisation allmählich zustande. Außer diesen sind 3 Sozialisten als Boulangisten und 2 als Possibilisten gewählt, diese aber bleiben natürlich ausgeschlossen und können sehn, wie sie fertig werden. Daß Auer so schlimm, tut mir auch leid - doch kommen wieder beßre Nachrichten her. Die relative Schwäche des jungen Nachwuchses ist auch mir sehr fatal, auch auf theoretischem Gebiet. Da kommt uns nun der kleine Schmidt, der ein Jahr hier war und dem ich es nicht angesehn hätte, was in ihm steckt. Wenn er so bescheiden bleibt wie bisher - der Größenwahn ist ja heute die fatalste und allgemeinste Krankheit kann er Vorzügliches leisten. Hier geht's sehr gut. Aber auch nicht auf dem einfachen, geraden Weg der Deutschen. Dazu gehört eben ein so theoretisch angelegtes Volk. Hier wird's noch Böcke genug geben. Aber einerlei, die Massen sind jetzt in Bewegung, und jeder neue Bock wird seine Lektion mit sich führen. Also man tau, wie der Niedersachse sagt. Was macht Deine Frau und die zukünftige Doktorin der Medizin2? Dein F.E.
Frieda Bebel
145 • Engels an die Firma John Henry Johnson, Son& Ellis • 15. November 1889 305
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Engels an die Firma John Henry Johnson, Son & Ellis in London (Entwurf) W rte H rren [London, 15. November 1889] Ihren Brief vom 7. d.M. habe ich erhalten und darüber nachgedacht. Es berührt mich recht eigentümlich, daß Sie von mir erwarten, ich solle Ihre Anfrage „vertraulich" behandeln, Sie hingegen nichts davon sagen, daß Sie meine Antwort ebenso behandeln werden. Natürlich kann ich mich auf eine derart einseitige Verpflichtung nicht einlassen. Wenn ich Sie recht verstehe, soll ich Ihnen berichten, ob mir geringschätzige Äußerungen über die Zirkulationspumpen der „City of Neu) York" zur Kenntnis gelangt sind, und gegebenenfalls den Urheber solcher Gerüchte nennen, die ich an Bord von Passagieren, Offizieren oder Matrosen gehört haben könnte. Wenn solche Äußerungen überhaupt in meiner Gegenwart gemacht worden sind, dann sicher in der Erwartung, daß ich sie wie ein Ehrenmann behandle und ihre Urheber nicht in Schwierigkeiten bringe, selbst dann nicht, wenn sie etwa ein oder zwei unüberlegte Worte gesagt hätten. Anders zu handeln würde meiner Ansicht nach bedeuten, zum gemeinen Angeber zu werden, es sei denn, ich habe mißverständen, was mir die klare Bedeutung Ihres Vorschlags zu sein scheint, d. h., worauf er hinausläuft, und in diesem Falle ist er von einer naiveti, der nur seine erfrischende Unverfrorenheit gleichkommt. Jedenfalls will ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen, daß ich mich nicht erinnere, daß irgendwer in meiner Gegenwart auch nur im geringsten etwas Nachteiliges über die makellosen Zirkulationspumpen gesagt hat, die Sie zu vertreten die Ehre haben, und ich weiß nicht, noch interessiert es mich, wer solche Äußerungen gemacht hat. Ich denke nicht daran, Sie zu bitten, diesen Brief vertraulich zu behandeln. Eine genaue Prüfung dieser Korrespondenz durch einen europäischen oder amerikanischen Juristen oder Geschäftsmann könnte einige wertvolle Hinweise geben bezüglich der Methoden beim Einziehen ähnlicher Erkundigungen. Aus dem Englischen.
20 Marx/Engels, Werke. Bd. 37
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 16. Nov. 89
Mein lieber Lafargue, Diskutieren wir nicht über Ihre glücklicherweise überwundenen Neigungen für den Boulangismus; warum jetzt noch einmal Ihre Briefe von früher lesen? Übrigens hat sich der tapfere General nicht nur deshalb zugrunde gerichtet, weil er es vorgezogen hat, nicht auf dem Schlachtfeld zu bleiben, sondern, was viel schlimmer war, durch seine royalistischen und bonapartistischen Allianzen; das sieht er jetzt ein und möchte gern seine republikanische Jungfräulichkeit wiederherstellen, aber das ist wie mit der schönen Eugenie; Wenn er heute nacht (Bonaparte in der Hochzeitsnacht) Jungfräulichkeit findet, So hat die Schöne sie zweimal besessen. Niemand zweifelt daran, daß die Unzufriedenheit, auf der der Boulangismus beruht, berechtigt ist; aber gerade die Form, die diese Unzufriedenheit angenommen hat, beweist, daß die Pariser Arbeiter in ihrer Mehrheit sich ebensowenig ihrer Lage bewußt sind wie 1848 und 1851. Damals war die Unzufriedenheit auch berechtigt; die Form, die sie annahm, der Bonapartismus, hat Euch 18 Jahre Kaiserreich gekostet, und was für ein Kaiserreich! Und damals kämpfte noch ein großer Teil der Pariser Arbeiter dagegen; 1889 aber zogen sie es vor, die Hundertjahrfeier von 1789 zu begehen, indem sie sich einem gewöhnlichen Hanswurst vor die Füße warfen. Danach fordert Ihr von den anderen, daß sie den Parisern denselben Respekt entgegenbringen, den man ihren Ahnen gern entgegenbrachte! Ich freue mich, daß die Boulangisten - unechte oder echte - ebenso wie die Possibilisten1173 aus der Partei entfernt sind. Hätte man sie als die aufgenommen, die sie sind, so hätte ich nicht gewußt, was ich den Engländern, Dänen, Deutschen usw. sagen sollte. Seit zwanzig Jahren predigen wir die Konstituierung einer besonderen, im Gegensatz zu allen bürgerlichen Parteien stehenden Partei - und die Zulassung von Leuten, die unter der Fahne Boulangers gewählt worden sind, der Fahne, die bei den gleichen Wahlen
Monarchisten protegiert hat und von ihnen zurückgewiesen wurde, hätte gegenüber den anderen nationalen Parteien den Ruin unserer französischen Partei bedeutet. Wie hätten die Hyndman und Smith da triumphiert! Sie sagen, die Angriffe gegen Boule hätten nur dazu geführt, ihm den „Intransigeant" zu öffnen und ihn für die Gemeinde wählen kandidieren zu lassen - das heißt, daß er sich offen als Boulangist bekennt, mit dieser Bande marschiert und den Lohn für seinen Verrat erhält.[326] Danke! Ihr Plan ist sehr gut, wenn er sich durchführen läßt, d.h. wenn die Provinz die Leitung dieses Komitees akzeptiert.1 Sie sprechen immer von Ihren Provinzzeitungen, aber Sie schicken sie mir fast nie. Einige habe ich durch Bonnier erhalten, jetzt sehe ich kaum welche. Alles, was Sie mir schicken oder schicken lassen, trägt Früchte, denn ich benutze es, um Bebel auf dem laufenden zu halten, und Bebel ist zehnmal wichtiger als Liebk[necht]; außerdem kann ich, wenn ich weiß, was vorgeht, auf Ede und den „Sfozialdemokrat]" einwirken. - Alle Ihre Zeitungen täten gut daran, wenn sie mit dem „Sozialdemokrat]" und dem „Labour Elector", 13, Paternoster Row, E.G., einen Austausch vornehmen würden. In jedem anderen Lande würde sich das as a matter of course2 verstehen, aber die Herren Franzosen lassen sich bitten - und manchmal vergeblich bitten -, uns in die Lage zu versetzen, in ihrem Interesse zu arbeiten. Wenn diese Handlungsweise eine gewisse Grenze erreicht, könnten wir die Lust verlieren. Ist es denn nicht möglich, ein bißchen Ordnung und Organisation zu erreichen? Aber genug. Ich verteidige Sie so sehr und mit soviel Eifer den anderen gegenüber, daß ich Sie, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, wohl gehörig ausschelten muß. Im Augenblick habe ich keine Möglichkeit, die „wissen Sie schon...P" des Herrn De Paepe zu überprüfen[327]. Die Wiener „Arbeiter-Zeitung" hat aus Petersburg die Bestätigung seines Todes erhalten; aber bei den Lügen der russischen Regierung und den Legenden über die russischen Revolutionäre kann alles wahr und alles falsch sein. Jetzt an Laura. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Franzosischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 303/304 - 2 als eine Selbstverständlichkeit
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
T London, 16.Nov. 1889 Meine hebe Laura, Nachdem ich inliegenden Brief an Paul fertig hatte, ging ich in die Küche und trank mit Nim und Pumps einige Pilsner, teils des Pilsners wegen, teils, weil ich nur mit Unterbrechungen schreiben darf. Da ich vorher auf der Bank war, um Sonnenscheins Scheck einzulösen - ich kann mir das Risiko nicht leisten, ihn länger mit mir herumzutragen -, wird es Dich nicht verwundern zu hören, daß es jetzt fast vier p. m. ist. Weil ich bei Gaslicht nicht zu schreiben wage, bin ich, wie Du siehst, in ziemliche Zeitbedrängnis geraten. Jedenfalls hast Du mit der englischen Übersetzung des „Senators"t3281, wohl einer der schwierigsten Texte für die Übersetzung ins Englische, etwas Großartiges geleistet. Du hast es nicht nur mit all der gehörigen Ungehörigkeit getan, es ist Dir auch gelungen, die Leichtigkeit des Originals nahezu völlig zu treffen. Und das, obwohl Gegenstand und Metrum gegen eine Übersetzung rebellieren und der Senator des Ersten Kaiserreichs hier eine unbekannte Größe ist. Wärst Du ein Junge, würde ich sagen, Molodetz1, doch ich bin im Russischen nicht versiert genug, um zu wissen, ob dieses Attribut (etwa mit dem englischen: you're a brick!2 zu vergleichen) in die weibliche Form Molodtzä gesetzt werden kann! Der Widerschein von Thivriers Bluse ist sogar auf die englische Presse gefallen und hat sie für einen Augenblick erhellt.13291 Wenn er ein Loch hineinreißt, wird die ganze feine Gesellschaft Großbritanniens über die schlechten Manieren dieser Franzosen jammern. Außer Mutter Crawford, die eine Irin und trotz all ihrer Launen der anderen Bande bedeutend überlegen ist, weil sie sich wirklich vorwärts bewegt, schlagen die übrigen britischen Journalisten in Paris Eure Franzosen in bezug auf Blödheit gründlich. Die weisen Männer in Cette scheinen ganz auf der Höhe unserer Krähwinkler3 und Schildbürger4 zu sein. Wäre Senegas zurückgetreten, würde 1 Prachtkerl - 2 Du bist ein Kerl! - 3 in der Handschrift deutsch: Krähwinkler - 4 in der Handschrift deutsch: Schildbürger
Paul Abgeordneter sein. Hätten sie - die in der Stadt oder außerhalb Senegas nicht aufgestellt, hätte er (der ein würdiger Nachkomme des Seneca zu sein scheint) niemals die Möglichkeit gehabt, nicht zurückzutreten. Es freut mich zu hören, daß das Barometer bei unseren französischen Freunden wieder im Steigen ist - es wird sicher höher steigen, als es sollte. Doch daran sind wir gewöhnt, und dem können wir nicht ausweichen; wie sonst sollte das richtige Mittelmaß wieder hergestellt werden. Kautsky ist in London und seit ungefähr vierzehn Tagen im Besitz von Pauls Brief usw., ich werde ihm morgen sagen, daß Paul Nachricht von ihm erwartet. Deine Birnen werden nach und nach aufgegessen, doch wir halten sie heilig, bis sie ausgereift sind, und dann bekomme ich die meisten davon zum
ten heute hier für 5 d. pro Stück verkauft werden. Nim hat, was meine selige Frau5 „a gammy leg"6 nannte, Rheumatismus (der Glieder), der vom Knie zu den Hüften und wieder zurück wandert. Das ist natürlich eine sehr veränderliche Größe, leider aber nicht une quantite negligeable7. Das Asthma wird nachlassen, wenn das Wetter mir erst erlaubt, sie ein wenig nach Hampstead auszuführen. Gumpert sagte ihr, Bergsteigen wäre heilsam, und so ist es auch. Pumps und Co. sind immer noch hier - wenn heute ein Vergleich getroffen wird8, werden sie am Montag nach Kilburn zurückgehen. Percys Familie ist gezwungen worden, etwas Geld herauszurücken, doch die Geschichte wird mich mindestens 60 Pfund kosten, dazu die Hälfte ihres Unterhalts. Percy arbeitet für seinen Bruder Charlie, der einige Einfälle hat, die den britischen Philistern jetzt gerade zu passen scheinen; doch die Bezahlung ist nur unbedeutend und die ganze Sache ungewiß. Die 4. Auflage des ersten Bandes9 ist in der Druckerei, und ich sitze wieder über meinem dritten Band9. Keine einfache Aufgabe, doch „mun be done"10, wie sie in Lancashire sagen. Tussy arbeitet schwer - morgen wird sie gar nicht hier sein, da sie zwei Reden halten muß, nachmittags und abends, so daß sie ihren Scheck nicht vor Montag bekommen wird. Deiner liegt bei, auch die Abrechnung - Dein
6 Lizzy Burns - 6 „ein schlimmes Bein" — 7 eine Zu vernachlässigende Größe - 8 siehe vorl. Band, S.297 -9 des „Kapitals" -10 „es muß gemacht werden"
Frühstück. Nim hat soeben entdeckt, daß die langen, so geform
Anteil beträgt leider nur £ 1.17.6, aber schließlich sieht es in Francs viel mehr aus. Wir haben mit Miss Harkness eine neue Mutter Schack bekommen. Doch dieses Mal haben wir sie festgenagelt, und sie wird merken, mit wem sie es zu tun hat. Immer Dein F.E.
Aus dem Englischen.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 18. Nov. 89
Mein lieber Lafargue, Inliegend Scheck über £ 20. Wenn die Redakteure Eurer Zeitungen keine Fremdsprachen verstehen, dann wäre das ein Grund, ihre Zeitungen zu schicken, ohne daß die anderen, die Ausländer, verpflichtet wären, ihnen etwas zu schicken, was für die Franzosen unverständliches Kauderwelsch ist. Aber ich sehe nicht ein, daß das für die Franzosen ein Grund sein soll, ihre Zeitungen nicht an Leute zu schicken, die sie verstehen und die den besten Willen haben, sich ihrer sogar im Interesse der französischen Partei zu bedienen. Die Pumps' sind noch hier; man hofft, daß es sich heute regeln wird. Gestern abend habe ich Freunden LaurasÜbersetzung des „Senateur "13281 vorgelesen. Alle waren entzückt. That oüght to be printed1, sagte Aveling. But where? fragte ich-in the „Pall Mall Gazette"?2 - Avelings Gesicht nahm beinahe unbegrenzt vertikale Dimensionen an. Wenn Laura daranginge, Sachen von Heine Zu übersetzen - dann könnte sie, wenn sie das nächste Mal herkommt, die bereits erschienenen Übersetzungen im Britischen Museum vergleichen und etwas Neues auswählen -, vielleicht könnte man hier damit etwas machen. Heine ist augenblicklich in Mode - und die Übersetzungen sind so britisch! Umarmen Sie Laura von Nim und mir. Nim fühlt sich ganz wohl. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
1Das müßte gedruckt werden - 2 Aber wo? ... - in der „Pall Mall Gazette"?
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Engels an Jules Guesde in Paris
122, Regent's Park Road, N.W. London, den 20. Nov. 1889
Lieber Bürger Guesde, Soeben erhalte ich einen Brief von Frau Aveling, die mich bittet, Ihnen zu schreiben, falls ich Ihre Adresse habe. Da Bonnier sie mir zum Glück gegeben hat, verliere ich keine Zeit. Es handelt sich um folgendes: In Silvertown, einem Vorort von London, findet in der Firma Silver, in der Gummiwaren usw, hergestellt werden, ein Streik statt, der von Frau Aveling geleitet wird13301; der Streik dauert bereits 10 Wochen, hat 3000 Arbeiter und Arbeiterinnen erfaßt und alle Aussichten auf Erfolg. Sein Gelingen ist wichtig, damit die lange Erfolgskette der Arbeiter seit dem Dockerstreik[277J nicht abreißt und damit nicht durch einen Sieg der englischen Herren Unternehmer diesen die schon fast geschwundene Zuversicht wiedergegeben wird. Vor einigen Tagen hat die Firma Silver sehr eilige Aufträge erhalten, die nicht ausgeführt werden können, solange von 3500 Arbeitern über 3000 streiken. Außerdem ist ein sehr großer Auftrag über Unterseekabel an vier Fabriken zu vergeben, eine davon ist die Firma Silver; sie büßt ihre Chancen ein, wenn der Streik andauert. Sie hat einigen Streikenden verlockende Angebote gemacht, aber ohne Erfolg. Nun haben sie zu ihrem letzten Mittel Zuflucht genommen. Die Firma Silver (sie ist eine Aktiengesellschaft, die unter diesem Namen arbeitet) hat ein ähnliches Unternehmen in Beaumont-Persan bei Paris, in dem französische Arbeiter unter englischen Meistern arbeiten. Einige von ihnen haben sie nach England kommen lassen. Sicher ist, daß 70 Arbeiter und Arbeiterinnen aus Beaumont hier im Hafen eingetroffen sind; wir wissen noch nicht, ob sie in die Fabrik nach Silvertown gebracht worden sind. Es geht jetzt darum, dem ein Ende zu machen. Wahrscheinlich hat man sie unter falschem Vorwand kommen lassen und ihnen verheimlicht, daß es sich um einen Streik handelt.
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Zweite Seite des Briefes von Engels an Jules Guesde vom 20. November 1889

Frau Aveling hat sofort an Lafargue und an Vaillant telegraphiert, aber da Eile geboten ist, wenden wir uns auch an Sie; wir bitten Sie, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, daß französische Arbeiter die Arbeitsplätze der Streikenden in Silvertown einnehmen, um sie mit der wahren Situation bekannt zu machen und an das Klassenbewußtsein Ihrer Arbeiter zu appellieren. Es wäre schrecklich, wenn durch die Ankunft französischer blacklegs1 der Widerstand der Streikenden gebrochen würde. Das hätte einen Wiederausbruch des alten nationalen Hasses zur Folge, den zu unterdrücken es kein Mittel gäbe. Seit vier Monaten sind die Arbeiter des Londoner Ostens nicht nur mit Leib und Seele in die Bewegung eingetreten, sondern sie haben auch ihren Kameraden aus allen Ländern ein Beispiel an Disziplin, Opfermut, Kühnheit und Ausdauer gegeben, dem nur das Verhalten der von den Preußen belagerten Pariser gleichkommt13311. Stellen Sie sich nun vor, welche Wirkung das hätte, wenn sie mitten in diesem Kampf französische Arbeiter fänden, die unter der Fahne der englischen Bourgeoisie kämpfen! Nein, das ist unmöglich! Man muß in Frankreich nur die wirkliche Lage bekanntmachen, dann würden im Gegenteil gerade dank der Aktion der französischen Proletarier die englischen Streikenden den Sieg erringen. Als man beim Dockstreik an Anseele telegraphierte, daß die Unternehmer belgische Arbeiter anwerben, ergriff Anseele sofort die notwendigen Maßnahmen, und seine Briefe und Telegramme haben viel dazu beigetragen, den manchmal nachlassenden Mut der Kämpfenden neu zu beleben. Wenn Sie den Leuten von Silvertown etwas Ähnliches zur Ermutigung zukommen lassen könnten, schreiben Sie direkt an Frau Aveling, 65, Chancery Lane, W.C., London, das wird eine ausgezeichnete Wirkung haben. Von Bonnier erfahre ich, daß es Ihnen gesundheitlich viel besser geht und daß die Marseiller Kampagne[332] Sie nicht geschwächt, sondern Sie gestärkt hat; das hat mich sehr gefreut, denn wir brauchen Ihre ganze Kraft. Ich bin sehr froh darüber, daß die sozialistische Arbeiterpartei1311 nach Ihrer Devise: weder Ferry noch Boulanger, ihre Tore in der Kammer für die Renegaten und Verräter beider Lager geschlossen hat. Ich drücke Ihnen herzlich die Hand. F. Engels
Aus dem Französischen.
1 Streikbrecher
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevent
London, 30. Nov. 1889
Lieber Freund, Hiermit, in aller Eile, nur die Nachricht, daß ich gleich nach Empfang Ihres Briefs an Lafargue wegen Labrfiola] schrieb.13331 Lafargue zeigt mir nun heute an, daß er bereits in Ihrer Angelegenheit an Labriola geschrieben und ihn gebeten hat, das Mögliche für Sie zu tun; es sei also unnötig, daß ich auch noch an ihn schreibe. In der Hoffnung, daß diese Schritte von Erfolg begleitet sein werden, bleibe ich aufrichtigst der Ihrige F. Engels

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