KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 39

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE-BAND 39
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX
FRIEDRICHENGELS
WERKE
0
DIETZ VERLAG BERLIN
1968
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 39
0
DIETZ VERLAG BERLIN
1968
Die deutsche Ausgabe der Werke von Marx und Engels fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten zweiten russischen Ausgabe.
Die Texte werden nach den Handschriften bzw. nach deren Photokopien gebracht. Wiedergabe nach Sekundärquellen wird besonders vermerkt.
Vorwort
Der neununddreißigste Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält Engels' Briefe aus den letzten zweieinhalb Jahren seines Lebens - von Januar 1893 bis Juli 1895. Diese Jahre gehören zu dem Zeitabschnitt, in dem sich der unmittelbare Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus zu vollziehen begann. Die Produktion nahm einen weiteren Aufschwung und konzentrierte sich in Großbetrieben; die Bildung von Monopolen ging weiter voran. Die koloniale Expansion nahm zu, und der Kampf der Kolonialmächte um Einflußsphären verschärfte sich. Die Blockbildung der europäischen Großmächte, auf der einen Seite der Dreibund - Deutschland, Österreich und Italien - und auf der anderen Seite die sich festigende Allianz zwischen Rußland und Frankreich war ein Ausdruck der sich zuspitzenden Widersprüche. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre setzte sich der Aufschwung der organisierten Arbeiterbewegung fort. Immer breitere Kreise des kämpfenden Proletariats eigneten sich die Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus an. Die programmatischen Dokumente der wichtigsten sozialistischen Parteien Europas beruhten im wesentlichen auf marxistischer Grundlage. „Der Marxismus", stellte W.I.Lenin fest, „trug bereits unbestreitbar über alle anderen Ideologien in der Arbeiterbewegung den Sieg davon." (W.I.Lenin, Werke, Berlin 1963, Band 15, S. 20.) Auch in seinen letzten Lebensjahren widmete Engels dem Kampf der Arbeiterklasse größte Aufmerksamkeit und stand in enger Verbindung mit den führenden Persönlichkeiten der revolutionären proletarischen Bewegung. Die Briefe dieses Bandes widerspiegeln, wie sich die internationalen Beziehungen von Engels erweiterten und welch hervorragende Rolle er im Kampf um die Durchsetzung des Marxismus in der Arbeiterbewegung
und um die ideologische und organisatorische Festigung der II. Internationale spielte. Engels setzte seine umfangreiche Korrespondenz mit den alten Kampfgefährten und Freunden fort und knüpfte gleichzeitig engere Verbindungen zu angesehenen Führern der Arbeiterbewegung wie G. W.Plechanow, Antonio Labriola, Filippo Turati. Er stand im Briefwechsel mit Sozialisten fast aller europäischer Staaten und der USA. In seiner wissenschaftlichen Arbeit konzentrierte sich Engels weiterhin auf die Herausgabe des dritten Bandes des „Kapitals". Bei dem von Marx hinterlassenen Manuskript dieses Bandes handelte es sich um einen kaum bearbeiteten Rohentwurf. Seine Herausgabe erforderte von Engels die Lösung außerordentlich komplizierter wissenschaftlicher Probleme. Er mußte nicht nur das Material systematisieren, sondern auch viele Passagen vollenden, ganze Kapitel neu schreiben sowie umfangreiche Zusätze und Anmerkungen machen. Dabei ging Engels auf neue Erscheinungen und Aspekte im internationalen Wirtschaftsleben ein, die mit dem unmittelbaren Übergang zum Imperialismus zutage traten. Dadurch konnte er „bis zu einem gewissen Grad die Aufgaben unserer, der imperialistischen Epoche vorwegnehmen". (W.I.Lenin, Werke, Berlin 1960, Band 25, S.456.) Engels bemühte sich stets, den Stil und die Formulierungen von Marx möglichst beizubehalten. „Ich ... glaube, meine Pflicht getan zu haben, indem ich Marx in Marx* Worten gab, selbst auf die Gefahr hin, dem Leser etwas mehr eignes Denken zuzumuten", schrieb er am 1 I.März 1895 an Werner Sombart. Engels arbeitete fast zehn Jahre lang am dritten Band des „Kapitals", der im Dezember 1894 erschien. Seine Veröffentlichung war von gewaltiger Bedeutung für die Arbeiterbewegung. Ebenso wie die beiden vorangegangenen Bände trug auch der dritte, der den „Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion" behandelt, wesentlich dazu bei, die Arbeiterklasse mit den ökonomischen Lehren von Marx bekannt zu machen und den sozialistischen Parteien besonders in ökonomischen Fragen zu klaren Erkenntnissen zu verhelfen. Es ist Engels zu danken, daß mit der Herausgabe des zweiten und des dritten Bandes des „Kapitals" Marx' ökonomische Theorie zum ersten Mal in geschlossener Form vorlag. W. I. Lenin würdigte die hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen von Engels, indem er sagte, er habe „seinem genialen Freunde mit der Herausgabe von Band II und III des .Kapitals' ein großartiges Denkmal gesetzt, auf dem er, ohne es beabsichtigt zu haben, seinen eigenen Namenszug mit unauslöschlichen Lettern eingetragen hat. In der Tat, diese beiden Bände des .Kapitals' sind das Werk
von zweien: von Marx und von Engels". (W.I.Lenin, Werke, Berlin 1961, Band 2, S. 12.) Durch die Herausgabe des dritten Bandes des „Kapitals" zerriß auch das ganze Lügengewebe der bürgerlichen Kritiker, die hartnäckig behauptet hatten, Marx sei amEnde seines Lebens mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten in eine Sackgasse geraten und habe angeblich überhaupt keinen dritten Band geschrieben. In vielen Briefen erläuterte und kommentierte Engels Probleme des dritten Bandes des „Kapitals", z.B. die Bildung der Durchschnittsprofitrate auf der Grundlage des Wertgesetzes, den Produktionspreis usw. Sehr interessant sind in dieser Hinsicht die Briefe an Conrad Schmidt vom 12. März und 6. April 1895 sowie der Brief an Werner Sombart vom 11. März 1895. Engels wies darin nach, daß die Versuche der bürgerlichen Ökonomen, einen Widerspruch zwischen dem ersten und dem dritten Band des „Kapitals" zu konstruieren, völlig haltlos sind. In diesen wie auch in anderen Briefen analysierte Engels kritisch einige Arbeiten bürgerlicher Ökonomen, die einzelne Thesen der marxistischen politischen Ökonomie zu widerlegen versuchten. Die betreffenden Briefe stehen in engem Zusammenhang mit der von Engels geschriebenen Ergänzung zum dritten Band des „Kapitals", die den Titel „Wertgesetz und Profitrate" trägt (siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.895-917). Während der Arbeit am dritten Band gab Engels überdies 1893 die zweite deutsche Auflage des zweiten Bandes des „Kapitals" heraus, förderte die Übersetzung des ersten Bandes ins Italienische, führte Verhandlungen über die Übersetzung des zweiten und dritten Bandes ins Französische und sorgte dafür, daß der dritte Band in kurzer Frist ins Russische übersetzt werden konnte. Engels trug sich außerdem nach wie vor mit der Absicht, den vierten Band des „Kapitals" - die „Theorien über den Mehrwert" - für den Druck fertigzustellen. In einem Brief an Laura Lafargue bemerkte er am 28. März 1895, daß er dies als eine seiner wichtigsten Aufgaben betrachte. Zum letzten Mal erwähnte Engels die „Theorien über den Mehrwert" im Brief an Stephan Bauer vom IO.April 1895. Wie aus diesem Brief zu entnehmen ist, hoffte Engels noch 1895, daß es ihm vergönnt sein werde, dieses Werk von Marx herauszugeben. Auch in seinen letzten Lebensjahren verfolgte Engels aufmerksam die Entwicklung in den führenden kapitalistischen Staaten und analysierte die ökonomische Entwicklung einzelner Länder sowie das kapitalistische System insgesamt; daraus zog er Schlußfolgerungen für den Kampf der Arbeiterklasse sowie für die praktische Politik der sozialistischen Parteien
und entwickelte die ökonomische Theorie von Marx schöpferisch weiter. Am 24. Januar 1893 schrieb er in seinem Brief an August Bebel über die veränderte Rolle der Börse und bestimmte das Verhältnis der Arbeiterklasse gegenüber dieser Institution. Diese Thesen legte Engels seiner 1895 entworfenen Artikeldisposition über die Rolle der Börse unter den neuen Bedingungen zugrunde. (Siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.917-919.) Engels stellte wichtige neue Züge der ökonomischen Entwicklung am Ausgang des 19. Jahrhunderts fest: Die Konkurrenz zwischen den stärksten kapitalistischen Staaten verschärfte sich, England hatte seine Monopolstellung auf dem Weltmarkt infolge des raschen Wachstums der Industrie in Deutschland und in den Vereinigten Staaten von Amerika verloren, militaristische Tendenzen und koloniale Expansion nahmen zu, die Elemente des Staatskapitalismus vermehrten sich, der Protektionismus dehnte sich aus, die Steuern wurden erhöht. Wie die weitere Entwicklung bewies, waren diese und andere Erscheinungen kennzeichnend für den Übergang des Kapitalismus in ein neues, das imperialistische Stadium. Engels kritisierte in diesem Zusammenhang die Reden einiger Sozialisten, besonders der französischen, die nicht begriffen, daß die Errichtung des Staatsmonopols für die Getreideeinfuhr und ähnliche Maßnahmen nicht zur Verbesserung der Lage der Werktätigen, sondern zu verschärfter Ausbeutung und zu noch größerer Korruption des Staatsapparats führen mußten (siehe vorl. Band, S.392). Sehr bedeutungsvoll sind die Briefe, in denen so grundlegende Fragen des historischen Materialismus dargelegt und konkretisiert werden wie das dialektische Verhältnis von Ursache und Wirkung in der gesellschaftlichen Entwicklung, das Verhältnis von gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewußtsein und von Basis und Überbau. Wie schon in den vorangegangenen Jahren wandte sich Engels gegen die Verflachung und Verfälschung des Marxismus. Er trat gegen die Behauptung auf, daß für die materialistische Geschichtsauffassung nur das ökonomische Moment, der Entwicklungsstand der Produktivkräfte, das einzige bestimmende Moment der gesellschaftlichen Entwicklung wäre, eine Behauptung, die auch heute noch zum Arsenal der Marxverfälscher gehört. Engels zeigte, daß der gesellschaftliche Überbau, einmal von der ökonomischen Basis hervorgebracht, selbst aktiv zu wirken beginnt. „Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit" (siehe vorl. Band, S.206). Am 14. Juli 1893 schrieb er an Franz Mehring: „Daß ein historisches Moment,
sobald es einmal durch andre, schließlich ökonomische Ursachen, in die Welt gesetzt, nun auch reagiert, auf seine Umgebung und selbst seine eignen Ursachen zurückwirken kann, vergessen die Herren oft fast absichtlich." Engels unterstrich dabei, daß dieser Auffassung „die ordinäre undialektische Vorstellung von Ursache und Wirkung als starr einander entgegengesetzten Polen" zugrunde liegt. In dem Brief an W.Borgius vom 25. Januar 1894, von dem früher irrtümlich angenommen wurde, er sei an H. Starkenburg gerichtet, ging Engels auf das dialektische Verhältnis von Notwendigkeit und Zufall in der Geschichte ein. Er wies nach, daß sich durch alle Zufälligkeiten in der gesellschaftlichen Entwicklung hindurch letztlich die ökonomische Notwendigkeit durchsetzt, daß der Zufall einerseits die Ergänzung und andererseits die Erscheinungsform der Notwendigkeit ist. Auch seine historischen Studien setzte Engels in den neunziger Jahren fort. Im Juni/Juli 1894 schrieb er die Arbeit „Zur Geschichte des Urchristentums" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.447-473), die zu den grundlegenden Werken des wissenschaftlichen Atheismus gehört. „Ich habe mich mit dem Gegenstand getragen seit 1841", bemerkte er in seinem Brief an Karl Kautsky vom 28.Juli 1894. Und am 21.Mai 1895, als er Kautskys Schrift „Von Plato bis zu den Wiedertäufern", die dieser für den ersten Band der „Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen" verfaßt hatte, analysierte, betonte er, daß es notwendig sei, die Rolle und Entwicklung „der untersten, rechtlosen Schicht jeder Stadtbevölkerung" in den Massenbewegungen des 15. und 16. Jahrhunderts gründlicher zu untersuchen sowie die ökonomischen Wurzeln dieser Bewegungen in Deutschland Ende des 15. Jahrhunderts voll zu berücksichtigen. Das Anwachsen der internationalen Arbeiterbewegung und die Festigung des Klassenbewußtseins der Arbeiterklasse erforderten die fortschreitende Verbreitung marxistischen Gedankenguts. Aus diesem Grunde widmete Engels der Wiederherausgabe und Übersetzung Marxscher Schriften und seiner eigenen Arbeiten auch weiterhin viel Zeit. Engels begrüßte die Herausgabe von grundlegenden Werken des wissenschaftlichen Kommunismus in Sprachen, in denen sie bis dahin noch nicht erschienen waren. Er war sehr erfreut, als er die Nachricht vom bevorstehenden Erscheinen des „Manifests der Kommunistischen Partei" in tschechischer Sprache erhielt (siehe vorl. Band, S.59). Und am 23. November 1894 schrieb er an den armenischen Sozialisten J.N.Atabekjanz: „Ich danke Ihnen bestens für Ihre Übersetzung meiner .Entwicklung des Sozialismus' und neuerdings des .Kommunistischen Manifests' in Ihre armenische Muttersprache."
Aus Briefen an Laura Lafargue, Filippo Turati, Victor Adler und an andere geht hervor, daß Engels in vielen Fällen die Übersetzungen selbst redigierte oder im Manuskript überprüfte. Engels ging stets auf die wissenschaftlich-theoretischen Fragen ein, die die Vertreter der jüngeren Generation an ihn herantrugen. Er nahm sich die Zeit, ihnen schwierige Probleme der Theorie des Marxismus zu erläutern, mit ihnen darüber zu korrespondieren, Literaturhinweise zu geben u.a.m. (siehe die Briefe an W. J. Schmuilow vom 7. Februar 1893, an Conrad Schmidt vom 12.März und 6.April 1895 u.a.). Von den sozialistischen Publizisten und Journalisten verlangte Engels hohes Verantwortungsbewußtsein und Gewissenhaftigkeit. „Unser Arbeiterpublikum"» schrieb er am 20. Januar 1893 an den Schweizer Journalisten Louis Heritier, „muß die wenigen Stunden, die es der Lektüre widmen kann, der Ruhe und dem Schlaf entziehen; es hat also ein Recht darauf zu fordern, daß alles, was wir ihm bieten, das Ergebnis gewissenhafter Arbeit ist..." Entrüstet wandte sich Engels gegen alle Entstellungen des Marxismus, insbesondere wenn „Passagen aus den Schriften und dem Briefwechsel von Marx in höchst widersprüchlicher Weise ausgelegt" wurden (siehe vorl. Band, S. 75), und man „vor keiner Verzerrung und keinem unfairen Manöver" zurückschreckte, „um eine einmal eingenommene Position zu verteidigen" (siehe vorl. Band, S.328). Um sich über die Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung und der politischen und ökonomischen Lage in den verschiedenen Ländern zu informieren, las Engels fast alle bedeutenden sozialistischen Zeitungen und Zeitschriften jener Zeit. Außerdem arbeitete er an mehreren von ihnen ständig mit („Vorwärts", „Die Neue Zeit", „Arbeiter-Zeitung", „Le Socialiste", „Critica Sociale" u.a.). Am 17.Dezember 1894 teilte Engels Laura Lafargue mit, daß er „die Bewegung in fünf großen und einer Reihe kleiner Länder Europas und in den USA" verfolge, und zu „diesem Zweck erhalte ich an Tageszeitungen 3 deutsche, 2 englische, 1 italienische und ab I.Januar die Wiener Tageszeitung, insgesamt 7. An Wochenzeitimgen erhalte ich 2 aus Deutschland, 7 aus Österreich, 1 aus Frankreich, 3 aus Amerika (2 in Englisch, 1 in Deutsch), 2 italienische und je eine in Polnisch, Bulgarisch, Spanisch und Tschechisch; davon sind drei in Sprachen, die ich erst allmählich lerne." Außerdem erhielt Engels aus Rußland und einigen anderen Ländern eine Reihe von Zeitschriften. Über wichtige Pressemitteilungen informierte er des öfteren die Führer der deutschen und der österreichischen Partei sowie anderer sozialistischer Parteien und trug zum Presseaustausch unter ihnen bei.
Der zum Teil ausgedehnte Briefwechsel mit führenden Sozialisten fast aller europäischer Länder - so z.B. mit dem Mitbegründer der österreichischen Sozialdemokratischen Partei, Victor Adler, dem führenden Mitglied der italienischen Sozialistischen Partei, Filippo Turati, und mit dem Propagandisten des Marxismus in Italien, Antonio Labriola, dem Vertreter der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens, Pablo Iglesias, sowie die Korrespondenz und der persönliche Kontakt mit der Vertreterin der Polnischen Sozialistischen Partei, Maria Mendelson - zeugt auch davon, daß Engels über die Entwicklung der Arbeiterbewegung in Europa genau informiert und durch Kenntnis der Zeitgeschehnisse in den entsprechenden Ländern in der Lage war, den Parteien mit Rat und Hilfe zur Seite zu stehen. Der überwiegende Teil der Briefe beschäftigt sich mit Fragen der Taktik der Arbeiterbewegung und Problemen des Kampfes der proletarischen Parteien. In diesen Briefen wird deutlich, wie sehr Engels um die ideologische und organisatorische Festigung der Arbeiterparteien bemüht war, wie er bei der Überwindung von Dogmatismus und Sektierertum half und einen unversöhnlichen Kampf gegen alle Spielarten des Opportunismus führte. Eine wichtige Aufgabe war die Festigung der 1889 gegründeten neuen Internationale. Die Entwicklung der internationalen Beziehungen zwischen den sozialistischen Parteien der verschiedenen Länder und die richtige Verbindung der nationalen mit den internationalen Aufgaben gehörten zu den wichtigsten Fragen in der internationalen Arbeiterbewegung. Dieser Problematik widmete Engels besondere Aufmerksamkeit. In seinem Brief an Laura Lafargue vom 20. Juni 1893 betonte Engels ausdrücklich, daß Beziehungen zwischen den sozialistischen Parteien nur auf dem Prinzip der vollen Gleichberechtigung beruhen können. Eine „internationale Vereinigung kann nur zwischen Nationen bestehen; deren Existenz, Autonomie und Unabhängigkeit in inneren Angelegenheiten daher schon in dem Begriff Internationalität eingeschlossen sind". Ganz entschieden aber wandte er sich gegen die unbegründeten Hegemonieansprüche in der internationalen Arbeiterbewegung, die von einzelnen Parteien bisweilen erhoben wurden. Nicht die subjektiven Wünsche ihrer Führer bestimmen die Stellung dieser oder jener Partei in der internationalen Arbeiterbewegung, erklärte Engels, sondern entscheidend ist die objektive Rolle, welche die Partei im Befreiungskampf der Arbeiterklasse spielt. Engels stellte nicht in Abrede, daß in der einen oder anderen Etappe des Kampfes einzelne Parteien die revolutionäre Avantgarde der Bewegung bilden können, wies jedoch darauf hin, daß der Sturz des Kapitalismus im internationalen Maßstab auf keinen Fall die Sache nur einer Partei sein kann. „... weder Franzosen noch Deut
sehe noch Engländer", konkretisierte er diese Gedanken in seinem Brief an Paul Lafargue am 27. Juni 1893, „werden den Ruhm genießen, den Kapitalismus allein gestürzt zu haben;... Die Befreiung des Proletariats kann nur eine internationale Aktion sein..." Engels war sich bewußt, daß die Arbeiterbewegung ein solches Niveau erreicht hatte, das gemeinsame praktische Schritte der verschiedenen nationalen Formationen der Arbeiterklasse möglich machte. Er betonte jedoch, daß diese Schritte vorher von allen Teilnehmern beraten werden müßten und nur in freiwilligem Zusammenwirken durchzuführen seien. „Unbedingte Voraussetzung für jede internationale Aktion", schrieb er an Paul Lafargue, „muß sein, daß man sich im voraus über den Inhalt und die Form verständigt. Es scheint mir unzulässig, daß eine Nationalität allein öffentlich die Initiative ergreift und dann die anderen auffordert, ihr zu folgen." (Siehe vorl. Band, S. 190.) Wiederholt sprach Engels davon, daß es ein großer Fehler wäre, Probleme der Arbeiterbewegung eines beliebigen Landes getrennt von den gemeinschaftlichen Aufgaben des gesamten internationalen Proletariats zu lösen. Er empfahl den Sozialisten, stets daran zu denken, daß jeder ihrer Schritte auch für ihre Klassenbrüder in den anderen Ländern von Bedeutung ist und sie verpflichtet sind, dies zu berücksichtigen. Engels wies darauf hin, daß die Tätigkeit einer Partei unvermeidlich auch die Parteien anderer Länder beeinflußt, daß „...die in einem Land eroberten Erfolge auf alle andern mächtig zurückwirken" (siehe vorl. Band, S. 141). Hiervon ausgehend, empfahl Engels den sozialistischen Parteien, ihre Taktik untereinander abzustimmen. Engels maß der weiteren Festigung der internationalen proletarischen Beziehungen, den internationalen Kongressen und Konferenzen, vor allem aber den direkten Kontakten und Begegnungen der Vertreter der Parteien große Bedeutung bei. Als besonders wichtig erachtete er die Herstellung ständiger Verbindungen zwischen den beiden größten Abteilungen der Arbeiterklasse auf dem Kontinent - den französischen Sozialisten und den deutschen Sozialdemokraten. Diese Verbindungen betrachtete er als starke Barriere gegen die chauvinistischen Bestrebungen der reaktionären Kräfte in beiden Ländern. In diesem Zusammenhang riet er Paul Lafargue am 13. Oktober 1893: „Es ist also wichtig, daß Sie ... alles tun, um die Position, die Sie der deutschen Partei gegenüber immer eingenommen haben, aufrechtzuerhalten: die Position ihres Hauptverbündeten in Frankreich... Selbstverständlich werde ich mein Möglichstes tun, um das enge Bündnis zwischen der deutschen Partei und Ihrer Partei in Frankreich weiterhin zu
sichern..." Das war damals besonders wichtig, da sich bereits zwei einander gegenüberstehende aggressive Militärblocks der großen europäischen Staaten herausbildeten. Umfassende Hilfe leistete Engels bei der Vorbereitung der ersten Kongresse der II. Internationale. Ein Höhepunkt des Züricher Kongresses im August 1893 war Engels' Auftreten am letzten Verhandlungstag. Er hielt eine leidenschaftliche Rede, in der er auf die Notwendigkeit hinwies, gemeinsam zu einem einheitlichen Standpunkt zu gelangen, um die Einheit und die Schlagkraft des internationalen Proletariats zu stärken. Seine Eindrücke vom Züricher Kongreß spiegeln sich in Briefen an Laura Lafargue vom 2I.August 1893, an Friedrich Adolph Sorge vom 7.Oktober 1893 und in anderen Briefen wider. In verschiedenen Briefen trat Engels gegen sektiererische Tendenzen und Fehler einiger sozialistischer Parteien und Organisationen auf. Er erläuterte, daß zu den theoretischen Wurzeln des Sektierertums die dogmatische Auslegung des Marxismus als eine Summe ein für allemal gegebener, unveränderlicher Wahrheiten und Thesen gehöre, die unter beliebigen Bedingungen anwendbar seien. Er verurteilte jene Sozialisten, die nicht beachteten, daß sich die Arbeiterbewegung keineswegs immer nach ihren subjektiven Vorstellungen entwickelt, und stellte fest, daß zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo der Kampf der Arbeiterklasse in Formen vor sich ging, die sich in vielem von denen des europäischen Kontinents unterschieden, einige Führer der Sozialistischen Arbeiter-Partei von Nord-Amerika die unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen nicht begriffen und sich deswegen von den Massen des kämpfenden Proletariats lösten. Es genügt nicht, bemerkte Engels, wenn sich eine sozialistische Partei ein marxistisches Programm gibt. Das bringt an und für sich noch keinen Erfolg, wenn sie es nicht versteht, sich in ihrer praktischen Tätigkeit auf die grundlegenden Thesen des Marxismus zu stützen und den Marxismus richtig anzuwenden. Er verwies auf das sektiererische Verhalten der Social Democratic Federation und der Sozialistischen Arbeiter-Partei von NordAmerika. Engels stellte fest, daß diese beiden Organisationen die „Marxsche Theorie der Entwicklung auf eine starre Orthodoxie heruntergebracht" haben, „zu der die Arbeiter sich nicht aus ihrem eignen Klassengefühl heraus emporarbeiten sollen, sondern die sie als Glaubensartikel sofort und ohne Entwicklung herunterzuwürgen haben" (siehe vorl. Band, S.245). Die Social Democratic Federation „hat es fertiggebracht", schrieb Engelsam 10.November 1894an seinen Freund F.A.Sorge, „unsreTheorie
in das starre Dogma einer rechtgläubigen Sekte zu verwandeln", sie „ist engherzig abschließend und hat dabei, dank Hyndman, in der internationalen Politik eine durchaus faule Tradition, die zwar von Zeit zu Zeit erschüttert wird, mit der aber noch immer nicht gebrochen ist". Immer wieder betonte Engels, wie gefährlich es für eine sozialistische Arbeiterpartei ist, schablonenhaft und dogmatisch die konkreten Aufgaben zu formulieren. Er wies darauf hin, daß die Mannigfaltigkeit der Bedingungen, unter denen die Sozialisten in den verschiedenen Ländern wirken müssen, ebenso viele mannigfache Wege und Mittel zur Erreichung des einheitlichen Zieles erfordert. Wenn die Eroberung der politischen Macht für und durch die Arbeiterklasse das nächste Ziel ist, erläuterte er, „so kann der Meinungsstreit über die dabei anzuwendenden Mittel und Methoden des Kampfs unter aufrichtigen Leuten, die ihre fünf Sinne beieinander haben, kaum noch zu prinzipiellen Differenzen führen" (siehe vorl. Band, S.46). Engels wertete es als Sektierertum, als die Leitung der Social Democratic Federation den Beschluß faßte, für 1896, drei Tage vor dem Internationalen Sozialistischen Arbeiter- und Gewerkschaftskongreß in London, „einen rein sozialistischen Kongreß" abzuhalten. In seinen Briefen an Pablo Iglesias zwischen dem 9. und 14. August, an Eduard Bernstein vom 14. August, an Filippo Turati vom 16. August und an Paul Lafargue vom 22. August 1894 erklärte er, daß der Beschluß der Social Democratic Federation falsch sei und ernsthaften Schaden bringe, da er verhindere, daß die dem bewußten Klassenkampf noch fernstehenden Arbeiter in die sozialistische Bewegung hineingezogen werden. „Das", so schrieb er an Turati, „könnte die Delegierten des großen Kongresses, die von den noch nicht rein sozialistischen Gruppen entsandt werden, nur - und mit Recht - verärgern. Und da wir aus Erfahrung wissen, daß diese Gruppen allein durch die Tatsache ihrer Anwesenheit auf unseren Kongressen unbewußt in den sozialistischen Kreis hineingezogen werden,... sollten wir da so engstirnig sein, uns diese Tür zu verschließen?" (Siehe vorl. Band, S.290.) Im Zusammenhang mit fehlerhaften und opportunistischen Auffassungen einiger sozialistischer Führer ging Engels auf die Problematik des Verhältnisses von Demokratie und Sozialismus im proletarischen Befreiungskampf und auf die Stellung der Arbeiterklasse zum Kampf um die demokratische Republik ein. Ziel der nächsten Etappe des Klassenkampfes konnte damals zunächst nur die Erkämpfung einer demokratischen Republik sein, nur diese konnte Ausgangspunkt und Voraussetzung für den Kampf des Proletariats um die politische Macht bilden. „Wenn etwas feststeht, so ist es
dies", erklärte er, „daß unsre Partei und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen kann unter der Form der demokratischen Republik". Engels zeigte auf, daß es ein großer Irrtum sei anzunehmen, man könne in Deutschland „auf gemütlich-friedlichem Weg die Republik einrichten, und nicht nur die Republik, sondern die kommunistische Gesellschaft" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.235). Gleichzeitig warnte er vor Illusionen, daß durch die bürgerliche Republik einzelne sozialistische Maßnahmen verwirklicht werden könnten, „...die Republik", schrieb Engels an Paul Lafargue am 6. März 1894, „wird wie jede andere Regierungsform durch ihren Inhalt bestimmt; solange sie die Herrschaftsform der Bourgeoisie ist, ist sie uns genau so feindlich wie irgendeine Monarchie (abgesehen von den Formen dieser Feindseligkeit)." In seinem Brief an Hermann Schlüter vom 1 .Januar 1895 charakterisierte Engels die bürgerliche Scheindemokratie in England und verwies darauf, wie die herrschenden Klassen die Rechte der Werktätigen durch „indirekte Schranken" zunichte machen. In dem Maße, wie sich die Entwicklungstendenzen zum Imperialismus verstärkten, traten auch die opportunistischen Kräfte immer deutlicher und aktiver hervor. Als in Deutschland der Führer der bayrischen Sozialdemokraten, Georg, von Vollmar, und andere auf dem Frankfurter Parteitag im Oktober 1894 erneut ihre opportunistischen Auffassungen vertraten, schrieb Engels an Wilhelm Liebknecht, daß dies ein Anzeichen für das „Vordringen des kleinbürgerlichen Elements in der Partei" sei (siehe vorl. Band, S.331). Vollmar entwickelte auch opportunistische Anschauungen in der Agrarfrage, die einigen Thesen des auf dem Kongreß in Nantes im September 1894 angenommenen Agrarprogramms der französischen Sozialisten, das, wie Vollmar behauptete, die Billigung von Engels gefunden habe, nahekamen. Wie intensiv Engels sich bemühte, den französischen und deutschen Sozialisten klarzumachen, daß ihre Vorstellungen in der Agrarfrage fehlerhaft waren, lassen die folgenden Zeilen erkennen: „...die considerant des Agrarprogramms von Nantes, die es als Pflicht der Sozialisten erklärt, das bäuerliche Eigentum zu erhalten und zu schätzen, und sogar das der fermiers und metayers, die Taglöhner beschäftigen, ist mehr als die meisten Menschen außerhalb Frankreichs werden schlucken können" (siehe vorl. Band, S.299). Engels nannte Georg von Vollmars Versuche, das Programm von Nantes schematisch auf Deutschland, und zwar zugunsten der Mittel- und Großbauern, anzuwenden, einen Angriff auf sozialistische Grundprinzipien. Zugleich wies er auf die Notwendigkeit hin, unter den werktätigen Bauern als den natürlichen Verbündeten der Arbeiterklasse im Kampf gegen den
Kapitalismus sozialistische Propaganda zu betreiben (siehe vorl. Band, S.309). Um den europäischen sozialistischen Parteien bei der Ausarbeitung eines marxistischen Agrarprogramms zu helfen und den gefährlichen opportunistischen Ansichten in dieser Frage entgegenzutreten, schrieb Engels im November 1894 die Arbeit „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 483-505), die zu den grundlegenden marxistischen Arbeiten über die Agrarfrage gehört und eine wichtige Waffe im Kampf gegen den Opportunismus in der Agrarfrage bildet. Die von Engels in seinem Aufsatz dargelegten Prinzipien wurden von W. I. Lenin bei der Ausarbeitung seines Genossenschaftsplans der sozialistischen Umgestaltung des Dorfes allseitig weiterentwickelt. Die Fragen der deutschen Arbeiterbewegung nahmen in Engels' Briefen breiten Raum ein. Die deutsche Sozialdemokratie war die stärkste und bestorganisierte sozialistische Partei in Europa. „Einen solch ständigen, ununterbrochenen, unangefochtenen Fortschritt einer Partei hat es noch in keinem Lande gegeben", äußerte er am 20. Juni 1893 in einem Brief an Laura Lafargue. Viele Briefe an Bebel, Liebknecht und an andere bekannte Arbeiterführer zeigen, daß Engels ständig über ihre vielseitige Tätigkeit informiert war, ihnen seine großen Erfahrungen vermittelte, ihnen wichtige Hinweise gab und ihnen half, Mängel und Fehler zu beseitigen. Engels war fest überzeugt, daß die revolutionären marxistischen Kräfte der Partei es verstehen werden, den Opportunismus Vollmars und seiner Anhänger zu überwinden (siehe vorl, Band, S.335). Aus einer Reihe von Briefen, z.B. an Paul Lafargue vom 22. November, an Wilhelm Liebknecht vom 24. November, an Friedrich Adolph Sorge vom 4. und 12. Dezember sowie an Victor Adler vom 14. Dezember 1894, ist ersichtlich, daß Engels alles tat, um die Absichten der Opportunisten aufzudecken. Er unterstützte energisch die Partei unter August Bebel in ihrem Kampf gegen die Opportunisten. Engels war der Ansicht, daß jedes Verschweigen der bestehenden Differenzen nur den Opportunisten zum Vorteil gereiche, und sprach sich eindeutig für eine offene Diskussion aus, die das wahre Wesen der Ansichten Vollmars und seiner Anhänger aufdecken würde. Er war entschieden dagegen, daß man „jede wirkliche innere Streitfrage wegleugnet und totschweigt" (siehe vorl. Band, S.332), und kritisierte Liebknecht, der die bestehenden Differenzen nicht offen austragen wollte, um die Einheit der Partei zu wahren. Engels hielt die grobe Verletzung der Parteidisziplin durch die bayrischen Opportunisten, die 1894 auf dem Frankfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie mit ihrer eigenen, vorher ausgearbeiteten Platt
form erschienen waren, für absolut unzulässig. Er wies darauf hin, daß die Partei einen kompromißlosen Kampf gegen die Opportunisten führen müsse und nicht davor zurückschrecken dürfe, sich von unbelehrbaren Opportunisten auch organisatorisch zu trennen. Auch Fragen der parlamentarischen Taktik berührte Engels in seinen Briefen. Er betonte, daß es für sozialistische Parteien möglich, in bestimmten Fällen sogar notwendig ist, vorübergehend mit bürgerlich-demokratischen Parteien zusammenzugehen, um bestimmte praktische Ziele zu erreichen. Bedingung sei jedoch immer, daß die organisatorische und ideologische Selbständigkeit der sozialistischen Parteien erhalten bleibt. Dem Kampf für das allgemeine Wahlrecht, der sich in jenen Jahren in Belgien und Österreich entfaltete, maß Engels große Bedeutung bei (vgl. vorl. Band, S. 140 und 302). Er betrachtete ihn nicht nur als ein Mittel, um günstigere Voraussetzungen für die Tätigkeit des Vortrupps der Arbeiterklasse zu schaffen, sondern sah in ihm auch einen Weg, die politische Aktivität der breiten Massen der Werktätigen zu steigern und sie in den Befreiungskampf einzubeziehen. Mit Genugtuung schrieb er: „.. .es wird bald kein europäisches Parlament mehr geben ohne Arbeitervertreter" (siehe vorl. Band, S.224). Große Aufmerksamkeit widmete Engels der Arbeiterbewegung in Frankreich und der französischen Arbeiterpartei. Davon zeugt seine ausgedehnte Korrespondenz mit Laura und Paul Lafargue, sein Brief an Jules Guesde und seine Verbindungen zu anderen französischen Sozialisten. Immer wieder kam er darauf zurück, daß die französische Arbeiterpartei zum Kern der Bewegung in Frankreich werden müsse, um den sich alle anderen sozialistischen Gruppierungen und Organisationen scharen. Eine wesentliche Rolle konnte seiner Meinung nach dabei die Parlamentsfraktion der französischen Arbeiterpartei spielen. „Diesmal muß es uns gelingen", schrieb er am 14. April 1893 an Jules Guesde, „eine kleine, feste Gruppe ins Palais Bourbon zu bringen,... so daß alle verstreuten Elemente gezwungen wären, sich um sie zusammenzuschließen" (siehe vorl. Band, S.65). Die Zusammenarbeit mit den anderen sozialistischen Gruppen in der Deputiertenkammer dürfe jedoch nicht dazu führen, daß die organisatorische Selbständigkeit der Partei aufgegeben werde. Positiv wertete Engels die Wahlerfolge der französischen Sozialisten, warnte jedoch nachdrücklich davor, die parlamentarische Tätigkeit zu überschätzen. Er mahnte zur Vorsicht hinsichtlich der Bildung einer gemeinsamen sozialistischen Fraktion, zu der auch die ehemaligen radikalen Sozialisten gehören sollten. Er befürchtete, die kleinbürgerlichen Elemente
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könnten in einer gemeinsamen Fraktion die Oberhand gewinnen, und warnte die Führer der französischen Arbeiterpartei vor Zugeständnissen in prinzipiellen Fragen: „...haltet die Möglichkeit im Auge, daß hier bürgerliche Elemente vorliegen, mit denen ihr in prinzipiellen Konflikt kommen könnt" (siehe vorl. Band, S.272). Die Schaffung einer einheitlichen revolutionären proletarischen Partei betrachtete Engels als eine der wichtigsten Voraussetzungen für weitere Erfolge der französischen Sozialisten. Eine dauerhafte Einheit könne jedoch nur allmählich, im Verlauf des gemeinsamen Kampfes erreicht werden, „...die Fortschritte der Partei", schrieb er am 22.Januar 1895 an Paul Lafargue, „werden zunächst die internen und traditionellen Streitigkeiten abschwächen und dann verschwinden lassen." Lebhaft interessierte sich Engels für die Entwicklung der englischen Arbeiterbewegung. Wie in früheren Jahren sah er die vordringlichste Aufgabe in der Bildung einer politisch selbständigen proletarischen Massenpartei, da die Herstellung der politischen Selbständigkeit der Arbeiterklasse die Grundfrage der Arbeiterbewegung Englands war. Engels ging auf einige der Hemmnisse ein, die der Herausbildung einer revolutionären Partei im Wege standen. Dazu gehörten u.a. das sektiererische Verhalten und der Dogmatismus der Führer der Social Democratic Federation. Die englischen Sozialisten hatten es noch nicht verstanden, den spontanen Drang der Arbeiterklasse zum Sozialismus richtig auszunutzen, die tägliche Arbeit in den Trade-Unions - der Massenorganisation des englischen Proletariats - auf dieses Ziel hinzulenken. „Der Masseninstinkt, daß die Arbeiter eine eigne Partei bilden müssen gegen beide offizielle Parteien, wird immer stärker... Aber die alten traditionellen Erinnerungen verschiedner Art und der Mangel an Leuten, die diesen Instinkt in bewußte Aktionen umzusetzen und über das ganze Land zusammenzufassen imstande wären, befördern das Verharren in diesem Vorstadium der Unbestimmtheit des Gedankens und der lokalen Isoliertheit der Aktion." (Siehe vorl. Band, S. 307/308.) Ein weiteres Hemmnis für die Entwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegung in England war der starke bürgerliche Einfluß, der besonders von der Fabian Society ausging, dem „vollendeten Ausdruck des Opportunismus und einer liberalen Arbeiterpolitik" (W. I. Lenin, Werke, Berlin 1960, Band 21, S.258). Zwar hatten die Fabier, wie Engels bemerkte, „mit großem Fleiß unter allerlei Schund auch manche gute Propagandaschrift" herausgebracht, sie leugneten aber den Klassenkampf und die Notwendigkeit der proletarischen Revolution. Nach ihrer Vorstellung vom Sozialismus
sollte nicht die Nation, sondern die „Kommune"' Eigentümerin der Produktionsmittel werden. Ihre Taktik, diesen „ Munizipal Sozialismus" zu erreichen, bestand darin, „die Liberalen nicht als Gegner entschieden zu bekämpfen, sondern ... to permeate Liberalism with Socialism", d.h. den Liberalismus mit Sozialismus zu durchdringen. (Siehe vorl. Band, S. 8.) Engels begrüßte die Gründung der Independent Labour Party im Januar 1893: „Die Independent Labour Party ... hat weniger fixe Vorurteile mitgebracht, hat gute Elemente - die Arbeiter des Nordens entscheiden und ist soweit der unverfälschteste Ausdruck der augenblicklichen Bewegung." (Siehe vorl. Band, S.53.) Sie entsprang dem Drang nach politischer Selbständigkeit der Arbeiterklasse, der besonders in den Industriebezirken Nordenglands immer mehr zugenommen hatte. Mitte der neunziger Jahre verlor die Independent Laboiir Party jedoch ihren proletarischen Charakter und geriet immer mehr auf den Weg des Opportunismus. Auch die Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika war ständiger Gegenstand der Korrespondenz zwischen Engels und seinen Kampfgefährten in den USA. Engels analysierte die objektiven Ursachen dafür, warum die sozialistischen Ideen in das Bewußtsein des Proletariats dieses größten kapitalistischen Landes nur sehr langsam eindrangen. Das waren u.a. die rasche ökonomische Entwicklung des Landes und die damit verbundene bedeutend bessere materielle Lage der Arbeiter gegenüber ihren Klassenbrüdern in Europa sowie das Vorhandensein einer großen Anzahl von Einwanderern verschiedener Nationalitäten. Diese Faktoren ermöglichten es der Bourgeoisie, die verschiedenen Gruppen des Proletariats gegeneinander auszuspielen; zudem erlaubte das Zweiparteiensystem den herrschenden Klassen, die Entwicklung einer dritten großen Partei zu unterdrücken. Über die in Amerika lebenden deutschen Sozialisten bemerkte Engels, daß sie oft versuchen, „sofort alles Vorgefundene umzustoßen und neuzugestalten", und sich nicht bemühten, „die amerikanischen Verhältnisse ordentlich kennenzulernen. Alles das", schrieb Engels, „tut sicher sehr viel Schaden, aber andrerseits ist doch auch nicht zu leugnen, daß die amerikanischen Verhältnisse sehr große und eigentümliche Schwierigkeiten für eine stetige Entwicklung einer Arbeiterpartei einschließen." (Siehe vorl. Band, S. 173.) , Auch in den letzten Jahren seines Lebens unterhielt Engels enge freundschaftliche Beziehungen zu den russischen Revolutionären. Besonders mit den Führern der Gruppe „Befreiung der Arbeit" - G. W.Plechanow und V. I.Sassulitsch - stand er in ständiger Verbindung. Mit welcher Wärme er sich den russischen Marxisten zuwandte, wie er sie bei der
Herausgabe der russischen Übersetzung marxistischer Werke unterstützte, mit welcher Bereitschaft er ihren Bitten entgegenkam und wie sehr er sich auch um ihr persönliches Wohlergehen sorgte, ist in seinen Briefen an sie immer wieder zu spüren. Plechanow und Sassulitsch waren für ihn die Verkörperung der neuen Generation der russischen Sozialisten, die endgültig mit den Ideen der Volkstümler gebrochen hatte und auf dem Boden des Marxismus stand. Er stellte sie jener Generation gegenüber, „die immer noch an die spontane kommunistische Mission glaubt, die Rußland, die wahre Cbht£lh PycB von den anderen profanen Völkern unterscheidet" (siehe vorl. Band, S.416/417). Von besonderem Interesse sind Engels* Briefe an N. F. Danielson und G.W.Plechanow, in denen er Kritik an den Auffassungen der Volkstümler übte, denen zufolge die russische Obschtschina die Grundlage der künftigen ökonomischen Entwicklung Rußlands bilden werde. Engels, der die Probleme Rußlands seit dem Krimkrieg verfolgt hatte, wies überzeugend nach, daß die Entwicklung der Wirtschaft Rußlands in immer rascherem Tempo den kapitalistischen Weg ging, der zum Verfall der Obschtschina führte; er wies ferner nach, daß die Theorien der Volkstümler über einen besonderen nichtkapitalistischen Entwicklungsweg Rußlands und über die russische Obschtschina reine Illusion waren. Engels betonte, daß auf Grund der in Rußland vorhandenen starken Überreste des Feudalismus und des vorzugsweise kleinbäuerlichen Charakters der Landwirtschaft die Entwicklung des Kapitalismus von besonders scharfen sozialen Konflikten begleitet sein un d den werktätigen Massen ungeheure Leiden auferlegen werde. Hierin sah er eine der Ursachen, die das Heranreifen einer revolutionären Situation in Rußland beschleunigen würden. Am 17. Oktober 1893 und am 9. Januar 1895 kritisierte Engels in seinen Briefen an N. F. Danielson den russischen „legalen Marxisten" P.B.Struve, weil dieser die kapitalistische Produktionsweise in Rußland idealisierte und Marx als Anhänger des Malthusianismus hinzustellen versuchte. Diese Gedanken von Engels finden sich auch in den Auffassungen W.I.Lenins wieder, als er die Volkstümler und den „legalen Marxismus" bekämpfte. Engels glaubte fest daran, daß es in Rußland in naher Zukunft zu einer Revolution kommen werde. „Und wenn der Teufel der Revolution einen beim Kragen hätte, so hat er Nikolai IL", schrieb er am 8. Februar 1895 an G.W. Plechanow. Der Machtantritt des neuen Zaren, bemerkte er in einem Brief an Laura Lafargue am 12. November 1894, „läßtauf die unentschlossene Herrschaft eines Mannes schließen, der in den Händen von Leuten, die sich
mit gegenseitigen Intrigen ins Gehege kommen, zum bloßen Spielball wird, und das ist nötig, um das russische despotische System endlich zu vernichten". Sehr aufmerksam und nicht ohne Sorge beobachtete Engels die politischen Beziehungen der europäischen Länder. Die Fragen der Außenpolitik nehmen daher in seinen Briefen einen nicht geringen Raum ein. Wiederholt erklärte Engels, die Außenpolitik der herrschenden Klassen könne der revolutionären Arbeiterbewegung nicht gleichgültig sein. Aus der Situation der neunziger Jahre folgerte er, daß die drohende Gefahr eines Krieges zwischen den beiden aggressiven Blöcken in Europa - dem Dreibund (Deutschland, Österreich und Italien) einerseits und dem französisch-russischen Bündnis andererseits - zugenommen hatte. Engels mahnte die sozialistischen Parteien, es sei ihre Pflicht, eine gemeinsame Linie in außenpolitischen Fragen auszuarbeiten, die den aggressiven Bestrebungen der herrschenden Klassen entgegenwirkt. Als er mit Bebel über diese Fragen seine Meinung austauschte, betonte er, daß ein bewaffneter Konflikt, an dem eine europäische Großmacht beteiligt sei, eine Lokalisierung des Krieges unwahrscheinlich erscheinen lasse, daß lokale Kriege unvermeidlich zum Vorspiel eines gesamteuropäischen Zusammenstoßes würden. „Der nächste Krieg... läßt sich aber absolut nicht lokalisieren, sie werden - die Kontinentalen wenigstens — alle in den ersten Monaten hineingerissen..." (siehe vorl. Band, S.27). Engels' Schlußfolgerung, ein künftiger Krieg werde in seinen Ausmaßen und seiner Zerstörungskraft alle vorangegangenen Kriege übertreffen, ist ein Musterbeispiel wissenschaftlicher Prognose. „Bei der totalen Umwälzung in der Rüstung seit 1870 und infolgedessen auch der Taktik ist der Ausgang eines Krieges, bei dem so viele unbekannte Faktoren auftreten werden und alle vorher aufgestellten Berechnungen auf imaginären Größen beruhen, absolut ungewiß", schrieb er am 22. Januar 1895 an Paul Lafargue. Der Kampf gegen den drohenden Krieg war eine der Hauptaufgaben der Sozialisten in allen Ländern. Engels verneinte kategorisch, daß die Arbeiterklasse an einem Krieg interessiert sei. In einem solchen Krieg sehen die herrschenden Klassen ein Mittel zur Festigung ihrer reaktionären Herrschaft und zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung, vor allem zur Zerschlagung der sozialistischen Parteien, stellte er fest. „Wir können augenblicklich einen Krieg absolut nicht brauchen, wir haben sichrere Mittel voranzukommen, die der Krieg nur stören würde" (siehe vorl. Band, S. 10). Auf Bebels Bitte, sich darüber zu äußern, welche Haltung die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in der bevorstehenden Reichstagsdebatte
II Marx/Engels, Werke, Bd. 39
über die Militärvorlage der Regierung beziehen solle, schrieb Engels im Februar 1893 die auch heute noch hochaktuelle Artikelserie „Kann Europa abrüsten?" In ihr formulierte Engels den ersten konkreten Abrüstungsvorschlag des Proletariats. Engels erkannte, daß bei einer konsequenten, von Aktionen der Volksmassen unterstützten antimilitaristischen Politik eine schrittweise Abrüstung, eine Einschränkung des Wettrüstens unter den Bedingungen der Herrschaft des Kapitalismus möglich sei. Als Alternative zu den stehenden Heeren erhob Engels die Forderung nach einer auf allgemeiner Volksbewaffnung beruhenden Miliz, nach einer demokratischen Wehrorganisation. Allerdings - so meinte Engels - würden die europäischen Regierungen den Vorschlägen ohne Zwang nie zustimmen, denn das stehende Heer sollte „nicht so sehr gegen den äußern wie gegen den inneirn Feind" eingesetzt werden (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.371). Welche große Hilfe Engels den französischen Sozialisten erwies, als sie ihren Gesetzentwurf über die Ablösung des stehenden Heeres durch ein Milizsystem vorbereiteten, ist aus seinem Brief vom 3. Januar 1894 an Paul Lafargue zu ersehen, in dem er seinen Standpunkt zu dieser Frage noch einmal erläuterte und Lafargues Aufmerksamkeit auf die Artikelserie „Kann Europa abrüsten?" lenkte. Alles dies sind Beispiele dafür, wie sehr Engels stets bestrebt war, die marxistischen Prinzipien der Strategie und Taktik zu erläutern und zu helfen* sie entsprechend den neuen Kampfbedingungen anzuwenden. Bei der Analyse der internationalen Lage und der inneren Situation in den wichtigsten Ländern Europas kam Engels zu der Schlußfolgerung, daß eine politische Krise heranreift. „... es wird kritisch in ganz Europa", schrieb er am 16. Januar 1895 an Sorge. Gespannt verfolgte er alle Ereignisse, die von der Zersetzung in den herrschenden Klassen zeugten - wie z.B. den „Panama-Skandal" in Frankreich, die Korruption angesehener Regierungsbeamter in Italien, die Widersprüche zwischen den verschiedenen Gruppierungen der Bourgeoisie und des Junkertums in Deutschland. Engels schloß die Möglichkeit nicht aus, daß alle diese Erscheinungen bei einer raschen Entwicklung und weiteren Erfolgen der sozialistischen Arbeiterbewegung in verhältnismäßig kurzer Zeit günstige Voraussetzungen für den revolutionären Kampf des Proletariats schaffen könnten. Er empfahl den Führern der sozialistischen Parteien nachdrücklich, ihre ganze Tätigkeit auf eine solche Perspektive auszurichten (siehe die Briefe an Victor Adler vom 1 I.Oktober 1893 und 22.Dezember 1894 u.a.). In einigen Briefen äußerte sich Engels über den Japanisch-Chinesischen Krieg 1894/95 und wies darauf hin, daß dieser, wie er auch ausgehen
möge, zum Zusammenbruch des traditionellen, beschränkten ökonomischen Systems Chinas führen und einen mächtigen Anstoß zur Entwicklung des Kapitalismus in diesem Lande geben werde. Einen wichtigen Platz im revolutionären Erbe der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus nimmt die letzte theoretische Arbeit von Engels ein, seine Einleitung zu Marx* Werk „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850". In dieser Einleitung untersuchte er die Kampfbedingungen und Kampfformen der Arbeiterklasse in den neunziger Jahren und leitete daraus Aufgaben für die Arbeiterklasse ab. Dabei legte Engels großen Wert darauf zu zeigen, wie wichtig die Marxsche Analyse des Verlaufs und der Lehren der Revolution von 1848/49 ist und verallgemeinerte die Erfahrungen, die das Proletariat im Verlauf seines Kampfes, vor allem in Deutschland gesammelt hatte. Die Einleitung „ist ziemlich lang geworden",-schrieb Engels am 26. Februar 1895 an Paul Lafargue, „denn außer einer allgemeinen Übersicht über die Ereignisse seit dieser Zeit mußte noch erklärt werden, warum wir damals berechtigt waren, auf einen bevorstehenden und endgültigen Sieg des Proletariats zu rechnen, warum es nicht dazu kam und inwieweit die Ereignisse dazu beigetragen haben, daß wir die Dinge heute anders sehen als damals". Engels betonte, besonders auch in seinem Brief an Richard Fischer vom 8. März 1895, daß die Partei auf ihrem Weg zur Eroberung der politischen Macht alle legalen Mittel und - falls notwendig - auch andere anwenden müsse, um die Mehrheit des Volkes für die Ziele der Sozialdemokratie zu gewinnen und die herrschenden Klassen zu isolieren. Engels* Einleitung wurde noch zu seinen Lebzeiten, besonders aber nach seinem Tode, von Opportunisten im antimarxistischen Sinne ausgelegt. Bei ihrer Veröffentlichung im „Vorwärts" wurde die Einleitung so verstümmelt wiedergegeben, daß Engels am I.April 1895 empört an Kautsky schrieb, man habe die Einleitung im „Vorwärts" „derartig zurechtgestutzt", daß er „als friedfertiger Anbeter der Gesetzlichkeit quand meme dastehe". Sehr interessant sind die Briefe, in denen Engels seine Reise nach dem europäischen Kontinent und seine Eindrücke vom Züricher Kongreß 1893 wiedergibt (siehe die Briefe an Hermann Engels vom 16. August, an Laura Lafargue vom 21. und 3I.August, 18. und 30.September, an Julie Bebel vom 3. Oktober, an F. A. Sorge vom 7. Oktober). Sie schildern nicht nur die großen Veränderungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten auf dem Kontinent vor sich gegangen waren, sondern enthalten auch eine klare Einschätzung der Arbeiterbewegung in den verschiedenen Ländern. Aus ihnen spricht Stolz auf den Kampfgeist der proletarischen Massen, den un
erschütterlichen Glauben an den Endsieg, an die Kräfte und Möglichkeiten der Arbeiterklasse. „Das ist das Wichtigste: Selbstbewußtsein, Selbstvertrauen der Klasse" (siehe vorl. Band, S.30). Voller Freude schrieb er an Laura Lafargue: „Die Bewegung in Österreich und Deutschland hat meine höchsten Erwartungen übertroffen... Unsere Leute dort sind eine Macht, und das wissen nicht nur sie, sondern auch ihre Gegner. In Wien war ich auf einer Versammlung von etwa 6000, ... und Du kannst mir glauben, daß es ein Vergnügen war, diese Menschen zu sehen und zu hören ... Wenn man... die ausgezeichnete Organisation sieht, die Begeisterung erlebt, den unverwüstlichen Humor, der aus der Siegesgewißheit quillt, muß man mitgerissen werden..." (siehe vorl. Band, S. 124/125). Diese Briefe sind auch von besonderem biographischen Interesse; sie zeigen Engels nicht nur als Kämpfer und Theoretiker, sondern auch als großherzigen, bescheidenen, feinfühligen Menschen, der immer bereit war, seinen Gefährten beizustehen. Aus den Briefen und aus anderen in den Band aufgenommenen Materialien ist zu ersehen, wie sich Engels väterlich um die Töchter von Marx sorgte, wie er ihnen bis zum Tode der treueste Freund und Helfer war und wieviel Energie und Kraft er aufwandte, um den literarischen Nachlaß seines Freundes zu bewahren und zu veröffentlichen. Trotz seines hohen Alters und seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes war Engels voll schöpferischer Pläne. An Freunde und Kampfgefährten schrieb er wiederholt von seiner Absicht, in allernächster Zeit Ferdinand Lassalles Briefe an Marx mit Anmerkungen und einem eigenen Vorwort herauszugeben. Sein Buch „Der deutsche Bauernkrieg" wollte er völlig umarbeiten, da es seit Jahren vergriffen war und als erste Arbeit nach dem dritten Band des „Kapitals" neu herauskommen sollte. Er hoffte, den letzten Band des „Kapitals" - die „Theorien über den Mehrwert" - druckfertig machen zu können. Möglichst bald wollte er noch eine Biographie von Marx schreiben, in erster Linie über Marx' Leben und Wirken in den Jahren 1842 bis 1852 und in den Jahren der I. Internationale (siehe vorl. Band, S.347). Engels hatte mit den Vorbereitungen zur Herausgabe der gesammelten Werke von Marx begonnen. Aber seine schwere Erkrankung hinderte ihn daran, diese Pläne zu verwirklichen. Am 5. August 1895 verschied Engels. Die internationale Arbeiterbewegung erlitt damit einen unersetzlichen Verlust. Bis zum letzten Atemzug seines inhaltsreichen und erfüllten Lebens hat Engels aufopferungsvoll am Kampf der Arbeiterklasse teilgenommen. Mit brennendem Interesse hat er alle Wendungen, jeden Fortschritt und jeden
Rückschlag dieses Kampfes verfolgt. Sein ganzes Wissen, sein Weitblick, seine großen Erfahrungen und der ganze Gedankenreichtum seines theoretischen Werkes, beeinflußten in starkem Maße den Kampf der internationalen Arbeiterbewegung und ihrer einzelnen Abteilungen. In seinem Nachruf auf Engels schrieb W. I.Lenin: „Nach seinem Freunde Karl Marx war Engels der bedeutendste Gelehrte und Lehrer des modernen Proletariats in der ganzen zivilisierten Welt." (W.I.Lenin, Werke, Berlin 1961, Band 2, S.5.)
*
Dieses Vorwort folgt im wesentlichen dem Vorwort zu Band 39 der zweiten russischen Ausgabe. Dieser Band beschließt die Veröffentlichung der Briefe von Marx und Engels in 13 Bänden (Band 27-39), die einen wichtigen Teil der Werkausgabe darstellen. Die Bände 27-39 sind die vollständigste aller vorhandenen Publikationen des brieflichen Nachlasses von Marx und Engels aus der Zeit von 1842 bis 1895. Der vorliegende Band enthält ebenso wie die anderen Briefbände eine beträchtliche Anzahl von Briefen, die erstmalig in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Dabei handelt es sich vorrangig um Briefe an Laura und Paul Lafargue, um Briefe an die italienischen Sozialisten Filippo Turati, Pasquale Martignetti und Antonio Labriola, an die polnischen Sozialisten Witold Jodko-Narkiewicz und Boleslaw Antoni Jedrzejowski sowie an einige Sozialisten anderer Länder. Ferner werden in diesem letzten Band Engels' Testament, ein Nachtrag zu seinem Testament und ein Brief von Engels an seine Testamentsvollstrecker veröffentlicht. Alle drei aus dem Englischen übersetzten Dokumente wurden unter Berücksichtigung bereits vorhandener Übersetzungen überprüft und neu bearbeitet. Als Nachträge werden 16 Briefe von Marx und Engels aus den Jahren 1846 bis 1880 aufgenommen, die das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED erst in letzter Zeit erhalten hat. Darunter befinden sich 6 Briefe von Marx an den Berliner Verleger Franz Duncker und 1 Brief von Marx an den ungarischen General Mor Perczel. Als Beilagen zu diesem Band veröffentlichen wir 2 Briefe, die im Auftrage von Engels in dessen letztem Lebensjahr geschrieben wurden, sowie 3 weitere Materialien, die Einblick in das Leben und Wirken von Friedrich Engels geben, 262 Briefe des vorliegenden Bandes werden nach den Photokopien der Handschrift gebracht. Ein sorgfältiger Vergleich mit diesen Unterlagen
ermöglichte es, in einigen Fällen Entzifferungsfehler früherer Ausgaben zu berichtigen. Von 25 Briefen liegen uns nur Photokopien der Entwürfe vor, über den Verbleib der Briefe sind wir nicht unterrichtet. Wir weisen diese Fälle im Kopf der Texte aus. Alle in den Entwürfen gestrichenen Wörter, Satzteile und Sätze wurden gewissenhaft überprüft. Soweit sie im Vergleich mit dem übrigen Text des Entwurfs mehr oder anderes aussagen, werden sie in Fußnoten wiedergegeben. Von 28 Briefen besitzen wir keine Handschriften. Sie werden nach Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, 5 Briefe nach hand- und maschinengeschriebenen Abschriften gebracht. Die jeweiligen Redaktionsunterlagen werden im Fuß des Briefes vermerkt. 54 Briefe sind in englischer, 59 in französischer, 2 in italienischer, 3 in spanischer, 1 Brief in russischer und I Brief in bulgarischer Sprache geschrieben. Sie wurden ins Deutsche übersetzt, bereits vorliegende Übersetzungen neu überprüft. Für die Wortwahl bei Übersetzungen wurden entsprechende deutschsprachige Texte aus Briefen und Werken von Engels zum Vergleich herangezogen. Alle eingestreuten Wörter aus anderen Sprachen blieben in der Originalfassung. Sie werden in Fußnoten erklärt. Von Engels angeführte Zitate wurden - soweit Quellen zugänglich waren - überprüft, fremdsprachige Zitate in Fußnoten übersetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand und die Silbenzahl in den deutschsprachigen Briefen wurden nicht verändert. Allgemein übliche Abkürzungen wurden beibehalten. Alle anderen in der Handschrift abgekürzten Wörter wurden ausgeschrieben, wobei die Ergänzung von Namen und Zeitungstiteln sowie von solchen abgekürzten Wörtern, die nicht völlig eindeutig sind, durch eckige Klammern kenntlich gemacht wird. Alle Wörter und Satzteile in eckigen Klammern stammen von der Redaktion. Offensichtliche Schreibund Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert; in allen anderen Fällen wird in den Fußnoten die Schreibweise der Handschrift angegeben. Pseudonyme sowie Bei- und Spitznamen sind entweder durch Fußnoten oder durch Verweise im Personenverzeichnis erklärt. Zur Erläuterung wurden dem Band Anmerkungen beigefügt, auf die im Text durch hochgestellte Ziffern in eckigen Klammern hingewiesen wird. Sie sollen sowohl Verbindungen zu den Arbeiten von Engels herstellen vor allem zu den 1893 bis 1895 entstandenen Werken, die im Band 22 unserer Ausgabe veröffentlicht sind - als auch Daten aus dem Leben und der Tätigkeit von Marx und Engels vermitteln sowie Erläuterungen zu einzelnen Fakten und Personen geben. Unser Prinzip war hierbei, Quellen auszunutzen,
die nicht jedem Leser ohne weiteres zur Verfügung stehen, z. B.1 zeitgenössische Publikationen, Briefe dritter Personen an Engels usw. In einzelnen Fällen wurden wir hierbei durch Fachwissenschaftler der Deutschen Demokratischen Republik und aus dem Ausland unterstützt, denen wir an dieser Stelle unseren Dank sagen. In vielen Anmerkungen werden Auszüge aus Briefen von Arbeiterführern zitiert und hierdurch zum Teil erstmalig einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht. Als Grundlage dienten hierbei sowohl die dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zur Verfügung stehenden Photokopien der Handschriften dieser Briefe, die größtenteils vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU freundlicherweise überlassen wurden, als auch in Einzelfällen einschlägige Publikationen, vor allem die des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte zu Amsterdam. Ferner enthält der Band ein Literaturverzeichnis, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis literarischer Namen, eine Aufstellung der Briefe, deren Datierung gegenüber früheren Ausgaben auf Grund neuer Erkenntnisse verändert wurde. Zum besseren inhaltlichen Erschließen der Briefe von Marx und Engels wurde dem Band ein Sachregister für die Bände 27 bis 39 beigefügt. Dieses Sachregister fußt auf dem im gleichen Band der russischen Ausgabe enthaltenen Sachregister. Es erleichtert dem Leser, den Reichtum der in der Korrespondenz verstreut enthaltenen wichtigen Gedanken von Marx und Engels zu den verschiedensten Problemen der marxistischen Theorie und der internationalen Arbeiterbewegung aufzufinden. Unter den Schlagworten Marx und Engels findet der Benutzer zahlreiche Hinweise über das persönliche Leben sowie über die Tätigkeit und Rolle der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus in der Arbeiterbewegung.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED

FRIEDRICH ENGELS
Briefe Januar 1893-Juli 1895

1893
1
Engels an Filippo Turati in Mailand
[London] 7. Januar 93
Lieber Bürger Turati, Mit viel Vergnügen habe ich die Übersetzung des „Manifests" in der „Lotta di Classe" gesehen, aber ich bin derart mit Arbeit überhäuft, daß ich sie nicht mit dem Original vergleichen konnte. Für Ihre Einzelausgabe werde ich Ihnen in einigen Tagen ein Exemplar der letzten deutschen (Londoner) Ausgabe mit den vollständigen Vorworten schicken. Was ein Vorwort von mir betrifft, so ist die Situation folgende: ein anderer italienischer Freund, den Sie zweifellos erraten werden, bereitet eine Übersetzung und vielleicht eine umfangreichere Arbeit über diese Schrift vor. Da er mir seine Absicht vor der Veröffentlichung der 1 .Nr. der „Lotta di C[lasse]" mitgeteilt hat, fühle ich mich verpflichtet, mich mit ihm in Verbindung zu setzen, ehe ich Ihnen eine endgültige Antwort gebe.111 Übrigens bringen mich diese Vorworte langsam in Verlegenheit. Letztens hatte ich eines für die polnische Übersetzung zu schreiben. Was soll ich Ihnen Neues sagen? Viele Grüße an Sie und an Frau Kulischowa von Frau Kautsky, von Bebel, der sich augenblicklich bei uns aufhält121, und von mir, insieme coi nostri augurj per il nuovo anno1. Sempre vostro2 F. Engels
Aus dem Französischen.
1 verbunden mit unseren Glückwünschen zum neuen Jahr — 2 Stets Ihr
2
Engels an Maria Mendelson in London131
[London] 10. Januar 93
Liebe Frau Mendelson, Dank für Ihre Mitteilung. Ich habe sofort einen kleinen Artikel über die Verhaftungen in Paris geschrieben, der noch am selben Abend nach Berlin gegangen ist - wahrscheinlich werden Sie ihn in einigen Tagen im „Vorwärts]" finden.141 Stets zu Ihren Diensten F.E. B[ebel] ist heute nachmittag abgereist. Grüße von Frau Kautsky.
Aus dem Französischen.
3
Engels an Philipp Pauli in Frankfurt a.M.
London, 11.Jan. 1893
Lieber Pauli, Mit Deinem Vorschlag, daß wir jeder einen Beitrag für das Schorl[emmer]-Laboratory[51 an Perkin schicken, bin ich ganz einverstanden, dahingegen keineswegs damit, daß ich ohne alle vorherige Abrede oder Kenntnisnahme der obwaltenden Umstände den Betrag festsetzen soll. Was da zu bieten, hängt von gar zu vielen mir total unbekannten Umständen ab. Das Comite in Manchester wird doch wohl irgendeinen Aufruf erlassen oder erlassen haben, worin die ungefähre Summe angegeben, die aufzubringen ist, und eine vorläufige Liste der ersten Zeichnungen usw. usw. Alles das müßte man doch kennen, um eine ungefähre Idee zu bekommen, wie weit man nach oben, wie nach unten zu gehn resp. nicht zu gehn hätte. Willst Du also so gut sein, bei Perkin anzufragen, was in dieser Beziehung geschehn ist, und, wenn Du für gut hältst, ihn bitten, mich darüber zu instruieren, damit wir irgendeinen Maßstab erhalten, wonach wir uns richten können. Es ist schmählich, was die Universitätsesel für Kerle sind. Auch Roscoe mußte ich erst mahnen, ehe er den Artikel in „Nature" schrieb. Und die Deutschen, die auf Sch[orlemmer] stolz sein könnten! Aber er war keiner von der Clique, wo eine Hand die andre wäscht, und so muß er nach seinem Tode dafür büßen, daß er kein Panamist der Universitätswissenschaft war161. Panama vorn und hinten, alles Panama, auch die Universitätschemie! Herzliche Grüße an Deine Frau und Kinder, nicht minder an Dich selbst von Deinem alten F. Engels
Pumps war nebst Familie über Weihnachten und Neujahr hier, das neue Kleine ist ein gar zartes Ding, doch sind sie trotz der Kälte gesund wieder in Ryde angekommen.
4
Engels an Maria Mendelson in London
[London] den 16. Januar 93
Liebe Frau Mendelson, Der „Vorwärts"-Artikel, über den Sie mir Mitteilung machen, ist in Paris geschrieben worden. Man wird dem Verfasser gesagt haben, daß die 5 verhafteten Polen derselben sozialistischen Schule angehören wie von den Russen auch Plechanow und seine Freunde; und der Korrespondent hat daraufhin das Quiproquo verursacht, das wir alle mit Bedauern gelesen haben. -I71 Was ich dem „V[orwärts]" geschickt habe, befindet sich in der folgenden Nummer (Nr. 11) vom 13. Januar.141 Beglückwünschen wir uns indessen, daß diese neue Niederträchtigkeit der französischen Regierung nur zu einer Ausweisung geführt hat. Grüße von Frau Kautsky und Ihrem sehr ergebenen F. Engels
Aus dem Französischen,
5
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 18. Jan. 93
Lieber Sorge, Ich schicke Dir heute 2 alte Nrn. der eingegangnen „Berliner VolksTribüne", die andern sind im Weihnachtstrubel verlegt worden, falls ich sie finde, schicke ich sie Dir nach. Grund der Nichtsendung war der Bakunin-Artikel, der zuletzt mich zu einer Antwort zwang, da mußte ich die Nr. hierbehalten für eine etwaige Polemik. Im letzten (1316^) Artikel, der leider verlegt - diese hat Dir Frau K[autsky], wie uns jetzt einfällt, inzwischen zugeschickt -2, wird noch mehr anarchistischer Lügenkram wiederholt, und der Verfasser nennt sich - ein gewisser Heritier (junger Genfer, den sich der alte J.Ph. Becker am Busen großgezogen hat), sucht auch auf meine Antwort sich zu rechtfertigen - verlogen. Da er mir schrieb, antworte ich ihm und zeige ihm an, daß, wenn er in dem angekündigten Opus ebenso verfährt, ich ihm derb auf die Finger hauen werde.181 Hier war in Bradford Konferenz der Independent Labour Party191, die Du aus der „Workman's Times" kennst. Die Social Democratic Federation1101 einerseits, die Fabians1111 andrerseits haben bei ihrem sektiererischen Verhalten den sozialistischen Andrang in den Provinzen nicht zu absorbieren vermocht, so war die Stiftung einer 3.Partei ganz gut. Nun aber ist der Andrang namentlich in den Industriebezirken des Nordens so groß geworden, daß diese neue Partei schon gleich auf diesem ersten Kongreß stärker auftrat als Social Democratic Federation oder Fabians, wo nicht stärker als beide zusammen. Und da die Massen der Mitglieder entschieden sehr gut, da der Schwerpunkt in den Provinzen liegt, nicht im Klüngelzentrum London, und das Programm im Hauptpunkt das unsre, so hatte Aveling recht, sich anzuschließen und einen Sitz in der Exekutive anzunehmen. Wenn hier die kleinlichen Privatstrebereien und Intrigen der Londoner Gerngroße etwas im Zaum gehalten werden und die Taktik nicht zu verkehrt ausfällt, kann es der Independent Labour Party gelingen, die Massen
1 In der Handschrift: 12ten - 2 diese Einfügung wurde von Engels nachträglich am Rande vermerkt
der Social Democratic Federation und in den Provinzen auch den Fabians abspenstig zu machen und dadurch Einheit zu erzwingen. Die Social Democratic Federation hat Hyndman total in den Hintergrund geschoben. Sie ist bei seiner Intrigenpolitik so schlecht gefahren, daß unter Andrang der Provinzdelegierten - Hfyndman] bei seinen eignen Leuten ganz in Verruf gekommen. Ein Versuch auf dem Unemployed Committee, wo auch andre mitarbeiteten, durch rrrevolutionäre Großmäuligkeit sich wieder populär zu machen (wobei seine persönliche Feigheit seinen besten Freunden allbekannt!), hat nur dazu geführt, Tussy und Aveling auf demselben Committee größeren Einfluß zu verschaffen. Die Social Democratic Federation pocht nur auf ihre Anciennetät als älteste sozialistische Organisation hier, ist aber sonst viel toleranter gegen andre geworden, hat das Schimpfen eingestellt und fühlt sich überhaupt bedeutend mehr als was sie ist, nämlich weit kleiner als sie sich stellte. Die Fabians sind hier in London eine Bande von Strebern, die Verstand genug haben, die Unvermeidlichkeit der sozialen Umwälzung einzusehn, die aber dem rohen Proletariat unmöglich diese Riesenarbeit allein anvertrauen können und deshalb die Gewohnheit haben, sich an die Spitze zu stellen; Angst vor der Revolution ist ihr Grundprinzip. Sie sind die „Jebildeten" par excellence. Ihr Sozialismus ist Munizipalsozialismus; die Kommune, nicht die Nation, soll wenigstens vorläufig Eigentümerin der Produktionsmittel werden. Dieser ihr Sozialismus wird dann dargestellt als eine äußerste, aber unvermeidliche Konsequenz des bürgerlichen Liberalismus, und daher folgt ihre Taktik, die Liberalen nicht als Gegner entschieden zu bekämpfen, sondern sie zu sozialistischen Konsequenzen fortzutreiben, ergo mit ihnen zu mogeln, to permeate Liberalism with Socialism3, und den Liberalen sozialistische Kandidaten nicht entgegenzustellen, sondern aufzuhängen und aufzuzwingen resp. aufzulügen. Daß sie dabei entweder selbst belogen und betrogen sind oder den Sozialismus belügen, sehn sie natürlich nicht ein. Sie haben mit großem Fleiß unter allerlei Schund auch manche gute Propagandaschrift geleistet und in der Tat das Beste, was die Engländer in dieser Beziehung geleistet. Aber sowie sie auf ihre spezifische Taktik kommen: den Klassenkampf zu vertuschen, wird's faul. Daher auch ihr fanatischer Haß gegen Marx und uns alle-wegen des Klassenkampfs. Die Leute haben natürlich viel bürgerlichen Anhang und daher Geld, und haben in den Provinzen viel tüchtige Arbeiter, die mit der Social
3 den Liberalismus mit Sozialismus zu durchdringen
Democratic Federation nichts zu tun haben wollten. Aber 5/6 der Provinzialmitglieder stehn mehr oder weniger auf unserm Standpunkt und werden im kritischen Moment entschieden abfallen. Sie haben sich in Bradford - wo sie vertreten - entschieden mehrmals gegen die Londoner Exekutive der Fabians erklärt. Du siehst, es ist ein kritischer Punkt für die hiesige Bewegung, und aus der neuen Organisation kann etwas werden. Sie war einen Augenblick nahe daran, unter Champions, der bewußt oder unbewußt ebenso für die Tories arbeitet wie die Fabians für die Liberalen, - also unter Champions und seines Dir von Haag1121 her bekannten Bundesgenossen Maltman Barrys Fittiche zu geraten (Barry ist jetzt geständiger und ständiger bezahlter Tory-Agent und manager of the Socialistic Wing of the Conservatives!4) siehe „Workman's Times" von Nov. und Dez., aber Chjampion] hat schließlich vorgezogen, seinen „Labour Elector" wieder herauszugeben und sich damit in Gegensatz zur ,,W[orkman's] T[imes]" und zur neuen Partei gestellt. Keir Hardie hat einen gescheiten Streich begangen, indem er sich an die Spitze dieser neuen Partei stellte, und John Burns, dessen absolute Untätigkeit außerhalb seines Wahlbezirks ihm ohnehin schon viel geschadet, beging eine neue Eselei, daß er sich auch hier zurückhielt. Ich fürchte, er reitet sich in eine unhaltbare Lage fest. Daß auch hier Leute wie K. Hardie, Shaw Maxwell und anclre allerlei persönliche Ambitions-Nebenzwecke verfolgen, versteht sich am Rand. Aber die daher entspringende Gefahr nimmt ab im Verhältnis, wie die Partei selbst massenhafter und stärker wird, und ist schon verringert durch die Notwendigkeit, den konkurrierenden Sekten keine Blößen zu geben. Der Sozialismus ist in den Industriebezirken in den letzten Jahren enorm in die Massen gedrungen, und auf diese Massen rechne ich, daß sie die Führer schon in Ordnung halten werden. Natürlich, Dummheiten wird's genug geben, auch Klüngeleien aller Art, wenn's nur gelingt, sie in den gehörigen Grenzen zu halten. Schlimmstenfalls hat die Gründung der neuen Organisation den Vorteil, daß bei drei konkurrierenden Sekten leichter eine Einigung herbeizuführen als bei zwei, die sich polarisch entgegenstehn. Was Du am 23.Dez. wegen Polen schreibst: Seit Kronstadt sind die Preußen auf einen Krieg mit Rußland gefaßt, daher polenfreundlich (haben uns auch Beweise davon gegeben).1131 Dies werden die betreffenden Polen
4 des sozialistischen Flügels der Konservativen!
haben benutzen wollen, um den Krieg zu provozieren, der sie mit Hülfe Deutschlands befreien soll. Das will man aber in Berlin keinenfalls, und wenn der Coup losgehn sollte, wird Caprivi sie entschieden im Stich lassen. Wir können augenblicklich einen Krieg absolut nicht brauchen, wir haben sichrere Mittel voranzukommen, die der Krieg nur stören würde. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich auch von Frau K[autsky], die Dir am Samstag schrieb, leider zu spät für die Post. Dein F.E.
6
Engels an Louis Heritier in Genf181 (Entwurf)
[London] 20. Januar 93
Lieber Bürger, Mit großer Genugtuung ersehe ich aus Ihrem Schreiben vom 25. Dez., daß in Ihrem Artikel der Passus über Becker1 durch die Übersetzung entstellt worden ist. Tatsächlich war ich, als ich am Ende des Artikels Ihren Namen las, erstaunt. Man hatte mir von Ihnen mit geradezu brüderlicher Zärtlichkeit gesprochen, und damit bildeten diese abfälligen Worte einen geradezu schmerzlichen Kontrast. Leider lassen Sie zu, daß diese Worte in der Öffentlichkeit noch immer als die Ihren gelten, wie der ganze übrige Artikel. Was Sie in der ,,V[olks-]T[ribüne]" auf meine Bemerkungen erwidern, ändert an meiner Ansicht nichts. Sie wissen sehr wohl, daß die Herren Anarchisten die Lüge von der im Hause von Marx abgehaltenen Konferenz'141 einzig und allein zu dem Zweck erfunden haben, um behaupten zu können, dieser habe sich mit allen redlichen und unredlichen Mitteln bemüht, die Delegierten seiner Herrschaft unterzuordnen. Diese Erfindung fühlen Sie sich bemüßigt wiederzugeben. Beweise ich aber, daß sie eine Fälschung ist, so ist das für Sie nur ein Detail ohne irgendwelche Bedeutung! Sie sagten, daß die Londoner Konferenz die Jurassier unter das Kommando des Genfer Föderalrats gestellt habe. Ich beweise, daß dies der Wahrheit widerspricht. Sie erwidern: „Was ich damals gesagt habe, scheint mir auch heute noch der Ausdruck der strikten Wahrheit." Sie ermahnen mich, ich weiß nicht in welchem Zusammenhang, zur Höflichkeit; wollen Sie vielleicht, daß ich Sie zur Aufrichtigkeit ermahne? Ihre Nr. XIII2 beweist wiederum, daß Sie fast nichts von dem wissen, was sich außerhalb der anarchistischen Kreise zugetragen hat. Nach Ihren Bemerkungen über die Genfer Internationalen scheint es mir unmöglich, daß Sie eine vollständige Sammlung der Genfer „figalite" eingesehen haben. Wenn die Genfer Internationalen zum Teil von kleinbürgerlichen
1 Johann Philipp Becker - 2 im Entwurf der Handschrift: Nr. XII
Ideen angesteckt waren, so teilten sie diesen Fehler mit ihren Gegnern, den Anarchisten - denen Sie jenen gegenüber den Vorzug geben, die indessen nur die Kehrseite der kleinbürgerlichen Medaille bieten -, ja mit fast allen französischen und belgischen Internationalen, alles Proudhonisten, mit wenigen Ausnahmen. Von allen Gruppen romanischer Sprache waren nur die spanischen Anhänger des Generalrats damals sozialistische Demokraten im eigentlichen Sinne des Wortes. Haben übrigens die Genfer von heute bewiesen, daß sie mehr wert sind als ihre Vorgänger? In derselben Nr.XIII3 geben Sie eine beträchtliche Menge anarchistischer Irrtümer und Lügen wieder und messen ihnen einen Glauben bei, der nach meinem deutlichen Hinweis etwas von seiner ursprünglichen Naivität verloren haben müßte. Sie kündigen eine zweite Arbeit über das gleiche Thema an. Ich hoffe, daß Sie sich, ehe Sie sich mit dem Stoff befassen, die Dokumente beschaffen, welche die Behauptungen und Machenschaften der Anarchisten im rechten Licht erscheinen lassen und es Ihnen ermöglichen, unparteiisch zu urteilen. Wenn nicht, so würden Sie mich zwingen, Ihnen abermals zu antworten. Es kümmert mich wenig, was die bürgerlichen Zeitungen über die alte Internationale sagen, aber wenn man ihre Geschichte sogar in den Parteiorganen zu entstellen beginnt, ist das etwas anderes. Ich verlange von Ihnen lediglich, daß Sie sich nicht über eine derartige Frage äußern, ohne beide Seiten der Frage, die einen wie die anderen Dokumente, studiert zu haben. Unser Arbeiterpublikum muß die wenigen Stunden, die es der Lektüre widmen kann, der Ruhe und dem Schlaf entziehen; es hat also ein Recht darauf zu fordern, daß alles, was wir ihm bieten, das Ergebnis gewissenhafter Arbeit ist und nicht zu schwierigen Kontroversen Anlaß gibt, denen es unmöglich folgen kann.
Aus dem Französischen.
3 im Entwurf der Handschrift: Nr. XII
7
Engels an August Bebel in Berlin
London, 24. Januar 93
Lieber August, Ich fahre fort.1151 Aus Avelings mündlichen Erzählungen wird mir ein bereits früher gehegter Verdacht bestärkt, nämlich, daß K. Hardie defl stillen Wunsch hegt, die neue Partei191 in der Weise diktatorisch zu leiten, wie Parnell die Irländer leitete, und daß dabei seine Sympathien sich mehr der konservativen als der liberalen Gegenpartei zuneigen. Er spricht öffentlich davon, daß man bei der nächsten Wahl das Experiment Parnells, wodurch er Gladstone zum Umbiegen gebracht, wiederholen, und da, wo kein Arbeiterkandidat aufgestellt werden könne, für die Konservativen stimmen müsse, um den Liberalen die Macht zu zeigen.£16) Nun ist das eine Politik, die ich unter Umständen selbst von den Engländern verlangt habe, aber wenn man so etwas von vornherein nicht als möglichen taktischen Schritt, sondern als unter allen Umständen zu befolgende Taktik vorausproklamiert, so riecht das stark nach Champion. Besonders wenn K.H[ardie] gleichzeitig von Ausdehnung des Wahlrechts und den andern Reformen, die das Arbeiterwahlrecht hier erst zur Wirklichkeit machen sollen, mit Verachtung als untergeordneten, bloß politischen Dingen spricht, die hinter die sozialen Forderungen, 8 Stunden, Arbeitsschutz etc. zurückzutreten haben. Wobei er dann nicht sagt, wie er die sozialen Forderungen, auf deren Erzwingung durch Arbeitervertreter er also verzichtet, anders als durch Gnade der Bourgeois, resp. durch indirekten Druck der ausschlaggebenden Arbeiterstimmen bei den Wahlen, durchsetzen will. Ich mache Dich auf diesen dunklen Punkt aufmerksam, damit Du eventualiter informiert bist. Vorderhand lege ich der Sache keine übergroße Wichtigkeit bei, da K.H[ardie] sich im schlimmsten Fall stark verrechnen dürfte an den Arbeitern der nordenglischen Fabrikbezirke, die keine Schafherde sind, und da er schon in der Exekutive hinreichenden Widerstand finden würde. Aber man muß eine solche Strömung nicht total ignorieren. Auf das Stenogramm von Singers Börsenrede bin ich sehr begierig, sie las sich im „Vorwärts" ganz vorzüglich. Ein Punkt aber wird von allen
unsem Leuten bei dem Thema leicht vernachlässigt: die Börse ist ein Institut, wo die Bourgeois nicht die Arbeiter, sondern sich untereinander ausbeuten; der Mehrwert, der an der Börse die Hände wechselt, ist bereits vorhandner Mehrwert, Produkt vergangner Arbeiterausbeutung. Erst wenn diese vollendet, kann er dem Börsenschwindel dienen. Die Börse interessiert uns zunächst nur indirekt, wie auch ihr Einfluß, ihre Rückwirkung auf die kapitalistische Arbeiter-Exploitation nur ein indirekter, auf Umwegen erfolgender ist. Zu verlangen, daß die Arbeiter sich direkt interessieren und entrüsten sollen für die Schinderei, die den Junkern, Fabrikanten und Kleinbürgern an der Börse passiert, heißt verlangen, die Arbeiter sollen die Waffen ergreifen, um ihre eignen direkten Ausbeuter im Besitz des denselben Arbeitern abgezwackten Mehrwerts zu schützen. Wir danken schönstens. Aber als edelste Frucht der Bourgeoisgesellschaft, als Herd der äußersten Korruption, als Treibhaus des Panama161 und andrer Skandäler - und daher auch als ausgezeichnetstes Mittel zur Konzentration der Kapitale, zur Zersetzung und Auflösung der letzten Reste von naturwüchsigem Zusammenhang in der bürgerlichen Gesellschaft und gleichzeitig zur Vernichtung und Verkehrung in ihr Gegenteil aller obligaten Moralbegriffe - als unvergleichlichstes Zerstörungselement, als mächtigste Beschleunigerin der hereinbrechenden Revolution - in diesem historischen Sinn interessiert uns die Börse auch direkt. Ich sehe, das Zentrum1171 beantragt Ruhen der Verjährung während der Zeit, wo der Reichstag Verfolgungen suspendiert. Da das Zentrum entscheidende Partei, hat der Antrag wohl Aussicht auf Annahme.1181 In diesem Fall wäre es meiner Ansicht nach angemessen, der Regierung diese Beschränkung der Reichstagsrechte nicht ohne Entgelt in den Schoß zu werfen. Das Entgelt müßte dann darin bestehn, daß das Suspensionsrecht des Reichstags auch für Strafhaft ausdrücklich anerkannt würde. Sonst wäre es wieder einmal ein Rückzug des Reichstags - mag der Schritt noch soviel juristische Plausibilität für sich haben. Der Kriegswauwau fängt wieder an. Inl. Dalziel-Depesche ist aus dem heutigen „Daily Chronicle" - Dalziel als junger Konkurrent von Reuter, Wolff, Havas, ist solchen Reptilmanövern leichter zugänglich. Die Sache selbst ist absurd. Die Russen sind absolut kriegsunfähig, sie müßten rein verrückt sein, jetzt anzufangen. Es wäre ja möglich, daß nach dem Scheitern des letzten Pariser Pumps1191 sie nur dann in Paris Geld erhalten könnten, wenn der Krieg wirklich bevorstände oder schon im Gang wäre - aber das wäre doch die Situation der Verzweiflung. Ganz unmöglich ist es nicht, daß die Opportunisten1201 und Radikalen1211 in Frankreich die Rettung aus dem
Panama durch einen Krieg anstreben oder doch als schlimmsten Rettungsfall im Auge behalten. Aber woher den Vorwand nehmen, der sie vor der Welt rechtfertigt? Ich habe schon früher gesagt, im nächsten Krieg spielt England vermöge der Seeherrschaft die entscheidende Rolle.1221 Und England hat den Franzosen grade jetzt in Ägypten einen schlimmen Streich gespielt.1231 Um bei dieser Spannung zwischen beiden Regierungen England zu sich zu ziehn, müßte schon ein dem Philister als sehr starke Provokation erscheinender Kriegsgrund vorliegen, und den liefert Caprivi nicht. Je mehr ich über diesen Punkt Nachrichten sammle, desto mehr fällt mir auf, daß Bismarck die östreichische Allianz resp. den Dreibund1241 nur zu dem Zweck gründete, um am Vorabend des unvermeidlich werdenden Kriegs Ostreich gegen Frankreich an Rußland auszutauschen: ihr überlaßt mir Frankreich, ich überlasse euch Ostreich und die Türkei und hetze obendrein noch Italien auf Ostreich durch Triest und Trient. Und er bildete sich offenbar ein, das würde gelingen. Sieh Dir auch eine Zeitlang die Geschichte seit 1878 an, ich glaube, Du wirst zu meiner Auffassung kommen. Unbegreiflich ist mir im Reichstagsbericht („Vorwärts") vom 21. die Abzahlungsrede Tutzauers. Der spricht ja nicht als Sozialdemokrat, sondern als Möbelhändler.[251 Wie war das möglich? Die Jungen1261 werden jubeln. Gestern abend war Konzert und Ball von Vereins wegen.1271 Ich war bis 11 Uhr da, habe jetzt wohl Ruhe für einige Zeit vor solchen Pflichtakten; Louise mußte wegen ihrer Rippen-Neuralgie zu Hause bleiben. Sie ist etwas besser, hat aber noch arge Schmerzen, Freyberger sagt, das würde noch ein paar Tage anhalten. Sonst ist die Erkältung am Schwinden, die Stimme und auch das Allgemeinbefinden besser. Sie schickt Dir und Deiner Frau die herzlichsten Grüße, denen sich anschließt Dein F. E.
8
Engels an Maria Mendelson in London
122, Regent's Park Road, N. W. [London] den 24. Januar 93
Liebe Frau Mendelson, Würden Sie so liebenswürdig sein und mir noch sechs Exemplare des Zirkulars zuschicken, das als Antwort auf das Zirkular von „Free Russia" geschrieben wurde? Ich möchte es an Freunde in Deutschland und anderen Ländern schicken; vielleicht wären Sie auch so gut, mir mitzuteilen, ob es an Bebel und an den „Vorwärts" gesandt worden ist. Ist auf Seite 1, Zeile 4 nicht ein Druckfehler? Empfiehlt Dragomanow die Polonisierung Litauens oder die Kolonisierung (durch russische Kolonisten)? Beste Grüße von Frau Kautsky. Ich grüße Sie herzlichst F. Engels
Frau Kautsky hat einen Schnupfen und starke neuralgische Schmerzen, sonst hätte sie Sie schon aufgesucht.
Aus dem Französischen.
9
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 26. Jan. 93
Lieber Baron, Eben sagt mir Gine, daß Du auf Antwort wegen Marx~Biographie[2S1 von mir wartest. Ich hatte in der Tat übersehn, daß dies dringlich. Bitte entschuldige. Ich wüßte nicht, was dem von Dir erwähnten Material zuzusetzen wäre außer etwa einiges aus der Dir gesandten Skizze im „Handwörterbuch der Stfaatsjwfissenschaften]"1. Elster - Vetter von Conrad Schmidt, der ihn an mich wies - bat mich um einiges, ich schrieb's auf und zwar ganz in unserm Sinn, ohne Ahnung, daß er es - mit Auslassung einiger gar zu unbürgerlicher Stellen - abdrucken würde. Nun, mir kann's recht sein. Die Sache wegen der „N[euen] Z[eit]" ist ja einstweilen wegen Dietz' Kurauf die lange Bank geschoben, und zudem hast Du August gesprochen.[29] Er sagt, Rückgehn zur Monatsschrift sei unmöglich. Da werden wohl die äußeren Arrangements so ziemlich bleiben, wie sie sind, - und der Redaktion die Sorge obliegen, das Blatt für die Leser erbaulicher und amüsanter zu gestalten. Jedenfalls scheint mir jede einschneidende Änderung verschoben, bis Dietz wieder geschäftsfähig ist. Und Du selbst wirst für Dein Departement ohnehin mit guten und wohlgemeinten Ratschlägen mehr als überhäuft sein, ich verschone Dich also damit. Tussy ist enorm mit Agitation beschäftigt, war in den Midlands, Edinburgh und Aberdeen, sollte heute herkommen; sowie ich sie sehe, werde ich sie wegen persönlicher Erinnerungen an den Mohr fragend301 Das brasilianische Blatt habe ich an Ede gegeben1311, ihm aber gesagt, daß die Wichtigkeit dieser südamerikanischen Parteien stets im umgekehrten Verhältnis steht zur Großtuerei ihrer Programme. Ede erholt sich sonst allmählich von seiner Neurasthenie, wird auch wieder lebhaft, wie außer seinem persönlichen Auftreten auch sein Artikel über Wolf zeigt, dem er nur zu viel Ehre antut. Ich glaube, etwas
1 Friedrich Engels: „Marx, Heinrich Karl"
2 Marx/Endels, Werke, Bd. 39
Aufmunterung und Aufheiterung ist das, was er jetzt am meisten nötig hat, damit sein gesundes Urteil wieder vollständig die Oberhand über sein immer noch etwas übertriebnes Gerechtigkeitsstreben bekommt. Sonst nichts Neues - nachträglich auch mein Prosit Neujahr. Dein F.E.
10
Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 26. Jan. 93
Lieber Hermann, Was zum Kuckuck ist los? Gestern kam erst ein Telegramm aus Wien, dann eins aus Dresden, dann 5 Uhr morgens eins aus New York, und heut morgen 11 [Uhr] das Deinige - alle nach meiner Gesundheit sich erkundigend. Nun bin ich wohler als seit langer Zeit, kann wieder eine englische Meile weit marschieren, habe während der Weihnachtszeit des Guten eher zuviel als zuwenig getan, bin vortrefflich aufgelegt und arbeitsfähig, und da soll ich auf einmal ernstlich krank sein! Ich telegraphierte Dir gleich zurück.1321 Bin ganz wohl und munter, und bestätige dies hiermit; im nächsten Sommer hoffe ich Euch den augenscheinlichen Beweis davon liefern zu können. Grüße alle Geschwister herzlich, ditto Emma1 und Deine Kinder Und Kindeskinder, und schließlich auch Dich selbst von Deinem alten Friedrich
1 Emma Engels 2*
11
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin
London, 29. Jan. 93
Lieber Liebknecht, Hierbei ein kleiner Beweis meines „hochgradigen Kräfteverfalls", wonach Du hoffentlich „mein Ableben stündlich erwarten" wirst.1 Wo hat der Blödsinn ursprünglich gestanden? Ich möchte dem Lumpazius auf die Sprünge kommen. Ich habe den Artikel2 so eingerichtet, daß Du ihn entweder in 3 Nrn. oder in einer Beilage3 bringen kannst, letzteres wäre vielleicht das beste. Ich zeichne ihn nicht, weil ich sonst die Leute in Rom auf die Spur meiner italienischen Quelle4 führen müßte, der Mann hat die Korrespondenz unvorsichtig geführt, und diese ist augenscheinlich stark überwacht Worden. Dazu weiß ich noch nicht, ob die betreffenden Dokumente im Ausland in Sicherheit sind, und es muß also alles vermieden werden, was diese der italienischen Regierung in die Hände liefern könnte. Namen habe ich nur da angeführt, wo die sie betreffenden Tatsachen schon in italienischen Blättern stehn, diese also als Belege angeführt werden könnten. Ausnahmen sind nur auf S.3 die zwei Namen Arbib und Martini, für die kann ich keine Belege stellen, hast Du also Bedenken, so streiche sie. Der Träger des verehrten Namens ist Menotti Garibaldi, ein Bursche, der schon seit Jahren in Gründungen etc. stark gemacht hat. Neulich hieß es im „Vorwärts" der Republikaner Bonghi1331 - der Mann ist ein Erzreaktionär und Exminister von der Rechten. Überhaupt macht der „Vorwärts" stark in solchen Verstößen übers Ausland, nicht zum mindesten über England! Grüße Deine Frau und Kinder. Dein F.E.
1 Siehe vorl. Band, S.33 - 2 „Vom italienischen Panama" - 3 des „Vorwärts" - 4 Antonio Labriola
12
Engels an Filippo Turati in Mailand[34J
London, den 30. Jan. 93
Lieber Bürger Turati, Sie werden das kurze Vorwort, wenn möglich morgen, erhalten.1 Aber ich möchte Sie bitten, dem „Manifest" von 1848 nicht das Programm der englischen Sozialistischen Liga von 1884[351 anzuhängen. Das „Manifest" ist ein historisches Dokument sui generis2; wenn Sie ihm ein 40 Jahre später herausgekommenes Dokument anhängen, würden Sie letzterem einen besonderen Charakter verleihen. Überdies finde ich im Augenblick nicht das englische Original, um es zu vergleichen, denn ich habe es seit seinem Erscheinen nicht wieder angesehen, und ich habe nichts mit den Programmen und anderen Publikationen der Sozialistischen Liga zu tun - einer Gesellschaft, die sehr schnell anarchistischen Charakter angenommen hat, so daß sich alle Mitglieder, die diesen Frontenwechsel nicht mitmachen wollten (die Avelings, Bax usw.), von ihr zurückgezogen haben. Die Liga, die schon seit einiger Zeit tot ist, wird hier nur noch eine anarchistische Gesellschaft genannt. Sie sehen also, zu welchem Quiproquo der Wiederabdruck ihres ursprünglichen Programms zusammen mit dem „Manifest" von 1848 Anlaß geben könnte. Gruß an Frau Kulischowa und an Sie von Frau Kautsky und Ihrem F. Engels
Aus dem Französischen.
1 „An den italienischen Leser" - 3 eigener Art
13
Engels an Filippo Turati in Mailand
[London, I.Februar 1893]
Lieber Bürger Turati, Inliegend das Vorwort.1 Sie gehen mir in Italien zu schnell vor. Ihr Panamino, der ein Panamone zu werden droht, macht so viele Evolutionen und Wendungen durch und das mit einer so gesteigerten Geschwindigkeit, daß wir hier in London mit den Ereignissen in Rom nicht Schritt halten können. Deshalb hüte ich mich, davon zu sprechen, weil ich Angst habe, von einem Tag zum andern von den Ereignissen überholt zu werden. Das muß Ihnen den wenig aktuellen Charakter meiner Zeilen erklären. Aber wo zum Teufel sind die sozialistischen Abgeordneten in diesen entscheidenden Tagen gewesen? In Deutschland würde man den Unsrigen niemals verzeihen, daß sie auf der Colajanni-Sitzung nicht anwesend waren - das hätte sie ihre Mandate gekostet.1361 Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
1 „An den italienischen Leser"
14
Engels an Maria Mendelson in London
122, Regent's Park Read, N.W. [London] den 7. Februar 1893
Liebe Frau Mendelson, Vielen tausend Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, um mir diese beiden Artikel zu übersetzen.'371 Die Warnung - ostrzezenie - hatte ich schon selbst mit Hilfe des von Marx geerbten polnischen Wörterbuchs entziffert. Und die Nummer der „Gazeta Robotnicza" ist mir für mein Studium des Polnischen wirklich unerwartet nützlich gewesen. - Sie meinen, daß das Polnische dieses Blattes zu verdeutscht sei, ebenso ist es mit Lawrows Russisch, und das erklärt auch, warum mir das Russische des einen und das Polnische des anderen so wenig Schwierigkeiten bereitet. Ich mache wirklich Fortschritte, und wenn ich Zeit hätte, mich drei Monate richtig damit zu beschäftigen, würde ich es wagen, polnisch zu radebrechen. Ich werde versuchen, Ihre Manuskripte zu nutzen, inzwischen bitte ich Sie jedoch, mir mitzuteilen, ob ich die in Ihrem Briefe enthaltenen Tatsachen über die Moskauer Studenten und die russischen Offiziere veröffentlichen kann - natürlich ohne zu verraten, aus welcher Quelle ich sie habe.'381 Empfehlungen von Frau Kautsky. Ganz der Ihre F. Engels
Aus dem Französischen.
15
Engels an Wladimir Jakowlewitsch Schmuilow in Dresden
122, Regent's Park Road, N.W. London, 7. Febr. 1893
Werter Genosse, Besten Dank für Ihren freundlichen Wunsch von wegen der 90 Jahre, wenn ich so bleibe, wie ich jetzt bin, habe ich nichts dagegen, aber sollte ich körperlich und geistig dabei versimpeln wie so mancher, dann bitte ich höflichst um Entschuldigung! dann mache ich lieber nicht mit. Von Ihren Wünschen wegen der Biographie von Marx1391 kann ich leider nur sehr wenig erfüllen; dazu fehlt mir die Zeit, ich bin am 3.Band „Kapital" und kann mir davon keine Zeit abspenstig machen lassen. Ad I. Mehr als Sie Biographisches haben, kann ich Ihnen nicht angeben. Wenigstens nichts Zuverlässiges. Ad II. Die praktische Tätigkeit von M[arx] 1844-49 fand statt teils in Arbeitervereinen, besonders im Brüsseler Verein 1846-48, und im „Bund"'401. Nur über letztere finden Sie etwas gedruckt vor, nämlich in unsern Vorreden zum „Manifest" (letzte Berliner Ausgabe 1892) und in den „Enthüllungen über den Kommunistenprozeß" nebst meiner Einleitung1 dazu, Züricher Ausgabe 1885. - Über die Internationale ist nur Eichhoff zuverlässig, der nach Notizen von M[arx] gearbeitet; alle andern sind voll Lügen und Legenden, von Fribourg bis Laveleye und Zacher. Darüber kann man eher eine Richtigstellung in einem dicken Buch schreiben als einem Dritten Material zur Bearbeitung liefern. Ich kann Ihnen aber zwei Publikationen des Generalrats liefern („Pretendues scissions" und „L'Alliance de la D[emocratie] S[ocialiste]"2) zum Entscheidungskampf mit Bakunin. - Was Heritier in der „Berliner Volks-Tribüne" über die Juraföderation und M.Bakunin losgelassen, ist von einem alle Naivetät übersteigenden Köhlerglauben an alles, was die Anarchisten erfunden haben'81, und wie
1 „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" - 2 Karl Marx/Friedrich Engels: „Die angeblichen Spaltungen in der Internationale" und „Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation"
mir Hferitier] schreibt, hat sein Übersetzer dies noch mehr anarchistisch verfälscht. (Da wird übrigens die russische Zensur Sie vor manchen Fehlern schützen, durch Streichen.) Ad III. „Die heilige Familie" werden Sie sich wohl oder übel verschaffen müssen, ich gebe mein Exemplar unter keinen Umständen fort, und eine Inhaltsangabe ist eine unmögliche Arbeit; auch Hauptstellen auszuschreiben geht nicht an. Sie müssen das Ganze kennen. In Berlin sollte es doch aufzutreiben sein. Über die Genesis des historischen Materialismus finden Sie meiner Ansicht nach vollständig Genügendes in meinem „Feuerbach" („L. Feuerbach und der Ausgang der deutschen klassischen Philosophie") - der Anhang von Marx3 ist ja selbst die Genesis! - Ferner in den Vorreden zum „Manifest" (neue Berliner Ausgabe 1892) und zu den „Enthüllungen über den Komm [unisten] prozeß". Die Mehrwerttheorie hat Marx in den fünfziger Jahren ganz allein und im stillen ausgearbeitet und sich mit aller Gewalt dagegen gesträubt, etwas darüber zu veröffentlichen, ehe er mit allen Konsequenzen vollständig im reinen war. Daher das Nichterscheinen der 2. und der folgenden Hefte von „Zur Kritik der Politischen] Ökon[omie]". Ich schicke Ihnen die „Scissions" und „Alliance" per Post und hoffe, daß Ihnen dies genügen wird, es ist leider alles, was ich für Sie tun kann. Beste Grüße an G[radnauer] und alle dortigen Genossen. Der Ihrige F. Engels
Nach einer von W.J. Schmuilow angefertigten Abschrift.
8 „Thesen über Feuerbach"
16
Engels an August Bebel in Berlin
London, 9. Febr. 93
Lieber August, Vor allem meine Gratulation zu Deiner prächtigen Rede vom 3. Febr., die uns schon im „Vorwärts"-Auszug ungeheuer gefreut hatte, aber im Stenogramm noch besser herauskommt. Sie ist ein Meisterstück, woran auch einzelne kleine theoretische Ungenauigkeiten, die im mündlichen Vortrag unvermeidlich sind, nichts ändern. Ihr habt ganz recht, diese Rede in Hunderttausenden von Exemplaren verbreiten zu lassen, auch abgesehn von und neben der Verbreitung der ganzen Debatte im Broschürenformat.1411 Diese Debatte, womit die Herren Bourgeois sich die Langeweile der durch das Mogeln hinter den Kulissen - öde gewordnen Sitzungen vertreiben und auch bei der Gelegenheit uns schön aufs Glatteis führen wollten, ist ein ganz kolossaler Sieg für uns geworden. Und daß sie das selbst fühlen, zeigt der Umstand, daß sie nach Liebk[necht]s Rede genug haben und dies anzeigen lassen - durch Stoecker! Jetzt endlich also merken die Herren, daß es ein Markstein ist zur Bezeichnung eines neuen Siegs der Arbeiterpartei, wenn ein Parlament sich fünf Tage lang mit der gesellschaftlichen Reorganisation in unserm Sinn beschäftigt, und wenn obendrein dies Parlament der deutsche Reichstag ist. Dieser letztere Umstand konstatiert vor aller Welt, vor Freund und Feind, die triumphierende Stellung, die die deutsche Partei sich erobert hat. Wenn das so fortgeht, werden wir bald, ohne eigne Arbeit, allein von der Dummheit unsrer Gegner leben können. Es war klar, daß Du die Kosten der Debatte tragen mußtest. Soweit ich Frohmes Rede beurteilen kann, hat sie allerdings zu dem Siegesgeschrei der Richter und Bachem und Hitze einigen Vorwand geliefert, und die Geschichte mit dem Thomas von Aquino und Aristoteles müßte genau untersucht werden; wenn Hitzes Behauptung richtig, so wäre Fr[ohme] unfähig zu zitieren, wenn aber nicht, hätte er sich in einer persönlichen Bemerkung rechtfertigen müssen.1421 Sonst ist alles schön verlaufen, und auch L[ie]bk[necht]s Schlußrede war, wenn auch inhaltlich nicht bedeutend, doch
polemisch gut und „schneidig". Kurz, es ist ein Triumph. Aus Freude darüber hat mich die Hexe gestern Spar-Agnes geschimpft, worauf ich ihr bemerklich machte, daß sie die rechte Strampel-Annie sei, letzteres kann mir jeder bezeugen, der sie kennt, sie ist sogar eher schlimmer als jene, sie strampelt nicht mit den Beinen, aber desto mehr mit dem Kopf.'431 Was Du wegen des geschicktesten russischen Plans für einen Kriegsfall sagst, hat viel Richtiges.1441 Aber zu bedenken ist, daß, wenn Rußland die Niederwerfung Frankreichs nicht dulden kann, Italien und England ebensowenig die Erdrückung Deutschlands. Jeder lokalisierte Krieg steht mehr oder weniger unter Kontrolle der Neutralen. Der nächste Krieg, kommt er überhaupt, läßt sich aber absolut nicht lokalisieren, sie werden - die Kontinentalen wenigstens - alle in den ersten Monaten hineingerissen, auf dem Balkan fängt's von selbst an, und höchstens England kann eine Zeitlang neutral bleiben. Dein russischer Plan setzt aber eben einen lokalisierten Krieg voraus, und den halte ich bei den heutigen enormen Armeen und den niederschmetternden Resultaten für den Besiegten nicht mehr für möglich. In Ägypten handelt es sich einfach darum (von Seiten der Russen, die Franzosen sind nur Drahtpuppen), den Engländern eine schwierige Situation zu bereiten und damit auch ihre Truppen und Flotte möglichst festzulegen. Kommt's dann zum Krieg, so hat Rußland den Engländern etwas zu bieten für ihr Bündnis oder mindestens ihre Neutralität, und in einem solchen Moment tauschen die Franzosen mit Wollust Ägypten aus gegen Elsaß. Das gleiche Spiel spielen die Russen einstweilen in Zentralasien an der indischen Grenze, wo sie noch auf Jahre hinaus zu ernstlichen Angriffen zu schwach sind und das Terrain noch lange nicht dazu vorbereitet ist. Nebenbei soll bei Ägypten auch die Türkei für Rußland eingefangen werden. (Soeben war wieder ein russischer Besucher da, der mich über eine Stunde aufgehalten hat, dadurch ist es 4 Uhr geworden, und der Brief wird dadurch kürzer.) Ich sehe, in der Militärkommission habt Ihr auch einen Major Wachs. Wenn er derselbe ist, der ein Vetter des Dr. Gumpert in Manchester ist, so habe ich ihn dort einmal vor ca. 25 Jahren getroffen. Damals war er als ehemaliger kurhessischer Lieutenant bei den Preußen eingetreten und fand sich sehr enttäuscht, bei seinen Besiegern von 1866 dasselbe Kamaschenwesen zu treffen, das er bei den Kurhessen als Ursache der Niederlage betrachtet hatte, ich ermunterte ihn noch, nur ruhig bei den Preußen auszuhalten, er werde wohl auch die guten Seiten der Armee noch kennenlernen. Dann hat er sich bei Spichern'451 als Kompagniechef durch selbständige Besetzung eines Eisenbahndurchgangs trotz seines Majors sehr
ausgezeichnet und ist im Generalstabswerk1461 rühmlichst erwähnt - einer der sehr wenigen überhaupt darin erwähnten Lieutenants. Seitdem habe ich einzelne strategisch-politische Aufsätze von ihm gelesen - meist über den Orient - worin recht gute Sachen sind nebst andrem (Politischem), womit ich nicht einstimme. Er ist jedenfalls ein tüchtiger Offizier - wenn derselbe. Übrigens scheint der Kompromiß ja wahrscheinlicher als je; 28 000 Mann wollen selbst die Freisinnigen1471 und das Zentrum1171 geben, 40 000 offeriert Bennigsen; da werden wohl noch so viele umfallen, daß die Regierung statt 60 000 ihre 50 000 kriegt (wenn sie strammhält, auch vielleicht eine Kleinigkeit mehr) und das bürgerliche Vaterland wieder einmal vor Auflösung und Konflikt gerettet ist.1481 Der „Ball" war eine Strampelei der liebenswürdigen Hexe. Der „Verein" 1271 gab ein Konzert, worauf nachher ein Ball folgte. Um 11 Uhr war der erste Teil des Konzerts fertig, worauf ich mich gehorsamst verabschiedete, also werden sie wohl nicht vor ein Uhr zum Tanzen gekommen sein. Sie selbst spricht nur mit der Herablassung, die einem weit höheren Alter als das ihrige zukommt, vom Tanzen und wenn sie walzen soll, wirst Du sie wohl selbst auf die Bretter führen müssen. Ich bin gar nicht so sicher, daß dann das Wiener Blut nicht wieder seine Rechte geltend machen würde. Im polnischen „Przedswit", der hier erscheint, wird in der nächsten (Febr.) Nr., die in der Presse ist, folgendes erzählt. In Grajewo ist an der Grenze von Ostpreußen ein unterer russischer Beamter Namens Spatzek angestellt, ein Böhme von Geburt, der die Frachtbriefe übersetzt. Der Mann macht trotz miserablen Gehalts große Reisen, bis nach Konstantinopel, lebt flott, kommt viel auf preußisches Gebiet unter dem Vorwand der Jagd, ist dicker Freund des Landrats von der Gröben in Lyck, der ihm Jagdscheine und andre Reiseerlaubnisscheine in Masse ausstellt. Während der Choleragrenzsperre konnte niemand über die Grenze, aber Herr Spatzek nebst Frau und einem andern der Spionage verdächtigen russischen Beamten H-n konnte ungestört nach Königsberg reisen. Der Zweck dieser Herumtreibereien auf deutschem Gebiet ist nach Ansicht der Leute jenseits der Grenze einzig und allein die Ausspionierung der zwischen den ostpreußischen Seen angelegten Sperrforts, und der superkluge preußische Landrat läßt sich dabei von seinem russo-böhmischen Freund bereitwilligst benutzen. Die Überlegenheit der preußischen Bürokraten fällt überall hinein. Ferner ist unter den russischen Truppen an der Grenze dieser Tage eine ganze Ladung Literatur angekommen: viele Ex. einer Broschüre des
Artillerielieutnants Alexandrow in Taschkent über die Ursachen und die Notwendigkeit des bevorstehenden Kriegs. Davon hat jede Kompagnie ein Ex. erhalten, damit die Offiziere die Soldaten gehörig aufklären. Vielleicht kannst Du diese Nachrichten im Privatverkehr mit den Leuten in der Militärkommission benutzen. Hier ist Keir Hardie mit einem Amendement wegen der Arbeitslosen zur Adresse (Antwort auf die Thronrede1) im Parlament aufgetreten. Die Sache an sich war ganz gut. Aber K. H[ardie] hat zwei kolossale Böcke gemacht: 1. War das Amendement als direktes Tadelsvotum gegen die Regierung formuliert, ganz unnötigerweise, so daß die Annahme die Regierung zum Rücktritt genötigt hätte und die ganze Geschichte praktisch ein Torymanöver wurde, 2. ließ er sich von dem protektionistischen (schutzzöllnerischen) Tory Howard Vincent sekundieren, statt von einem Arbeitervertreter, was das Torymanöver und seine Erscheinung als Tory-Drahtpuppe vollständig machte. Auch haben 102 Tories für ihn gestimmt und nur 2 LiberalRadikale1491, kein Arbeitervertreter. Burns war in Yorkshire agitieren. Er hat, wie ich Dir schon schrieb2, seit Bradford[91 schon mehr als einmal Manöver gemacht und Äußerungen getan, die auf Chartipionschen Einfluß raten ließen, jetzt wird dies schon mehr als verdächtig; seine Existenzmittel sind unbekannter Herkunft, und er hat seit 2 Jahren viel Geld verreist; woher kommt das? Die englischen Arbeiter verlangen von ihren Abgeordneten und sonstigen Führern, daß sie der Bewegung alle ihre Zeit opfern, wollen sie aber nicht zahlen, und sind daher selbst schuld, wenn diese zu Unterhalts- und Wahlzwecken Geld von anderen Parteien nehmen. Solange dies dauert, wird's immer Panamaisten'61 unter den hiesigen Arbeiterführern geben. Übrigens wird dies dem Herrn K. Hjardie] bald gelegt werden oder er selbst wird gelegt. Die Arbeiter in Lancashire und Yorkshire sind nicht die Leute, sich ins konservative Gängelband nehmen zu lassen und den Tories die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Man muß nur dem K. H[ardie] Zeit, lassen, die Folgen seiner Politik am eignen Leib zu spüren und aller Augen evident werden zu lassen. Burns ist nach Halifax gegangen Wahlagitieren und hat daher nicht mitgestimmt bei K.H[ardie]s Antrag. Nämlich in Huddersfield und Halifax, 2 Fabrikstädten in Yorkshire von über 100 000 Einwohnern jede, ist Nachwahl. Die Independent Labour Party hat in Halifax einen Kandidaten3 aufgestellt; die anderen beiden Parteien auch. Nun bot sie den Liberalen an:
1 der Königin Victoria - 2 siehe vorl. Band, S. 13 - 3 John Lister
zieht ihr euren Kandidaten in Halifax zurück4, so daß wir nur den Tory5 gegenüber haben, so stimmen wir in Huddersfield für euch. Die Liberalen lehnten ab. Darauf fiel am Dienstag der Liberale in Huddersfield6 durch gegen den Tory7 - durch Stimmenthaltung der Independent Labour Party. Ferner verloren die Liberalen bei einer anderen Nachwahl in Burnley, Lancashire, nahe bei Halifax, 750 Stimmen gegen die vorige Wahl - ebenfalls durch unsere Stimmenthaltung. Heute ist die Wahl in Halifax und wahrscheinlich, daß der Tory gewählt wird. Das würde Gladstones Majorität, jetzt 36, auf 34 herunterbringen. Diese Geschichten heizen den Liberalen täglich mehr ein; soweit verläuft die Sache ganz vortrefflich, Gladstone wird vor den Arbeitern kapitulieren müssen. Die Hauptsache sind die politischen Maßregeln, Erweiterung des Wahlrechts für Arbeiter durch Verwirklichung dessen, was jetzt auf dem Papier steht und die Arbeiterstimmen um 50% vermehren würde; Verkürzung der Parlamentsdauer (jetzt 7 Jahre!), Zahlung der Wahlkosten und Diäten aus öffentlichen Mitteln. Einstweilen müssen diese neuen Erfolge der unabhängigen Politik das Selbstgefühl der Arbeiter heben, ihnen sagen, daß sie jetzt fast überall das Schicksal der Wahlen und damit jedes Ministeriums in der Hand haben. Das ist das Wichtigste: Selbstbewußtsein, Selbstvertrauen der Klasse. Das wird auch über alle die elenden Klüngeleien hinweghelfen, die eben nur aus dem Mangel an Vertrauen der Massen auf sich selbst entspringen. Haben wir eine wirklich sich en masse bewegende Arbeiterschaft, dann verschwinden die schlauen Manöver der Herren Führer, weil sie ihnen mehr schaden als nützen. Louisens Brief ging ab 5.30 abends mit dem Nachtschiff. Dieser geht ab 9. abends, also mit dem ersten Tagesschiff. Willst Du uns sagen, zu welcher Stunde Du jeden erhalten hast, wir wissen dann, welche Post die beste ist. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich selbst, auch nochmals von Louise und von Deinem F. E.
1 William Rawson Shaw - 5 Alfred Arnold - 6 Joseph Woodhead - 7 Joseph Crosland
17
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 12. Febir. 93
Mein liebes Lohr, Ich war wirklich erfreut, Deine Handschrift einmal nicht auf dem Umschlag eines „Intransigeant" oder eines „Figaro" zu sehen, und ich antworte sofort, da ich heute, Sonntag, einige Minuten frei habe und mich morgen wieder in den Dschungel von Banken, Kredit, Geldkapital, Zinsrate werde stürzen müssen, um „Das Kapital" Buch III, Kapitel 30-36 abzuschließen. Dieser Abschnitt Vist so gut wie fertig, soweit es sich um echte Schwierigkeiten handelt, aber es ist noch viel erforderlich, um ihm, sprachlich gesehen, den „letzten Schliff" zu geben: Ordnen, Ausmerzen von Wiederholungen usw. Das hoffe ich in 8-10 Tag.en zu schaffen, dann kommen die Abschnitte VI und VI I dran und dann - ist Schluß. Meine Korrespondenz ruht vorläufig, und mein Fach ist voll, zum Bersten voll mit unbeantworteten Briefen aus allen Ecken der Welt, von Rom bis New York und'von Petersburg bis Texas; wenn ich mir daher einen Augenblick stehle, um Dir zu schreiben, so nur, weil Da es bist und kein anderer. Louise sandte Dir vor mehr als einer Woche einen sieben Seiten langen Brief - hast Du ihn wirklich nicht erhalten? Bitte frage nach, wir werden dasselbe hier tun. Ja, die „Arbeiterinnen-Zeitung" wird Dir gefallen. Sie hat einen gesunden proletarischen Charakter - auch mit den literarischen Unvollkommenheiten der sehr angenehm von all den übrigen Frauenzeitungen absticht. Und Du kannst sehr wohl stolz darauf sein, denn auch Du bist ja eine ihrer Mamas! Es tut mir leid zu hören, daß Pauls Gesundheitszustand nach wie vor unbefriedigend ist - ist er diesen höllischen Bandwurm noch nicht los? Es gibt doch sicherlich genügend filix mas oder Kousso'601 in Paris, um ihn auszutreiben, auch ohne regelrechte Belagerung. Natürlich, solange er ihn pflegt, wird Paul nicht gesund werden, das Biest wird ihn vertilgen. Und warum um Himmels willen maß er denn soviel reisen? Niemand außerhalb Frankreichs kann begreifen, daß er und andere sich diese wundervolle
Gelegenheit entgehen lassen.1611 Ich kann sehr gut verstehen, daß die unsichere Gesellschaft der sogenannten sozialistischen Deputierten nicht möchte, daß er spricht, jeder zieht in eine andere Richtung und jeder spielt sein eigenes Spiel, und sie wissen, daß Paul, wenn er erst auf der Tribüne steht, durch sie nicht mehr zu halten oder zu kontrollieren wäre, aber von unserem Gesichtspunkt aus ist gerade das der Grund, warum er sprechen sollte. Sollen die Sozialisten, gerade vor den Wahlen152', durch ihr Schweigen den Verdacht erwecken, daß sie nicht besser sind als die Panamaisten und daß sie ihre eigenen Gründe haben, diese zu schützen und die ganze Sache zu vertuschen? In Italien ist das der Fall, die zwei Männer, die in der Romagna (als Sozialisten) gewählt wurden, sind in den Händen der Regierung durch die von letzterer an die sogenannten Kooperativgenossenschaften gezahlten Subventionen, die von ersteren geleitet werden, und aller Wahrscheinlichkeit nach kommen diese Subventionen aus den Tresors der Banca Romana. Das erklärt ihr Schweigen.1361 Aber in Frankreich!?! Ich kann Dich versichern, daß dieses unerklärliche Schweigen die Achtung, die die man den französischen Sozialisten im Ausland entgegenbringt, nicht erhöht hat. Natürlich haben Brousse und Co.[531 ihren Anteil aus den durch Panama beschafften Geheimfonds gehabt - aber ist das nicht ein Grund mehr für unsere Leute, ihre Stimme zu erheben? „A la guerre comme ä la guerre"1 besagte früher ein französisches Sprichwort, ist dem noch so? Nach Mutter Crawford sind die über Lesseps und Co. verhängten schweren Strafen nur Sand, der den Gogos2 in die Augen gestreut wird. Der Kassationshof wird sie aufheben unter dem Vorwand, daß durch die Instruktion von Prinet die Verjährung nicht unterbrochen wurde, daß folglich die d6lits en question sont pr6scrits3.1641 Wenn dieser Fall eintritt, bedeutet es, daß die „Eingeweihten", ceux qui ont touche4, dreist genug sind, ganz Frankreich zu sagen, daß es ein rechter Gogo ist. Das hieße, ganz gehörig se moquer du monde5. Nun, ich hoffe, daß der Volkszorn endlich geweckt und Rache genommen wird. Es wird Zeit. Bebel soll Dir seine Rede vom 3. Febr. im Stenogramm schicken. Sie ist wirklich prächtig, und möglicherweise werdet Ihr sie für den „Socialiste" sehr opportun finden.t5S1 Unsere Leute haben den Reichstag vierzehn Tage lang ganz für sich gehabt. Erst die Notstandsdebatte6, 3 Tage, und alle
1 „Im Kriege ist es nun einmal nicht anders" - 2 Einfaltspinseln - 3 in Frage kommenden Delikte verjährt sind - 4 diejenigen, die einkassiert haben - 5 sich über die Welt zu mokieren® in der Handschrift deutsch: Notstandsdebatte
Friedrich Engels in seinen letzten Lebensjahren

Parteien, von der Regierung an abwärts, haben unsere Männer angefleht, ihre Macht zu gebrauchen, um die streikenden Bergleute usw. zu beschwichtigen.*561 Dann die kolossale Ungeschicklichkeit der Bourgeois, unsere Leute zu einer Debatte über die künftige Organisation der Gesellschaft zu provozieren - das hat fünf Tage gedauert!t41] - das erste Mal, daß dieses Thema in irgendeinem Parlament diskutiert worden ist. Und im ganzen nur drei Sprecher auf unserer Seite - Bebel sprach zweimal, Frohme und Liebknecht - und die Bourgeois mußten uns das letzte Wort lassen und verzweifelt aufgeben (denn wir konnten die cloture7 durch einfaches Auszählen aufhalten, da das Quorum von 201 niemals anwesend war). Während Ihr überschwemmt wurdet, lag ich „im Sterben" - den Zeitungen nach. Am Dienstag vor acht Tagen ein Telegramm aus Wien: war ich tatsächlich hinüber? Dann eins aus Dresden; um 5 Uhr morgens wurde ich herausgeklopft, eins aus New York. Das ging so noch ein paar Tage weiter, bis wir feststellten, daß fast alle Berliner Zeitungen eine Notiz enthielten, ich wäre in einem so hochgradigen Kräfteverlust, daß mein Ableben stündlich erwartet werde8. Wer diesen Blödsinn ausgeheckt hat, kann ich mir nicht vorstellen. Auf jeden Fall soll ihn der Teufel holen. Herzliche Grüße von Louise. Immer Dein F. Engels An Paul: Exeat taenia!9 Sam Moore ist am 28. Jan. wieder nach dem Niger abgereist.
Aus dem Englischen.
7 Schluß der Debatte - 8 in der Handschrift deutsch: in einem so hochgradigen Kräfteverlust, daß mein Ableben stündlich erwartet werde - 9 Raus mit dem Bandwurml
3 Marx/Engels, Werke. Bd. 39
18
Engels an August Bebel in Berlin
[London] 24. Febr. 93
Lieber August, Mein eingeschriebnes Aktenstück von gestern wirst Du erhalten haben. Noch ein paar Worte darüber. Ich hatte mir die Veröffentlichung gedacht in 8 Artikeln in 8 sukzessiven Nrn. des „Vorwärts". Vielleicht aber habt Ihr eine Methode, die Euch besser dünkt, in dem Fall geniert Euch nicht.1571 Der Titel: „Kann Europa abrüsten?" gefällt mir nicht recht. Und doch weiß ich keinen besseren. Man kann es doch nicht gut eine „sozialdemokratische Militärvorlage" nennen, das ginge allerhöchstens, wenn Ihr den Vorschlag en bloc akzeptiert. Ich habe die Sache an Dich geschickt und nicht an L[iebknecht], weil Du in der Militärkommission sitzest und eine „Lektion" von mir verlangtest. Das wird mich bei ihm entschuldigen. Dann aber auch, weil ich etwaige nötige preßgesetzliche Änderungen lieber Dir anvertraue als ihm, überhaupt das Ms. nicht bloß den „Vorwärts" angeht, sondern buch alle, und Ihr Eure eigne Meinung haben könnt über die beste Art und Zeit der Veröffentlichung - jedenfalls vor der Wiederbehandlung im Plenum. Aus der „Workman's Times" wirst Du gesehn haben, daß die kontinentalen Parteiangelegenheiten und speziell die deutschen dort jetzt durch Avelings besser zur Kenntnis der englischen Arbeiter gebracht werden.1581 Die liberale Regierung hat nach den letzten Wahlerfahrungen etwas beschleunigtere Gangart annehmen müssen. Die Maßregeln sind eben „liberal", aber doch besser, als man erwarten konnte. Das neue Gesetz über Wählerlisten, wenn's durchgeht, verstärkt 1. das Arbeitervotum um ca. 20-30% mindestens und gibt den Arbeitern in 40-50 weiteren Wahlkreisen die absolute Majorität und 2. spart es den Kandidaten eine beträchtliche jährliche Ausgabe; diese mußten selbst sorgen, daß ihre Wähler auf die Liste kamen, und das kostet hier viel Geld. Das läßt sich schon auf Abschlag akzeptieren.1591 - Die Diäten sind in sehr naher Aussicht, wenn nicht diese, doch fast sicher nächste Session, Gladstone hat sie im Prinzip
angenommen. Dann ist's ein großer Gewinn, daß für alle öffentlichen Wahlen nur eine Wählerliste, also nur ein Wahlrecht sein soll, und dies um so wichtiger, als auch eine Bill kommt zur Errichtung von Pfarrei- (hier - Gemeinde auf dem Lande)räten[60], wodurch der letzte Rest der bisherigen halbfeudalen Wirtschaft auf dem Lande beseitigt wird. Geht das alles durch und wird Gesetz in dieser Session, so ist die politische Stellung der Arbeiterklasse bedeutend verbessert und das ist selbst ein neuer Antrieb für die Leute, diese neue Stellung auch zu benutzen. Bei allen Intrigen und Dummheiten, die hier noch vorkommen werden, und das massenhaft, ist es doch sicher, daß es mächtig vorwärtsgeht, vielleicht wundert Ihr Euch schon in ein paar Jahren über die Engländer. Warum Du die Spatzek-Geschichte1 nicht direkt mitteilen sollst, sehe ich nicht ein. Sie ist übrigens polnisch gedruckt im „Przedswit" von Februar. Wenn der Wachs groß von Statur ist, so ist's nicht der rechte. Der war, soviel ich mich erinnere, etwa so groß wie Du und braunhaarig. Woher aber alle die wächsernen Majore kommen, ist unerfindlich.2 Eben ist die Hexe fertig, also abkommandiert - Herzlichen Gruß an Deine Frau und Dich Dein F.E.
1 Siehe vorl. Band, S. 28 - 2 siehe vorl. Band, S. 27/28
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg1611
,v, TI London, 24. Febr. 1893 Werter Herr, Entschuldigen Sie mein langes Schweigen. Es war nicht freiwillig. Ich muß mich anstrengen, äußerst anstrengen, um Bd. III1 in diesem Winter und Frühling fertigzubekommen. Um das zu erreichen, muß ich mir alle Nebenarbeit und sogar jede nicht unbedingt notwendige Korrespondenz versagen. Sonst hätte mich nichts daran hindern können, die Diskussion über unser hochinteressantes und wichtiges Problem mit Ihnen fortzusetzen[62]. Ich habe jetzt - außer einigen formalen Dingen - die redaction des Abschnitts V (Banken und Kredit), des schwierigsten, sowohl was den Gegenstand als auch den Zustand des Ms. angeht, abgeschlossen. Jetzt bleiben nur noch zwei Abschnitte - V3 des Ganzen - von denen der eine - Grundrente - ebenfalls einen sehr schwierigen Gegenstand behandelt, aber soweit ich mich erinnere, ist das Ms. viel mehr ausgearbeitet als das von Abschnitt V. So daß ich noch immer hoffe, meine Aufgabe in der vorgesehenen Zeit fertigzustellen. Die große Schwierigkeit war, mich auf 3-5 Monate von jeder Unterbrechung freizumachen, um die ganze Zeit demAbschnittV zu widmen, und der ist jetzt glücklich geschafft. Bei der Arbeit habe ich oft daran gedacht, welche große Freude Ihnen dieser Band bei seinem Erscheinen machen wird; ich werde Ihnen, wie bei Bd. II, die Korrekturbogen schicken'631. Maintenant revenons a nos moutons.2 Wir scheinen über alle Punkte bis auf den einen übereinzustimmen, den Sie in Ihren beiden Briefen vom 3. Okt. und 27. Januar behandeln, wenn auch jeweils unter verschiedenen Gesichtspunkten. Im ersten fragen Sie: War die ökonomische Umgestaltung, die nach 1854 unvermeidlich geworden war, derart, daß sie die historischen Institutionen Rußlands, statt zu entwickeln, im Gegenteil in ihrer Wurzel angreifen mußte? Mit anderen Worten, könnte die Dorfgemeinde nicht als Basis der neuen ökonomischen Entwicklung genommen werden? 1 des „Kapitals" - 2 Kehren wir nun zu unserem Gegenstand zurück.
In Ihrem Brief vom 27. Jan. drücken Sie denselben Gedanken in folgender Form aus: Die grande industrie3 war eine Notwendigkeit für Rußland geworden, aber war es unvermeidlich, daß sie in kapitalistischer Form entwickelt wurde? Nun, etwa um 1854 begann Rußland mit dem Gemeineigentum einerseits und der Notwendigkeit der grande industrie andererseits. Wenn Sie nun den damaligen Zustand Ihres Landes in Rechnung stellen, sehen Sie da eine Möglichkeit, die grande industrie auf die Bauerngemeinde in einer Form aufzupfropfen, die einerseits die Entwicklung dieser grande industrie möglich machen und andererseits das primitive Gemeineigentum in den Rang einer gesellschaftlichen Einrichtung erheben würde, die allem überlegen wäre, was die Welt bisher gesehen hat? Und das, während der ganze Westen noch unter dem kapitalistischen Regime lebt? Ich bin der Meinung, daß eine solche Entwicklung, die alles, was aus der Geschichte überliefert ist, übertroffen hätte, andere ökonomische, politische und intellektuelle Bedingungen erfordert hätte, als sie zu jener Zeit in Rußland vorhanden waren. Kein Zweifel, die Gemeinde und bis zu einem gewissen Grad das Artel enthielten Keime, die sich unter bestimmten Bedingungen hätten entwikkeln können und Rußland die Notwendigkeit erspart hätten, die Qualen des kapitalistischen Regimes durchzumachen. Ich unterschreibe den Brief unseres Autors über JKyKOBCKifl4 voll und ganz.t64] Aber nach seiner wie nach meiner Auffassung war die erste Bedingung dafür der Anstoß von außen, die Umwälzung des ökonomischen Systems in Westeuropa, die Zerschlagung des Kapitalismus in seinen Ursprungsländern. Unser Autor erklärte in einem gewissen Vorwort zu einem gewissen alten Manifest im Januar 18821651 als Antwort auf die Frage, ob die russische Gemeinde nicht der Ausgangspunkt einer höheren sozialen Entwicklung sein könne: Wenn die Umwandlung des ökonomischen Systems in Rußland mit einer Umwandlung des ökonomischen Systems im Westen zusammenfällt, Ta.Kt, nrro o6ii OHi nonojiHHTTi apyrt npyra, to coBpeMeHHoe pyccKoe BeMJieBJiafliHie MOJKeTt HBHTbCH HCXOflHHMTj nyHKTOMt HOBarO OßmeCTBeHHarO paaBHTiH5. Wären wir im Westen in unserer eigenen ökonomischen Entwicklung schneller gewesen, hätten wir das kapitalistische System vor zehn oder zwanzig Jahren stürzen können, dann hätte Rußland vielleicht noch Zeit gehabt, die Tendenz seiner eigenen Entwicklung zum Kapitalismus zu umgehen. Leider sind wir zu langsam, und diese ökonomischen Konsequenzen
3 große Industrie - 4 Shukowski -5 so daß beide einander ergänzen, so kann das jetzige russische Gemeineigentum zum Ausgangspunkt einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung werden
des kapitalistischen Systems, die es seinem kritischen Punkt entgegentreiben müssen, beginnen sich erst jetzt in den verschiedenen Ländern um uns herum zu entwickeln: während England sein Industriemonopol schnell verliert, nähern sich Frankreich und Deutschland dem industriellen Stand Englands, und Amerika ist drauf und dran, sie alle vom Weltmarkt, sowohl was Industrie- wie Agrarprodukte anlangt, zu vertreiben. Die Einführung einer wenigstens relativen Freihandelspolitik in Amerika wird den Ruin von Englands Industriemonopol bestimmt vollenden und zu gleicher Zeit den industriellen Exporthandel Deutschlands und Frankreichs zugrunde richten; dann muß die Krise kommen, tout ce qu'il y a de plus fin de siecle6. Doch in der Zwischenzeit verfällt die Gemeinde bei Ihnen, und wir können nur hoffen, daß der Übergang zu einem besseren System bei uns bald genug kommen wird, um wenigstens in einigen der entlegeneren Teile Ihres Landes Einrichtungen zu retten, die unter solchen Umständen aufgerufen werden können, einer großen Zukunft zu dienen. Aber Tatsachen sind Tatsachen, und wir dürfen nicht vergessen, daß diese Möglichkeiten mit jedem Jahr geringer werden. Im übrigen gestehe ich Ihnen zu, daß der Umstand, daß Rußland das letzte Land ist, dessen sich die kapitalistische grande industrie bemächtigt, und gleichzeitig das Land mit der weitaus größten Bauembevölkerung ist, dazu führen muß, die durch diese ökonomische Umgestaltung hervorgerufene bouleversement7 akuter werden zu lassen, als sie anderswo gewesen ist. Der Prozeß der Verdrängung von etwa 500 000 nOMimiiKOB-t8 und von etwa 80 Millionen Bauern durch eine neue Klasse bürgerlicher Grundbesitzer kann sich nur unter fürchterlichen Leiden und Konvulsionen vollziehen. Aber die Geschichte ist nun einmal die grausamste Bcixt 6orHHi>9, und sie führt ihren Triumphwagen über Haufen von Leichen, nicht nur im Krieg, sondern auch in Zeiten „friedlicher" ökonomischer Entwicklung. Und wir Männer und Frauen sind unglücklicherweise so stupide, daß wir nie den Mut zu einem wirklichen Fortschritt aufbringen können, es sei denn, wir werden dazu durch Leiden angetrieben, die beinahe jedes Maß übersteigen. T , „ Immer der Ihre P. W. R.[661 Adressieren Sie bitte Frau K[autsky], nicht Frau R[osher], Aus dem Englischen.
8 alles noch vor Ende des Jahrhunderts - 7 Erschütterung - 8 Gutsbesitzern (in der Handschrift: nOM'fcmHKHx) - 9 aller Göttinnen
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 25. Febr. 1893
Mein lieber Lafargue, Wie die Zeit vergeht! der alte Harney erinnerte mich heute morgen daran, daß gestern der Jahrestag der Februarrevolution war - „Es lebe die Republik!", mein Gott, wir haben jetzt so viele andere Jahrestage zu feiern, daß man diese halbbürgerlichen Daten vergißt. Unvorstellbar, daß es in fünf Jahren ein halbes Jahrhundert her sein wird, seit sich dies ereignet hat. Damais begeisterte man sich für die Republik - republique mit kleinem r; seit man sie mit einem großen R schreibt, ist sie nichts mehr wert, außer als beinahe überlebte historische Etappe. Ihre Rede war sehr gut, und ich bedauere nur, daß sie nicht zwei Monate früher gehalten worden ist. Aber besser spät als niemals; ich wundere mich nicht, daß Kammer und Presse sie unzeitgemäß gefunden haben; wenn wir ihr placef- abwarten wollten, würde uns niemals das Wort erteilt werden.1871 Was die Radikal-Sozialisten a la Millerand und Cie angeht, so muß dem Bündnis mit ihnen unbedingt die Tatsache zugrunde liegen, daß unsere Partei1681 eine besondere Partei ist und sie dies anerkennen müssen.1691 Das schließt keineswegs eine gemeinsame Aktion bei den nächsten Wahlen aus -, vorausgesetzt, daß die Verteilung der Sitze, die gemeinsam erstritten werden, sich nach dem wirklichen Kräfteverhältnis vollzieht; diese Herren pflegen den Löwenanteil für sich zu fordern. Wenn Ihre Reden in der Kammer nicht mehr die gleiche Resonanz finden wie vordem, so darf Sie das nicht entmutigen. Sehen Sie sich unsere Freunde in Deutschland an, sie sind jahrelang ausgezischt worden, und jetzt beherrschen die 36 den Reichstag. Bebel hat mir geschrieben: wenn wir achtzig oder hundert (auf 400 Mitglieder) wären, würde der Reichstag unmöglich sein. Es gibt keine Debatte worüber auch immer, bei der wir nicht intervenieren, und alle Parteien hören uns an. Die Debatte über die
1 ihre Erlaubnis
sozialistische Organisation der Zukunft hat fünf Tage gedauert, und Bebels Rede ist in 3 und einer halben Million Exemplaren angefordert worden. Jetzt werden sie die ganze Debatte als Broschüre ä fünf Pfennig drucken lassen, und die ohnehin schon ungeheure Wirkung wird verdoppelt werden!1411 Ihr habt vollkommen recht, wenn Ihr die Wahlen vorbereitet. Wir müßten mindestens 20 Sitze erobern. Ihr habt den ungeheuren Vorteil, durch die Gemeindewahlen den Mindeststand Eurer Kräfte an jedem Ort zu kennen; denn ich nehme an, daß Ihr seit dem letzten Mai[701 beträchtlich gewonnen habt. Das wird Euch bei der Verteilung der Kandidaturen zwischen Euch und den Radikal-Sozialisten sehr helfen. Aber vielleicht zieht Ihr es vor, Eure Kandidaturen überall da aufzustellen, wo Ihr eine Chance habt, unter dem Vorbehalt, sie wenn nötig in der Stichwahl zugunsten der Radikalen zurückzuziehen, falls letztere mehr Stimmen erhalten sollten. Bei den Wahlen ist das Wichtigste, ein für allemal festzustellen, daß es unsere Partei ist, die in Frankreich den Sozialismus repräsentiert, und daß alle anderen mehr oder weniger sozialistischen Fraktionen - Broussisten'531, Allemanisten1711, Blanquisten1721 - reine und unreine - nur durch die zeitweilige Zersplitterung in einer mehr oder weniger frühen Phase der proletarischen Bewegung neben uns eine Rolle spielen konnten; daß aber jetzt die Periode der Kinderkrankheiten vorüber und das französische Proletariat sich seiner historischen Rolle voll bewußt geworden ist. Wenn wir 20 Mandate haben, werden die anderen zustimmen nicht soviel haben, denn sie werden mehr verlieren als gewinnen. Und dann geht es vorwärts. Inzwischen sorgen Sie für Ihre Wiederwahl: mir scheint, daß Ihre häufige Abwesenheit von der Kammer nicht sehr dazu beigetragen haben kann, sie zu sichern.1511 Der Panama ist nicht tot, das steht fest.161 Und es ist eine Schande, daß man den Royalisten und ihren zweifelhaften Verbündeten die Sorge und die Ehre für die Enthüllungen überläßt. Diese könnten sich keine bessere Losung wünschen als: Nieder mit den Dieben! und wenn die große Masse der dummen Provinz ihnen gegen die Republikaner recht gibt, so hat die Feigheit der radikalen Republikaner1211 ihnen zu diesem Erfolg verholfen. Sie sagen, daß die Republik nicht in Gefahr ist, daß die Deputierten mit dieser Gewißheit aus den Ferien zurückgekehrt sind; dann muß man alle Kräfte anwenden und sich durch das Schweigen nicht mit den Dieben identifizieren lassen. Sie haben ganz recht: die politische Inferiorität der ganzen Bourgeoisie übertrifft jede Vorstellung. Das einzige Land, in dem die Bourgeoisie noch ein wenig gesunden Menschenverstand hat, ist England. Hier hat die Bildung der unabhängigen Arbeiterpartei191 (obwohl erst im Keim) und ihre Aktion bei den Wahlen
von Lancashire und Yorkshire2 der Regierung arg eingeheizt; sie rührt sich, sie macht für eine liberale Regierung unerhörte Dinge. Die registration bill 1. vereinheitlicht das Wahlrecht für alle Parlaments-», Gemeindewahlen usw., 2. erhöht die Anzahl der Arbeiterstimmen mindestens um 20-30%, 3. nimmt die Kosten für die Wählerlisten von den Schultern der Kandidaten und überträgt sie der Regierung. Die Zahlung von Diäten an die Abgeordneten ist für die nächste Session zugesichert[591; außerdem eine Menge von juristischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zugunsten der Arbeiter. Endlich erkennen die Liberalen, daß sie sich gegenwärtig die Macht nur sichern können, wenn sie die politische Macht der Arbeiterklasse stärken, die ihnen natürlich danach den Stuhl vor die Tür setzen wird. Andererseits sind die Torys augenblicklich von einer grenzenlosen Stupidität. Aber ist die Homerule erst einmal Gesetz geworden, dann werden sie einsehen, daß ihnen nichts anderes übrigbleibt, als um den Besitz der Macht in die Schranken zu treten; und dazu gibt es nur ein einziges Mittel: die Stimmen der Arbeiter durch politische und ökonomische Zugeständnisse zu gewinnen; also können Liberale und Konservative nichts anderes tun, als die Macht der Arbeiterklasse stärken, als den Augenblick beschleunigen, der sowohl die einen als auch die anderen unmöglich werden läßt. Unter den hiesigen Arbeitern geht es vorwärts. Die Arbeiter beginnen, sich mehr und mehr ihrer Kraft bewußt zu werden und erkennen, daß es, um sie zu nutzen, nur ein Mittel gibt, d. h. die Bildung einer unabhängigen Partei. Gleichzeitig gewinnt der Internationalismus an Boden. Schließlich geht es überall voran. In Deutschland ist die Auflösung des Reichstags noch immer möglich; sie verliert indessen an Wahrscheinlichkeit, alle Welt fürchtet sich davor, nur wir nicht. Wir würden 50-60 Mandate haben.1481 Am 26. März wird in Brüssel eine internationale Konferenz zur Vorbereitung des Züricher Kongresses stattfinden.1731 Werden Sie hinfahren? Good riddance to your taenia3, und schonen Sie Ihr Gedärm, beinahe hätte ich einen Irish bull4 gemacht und gesagt: das ist pures Gold wert! Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
2 siehe vorl. Band, S. 29/30 - 8 Ein Glück, daß Sie den Bandwurm los sind - 4 Kalauer
21
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 25. Febr. 93
Meine liebe Laura, Du kennst die Redensart, daß der wichtigste Teil des Briefes einer Frau immer das Postskriptum ist. Aber das ist eine abscheuliche Verleumdung, und ich werde es beweisen. In meinem letzten Brief habe ich nicht nur das Wesentliche nicht im Hauptteil des Briefes erwähnt, sondern nicht einmal im Postskriptum, und muß es nun in einem gesonderten Schreiben tun. Es handelt sich um Eure Silberhochzeit hier am 2. April. Du weißt, daß Du zugesagt hast, und ich nehme Dich beim Wort. Da es wahrscheinlich und mehr als wahrscheinlich ist, daß Paul am 26. März zur Brüsseler Konferenz1731 fahren muß, wäre es nicht das beste, wenn Du etwa zur selben Zeit, da er nach Brüssel fährt, direkt von Paris kommen würdest und ihn von dort herüberkommen läßt? Es sei denn, Du ziehst es vor, ihn zu begleiten und Dir Deine Geburtsstadt anzusehen, die, wie man mir sagte, sich sehr verschönert hat, um sich der Ehre, die Du ihr erwiesen hast, würdig zu zeigen. Auf jeden Fall erscheint es mir an der Zeit, einige Vorbereitungen für das glückliche Ereignis zu treffen, und da ich nicht in der Lage war, oder vielmehr vergessen hatte, dieses Postskriptum meinem letzten Brief an Dich hinzuzusetzen, füge ich es jetzt dem Brief an Paul bei und hoffe, Du wirst es sehr ernsthaft in Erwägung ziehen und uns Deine Absicht wissen lassen, sobald es Dir möglich ist. Grüße von Louise und Deinem alten Verehrer F. Engels
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Engels an Thomas Cook & Son in London1741 (Entwurf)
[Eastbourne, um den 6. März 1893]t75]
Werte Herren, Ihr Brief vom 3. ist mir hierher nachgesandt worden. Der betreffende Gentleman1 ist ein junger Arzt und Angehöriger der Universität Wien, Österreich, wo er graduierte und mit großem Erfolg praktizierte. Er wurde mir von einem prominenten Mitglied des österreichischen Parlaments2 warm empfohlen, und ich zweifle nicht, daß Sie an ihm einen sehr angenehmen Klienten haben werden.
Aus dem Englischen.
1 Ludwig Freyberger - 2 Engelbert Pernerstorfer
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin™
Schicke mir doch 6 oder wo möglich 12 Ex. der Artikel1 nach London. Ich bin seit ein paar Tagen hier in Eastbourne1751, um ein bißchen frische Luft zu schnappen; sonderbares Klima, manchmal kann man ganz hübsch im Freien sitzen, dann aber wird's wieder kalt und windig - glücklicherweise regnet's bis jetzt nicht viel. Beste Grüße den Deinigen. Dein F.E.
Eastbourne, 7. März 93 28, Marine Parade
1 Friedrich Engels: „Kann Europa abrüsten?"
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Engels an Filippo Turati in Mailand1771
[Eastbourne] den 12. März 93
Lieber Bürger Turati, Ich schicke Ihnen die Korrekturbogen zurück, die ich in der kurzen Zeit, die Sie mir gelassen haben, nicht gründlich lesen konnte.1781 Ich bin für einige Tage hier an der See1781; man hat mir das Paket nachgeschickt, was noch mehr Zeit kostete. Es steht Ihnen frei, das Programm der Internationale als Beilage zu bringen - das heißt entweder die Statuten mit den Erwägungen1 oder die „Inauguraladresse"2 von 1864; da ich die russische Ausgabe des „M[ani]f[estes]" nicht hierhabe, weiß ich nicht genau, von welchem der beiden Dokumente Sie sprechen. Dank für die zwei Broschüren, die ich mit großem Interesse lesen werde. Frau Kulischowa wird inzwischen einen Brief von Frau Kautsky er-< halten haben. Beste Grüße an Frau K[ulischowa] und Sie von Frau Kautsky und Ihrem F.E.
Aus dem Französischen.
1 Karl Marx: „Allgemeine Statuten und Verwaltungs-Verordnungen der Internationalen Arbeiterassoziation" - 2 Karl Marx: „Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation"
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Engels an F.Wiesen in Bairdt79)
122, Regent's Park Road, N.W. w. „ London, 14. März 1893 Werter Uenosse, Ich bin durch gehäufte Arbeit verhindert worden, früher auf Ihre Zeilen vom 29. Jan. zu antworten. Ich sehe nicht ein, welche Verletzung des sozialdemokratischen Prinzips notwendig darin liegt, daß man für irgendein durch Wahl zu besetzendes politisches Amt Kandidaten aufstellt resp. für diese Kandidaten stimmt, selbst wenn man darauf hinarbeitet, dies Amt selbst zu beseitigen. Man kann der Meinung sein, der beste Weg zur Abschaffung des Präsidentenamts und des Senats in Amerika bestehe darin, daß man in diese Stellen Männer wählt, die verpflichtet sind, diese Abschaffung zu vollziehn; man wird dann konsequenterweise auch demgemäß handeln. Andre können der Meinung sein, dieser Weg sei unzweckmäßig; darüber läßt sich streiten. Es mag Umstände geben, unter denen jene Handlungsweise auch eine Verleugnung1 des revolutionären Prinzips in sich schließen würde; warum das immer und überall der Fall sein sollte, leuchtet mir nicht ein. Das nächste Ziel der Arbeiterbewegung ist doch: die Eroberung der politischen Macht für und durch die Arbeiterklasse. Sind wir darüber einig, so kann der Meinungsstreit über die dabei anzuwendenden Mittel und Methoden des Kampfs unter aufrichtigen Leuten, die ihre fünf Sinne beieinander haben, kaum noch zu prinzipiellen Differenzen führen. Nach meiner Ansicht ist in jedem Land die Taktik die beste, die am kürzesten und sichersten zum Ziel führt. Aber von diesem Ziel ist man grade in Amerika noch sehr weit entfernt, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich eben aus diesem Umstände mir die Wichtigkeit erkläre, die dort noch manchmal solchen akademischen Streitfragen beigelegt wird. Ich stelle Ihnen frei, diese Zeilen - unverkürzt - zu veröffentlichen. Aufrichtigst Ihr ergebner F. Engels
1 In der Abschrift: unter welchen jene Handlungsweise auch eine Verletzung
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
Eastbourne, 28, Marine Parade 14. März 1893
Meine liebe Laura, Das war wirklich ein erfreulicher Brief von Dir. Wir erwarten Euch also so bald wie möglich im Laufe der nächsten Woche1, und wenn Du erst einmal hier bist, lassen wir Dich nicht vor mindestens vierzehn Tagen oder drei Wochen wieder über den Kanal zurück; selbst wenn das „ehrenwerte Parlamentsmitglied"2 seine Agitationsreise nicht so lange unterbrechen könnte. Wir werden am Freitag nach London zurückkehren.1755 Louise und ich haben versprochen, am Samstag3 bei der gemeinsamen Kommune-Feier des Vereins1271 und der Bloomsbury Society1801 zu sprechen - einem gemeinsamen Fest, obgleich mir der Festbraten eines guten Fleischers lieber wäre. Am Sonntag darauf ist die Brüsseler Konferenz1731 - das heißt, am nächstfolgenden Sonntag, nämlich am 26.; Du schreibst nicht, ob Paul dort sein wird, qbgleich es sehr wichtig wäre wegen gewisser Intrigen, die von der alten Clique der Hyndman-Brousse-Allemane angezettelt und zur Zeit von Seidel, dem Sekretär des Züricher Komitees1811, unterstützt werden; offensichtlich unternimmt diese verkommene Sippschaft einen letzten Versuch, um sich eine günstigere Position auf dem Kongreß zu verschaffen. Es ist fast sicher, daß Bebel für einige Tage von Brüssel aus nach London kommt1821 und vielleicht auch Liebknecht. Ich würde mich nun ungemein freuen, wenn ich Paul und Bebel einige Tage zusammen hierhätte, um ein für allemal mit gewissen französischen Vorurteilen gegen B[ebel] aufzuräumen, weil er bei weitem der beste Mann ist, den wir in Deutschland haben, ungeachtet dessen, was von den Franzosen als seine teutonische Rauhbeinigkeit angesehen werden mag. Deshalb habe ich, wie Du siehst, außer dem persönlichen ein besonderes politisches Interesse daran, daß Ihr Euch Anfang der Woche hier sehen laßt.
1 Siehe vorl. Band, S. 42 - 2 Paul Lafargue - 3 18. März
Ich habe absolut nichts gegen eine tour de France4, die Paul während einer organisierten Wahlkampagne unternimmt, ich halte sie im Gegenteil für eine großartige Sache. Aber ein Deputierter hat schließlich auch gewisse Pflichten in der Kammer, besonders in dieser Panamazeit[6], und da jede Wahl am Ende von den Stimmen einer ganz hübschen Zahl plus ou moins5 gleichgültiger Philister abhängt, fürchte ich, daß Pauls Wiederwahl durch die Vernachlässigung seiner parlamentarischen Pflichten gefährdet sein könnte. In der Tat habe ich schon einiges gehört, was auf diese Möglichkeit hindeutet. Und als ich sah, daß er ständig abwesend war, während sich sehr bedeutsame Dinge in der Panamakrisis abspielten, mußte ich befürchten, daß er einige sehr wichtige Chancen verliert und man all dies gegen ihn vorbringen könnte. Aprfcs tout6, es wäre zu viel Großmut von seiner Seite, anderen die Sitze vorzubereiten und seinen eigenen zu verlieren. Wenn Ihr in Frankreich so stark wäret wie unsere Leute ir Deutschland, wo wir über zwanzig Sitze haben, die wir fast alle et par droit de conquete et par droit de naissance7, dann wäre es etwas anderes, aber dann wäre auch keine so heftige Kampagne erforderlich. Heute ist Möhrs Todestag und genau der zehnte. Nun, ich kann Dir streng vertraulich sagen, daß der 3. Band8 so gut wie fertig ist. Der schwierigste Abschnitt, Banken und Kredit9, ist beendet; es bleiben nur noch zwei Abschnitte übrig, von denen nur einer (Grundrente10) einige formale Schwierigkeiten bereiten kann. Doch alles, was noch zu tun bleibt, ist ein reines Kinderspiel gegen das, was ich zu tun hatte. Nun brauche ich nicht i- rr i i f.. i . n* i* \v/" . i * langer UnterDrecnungen zu iurcnten. ois zu diesem Winter gelang es mir nicht, einmal 4=5 Monate ohne derartige Unterbrechungen zu arbeiten, jetzt habe ich diese Zeit gehabt, und die Sache ist so gut wie getan. Nur sage es noch keinem, da ich noch nicht bestimmen kann, wann das Ms. innerhalb der nächsten Monate in Druck gehen kann. Was Du über Jaurfcs schreibst, entsetzt mich. Normalien et ami, sinon protege, de Malon11 - was von beiden ist schlimmer? Und doch kommt keine dieser Eigenschaften der Überlegenheit eines Mannes gleich, der in lateinischer Sprache über den Ursprung des deutschen Sozialismus schreiben kann.[83J
4 Rundreise durch Frankreich - 6 mehr oder weniger - 8 Alles in allem - ' nicht nur rechtmäßig erkämpft haben, sondern die uns auch rechtmäßig zustehen - 8 des „Kapitals" 9 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.350- 626 - 10 siehe ebenda, S.627-821 - 11 Absolvent der £cole normale sup6rieure (Lehranstalt in Paris) und Freund, wenn nicht Protegö Malons
Nun muß ich schließen. Je früher wir in London von Dir den Tag Deiner Ankunft erfahren und einen je früheren Zeitpunkt Du festlegst, um so besser. Ainsi donc, au revoir12 von Louise und Deinem alten F. Engels
Natürlich werde ich Dir ein verpflichtendes Dokumentchen schicken eine Kleinigkeit von einem - cheque, der Deine Anwesenheit sichert! Ich habe hier keine bei mir, sonst würde ich ihn beilegen.
Aus dem Englischen.
12 Also dann auf Wiedersehen
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
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Engels an Maria Mendelson in London
28, Marine Parade Eastbourne, den 15.März 9p]1
Meine liebe Frau Mendelson, Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, mit welcher Freude Frau K[autsky] und ich heute morgen die Nachricht erhielten, daß St.2 wieder außer Gefahr ist - noch gestern abend haben wir nicht ohne Sorge von ihm gesprochen. Nun, all's well that ends well3, und ich kann es nicht erwarten, ihn Samstag abend wiederzusehen - auf alle Fälle hoffen wir, das Vergnügen zu haben, Sie alle beide Sonntag4 bei uns zu sehen. Wir sind seit etwa vierzehn Tagen hier und werden übermorgen nach London zurückkehren.[751 Das Wetter war herrlich, und die Seeluft hat uns sehr gutgetan. Auf Wiedersehen also! Viele Grüße von Frau Kautsky. Ihr stets ergebener F. Engels
Montag oder Dienstag erwarten wir Bebel1821 und einige Tage später Herrn und Frau Lafargue.
Aus dem Französischen.
1 Papier beschädigt - 2 Stanislaw Mendelson - 3 Ende gut, alles gut - 4 19. März
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Engels an Henry Demarest Lloyd in Chicago1841 (Entwurf)
[London, Mitte März 1893]
Sehr geehrter Herr, Ich habe Ihre zwei werten Schreiben vom 3./2. und 9./3. mit den Anlagen richtig erhalten. Ich bedauere außerordentlich, daß ich weder persönlich an Ihren Kongressen teilnehmen noch mit den Abhandlungen dienen kann, um die Sie mich bitten.1851 Ich würde sie Ihnen mit dem größten Vergnügen schicken, wenn nicht meine ganze Zeit jetzt in Anspruch genommen wäre. Ich bereite das Manuskript des dritten Bandes des großen Werkes meines verstorbenen Freundes Karl Marx über das „Kapital" zur Veröffentlichung vor. Dieser dritte Band hätte schon vor Jahren erscheinen müssen; aber ich konnte mir bisher niemals eine längere Zeit ohne Unterbrechung sichern, die allein mir ermöglicht, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich bin gezwungen gewesen, alle andere auch noch so verlockende Arbeit abzulehnen, außer der unbedingt notwendigen. Zu der Zeit, da Ihr Kongreß tagt, soll das Ms. in Druck gehen, aber das könnte nicht geschehen, würde ich Ihrem Wunsch nachkommen. Denn die Arbeit, um die Sie mich bitten, dürfte kein journalistischer Gemeinplatz sein, sondern das Allerbeste, was ich geben könnte; sie würde reifliche Studien und Überlegungen notwendig machen, und das fordert erhebliche Zeit, die ich aus den dargelegten Gründen nicht opfern kann. Ich habe Ihnen jedoch als Drucksache ein Exemplar der englischen Ausgabe des „Communist Manifesto" von 1848 (von K.Marx und mir) und ein Exemplar meines „Socialism, Utopian and Scientific", das vor einigen Monaten erschienen ist, als kleinen Beitrag geschickt. Er dürfte, wie ich hoffe, für einige Mitglieder Ihres Arbeiterkongresses von Interesse sein.
Aus dem Englischen.
*•
29
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 18. März 93
Lieber Sorge, Wir waren 14 Tage an der See, in Eastbourne'761, hatten prächtiges Wetter, sind sehr erfrischt zurückgekommen, jetzt kann's wieder an die Arbeit gehn. Aber freilich, jetzt fängt auch die Besuchszeit an, nächsten Sonntag (morgen über 8 Tage) ist Brüsseler Konferenz wegen des Züricher Kongresses1731, da wird Bebel von dort auf ein paar Tage einspringen1821, und um dieselbe Zeit kommen die Lafargues, ich bin froh, diesen letzteren Jüngling mal wieder herzubekommen, um die französischen Angelegenheiten gründlich mit ihm durchzusprechen. Indes soviel Zeit bleibt mir doch, den III.Band1 fertigzumachen, da die Hauptschwierigkeit jetzt hinter mir liegt. Die Geschichte mit dem „Socialiste" ist in Ordnung gebracht. Die Silbergeschichte scheint in Amerika nicht anders zur Ruhe kommen zu können als durch einen Krach.1861 Cleveland scheint auch nicht Macht und Mut zu haben, diesem Bestechungsring den Hals zu brechen. Und es wäre wirklich gut, wenn es zum Äußersten käme. Eine so auf ihre „Praxis" eingebildete und dabei theoretisch so furchtbar vernagelte Nation - junge Nation - wie die Amerikaner wird so eine eingewurzelte fixe Idee nur durch eignen Schaden gründlich los. Die plausible Idee, weil man kein Geld hat, wenn man's braucht, sich einzubilden, das käme daher, daß überhaupt nicht Geld genug in der Welt wäre - diese dem Paper Currency Schwindel2 ä la Kellogg und dem Silberschwindel gemeinsame Kindervorstellung wird am sichersten kuriert durchs Experiment und den Bankerott, der auch sonst ganz nützlich für uns verlaufen kann. Wenn nur irgend etwas Tarifreform diesen Herbst gemacht wird, könnt Ihr gern zufrieden sein, das andre kommt dann schon nach, die Hauptsache ist, daß die amerikanische Industrie in die Möglichkeit kommt, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu werden.
1 des „Kapitals" - 2 Papiergeldschwindel
Hier geht's sehr gut. Die Massen sind unzweifelhaft in Bewegung, die Einzelheiten erfährst Du aus Avelings allerdings etwas breiten Berichten in der „Volkszeitung". Der beste Beweis ist der, daß die alten Sekten den Boden verlieren und einschwenken müssen. Die Social Democratic Federation1101 hat den Herrn Hyndman tatsächlich abgesetzt, er darf hie und da noch ein bißchen in internationaler Politik in „Justice" knurren und wehklagen, aber es ist aus mit ihm, his own people have found him out3. Der Mann hat mich zehn Jahre lang persönlich und politisch provoziert, wo er nur konnte, ich habe ihm nie die Ehre einer Antwort angetan, überzeugt, er sei selbst Manns genug, sich kaputtzumachen, ich habe schließlich recht behalten. Nach all den zehnjährigen Anfeindungen haben sie neulich Tussy aufgefordert, in „Justice" Berichte über die internationale Bewegung zu schreiben, was diese natürlich ablehnte, solange nicht die infamen Verleumdungen, die „Justice" jahrelang gegen sie und A[veling] gebracht, öffentlich revoziert. Ebenso geht's mit den Fabians.'111 Diesen Leuten, wie der Social Democratic Federation, sind die eignen Zweigvereine in den Provinzen über den Kopf gewachsen, Lancashire und Yorkshire treten auch in dieser Bewegung, wie in der chartistischen, wieder an die Spitze. Die Leute wie Sidney Webb, Bernard Shaw etc., die wanted to permeate the Liberais with Socialism4, müssen sich jetzt selbst gefallen lassen to be permeated by the spirit of the workingmen members of their own society5. Sie sträuben und zieren sich, aber it's no use6, entweder bleiben sie allein, Offiziere ohne Soldaten, oder sie müssen mit. Ersteres das wahrscheinlichere und auch wünschenswertere. Die Independent Labour Party'91 - als letztgekommene - hat weniger fixe Vorurteile mitgebracht, hat gute Elemente - die Arbeiter des Nordens entscheiden - und ist soweit der unverfälschteste Ausdruck der augenblicklichen Bewegung. Es sind unter den Führern allerdings allerlei komische Leute, und selbst die meisten der besten haben die fatalen Klüngelgewohnheiten des parlamentarischen Regimes an sich, ganz wie bei Euch in Amerika, aber die Massen stehn hinter ihnen und werden ihnen entweder Mores lehren oder sie über Bord werfen. Böcke gibt's noch genug, aber die Hauptgefahr ist überstanden, und ich erwarte jetzt einen raschen Fortgang, der auch auf Amerika reagiert.
3 seine eigenen Leute haben ihn durchschaut - 4 die Liberalen mit Sozialismus durchdringen wollten - 8 vom Geist der Arbeiter, der Mitglieder ihrer eigenen Gesellschaft durchdrungen zu werden — 6 es nützt nichts
In Deutschland spitzt sich die Lage zur Krisis zu. Nach den letzten Berichten über die Militärkommissionssitzungen ist kaum noch ein Kompromiß möglich1481, die Regierung macht es den Herren vom Zentrum'171 und vom Freisinn'471 unmöglich umzufallen, und ohne 40-50 davon ist keine Majorität möglich. Also Auflösung und Neuwahl. Ich rechne auf 2V2 Millionen Stimmen für uns, wenn's gut geht, da wir rasend zugenommen haben. Bebel rechnet auf 50-60 Sitze, da wir die Wahlkreisgeometrie gegen uns haben und alle andern gegen uns zusammenhalten, so daß wir auch starke Minoritäten bei Stichwahlen nicht in Majoritäten verwandeln können. Mir wär's lieber, die Sache ginge ruhig fort bis 95, wo wir einen ganz andern Effekt machen würden, aber was auch geschieht, alles muß uns voranhelfen, von Richter bis zu Wilhelmchen7. Ein Jüngling aus Texas, F. Wiesen in Baird, verlangte von mir, ich solle etwas erklären gegen die Aufstellung von Kandidaten „für Präsident", da man doch den Präsidenten abschaffen wolle, das sei also eine Verleugnung des revolutionären Prinzips. Ich habe ihm Beiliegendes geantwortet8, sollte es Verstümmelt in die Öffentlichkeit kommen, so sei so gut und laß es in der „Volkszeitung" abdrucken. Hoffentlich geht's Dir und Deiner Frau jetzt mit der Gesundheit besser. Euch beiden herzliche Grüße von Frau K[autsky] und Deinem F. Engels
Wir haben Dir die Zukunftsstaatsdebatte'411 geschickt. Zeitungen etwas unregelmäßig, während wir fort waren, sollten aber komplett sein.
7 Wilhelm II. - 8 siehe vorl. Band, S.46
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 20. März 93
Lieber Baron, Leßners Artikel liest sich sehr gut, allerdings hat er Ede eine kolossale Arbeit gemacht, bis dieser ihn in irgendeine literarische Form gebracht hat. Was die Revue der „N[euen] Rh[einischen] Zfeitung]" angeht, so erwähnte ich einmal - die Idee ging mir plötzlich durch den Kopf -, es wäre gar nicht übel, wenn man das ganze Dinge en bloc wieder abdrucken ließe, man könne das Dietz vorschlagen1871; bei weiterer Überlegung fand ich natürlich, daß dies doch allerlei Haken hat und mir neue Arbeit aufladen würde, die ich doch nicht unternehmen könnte, bis der III.Band1 fertig, und dachte dann nicht mehr daran. Aber Leßner scheint sich mit derselben Heftigkeit auf die Literatur zu werfen, wie s. Z. auf die Malerei. Über die Profitrate lese ich aus Prinzip nichts mehr, weder Schmidtchens2 zweiten Artikel noch den von Lande hab' ich gelesen, das muß warten, bis ich an die Vorrede zum 3. Band komme. Inzwischen hat mir Dein ununterdrückbarer Leibgegner Stiebeling sein neustes Opus auch wieder zugeschickt, er hofft - aber wahrscheinlich vergebens - wohl auch auf gefällige Notiznahme. Woher der Schwindelbericht von meiner Erkrankung kam, ist mir total unbegreiflich, es lag aber auch nicht der geringste Vorwand dazu vor. Ich kann auch nicht herausbekommen, wo er zuerst erschien und in welchem Blatt, so daß mir jeder Anhaltspunkt fehlt. Nun, wir haben auf den hochgradigen Kräfteverfall und das stündlich erwartete Ableben diverse Flaschen geleert. Im 3. Band sind fünf von sieben Abschnitten fertig bis auf die - formelle Schlußredaktion, die Hauptschwierigkeit, der Kreditabschnitt3, ist überwunden. Jetzt bin ich an der Grundrente4, die möglicherweise noch einigen Zeitverlust macht, so daß ich noch nicht sagen kann, mann. Dies unter uns.
1 des „Kapitals" - 2 Conrad Schmidt - 3 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.350-626-4 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.627- 821
Hätte ich gewußt, daß Du noch auf Weiterarbeiten am Ms. der „Theorien über den Mehrwert" Dich einlassen wolltest, so hätte ich es Dir gelassen'881, aber da ich seit Jahren nichts davon hörte und doch beim 3.Band manchmal Vergleichung des Ms. wünschenswert ist, schrieb ich darum.5 Es würde bei Deiner sonstigen Beschäftigung doch wohl sehr unsicher gewesen sein, wann Du mit diesem und ferneren Heften fertig geworden. Die Rechnung darüber machen wir nächstens. Die mannigfaltigen Pläne wegen der „N[euen] Z[eit]" scheinen so ziemlich in Vergessenheit gekommen zu sein - hoffentlich geht's auch ohne so gewaltige Revolutionen. Aber der Grundmangel scheint mir immer noch, daß der Inhalt für ein Publikum bestimmt ist und der Preis auf ein andres berechnet.'291 Hier geht's mit der Bewegung sehr gut voran. Die Gefahr der Sektiererei sowohl von Seiten der Social Democratic Federation'101 wie der Fabians'111 ist der Hauptsache nach überwunden, die Independent Labour Party'91 wird sie entweder absorbieren oder weitertreiben, resp. die unbrauchbaren Führer abschütteln. Die Massen, bes. im Norden, in den Industriebezirken, sind endlich unzweifelhaft in Bewegung. Dummheiten und Schweinereien werden noch genug passieren, aber man wird damit fertig werden. Aveling war vorgestern in Manchester, wo die Exekutive der Independent Labour Party ihre erste Sitzung hielt, die Beschlüsse sind ganz zufriedenstellend, A[veling] ist als Repräsentant nach Brüssel und später auch, mit K. Hardie und Shaw Maxwell, nach Zürich'731 gewählt. Weiteres wirst Du wohl von Ede hören. (Dies natürlich privatim, ich weiß nicht, was die Leute veröffentlichen wollen.) Besten Gruß. Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 2I.März 93
Mein liebes Lohr, Ich hoffe, Du hast meinen Brief aus Eastbourne[75] erhalten.1 Wir sind am Freitag recht erholt aus den Ferien zurückgekehrt. Heute bekam ich einen Brief von diesem ewig langweiligen Argyriades (zu deutsch Silbermannssohn2, übrigens ebenso entwertet wie das Metall, von dem er seinen Namen ableitet), der mich um einen „article" (rien que ?a!3) für die numero unique4 seiner Zeitung vom Mai bittet; und das im Namen der Commission d'organisation de la Manifestation du 1er mai cet Argyriades argente n'est pas l'homme aux trois cheveux comme Cadet Rousselle, mais bien l'homme aux trois adresses5: 1. „Question Sociale", 5, Boulevard S. Michel, in einer roten Fahne links oben; 2. Commission d'organisation, 108, rue du Temple, in einem Stempel rechts oben, und 3. P.Argyr[iad£s] selber, 49, rue de Rivoli, auf der Rückseite unten. Da ich aber über die ganzen Zusammenhänge, über die amiti6s, inimities et neutralites6 der verschiedenen Gruppen in Paris völlig im dunkeln tappe, weiß ich nicht, was ich erwidern soll, und wäre froh, wenn Du so liebenswürdig wärst, mir mitzuteilen, in welchen Beziehungen unsere Freunde zu der Commission d'organisation im allgemeinen und zu dem versilberten Griechen und seinen Blanquisten-Freunden im besonderen stehen und was ich am besten tun soll? Ein Artikel kommt nicht in Frage; im äußersten Fall würde ich ihm das schicken, was die Yankeesein „sentiment"7 nennen. Und vielleicht kannst Du uns bei dieser Gelegenheit gleich mitteilen, wann wir Euch hier erwarten können? Und diese Frage erinnert mich an
1 Siehe vorl. Band, S.47-49 - 2 in der Handschrift deutsch: zu deutsch Silbermannssohn 3 weiter nichts! - 4 einzige Nummer - 6 Organisationskommission für die Demonstration am I.Mai - dieser versilberte Argyriadis ist nicht der Mann mit den drei Haaren wie Cadet Rousselle, wohl aber der Mann mit den drei Adressen - 6 Freundschaften, Feindschaften und Neutralitäten - 7 „paar liebenswürdige Worte"
etwas anderes, nämlich daran, daß ich nicht vergessen darf, den Scheck über zehn Pfund beizulegen. Mit herzlichen Grüßen von Louise verbleibe ich in Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
32
Engels an August Radimsky in Wien
London, 2I.März 1893
Werter Genosse Radimsky, In Beantwortung Ihrer werten Zeilen vom 18. d. M. kann ich Ihnen nur meine Freude darüber aussprechen, daß das „Komm[unistische] Manifest" auch in tschechischer Übersetzung erscheinen wird'891; selbstverständlich steht dem, soweit ich beteiligt bin, absolut nichts entgegen, im Gegenteil wird es nicht nur mir, sondern auch den Töchtern von Marx zur höchsten Befriedigung gereichen. Wenn Ihnen aber Adler erzählt hat, ich „beherrsche" die tschechische Sprache, so hat er doch auf meine Rechnung etwas stark geflunkert, ich bin froh, wenn ich mit Ach und Krach und mit Hilfe des Wörterbuches eine Zeitungsspalte verstehen kann. Nichtsdestoweniger sehe ich den mir gütigst zugesagten Nummern der „Delnick6 Listy" gern entgegen, da komme ich doch wieder etwas besser in die Übung. Mit freundlichem Gruß an die tschechischen Genossen und Sie selbst der Ihrige F. Engels
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
33
Engels an Julie Bebel in Berlin
London, 3I.März 1893
Liebe Frau Bebel, Die Anwesenheit Augusts1821 bringt mir die beschämende Tatsache zum Bewußtsein, daß ich Ihnen seit längerer Zeit Antwort auf Ihren lieben Brief schulde, und da will ich doch gleich zur Feder greifen, damit Sie mir meine Verschleppung nicht noch länger nachzutragen haben. Ich kann Sie versichern, daß August sich äußerst wohl befindet, er nimmt seine rohen Eier mit Kognak mit einer bewundernswerten Pünktlichkeit, und dafür, daß sein Magen sich in vortrefflicher Verfassung befindet, dafür hat er gestern abend bei Mendelsons den besten Beweis geliefert, und dann hier noch einen bessern, indem er auf dies sehr gute aber auch sehr massive Abendessen von uns allen am besten geschlafen hat. Heute erwarten wir Burns hier, und so werden denn zum ersten Mal in der Weltgeschichte drei sozialistische Abgeordnete Deutschlands, Frankreichs1 und Englands zusammenkommen. Daß so eine Zusammenkunft möglich ist, wo drei Leute die drei ersten Parlamente von Europa - drei sozialistische Parteiführer die drei ausschlaggebenden europäischen Nationen vertreten, das beweist allein, welche enorme Fortschritte wir gemacht haben. Ich wollte nur, Marx hätte das noch erlebt. Nun aber ist es auch Zeit, daß ich Sie an Ihr Versprechen erinnere, uns im Sommer hier zu besuchen und mich mit nach Deutschland zu nehmen.1901 August fürchtet zwar, die mögliche Reichstagsauflösung könne einen dicken Strich dadurch machen, das will mir aber nicht einleuchten, denn wenn überhaupt aufgelöst wird, so wird's noch diesen Monat geschehn, d.h. im April (wohin wir morgen geschickt werden), und die Wahlen kommen spätestens im Juni1481, und da hat man doch - August so gut wie Sie - eine Erholung erst recht nötig, und wenn Sie das schöne Wetter sähen, was wir hier haben, und all das Frühlingsgrün, das bis Ende Juni auch Blumen die Masse hervorgebracht haben wird, so kämen Sie sicher trotz aller Auflösungen und
1 Paul Lafargue
Neuwahlen. Also rechne ich wie immer auf Ihr Worthalten und gehe dann auch mit nach Berlin, denn Ihre Reise hierher und meine nach dort hängen ja seit vorigem Herbst unzertrennlich zusammen. Und nun noch eins. August hatte sich in den Kopf gesetzt, nächsten Montag zurückzureisen. Nun aber ist Ostermontag hier seit etwa zehn Jahren ein wirklicher Feiertag - einer der vier sogenannten Bankfeiertage'911 geworden, und ist hier ein wirkliches Volksfest. Da sind alle Eisenbahnen nur mit Extrazügen und Vergnügungspartien beschäftigt, alle Bahnhöfe überfüllt, alle regelmäßigen Züge vernachlässigt von der Verwaltung, weil es gilt, den Extraprofit zu sichern. Diese Bankfeiertage sind die einzigen Tage im Jahr, wo es einigermaßen gefährlich ist, auf englischen Eisenbahnen zu reisen, und daher reist auch an solchen Tagen nur, wer muß. Wir haben also August dringend gebeten, diesen Plan aufzugeben und erst Dienstag abzufahren, und er hat es versprochen. Ich bin überzeugt, Sie werden auch damit einverstanden sein, daß er nicht an einem Tage reist, wo weder Abfahrt noch Ankunft pünktlich eingehalten werden, und wo alle die Unglücksfälle, die in den letzten drei Monaten nicht passiert sind, dann alle an einem Tag zu passieren pflegen. Und nun auf Ihr Herkommen einen kräftigen Schluck - wir sind nämlich grade beim Frühschoppen. Mit herzlichen Grüßen Ihr F. Engels
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Engels an M.R.Cotar in Paris'921 (Entwarf)
[London] 8./4./931
Geehrter Genosse, Ich habe Ihren Brief vom 21./3. einige Zeit liegenlassen. Da Lafargue und Frau Lfafargue] in Begriff standen, hieher zu kommen, wollte ich die Gelegenheit benutzen, wegen Ihrer Anfrage beide Töchter von Marx persönlich zu Rat zu ziehn. Sie sind nicht nur mir, sondern auch Lafargues gänzlich unbekannt, und Sie werden begreifen, daß es nicht angeht, einem gänzlich Unbekannten eine so wichtige und schwierige Sache zu übertragen wie die französische Übersetzung des II.Bandes des „Kapital". Außer gründlicher Kenntnis der deutschen Sprache gehört dazu eine ebenso gründliche ökonomische Vorbildung, die man leider bei den jungen Sozialisten nur sehr selten findet. Darüber wäre doch auch noch vorher zu sprechen. Dann appellieren Sie an meine Mitwirkung - und da kann ich Ihnen nur sagen, daß meine Zeit auf Jahre hinaus durch andre, mindestens ebenso wichtige Arbeiten vollauf in Anspruch genommen ist. Die Hauptsache aber, wodurch allein Ihre Anfrage einen aktuellen Charakter erhalten kann, ist, daß ein Verleger für die Übersetzung da ist. Haben Sie einen solchen, dann allein würde es der Mühe lohnen, die übrigen Fragen in Erwägung zu ziehn. Aufrichtigst Ihr ergebner
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Engels an George William Lamplugh in Port Erin1931 122, Regent's Park Road, N.W. n, . , T , , London, 1 I.April 93 Mein lieber Lamplugh, Haben Sie Dank, daß Sie alle Förmlichkeiten beiseite lassen, und ich, wie Sie sehen, mache es ebenso. Wir hätten uns sehr gefreut, Sie mit Ihrer Frau und Ihren Kindern bei uns zu sehen, aber ich weiß, was London für einen Mann bedeutet, der es mit seiner ganzen Familie besucht, und so werden wir Sie dieses Mal entschuldigen, aber dies ist das letzte Mal. Ich freue mich, daß Ihnen Ihr Leben als Landmesser so erstaunlich zusagt. Das muß eine große Erleichterung für Sie sein nach der langweiligen Arbeit im Büro und an der Getreidebörse von East Riding. Ich würde auch eine kurze Zeit daran Gefallen finden, aber nur für eine kurze Zeit. Auf die Dauer könnte ich es nicht ohne die Bewegung einer großen Stadt aushalten. Ich habe immer in großen Städten gelebt. Die Natur ist großartig, und als Abwechslung von der Bewegung der Geschichte bin ich immer gern zu ihr zurückgekehrt, aber die Geschichte scheint mir doch großartiger als die Natur. Die Natur hat Millionen Jahre gebraucht, um bewußte Lebewesen hervorzubringen, und nun brauchen diese bewußten Lebewesen Tausende von Jahren, um bewußt zusammen zu handeln; bewußt nicht nur ihrer Handlungen als Individuen, sondern auch ihrer Handlungen als Masse; zusammen handelnd und gemeinsam ein im voraus gewolltes gemeinsames Ziel verfolgend. Jetzt haben wir das beinahe erreicht. Und diesen Prozeß zu beobachten, diese sich nähernde Herausbildung von etwas in der Geschichte unserer Erde noch nie Dagewesenem, scheint mir ein Schauspiel, das des Betrachtens wert ist, und während meines ganzen vergangenen Lebens konnte ich die Augen nicht davon wenden. Aber es ist ermüdend, besonders wenn man glaubt, daß man berufen ist, an diesem Prozeß mitzuwirken; und dann erweist sich das Studium der Natur als große Erleichterung und als Heilmittel. Denn schließlich sind Natur und Geschichte die beiden Komponenten, durch die wir leben, weben und sind. Herzliche Grüße von allen Freunden hier. _ T. Immer Ihr F. Engels
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Engels an Franz Mehring in Berlin'941
London, 1 I.April 1893
Sehr geehrter Herr Mehring! Ich habe natürlich nicht das Geringste gegen den Abdruck der mir handschriftlich übersandten Stelle meines Briefes vom 28. September'961 und möchte Sie nur um eine Umstellung im letzten Satze bitten: „und die L[avergne]-P[eguilhen]sche Generalisation wieder reduziert auf ihren wahren Gehalt: daß feudale Gesellschaft eine feudale Weltordnung erzeugt".1965 Der Urtext ist doch zu nachlässig. Ich freue mich auf das Erscheinen der „Lessing-Legende" in selbständiger Form, so etwas leidet zu sehr durch die Zerstückelung. Es war sehr verdienstvoll von Ihnen, daß Sie sich durch diesen preußischen Geschichtswust durchgearbeitet und hier die richtigen Zusammenhänge nachgewiesen haben; die preußische Gegenwart macht das absolut nötig, so unangenehm die Arbeit an sich auch ist. An einzelnen Punkten, namentlich hier und da bei der Rückverkettung mit der vorhergegangnen Zeit, bin ich nicht ganz Ihrer Ansicht, das hindert aber nicht, daß Ihre Arbeit bei weitem das Beste ist, das über diese Periode der deutschen Geschichte existiert. Hochachtend der Ihrige F. Engels
Nach einer handgeschriebenen Abschrift von Franz Mehring.
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Engels an Jules Guesde in Paris
[London] 14. April 1893
Mein lieber Guesde, Hier mein kleiner Beitrag für Ihre Mai-Nummer.'971 Lafargue teilte mir mit, daß Sie leidend sind; ich wünsche Ihnen rasche und völlige Genesung. Wir brauchen Sie dringend als Abgeordneten von Roubaix. Diesmal muß es uns gelingen, eine kleine, feste Gruppe ins Palais Bourbon zu bringen'981, die ein für allemal und eindeutig den Charakter des französischen Sozialismus manifestiert, so daß alle verstreuten Elemente gezwungen wären, sich um sie zusammenzuschließen. Erst dann werden die französischen Sozialisten in der ganzen Welt wieder den ihnen gebührenden Rang und die wichtige Stellung einnehmen, die sie im allgemeinen Interesse haben müssen. Freundschaftlichst Ihr Fr. Engels
Nach: Alexandre Zevaes, „De l'Introduction du Marxisme en France", Paris 1947. Aus dem Französischen.
5 Mari/EnSeI«, Werke, Bd. 39
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Engels an Pablo Iglesias in Madrid (Entwurf)
[London, Mitte April 1893] Lieber Freund Iglesias, ' Ich kann auf Deinen Brief nicht antworten, ohne Dir zuerst zu sagen, daß Du mich kränkst, wenn Du mich mit Sie ansprichst. - Ich glaube, ich habe das nicht verdient. Wir sind alte Internationale und haben über zwanzig Jahre Seite an Seite in denselben Kämpfen gestanden; als ich Sekretär für Spanien war, habt Ihr mir die Ehre erwiesen, mich zu duzen, deshalb bitte ich darum, es jetzt ebenso zu halten wie in der Vergangenheit. Inliegend einige Zeilen für Eure Mai-Nummer; außerdem habe ich an Leonor M[arx-]A[veling] und an Bebel geschrieben und sie gebeten, Euch Beiträge zu schicken.[106] Gruß und Revolution Dein
Aus dem Spanischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 25. April 1893
Meine liebe Laura, Da wir seit einigen Tagen weder etwas von Dir gehört noch etwas von Dir Geschriebenes in den Zeitungen gesehen haben, fangen wir an, uns um Deine Gesundheit zu sorgen, und der inliegende Brief Raves, mit der Influenza-Atmosphäre, die er atmet, ist auch nicht gerade ermutigend. Dieser Brief ist es, der mir heute die Feder in die Hand drückt. Ich weiß von keiner einzigen der von Rav6 erwähnten Stellen etwas.[99] Jedenfalls möchte ich ihm nichts schreiben, was in Widerspruch stehen könnte zu dem, was Du so freundlich warst, schon zu tun. Deshalb: 1. Anbei ein Porträt - aber könnten sie nicht das cliche des Bildes sicherstellen, das ungefähr im Mai vorigen Jahres in der „Illustration" (glaube ich) erschienen ist? Das wäre billiger.'1001 2. Gegen den Titel habe ich nichts einzuwenden, da ich nicht weiß, was Du vielleicht schon vorgeschlagen hast oder vorziehen würdest. Ich überlasse das, wie auch alles übrige, ganz Deiner Entscheidung. 3. Die Korrekturbogen kann ich nicht brauchen. Ich schreibe ihm, daß ich seinen Brief an Dich sandte, damit Du alle Stellen klärst, und daß ich völlig damit einverstanden bin, wenn er die Korrekturen an Dich schickt. Ich bin gestern abend aus Manchester zurückgekommen, wo ich dem Begräbnis des alten Gumpert beiwohnte (er wurde eingeäschert). Er erkrankte, wie Du während Deines Hierseins hörtest, im Dezember vergangenen Jahres an angina pectoris, die zu einer Gehirnembolie mit teilweiser Lähmung führte, und erlag nach furchtbaren Leiden letzten Donnerstag einem neuen Anfall. Mit dem 1. Mai gibt es hier ebensoviel Verwirrung wie in Paris. Das Eight Hours Committee11011 und der Trades Council11021 werden sicherlich jeder eine eigene Demonstration durchführen. Und zu diesem kritischen Zeitpunkt wird Aveling krank, kommt der Hafenarbeiterstreik von Hull[103J dazwischen, aus dem ein allgemeiner Streik der Hafenarbeiter und Seeleute
im ganzen Königreich entstehen kann, der Tussy mehr zu tun gibt, als sie schaffen kann, - so daß niemand weiß, wie es weitergehen wird. Ich hoffe, Du hast Louises Brief vom Samstag erhalten, ebenso hoffe ich auch, bald zu erfahren, daß Du Deinen Influenza-Anfall überwunden hast. Salut au citoyen Repräsentant1, wenn er da ist. Viele Grüße von Louise. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
1 Gruß dem Bürger Abgeordneten (Paul Lafargue)
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Engels an Ludwig Schorlemmer in Darmstadt
London, 29. April 1893
Mein lieber Schorlemmer, Ihren Brief vom 22. März habe ich erhalten und nun auch die Traueranzeige vom Tod Ihrer Tochter. Seien Sie meiner herzlichen Teilnahme versichert. Ihre früheren Briefe hatten mich schon darauf vorbereitet, und war es danach ja kaum zu erwarten, daß sie das Frühjahr überleben würde, und wenn man, wie Sie, fortwährend Zeuge der durch die Krankheit bedingten Leiden ist und weiß, daß es kein Heilmittel gibt, so muß man sich am Ende auch leichter in den erlösenden Abschluß finden. Auch Frau Kautsky bittet mich, Ihnen ihre aufrichtigste Teilnahme zu bezeugen. Hier räumt der Tod auch auf. Vorigen Dezember erkrankte Dr. Gumpert plötzlich an einem unheilbaren Herzfehler und ist diesem am 20. ds. erlegen. Ich war vorigen Montag1 beim Begräbnis oder vielmehr der Feuerbestattung zugegen in Manchester; leider mußte ich denselben Tag zurück, so daß ich die Gelegenheit versäumen mußte, Siebold oder Klepsch aufzusuchen, und also nichts Näheres über die Nachlaß-Angelegenheiten in Erfahrung bringen konnte. Auch für diese Sache ist Gumperts Tod von Nachteil, Gumpert war ein energischer Mann, der namentlich bei dem kränklichen Siebold mit Erfolg auf Beschleunigung dringen konnte und der mir bei unsren langjährigen freundschaftlichen Beziehungen dabei gern gefällig war. Ich habe von den Manuskripten und von den BuchhändlerVerträgen weiter gar nichts mehr gehört, und wenn Sie mir nicht etwas darüber mitteilen können, werde ich bald nochmals an Siebold schreiben.'1041 Den Dr. Spiegel erinnere ich mich vor Jahren einmal hier gesehn zu haben, ich denke, er wird das Chemische in Carls Lebenslauf und Leistungen wohl recht gut machen; etwas andres in eine Fachzeitschrift zu bringen, geht leider nicht an.[105] Ihren Wunsch mit der Reichstagsauflösung werden Sie aller Wahrscheinlichkeit nach in 8-14 Tagen erfüllt sehn; Caprivi hat sich so festgeritten, daß
1 24. April
er nicht wohl soviel nachlassen kann, als die kompromißlüsternen Herren von Zentrum1171 und Freisinn1471 ohne Lebensgefahr für ihre Parteien bewilligen können.'481 Mir wäre es lieber, die Auflösung käme erst 1895, bis dahin haben wir eine ganz andre Position und können ausschlaggebende Partei im Reichstag werden. Aber so oder so, uns kann's immer recht sein. Ostern oder vielmehr Karfreitag waren zum ersten Mal ein deutscher Reichstagsmann - Bebel, ein französischer Deputierter - Lafargue - und ein englisches Parlamentsmitglied - Burns - alle drei Sozialisten - bei mir zusammen. Auch ein Markstein der Weltgeschichte. Mit aufrichtigen Grüßen von Frau Kautsky und mir selbst Ihr F. Engels
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 17. Mai 1893
Lieber Sorge, Die Geschichte mit Lincoln fiel vor, als ich noch in Manchester war Ende 1864 -, ich erinnere mich ihrer aber nur noch dunkel, und unter meinen und den M[arx]schen Papieren ist mir auch nie Lincolns Antwort zu Gesicht gekommen.11071 Möglich, daß sie sich irgendwo versteckt findet, wenn ich einmal dazu komme, den kolossalen Wust zu ordnen und zu verarbeiten, aber ohne 3-4 Wochen daranzusetzen ist daran nicht zu denken. Alles was ich findenk ann, ist in Eichhoffs Broschüre über die Internationale, Berlin 1868 (nach Notizen und Materialien von Marx), p.53 folgendes: „Die durch die Abstimmung vom 8. Nov. 1864 gesicherte Wiederwahl Lincolns gab dem Generalrat Gelegenheit zu einer Glückwunschadresse. Gleichzeitig berief er Massenmeetings für die Sache der Union. Deshalb hat Lincoln in seinem Antwortschreiben die Dienste der Internationalen Arbeiter-Assoziation für die gute Sache ausdrücklich anerkannt." Ich kann überhaupt nur sagen, daß meine Materiale über die Internationale Arbeiterassoziation vor 70 sehr mangelhaft sind, ein Teil der Generalratsprotokolle, M[arx]'s und Leßners, auch teilweise Beckers1 Sammlungen von Zeitungsausschnitten, endlich M[arx]'s Briefe an mich. Nicht einmal die amtlichen Aktenstücke des Generalrats, Proklamationen etc. habe ich vollständig, geschweige die Korrespondenz der Sekretäre, die diese fast alle behalten. Offizielle Kongreßprotokolle existieren überhaupt nicht. Trotzdem ist es weit besser, als was irgendein andrer hat, und wird verarbeitet, sobald ich kann. Aber wann? Mit dem 3. Band2 geht's stetig voran. Ich bin an den beiden letzten Abschnitten3 und glaube die Hauptschwierigkeit auch da hinter mir zu haben. Für einige Wochen Arbeit ist aber immer noch dran. Dann geht's an die Schlußredaktion, ich möchte noch vor den Sommerferien einen Teil zum
1 Johann Philipp Becker-2 des „Kapitals" -3 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.627-821 und 822-919
Druck abschicken, weiß aber nicht, ob's gelingt. Die Schlußredaktion kann besorgt werden, während schon gedruckt wird. Und die Sache wird dringend, die Dinge schauen aus, als ob wir in Deutschland Zeiten voll Unruhe und Kampf bekommen sollten, da muß das Ding vorher fertiggestellt sein. Meine Ansichten über die deutschen Angelegenheiten kannst Du aus dem Interview im „Figaro"4 sehn, das ich Dir mit dieser Post schicke. Es ist, wie alle Interviews, im Wortlaut hie und da etwas abgeblaßt, im Zusammenhang hie und da lückenhaft, aber sonst korrekt wiedergegeben. Unter unsern Leuten in Deutschland herrscht eine ganz ausgezeichnete Stimmung, für sie ist die Wahlbewegung ein wahres Glück und ein Vergnügen trotz aller Müh und Anstrengung, die es kostet. Bebel, der Ostern 8 Tage hier war - nach der Brüsseler Konferenz1731 -, schreibt wie neugeboren, er ist außer in Hamburg in Straßburg im Elsaß aufgestellt, wo wir 1890 4800 gegen 8200 Stimmen hatten, und viele Französischgesinnte werden für ihn stimmen. Wir haben ca. 100-110 Wahlkreise, wo wir mit über 1/s der Gesamtstimmen eintreten werden (nach den 1890er Resultaten gerechnet), und ich denke, wir kommen in ca. 80 Wahlkreisen gleich durch oder in die Stichwahl. Wieviel in der letzteren hängenbleiben, hängt ab vom Gegenkandidaten. Gegen Konservative11081 oder Nationalliberale11091 haben wir große Chancen, gegen Freisinnige1471 weniger, gegen Zentrum1171 sehr wenige, falls der Kandidat der Gegner fest in Beziehung auf die Militärfrage'481. Bebel hofft auf 50-60 Sitze in allem.™1 Die Stimmung in Deutschland hat sich sehr geändert, die Bourgeoispresse mag noch schreien im alten Ton, aber der Respekt, den sich unsre Leute im Reichstag erzwungen haben, hat ihnen eine ganz andre Stellung verschafft. Dazu kann man die Augen nicht verschließen vor der stetig anschwellenden Macht der Partei. Wenn wir bei den nächsten Wahlen wieder starkes Wachstum zeigen, wächst einerseits der Respekt, andrerseits aber auch die Furcht. Und die treibt dann die Herren Spießbürger einmütig ins Lager der Regierung. Hier war die Maifeier sehr nett; aber sie wird schon etwas alltägliches oder vielmehr alljährliches; die erste Frische ist weg. Die Borniertheit des Trades Council11021 und der sozialistischen Sekten - Fabians1111 und Social Democratic Federation1101 - zwang uns wieder zwei Demonstrationen auf, aber alles verlief nach Wunsch, und wir - das Achtstundenkomite11011 hatten weit mehr Zulauf als die vereinigte Opposition. Namentlich unsre
4 „Interview Friedrich Engels' mit dem Korrespondenten der Zeitung ,Le Figaro' vom 8. Mai 1893"
internationale Tribüne11111 war sehr gut mit Publikum versehn. Ich rechne, daß im ganzen 240000 Menschen im Park waren, davon wir 140000 und die Opposition höchstens 100 000 hatte. Champion mit seinen Tory- und Liberal-Unionist-Geldern'1121 (angeblich £ 100 für je 100 Arbeiterkandidaten, die sich in hoffnungslosen Wahlkreisen aufstellen wollen, bloß um den Liberalen Stimmen zu entziehn) ist gründlich blamiert worden durch unsern alten Maltman Barry. Dieser Ochse, aber schottische Spekulant, ist unter die Tories gegangen, deren bezahlter Agent er eingestandnermaßen ist, und scheint dem Champion, dem die Herren Geldtories doch nicht recht trauen, als stiller Kompagnon und Aufseher, was die Jesuiten Socius nennen, zur Seite gestellt. Er hat nun während Ch[ampion]s Krankheit den „Labour Elector" allein redigiert und da so renommistisch aus der Schule geschwätzt, daß das Spielchen total verdorben und die Independent Labour Party'91 einstweilen vor der Gefahr gesichert ist, der Spielball dieser Herren zu werden. Leider ist Aveling seit einem Monat ernstlich krank, bei den unendlichen Klüngeleien hier ist er schlecht zu entbehren. Er ist in Hastings, sich etwas auskurieren. Wenn wir starken Stimmenzuwachs in Deutschland haben, so wird das auch in Frankreich gut auf die Herbstwahlen'521 wirken. Wenn unsre Leute dort ein Dutzend in die Kammer bringen (im Departement du Nord rechnen sie allein auf 4 Sitze), so ist ein Kern da, stark genug, die Blanquisten"21 und Allemanisten'711 zum Anschluß zu zwingen. Ich freue mich, daß es Deiner Frau und Dir wieder besser geht. Herzliche Grüße an sie und Dich von L. Kautsky und Deinem F. Engels
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
London, den 21. Mai 1893
Mein lieber Lawrow, Vorgestern habe ich Ihnen mit der Post ein Buch von N. F. D[anielson] geschickt: „OiepKH Hamero nope^opMeHnaro xosnöcTBa". Er hat mir auch mitteilen lassen, daß die Eltern unseres Freundes .G. L[opatin] von diesem Nachrichten erhalten haben, wonach es ihm gut geht;1131 Sie hatten mir ein Exemplar der Broschüre versprochen, in der Sie einen Brief von Lfopatin] veröffentlichen wollten, worin ich eine Rolle spielebisher habe ich sie jedoch nicht erhalten. Da sie, wie ich erfahren habe, bereits erschienen ist, wird die Sendung bei der Post abhanden gekommen sein. Könnten Sie mir ein anderes Exemplar zusenden? Ich hoffe, daß es Ihnen ebensogut geht wie mir, der über nichts zu klagen hat. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
43 Engels an Isaak Adolfowitsch Gurwitsch in Chicago 122, Regenfs Park Road, N.W. c . . TT London, 27. Mai 93 behr geehrter Herr, Vielen Dank für Ihre interessante Studie über „The economics of the Russian village", die ich, wie ich hoffe, nicht ohne Nutzen gelesen habe.[USI Was die brennenden Fragen der russischen revolutionären Bewegung angeht und die Rolle, welche die Bauernschaft darin spielen könnte, so sind das Themen, über die ich eine zur Veröffentlichung geeignete Meinung nicht mit gutem Gewissen äußern kann, ohne zuvor die ganze Frage erneut zu studieren und meine sehr unvollkommenen Faktenkenntnisse hierüber zu vervollkommnen, also auf den neuesten Stand zu bringen. Aber dazu habe ich leider jetzt keine Zeit. Außerdem habe ich allen Grund zu bezweifeln, ob eine solche öffentliche Feststellung von mir die Wirkung hätte, die Sie erwarten. Aus eigener Erfahrung (1849-1852) weiß ich, wie sich jede politische Emigration unweigerlich in verschiedene Gruppen spaltet, solange es im Mutterland ruhig bleibt. Der leidenschaftliche Wunsch zu handeln, trotz der Unmöglichkeit, etwas Wirksames zu tun, ruft in vielen klugen und energischen Köpfen übereifriges geistiges Spekulieren hervor, Versuche, neue und beinahe wunderbare Aktionsmittel zu entdecken oder zu erfinden. Das Wort eines Außenseiters würde nur eine geringfügige und bestenfalls vorübergehende Wirkung haben. Wenn Sie die russische Emigrationsliteratur der letzten zehn Jahre verfolgt haben, werden Sie selbst wissen, wie zum Beispiel von den verschiedenen russischen Emigrantengruppen Passagen aus den Schriften und dem Briefwechsel von Marx in höchst widersprüchlicher Weise ausgelegt worden sind, genau so, als wären es Texte aus Klassikern oder aus dem Neuen Testament. Was ich auch immer über den von Ihnen erwähnten Gegenstand sagen könnte, würde wahrscheinlich dasselbe Schicksal erleiden, wenn ihm irgendwelche Aufmerksamkeit erwiesen würde. Und aus allen diesen verschiedenen Gründen denke ich, daß es für alle, die es angehen kann, darunter auch für mich, das beste ist, davon Abstand zu nehmen. T1 , , Ihr sehr ergebener F. Engels Nach einer maschinengeschriebenen Abschrift. Aus dem Englischen.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, I.Juni 93
Lieber Baron, Vielen Dank für die Hinweisung auf Brentano.11161 Der Mann verzeiht mir offenbar nicht, daß ich ihn wegen der alten „Concordia"-Geschichte wieder einmal angenagelt habe. Er wird sich wohl mit A. Mülberger in die lebenslängliche Feindschaft gegen mich teilen wollen.'1171 Kann mir ziemlich egal sein. Aber kennenlernen möchte ich den Herrn auf diesem neuen Gebiet doch, er sieht mir ganz danach aus, als ob er sich in der Urgeschichte glänzend blamieren würde. Ich bin nun nicht ganz sicher, ob Du das „1." oder das „3." Heft der betr. Zeitschrift meinst, bitte sage es mir per Postkarte und ob man es separat haben kann, ich werde es mir dann bestellen. Schon die Tatsache, daß er den Westermarck[U81 verteidigt, reicht hin, dieser letztere ist ein äußerst fleißiges, aber ebenso flaches und konfuses Ochsgenie. Ich habe soeben £lie Reclus* „Primitive Folk" gelesen, wie es französisch heißt, weiß ich nicht. Das ist auch eine Konfusion und ein Pragmatismus sondergleichen, dabei das Material entsetzlich durcheinandergeworfen, so daß man oft nicht weiß, von welchen Stämmen und Völkern die Rede; das vernutzbare Material darin ist ohne genaues Quellenvergleichen absolut unbrauchbar. Dabei die antitheologische Befangenheit des Anarchisten, der obendrein protestantischer Pastorssohn ist. Hie und da eine gute zynische Bemerkung. Für die Engländer nützlich, insofern es ihren respektablen Vorurteilen arg ins Gesicht schlägt. Bei den Wahlen11101 lachen nur zwei: wir und Caprivi. Es ist urkomisch, wie die beiden Parteien, die am liebsten bei der Auflösung1481 ganz vorbeigekommen wären, Zentrum1171 und Freisinn1471, weil sie die Wählerfurcht am meisten hatten, jetzt nach der Auflösung großenteils mehr Furcht vor der Regierung und dem möglichen Konflikt zeigen als vor den Wählern, derart, daß sie schon vor der Wahl in zwei Stücke zerfallen, von denen eins sich direkt für die Regierung erklärt, während das andre noch etwas zappelt.
Ich muß sagen, so rasch hätte ich mir den Fortschritt zur „einen reaktionären Masse" nicht gedacht. Der Widerstand der Richter und Lieber ist auch nur halb und matt, und wenn wir die Erfolge - in Stimmenzahl, Mandate sind weniger wichtig - haben, die uns dieser Wirrwarr verspricht, kann er ganz zusammenklappen. Und dann sind wir die einzige Oppositionspartei, und dann kann's losgehn. Es ist merkwürdig, wie sehr befangen alle diese „jebildeten Stände" in ihrem Gesellschaftskreis sind. Diese Zentrums- und Freisinnsschwätzer, die jetzt noch bei der Opposition bleiben, vertreten Bauern, Kleinbürger, selbst noch Arbeiter. Und bei denen ist die Wut gegen die stets neu angezogne Steuerschraube und Rekrutenpresse unzweifelhaft da. Aber diese Volkswut wird den Herren Vertretern übermittelt durch jebildete Organe, Advokaten, Händler, Pfaffen, Schulmeister, Doktoren etc., Leute, die infolge ihrer allgemeineren Bildung ein klein wenig weiter sehn als die Parteimassen, die soviel gelernt haben, um zu wissen, daß ein großer Konflikt sie zwischen Regierung und uns zermalmen wird, und die daher den Konflikt vermeiden wollen und den Reichstagsleuten die Volkswut abgeschwächt übermitteln - nur Kompromiß! Natürlich sehn sie nicht, daß diese Art, den Konflikt aufzuschieben, uns die Massen zuschiebt, also uns die Stärke gibt, den Konflikt, wenn er kommt, auszufechten. Ich rechne auf bedeutenden Fortschritt bei diesen Wahlen - 2Vi Million Stimmen, vielleicht mehr -, aber auf noch viel mehr das nächstemal! Caprivi wird übrigens nicht lange lachen. Wenn, wie jetzt sicher, seine Forderung durchgeht, so treibt uns das die Massen von der andern Seite zu. Und die paar Jahre wird Deutschland den Extra-Steuerdruck auch wohl aushalten. Diese Forderung ist aber nicht die letzte. In ein paar Jahren kann Rußland sich scheinbar etwas erholt haben, da wird wieder mehr gefordert werden müssen, und da kann selbst die eine reaktionäre Masse zu einer neuen Auflösung getrieben werden. Wir kommen in ganz Europa wieder ins revolutionäre Fahrwasser - vive la fin de si^cle!1 Mit Bax' Skizzen11191 wirst Du allerdings Mühe haben. Die einzelnen netten Sachen darin werden immer seltner, und die ganze Schreibweise ist auf ein hiesiges, noch dazu ziemlich schmales Fabier- und sonstiges Studiertenpublikum zugeschnitten. Dein Berliner Korrespondent2 hat sicher eine stark entwickelte Subjektivität, aber schreiben kann er, und die materialistische Auffassung von Geschichtsereignissen - ich will nicht immer sagen von laufenden - versteht
1 es lebe das Ende des Jahrhunderts! - 2 Franz Mehring
er sehr gut. Seine „Lessing-Legende" war ganz ausgezeichnet, obwohl ich in einigen Punkten mir die Sache anders zurechtlege. Den Kongreß in Zürich11201 könnt Ihr allein abhalten. Meine Pläne sind noch nicht fest, aber höchstwahrscheinlich komme ich gegen Mitte August nach Zürich, wo ich Dich hoffentlich treffe.1901 Im übrigen halt Dich gesund und munter. Dein F.E.
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Engels an Hermann Bahr in London (Entwurf)
[London, Anfang Juni 1893]
Geehrter Herr, Ich bedaure, Ihrem Wunsch nicht entsprechen zu können.1-1211 Erstens stehn meine Parteigenossen in Deutschland grade jetzt im Wahlkampf auch gegen antisemitische Kandidaten11221, und da verbietet mir das Parteiinteresse, während dieser Zeit ein unparteiisches Urteil über den Antisemitismus abzugeben. Zweitens aber bin ich der Ansicht, daß meine Wiener und überhaupt österreichischen Parteigenossen mir nie verzeihen würden, wenn ich mich für die „D[eutsche] Zfeitung]" interviewen ließe. Mit gebührender Hochachtung
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Engels an Filippo Turati in Mailand London, den 6. Juni 1893 Lieber Bürger Turati, Vielen Dank für die Mitteilung, die Sie mir liebenswürdigerweise über das Projekt von Domanico gemacht haben.'1231 Ich wünschte, ich könnte ihm antworten, wie mir vor mehr als fünfzig Jahren ein junges Mädchen in Bellagio'1241, als ich ihr sagte: Bella tosa, dämm un basi1 - geantwortet hat: „domanil"2 Leider ist das unmöglich. Er weiß sehr wohl, daß ich ihm gegenüber gesetzlich ohnmächtig bin; er bittet mich um keine Genehmigung, er bietet mir ganz einfach an, mich in irgendeiner Art an seinem ganz uneigennützigen Unternehmen zu beteiligen. Da es mir absolut unmöglich ist, die Durchsicht der Übersetzung zu übernehmen (selbst wenn D[omanico] darauf eingehen würde), habe ich kein Mittel, um auf ihn einen Druck auszuüben; ich glaube, daß es vorläufig besser wäre, Zeit zu gewinnen und von ihm Auskünfte zu verlangen. Sie finden weiter unten die Abschrift dessen, was ich ihm geantwortet habe.3 Ist die Ausgabe des „Kapitals" in der „Biblioteca dell'Economista" von Turin, von der Sie sprechen, eine italienische Ausgabe? Das würde mich sehr interessieren, denn davon habe ich bisher nichts gewußt; würden Sie die Güte haben, mir den vollständigen Titel mitzuteilen? und den Namen des Übersetzers und des Verlegers?, damit ich mir diese Übersetzung beschaffen und darüber etwas in einer neuen deutschen Auflage oder im Vorwort des 3. Bandes sagen könnte? Von Devilles „resume" habe ich den ersten Teil gelesen, aber nicht die zweite Hälfte, der Verleger hatte es zu eilig. Deville hat einige Male den Thesen von Marx, die dieser nur als relativ, als unter gewissen Bedingungen oder Einschränkungen gültig, niedergelegt hatte, eine absolute Form gegeben. Aber das ist der einzige Fehler, den ich darin finde.'1261 Der 2. Band des „Kapitals" wird in Kürze in zweiter Auflage erscheinen, ich lese jetzt die Druckbogen des letzten Teils, er wird bald erscheinen.
1 Küß mich, meine Schöne - 2 „morgen!" - 3 siehe vorl. Band, S. 82
Es sind nur Druckfehler zu korrigieren, aber in einem Buch dieser Art spielt auch das eine Rolle. Dank für die Übersetzung des „Manifests".111 Viele Grüße an Frau Kulischowa und an Sie von Frau Kautsky und Ihrem sehr ergebenen F. Engels
Aus dem Französischen.
6 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
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Engels an Giovanni Domanico in Prato (Toscana) (Entwurf)
[London] 7. Juni [1893] In Erwiderung auf Ihr wertes Schreiben vom 2. d. M. danke ich Ihnen, daß Sie mir Ihre Absicht mitgeteilt haben, eine italienische Ausgabe des „Kapitals]" von Marx zu veröffentlichen.11231 Bevor ich jedoch Ihre verschiedenen Fragen beantworte, muß ich unbedingt wissen, wer die Übersetzung machen wird und wie - denn es ist ein sehr schwieriges Werk, das beim Übersetzer nicht nur gründliche Kenntnisse der deutschen Sprache, sondern auch der politischen Ökonomie voraussetzt. Eine Übersetzung allein nach der französischen Ausgabe würde nicht vollkommen sein, denn die italienische Sprache ist weit mehr als die französische geeignet, den philosophischen Stil des Autors wiederzugeben. Ich nehme an, daß Sie über die notwendigen Mittel verfügen, um ein so bedeutsames Unternehmen zu Ende zu führen und die Neuausgabe so herauszubringen, daß sie des Inhalts des Buches würdig ist. Mit aufrichtigem Gruß Ihr F.E.
Copy to Turati 6./6./931
Aus dem Italienischen.
1 Abschrift an Turati 6./6./93
48 • Engels an Stojan Nokoff • 9. Juni 1893 83
48
Engels an Stojan Nokoff in Genf11261
122, Regent's Park Road, N.W. London, den 9. Juni 93
Lieber Bürger Nokoff, Tausend Dank für die Mühe, die Sie sich als Mittler zwischen der Redaktion und mir bei der Ubersendung von Nr. 2 des bulgarischen „Sozial-Demokrat" gemacht haben. Ich hoffe, ich kann auf Ihre Gefälligkeit rechnen, wenn ich Sie darum bitte, ihr auch die inliegenden Zeilen1 zukommen zu lassen. Wenn es Ihnen nicht zuviel ist, würde ich Sie auch bitten, mir auf einer einfachen Postkarte mitzuteilen, ob ich mich irre, wenn ich Cöbjihöbo2 mit der sonst unter dem Namen Philippopolis bekannten Stadt gleichsetze? Ich habe kein bulgarisches Wörterbuch, und mein serbisches Wörterbuch gibt mir darüber keine Auskunft, aber ich habe eine vage Vorstellung, irgendwo einmal gelesen zu haben, daß so der bulgarische Name dieser Stadt lautet. Sollte ich recht haben, wird mir Ihr Schweigen genügen. Mit aufrichtigen Grüßen F. Engels
Aus dem Französischen.
1 „An die Redaktion der Zeitschrift .Sozial-Demokrat"' - 2 Sevlijevo
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
London, 13. Juni 1893
Lieber Lawrow, Morgen werden Sie siebenzig Jahre alt. Erlauben Sie uns, Ihnen zu diesem Tage unsre aufrichtigsten Glückwünsche darzubringen. Mögen Sie noch den Tag erleben, an dem die russische sozial-revolutionäre Bewegung, der Sie Ihr ganzes Leben aufopferungsvoll gewidmet haben, siegreich ihre Fahne auf den Trümmern des Zarentums aufpflanzt. Ihre aufrichtigen Freunde Friedrich Engels Louise Kautsky Eleanor Marx-Aveling Edward Aveling
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 20.Juni 1893
Mein liebes Lohr, Ich war erfreut, aus Deinem Brief zu entnehmen, daß es noch nicht zu spät war, die von mir vorgeschlagenen Änderungen, mit denen Du einverstanden bist, in Deinem emendö et corrigd1 Rave einzufügen.'"1 Das war einer der Gründe, weshalb ich kein besonderes Gewicht darauf legte, die Korrekturbogen hierzuhaben: ist der mise en page2 erst einmal gemacht, so ist es schwierig, Änderungen einzufügen, die entweder das Herausnehmen oder das Einsetzen einer oder mehrerer Zeilen notwendig machen; in Deutschland zumindest hatte ich so manchen schweren Kampf wegen der daraus entstehenden Extrakosten, und Herr Sonnenschein fügt vorsorglich in den Vertrag eine präzise Begrenzung der aus Änderungen herrührenden Extrakosten ein. Zu Deinen beiden Zielen - eine getreue Übersetzung zu haben, und eine, die sich wie ein Originalwerk liest -: Du hast sie bestimmt beide erreicht, und ich sehne mich danach, mich selbst in Deinem Französisch wieder zu lesen, ohne ständig mit einem Auge auf Druckfehler und formale Dinge achten zu müssen. Als ich es las, sagte ich Louise, es gibt nur einen Menschen in Paris und Umgebung, der Französisch kann, und das ist weder ein Franzose noch ein Mann, sondern Laura. Was den Elsässer Rave betrifft, so werde ich ihm seine elsässischen Spracheigentümlichkeiten verzeihen wegen seiner Landsleute aus der Arbeiterklasse: 12000 Stimmen aus Mülhausen für Bueb, 6200 aus Straßburg für Bebel (der fast sicher hineinkommt) und 3200 aus Metz für Liebknecht - außer verschiedenen anderen im ganzen Lande. Bebel, der in letzter Zeit mehrmals dort war, ist ganz verliebt in die Elsässer Arbeiter und in das Land überhaupt, obwohl sie ihn Sonntag vor vierzehn Tagen in Straßburg mit ihrem Enthusiasmus in Hämmerles Biergarten fast körperlich erdrückt haben.
1 geänderten und verbesserten - 2 Umbruch
Unsere Wahlen nahmen einen glänzenden Verlauf.11101 1890 - 20 Sitze, jetzt 24 beim ersten Ansturm gewonnen; 1890 - ungefähr 60 Stichwahlen, diesmal 85. Wir haben zwei Sitze verloren und sechs neue gewonnen. Unter den 85 Stichwahlen sind 38, wo wir 1890 nicht in die Stichwahl kamen (nur die zwei Kandidaten mit der höchsten Stimmenzahl werden zur Stichwahl zugelassen); und von den 85 haben wir auch bei 38 gute Aussichten (bei den übrigen 47 sind wir in einer hoffnungslosen Minderheit, falls kein Wunder geschieht), und bei 25 von diesen 38 können wir getrost auf erfolgreiche Wahlen rechnen. Doch die Lücke, die durch die vollständige Auflösung der Radikalen (Freisinnige) Partei3 entstand, hat zu einem solchen Zustand der Verwirrung geführt11271, daß wir auf eine Reihe von Überraschungen gefaßt sein müssen. Bei den Radikalen existiert keine Parteidisziplin mehr, und die Leute werden in jedem Ort so handeln, wie sie es gerade für richtig halten. Wenn wir beim zweiten Wahlgang unsere ganze Kraft aufbieten, könnten wir mit Unterstützung der bürgerlichen Demokraten in Süddeutschland und die gegenseitigen Eifersüchteleien und Zänkereien ausnutzend, wieder auf den alten Stand von 36 Sitzen kommen, so daß wir nur, wenn wir diese Zahl überschreiten, auf die aktive Unterstützung der Radikalen, Antisemiten11221 und Katholiken1171 angewiesen wären, das heißt auf die starke antimilitaristische Strömung, welche die Bauernschaft und die Klasse der Kleinbürger durchdringt. Die Anzahl der Sitze hat jedoch eine sehr zweitrangige Bedeutung. Die Hauptsache ist der Zuwachs an Stimmen, und der wird gewiß beträchtlich sein. Wir werden bloß nichts erfahren, ehe der vollständige offizielle Wahlbericht dem Reichstag vorgelegt wird. Der wichtigste Teil dieses Stimmenzuwachses wird aus der - relativ kleinen - Zahl der Stimmen bestehen, die in ganz neuen, entlegenen Orten auf dem Lande abgegeben wurden; sie zeigen den Einfluß, den wir schon auf diese ländlichen Gebiete auszuüben beginnen, die uns bisher unzugänglich waren, und ohne die wir keinen Sieg erwarten können. Wenn sie alle ausgezählt sind, glaube ich, werden wir etwa 2V4 Millionen Stimmen haben, mehr als je für eine andere Partei in Deutschland abgegeben wurden. Insgesamt war die Wirkung auf die gesamte deutsche und englische bürgerliche Presse ausgezeichnet, und das konnte auch gar nicht anders sein. Einen solch ständigen, ununterbrochenen, unangefochtenen Fortschritt einer Partei hat es noch in keinem Lande gegeben. Und das beste daran ist, daß unser Stimmenzuwachs von 1893 - wie das Ausmaß und die
3 in der Handschrift deutsch: (Freisinnige) Partei
Verschiedenartigkeit des neu eroberten Terrains zeigen - die sichere Aussicht auf einen weit größeren Zuwachs bei der nächsten allgemeinen Wahl einschließt. Der neue Gesichtspunkt der parti ouvrier[681 hinsichtlich des „Patriotismus" ist an sich sehr vernünftig'1281; internationale Vereinigung kann nur zwischen Nationen bestehen, deren Existenz, Autonomie und Unabhängigkeit in inneren Angelegenheiten daher schon in dem Begriff Internationalität eingeschlossen sind. Und der Druck der Pseudopatrioten mußte früher oder später eine Äußerung dieser Art herausfordern, sogar ohne die Allianz mit Millerand und Jaur&s1691, die ohne Zweifel auch auf die Notwendigkeit eines solchen Aktes gedrungen haben. Das Interview von Guesde im „Figaro" ist ausgezeichnet11291, es ist nichts dagegen zu sagen. Der Aufruf des Nationalrats - hier werde ich unterbrochen. Ich muß zum Bahnhof gehen. Frau Gumpert (Du weißt, Dr. Gumpert starb vor kurzem) fährt nach Deutschland und wird auf dem Wege dorthin einige Tage bei uns verbringen, und ich muß sie vom Zug abholen. Daher muß ich für ein bis zwei Tage Lebewohl sagen; meine Bemerkungen zu diesem Aufruf sind nicht so wichtig, und es hat keine Eile damit. Alles Gute für den ewig Reisenden4. Wie hat sich der arme Clemenceau doch verändert, wenn ihn sogar ein Deroul&de aus der Fassung bringen kann!11301 Sic transit gloria mundi.5 Die antisemitischen patriotischen Schreier scheinen sich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland durchzusetzen, soweit es die Bürger betrifft! Grüße von Louise und Deinem alten General
Aus dem Englischen.
4 Paul Lafargue - 6 So vergeht der Ruhm der Welt.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
«».,., T t London, den 27. Juni 1893 Mein lieber Lafargue, Sie haben vollkommen recht gehabt, gegen die Dummheiten der Anarchisten« und der boulangistischen Hurrapatrioten zu protestieren11281, selbst wenn Millerand und Jaures (die Ihnen sicherlich auf diesem Wege vorangegangen sind) dazu beigetragen haben, das macht nichts. Besonders am Vorabend einer allgemeinen Wahl1521 kann man der Verleumdung nicht einfach das Feld überlassen. Wir stimmen also in diesem Punkt überein; die Deutschen haben das mehr als einmal genauso gemacht, zum großen Kummer Bonniers, der sich in einer idealen antipatriotischen Sphäre bewegt (aber antipatriotisch vor allem für die anderen, denn niemand wünscht mehr als er, daß „Frankreich an der Spitze der Bewegung steht"). Und nun erklärt sich der Nationalrat eindeutig für patriotisch - und gerade in dem Augenblick, da die Wahlen in Deutschland[U0J mit derselben Eindeutigkeit beweisen, daß es nicht Frankreich ist, das an der Spitze der Bewegung steht -, armer Bonnier, er war Sonntag hier und sah ganz niedergeschlagen aus. Ihr Aufruf wird in Frankreich, hoffe ich, seine Wirkung tun, und ebensosehr hoffe ich, daß er in Deutschland unbemerkt bleiben wird. Und zwar aus folgendem Grunde - es sind zwar keine ernsten Dinge, aber ich glaube doch, ich muß Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, damit Sie sie das nächste Mal vermeiden Ich will nicht von der Anwendung des Wortes Patriot sprechen, davon, daß Sie sich als die einzigen „wahren" Patrioten hinstellen. Dieses Wort hat einen so engen Sinn - oder besser einen so unbestimmten, je nachdem -, daß ich es niemals wagen würde, mir diese Bezeichnung beizulegen. Ich habe zu Nichtdeutschen als Deutscher gesprochen, ebenso wie ich zu den Deutschen als einfacher Internationaler spreche; und ich glaube, Ihr hättet eine größere Wirkung erreichen können, wenn Ihr Euch einfach als Franzosen erklärt hättet - was eine Tatsache ausdrückt, eine Tatsache, welche die logischen Folgen, die sich daraus ergeben, einschließt. Aber lassen wir dies, das ist eine Frage des Stils.
Ihr habt auch vollkommen recht, wenn Ihr auf die revolutionäre Vergangenheit Frankreichs stolz seid und glaubt, daß diese revolutionäre Vergangenheit für seine sozialistische Zukunft bürgt. Aber mir scheint, daß Ihr dabei ein wenig zuviel in den Blanquismus[721 geraten seid, das heißt in die Theorie, daß Frankreich dazu bestimmt ist, in der proletarischen Revolution dieselbe Rolle zu spielen (nicht nur des Initiators, sondern auch des Führers), die es in der bürgerlichen Revolution von 1789-98 gespielt hat. Das widerspricht den ökonomischen und politischen Tatsachen von heute. Die industrielle Entwicklung Frankreichs ist hinter der Englands zurückgeblieben; sie ist gegenwärtig auch hinter der Deutschlands zurück, die seit 1860 Riesenschritte gemacht hat; die Arbeiterbewegung in Frankreich kann sich heute nicht mit der Deutschlands vergleichen. Aber weder Franzosen noch Deutsche noch Engländer werden den Ruhm genießen, den Kapitalismus allein gestürzt zu haben; wenn Frankreich - vielleicht- das Signal gibt, wird in Deutschland, dem Lande, das am gründlichsten vom Sozialismus erfaßt worden ist und in dem die Theorie am gründlichsten in die Massen gedrungen ist, der Kampf entschieden werden; und trotzdem werden weder Frankreich noch Deutschland endgültig den Sieg sichern können, solange England in den Händen der Bourgeoisie bleibt. Die Befreiung des Proletariats kann nur eine internationale Aktion sein; wenn Ihr daraus einfach eine Aktion der Franzosen zu machen versucht, macht Ihr sie unmöglich. Die ausschließlich französische Führung der bürgerlichen Revolution - obwohl sie unvermeidlich war wegen der Dummheit und Feigheit der anderen Nationen -, wissen Sie, wohin sie geführt hat? - zu Napoleon, zur Eroberung, zur Invasion der Heiligen Allianz. Frankreich in der Zukunft dieselbe Rolle zuschreiben zu wollen, das hieße, die internationale proletarische Bewegung entstellen, das hieße, Frankreich lächerlich machen, wie es die Blanquisten tun, denn jenseits Ihrer Grenzen lacht man über diese Anmaßungen. Sehen Sie doch, wohin das führt: Ihr sprecht davon, daß „Frankreich 1889 auf seinem unsterblichen Kongreß von Paris11311 die Fahne erhoben hat" usw. usw. Wie würden Sie in Paris sich lustig machen, wenn die Belgier sagen würden: Belgien 1891 auf seinem unsterblichen Kongreß von Brüssel [1321, oder die Schweiz auf ihrem unsterblichen Kongreß von Zürich11201! Denn die Aktionen dieser Kongresse sind keine französischen, belgischen oder Schweizer, sondern internationale. Und dann sagt Ihr: Die französische Arbeiterpartei1681 ist „eins mit der deutschen Sozialdemokratie gegen das deutsche Kaisertum, mit der belgischen Arbeiterpartei11331 gegen die Monarchie der Coburger, mit den Italienern gegen die Monarchie Savoyen" usw. usw.
Gegen all das wäre nichts einzuwenden, wenn Ihr hinzugefügt hättet: und alle diese Parteien sind eins mit ims gegen die bürgerliche Republik, die uns unterdrückt, die uns panamisiert und uns mit dem russischen Zaren liiert. Ihre Republik ist schließlich durch den alten Wilhelm1 und Bismarck zustande gekommen, sie ist genauso bürgerlich wie alle unsere monarchistischen Regierungen, und man darf nicht glauben, daß Ihr mit dem Rufe: Es lebe die Republik! am Morgen nach dem Panama-Skandalt6) einen einzigen Anhänger in ganz Europa finden würdet. Die republikanische Form ist nur eine einfache Negation der Monarchie - und der Sturz der Monarchie wird sich als einfache Begleiterscheinung der Revolution vollziehen; in Deutschland sind die bürgerlichen Parteien so fertig, daß wir unmittelbar von der Monarchie zur sozialen Republik übergehen müßten. Ihr könnt also den Monarchien Eure bürgerliche Republik nicht mehr als etwas gegenüberstellen, was die anderen Nationen erstreben sollen. Eure Republik und unsere Monarchien - das ist ein und dasselbe gegenüber dem Proletariat2; wenn Ihr uns gegen unsere monarchistischen Bourgeois helft, werden wir Euch gegen Eure republikanischen Bourgeois helfen. Das ist eine Sache der Gegenseitigkeit und hat nichts zu tun mit der Befreiung der armen Untertanen in den Monarchien durch die edelmütigen französischen Republikaner; das entspricht nicht der Idee des Internationalismus, noch weniger der historischen Situation, die dem Zaren Eure Republik zu Füßen gelegt hat. Vergessen Sie nicht, wenn Frankreich im Interesse und mit Unterstützung des Zaren Deutschland den Krieg erklärt, dann wird Deutschland das revolutionäre Zentrum sein. Aber da ist noch eine andere sehr unangenehme Geschichte zu erwähnen: Ihr seid „eins mit der deutschen Sozialdemokratie contre l'Empire d'Allemagne". Das ist von der bürgerlichen Presse übersetzt worden: „gegen das deutsche Reich"3. Und gerade das wird alle Welt daraus lesen. Denn „Empire" bedeutet ebensogut „Reich"4 wie „Kaisertum"6 (kaiserliches Regime); aber bei „Reich"4 liegt der Akzent auf der zentralen Macht als dem Repräsentanten der nationalen Einheit, und für diese Einheit, als der politischen Bedingung ihrer Existenz, würden sich die deutschen Sozialisten bis aufs äußerste schlagen. Niemals würden wir Deutschland auf den Stand der Zersplitterung und Ohnmacht von vor 1866 zurückwerfen lassen. Wenn Ihr gesagt hättet „gegen den Kaiser" oder „gegen das kaiserliche Regime",
1 Wilhelm I. - 2 hier folgt in der Handschrift der von Engels gestrichene Passus: und wenn man von Vereinigung und internationalem Einssein spricht, so um das ... - 3 in der Handschrift deutsch: „gegen das deutsche Reich" - 4 in der Handschrift deutsch: „Reich" - 6 in der Handschrift deutsch: „Kaisertum"
hätte man nicht viel sagen können, obwohl dieser armselige Wilhelm6 nicht das Format hat, solche Ehre zu verdienen; der Feind ist die besitzende Klasse, die Grundbesitzer und Kapitalisten; und das wird in Deutschland so gut verstanden, daß unsere Arbeiter nicht begreifen würden, welchen Sinn Euer Anerbieten haben soll, ihnen zu helfen, den Narren von Berlin zu besiegen. Ich habe daher Liebk[necht] gebeten, von Eurem Aufruf nicht zu sprechen, solange die bürgerlichen Blätter nicht darüber reden; sollte man sich aber auf diesen unglückseligen Ausdruck stützen und unsere Leute als Verräter angreifen, so würde das zu einer ziemlich peinlichen Debatte führen. Kurz gesagt: Etwas mehr Gegenseitigkeit könnte nicht schaden - die Gleichheit unter den Nationen ist ebenso notwendig wie die unter den Individuen. Andererseits hindert Eure Art, von der Republik als etwas für das Proletariat an sich Wünschenswertem und von Frankreich als dem auserwählten Volke zu sprechen, Euch daran, von der - unangenehmen, aber unbestreitbaren Tatsache der russischen Allianz oder vielmehr der russischen Vasallenschaft zu sprechen. Nun, ich denke, das genügt. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, daß Ihr in der ersten Hitze Eures wieder auflebenden Patriotismus ein wenig über das Ziel hinausgeschossen seid. Das ist nicht sehr schlimm, und ich hoffe, daß es vorübergeht, ohne Staub aufzuwirbeln; sollte es sich jedoch wiederholen, so könnte es zu unangenehmen Kontroversen führen. Die von Euch veröffentlichten Dokumente müssen, obwohl sie für Frankreich bestimmt sind, auch im Ausland „pass muster"7 sein. Übrigens sind auch unsere guten Deutschen in ihren Ausdrücken nicht immer korrekt gewesen. Was die deutschen Wahlen angeht, bin ich auf die Niederlagen stolzer als auf die Siege. Wir haben Stuttgart verloren, wegen 128 fehlenden Stimmen bei 31 000 Wählern, Lübeck wegen 154 bei 20000 und so fort. Alle Parteien haben sich diesmal gegen uns zusammengetan, selbst die Demokraten im Süden, die uns in Stuttgart, Mannheim, Pforzheim, Speyer aufgegeben und nur in Frankfurt für uns gestimmt haben. Was wir erobert haben, verdanken wir - zum erstenmal - ganz unserer eigenen Kraft. Somit sind diese 44 Sitze zehnmal mehr wert als 100 mit Hilfe der Liberalen und Demokraten errungene. Der Liberalismus hat in Deutschland vollständig abgedankt. Es gibt keine ernsthafte Opposition mehr außer unserer Partei. Wilhelm wird seine
6 Wilhelm II.-'„annehmbar"
Soldaten, seine Steuern und - seine Sozialisten haben, in der Armee und außerhalb der Armee, wobei deren Zahl immer größer wird. Die Gesamtziffer der sozialistischen Stimmen wird erst in 10-15 Tagen bekannt sein; Bebel meint, daß sie 2 Millionen übersteigen wird, die Jahreszeit war gegen uns, viele Arbeiter sind im Sommer auf dem Lande verstreut und in den Listen nicht erfaßt worden; er schätzt unser Defizit, das sich daraus ergibt, auf mehr als 100000 Stimmen. Die Ehrenerklärung von Amiens ist großartig. Nur die Franzosen bringen solche genialen Streiche gegen veraltete Gesetze fertig.11341 Herzliche Grüße an Laura und Sie von Louise. Umarmen Sie Laura für mich! Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 29. Juni 93
Mein lieber Lafargue, Ich habe an Bebel geschrieben und ihm die Situation geschildert[13S1; es sprechen sicherlich viele Gründe für einen Aufschub des Kongresses auf ein späteres Datum.11361 Aber 1. November kommt nicht in Frage, niemand geht im Winter nach Zürich, wenn es dort regnet und kalt ist. Überdies werden sowohl Ihre Kammer wie auch der Reichstag und das englische Parlament dann noch tagen. Geben Sie also dieses Datum auf. Später wird man ein anderes festlegen. 2. Es wäre ärgerlich, wenn die französischen Marxisten und die Deutschen allein die Vertagung vorschlügen. Etwas anderes aber wäre es, wenn alle französischen sozialistischen Fraktionen einstimmig diese Bitte vorbrächten. Sehen Sie zu, was Sie in dieser Hinsicht tun können. Aber beeilen Sie sich, denn 3. ist es notwendig, daß die Schweizer Ihre Bitte den anderen unterbreiten und deren Meinung einholen - zumindest werden sie sich hinter dieser Notwendigkeit verschanzen, da der Sekretär des Komitees, Seidel, ein fanatischer Antimarxist ist und hier und in Frankreich mit allen unseren Gegnern intrigiert. Es wird schwierig sein, die Blanquisten"21 und die beiden Gruppen von Possibilisten"11 dazu zu bringen, Ihren Antrag zu unterstützen, aber das ist sehr wichtig. Wenn die anderen mit dem Datum vom 6.-12. August einverstanden sind, werden Sie allein kaum etwas erreichen. In Eile freundschaftlichst Ihr F. Engels
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Engels an Filippo Turati in Mailandt1371
London, den 12. Juli 1893
Lieber Bürger Turati, Samstag habe ich Ihnen mit der Post eingeschrieben das italienische „Kapital"1 mit Dank zurückgeschickt. Ich habe einige Stellen besonders des 1. Kapitels und des vorletzten (allgemeine Tendenz der kapitalistischen Akkumulation) verglichen. Wie Sie sagen, ist es gänzlich nach dem französischen Text übersetzt worden, der natürlich populärer ist als der deutsche. Die Teile, die ich verglichen habe, waren ziemlich getreu wiedergegeben, was übrigens nicht sehr schwierig ist angesichts der Verwandtschaft beider Sprachen und der viel größeren Bewegungsfreiheit des Italienischen gegenüber dem Französischen. Ich habe festgestellt, daß die Rückseite des Titelblatts den Vermerk „Proprietä letteraria"2 trägt, was Domanico hindern wird, diese Ubersetzung zu benutzen, so wie sie ist.11231 Bis heute habe ich keine Antwort von ihm erhalten3, vielleicht fängt er an, die Schwierigkeiten seines Vorhabens zu begreifen. Der „letzte Teil", von dem ich in meinem Briefe sprach, war natürlich der des 2. Bandes, 2. Auflage, der gegen September erscheinen wird. Der 3. Band macht mir immer noch Arbeit, aber glücklicherweise ist das Ende abzusehen. Es ist mir jedoch nicht gelungen, wie ich es mir vorgenommen hatte, diese Arbeit vor meinen Sommerferien abzuschließen. Und das kann zu einer neuen Verzögerung von einigen Monaten führen. Es wird ziemlich schwierig sein, für eine französische Übersetzung des 2. und 3. Bandes einen Ubersetzer zu finden, wie er sein müßte. Das ist eine Arbeit, die zu vollenden nur wenige Leute Neigung, Fähigkeit und Ausdauer hätten. Der 2. hat 500 Seiten, der 3. wird 11-1200 haben. Der arme Martignetti! Wäre es nicht möglich, ihn aus diesem benedetto4 Nest Benevento herauszuholen und irgendeine Beschäftigung für ihn
1 Siehe vorl. Band, S. 80 - 2 „Alle Rechte vorbehalten" - 3 siehe vorl. Band, S. 82 - 4 verwünschten
in einem Ort zu finden, wo er gleichzeitig die literarische Sprache seines Landes lernen könnte? Er ist von einer Emsigkeit und einem guten Willen, die erstaunlich sind, er übersetzt meine Arbeiten mit einem Fanatismus, der einer besseren Sache würdig wäre; aber was die Geschäfte angeht, so scheint er kein Glück zu haben und ein Pechvogel zu sein. Werden wir uns in Zürich sehen?1901 Offen gesagt, wenn alles klappt, könnte ich womöglich am letzten Tag des Kongresses in Zürich sein; ich habe die Absicht; aber da das nicht nur von mir, sondern von einer Menge mehr oder weniger zufälliger Umstände abhängt, so ist es sehr ungewiß, und wahrscheinlich tun wir beide gut daran, nicht davon zu reden. Wenn mich etwas schreckt, so ist es Ihre Drohung, mit mir meneghino5 zu sprechen. 1841 habe ich es leidlich gesprochen und sehr gut verstanden.11241 Aber als ich mich etwa 30 Jahre später ein oder zwei Tage in Como aufhielt11381, habe ich kein einziges Wörtchen mehr verstanden; mein Ohr war dessen vollkommen entwöhnt. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, daß ich noch einige Worte Ihres so ausdrucksvollen Dialekts spreche, aber absolut nichts mehr verstehe. Was Ihr Französisch anlangt, so ist es immer noch viel besser als meins, und übrigens hindert Sie nichts daran, mir italienisch zu schreiben. Lesen Sie Englisch? Wenn ja, so könnte ich Ihnen von Zeit zu Zeit irgendeine Zeitung schicken. Salut cordial.6 Ihr F. Engels
Gruß an Frau Kulischowa von Frau Kautsky und mir.
Aus dem Französischen.
5 Mailänder Dialekt-6 Herzlichen Gruß.
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Engels an Franz Mehring in Berlin
Lieber Herr Mehring, L°nd°n' ,4Juli 93 Erst heute komme ich dazu, Ihnen für die mir gütigst zugesandte „Lessing-Legende" zu danken. Ich wollte Ihnen nicht eine bloß formelle Empfangsanzeige des Buchs schicken, sondern Ihnen auch gleichzeitig etwas darüber - über seinen Inhalt - sagen. Daher die Verzögerung. Ich fange an mit dem Ende - dem Anhang „Über den historischen Materialismus", worin Sie die Haupttatsachen vortrefflich und für jeden Unbefangnen überzeugend zusammengestellt haben. Wenn ich etwas auszusetzen finde, ist es, daß Sie mir mehr Verdienst zuschreiben als mir zukommt, selbst wenn ich alles einrechne, was ich möglicherweise selbständig ausgefunden hätte - mit der Zeit -, was aber Marx bei seinem rascheren coup d'oeil1 und weiteren Überblick viel schneller entdeckte. Wenn man das Glück hatte, vierzig Jahre lang mit einem Mann wie Marx zusammen-1 zuarbeiten, so wird man bei dessen Lebzeiten gewöhnlich nicht so anerkannt, wie man es zu verdienen glaubt; stirbt dann der Größere, so wird der Geringere leicht überschätzt - und das scheint mir grade jetzt mein Fall zu sein; die Geschichte wird das alles schließlich in Ordnung bringen, und bis dahin ist man glücklich um die Ecke und weiß nichts mehr von nichts. Sonst fehlt nur noch ein Punkt, der aber auch in den Sachen von Marx und mir regelmäßig nicht genug hervorgehoben ist und in Beziehung auf den uns alle gleiche Schuld trifft. Nämlich wir alle haben zunächst das Hauptgewicht auf die Ableitung der politischen, rechtlichen und sonstigen ideologischen Vorstellungen und durch diese Vorstellungen vermittelten Handlungen aus den ökonomischen Grundtatsachen gelegt und legen müssen. Dabei haben wir dann die formelle Seite über der inhaltlichen vernachlässigt: die Art und Weise, wie diese Vorstellungen etc. zustande kommen. Das hat denn den Gegnern willkommnen Anlaß zu Mißverständnissen resp. Entstellungen gegeben, wovon Paul Barth ein schlagendes Exempel.11391
1 Einblick
Die Ideologie ist ein Prozeß, der zwar mit Bewußtsein vom sogenannten Denker vollzogen wird, aber mit einem falschen Bewußtsein. Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt; sonst wäre es eben kein ideologischer Prozeß. Er imaginiert sich also falsche resp. scheinbare Triebkräfte. Weil es ein Denkprozeß ist, leitet er seinen Inhalt wie seine Form aus dem reinen Denken ab, entweder seinem eignen oder dem seiner Vorgänger. Er arbeitet mit bloßem Gedankenmaterial, das er unbesehen als durchs Denken erzeugt hinnimmt und sonst nicht weiter auf einen entfernteren, vom Denken unabhängigen Ursprung untersucht, und zwar ist ihm dies selbstverständlich, da ihm alles Handeln, weil durchs Denken vermittelt, auch in letzter Instanz im Denken begründet erscheint. Der historische Ideolog (historisch soll hier einfach zusammenfassend stehn für politisch, juristisch, philosophisch, theologisch, kurz für alle Gebiete, die der Gesellschaft angehören und nicht bloß der Natur) - der historische Ideolog hat also auf jedem wissenschaftlichen Gebiet einen Stoff, der sich selbständig aus dem Denken früherer Generationen gebildet und im Gehirn dieser einander folgenden Generationen eine selbständige, eigne Entwicklungsreihe durchgemacht hat. Allerdings mögen äußere Tatsachen, die dem eignen oder andern Gebieten angehören, mitbestimmend auf diese Entwicklung eingewirkt haben, aber diese Tatsachen sind nach der stillschweigenden Voraussetzung ja selbst wieder bloße Früchte eines Denkprozesses, und so bleiben wir immer noch im Bereich des bloßen Denkens, das selbst die härtesten Tatsachen anscheinend glücklich verdaut hat. Es ist dieser Schein einer selbständigen Geschichte der Staatsverfassungen, der Rechtssysteme, der ideologischen Vorstellungen auf jedem Sondergebiet, der die meisten Leute vor allem blendet. Wenn Luther und Calvin die offizielle katholische Religion, wenn Hegel den Fichte und Kant, Rousseau indirekt mit seinem republikanischen „Contrat social" den konstitutionellen Montesquieu „überwindet", so ist das ein Vorgang, der innerhalb der Theologie, der Philosophie, der Staatswissenschaft bleibt, eine Etappe in der Geschichte dieser Denkgebiete darstellt und gar nicht aus dem Denkgebiet hinauskommt. Und seitdem die bürgerliche Illusion von der Ewigkeit und Letztinstanzlichkeit der kapitalistischen Produktion dazugekommen, gilt ja sogar die Überwindung der Merkantilisten durch die Physiokraten und A.Smith für einen bloßen Sieg des Gedankens; nicht für den Gedankenreflex veränderter ökonomischer Tatsachen, sondern für die endlich errungene richtige Einsicht in stets und überall bestehende tatsächliche Bedingungen; hätten Richard Löwenherz und Philippe Auguste den 7 Man/Engel», Werke, Bd. 3?
Freihandel eingeführt, statt sich in Kreuzzüge zu verwickeln, so blieben uns fünfhundert Jahre Elend und Dummheit erspart. Diese Seite der Sache, die ich hier nur andeuten kann, haben wir, glaube ich, alle mehr vernachlässigt, als sie verdient. Es ist die alte Geschichte: Im Anfang wird stets die Form über den Inhalt vernachlässigt. Wie gesagt, ich habe das ebenfalls getan, und der Fehler ist mir immer erst post festum aufgestoßen. Ich bin also nicht nur weit entfernt davon, Ihnen irgendeinen Vorwurf daraus zu machen - dazu bin ich als älterer Mitschuldiger ja gar nicht berechtigt, im Gegenteil -, aber ich möchte Sie doch für die Zukunft auf diesen Punkt aufmerksam machen. Damit zusammen hängt auch die blödsinnige Vorstellung der Ideologen: Weil wir den verschiednen ideologischen Sphären, die in der Geschichte eine Rolle spielen, eine selbständige historische Entwicklung absprechen, sprächen wir ihnen auch jede historische Wirksamkeit ab. Es liegt hier die ordinäre undialektische Vorstellung von Ursache und Wirkung als starr einander entgegengesetzten Polen zugrunde, die absolute Vergessung der Wechselwirkung. Daß ein historisches Moment, sobald es einmal durch andre, schließlich ökonomische Ursachen, in die Welt gesetzt, nun auch reagiert, auf seine Umgebung und selbst seine eignen Ursachen zurückwirken kann, vergessen die Herren oft fast absichtlich. So Barth z.B. bei Priesterstand und Religion, S.475 bei Ihnen. Über Ihre Abfertigung dieses über alle Erwartung flachen Burschen habe ich mich sehr gefreut. Und den Mann machen sie zum Geschichtsprofessor in Leipzig! Da war doch der alte Wachsmuth, der auch flach von Hirnkasten war, aber einen sehr großen Sinn für Tatsachen hatte, ein ganz andrer Kerl. Im übrigen kann ich von dem Buch nur wiederholen, was ich schon von den Artikeln, als sie in der „N[euen] Z[eit]" erschienen, wiederholt gesagt habe: Es ist bei weitem die beste Darstellung der Genesis des preußischen Staats, die existiert, ja ich kann wohl sagen, die einzig gute, in den meisten Dingen bis in die Einzelheiten hinein richtig die Zusammenhänge entwickelnde. Man bedauert nur, daß Sie nicht auch gleich die ganze Weiterentwicklung bis auf Bismarck haben mit hineinnehmen können, und hofft unwillkürlich, daß Sie dies ein andermal tun und das Gesamtbild im Zusammenhang darstellen werden vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm bis zum alten Wilhelm2. Sie haben ja doch die Vorstudien einmal gemacht und wenigstens der Hauptsache nach so gut wie beendigt. Und gemacht werden muß es ja doch einmal, ehe der Rumpelkasten zusammenbricht; die
Auflösung der monarchisch-patriotischen Legenden ist, wenn auch nicht grade eine notwendige Voraussetzung der Beseitigung der die Klassenherrschaft deckenden Monarchie (da eine reine, bürgerliche Republik in Deutschland überholt ist, ehe sie zustande kam), aber doch einer der wirksamsten Hebel dazu. Dann werden Sie auch mehr Raum und Gelegenheit haben, die preußische Lokalgeschichte als Stück der deutschen Gesamtmis&re darzustellen. Es ist das der Punkt, wo ich von Ihrer Auffassung hier und da etwas abweiche, namentlich in der Auffassung der Vorbedingungen der Zersplitterung Deutschlands und des Fehlschlagens der deutschen bürgerlichen Revolution des 16. Jahrhunderts. Wenn ich dahin komme, die historische Einleitung zu meinem „Bauernkrieg" neu zu bearbeiten, was, wie ich hoffe, nächsten Winter geschieht, dann werde ich die bezüglichen Punkte dort entwickeln können.[140] Nicht daß ich die von Ihnen angegebnen für unrichtig hielte, aber ich stelle andre daneben und gruppiere etwas anders. Beim Studium der deutschen Geschichte - die ja eine einzige fortlaufende Misere darstellt - habe ich immer gefunden, daß das Vergleichen der entsprechenden französischen Epochen erst den rechten Maßstab gibt, weil dort das grade Gegenteil von dem geschieht, was bei uns. Dort die Herstellung des Nationalstaats aus den disjectis membris3 des Feudalstaats, grade als bei uns der Hauptverfall. Dort eine seltne objektive Logik in dem ganzen Verlauf des Prozesses, bei uns öde und stets ödere Zerfahrenheit. Dort repräsentiert der englische Eroberer im Mittelalter in seiner Einmischung zugunsten der provenzalischen Nationalität gegen die nordfranzösische die fremde Einmischung; die Engländerkriege stellen sozusagen den 30jährigen Krieg vor, der aber mit der Vertreibung der ausländischen Einmischung und der Unterwerfung des Südens unter den Norden endigt. Dann kommt der Kampf der Zentralmacht mit dem sich auf ausländische Besitzungen stützenden burgundischen Vasallen4, der die Rolle von Brandenburg-Preußen spielt, der aber mit dem Sieg der Zentralmacht endigt und die Herstellung des Nationalstaats endgültig macht. Und grade in dem Moment bricht bei uns der Nationalstaat vollständig zusammen (soweit man das „deutsche Königtum" innerhalb des Heiligen Römischen Reichs einen Nationalstaat nennen kann) und die Plünderung deutsches Gebiets auf großem Maßstab fängt an. Es ist ein im höchsten Grad für den Deutschen beschämender Vergleich, aber eben darum um so lehrreicher, und seitdem unsre Arbeiter Deutschland wieder in die erste
3 zersplitterten Gliedern - 4 Karl der Kühne
Reihe der geschichtlichen Bewegung gestellt haben, können wir die Schmach der Vergangenheit etwas leichter schlucken. Ganz besonders bezeichnend für die deutsche Entwicklung ist noch, daß die beiden Teilstaaten, die schließlich ganz Deutschland unter sich geteilt, beides keine rein deutschen, sondern Kolonien auf erobertem slawischem Gebiet sind: Österreich eine bayrische, Brandenburg eine sächsische Kolonie, und daß sie sich Macht in Deutschland verschafft haben nur dadurch, daß sie sich auf fremden, undeutschen Besitz stützten: Österreich auf Ungarn (von Böhmen nicht zu sprechen), Brandenburg auf Preußen. An der am meisten bedrohten Westgrenze fand so was nicht statt, an der Nordgrenze überließ man den Dänen, Deutschland gegen die Dänen zu schützen, und im Süden war so wenig zu schützen, daß die Grenzwächter, die Schweizer, sich sogar selbst von Deutschland losreißen konnten! Doch ich gerate auf allerhand Allotria - lassen Sie sich dies Gerede wenigstens zum Beweis dienen, wie anregend Ihre Arbeit auf mich wirkt. Nochmals herzlichen Dank und Gruß von Ihrem F. Engels
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Engels an Rudolph Meyer in Prühonice bei Prag[M1]
London, 19. Juli 1893
Lieber Herr Meyer, Das ist ja ganz interessant, daß die Herren Konservativen glauben (wünschen), Caprivi möge die Sozialdemokratie vernichten. Er soll's nur versuchen.111421 Ein neues Sozialistengesetz'1431 kann nur die Partei in demselben Maße verstärken, wie es Einzelexistenzen vernichtet; wer mit Bismarck fertig geworden, braucht vor dem Nachfolger keine Furcht zu haben. Das allgemeine Stimmrecht beseitigen oder fälschen? Da kommt das alte Orakel wieder auf: „Krösus, wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören!" Wenn Caprivi das allgemeine Stimmrecht vernichtet, so wird er ein großes Reich zerstören, nämlich das der Hohenzollern. Also in Bebels „Frau" finden Sie seine Verstöße gegen die Theorie und Praxis der Landwirtschaft.11441 Nun ist es kaum möglich, eine Kritik der verschwenderischen und überhaupt unhaushälterischen heutigen Wirtschaft in Ackerbau und Industrie zu geben, nebst Winken, wie bei der sich aus den ökonomischen Bedingungen von selbst ergebenden Gesellschaftsordnung das anders und besser gemacht und gleichzeitig bei beschränkter Arbeitszeit jedes einzelnen doch bedeutend mehr Produkt geliefert werden könnte - alles das, sage ich, ist kaum möglich, ohne Leuten, die mit dieser oder jener Branche praktisch vertraut sind, Blößen darzubieten. So hat Bebel sich offenbar schlecht ausgedrückt oder aber seine Autorität mißverstanden, wenn er meint, durch volle Ausnützung des Proteingehalts im Kleber könne der Ertrag eines Kornfeldes verdreifacht werden und mehr. Davon kann keine Rede sein. Solche kleine Unrichtigkeiten könnte ich Ihnen da noch ein ganzes Dutzend anführen; das ändert aber an der Hauptsache nichts. Ebenso mit dem Fleischtransporte aus überseeischen Gegenden. Bis jetzt ist noch genug da, um in dieser oder jener Gestalt nach Europa geführt zu werden; aber bei steigender Nachfrage und bei steigender Verwandlung - auch dort - von Viehweiden in Ackerland muß dies bald sein Maximum
erreichen und abnehmen. Ob das ein paar Jahrzehnte länger oder kürzer dauert, ist ziemlich einerlei. Der Haupteinwurf aber, den Sie erheben, ist der, daß Landarbeit nicht von Industriearbeitern getan werden könne, und daß Verkürzung des Arbeitstages auf ein für das ganze Jahr gleichförmiges Maß im Ackerbau nicht möglich ist. Da aber haben Sie den Drechsler Bebel mißverstanden. Was die Arbeitszeit angeht, so hindert uns nichts, zur Saat- und Erntezeit und jedesmal, wo rascher Zuschuß von Arbeitskraft nötig ist, soviel Arbeiter anzusetzen, wie erforderlich sind. Ist der Arbeitstag achtstündig, so kann man zwei, selbst drei Schichten per Tag ansetzen; selbst wenn jeder nur zwei Stunden täglich arbeiten sollte - an dieser Spezialarbeit -, so können 8,9, 10 Schichten nacheinander angesetzt werden, sobald wir Leute genug haben, die für solche Arbeit eingeschult sind. Und das und nichts anderes ist es, was Bebel sagt. Auch in der Industrie wird man doch nicht so borniert sein, bei zweistündiger Arbeit, die, sage, auf Spinnereien verwandt wird, nun die Zahl der Spindeln so vermehren zu lassen, daß der Bedarf bei zweistündiger Arbeit jeder Spindel befriedigt wird. Sondern man wird die Spindeln 10-12 Stunden arbeiten lassen, die Arbeit aber nur zwei, und nach je zwei Stunden eine neue Schicht ansetzen. Was nun Ihren Einwand gegen die armen Städter angeht, die lebenslang für die Landarbeit verdorben sind, so mag ja das ganz recht sein. Ich will meine Unfähigkeit zum Pflügen, Säen, Mähen und selbst Kartoffelausnehmen gerne zugeben, aber glücklicherweise haben wir ja in Deutschland eine so kolossale Landbevölkerung, daß bei rationellem Betriebe wir schon ohne weiters die Arbeitszeit eines jeden sehr stark herabsetzen und doch noch Überzählige behalten würden. Verwandeln Sie ganz Deutschland in Betriebe von 2000-3000 Morgen - mehr oder weniger, je nach den Naturbedingungen -, führen Sie Maschinenbetrieb und alle modernen Verbesserungen ein: haben wir dann nicht gelernte Arbeiter unter der Bauernbevölkerung mehr als genug? Nun aber reicht ja die Ackerbauarbeit nicht hin, diese Bevölkerung das ganze Jahr zu beschäftigen. Lange Zeit würden große Massen auf der Bärenhaut liegen, wenn wir sie nicht in der Industrie beschäftigten. Und ebenso würden unsere Industriearbeiter körperlich verkümmern, wenn ihnen nicht Gelegenheit zur Arbeit in freier Luft und besonders im Landbaue gegeben würde. Nun gut, die jetzige erwachsene Generation mag dazu nicht taugen. Aber die Jugend kann dazu angelernt werden. Gehen die Jungen und Mädeln einige Jahre hintereinander den Sommer, wo was zu tun ist, aufs Land - wieviel Semester müssen sie denn büffeln, bis sie im Pflügen, Ernten etc. promovieren können? Das
werden Sie doch nicht behaupten wollen, daß man sein Leben lang nichts anderes treiben darf, daß man sich so dumm arbeiten muß wie unsere Bauern, bis man was Brauchbares von der Landwirtschaft gelernt hat? Und das und nichts anderes ist es, was ich in Bebels Buch lese: „daß die Produktion selbst, ebenso wie die Ausbildung, geistige und körperliche der Menschen, erst dann auf die höchste Stufe entwickelt werden kann, wenn die alte Teilung der Arbeit von Stadt und Land, Ackerbau und Industrie beseitigt ist". Was nun die Frage der Rentabilität von Latifundien gegen Kleinbetrieb angeht, so löst sie sich einfach dahin, nach meiner Ansicht, daß der Latifundienbetrieb auf die Dauer den Kleinbetrieb und dieser wieder ebenso sehr und ebenso notwendig jenen erzeugt. Gerade wie die ungefesselte Konkurrenz das Monopol hervorruft und dieses wieder jene. Dieser Kreislauf ist aber unvermeidlich mit Krisen, akuten wie chronischen Leiden und dem periodisch wiederkehrenden Ruin ganzer Volksschichten verbunden und ebenso mit einer kolossalen Verschwendung von Produktionsmitteln und Produkten; und da wir jetzt glücklicherweise soweit sind, die Herren Latifundienbesitzer und nicht minder die bäuerlichen Eigentümer entbehren zu können, und auch die Ackerbauproduktion nicht minder als die Industrie auf einer Entwicklungsstufe angelangt ist, die nach unserer Ansicht die Übernahme durch die Gesellschaft en bloc nicht nur zuläßt, sondern fordert, so haben wir den Circulus vitiosus zu durchhauen. Dazu sind uns Latifundien und große Rittergüter ebensosehr eine bessere Handhabe als Kleinbauerngüter, wie in der Industrie große Fabriken sich dazu leichter eignen als kleine Handwerksbetriebe. Und dies reflektiert sich politisch dahin, daß die Landproletarier der großen Güter Sozialdemokraten werden, ganz wie die städtischen Proletarier, sobald diese letzteren ihnen erst auf den Pelz steigen können, während der verkrachende Bauer und städtische Handwerker zur Sozialdemokratie erst kommtauf dem Umwege des Antisemitismus.11221 Daß der aus dem Feudalismus hervorgewachsene Rittergutsbesitzer - Lord oder Squire - je lernt, als Bourgeois zu wirtschaften, und wie dieser es für seine erste Pflicht ansehen kann, unter allen Umständen jährlich einen Teil des ergatterten Mehrwertes zu kapitalisieren - das widerspricht aller Erfahrung in allen exfeudalen Ländern. Daß die Herren, durch Not gezwungen, sich manches abzwacken müssen, was zur standesgemäßen Lebensweise gehört, das glaube ich Ihnen gern; aber daß sie je lernen to live within their incomes and lay beyond something for a rainy day1, das
in den Grenzen ihres Einkommens zu leben und etwas für schlechte Zeiten zurückzulegen
muß ich erst selbst erleben, das ist noch nie passiert, höchstens bei Ausnahmen, sicher nicht bei der Klasse als solcher. Die Leute leben ja seit 200 Jahren nur von der Staatshilfe, die sie ja über jede Krisis hinübergeschleppt hat ... Ihr Friedrich Engels
Nach: „Monatsschrift für Christliche Social-Reform", Wien-Leipzig 1897, Heft 3.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 20. Juli 1893
Mein liebes Lohr, D'abord1 Dank für die Übersetzung des BChronicle"-Interviews, obgleich es kaum der Mühe wert war.11461 Und dann eine Frage: Vor einiger Zeit sandte mir Bonnier einen Brief von einem Diamandi (Rumäne), der mich bittet, für seine neue Revue2 zu schreiben, und mitteilte, daß sie, meine Genehmigung voraussetzend, für die l.Nr., die sie mir schicken würden, das Kapitel über Barbarei und Zivilisation übersetzt hätten. Ich wartete, bekam aber nichts. Dann schrieb ich vor einigen Tagen11351, daß ich die Revue nicht erhalten, aber sowieso keine Zeit hätte, für ihn zu schreiben. Darauf schickten sie mir einen Separatabdruck3 dieses Kapitels und teilten auf dem Umschlag mit, daß sie beabsichtigten, das Ganze zuerst in der Revue und dann in Buchform zu veröffentlichen.11461 Aber die Revue schickten sie nicht mir, sondern Tussy. Von ihr bekam ich sie heute nachmittag und sehe, daß ich als regelmäßiger Mitarbeiter zusammen mit Kautsky, Paul und anderen aufgeführt bin, die wahrscheinlich ebensowenig gefragt worden sind wie ich -, daß jedoch Artikel von Guesde und Paul in Aussicht gestellt werden und Pauls Essay über Möhrs Materialismus zum Teil abgedruckt ist. - Die Übersetzung meines Kapitels scheint von Roy zu sein. Alles das, mit Leo Frankel als administrateur, öffnet vor meinen entsetzten Augen eine derartige Perspektive von Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, daß ich mich, bevor ich weitere Schritte in dieser Angelegenheit unternehme, erst bei Dir informieren und Deinen Rat einholen muß. Paris ist unberechenbar4, aber Paris double de5 Bukarest wird zum Geheimnis in dritter Potenz, das soll einer verstehen. Was für merkwürdige Leute sind das doch in der französischen Regierung und im Parlament! Die Panama-Affäre'61 löst nur ein Aufzischen
1 Zunächst einmal - 2 „L'Ere nouvelle" - 3 in der Handschrift deutsch: Separatabdruck - 4 in der Handschrift deutsch: unberechenbar - 5 multipliziert mit
statt einer Explosion aus, der coup d'6tat6 gegen die Bourse du Travail11471 läßt die Arbeiter blases7 und geht unbeachtet vorüber, aber der siamesische Humbug ruft bei denselben parlamentarischen Patrioten einen Sturm der Begeisterung für die kolonialen Eroberungen hervor - denselben Leuten, die vor einigen Jahren Ferry, „den Tonkinois8", beinahe getötet hätten, weil er versuchte, sie in eben diese Richtung zu dirigieren!11481 Wahrhaftig, die Bourgeoisie hat sich überall selbst überlebt. Morgen fahren Louise und ich für eine Woche nach Eastbourne (Adresse wie früher: 28, Marine Parade), da ich das Bedürfnis habe, erst wieder ein wenig zu Kräften zu kommen, ehe ich meine Reise nach Deutschland1901 unternehme. Die Enttäuschung voriges Jahr hat mich vorsichtig gemacht; ich möchte nicht wieder sechs Wochen in einem Lehnstuhl lahmgelegt sein. Wir reisen Freitag, 28.Juli, aus Eastbourne ab und am I.August aus London, um nach dem Kontinent zu fahren und uns in Köln mit Bebel und Frau zu treffen, dann geht's weiter via Straßburg in die Schweiz, wo ich meinen Bruder9 wiedersehen werde; ich nehme an, daß ich am letzten Tage des Kongresses, am 12. oder 13. August, in Zürich bin. Von dort gehe ich mit Bebel nach Wien und Berlin. Werdet Ihr, Paul und Du, in Zürich sein?11491 Die Schweizer erhielten Briefe von anderen Pariser Organisationen, daß die Wahlen sehr wahrscheinlich, trotz aller Zeitungsmeldungen, nicht im August stattfinden werden, sondern erst im September182'; dies und die englischen Einwände waren entscheidend für den Beschluß, den Kongreß nicht zu verschieben11361. Postschluß - 9 Uhr, obgleich Dich dieser Brief vielleicht nicht vor Samstag früh erreichen wird! Herzliche Grüße von Louise und Deinem stets dankbaren „Übersetzten" F. Engels
Aus dem Englischen.
6 Staatsstreich - 7 kalt -8 Tongkinesen - 8 Hermann Engels
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Engels an Filippo Turati in Mailand11501
London, den 20. Juli 1893
Lieber Bürger Turati, Ich beeile mich, Ihren Brief vom 17. zu beantworten, den ich gestern abend erhielt. Frau Marx-Aveling ist Marx* Testamentsvollstreckerin - mit der Verwaltung des literarischen Nachlasses bin ich betraut. Weder sie noch ich haben jemals von einer Turiner Unione tipografica-editrice sprechen hören, geschweige denn dieser Gesellschaft „das Eigentumsrecht an den Werken von Marx" verkauft, das uns (glücklicherweise) bis zum heutigen Tage voll und ganz zusteht. Niemals ist ein soldo von dem Gelde dieser Unione in unsere Hände gelangt.11511 Dieses Eigentumsrecht erstreckt sich, was den I.Band des „Kapitals" angeht, auf die deutsche und die französische Ausgabe. Nach den international gültigen Verträgen steht es heutzutage jedermann frei, irgendwelche Übersetzungen davon zu machen; wir können uns dem nicht widersetzen. Wenn man uns um eine Genehmigung bittet, so geschieht dies ganz freiwillig. Daß die Unione irgendeinen Vertrag mit dem Herausgeber der französischen Ausgabe, Herrn Lachatre, abgeschlossen hat, ist nicht unbedingt ausgeschlossen, wenn auch wenig wahrscheinlich, ich weiß nichts davon. Aber nehmen wir an, daß es so sei: Herr Lachatre konnte nur verkaufen, was er besaß, und das war im günstigsten Fall die französische Ausgabe. Die Unione könnte sich demnach nur einer italienischen Übersetzung widersetzen, die nach dem französischen Text gemacht worden ist. Aber das Buch von Deville ist veröffentlicht worden und wird in Frankreich ungehindert vertrieben. Wenn in Frankreich niemand versucht hat, gegen das Buch als Nachdruck gerichtlich vorzugehen, wird man in diesem Fall noch weniger etwas Derartiges versuchen können. Der Einwand ist also lächerlich, es sei denn, Sie haben in Italien eine ganz aus der Reihe fallende Gesetzgebung. Da jedoch der Code Napoleon
fast in ganz Westeuropa der bürgerlichen Gesetzgebung als Grundlage gedient hat, glaube ich nicht, daß ich mich in dieser Hinsicht irre. Am amüsantesten ist die Dreistigkeit dieser Herren: wir haben von den Erben das Eigentumsrecht usw. gekauft. Augenscheinlich ist ihnen das in anderen Fällen geglückt. Wegen Zürich bleibt es bei dem, was ich Ihnen letztens geschrieben habe1; hoffen wir das Beste! Grüße an Frau Anna und an Sie von Frau Kautsky und Ihrem sehr ergebenen F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin
Eastbourne, 27. Juli 1893
Lieber Liebknecht, Übermorgen, d.h. am 30. ds., ist Deine und Deiner Frau silberne Hochzeit, und da komme ich, Euch beiden meine herzlichsten Glückwünsche zu diesem Freudenfest darzubringen. Möge es Euch in vollem Wohlsein und ungetrübter Heiterkeit treffen und möge es Euch beschieden sein, auch die übrigen 25 Jährchen bis zur goldnen Hochzeit fröhlich und gesund zu durchleben. Wenn einem von uns alten Kriegskameraden so ein festliches Ereignis passiert, so denkt man dabei auch an die alten Zeiten zurück, an die eilten Kämpfe und Stürme, die Niederlagen im Anfang und die Siege zuletzt, die man zusammen durchgemacht hat, und freut sich, daß es uns auf unsre alten Tage beschieden ist, nicht mehr auf derselben Bresche zu stehn - wir sind ja längst von der Verteidigung zum allgemeinen Angriff übergegangen -, sondern in derselben Schlachtlinie gemeinsam voranzumarschieren. Ja, Alter, wir haben manchen Sturm zusammen erlebt und erleben hoffentlich noch mehr als einen, und wenn's gut geht, auch den, der uns den Sieg zwar nicht endgültig bringt, aber doch endgültig sichert. Den Kopf können wir ja glücklicherweise beide noch oben halten, rüstig für unser Alter sind wir ja beide auch, also warum sollt's nicht gelingen? Bebel wird Dir und Deiner Frau in unserm - Louise Kautskys und meinem - Namen ein kleines Andenken zu Eurem Fest überreichen, das Ihr freundlich entgegennehmen und unsrer gedenken wollt. Herzliche Grüße und Glückwünsche von Eurem F. Engels
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Engels an Natalie Liebknecht in Berlin
Eastbourne, 27. Juli 1893
Liebe Frau Liebknecht, Mit großer Freude habe ich das Bild von dem Hause im Bruch erhalten, worin ich geboren wurde und meine Kindheit verbrachte.'1521 Die Photographie ist sehr gut und zeigt jedes der Details, an welche sich so viele Erinnerungen knüpfen. Es war sehr nett von Liebknecht, die Aufnahme machen zu lassen, bitte sagen Sie ihm meinen besten Dank dafür. Wenn nicht alle Stricke reißen, komme ich im September auf ein paar Tage nach Berlin und werde dann die Freude haben, Sie alle dort zu begrüßen. Um mich für die lange Reise1901 etwas zu stärken, bin ich auf einige Tage hieher an die See gegangen11531, es ist Frau Kautsky und mir ganz ausgezeichnet bekommen, morgen gehn wir wieder zurück. Daß man Ihrem Karl solche Schikanen macht, ist eben preußisch, man verzeiht ihm bürokratischerseits nun einmal seinen Vater nicht.'1541 Und nun noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer silbernen Hochzeit und herzliche Grüße an Sie und Ihre Söhne. Ganz der Ihrige F. Engels
[Nackschrift von Louise Kautsky]
Wir werden Sonntag in Gesellschaft von Avelings und andern Freunden 68 Port auf Ihr Wohl leeren. Herzliches Prosit!! von Ihrer Louise Kautsky
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Engels an Ludwig Schorlemmer in Darmstadt
London, 3I.Juli 93
Mein lieber Schorlemmer, Ich will nicht meine morgen beginnende Reise nach dem Kontinent antreten1-901, ohne Ihnen einige Zeilen auf Ihren Brief vom 27. zu antworten. Leider werde ich keine Zeit haben, Sie in Darmstadt zu sehn, da ich gleich durch nach der Schweiz und Ostreich reise. Von Siebold nichts Bestimmtes, er ist auch nach der Schweiz in ein Alpenklima geschickt worden und kommt so bald nicht zurück. Vor meiner Rückreise wird da nichts zu machen sein.11041 Das ist alles, ich muß schließen, heute von 10 bis 4 Uhr Besuch gehabt, habe nicht 5 Minuten für mich verwenden können. Viele Grüße an Sie und Ihre Familie. Ihr F. Engels
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Engels an Hermann Engels in Thusis (Graubünden)
Hottingen-Zürich, Merkurstraße 6 Lieber Hermann, 16. Aug. 93 Seit gestern bei Anna Beust eingezogen, komme ich endlich so weit aus dem Trubel heraus, daß ich Dir schreiben kann.[90] Ich hatte eine ganz nette Fahrt, erst staubte es recht erfreulich, dann regnete es grade genug, um den Staub in den Kleidern festzusetzen. In Zürich brachte man mich ins Hotel Baur en ville, wo ich sehr gut untergebracht, aber nie zu Hause war, dann endlich Samstag abend war das Schwerste überstanden, und es entwickelte sich allmählich eine maßvolle Kneiperei (das Maßvoll nicht in zwei Worten: Maß voll zu lesen, es gab nur halbe Liter) in Anknüpfung an Wasserpartien auf dem See. Der Elsbeth1 sage, daß die Leute hier auch schon entdeckt haben, was für ein Talent zum Brummen ich habe. Bebel schrieb neulich auf einer Postkarte, ich hätte den ganzen Abend nichts getan als vor Vergnügen geknurrt. Zürich hat sich sehr herausgemacht und übertrifft selbst Barmen. Dort war früher jedes dritte Haus „Wirtschaft"; hier aber sind in je zwei Häusern drei Wirtschaften. Beusts wohnen sehr nett mit wunderbarer Aussicht von einem Riesenbalkon, worauf man Bälle geben könnte. Anna Beust hat sich famos gehalten, ist eine der schönsten alten Frauen, die es gibt, dabei leb-' haft und witzig, gescheit, energisch, resolut, es ist ein Vergnügen, bei ihr zu sein. Ihr Sohn Fritz führt die Schule, der andre, Adolf, hat eine recht gute medizinische Praxis, beide haben nette Frauen und je zwei lebhafte lärmende Jungens. Adolf wohnt im Hause, Fritz hat sich ein Haus dicht nebenan gebaut. Nächste Woche werde ich wohl mit Bebel etwas ins Gebirg gehn, doch komme ich in ca. 8 Tagen wieder, gegen den 3.- 4.-5. Sept. reisen wir dann nach München und Wien. Auf dem Kongreß11201 waren drei bis vier Russinnen mit wunderschönen Augen, ungefähr wie Deine Schwägerin Berta2 sie hatte, als ich sie
1 Elsbeth Engels - 2 Berta Croon
Friedrich Engels während des Züricher Kongresses der IL Internationale (August 1893}
l. n. r.; Ferdinand Simon, August Bebels Tochter Frieda Simon, Clara Zetkin. Friedrich Engels.
Julie und August Bebel, Ernst Schattner. Regina und Eduard Bernstein)

in Altenahr vor Jahren sah. Aber mein eigentliches Schatzerl war doch ein allerliebstes Wiener Fabrikmädel3, reizend von Angesicht und liebenswürdig von Manieren, wie man's selten findet. Ich werde es dem Bismarck nie verzeihen, daß er Österreich aus Deutschland ausgeschlossen hat, schon der Wienerinnen wegen. Hotel Bellevue, höre ich hier, soll keins der besten sein. Hoffentlich habt Ihr's doch gut getroffen. Laß mich mal wissen, wie's Euch gegangen ist. Mit herzlichen Grüßen an Emma4, Elsbeth, Walter6 und Dich selbst, Dein altes „Unkraut vergeht nicht". Friedrich
Ihr könntet übrigens Anna Beust auch mal besuchen, seit Jahren sieht und hört sie nichts von Euch.
8 Adelheid Dworak - 4 Emma Engels - 6 Walter Engels
8 Marx/Engels, Werke. Bd. 39
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
Merkurstr. 6, Zürich-Hottingen 21. August 1893
Mein liebes Lohr, Ich bin seit einigen Wochen in der Schweiz.'901 Louise, Dr. Freyberger und ich sind am l.Aug. via Hoek van Holland abgereist, trafen Bebel und seine Frau in Köln, verbrachten eine Nacht in Mainz, die nächste in Straßburg, die dritte in Zürich. Von dort ging ich nach Thusis in Graubünden, wo ich mich mit meinem Bruder1 und seiner Familie traf und eine Woche blieb und kehrte gerade noch rechtzeitig nach Zürich zum Schluß des Kongresses11201 zurück, und jetzt bin ich hier bei meiner Cousine Frau Beust. Wir sind ganz ungewiß, wie die gestrigen Wahlen1521 ausgegangen sind, und werden es bis heute nachmittag bleiben, da in Zürich am Montag morgens keine Zeitungen erscheinen. So muß alles, was dazu zu sagen wäre, bis zum Schluß dieses Briefes aufgeschoben werden. Deutschland fand ich völlig verändert. Rauchende Dampfschlote im ganzen Land, doch dort, wo ich vorbeifuhr, waren sie, verteilt über einen schmalen Landstrich, nicht in so großer Zahl, daß sie durch ihren Rauch belästigt hätten. Köln und Mainz sind verwandelt. Die Altstadt ist noch dort, wo sie war, aber ringsherum oder daneben ist eine größere, modernere Stadt entstanden mit prachtvollen, nach einem gut angelegten Plan errichteten Gebäuden und mit großen Industrieunternehmen in besonderen Vierteln, damit sie den Anblick und die Ruhe der übrigen Stadt nicht beeinträchtigen. Am meisten hat sich Köln entwickelt, dessen Einwohnerzahl sich beinahe verdreifacht hat - der Ring ist eine Prachtstraße, in ganz England gibt es nicht ihresgleichen. Mainz wächst, aber langsamer. In Straßburg sieht man zu deutlich die Trennung zwischen der Altstadt und dem neuen Bezirk aus Universitäts- und Regierungsgebäuden, ein äußeres Anhängsel, aber kein natürliches Wachstum.
Paul wird sicher sehr begierig sein, etwas über das Elsaß zu erfahren. Nun, die Franzosen können zufrieden sein. In Straßburg hörte ich zu meinem Erstaunen nur deutsch sprechen. Einmal nur sprachen zwei an mir vorübergehende junge Mädchen, Jüdinnen, französisch. Aber das täuscht sehr. Ein sehr intelligenter junger Sozialist, der dort wohnt, hat mir gesagt, daß die Leute, sobald man aus den Stadtmauern herauskommt, geflissentlich nur französisch sprechen. Auch in Mülhausen, so meinte er, sprechen l/s der Bevölkerung französisch, und zwar nicht nur Arbeiter, sondern auch andere. Vor der Annexion war dies jedoch nicht der Fall. Seitdem es den Eisenbahnverkehr gibt, begann man auch in den ländlichen Bezirken französisch zu sprechen; aber auch jetzt ist das Französisch, das man dort spricht, größtenteils ihr eigenes Produkt. Auf jeden Fall aber ist es Französisch und das zeigt, was das Volk will. Als die Annexion erfolgte, sagte ich einmal zu Mohr: die Folge all dieser Wiederverdeutschungsversuche wird sein, daß man im Elsaß mehr französisch sprechen wird als je zuvor. Und so ist es gekommen. Der Bauer und der Arbeiter hielten an ihrem deutschen Dialekt fest, solange sie Franzosen waren; jetzt tun sie alles, um ihn abzuschütteln und sprechen französisch. Solche ausgesprochenen Esel wie diese Preußen hat man noch nie gesehen. Sie schmeichelten dem Adel und der Bourgeoisie, die - und das hätten sie eigentlich wissen müssen - hoffnungslos französiert waren, und stießen die Arbeiter und Bauern vor den Kopf, die, zumindest in der Sprache, Spuren der deutschen Nationalität bewahrt hatten. Das Land ist unter die Diktatur von Bürgermeistern, Gendarmen und Steuereinnehmern gestellt, die, von der Zentralregierung eingesetzt und zum größten Teil von außerhalb importiert, tun, was sie wollen, und unter sich bleiben, vom Volke getrennt und verachtet. All die alten despotischen Gesetze des französischen Zweiten Kaiserreichs werden skrupellos beibehalten und angewandt und bisweilen sogar noch durch aus der Zeit des ancien regime stammende alte Verordnungen verschärft, die von weisen Beamtenseelen aus der Schublade hervorgeholt wurden, und die entdeckt haben, daß die Revolution es vergessen hat, sie ausdrücklich für aufgehoben zu erklären. Außerdem werden alle den preußischen Beamten eigenen Schikanen importiert und aufgefrischt. Die Folgen sind sonnenklar. Als ich meinen Freund fragte: Heißt das also, daß die Franzosen, wenn sie aus diesem oder jenem Grunde zurückkämen, von neun Zehnteln des Volkes mit offenen Armen empfangen würden?, antwortete er mir, daß es so wäre. In Straßburg hält sich die alte Bourgeoisie ganz für sich und vermischt sich in keiner Weise mit den Eindringlingen. Bei der übrigen Bevölkerung
ist Bebel sehr populär; wo immer er erkannt wurde, kamen sie an die Lädentüren und begrüßten ihn. Du kannst gewiß sein, daß er die Lage der Dinge im Elsaß vor den Reichstag bringen wird, und zwar ganz anders als diese protestierenden Esel, die sich, wie es scheint, über jede neue Unterdrückungsmaßnahme freuen, aus Angst, das Volk könnte sich mit dem neuen Regime aussöhnen, und die infolgedessen fast ihren ganzen Einfluß auf die Bevölkerung verloren haben. In diesem wie in jedem anderen Fall wird sich herausstellen, daß unsere Partei die einzige ist, die das tun kann und will, was wirklich notwendig ist. (Soeben Telegramm aus Roubaix, an Greulich adressiert, daß Guesde gewählt ist. Hurra! Hoffe heute nachmittag zu erfahren, daß Paul gesiegt hat11551.) Was den Kongreß betrifft, so war es bedauerlich, daß unsere Leute nicht wenigstens 5-6 Mann dort hatten.11561 Eins ist erreicht worden: Blanquisten[72] und Allemanisten1711 haben sich unsterblich blamiert und lächerlich gemacht devant le monde söcialiste2. Aber jetzt fällt das auf den französischen Sozialismus insgesamt zurück; die anderen sprechen jetzt einfach von „den Franzosen", und das ist wirklich sehr bedauerlich. Wäre dort wenigstens eine kleine Minderheit von Marxisten gewesen, so wäre das nicht passiert. Aber wenn Du jetzt feststellst, daß man in den sozialistischen Zeitungen Englands und des Kontinents die französischen Sozialisten wie eine Sippschaft behandelt, die alle Augenblicke ihre Meinung ändert und mit Applaus dem größten Unsinn zustimmt, wenn sie glauben, „les allemands"3 dadurch reizen zu können, so brauchst Du Dich nicht zu wundern. Ich habe gehört, wie Schweizer Sozialisten erklärten (und die Schweizer Deutschen haben sehr starke Sympathien für die Franzosen), jetzt wäre es offensichtlich, daß der Chauvinismus aus den Franzosen nicht herauszukriegen sei. Und ich mußte ihnen erzählen, was für Dinge ich in französisch in Eurem Almanach ohne irgendwelche schlimmen Folgen sagen konnte4, Dinge, die für jeden Chauvinisten mehr als bitter sind. Du siehst also, daß das Fiasko dieser Schreihälse auf ganz Frankreich zurückfällt, auch auf unsere Leute. Und Jaclard mit seinen bissigen Artikeln in „La Justice" macht die Sache nur noch schlimmer. Nun, ich hoffe, die Wahlen werden uns in die Lage versetzen, ganz Europa zu zeigen, daß Jaclard und Allemane ne sont pas la France5. Und doch glaube ich, daß Jaclard in sehr vielen Fällen mit Bonnier und der verschwindend kleinen Minderheit gestimmt hat.
2 vor der sozialistischen Welt - 3 „die Deutschen" - 4 Friedrich Engels: „Der Sozialismus in Deutschland" - 5 nicht Frankreich sind
Die Frauen waren ausgezeichnet vertreten. Außer Louise sandte Österreich die kleine Dworak, ein in jeder Hinsicht charmantes junges Mädchen; ich habe mich ganz und gar in sie verliebt, und wann immer Labriola6 mir eine Chance gab, entfloh ich mit ihr dem Wirrwarr seiner schwerfälligen Konversation. Diese Viennoises sont des Parisiennes nees, mais des Parisiennes d'il y a 50 ans7. Richtige Grisetten. Und die russischen Frauen! Es waren vier oder fünf da, mit wunderschönen leuchtenden Augen8, und außerdem auch Vera Sassulitsch und Anna Kulischowa. Dann Clara Zetkin mit ihrer ungeheuren Schaffenskraft und ihrer leicht hysterischen Begeisterung, aber ich habe sie sehr gern. Sie hat den Glärnisch erstiegen, einen Berg voller Gletscher, das ist eine sehr große Anstrengung für eine Frau ihrer Konstitution. Kurzum, ich hatte das glückliche Los, aus den Armen der einen in die Arme der anderen zu fliegen usw.; Bebel wurde ganz eifersüchtig - er, der Mann der „Frau"[157J, dachte, er allein hätte ein Recht auf ihre Küsse! Nun lasse ich noch etwas Platz für die Neuigkeiten dieses Nachmittags. Die Jungen von Beusts lassen sich empfehlen. Louise ist in Österreich, Bebel und Bernstein sind noch hier. Um den 4.Sept. fahren Bebel und ich nach Wien; bis dahin erreichst Du mich unter obiger Adresse. Viel Glück für Paul! Immer Dein alter General
4 Uhr nachmittags. Nachricht, daß Paul en ballotage9, - bitte laß mich wissen, welche Chancen er hat11581 -, daß Ferroul geschlagen ist und Jourde in der Stichwahl. Einige Zeilen über die allgemeinen Ergebnisse würden sehr willkommen sein, da die bürgerlichen Blätter nicht glaubwürdig sind.
Aus dem Englischen.
6 Antonio Labriola - 7 Wienerinnen sind geborene Pariserinnen, aber Pariserinnen von vor 50 Jahren - 8 in der Handschrift deutsch: leuchtende Augen - 8 in der Stichwahl
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
Zürich, 3I.Aug. 1893
Mein liebes Lohr, Dank für Deinen Brief und die Zeitungen, die gestern ankamen. Ich bin mit August und St. Mendelson 6 Tage im Berner Oberland gewesen schönes Wetter und herrliche Landschaft.1901 Die Jungfrau hatte für uns ein besonders sauberes, weißes Nachtgewand angelegt. Die Jungfrau, der Mont Blanc und der Monte Rosa sind die drei schönsten Massive der ganzen Alpen. Gestern waren wir auf dem Ütliberg, einem Hügel in der Nähe von Zürich, von dem man, wenn auch nur von ferne, eine schöne Aussicht auf die schneebedeckte Bergkette hat. Als der alte Thiers, nach 1870, hier mit seiner Garde war, hat er ihr sofort alles erklärt; auf den Glärnisch zeigend (genau südöstlich vom Ütli) sagte er, dies sei der Mont Blanc. Der Besitzer des Hotels auf dem Berggipfel, ein ausgezeichneter Kenner der ganzen Gebirgskette, wagte zu verstehen zu geben, daß dies der Glärnisch sei, daß der Mont Blanc in ganz entgegengesetzter Richtung liege und von diesem Punkt aus überhaupt nicht zu sehen sei. Aber das Männlein versetzte: Monsieur, je suis Adolphe Thiers, et je dois savoir cela! C'est bien la le Mont Blanc!1 Ich freue mich, daß Du das Wahlergebnis vom 20. als einen Sieg ansiehst.1521 Hoffen wir, daß dies am nächsten Sonntag durch die Wahl Pauls und Delcluzes sowie einiger anderer bestätigt wird. Sonst fürchte ich, wird unsere Partei im Palais Bourbon1981 nicht die Rolle spielen können, die sie, wie ich und viele andere es wünschen, spielen sollte. Wenn wir 8-10 Mann dort haben, werden sie einen Kern bilden, der stark genug ist, die Blanquisten'721, Possibilisten1531 und unabhängigen Sozialisten zu zwingen, sich um sie zu scharen und so eine einheitliche Gruppe vorzubereiten. Wenn wir aber nur 3 oder 4 sind, wird jede der anderen Fraktionen etwa ebenso stark sein, und eine Einigung nicht nur sehr viel schwieriger werden, sondern
1 Mein Herr, ich bin Adolphe Thiers, und ich muß es wissen! Das dort ist der Mont Blanc!
auch mehr den Charakter eines Kompromisses annehmen. Deshalb hoffe ich, daß wir in voller Stärke in das Palais Bourbon einziehen können. Ich hoffe, daß der „Socialiste" Guesdes Brief an seine Wähler nicht bringen wird.11591 Was man auch darüber in Frankreich denken mag, jenseits der Grenzen würde es einfach grotesk klingen. Seine Wahl als eine Revolution zu erklären, durch die der Sozialismus im Palais Bourbon fait son entree2 und durch die eine neue Ära für die Welt im allgemeinen anbricht, ist für gewöhnliche Sterbliche wirklich etwas zu stark. Ich füge einen deutschen Fünfmarkschein bei, damit Du uns das Ergebnis der Wahlen vom nächsten Sonntag telegraphieren kannst. August und ich fahren von hier Montag morgen nach München ab und werden den ganzen Dienstag dort bleiben. Wir nehmen an, daß Du alle Ergebnisse, soweit für uns interessant, am Montag abend oder spätestens Dienstag früh haben wirst. Bitte telegraphiere, sobald Du kannst, aber nicht später als Dienstag nachmittag, die Namen miserer Leute und die Orte, als deren Vertreter sie gewählt worden sind, und wenn das Geld reicht, jede weitere interessante Information. Das Telegramm muß in deutscher Sprache adressiert werden an: Bebel, Hotel Deutscher Kaiser, München; aber es wäre vielleicht besser, den übrigen Text französisch abzufassen, damit eine korrekte Übermittlung von französischer Seite aus gewährleistet ist. Dienstagabend oder Mittwoch fahren wir weiter nach Salzburg, von dort nach Wien, wo wir einige Tage bleiben, und dann nach Berlin. Wenn Du so freundlich wärst, weitere Informationen brieflich nach Wien zu schicken (wo sie für die „Arbeiter-Zeitung" verwendet werden können), so adressiere bitte an Frau L. Kautsky, Hirschengasse 46, Qberdöbling, Wien, Österreich (ein zweiter Briefumschlag erübrigt sich, da sie weiß, daß es für mich ist). Und nun viel Glück für alle unsere Kandidaten und besonders für Paul! Ich habe wenig Vertrauen zu den Versprechungen von Opportunisten1201, aber ich hoffe, daß sie sich in seinem Fall ausnahmsweise einmal als wahr erweisen möchten.11581 Welchen Nutzen hat uns das Bündnis Millerand-Jaures[691 in dieser Kampagne gebracht? Ich bin hier völlig außerstande, das zu beurteilen. Herzliche Grüße _ . von Uemem F.E. Aus dem Englischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
Berlin W., den 18. Sept. 1893 Großgörschen-Straße 22a11601
Mein liebes Lohr, Enfin!1 Samstagabend hier angekommen, nach 6 Tagen in Wien und 1 in Prag1901 (wo wir Deinen alten Verehrer Rudolph Meyer trafen). Wien ist eine außerordentlich schöne Stadt mit seinem prachtvollen Boulevard (Ringstraße), und der riesige Platz zwischen Rathaus und dem gegenüberliegenden neuen Burgtheater, mit dem Parlament zur Rechten und der Universität zur Linken, hat in der Welt nicht seinesgleichen. Aber Wien ist zu groß für seine Bevölkerung, sie fängt erst an zu lernen, diese Boulevards zu nutzen; in etwa 10 Jahren wird alles zehnmal schöner sein, weil lOmal mehr belebt. Alles in allem hat der Kontinent geradezu eine Revolution durchgemacht, seit ich ihn zuletzt gesehen.1161' Überall Leben, Geschäftigkeit, Entwicklung; verglichen damit scheint England zu stagnieren. Von Berlin habe ich nicht viel gesehen (bis jetzt noch keinen Quadratfuß von dem Berlin, das ich 1842 verlassen habe1162', alles, was ich bis jetzt gesehen habe, ist neu entstanden), allerdings ist es von außen wirklich prachtvoll, obwohl ich fürchte, daß es innen voller Unbehaglichkeit ist. Bebel (bei dem Louise und ich wohnen) hat eine sehr schöne und gemütliche Wohnung, aber Library, bei dem wir den gestrigen Abend verbrachten, lebt in einer Wohnung mit Räumen, die so schrecklich verbaut sind, daß ich entsetzt war. Hier in Berlin hat man das „Berliner Zimmer"2 erfunden, mit kaum einer Spur von Fenster, und darin verbringen die Berliner den größten Teil ihrer Zeit. Nach vorn hinaus gehen das Eßzimmer (die gute Stube, die nur bei großen Anlässen benutzt wird) und der Salon (noch vornehmer und noch seltener benutzt), dann die „Berliner" Spelunke3, dahinter ein finsterer Korridor, ein paar Schlafzimmer, donnant sur la cour4, und eine Küche. Unbequem
1 Endlich! - 2 in der Handschrift deutsch: „Berliner Zimmer" — 3 in der Handschrift deutsch: „Berliner" Spelunke - 4 die nach dem Hof hinausgehen
und schrecklich lang, echt berlinerisch5 (das heißt bürgerlich berlinerisch5): Aufmachung und sogar Glanz nach außen, Finsternis, Unbehaglichkeit und schlechte Anordnung nach innen; die Palastfront nur als Fassade und zum Wohnen die Unbehaglichkeit. Jedenfalls ist das mein bisheriger Eindruck; hoffen wir, daß er sich bessert. Gestern waren wir in der Freien Volksbühne'1631 - das Lessing-Theater, eins der schönsten und besten Theater Berlins, war dafür gemietet worden. Die Plätze werden von den Abonnenten wie in der Lotterie gezogen, und man sieht Arbeiter und Arbeiterinnen in den Orchestersesseln und Logen, während die Bourgeois auf den Olymp verbannt sind. Das Publikum ist von einer Aufmerksamkeit, einer Hingabe, ich möchte sagen, von einer Begeisterung sans egal6. Kein Applaus, bevor der Vorhang fällt - dann aber ein wahrer Orkan. Und in pathetischen Szenen Ströme von Tränen. Kein Wunder, daß die Schauspieler dieses Publikum jedem anderen vorziehen. Das Stück war ganz gut und das Spiel weit besser als ich erwartet hatte. Die Kleinbürgerei7 von ehemals ist von der deutschen Bühne verschwunden, sowohl in der Darstellung als auch im Charakter der Stücke. Ich werde Dir eine kurze Beschreibung des letzteren schicken. In Wien mußte ich zweimal vor der „Partei" erscheinen!11641 Ich bin ganz begeistert von ihnen. Sie sind so lebhaft und erregbar wie die Franzosen, nur ein bißchen solider. Besonders die Frauen sind entzückend und begeistert; sie arbeiten sehr aktiv, was, zum großen Teil, Louise zu danken ist. Adler hat Wunder getan; der Takt, die ständige Wachsamkeit und Aktivität, mit der er die Partei zusammenhält (keine leichte Sache bei so lebhaften Menschen wie den Wienern), sind über jedes Lob erhaben, und wenn man überdies seine persönlichen Schwierigkeiten in Betracht zieht eine Frau, die an nervösen Störungen leidet, drei Kinder und die sich daraus ergebenden unablässigen pekuniären Schwierigkeiten - so ist es nahezu unbegreiflich, wie er sich über Wasser halten kann. Und diese Österreicher - eine kelto-germano-slawische Rassenmischung - sind weit weniger lenkbar als unsere Norddeutschen. Library sieht sehr gut aus; er beginnt, einen Schmerbauch anzusetzen; seine Frau machte uns eine Bowle aus Wein und Früchten; es war eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft versammelt. Er wohnt au quatrifeme8 außerhalb des eigentlichen Zentrums von Berlin, in Charlottenburg, aber seine Wohnung kostet ihn an die 1800 Mark = 2250 frs.
6 in der Handschrift deutsch: berlinerisch - 6 ohnegleichen - ' in der Handschrift deutsch: Kleinbürgerei — 8 im vierten Stock
Was Eure Wahlen1521 betrifft, so hoffe ich, daß Pauls Erwartungen sich erfüllen werden.11581 Da die meisten gewählten Leute mir völlig unbekannt sind, kann ich mir kein Urteil erlauben. Vaillants Brief in der „Petite Rep[ublique] fr[an?aise]" sieht vielversprechend aus11651; hoffen wir, die Umstände mögen dazu beitragen, daß er auf dem richtigen Wege bleibt. Wenn unsere 12 Leute wirklich unsere und nicht so wie Thivrier und Lachize sind, dann kann ein guter Kern gebildet werden. Als wir nach Prag kamen, herrschte dort der kleine etat de si&ge9.[16el Niemand in unserem Hotel dachte auch nur daran, nach unseren Namen zu fragen! Voilä ce que c'est que l'Autriche10: Despotismus, gemildert durch Schlamperei.11 Amities a Paul!12 Immer Dein F. Engels
Louise, Bebel und Frau grüßen Euch beide herzlichst.13 Deine Abschrift von Pauls Artikel und Pauls Brief haben wir Adler gegeben, der sie für seinen sehr guten Artikel in der ,,A[rbeiter]-Z[eitung]" verwendet hat.11671
Aus dem Englischen.
8 Belagerungszustand -10 Das ist echt Österreich - 11 in der Handschrift deutsch: Despotismus gemildert durch Schlamperei. - 12 Herzliche Grüße an Pauli -13 dieser Satz in der Handschrift deutsch
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber Baron, Ich kann den betr. Brief unmöglich ohne Einleitung in die Welt schicken.11681 Die Gegner würden ja sofort über Schreiber1 und Empfänger2 lustig herfallen, und es wird ohnehin Skandal genug setzen. Da ich aber den Brief nicht hierhabe, kann ich auch keine Einleitung machen. Das hättet Ihr vorher ordnen sollen, ich kann vor dem 30./1.0kt. nichts darin tun. Grüße. Dein F. E. Berlin, 25./9./93
1 Heinrich Heine - 2 Karl Marx
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 30. Sept. 93
Mein liebes Lohr, Wir sind hier gestern morgen wohlbehalten angekommen'901, und meine erste und angenehme Pflicht ist, Dir ein Drittel der Überweisung Meißners
durch den inliegenden Scheck zu übermitteln. Bitte bestätige mir den Eingang. Du wirst wahrscheinlich in den Zeitungen gelesen haben, wie man mich aus meiner Reserve herausgelockt hat - erst in Zürich, dann in Wien11641 und schließlich in Berlin'1701. Ich habe so energisch ich nur konnte dagegen protestiert, aber es war nutzlos, sie wollten, daß ich ein paar Worte spreche. Nun gut, es wird das letzte Mal gewesen sein, ich habe ihnen gesagt, daß ich nur unter der Bedingung wiederkommen werde, wenn ich eine schriftliche Garantie habe, daß ich als Privatmann reisen kann. Sie haben mich jedoch überall mehr als großartig empfangen, weit mehr als ich erwartet habe oder verdient hätte. Die Bewegung in Österreich und Deutschland hat meine höchsten Er-. Wartungen übertroffen. Unsere französischen Freunde werden sich anstrengen müssen, wenn sie nicht zurückbleiben wollen. Unsere Leute dort sind eine Macht, und das wissen nicht nur sie, sondern auch ihre Gegner. In Wien war ich auf einer Versammlung von etwa 6000, und bei dem Kommers in Berlin mir zu Ehren waren 4000 anwesend - nur die hervorragendsten Vertreter der Partei - Männer und Frauen -, und Du kannst mir glauben, daß es ein Vergnügen war, diese Menschen zu sehen und zu hören. Wenn man aus England mit seiner zersplitterten und uneinigen Arbeiter
£ 5.10.5
£60 =£20
£ 1.2.1 £21.2.1
klasse kommt, wenn man aus Frankreich, Italien, Amerika jahrelang nichts als Zank und Streit gehört hat und dann unter diese Menschen kommt - die deutsch sprechen - und das einheitliche Ziel, die ausgezeichnete Organisation sieht, die Begeisterung erlebt, den unverwüstlichen Humor, der aus der Siegesgewißheit quillt1, muß man mitgerissen werden und sagen: hier ist der Schwerpunkt der Arbeiterbewegung. Und wenn unsere französischen Freunde sich nicht in acht nehmen, werden ihnen die Österreicher den Wind aus den Segeln nehmen. Sie sind eine Rassenmischung - Deutsche, auf einen keltischen (norischen)'1711 Stamm gepfropft, und stark mit einem slawischen Element vermischt - so daß sich in ihnen das Blut der drei europäischen Hauptrassen vereint. Ihr Temperament ist dem französischen sehr ähnlich - lebhafter und erregbarer als das der weniger mit anderen Rassen vermischten Deutschen und sie sind zu großen Taten leichter hinzureißen. Wenn Paris sich nicht in acht nimmt, kann es passieren, daß Wien den Anstoß zur künftigen Revolution geben wird. Ich habe diese Menschen sehr gern, und die Wienerinnen erinnern mich sehr an die französischen Grisetten von vor 40 Jahren; natürlich hat der Erfolg sie übermütig gemacht, genau wie die Franzosen, aber ich glaube, sie sind klarere Köpfe als jene Pariser, die sich in Boulanger verliebten — muß schließen - es kommen Gäste. Herzliche Grüße an Paul. Immer Dein General
Louise grüßt herzlich.2
Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift deutsch: unverwüstliche Humor, der aus der Siegesgewißheit quillt — 2 in der Handschrift deutsch: Louise grüßt herzlich.
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Engels an Julie Bebel in Berlin
London, 3. Okt. 1893
Liebe Julie, Unsre Postkarte von Freitag werdet Ihr erhalten haben.'1721 Ich fand einen kolossalen Haufen Arbeit vor und habe mich bis jetzt durch das Allerdringendste durchgequält, mit Hülfe Louisens, die noch mit beiden Armen bis zum Ellenbogen in den Drucksachen herumwühlt. Dafür komme ich denn dazu, Euch ein paar Zeilen zu schreiben. Also am Donnerstag, nach unsrer Abfahrt'901, sahen wir noch am Bahnhof Zoologischer Garten für einen Augenblick Adolf Braun und fuhren dann weiter. Im Coupe hatten wir zwei schäbig aussehende Burschen, die sich etwas zudringlich entwickelten; glücklicherweise aber war der eine, ein Engländer, bereits vor 10 Uhr total besoffen, und dann brachten sie beide den Rest des Tags auf dem Korridor des Wagens zu. In Hannover aßen wir Suppe und Fleisch, darüber kam dann der teure Kugelmann mit seiner Tochter1, die viel netter ist als er. Er gab mir wieder eine lange Reihe medizinischer Ratschläge für meines Lebens Regel, aber auch ein Körbchen mit Fleischbrötchen, Äpfeln und % Flasche Wein. Wir jauchzten auf bei ihrem Anblick: Rotwein! - aber ach, es war angeblicher „roter Portwein", eine süßliche Mischung, die wir dem Schaffner zum Dank für seine Liebenswürdigkeit überantworteten. Bald darauf entspann sich zwischen verschiednen Reisenden und dem Schaffner eine lebhafte Debatte über die Frage: ob die Reisenden nach Hoek van Holland nicht in Löhne wechseln und über Rheine-Salzbergen fahren müßten. Wir hielten stramm an Oberhausen, wie wir denn wegen Louisens Billet keine andre Wahl hatten. Nun aber hatten wir in Minden schon über eine halbe Stunde Verspätung, und da in Oberhausen nur 17 Minuten Zeit gegeben war, alle Aussicht, den Anschluß zu verfehlen. Hier war uns die Karte von großem Nutzen, die mir August am Morgen gegeben. Wir fuhren auf der alten Köln-Mindener Bahn, die ich als eine der bestgebauten
in Deutschland kannte. An den durchfahmen Strecken konnten wir sehn, wie hier ein gut Stück der Verspätung wieder eingeholt wurde, und so erreichten wir rechtzeitig Oberhausen. Der Kohlendistrikt von Hamm bis Oberhausen ist ein Stück englisches Black Country. Die Luft und Städte ebenso rauchig und schwarz wie in England, die Häuser, weil meist hell getüncht, noch unangenehmer geschwärzt wie die englischen nackten Ziegel. Nachdem wir auch in Holland noch wegen Anschlußversäumnis mehrere Male von Reisenden und Schaffnern allerhand Dunkles hatten munkeln hören, kamen wir in Rotterdam an 8.42 holländische, d.h. 9.42 deutsche Zeit. Die Stunde Zeitunterschied hatte alles in Ordnung gebracht (aus Augusts Aufstellung hatten wir nicht genau ersehn können, wo der Zeitunterschied in Wirksamkeit trat, und waren daher der Sache nicht sicher). Dahingegen mußten wir nun in Rotterdam von einem Bahnhof zum andern marschieren - ca. 10 Minuten weit, hatten noch Zeit übrig und kamen an vor den über Löhne-Rheine-Salzbergen gereisten Leuten. Louise hatte außer ein bißchen Kugelmannscher Kost nur eine Tasse Bouillon in Arnheim und eine zweite in Rotterdam genossen, während ich von Kugelmännern und Bier lebte. Es blies ganz nett, als wir abfuhren. Ich legte mich bald ins Bett und schlief unter ganz erfreulichem Schaukeln ein, dachte aber nichts Arges, bis ich nach 8 Stunden bei hellem Tageslicht erwachte -, wir hätten längst in Harwich sein sollen! Ich stand auf - ich hatte eine Kabine ganz für mich allein - niemand auf dem Schiff rührte sich. Ich ging aufs Deck, alles leer, überall nasses Deck und Anzeichen einer vergangnen rauhen Nacht. Ein junger Deutscher kam endlich und vertraute mir an, daß wir einen entsetzlichen Sturm durchgemacht. Bald darauf einige Dämchen, dann auch Louise, die Arme war mit 5 andern in einer engen Kabine zusammengepfercht gewesen, hatte das Ärgste heroisch überstanden trotz der hysterischen seekranken Umgebung, war aber auch endlich, als nach der Hauptschaukelei die kleinen kurzen Wellen kamen, den Zudringlichkeiten des alten Neptun einen Augenblick unterlegen. Mit zwei Stunden Verspätung kamen wir in London an - Avelings am Bahnhof -, fanden alles in schönster Ordnung und stürzten uns mit der Todesverachtung, die auf einen heroisch überstandnen kleinen Sturm zu folgen pflegt, in die Arbeit. Neues scheint hier nicht viel passiert zu sein, über die in der hiesigen Bewegung vorgegangnen kleinen Wendungen und Wandlungen müssen wir uns erst allmählich unterrichten. Apropos. Ede B[ernstein] behauptet, Paul S[inger] mißverstehe seinen Artikel11731 total. Er habe nie gesagt, man solle je nach Umständen mit
Konservativen11081, Nationalliberalen11091, Ultramontanen11741 etc. kompromisseln, er habe nur die Freisinnige Volkspartef1271 im Auge gehabt. Ich sagte ihm, daß ich das aus seinem Artikel nicht habe herauslesen können; jedenfalls ließ er auch diese Möglichkeit offen. Nun aber, liebe Julie, danke ich Dir und August nochmals für die viele Liebe und Freundschaft, die Ihr uns nicht nur in Berlin, sondern auch in Zürich - und August mir auf der ganzen Reise - erwiesen habt, und kann Dich nur an Dein Versprechen erinnern, uns im Frühjahr hier zu besuchen, damit wir Dir auch einmal London zeigen können. Herzliche Grüße Euch beiden und allen Freunden Dein F. Engels
[Nachschrift von Louise Kautsky]
Liebste Julie, Ich stecke wirklich bis über die Ellbogen in Arbeit und sehe bis jetzt auch noch keinen Weg herauszukommen, soweit nur, um Briefe zu schreiben. G[eneral], der ans Schreiben geht, hat Dir erzählt, wie es uns auf der Fahrt ergangen, hat aber vergessen, daß er allein die Brötchen von Dir aufaß. Es ist ihm gut ergangen auf der Reise, er war immer munter und guter Dinge, immer besorgt, ob wir noch Anschluß hätten, und voll Leben. Ich selbst bin Sonntag gleich wieder in meine alte Hausbesorgungsrolle gefallen. Die Gäste aber verfuhren gnädig mit mir. Bitte sage August, über die englische 2te Ausgäbet1'5! konnte ich noch nichts Bestimmtes erfahren. Ich will das Buch selbst sehen und lasse es mir besorgen, mir persönlich aber würde Reeves das Buch gar nicht verkaufen. Ich schließe mich von Herzen G[enerals] Dank an, ich hatte noch nicht Zeit, über alles Erlebte nachzudenken, und lebe wie in einem Traum, der durch Arbeit unterbrochen wird. Und Ihr Armen, Geplagten, wie geht's Euch? Herzliche Küsse August und Dir. Deine Louise
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Engels an Hermann Blocher in Basel
122, Regent's Park Road, N.W. London, 3. Okt. 93
Sehr geehrter Herr, Erst heute, unmittelbar nach meiner Rückkehr hiehert901, komme ich dazu, Ihren Brief vom 1 I.Aug.11761 zu beantworten. Ex. der „Heiligen Familie" sind in Berlin mehrere, in der Schweiz kann Ihnen vielleicht Herr Dr. Conrad Schmidt, Privatdozent in der Züricher Universität, KIus-Hegibachstr., Hirslanden, zu einem solchen verhelfen. Über B.Bauers Karriere bis 1843 und seine Schicksale und Ansichten geben Ihnen Ruges „Hallische", später „Deutsche Jahrbücher" Aufschluß, desgleichen Brunos eigne Schriften. Für 1844-46 ebenfalls seine Schriften und seine „Allg[emeine] Literatur-Zeitung". Marx sowohl wie ich waren seit 1843 außer aller Beziehung zu den Bauers, die erst gegen Ende der 50er Jahre nach London kamen - Edgar für längere Zeit, Bruno auf Besuch, wo Marx sie wiedersah. Eine Beziehung von Bruno zur materialistischen Geschichtsauffassung wie zum wissenschaftlichen Sozialismus hat demnach meines Wissens überhaupt nicht stattgefunden, wäre aber etwas Derartiges der Fall, so könnte es nur in Brunos Schriften aus den späteren 50er und 60er Jahren zu finden sein. Daß in den späteren Arbeiten Brunos über das Urchristentum Marxsche Auffassungen nicht ganz ohne Einfluß geblieben sind, wird schwer zu leugnen sein, im ganzen aber bleibt Brunos Auffassung der geschichtlichen Triebkräfte eine wesentlich idealistische. Meiner Ansicht nach könnte eine Arbeit über Bruno nicht ohne einen längeren Aufenthalt in Berlin, wo alles Material zusammengehäuft, erfolgreich durchgeführt werden. Hochachtend und ergebenst F. Engels
9 Marx/Engels, Werke, BJ. 39
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Engels an John B.Shipley in London (Entwurf)
[London] 3./10./93
Sehr geehrter Herr,, Bei meiner Rückkehr aus dem Ausland1901 finde ich Ihren Brief vom 10. Aug. vor. Ich fürchte, daß ich Ihnen bei Ihrer Auseinandersetzung mit Ihrer Familie nicht von Nutzen sein kann. Selbst wenn mir Ihr gesetzlicher Anspruch auf das Geld bedeutend klarer wäre, als er ist, könnte ich nur sagen, daß Sie, als mittelloser Mann, bei den englischen Gerichten nicht die geringste Chance hätten gegenüber reichen Leuten, die Sie überdies noch mit Ihrem eigenen Gelde bekämpfen könnten. Aber angenommen, Sie hätten das Geld, um zu kämpfen, so würde mein Rat dennoch lauten: behalten Sie es lieber, statt es für einen Prozeß zu vergeuden. Hinsichtlich eines Advokaten, wie Sie ihn sich vorstellen und der bereit wäre, Ihren Fall zu übernehmen, darf es Sie nicht wundern, wenn ich Ihnen mitteile, daß ich einen solchen nicht kenne. Ich bedaure, Ihnen keine tröstlichere Antwort geben zu können. Ich verbleibe usw.
Aus dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 7. Okt. 1893
Lieber Sorge, Freitag, 29. Sept. sind wir wieder hier angekommen und erhielten bald darauf Deinen Brief vom 22. Ich war 2 Monate fort1901, fuhr mit L. K[autsky] nach Köln, wo wir Bebel und Frau trafen, gingen zusammen über Mainz und Straßburg nach Zürich, von wo ich mich auf 8 Tage nach Graubünden drückte, wo ich einen Bruder1 von mir traf. Aber ich hatte versprechen müssen, zum Kongreßschluß wieder dazusein, und da machten sie denn malgre moi2 mit mir die Schlußgeschichte, von der Du gelesen hast.[1771 Damit war aber auch die Tonart für die ganze Reise gegeben und meine Absicht, als purer Privatmann zu reisen, total versalzen. Ich blieb noch 14 Tage in der Schweiz und reiste dann mit Bebel über München und Salzburg nach Wien. Hier fing die Paradegeschichte wieder an. Erst mußte ich zu einem Kommers, aber da war nur Raum für etwa 600, und die andern wollten mich auch sehn; also am letzten Abend noch eine Volksversammlung, wo ich auch ein paar Worte sprechen mußte.[164] Von da über Prag nach Berlin, und da kam ich, nach heftigem Protestieren gegen eine geplante Volksversammlung, mit einem Kommers davon, der 3-4000 Leute zusammenbrachte11701. Das war ja alles sehr nett von den Leuten, ist aber nichts für mich, ich bin froh, daß es vorüber ist, und werde das nächste Mal a written agreement3 verlangen, daß ich nicht vor dem Publikum zu paradieren brauche, sondern als Privatmann in Privatangelegenheiten reise. Ich war und bin ja erstaunt über die Großartigkeit des Empfangs, den man mir überall bereitete, aber das überlasse ich doch lieber den Parlamentariern und Volksrednern, bei denen gehört so etwas zu ihrer Rolle, bei meiner Art Arbeit aber doch kaum. Sonst aber habe ich Deutschland nach 17jähriger Abwesenheit11611 vollständig revolutioniert gefunden - die Industrie enorm entwickelt gegen früher, den Ackerbau - großen wie kleinen - sehr verbessert, und als Folge
1 Hermann Engels sen.
9*
2 wider meinen Willen - 3 eine schriftliche Garantie
davon unsre Bewegung ausgezeichnet im Gang. Unsre Leute haben sich das bißchen Freiheit, das sie haben, selbst erobern müssen - ganz speziell erobern gegenüber Polizei und Landräten, nachdem die betreffenden Gesetze schon auf dem Papier proklamiert. Und daher findest Du ein sichres, festes Auftreten, wie es bei den deutschen Bourgeois nie vorgekommen. Im einzelnen ist da natürlich auch manches auszusetzen - z.B. die Parteipresse steht namentlich in Berlin' nicht auf der Höhe der Partei - aber die Massen sind vortrefflich und meist besser als die Führer oder wenigstens als viele, die in Führerrollen gekommen sind. Mit diesen Leuten ist alles zu machen, sie fühlen sich nur im Kampf recht glücklich, sie leben nur für den Kampf und langweilen sich, wenn die Gegner ihnen keine Arbeit schaffen. Es ist positive Tatsache, daß die meisten ein neues Sozialistengesetz11431 mit Hohngelächter, wenn nicht mit positivem Jubel begrüßen würden - da bekämen sie doch wieder tagtäglich was Neues zu tun! Neben unsern Reichsdeutschen sind aber auch die Österreicher nicht zu vergessen. Im ganzen und großen sind sie nicht so weit wie die Reichsdeutschen, aber sie sind lebendiger, französischer, zu großen Taten leichter hinzureißen, aber auch zu Dummheiten. Einzeln genommen ist mir der Durchschnitts-Östreicher lieber als der Durchschnitts-Reichsdeutsche, der Durchschnitts-Wiener Arbeiter als der Berliner, und was die Frauen angeht, so ziehe ich die Wiener Arbeiterinnen bei weitem vor; die sind von einer naiven Ursprünglichkeit, gegenüber der die Berliner reflektierte Altklugheit unerträglich ist. Wenn die Herren Franzosen sich nicht in acht nehmen und bald wieder an ihre alte Tradition der revolutionären Initiative anknüpfen, dann kann passieren, daß die Österreicher ihnen den Wind aus den Segeln nehmen und bei der nächsten Gelegenheit den ersten Anstoß geben. Im übrigen sind Berlin und Wien neben Paris die schönsten Städte der Welt geworden, London wie New York sind Drecknester dagegen, namentlich London, das uns ganz verwunderlich vorkommt seit unsrer Rückkehr. Messieurs les Francis4 werden im November zeigen müssen, was sie können.11781 12 Marxisten und 4 Blanquisten1721, 5 Allemanisten1711 und 2 Broussisten1531 nebst noch einigen Unabhängigen und etwa 24 socialistes radicaux5 ä la Millerand sind ein tüchtiger Klumpen Hefenpilz in der Kammer und sollten eine hübsche Gärung zustande bringen, wenn sie zusammenhalten. Aber ob das geschieht? Die 12 Marxisten sind großenteils total unbekannte Leute, Lafargue fehlt, wogegen Guesde drin ist, der ein
i Die Herren Franzosen - 6 Radikalsozialisten
weit bedeutenderer Redner, aber auch ein viel leichtgläubigerer Optimist ist. Ich bin sehr begierig. Unsre Marxisten hatten vor der Wahl schon eine Art Kartell mit Millerand und Co. abgeschlossen1691, dem jetzt auch die Blanquisten, speziell Vaillant, sich durch Mitarbeit an Millerands „Petite Republ[ique] fran^aise" sich angeschlossen zu haben scheinen. Auch treten die Blanquisten jetzt sehr entschieden gegen die russische Allianz auf. Aber ich habe keine direkten Nachrichten über den augenblicklichen Stand der verschiednen Parteien, wahrscheinlich weil sie selbst noch nicht klarsehn. Hoffentlich geht es Dir und Deiner Frau gesundheitlich gut. Herzliche Grüße an Euch beide von Deinem F. Engels
De Leon und Sanial sah ich in Zürich. Haben mir nicht imponiert.
[Nachschrift von Louise Kautsky]
Lieber Herr Sorge, Ich möchte Sie gern wieder plagen. Ist es Ihnen möglich, mir 2 Exemplare von „Woman's Journal" zu senden, oder halten Sie es für vorteilhafter, es direkt für eine Freundin von mir nach Wien zu bestellen - wenn, wie zahlt man dann die Amerikaner am besten und an wen soll ich mich wenden? Das ist aber noch nicht alles. Bitte, kann ich nicht einmal eine 3-Cents-Kolumbusmarke bekommen, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht, dann bitte darum. Ich habe soviel Markenabnehmer, die mich darum bestürmen. Besten Dank im voraus und die herzlichsten Grüße an Sie und Ihre Frau von Ihrer L.K[autsky]
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 11. Okt. 1893
Lieber Victor, Am 29. September sind wir wieder hier angekommen'901 und haben uns mit steigender Todesverachtung in den Haufen Arbeit gestürzt, den wir vorfanden. Die „einen Ringstraßen hinter den anderen " in Berlin des Genossen Höger habe ich zwar nicht entdecken können, doch ist Berlin von außen wirklich schön, selbst in den Arbeitervierteln lauter Palastfronten. Was aber dahinter ist, davon schweigt man am besten. Das Elend der Arbeiterviertel ist allerdings überall, aber was mich überwältigt, ist das „Berliner Zimmer", diese in der ganzen übrigen Welt unmögliche Herberge der Finsternis, der stickigen Luft, und - des sich darin behaglich fühlenden Berliner Philisteriums.1 Dank' schönstens! Augusts Wohnung hat keins, sie ist die einzige, die mir gefällt, in jeder anderen ging' ich kaputt. Dieser Schrei aus gepreßter Brust ist aber nicht der Zweck des heutigen Briefes. Sondern vielmehr, Dir und den Wienern zu gratulieren. Zuerst zu Deiner Schwenderrede, die wieder ein Beweis ist, wie sehr Du die vertuckten und verzwackten österreichischen Verhältnisse stets richtig zu fassen und in dem Gewirr stets den leitenden Faden festzuhalten verstehst.1179' Und das ist gerade im jetzigen Moment von der höchsten Wichtigkeit. Nämlich zweitens gratuliere ich Dir und den Österreichern überhaupt zu dem eklatanten Erfolg, den Eure Wahlrechtsagitation gehabt hat: dem Wahlreformentwurf Taaffes.11801 Hier muß ich etwas weiter ausholen. Seit ich mir Euer Land und Volk und Eure Regierung angesehen, ist mir immer klarer geworden, daß da für uns ganz besondere Erfolge zu holen sind. Eine in starker Entwicklung begriffene, aber infolge langjährigen hohen Zollschutzes meist noch mit zurückgebliebenen Produktionskräften arbeitende Industrie (die böhmischen Fabrikanlagen, die ich sah, beweisen
mir das); die Industriellen selbst der Mehrzahl nach - die größeren meine ich - ebensosehr mit der Börse verwachsen wie mit der Industrie selbst; ein politisch ziemlich indifferentes, inPhäakentum aufgehendes Philisterium in den Städten, das vor allem seine Ruh* und seine Genüsse haben will; auf dem Land rapide Verschuldung, respektive Aufsaugung des Kleingrundbesitzes; als wirklich herrschende Klassen den Großgrundbesitz, der aber mit seiner politischen Stellung, die ihm eine mehr indirekte Herrschaft sichert, ganz zufrieden ist, und eine Großbourgeoisie, wenig zahlreiche haute finance2 und damit eng verknüpfte Großindustrie, deren politische Macht noch viel indirekter zur Geltung kommt, die aber ebenfalls damit ganz zufrieden ist; unter den besitzenden Klassen, also bei den Großen, kein Wunsch, die indirekte Herrschaft in eine direkte, konstitutionelle zu verwandeln, und bei den Kleinen kein ernsthaftes Streben nach wirklicher Beteiligung an der politischen Macht; Resultat: Indifferenz und Stagnation, die nur gestört wird durch die Nationalitätskämpfe der verschiedenen Adeligen und Bourgeois untereinander und durch die Entwicklung des Verbands mit Ungarn. Darüber schwebend eine Regierung, die formell nur wenig und meist nur scheinbar in ihren absolutistischen Gelüsten gehemmt, auch sachlich wenig Hindernisse findet. Denn sie ist ihrer Natur nach konservativ, und das ist der Adel, der Bourgeois und der Philister bonvivant auch. Der Bauer aber kommt bei seiner ländlichen Zersplittertheit nicht zur organisierten Opposition. Was von der Regierung verlangt wird, ist leben und leben lassen, und das hat die österreichische von jeher verstanden. Daher die, auch aus anderen Gründen erklärliche, aber hierdurch auf die Spitze getriebene und zum Prinzip erhobene Fabrikation von nur papierenen Gesetzen und Vorschriften und die wundervolle administrative Schlamperei, die in der Tat alles übertrifft, was ich mir davon vorgestellt hatte. Nun gut. In einem solchen stagnierenden Staatszustand, wo die Regierung trotz ihrer überaus günstigen Stellung gegenüber den einzelnen Klassen dennoch in ewigen Schwierigkeiten ist: 1. weil diese Klassen in x Nationalitäten geteilt sind und daher, gegen die strategische Regel, vereint marschieren (gegen die Arbeiter), aber getrennt schlagen (nämlich aufeinander), 2. wegen der ewigen Finanznot, 3. wegen Ungarn, 4. wegen auswärtiger Verwicklungen - kurz in dieser Situation, sagte ich mir, muß eine Arbeiterpartei, die ein Programm und eine Taktik hat, die weiß, was sie will und wie sie es will, die die hinreichende Willenskraft hat und dazu das
3 Hochfinanz
lustige, erregbare, der glücklichen kelto-germano-slawischen Rassenmischung mit Vorwiegen des deutschen Elements geschuldete Temperament - die muß da nur die hinreichende Fähigkeit entwickeln, um ganz besondere Erfolge zu erlangen. Unter lauter Parteien, die nicht wissen, was sie wollen, und einer Regierung, die ebenfalls nicht weiß, was sie will, und von der Hand in den Mund lebt, muß eine Partei, die weiß, was sie will, und dies mit Zähigkeit und Ausdauer will, schließlich immer siegen. Und dies um so mehr, als alles, was die österreichische Arbeiterpartei11811 will und wollen kann, nur das ist, was die fortschreitende ökonomische Entwicklung des Landes ebenfalls verlangt. Hier also ist die Lage eine so günstige für rasche Erfolge wie nirgendwo, selbst in Deutschland, wo die Entwicklung zwar rascher, und die Partei stärker, aber auch der Widerstand weit fester. Dazu kommt noch eins: der herabgekommene Großstaat Österreich schämt sich noch vor Europa, ein Gefühl, das dem heraufgekommenen Kleinstaat Preußen stets fremd geblieben ist. Und seit man 1866 in die Reihe der „modernen" Staaten eingetreten, schämt man sich in Österreich auch von wegen innerer Blößen, was beim offen reaktionären Österreich von früher nicht nötig war. Ja, je weniger man Lust hat, wirklich ein moderner Staat zu sein, desto mehr möchte man einer scheinen, und je strammer sich die - dort weit mehr als in Österreich gebändigte - Reaktion in Preußen auf die Hinterbeine bäumt, desto liberaler stellt man sich aus Schadenfreude in Österreich. Nun nähert sich die europäische Lage - ich meine die innere der einzelnen Staaten - immer mehr der von 1845. Das Proletariat nimmt mehr und mehr die Stellung ein wie dazumal die Bourgeoisie. Damals fingen die Schweiz und Italien an; die Schweiz mit dem innern Krakeel der demokratischen und katholischen Kantone, der im Sonderbundskrieg zum Austrag kam11821; Italien mit Pio Nonos liberalen Versuchen, den liberalnationalen Wandlungen in Toskana, den kleinen Herzogtümern, Piemont, Neapel, Sizilien; der Sonderbundskrieg und das Bombardement von Palermo'1831 wurden bekanntlich die unmittelbaren Vorspiele der Pariser Februarrevolution 1848. Heute, wo die Krisis auch schon in fünf bis sechs Jahren reif werden kann, scheint Belgien die Rolle der Schweiz, Österreich die von Italien, und Deutschland die von Frankreich übernehmen zu wollen. Der Wahlrechtskampf fängt in Belgien an'1841 und wird in großartigem Maßstab aufgenommen von Österreich. Daß die Sache mit einer beliebigen halben Wahlreform abgemacht werden könne, davon kann keine Rede sein; ist der Stein einmal im Rollen, so wirkt der Anstoß nach allen Seiten fort, und ein
Land wirkt dann sofort aufs andere. Neben der Möglichkeit großer Erfolge ist also auch die Gelegenheit, also auch die Wahrscheinlichkeit gegeben. Das ist so ungefähr der Inhalt dessen, was ich gestern nachmittags der Louise als meine Ansicht vom nächsten Beruf Österreichs auseinandersetzte. Und abends 8 Uhr brachte der „Evening Standard" die - noch ganz unbestimmt gehaltene - Nachricht von Taaffes Kapitulation, und heute kennen wir den Vorschlag wenigstens in seinen allgemeinsten Umrissen. Nun, jetzt ist der Stein im Rollen, und Ihr werdet schon dafür sorgen, daß kein Moos darauf wächst. Ich will über den Entwurf nichts sagen, ehe ich mehr davon weiß, nur das scheint mir sicher, daß Taaffe a la Bismarck die städtische Repräsentation aus einer liberalen in eine geteilte verwandeln, die Arbeiter gegen die Bourgeoisie ausspielen will. Das kann uns soweit recht sein; die Liberalen und andere Bourgeoisparteien werden versuchen, die Zulassung zum Wahlrecht noch mehr zu beschneiden, so daß Ihr in die angenehme Lage kommen könnt, den biederen Taaffe gegen sein Parlament zu unterstützen. Jedenfalls ist die Abschlagszahlung schon anzunehmen, und so wirst Du wohl, ehe ich wiederkomme, wohlbestallter Reichsratsabgeordneter sein. Der „Daily Chronicle" spricht schon von 20 sicheren Arbeitervertretern. Mit 20 und selbst mit weniger ist der Reichsrat eine ganz andere Körperschaft als bisher. Die Herren werden sich wundern über das Leben, was dann in die wackelige Bude kommt. Und wenn es gelingt, neben den deutschen ein paar tschechische Leute hineinzubringen, dann wird der Nationalitätenhader einen Damm vorgesetzt bekommen, und Jungtschechen und Alttschechen11851 und Deutschnationale werden einander mit ganz anderen Augen ansehen. Hier kann man sagen: vom Eintritt der ersten Sozialdemokraten in den Reichsrat datiert eine neue Epoche für Österreich. Und das habt Ihr fertiggebracht, und weil jetzt diese neue Epoche anbricht, deshalb sind wir alle froh, daß wir einen so klaren Kopf in den Reichsrat bekommen wie Dich. Herzliche Grüße von Louise und _ . Deinem „ „ . t. bngels
Gruß von Louise an Dich und auch von mir an Popp, Reumann, Adelheid, Ulbing und tutti quanti.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 12. Okt. 93
Lieber August, Wir schicken Dir die Reevessche Ausgabe von „IVoman".11751 Nach meiner Auffassung ist die juristische Lage (auf die, einem Kerl wie Rfeeves] gegenüber, es allein ankommen kann) die folgende: 1. Das internationale Autorrecht gegenüber einem Übersetzer ist geschützt auf 3 Jahre nach Erscheinen des Originals, aber nur, wenn schon im ersten Jahr ein Anfang mit Veröffentlichung einer vom Autor genehmigten Übersetzung wirklich erschienen. Danach wäre Dir jedes Klagerecht abgeschnitten, falls nicht die Walthersche Übersetzung innerhalb eines Jahrs nach dem Erscheinen einer deutschen Neuauflage, die wesentliche Änderungen und Zusätze gegen frühere enthielt, herausgekommen ist; was schwerlich der Fall war. 2. Bliebe das Klagerecht der Frau A[dams] Walther. Ob diese eins hat, hängt davon ab, ob sie bei Veröffentlichung der 1. englischen Ausgabe das literarische Eigentum sich reserviert hat, oder ob sie es ausdrücklich oder stillschweigend an die Modern Press, den Verleger, abgetreten. Dies wäre festzustellen. Hat sie es nicht ausdrücklich reserviert, so ist 10 gegen 1 zu wetten beim Stand der hiesigen Gesetzgebung, daß es stillschweigend in die Hände des Verlegers übergegangen ist und sie auch kein Recht mehr hat. 3. Dieser, ein gewisser Foulger, hat, soviel ich weiß, sein Geschäft längst einstellen müssen und war gewiß froh, mit Reeves irgendein Abkommen zu schließen. Hiernach ist es fast sicher, daß Du juristisch nichts machen kannst, und nicht sehr wahrscheinlich, daß Frau A[dams] W[alther] etwas machen kann, doch wäre dies noch festzustellen. Kannst Du mir Abschrift der Abmachung zwischen Frau W[alther] und der Modern Press besorgen, so könnte ich einen Advokaten, falls nötig, konsultieren. Wenn aber die Sache nicht sehr klar, ist mit einem Burschen wie Reeves nichts zu machen, er ist durch und durch unskrupulös in seinen Geschäftsspekulationen, und Geld
aus ihm herauszuschlagen fast unmöglich; ich habe leider auch mit ihm zu tun gehabt, selbst ein angedrohter Prozeß hilft da nicht viel; solche Burschen übertragen in ähnlichen Fällen alles auf den Namen ihrer Frau oder fabrizieren eine bill of-sale (Verschreibung ihres Lagerbestands usw. auf einen fingierten oder wirklichen Gläubiger). Gestern erhielten wir hier zwei famose Nachrichten. Erstens den Anfang des Endes vom Kohlenstreik. Nachdem der Ausschluß der Arbeiter, den die großen Grubenbesitzer am 28. Juli ins Werk gesetzt, um 1. die Preise zu steigern und die Produktion einzuschränken, 2. um ruinöse Kontrakte auf Jahreslieferung an Gasanstalten und andre städtische Werke, die sie leichtsinnig eingegangen, ungestraft brechen zu können, weil in allen solchen Kontrakten Strike den Kontraktbruch entschuldigt, 3. die Löhne zu drücken und 4. die kleinen Zechen zu ruinieren und sie wohlfeil aufzukaufen - dies wird mehr und mehr stehendes Motiv aller großen lock-outs1 -, nachdem also dieser Ausschluß über 2 Monate gedauert und die öffentliche Meinung auch der unter dem Kohlenmangel leidenden Bourgeois sich gegen die Zechenbesitzer zu wenden anfing, kam die Krisis. Mit der ersten Oktoberwoche lief die Übereinkunft ab, wodurch die Zechenbesitzer sich bei Strafe von £ 1000 verpflichtet, ihre Gruben nur zu der vollen Lohnherabsetzung von 25% (auf den seit 1889 gewonnenen Aufschlag von 40% des alten Lohns, also zum Lohn von 1889 plus 15%) und bei Beendigung des Strikes durch das Zechenkomitee wieder zu öffnen. Sofort fielen eine ganze Reihe der kleineren Zechen ab und nahmen die Arbeit auf zum Lohn von vor Juli (also Lohn von 1889 plus 40% Zuschlag). Da traten die Bürgermeister der Hauptorte des Yorkshire und Midland Kohlenbezirks zusammen und machten einen Vermittlungsvorschlag, der faktisch auf eine Lohnherabsetzung von 10% herauskam. Das war gefährlich, wenn die Masters annahmen; es konnte die Arbeiter in die Zwickmühle bringen, entweder auch anzunehmen oder die schlappe öffentliche Meinung, die ja jeden Kompromiß bewundert, gegen sich aufzubringen. Glücklicherweise aber lehnten die Masters in ihrer Verblendung - die großen an der Spitze - sofort ab, und nun wurde der Zusammenbruch ihres Rings in 24 Stunden offenbar. Seit gestern sind 30-40000 Bergleute zum Lohn von vor Juli, also unter vollständiger Preisgabe der Forderungen der Masters, wieder in Arbeit getreten, und der Kladderadatsch des Kohlenrings ist entschieden. Dies ist das erste Beispiel, daß ein von den Masters selbst, zu dem von ihnen selbst gewählten Zeitpunkt in Szene gesetzter
großer Strike so vollständig fehlgeschlagen ist, und darin liegt seine Bedeutung. Sie werden's so bald nicht wieder versuchen, aber auch die Arbeiter haben derart gelitten und solches Elend durchgemacht, daß ihnen die Lust zu einem „allgemeinen Strike" wohl etwas vergangen sein wird. (Soeben kommt Dein und Julies Brief.) Die zweite Nachricht war die vom neuen östreichischen Wahlgesetzentwurf11801. Das ist ein brillanter Sieg unsrer Leute, und ich habe Victor sogleich dazu gratuliert.2 „Daily News" meint, die Wählerzahl in Wien werde von 80000 auf 350000 steigen, und „Chronicle" schätzt die Zahl für ganz Österreich dann auf 3 Millionen - das sind natürlich Schätzungen aus Wiener Quellen. Jedenfalls eine Abschlagszahlung, die schon mitzunehmen ist, auf 20 sozialdemokratische Abgeordnete rechnen die Wiener Bourgeois jetzt schon. Wahrscheinlich genug, daß Taaffe auf Verschlimmbesserung seines Entwurfs durchs Parlament rechnet, aber das ist eine gewagte Rechnung, und unsre Leute werden schon dem ein Stöckchen vorstecken. Kostbare Ironie der Geschichte, wenn unsre Leute in den Fall kommen, den Premierminister gegen sein Parlament und gegen sein eigenes geheimes Selbst schützen zu müssen! Die Hauptsache ist, daß der Stein einmal ins Rollen gebracht ist; unsre Bewegung ist stark genug in Österreich, um ihn vor dem Stillhalten zu bewahren. Und Taaffe kann nicht gut Demonstrationen für seinen Vorschlag unterdrücken. Mein Eindruck von Österreich ist überhaupt der, daß wir dort noch viel Freude in der nächsten Zeit erleben werden. Bei der allgemeinen Erschlaffung aller Parteien, bei der allgemeinen Ratlosigkeit, dem Nationalitätenhader, bei einer Regierung, die nie weiß, was sie will, und nur von der Hand in den Mund lebt, bei der nur papiernen Existenz der meisten Gesetze und der allgemeinen Schlamperei der Verwaltung, von der ich erst durch den Augenschein eine wirkliche Vorstellung bekommen -, da muß eine Partei, die weiß, was sie will und wie sie es will, und die dies wirklich will und die hinreichende Zähigkeit besitzt, auf die Dauer unwiderstehlich sein, besonders wenn, wie der Fall ist, alle ihre Forderungen sich in der Richtung bewegen wie die ökonomische Entwicklung des Landes selbst und nur ihr politischer Ausdruck sind. Unsre Partei ist in Österreich11811 die einzige lebendige Kraft auf dem politischen Gebiet, die andern sind passive Widerstände oder stets ermattende Anläufe, und dies gibt uns eine ausnahmsweise günstige Stellung in Österreich. Dazu kommt, daß die wechselnden
2 siehe vorl. Band, S. 134
Gruppierungen der bürgerlichen Parteien es der Regierung von Zeit zu Zeit unmöglich machen, konservativ zu sein, und daß, wenn sie aufhört konservativ zu sein, sie einfach unberechenbar wird, eben weil die Parteigruppierungen, mit denen sie rechnen soll, auch unberechenbar sind. Und dann ist die österreichische Regierung die eines zwar heruntergekommnen Großstaats, aber immer noch eines Großstaats, und ist, gegenüber der des emporgekommnen Kleinstaats Preußen, immer noch großartiger Entschlüsse fähig, in den Momenten, wo ihr der Konservatismus, das einfache Festkleben am Bestehenden, unmöglich wird. So erkläre ich mir den „Sprung ins Dunkle" des Herrn Taaffe. Nun kommt hinzu, daß das Anschwellen der proletarischen Bewegung in allen Ländern auf eine Krise hinarbeitet, und daß also die in einem Land eroberten Erfolge auf alle andern mächtig zurückwirken. Die Wahlrechtsbewegung erfocht den ersten Sieg in Belgien'1841, jetzt folgt Österreich, das sichert uns zunächst die Erhaltung des allgemeinen Stimmrechts, spornt aber auch zu weitern Ansprüchen an - bei uns wie in Frankreich und Italien. Die Februarrevolution11861 wurde vorbereitet durch die inneren Kämpfe der Schweiz und die konstitutionellen Umschwünge in Italien, bis der Sonderbundskrieg11821 und das Bombardement von Messina durch die Neapolitaner11831 (Febr. 1848) das unmittelbare Signal zum Ausbruch der Pariser Revolution gaben. Wir sind vielleicht noch 5-6 Jahre vor der Krise, aber mir kommt vor, als sollten Belgien und namentlich Österreich diesmal die vorbereitende Rolle spielen zu der Entscheidung, die diesmal in Deutschland fallen wird. Daß die Sache in Österreich nicht wieder einschlafen wird, dafür werden unsre Leute dort schon sorgen. Der österreichische Reichsrat ist ein noch unendlich versumpfterer Froschteich wie der deutsche Reichstag und selbst die sächsische oder bayrische Kammer. Die Gegenwart von einem Dutzend sozialistischer Abgeordneter wird dort noch ganz anders einschlagen als bei uns, und besondres Glück haben wir dabei, daß wir an Victor einen Kerl haben, der die österreichischen verzwackten Verhältnisse so klar durchschaut und so scharf zu analysieren versteht. Seine Rede in der letzten „Arbeiter-Zeitung" ist ein wahres Prachtstück.11791 Ede und Gina waren heut morgen hier. Er ist noch gar nicht, wie er sein soll, hat die Manie der Kleinkrämereien und erinnert mehr und mehr an die Weisheit seines „Volks-Zeitungs"-Onkels3 - ich meine oft, ich habe den alten Aaron leibhaftig vor mir. Die Schweizer Geschichte hat er sich
8 Aaron Bernstein
selbst verdorben: man hatte ihm in Bern gesagt, einen würde man wohl hineinlassen, zwei aber auf einmal nicht - da war seine Politik doch klar: den kranken Julius vorzuschieben und dann, nach 6 Monaten, sich hierauf stützend, wiederzukommen; dann konnte man ihn schwerlich oder doch nur für kurze Zeit abweisen. Aber seine Ungeduld litt das nicht. Das schönste ist, daß er jetzt manchmal sagt, er bliebe lieber hier, nur Gina dränge nach der Schweiz. Sein Traum ist und bleibt die Rückkehr nach Berlin, er bildet sich wirklich ein, er könne das fertigbringen und verhandelt mit allen Juristen darüber. Abwarten! Wenn Schlüter gescheit ist, so tut er sich selbst und seiner Frau den Gefallen und läßt die Scheidung einleiten. Ein solcher Prozeß gegen eine abwesende Frau wegen böslicher Verlassung hat für beide Teile wenig unangenehme Seiten, und die volle Freiheit muß ihm selbst doch auch erwünscht sein. Allerdings pflegte er sich auch sonst die Freiheit selbst zu nehmen, wo er nur konnte. Im übrigen ist es immer erfreulich zu hören, daß eine Frau, die man kennt, sich zur Selbständigkeit aufrafft. Der Entschluß, sich endgültig von ihrem Hermann zu trennen, mag ihr sehr lange Kämpfe mit sich selbst gekostet und damit ihren Charakter früher als unentschlossen haben erscheinen lassen. Was für eine Verschwendung von Energie doch die bürgerliche Ehe ist - erst bis man soweit ist, dann solang der Kram dauert, und dann bis man sie wieder los ist. Eben sind wir von einem Gang durch den Park zurück, prächtiges Herbstwetter, hübscher Sonnenuntergang bei wolkenlosem Himmel und schöne Laubfärbung. Unten wird der Tisch gedeckt, es gibt walisische Hammelkeule als Wildbraten behandelt und die bewußten Nudeln. Darum eile ich zum Schluß. Louise und ich danken Julie für ihre lieben Briefe und behalten uns deren Beantwortung auf nächstens vor. Herzliche Grüße von uns beiden an Euch beide, ditto an Singer und Schwester, Liebknechts und alle die lieben Freunde, deren Namen ich nur nicht aufzählen kann, weil sonst der Braten kalt wird. Dein F. Engels
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 13. Okt. 1893
Mein lieber Lafargue, Ist die Korrespondenz aus Paris im heutigen „Vorwärts" von Ihnen?'1871 Und zwar frage ich deshalb: Als ich in Berlin war, sagte mir Liebkjnecht], daß er Sie als Korrespondent für den „V[or]wärts" verpflichten wolle, das Geld dafür aber noch vom Parteikomitee bewilligt werden müßte; indessen hat er mich gebeten, Ihnen zu sagen, daß es sich um eine regelmäßige Arbeit handeln würde, und zwar um Briefe, die zu einem vereinbarten Termin, einmal wöchentlich zum Beispiel, oder alle vierzehn Tage, eingesandt werden sollen, was er bisher bei seinen französischen Korrespondenten nicht erreichen konnte. Ich habe ihm versprochen, Ihnen diesbezüglich zu schreiben, sobald er mir mitteilen würde, daß die Sache zwischen Ihnen beiden beschlossen ist. Ich habe die Gelegenheit benutzt, um ihm meine Meinung darüber zu sagen, daß er jeden antirussischen Artikel Vaillants'1881 für wichtig hält und immer wörtlich abdruckt, während die bedeutend besseren antirussischen Artikel, die „LeSocialiste" seit langem veröffentlicht, von ihm fast unbeachtet blieben. Er entschuldigte sich und versprach, sich zu bessern. Aber hinsichtlich Ihrer Korrespondenz hat er mir noch kein Wort geschrieben und fährt fort, die Erklärungen der Blanquisten zu übersetzen und viel Wesens von ihnen zu machen; er hat sogar den Chauviere übersetzt. Außerdem hat er einen Artikel des kleinen Arndt abgedruckt'1891, obwohl dieser in Zürich immer mit Argyriades und Co. gegen die Deutschen gestimmt hat.'1561 Und Arndt gehört zum revolutionären Zentralkomitee der Blanquisten. Sie sehen also, daß L[ie]bk[necht] stark zu den Blanquisten'721 hinneigt, ich suche keineswegs nach den Gründen dafür, ich stelle nur die Tatsache fest. Es ist also wichtig, daß Sie, trotz Liebknecht, alles tun, um die Position, die Sie der deutschen Partei gegenüber immer eingenommen haben, aufrechtzuerhalten: die Position ihres Hauptverbündeten in Frankreich, der ein Recht darauf hat, als erster in den Beziehungen der deutschen Partei zu
den französischen Sozialisten im allgemeinen berücksichtigt zu werden. Und deshalb ist es notwendig, daß Sie im „Vorwärts" vertreten sind, damit die Pariser Korrespondenz wenigstens zum Teil in Ihren Händen liegt. Jetzt wird die Sache nicht mehr von der Redaktion allein entschieden. Der Parteivorstand hat ein Wort mitzusprechen. Und ich bin überzeugt, daß Sie dort, wenn notwendig, Unterstützung finden werden. Selbstverständlich werde ich mein Möglichstes tun, um das enge Bündnis zwischen der deutschen Partei und Ihrer Partei in Frankreich weiterhin zu sichern (das verpflichtet Sie nicht, ihr Geld zu nehmen, das könnte immer an die Blanquisten gehen, wenn Sie, wie Sie sagen, es nicht mehr wollen; die werden es mit Vergnügen nehmen).[1901 Teilen Sie mir also mit, wie weit Sie mit L[ie]bk[necht] hinsichtlich Ihres Engagements als ständiger Korrespondent des „Vorwärts" gekommen sind; aber unverzüglich, denn wenn es Schwierigkeiten gibt, müßte ich vor dem Parteitag in Köln, vor dem 22. dieses Monats[191], eingreifen. Nach dem, was im „Socialiste" stand, rechnete ich mit 12 Abgeordneten von uns. Ehrlich gesagt, hatte ich meine Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit, da ich mehr als die Hälfte nicht einmal dem Namen nach kenne. Aber Ihrem Brief nach zu urteilen, scheinen auch Sie von weit mehr als der Hälfte nicht zu wissen, ob sie zu uns gehören oder nicht. Das ist bedauerlich. Mit 12 zuverlässigen, von Guesde geführten Leuten hätten wir die Blanquisten, Allemanisten usw. bald gezwungen, uns zu folgen. Aber wenn wir nur über ein halbes Dutzend zuverlässiger Leute verfügen, dann müssen wir diese Herren als gleichberechtigt betrachten, und dann bestände die alte Zersplitterung weiter, oder aber, wenn eine Einigung zustande käme, geschähe das nur auf Kosten der Aufgabe von Prinzipien. Es ist richtig, daß Vaillant nach seiner Wahl viel vernünftiger scheint als vor sechs Monaten; aber wird er immer der Mehrheit in seinem Zentralkomitee sicher sein? Oder wird er, um sie sich zu sichern, gezwungen sein, in wichtigen Punkten seine persönlichen Ansichten den Vorurteilen dieser' Dummköpfe von Verschwörern zu opfern? Schade, daß Sie in Lille geschlagen worden sind. Sie haben sich für die Partei geopfert. Statt Ihre Wähler durch beständige Parlamentstätigkeit für sich einzunehmen, sind Sie herumgereist und haben Wähler für die anderen gesammelt. Wir brauchen Sie jedoch auch in der Kammer; ich hoffe, daß Sie den ersten vakanten Sitz erhalten. Wird die neue Zeitung wie die letzte sein, „pour paraitre en octobre" ?[192] Wird Euch nicht „La Petite Rep[ublique\ fr[angaise]" den Weg versperren? Das ist auch eines der Ergebnisse der Allianz Millerand-Goblet[1931; Ihr
habt Ihnen viel mehr geholfen, als sie Euch. Millerand geht noch, aber Gobletü ein Ex-Minister, und Kandidat für die Präsidentschaft des Rats!! Morg en werde ich Laura ein paar Zeilen über geschäftliche Dinge schreiben -, heute komme ich nicht mehr dazu. Den ganzen Morgen hat man mich unterbrochen, und jetzt ist es schon nach 5 Uhr. Also umarmen Sie Laura für mich. Grüße von Louise. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
10 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 14. Okt. 1893
Mein liebes Lohr, Ich habe 3 Exemplare der französischen Ausgabe „Origine de la famille" usw. erhalten. Zu meiner Überraschung sind die Worte „entierement revue par Mme Laura Lafargue"1, die auf dem Titelblatt des Probebogens standen, jetzt nicht mehr vorhanden.11941 Ist dies, wie ich vermute, ein kleiner Verrat von Rave? Wenn ja, werde ich protestieren. Voila2 Fortin aus Beauvais, der mir mitteilt, daß er folgendes zu übersetzen beabsichtigt: 1. Die „Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie" in den „DeutschFranz [ösischen] Jahrbüchern" (von Mohr, 1844); 2. die 3 Kapitel „Gewaltstheorie" aus meinem „Anti-Dühring".[1951 Ich habe absolut keine Zeit, seine Arbeit durchzusehen - und Nr. 1 ist außerordentlich schwierig. Aber vielleicht könntest Du, anstatt Fortins Arbeiten durchzusehen (die Du aus Erfahrung kennst), das Ganze lieber selber machen. Was Nr. 1 betrifft, so halte ich ihn für völlig ungeeignet, Möhrs epigrammatischen Stil wiederzugeben. Das könntest nur Du. Er will sie in der „Ere nouvelle" veröffentlichen. Was soll ich ihm Deiner Meinung nach antworten? Brillanter Sieg in Österreich.3 Taaffe schlägt ein Wahlgesetz vor[1801, das ebensoviel bedeutet wie das allgemeine Stimmrecht, wenigstens in den Städten und Industriebezirken, sagt Adler. Taaffes Politik soll die Macht der Deutschliberalen Partei (die die deutsche und die jüdische Bourgeoisie vertritt) brechen und wahrscheinlich auch die bürgerlichen Liberalen durch so viele Sozialisten ersetzen, wie notwendig wären, um die anderen Parteien enger zusammenzuschließen und ihm so eine wirksame Mehrheit zu verschaffen. Das Abgeordnetenhaus in Österreich besteht aus 85 Vertretern der Großgrundbesitzer, 21 der Handelskammern (diese 106 werden von
1 „vollständig durchgesehen von Mme Laura Lafargue" - 2 Da ist - 3 siehe auch vorl. Band, S. 137 und 140/141
dem neuen Gesetz nicht berührt), 97 aus den Städten und 150 aus den Landbezirken (in beiden wird nach dem neuen Gesetz gewählt werden). Vorläufig werden die Landbezirke etwa die gleiche Zahl von katholischen und konservativen Vertretern entsenden wie bisher, und der Ausschluß von Analphabeten wird hier das Stimmrecht beträchtlich einschränken; aber in den Industriezentren des Westens und Nordens (Vorarlberg, das eigentliche Österreich, Böhmen, Mähren, vielleicht auch die Steiermark) wird das neue Wahlgesetz praktisch sehr nahe an das allgemeine Wahlrecht herankommen. Die bürgerlichen Zeitungen rechnen darauf, daß die Wählerzahl 5200000 statt wie bisher 1770000 betragen wird, und die Zahl der sozialistischen Sitze wird auf 20 bis 60 geschätzt! Wir brauchten nur 20 bis 24 (das ist die Anzahl der Unterschriften, die notwendig ist, damit ein Antrag zur Diskussion gestellt wird), und wir würden diese ganze altmodische Versammlung umkrempeln. Es ist eine vollständige Revolution, unsere Leute in Wien frohlocken, obgleich sie natürlich auf dem vollen all-> gemeinen Stimmrecht, auf direkten Wahlen und Abschaffung der 106 privilegierten Vertreter bestehen. Herzliche Grüße von Louise. Immer Dein F.E.
Aus dem Englischen.
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 17. Oktober 1893
Werter Herr, Als ich Ihren Brief vom 26. Juli erhielt, der mir Ihre Rückkunft anzeigte, schickte ich mich gerade an, für zwei Monate nach dem Kontinent zu reisen, und ich bin eben erst zurückgekommen1901. Das ist der Grund meines langen Schweigens. Vielen Dank für die Exemplare der „OiepKii"1196von denen ich drei an Freunde, die es zu schätzen wissen, geschickt habe. Ich freue mich zu sehn, daß das Buch beträchtliche Aufregung verursacht, ja sogar Sensation gemacht hat, wie es das durchaus verdiente. Unter den Russen, die ich getroffen habe, bildete es das Hauptgesprächsthema. Erst gestern schreibt einer von ihnen1: y Haci. Ha Pycn ii^eTt cnopt o „cyAi>6axi> KanHTajinBMa bt> Poccin"2. Im Berliner „Sozialpolitischen Centralblatt"* hat ein Herr P. v. Struve einen langen Artikel über Ihr Buch veröffentlicht. In einem Punkt muß ich ihm zustimmen: Auch mir erscheint die gegenwärtige kapitalistische Phase der Entwicklung in Rußland als eine unvermeidliche Folge der historischen Bedingungen, die der Krimkrieg geschaffen hat, des Weges, auf dem 1861 die Umwälzung in den Agrarverhältnissen zustande kam, und der politischen Stagnation in Europa im allgemeinen. Entschieden unrecht hat er, wo er den gegenwärtigen Zustand Rußlands mit dem der Vereinigten Staaten vergleicht, um das zu widerlegen, was er Ihre pessimistischen Zukunftsansichten nennt. Er sagt, die üblen Folgen des modernen Kapitalismus in Rußland werden ebenso leicht überwunden werden wie in den Vereinigten Staaten. Hier vergißt er ganz, daß die USA von allem Anfang an modern, bourgeois waren; daß sie von Kleinbürgern und Bauern
* III. Jahrgang, Nr. 1,2. Okt.3 1893
1 J.P. Goldenberg - 2 Bei uns in Rußland wird gestritten über das „Schicksal des Kapitalismus in Rußland" - 3 in der Handschrift: 1. Okt.
gegründet wurden, die dem europäischen Feudalismus entflohen, um eine rein bürgerliche Gesellschaft zu errichten. Dagegen haben wir in Rußland ein Fundament von primitiv-kommunistischem Charakter, eine noch aus der Zeit vor der Zivilisation stammende Gentilgesellschaft4, die zwar schon in Trümmer fällt, aber immer noch als Fundament, als Material dient, auf und mit dem die kapitalistische Revolution (denn es ist eine wirkliche soziale Revolution) wirkt und operiert. In Amerika gibt es seit mehr als einem Jahrhundert Geldwirtschaft5, in Rußland war fast ausnahmslos Naturalwirtschaft6 die Regel. Deshalb ist es selbstverständlich, daß die Umwälzung in Rußland weit heftiger, weit einschneidender und von unermeßlich größern Leiden begleitet sein muß als in Amerika. Doch bei alledem scheint mir, daß Sie die Sache düstrer sehen, als die Tatsachen es rechtfertigen. Ohne Zweifel kann sich der Übergang von einem primitiven Agrarkommunismus zum kapitalistischen Industrialismus nicht vollziehen ohne eine gewaltige Umwälzung der Gesellschaft, nicht ohne das Verschwinden ganzer Klassen und ihre Umwandlung in andere Klassen; und was für ungeheure Leiden, welche Vergeudung von Menschenleben und Produktivkräften dies notwendigerweise mit sich bringt, haben wir - in kleinerm Maßstabe - in Westeuropa gesehen. Aber von da bis zum vollständigen Ruin einer großen und hochbegabten Nation ist noch ein weiter Weg. Die schnelle Bevölkerungszunahme, an die Sie sich gewöhnt haben, mag gehemmt werden; die rücksichtslose Abholzung, verbunden mit der Expropriation der alten noivrfcmHKH7 wie der Bauern, mag eine kolossale Verschwendung von Produktivkräften verursachen; aber trotz alledem wird eine Bevölkerung von mehr als 100 Millionen schließlich einen sehr beträchtlichen inneren Markt für eine sehr ansehnliche grande industrie8 schaffen, und bei Ihnen wie anderswo werden die Dinge schließlich ihr eignes Niveau finden - falls der Kapitalismus in Westeuropa lange genug durchhält. Sie geben selbst zu, daß „die sozialen Bedingungen in Rußland nach dem Krimkrieg nicht günstig waren für die Entwicklung der Produktionsweise, die uns durch unsre geschichtliche Vergangenheit überliefert worden ist". Ich würde weiter gehn und sagen, daß es in Rußland ebensowenig wie anderswo möglich gewesen wäre, eine höhere Gesellschaftsform aus dem primitiven Agrarkommunismus zu entwickeln, es sei denn, daß diese höhere Form in einem andern Land sc hon existiert hätte, so daß sie als
4 in der Handschrift deutsch: Gentilgesellschaft - 6 in der Handschrift deutsch: Geldwirtschaft - 6 in der Handschrift deutsch: Naturalwirtschaft - 7 Gutsbesitzer—8große Industrie
Vorbild hätte dienen können. Da diese höhere Form, wo immer sie historisch möglich wird, die notwendige Folge der kapitalistischen Produktionsweise und des durch sie hervorgerufnen sozialen dualistischen Antagonismus ist, konnte sie nicht direkt aus der Dorfgemeinde entwickelt werden, es sei denn in Nachahmung eines schon irgendwo existierenden Beispiels. Wäre der Westen Europas 1860-70 für eine solche Umwandlung reif gewesen, wäre diese Umwälzung dann in England, Frankreich usw. in Angriff genommen worden, dann wäre es an den Russen gewesen zu zeigen, was aus ihrer Gemeinde, die damals noch mehr oder weniger intakt war, hätte gemacht werden können. Aber der Westen blieb stehn, keinerlei derartige Umwandlung wurde versucht, und der Kapitalismus wurde immer schneller entwickelt. Da nun Rußland keine Wahl hatte als die, entweder die Gemeinde zu einer Produktionsweise zu entwickeln, von der es durch eine Reihe historischer Stadien getrennt war und für die selbst im Westen die Bedingungen damals nicht reif waren - offensichtlich eine unmögliche Aufgabe -, oder aber sich zum Kapitalismus zu entwickeln, was blieb ihm andres als die letzte Möglichkeit? Was die Gemeinde betrifft, so ist sie nur möglich, solange ihre Mitglieder sich in bezug auf ihren Wohlstand nur wenig voneinander unterscheiden. Sobald diese Unterschiede groß werden, sobald einige ihrer Mitglieder die Schuldsklaven der reichern Mitglieder werden, kann sie nicht länger leben. Die KyjiaKH9 und MipöiflH10 Athens vor Solon haben die athenische gens mit derselben Unbarmherzigkeit zerstört, mit der diese Elemente in Ihrem Lande die Gemeinde zerstören. Ich fürchte, diese Institution ist zum Untergang verurteilt. Aber andrerseits eröffnet der Kapitalismus neue Aussichten und neue Hoffnungen. Sehen Sie sich an, was er im Westen getan hat und tut. Eine große Nation wie die Ihre überlebt jede Krise. Es gibt kein großes historisches Übel ohne einen ausgleichenden historischen Fortschritt. Nur der modus operandi11 hat sich geändert. Que les destin6es s'accomplissentl12 Immer der Ihre.
Sobald Bd. III13 in Druck ist, werde ich daran denken, Ihnen Korrekturbogen zu schicken.
Aus dem Englischen.
9 Kulaken -10 Ausbeuter -11 die Handlungsweise - 12 Möge sich das Schicksal erfüllen! 13 des „Kapitals"
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 18.Okt.93
Mein liebes Lohr, Liebknecht teilt mir mit, da das Honorar für Pauls Briefe vom Parteivorstand beschlossen werden muß, sei er noch nicht in der Lage zu antworten.1 Das ist ein plausibler Grund. Als wir Berlin verließen, war der Parteivorstand mit sehr wichtigen Dingen beschäftigt; dann mußten Liebknecht] und Bebel eine Agitations-Tournee nach Sachsen machen, wo morgen die Wahlen in den sächsischen Landtag stattfinden.11971 Unmittelbar danach beginnt der Kölner Parteitag'1911, der wiederum die Mitglieder des Vorstands von ihrer regulären Tätigkeit abhält.2 Was den Parteitag in Köln betrifft, so schreibt mir Bonnier, il est possible que nous n'irons pas a Cologne, n'ayant pas re?u d'adresse du parti allemand3. Die Adresse steht täglich im „Vorwärts": „Das ZentralEmpfangsbüro befindet sich: Hotel Durst (nomen est omen!) (früher Gasthof zur Post), Marzellenstr.5, in der Nähe des Zentralbahnhofs und des Doms."4 Die Adresse der „Rheinischen Zeitung" ist: Großer Griechenmarkt 115. An Fortin schreibe ich11361, daß er seine Hände vom „Dühring" lassen soll6, daß Möhrs Aufsatz6 fast unmöglich zu übersetzen ist und ich es überdies nicht übernehmen kann, seine Arbeit durchzusehen7. Ich teilte ihm mit, daß der „Dühring" Dir „gehört" und daß Du Rave durchgesehen hast. Ich sagte ihm auch, daß Du Möhrs Aufsatz nicht kennst und vielleicht könne er Dir sein Exemplar überlassen, damit Du es Dir ansehen kannst;
1 Siehe vorl. Band, S. 143/144 - 2 in diesem und im nächsten Absatz in der Handschrift deutsch: Parteivorstand, Landtag, Parteitag, Vorstand - 3 es ist möglich, daß wir nicht nach Köln kommen werden, da wir von der deutschen Partei keine Adresse erhalten haben - 4 in der Handschrift deutsch: „Das Zentral-Empfangsbüro befindet sich: Hotel Durst ... (früher Gasthof zur Post), Marzellenstr.5, in der Nähe des Zentralbahnhofs und des Doms." 5 siehe vorl. Band, S. 146 - 6 Karl Marx: „Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie" ' siehe vorl. Band, S. 146
aber nichts weiter, keine Hoffnungen, daß Du die Durchsicht für ihn machen würdest oder möchtest. Es tut mir sehr leid, daß Du Deinen Namen von dem Titelblatt gestrichen hast.11941 Es wäre ein ausgezeichnetes Mittel gewesen, um Verleger, und zwar zahlende, für Deine anderen Übersetzungen zu gewinnen. Du hast es nicht nötig, Dich Deiner eigenen guten Arbeit zu schämen, oder Rave zu gestatten, sich mit fremden Federn zu schmücken. Es gibt keinerlei Grund dafür, daß Du Dich „im Hintergrund hältst". Und gerade diese Art Arbeit müßte Dir jetzt Geld einbringen - Rave wird sicherlich bezahlt und gut bezahlt für seine schlechte Arbeit, die Du erst in die richtige Form bringen mußtest - und ich sehe nicht ein, warum Du nicht ernten solltest, was Du gesät hast. Grüße von Louise. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an August Bebel in Köln
... . London, 18. Okt. 93 Lieber August, Ich erhalte soeben die Anzeige, daß der Verlag des „Vorwärts" etc. „beabsichtigt", den „Anti-Dühring" neu aufzulegen, und fordert man mich bloß auf, der Neuauflage einige kurze Bemerkungen hinzuzufügen. Was ich selbst etwa „beabsichtige", danach werde ich gar nicht gefragt. Nun erinnerst Du Dich, daß wir auf der Reise'901 abmachten, den „AntiDühring" an Dietz zu geben, dafür die kleineren populären Sachen dem „Vorwärts". Ich werde also die Herren in Berlin hiervon vorläufig in Kenntnis setzen, damit sie sich keinen weiteren Illusionen hingeben, und schreibe Dir dies gleich nach Köln, da ich von Louise höre, daß Du von dort nach Stuttgart gehst, also die Sache mit Dietz besprechen kannst. Ich stelle ihm folgende Bedingungen für eine Auflage, deren Stärke er selbst bestimmen kann, aber die er mir dann auch mitteilt: 1. ein Honorar von 15 % des Ladenpreises, also 15 Pfg für jede Mark. Das erhalten wir hier in England für Übersetzungen meiner Sachen. Da das Buch doch nur in beschränktem Maß für den Massenabsatz geeignet ist, kann er den Preis entsprechend stellen. 2. Das Honorar wird an Dr. Victor Adler in Wien gezahlt.'1981 3. Dietz verpflichtet sich, keine ganze oder teilweise Preisherabsetzung vorzunehmen ohne meine schriftliche Einwilligung. Dies, damit das Buch nicht, wie geschehn, benutzt wird, um gewissen Ladenhütern den Absatz zu erleichtern. Das ist alles. Du weißt, Liebk[necht] (den Sonntag im Grunewald) ging mich an, Lafargue zu regelmäßiger Arbeit als Korrespondent zu mahnen, was ich ihm versprach, sobald er mir anzeige, daß der Vorstand das Honorar Laf[argue]s bewilligt habe. Im „Vorwärts" stand nun ein Bericht, Pariser Korrespondenz, über den Pariser Marxistenkongreß'1991; ich frug bei Ljafargue]1 an (da ich von Liebk[necht] nichts hörte), ob diese von ihm sei,
und er sagte nein. Darauf frug ich bei L[ie]bk[necht] an11351, wie es mit der Sache stehe, und dieser schreibt mir jetzt: „Vor meiner Abreise nach Sachsen, woher ich soeben zurückkam, schrieb ich an August, die Sache mit Laf[argue] in Ordnung zu machen. Ich bin in allem, was besondre Ausgaben involviert, vom Vorstand abhängig." Es scheint also, Du sollst wieder einmal für die Versäumnis andrer Leute verantwortlich gemacht werden. Nun ist ja der Vorstand in der letzten Zeit arg mit Arbeit überhäuft worden, aber ich möchte doch anheimgeben, daß ein Engagement eines Zeitungskorrespondenten in wenig Minuten erledigt werden kann. Mir kommt es fast vor, als wenn L[ie]bk[necht] in seiner wachsenden ausschließlichen Freundschaft für Vaillant gar keine besondre Lust hätte, mit Laf[argue] abzuschließen, sonst hätte er wohl die Sache vor dem Pariser Kongreß erledigt und dann auch den authentischen Bericht über diesen erhalten (die Franzosen ließen keine Reporters oder Publikum zu). Hier wimmelt's. Vorgestern kam Lehmann und Frau Adams Waither, heute kommt Schmuilow, der hier heiraten will. Ich frug Frau A[dams] W[alther] wegen ihrer Abmachungen mit Foulger, sie wußte nichts Bestimmtes, will sich aber bei dem Freund, der die Sache besorgt hat, erkundigen und mir dann das Resultat mitteilen. Nach dem, was sie zu sagen wußte, ist höchst wahrscheinlich das literarische Eigentum ihrer Übersetzung stillschweigend an F[oulger] übergegangen, und dann wäre absolut nichts gegen Reeves zu machen, als eine Notiz in den Blättern, daß dieser Text seit Jahren veraltet ist.[176] Ich wollte Dir die 20 Mark schicken, die ich am letzten Tag von Dir gepumpt, aber ich komme nicht dazu, in die Stadt zu gehn und deutsches Papiergeld zu holen. Du erhältst es das nächste Mal. Sollte ich Dir sonst noch einen Betrag schulden, was ja möglich ist, so erinnerst Du mich wohl in deinem Nächsten daran. Die Lassallebriefe sind in Tussys Hand zur Bearbeitung mit der Schreibmaschine.[SOO] Sie wird Euch den üblichen Satz dafür berechnen, den ich ihr zahlen werde. Was gebt Ihr aber den Erben an Honorar? Wieviel es wird, kann ich bei der Handschrift noch nicht sagen. 21. Okt. Dieser Brief ist gestern wieder liegengeblieben, weil ich den Schmuilow wegen Unkunde des Englischen und Unmöglichkeit, jemand anders zu finden, zum Standesbeamten führen und die einleitenden Formalitäten besorgen helfen mußte. Vier Wochen vergehn, ehe der Akt der ehelichen Fesselung vorgenommen werden kann. Die Sache in Österreich verläuft wunderbar. Die allgemeine Ratlosigkeit
der Parteien, das Schwanken des Kaisers2, die fast sichre Auflösung und Neuwahlen geben Gelegenheit zur prachtvollsten Agitation von Seiten der Unsern und zur gründlichen Aufrührung des alten Sumpfs. Die verschiednen aristokratischen und bürgerlichen Parteien krimmein und wimmeln durcheinander wie Ameisen in einem zerstörten Ameisenhaufen. Die alte Ordnung, ohnehin so wacklig, ist jetzt auf immer dahin, und wir haben nur dafür zu sorgen, daß die Geschichte nicht wieder zur Ruhe kommt. Und das ist nicht schwer. Die Rückwirkung auf Deutschland ist natürlich unvermeidlich. Ganz wie 1848 Wien am 13. März losschlug und dadurch Berlin nötigte, am 18. zu folgen. Brüssel^1 - Wien11801 - Berlin ist jetzt die natürliche „Ordnung im Abc". Preußisches und andre Lokalwahlrechte, Hamburger Verfassung usw. werden wohl alle der Reihe nach dran glauben müssen. Die Periode des Stillstands und der Reaktion in der Gesetzgebung, die auf 1870 folgte, ist zu Ende, die Regierungen kommen wieder unter die Kontrolle einer lebendigen politischen Bewegung im Volk, in deren Hintergrund wir sitzen und die wir - negativ hier, positiv dort - bestimmen. Was die Liberalen vor 1848, das sind wir jetzt, und die belgisch-östreichischen Wahlsiege beweisen, daß wir ein hinreichend starker Gärungsstoff sind, um die eingeleitete Gärung durchzuführen. Rasch und flott wird der Prozeß aber erst, sobald wir auch in Deutschland direkte oder indirekte Erfolge - Eroberungen in freiheitlichem Sinn, Vermehrung der politischen Macht der Arbeiter, Ausdehnung ihrer Bewegungsfreiheit - erringen. Und das kommt auch. Wenn Du aus den Miquelbriefen Stellen zum besten gibst, so verschieß Dein Pulver nicht auf einmal. Bedenke, daß, sowie die Sachen einmal heraus sind, der Effekt vorbei ist und nicht wiederholt werden kann, - es sei denn, wir hätten noch Munition in Reserve. Der Generalstreik war eine große Gefahr in Ostreich, es ist noch nicht ausgeschlossen, daß er nicht ins Werk gesetzt wird zugunsten des Ministeriums Taaffe und seiner Wahlreform, was allerdings die Spitze der geschichtlichen Ironie wäre. Beim Ausschluß der englischen Bergarbeiter3 hat sich gezeigt, wie betörend diese konfuse Vorstellung gewirkt hat. Die Grundidee ist: Zwingen der Bourgeoisie durch allgemeinen Kohlenmangel. Dies hat einen gewissen Sinn, wenn die Arbeiter die Offensive ergreifen, d.h. bei guter Geschäftslage. Dagegen, geht das Geschäft schlecht, haben die Industriellen übergroße Vorräte und die Zechen mehr Kohlen, als sie verkaufen können, ergreifen also die Kapitalisten die Initiative, die Produktion zu vermindern
2 Franz Joseph I. - 3 siehe vorl. Band, S. 139
durch Aussperrung und dabei die Löhne zu drücken - dann ist der allgemeine Strike Wasser auf die Mühle der Kapitalisten, die Kohleproduktion wird in ihrem Interesse vermindert. Die richtige Politik der Engländer war, den kontinentalen Grubenarbeitern zu empfehlen, nur keinen Strike zu machen, damit womöglich Kohlen vom Kontinent nach England kämen. Aber die Phrase vom allgemeinen Strike hatte ihnen die Köpfe überall verwirrt, die belgischen und französischen Strikes12011 folgten dem englischen Lockout, und soweit sie England beeinflußten, konnten sie dies nur tun zugunsten der Kapitalisten. Die großen Zechenbesitzer wehren sich noch; die kleineren geben mehr und mehr nach. An 80000 Mann arbeiten wieder, etwa 200000 stehn noch aus. Die großen drohen mit dem Äußersten: Exmittierung der Arbeiter aus den den Zechen gehörigen Wohnhäusern. Wären Strikebrecher da, bereit, die Häuser zu beziehen, so würden die Zechen dies unbedingt durchsetzen und Militärhülfe dazu erhalten. Das ist aber nicht der Fall, und zu einem reinen Willkürakt, der nur den Zweck hätte, die Arbeiter obdachlos vor leer bleibende Häuser hinzusetzen, wird die Regierung schwerlich bereit sein, sich nochmals der Unpopularität einer Schießerei wie die neuliche von Featherstone12021 preiszugeben. Geschieht's aber dennoch, so fließt viel Blut. Dies Äußerste lassen sich die Arbeiter nicht gefallen. Gleich kommen Avelings, die sich eben zum Essen angemeldet. Das ist hier wie ein Taubenschlag. Also leb wohl, grüß alle, und wenn Du nach Stuttgart kommst, auch Dietz und K. K[autsky] nebst Gattin. Dein F.E.
78
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 27. Okt. 93
Mein liebes Lohr, Selbst wenn Fortin ein Geschäftsmann ist, so ist es ihm doch gelungen, mit Hilfe eines Rumänen1 (dessen Geschäftsgebaren teils dem eines polnischen Juden, teils dem eines verschwenderischen Bojaren gleicht), einen ganz schönen Wirrwarr anzurichten. Ich habe F[ortin] geschrieben11351, daß Du die „Kritik der Rechtsphilosophie]" nicht kennst, daß er jedoch, wenn er es für nötig hält. Dir sein Exemplar der „D[eutsch]-F[ranzösischen] Jahrbücher" schicken möchte, damit Du es lesen und Dir einen Begriff davon machen kannst, ob es - sowohl dem Inhalt als der Form nach - ratsam ist, sie den französischen Arbeitern vorzulegen. In seinem Eifer, Stoff für seine Revue2 zu bekommen, stürzt sich Diamandi auf Dich und macht überdies aus einem Artikel plusieurs3 (Geschäftsprinzip des polnischen Juden, viel zu fordern, um dann nachlassen zu können, wie zum Beispiel: Was kostet die Elle von dem Stoff? - Fünfzehn Groschen. - Fünfzehn sagt er, zwölfeinenhalben meint er, zehn wird er nehmen, sieben und einen halben ist die Sache wert, fünf möcht ich ihm geben, werd* ich ihm bieten zwei und einen halben Groschen!4) Voila ce que c'est.5 Soll F[ortin] Dir doch erst sein Exemplar schicken, und dann wirst Du sehen, was Du machst. Was die „Gewaltstheorie"6 angeht, so hat mich kein Wort in Fortins Brief zu dem Schluß geführt, daß die Sache schon geschehen ist, und ich glaube es auch nicht.7 Dich glauben zu machen, Du stündest en face d'un fait accompli8, ist auch einer von diesen orientalischen Tricks, die sie im Interesse der Sache für völlig gerechtfertigt halten. Du kommst niemals
1 George Diamandi - a „L'Ere nouvelle" - 8 mehrere - 4 in der Handschrift deutsch: Was kostet die Elle ... einen halben Groschen! - 6 So ist das. - 8 siehe Band 20 unserer Ausgabe, S. 147-171 - 7 siehe vorl. Band, S.146-8 vor einer vollendeten Tatsache
an die Tatsachen heran und wirst noch weniger zu einem praktischen Ergebnis kommen, ehe Du Diamandi nicht ausschaltest und mit Fortin direkt verhandelst. Diamandi hat mich wegen der Ubersetzung des „Ursprungs" für die „Ere noavelle" genauso behandelt.9 Ich erhielt heute einige Zeilen von Bebel in Pauls Angelegenheit.10 Die Verzögerung war 1. durch die sächsischen Wahlen11971, 2. den KölnerParteitag11911 verursacht, was Sitzungen des Parteivorstands verhinderte und sie mit Arbeiten überhäufte. Sobald B[ebel] und L[iebknecht] nach Berlin zurückgekehrt sein werden, wird die Sache geregelt. Aber Bfebel] schreibt auch, daß gegenüber Pariser Korrespondenten französischer Nationalität großes Mißtrauen vorhanden ist, da bisher jeder von ihnen gerade dann aufgehört hat, Berichte zu schicken, als die französischen Angelegenheiten hochinteressant wurden - sie kümmerten sich dann um ihre eigenen Angelegenheiten und überließen es dem „Vorwärts", selber damit fertig zu werden. Ich werde mein Bestes tun, sie zu überzeugen, daß jetzt, da Paul nicht mehr gratis mit der Eisenbahn fahren kann, das aufhören wird, soweit es ihn angeht, aber ich hoffe, daß unsere Pariser Freunde endlich lernen werden, ein Geschäft als Geschäft zu behandeln und Verpflichtungen als etwas, das zu erfüllen ist - zumindest in der Regel. Herzliche Grüße von Louise. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Ferdinand Wolff in Oxford12031 (Entwurf)
[London, Ende Oktober 1893] Du schreibst: Ich habe ... bekanntgemacht. Ich weiß nicht, auf welchen alten Klatsch Du da anspielst, und es ist mir auch höchst gleichgültig. Aber wenn Du Dich jetzt mit Deinem „Schweigen" spreizest, so sieht das aus wie eine Drohung, als könntest Du dies Schweigen jetzt brechen. Da kommst Du an den Rechten. Ist es wirklich Deine Absicht, mir zu drohen, so habe ich nur eine Antwort: do your worst1. Auf Dein Schweigen und auf Dein Reden pfeife ich. Was ich aber überhaupt nicht begreife, ist, wie Du dazu kommst, mir solche Albernheit zu schreiben. Ich kann sie nur daraus erklären, daß Du Dich in einem Zustand nervöser Überspannung befindest. Sonst würdest Du begreifen, daß so etwas mir absolut verbietet, mit Dir in irgendwelcher Verbindung zu bleiben, bis Du Dich wieder bei mir rehabilitierst.
1 mach, was Du willst
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 3. Nov. 93
Lieber Baron, 1. Howell. Das Buch „Conflicts" etc. ist eine dicke Kompilation, 536 Seiten, und würde meiner Ansicht nach in Deutschland wenig ziehn, da zudem die ganze Vorgeschichte und auch Späteres aus - Brentano abgeschrieben12041. Ein kürzerer Auszug ist H[owell]s 1891 erschienener: „Trades Unionism new and old", 235 S., und auch um ein Jahr neuere Daten enthaltend. Dies unter Kontrolle und mit Noten, gekürzt übersetzt, würde möglicherweise ziehen. Nur muß Dietz sich nicht wieder prellen lassen, wie durch Stepniak von Sonnenschein mit den £ 25, die rein zum Fenster hinausgeworfen waren und obendrein den englischen Verlegern einen falschen Begriff von der Geschäftstüchtigkeit ihrer deutschen Kollegen beibringen. Man soll sich nicht von solchen Leuten auslachen lassen, den Engländern imponiert man nur dadurch, daß man auf seinem Recht besteht.12061 Also: Nach internationalem Recht muß, um das Übersetzungsrecht zu schützen, innerhalb eines Jahrs vom Erscheinen des Originals ein Anfang von der betreffenden Übersetzung veröffentlicht sein, dann ist man in dem betreffenden Land und der betreffenden Sprache auf 3 Jahre geschützt. Wo nicht, nicht. Hiernach hat weder Howell noch sein Verleger1 Anspruch auf irgend etwas von Rechts wegen. Nur Anstandsrücksichten können in Frage kommen. Wenn Dietz die Unterhandlung mit H[owell] durch Aveling mündlich will führen lassen (der in diesen Dingen gut Bescheid weiß) und diesen bevollmächtigen, im Notfall sage £ 2.10 = 50 Mark dem H[owell] zu bieten, so wird H[oweII] die Einwilligung zur Übersetzung wahrscheinlich ganz gratis geben. Ich sehe nicht ein, warum den hochnäsigen Engländern ohne Not Geld in den Rachen geworfen werden soll, damit sie uns Kontinentalen gegenüber dicktun mit dem kommerziellen Wert ihrer Bücher auch drüben, während wir armen Teufel dankbar sein sollen, wenn
1 Frederick Orridge Macmillan
sie uns die Ehre antun, uns auch ungefragt zu übersetzen. Und noch dazu dieser Lumpazius von Howell! 2. Daß Du nach Wien willst, begreife ich.®061 Österreich ist jetzt das wichtigste Land in Europa, wenigstens für den Moment. Hier liegt die Initiative, die in 1-2 Jahren auf Deutschland und andre Länder zurückwirken wird. Der brave Taaffe hat einen Stein ins Rollen gebracht, der so bald nicht wieder zum Halten kommt.11801 Da ist es natürlich, daß jeder östreicher mitarbeiten will; zu tun wird's genug geben. Ich habe mich über die Wiener sehr gefreut, es sind famose Kerle, aber sanguin, sanguin, daß die Franzosen es nicht besser machen könnten, und da heißt's nicht: antreiben, sondern eher: hemmen, damit nicht die Früchte langjähriger Arbeit in einem Tage verspielt werden. Ede las mir gestern abend vor, was Du ihm wegen eines Artikels über den Strike als politisches Kampfmittel geschrieben. Ich habe ihm entschieden abgeraten, den Artikel zu schreiben.12071 Meiner Ansicht nach hat er sich durch die Dreiklassenwählereigeschichte schon hinreichend in den Ruf eines Mannes gebracht, der die Fühlung mit den Massen verloren hat, und von außen her, aus der Studierstube, doktrinär über Fragen der unmittelbaren Praxis räsoniert.12081 Aber ich bin auch überhaupt der Ansicht, daß ein solcher Artikel grade jetzt höchst schädlich wirken müßte. Er könnte noch so vorsichtig, noch so unparteiisch abwägend gehalten sein; die Wiener „Volkstribüne" würde die ihr passenden Stellen herausreißen, mit fetter Schrift abdrucken und gegen die Leute ausspielen, die ohnehin Mühe genug haben, die Wiener vor kopflosen Streichen abzuhalten. Du sagst selbst, Barrikaden seien veraltet (sie können aber wieder nützlich werden, sobald die Armee zu Vs^/s sozialistisch ist und es drauf ankommt, ihr Gelegenheit zum Umfallen zu geben), aber der politische Strike muß entweder sofort siegen - bloß durch die Drohung (wie in Belgien11841, wo die Armee sehr wacklig war) - oder aber in einer kolossalen Blamage endigen oder schließlich direkt auf die Barrikaden führen. Und das in Wien, wo man Euch durch Tschechen, Kroaten, Ruthenen etc. ohne weiteres über den Haufen schießen kann. Wenn die Geschichte in Wien, so oder so, mit oder ohne politischen Generalstreik, entschieden ist, dann ist die Frage noch immer aktuell genug für die „N[eue] Z[eit]". Aber jetzt das allgemeine theoretische Pro und Kontra dieses Kampfmittels öffentlich zu diskutieren, könnte den firebrands2 in Wien nur Wasser auf die Mühle liefern. Ich weiß, welche Mühe Victor hat, der Zaubermacht, die die Phrase vom Generalstrike auf die Wiener Massen
2 Hitzköpfen
11 Marz/Engels, Werke. Bd. 39
hat, entgegenzuarbeiten, und wie froh er ist, wenn er die Entscheidung nur auf die lange Bank schieben kann, und da sollten wir uns, meiner Meinung nach, absolut davor hüten, irgend etwas zu tun oder zu sagen, was der leidenschaftlichen Strömung Vorschub leisten kann. Die Wiener Arbeiter sollen warten, bis sie durch das Stimmrecht das Mittel erhalten, sich und ihre Freunde in der Provinz zu zählen, dann kennen sie ihre Kräfte und das Verhältnis dieser Kräfte zu den gegnerischen. Übrigens kann es ja dahin kommen, daß der allgemeine Strike durchgeführt wird unter dem Schutz und mehr oder weniger zugunsten des Wahlreform-Ministers Taaffe. Das wäre der Gipfel der Ironie. 3. Den „Parlamentarismus" hast Du mir in Zürich persönlich verehrt, nochmals Dank dafür.12091 4. Was den HeinebrieF1681 angeht, so sagt mir Tussy, sie habe Dir gegenüber auch Lauras Einwilligung sich vorbehalten. Ich habe Tfussy] die letzte Zeit, seit ich wieder hier bin1901 - fast gar nicht und nur auf Momente gesehn, sie sind beide kolossal beschäftigt, und fast keinen Sonntag zu sehn wegen Meetings. Ich möchte aber doch den Brief nochmals ansehn, ehe ich Bestimmtes sage, die Geschichte ist arger Mißdeutung fähig, und man muß sich das sehr überlegen. 5. II I.Band3, Aushängebogen. Ich will sehn, daß, wenn es soweit ist, Dir oder Ede diese Bogen abschnittweise zur Verfügung gestellt werden, wenn ich sie nämlich aus Meißner herausschlage. Denn ich brauche schon einen Extra-Abzug für die russische Übersetzung, und M[eißner] wird alt und tut nicht mehr so kulant wie früher. Ich werde aber mein Bestes tun; im ganzen sind's 6 Abschnitte, von denen ich Euch jeden nach seiner Drucklegung separat schicken würde. Seit meiner Rückkehr habe ich noch keinen Strich dran arbeiten können, nächste Woche hoffe ich endlich wieder dranzugehn. 6. Das Ding von Guillaumin und V.Pareto ist mir soeben von Laffargue] zugekommen. Die Auszüge sind von Laffargue], die Einleitung scheint von einem vulgärökonomischen Scharlatan.12101 Um nochmals auf den Generalstrike zurückzukommen, darfst Du nicht vergessen, daß niemand froher war als die belgischen Führer, nachdem die Sache so gut verlaufen war. Die haben Angst genug ausgestanden, sie möchten gezwungen sein, mit ihrer Drohung Ernst zu machen; sie selbst sahen nur zu gut, wie wenig sie zu leisten imstande waren. Und das in einem vorwiegend industriellen Lande und bei einer durchaus wackligen,
schlaff disziplinierten, milizartigen Armee. Wenn aber hier noch Aussicht war, etwas mit dieser Waffe durchzusetzen, wie soll's in Österreich gehn, wo der Bauer vorherrscht, die Industrie sporadisch und relativ schwach, die großen Städte wenig zahlreich und weit zerstreut, die Nationalitäten gegeneinander verhetzt, die Sozialisten keine 10% der Gesamtbevölkerung (der erwachsenen männlichen natürlich)! Laß uns da um alles in der Welt jeden Schritt vermeiden, der eine ohnehin ungeduldige, tatendurstige Arbeiterschaft dazu verleiten könnte, ihr alles auf eine Karte zu setzen - und obendrein zu der Zeit, wo die Regierung dies wünscht und durch Provokation es erzwingen kann. Der „Vorwärts" wird immer der „Vorwärts" bleiben, davon habe ich mich in Berlin überzeugt. Daher bin ich froh, daß das Wochenblatt4 erscheint, damit wenigstens vor dem Ausland die Partei die Chance erhält, in einer nicht blamablen Gestalt zu erscheinen. Der „Vorwärts" erscheint in Berlin, wird fast nur in Berlin gelesen (9/i0 des Absatzes) und dort als Berliner Gewächs immer milde beurteilt. Das Wochenblatt wird dem Einfluß des „V[or]w[ärts]" auf die übrige Parteipresse auch ein Gegengewicht liefern. Wie sich das gegenseitige Verhältnis der beiden Organe machen wird, muß man abwarten; ich glaube nicht, daß es zum Äußersten kommt. Auf den Nebentitel des „V[or]w[ärts]" als „Zentralorgan" kommt es gar nicht an, die Phrase kann man ihm gern lassen. Jedenfalls gibt's allerlei Umschwung in unsrer Parteipresse, ich bin begierig, was aus der „N[euen] Z[eit]" wird[291, die Rückverwandlung in eine Monatschrift ist immer gewagt; ich glaube nicht, daß das Wochenblatt auf die Dauer ihr ernstliche Konkurrenz macht. Also viel Glück auf der Reise nach Wien. Wenn Du hinkommst, grüß mir den Löwenbräu neben dem Burgtheater, da war unser Mittagshauptquartier. Grüße von Haus zu Haus. Dein F. E.
4 „Der Sozialdemokrat"
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 10. Nov. 93
Lieber Victor, Ich schicke Dir hiemit ein Stück von einem Brief von August. Ich teile seine Befürchtungen nicht, diese Möglichkeiten scheinen mir zu fern zu liegen und teilweise schon jetzt ausgeschlossen. Sieh, daß der Brief, wie er wünscht, vernichtet wird. Mein Brief vom 1 l.Okt.1 kreuzte sich mit Deinem vom selben Tage. Du wirst gesehen haben, daß wir in der allgemeinen Auffassung der Lage in Österreich vollkommen einstimmen. Diese Lage scheint mir eher noch günstiger als damals. Die Wahlreform mit Taaffes Vorschlag0801 als Minimum verschwindet in Wien nicht mehr aus dem Vordergrund. Der Kaiser2 hat sie genehmigt, und der Kaiser kann nicht zurück; er aber repräsentiert Österreich weit mehr als der Reichsrat. Wie es scheint, scheitert das Koalitionsministerium schon in der Geburt, aber selbst wenn das nicht der Fall, geht's bei der ersten positiven Aktion in die Brüche. Selbst wenn es, wie Aug[ust] vermutet, die Baernreitherei ins Feld führen sollte[2U1, so wäre das nur ein sehr momentaner Notbehelf und würde den Auseinanderfall bei jeder anderen aufstoßenden Aktionsfrage nicht hindern. Soviel ist sicher, Österreich steht jetzt voran in der politischen Bewegung Europas, und wir anderen hinken nach - selbst die Länder, die schon allgemeines Stimmrecht haben, werden dem Anstoß von Österreich nicht entgehen können. Bei Ronacher hat man Krawall haben wollenl212\ gelingt es Euch, die Leute im Zaum zu halten, so kann es Euch nicht fehlen, das einzige, was Windischgrätz, Plener, Jaworski einigen könnte, wäre ein Wiener Krawall und Sieg mit Schießerei. Hier geht's sehr nett. Die liberale Regierung bricht bei der ernstlichen Reform jammervoll zusammen, sogar die Fabian Society'111 kündigt ihnen den Gehorsam und verleugnet ihre ganze Politik der permeation3. Sieh den Artikel von Autolycus (Burgess) auf der ersten Seite der „Workm[an's]
1 In der gedrückten Vorläge: 10;0kt> - 2 Franz Josfeph I. - * Durchdringung
Times" über das Fabiansche Manifest, der in der „Fortnightly Review" erschienen.12131 Bessern die Liberalen sich nicht, so gibt's bei den nächsten Wahlen Arbeiterkandidaten in Massen, und 30-40 werden wohl hineinkommen. In den Munizipalwahlen am 1. Nov. haben die Arbeiter im Norden angefangen, sich zu zählen und manche Erfolge gehabt. Gruß von Louise und Deinem F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, II.Nov. 93
Lieber Sorge, Hierbei ein Brief an Mrs. Kelley (ex-Wischnewetzky), den Du ihr gefl. zukommen lassen willst.11351 Sobald Du ihre richtige gegenwärtige Adresse hast, sei so gut, ihr auch den beiliegenden Cheque über £ 1.12.11 of Union Bank of London zukommen zu lassen. In der heutigen „Workman's Times" lies den Artikel auf der 1. Seite von Autolycus (Burgess) über das Manifest der Fabier12131. Diese Herren, nachdem sie jahrelang erklärt: the emancipation of the working class can only be accomplished through the Great Liberal Party1, und alle selbständige Wahlaktion der Arbeiter, gegenüber auch liberalen Kandidaten, für versteckten Torysmus ausgeschrien, und the permeation of the Liberal Party by Socialist principles2 für die einzige Lebensaufgabe der Sozialisten ausgegeben, erklären jetzt, die Liberalen seien Verräter, nix mit ihnen zu machen, und die Arbeiter sollten bei der nächsten Wahl, ohne Rücksicht auf Liberale oder Tories, eigne Kandidaten aufstellen mit Hülfe von £ 30000, die inzwischen von den Trades-Unions aufgebracht werden sollen, - wenn diese, was sicher nicht geschieht, den Fabiern diesen Gefallen tun. Es ist ein vollständiges pater peccavi dieser hochnäsigen Bourgeois, die sich in Gnaden herbeilassen wollen, das Proletariat von oben herab zu befreien, wenn es nur so einsichtig sein will zu begreifen, daß so eine rohe ungebildete Masse sich nicht selbst befreien kann und zu nichts kommt, außer durch die Gnade dieser gescheuten Advokaten, Literaten und sentimentalen Weibsleute. Und nun ist der erste mit Pauken und Trompeten als welterschütternd angekündigte Versuch dieser Herren so brillant gescheitert, daß sie es selbst zugeben müssen. Das ist der Humor von der Geschichte.
1 die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur durch die große Liberale Partei bewerkstelligt werden - 3 die Durchdringung der Liberalen Partei mit sozialistischen Prinzipien
Herzliche Grüße Dir und Deiner Frau. Hoffentlich kommt Ihr besser über den Winter als das vorige Mal. Hier fängt's schon an, winterlich zu werden. Dein F.E.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 19. Nov. 93
Mein lieber Lafargue, Liebk[necht] wird Ihnen geschrieben haben, daß man Sie als Korrespondenten für den „Vorwärts" und für das „Hamburger Echo" für einen Brief wöchentlich engagieren will, den Sie im gleichen Wortlaut und gleichzeitig an beide Zeitungen schicken sollen, aber daß man ihn deutsch haben möchte und Laura vorschlägt, ihn zu übersetzen. Hier der Grund, weshalb man ihn deutsch haben will, und das ist sehr wichtig. Die beiden Zeitungen könnten am gleichen Tage die gleichlautende Korrespondenz veröffentlichen, so daß sie für beide ein Originalbeitrag wäre. Wenn die Veröffentlichung nicht zur gleichen Zeit erfolgte, wenn eine der beiden Zeitungen sie einen Tag später brächte, würde man vermuten, sie hätte den Artikel aus der vorhergehenden Nummer der andern Zeitung nachgedruckt wie so viele verschiedene andere Fakten, die der gleichen Nummer entnommen sind. Jetzt gäbe es vielleicht in Hamburg jemanden, der sie - es fragt sich nur wie - übersetzte, aber in Berlin! Dort ist es durch L[ie]bk[necht] zur Gewohnheit geworden, daß alle Übersetzungen von Frau L[iebknecht] oder einem seiner Söhne gemacht werden. Das Manuskript geht nach Charlottenburg in das Haus von L[ie]bk[necht] und wer weiß, wann die Übersetzung ins Zeitungsbüro gelangt. Es würden also immer Verzögerungen entstehen und, was schlimmer ist, Verzögerungen von unbestimmter Dauer. Die Möglichkeit, Ihre Briefe für beide Zeitungen zu verwenden und Ihnen entsprechende Honorare zu zahlen, hängt also ganz von der Übersendung Ihrer Briefe in deutscher Sprache ab. Das wäre für Sie außerdem eine Garantie gegen die Zensur der Redaktion; Bonnier sagt mir, daß L[ie]bk[necht] davon Guesde gegenüber reichlich Gebrauch gemacht, was diesen verstimmt hat! Da die Hamburger Redaktion vollkommen unabhängig ist und auch nicht weiß, was in Berlin geschieht - und vice versa -, werden Ihre Artikel ohne Verstümmelung in der einen oder anderen Zeitung oder, was am wahrscheinlichsten ist, in allen beiden erscheinen.
Wird Laura nun bereit sein, die Übersetzung zu übernehmen? Ich hoffe es, das würde Ihnen ermöglichen, die Sache sofort abzumachen. Ich bin sicher, daß sie mit ein wenig Praxis ebensogut deutsch schreiben wird wie englisch und französisch. Doch gäbe es andernfalls nicht eine Möglichkeit, zu einer Übersetzung zu kommen? Gibt es nicht irgend jemanden, der gegen eine kleine Beteiligung an Ihrem Honorar Ihnen diese Arbeit ausführt? Sagen wir 10 frs. je Brief für die Übersetzung und doppelte Kopie, so daß Ihnen 40 frs. je Brief bleiben, und der Übersetzer doch einen gewissen Anreiz hätte. Eventuell Frankel? Aber er ist vielleicht selber Korrespondent des „Vorwärts" (ich weiß überhaupt nicht, von wem die Pariser Briefe sind, die ich von Zeit zu Zeit darin finde). Überlegen Sie es sich jedenfalls und versuchen Sie es einzurichten. Sie sehen, daß unsere Berliner Freunde ihr Möglichstes tun; versuchen Sie, ihnen die Sache zu erleichtern, und vergessen Sie nicht, daß Ihnen das erlauben würde, zu 60-70000 Abonnenten zu sprechen, d.h. zu mindestens 250000 Lesern, nicht gerechnet die Leser anderer Zeitungen, die Ihre Artikel diesen beiden wichtigsten Organen entnehmen, die unsere Partei in Deutschland besitzt. Auf alle Fälle fangen Sie immer schon mit dem „Vorwärts" an, vorbehaltlich einer späteren Regelung mit dem „Echo" und der Übersetzung. Aber tun Sie alles, um keine Zeit zu verlieren! Und mehr noch: Bfebel] ebenso wie Lfiebknecht] bestehen auf einer regelmäßigen Korrespondenz, die ihnen die wichtigen Tatsachen mit Ihren Erwägungen dazu und Berichte über die allgemeine Situation liefert. Einen Brief wöchentlich und zum festgesetzten, von Ihnen selbst gewählten Tage (ich glaube nicht, daß man Ihnen den Tag bestimmen wird). Grüßen Sie Laura herzlich von mir. Ich erwarte von ihr noch immer diamantene und andere Neuigkeiten.'2141 Grüße von Louise. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Natalie Liebknecht in Berlin'215'
London, I.Dez. 93 122, Regent's Park Road, NfW.
Verehrte Frau Liebknecht, Meinen herzlichen Dank für Ihren Brief und Ihre freundlichen Wünsche zu meinem 73sten, den ich recht munter und gesund verbracht habe. Avelings und Bernsteins waren den Abend bei uns, und die leeren Flaschen zeugten von allgemeinem Wohlbefinden und gutem Humor. Wenn das so fortgeht, so wird einer Erneuerung meines Besuchs in Berlin'90' meinerseits wohl kein Hindernis im Wege stehn, und dann können wir wieder mal im Zoologischen Garten Kaffee trinken und unsre Glossen machen über die vierbeinigen und zweibeinigen, geflügelten und ungeflügelten, brüllenden und sprechenden zoologischen Spezies, die da in Gefangenschaft oder Freiheit sich präsentieren. Der arme Gizycki! Gehen kann er ohnehin nicht, und nun wollen sie ihm auch noch das Sprechen verbieten; und das bloß, weil er verbotenen Umgang mit Sozialdemokraten pflegt. Ja, Preußen ist nicht nur ein Kulturstaat, sondern auch der Staat der Intelligenz! Sehr leid tut es mir, daß Ihr Karl sich im Dienst Sr. Majestät eine Sehnenentzündung zugezogen hat, aber hoffentlich geht das bald vorüber. Jedenfalls ist es, wenn man einmal in der Lage ist, das beste, seinen Dienst ordentlich zu machen. Ich glaube gern, daß die Herren Offiziere sich hüten werden, sich Ihren Söhnen1 gegenüber Blößen zu geben, diese zwei Pioniere stehn zu nah an der Türe des Reichstags, und was auch der Kriegsminister2 sagen mag, sie scheuen sich doch davor, in den dortigen Debatten persönlich zu figurieren. Und wenn Ihre Söhne nun gar noch, wie mein alter Hauptmann von uns Freiwilligen'162' verlangte, „das Muster der Kompanie" werden, dann kann's nicht fehlen und sie avancieren am Ende doch noch trotz ihres Vaters zum Unteroffizier. Und das wäre ganz in der Ordnung. Wenn Bebel der Sohn eines Unteroffiziers ist, warum sollte
1 Karl und Theodor Liebknecht - 3 Walter Bronsart von Schellendorff
Liebknecht nicht der Vater von einem oder mehreren Unteroffizieren sein können? Sie sollen einmal sehn, wie sehr die Tressen die Uniform verschönern, und in Berlin soll das schöne Geschlecht dem Moloch weit geneigter sein, sobald er Tressen trägt, allerdings ist das noch nicht alles, denn wie Heine sagt: Doch am reizendsten sind immer Cäsars goldne Epauletten.12161 So hoch werden wir uns aber schwerlich versteigen. Nun, das Trauerjahr in der Uniform vergeht auch, und dann geht Karl nach Hamm12171, was auch eine schöne Gegend ist oder war - meine Mutter ist dort geboren, und ich bin als kleiner Junge viel da gewesen, jetzt ist's aber alles anders, ein räucheriges Industrienest, indes es läßt sich auch da leben. Nun aber leben Sie recht wohl und grüßen Sie Liebknecht und Ihre Kinder recht herzlich. Liebk[necht] halten wir beim Wort, daß er nach Neujahr kommt. Frau Kautsky grüßt Sie alle ebenfalls herzlichst. Ganz der Ihrige F. Engels
85
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 2. Dez. 93 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Sorge, Herzlichen Dank Dir und Deiner Frau für Eure freundlichen Wünsche und Brief 19. Nov. Sehr leid tut es mir, daß Du an der Gicht leidest, ich hoffe, es gibt sich wieder mit der Zeit, es ist eine tückische Krankheit. Die Abschaffung des Silberkaufgesetzes1861 hat Amerika vor einer schweren Geldkrise bewahrt, und wird den industriellen Aufschwung befördern. Aber ich weiß nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn dieser Krach wirklich gekommen. Die Phrase vom cheap money1 scheint Euren Bauern des Westens gar fest in den Knochen zu sitzen. Erstens bilden sie sich ein, wenn viel Zirkulationsmittel im Lande vorhanden, dann müsse der Zinsfuß sinken, wobei sie aber Zirkulationsmittel und disponibles Geldkapital verwechseln, worüber im II I.Band2 sehr aufklärende Dinge an den Tag kommen werden3. Zweitens aber paßt es allen Schuldnern, erst in guter Währung Schulden zu machen und sie später in depreziierter Währung zurückzuzahlen. Daher schreien auch die preußischen verschuldeten Junker nach Doppelwährung, die ihnen eine verkleidete solonische Schuldenabschüttelung bringen würde. Hätte man nun in den Vereinigten Staaten mit der Silberreform warten können, bis die Folgen des Blödsinns auch auf die Bauern zurückgefallen wären, so hätte das doch manchen den vernagelten Kopf geöffnet. Die Tarifreform12181, so langsam sie ins Werk gesetzt wird, scheint doch in Neuengland schon eine Art Panik unter den Fabrikanten verursacht zu haben. Ich höre - privatim und aus den Zeitungen - von zahlreichen Arbeiterentlassungen. Das wird sich aber legen, sobald das Gesetz, und damit die Ungewißheit, erledigt ist, ich bin überzeugt, Amerika kann in
} billigen Geld - 2 des „Kapitals" - 3 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.481-579
allen großen Industriezweigen die Konkurrenz gegen England kühn aufnehmen. Mit den deutschen Sozialisten in Amerika ist es ein fatales Ding. Die Leute, die Ihr von Deutschland herüberbekommt, sind meist nicht die besten - die bleiben hier - und jedenfalls durchaus keine fair sample4 der deutschen Partei. Und wie überall, fühlt sich jeder Neuankommende berufen, sofort alles Vorgefundene umzustoßen und neuzugestalten, damit von ihm eine neue Epoche datiere. Dazu kommt, daß die Mehrzahl dieser Grünen in New York längere Zeit oder für lebenslang klebenbleibt, stets durch neue Zufuhr verstärkt und der Notwendigkeit überhoben, die Landessprache zu lernen oder die amerikanischen Verhältnisse ordentlich kennenzulernen. Alles das tut sicher sehr viel Schaden, aber andrerseits ist doch auch nicht zu leugnen, daß die amerikanischen Verhältnisse sehr große und eigentümliche Schwierigkeiten für eine stetige Entwicklung einer Arbeiterpartei einschließen. Erstens die auf party government5, wie in England, gegründete Verfassung, die jedes auf einen nicht von einer der beiden Regierungsparteien aufgestellten Kandidaten fallende Votum als verloren erscheinen läßt. Und der Amerikaner wie der Engländer will auf seinen Staat einwirken, wirft seine Stimme nicht weg. Dann und besonders die Einwanderung, die die Arbeiter in 2 Gruppen scheidet, die eingeborenen und fremden; und diese letzteren wieder in 1. Irländer, 2. Deutsche, 3. die vielen kleinen Gruppen, die sich jede nur untereinander verstehn, Tschechen, Polen, Italiener, Skandinavier etc. Dazu noch die Neger. Um daraus eine einige Partei zu bilden, dazu gehören ganz besonders mächtige Antriebe. Manchmal plötzlich ein gewaltsamer elan, aber die Bourgeois brauchen nur passiv auszuhalten, und die ungleichartigen Elemente der Arbeiterschaft fallen wieder auseinander. 3. Endlich muß auch das Schutzzollsystem und der stetig anwachsende innere Markt die Arbeiter einer Prosperität ausgesetzt haben, von der wir hier in Europa (außer Rußland, wo aber nicht der Arbeiter, sondern nur der Bourgeois davon profitiert) seit Jahren keine Spur mehr sehn. Ein Land wie Amerika, wenn es wirklich für eine sozialistische Arbeiterpartei reif ist, kann sicher nicht durch die paar deutschen sozialistischen Doktrinäre daran gehindert werden. Vom II I.Band6 ist Abschnitt I (246 Seiten Ms. von ungefähr 1855) druckfertig7. Dies unter uns. Es wird jetzt rasch gehn, hoffe ich.
4 Musterexemplare - 5 Parteiherrschaft - 6 des „Kapitals" - 7 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S. 33-150
Herzliche Grüße Dir und Deiner Frau und gute Besserung! von L.K[autsky] und Deinem F. Engels
L.K[autsky] schreibt bald Antwort, dankt für Deine Liebenswürdigkeit, hat wegen „Arb[eiter]-Ztg." (Wien) bereits geschrieben, „Pionierkalender" ist nicht gekommen.
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Engels an Hermann Schlüter in Hoboken12191
Nr. 1 Lieber S[chlüter], Besten Dank für Glückwünsche und für „Census Compendium" I[2201, das mir sehr willkommen war und dessen II mir noch willkommner sein wird. Also die Amerikaner sind auch nicht mehr so liberal wie früher, und selbst ein großes Journal1 bekommt die Sachen nicht mehr auf bloßes Verlangen! Hier ist alles wohl, ich sitze wieder am III.Band2 und denke mit Vergnügen an meine letzte Sommerreise1901 zurück. Jetzt seid Ihr doch endlich auf dem Wege, den Bimetallismus und den MacKinley-Tarif12181 loszuwerden, das wird die Entwicklung dort bedeutend befördern. Obwohl zur Aufklärung des wunderbar dummen amerikanischen Bauern und seines cheap money3 ein tüchtiger Silberkrach1861 auch recht gut gewesen wäre. Gruß von Frau K[autsky]. Dein F.E.
Das Censusbuch s. zweite Postkarte!
[London] 2. Dez. 93
1 „New Yorker Volkszeitung" - 2 des „Kapitals" - 3 billigen Geldes
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Engels an Hermann Schlüter in Hoboken'2191
Nr.2H Lieber S[chlüter], Wegen des „Census" It2201 erhielt ich erst einen Brief vom General Post Office Washington: das Buch sei so verpackt, daß es als Brief bezahlt werden müsse, ich solle $ 10.36 c. dafür schicken oder Adresse des Absenders (ich wußte nicht, was drin war und von wem es kam) oder ob ich es per Expreß haben wollte. Ich bat um nähere Auskunft, stellte aber frei, per Expreß zu senden, was auch geschah, und ich bekam es on payment of1 6 sh. Bei künftigen Sendungen sei so gut, Deine Adresse auswendig zu verzeichnen, damit dgl. Verzögerungen vermieden resp. dort direkt erledigt werden. Aus dem Brief von Washington General Post Office ging nicht klar hervor, ob die Verpackung allein oder auch etwa ungenügendes Bookpost Porto2 Vorwand der Nichtsendung war. Nochmals Dank. Dein F.E. [London] 2. Dez. 93
1 gegen Bezahlung von - 2 Drucksachenporto
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 4. Dez. 93 122, Regent's Park Road, N. W.
Lieber Baron, Vor allem herzlichsten Dank für Eure Glückwünsche zum 73., den ich munter und gesund überstanden. Entweder habt Ihr meine Bemerkungen wegen der „Verleger"1 falsch ausgelegt, oder ich habe mich schlecht alisgedrückt. Es ist mir nicht eingefallen, Dietz einen Vorwurf machen zu wollen oder überhaupt irgendeinem einzelnen; dazu weiß ich zu wenig von dem, was in der StepniakSache12051 drüben, ehe sie zu meiner Kenntnis kam, vorgefallen ist. Ich führte sie nur an als ein warnendes Exempel, das man nicht wiederholen soll. Und bei der hiesigen Stellung der Verleger war dies eine klar: daß Sonnenschein vom deutschen Verleger (so muß er's auffassen) £ 25 unnötigerweise geschenkt erhalten hat und daß ihm dies einen ziemlich geringen Begriff von der Geschäftstüchtigkeit deutscher Verleger beibringen muß. Und das werdet Ihr in Stuttgart nicht bestreiten können. Und als sicherstes Mittel, dergleichen zu verhüten, machte ich Euch darauf aufmerksam, daß hierzulande die Einwilligung des Autors allein nicht schützt, da in 9 Fällen aus 10 der englische Verleger das entscheidende Wort zu sprechen hat, denn meist ist das literarische Eigentum an ihn übergegangen inkl. aller Übersetzungsrechte (dies steht z.B. in Sonnenscheins sämtlichen Kontraktsformularen bereits gedruckt), oder aber er hat sich das Recht vorbehalten, ein Wort mitzusprechen. Also bitte sage Dietz, daß es mir nicht eingefallen ist, auf seine Geschäftstüchtigkeit den geringsten Schatten zu werfen. Was nun die internationalen Verträge angeht, so hat Sam Moore sie damals in den parliamentary publications2 nachgesehn und ausgezogen, und das wegen des 1 und der 3 Jahre war damals unbedingt richtig. Von der Berner Konvention und ihrer Schutzfrist von 10 Jahren für Übersetzungen
1 Siehe vorl. Band, S. 160/161 - 2 parlamentarischen Veröffentlichungen
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
ist mir nichts bekannt, und ich bitte Dich, mir das Datum dieser Konvention anzugeben'2211, ich kann mir dann den fürs Parlament gemachten Abdruck verschaffen. Victor schreibt, der Generalstrike in Österreich sei tot und begraben, eine Diskussion könne also schwerlich schaden.3 Gleichzeitig aber kommen uns aus der österreichischen Provinz Anfragen zu, was wir hier vom Generalstreik halten. Ich glaube noch immer, daß die Wahlreform, zum mindesten in der von Taaffe und Franz Joseph ausgeklügelten Form, in Österreich sicher ist.11801 Selbst wenn das Koalitionsministerium eine KurienwahlrechtserweiterungsVorlage fertigbringt und auch durchsetzt, ohne dabei, oder inzwischen sonstwie, in die unvermeidliche Brüche zu gehn, ist die Sache damit noch lange nicht abgemacht. In einem so künstlich equilibrierten Staat wie Österreich ist stabiles Gleichgewicht, einmal erschüttert, nur schwer wiederherzustellen, fast nur durch Gewaltschritte, und die Regierung weiß nur zu gut, daß auch diese nur auf Zeit helfen und den Staat schwächer hinterlassen als sie ihn vorgefunden. Und die Tatsache, daß Franz Joseph diese Art Wahlreform genehmigt, ja sie für sein eigenstes Werk erklärt, hat das bisherige Österreich ein für allemal unmöglich gemacht. Es heißt jetzt Humptius in muro sedebat, Dumptius alto, Humptiüs de muro Dumptius, heu! cecidit Nec equites regis, nec agmina cuncta tyranni Humpti te Dumpti restituere queunt. Oder: Humpty Dumpty sat on a wall, Humpty Dumpty had a great fall, All the king's horses and all the king's men, Cannot put Humpty Dumpty together again.12221 Aller Wahrscheinlichkeit nach kommt Taaffe nach einigem Intervall wieder dran, er scheint sich den Disraeli von 1867 zum Vorbild genommen zu haben. Dieser übertriebne Schlauberger und der schwachmatische Franz Joseph bringen wider Willen momentan Österreich an die Spitze der politischen Bewegung Europas, wie Pio IX. 1846 Italien. Daß Ihr die ,,N[eue] Z[eit]" einstweilen laßt, wie sie ist, ist recht.1291 Man soll an so etwas nicht ohne dringende Not rütteln, ist's einmal wöchentlich, dann auch bis wirklicher Zwang zur Änderung da ist.
Wegen des III.Bandes4 sei ruhig. So oder so sollt Ihr in die Lage versetzt werden, gleich mit Erscheinen des Buchs die Kritik zu geben. Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
4 des „Kapitals"
12*
89
Engels an Paul Arndt in London12231 (Entwurf)
[London] 5./I2./93
Sehr geehrter Herr Arndt, Auch ich begreife, daß Sie mich nicht an einem Sonntag haben besuchen wollen, da ich nach verschiedenem, was inzwischen vorgefallen ist, unmöglich noch auf demselben unbefangnen Fuß mit Ihnen verkehren kann wie früher. Wünschen Sie jedoch mich zu sprechen, so bin ich übermorgen, Donnerstag, nach 8 Uhr abends zu Hause. Ihr ergebner F.E.
90
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, I9.Dez.93 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein liebes Lohr, Wenn ich auf Deinen Brief von vor genau einem Monat nicht früher geantwortet habe, so gab es dafür 2 Gründe: 1. weil ich vor Weihnachten die Schlußredaktion der Abschnitte I—IV von Bd. III1 beenden mußte, damit sie sofort nach Neujahr in Druck gehen können. Das ist jetzt getan. Bis Ostern hoffe ich das ganze Ms. (2/3 müssen noch endgültig durchgesehen werden) beim Drucker zu haben, damit es im September veröffentlicht werden kann; 2. weil ich Bebel einen anderen Vorschlag für die deutsche Übersetzung usw. von Pauls Artikeln2 gemacht hatte'1351 und auf eine Antwort wartete. Es ist jedoch keine gekommen, und so vogue la galere3 auf dem eingeschlagenen Weg, der, soviel ich weiß, so etwas wie eine endgültige Gestalt angenommen hat. Es wird wohl am besten sein, die Angelegenheit in Ruhe zu lassen. L[ie]bk[necht] ist ein ziemlich komischer Kauz, wenn es sich um seine Redaktionsangelegenheiten handelt. Wir erwarten ihn hier nach Neujahr. Nun ein anderes Bild4. Gestern schickten wir Dir eine Kiste mit dem Pudding, Pauls Kuchen usw., grande vitesse5, damit sie Mittwoch oder Donnerstag dort ist, - durch Continental Daily Parcels Express, Fracht bezahlt, die hoffentlich gut ankommen und Eurem Geschmack entsprechen wird. Bonnier sollte ein Stück von dem Pudding abbekommen, denn er kam hierher, um den Teig zu rühren, und er hat ihn aus Leibeskräften gerührt. Er bessert sich sehr, schüttelt seine Germanismen ab und wird wirklich Franzose. Vor einiger Zeit fuhr ich für einen Tag nach Oxford, um den Ort und auch den armen, alten Roten Wolff8 zu sehen - Deinen ersten Verehrer, denn er bewunderte Dich schon in Brüssel, als Du noch
1 des „Kapitals" - 2 siehe vorl. Band, S. 168/169-3 lassen wir den Dingen ihren Lauf in der Handschrift deutsch: ein anderes Bild—6 als Eilgut - 6 in der Handschrift deutsch: Rote Wolff
keine 2 Jahre alt warst. Armer Teufel, er ist wieder ganz verdreht. Er hatte etwas über Bucher in der „Neuen Zeit" geschrieben, und seitdem bildet er sich jedesmal ein, daß es auf ihn gemünzt sei, wenn von einem Wolf oder Wolff die Rede ist (und Du weißt, sie sind so zahlreich wie die Smith und Jones), und glaubt, daß eine ganze Verschwörung existiere mit der Behauptung, er könne nicht Latein - und Du weißt, nicht Latein zu können ist das schrecklichste Verbrechen, dessen sich ein Mensch in Oxford schuldig machen kann. Aber ist es nicht eine traurige Ironie des Schicksals, daß einer der geistreichsten Männer seine Laufbahn in dem Glauben beschließen soll, daß er der Maßmann - nicht eines Heine, sondern einer imaginären Verschwörung zweit- und drittrangiger deutscher literati sei! Denn er ist 81 Jahre alt - und abgesehen von anderen Erwägungen besteht kaum Hoffnung auf Heilung von dieser fixen Idee, die ihm niemand austreiben kann. Deine Beschreibung des aufgeblasenen Zustands von Guesde hat mich sehr amüsiert.7 Ich hatte derartiges schon aus den pompösen Proklamationen ersehen, die er aus seinem neuen Jerusalem des Nordens erlassen hat, und war nur froh, daß sie von der bürgerlichen Presse im Ausland nicht bemerkt worden sind; mit der Rolle verglichen, die die französische Delegation in Zürich gespielt hat11561, hätten sie für eine Menge schlechter Scherze Anlaß geben können. Aber le bon sens fran^ais quelquefois n'a pas le sens commun8, und das ist gerade das Schöne daran. Sieh Dir die parti socialiste9 in der Kammer an. Wie lange ist es her, daß Clara Zetkin in der „Neuen Zeit" 24 elus 11 Sozialisten10 aufzählte12241 und daß Paul nicht wußte, wieviel von den 12, die auf Grund des marxistischen Programms gewählt wurden, sich daran halten würden; und jetzt, siehe und staune, stößt eine parlamentarische Gruppe von 54 sozialistischen Abgeordneten wie eine Kavalleriebrigade vor in die Majorität, stürzt ein Ministerium, und verdrängt ein anderes beinahe12251, bis dieser siegreiche Vormarsch plötzlich durch Vaillants Bombe12261 aufgehalten wird, sich in eine Konzentration der Nachhut verwandelt und die neuen Mitglieder der Majorität aller trügerischen Illusionen beraubt sind, die sie aus der Provinz mitgebracht hatten, und sich in fügsame panamaische Opportunisten161 verwandelt haben. Alles in allem glaube ich, daß das für uns eher von Vorteil ist. Ich kann mir nicht helfen, ich bilde mir ein, daß unter diesen 54, von denen viele plötzlich zu dem bekehrt worden sind, was sie Sozialismus nennen, nicht
1 siehe vorl. Band, S.119 -8 der gesunde Menschenverstand der Franzosen ist bisweilen alles andere als gesunder Menschenverstand - 9 sozialistische Partei - 10 24 gewählte Mehroder-Weniger-Sozialisten
der Zusammenhalt bestehen kann, wie er für einen ernsten Kampf notwendig ist. Ganz zu schweigen von den alten Zwistigkeiten zwischen den wirklichen Altsozialisten „de la veille"u innerhalb der Gruppe, Zwistigkeiten, die ein für allemal zu überwinden einige Zeit kosten wird. Wenn diese gemischte Bande von 54 sich eine gewisse Zeit in der vordersten Reihe der Kammer behauptet hätte, hätte sie sich entweder gespalten, oder aber der alte radikale Flügel - Millerand und Co. - wäre darin das bestimmende Element geworden. Wie die Dinge jetzt stehen, werden die verschiedenen Teile der Gruppe Zeit haben, sich näher miteinander bekannt zu machen, die Gruppe zu festigen und, wenn nötig, eins nach dem anderen von den Elementen auszusondern, die sich der Gruppe wirklich nur irrtümlich angeschlossen haben. Auf alle Fälle haben Millerand und Jaures in der DupuyCasimir-Perier-Kampagne vollkommen die Führung übernommen. Und das wird auf die Dauer nicht angehen, obwohl ich durchaus billige, daß Guesde und Vaillant sich bis jetzt und unter den gegenwärtigen Umständen im Hintergrund gehalten haben. Pauls Briefe an den „Vorwärts" sind bisher sehr gut, wir warten jede Woche auf sie. Und sie sind nicht ganz so schlecht verdeutscht, wie ich es bei anderen erlebt habe. Dieser „Feuerbach" muß Dir viel Mühe gemacht haben.1227' Aber nach dem, was ich von Deiner Arbeit gesehen habe, bin ich sicher, daß Du „im Fluge" alle Hindernisse „genommen" hast, um einen Ausdruck aus der Jägersprache zu gebrauchen. Hast Du einen Verleger dafür gefunden? Würdest Du den einliegenden Scheck über £ 5 als Weihnachtsgeschenk annehmen? Louise ist bei ununterbrochenem Regen unterwegs, um Einkäufe zu machen. Dieses Weihnachtsfest wird sie durch Erkältungen und Zahnschmerzen teuer zu stehen kommen. Herzliche Grüße von ihr und immer Deinem F. E.
Freundliche Grüße an Paul, der sicher froh ist, aus dem Parlament wieder heraus zu sein.
Aus dem Englischen.
91
Engels an Ludwig Schorlemmer in Stuttgart
London, 19. Dez. 1893 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Schorlemmer, Wenn ich Ihnen erst jetzt meinen Dank sage für Ihre freundlichen Glückwünsche zu meinem 73sten, so ist „Kapital" II I.Band schuld daran. Das muß jetzt endlich einmal fertig werden, und so habe ich alle Korrespondenz ohne Gnade und Barmherzigkeit in die Ecke schieben müssen; jetzt bin ich an einem Abschnitt angekommen und kann die paar Tage bis zu den Feiertagen benutzen, um nachzuholen. In Darmstadt bin ich nur durchgefahren'901- Frau K[autsky], Bebel und Frau, ein hiesiger Wiener Arzt1 und ich, wir konnten den Zug vorher nicht bestimmen und hatten ohnehin nur ca. 10 Minuten Aufenthalt, sonst hätte ich Ihnen telegraphiert. Sonst war die Reise sehr angenehm - mit Ausnahme der Pauken, die ich halten mußte, nachdem ich einmal in Zürich A gesagt. Ich reiste mit Bebel nach Salzburg, Wien, Prag und Berlin, und war ganze 8 Wochen von Hause, was mir sehr gut bekommen ist. Die Fortschritte in Deutschland, sowohl der Industrie wie der Arbeiterbewegung, mit eignen Augen anzuschauen war allein etwas wert, und auch unsre Wiener an der Arbeit zu sehn war eine Freude. Wegen Carls Nachlaß'1041 habe ich von Siebold nur weniges gehört, gar nichts über das, was mit den Manuskripten geschehen ist, und welche Verträge mit den Verlegern abgeschlossen. Es handelt sich um dreierlei: 1. um das große Roscoe-Schorlemmersche Buch in englischer und deutscher Ausgabe'2281, 2. um Carls eignes Lehrbuch der Kohlenstoffverbindungen, wovon eine Neuauflage in Arbeit war, 3. um seine Manuskripte über ältere Geschichte der Chemie (diese soll, wie Spiegel im Nekrolog sagt, Siebold selbst herausgeben wollen).'2291
1 Ludwig Freyberger
Die englische Ausgabe von Carls „Ursprung und Entwicklung der organischen Chemie" wird in London von einem seiner Schüler2, dort Professor, besorgt.'2301 Aber über die obigen drei Punkte sagt Siebold so gut wie nichts. Ehe ich nun an ihn schreibe, möchte ich Sie bitten, mir zu sagen, ob er Ihnen, und was, darüber mitgeteilt, und ob es Ihnen genehm ist, wenn ich ihm darüber nähere Berichte abverlange. Ich habe nämlich juristisch absolut kein Recht, mich da einzumischen, und möchte nicht, daß S[iebold] sich auch nur durch eine Andeutung darauf beriefe. Komme ich aber, um Auskunft zu verlangen, um die Sie sich an mich gewendet, so ist dies etwas andres und gibt mir eine ganz andre Stellung. Siebold ist ein kreuzbraver Kerl, aber nicht überenergisch von Natur und in den letzten Jahren noch durch Krankheit geschwächt, da kann ein bißchen Nachhülfe nicht schaden. Ich hoffe, Sie sind mit Ihrer Influenza und Ihre Frau mit den Nachwirkungen der Lungenentzündung glücklich fertig geworden und in der Verfassung, den kommenden Feiertagen mit Kraft und Mut und Heiterkeit entgegenzugehn. Mit besten Grüßen. Ihr F. Engels
Arthur Smithells
92
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin
London, 2I.Dez. 93
Lieber Liebknecht, Gestern abend schickte ich Dir einen Artikel über Italien. Ich bitte Dich, ihn nicht zu drucken bis auj weitere Nachricht. Ich fürchte, ich habe die mir gegebne Erlaubnis der Veröffentlichung mißverstanden, sie scheint sich nicht auf die Sachen wegen des königlichen Privatgeldes zu beziehen. Da es sich um Dinge handelt, die meine Quelle1 in die größten Schwierigkeiten bringen und mir die Quelle selbst verstopfen können, so telegraphiere ich Dir gleichzeitig. Gebe ich Dir keine weitere Nachricht, so kannst Du mir das Ms. im Januar wieder herbringen, wir redigieren es dann um. Nochmals beste Grüße Euch allen! Dein F.E.
1 Antonio Labriola
93
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 30. Dez. 93 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Sorge, Postkarten vom 29. Nov. und 17. Dez. dankend erhalten. Vor allem Dir und Deiner Frau herzliches Prosit Neujahr von L. Kjautsky] und mir. Du wirst nicht ohne einige Verwunderung gesehn haben, daß sich in der französischen Kammer eine sozialistische Fraktion von 54-60 Mann (sie scheinen selbst nicht genau zu wissen wieviel) aufgetan hat. Unmittelbar nach den Wahlen'521 waren's, gut gezählt, 24, davon 12 aufs marxistische Programm gewählt, von diesen aber meldeten sich nur 6 zum Pariser Parteikongreß11991, und nur 4 haben bis jetzt ihren Diätenanteil laut Kongreßbeschluß in die Parteikasse zu zahlen eingewilligt (was auch noch nicht mit dem wirklichen Einzahlen identisch ist - in Frankreich, les cotisations ne rentrent pas!1 hieß es schon 1870!). Nun sind's auf einmal an die 60, dank dem Anschluß der radicaux socialistes2 der Gruppe MillerandJaures, die sich entschlossen haben, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als - für einige näheres, für andre jedenfalls sehr entferntes - Ziel in ihr Programm aufzunehmen. Konzentration ist jetzt in Frankreich die Losung, hieß es früher concentration republicaine3 (d.h. Unterordnung aller Republikaner unter den rechten Flügel, die Opportunisten1201) so heißt es jetzt concentration socialiste4, und ich will sehr froh sein, wenn dies nicht heißt Unterordnung aller Sozialisten unter die Millerandisten, deren praktisches Programm sicher mehr radikal als sozialistisch ist. Die erste Folge dieser Allianz ist die, daß unsre Leute die Chance so gut wie verloren haben, ein eignes Tagblatt zu bekommen. Millerands „Petite Republi[que] franfaise" hat diesen Platz bereits eingenommen, da wird's schwer sein, ein Konkurrenzorgan zu schaffen, - die Finanzen sind schwerer zu beschaffen und die andern würden schimpfen: das hieße die Partei
1 die Beiträge wollen nicht einkommenl - 2 Radikalsozialisten - 3 republikanische Konzentration -4 sozialistische Konzentration
spalten! Um so mehr als die „Petite R[epublique] fr[an?aise]" schlau genug ist, jeder sozialistischen Fraktion ihre Spalten zu öffnen. Die zweite ist, daß in den Fraktionssitzungen die Millerandisten über die absolute Majorität (ca. 30 oder mehr gegen höchstens 24, Marxisten (12), Allemanisten (3-5), Broussisten (2) und Blanquisten (4-6)) verfügen. Trotz alledem krähen die Herren Franzosen wieder siegestrunken in die Welt hinaus und möchten wieder an die Spitze der Bewegung treten. Sie haben einen Antrag auf Verwandlung der stehenden Armee in ein Milizheer eingebracht (Vaillant)12311, und Guesde will einen einbringen auf einen europäischen Entwaffnungskongreß5. Der Plan ist, die Deutschen und Italiener sollen einen ähnlichen in ihren Parlamenten einbringen, wo sie dann natürlich als Nachtreter der „führenden" Franzosen erscheinen würden. Was die paar - noch dazu höchst konfusen - Italiener tun, ist Wurst, ob aber unsre Deutschen sich so ohne weitres ins französische Schlepptau begeben, ist mir zweifelhaft. Wenn man seine Machtstellung durch 25jährigen harten Kampf erobert, und 2 Millionen Wähler hinter sich hat, so hat man das Recht, sich das Scratch lot6 erst näher anzusehn, das so plötzlich kommandieren will. Um so mehr, als die Herren Franzosen selbst äußerst kitzlig sind, sobald ihnen gegenüber die geringste Etikettenverletzung geschieht. Nun, warten wir's ab. Es ist immer möglich in dem unberechenbaren Frankreich, daß aus diesem plötzlichen Momentserfolg sich ein dauernder Fortschritt entwickelt. Aber abwarten wollen wir's doch lieber. Dann habe ich Dir mitzuteilen - aber strikte unter uns -, daß das erste Drittel des Ms. des II I.Bandes7 gestern in starke Wachsleinwand verpackt wurde (wie s. Z. das berühmte Kölner falsche ProtokoIIbuchI232]) und in den nächsten Tagen zum Druck befördert wird. Die beiden letzten Drittel brauchen noch die - meist technische - Schlußredaktion. Wenn alles gut geht, kommt das Buch im Sept. heraus. Nun noch etwas. Prof. Labriola8 in Rom, mit dem ich seit einigen Jahren in Korrespondenz stehe und den ich in Zürich traf, liest an der dortigen Universität einen Kursus über die Entstehungsgeschichte der Marxschen Theorie. Er ist strikter Marxist. Er hat sich zu diesem Behuf die sämtliche nötige Literatur angeschafft, aber die „Heilige Familie" nie zu Gesicht bekommen können, obwohl er es im „Buchhändlerblatt"9 von Leipzig und sonst annonciert hat, daß er „jeden Preis" dafür zahle. Ein Ex. war ihm
8 siehe vorl. Band, S.190-192 - 6 zusammengewürfelte Völkchen — 7 des „Kapitals" - 8 Antonio Labriola - 9 „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die mit ihm verwandten Geschäftszweige"
aus der Schweiz in Aussicht gestellt, zur Benutzung, aber der Eigentümer10 ist plötzlich verschwunden und soll in Ungarn herumreisen. Nun dringt er in mich, ich soll ihm um alles in der Welt ein Ex. auf 3-4 Wochen verschaffen. Ich habe aber selbst nur eines, und wenn das verlorengeht, so bin ich absolut außerstande, die spätere Neuauflage in den beabsichtigten „Gesammelten Werken" zu veranstalten.'2331 Dies eine Ex. darf ich also um keinen Preis aus der Hand geben. Nun habe ich Dir vor einigen Jahren mein Reserveexemplar geschickt. Wärst Du so gut, es mir für diesen Zweck auf 5-6 Wochen zu pumpen? Du könntest es mir schicken als bookpacket per Post registeredn, oder, wenn Du vorziehst, durch eine Express agency12 versichert für einen beliebigen Betrag, und ich würde es Dir zurückschicken auf dem von Dir mir vorzuschreibendem Weg. Ich würde es nach Rom schicken, wenn es irgend angeht, durch eine Agentur, hoch versichert (sage £ 10), wenn das nicht geht, per Post registered. Die Gebrauchszeit für L[abriola] dürfte auf höchstens 4 Wochen festzusetzen sein. Daß der Mann den beabsichtigten Kursus nicht ohne Kenntnis dieses Buchs machen kann und noch weniger die für später beabsichtigte Veröffentlichung der Vorlesungen, brauche ich Dir nicht zu sagen. In der ganzen deutschen Partei sind keine 6 Ex. vorhanden, und wer sie hat, ist mir unbekannt. Also bitte, überleg Dir die Sache. Mein „Feuerbach" wird von Laura Laf[argue] ins Französische übersetzt, erscheint demnächst in Paris.12271 Herzliche Grüße Deiner Frau und Dir von L.K[autsky] und Deinem F. E.
Hoffentlich geht's besser mit der Gesundheit! L.K[autsky] läßt Dir sagen, daß das von Dir nach Wien geschickte Blatt13 regelmäßig ankommt. Dank für die Glückwunschkarte!
10 Paul Ernst - 11 eingeschrieben - 12 Expreßagentur - 13 „Woman's Journal"
1894
94
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 3. Januar 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lafargue, Zunächst einmal all the compliments of the season1 für Laura und Sie von Louise und mir. Nun zu Eurem Abrüstungsentwurf. Ich habe Vaillants Entwurf in „Le Parti Socialiste"12311 gelesen, ich habe ihn nicht von Laura bekommen. Aber weder in diesem Blatt noch in Ihrem Brief steht etwas darüber, ob er schon vorgelegt worden ist oder ob das erst noch geschehen soll. Die Deutschen haben seit Jahren die Umwandlung des stehenden Heeres in eine Miliz gefordert; das haben sie in all ihren Reichstagsreden über den Militarismus, über das Kriegsbudget usw. immer wieder bis zum Überdruß wiederholt. Ich sehe nicht, was die Einbringung des Gesetzentwurfs dem formal noch hinzufügen könnte. Dennoch wollen sie es tun. Was den Vorschlag anbelangt, einen Abrüstungskongreß einzuberufen, so müßte dies - ebenso wie Vaillants Entwurf - von einer Konferenz der Delegierten der 3 Parlamente, des französischen, des deutschen und des italienischen, beschlossen werden - ein Delegierter von jeder Nation würde genügen. Unbedingte Voraussetzung für jede internationale Aktion muß sein, daß man sich im voraus über den Inhalt und die Form verständigt. Es scheint mir unzulässig, daß eine Nationalität allein öffentlich die Initiative ergreift und dann die anderen auffordert, ihr zu folgen. Die Herren Franzosen sind bisweilen selbst äußerst kitzlig in Fragen der Etikette und sollten ihrerseits demokratische Rücksicht walten lassen. Ich werde die Aufmerksamkeit der Deutschen nicht auf diesen Punkt lenken, aber ich würde mich nicht wundern, wenn diese reichlich naive Aufforderung, sich
1 die besten Wünsche zum neuen Jahr
dem Schritt der französischen Partei anzuschließen, die gerade erst ins Parlament gekommen ist und aus so verschiedenen und zum Teil so wenig bekannten Elementen besteht, nicht sofort akzeptiert würde. Jetzt zum Inhalt. Vaillants Entwurf wird von den Militärs unter dem Vorwand bekämpft werden, daß Milizen nach dem Schweizer Vorbild vielleicht für ein gebirgiges Land geeignet, für ein großes Heer aber, das auf jedem Gelände aktionsfähig sein muß, nicht zuverlässig genug sind. Und darin hätten sie recht. Um ein gutes Milizheer zu haben, muß man bei der gymnastischen und militärischen Ausbildung der Jugend anfangen; das würde also 5 bis 8 Jahre in Anspruch nehmen; und eine solche Miliz hätte man dann erst gegen Ende des Jahrhunderts. Wenn man also einen Gesetzentwurf einbringen will, gegen den die Bourgeois und die Militärs keine gewichtigen Argumente vorbringen können, muß man dieser Tatsache Rechnung tragen. Und gerade das habe ich versucht mit den Artikeln, die im vorigen Jahr im „Vorwärts" erschienen sind2 und die ich Ihnen geschickt habe. Ich sende Ihnen heute erneut ein Exemplar. Darin schlage ich einen internationalen Vertrag vor über die gleichzeitige und stufenweise gemeinsam und im voraus festgelegte Herabsetzung der Militärdienstzeit. Um den vorhandenen Vorurteilen soweit wie möglich Rechnung zu tragen, schlage ich vor, daß man eine Dienstzeit bei der Fahne von zwei Jahren zum Ausgangspunkt nimmt, die so bald wie möglich auf 18 Monate (zwei Sommer und den dazwischenliegenden Winter) und dann auf ein Jahr herabzusetzen ist und so fort, bis ein Jahrgang von jungen Leuten das militärpflichtige Alter erreicht, der die gymnastische und militärische Ausbildung erhalten hat, und fähig wäre, ohne weitere Vorbereitung zu den Waffen zu greifen. Dann hätte man eine Miliz, die nur einmal alle 2 oder 3 Jahre große Manöver durchführen müßte, um sich zusammenzufinden und zu lernen, als große Masse zu operieren. Heute, wo die zweijährige Dienstzeit schon allgemein anerkannt ist, könnte man daher 18 Monate verlangen und in zwei oder drei Jahren die Herabsetzung auf 1 Jahr; in dieser Zeit könnte man die gymnastische und militärische Ausbildung der jungen Leute von 15 bis 18 Jahren organisieren, ohne die der 10- bis 15jährigen Jungen zu vernachlässigen. Vaillants Entwurf bedarf unbedingt der Revision durch jemand, der sich auf militärische Dinge versteht; er enthält in Eile niedergeschriebene Sachen, deren ernsthafte Diskussion wir nicht unterstützen könnten. Nach
2 „Kann Europa abrüsten?"
Art. 9 (alle Landes^iWer) müßten auch die Mädchen die „gesamte Entwicklung der Infanterie, Kavallerie und Artillerie" usw. usw. studieren. Ein Ex. meiner Artikel schicke ich auch Vaillant. Also, wenn es Ihnen gelingt, sich mit den Deutschen und den Italienern zu verständigen, daß diese einen entsprechenden Entwurf zur Einberufung eines Abrüstungskongresses einbringen, der den stufenweisen, gleichzeitigen und im voraus festgelegten Übergang zum Milizsystem vorsieht, so wäre das eine wunderbare Sache und sehr wirkungsvoll. Aber verderben Sie es bloß nicht, indem Sie die öffentliche Initiative ergreifen ohne vorherige Beratung mit den anderen. Die innerpolitischen Verhältnisse und besonders die Vorschriften eines jeden Parlaments sind so verschieden voneinander, daß ein solches Vorgehen für ein Land ausgezeichnet, für ein anderes jedoch absolut unmöglich oder sogar verderblich sein kann. Die Anarchistenbombe1226' wird ebenso vorübergehen wie die berühmten 2500 fr. der Deutschen11901 vorübergegangen sind. Das wird sich auf die Polizei auswirken; denken Sie an das Urteil von Madrid in der Munoz-Affäre, wo die Polizei auch für schuldig erkannt wurde1234', und in Frankreich riskiert sie, vor aller Öffentlichkeit in die Bombenaffäre hineingezogen zu werden; wenn es ihr diesmal gelingt zu entkommen, kann sie sich gratulieren. Dieser Krug ist ziemlich lange zu Wasser gegangen, jetzt ist er nahe daran zu zerbrechen. Ich hoffe, daß Laura ihr Manuskript12271 erhalten hat.3 Umarmen Sie Laura für mich. Grüße von Louise. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
3 es folgt in der Handschrift gestrichen: Ich habe gestern das erste Drittel des Ms. des 3. Bandes nach Hamburg geschickt.
95
Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
London, den 4. Januar 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lawrow, Dank für Ihre Karte und meine besten Glückwünsche für das neue Jahr! Es scheint, daß es trotz der Harmonie zwischen Carnot und dem Zaren112351 die Franzosen sind und nicht die russischen Emigranten, die Verfolgungen und Drangsal erleiden, die unvermeidlichen Folgen der anarchistischen Polizei-Bomben'2261. Um so besser. Allem Anschein nach sind Symptome dafür vorhanden, daß sogar der Pariser Philister sich ein wenig seines hysterischen Gebarens vom vergangenen Oktober schämt. Könnten Sie mir die Adresse von Herrn Rappoport geben, der in die Schweiz zurückgekehrt ist? Herzlichen Gruß von Ihrem F. Engels
Endlich besteht Hoffnung, daß Sie den 3.Bd. des „Kapitals" vor Ende des neuen Jahres haben werden. Die russische Übersetzung erfolgt wie für den 2.Bd.: ich werde die Korrekturbogen an Dfanielson] schicken2.
Aus dem Französischen.
1 Alexander III. - 2 siehe vorl. Band, S.221 und 252
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
96
Engels an Giuseppe Canepa in Diano Marina (Entwarf)
[London, 9. Januar 1894]
Lieber Bürger, Entschuldigen Sie bitte, daß ich Ihnen französisch schreibe. In den letzten zwanzig Jahren habe ich die wenigen Fertigkeiten verloren, über die ich im Gebrauch der italienischen Sprache verfügte. Ich habe versucht, in den Werken von Marx für Sie ein Motto zu finden, wie Sie es wünschten1236', er scheint mir der einzige von den modernen Sozialisten zu sein, den man dem großen Florentiner1 zur Seite stellen kann. Ich habe jedoch nichts finden können als den folgenden Satz aus dem „Kommunistischen Manifest" (italienische Ausgabe der „Critica sociale", S.35): „AI posto della vecchia societa borghese divisa in classi cozzanti fra loro, subentra un'associazione, nella quäle il libero sviluppo di ciascuno e la condizione per il libero sviluppo di tutti."2 Den Geist des künftigen neuen Zeitalters in wenigen Worten zusammenzufassen ist fast unmöglich, ohne in Utopismus oder leere Phrasen zu verfallen. Ich bitte Sie daher, mir zu verzeihen, wenn das, was ich Ihnen anbiete, nicht alle von Ihnen gewünschten Bedingungen erfüllt. Aber da Sie bis zum 21. (einem Datum mit guter Vorbedeutung, Tag der Hinrichtung Louis Capets) fertig sein müssen, ist keine Zeit zu verlieren. E con distinti saluti Suo3
Aus dem Französischen.
1 Dante Alighieri - 2 „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." - s Mit den besten Grüßen Ihr
97
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 9. Jan. 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Baron, Ede hat Dir wohl schon mitgeteilt, daß ein Stück Ms. vom II I.Band (ca. 1/3 Kubikfuß) abgegangen ist. Ich kann Dir jetzt, da es in Hamburg glücklich angekommen, eine kurze Notiz1 für die „N[eue] Z[eit]" darüber geben, sie liegt bei. Bitte ein Ex. mit dem Artikel angestrichen an Otto Meißners Verlag Hamburg schicken zu wollen. Das 2. Drittel ist in Arbeit, wird hoffentlich bald fertig. Deine freundlichen Wünsche sowohl für Xmas2 wie Neujahr haben wir im stillen dankend erwidert. Die Berner Konvention werde ich mir jetzt wohl verschaffen können.3 Auf Cunows Buch bin ich begierig. Der Mann ochst viel in seinem Fach und hat offne Augen. Es wird Dietz interessieren, daß Laura Laffargue] meinen „Feuerbach" für die „Ere nouvelle" und späteren Separatdruck ins Französische übersetzt; die erste Hälfte habe ich bereits durchgesehn. Sie übersetzt gewissenhaft und flott. Rave, der diesen Ruhm weniger verdient, hat mir wieder mal geschrieben; er hat sich an Deinem „Thomas Morus" versucht, mais c'est bien indigeste4! Der Mann kann nämlich in der Tat nur unvollkommen deutsch, obwohl er ein Elsasser ist und wahrscheinlich von Natur Rawe heißt. Es freut mich, daß Victor die besten Stellen aus Deinem letzten Artikel sofort aufgegriffen und den Wienern zugänglich gemacht hat.[237] Sie paßten ganz famos für die dortige Situation. Nach Vfictor]s letztem Brief ist jetzt alle Gefahr von Dummheiten vorbei. In der Tat hat sowohl der
1 „Über den Inhalt des dritten Bandes des .Kapitals'" - 2 Christmas (Weihnachten) - 3 siehe vorl. Band, S. 177/178 - 4 aber das ist sehr schwer zu verdauen
Gewerkschafts- wie der tschechische Kongreß12381 den Generalstrike auf die lange Bank des Parteitags12391 geschoben, und V[ictor] wird schon sorgen, daß er da noch weiter geschoben wird. Schluß für heute - noch Massen Briefe. Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
98
Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
London, den 10. Januar 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lawrow, Dank für Ihre Karte vom 6. Der inliegende Brief'1351 enthält eine persönliche Mitteilung, die ich für wichtig halte und darum nicht der Gefahr aussetzen möchte verlorenzugehen. Würden Sie so liebenswürdig sein, ihn an Herrn Rappoport weiterzuleiten, sobald Sie eine zuverlässige Adresse von ihm haben? Es eilt nicht allzusehr, eine Woche würde nichts ausmachen. Das erste Drittel des Ms. des 3. Bandes1 ist im Druck (20 Kapitel). Ich bin bei der Schlußredaktion des Restes. Wenn alles gut geht, werden wir im September erscheinen. Wenn, wie ich hoffe, Ihre Gesundheit nicht schlechter als meine ist, haben wir beide uns über nichts zu beklagen. Ganz der Ihre F. Engels
Aus dem Französischen.
99
Engels an George William Lamplugh in London12401
London, 10. Jan. 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lamplugh, Ihr Paket war in der Tat eine angenehme Überraschung. Vielen Dank! Ich schäme mich fast einzugestehen, daß ich mir in meiner Unwissenheit vorgestellt hatte, die „Anatomy of Melancholy"12411 sei eine der ernsthaften psychologischen Abhandlungen des 18. Jahrhunderts, die mir Grauen einflößen. Nun stelle ich fest, daß auch sie ein Werk der großartigsten Epoche der englischen Literatur ist, des beginnenden 17. Jahrhunderts. Ich gehe mit Vergnügen daran und habe bereits genug gesehen, um mich zu überzeugen, daß sie ein ständiger Freudenquell sein wird. Das erinnert mich daran, daß ich vergessen habe, Ihnen die beiden einzigen Werke von mir zugehen zu lassen, die in englischer Sprache veröffentlicht worden sind1 - ich habe mir erlaubt, sie Ihnen per Post zuzusenden, und hoffe, Sie werden mir die Freude machen, sie anzunehmen. Dakyns berichtete mir am Sonntag, daß Sie befürchten, Ihr kleiner Junge habe sich eine Influenza zugezogen. Obgleich dieses scheußliche Übel hier im Übermaß auftritt, hoffe ich, daß die Gefahr vorüber ist. Ich erwidere Ihre freundlichen Wünsche für das neue Jahr und verbleibe mit freundlichen Grüßen an Frau L[amplugh] Ihr ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
1 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" und „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"
100
Engels an Henri Rave in Poitiers12421 (Entwurf)
[London] 10./1./94
Lieber Bürger, Tausend Dank für Ihre guten Wünsche zum neuen Jahr, das, wie ich hoffe, auch Ihnen Glück bringen wird! Die Übersetzung meines Buches1"1 scheint mir in der jetzigen Form sehr gut. Übrigens, da ich die Abzüge durchgesehen habe, trage ich meinen Teil Verantwortung dafür. Der Stil des „Thomas Morus"1 wird dem französischen Publikum tatsächlich ziemlich schwer erscheinen. Aber er enthält gute Sachen und historische Bemerkungen von mehr als nur vorübergehendem Wert. Im Augenblick weiß ich kein Buch, das ich Ihnen zum Übersetzen vorschlagen könnte, wenn ich etwas finde, werde ich es Sie wissen lassen. Freundschaftlichst Ihr
Aus dem Französischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 195
101
Engels an Victor Adler in Wien
London, 11.Jänner 94
Lieber Victor, Vor allem meinen Dank und herzlichste Erwiderung aller Eurer Glückwünsche, besonders der von Dir, Deiner Frau und Kinder, und Dank für die Bundesnadel, die ich tragen werde, sobald ich wieder im Besitz einer dazu passenden Halsbinde bin - sie soll extra dafür angeschafft werden. Daß es bei Euch viel zu tun gibt, glaub* ich Dir gern, und was uns alle wundert, ist nur, wie Du das alles fertigbringst, und das unter den schwierigsten Verhältnissen. Wir bewundern Deine Zähigkeit und beneiden Dich darum. Ganz besonders freut mich aber Deine Zusicherung, daß es mit den Torheiten, die dort zu befürchten standen, am Ende ist.1 Seitdem habe ich die Berichte über die beiden Kongresse12381 und daraus das einzelne wenigstens zum Teil gesehen. In Beziehung auf diese Hauptfrage ist in der Tat alles vortrefflich verlaufen. Für die gesunde Entwicklung der Bewegung war es ein wahres Glück, daß der gescheite Höger erklärte, das Wahlrecht sei bürgerlicher Schwindel, und dafür könne man nicht streiken12431, und daß die Bergleute sich in ihrer Weise gegen jeden Streik erklärten, der nicht auch für den Achtstundentag sei. Und die Tschechen in Budweis haben uns auch geholfen, indem sie die Zulassung von Anerkennung des Programms und der Taktik abhängig machten (a la Zürich'1201) und den Generalstreik, der dort am meisten zu spuken scheint, auf die lange Bank des Parteitages12391 schoben, wo dieser ihn schon weiter schieben wird. Der Artikel von K.K[autsky], den Du abdrucktest'2371, wird Euch sehr nützlich sein. Aber bezeichnend ist er dafür, wie sehr der Verfasser die Fühlung mit der lebendigen Parteibewegung verloren hat. Vor ein paar Monaten die unbegreifliche Taktlosigkeit, inmitten einer Bewegung, die auf Leben und Tod gegen die Phrase vom allgemeinen Streik ankämpfte, eine rein akademische Untersuchung über den Generalstreik in abstracto
1 Siehe vorl. Band, S.195/196
und die allgemeinen Pros und Kontras der Sache schleudern zu wollen.'2071 Und jetzt dieser Artikel, der wenigstens in diesen Stellen ganz vortrefflich das Richtige trifft! Jedenfalls geht bei Euch im nächsten Monat mit der Wahlreformvorlage die Agitation wieder lustig los. Es ist ganz gut, daß das erste akute Fieber etwas Gelegenheit hatte, seinen Verlauf durchzumachen, jetzt werden die Leute die Dinge etwas kühler ansehn. Wie es auch gehn mag, die Regierung und der Reichsrat müssen Euch neue Waffen in die Hand geben, und im nächsten Jahr sitzen Eurer ein halbes oder ganzes Schock im Parlament. Und Proletarier in dieser altfränkischen, ständisch abgestuften Versammlung! Die werden den Franzosen beweisen, daß das Proletariat nicht, wie sie in falscher Analogie so gern sagen, le quatrieme etat2 ist, sondern eine ganz moderne jugendliche Klasse, die mit dem ganzen alten Ständekram unverträglich ist und ihn sprengen muß, ehe sie soweit kommt, ihre eigene Aufgabe in die Hand nehmen zu können, die Sprengung der Bourgeoisie. Ich freue mich schon auf das erste Erscheinen unserer Leute im Reichsrat. Ich bin übrigens noch immer der Ansicht, daß das Koalitionsministerium auseinanderfallen muß, sobald es ernstlich zu handeln anfangen will. Zur einen reaktionären Masse scheint mir in Österreich die Zeit noch nicht gekommen - wenigstens nicht zur dauernden Bildung dieser Masse. Und selbst wenn die im Kabinett sitzenden Chefs sich einigten, die Unterleute im Parlament brächten es nicht fertig; und wenn hinter all dem ein Franz Joseph steht, der sich nach seinem Taaffe zurücksehnt, so will mich bedünken, als wären die Tage des Windischgrätz gezählt. Und Taaffe, das heißt jetzt praktisch allgemeines Stimmrecht. Ich bin begierig, wie sich die angeblichen 60 Sozialisten im französischen Parlament machen werden.3 Es ist eine gemischte Bande, selbst die socialistes de la veille4 sind teilweise sehr unbestimmter Natur und dabei, trotz aller Fusionslust, doch von allerlei alten, häßlichen Erinnerungen erfüllt, dazu aber sind diese alle zusammen nur die Minorität gegenüber der aus socialistes du lendemain5 bestehenden Millerand-Jauresschen Majorität. Auch schweigen sich die Franzosen auf alle Anfragen über den Charakter ihrer Fraktion hartnäckig aus. Sonntag kommt Bonnier von Paris zurück hier durch, da werde ich ihn ausfragen und wohl etwas erfahren. Der 3. Band6 ist endlich im Druck. Die ersten 20 Kapitel (664 S. aus ca. 1870 S. Manuskript) sind bereits fort, am zweiten Drittel bin ich, es
2 der vierte Stand - 3 siehe vorl. Band, S.187/188 - 4 Sozialisten von gestern - 5 Sozialisten von morgen - 6 des „Kapitals"
bedarf nur noch der Schlußredaktion, und das dritte Drittel, das wohl noch etwas mehr Arbeit erfordern wird, kommt dann auch bald dran. Im September erscheinen wir, denke ich. Jetzt muß ich aber wieder an mein geliebtes 23. Kapitel, ich habe in den Feiertagen leider arg viel Zeit verlieren müssen. Herzliche Grüße an Deine Frau und Kinder, Popp, Ulbing, Pemerstorfer, Reumann, Schramme!, Adelheid, die kleine Ryba und tutti quanti und besonders auch Dich selbst von Deinem F. Engels
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
102
Engels an George William Lamplugh in London
[London] 1894, 12. Jan. 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lamplugh, Ich hatte eine schwache Erinnerung, daß ich Ihnen den „Sozialismus"1 schon früher zugehen ließ, aber ich war nicht sicher. Mein Gedächtnis für derartige Dinge wird mit dem Alter ungemein schlecht. Bitte geben Sie das eine Exemplar Ihrem Freund, wie Sie es vorhaben, und ich hoffe nur, daß er es verdaulich findet. Empfehlungen an Frau Lamplugh. Ihr ergebener F. Engels
Das Wetter mag jetzt allmählich Ihren Besuch im Zoo zulassen; wenn es also soweit sein sollte, dann schicken Sie uns bitte eine Postkarte und teilen Sie uns mit, wann Sie, nachdem Sie die wilden Tiere angeschaut haben, mit Ihrer Familie auch zu uns hereinschauen werden.
Aus dem Englischen.
1 Friedrich Engels: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"
103
Engels an Albert Delon in Nimest244! (Notiz)
[London, um den 2I.Januar 1894] Soll den 2ten Band erst lesen und dann wiederkommen. Nach Brief an Diamandi kann er noch nicht vollkommen Deutsch, sondern studiert noch dran, besonders an der Sprache der politischen Ökonomie.
104
Engels an W. Borgius in Breslau'2401
London, 25. Januar 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Sehr geehrter Herr, Hier die Antwort auf Ihre Fragen! 1. Unter den ökonomischen Verhältnissen, die wir als bestimmende Basis der Geschichte der Gesellschaft ansehen, verstehen wir die Art und Weise, worin die Menschen einer bestimmten Gesellschaft ihren Lebensunterhalt produzieren und die Produkte untereinander austauschen (soweit Teilung der Arbeit besteht). Also die gesamte Technik der Produktion und des Transports ist da einbegriffen. Diese Technik bestimmt nach unserer Auffassung auch die Art und Weise des Austausches, weiterhin der Verteilung der Produkte und damit, nach der Auflösung der Gentilgesellschaft, auch die Einteilung der Klassen, damit die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse, damit Staat, Politik, Recht etc. Ferner sind einbegriffen unter den ökonomischen Verhältnissen die geographische Gründlage, worauf diese sich abspielen, und die tatsächlich überlieferten Reste früherer ökonomischer Entwicklungsstufen, die sich forterhalten haben, oft nur durch Tradition oder vis inertiae1, natürlich auch das diese Gesellschaftsform nach außen hin umgebende Milieu. Wenn die Technik, wie Sie sagen, ja größtenteils vom Stande der Wissenschaft abhängig ist, so noch weit mehr diese vom Stand und den Bedürfnissen der Technik. Hat die Gesellschaft ein technisches Bedürfnis, so hilft das der Wissenschaft mehr voran als zehn Universitäten. Die ganze Hydrostatik (Torricelli etc.) wurde hervorgerufen durch das Bedürfnis der Regelung der Gebirgsströme, in Italien im 16. und 17. Jahrhundert. Von der Elektrizität wissen wir erst etwas Rationelles, seit ihre technische Anwendbarkeit entdeckt. In Deutschland hat man sich aber leider daran gewöhnt, die Geschichte der Wissenschaften so zu schreiben, als wären sie vom Himmel gefallen.
1 Trägheitskraft
206 104 • Engels an W. Borgius • 25. Januar 1894
2. Wir sehen die ökonomischen Bedingungen als das in letzter Instanz die geschichtliche Entwicklung Bedingende an. Aber die Rasse ist selbst ein ökonomischer Faktor. Nun sind hier aber zwei Punkte nicht zu übersehen: a) Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literarische, künstlerische etc. Entwicklung beruht auf der ökonomischen. Aber sie alle reagieren auch aufeinander und auf die ökonomische Basis. Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit. Der Staat z.B. wirkt ein durch Schutzzölle, Freihandel, gute oder schlechte Fiskalität, und sogar die aus der ökonomischen Elendslage Deutschlands Von 1648 bis 1830 entspringende tödliche Ermattung und Impotenz des deutschen Spießbürgers, die sich äußerte zuerst im Pietismus, dann in Sentimentalität und kriechender Fürsten- und Adelsknechtschaft, war nicht ohne ökonomische Wirkung. Sie war eins der größten Hindernisse des Wiederaufschwungs und wurde erst erschüttert dadurch, daß die Revolutions- und Napoleonischen Kriege das chronische Elend akut machten. Es ist also nicht, wie man sich hier und da bequemerweise vorstellen will, eine automatische Wirkung der ökonomischen Lage, sondern die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber in einem gegebenen, sie bedingenden Milieu, auf Grundlage vorgefundener tatsächlicher Verhältnisse, unter denen die ökonomischen, sosehr sie auch von den übrigen politischen und ideologischen beeinflußt werden mögen, doch in letzter Instanz die entscheidenden sind und den durchgehenden, allein zum Verständnis führenden roten Faden bilden. b) Die Menschen machen ihre Geschichte selbst, aber bis jetzt nicht mit Gesamtwillen nach einem Gesamtplan, selbst nicht in einer bestimmt abgegrenzten gegebenen Gesellschaft. Ihre Bestrebungen durchkreuzen sich, und in allen solchen Gesellschaften herrscht ebendeswegen die Notwendigkeit, deren Ergänzung und Erscheinungsform die Zufälligkeit ist. Die Notwendigkeit, die hier durch alle Zufälligkeit sich durchsetzt, ist wieder schließlich die ökonomische. Hier kommen dann die sogenannten großen Männer zur Behandlung. Daß ein solcher und grade dieser zu dieser bestimmten Zeit in diesem gegebenen Lande aufsteht, ist natürlich reiner Zufall. Aber streichen wir ihn weg, so ist Nachfrage da für Ersatz und dieser Ersatz findet sich, tant bien que mal2, aber er findet sich auf die Dauer. Daß Napoleon grade dieser Korse, der Militärdiktator war, den die durch eignen Krieg erschöpfte französische Republik nötig machte, das war Zufall; daß 2 recht oder schlecht
aber in Ermangelung eines Napoleon ein andrer die Stelle ausgefüllt hätte, das ist bewiesen dadurch, daß der Mann sich jedesmal gefunden, sobald er nötig war: Cäsar, Augustus, Cromwell etc. Wenn Marx die materialistische Geschichtsauffassung entdeckte, so beweisen Thierry, Mignet, Guizot, die sämtlichen englischen Geschichtsschreiber bis 1850, daß darauf angestrebt wurde, und die Entdeckung derselben Auffassung durch Morgan beweist, daß die Zeit für sie reif war und sie eben entdeckt werden mußte. So mit allem andern Zufälligen und scheinbar Zufälligen in der Geschichte. Je weiter das Gebiet, das wir grade untersuchen, sich vom Ökonomischen entfernt und sich dem reinen abstrakt Ideologischen nähert, desto mehr werden wir finden, daß es in seiner Entwicklung Zufälligkeiten aufweist, desto mehr im Zickzack verläuft seine Kurve. Zeichnen Sie aber die Durchschnittsachse der Kurve, so werden Sie finden,d aß, je länger die betrachtete Periode und je größer das so behandelte Gebiet ist, daß diese Achse der Achse der ökonomischen Entwicklung um so mehr annähernd parallel lauf t. Das größte Hindernis zum richtigen Verständnis ist in Deutschland die unverantwortliche Vernachlässigung in der Literatur der ökonomischen Geschichte. Es ist so schwer, nicht nur sich die auf der Schule eingepaukten Geschichtsvorstellungen abzugewöhnen, sondern noch mehr, das Material zusammenzutrommeln, das dazu nötig ist. Wer z.B. hat nur den alten G. v. Gülich gelesen, der in seiner trocknen Materialsammlung doch soviel Stoff enthält zur Aufklärung unzähliger politischer Tatsachen! Übrigens sollte Ihnen doch, glaube ich, das schöne Exempel, das Marx im „ 18. Brurriaire" gegeben hat, schon über Ihre Fragen ziemliche Auskunft geben, grade weil es ein praktisches Beispiel ist. Auch glaube ich im „Anti-Dühring" I, Kap. 9-11 Und II, 2-4 sowie III, 1 oder Einleitung unddänn im letzten Abschnitt des „Feuerbach" die meistenPunkte bereits berührt zu haben. Ich bitte, in obigem die Worte nicht auf die Goldwaage zu legen, sondern den Zusammenhang im Auge zu behalten; ich bedaure, nicht die Zeit zu haben, Ihnen so exakt ausgearbeitet zu schreiben, wie ich es für die Öffentlichkeit müßte. Herrn ...3 bitte ich meine Empfehlung zu machen und ihm in meinem Namen zu danken für die Zusendung der .. .3, die mich sehr erheitert hat. Hochachtend ergebenst F. Engels Nach: „Der sozialistische Akademiker", Nr.20, Berlin 1895.
3 so in der gedruckten Vorlage
105
Engels an Richard Fischer in Berlin
London, 1. Febr. 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Fischer, Mit Aveling die Sache gestern durchgesprochen.12461 Nach dem Erfurter Parteitag12471 und versehen mit den von Dir besorgten Akten ging Afveling] nochmals zum ,,D[aily] Chronicle" und teilte den Tatbestand mit (er war schon früher einmal dagewesen und hatte den Reuß als Spion angezeigt, und damals hatte man gesagt, man werde ihn entfernen). Jetzt aber hieß es auf einmal, der Eigentümer des Blattes wolle R[euß] halten, da sei nichts zu machen. Wenn aber R[euß] dennoch sagt, er selbst habe am 9. Nov. 91, also unmittelbar nachher, gekündigt, so beweist das, daß man ihn infolge von A[veling]s Mitteilung derart behandelt hat, daß er kündigen maßte tatsächlich ist er gegangen worden. Alle diese Sachen könnt Ihr aber nicht öffentlich verhandeln, weil Ihr riskiert, daß die Leute vom „Chronicle" Euch öffentlich desavouieren, da nach hiesiger Etikette Interna eines Journals streng von der Öffentlichkeit ausgeschlossen sind und die Leute also ganz ungestraft lügen können, was sie wollen. Ich würde an Deiner Stelle den Punkt ganz fallenlassen, da er von absolut keiner Wichtigkeit mehr ist. Im äußersten Fall könntest Du nur sagen: der Erfurter Kongreß sei Okt. 91 gewesen, gleich nachher seien die R[euß] betreffenden Nachrichten nach London gesandt, und bereits am 9. Nov. habe R[euß] nach eigner Aussage sich genötigt gesehn zu kündigen - der Leser möge sich selbst den Vers drauf machen. Gehst Du einen Schritt weiter, so erklärt das „Chrfonicle]" die Sache, soweit es dabei beteiligt, einfach für nicht wahr, und weder es noch ein andres Londoner Blatt druckt eine Zeile der Berichtigung von Euch ab. Das ist hiesige Preßetikette. Von der zweiten Annagelung R[euß]' im „Vorwärts" wissen wir hier nichts, die müßt Ihr selbst nachsehn. Mein Honorar12481 bitte ich an den Parteikassierer zu zahlen, der Chiffre F.E. in L. quittieren kann in der Monatsabrechnung.
106
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber Baron, Bin wieder einmal hier in Eastbourne wegen der bekannten Lahmheit, es geht aber schon besser.12491 Bleibe hier noch bis zum 23. d.M. mindestens; falls Du schreibst, Adr. 28, Marine Parade, Eastbourne. Den „Critica Soc[iale] "-Artikel hat Victor Dir weggeschnappt, er übersetzt ihn12501, ich habe jetzt absolut keine Zeit, muß den Rest des III.Bandes1 zu Ende korrigieren, dabei regnet's schon Druckbogen so heftig wie Prügel in Kamerun12511. Die 8 Mark bitte Dietz mit der nächsten größeren Sendung nach Wien zu schicken.12521 Den Ausdruck „Kommunismus" würde ich heute nicht für allgemein passend halten, vielmehr reservieren für Fälle, wo genauere Bezeichnung nötig, und selbst da erforderte er jetzt einen Kommentar, nachdem er seit 30 Jahren praktisch außer Gebrauch gekommen.12531 Einstweilen halte ich noch Burns für besser und Jaures für weniger bedeutend, als man sie gewöhnlich macht. Herzliche Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E. [Eastbourne] 13./2./94
1 des „Kapitals"
14 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
107
Engels an Georg von Gizycki in Berlin12541 (Entwurf)
28, Marine Parade, Eastbourne'2491 17. Febr. 94
Sehr geehrter Herr Professor, Ich bin, in ergebner Beantwortung Ihrer werten Zeilen vom 14. ds., auf lange Zeit hinaus so sehr mit Arbeiten überhäuft, daß es mir unmöglich ist, Arbeiten selbst für die periodische Presse meiner eignen Partei zu liefern. Um so weniger ist mir die Mitarbeiterschaft gestattet an Zeitschriften, die, wie aufrichtig und ehrenwert auch die darin vertretene Tendenz sein mag, dennoch meiner unmittelbaren Richtung ferner stehn.1 Aus diesen und anderen Gründen bedaure ich, Ihre freundliche Aufforderung ablehnen zu müssen, und empfehle mich mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst F.E.
1 Im Entwurf gestrichen: Wollte ich Ihnen über das von Ihnen gewünschte Thema (das ich offen gestanden nicht recht verstehe) oder über ein andres Ihnen einen Artikel liefern, so würde ich voraussichtlich dadurch in eine Debatte über meinen materialistischen Ausgangspunkt verwickelt werden.
108
Engels an Eduard Bernstein in London12551
[Eastbourne12491, 22. Februar 1894]
Lieber Ede, Dank für Brief und Offerte von G.Bruno.12561 Aber ich sitze eben über Kap. 411 (Grundrente) und hoffe bis zu meiner Rückkehr heute, Donnerstag, über 8 Tage noch einige Kapitel fertigzumachen, so möchte ich mir das Buch bis zu meiner Rückkehr aufsparen, wo ich es sicher gern lesen werde. Das Feuilleton der „F[rank]f[ur]ter [Zeitung]" „Bebel und Vollmar" haben wir zugesandt bekommen. - Leider ist das Wetter hier zu kalt, um sehr viel draußen sitzen zu können, und zum Gehen bin ich noch immer nicht besonders imstande. Also bis nächste Woche! Beste Grüße an Gine, Käte2 und Dich von Deinem F.E.
1 des dritten Bandes des „Kapitals" (siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.698-705)- 2 Käte Schattner
109
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
Eastbourne, 23. Febr. 94
Lieber Sorge, Ich bin wegen temporärer Lahmheit wieder auf ein paar Wochen hier bin in 6 Tagen wieder in London.112491 Louises Heiratskarte wirst Du erhalten haben. Ihr Mann, Dr. Freyberger, ist ein junger Wiener Arzt, der seine Karriere an der Wiener Universität aufgab, weil man ihm nicht erlauben wollte, den Arbeitern die sozialen Ursachen ihrer Krankheiten aufzudecken, und der jetzt hier sich etabliert hat. Er hat denEngländern bereits gezeigt, daß man auf dem Kontinent mehr Medizin lernt als hier. Einstweilen bleiben wir alle zusammen in Regent's Park Road. „Die heilige Familie"1 ist in Rom richtig angekommen und geht Mitte März an mich zurück, wo Du sie dann sofort zugesandt erhältst.2 Unsre sonderbare sozialistische Fraktion in der französischen Kammer ist noch immer etwas mysteriös. Weder Zahl noch Richtung ist bis jetzt sehr klar. Guesde bringt eine ganze Masse Gesetzentwürfe ein, von denen natürlich keiner durchgeht. Die ersten Sensationserfolge des Jaures werden sich schwerlich wiederholen, da die Bombenwirtschaft der Herren Anarchisten12261 es rasch fertiggebracht hat, dem Ministerium und der Sache der Ordnung eine geschloßne Majorität zu liefern. Hier herrscht unter den offiziellen Politikern vollständige Auflösung, sowohl bei Liberalen wie Konservativen. Die Liberalen können sich nur halten durch neue politische und soziale Konzessionen an die Arbeiter; aber dazu fehlt ihnen der Mut. So versuchen sie's mit einem election cry3 gegen das House of Lords, statt payment of members, payment of election expenses by the government, and second ballot4 vorzuschlagen. D. h. statt den Arbeitern mehr Macht gegen Bourgeois und Lords zu bieten,
1 Friedrich Engels und Karl Marx: „Die heilige Familie" - 2 siehe vorl. Band, S.188/1893 einer Wahllosung - 4 Diäten für Abgeordnete, Bezahlung der Wahlkosten durch die Regierung und Stichwahlen
wollen sie bloß den Bourgeois mehr Macht gegen die Lords geben, und darauf fallen die Arbeiter nicht mehr herein. Im Sommer wird aber hier jedenfalls allgemeine Neuwahl sein, und wenn die Liberalen sich nicht sehr zusammenraffen und wirkliche Konzessionen an die Arbeiter machen, dann werden sie geschlagen und fallen auseinander; jetzt hält sie nur noch Gladstone zusammen, der jeden Tag abkratzen kann. Dann gibt's eine bürgerlich demokratische Partei mit arbeiterfreundlichen Tendenzen, und der Rest der Liberalen geht zu Chamberlain über. Und all das durch den bloßen Druck der selbst noch in sich gespaltnen und halb bewußtlosen Arbeiterklasse. Kommt diese allmählich zum Bewußtsein, dann geht's noch ganz anders. In Italien kann es jeden Tag etwas Gewaltsames geben. Die Bourgeois haben alle Scheußlichkeiten des verfallenden Feudalismus aufrechterhalten und ihre eignen Infamien und Schindereien daraufgepfropft. Das Land ist am End seiner Ressourcen, es muß dort eine Änderung geben, aber die sozialistische Partei1257' ist bis jetzt noch sehr schwach und sehr konfus, obwohl auch recht tüchtige Marxisten drunter sind. Auch in Österreich haben wir was zu erwarten. Dort passiert das Komische, daß die Sozialisten sich auf den Kaiser5 stützen, der durch die Genehmigung des Taaffeschen Wahlreformplans1180' sich für ein annähernd allgemeines Stimmrecht erklärt hat und wirklich glaubt, dies sei ein notwendiges Ergänzungsstück der allgemeinen Wehrpflicht. Das Koalitionsministerium wird nichts fertigbringen, oder wenn es doch ein Wahlgesetz fertigbringt, so wird dies nur als Abschlagszahlung genommen, und die Bewegung geht mit geheimer Genehmigung des Kaisers ruhig fort, bis wenigstens Taaffes Reform durchgeführt. Und dann sorgen unsre Leute für den Rest. Kurz, es geht überall lustig voran, und das fin de siecle6 präpariert sich immer schöner. Die „Workman's Times" ist dem Anschein nach am Sterben. Die Independent Labour Party19' ist auch nicht viel lebendiger, es ist merkwürdig, wie langsam und im Zicksack hier sich alles bewegt. Viele Grüße Dir und Deiner Frau von den beiden Freybergers und Deinem F. Engels
6 Franz Joseph I. - 6 Ende des Jahrhunderts
110
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 6. März 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lafargue1, Ich habe soeben die Reden von Jaures und Guesde über die Getreidezölle gelesen.12581 Die von J[aur£s] ist tatsächlich erstaunlich, und es scheint mir unglücklich, daß man ihm erlaubt hat, seinen Änderungsantrag im Namen der Partei einzubringen. Ich will nicht von seinem Vorschlag sprechen, von Staats wegen den Getreidepreis auf einem Minimum von 25 fr. zu halten, was reinster Protektionismus ist, und überdies zum alleinigen Nutzen der großen Grundbesitzer, da die kleinen kein Getreide zu Verkaufen haben, denn ihre Erträge reichen kaum für den eigenen Verbrauch; Guesde hat das auch richtig gesagt, aber nach Leon Say, während wir das als erste hätten laut verkünden müssen, statt uns dem Schritt von Herrn Say anzuschließen. Und daran hat uns die Tirade Jaures' gehindert. Aber nehmen wir nur den Vorschlag, den Staat mit der Getreideeinfuhr zu betrauen. J[aures] will die Spekulation verhindern. Aber was macht er? Er beauftragt die Regierung mit dem Ankauf ausländischen Getreides. Die Regierung ist das Exekutivkomitee der Majorität der Kammer, und die Majorität der Kammer ist die denkbar exakteste Vertretung eben dieser Spekulanten in Getreide, in Aktien, in öffentlichen Mitteln usw. usw. Es ist genau wie in der vorigen Kammer, wo man die Panamisten mit der Untersuchung der Panama-Affäre161 beauftragte! Und diese Panamisten, die im letzten August wiedergewählt worden sind, wollt Ihr mit der Unterdrückung der Spekulation betrauen! Es genügt Euch nicht, daß sie Frankreich mit Hilfe des Jahresbudgets und der Börse bestehlen, wo sie zumindest mit ihren eigenen Kapitalien und ihrem eigenen Kredit operieren -, Ihr wollt ihnen mehrere Milliarden und den Nationalkredit zur Verfügung stellen, damit sie Euch mit Hilfe des Staatssozialismus die Taschen noch mehr ausräumen!
1 In der Handschrift gestrichen: Anbei ein Scheck über £ 20
Und Jaures bildet sich ein, einen völlig neuen und unerhörten Vorschlag gemacht zu haben. Aber die kleinbürgerlichen Sozialisten des Kantons Zürich sind ihm zuvorgekommen; seit Jahren fordern sie das staatliche Monopol für den Getreidehandel; ihr Staat ist jedenfalls viel demokratischer als die französische Republik, er kann sich sogar einen kleinbürgerlichsozialistischen Polizeichef erlauben (Herrn Vogelsanger), und er kennt keine allmächtigen Präfekten; und im übrigen ist er so klein, daß er sich wohl Extravaganzen erlauben kann, die dort nicht ins Gewicht fallen, während eine große Nation sich solche Kindereien nicht ungestraft leisten könnte. Die Rede Guesdes hat natürlich daran gelitten, daß er, wenigstens pro forma, einige der Anwandlungen von Jaures unterstützen mußte. Glücklicherweise haben ihn seine Zuhörer auf das Terrain allgemeiner Prinzipien geführt - das hat uns gerettet; er konnte sich damit begnügen, Jaures* Vorschlag nur oberflächlich zu streifen. Was mich betrifft, ich hätte es lieber gesehen, wenn Guesde sein feierliches Debüt unabhängig von Jaures und als Wortführer unserer Gruppe gegeben hätte. Aber schließlich hat er getan, was er konnte. Alles das ist die Folge der Allianz mit den Ex-Radikalen, die man uns aufzwingt.2 Zunächst: Warum hat Jaures den radikalen Wählern Versprechungen gemacht, von denen er wußte, daß er sie nicht halten kann? Eine Gewohnheit der Radikalen1211, aber keineswegs der Sozialisten, und wir werden gut daran tun, sie nicht zu begünstigen. Dann mißbraucht dieser Herr Jaures, dieser doktrinäre, aber - besonders in der politischen Ökonomie unwissende Professor, dieses im höchsten Grade oberflächliche Talent, seine Redseligkeit, um sich auf den ersten Platz zu drängen und sich als Wortführer des Sozialismus aufzuspielen, den er nicht einmal versteht. Sonst hätte er nicht gewagt, einen Staatssozialismus in den Vordergrund zu stellen, der eine der Kinderkrankheiten des proletarischen Sozialismus darstellt, eine Krankheit, die man z.B. in Deutschland vor mehr als einem Dutzend Jahren unter der Herrschaft des Ausnahmegesetzes11431 durchgemacht hat, wo das die einzige Form war, die von der Regierung geduldet wurde (und die sie sogar begünstigte). Und doch war es nur eine verschwindende Minderheit der Partei, die für eine kurze Zeit darauf hereinfiel; nach dem Kongreß von Wyden[2B91 ist das alles verschwunden. Aber wir haben in Frankreich die Republik! werden Euch die ExRadikalen sagen - bei uns ist das etwas anderes, wir können die Regierung für sozialistische Maßnahmen ausnutzen! - Die Republik unterscheidet sich
von der Monarchie dem Proletariat gegenüber nur dadurch, daß sie die fertige politische Form für die künftige Herrschaft des Proletariats ist. Ihr habt uns gegenüber den Vorteil, daß Ihr sie schon habt; wir anderen, wir müssen noch 24 Stunden verlieren, um sie zu schaffen. Aber die Republik wird wie jede andere Regierungsform durch ihren Inhalt bestimmt; solange sie die Herrschaftsform der Bourgeoisie ist, ist sie uns genau so feindlich wie irgendeine Monarchie (abgesehen von den Formen dieser Feindseligkeit). Es ist also eine völlig unbegründete Illusion, sie ihrem Wesen nach für eine sozialistische Form zu halten oder ihr, solange sie von der Bourgeoisie beherrscht ist, sozialistische Aufgaben anzuvertrauen. Wir können ihr Zugeständnisse entreißen, aber ihr niemals die Ausführung unserer eigenen Arbeit übertragen. Wenn wir sie noch durch eine Minderheit kontrollieren könnten, die stark genug wäre, sich von einem Tag zum andern in eine Majorität zu verwandeln! Aber geschehen ist geschehen, und es gibt kein Mittel, es ungeschehen zu machen. Es werden sich andere Gelegenheiten bieten, wo die Unseren vorangehen und mit Hilfe von Gesetzentwürfen ihre eigenen Tendenzen verkünden können. Die Hochzeit Louises hat Sie also überrascht? Das hat sich schon seit einigen Monaten vorbereitet. Freyberger hat Wien verlassen und eine glänzende Karriere an der Universität aufgegeben, weil man ihm verbot, in seinen Vorlesungen die Arbeiter über die sozialen Ursachen ihrer Krankheiten aufzuklären. Also ist er hierher gekommen und hat sehr gute Aussichten in den hiesigen Spitälern vorgefunden. Als dies geregelt war, gab es keinen Grund mehr, mit der Hochzeit zu zögern. Inzwischen erwartet er die Verwirklichung dieser Aussichten und ist hierher zu seiner Frau gezogen. Sie sehen, das ist eine ganz matriarchalische Ehe, der Mann ist der boarder3 seiner Frau! Das erinnert mich an meine eigenen Studien über das Matriarchat und die Übersetzung, die Laura freundlicherweise davon machen wollte.1"1 Ich hoffe, daß sie die von mir vorgeschlagenen wenigen Änderungen billigt und Sie ihr gesagt haben, wie entzückt ich von ihrer Übersetzung dieses 3. und 4. Teils gewesen bin. Umarmen Sie sie by your proxy4. Ganz der Ihre F.E.
Aus dem Französischen.
3 Kostgänger -1 in Vertretung für mich
III
Engels an August Momberger in Wiesbaden
London, 9. März 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Sehr geehrter Herr, Abwesenheit von London12491 hat die Beantwortung Ihres Geehrten vom 26./II. etwas verzögert.12601 Was englische sozialistische Literatur angeht, so sieht es damit nicht sehr brillant aus. Hauptverleger von Büchern der Art ist Sonnenschein (W.Swan Sonnenschein & Co., Paternoster Square), von seiner „Social Science Series" ist vieles schlechte Ware, doch auch folgendes ist darunter: W.Morris and E.B.Bax, „Socialism, its Growth and Outcome"; E.B.Bax, „The Religion of Socialism"; do. „The Ethics of Socialism", Aveling, E. and E.M[arx-Aveling], „The Working Class Movement in America"; Lafargue, „The Evolution of Property"; E.B.Bax, „Outlooks from the New Standpoint"; Hyndman, „Commercial Panics of the 19th Century"; Engels, „The Condition of the Working Class in England in 1844"1; do. „Socialism, Scientific and Utopian"2 etc., es sind auch dies Sachen von sehr verschiednem Wert. Kleinere Propagandabroschüren gibt es eine Menge sehr verschiednen Gehalts, manche recht gut, manche herzlich schlecht, diese sind durch den Buchhandel schwer zu beziehen. Die Social Democratic Federation'101 und die Fabian Society1111 haben die meisten herausgegeben. Eine Zeitschrift wie die „Neue Zeit" gibt's hier nicht. Sozialistische Wochenblätter sind: „Justice" (Organ der Social Democratic Federation), Herausgeber H.Queich, 37a, Clerkenwell Green, E.C., London;
1 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" - 2 „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"
„Workman's Times", 59 Tile st., Manchester (Manchester Labour Press Society). Dies ist so ziemlich alle Information, die ich Ihnen geben kann. Ich befürchte aber, daß die Sorte Engländer, die Sie in Wiesbaden treffen, kaum viel geeignete Kandidaten für unsre Partei stellen werden. Hochachtend ergebenst F. Engels
112
Engels an Victor Adler in Wien
London, 20. März 94
Lieber Victor, Vor einiger Zeit frugst Du mich an wegen Übersetzung des Artikels in der „Critica Sociale" über die Lage etc. Italiens.'2501 Louise antwortete gleich auf einer Postkarte in meinem Namen that you were welcome to it1, und ich bestätigte dies wenige Tage darauf in einem Brief an Dich11351. Bald darauf kam eine Anfrage von K.K[autsky], ob ich ihm das Ding für die „N[eue] Zeit" überlassen wolle. Darauf antwortete ich ihm, Du habest es ihm weggeschnappt.2 Seitdem aber ist der Artikel nicht in der „Arb[eiter]-Ztg." erschienen, und ich komme dadurch in Verlegenheit gegenüber K.Kfautsky]. Ich möchte Dich also bitten, mir zu sagen, wie es damit steht. Ich komme mir allerdings dabei vor wie die englische Zimmervermieterin, die im Besitz einerseits einer heiratslüsternen Tochter und anderseits eines rührungsfähigen deutschen „Chambregarnisten" ist, und die bei der ersten Spur einer Flirtation diesen letzteren fragt: what are your intentions with regard to my daughter?3 aber die Dir von K.K[autsky] eröffnete Konkurrenz muß mich entschuldigen. Hier geht's auf die Neuwahl'2611 los, alles, was geschieht, geschieht nur in Vorbereitung darauf. Die Liberalen sind wie gewöhnlich feig. Sie müssen wissen, daß sie sich nur halten können durch Stärkung der politischen Macht der Arbeiter, und doch zaudern, zippeln und zappeln sie ängstlich. Weder entschiedene Ausdehnung des Stimmrechtes, noch Beseitigung des Wählbarkeitszensus, der in der Belastung der Kandidaten mit allen Wahlkosten und in der Diätenlosigkeit liegt, noch Ermöglichung der Aufstellung dritter Kandidaten (außerhalb denen der beiden offiziellen Parteien) durch Stichwahl. Dabei soll dann das Haus der Lords abgeschafft werden, aber kein Schritt geschieht, um ein Unterhaus zu schaffen, das dazu Mut und
1 daß er Dir zur Verfügung steht - 2 siehe vorl. Band, S. 209 - 3 welche Absichten haben Sie mit meiner Tochter?
Fähigkeit besitzt. Anderseits machen die Tories Dummheiten über Dummheiten, sie haben zwei Jahre lang das ganze Parlament in eine Farce verwandelt, unter dem Vorwand, die Homerule kaputtzumachen; haben mit den Liberalen, die sich dies gefallen ließen, das reinste Schindluder getrieben, und setzen dies, wie gestern abends Randy Churchill bewies, auch jetzt noch fort12621, obwohl das bei dem Herannahen der Wahlen gefährlich wird und den britischen friedlichen [?]4 Philister arg in seinem konservativen Vertrauen erschüttern könnte. Auch hat Salisbury bei der Parish Councils Bill'601 versucht, seinen unionistisch-liberalen Alliierten11121 Devonshire und Chamberlain einen argen Streich zu spielen und sie zu puren Torymaßregeln auszubeuten, so daß diese Allianz auch nicht mehr so fest wie einst. Kurz, die Sache wird arg konfus, und bis jetzt ist schwer zu raten, wie's verlaufen wird. Zu der Art, wie Du den Generalstrike in Schlummer gewiegt hast, gratuliere ich Dir, aber auch nicht minder zu Deinen Artikeln über die Koalitionswahlreform'263-1 und die ganze Lage in Osterreich. Namentlich der in der Nummer vom 6. d. M. war brillant. Ich zweifle keinen Augenblick am glänzenden Verlauf Eures Parteitages'2391, grüße alle Freunde, auch August und Paul S[inger] und Gerisch, wenn sie dort hinkommen. Viele Grüße von Louise und Deinem F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
4 so in der gedruckten Vorlage
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 20. März 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Werter Herr, Heute sandte ich Ihnen eingeschrieben Bogen Nr. 1-6 (bis Seite 96) des III.Bandes1, enthaltend den größeren Teil des I.Abschnitts. Die Fortsetzung folgt, sowie ich sie bekomme. Ihre Briefe vom 4. und 23.XI. und vom 24. II. erhalten. Ich werde sie so bald wie möglich beantworten. Ihr sehr ergebener L. K.l2m
Aus dem Englischen.
114
Engels an Panait Musoiu in Bukarest12651
London, 20. März 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Werter Genosse! Ich bin durch Abwesenheit von London12491 verhindert gewesen, eher auf Ihren Brief vom 24. Febr. zu antworten, den ich richtig erhalten sowie auch „Manifestul comunist" und „Socialism Utopie $i soc[ialism] jtiintific", wofür ich Ihnen bestens danke. Leider habe ich es noch nicht weit genug im Rumänischen gebracht, um über die Verdienstlichkeit Ihrer Übersetzung ein Urteil abgeben zu können, doch möchte ich Sie warnen davor, bei Bearbeitung deutscher Bücher deren französische Ubersetzung zugrunde zu legen. Leider erlaubt mir meine Zeit nicht, Ihrem Wunsch nachzukommen und zu der Neuauflage eine Vorrede zu schreiben. Ich bin mit der Vollendung des II I.Bandes von Marx' „Kapital" beschäftigt, und da der Druck rasch voranschreitet, muß ich alle meine Zeit auf die Fertigstellung des restierenden Manuskripts verwenden, damit keine Stockung entsteht. Mit bestem Gruß. F. Engels
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 2I.März94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Sorge, Heute schickte ich Dir per Book Post, registered1, die „Heilige Familie" mit bestem Dank zurück, nachdem sie ihre Römerfahrt2 glücklich bestanden. Das Bax-Morrissche Buch und die Berliner Bernsteinsche Gesamtausgabe von Lassalle schicke ich Dir in einem Paket sogleich nach Ostern. Soeben war Tante Motteier mit Gertrud Liebknecht hier, letztere scheint sich vorläufig bei ersterer häuslich einrichten zu wollen. Was Liebknecht (sie sagt, er habe ihre Rückkehr gewünscht) mit ihr anfangen will, ist Geheimnis, wahrscheinlich auch für ihn selbst. Seine älteste Tochter, Frau Geiser, ist selbst in möglichst schlechten Verhältnissen, und seine Frau und Gertrud sind wie Hund und Katz. Auch glaub' ich nicht, daß er grade auf ihre Rückkehr gedrängt hat. Hast Du im „Vorwärts" den Roman „Helena" von der alten Mutter Kautsky gesehn? Sie bringt eine Masse lebender Parteigenossen auf die Bühne, u.a. Motteier und seine Frau, es ist ein schlechter Abklatsch der Gregor Samarow3 (Spion Meding)schen Reklameromane. Ich bin begierig, ob das so ruhig hingeht, ich wundre mich einigermaßen, daß der „V[or]w[är]ts" das genommen; Mutter Natalie Liebknecht zensiert da das Feuilleton. Die „Pionierkalender" dankend erhalten. Hier geht's mit Macht auf die Parlamentsauflösung los. Bei der Neuwahl12611 werden mehr Arbeiterkandidaten aufgestellt als je vorher, aber noch lange nicht genug, Und ich bin nicht sicher, ob nicht wieder eine ganze Menge davon mit Torygeld aufgestellt werden. Die Liberalen wie die Tories halten beide fest an dem indirekten Wählbarkeitszensus, der in der Belastung der Kandidaten mit den sämtlichen Kosten der Wahl liegt
1 Drucksache, eingeschrieben - 2 siehe vorl. Band, S. 188/189- 3 in der Handschrift: Samarin
von £ IGO im Minimum bis zu £ 4-600 und selbst mehr allein für die amtlichen Kosten: polling places4 etc. Wenn da die Arbeiter in Champions Klauen fallen, der ihnen £ 100 per Wahlbezirk offeriert (er hat das Geld von dem Seifenfabrikanten Hudson erhalten), so haben die Liberalen keinen Grund, sich zu beklagen. Überhaupt gehn sie der Wahl mit merkwürdig hartnäckiger Verkennung der Sachlage entgegen. Sie tun, als wollten sie das Oberhaus abschaffen, aber weigern sich, das Unterhaus so umzugestalten (durch Stärkung der Arbeitermacht), daß es allein imstande ist, so etwas in Angriff zu nehmen. Andrerseits sind die Tories so dumm wie noch nie, und das will viel sagen. Seit 2 Jahren haben sie mit der liberalen Regierung geradezu Schindluder im Unterhaus und Oberhaus getrieben; die Liberalen haben es sich ruhig gefallen lassen und der massenhaft konservativ gewordne Philister hat sich gefreut darüber, weil es unter dem Vorwand geschah, die hochverräterische reichsfeindliche Homerulebill-Homeruleregierung zu beseitigen. Aber jetzt setzen sie das Spiel auch fort bei ernstlichen englischen Maßregeln, und das könnte dem friedlichen Philister doch etwas zu arg werden. So daß die Sache sehr ungewiß steht und die Neuwahl jedenfalls überraschende Resultate ergeben wird, unter allen Umständen Stärkung der Arbeiter und Notwendigkeit für die Liberalen, den Arbeitern weitere Konzessionen zu machen. In Ostreich, Belgien, Holland ist ebenfalls Wahlreform auf der Tagesordnung, es wird bald kein europäisches Parlament mehr geben ohne Arbeitervertreter. In Ostreich geht die Sache sehr gut. Adler leitet die Bewegung ganz ausgezeichnet geschickt, der Parteitag'239' am Sonntag wird weiterhelfen. Wenn bei Euch erst die Tarifgeschichte12181 in einige Ordnung gebracht und der Zoll auf Rohstoffe beseitigt ist, wird die Krisis wahrscheinlich abnehmen und die Überlegenheit der amerikanischen Industrie über die europäische sich entschieden geltend machen. Dann erst wird's hier in England ernsthaft, dann aber auch rasch. Mit den ersten beiden Dritteln des 3.Bandes5 wurde ich rascher fertig als ich erwartete, und da der Druck rasch voranging (12 Bogen Korrektur schon hier), war ich genötigt, die kurze Anzeige6 zu machen. Das letzte Drittel ist noch nicht ganz schlußredigiert, nächste Woche komme ich wieder dran. Louise K[autsky] hat Dir ihre Verheiratung mit Dr. med. L.Freyberger aus Wien angezeigt. Er ist ein junger Arzt, der, wie ich glaube, eine
4 Wahllokale - 5 des „Kapitals" - 6 „Der dritte Band von Karl Marx' .Kapital'", „Uber den Inhalt des dritten Bandes des .Kapitals'"
bedeutende wissenschaftliche Karriere vor sich hat, er praktiziert an hiesigen Spitälern. Einstweilen ist er zu uns gezogen, so daß Louises Adresse bis auf den Namen unverändert. Dein F. Engels
Herzliche Grüße Dir und Deiner Frau von Louise und mir. Hoffentlich geht's besser mit der Gesundheit.
15 Manc/Engels,. Werke, Bd. 39
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 22. März 1894
Lieber Victor, Vorgestern schrieb ich Dir.1 Gestern schrieb Dir Louise „eingeschrieben" nach Kopernikusgasse. Deine Nachrichten über den Stand der Dinge bei Euch haben uns sehr erfreut. Weniger die Aussicht auf Deine Sommerfrische in „geschlossenen Räumen"12661, von denen uns einiges schon aus der „Arbeiter-Zeitung" c? (in Unterschied von der „Arbeiter-Zeitung" $)12671 bekannt war. Über hiesige Angelegenheiten schrieb ich vorgestern. Mit dem Verschwinden der Briefe an Dich wird es aber nachgerade doch zu arg. Nachdem Louise Dir gestern geschrieben, haben wir ihre Briefe nach dort so gut es ging aus dem Gedächtnis wiederhergestellt. Und zwar wie folgt: 1. Sie schickte Mitte Dezember einen Artikel über „Weibliche Fabrikinspektoren" an Adelheid D[worak], dabei verschiedene Notizen für die „Arbeiter-Zeitung" <3 ~ Adelheid schreibt, sie habe den Brief nicht erhalten. 2. Kurz vor Weihnachten schrieb L[ouise] an Dich, um einige Auskunft bittend wegen des von Dir an Tussy empfohlenen Doktors. 3. Im Jänner an Dich, u.a. Dich bittend, mich bei Deiner Frau zu entschuldigen, ich sei nicht wohl. 4. Gegen Ende Jänner, als Lafargue hier war und Burns mit ihm bei uns zusammentraf, über dessen Besuch und die englischen Verhältnisse überhaupt - der Brief war von L[ouise] an Dich. 5. Im Februar schrieb sie an Dich, Du solltest meinen Artikel in der „Critica Sociale"12601 nur benützen. 6. und 7. Zwei Briefe von ihr an Dich von Eastbourne, zwischen 9. Februar und 1. März.
8. Schrieb sie an Schacherl, Adresse „Arbeiter-Zeitung", daß sie den Artikel12681 nicht sofort schicken könne. 9. Am 4. März schrieb sie Dir mit Bitte, die „Arbeiterinnen-Zeitung" an Dr.Bonnier, 19, Regent st., Oxford zu schicken, und machte Mitteilungen über Jaures und die sozialistische Fraktion der französischen Kammer. Die Briefe an Dich gingen zum Teil an die Redaktion der „ArbeiterZeitung", zum Teil an Deine Privatwohnung, beide scheinen mit gleicher Regelmäßigkeit verschwunden zu sein. Dagegen Louisens sonstige Wiener Korrespondenz auch mit den Gasarbeitern - ebenso regelmäßig angekommen und die Antwort auch. Dein acht Seiten langer Brief an Louise ist ebenfalls nicht angekommen. Wir versuchen es jetzt also für einige Zeit mit registrierten Briefen. Vielleicht wäre eine Deckadresse in Wien nützlich. Hierbei das Gewünschte2 für den Parteitag.'2391 Ich bitte, alle Freunde und auch die Berliner bestens zu grüßen. Louise und Freyberger grüßen herzlich, ditto Dein F. E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
2 Friedrich Engels: „An den vierten österreichischen Parteitag" 15*
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Engels an Pablo Iglesias in Madrid (Entwurf)
[London, 26. März 1894]
Lieber Freund Iglesias, Deinen Brief vom 24. Nov. habe ich rechtzeitig erhalten und beginne meine Antwort mit der Erklärung, daß dies mein letzter Brief ist, wenn Du * Dich weiter darauf versteifst, mich mit Sie anzureden. Ich hätte wirklich allen Grund, gekränkt zu sein, da Du mir die zwischen alten Internationalen und Kampfgefährten gewohnte Anrede verweigerst, die mir Anselmo Lorenzo 1872 gewährte und die mir so viele Genossen gewähren, alte und junge1. Also zum Du! Ich schreibe französisch weiter; da ich seit über zwanzig Jahren nicht spanisch geschrieben habe, würde ich einen ganzen Tag brauchen, um einen Brief in Spanisch zu schreiben. Entschuldige bitte!2 Also. Ich habe es sehr bedauert, daß ich in Zürich die Chance, Dich zu sehen, verpaßt habe.t90] Als ich am Samstag früh in die Tonhalle ging, kamen, bevor ich den Sitzungssaal betrat, viele Freunde ins Restaurant, um mich zu sprechen; ich habe fast alle gebeten, die spanische Delegation zu suchen und Dir zu sagen, daß ich Dich erwarte; aber niemand kam. Nach Schluß des Kongresses versicherte man mir, daß ich Dich bestimmt nachmittags auf dem Dampfer sehen würde. Aber ich habe Dich vergebens gesucht und weiß jetzt auch warum: Am Sonntag konnte mir niemand sagen, wo Du logierst, man sagte mir wiederholt, Du wärest abgereist, und dann habe ich es aufgegeben, Dich zu finden. Ich habe das sehr bedauert, denn einer der Gründe, und keineswegs der geringste, warum ich nach Zürich fuhr, war die Hoffnung, dort meinen alten Freund Iglesias persönlich zu sehen und ihm die Hand zu drücken. Dank für die regelmäßige Zusendung von „El Socialista", den ich jeden Samstag abend mit Vergnügen lese und aus dem ich mit Befriedigung ersehe, daß sich Eure Organisation allmählich über ganz Spanien ausdehnt, 1 Im Entwurf gestrichen: französische, deutsche, österreichische, Schweizer usw. - 2 in der Handschrift bis hierher spanisch, im folgenden französisch, der letzte Absatz des Briefes wieder spanisch
daß in den baskischen Provinzen der Sozialismus auf den Trümmern des Karlismus entsteht und die entfernten Provinzen Galicien und Asturien zur Bewegung zu stoßen beginnen. Enhorabuena!3 Was die Anarchisten angeht, so sind sie wahrscheinlich im Begriff, sich selbst umzubringen. Diese heftigen Attacken, diese Serie von Attentaten, die unsinnig und im Grunde von der Polizei bezahlt und provoziert sind, müssen schließlich sogar den Bourgeois die Augen über den wahren Charakter dieser Propaganda von Narren und Polizeispitzeln öffnen. Selbst die Bourgeoisie wird mit der Zeit finden, daß es absurd ist, die Polizei und durch die Polizei die Anarchisten zu bezahlen, damit sie dieselben Bourgeois, die sie bezahlen, in die Luft sprengen. Und wenn wir jetzt auch riskieren, unter der bourgeoisen Reaktion zu leiden, so werden auf die Dauer doch wir gewinnen, weil wir diesmal allen vor Augen führen können, daß zwischen uns und den Anarchisten ein Abgrund klafft. Hier geht die Bewegung ziemlich langsam voran. Es gibt bei den Arbeitermassen bestimmt eine starke Neigung zum Sozialismus. Aber die historischen Bedingungen in England sind derart, daß diese Neigung der Masse bei den Führern eine Menge verschiedener, sich überschneidender und einander bekämpfender Strömungen erzeugt. Hier wie in Frankreich wird man die Einheit nur dann erreichen, wenn eine gewisse Anzahl sozialistischer Abgeordneter im Parlament sitzen wird; heute sind es nur zwei das ist einer zuviel oder mindestens einer zuwenig. In Italien reift eine kritische und revolutionäre Situation heran. Ich schicke Dir die „Critica Sociale" mit einem Artikel, den ich auf Bitten der Mailänder Freunde geschrieben habe.t250] In Deutschland entwickeln sich die Dinge wie üblich. Das ist eine gut organisierte und gut disziplinierte Armee, die von Tag zu Tag größer wird und mit sicherem und unbeirrbarem Schritt ihrem Ziel entgegenschreitet. In Deutschland können wir fast den Teig errechnen, an dem4 die Staatsmacht in unsere Hände fallen wird. Inzwischen möchte ich Deine Aufmerksamkeit auf Osterreich lenken. Dort bereitet sich ein großer Kampf vor. Die herrschenden Klassen, Feudaladel wie Bourgeoisie, haben ihre Ressourcen erschöpft. Eine Wahlrechtsreform ist unvermeidlich geworden. Man versucht die Dinge so zu arrangieren, daß die Arbeiterklasse nicht zu viele Vertreter in das Abgeordnetenhaus bekommt. Aber die Arbeiter sind entschlossen5, sie werden die
3 Glück auf I - 4 im Entwurf gestrichen: wir die einzige Partei sein werden, die fähig ist - 5 im
Bourgeois Schritt für Schritt zum Nachgeben zwingen, bis das allgemeine Wahlrecht bewilligt ist. Nach Zürich habe ich Wien besucht; nach allem, was ich gesehen habe, scheinen mir die österreichischen Sozialisten eine große Zukunft zu haben. Als ich bis hier geschrieben hatte, traf Dein Brief vom 22. März ein. Es bedrückt mich, daß ich Dir nicht einige Zeilen zum I.Mai schicken kann, aber ich bin gerade dabei, die Schlußredaktion des 3.Bandes des „Kapitals" von Marx zu beenden, und sehe mich gezwungen, jede Mitarbeit sowohl für den 18. März als auch für den 1. Mai abzulehnen. Undwas ich den Franzosen, den Deutschen, den Österreichern usw. abgelehnt habe, kann ich nicht für Euch tun. Ich umarme Dich herzlich.
Aus dem Französischen und Spanischen.
118
Engels an Benno Karpeles in Wien
London, 29. März 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Sehr geehrter Herr, Ich habe Ihre werten Zeilen vom 19. er. (Poststempel Rom) erhalten und erhalte soeben auch von Wien den ersten Halbband Ihres Buchs12691, für dessen Zusendung ich Ihnen meinen besten Dank ausspreche. Wie sehr die Wissenschaft und auch die Ereignisse seit dem Erscheinen meiner von Ihnen so ehrenvoll erwähnten, aber nach meiner Ansicht stark überschätzten Jugendarbeit von 1845 fortgeschritten, beweist am besten der Plan, den Sie sich für die Ausarbeitung Ihres Werks entwerfen konnten. Daß so eine, alle, auch die scheinbar unbedeutendsten, die vorliegende Frage beeinflussenden Umstände in den Bereich der Untersuchung ziehende Enquete nur in Angriff genommen werden konnte, und das von einem einfachen Privatmann, ist an sich schon ein enormer Fortschritt. Möge es Ihnen gelingen, Ihre Arbeit ganz nach Ihrem Plan auszuführen und damit ein Bild der Gesamtlage einer zahlreichen und hochinteressanten Arbeiterbevölkerung zu geben, wie wir bis jetzt noch keins besitzen! Hochachtungsvoll Ihr ergebner F. Engels
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Engels an John Hunter Watts in London (Entwarf)
... „ [London] 3. April 94 Lieber Lienosse, Ich bin Ihnen und den Genossen der Social Democratic Federation1101, deren Gefühle Sie zum Ausdruck bringen, sehr verbunden, daß Sie mir die Ehre erweisen, mich um einen Vortrag in Ihrem Saal zu bitten. Aber ich muß leider ablehnen. Meine Arbeit für unsere gemeinsame Sache liegt auf einem anderen Gebiet, auf dem ich, wie ich glaube, nützlicher sein kann und während der ganzen mir zur Verfügung stehenden Zeit voll beschäftigt bin. Wenn ich erst einmal damit anfinge, Vorträge zu halten (überdies eine Sache, in der ich nur wenig geübt bin), hätte ich keinen hinreichenden Grund mehr, andere Einladungen abzulehnen, und dann müßte ich meine jetzige Arbeit völlig aufgeben. Aus diesem Grunde habe ich stets alle ähnlichen Anfragen der Fabian Society111', der Independent Labour Party191 und anderer Organisationen abgelehnt und nur in diesem Jahr eine Ausnahme mit dem alten Kommunistischen Verein11271 gemacht, die wegen meiner 50jährigen Zugehörigkeit berechtigt war. Soweit es jedoch die Social Democratic Federation betrifft, so gibt es da noch einen anderen Gesichtspunkt. Ihnen kann nicht entgangen sein, daß „Justice", das offizielle Organ der Social Democratic Federation, jahrelang, bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit, die Angewohnheit hatte, mich aller möglichen Vergehen zu beschuldigen. Diese Beschuldigungen, meistens vage Anspielungen auf mysteriöse Freveltaten, hat die „Justice" niemals im einzelnen dargelegt, niemals zu beweisen versucht, aber auch niemals zurückgenommen.2 Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift deutsch: Verein — 2 Aus dem letzten Teil des Entwurfs, der viele Streichungen und unleserliche Stellen aufweist, läßt sich etwa folgender Inhalt rekonstruieren: Ich bin daher gezwungen zu erwägen, ob ich es mir angesichts dieser Umstände nicht selbst schuldig bin, gegenwärtig von einem Auftreten als Redner im Saal der Social Democratic Federation abzusehen, und weiter, ob mein Erscheinen in dieser Eigenschaft einem großen Teil, vielleicht sogar der Mehrheit jener, denen der Saal gehört, gar nicht willkommen wäre.
120
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 11.April 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein liebes Lohr, Dein lieber Brief kam genau zur rechten Zeit. Ich wollte heute morgen gerade an Paul schreiben und habe nun einen guten Vorwand, die Anrede meines Briefs zu ändern. Soeben habe ich Deine Übersetzung in der „Ere nouvelle" gelesen und war ganz entzückt davon.'2271 Sie liest sich besser als das Original. Ich würde für einen etwaigen Nachdruck nur zwei oder drei unbedeutende Änderungen vorschlagen. Das führt mich gleich zu dem libertaire, alas not libertin!1, Dühring.12701 Mein liebes Mädchen, vous avez fait vos preuves2! Am besten, Du einigst Dich mit Bonnet. Vorausgesetzt das Ms. geht durch Deine Hände, ist es in Ordnung, und ich will es gern nochmals durchsehen - soweit es meine Zeit erlaubt, cela s'entend3, sie ist, wie ich leider sagen muß, sehr knapp und wird wahrscheinlich auch nicht mehr werden, im Gegenteil! Aber ich wünschte sehr, Du könntest Deine Talente und Deine Energie für andere Arbeiten verwenden, die dem Arbeitenden außer Ehre auch bares Geld einbringen. Kann mit Carre nicht irgendeine derartige Vereinbarung getroffen werden? Ich schicke Dir eine Nr. der „Rheinischen Zeitung", die, wie Du vielleicht gewahr geworden bist, von dem großen Girl Hirsch (seit dem 1 .April) herausgegeben wird. Ich schicke sie Dir jedoch nicht, weil ich Dir eine Probe seiner gelehrten literarischen Ergüsse geben möchte, sondern weil sie einen Bericht über einen Antrag enthält, der von Graf Kanitz im Reichstag eingebracht worden ist12711, einer der hellsten Leuchten unter jenen preußischen Junkern4, die laut Hermann Wagener, ihrem theoretischen Verteidiger, entweder Ochsen von Geburt oder Ochsen aus Prinzip5
1 Verteidiger der Freiheit, leider nicht Freigeist! - 2 Du hast Dein Meisterstück vollbracht
sind. Dieser Antrag wurde im Interesse der ostdeutschen Landaristokratie gestellt und entspricht fast wörtlich dem Vorschlag Jaures'6, der den Sozialisten der Welt zeigen sollte, wie sie ihre parlamentarische Position im Interesse der Arbeiterklasse und der Bauernschaft zu nutzen haben. Derselbe Graf Kanitz verkündete kürzlich einen neuen Weg, um alte Schulden zum Nutzen des deutschen Kaiserreichs zu tilgen: Verkauft alle eure Goldmünzen und ersetzt sie durch etwa 4 Milliarden Silbermünzen, was 2 Milliarden Reingewinn ergeben würde (da Silber zu 28 pence die Unze gekauft und aus einer Unze 60 pence Geld geprägt wird), wodurch die Reichsschulden getilgt würden. Wenn ich boshaft sein wollte, so könnte ich Herrn Jaures jetzt fragen, ob er nicht als Gegenleistung für das Wohlwollen, das sein Getreideantrag bei Kanitz gefunden hat, dessen Silbervorschlag akzeptieren möchte, der ebenso sozialistisch aussieht und gegen den vom ökonomischen Standpunkt aus genausowenig einzuwenden ist. Aber ich will großzügig sein, sogar Jaures gegenüber, und ihn in Ruhe lassen; unsere französischen Genossen sollten sich jedoch - ich kann nicht umhin, das zu bemerken - wirklich die Vorschläge ihrer ex-radikalen Verbündeten7 ein wenig genauer ansehen, ehe sie sie blindlings annehmen. Noch einige solcher Streiche, und ihr Ruf als politische Ökonomen wird in großer Gefahr sein. Vom „Discours sur le libre echange"8 existiert nur ein Exemplar, das ich zufällig mit Hilfe eines Antiquariatskatalogs erwischte. Wenn dies verloren ginge, wäre das Ganze, wenigstens im französischen Original, für immer verloren. Ich kann es nicht schicken, solange es keine sicheren Garantien gegen einen Verlust gibt. Ich erwarte heute abend ein neues Posthandbuch, das die neuesten Informationen hinsichtlich der internationalen Vereinbarungen über Postversicherung enthält; sind diese zufriedenstellend, dann werde ich Dir das Ding sofort schicken, sonst aber irgendwelche anderen Möglichkeiten ausfindig machen. Ein Nachdruck wäre jedenfalls in jeder Hinsicht sehr wünschenswert.12721 Inzwischen werde ich Dir noch ein Exemplar der englischen Übersetzung schicken, die in Boston veröffentlicht wurde.12731 Sorels „Metaphysique" zu lesen habe ich wirklich keine Zeit gehabt. Ich bin schrecklich beschäftigt, stecke tief in der Grundrente (Bd. III9), die mir große Mühe macht, da Möhrs Tabellen fast ausnahmslos Rechenfehler enthalten -Du weißt, was für ein Genie er in Zahlen war! - und neu
6 siehe vorl. Band, S.214/215 -'siehe vorl. Band, S. 187/188 - 8 Karl Marx: „Rede über
berechnet werden müssen. Und 15 Bogen sind schon gedruckt, so daß mit dem Rest des Ms. keine Zeit zu verlieren ist. Und dazu die Hitze - genau wie bei Euch in Le Perreux, Gibt's etwas Bemerkenswertes an dieser Studie Sorels? Louise dankt für Deinen Brief und wird Dir bald schreiben; sie läßt herzlich grüßen. Ihr Mann bekommt hier einen ziemlichen Ruf als anatomischer Präparator; er arbeitet viel für das Anatomie-Museum am Middlesex Hospital; die ungeschickten Leute hier können das Wiener Niveau in diesen delikaten Dingen nicht erreichen. Gertrud Liebknecht ist bei uns, zurück aus Amerika, aber dort kaum gebessert. Soeben Pauls Brief im „Vorwärts" gelesen - großartig.12741 So gut, daß nicht einmal die Berliner Übersetzung ihn verderben kann. Stets Dein alter F. Engels
Aus dem Englischen.
121
Engels an Filippo Turati in Mailand[2761
London, den 12. April 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Turati, Ich schicke Ihnen per Post die anglo-amerikanische Ausgabe der Sie interessierenden Rede („Discourse on free trade", K. Marx[2731) und die deutsche Übersetzung der „Misere de la philosophie"1, worin diese Rede im Anhang enthalten ist. Was den französischen Text angeht, so wird er in der Pariser „Ere nouvelle" wieder abgedruckt werden.12721 Von diesem französischen Text existiert nur mein eigenes Exemplar; wenn es verlorengeht, gibt es keine Möglichkeit, es zu ersetzen. Ich weiß daher noch nicht, wie ich es nach Paris gelangen lasse; wenn ich es hier abschreiben lasse, geht immerhin viel Zeit verloren. Und mit der Post habe ich zuviel Erfahrung, um ihr das Original anzuvertrauen. Der 2.Bd. des „Kapitals" ist wie der 1. in Hamburg bei Otto Meißner 1893 erschienen (2. Auflage), der Preis ist, glaube ich, 6 Mark. Dort wird im September auch der 3. Band erscheinen, zum großen Vergnügen des illustren Achille Loria; dieser Scharlatan hat der ganzen Welt verkündet, daß Marx diesen 3. Band überhaupt nie geschrieben, sondern die Leser nur immer darauf verwiesen habe, um sich über sie lustig zu machen![276] Viele Grüße an Frau Kulischowa von mir und Frau Freyberger (ExKautsky, sie hat hier soeben einen jungen österreichischen Arzt geheiratet). Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
122
Engels an Henry William Lee in London (Entwurf)
[London] 16. April 94
Werter Genosse, Sowohl Sie als auch diejenigen, die Ihnen den Gedanken eingaben, mich zu einem Vortrag einzuladen12771, hätten natürlich wissen müssen, daß ich bisher grundsätzlich nirgends Vorlesungen gehalten habe. Aber davon abgesehen, befinde ich mich Ihnen gegenüber, das heißt, wenn ich Ihren Brief richtig verstehe, der Social Democratic Federation1101 gegenüber, in einer besonderen Lage. Sie können nicht einfach ignorieren, daß schon seit vielen Jahren und bis zu verhältnismäßig jüngster Zeit die „Justice", das Organ der Social Democratic Federation, mich ständig angegriffen und alle möglichen Anschuldigungen gegen mich vorgebracht hat. Es ist nie der Versuch gemacht worden, diese Anschuldigungen zu beweisen, noch sind sie jemals zurückgenommen worden, noch hat die Social Democratic Federation jemals die Verantwortung für das abgelehnt, was die „Justice" geschrieben hat. Infolgedessen sah ich mich gezwungen, mich von der Social Democratic Federation völlig fernzuhalten, und sehe keinen Grund, meine Haltung zu ändern, wenn dieses Hindernis nicht restlos beseitigt wird. Hochachtungsvoll H.W.Lee Sekretär der Social Democratic Federation
Aus dem Englischen.
123
Engels an den Redakteur einer französischen sozialistischen Zeitung'2781 (Entwurf)
London, den 24. April 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Bürger, Ich habe Ihren Brief vom 20. d.M. erhalten, bedaure jedoch unendlich, daß es mir absolut unmöglich ist, Ihnen einen Artikel für die 1.-MaiNummer Ihrer Zeitung zu liefern. Vor allen Dingen fühle ich mich im Augenblick nicht wohl. Aber wenn ich auch bei bester Gesundheit wäre, verbietet mir die dringende Arbeit, mit der ich beschäftigt bin (die Veröffentlichung des 3. Bandes des „Kapitals" von Marx) und die ich nicht unterbrechen kann, jede Mitarbeit an anderen literarischen Vorhaben. Ich habe diejenigen unserer Freunde, mit denen ich korrespondierte, rechtzeitig davon benachrichtigt und sie gebeten, mich freundlichst zu entschuldigen. Und was ich unseren Freunden in Spanien, Österreich usw. offiziell abgelehnt habe, kann ich, Sie werden das verstehen, nicht für Sie tun. Ich wünsche Ihrer Zeitung den besten Erfolg und sende der Redaktionskommission meine brüderlichen Grüße. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
124
Engels an Carl Eberle in Barmen1279'
London, 24. April 1894 ,w ' . , 122, Regent's Park Road, N.W. Werter Parteigenosse5 Ihren Brief vom 21. v. M. sowie das mir gütigst übersandte Album von Barmen habe ich vor ein paar Tagen erhalten, und ich bitte Sie, dem sozialdemokratischen Verein Barmen und ganz besonders auch dem Verfertiger des Albums meinen besten Dank für diese freundliche und für mich ebenso erfreuliche wie ehrenvolle Gabe aussprechen zu wollen. Es hat mir in der Tat einen unerwarteten Genuß bereitet, die gewaltigen Veränderungen anschauen zu können, die sich in den zwanzig Jahren meiner Abwesenheit von Barmen vollzogen haben. Ich kenne mich absolut nicht mehr aus. Außer am Bahnhof und auf der einen, älteren Seite des Werther Bollwerks finde ich mich nirgends mehr zurecht auf den Bildern. Selbst die auf dem Neuenweg aufgenommene Ansicht, die doch nur wenige Minuten Wegs vom Bruch entfernt sein kann, gibt ein mir total fremdes Bild. Nur unser altes Haus ist unverändert. So erfreulich auch diese Beweise der Umwälzung sind, die Barmen aus dem kleinen Philisternest meiner Jugendzeit in eine große Industriestadt verwandelt hat, so freut es mich doch am meisten, daß auch die Menschen sich dort bedeutend zu ihren Gunsten verändert haben. Denn wenn das nicht der Fall wäre, so wäre Barmen noch heute durch einen Stockkonservativen, einen rechten kopfhängerischen „Fainen" im Reichstag vertreten, von einem sozialdemokratischen Verein Barmen wäre keine Rede, und es fiele am allerwenigsten Barmer Arbeitern ein, mir ein Album zu verehren. Glücklicherweise aber entspricht der Revolution im Äußern der Stadt auch die Revolution in den Köpfen der Arbeiter, und diese verbürgt uns eine noch weit gewaltigere und umfassendere Revolution in der ganzen Weltordnung. Mit aufrichtigem Gruß. Ihr F. Engels
125
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 1 I.Mai 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein liebes Lohr, Nur zwei Zeilen. Sind die Korrekturbogen des „Discours sur le libre echange"12721 nach Mailand abgegangen? Wenn nicht, sieh bitte zu, daß sie sofort abgehen. Turati hat in der „Critica Sociale" einen Text veröffentlicht, der eine traduction1 aus dem Russischen von etwas ist, das nach einer deutschen Sache gemacht wurde, und überdies so gekürzt, daß es alles andere ist als Mohr.12731 Nun besteht die Gefahr, daß sie dies en brochure2 veröffentlichen. Und wenn sie nicht bald den französischen Text bekommen, werde ich ihnen deswegen nicht einmal die Ohren langziehen können, denn sie tun „ihr Bestes"! Sicherlich wird es möglich sein, unsere französischen Freunde zu veranlassen, wenigstens einmal das Geschäft als Geschäft zu behandeln! Bin gerade aus der Stadt zurückgekommen, wo wir den Schluß des Ms. von Bd. III3 abgesandt haben. Wenn Du die „Neue Welt" mit dem „Vorwärts" oder irgendeiner anderen deutschen Zeitung bekommst, lies „Aus finstern Zeiten" in Nr. 18. Du wirst darin Deine Großeltern und Mohr in romantischer Verklärung finden, und ich hoffe, Du ergötzt Dich daran. Herzliche Grüße von Louise. Monsieur Guesde ist weder hier aufgetaucht noch hat er eine Zeile zur Entschuldigung geschrieben. Les fran?ais sont si polis!4 Immer Dein F.E.
1 Übersetzung - 2 als Broschüre - 3 des „Kapitals" -1 Die Franzosen sind so höflich!
Die Faulenzerin5 sagt, sie schreibe gerade 30 Briefe an Gewerkschaften und andere wegen eines österreichischen Streiks und sie sagt, sie würde sich über Deine Hilfe sehr freuen, wenn sie sie haben könnte.
Avvocato F. Turati Portici Galleria V.E. 23 Mailand, Italien
Aus dem Englischen.
5 Louise Freyberger
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
126
Engels an Filippo Turati in Mailand12801
London, den 11. Mai 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Turati, Ich sende Ihnen per Einschreiben die Korrekturbogen des „Libero Scambio etc." zurück und füge die englische Ausgabe bei, die ich Sie zu behalten bitte.12731 Die Übersetzung meiner Einleitung ist sehr gut gemacht, abgesehen von einigen Stellen, die technische Schwierigkeiten bereiten; Sie finden dort meine entsprechenden Bemerkungen. Aber die Rede von Marx - die in der „Cjritica] Soc[iale]" veröffentlichte Sache - ist keine Übersetzung, sondern ein Resümee, das wiederherzustellen mich zur Verzweiflung bringt. Ich schreibe nochmals nach Paris11351, damit man Ihnen das französische Original schickt, inzwischen vergleichen Sie bitte den englischen Text. Wenn Sie den Text nach der ,,Cr[itica] Socfiale]" veröffentlichen, werden Sie Reklamationen haben, daß dies nicht der Text des Autors ist, daß solche Freiheiten fast einer Fälschung gleichkommen usw. usw., und ich wäre leider außerstande, Ihnen zu helfen. Es wäre besser, alles neu zu machen - das dauert nicht lange -, als sich derartigen Reklamationen auszusetzen. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Louise Kautsky-Freyberger sendet Frau Anna Kulischowa und Ihnen die besten Grüße, denen ich mich anschließe.
Aus dem Französischen.
127
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 12. Mai 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Sorge, Gestern schickten wir Dir per G.W.Wheatley & Co. (New York Address, U.S. Express Co. 49, Broadway) ein Paket mit Morris-Bax und dem Berliner Lassalle in 50 Lieferungen12811, was Dir hoffentlich bald zukommt. Carriage paid.1 Gleichzeitig ging der Rest des Ms. des 3. Bands2 nach Hamburg ab, und damit fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen. Die letzten 2 Abschnitte haben mich noch „weidlich schwitzen machen". Es werden 60 Bogen, davon sind 20 schon gesetzt. Sehr beruhigend war mir die Nachricht von der glücklichen Rückkehr der „Heiligen Familie" in Deinen Schoß nach ihrer wunderbaren Odyssee.3 Dagegen sehr betrübt hat mich die Nachricht wegen Deiner Augen. Ich hoffe, Du konsultierst einen guten Spezialisten, es ist da viel zu tun, wenn rechtzeitig eingeschritten wird. Seit 15 Jahren habe ich auch ab und zu mit den Augen zu tun gehabt, habe ärztlichen Rat befolgt und bin jetzt wieder so weit, daß die Sache mich gar nicht mehr geniert, wenn ich nur bei Licht nicht zu viel schreibe. Ich habe dieser Tage eine Erkältung gehabt, die mir klargemacht hat, daß ich endlich ein alter Mann bin. Was ich früher als eine Lumperei behandeln konnte, hat mich diesmal auf 8 Tage ziemlich heruntergebracht und nachher noch volle 14 Tage unter medizinischer Polizeiaufsicht gehalten. Auch jetzt soll ich mich noch rein 14 Tage lang in acht nehmen. Es war eine gelinde Bronchitis und die ist bei alten Leuten nie leicht zu nehmen, namentlich wenn sie wie ich gern und lustig drauflosgekneipt haben. Das Inachtnehmen kommt mir allerdings sauer genug an, aber schließlich hat Freyberger doch recht, wenn er es mir vorschreibt, und dann, was die Ausführung angeht, dafür sorgt die Louise, die mich mit doppelten und dreifachen Argusaugen überwacht. Ich glaube, ich habe Dir schon früher
geschrieben4, daß wir unsre häuslichen Einrichtungen so unverändert wie möglich gelassen haben, indem wir den jungen Ehemann in Kost und Logis genommen haben, das ist nun zwar ganz gut und fidel, aber leider nur solang man gesund ist; ich bin in meinem ganzen Leben nicht so viel medizinisch geschurigelt worden als die letzten 4 Wochen und muß mich schließlich damit trösten, daß es alles zu meinem eignen Besten geschah. Dietzgen und Frau waren hier auf ein paar Stunden Sonntag nachmittag, trafen leider Tussy nicht. Ich habe ihm Empfehlungen an Bebel und Kautsky gegeben. Waren sehr nette Leute. , Hoffentlich hat Dein Sohn inzwischen wieder einen Posten gefunden, ein aufgeweckter und geschäftserfahrner junger Mann wie er, der auch jetzt wohl in der Praxis manche Illusionen wird abgeschliffen haben, sollte in Amerika immer auf die Füße fallen. Hier geht's wie immer. Keine Möglichkeit, unter die Arbeiterführer irgendwelche Einheit zu bringen. Aber trotzdem bewegen die Massen sich vorwärts, langsam zwar und erst nach Bewußtsein ringend, aber doch unverkennbar. Es wird hier gehn wie in Frankreich und früher in Deutschland: Die Einigung wird erzwungen, sobald eine Anzahl unabhängiger (speziell nicht mit liberaler Hülfe gewählter) Arbeiter im Parlament sitzt. Dies zu verhindern, tun die Liberalen ihr möglichstes. Sie dehnen 1. das Stimmrecht nicht einmal auf die Leute aus, die es - auf dem Papier - schon jetzt haben, sie machen im Gegenteil 2. die Wählerlisten noch kostspieliger für dieKandidaten als bisher, da sie zweimal im Jahr aufgestellt werden sollen, und die Kosten einer korrekten Aufstellung auf die Kandidaten resp. Vertreter der politischen Parteien fallen, nicht auf den Staat; sie verweigern 3. ausdrücklich die Übernahme der Wahlkosten auf den Staat oder die Gemeinde, ferner 4. Diäten und 5. die Stichwahlen. Alle diese Erhaltungen alter Mißbräuche sind ein direktes Wählbarkeitsverbot für Arbeiterkandidaten in 3/4 und mehr der Wahlkreise. Das Parlament soll ein Klub reicher Leute bleiben. Und das zu einer Zeit, wo die reichen Leute, weil zufrieden mit dem Status quo, alle konservativ werden, und die liberale Partei ausstirbt und mehr und mehr von den Arbeiterstimmen abhängig wird; aber die Liberalen bleiben dabei, daß die Arbeiter nur Bourgeois wählen sollen, keine Arbeiter, und erst recht keine unabhängigen Arbeiter. Hieran gehn die Liberalen kaputt. Ihr Mangel an Mut entfremdet ihnen die Arbeiterstimmen im Land, löst ihre Ideine Majorität im Parlament auf, und wenn sie nicht noch in letzter Stunde sehr kühne Schritte tun, so sind
sie wahrscheinlich verloren. Dann kommen die Tories dran und führen das aus, was die Liberalen eigentlich durchzuführen - nicht bloß zu versprechen - vorhatten. Und dann ist eine unabhängige Arbeiterpartei ziemlich sicher. Die Social Democratic Federation1101 hier teilt mit Euren Deutschamerikanischen Sozialisten12821 die Auszeichnung, die einzigen Parteien zu sein, die es fertiggebracht haben, die Marxsche Theorie der Entwicklung auf eine starre Orthodoxie heruntergebracht zu haben, zu der die Arbeiter sich nicht aus ihrem eignen Klassengefühl heraus emporarbeiten sollen, sondern die sie als Glaubensartikel sofort und ohne Entwicklung herunterzuwürgen haben. Daher bleiben beide bloße Sekten und kommen, wie Hegel sagt, von nichts durch nichts zu nichts. Ich habe die Polemik Schlfüter]s mit Euren Deutschen noch nicht Zeit gehabt zu lesen, werde sie aber morgen vornehmen, nach früheren Artikeln in der „Volksztg." schien der richtige Ton getroffen. Grüß Deine Frau herzlich, und laß uns bald beßre Nachrichten hören. Herzliche Grüße, Dein F.E. Herzliche Grüße von Louise.
128 Engels an Boris Naumowitsch Kritschewski in Weggis (Entwurf)
„ , TT [London] 20.Mai 94 Geehrter Herr, Aus Ihrem Schreiben vom 10. ds. ersehe ich, daß Sie meine soeben in Berlin erschienenen Arbeiten über Rußland ins Russische übersetzt und bereits in Druck gegeben haben, wie Sie dies bereits mit andren Schriften von Marx und mir getan.12831 Ich kann nicht umhin, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß sowohl meine „Einleitung zu .Lohnarbeit und Kapital"' von Marx (1891) wie auch oben erwähnte Arbeiten gemäß der Berner Konvention'2211 mein literarisches Eigentum sind und Übersetzungen davon in fremde Sprachen in den Vereinsländern nicht ohne meine Einwilligung erscheinen dürfen. Wenn auch die Honorarfrage in solchen Fällen bei wirklichen Partei-Unternehmungen nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielt, so bin ich doch im Interesse der Sache verpflichtet, diese meine Rechte geltend zu machen, da ich sonst Mitverantwortlichkeit übernähme für Veröffentlichung von Übersetzungen durch unbefähigte oder sonst unbefugte Personen. Ich bin dazu aber doppelt verpflichtet, wenn ich mich bereits Dritten gegenüber gebunden habe. Bisher ist es, soviel mir bekannt, in der Partei Sitte gewesen, selbst bei Übersetzungen von durch die Berner Konvention freigegebnen Arbeiten, daß man dem Verfasser gegenüber die Rücksicht beobachtet hat, ihn um seine Genehmigung anzugehn. Bei Arbeiten dagegen, die unter die Berner Konvention fallen, ist dies nicht bloße Höflichkeitsformel, sondern einfach die Pflicht und Schuldigkeit des Übersetzers. Sie haben sich darüber hinweggesetzt; ich erkläre hiermit meinen Protest gegen Ihr Verfahren und behalte mir alle meine Rechte vor. Gegen eine Veröffentlichung einer ungenehmigten russischen Übersetzung meiner Arbeiten über Rußland aus „Internationales aus dem ,Volksstaat'" protestiere ich um so mehr, als ich das Übersetzerrecht für die russische Sprache hierüber und über andre Arbeiten bereits vergeben habe, nämlich an Frau Vera Sassulitsch. Damit ist Ihre Anfrage wegen meiner Vorrede endgültig erledigt. Ergebenst
129
Engels an Georgi Walentinowitsch Plechanow in Mornex
London, den 2I.Mai 94
Mein lieber Plechanow, Zunächst einmal verschonen Sie mich mit dem „Meister" - ich heiße ganz kurz Engels. Alsdann Dank für Ihre Informationen. Ich habe Herrn Kritschewski in einem eingeschriebenen Brief mitgeteilt1, daß die „Einleitung zu 'HaeMhhü TpyflT, h KanfuTELTi]"'2 sowie die Artikel über Rußland in „Internatioles aus dem ,Volksstaat'" gemäß der Berner Konvention12215 mein literarisches Eigentum sind und jede Übersetzung meiner Einwilligung bedarf; daß ich im Interesse der Sache verpflichtet bin, meine Rechte geltend zu machen, um Übersetzungen durch unbefähigte oder sonst unbefugte3 Personen zuvorzukommen; daß es folglich einfach seine Pflicht war, mich um meine vorläufige Genehmigung zu ersuchen, weis er nicht getan hatte; daß ich folglich offiziell meinen Protest gegen sein Verfahren erkläre und mir alle meine Rechte vorbehalte; daß ich, was die Artikel über Rußland betrifft, um so mehr protestiere, als ich mich bereits gebunden und das Übersetzerrecht für die russische Sprache hierüber und über andere Arbeiten an Frau Vera Sassulitsch vergeben hatte. Sollte er also darauf bestehen, die Arbeit zu veröffentlichen, dann werden wir weitersehen. Seien Sie bitte so gut und teilen Sie mir auf jeden Fall mit, ob die Sache erscheint, und schicken Sie mir ein Exemplar. Da er auch eine Übersetzung von Kautskys „8p$ypTCKaH nporpaMMa"[2MI ankündigt, habe ich es für meine Pflicht gehalten, diesen von dem Benehmen mir gegenüber in Kenntnis zu setzen11351. Ich habe ihm nichts von dem mitgeteilt, was Sie mir geschrieben haben, aber ich habe ihm gesagt, daß die Sache unsauber ist und er sich an Sie wenden soll, um Genaueres zu erfahren.
1 Siehe vorl. Band, S. 246 - 2 „Einleitung zu Karl Marx* .Lohnarbeit und Kapital' (Ausgabe
Ich hoffte Mendels[on] gestern abend zu sehen, hörte aber, daß seine Frau erkrankt ist; wenn ich kann, werde ich ihn diese Woche besuchen. Im voraus Dank für das Ex. Ihres „Tschernyschewski", ich warte mit Ungeduld darauf. Hier geht es vorwärts, wenn auch langsam und im Zickzack. Schauen Sie sich zum Beispiel Mawdsley an, den Chef der Textilarbeiter von Lancashire. Er ist Tory, Konservativer in der Politik und sehr fromm. Vor drei Jahren zeterten diese Leute gegen den 8-Stunden-Tag, jetzt fordern sie ihn mit Nachdruck. Kürzlich erklärte Mawdsley - vor einem Jahr noch heftiger Gegner jeder selbständigen Politik der Arbeiterklasse - in einem Manifest, daß sich die Textilarbeiter mit der Frage ihrer direkten Vertretung im Parlament beschäftigen müssen, und eine Arbeiterzeitung in Manchester rechnet damit, daß die Textilarbeiter von Lancashire allein in dieser Grafschaft zwölf Sitze im Parlament beherrschen werden. Sie sehen also: die Trade-Union wird ins Parlament einziehen; nicht die Klasse, sondern der Industriezweig fordert vertreten zu sein. Aber das ist immerhin ein Schritt vorwärts. Zuerst muß man erreichen, daß sich die Arbeiter aus der Abhängigkeit von den beiden großen bürgerlichen Parteien befreien, daß die Textilarbeiter, wie bereits die Bergarbeiter, ins Parlament kommen. Sobald etwa zehn Industriezweige vertreten sein werden, wird das Klassenbewußtsein ganz von selbst durchbrechen. Als Gipfel der Komik fordert Mawdsley in diesem Manifest den Bimetallismus, um die Vorherrschaft des englischen Kattuns auf dem indischen Markt aufrechtzuerhalten. Solche Leute wie diese englischen Arbeiter - mit ihrem Gefühl eingebildeter nationaler Überlegenheit, mit ihren im wesentlichen bürgerlichen Ideen und Ansichten, mit ihrer Beschränktheit der „praktischen" Sicht, mit ihren Führern, die stark angesteckt sind von parlamentarischer Korruption - können einen wirklich zur Verzweiflung bringen. Aber es geht trotzdem voran. Nur, die „praktischen" Engländer werden als letzte ankommen, aber wenn sie ankommen, werden sie ein solides Gewicht in die Waagschale werfen. Viele Grüße an Axelrod und seine Familie. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
130
Engels an Stanislaw Mendelson in London
[London] den 22. Mai 94 122, Regent's Park Road, N. W.
Mein lieber Mendelson, Ich habe einen langen Brief von G.P[lechanow] bekommen, der vieles enthält, was Sie angeht, Sie und die polnische Bewegung. Ich hatte vor, Ihnen den Brief am letzten Sonntag vorzulesen, habe aber erfahren, daß Frau M[endeIson] leidend ist und Sie deshalb nicht kommen konnten. Wenn es Ihnen recht ist, werde ich übermorgen, Donnerstag, zwischen 2 Uhr und 2.30 nachmittags mit Frau Freyberger, die Frau M[endelson] besuchen möchte, zu Ihnen kommen. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Unsere Empfehlungen an Frau M[endelson], der es hoffentlich besser geht.
Aus dem Französischen.
131
Engels an Georgi Walentinowitsch Plechanow in Mornex
London, den 22. Mai 94 nl , 122, Regent's Park Road, N.W. Mein lieber rlechanow, Gestern, kurz nach Abgang meines Briefes an Sie1, kamen Bernstein und Kautsky zu mir. Das hat mich gezwungen, meine Pläne zu ändern. Ich habe es daher für richtig gehalten - und ohne Ihre ausdrückliche Genehmigung abzuwarten -, beiden Ihren Brief vorzulesen, damit sie sich selbst ein Urteil über das Verfahren von Kritschewski bilden können. Der Eindruck, den dies auf sie gemacht hat, entspricht, so nehme ich an, ganz Ihren Wünschen. Selbst bei ehrlicher Absicht, in den inneren Angelegenheiten und Streitigkeiten der russischen Emigration Neutralität zu wahren, ist das Verfahren von Kr[itschewski] bezüglich der Übersetzung von „Soziales aus Rußland"12831 tatsächlich nicht zu entschuldigen, nachdem er davon benachrichtigt worden war, daß V.S[assuIitsch] die Übersetzung übernommen hat2. Übrigens hatten diese Herren sich derZustimmung K. KJautskys] für die Übersetzung seines „Erfurter Programms" versichert; er bildete sich jedoch ein, daß dies in Rußland gedruckt würde, und hatte nicht die geringste Ahnung davon, daß es in der Schweiz herauskommen würde. HrnaTBeBi.3 ist, so sagte mir K[autsky], das Pseudonym von Helphand (oder eines ähnlichen Namens), der sich in Stuttgart aufhält; Sie müssen ihn kennen. Aber da ich von K[autsky] keine Genehmigung habe, von dieser Mitteilung Gebrauch zu machen, bitte ich darum, sie als streng vertraulich zu behandeln. Nach dem, was K[autsky] und B[ernstein] mir sagten, scheint Hjelphand] ein anständiger Junge zu sein, der mehr aus Versehen als aus böser Absicht in die von Jogiches gestellte Falle geganS6n 1St" Freundschaftlichst Ihr F.E. Aus dem Französischen.
132
Engels an Boris Naumowitsch Kritschewski in Weggis (Entwurf)
London, 3I.Mai 94
Herrn Dr. B. Kritschewski, Weggis. Die bereits gedruckten Exemplare Ihrer russischen Ausgabe der „Lohnarbeit und Kapital" nebst meiner Einleitung erlaube ich Ihnen auszuverkaufen und bemerke mir mit Genugtuung, daß Sie die Veröffentlichung meiner sonstigen Arbeiten unterlassen.12831 Im übrigen danke ich Ihnen für Ihren Brief vom 25. als einen sehr wertvollen Beitrag zur Charakteristik gewisser Strömungen in der russischen Emigration. Auf den Inhalt gehe ich um so weniger ein, als Sie wohl selbst nicht darauf rechnen, mit diesen verschlissenen Phrasen a la Netschajew irgend jemandem zu imponieren und wohl selbst fühlen, wie lächerlich es ist, den Sozialdemokraten spielen und anarchistisch handeln zu wollen. Wenn Sie aber sagen: „daß wir keine Ahnung davon haben konnten, daß ... Sie das Übersetzerrecht bereits an jemanden vergeben haben", so konnten Sie sich diese direkte Unwahrheit doch ersparen. Lange vor Ihrem Brief vom 10. ds. wußten Sie, daß V. Sassulitsch undPlechanow eine russische Übersetzung des „Soziales aus Rußland" vorbereiteten; bei dem Charakter dieser Leute und ihren langjährigen freundschaftlichen Beziehungen zu mir verstand es sich von selbst, daß dies nicht ohne meine Zustimmung geschah, und davon hatten Sie ganz entschieden mehr als eine „Ahnung".
133
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, I.Juni 1894
Werter Herr, Vergangene Woche sandte ich Ihnen Bogen 7 bis 16 inkl. des III.Bandes1 und hoffe, daß Sie sie erhalten haben.2 Ich schickte sie eingeschrieben, und mein Name stand als Absender auf der Rückseite (L. K[autsky]).[285] Ich freue mich, daß die „Essays" Erfolg haben, hoffentlich ist eine neue Auflage im Druck. Es wäre sehr schön, wenn ich einen deutschen Übersetzer für das Buch finden könnte, unglücklicherweise werden die meisten Übersetzungen aus dem Russischen ins Deutsche von Damen besorgt, die im allgemeinen keine gute Vorbildung für ökonomische Arbeiten mitbringen. Vielen Dank für den russischen „Ursprung" usw.12861, die Übersetzung scheint mir, soweit ich sie gelesen habe, sehr gut, und auch der Zensor ist offenbar mit dem Buch im ganzen sehr glimpflich umgegangen. Die Bogen sind recht spät abgegangen, aber daran war der Verleger3 schuld, der die Sendung lange verzögerte. Es macht sehr viel Arbeit, die Korrekturen eines solchen Buches zu lesen. Sie werden in den übersandten Bogen die Lösung der Frage finden, wie sich die verschiedenen Mehrwertsraten zu ein und derselben Durchschnittsprofitrate ausgleichen, ferner das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate sowie eine Darstellung der Art und Weise, wie das Kaufmannskapital an der Verteilung des Mehrwerts partizipiert. Dieser Teil wird mit Bogen 21 abgeschlossen, in dem der 5. Abschnitt beginnt: Die Spaltung des Profits in Zins und „Unternehmergewinn"4, Geldkapital im allgemeinen, Banken und Kredit. Dieser Abschnitt nimmt ein ganzes Drittel des Buches ein; er hat mir mehr Mühe gemacht als alles übrige. - Das letzte Drittel besteht aus Abschnitt VI: Grundrente, und VII: Die drei Arten der Revenue: Rente, Profit (Zins), Arbeitslohn.
1 des „Kapitals" - 2 siehe vorl. Band, S. 264 - 3 Otto Meißner - 4 hinter interest and „profits
Der letzte Teil des Manuskripts ist in Druck. Aber erst jetzt merke ich, wie enorm viel Arbeit liegengeblieben ist, da alles nicht unbedingt Notwendige zurückgestellt werden mußte, um den 3. Bd. zu beenden. Das muß auch als Entschuldigung gelten, wenn ich jetzt nicht auf einige der früher zwischen uns erörterten ökonomischen Fragen zurückkomme. Wie die Dinge liegen, haben wir beide, denke ich, reichlich Arbeit, und stellen diese Diskussion besser für ein andermal zurück. Ihr sehr ergebener L.K.
Die Bde. über die industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung Rußlands (Chicagoer Ausstellung)12871 habe ich erhalten. Herzlichsten Dank. Die Bücher sind wirklich sehr nützlich, besonders wenn man sie mit den „Essays" vergleicht.
Aus dem Englischen.
134
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 2. Juni 94
Mein lieber Lafargue, Inliegend der Scheck über zwanzig Pfund. Bitte bestätigen Sie mir den Eingang. Das letzte Stück des Manuskripts des 3.Bd.1 ist in der Druckerei. Uff! Aber die Korrekturbogen machen mir sehr viel Arbeit; sie verlangen ständige, ununterbrochene Aufmerksamkeit, das ist ermüdend! Zudem bedient sich Meißner einer ziemlich nachlässigen Druckerei,1 was meine Arbeit erschwert. Hinzu kommt, daß man bei Dietz die 3. Auflage meines „AntiDühring" druckt, und Sie werden mir sicher glauben, wenn ich Ihnen sage, daß ich buchstäblich mit Korrekturbogen überhäuft bin. Über Ihre Schilderung des modernen Sozialismus in Frankreich habe ich gelacht. Aber das kann eine ernste Wendung nehmen. Wenn Ihr eine solide und starke Armee hättet, wie es die 2 Millionen Wähler in Deutschland sind, so würde das freilich die konfuse Masse der neu Hinzugekommenen entscheidend beeinflussen. Aber mit einer in Marxisten, Blanquisten, Allemanisten, Broussisten und mehrere andere -isten gespaltenen Partei, ganz zu schweigen von den Ex-Radikalen a la Millerand, die alle anderen in der Kammer beherrschen, ist es sehr schwer zu sagen, wohin diese neue Mode Euch führen wird. Sie vergleichen das mit dem Boulangismus[288] - der Boulangismus hat, nachdem er einige Monate hindurch schwelgte, ein Ende in Schmutz und Schande genommen. In einer Bewegung dieser Art ist es fast gewiß, daß Phraseure ä la Jaures vorherrschen werden, die sich schon das Alleinrecht anmaßen, in der Kammer in Ihrer aller Namen zu sprechen. Heute hört die Kammer auf sie, wo sie die Unsrigen zum Schweigen bringen, morgen wird das Land auf sie hören. Es ist immerhin möglich, daß dies alles nicht zu schlecht und sogar gut ausgeht; inzwischen aber werdet Ihr kuriose Abenteuer durchzustehen
haben, und ich beglückwünsche uns alle dazu, daß es in Deutschland ein solides Kampfkorps gibt, dessen Handeln den Kampf entscheiden wird. Diese sozialistische Manie, die sich bei Euch zeigt, kann zu einem entscheidenden Konflikt führen, in dem Ihr die ersten Siege davontragen werdet; die revolutionäre Tradition des Landes und der Hauptstadt, der Charakter Eurer Armee, die seit 1870 bedeutend stärker auf Volksbasis reorganisiert worden ist, all dies läßt eine derartige Möglichkeit zu. Um aber den Sieg zu sichern, um die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, braucht Ihr die aktive Unterstützung einer sozialistischen Partei, die stärker, zahlreicher, erprobter, bewußter ist als die, über die Ihr verfügt. Das wäre die Erfüllung dessen, was wir seit vielen Jahren vorausgesehen und vorausgesagt haben: die Franzosen geben das Signal, eröffnen das Feuer, und die Deutschen entscheiden die Schlacht. Vorläufig aber sind wir noch weit davon entfernt, und ich bin sehr neugierig, wie sich die konfuse Begeisterung, die Euch umgibt, entwirren wird. Sogar Carl Hirsch hat in der „Rheinischen Zeitung" festgestellt, daß hinter diesem ganzen Turpin-Spektakel nur Börsenspekulanten stecken.12891 Nur der englischen Presse ist es verboten, das zu sagen und infolgedessen gibt sie vor, daß es sich dabei um eine Affäre der hohen und niederen Politik handelt. Hier ist man davon überzeugt, daß hinter jeder großen politischen Affäre die Börse und die Geschäftemacher stehen - und eben deshalb ist es streng verboten, das zu sagen. Protestantische bürgerliche Heuchelei. Denken Sie an Jabez Balfour, an Mundella, der eben seinen Ministerposten aufgegeben hat, und das aus gutem Grunde, sowie an Sir J. Fergusson und Sir J. Gorst, die in die Sache hineingezogen worden sind und sich wahrscheinlich für jedes künftige Tory-Ministerium unmöglich gemacht haben.[2901 Neulich ist Kautsky hier eingetroffen; er ist viermal bei uns gewesen. Louise und ihr Mann haben ihn auf die charmanteste Weise empfangen; wenn jemand verlegen war, so nicht sie. Was Ihr Medaillon (ich meine meins) angeht, so wird das Schwierigkeiten machen. Einmal in meinem Leben habe ich die Dummheit gemacht und mich im Profil aufnehmen lassen, aber das soll nicht wieder vorkommen. Ich sehe so dumm aus, daß ich mich hüten werde, der Nachwelt mein Porträt im Profil zu hinterlassen. Das Medaillon von Marx würde ich jedoch sehr gern sehen (schicken Sie bitte auch eins für Tussy!), und ich bin sehr neugierig, ob Ihrem Künstler die Wiedergabe der Nase geglückt ist, die im Profil wirklich unmögliche Linien hat.
Umarmen Sie Laura für mich! Grüße von Louise und Ludwig. Letzterer zeigt den englischen Ärzten auch weiterhin, wie sehr ihnen die Kollegen vom Kontinent in der wahren Wissenschaft, Anatomie, Physiologie, Pathologie usw. überlegen sind. Herzlichst F. Engels
Aus dem Französischen.
135
Engels an Witold Jodko-Narkiewicz in London
122, Regent's Park Road, N. W. [London] den 5. Juni 94
Mein lieber Jodko, Ich erinnere mich nicht genau, ob Sie meinen Artikel „Eine polnische Proklamation" („Internationales aus dem ,Volksstaat'")1 übersetzt und im „Przedswit" veröffentlicht haben.2 Wenn ja, senden Sie mir doch bitte noch ein Exemplar des „Przedäwit" mit diesem Artikel; einige polnische Studenten aus Wien bitten mich um die Genehmigung, ihn zu übersetzen. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
1 In der Handschrift deutsch: „Eine polnische Proklamation" („Internationales aus dem ,Volksstaat'") - 2 siehe vorl. Band, S.258 17 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
136
Engels an Stanislaw Zablocki in Wien (Entwurf)
[London] 7-/6-/94
Sehr geehrter Herr, Wie Sie aus der Beilage ersehn, ist der fragliche Artikel12911 hier in London bereits polnisch gedruckt, zuerst in der hiesigen Zeitschrift „Przedswit" Nr. 1-3, März 1894; er soll jetzt ebenfalls als Broschüre erscheinen, zusammen mit den beiden andern Arbeiten von mir: „Die Bakunisten an der Arbeit" und: „Soziales aus Rußland". Da diese Broschüre - in leicht schmuggelbarem Taschenformat - bald erscheinen wird, dürfte eine neue Übersetzung kaum der Mühe lohnen. Weitere Auskunft erhalten Sie bereitwilligst in der Redaktion des „Przedswit" (AI. D?bski), 7 Beaumont Square, Mile End, London E. Hochachtend und ergebenst
Den „Przedswit" sende ich Ihnen unter Streifband.
137
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 19. Juni 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Baron, Wenn Du für die ,,N[eue] Z[eit]" zwei Kapitel aus dem III. Band1 haben willst: 1. Zins und Unternehmergewinn (Kap. 23), 2. Veräußerlichung des Kapitalverhältnisses in der Form des zinstragenden Kapitals (Kap. 24)[292>, so stelle ich sie Dir gern zur Verfügung. Der Inhalt ist für diese Art Veröffentlichung sehr geeignet, und sie enthalten andrerseits nichts von den großen, nur im Zusammenhang zu gebenden Lösungen, die ebendeshalb für die Gesamtpublikation zu reservieren sind. Die Nr.2 enthält u.a. die Geschichte des Zinseszinsschwindels von Dr.Price und Pitt. Willst Du sie, so streich' ich die dafür überflüssigen Noten etc. in den ersten Korrekturbogen und schicke Dir diese, sobald ich den Revisionsbogen erhalten habe, in ca. 8-16 Tagen. Des ferneren habe ich auch den alten Artikel „von den letzten Dingen" wieder hervorgeholt und mache ihn Dir endlich fertig (ich fahre fort nach 21/a Stunden Unterbrechung durch L[ie]bknecht[293] und Julius, die eben gegangen), aber er wird anders sein und heißen2; seit ich ihn anfing, habe ich auch auf diesem Gebiet des Urchristentums noch manches neu studieren können. Damit ich aber denselbigen fertigbekomme, schließe ich diesen Brief, aus dem Du hoffentlich sehn wirst, daß ich auch wieder an die ,,N[eue] Z[eit]" denke, sobald die alte Zeit es erlaubt. Viele Grüße von Haus zu Haus. Dein F. Engels
138
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 26. Juni 94 122, Regent's Park Road, N. W.
Lieber Baron, Gleichzeitig eingeschrieben die 2 Kapitel Marx.1 Ihr könnt's betiteln: Aus dem dritten Buch des „Kapital". Von K.M[arx] - I und II, und in einer Anmerkung sagen, daß es Kap. 23 und 24 sind, und zwar aus dem S.Abschnitt: „Spaltung des Profits in Zins und Unternehmergewinn. Das zinstragende Kapital". Die Überschriften müßten für jedes Kapitel bleiben. Um der Vereinfachung willen habe ich das Griechische und die Noten bis auf eine, wichtige, gestrichen. Der Artikel: „Zur Geschichte des Urchristentums" - so werd' ich das Ding wohl nennen - ist in Arbeit und well advanced2. Aber gestern war Händelfest im Kristallpalast, und da waren Louise und ich mit Avelings den „Messias" hören. Heute muß ich Briefe abschütteln, morgen komm'ich wohl wieder dran, aber L[ie]bk[necht]12931 ist hier, und die Hitze ist groß. Dank für das Stück „Volksanwalt". Mit dem Ding aus der ,,Crit[ica] Soc[iale]"12601 hat Victor'mich gehörig angeschmiert. Nachdem ich's ihm zugesagt, hat er's erst recht liegenlassen, und will jetzt einen Moment abwarten, wo es wieder „aktuell wird". Das nächste Mal nehm' ich mich mit ihm in acht, er geht ganz absonderlich mit seinen Mitarbeitern um. Nun, ich bin begierig, wie das mit dem Tagblatt werden wird.12941 Hoffentlich nicht wie mit Guesdes und Lafargues „Socialiste" quotidien „pour paraitre en octobre"[ls21, womit wir erst gestern wieder den armen Bonnier aufgezogen haben, als er hier durchkam. Also den Carnot haben sie totgestochen. Dies arme, dumme, langweilige Vieh - den ersten Franzosen, der seine Carriere vermittelst seiner Langweiligkeit gemacht hat - und das in Frankreich! Nun aber wird sich Alexander III. vor der französischen Allianz bedanken und sagen: merci, das alles kann ich auch zu Hause haben, und billiger! Übrigens ist auch
wohl etwas Rache für Aiguesmortes dabei.[29B1 Ich bin nun begierig, wie sich die 60 sog. „Sozialisten" der Kammer3 jetzt benehmen werden. Daß die Sache a la Hödel benutzt wird, daran ist sicher kein Zweifel, aber anderseits legen die 60 ein gehöriges Gewicht in die Waagschale am Mittwoch bei der Präsidentenwahl. Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
27./6. Gestern liegengeblieben, B. Karpeles kam dazwischen. Seit 3 Tagen 1. ein H. v. Gerlach aus Berlin, 2. Liebkn[echt], 3. Karpeles, 4. heute Prof. Tönnies aus Kiel - dazu vorgestern Händelfest - da soll einer arbeiten!
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Engels an Otto Wachs in Berlin12961 (Entwurf)
[London, Ende Juni/Anfang Juli 1894]
An Major Wachs12971 Leider legte mir unter den bestehenden Parteiverhältnissen seine1 Mitarbeiterschaft am „Volk" einige Reserve auf. Nicht wegen des Standpunktes des Blattes, dies hätte für rein persönliche Beziehung wenig ausgemacht, aber der Chefredakteur Hr.Oberw[inder] hat in die jüngste Vergangenheit hinein in der sozialdemokratischen Partei und um sie herum eine derartige Rolle gespielt, daß uns auch gegenüber seinen Mitarbeitern eine gewisse Zurückhaltung absolut geboten ist.[298J Es fällt mir natürlich nicht ein zu verlangen, wobei ich am guten Glauben dieser Herren keineswegs zweifle, daß diese Mitarbeiter von Hrn. 0[berwinder] das glauben sollen, was wir von ihm wissen. Jede gesellschaftliche Gruppe hat, wie Sie wissen, ihr eigenes point d'honneur2, und dies kommt bei uns Sozialdemokraten hier ins Spiel.
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Engels an Boris Naumowitsch Kritschewski in Weggis[283! (Entwurf)
[London, Juli 1894]
Herrn Dr. Kritschewski - Weggis. 1. Sie sagen: „V.S[assulitschs] und Plech[anow]s Absicht wurde uns allerdings lange vor dem 10. Mai aber nur aus 3ter Hand bekannt". Diese dritte Hand war die des Herrn J. Blumenfeld, welcher auf dem Umschlag Ihrer Ausgabe von „ HaeMiiHii Tpyjj'B h KannTani"1 als alleinige Adresse 3 Ch. de la Roseraie, Geneve angegeben ist. An dieselbe Adresse (da keine andre angegeben) sollen nach derselben Anzeige sogar materielle Beiträge zur Veröffentlichung von Kautskys „8p$[ypTCKafl] nporp[aMMa]"12841 gesandt werden. Wenn also V.S[assuIitsch] und PIfechanow] ihre bezügliche Mitteilung an diese einzige offizielle Adresse Ihrer Bibliothek machten, so war dies vollständig genügend, und es ist kindische, anarchistische Jesuiterei, das eine Mitteilung durch 3te Hand zu nennen. 2. Sobald Sie diese Mitteilung empfingen, waren Sie erst recht und aufs neue verpflichtet, sich an mich zu wenden, als den einzigen, der das Recht hatte, hier zwischen den beiden Prätendenten zu entscheiden. Sie taten es nicht, weil Sie im voraus wußten, was meine Antwort sein werde; weil Sie V. S[assulitsch] und Pl[echanow] auf unehrenhafte Weise den Rang ablaufen wollten und darauf rechneten, daß ich mich dem fait accompli fügen würde. Sie haben sich durchweg geirrt, weil Sie sich überhaupt in der Zeit geirrt haben und sich einbilden, man könne auf der heutigen Entwicklungsstufe der europäischen wie russischen sozialistischen Bewegung die alten bakunistisch-netschajewschen Unverschämtheiten und Unwahrhaftigkeiten noch einmal verwerten, und diesmal sogar mit Erfolg.
141
Engels an Laura Lafargue . in Le Perreux
London, 4. Juli 94 T , 122, Regent's Park Road, N.W. Mein liebes Lohr, Tussy schreibt, daß die Hitze in Paris der freien Tätigkeit ihres Verstandes ins Gehege kommt und als Beweis fügt sie 4 Marken zu 25 Centimes bei - ich hätte es auch ohne dies geglaubt! Jedenfalls schicke ich Dir die Briefmarken zurück, da sie vielleicht abgereist ist, ehe sie ankommen. Ich habe Liebknecht gesagt, daß Pauls Briefe das Beste im ganzen „Vorwärts"1 sind12"1, er will es nicht glauben - aber es ist trotzdem wahr; sein heutiger Brief über Carnot ist wieder sehr gut, ruhig und klar im Urteil, anders als die verkrampften Notizen, die der „Vorwärts" so gern über englische und französische Politik vom Stapel läßt. Kannst Du mir nicht einige Nummern der „Petite Republique" schicken? Gerade jetzt müssen die Jaures und Millerands Farbe bekennen, und es interessiert mich sehr zu sehen, wie sie sich verhalten.2 Mein Vertrauen zu ihrem politischen und ökonomischen Verstand nimmt nicht gerade zu; aber ich würde mich nur zu sehr freuen, wenn sie mich eines Besseren belehrten. L[ie]bkn[echt] ist am Montag abend abgereist[2931, er mußte am Dienstag in Aix-la-Chapelle3 sprechen. Gestern kamen 10 Bogen vom 3.Bd. des „Kapitals", die wir zur Ubersetzung nach Petersburg geschickt hatten, zurück, mit dem Vermerk: „D6fendu!"4 Ich muß schließen: ein weiterer Korrekturbogen muß fertig werden, und dann muß ich in die Stadt gehen. Herzliche Grüße an alle. . _ . Immer Dein F. Engels Aus dem Englischen.
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Engels an Ludwig Schorlemmer in Darmstadt
London, 5. Juli 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Schorlemmer, Jetzt, nachdem das letzte Manuskript zum 3. Band „Kapital" in den Händen des Druckers, habe ich mich wieder Ihrer Angelegenheiten etwas annehmen können11041, und kann Ihnen auf Ihre Zeilen vom 25./4. die lang versäumte Antwort geben. Mit der Fortsetzung des großen bei Vieweg erschienenen Werks sowie aller andern Viewegschen Verlagsartikel Carls hat es einen eignen Haken. Ich habe damals in Manchester die Verträge eingesehn, und es ist darin bestimmt, daß, wenn z.B. Carl vor Vollendung des Ganzen stirbt, Vieweg das Werk vollenden lassen kann durch einen von ihm ernannten Mann. Es ist dies der Grund, warum er nichts von sich hören läßt, und auch auf den Verlag von Carls hinterlaßner Arbeit sich nicht einläßt, er will sich offenbar ganz freie Hand behalten. Auch fernere Honorarzahlungen von ihm sind nicht zu erwarten. Denn 1. honoriert er laut Vertrag nur druckfertiges Manuskript, also keine unfertigen Arbeiten, und 2. zahlt er für unveränderte Neuauflagen ebenfalls kein Honorar. Kurz, Vieweg kann ganz machen, was er will, und wenn der 5. Band erscheint, so wird er jedenfalls für die deutsche Ausgabe einen andern Verfasser haben.12281 Carls Arbeit über Geschichte der Chemie hat Siebold, wie er mir schreibt, wegen fortwährender Krankheit, das Ms. noch nicht druckfertig machen können, auch ist seine englische Übersetzung noch nicht fertig.12291 Der arme Teufel hat mit seiner Gesundheit viel Pech gehabt und ist nervös wieder ganz herunter, er wird lange Ruhe und gute Luft nötig haben, bis er sich erholt. Was die Geldangelegenheiten angeht, können Sie ruhig sein, da sind sie in guten Händen, und wie die Sachen liegen, hat Roscoe auch da das Heft in der Hand, und man muß sich schließlich mit den von ihm wegen Zahlung von Revisionsarbeiten etc. gelieferten Angaben begnügen. Roscoe hat möglicherweise etwas leichteres Spiel gehabt, indem er mit Siebold
direkt, statt wie versprochen, mit mir verhandelte, aber viel Unterschied wird's auch nicht machen, und ich hätte ihn ja doch auch für alle Abmachungen an Siebold und Klepsch verweisen müssen und mußte mich in letzter Instanz auch mit seinen Versicherungen abfertigen lassen. Die entscheidende Sache war die, daß bei dem so raschen Fortschritt der Chemie jedes Lehrbuch in einem Jahr veraltet, wenn es nicht fortwährend revidiert wird, und daher sowohl dem Verleger wie dem Publikum gegenüber in der Lehrbuchsliteratur nur der Lebende recht hat. Ich hatte gehofft, diesen Sommer wieder nach Deutschland zu kommen, aber ich werde nicht können, weil ich grade während der Sommermonate wegen Mietkontraktsangelegenheiten mich nicht weit von London entfernen darf, um im Notfall stets hierherkommen zu können, und selbst noch nicht einmal weiß, wann ich überhaupt werde mich etwas an die See setzen können. Diese Dinge hätte ich eigentlich voriges Jahr erledigen sollen, aber da habe ich die rechte Zeit verstreichen lassen, während ich drüben war1901, und als ich zurückkam, war's zu spät. Vom 3.Band „Kapital" werden Sie nächstens 2 Kapitel in der „Neuen Zeit" lesen können1, auch von mir kommt möglicherweise etwas2. Montag ist Liebknecht von hier abgereist, er war über eine Woche hier. Die Hitze ist groß, bei Ihnen wahrscheinlich auch, in Paris soll's unerträglich sein. Viele Grüße von Ihrem F. Engels
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Engels an die Redaktion der „Neuen Zeit" in Stuttgart13001
Im Auftrag des Herrn K. Kautsky und auf dessen Anfrage von Hirsau 7./7./94 teile ich Ihnen mit, daß es in dem Kap. 23 des „Kapital" S.359, Z.9-10 v. oben heißen muß: „welchen Rohprofit es ihm als fungierendes Kapital ... abwirft". Ebenfalls auf S.368, Z.3 v. oben ist der Ausdruck: „fungierendes Kapital" richtig.1 Ferner kann auf S.363, Z. 14 v. oben in dem Satz: „in Form von denen das gesamte Kapital, abgesehn von dem in Geld existierenden, relativ kleinen Teil desselben, vorhanden ist" - nach „desselben" in der Tat ein Komma gesetzt werden, wodurch der Inhalt klarer hervortritt.2 Die Entdeckung des Druckfehlers auf S.359, wo fungierendem steht statt fungierendes, ist mir sehr lieb, bitte K.Kjautsky] dafür meinen besten Dank abzustatten. Ergebenst F. Engels [London] 9./7./94
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 16. Juli 94 122, Regent's Park Road, N. W.
Lieber Baron, Mit heutigem geht mein Urchristentumsartikel1 eingeschrieben an die Red. der „N[euen] Z[eit]", Furthbachstr. 12 ab, und dieser Brief ebendahin, da ich keine nähere Adr. in Hirsau habe und nicht weiß, wie lange Du dort bleibst. Da das Ms. sehr unleserlich und viel Korrekturen enthält, wäre es mir lieb, wenn Du mir Korrekturfahnen davon schicken könntest. Kleine Änderungen, resp. Zusätze bei einem so weitschichtigen Stoff wären auch wohl möglich. In der Stelle aus „Kapital", Kap. 23 war wirklich ein Schreibfehler, auf den mich aufmerksam gemacht zu haben ein wirkliches Verdienst von Dir war.2 Ich kann augenblicklich allerlei Geschäfte halber nicht von hier weg, Anfang August hoffe ich, an die See gehn zu können, die kontinentale Reise wird dies Jahr zu Wasser. Augenblicklich buchstäblich, es regnet in einem fort. Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.

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