KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 35

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 35
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX
FRIEDRICHENGELS
WERKE
<S
DIETZ VERLAG BERLIN
1967
KARL MARX FRIEDRICHENGELS
BAND 35
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Die deutsche Ausgabe der Werke von Marx und Engels fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten zweiten russischen Ausgabe.
Die Texte werden nach den Handschriften bzw. nach deren Photokopien gebracht. Wiedergabe nach Sekundärquellen wird besonders vermerkt.
Vorwort
Der fünfunddreißigste Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält den Briefwechsel zwischen Marx und Engels sowie ihre Briefe an dritte Personen von Januar 1881 bis zum Tode von Karl Marx im März 1883. In diesen Jahren konnte die internationale Arbeiterklasse bei der Organisierung und Festigung ihrer noch jungen Arbeiterparteien große Erfolge verzeichnen und sich für weitere Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung rüsten. Marx und Engels halfen dabei den fortgeschrittenen Kräften des internationalen Proletariats und unterstützten sie bei der Durchsetzung des wissenschaftlichen Kommunismus in der Arbeiterbewegung. Sie orientierten ständig auf eine revolutionäre Klassenpolitik und bekämpften jede Art von Opportunismus. Ihr theoretisches Schaffen in jener Zeit drückt ihr Bestreben aus, den wissenschaftlichen Kommunismus entsprechend den neuen Anforderungen des Klassenkampfes weiterzuentwickeln und die Kampferfahrungen des internationalen Proletariats zu verallgemeinern. Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeit von Marx stand auch in den letzten Jahren seines Lebens die weitere Ausarbeitung der ökonomischen Theorie. Er studierte die neuesten Publikationen auf dem Gebiet der Ökonomie, sichtete viele statistische Materialien (siehe vorl. Band, S. 154) und verfolgte aufmerksam die sozialökonomische Entwicklung der europäischen Länder und der USA. Marx las mit großem Interesse Veröffentlichungen über die sozialökonomischen Verhältnisse in Rußland vor der Reform und über den Zustand der russischen Dorfgemeinde. In diese Zeit fallen seine „Notizen zur Reform von 1861 und der damit verbundenen Entwicklung in Rußland" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 407 - 424). Nachdem Marx N. F. Danielsons Artikel „Otscherki naschewo poreformennowo obschtschestwennowo chosjaistwa" in russischer Sprache gelesen
hatte, verwies er am 19. Februar 1881 in seinem Brief an den Verfasser auf Besonderheiten der Landwirtschaft in Rußland. In Briefen an Friedrich Adolph Sorge und John Swinton kritisierte Marx die weitverbreiteten Ansichten des amerikanischen Ökonomen Henry George, der die Nationalisierung des Grund und Bodens unter Beibehaltung des bürgerlichen Staates zum Allheilmittel erklärt hatte. Marx charakterisierte diese Auffassungen als einen letzten Versuch, „die Kapitalistenherrschaft zu retten" (siehe vorl. Band, S.200). Ende 1881 begann Marx, die dritte deutsche Auflage des ersten Bandes des „Kapitals" vorzubereiten. Ursprünglich plante er, den größten Teil des Textes umzuarbeiten, einige theoretische Schlußfolgerungen präziser zu formulieren undsie durch neue zu erweitern. Außerdem sollte das statistische Material durch neuere Angaben ergänzt werden. Marx, dessen Gesundheitszustand sich besonders nach dem Tod seiner Frau Ende 1881 sehr verschlechtert hatte, war es jedoch nicht möglich, sein Vorhaben in vollem Umfang zu verwirklichen. Er war gezwungen, sich auf die notwendigsten Korrekturen und Ergänzungen zu beschränken. Die dritte deutsche Auflage des ersten Bandes des „Kapitals" erschien, redigiert von Friedrich Engels, erst 1883 nach Marx' Tod. Marx war es auch nicht vergönnt, die Manuskripte der folgenden Bände des „Kapitals" zum Druck vorzubereiten, für die er ebenfalls ständig neues Material gesammelt hatte. Diese große Aufgabe übernahm Friedrich Engels. Mehrere Briefe Engels' enthalten Äußerungen zu wichtigen ökonomischen Problemen, z.B. zu den Besonderheiten der Krisen, zur Rolle der Börse und zum Geldumlauf. Neben der umfangreichen Beschäftigung mit ökonomischen Fragen betrieb Marx auch intensive historische Studien. Ihn interessierten Arbeiten über die Anfänge der Kultur und die Entwicklungsgeschichte der Urgemeinschaft. Er legte einen ausführlichen Konspekt zu L. H. Morgans Buch „Ancient society or researches in the Iines of human progress from savagery through barbarism to civilisation" an und ergänzte die Auszüge durch eigene Bemerkungen und Schlußfolgerungen über den Charakter der Urgemeinschaft (vgl. Band 21 unserer Ausgabe, S.27). In dieser Zeit fertigte er außerdem seine „Chronologischen Auszüge" an, die wertvolle Bemerkungen zum Verständnis seiner materialistischen Geschichtsauffassung enthalten. Wie aus dem Briefwechsel hervorgeht, beschäftigte sich Engels ausführlich mit der Entwicklung des Eigentums an Grund und Boden in Deutschland (siehe u.a. vorl. Band, S. 116/117, 125/126 und 128-131). Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Arbeit waren seine Manuskripte „Zur
Urgeschichte der Deutschen", „Fränkische Zeit" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 425-473 und 474-518) sowie der 1883 veröffentlichte Abriß über die altgermanische Form des Grundeigentums, „Die Mark" (ebenda, S.315 bis 330). In seiner Schrift „Fränkische Zeit" legte Engels dar, wie sich mit der Entstehung des Privateigentums an Grund und Boden die Klasse der feudalen Großgrundbesitzer und die Klasse der von ihnen abhängigen Bauern herausbildeten und der feudale fränkische Staat entstand. In der Arbeit „Die Mark" unterstrich Engels, daß der Übergang zum Gemeineigentum an Grund und Boden und zur gemeinschaftlichen Produktion eine Aufgabe der sozialistischen Revolution ist. Nur der Übergang zum Gemeineigentum, betonte Engels, werde den landwirtschaftlichen Produzenten die Möglichkeit sichern, Großbetriebe zu organisieren und erfolgreich alle ihre Vorteile für den Aufbau der neuen kommunistischen Gesellschaft zu nutzen. Diese Arbeit, die Engels Ende 1882 schrieb und die von Marx vor der Drucklegung durchgesehen wurde (siehe vorl. Band, S. 132 und 413), erschien Anfang März 1883 als Anhang zu der Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft". Die Herausbildung der Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft zu erforschen und darzustellen war zu jener Zeit von dringenden Erfordernissen des Klassenkampfes diktiert. Vor der deutschen Sozialdemokratie stand die Aufgabe, das Landproletariat und die werktätigen Bauern für den gemeinsamen Kampf zu gewinnen. Engels begründete in seiner Arbeit die Notwendigkeit eines engen Bündnisses zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft im Kampf gegen den preußisch-deutschen Militärstaat und für den Sieg des Sozialismus. Er half damit den Führern der deutschen Sozialdemokratie, die Bedeutung dieser politischen Aufgabe besser zu erkennen. Im März und April 1883 veröffentlichte daher auch der „Sozialdemokrat" diese Schrift, um sie rasch allen Mitgliedern der Partei zugänglich zu machen. Ende 1883 überarbeitete Engels „Die Mark", um sie Anfang 1884 in etwas gekürzter und populärer Form unter dem Titel „Der deutsche Bauer. Was war er? Was ist er? Was könnte er sein?" als Flugschrift herauszugeben. Bereits am 22. Dezember 1882 hatte Engels an Bebel über diese Arbeit geschrieben: „Es ist die Erstlingsfrucht meiner seit einigen Jahren betriebnen Studien über deutsche Geschichte, und es freut mich sehr, daß ich sie nicht zuerst den Schulmeistern und sonstigen Jebildeten', sondern den Arbeitern vorlegen kann." (Siehe vorl. Band, S.417.) 1882 verfaßte Engels das Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe seiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur
Wissenschaft", die im März 1883 erschien. Diese Arbeit war auf Bitten von Paul Lafargue aus drei Kapiteln des „Anti-Dühring" als eine selbständige populäre Schrift entstanden und erschien zuerst 1880 in französischer Sprache. Sie gehört zu den verbreitetsten Schriften des Marxismus. In deutscher Sprache erlebte sie noch im Erscheinungsjahr (1883) drei Auflagen mit annähernd 10000 Exemplaren. In dieser Arbeit bewies Engels die Wissenschaftlichkeit der materialistischen Geschichtsauffassung. Anhand der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft begründete er die historische Notwendigkeit der politischen Machtergreifung des Proletariats und entwickelte wesentliche Gedanken über den Aufbau des Sozialismus. Die Naturwissenschaften und die Naturphilosophie nehmen in Engels' wissenschaftlichen Arbeiten großen Raum ein. Er arbeitete in dieser Zeit intensiv an der „Dialektik der Natur" (siehe u.a. vorl. Band, S. 126 und 399). Der erste Plan zu diesem außerordentlich bedeutenden philosophischen Werk war bereits 1873 entstanden. Von 1873 bis 1876 hatte sich Engels hauptsächlich mit dem Studium des Materials beschäftigt und den größten Teil der Fragmente sowie die Einleitung verfaßt. Von 1878 bis zum Tode von Marx 1883 arbeitete er den konkreten Plan der „Dialektik der Natur" aus und schrieb neben den Fragmenten fast alle Kapitel. Indem Engels die wichtigsten Erkenntnisse der Naturwissenschaften seiner Zeit philosophisch verallgemeinerte und die Allgemeingültigkeit der materialistischen Dialektik für alle Gebiete der Naturwissenschaften nachwies, machte er deutlich, daß der moderne Naturwissenschaftler um so erfolgreicher arbeiten wird, je bewußter er sich der dialektischen Methode bedient. Einen breiten Raum in den Briefen des vorliegenden Bandes nehmen Fragen der Strategie und Taktik des proletarischen Klassenkampfes ein. Marx und Engels verallgemeinerten und propagierten die Kampferfahrungen des Proletariats; sie unterstützten die sozialistischen Arbeiterparteien bei der Ausarbeitung einer revolutionären Taktik und eines marxistischen Programms und halfen damit gleichzeitig bei der Herausbildung weiterer revolutionärer Parteien des Proletariats. In mehreren Briefen an Sozialisten verschiedener Länder stellten Marx und Engels fest, daß in Europa die revolutionären Kräfte allerorts anwachsen. Die Hauptgefahr für die Entwicklung der revolutionären Bewegung war ihrer Ansicht nach ein Krieg, den die reaktionären europäischen Regierungen vorbereiteten. „Einen europäischen Krieg würde ich für ein Unglück halten", schrieb Engels am 22. Dezember 1882 an Bebel, er würde „überall den Chauvinismus entflammen auf Jahre hinaus, da jedes Volk um die Existenz kämpfen würde. Die ganze Arbeit der Revolutionäre in Rußland, die am Vorabend des Siegs
stehri, wäre nutzlos, vernichtet; unsre Partei in Deutschland würde momentan von der Flut des Chauvinismus überschwemmt und gesprengt und ebenso ging's in Frankreich." (Siehe vorl. Band, S.416.) Marx und Engels forderten von den Sozialisten, auch bei der Festlegung ihres Verhältnisses zur nationalen Befreiungsbewegung der verschiedenen Völker, vor allem vom Kampf des Proletariats um die politische Macht auszugehen und „diesem Ziel alles andre unterzuordnen", wie Engels an Bernstein schrieb (siehe vorl. Band, S.280). Auch in dieser Zeit standen Marx und Engels mit vielen Vertretern des internationalen Proletariats in brieflicher Verbindung. Durch Marx' schlechten Gesundheitszustand bedingt, führte Engels den größten Teil dieses Briefwechsels. (Siehe u.a. vorl. Band, S.399.) Engels richtete dabei sein Hauptaugenmerk auf die Tätigkeit der beiden größten sozialistischen Arbeiterparteien in Europa, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands und der französischen Arbeiterpartei. Der Kampf der deutschen Sozialdemokraten war unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes, das die Bismarck-Regierung an> 19. Oktober 1878 im Reichstag durchgesetzt hatte, besonders schwer. Erstmalig in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung stand eine marxistische Partei vor der komplizierten Aufgabe, den illegalen Kampf der Arbeiterklasse zu organisieren, wobei die wenigen noch vorhandenen legalen Möglichkeiten voll ausgenutzt und mit neuen illegalen Kampfformen eng verknüpft werden mußten. Den führenden revolutionären Kräften innerhalb der Partei war es gelungen, eine den neuen Bedingungen entsprechende revolutionäre Strategie und Taktik auszuarbeiten, um gegen den Hauptfeind der deutschen Arbeiterklasse, den junkerlich-bourgeoisen Militarismus und die kapitalistische Ausbeuterordnung, einen erfolgreichen Kampf führen zu können. Voraussetzung für ein entschlossenes Vorgehen der Partei in dieser erbitterten Auseinandersetzung war, in ihren eigenen Reihen den Opportunismus zu überwinden und den Marxismus durchzusetzen. Marx und Engels standen ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite. Ihre Briefe an August Bebel, Eduard Bernstein und Karl Kautsky enthalten eine Fülle theoretischer und praktischer Hinweise. Sie zeigen, wie eng sich Marx und Engels mit dem schweren Kampf der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Partei verbunden fühlten. Ihre größte Aufmerksamkeit galt der Unterstützung und Anleitung des „Sozialdemokrat", des Zentralorgans der Partei. Unter den Bedingungen der Illegalität kam der Zeitung eine besondere Bedeutung zu. Ihre Aufgabe mußte es sein, für die organisatorische Festigung der Partei zu wirken und
die marxistischen Ideen in der Arbeiterklasse zu verbreiten. Im Dezember 1880 hatten Bebel und Bernstein mit Marx und Engels über die neuen Aufgaben des „Sozialdemokrat" beraten, über seine politische und theoretische Haltung unter den neuen Kampfbedingungen. Die Erfolge waren bald spürbar. Der „Sozialdemokrat" orientierte von nun an im wesentlichen klar und konsequent auf die proletarische Klassenpolitik der Partei. Bereits am 2. Februar 1881 konnte Engels in einem Brief an Eduard Bernstein feststellen, daß die 5 Nummern des „Sozialdemokrat" seit dem Jahreswechsel einen bedeutenden Fortschritt bekunden: „Der Ton ist flott und zielbewußt geworden, das Blatt wird nicht mehr abwiegeln, wenn es so bleibt, sondern den Leuten in Deutschland zur Ermutigung dienen." (Siehe vorl. Band, S. 153.) Unermüdlich halfen Marx und besonders Engels durch Hinweise und konkrete Vorschläge, Inhalt und Form des Blattes zu verbessern, das Niveau der Zeitung, ihre Schlagkraft und Massenwirksamkeit zu erhöhen. Sie empfahlen der Redaktion, die Erfahrungen der „Neuen Rheinischen Zeitung" zu nutzen und an deren revolutionäre Traditionen anzuknüpfen. „Es war grade die Verachtung und der Spott, mit dem wir die Gegner behandelten", schrieb Engels an Bernstein, der der „Neuen Rheinischen Zeitung" diese Wirksamkeit gegeben hatte (siehe vorl. Band, S. 153). Engels legte Bernstein immer wieder nahe, in der „Neuen Rheinischen Zeitung" zu lesen, und mit Genugtuung stellte er fest, daß der „Sozialdemokrat" begonnen habe, „vor großen Phrasen auf der Hut zu sein". Man könne auch „revolutionäre Gedanken aussprechen, ohne fortwährend mit dem Wort Revolution um sich zu werfen" (siehe vorl. Band, S. 170). Seit 1882 arbeitete Engels direkt am „Sozialdemokrat" mit. Sein erster umfassender Beitrag „Bruno Bauer und das Urchristentum" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S.297-305) wurde am 4. und 1 I.Mai 1882 veröffentlicht. Voller Ironie und mit beißendem Spott kritisierte Engels die politische Feigheit, den Kleinmut und die Beschränktheit der opportunistischen Kräfte innerhalb der Parteiführung, die besonders seit Ende 1881, nach Ankündigung der Bismarckschen Sozialreformen, wieder stärker mit ihren Auffassungen innerhalb der Partei auftraten. Diese Kräfte, die sich vor allem in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion konzentrierten, begannen erneut zu verkünden, daß es möglich sei, auf dem Weg von Reformen zum Sozialismus zu kommen. Sie erklärten sich prinzipiell bereit, mit Bismarck zusammenzuarbeiten, und wollten „um jeden Preis das Sozialistengesetz durch Milde und Sanftmut, Kriecherei und Zahmheit wegbetteln" (siehe vorl. Band, S.333), womit der Klassencharakter der deutschen Arbeiterpartei
völlig beseitigt worden wäre. Die Opportunisten richteten ihren ersten Angriff gegen den „Sozialdemokrat", der sich immer erfolgreicher zu einem Sprecher der klassenbewußten Arbeiter und zum Verfechter einer konsequenten antimilitaristischen Arbeiterpolitik entwickelt hatte. Marx und Engels begrüßten und unterstützten die grundsätzliche Auseinandersetzung des „Sozialdemokrat" mit den opportunistischen Kräften innerhalb der Reichstagsfraktion, die mit dem von Eduard Bernstein geschriebenen Leitartikel „Entweder - oder!" begonnen hatte (siehe vorl. Band, S.257). Dies war eine entscheidende politisch-ideologische Auseinandersetzung mit den Opportunisten über den Klassencharakter und die Taktik der Partei. Sie fand unter den erschwerenden Bedingungen der Illegalität statt und endete mit einem eindeutigen Sieg der marxistischen Kräfte. Marx und Engels hatten durch die Vermittlung ihrer reichen Kampferfahrungen, durch ihre konkrete und aktive Hilfe wesentlichen Anteil am erfolgreichen Ausgang dieses Kampfes. In ihren Schriften und Briefen halfen sie den revolutionären Kräften, die Hintergründe für das Auftreten des Opportunismus zu erkennen (siehe vorl. Band, S. 265/266) und das Wesen des Bismarckschen Staatssozialismus theoretisch zu erfassen. Am 12. März 1881 schrieb Engels, ausgehend von Kautskys Artikel »Der Staatssozialismus und die Sozialdemokratie" im „Sozialdemokrat", an Bernstein: Dieser Staatssozialismus ist nichts andres „als einerseits feudale Reaktion, andrerseits Vorwand zur Geldpresse, mit der Nebenabsicht, möglichst viele Proletarier in vom Staat abhängige Beamte und Pensionäre zu verwandeln, neben dem disziplinierten Kriegsund Beamtenheer auch ein dito Arbeiterheer zu organisieren". Er nannte es eine bewußte Fälschung, „jede Einmischung des Staats in die freie Konkurrenz als .Sozialismus* zu bezeichnen". „Dahin aber kommt man", schrieb Engels, „wenn man dem Bourgeois glaubt, was er selbst nicht glaubt, sondern nur vorgibt: Staat sei = Sozialismus." (Siehe vorl. Band, S. 170.) Engels beabsichtigte, eine Broschüre über den „Staatssozialismus" Bismarcks zu schreiben, und bat Bebel, Kautsky und Bernstein, ihm die Stenographischen Berichte des Reichstags, die einzelnen Entwürfe zur Unfallgesetzgebung und den Entwurf des Krankenversicherungsgesetzes zu schicken. In seinem Brief an Bernstein vom 13. September 1882 entwickelte er den Plan für diese Broschüre, den er jedoch nicht verwirklichen konnte. Engels hatte vor, im zweiten Teil der Arbeit „eine Reihe von unklaren, durch Lassalle eingebürgerten, und auch noch hie und da von unsern Leuten nachgeplapperten Vorstellungen" zu kritisieren. (Siehe vorl. Band, S. 359/360.) Er werde dabei nicht umhinkönnen, so schrieb er am 22. September 1882
an Bernstein, „der Illusion ein Ende zu machen, als ob Lfassalle] ökonomisch (und auch auf jedem andern Gebiet) ein origineller Denker gewesen sei" (siehe vorl. Band, S.365). Engels forderte die marxistischen Führer auf, sich im Kampf gegen die kleinbürgerlichen, philisterhaften Auffassungen der Rechten auf die Arbeiter zu stützen. „Ich habe nie verhehlt", betonte Engels, „daß nach meiner Ansicht die Massen in Deutschland viel besser sind als die Herren Führer" (siehe vorl. Band, S.265). Statt die Massen zu führen, sind diese Herren „von Anfang an von den Massen geschoben worden" (siehe vorl. Band, S.278). Engels' Briefe an die Vertreter der deutschen Arbeiterpartei sind durchdrungen vom festen Glauben an die revolutionäre Macht und Stärke der deutschen Arbeiterklasse. Gegenüber dem Kleinmut opportunistischer Kräfte innerhalb der Führung der Sozialdemokratie lobte Engels den freien Blick, die Energie, den Humor und die Zähigkeit des deutschen Proletariats im Kampf (siehe vorl. Band, S.443). Sehr aufschlußreich sind Engels' Bemerkungen über eine mögliche Trennung von den rechten Elementen innerhalb der Partei. „Darüber, daß es eines Tags zu einer Auseinandersetzung mit den bürgerlich gesinnten Elementen der Partei und zu einer Scheidung zwischen rechtem und linkem Flügel kommen wird", schrieb Engels am 21. Juni 1882 an Bebel, „habe ich mir schon längst keine Illusion mehr gemacht und dies auch schon in dem handschriftlichen Aufsatz über den Jahrbuchsartikel gradezu als wünschenswert ausgesprochen." (Siehe vorl. Band, S.334.) Er war jedoch der Ansicht, daß es unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes ohne zwingende Gründe mit der Trennung keine Eile habe und riet Bebel, sich nicht von denen provozieren zu lassen, die die Spaltung künstlich forcierten. Denn in der entstandenen Situation konnte eine Spaltung von den Rechten dazu ausgenutzt werden, ihren Einfluß auf die Arbeiterklasse zu verstärken. „Wenn es zur Auseinandersetzung mit diesen Herren kommt und der linke Flügel der Partei Farbe bekennt, so gehn wir unter allen Umständen mit Euch und das aktiv und mit offnem Visier." (Siehe vorl. Band, S.335/336.) Aus verschiedenen Briefen wird deutlich, daß Marx und Engels der revolutionären Parlamentstaktik, die im Kampf gegen opportunistische Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion immer wieder durchgesetzt werden mußte, hohe Anerkennung zollten. Besonders lobten sie das mutige und geschickte Auftreten August Bebels, mit dem sie eine enge Freundschaft verband. „Wir machen Dir unser Kompliment über Deine beiden Reden", schrieb Engels am 28. April 1881 an Bebel. „Das ist der richtige Ton der vornehmen, aber auf wirkliche Kenntnis der Sache
gegründeten, ironischen Überlegenheit... und die Debatte macht den Eindruck, daß der Drechsler Bebel der einzige gebildete Mann im ganzen Reichstag ist." (Siehe vorl. Band, S. 184.) Auch weitere Briefe von Marx und Engels spiegeln ihre hohe Meinung vom politischen Wirken August Bebels wider. Marx würdigte Bebel als „eine einzige Erscheinung innerhalb der deutschen (man kann sagen, innerhalb der .europäischen') Arbeiterklasse" (siehe vorl. Band, S.95). In ähnlicher Weise charakterisierte ihn Engels, der Bebel den talentiertesten Führer der deutschen Arbeiterpartei nannte, der „klaren Verstand, politischen Überblick" und die notwendige Energie besaß (siehe vorl. Band, S.266). Auch für das Studium der Geschichte der französischen Arbeiterpartei bilden die Briefe des vorliegenden Bandes eine wertvolle Quelle. Sie vermitteln ein aufschlußreiches Bild der unmittelbaren Teilnahme von Marx und Engels am Kampf der französischen Arbeiterbewegung. Sie dokumentieren die aktive Rolle von Marx und Engels bei der richtigen politischen Orientierung der französischen Arbeiterpartei und der Abgrenzung der Partei vom kleinbürgerlichen Sozialismus und Opportunismus. Zu Beginn der achtziger Jahre wurde in der französischen Arbeiterpartei ein erbitterter Kampf um das revolutionäre marxistische Programm geführt, an dessen Ausarbeitung Marx und Engels mitgewirkt hatten. In diesem Kampf standen sich zwei Richtungen gegenüber: die Marxisten (oder Kollektivisten) unter Jules Guesde und Paul Lafargue und die Opportunisten (Possibilisten) unter Benoit Malon und Paul Brousse. Die Marxisten gruppierten sich um die Zeitung „figalite". Die Auseinandersetzungen trugen grundsätzlichen Charakter. Es ging vor allem um die Frage: muß das Proletariat einen revolutionären Klassenkampf gegen die Bourgeoisie führen oder soll es den Klassencharakter der Bewegung aufgeben und sich vom revolutionären Programm lossagen, wenn es dadurch mehr Anhänger und folglich mehr Stimmen bei den Wahlen gewinnen kann? Die Possibilisten hatten sich für letzteres erklärt (siehe vorl. Band, S.382). In diesem Kampf der beiden Richtungen in der französischen Arbeiterpartei standen die Führer des internationalen Proletariats voll und ganz auf der Seite der Guesdisten. Als der Kampf zwischen Guesdisten und Possibilisten offen ausgebrochen war, schrieb Engels in seinem und in Marx* Namen an die deutschen Sozialdemokraten, jetzt „sind unsre Sympathien natürlich alle mit Guesde und seinen Freunden" (siehe vorl. Band, S.257). Marx und Engels hielten es für sehr wichtig, daß sich die Beziehungen zwischen den deutschen und den französischen revolutionären Kräften
innerhalb der Arbeiterbewegung festigten. Engels empfahl den französischen und den deutschen Sozialisten, sich regelmäßig ihre Parteiorgane, die „figalite" und den „Sozialdemokrat", zuzusenden (siehe vorl. Band, S.384 und 389). Ferner riet er Lafargue, zu den Vertretern der deutschen Arbeiterpartei engeren persönlichen Kontakt herzustellen, damit er sie über den Stand der Dinge in der französischen Arbeiterpartei zuverlässig informieren kann. In zahlreichen Briefen an den Redakteur des „Sozialdemokrat", Eduard Bernstein, berichtete Engels eingehend über den innerparteilichen Kampf in Frankreich, wobei er den deutschen Sozialdemokraten wertvolle Hinweise gab, wie die Lage innerhalb der französischen Arbeiterpartei einzuschätzen sei. Er warnte die Redaktion des Blattes vor allzu großer Leichtgläubigkeit gegenüber den Ansichten von Malon und seinen Anhängern und kritisierte einige Artikel im „Sozialdemokrat", die die Geschichte der französischen Arbeiterpartei entstellt wiedergaben (siehe u.a. vorl. Band, S.387-389 und 401-404). Marx und Engels halfen den Guesdisten nicht nur dadurch, daß sie sie gegen alle Angriffe der Opportunisten verteidigten, sondern auch indem sie ihre Ungeduld und zeitweilige Unsachlichkeit in der Polemik mit ihren politischen Gegnern rügten. Die endgültige organisatorische Trennung zwischen Marxisten und Possibilisten nach dem Kongreß von Saint-Etienne im September 1882 war nach Ansicht von Marx und Engels herangereift und notwendig geworden. Ihre Meinung hierzu ist ausführlich dargelegt in Engels' Briefen an Marx vom 23. November 1882, an Bernstein vom 20. Oktober 1882 und an Bebel vom 28.Oktober 1882. „In Frankreich ist die längst erwartete Spaltung eingetreten", schrieb Engels in dem erwähnten Brief an Bebel. Er hob hervor, weder er noch Marx hätten sich je falschen Vorstellungen über das politische Antlitz der Führer der Possibilisten hingegeben und sich „nie Illusionen darüber gemacht", daß das Bündnis zwischen der marxistischen Gruppe um Guesde und der opportunistischen Clique der Scheinsozialisten Malon und Brousse von langer Dauer sein könne. (Siehe vorl. Band, S.382.) Marx und Engels charakterisierten die Führer der Possibilisten als politische Karrieristen und Intriganten, die im Kampf gegen den marxistischen Flügel der Partei nicht davor zurückschreckten, zu solchen Methoden wie geheime Intrigen, schamloser Betrug, Lüge und Verleumdung ihrer politischen Gegner Zuflucht zu nehmen, die nicht zögerten, an den chauvinistischen Deutschenhaß zu appellieren und die Guesdisten des Vaterlandsverrats zu bezichtigen, nur weil sie Anhänger des „Deutschpreußen" Marx waren.
Nachdem sich die Possibilisten vom marxistischen Parteiprogramm losgesagt hatten, glaubten sie an Einfluß in der Arbeiterklasse zu gewinnen, wenn sie jeder ihrer Organisationen erlaubten, ihr eigenes, gleichsam privates Programm aufzustellen. Am 28. November 1882 schrieb Engels an Bernstein dazu: „...ist das je vorgekommen, eine Partei ohne Programm, eine Partei, deren verwaschene Considerants ... darauf konkludieren, daß jede Gruppe ihr eignes Privatprogramm fabriziert!" (Siehe vorl. Band, S.403.) Diese „angebliche Partei" der Possibilisten, „ist nicht nur keine Arbeiterpartei, sie ist überhaupt keine Partei, weil sie in der Tat kein Programm hat: sie ist höchstens eine Partei Malon-Brousse". (Siehe vorl. Band, S.373.) Eine Partei, die ihre Türen für bürgerliche und kleinbürgerliche Elemente, für reformistisch gestimmte, apolitische Syndikatskammern u.a. weit offen hält, ist keine Arbeiterpartei. „... wenn man", erklärte Engels, „jede Strikegesellschaft, die nur, wie die englischen Tradesunions, für hohen Lohn und kurze Arbeitszeit kämpft, sonst aber auf die Bewegung pfeift - wenn man die alle zur Arbeiterpartei zählt, so bildet man in Wirklichkeit eine Partei zur Aufrechterhaltung der Lohnarbeit, nicht zu ihrer Abschaffung." (Siehe vorl. Band, S.403.) Eine solche Partei sei aber im Keim, was die englischen Arbeiterorganisationen „voll entwickelt sind: der Schwanz der radikalen Bourgeoispartei. Das einzige was sie zusammenhält, ist der bürgerliche Radikalismus, Arbeiterprogramm haben sie ja keins. Und die Arbeiterführer, die sich dazu hergeben, ein solches Arbeiterstimmvieh für die Radikalen zu fabrizieren, begehn in meinen Augen direkten Verrat." (Siehe vorl. Band, S.404.) Engels trat gegen die Forderungen nach der Einheit um jeden Preis auf und lehrte, daß die Arbeiterpartei nur im Prozeß eines erbitterten ideologischen Kampfes gegen die opportunistischen Elemente eine wahrhaft proletarische Klassenpartei wird. „Mit dem richtigen Programm momentan in der Minorität zu sein - quoad Organisation - ist immer noch besser als ohne Programm einen großen, aber dabei fast nominellen Scheinanhang zu haben." (Siehe vorl. Band, S.403/404.) Marx und Engels orientierten die proletarischen Parteien auf die Abgrenzung von den Opportunisten und zeigten ihnen damit den Weg zu einer echten ideologischen und organisatorischen Einheit des Proletariats. In den Briefen, die zur Geschichte der französischen Arbeiterpartei Stellung nehmen, formulierte Engels wichtige Leitsätze der Lehre von der proletarischen Partei. Im vorliegenden Briefwechsel sind viele Bemerkungen über die Lage in der englischen Arbeiterbewegung enthalten. In den achtziger Jahren wurde immer deutlicher, daß die britische Industrie ihre Monopolstellung
auf dem Weltmarkt allmählich verlor. Die Versuche der englischen Bourgeoisie, ihr riesiges Kolonialreich weiter auszudehnen, stießen immer mehr auf den heftigen Widerstand anderer, sich rasch entwickelnder kapitalistischer Staaten. Die brutale Ausbeutung der Kolonien war die entscheidende ökonomische Grundlage, die in England das Entstehen einer relativ breiten Arbeiteraristokratie ermöglicht und die Entwicklung des revolutionären Kampfes gehemmt hatte. Das Kolonialmonopol, das den englischen Kapitalisten riesige Extraprofite einbrachte, war eine der Hauptursachen für das Zunehmen des Opportunismus in der englischen Arbeiterbewegung, für die Schwäche des revolutionären Flügels und das Fehlen einer selbständigen politischen Arbeiterpartei in England. Marx und Engels kritisierten die versöhnlerischen Stimmungen der privilegierten Schichten der englischen Arbeiter und ihrer reformistischen Führer, die sich zu dieser Zeit nach Engels' Worten voll und ganz in ein Anhängsel „der radikalen Bourgeoispartei" verwandelt hatten (siehe vorl. Band, S.404). In dieser Situation entschloß sich Engels zur Mitarbeit am „Labour Standard", um unmittelbar auf die englischen Arbeiter Einfluß zu erlangen. Von Mai bis August 1881 erschien fast wöchentlich ein Aufsatz Engels' als Leitartikel in diesem Organ der Trade-Unions (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 247-290). Engels erläuterte den Arbeitern die Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus und rief zur Bildung einer selbständigen politischen Arbeiterpartei in England auf. Angesichts der opportunistischen Tendenzen des Blattes sah sich Engels jedoch gezwungen, seine Mitarbeit aufzugeben. (Siehe vorl. Band, S.212 und 275.) Zu Beginn des Jahres 1882 konstatierten Marx und Engels Anzeichen einer revolutionären Belebung unter den englischen Industriearbeitern und als Folge dessen Interesse für den Sozialismus unter der radikalen Intelligenz. Mehrere Briefe enthalten eine kritische Einschätzung einiger bürgerlicher Demokraten, darunter Henry Mayers Hyndmans, eines späteren Führers der englischen Sozialisten. Diese bürgerlichen Demokraten, denen Marx und Engels nicht den „guten Willen" absprachen, waren jedoch von den Massen völlig losgelöst. Sie verfolgten eine sektiererische Taktik, worin Marx und Engels eine der Ursachen dafür sahen, daß sie in dieser Zeit keinerlei politischen Einfluß ausübten. „Alle diese Leutchen haben niemand hinter sich als einer den andern", schrieb Engels. „Sie spalten sich in allerhand Sekten und in den nichtsektiererischen allgemein-demokratischen Duselschwanz." (Siehe vorl. Band, S.379.) Marx und Engels deckten die politische Inkonsequenz der englischen bürgerlichen Demokraten in ihrer Kritik am englischen Kapitalismus,
besonders in der Kritik an der englischen Kolonialpolitik auf. Marx' Brief an seine Tochter Eleanor vom 9. Januar 1883 ist hierzu sehr aufschlußreich. Zum Auftreten des radikalen Parlamentsmitgliedes Joseph Cowen - eines ehemaligen Chartisten, von dem Engels sagte, er sei ein „halber, wenn nicht ganzer Kommunist" (siehe vorl. Band, S. 171) - in der Ägyptenfrage bemerkte Marx, sogar dieser „beste" der englischen Parlamentarier habe sich in der Kolonialfrage wie ein echter britischer Bourgeois verhalten. (Siehe vorl. Band, S.422.) Marx und Engels verurteilten den parlamentarischen Karrierismus und das eigensüchtige Streben nach Popularität, das solche Leute wie Hyndman an den Tag legten, die auf die Führung in der englischen Arbeiterbewegung Anspruch erhoben. Sie waren, wie Marx und Engels feststellten, theoretisch noch nicht reif und neigten zur Vulgarisierung des wissenschaftlichen Kommunismus. Über die Beziehungen zwischen Marx und Hyndman geben vor allen Dingen folgende Briefe Auskunft: Marx' Brief an Sorge vom 15.Dezember 1881, Engels' Brief an Hyndman vom 3I.März 1882 und besonders Marx' Brief an Hyndman vom 2. Juli 1881. Aus letztgenanntem Brief geht hervor, daß eine der Ursachen für den Bruch zwischen Marx und Hyndman darin zu sehen ist, daß Hyndman das „Kapital" plagiiert hatte, und zwar im Programm der von ihm geleiteten Democratic Federation, deren Ziele mit den wissenschaftlichen Entdeckungen des „Kapitals" „ganz und gar nichts gemein haben" (siehe vorl. Band, S. 202/203). In den Briefen von Marx an Engels vom 5. Januar 1882 sowie von Engels an Jenny Longuet vom 24. Februar 1881 und an Bernstein vom 3. Mai und 26. Juni 1882 wird die Kolonialpolitik der liberalen Regierung Gladstone gegenüber Irland entlarvt. In dem Bestreben, die immer stärker werdende Massenbewegung der irischen Pächter zu schwächen, hatten die englischen Liberalen einerseits 1881 für Irland ein Bodengesetz erlassen, das die Willkür der englischen Landlords etwas einschränkte. Andererseits hatten sie aber über das Land den Belagerungszustand verhängt, es mit Truppen überschwemmt und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Marx bezeichnete den Landact von 1881 als „reine Spiegelfechterei" und unterstützte die Forderung nach Selbstverwaltung in Irland, damit die Iren selbst die Bodenfrage in ihrem Lande lösen könnten. (Siehe vorl. Band, S. 180 und 187.) In mehreren Briefen des vorliegenden Bandes tauschen Marx und Engels ihre Ansichten über die koloniale Frage aus. Beide verfolgten mit großer Anteilnahme die Lage der kolonialen und abhängigen Völker in Süd- und Ostasien sowie in Afrika. In seinen Briefen aus Algier, wo sich
Marx Anfang 1882 zur Kur aufhielt, brandmarkte er das System und die Praxis der kolonialen Unterdrückung, die gegen die Bewohner dieser französischen Kolonie angewandt wurden. Voller Empörung wies er darauf hin, daß in der Rechtspraxis der französischen Kolonialbehörden in Algerien Folterungen und sogar Gruppenhinrichtungen Unschuldiger üblich waren. Die europäischen Kolonisten, so schrieb Marx, halten sich inmitten der „Unteren Raeen" gewöhnlich für absolut unantastbar, begegnen den Ureinwohnern des Landes mit unverschämter Anmaßung, Hochmut und Grausamkeit. (Siehe vorl. Band, S.54.) Mit großer Hochachtung sprach Marx vom algerischen Volk, das ungeachtet jahrhundertelanger Unterdrückung und selbst unter dem französischen Kolonialjoch ein starkes Gefühl der eigenen Würde und das Streben nach Freiheit zu wahren vermochte. Er sagte jedoch voraus, daß die versklavten Völker dieses Landes nichts erreichen werden „without a revolutionary movement" (siehe vorl. Band, S.309). Aufmerksam verfolgten Marx und Engels auch den Kampf anderer Völker gegen die Kolonialknechtschaft. So wies Marx in seinem Brief an N.F.Danielson vom 19.Februar 1881 u.a. auch auf die wachsende Unzufriedenheit in Indien hin, dessen Bevölkerung von den britischen Kolonisatoren schonungslos ausgeraubt wurde (siehe vorl. Band, S. 157). Marx und Engels verurteilten entschieden den bewaffneten Überfall englischer Truppen auf Ägypten. Gibt es, schrieb Marx, „eine schamlosere hypokritisch-christlichere .Eroberung' als die Ägyptens - Eroberung im tiefen Frieden!" (Siehe vorl. Band, S.422.) Wichtige Äußerungen enthält der im vorliegenden Band veröffentlichte Brief von Engels an Käutsky vom 12. September 1882. Engels schrieb: „Sie fragen mich, was die englischen Arbeiter von der Kolonialpolitik denken? Nun, genau dasselbe, was sie von der Politik überhaupt denken: dasselbe, was die Bourgeois davon denken. Es gibt hier ja keine Arbeiterpartei, es gibt nur Konservative und Liberal-Radikale, und die Arbeiter zehren flott mit von dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands." (Siehe vorl. Band, S. 357.) Im weiteren antwortet Engels auf die Frage, wie sich das siegreiche-ProIetariat gegenüber den kolonialen Ländern zu verhalten habe, falls sie ihm als Erbe der bürgerlichen Welt anheimfallen sollten. Engels stellte dem Proletariat vor allem die Aufgabe, diese Länder so schnell wie möglich zur Selbständigkeit zu führen und sie über ihr Schicksal selbst entscheiden zu lassen. Er bemerkte nachdrücklich, daß „das sich befreiende Proletariat keine Kolonialkriege führen kann" (siehe vorl. Band, S.357). Es „kann keinem fremden Volk irgendwelche Beglückung aufzwingen, ohne
damit seinen eignen Sieg zu untergraben" (siehe vorl. Band, S.358). In diesem Brief stellte Engels den wichtigen theoretischen Leitsatz auf, daß die sozialistischen Umgestaltungen, die das Proletariat nach der Machtergreifung' in den europäischen Ländern vollziehen müsse, unweigerlich eine starke revolutionierende Wirkung auf die kolonialen und abhängigen Länder ausüben werden. Große Beachtung verdienen auch jene Briefe, die Marx und Engels an russische Revolutionäre und andere russische Persönlichkeiten richteten. Auf P. L. Lawrows Bitte hin schrieben Marx und Engels im Januar 1882 ein Vorwort zu der von G. W. Plechanow besorgten Übersetzung der zweiten russischen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei" (siehe vorl. Band, S.262 und 302). In seinem Brief an V. I. Sassulitsch vom 8. März 1881 äußerte sich Marx über das Schicksal der russischen Dorfgemeinde, das damals die Gemüter vieler russischer Revolutionäre bewegte. Die russischen Liberalen hielten die Beseitigung der Dorfgemeinde als unerläßlich für die ungehinderte Entwicklung des Kapitalismus in Rußland. Die Volkstümler träumten davon, daß Rußland mittels der Dorfgemeinde unter Umgehung der Entwicklung der kapitalistischen Großindustrie direkt zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung übergehen werde. Entgegen diesen Auffassungen verband Marx die historische Rolle der russischen Dorfgemeinde mit den Perspektiven einer Volksrevolution in Rußland, die von einer proletarischen Revolution im Westen unterstützt werde. Er schrieb an Vera Sassulitsch, daß die russische Dorfgemeinde „der Stützpunkt der sozialen Wiedergeburt Rußlands" sein könnte, jedoch nur unter der Bedingung, daß „zuerst die zerstörenden Einflüsse, die von allen Seiten auf sie einstürmen", beseitigt würden (siehe vorl. Band, S. 167). Marx gab in dem Brief an seine Tochter Laura Lafargue vom 14. Dezember 1882 seiner tiofen Genugtuung über die schnelle Verbreitung der revolutionären Theorie im zaristischen Rußland Ausdruck. „Nowhere my success is to me more delightful; it gives me the satisfaction that I damage a power, which, besides England, is the true bulwark of the old society." (Siehe vorl. Band, S.408.) In dem Brief an seine Tochter Jenny Longuet vom 11. April 1881 sprach Marx mit großer Achtung von den russischen revolutionären Volkstümlern. JEs sind durch und durch tüchtige Leute, sans pose melodramatique, einfach, sachlich, heroisch." (Siehe vorl. Band, S. 179.) Engels hob hervor, daß in Rußland eine revolutionäre Situation heranreife und daß die Avantgarde der europäischen Revolution in dieser Situation zum Kampf antreten müsse. In Erwartung einer nahen Revolution in Rußland
riet Marx seinen Kampfgefährten, mit Petersburg, dem wahrscheinlichen Zentrum dieser Revolution, Verbindung zu halten und diese Verbindung zu festigen. So gab er im Brief an Laura Lafargue vom 13./I4. April 1882 seinem Schwiegersohn Paul den Rat, die Tätigkeit als Korrespondent einer russischen Zeitschrift nicht abzubrechen: „Es ist sehr wichtig, den Punkt Petersburg nicht zu verlieren; dessen Wichtigkeit wird täglich wachsen"! (Siehe vorl. Band, S.307.) Am 14. März 1883 starb Karl Marx. „Der größte Kopf der zweiten Hälfte unsres Jahrhunderts hatte aufgehört zu denken", schrieb Engels am 14. März 1883 an Liebknecht. Engels' Briefe und Telegramme an die nächsten Freunde und Kampfgefährten aus jener Zeit zeugen von der großen Liebe und Verehrung, die Engels für Marx empfand. „Was wir alle sind, wir sind es durch ihn; und was die heutige Bewegung ist, sie ist es durch seine theoretische und praktische Tätigkeit; ohne ihn säßen wir immer noch im Unrat der Konfusion." (Siehe vorl. Band, S.457.) In tiefer Trauer gedachte Engels des schweren Verlusts, den die proletarische Partei und die internationale Arbeiterklasse erlitten hatten. Er rief die Kampfgefährten auf, sich kühn und mutig zu zeigen, und Marx' Andenken zu ehren, indem sie die von ihm begründete Lehre zum Siege führen.
*
Dieses Vorwort folgt im wesentlichen dem Vorwort zum Band 35 der 2. russischen Ausgabe. 213 Briefe des vorliegenden Bandes werden nach den Photokopien der Handschriften gebracht. Ein Brief konnte noch während der Korrektur in den Band eingefügt werden (siehe vorl. Band, S.207). Ein sorgfältiger Vergleich mit diesen Unterlagen ermöglichte es, in einer Reihe von Fällen gegenüber früheren Ausgaben die Texte durch bisher nicht beachtete Stellen zu ergänzen und Entzifferungsfehler zu berichtigen. Die folgende Textstelle z. B. war in bisherigen Veröffentlichungen nicht enthalten: „Tussychen hat interessanten Bericht über das Hyde Park Meeting als Augenzeugin Jennychen geschrieben." (S.72.) Außerdem wurde der Text u.a. durch die im folgenden kursiv gedruckten Wörter ergänzt: „Welch eine aufgeblasene, boshaft dumme preußische Krautjunker- und Bürokratennatur ..." (S. 185); „... haben uns gefreut, daß der ,S.D.' den Herren Abgeordneten sofort direkt ihre Feigheit vorwarf" (S.257); „... Leute, die ihr bißchen Bildung für absolut nötig halten, damit der Arbeiter nicht sich selbst befreie ..."
(S.360). Als Beispiele für Berichtigungen bisheriger Entzifferungsfehler seien genannt: „... muß redlich ausgenutzt werden", bisher „endlich" (S.222); „... wer bricht denn die Disziplin", bisher „braucht" (S.413). Von 9 Briefen liegen uns nur die Handschriften der Entwürfe vor, über den Verbleib der Briefe selbst sind wir nicht unterrichtet. Wir weisen diese Fälle im Kopf der Texte aus. Von 3 Briefen besitzen wir keine Handschriften und von 2 Briefen nur einen Teil der Handschrift. Sie werden nach Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften gebracht. Die jeweiligen Redaktionsunterlagen werden am Fuß des Briefes angegeben. 39 Briefe sind in der Handschrift englisch, sechs französisch, mehrere zweisprachig, einer holländisch, einer russisch. Sie wurden ins Deutsche übersetzt, bereits vorliegende Übersetzungen neu überprüft. Für die Wortwahl bei Übersetzungen wurden entsprechende deutschsprachige Texte aus Briefen und Werken von Marx und Engels zum Vergleich herangezogen. Alle eingestreuten Wörter aus anderen Sprachen blieben in der Originalfassung. Sie werden in Fußnoten erklärt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden - wenn die Quellen zur Verfügung standen - überprüft, fremdsprachige Zitate in Fußnoten übersetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand und die Silbenzahl in den deutschsprachigen Briefen wurden nicht verändert. Allgemein übliche Abkürzungen wurden beibehalten. Alle anderen in der Handschrift abgekürzten Wörter wurden ausgeschrieben, wobei die Ergänzung von Namen und Zeitungstiteln sowie von solchen abgekürzten Wörtern, die nicht völlig eindeutig sind, durch eckige Klammern kenntlich gemacht wird. Alle Wörter und Satzteile in eckigen Klammern stammen von der Redaktion. Offensichtliche Schreibund Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert; in allen anderen Fällen wird in den Fußnoten die Schreibweise der Handschrift angegeben. Pseudonyme sowie Bei- und Spitznamen sind entweder durch Fußnoten oder durch Verweise im Personenverzeichnis erklärt. Zur Erläuterung wurden dem Band Anmerkungen beigefügt, auf die im Text durch hochgestellte Ziffern in eckigen Klammern hingewiesen wird. Sie sollen sowohl Verbindungen zu den Arbeiten von Marx und Engels herstellen - vor allem zu den 1881-1883 entstandenen Werken, die im Band 19 unserer Ausgabe veröffentlicht sind -, als auch Daten aus dem Leben und der Tätigkeit von Marx und Engels vermitteln sowie Erläuterungen zu einzelnen Fakten und Personen geben. Unser Prinzip war hierbei,
Quellen auszunutzen, die nicht jedem Leser ohne weiteres zur Verfügung stehen, z.B. zeitgenössische Publikationen, Briefe dritter Personen an Marx und Engels usw. In einzelnen Fällen wurden wir hierbei durch Fachwissenschaftler der Deutschen Demokratischen Republik oder auch aus dem Ausland unterstützt, denen wir an dieser Stelle unseren Dank sagen. In vielen Anmerkungen werden Auszüge aus Briefen von Arbeiterführern zitiert und hierdurch zum Teil erstmalig einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht. Als Grundlage dienten hierbei sowohl die dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zur Verfügung stehenden Photokopien der Handschriften dieser Briefe, die großenteils vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU freundlicherweise überlassen wurden, als auch in Einzelfällen die einschlägigen Publikationen, vor allem die des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte zu Amsterdam. Ferner enthält der Band ein Literaturverzeichnis, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis literarischer und biblischer Namen und eine Aufstellung der Briefe, deren Datierung gegenüber früheren Ausgaben auf Grund neuer Erkenntnisse verändert wurde.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED
KARL MARX und
FRIEDRICH ENGELS
Briefe Januar 1881-März 1883

Erster Teil
Briefwechsel zwischen Marx und Engels
Januar 1881-März 1883

1881
1
Engels an Marx in Eastbourne111
122, Regent's Park Road, N. W. [London] 7. Juli 1881
Lieber Mohr, Ich habe im vorigen Brief[2J ganz vergessen, wegen Geld zu schreiben; ich bin wegen Sch[orlemmers] Anwesenheit etwas gebunden in meinen Bewegungen. Du kannst jetzt 100 ä1120 £ bekommen, und es fragt sich nur, ob Du sie alle auf einmal wünschest und wieviel nach dort und wieviel für hier? Wenn Du diesen Brief erhältst, disponiere gleich, damit ich Antwort noch morgen erhalte. Schforlemmer] und Pumps gehn nämlich morgen abend ins Theater, und ich bleibe zu Haus, ich kann dann gleich einen cheque auf Lenchens Namen schreiben und ihr bringen; Deine Frau oder Du könnt ja bestimmen, was mit dem Geld geschehn soll. Tussy und D[olly] Maitland haben beide sehr gut gespielt; die Kleine zeigte sehr viel seif possession2 und sah ganz allerliebst aus auf der Bühne. Tussy war sehr gut in den leidenschaftlichen Szenen, nur merkte man etwas, daß sie sich Ellen Terry zum Vorbild genommen, wie Radford den Irving, doch das wird sie sich bald abgewöhnen; will sie öffentlich Effekt machen, muß sie unbedingt strike out a line of her own3, und das wird sie schon. Ich höre, daß die Seeluft bis jetzt bei Deiner Frau die erwartete Wirkung noch nicht getan; das kommt manchmal in den ersten Zeiten vor; es kann und wird hoffentlich noch nachkommen. Pumps geht Montag mit Schforlemmer] nach Manchester, die kleine Lydia zurückzubringen; ich höre, daß Ihr an Tussy geschrieben habt, sie solle zu Euch kommen; ich komme dann vielleicht später, wenn Pfumps]
1 bis - 2 Sicherheit - 3 einen eigenen Stil entwickeln
wieder hier. Wir werden wohl bald nach Bridlington Quay131 gehn und später, wenn Schforlemmer] von Deutschland zurück, mit diesem nach Jersey; wenigstens sind das bis jetzt die Entwürfe. Beste Grüße von uns allen an Deine Frau und Dich. Dein F.E.
2
Marx an Engels in London
27. Juli 1881 11, Boulevard Thiers Argenteuil
Lieber Engels, Ich kann heute nicht ausführlicher schreiben, weil ich Masse Briefe zu expedieren habe und das kleine Volk mich den ersten Tag mit Recht beschlagnahmt.141 Die Reise von London nach Dover verlief so gut, als zu hoffen war; d.h. meine Frau, die sehr unwohl war, als wir von Maitland Park aufbrachen, merkte keine unvorteilhafte Veränderung infolge der Fahrt. Auf dem Schiff begab sie sich sofort in die Damenkabine, wo sie famoses Sofa zum Liegen fand. Die See war absolut ruhig, bei schönstem Wetter. Sie landete in Calais in besserem Zustand, als sie London verlassen hatte, und beschloß weiterzureisen. Die einzigen Stationen, wo wir unseren tickets gemäß die Reise nach Paris unterbrechen konnten, waren Calais und Amiens. Letzteren Ort (Fahrt nach Paris about 2 hours1) glaubte sie zu nah, um haltzumachen. Zwischen Amiens und Creil fühlte sie Herannahn der Diarrhöe, und das Eingeweideumwühlen ward auch stärker. In Creil hält der Zug nur 3 Minuten, doch hatte sie knapp die Zeit, das Nötige zu verrichten. Zu Paris, wo wir V2 8 Uhr abends ankamen, empfing uns Longuet auf der Station. Doch ging der direkte Zug von dieser Station nach Argenteuil zu spät ab, um ihn abzuwarten. Also nach der Besichtigung der Koffer durch die Douaniers2 mit cab3 nach St.Lazare-Station, von wo nach einigem Aufenthalt mit railway4 nach dem Bestimmungsort, wo wir jedoch erst um about 10 o'clock5 ankamen. Sie war sehr leidend, findet sich aber heute morgen (wenigstens jetzt, about 10 o'clock) besser, als es in London zu selber Zeit der Fall zu sein pflegte. Jedenfalls wird die Rückreise in viel kürzeren Terminen gemacht.
1 ungefähr 2 Stunden - 2 Zollbeamten - 3 Droschke - 4 Eisenbahn - 5 ungefähr 10 Uhr
Longuet stellt mich heute seinem Doktor6 vor, so daß im Fall von Wiedereintritt von Diarrhöe sofort eingeschritten wird. Wir fanden hier alle wohl, nur Johnny und Harry infolge des Temperaturwechseis (die Tage der äußersten Hitze hatten allen Kindern, namentlich Johnny, zugesetzt) etwas verkältet. Die Wohnung ist als Sommerwohnung brillant, diente offenbar ehmals als solche einem richard7. With best compliments to Pumps.8 Dein Mohr
Tussy hatte, wie es scheint, ihrem dortigen Korrespondenten9 von meiner Ankunft geschrieben, und so, erzählt mir Longuet, daß sie bereits öffentliches Geheimnis ist. Die „Anarchisten", sagt er, werden mir bösartige wahlmanövrige Absichten zuschreiben.^1 Clemenceau sagte ihm, ich habe absolut nicht von Polizei wegen zu befürchten.
6 Dourlen - 7 reichen Kerl - 8 Mit besten Grüßen an Pumps. -9 Carl Hirsch
3
Engels an Marx in Argenteuil
1, Sea View Bridlington Quay, Yorkshire 29. Juli 1881
Lieber Mohr, Ich erhielt Deinen Brief gestern morgen noch vor unsrer Abreise161 und war sehr froh zu erfahren, daß es Euch auf der Reise noch so verhältnismäßig gut ergangen ist. Aber Du hast recht, die Rückreise mit Unterbrechung machen zu wollen; es ist doch arg riskant, eine solche Kranke 12 Stunden auf den Beinen zu lassen. Ich hoffe nur, daß die Luft- und Szenerieveränderung die gewünschte Wirkung nicht verfehlt. Wir fuhren 10.30 ab, kamen 5.5 hier an, minus meines Koffers, der sich verirrt hatte, aber noch abends einsprang; fanden nach ca. 15 Minuten Suchen brillante und nicht zu teure Wohnung (2 Häuser von der vorigjährigen, aber weit besser in jeder Beziehung), hatten gestern einigen Regen, aber heute scheint's sich allmählich aufzuklären. Um für den uns in London in der letzten Zeit wieder vertraut gewordenen Fall des Regenwetters gedeckt zu sein, holte ich mir vorgestern von Tussy den Skaldin und die beiden ersten Bände der Maurerschen Fronhöfe.t7i Wir denken hier zunächst 3 Wochen zu bleiben, vielleicht 4, je nach Wetter und sonstigen Umständen. Cheques habe ich bei mir; wenn Du was brauchst, genier Dich nicht und gib die Summe an, die Du ungefähr gebrauchst. Deine Frau darf und soll sich nichts abgehn lassen; was sie wünscht oder wovon Ihr wißt, daß es ihr Freude macht, das muß sie haben. Tussy war vorgestern eben noch bei uns, und so ging ich mit ihr die Bücher holen und das unvermeidliche Pilsener mit ihr zu trinken. Hier kann man deutsches Bier einigermaßen entbehren, das Bitter ale1 in dem kleinen Cafe am Pier ist vortrefflich und schäumt wie deutsches.
1 englische Bitterbier
Schreibe bald wieder, wie es geht. Herzliche Grüße von uns allen an Deine Frau und Jenny. Pumps läßt noch besonders Johnny grüßen, ditto ich. Grüß auch Longuet.
Dein F.E.
4
Marx an Engels in Bridlington Quay
3. August 1881 11, Boulevard Thiers, Argenteuil
Dear Fred, Es ist mir sehr peinlich, daß ich so hart auf Deinen Exchequer1 drücke, aber die Anarchie, die während der letzten 2 Jahre in dem Haushalt einriß und allerlei Rückstände verursachte, lastet seit geraumer Zeit auf mir. Am 15ten dieses Monats muß ich in London 30 £ zahlen, und drückte mir das auf dem Kopf seit dem Tag unsrer Abreise von dort. Wann wir zurückkehren werden, ist keineswegs klar. Wir erleben hier von Tag zu Tag dieselben Wechselfälle wie in Eastbourne!1], nur mit dem Unterschied, daß plötzlich entsetzliche Schmerzen eintreten, wie namentlich gestern. Unser Doktor Dourlen, der ein ausgezeichneter Arzt ist und glücklicherweise ganz nah bei uns wohnt, griff sofort ein und wandte eins der heroischen Opiummittel an, die Donkin mit vollem Bewußtsein in Reserve hielt. Darauf hatte sie eine gute Nacht und fühlt sich heute so wohl, daß sie ausnahmsweis schon um 11 Uhr morgens aufstand und in der Umgebung Jennys und der Kinder sich zerstreut. (Die Diarrhöe wurde stopped am 2. Tage unsrer Ankunft. Dourlen sagte von vornherein: wenn nur ein accident2, sei es nichts; aber es könne auch Symptom sein, daß die Eingeweide selbst infiziert. Dies war also glücklicherweise nicht der Fall.) Die temporären „Besserungen" hindern natürlich nicht den natürlichen Fortschritt des Übels, aber sie täuschen meine Frau und befestigen Jenny trotz meiner Einsprache - in dem Glauben, daß der Aufenthalt in Argenteuil möglichst lang währen müsse. Ich weiß die Sache besser und stehe um so mehr Angst aus. Ich habe in fact gestern nacht zum erstenmal wieder einen annähernd vernünftigen Schlaf gehabt. Ich fühle mich im Kopf so dumm, als ging ein Mühlrad drin herum.181 Ich habe mich deswegen auch bis jetzt ausschließlich in Argenteuil gehalten, weder Paris besucht noch irgendeine Person daselbst durch eine Zeile encouragiert3, mich besuchen
1 Geldbeutel - 2 Einzelfall - 3 ermuntert
zu kommen. Hirsch4 hat im Büro der „Justice" bereits Longuet seine gerechte Verwunderung über diese „abstention"5 ausgesprochen. Into the bargain6 fand während der letzten 5 Tage hier ein Kotzebuesches Drama statt. Jenny hatte als Köchin a very lively young girl from the country7, mit der sie in jeder Art zufrieden war, da sie auch die Kinder aufs freundlichste behandelte. Von ihrer letzten mistress, der Frau des Dr. Reynaud (auch Arzt in Argenteuil), hatte sie nur das „negative" Zeugnis, daß sie freiwillig ihren Dienst verlassen habe. Die alte mother8 Longuet, welche, soweit möglich, Diktatur über Jenny auszuüben sucht, war damit keineswegs zufriedengestellt und hat nichts Eiligeres zu tun, als auf ihre Faust an die Frau Reynaud zu schreiben. Madame Reynaud ist eine hübsche Coquette und ihr Mann ist ein wilder Esel; es gehn also in dem Hause dieses Paars Dinge vor, wovon in Argenteuil viel gekohlt wird. Sie wußten nicht, daß ihre ehmalige Magd wieder am Ort selbst Dienst gefunden, und nun gar bei Mr.Longuet, einem intimen Freund des Dr. Dourlen, dessen Frau eine intime Feindin der Madame Reynaud! This was to be looked after.9 Also eines schönen Vormittags kommt Madame Reynaud - bis dato Jennychen persönlich unbekannt erzählt letzterer, das Mädchen habe unsaubre Affaires mit Mannspersonen gehabt (et Madame?), aber, was schlimmer, sie sei eine Diebin, dans l'espece10, sie habe ihr selbst einen goldnen Ring gestohlen; sie versichert Jenny, sie wolle die Sache en famille11, ohne Zuflucht an die „autorites"12 abmachen etc. Kurz und gut, Jennychen summons the girl13, Madame Reynaud schwatzt ihr zu und bedroht sie at the same time14, das Mädchen gesteht, retourniert ihr den Ring - und darauf denunziert Dr. Reynaud die Unglückliche dem juge de paix15. Upshot16: gestern ist sie nach Versailles abgeführt worden zum juge d'instruction17. Du weißt, daß als Rest des römischen Rechts, wo familia = servi18, der Code dieselben kleinen Verbrechen, die gewöhnlich vors Zuchtpolizeigericht kommen, an die Assisen verweist. Jenny hatte in der Zwischenzeit alle möglichen Schritte beim juge de paix, einem sehr braven Mann, getan, aber die Sache war nicht mehr in seiner Hand, sobald sie ihm offiziell denunziert war. Doch werden Jennys Aussagen, die er schriftlich aufgenommen, und die extrajudizielle19 Prozedur
4 Carl Hirsch - 5 „Enthaltung" - 6 Obendrein - 7 ein sehr lebhaftes junges Mädchen vom Lande - 8 Mutter - 9 Darum mußte man sich kümmern. -10 insonderheit -11 im Familienkreis -12 „Behörden" -13 ruf t das Mädchen -14 gleichzeitig -15 Friedensrichter -16 Ergebnis 17 Untersuchungsrichter - 18 Familie = Sklaven - 19 außergerichtliche
der Reynaud, die sie ebenfalls zu Protokoll gegeben, dem Mädchen zugut kommen. Jennys Verteidigung des Mädchens verwunderte den juge de paix, doch nahm er alles sehr humoristisch auf. Er fragte sie: Mais vous ne voulez pas defendre le vol? - Mais non, Monsieur, commencez par arreter tous Ies grands voleurs d'Argenteuil, et de Paris par dessus le marche!20 Das nächste Resultat ist, daß sie ohne Köchin. Die dumme girl von London - Schwester unsrer ehmaligen Carry - is good for nothing in that Iine21, hat außerdem die Hände voll mit den 4 Kindern. Apropos. Nordau - der den Hirsch deplaciert bei der „Vossischen Zeitung" - erhielt einen französischen Orden! Darauf denunziert Hirsch ihn bei der „ Justice"/ Diese greift das Ministerium an, das solchen Verleumder Frankreichs (er ist deutsch-ungarischer Jude, schrieb für Bismarck gegen Tissot „le vrai pays des milliards"[9i) beordene wie ditto den Bleichröder, der la belle France22 mit 10 statt mit 5 Milliarden Strafgelder1101 belasten wollte. Der Esel Nordau, in diesem Augenblick in Paris, antwortet in Brief an „Justice", worin er sich als champion23 Frankreichs repräsentiert. Wurde darauf in „Justice" und Tag nachher in „Republique fran?aise" bloßgestellt. Salut. Dein Mohr
20 Aber Sie wollen doch nicht den Diebstahl verteidigen? - Aber nein, mein Herr, beginnen Sie damit, die großen Spitzbuben von Argenteuil zu verhaften, und die von Paris noch obendrein! - 21 ist hierfür durchaus nicht zu gebrauchen - 22 das schöne Frankreich - 23 Vorkämpfer
5
Engels an Marx in Argenteuil
I, Sea View Bridlington Quay, Yorkshire 6. Aug. 1881
Lieber Mohr, Dein Brief kam vorgestern abend, dank dem Kuvert, fast offen hier an. Für gestern war Partie nach Flamborough Head verabredet, so daß ich erst heute zur Beantwortung komme. Wegen der lumpigen 30 £ laß Dir doch keine grauen Haare wachsen. Falls ich nichts Gegenteiliges von Dir höre, schicke ich Cheque dafür sehr rechtzeitig an Tussy, die Du instruieren willst. Solltest Du aber mehr gebrauchen, so laß mich's wissen, und ich mache dann den Cheque größer. Ich habe nämlich nur einige Chequeformulare mitgenommen und muß damit haushalten. Besten Dank für die Nachrichten über die Patientin. Ich würde an Deiner Stelle die von Donkin gestellte Frist so genau wie möglich einhalten, der dortige Arzt1 wird Dir dazu sicher auch behülflich sein. Sollten die Schmerzen zunehmen, so könnten sie ja am Ende unterwegs eintreten und Ihr in die größte Verlegenheit kommen. Die Mägdegeschichte ist jedenfalls für uns komischer als für das arme Jennychen; welches Glück, daß sie augenblicklich wenigstens Lenchen dort hat. Man weiß nicht, wen man von den französischen Bourgeoisen mehr bewundern soll, die alte Mutter Longuet, die unter dem Vorwand, der Jenny sittliche Mägde zu verschaffen, dafür sorgt, daß sie stets ohne Magd ist, oder die brave Doktorsfrau2, die ihr gegebnes Wort (ohne das sie den Ring nie wiederbekommen) im Interesse der öffentlichen Moral bricht, sobald sie den Ring zurück hat. Hier geht alles den gewöhnlichen ziemlich öden Seasidegang3, nur, daß ich leider das Baden aufstecken muß, da es mich immer tauber macht. Es ist mir das sehr fatal, aber es geht einmal nicht anders, wenn ich nicht vor der
1 Dourlen - 2 Reynaud - 3 Badeortbetrieb
Zeit als Allsop in der Welt herumlaufen will. Ich schreibe heute an Laura und lade sie ein, auf einige Zeit herzukommen, sie wird sich dann so einrichten können, daß sie um die Zeit wieder in London ist, wenn Ihr zurückkommt, oder doch bald nachher.1111 Inl. Brief von Gumpert, der Dich überraschen wird. Ich brauche Dir wohl nicht zu sagen, daß es sich um die in Manchester lebende Schwester4 der Londoner Berta Böcker handelt. Die Ordensverleihung an den Nordau ist wirklich unbegreiflich. Noch vor ganz kurzem sah ich sein schnoddriges Buch „Aus dem wahren Milliardenlande" in der ,,K[ölnischen] Z[eitung]" mit höchstem Behagen angezeigt.1121 Aber es stimmt insoweit mit Bleichr[öder], als auch N[ordau]s Schlußresultat dies: daß in dem Lande noch merkwürdig viel zu holen ist, was sich die preußischen hungerleidenden Junker hinter die Ohren schreiben werden. Die Tinte geht mir aus, ich hab' eben noch so viel, wie für Laura reicht, schließe also mit herzlichen Grüßen an Euch alle. Dein F.E.
Du hast sehr recht, Dich allen Hirschen etc. zum Trotz um Paris nicht mehr zu kümmern, als Dir paßt.
4 Böcker, Frau von Eduard Gumpert
6
Marx an Engels in Bridlington Quay
[Argenteuil] 9. August 1881
Dear Fred, Soeben Deinen Brief erhalten. Ich rekommandiere diesen; an Briefstieberei, sagt Longuet, ist nicht zu denken; aber rekommandierte Briefe, namentlich an solchen Nebenorten wie Argenteuil, würden rascher befördert. Wir brachten meine Frau Sonnabend nach Paris, das sie vom offnen Wagen sich entrollen sah, gefiel ihr sehr (macht auf mich Eindruck d'une foire perpetuelle1), natürlich einige Unterbrechungen und sitting down before2 den Cafes. Einen Augenblick bei Rückfahrt wurde sie übel; doch will sie wieder hin. Der Zustand wie gewöhnlich, bald unerträglich, bald stundenlang besser. Bei fortdauernder Abmagerung Zunahme der Schwäche. Gestern kleine Blutung an Hautstelle, was Doktor3 als Symptom von Schwäche betrachtet. Ich sagte ihm, wir müßten ernsthaft an Rückfahrt denken; er sagt, man könne noch einige Tage zusehn vor definitivem Entschluß. Sie selbst hat mir den Streich gespielt, da ich ihr von Rückfahrt Ende dieser Woche sprach, Masse Wäsche fortzugeben, die vor Anfang nächster Woche nicht returniert wird. Ich werde Dir jedenfalls telegraphieren, wann wir abreisen (falls nicht Zeit wäre, es noch simply4 durch Brief vorher anzuzeigen). Sonderbarerweise, obgleich ich verdammt wenig Nachtruhe und manche sorgliche Aufregung während des Tags habe, spricht alles von meinem guten Aussehn, und ist das in der Tat vorhanden. Asthma bei Jennychen stark, da das Haus sehr zugig. Das Kind ist, wie immer, heroisch. Sonntag sollte ich Helen Paris zeigen, schrieb deswegen vorher an Hirsch5, und in the nick of time6. Er wollte grad abreisen (zum großen Verdruß Kaubs und Ärger seiner Frau) nach Deutschland. Er will den Partei
1 eines ewigen Jahrmarktes - 2 Rast vor - 3 Dourlen - 4 einfach - 5 Carl Hirs ch (siehe vorl. Hand, S. 207) - 6 zur rechten Zeit
leitern in Deutschland zeigen, daß es nichts Außerordentliches ist, sich der Polizeigefahr auszusetzen. Gestern ist er abgerutscht. Gestern hier zum dejeuner Jaclard und seine Russin7, ein liebenswürdiges Paar. Heute erwartet zur selben Performance8 Lissagaray und die Frau (nebst Schwester) unsres Doktors. Von Jaclard erfuhren wir, daß er einer Wahlversammlung151, in Batignolles beigewohnt, wo sich als Kandidaten repräsentierten: Henry Maret, unser Dr. Re^nard und - Pyat, der plötzlich - selfunderstood9 mit polizeilicher Erlaubnis - und unerwartet auftauchte. Pyat wurde jämmerlich verhöhnt. Als er von der Kommune sprach, allgemeiner Schrei: Vous l'avez lächee!10 Nicht größer der Erfolg Regnards. Um paradox und tief zu scheinen, fing der Narr an mit der Erklärung: „Je suis contre la liberte!" General ho wling!11 Half ihm nichts die nachträgliche Erklärung, daß er die „liberte des congregations"12 meine. Der Kulturkämpfer fiel durch, ebenso Henry Maret. Möglich, daß die äußerste Linke an Zahl etwas zunimmt, aber Hauptresultat probably13, Sieg des Gambetta. Die kurze Wahlzeit gibt bei französischen Verhältnissen den im Besitz zahlreicher „Vesten" befindlichen faiseurs14, den voraussichtlichen Vergebern von Stellen in der Regierungsmaschinerie und Verfügern über die „Staatskasse" etc., die Entscheidung. Die „Grevysten" hätten den Gambetta schlagen können, wenn sie die Energie gehabt, nach dessen letzten failures15 seine Satelliten Cazot, Constans und Farre aus dem Cabinet zu werfen. Da nicht, sagen sich Stellenjäger, Börsenspekulanten etc. etc., Gambetta is the man! They have not dared to attack him in his strongholds, you cannot rely upon them.16 Die täglichen allgemeinen Angriffe auf ihn in der radikalen und reaktionären Presse contribute to enhance him despite all his tomfooleries17. Der Bauer dazu betrachtet Gambetta als das nec plus ultra18 möglichen Republikanismus. An Tussychen geht gleichzeitig mit diesem ein Brief ab, um sie zu instruieren. Ich werde noch einiges Geld brauchen, da die Reise diesmal teuer werden wird (der Doktor meint außerdem, einige Tage in Boulogne möchten wohltätig, der Seeluft wegen, auf die Patientin wirken), bedeutende Doktorrechnung zu gewärtigen und wir Jennychen einigermaßen kompensieren müssen für die Ausgaben, die wir ihr aufbürden.
'A.W.Korwin-Krukowskaja-8 Vorstellung-9 selbstverständlich - 10 Sie haben sie im Stich gelassen! -11 „Ich bin gegen die Freiheit!" Allgemeines Geheule! - 12 „Freiheit der religiösen Orden" -13 wahrscheinlich - 14 Schwindlern -15 Fehlschlägen - 16 Gambetta ist der Mann! Sie haben es nicht gewagt, ihn in seinen Stellungen anzugreifen, man kann sich auf sie nicht verlassen. - 17 tragen dazu bei, ihn trotz all seiner Dummheiten zu erhöhen 18 äußerste des
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
Gumpert stiftet also eine 3te (resp. 2te) Familie. Glückauf! Für einen Doktor ist der Schritt vernünftig. Die Böcker in Manchester ist meiner Frau von verschiednen Seiten sehr gepriesen worden. Salut. Dein Mohr
Beesly macht sich mehr und mehr lächerlich. Die Verherrlichung des Max Hirsch im „Labour Standard"[131 sollte durch Weiler gestopped werden.
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Engels an Marx in Argenteuil
1, Sea View, Bridlington Quay Yorkshire, 1 I.Aug. 1881
Lieber Mohr, Dein registrierter Brief kam gestern abend an, aber ebenfalls, und diesmal ganz, offen. Ich lege Dir das Kuvert bei, damit Du siehst: er war eben nicht verklebt. An Tussy habe ich, registered, soeben Cheque für £ 50 geschickt. Wünschest Du von den übrigen £ 20 (über die £ 30, von denen Du sprachst) etwas oder alles nach Paris geschickt, so kann Tussy das rascher besorgen, als Du dort einen Dir direkt eingesandten Cheque auf London eingezahlt erhalten würdest. Eine Anweisung auf Paris kann sie leicht erhalten. Wegen der französischen Wahlen bin ich ganz Deiner Ansicht. Lange wird diese Kammer ohnehin nicht sitzen, sowie das scrutin de liste1 durch, wird bald wieder aufgelöst. Gestern morgen habe ich dem Herrn Shipton angezeigt, daß er keine Leitartikel mehr von mir bekommt.1141 Kautsky hatte mir ein mattes Ding über internationale Fabrikgesetzgebung'151 zugeschickt in schlechter Übersetzung, die ich korrigierte und an Sfhipton] schickte. Gestern kommt Korrektur und Brief von S[hipton], dem 2 Stellen „zu stark" waren, von denen er eine noch dazu falsch verstanden; ob ich sie nicht mildern wolle. Ich tat's und antwortete: 1., was das heißen solle, mir Dienstag - Mittwoch hier - Änderungsanträge zu stellen, wo meine Antwort erst Donnerstag, nach Erscheinen des Blatts, zurück in London sein könne; 2., wenn dies ihm zu stark, so noch viel mehr meine weit stärkeren Artikel, wonach es besser für uns beide, wenn ich aufhöre; 3., meine Zeit erlaube nicht länger, wöchentlich regelmäßig Leitartikel zu schreiben, und hätte ich bereits vorgehabt, ihm dies nach dem TradeUnion-Congress (Sept.)[16] anzuzeigen. Unter den Umständen würde es
Listenwahlrecht
aber wohl seine Stellung zu diesem Kongreß verbessern, wenn ich schon jetzt aufhöre; 4., sei seine verfluchte Schuldigkeit gewesen, mir den Max-HirschArtikel 1131 vor dem Druck mitzuteilen. Ich könne nicht on the staff of a Paper2 bleiben which lends itself to writing up these German Trade Unions, comparable only to those very worst English ones which allow themselves to be led by men sold to, or at least paid by the middle class3. Im übrigen wünsche ich ihm viel Glück etc. Den Brief hat er heut morgen bekommen. Den allerentscheidendsten Grund hab' ich ihm nicht geschrieben: die absolute Wirkungslosigkeit meiner Artikel auf den Rest des Blatts und das Publikum. Ist eine Wirkung da, dann eine versteckte Reaktion von Seiten heimlicher freetrade Apostel4. Das Blatt bleibt dasselbe Sammelsurium aller möglichen und unmöglichen Crotchets5 und im politischen Detail ±6, aber vorwiegend, gladstonistisch. Die response7, die in einer oder 2 Nrn. einmal zu erwachen schien, ist wieder eingeschlafen. Der British working man8 will eben nicht weiter, er muß durch die Ereignisse, den Verlust des industriellen Monopols, aufgerüttelt werden. En attendant, habeat sibi.9 — Heute sind wir 14 Tage hier bei wechselndem, meist kaltem und oft dräuendem, aber nicht sehr oft wirklich regnendem Wetter. Wir bleiben mindestens noch 8, vielleicht 14 Tage hier, länger aber keinesfalls. Seit ich hier bin, nehme ich „Daily News" statt „Standard". Ist womöglich noch dummer: Anti-Vivisektionsprediger! Auch an Nachrichten ebenso arm wie ,,St[andard]". Dem Hirsch10 kann die Pläsiertour schlecht bekommen. Aber der ist einmal so. Beste Grüße an alle. Dein F.E.
2 im Mitarbeiterstab einer Zeitung - 3 die sich dazu hergibt, diese deutschen Gewerkschaften herauszustreichen, welche nur mit jenen schlechtesten englischen vergleichbar sind, die es zulassen, sich von an die Bourgeoisie verkauften oder zumindest von ihr bezahlten Leuten führen zu lassen (siehe vorl. Band, S. 209/210) -4 Freihandels-Apostel - 5 Grillen 6 mehr oder weniger - ' Gegenwirkung - 8 britische Arbeiter -9 Inzwischen mag er seinen Willen haben. -10 Carl Hirsch
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Marx an Engels in Bridlington Quay
[Argenteuil] 16. August 1881
Dear Engels, Wir müssen morgen fort, da ich Brief von Miss Maitland1 erhalten, daß Tussy very ill, will not allow Miss Maitland to attend her any longer, has called no Doctor2 etc. Vielleicht, wahrscheinlich sogar, muß Lenchen die Mama nach London geleiten; ich muß gleich hin (i.e. to-morrow3, und dann durchreisen). Dein K.M.
Ich habe an Dr. Donkin sofort wegen Tussy geschrieben; vielleicht ist er aber nicht mehr in London.
1 Dolly Maitland - 2 sehr krank, erlaubt Miß Maitland nicht, länger bei ihr zu sein, bat keinen Doktor gerufen - 3 d. h. morgen
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Engels an Marx in London
I, Sea View Bridlington Quay, Yorkshire 17ten Aug. 81
Lieber Mohr, Dein Telegramm1171 soeben erhalten. Ich hoffe, daß Deine Frau die Reise gut überstanden hat, und schließe dies daraus, daß Ihr mit dem Nachtschiff gekommen zu sein scheint. Schreib mir ein paar Zeilen, wie's geht. Wegen unsrer Abreise waren wir selbst sehr im dunkeln; wegen verschiedner Umstände konnten wir uns nicht auf morgen einrichten, wo unsre Woche abläuft. Nach Empfang Deines Telegramms haben wir uns nun mit der Landlady1 wegen der Miete für eine weitere halbe Woche verständigt und werden nun, wenn nichts dazwischen kommt, Montag abend wieder in London eintreffen. Das Wetter: fast immer trüb, drohend und kalt, ist seit gestern entschieden regnerisch, und BJridlington] Q[uay] wird unter den Umständen herzlich langweilig. Gambetta in Charonne hooted down tres-bien2!1181 Dein F.E.
1 Hauswirtin - 2 sehr gut niedergeschrien
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Engels an Marx in London
1, Sea View, Bridlington Quay 18. Aug. 1881
Lieber Mohr, Gestern abend erst Deinen Argenteuiler Brief erhalten, der Deine plötzliche Ankunft aufklärt. Ich hoffe, Tussys Unwohlsein ist nicht in Wirklichkeit bedeutend - sie schrieb mir vorgestern noch einen lustigen Brief; jedenfalls höre ich wohl heut abend oder morgen früh Näheres, ebenso, ob Deine Frau bis Boulogne oder Cal[ais] mit Dir gereist und erst da zurückgeblieben. Gestern also endlich hab* ich mir die Courage gefaßt, auch ohne Hülfsbücher Deine mathematischen Mskr.tl9] durchzustudieren, und war froh zu sehn, daß ich die Bücher nicht nötig hatte. Ich mache Dir mein Kompliment dazu. Die Sache ist so sonnenklar, daß man sich wirklich nicht genug wundern kann, wie die Mathematiker so hartnäckig darauf bestehn, sie zu mystifizieren. Aber das kommt von der vereinseitigten Denkweise der Herren. ^ resolut und ohne Umschweife — zu setzen, will ihnen nicht dx U in den Schädel. Und doch ist es klar, daß ^ erst dann der reine Ausdruck dx eines an x und y vorgegangnen Prozesses sein kann, wenn von den Quatita x und y auch die letzte Spur verschwunden, nur der Ausdruck des an ihnen vorgehenden Veränderungsprozesses ohne alle Quantität geblieben ist. Du brauchst Dich nicht zu fürchten, daß hierin ein Mathematiker Dir zuvorgekommen. Diese Art zu differenzieren ist ja viel einfacher als alle andren, so daß ich sie soeben selbst anwandte, um eine mir augenblicklich abhanden gekommne Formel abzuleiten und sie nachher auf dem gewöhnlichen Weg zu bestätigen. Das Verfahren hätte das größte Aufsehn machen müssen, besonders, da es ja klar nachweist, daß die gewöhnliche Methode mit den Vernachlässigungen von dx dy usw. positiv falsch ist. Und das ist
eine ganz besondre Schönheit daran: erst wenn —^ = __, erst dann ist die Operation mathematisch absolut richtig. Der alte Hegel hatte also ganz richtig geraten, wenn er sagte, die Differenzierung habe zur Grundbedingung, daß die beiden Variabein auf verschiednen Potenzen und mindestens eine auf mindestens der 2. oder Potenz stehn müsse.1201 Jetzt wissen wir auch weshalb. Wenn wir sagen, in y = f(x) sind x und y Variable, so ist das, solange wir dabei stehnbleiben, eine Behauptung ohne alle weitere Folgen, und x und y sind immer noch, pro tempore1, faktisch Konstante. Erst wenn sie sich wirklich, d. h. innerhalb der Funktion, verändern, werden sie in der Tat Variable, und erst dann kann das in der ursprünglichen Gleichung noch verborgne Verhältnis nicht der beiden Größen als solcher, sondern ihrer Veränderlichkeit an den Tag treten. Die erste Abgeleitete — zeigt dies Ax Verhältnis, wie es im Verlauf der wirklichen Verändrung, d.h. in jeder gegebnen Verändrung, stattfindet; die schließliche Abgeleitete = ^ zeigt es dx in seiner Allgemeinheit, rein, und daher können wir von — zu jedem dx beliebigen — kommen, während dies selbst immer nur den einzelnen Fall /Ix deckt. Um aber vom einzelnen Fall zum allgemeinen Verhältnis zu kommen, muß der einzelne Fall als solcher aufgehoben werden. Nachdem also die Funktion den Prozeß von x zu x' durchgemacht hat mit allen seinen Folgen, kann man ruhig x' wieder zu x werden lassen; es ist nicht das alte, nur dem Namen nach variable x mehr, es hat wirkliche Verändrung durchgemacht, und das Resultat der Verändrung bleibt, auch wenn wir sie selbst wieder aufheben. Endlich wird hier einmal klar, was viele Mathematiker längst behauptet, ohne rationelle Gründe dafür angeben zu können, daß der Differentialquotient das Ursprüngliche, die Differentiale dx und dy abgeleitet sind: die Ableitung der Formel selbst fordert es, daß die beiden sog. irrationellen Faktoren ursprünglich die eine Seite der Gleichung ausmachen, und erst wenn man die Gleichung auf diese ihre erste Form — = f (x) zurückdx geführt, kann man was damit machen, ist man die Irrationalen] los und setzt ihren rationellen Ausdruck dafür.
1 vorläufig
Die Sache hat mich so erfaßt, daß sie mir nicht nur den ganzen Tag im Kopf herumgeht, sondern ich auch vorige Nacht im Traum einem Kerl meine Hemdsknöpfe zum Differenzieren gab und dieser mir damit durchbrannte. Dein F.E.
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Marx an Engels in Bridlington Quay
[London] 18. August 1881
Dear Fred, Du wirst wohl jetzt die paar Zeilen erhalten haben, die ich Dir vorgestern von Argenteuil schrieb, und daraus entnommen haben, daß ich ohne meine Frau (nicht mit ihr, wie Du notwendig in Deinem Brief supponierst) hier bin. Nach Empfang der Nachricht über Tussys Zustand beschloß ich, wo möglich noch denselben Tag abzureisen; dagegen sollte meine Frau heute abreisen mit Helen, und zwar first class1, erst nach Amiens und dort übernachten; den Tag darauf nach Boulogne und dort wenigstens einen Tag ausruhn, wenn es ihr aber gefiele, 2 oder 3 Tage; von da nach Folkestone und je nach Zustand von dort gleich nach London oder aber erst (und dies schien mir das beste) mit beliebig gewähltem späterem Zug. Es war mir natürlich peinlich, mich von ihr zu trennen; aber der real support for her is Helen, my own presence2 war nicht absolut nötig. Zudem zwingt meine Abreise sie, sich endlich zu entscheiden zur Trennung von Argenteuil, was bei zunehmender Schwäche doch geschehn mußte. Ich verließ also Dienstag3 abend 7.45 Paris via Calais mit Expresstrain4 und langte in London an um about 6 o'clock (morning)5. Ich telegraphierte sofort an Dr. Donkin, der auch schon um 11 Uhr morgens erschien und lange Konsultation mit Tussy hatte. Her state is one of utter nervous dejection6; seit Wochen ißt sie sozusagen nichts, weniger als Dr.Tanner während seines Experimentes'211. Donkin sagt, daß kein organisches Leiden da ist, heart sound, lungs sound7 etc.; die Basis des ganzen Zustands sei perfect derangement of action of stomach8, dem sie das Essen abgewöhnt habe (und die Sache verschlimmert durch vieles Tee
1 erster Klasse - 2 wirkliche Beistand für sie ist Helene, meine eigene Anwesenheit 3 16.August-4Expreßzug-6 ungefährö Uhr (morgens)-6 Ihr Zustand ist eine Art äußerster nervöser Niedergeschlagenheit - 7 Herz gesund, Lunge gesund - 8 völlige Störung der Magentätigkeit
trinken; er hat ihr allen Tee sofort untersagt) und dangerously overwrought nervous system9. Daher sleeplessness, neuralgic convulsions10 etc. Es sei ein Wunder, daß ein solcher eollapse11 nicht früher eingetreten. Er hat sofort eingegriffen, und, was bei diesem Persönchen die Hauptsache ist, ihr beigebracht, daß, wenn sie gehorsame Patientin, keine Gefahr da ist; wenn sie aber auf ihrem Kopf bestehe, alles perdu1'2 sei. (Dies ist auch seine Überzeugung.) Glücklicherweise hat sie versprochen zu folgen, und sie hält, wenn sie einmal verspricht. Später, sagt er, müsse sie fort, um sich zu zerstreuen. Ich hatte meine Abreise auch deswegen beschleunigt, weil ich wußte, daß Donkin nach 17. August nach den Hebriden seine holidays13 nehmen wolle. Tussys wegen bleibt er bis Sonnabend hier und wird dann einen rempla?ant14 für sie und meine Frau hinterlassen. Die letzte Versammlung von electeurs15, wo Herr Gambetta im Innern des Versammlungsplatzes erfuhr1181, was er bei dem ersten Belleville meeting[221 nur seitens der Masse außerhalb der meetinghall erfahren hatte, bestand auch nur aus Leuten, die sein eignes committee eingeladen hatte und von denen niemand Eintritt erhielt außer nach doppeltem triage16 durch die vom Comite ernannten Commissaire. Der Skandal daher um so bedeutsamer. Der cri17, der beidemal vorherrschte, war: Galliffet! Gambetta hat so die Lektion erhalten, daß die italienische Sorte von Schamlosigkeit in Paris nicht angebracht ist. Könnte Rochefort öffentlich sprechen und hätte er sich so direkt als Gegenkandidat aufstellen können, so fiel Gambetta sicher durch. Die Arbeiterbevölkerung von Belleville hat infolge der Kommuneereignisse about 20000 Mann verloren, die großenteils durch kleine Spießbürger ersetzt worden sind. Und auch die gebliebene oder neu hinzugekommene Arbeiterbevölkerung von Belleville (beider Arrondissements) ist eine der zurückgebliebnen, arrieres18, deren Ideal, wenn es über Gambetta hinausgeht, bei Rochefort stehnbleibt: beide wurden dort als Deputierte gewählt 1869. Was den status der parti ouvrier19 zu Paris betrifft, so hat mir ein in dieser Beziehung durchaus Unparteiischer, nämlich Lissagaray, zugegeben, daß, obgleich sie nur en germe20 existiert, sie allein zählt gegenüber den Bourgeoisparteien of all nuances21. Ihre Organisation, obgleich noch dünn und plus ou moins fictive22, ist doch diszipliniert genug, daß ihr in allen arron
9 gefährlich überspanntes Nervensystem -10 Schlaflosigkeit, nervöse Zuckungen -11 Zusammenbruch -12 verloren - 13 Ferien - 14 Vertreter -15 Wählern - 16 Sichten - 17 Schrei 18 rückständigen - 19 Arbeiterpartei - 20 im Keim - 21 aller Schattierungen - 22 mehr oder weniger fiktiv
dissements möglich, Kandidaten zu ernennen, - sich in den meetings bemerkbar zu machen und die official society people zu ennuyieren23. Ich habe selbst in dieser Beziehung die Pariser Blätter aller Farben verfolgt, und es gibt keins, das sich nicht ergrimmt gegen diese general nuisance24 le parti ouvrier collectiviste'23'. Über die letzten Spaltungen der Führer der parti ouvrier ist's besser, Dir später mündlich zu berichten. Mit besten Grüßen an Pumps und Mrs.Rendstone. Dein Mohr
23 Leute der offiziellen Gesellschaft zu verärgern - 24 allgemeine Plage
12 • Marx an Engels • 19.August 1881 29
12
Marx an Engels in Bridlington Quay[24!
[London] 19. August [1881], 111/. Uhr abends Mama und Helene sind eben via Folkestone angekommen, sie hatten in Boulogne haltgemacht. Was ich Dir nicht geschrieben, Longuet und der kleine Harry sehr krank. Im Moment nichts als Unglück in der Familie. Salut. K.M.
Aus dem Französischen.
1882
13
Marx an Engfels in London
5. Januar 1882 1, St. Boniface Gardens, Ventnor
Lieber Fred, Kalt und regnig bei Tag, windstürmisch bei Nacht, ist der Durchschnittscharakter des Wetters und Klimas, das wir bis heute hier erlebt.1251 Ausnahme war der gestrige Tag, wo starkleuchtende Sonne und trocknes Wetter. - Nach Briefen, die Tussy erhalten, ist's überall so an der Südküste von England; überall Enttäuschung des nicht wenig zahlreichen Konvaleszenten- etc. Gesindels. Qui vivra verra.1 Vielleicht schlägt's zum Besseren um. Ich trage jetzt auch - (au cas de besoin2) — Maulsperre, alias Respirator3; es macht einen mit Bezug auf die notwendigen Promenaden unabhängiger von den Wetterzufällen. Der Husten oder Bronchialkatarrh ist noch hartnäckig und lästig; wohl aber Fortschritt, daß während der Nachtzeit verschiedne Stunden Schlummer eintreten ohne Anwendung von Kunstmitteln und dies trotz dem Windgetös über der nahen See; umgekehrt, der Lärm hilft zum Einschläfern. Mein Kamerad - Tussy - ist arg gequält mit den nervösen Zuckungen, Schlaflosigkeit etc. Doch hoffe ich, daß das viele Ausgehn in freier Luft da sie täglich allerlei in der „Stadt" zu besorgen hat - wohltätig auf sie wirken wird. Was mich sehr amüsiert hat, war die Anzeige der Liberal Association ich weiß nicht mehr, ob in Birmingham oder wo -, daß bei Feier irgendeines anniversary4 - nicht nur old Bright und the illustrious vestryman and
1 Wer's erlebt, wird's sehen. - 2 für den Notfall-3 Atmungsgerät-4 Jahrestages
caucusman Chamberlain5 sprechen werden'261, but that also old Obadejah's „son", Mr. Jacob Bright jr.[27] and several „Miss" Cobden, are to put in their appearance. It is not said whether one of the „Miss" Cobden or all of them will be given away to young Obadejah, so as to perpetuate in the most appropriate and safest way the Bright-Cobden stock.6 Andres Bild ist das 3000-landlords-meeting at Dublin1281, duce7 Abercorn, deren einziger Zweck ist „to maintain ... contracts and the freedom between man and man in this realm"8. Die Wut der Burschen über die Assistant Commissioners9 ist komisch. Übrigens sind sie vollständig berechtigt in ihrer Polemik gegen Gladstone, aber es sind nur die coercitive measures1291 des letzteren und seine 50000 Mann, abgesehn von der Polizei, welche diesen Herrn erlauben, ihm so kritisierend und drohend gegenüberzutreten. Der ganze Lärm soll natürlich nur John Bull vorbereiten zur Zahlung der „Kompensationskosten". Serves him right.10 Aus einliegendem Brief von Dietzgen wirst Du ersehn, daß der Unglückliche rückwärts „vorangegangen" und richtig bei der Phänomenologie „angekommen" ist. Ich halte den casus für unheilbar.001 Ich habe auch ein sehr liebenswürdiges Kondolenzschreiben von Reinhardt in Paris erhalten, der u.a. auch Dich bestens grüßen läßt. Er hatte immer große Vorliebe für meine Lebensgefährtin. Ich wünsche, ich wäre wieder aktionsfähig; leider noch nicht so weit. Mit besten Grüßen von Tussy. Dein Mohr
5 der alte Bright und der berühmte Gemeinderats- und Wahlvereinsmann Chamberlain 6 sondern daß auch des alten Obadejah „Sohn", Herr Jacob Bright jr., und verschiedene „Miß" Cobden erscheinen sollen. Nicht gesagt ist, ob eine der „Miß" Cobden oder alle miteinander dem jungen Obadejah vermählt werden sollen, um in der geeignetsten und sichersten Weise den Stamm der Bright-Cobden zu verewigen. - 7 unter Führung von 8 „Verträge und Freikeit zwischen Mensch und Mensch in diesem Reich Zu bewahren" - 9 Hilfsbeauftragten - 10 Gesehieht ihm recht.
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Engels an Marx in Ventnor
London, 8. Jan. 82
Lieber Mohr, Wir waren froh zu erfahren, daß Euer Stillschweigen keine Gründe hatte, und wenn auch bei dem ungünstigen Wetter für Dich keine großen Fortschritte zu erwarten stehn, so ist doch so viel gewonnen, daß die Gefahr von Rückfällen fast ganz beseitigt ist, und das war doch der Hauptgrund, weshalb Du nach Ventnor geschickt wurdest. Morgen hören hier die Feiertage auf, Sch[orlemmer] geht zurück nach Manchester, und die Schanzerei fängt wieder an, ich freue mich drauf, es wurde bald zuviel. Dienstag bei Lenchen, Freitag bei Pumps, gestern bei Laf[argue]s, heute bei mir - und des Morgens ewiges Pilsener -, das kann nicht ewig dauern. Lenchen war und ist natürlich immer dabei, so daß sie ihre Einsamkeit nicht zu sehr spürt. Ehe Du diese Zeilen erhältst, wirst Du Dich ergötzt haben an dem prachtvollen Proklama des alten Wilhelm1311, worin er sich für Bismarck solidarisch erklärt und behauptet, das sei alles seine freie Willensmeinung. Gut ist auch die Stelle von der seit ewigen Zeiten in Preußen bestanden habenden Unverletzlichkeit der Person des Königs. Namentlich gegenüber den Schroten des Nobiling.1321 Schöner Trost für Alex[ander] II. und III., daß ihre Person unverletzlich! Man meint übrigens, unter einer Travestie von Karl X. zu leben, wenn man solchen Schwindel liest. Im „Standard" stand auch wieder ein schöner Artikel, Brief eines russischen Generals über die Zustände und die Nihilisten1331, grade wie die preußischen Generale 1845 über Demagogen, Liberale, Juden, französische schlechte Prinzipien und ewige allgemeine Königstreue des gesunden Volkskerns schrieben und sprachen. Was die Revolution natürlich keinen Tag aufhielt. Du hast gesehn, wie die Semstwos gegen Ignatjew rebellieren, teils durch Petitionieren, teils durch direkte Weigerung des Zusammentritts.1341 Das ist ein sehr bedeutender Schritt, der erste von offiziellen Körperschaften unter Alexfander] III.
Euch wie uns wünsche ich besseres Wetter. Gestern sehr schön bei Nordwest, vor dem Ihr geschützt wart, Schforlemmer] und ich sind den ganzen Tag herumgelaufen und brachten noch bis halb eins Lenchen von Laura nach Hause, den ganzen Weg zu Fuß. Heute schnöder Regen, doch sind wir mit Sam Moore, der vorgestern wieder herkam, ein Stündchen herumgelaufen bei temporärer Besserung. Es bläst wieder hübsch draußen. Wie geht's Tussy eigentlich? Grüße an sie und an Dich von uns allen.
Dein F.E.
3 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
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Marx an Engels in London
12. Januar 1882 1, St. Boniface Gardens, Ventnor
Lieber Engels, Ich werde versuchsweis noch eine Woche (die 3. von heute) hierbleiben; bis jetzt keine Änderung des Wetters zum Besseren, vielmehr das Gegenteil. Tussy geht Montag nach London wegen einer theatralischen Vorstellung, an der sie teilnimmt, kömmt dann wieder her. Als ich London verließ, hatte ich von den 40 £, die Du mir gabst, somewhat less than1 20 zu verausgaben für Unvermeidliches. Hier kostet mich die Wohnung wöchentlich 2 Guineas, und mit Kohlen und Gas, von andren extras abgesehn, about2 2£ 15 sh.; die übrige Wochenausgabe about 4 Guineas. Es ist das teures Pflaster für die klimatische Leistung des Nests. Mit den Reisekosten habe ich about 17 £ ausgegeben und bleiben mir noch 5. Dies reicht nicht hin für die letzte Woche (inkl. Tussys incidental London trip3 und unsere wahrscheinliche gemeinsame Rückkehr nächste Woche). Es ist mir daher lieb, wenn Du mir bis Montag next some £4 nachschickst, wenn tubar. Was nun Späteres betrifft, so ist vor allem bei solchem Tussy zu ekartieren5 in Rolle meiner Begleiterin (überhaupt werde ich, wenn ich wieder aussetze, ohne Begleitung auskommen). Das Kind ist unter einer mental pressure6, die seine Gesundheit ganz untergräbt. Weder Reisen, noch change of climate7, noch physicians can do anything in this case8. Das einzige, was man für sie tun kann, ist, ihr den Willen zu tun und sie ihre theatralischen lessons9 bei Madame Jung durchmachen zu lassen. Sie brennt vor Begierde, sich, wie sie glaubt, so eine selbständige aktive Artistenlaufbahn zu eröffnen, und dies einmal zugegeben, hat sie jedenfalls recht, daß in ihrem Alter keine weitere Zeit zu verlieren. Ich möchte um
1 etwas weniger als - 2 ungefähr - 3 unvorhergesehener Ausflug nach London - 4 nächsten Montag einige £ - 5 entlasten - 6 Depression - ' Klimawechsel -8 Arzte können in diesem Fall irgend etwas tun - 9 Stunden
alles in der Welt nicht, daß das Kind sich einbilde, in Form der „Pflegerin" eines alten Mannes auf dem Familienaltar geopfert zu werden. In der Tat: ich bin überzeugt, daß Madame Jung pro nunc10 ihr einziger Arzt sein kann. Sie ist nicht offen; was ich sage, ist auf Beobachtung gegründet, nicht auf ihre eignen Aussagen. Das eben Erwähnte steht nun in keinem Gegensatz dazu, daß die nächst beunruhigenden Symptome, die namentlich des Nachts, wie Miss Maitland11 (sie war 2 Tage hier) mir sagte, erschreckendhysterischer Natur sind. Aber auch dagegen ist vorderhand kein andres Mittel gegeben als ihr zusagende und sie absorbierende Tätigkeit. Ich habe einige Konjekturen12 über ihre „Gemüts"angelegenheiten; doch ist der Gegenstand zu delikat, um schwarz auf weiß verhandelt zu werden. Ich habe einen Brief erhalten von Familie Sorge, geschrieben vom Alten, gegengezeichnet von Frau Sorge und Sorge jun., worin sie mir vorschlagen to turn over a new leaf13, i. e. mich in New York bei ihnen niederzulassen.1351 Jedenfalls gut gemeint! In der „Arbeiterstimme", wo C. Schramm über den Karl Bürkli herfiel, sich auf mich stützend, fällt nun Bürkli über Schramm her1361, ihm nachweisend, daß alles, was er beibringt, nichts mit der Sache zu tun hat, indem ich nirgendwo mich beschäftigt mit der Sorte Geld, die er, Bürkli, vorschlägt, nämlich „verzinsliche Hypothekenbankscheine". Wohl aber wundert sich Bürkli, daß ich nirgends des Polen August Cieszkowski („Du credit et de la circulation", Paris 1839) erwähnt, obgleich der „rauhe Proudhon" in dem „Systeme des contradictions economiques" viel, aber mit Ehrerbietung, gegen den Cieszkowski (den „Vorerfinder" der Bürklischen Bankscheine) polemisiere. Dieser Cieszkowski - ein Graf, wie der Schweiznative14 Bürkli bemerkt, und into the bargain15 ein [„Doktor der Philosophie" und „Hegelianer"]16 und sogar ein „Landsmann von Marx", nämlich als „Abgeordneter für Posen" in der „preußischen" Nationalversammlungdieser Graf etc. also besuchte mich in der Tat einmal in Paris (zur Zeit der „Deutsch-Französischen Jahrbücher") und hatte mir's so angetan, daß ich absolut nichts lesen wollte oder konnte, was er gesündigt. Merkwürdig bleibt, daß die Erfinder von „Real"kreditgeld, das zugleich als Zirkulationsmittel dienen soll, im Gegensatz zu dem, was sie „Personal"kreditgeld nennen (wie die jetzigen Banknoten), schon zur Zeit der Stiftung der Bank von England - im Interesse und Auftrag der Landaristokratie -, aber vergeblich, ihr Glück versuchten.1371 Bürkli jedenfalls im Irrwahn über
10 gegenwärtig - 11 Dolly Maitland - 12 Vermutungen -13 ein neues Blatt aufzuschlagen 14 gebürtige Schweizer -15 obendrein -16 Papier beschädigt
das „historische" Geburtsdatum seiner selbständig wiedererfundnen Cieszkowskischen „Idee"!17 Was mich vom ersten Augenblick am Bismarckschen Wilhelmmanifest131' frappiert hat, ist die Konfusion zwischen preußischem König und deutschem Kaiser! In letzter Qualität hat der Bursche ja gar keine historische Vergangenheit nicht, noch hohenzollernsche Traditionen (zu denen jetzt an der Spitze die Reise - die konstitutionelle Studienreise des „Prinz von Preußen" nach England prangt!1381). Daß Bismarck - wenn auch in alberner Weise diese Karte ausgespielt, ist reizend nach den brechenerregenden, in Untertanenliebe ersterbenden Beteurungen der Mommsen, Richter, Hänel[39J et tutti quanti18. Hoffentlich erleben wir noch was.
Dein K.M.
17 vgl. vorl. Band, S. 267/268 -18 und allen Leuten dieser Art
16
Engels an Marx in Ventnor
London, 13. Jan. 1882
Lieber Mohr, Zuerst inl. £ 20 in 4 Banknoten a 5 GK 53969, 70, 71, 72. London, 7. Okt. 1881. Ferner habe ich an Lenchen £ 10 gegeben, damit sie die Rates1 zahlen und etwas in der Hand behalten kann. Nächste Woche werden dann stärkere Summen flüssig, und wir können dann nach Deiner Rückkehr weitere Pläne machen. Sehr froh bin ich, daß Du Dich stark genug fühlst, um fernere Reisen allein machen zu können. Die Schramm-Bürkliade[36] habe ich teilweise durchflogen und mich sehr darüber amüsiert. Der Cieszkowski hat schon vor 1842 ein naturphilosophisch-botanisches Buch[405. geschrieben und, w.enn ich nicht irre, auch an den „Deutschen" oder schon „Hallischen Jahrbüchern" mitgearbeitet. Unsre Pariser Freunde haben jetzt geerntet, was sie gesät. Was wir beide ihnen vorhersagten, ist wörtlich eingetroffen. Mit ihrer Ungeduld haben sie sich eine vortreffliche Position verdorben, die eben nur durch Diskretion und Wartenkönnen auszunutzen war. In die ihnen von Malon und Br[ousse] ganz nach altallianzistischer Art'411 gestellte Falle der bloß andeutenden, nie öffentlich Namen nennenden und im geheimen mündlich ergänzenden Verleumdung sind sie hineingelaufen wie Schuljungen (Lafargue voran), indem sie namentlich angreifend antworteten und nun als Friedensstörer verrufen werden. Dabei ist ihre Polemik kindisch; sobald man die Antwort des Gegners liest, zeigt sich das sofort. So unterschlägt Guesde wesentliche, qualifizierende Stellen des Joffrin, weil sie ihm unbequem, und verschweigt das Faktum, daß trotz seiner Opposition das Co mite national[42] beschlossen hatte, Joffrins Programm sei radikaler als das programme minimum1431, Joffrin also von der Partei autorisiert war. Was dieser dem G[uesde] natürlich triumphierend vorreitet.1441 So faßt Laf[argue] seine
1 Abgaben
Artikel so ab, daß Malon ihm antworten kann: aber was haben wir denn anders behauptet, als daß die Kämpfe der mittelalterlichen Communiers2 gegen den Feudaladel Klassenkämpfe waren - und das bestreiten Sie, Herr Laffargue]? - Und jetzt kommen Jammerbriefe über Jammerbriefe aus Paris, sie seien hoffnungslos geschlagen und würden nächstens in der Sitzung des Comite national auch noch körperlich Keile besehn, und Guesde verzweifelt ebensosehr, wie er vor 4 Wochen übermütig war, und sieht kein andres Heil als Sezession der Minorität. Und jetzt, wo sie erstaunt merken, daß sie auch ausessen müssen, was sie eingebrockt, jetzt kommen sie zu dem löblichen Entschluß, alle Persönlichkeiten beiseite zu lassen! Ich schicke Dir eine alte ,,K[ölnische] Zfeitung]", die aber einen sehr interessanten Artikel über Rußland hat.'451 Übrigens ist das von Malon und Brfousse] verfertigte, Joffrin unterzeichnete Faktum im „Proletfaire]" (gegen Guesde) ein Prachtstück bakunistischer Polemik und ganz im Stil des „Zirkulars von Sonvillier"'461, nur gröber. Also der Ukas wegen Herabsetzung der Wykupgelder3 erlassen.1471 Die paar Perzentchen werden auch bei den kolossalen nedoimki4 viel verschlagen! Aber dem russischen Staatsschatz verschlägt jede ausbleibende Million. Übrigens hat Bismarck doch noch mehr Glück, als man erwarten sollte: der Reichstag deckt mit 2/3 Majorität seine Pilgerfahrt nach Kanossa!'481 Das ist aber auch das einzige, worüber dieser Reichstag sich einigen kann. Eine schöne Majorität: Feudale, Ultramontane, Partikularisten, Polen, Dänen, Elsässer, einige Fortschrittler, Demokrätzer und Sozialisten! Ad vocem5 Pilgerfahrt: heut morgen begegnete mir Furnivall in blauem, um den Leib gegürteten Ulster und breitkrempigem Hut - er sah genau aus, als wäre er ein Pilgeram auf der Fahrt ins Heilige Land, um den Bart des heiligen Antonius zu holen. Beste Grüße an Tussy. Dein F.E.
2 Gemeindebürger - 3 Ablösungsgelder - 4 Rückständen — 5 Betreffs
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 15. Jan. 1882
Dear Fred, Best thanks for the £ 20.1 Ich habe mich entschlossen, schon morgen abzureisen, da das Wetter sich progressiv „verkältet", was der einen geschwollnen Backe nicht wohltut. Ich verliere so nur 2 Tage, und wird damit auch das Hin- und Herreisen für Tussy überflüssig. Unsre Leute haben sich trotz aller Warnung in Paris schön hereingeritten (serves Lafargue and Guesde right2); da sie jedoch 2 Journale3 in Hand haben, können sie trotzdem mit einigem Geschick das Feld behaupten. Als einen großen Sieg nicht nur direkt in Deutschland, sondern vis-ä-vis dem Ausland generally4, betrachte ich Bismarcks Geständnis im Reichstag, daß die deutschen Arbeiter ihm etwas „gepfiffen" haben auf seinen Staatssozialismus.f49! Die lumpige Londoner Bourgeoispresse suchte stets das Gegenteil zu verbreiten. Ich habe höchst liebenswürdigen Brief von old Frankel aus „Staatsgefängnis" erhalten1501, ditto einen Brief von Wroblewski, der evidemment5 im Auftrag seiner polnischen Partei zu Genf geschrieben1511; im Eifer hat er aber vergessen, nicht nur ihre, sondern seinen eignen Namen zu zeichnen. Wenn Joffrin, wie er in dem Factotum im „Proletaire" erzählen läßt1441, seinerzeit in London eine Demonstration für Guesde gegen die dortige „Internationale" machte, so war diese Demonstration jedenfalls so platonisch, daß niemand nichts davon erfuhr außer Joffrin selbst und etwa seine allernächsten Spießgenossen, also ganz „privatim" verrichtet. Salut. Dein Mohr
1 Besten Dank für die £ 20. - 2 geschieht Lafargue und Guesde recht - 3 „Le Citoyen" und „L'£galit6" -1 im allgemeinen - 5 offensichtlich
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Marx an Engels in London
17. Febr. 82 Hotel au petit Louvre Rue de Cannebiere, Marseille
Dear Fred, Tussy hat Dir wohl gestern einige Zeilen abgesandt. Ich wollte ursprünglich erst nächsten Montag Paris verlassen; da mein State of health was rather not improving, I took at once the resolution of removing to Marseille, and thence at once, on Saturday, to sail for Algiers1. 1521 Ich hatte in Paris, begleitet von meinem Johnny, nur einen Sterblichen besucht, nämlich den Mesa. (In der Tat sollicitierte2 er, Mesa, mich zum Kohl zu viel, und ich etwas außerdem zu spät zurückkehrte nach Argenteuil, about 7 o'clock in the evening3. Die ganze Nacht wurde ich schlaflos.) Ich suchte Mesa zu überreden, daß die Freunde, namentlich Guesde, das Rendezvous gefälligst Verschoben bis zu meiner Rückkunft from Algiers. But all that in vain. In fact, Guesde is so much on all parts assailed just now, that it was important for him to have an „official" meeting on my side.4 So viel mußte man schon der Partei nachgeben müssen. Ich gab ihnen also Rendezvous, wo Guesde und Deville mit Mesa in dem Hotel de Lyon et de Mulhouse, 8, boulevard Beaumarchais, eintrafen about5 nach 5 Uhr nachmittag. Ich empfing sie erst unten im Saale der Restauration, wo Tussy und Jennychen mich dorthin von Argenteuil (Mittwoch nachmittag) begleitet. Guesde war etwas verlegen von wegen Jennychen, because he had just6 bittren Artikel gegen Longuet, although she (Jennychen) did not take no regard whatever to that incident7. Sobald die Dämchen fort, ging ich mit ihnen d'abord in ma chambre8, wo Kohl about 1 hour9, dann down10
1 Gesundheitszustand sich durchaus nicht besserte, faßte ich sofort den Entschluß, nach Marseille zu reisen und von dort sofort, am Sonnabend, nach Algier zu segeln - 2 verleitete 3 gegen 7 Uhr abends - 4 Aber alles vergebens. In der Tat wird Guesde gerade jetzt von allen Seiten so sehr angegriffen, daß es für ihn wichtig war, eine „offizielle" Zusammenkunft mit mir zu haben. (Siehe auch vorl. Band, S. 268.) - 5 etwa - 6 weil er soeben hatte - 7 obgleich sie (Jennychen) in keiner Weise auf diese Sache einging - 8 zunächst in mein Zimmer 9 ungefähr 1 Stunde - 10 hinunter
Mesa aber nun Zeit für sich zu drücken - in die Restauration, wo sie noch Muße enough11, eine bottle12 Beauve mit mir zu leeren. Um 7 Uhr waren sie „alle" geworden. With all that13, obgleich ich um 9 Uhr abends zu Bett, solcher diabolischer Wagenlärm bis 1 Uhr ununterbrochen; um die Zeit (about 1 o'clock14) hatte ich ein vomissement15, ich hatte wieder zu viel mich hereingekohlt. Die Reise nach Marseille, schöner Tag und all right16 etwas nach der Station von Lyon. Erst 1V2 Stunden d'arret at17 Cassis wegen distemper18 der Lokomotive; hin wiederum selbiges Malheur mit der Maschine at Valence, obgleich diesmal der arret nicht so lang. Unterdes ward es bitter kalt und bösig biting wind19. Statt um einige Zeit vor 12 Uhr Mitternacht erreichten wir [Marseille] erst nach 2 Uhr morgens früh; ich war more or less20, aller Bedeckung zum Trotz, gewissermaßen freezing21, und fand nur Gegenmittel im „Alkohol", again and again resorted to it22. Letzte verdrießliche epreuve23 war in der letzten Viertelstunde (oder mehr) in gare de24 Marseille, offen, kaltwindig, sehr lange Prozedur bis Überlieferung des luggage25. Heute sonnig in Marseille, aber der Wind selbst noch nicht warm. Dr. Dourlen riet mir zu logieren in oben benanntem Hotel, wo ich nach Algier morgen (Sonnabend) 5 Uhr nachmittag weg.26 Das bureau der „Paquebots ä vapeur des Postes fran?aises"27 ist hier im selben Hotel, wo ich logiere, so daß ich hier sofort Billet (für 80 frs. first class28) des Paquebots „Said" einlöste; die baggage ist ibidem hier enregistered29, also alles so bequem als möglich. Apropos. Hier [erjwischte ich einen „Proletaire" (ebenso „L'Sgalite" hier sold30); der Lafargue scheint mir stets neue useless incidents31 zu vermehren, wie vielleicht die details far from exact. As to his characterising Fourier a „Communist", he is now that they make fun of him obliged to explain in what sense he might have called Fourier as a „Communist".32 Derartige „Kühnheiten" kann man weg-, „auslegen" oder „unterlegen";
11 genug - 12 Flasche-13Bei alledem-14 ungefähr 1 Uhr - 16 Erbrechen - 16alles in Ordnung - "Aufenthalt in -18 Versagens -19 schneidender Wind - 20 mehr oder weniger 21 am Erfrieren - 22 immer wieder nahm ich meine Zuflucht zu ihm — 23 Prüfung - 24 auf dem Bahnhof von - 25 Gepäcks - 26 siehe vorl. Band, S. 43 - 27 „Französischen Postdampfschiffahrt" - 28 erster Klasse - 29 das Gepäck ist ebenfalls hier aufgegeben - 30 verkauft 31 nutzlose Zwischenfälle - 32 Einzelheiten sehr ungenau. Was seine Charakterisierung Fouriers als „Kommunisten" betrifft, ist er jetzt, da sie sich über ihn lustig machen, gezwungen zu erläutern, in welchem Sinne er Fourier als einen „Kommunisten" bezeichnet hätte.
schlimmer ist, daß such33 kleine facts überhaupt be saved34. Ich finde, daß er viel zu breit orakelt. My best compliments to Laura; I shall write her from Algiers. There is one single man sufficient as patron; it is a long letter written by Longuet to his friend Ferme35, der selbst von ehmaligem nach Algerien Deportierten (unter Nap[oleon] III.) bis zum juge d'appel36 zu Algier es so weit gebracht hat. Von Paß und dergleichen ist gar keine Rede. Auf dem Billet des Passagiers nichts inskribiert außer Vor- und Familiennamen. Grüße auch Lenchen and the other friends37. Addio! OldMohr
33 solche - 34 vermerkt werden — 35 Meine besten Grüße an Laura; ich werde ihr aus Algier schreiben. Als Fürsprecher genügt ein Mann; Longuet schrieb einen langen Brief an seinen Freund Ferme - 36 Berufungsrichter - 37 und die anderen Freunde
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Marx an Engels in London1531
21. Febr. 82 Hotel d'Orient, Alger
Lieber Fred, Marseille verließ ich am Sonnabend, 18. Febr., 5 Uhr nachmittags, auf dem „Said", excellent steamer1; die Passage war rasch, so daß um 31/2 vormittags, Montag (20. Februar) bereits Algier erreicht.1521 Die Seefahrt unterdes kalt und trotz des Schiffes mit allen Komforts die 2 Nächte mir schlaflos wegen diabolischen Lärms von Maschinerie, Wind etc. in der Kabine beunruhigend. Hier wieder mir aufbewahrt, mutatis mutandis2, selbes quid pro quo3 von der Isle of Wight1251! Diesmal nämlich die season4 ausnahmsweis kalt und naß in Algier, während selbigem dahingegen die Nizza und Mentone jetzt die meisten Besucher wegstipitzt! Jedenfalls hatte ich etwas Mißahnung und mehr als einmal insinuiert, d'abord5 mit der Riviera zu beginnen. Scheint jedoch fatalite6! Der brave juge7 empfing mich gestern aufs freundlichste; Longuets Brief hatte einen Tag vor meiner Ankunft ihn vorbereitet; er besucht mich heut, über weitere Beschlüsse zu beraten. Dann schreib' ich ausführlicher. An alle besten Grüße. Die Briefe gehn nicht jeden Tag nach Frankreich und England. Schreib mir unter meinem Namen und: Aux soins de Monsieur Ferme, juge au tribunal civil, No. 37. Route Mustapha Superieur, Alger.
1 ausgezeichneter Dampfer - 2 entsprechend abgewandelt - 3 Wechselspiel - 4 Jahreszeit 5 zuerst - 6 Verhängnis - 7 Richter [Fermel
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Marx an Engels in London
1 Mars 1882 Hotel Pension Victoria Mustapha Superieur, Boulevard Bon Accueil, Algiers (Können jetzt direkt an mich unter obiger Adresse Briefe zu richten.)
Dear Fred, Telegram an Dich117' antizipierte Postcard1, weil letzteres2 etwa nutzlose Beunruhigung verursacht hätte. Die Tatsache ist, daß dank einer Aufhäufung kleiner ungünstiger Umstände (inkl. die Seefahrt), mich tief ins Innere verfroren, mein corpus delicti3 in Algier am 20. Februar landen ließ. Monat Dezember war scheußlich in Algier, Januar günstiges Wetter, Februar kalt, resp. auch näßlich. Ich erwischte noch die 3 Tage, 20., 21., 22. Februar, die kältesten besagten letzten Monats. Schlaflos, appetitlos, starker Husten, etwas ratlos, nicht ohne hier und da Anwandlungen einer profunda melancolia4, gleich dem großen Don Quixotte. Nach Europa at once then5 zurück, unverrichteter Sache, mit den faux frais6, zudem Aussicht auf wieder 2 Nächte in einer der cabines den Kopf torturiert7 durch den Maschinenlärmskandal! Andrerseits sicher dem quid pro quos entlaufen durch sofortige Reise nach Biskra, dicht nah an der Wüste der Sahara? Doch [in] Betracht entsprechender Kommunikations- oder Transportmittel 7-8 Tage neue Reise erfordert, beschwerlich, und nach Beratung in die Verhältnisse Vertrauter keineswegs unbedenklich für einen pro nunc9 Invaliden für etwaige incidents10 bevor Ankunft in Biskra! Da mir ohnehin apresmidi11 des 22. Febr. Thermometer Günstiges hindeutete, und ich bereits am Tag meiner Ankunft mit dem guten judge12 Ferme bereits ausspioniert Hotel-Pension Victoria, verließ ich das Grand
1 sollte der Postkarte zuvorkommen -2 siehe vorl. Band, S.43 — 3 meinen geplagten Körper 4 tiefen Melancholie - 5 folglich sofort - 6 unnötigen Kosten - 7 gefoltert - 8 Wechselspiel 9 derzeitigen -10 Zwischenfälle -11 Nachmittag -12 Richter
Hotel d'Orient (woselbst auch gebettet the abominable philosophical radical Ashton Dilke - by the by in le13 „Petit Colon" und andren petits journaux Algeriens14 jeder Engländer is a lord, even Bradlaugh figures here as Lord Bradlaugh15), mit bagage auf une des collines en dehors de la fortification, du cöte de l'Est de la ville16. Hier herrliche Lage, bevor meiner chambre17 die Bucht des Mediterranean18, Hafen von Algier, villas amphitheatralisch aufsteigend die collines (des ravines au dessous des collines, d'autre collines au dessus)19; weiter entfernt des montagnes, visibles20 u.a. die Schneegipfel derriere Matifou, sur les montagnes de Kabilie, des points culminants du Djurdjura21. (Alle bestehn aus oben besagten collines aus Kalkstein.) - Am Morgen um 8 Uhr nichts Zauberhafteres als Panorama, Luft, Vegetation, europäisch-afrikanisch wunderbares melange22. Jeden Morgen - 10, oder 9-11 thereabouts my promenade23 zwischen des ravines et les collines situees au dessus de la mienne24. With all that25 lebt man nur von Staub. In first instance from26 23-26 th Febr. nur really excellent change27; aber nun (und trotzdem ich noch so verfroren, daß meine Kleidung even then28 nur dadurch von meiner Kleidung in Isle of Wight[25] und in Stadt Algier bloß davon verschieden, daß ich bis jetzt in der Villa nur den Rhinozerosüberrock durch meinen leichten ÜÄerrock ersetzt, alles andre bis jetzt nichts daran verändert) begann (und dauert jetzt vielleicht vom 27 th Febr. an auf 9 Tage) die sog. tempete, c. a. d. le tapage du vent sans de tonnerre et sans d'eclairs, dangerous and treacherous time much feared even by the natives29. Also in der Tat bis jetzt nur 3 Tage wirkliches Gute. Unterdes mein Husten ward schlimmer from day to day, le crachement abominable30, wenig Schlaf, above all a certain nasty feeling that my left side is once for all deteriorated by the perish, and my intellectual State most dejected. Thus I summoned Dr. Stephann (best Algiers doctor). I had two interviews yesterday and to-day. What to do? I am just go to Algiers to make prepare his prescriptions given; they are, after he had very seriously
13 der abscheuliche philosophische Radikale Ashton Dilke - übrigens in dem - 14 kleinen Blättern Algeriens - 15 ist ein Lord, sogar Bradlaugh erscheint hier als Lord Bradlaugh -16 einen Hügel außerhalb der Befestigungswerke, auf der Ostseite der Stadt -17 vor meinem Zimmer 18 Mittelmeers - 19 Hügel (Schluchten unterhalb der Hügel, andere Hügel darüber) 20 die Berge, sichtbar - 21 hinter Matifou, auf den Kabylischen Bergen, den höchsten Spitzen des Djurdjura - 22 Gemisch - 23 dort mein Spaziergang - 24 den Schluchten und den Hügeln, die über mir liegen - 25 Bei alledem - 28 Zunächst vom - 27 wirklich ausgezeichnete Änderung - 28 selbst dann -29 der sog. Sturm, d. h. das Heulen des Windes ohne Donner und Blitzen, gefährliche und tückische Zeit, die selbst die Eingeborenen sehr fürchten - 30 von Tag zu Tag, der Auswurf scheußlich
examined me31, 1. Collodion cantharidal, mit pinceau tätowiert32; 2. Arseniate de soude33, mit bestimmtes quantum Wasser; 1 Suppenlöffel davon bei jedem Mahle; 3. au cas de besoin34, namentlich nachts während Hustens, Suppenlöffel von mixture von codeine und julep gommeux . Er kommt wieder in 8 Tagen zu mir; meine bodily exercises36, mir vorgeschrieben, to keep within very moderate limits; no real intellectual work except some reading for my distraction37. So bin ich in der Tat nicht a bit (rather a less38 zurück) früher at39 London! Hence a man ought never delude himself by too sanguine views!40 Ich muß abbrechen, weil ich nach Algier zur Apotheke muß. By the by, you know that few people more averse to demonstrative Pathos; still, it would be a lie [not] to confess that my thought to great part absorbed by reminiscence of my wife, such a part of my best part of life! Teil my London daughters to write to Old Nick instead of expecting him to write himself first. How is Pumps going on in that serious work of man-creating ?[541 Give her my best compliments. Give my compliments to Helen; ditto Moore, Schorlemmer. Now, old good fellow. .. Yours Mohr
Apropos! Dr.Stephann, like my dear Dr. Donkin, does not forget - the cognac!41
31 vor allem ein gewisses unangenehmes Gefühl, daß meine linke Seite ein für allemal von der Krankheit verdorben ist, und mein geistiger Zustand äußerst gedrückt. Ich ließ daher Dr. Stephann kommen (den besten Arzt von Algier). Ich hatte gestern und heute zwei Unterredungen mit ihm. Was tun? Ich will gerade nach Algier gehen, um die von ihm gegebenen Rezepte anfertigen zu lassen; es sind, nachdem er mich sehr sorgfältig untersucht hatte - 32 Pinsel aufgetragen - 33 Arsenpräparat - 34 wenn nötig - 35 Mischung von Kodein und linderndem Trank - 36 körperlichen Bewegungen - 37 innerhalb sehr bescheidener Grenzen zu halten; keinerlei wirkliche geistige Arbeit, ausgenommen etwas Lektüre zur Zerstreuung - 38 ein bißchen (vielmehr etwas - 39 in - 40 Daher sollte man sich niemals allzu zuversichtlichen Selbsttäuschungen hingeben! - 41 Übrigens, Du weißt, daß wenige Menschen demonstrativem Pathos mehr abgeneigt sind; es wäre jedoch eine Lüge, wollte ich [nicht] gestehen, daß mein Denken zum großen Teil beherrscht wird von Erinnerungen an meine Frau, diesen Teil der besten Jahre meines Lebens! Sage meinen Londoner Töchtern [Laura Lafargue und Eleanor Marx], sie möchten dem Old Nick schreiben, und nicht warten, daß er ihnen zuerst schreibt. - Wie kommt Pumps bei dem ernsten Werk der Menschenschaffung voran? Meine besten Grüße an sie. - Grüß Helene von mir; ditto Moore, Schorlemmer. - Nun, altes gutes Haus. Dein Mohr - Apropos! Dr. Stephann, wie mein lieber Dr. Donkin, vergißt nicht - den Kognak!
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Marx an Engels in London1551
[Algier] 3. März 1882
Lieber Fred, Ich erhielt gestern Deinen Brief, d. d. 25.Febr.[2], nebst den ,,D[aily] News" cuts1 (O.N.2 tragisch-komisches englisch Staats- und Herzgeheimnis). Ich hoffe, Tussy wird endlich ihre Gesundheit nicht frivol damit weiter wirtschaften; daß mein Cacadou, alias Laurachen, stets blühend, weil sie vielen leiblichen Anstrengungen sich unterzieht. Von Paris noch keine Antwort mir. Das Tempete - c'est ici l'expression sacramentale3 - dauert fort seit 26. Febr., obgleich unter stets variable aspects4. Am 2. März für mich wie alle Mitlogierer allgemeiner Hausarrest for the whole day5; Regenguß vom early morning6 aus einem sky Londoner colorits7, grau in grau; diesmal aber zum erstenmal begleitet die Windstöße mit einigem Donner und Blitz; um 4 Uhr nachmittags again8 azurblauer Himmel; später wunderschöner Mondabend. Den ganzen Tag in kurzabwechselnden Pausen bald Steigen bald Sinken der Temperatur. Unterdes habe ich u.a. das Tätowieren neu angefangen; sofort in nachfolgender Nacht a remarkable improvement setting in9. - Heut morgen, 3 Mars, Tätowieren erstes Tagewerk; trotz Wind nicht intimidated10, fand Promenade in balsamischem Luftmeer von 9 Uhr bis about 1/4 to 11 most delightful11; kam zurück just vor erneuerter Erbosung der Windsbraut. In a few minutes werde ich summoned to dejeuner12, benutzt den entscheidenden Moment, noch diese few lines send to you13. Dein Mohr
1 Ausschnitten - 2 Olga Alexejewna Nowikowa - 3 Der Sturm - das ist hier der sakramentale Ausdruck - 4 wechselnden Erscheinungen - 5 den ganzen Tag über - 6 frühen Morgen 7 Himmel Londoner Färbung - 8 wieder - 9 eine bemerkenswerte Besserung einsetzend 10 eingeschüchtert -11 ungefähr 1/i vor 11 äußerst angenehm -12 In wenigen Minuten werde ich zum Frühstück gerufen -13 paar Zeilen an Dich zu senden
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Marx an Engels in London1565
[Algier] 23. März, Donnerstag [1882]
Dear Fred, Mein help1 hat mir eben - nach breakfast2 - die dichten durch gestrige Einreibung produzierten und starkgeschwollnen Wasserblasen auf Brustseite geöffnet etc.; danach mir bequem noch 1-2 Stunden weiter im Bett zu faulenzen; hier kritzele ich diese paar Zeilen auf diese Postkarte, da keine Zeit zu verlieren ist; es geht nämlich ausnahmsweis frühzeitig Bote aus dem Hause nach Algier, um dorthin zur Post Briefe etc. zu expedieren. (Montag und Mittwoch geht keine Post nach Frankreich.) Seit Dienstag (2I.März) mit obligate intervals3 Tag und Nacht neuer tobender Sturm, Donner und wenig Blitz, Regenguß abends, namentlich nachts, heut auch morgens. Frappierte mich vor allem bei Herannahen des Sturms, Nachmittag Dienstag, angezeigt durch so verfinsterten, dunkelschwarz drohend sky, truly African sirocco4 spielt Rolle in diesem Sturm. Dr. Stephann gestern hier; Examination befriedigend; Fortschritt; peccans5 noch ein niedrigstgelegenster Platz auf Brustseite und entsprechender auf Rücken. Nächste Woche (i.e. about6 Mittwoch oder Donnerstag nächste Woche) soll mein help nicht jene Plätze einreiben; Stephann hält sich dies also selbst speziell vor. Grüße an alle. Dein Mohr
1 Pfleger [Maurice Casthelaz] - 2 dem Frühstück - 3 entsprechenden Pausen - 4 Himmel, echter afrikanischer Schirokko - 6 entzündet - 6 d.h. ungefähr
Karl Marx (1882)

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Marx an Engels in London
[Algier] 31. März 82
Dear Fred, 28. März: Verdrießlicher Regencharakter dieses Tags in ersten Morgenstunden - schloß hiermit die kurze Epistel an Tussy121. Nachdem sie bereits expediert, entwickelte sich aber ein Sturm, zum erstenmal gut aufgeführt; nicht nur Windgeheul, Regenguß, Donner, sondern unaufhörlich Blitzen into the bargain1. Dies dauerte tief in die Nacht hinein, wie gewöhnlich zugleich tiefes Sinken der Temperatur. Interessant die Farbenteilung der Wogen in der fast Ellipsesektion bildenden schönen Bucht: schneeweiß die Brandung, umgürtet von dem aus Blau ins Grün verwandelten Seewasser. 29. März (Mittwoch): Verdrießlicher Landregen, nicht minder verdrießlich die stöhnenden Windstöße; kaltnasse Temperatur. Diesen Tag kurz vor Dejeuner (findet statt a quarter past2 11 oder aber halb zwölf) kam Dr. Stephann zum besondren Zweck, die von ihm signalisierten und zur Attacke sich selbst vorbehaltnen niedrigsten Plätze auf Rücken und Brust der Tätowierung zu „widmen". Vorher, wie bei jeder Visite, gründliche Examination; für den bei weitem größten Teil der linken Seite viel besser status3; die untersten besagten Plätze noch nur dumpfes Geräusch statt Helmholtz* musikalischen Ton gebend, können nur nach und nach wieder in Ordnung gebracht (und das schlechte Wetter hindert Tascheren Prozeß). Stephann erklärte mir heut zum erstenmal — offenbar, weil er mich sofern repariert glaubt, um rücksichtslos zu sprechen können -, daß ich bereits bei Ankunft in Algier eine Rechute4 ernstlichster Art mitbrachte. Nur durch die vesicatoires das epanchement zu kontrahieren5. Es ging besser, als er vorhersehn konnte. Jedoch werde ich für Jahre mich sehr vorsichtig behandeln. Er werde mir eine schriftliche Konsultation zur Zeit bei Verlassen Algiers - mitgeben, namentlich auch für meinen Londoner Arzt6. Bei Leuten von meinem Alter müsse das Experiment von
1 obendrein - 2 ein Viertel nach - 3 Zustand - 4 einen Rückfall-5 Zugpflaster der Erguß zusammenzuziehen - 6 Donkin
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
rechutes keineswegs oft zu repetieren7. Einige Stunden nach dem Dejeuner begann das Tableau8 auf meiner Haut grimmernst zu lebendig; jemand, wie fühlt, seine Epidermis zu kurz geworden und wolle er selbst aus ihr herausplatzen; die ganze Nacht durch peinvoll; kratzen war mir aufs absolute verboten. 30. März: Um 8 Uhr morgens mein assistant-doctor, my helpmate9,— stellt sich vor meinem Bett ein. Fand sich, daß infolge spontaner Bewegungen hatten die Blasen generally10 geplatzt; eine wahre Überschwemmung, die Leintuch, Flanell, Hemd getränkt, hatte sich im Lauf der Nacht entwickelt. Die Tatuierung11 hatte also gehörige Wirkung auf die Angriffspunkte hervorgebracht. Mein liebenswürdiger help verband mich dann sogleich, so daß nicht nur Reibung mit dem Flanell verhindert, sondern auch das Aufsaugen von Wasser noch nachträglich bequem vorangehe. Heute (31. März) morgen fand Mr. Casthelaz, daß die suction12 schließlich sich beende und die Trocknung fast fertig. In diesem Fall werde ich dann so eine zweite Tatuierung innerhalb einer Woche (vom 29. März beginnend) wahrscheinlich untergehn können. Tant mieux.13 30. März (gestern) wurde Wetter warm und angenehm um 12 Uhr vormittags, wo ich daher auf der Galerie promeniere; später schlief ich einiges, zum Ersatz für die Nachtunruhe, wie ich heut dies auch tun werde, da namentlich das strenge Vermeiden von Kratzen in der Nacht hält wach, wenn selbst, wie in der Nacht von 30. auf 31., keine Pein. Wetter heute (3I.März) zweifelhaft; jedenfalls noch nicht geregnet; wird vielleicht wie gestern relativ „gut" um die Zeit von 12 Uhr vormittag, die sich herannaht. Hiermit nichts Weiteres zu Gesundheitsbulletin hinzufügen; im ganzen alles befriedigend. Habe heut von Tussychen erhalten. Apropos, vor einiger Zeit hat sie mir einliegenden Brief geschickt; ich kann die Unterschrift nicht entziffern; das wird Dir gelingen. Jedenfalls eine sonderbare Erscheinung, ein Quedlinburger Rechtsanwalt mit eigner Weltanschauung! Nur eins mir unklar: Hat der Mann das von ihm mir bebestimmte Exemplar seines „Buchs" in Maitland Park eingetroffen, oder aber will er vorher genau meine Adresse, um sein Buch sicher angelange? Im ersten Fall soll Tussy ihm Empfang seines Buchs anzuzeigen, im 2. Fall ihm meine „sichre" Adresse senden.
7 wiederholen - 8 die Malerei - 9 mein Pfleger [Maurice Casthelaz] -10 durchweg -11 Einpinselung -12 Aussaugung -13 Um so besser.
Mon eher14, Du wie andre family members15 , werden die Irrtümer in meiner Orthographie, Konstruktion, falscher Grammatik ihnen auffallen; fällt mir immer auf - bei meiner noch sehr großen Zerstreutheit - erst post festum. Shows you16, daß an sana mens in sano corpore17 noch etwas zu klappern. By the by18 Reparatur wird sich wohl machen. Eben toesin pour dejeuner19, und danach muß dieses Brieflein bereit sein für den Boten nach Algier. Also Gruß und für alle. Dein Mohr
14 Mein Lieber -15 Familienmitglieder -16 Zeigt Euch -17 dem gesunden Geist im gesunden Körper -18 Mit der Zeit -19 Glocke zum Frühstück
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Marx an Engels in London1571
[Algier] Dienstag, 4. April 82
Dear Fred, Erhalten Deine Postkarte1581; auch kam an Laurachens Brief, d.d. 29. März. Mein bester Glückwunsch an Pumps.1541 Im ganzen geht's gut voran mit mir; aber Wetter schickt mich in den April. Am 31. März, Freitag nachmittag - einige Stunden vorher meine Zeile an Dich dispatched Besuch von Ferme; er teilte mir mit u.a. das von einem algierschen Meteorologen ihm anvertraute Geheimnis: nächste Woche werde d'abord13 Tage durch der Sirocco Wüterichen, dann selbigem 3-4 Regentage nachfolgen, endlich aber gespornt und gestiefelt normaler Frühling einspringen. Und wer's nicht glaubt, der irrt sich. Unterdes am Samstag (I.April) wie am Montag (3.April) Wärme (etwas „sehre" c/ose2), aber Wind (dieser noch nicht der Sirocco) bannte des Staubwirbels wegen mich an meine Galerie; hingegen am 2.April (Sonntag) so schöner Morgen, daß er mich zu 2 Stunden langer Promenade einlud. Letzte Nacht Windkonzert; about3 5 Uhr morgens heut Regen; seit 8 Uhr trocknes Wetter, Himmel umwölkt, fortdauernde Windstöße. Gestern abend wundervolle Mondbeleuchtung der Bucht. Ich kann mich stets von neuem nicht satt sehn an See vor meiner Galerie. Grüß Jollymeyer aufs beste, ditto die andern. Dein Mohr
1 zunächst - 2 drückend - 3 gegen
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Marx an Engels in London
[Algier] 8. April1 (Sonnabend) 82
Dear Fred, Gestern 4 Uhr nachmittag Examination durch Dr. Stephann. Er war trotz der Wetterwechsel, die beständige Erkältung neu verursachen, sehr befriedigend; fand auf dem niedriggelegnen Ort (links, auf Brustseite) das epanchement2 fast ganz verschwunden; noch mehr Widerstand eines Orts (links, niedrigliegend) auf Rückseite. Dieser wurde von ihm speziell gestern vermöbelt durch Hauttätowierung mit dem Collodion cantharidal. Folgedessen sehr lebhafte Schmerzen, dank dieser „Malerei" schlaflose Nacht (von 7. auf 8. April1), aber heut morgen auch most effective pumping of water3 der gebildeten Blasen. Ich zweifle daher nicht, daß auch dieser Punkt des Anstoßes jetzt baldigst nachgiebig. Mein assistant-doctor4, Mr. Casthelaz, hatte auf meinem grünen Wassermelonenfeld eine halbe Stunde zu wirtschaften; dann hatte ich im Bett zu liegen bis zum dejeuner 7a 12; nach dem Verband geht nämlich noch nachträgliche tropfweise Wasserentziehung bequemst in jener Lage. Stephann fand dagegen etwas Husten stärker (jedoch nur relativ, da der Husten auf sehr niedrigstes Niveau gesunken worden war) eine Folge abgeschmackten Wetters; während 4 Tage in dieser Woche Morgenstanden von mir zu Promenaden exploitierbar; seit gestern nachmittag hat Regen bis jetzt nicht aufgehört; während des Nachts und heutigen Tags the rain assumed the „caractere torrentiel"5; ein schwacher Versuch zur Feuerung des Essenssaals heut, aber diese Kamine scheinen in der Tat nicht zu diesem Zweck vorhanden, but only for show's sake6. Nach dem dejeuner aufs Ohr at 2 o'clock7, um einige Kompensation für letzte Nacht zu erwischen, aber des Teufels wegen Gerichtsferien diese Woche und nächste. So mein Plan vereitelt durch den übrigens sehr freund
1 In der Handschrift: März - 2 den Erguß - 3 höchst wirksames Wasserentziehen - 4 Pfleger 5 hat der Regen den „Wolkenbruch "-Charakter angenommen-'sondern nur als Dekoration ' um 2 Uhr
schaftlichen judge8 Ferme, ließ mich erst los about 5 Uhr p. m.9, wo die Dinnerzeit herannaht. U.a. erzählt mir Ferme, daß während seiner Friedensrichterscarriere (und dies „regulär") Art Tortur zur Erpressung der Geständnisse von Arabern angewandt wird; natürlich das tut die „Polizei" (wie die Engländer in Indien); der Richter is supposed to know nothing about all of it10. Andrerseits, erzählt er, wenn z.B. Moritat durch eine Araberbande verrichtet, meistens zum Zweck Raubs, richtig die wirklichen Missetäter nach einiger Zeit erwischt, gerichtet, geköpft werden, so genügt das der verletzten Kolonistenfamilie nicht zur Sühne. Sie verlangt mindestens into the bargain11 ein halbes Dutzend unschuldiger Araber ein bißche zu „keppe". Hier aber widerstehn die französischen Richter und namentlich die cours d'appel12, während hier oder da ein einzelner vereinsamter Richter ausnahmsweis durch die Kolonisten mit Lebensgefahr bedroht wird, wenn er nicht provisorisch (seine Kompetenz geht nicht weiter) Dutzend unschuldiger Araber des Mords, Raubeinbruchs etc. wegen als verdächtig eingesperrt zu haben und in die Untersuchung einzuwickeln gestattet. Doch wissen wir, daß, wo ein europäischer Kolonist angesiedelt oder auch nur geschäftshalber unter den „unteren Racen" verweilt, er im allgemeinen sich untastbarer betrachtet als der schöne Wilhelm I.13 Die Briten und die Holländer übertreffen die Franzosen jedoch an schamloser Arroganz, Prätention und grausamer Moloch-Sühne-Wut gegenüber den „unteren Racen". Pumps' Family Mission1541 ist vielversprechend, was man dagegen Hyndmans politische Mission von problematischer Natur betrachten darf. Daß Dein Brieflein14 ihn ennuyiert15, dient dem Burschen um so mehr, da seine Frechheit mir gegenüber nur berechnete, ich selbst könne aus „Propaganda-Rücksichten" ihn nicht öffentlich kompromittieren. Das wußte er in der Tat. Der Kankanus16 Bodenstedt und der Friedrich Vischer-Rinne-Ästhetiker sind der Horaz und der Virgil des Wilhelms I.[59] Apropos! Die „Köln[ische\ Zeitung", Artikel über Skobelew1601, die Du mir geschickt, höchst interessant. Heute (am Sonnabend) geht dieser Wisch nicht fort, weil nämlich überhaupt keine „Paquebots"17 nach Marseille am Montag, Mittwoch und Samstag; aber ausnahmsweis an Sonntagen verläßt Paquebot Algier um
8 Richter - 9 gegen 5 Uhr nachmittags -10 soll von alledem keine Ahnung haben - 11 noch obendrein - 12 Appellationsgerichte - 13 siehe vorl. Band, S. 32 - 14 siehe vorl. Band, S. 297 15 ärgert -16 Schwätzer -17 „Postschiffe"
1 Uhr mittags, und müssen Briefe zu diesem Zweck schon um 11 Uhr morgens (Sonntag) an Post abzuliefern; Hotel Victoria, Algier, schickt sonntags schon morgens früh den messenger18 mit Briefen. Die übrigen Tage, wo Paquebot von Algier nach Marseille, reisen ab 5V2 Uhr nachmittags. Ich wollte aber diese Zeilen noch morgen expediert haben, weil Dr. Stephanns letzte Examination so speziell günstig. Beste Grüße an alle. Dein Mohr
18 Boten
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[Algier] Dienstag, 18. April 82
Dear Fred, Erhielt gestern Deinen Brief'21, ditto Tussys, nebst der „kayserlichen" Sendung1611. In meinem letzten Briefe an Laurachen1 kündete ich die Erscheinung der „2 schönsten Tage"; bevor der Brief aber noch abgeschlossen, meldete sich Sirocco (die offiziellen Wetterberichte schreiben wie andere französische Drucksachen ihn bald mit ein c, bald mit 2), und sein Lärm galt mir als Ouvertüre der prophezeiten „mouvements atmospherique intenses"2. Ich gestand Laura, daß ich dieses Dings müde, in der Tat ein „Afrikamüder" und entschlossen, Algier den Rücken zu kehren, sobald der Dr. Stephann did no longer „want me"3. Vom 14. April (Nachmittag) bis 17. April Windstöße, Sturm, Regenguß, Sonnenglut, fortdauernder Wechsel (fast von Stunde zu Stunde) zwischen kalt und heiß. Heut morgen früh wunderschön; aber schon jetzt um 10 Uhr a. m.4 pfeift der Wind hinwiederum seine verdrießlichste Melodei. - Das meteorologische Büro in gestrigem Bericht - vielmehr Vorsagung - versichert für 3.-4. Mai „intense mouvement atmospherique", namentlich aber vom 7.-8. Mai (weiter in die Zukunft dringt er nicht pro nunc6); außerdem aber für selbigen Mai erste Woche so called „seismiques mouvements"6 versprochen (sollen diese „seismiques" mit geheimem Erdenbeben in periodischem Zusammenhang leben). Am 16. (Sonntag) kam Dr.Stephann; Poch-examination7, erklärte: mit der „pleuresie" keine Spur mehr (as far as to „rechute"8); dahingegen (auch linke Seite) mit dem Bronchialzustand sei er unzufriedner als bei letzter Examination. Unterdes tatouirte9 er mit großer Energie (ich hab's durch die Sonntag- (16. April) Nachmittagsstunden und die Nacht, bis
1 Siehe vorl. Band, S. 305-311 - 2 „intensiven atmosphärischen Bewegungen" - 3 mich nicht länger „brauchte" -4 vormittags-5im Augenblick-6sogenannte „seismischeBewegungen"7 Abklopfen - 8 was den „Rückfall" betrifft - 9 pinselte
frühmorgen am Montag (17. April) verdammte Zeit, seine Energie zu loben!). - Dr. Steph[ann] war übrigens ganz meiner Ansicht, das Bronchitische sei unzertrennbar von diesem Wetter; unter diesen Umständen wäre längerer hiesiger Aulenthalt ungünstig wirken. Er glaube mich mit geschriebner Konsultation entlassen zu können Ende Aprils, wenn sonst nichts Unvorgesehnes eintrete, z.B. hier brillante Wendung des Wetters oder andrerseits, was nicht wahrscheinlich, schlimmere Wendung meines Zustands. Also würde ich sonst am 2. Mai mit demselben „Said" und demselben commandant Mace (sehr netter Kerl), die mich nach Algier brachten, nach Marseille mich rücklieferten, von wo ich zu Cannes, Nice oder Mentone mein Glück versucht sollen. Solltet also weder Briefe noch Papierjournalistisches mir von London schicken, außer, wenn es geschieht just after the receipt of these lines10. In der Zwischenzeit aber, würden Entschlüsse verändert, schreibe ich Euch von hier sofort. Ich fürchte, daß „irori>XL in Algier ankommt, wenn nicht nur ich, sondern auch die family Casthelaz Afrika geräumt; alle Welt präpariert sich auf die Flucht. Du mußt die Magerkeit dieses missive12 entschuldigen. Die Nacht von 16ten auf 17ten April schlaflos von wegen der Energie der Tatouierung; von 17ten auf 18ten April keine Pein, weil gestern, 7 Uhr morgens, assistant-doctor13 bereits seine Dienste geleistet hatte; aber das Kitzeln bei beginnender Neuhäutung macht 2te Nacht ditto schlaflos. Da ich nun heut sehr früh außerdem die Morgenpromenade (und zwar während 2 Stunden) genoß, üw begrijp14 (ich weiß nicht mehr, wie die Holländer es schreiben, aber ii begreip! - Teufel weiß, wie viel sie mit dem „Begriff" zu tun - tönt mir immer noch von Zalt-Bommel1621 aus dem Mund seiner nunmehr von Pfaff Rothhaus15 geschiednen Frau, durch sie meine Cousine16 replacierten), in one word17, Du begreifst, daß ich mich aufs Ohr legen und Schlafkompensation ergattern müsse. Unterdes: Schlafe, was willst Du mehr! Nur muß ich vorher schlechten Streichs erwähnen, den die französische Autorität einem armen Räuber, armen vielfachen professionellen Mörder von Araber spielte. Erst zu allerletzt, wo, wie die infamen Cockneys18 sagten, on the moment „to launch" den armen Sünder „into eternity"19 - entdeckt er, daß er nicht erschossen, sondern guillotiniert werde! Dies gegen die Absprache! Gegen Versprechen! Er ward trotz Abrede guillotiniert. Aber nicht das alles. Seine Verwandten, wie die Franzosen es bisher
10 immittelbar nach Empfang dieser Zeilen - 11 „Eisen" - 12 Schreibens - 13 Pfleger [Maurice Casthelaz] - 14 Ihr begreift -16 A. Roodhuizen -16 Antoinette Philips -17 mit einem Wort 18 Londoner - 18 in dem Augenblick, als der arme Sünder „in die Ewigkeit" „befördert" werden sollte
erlaubt, erwarten, den Körper und den Kopf ihnen liefern, so daß sie letzten an erstem zusammennähen und „das Ganze" dann bestatten. Quod non!20 Heulen und Fluchen und Toben; die französische Autorität schlug's ab, rund ab, und zum erstenmal! Kommt der Rumpf nun ins Paradies, so fragt Mohammed, wo hast du den Kopf verloren? Oder, wie brachte der Kopf um den Rumpf? Du bist nicht würdig ins Paradies! Mach dich scheren zum Christenhunden! Und so jammern die Verwandten.
Dein Old Mohr
Auf nähere Examination - ich hatte bisher nicht befragt - sagt mir Stephann, obgleich ganz des Deutschen unkundig, Sohn eines Deutschen sei. Sein Vater aus Pfalz (Landau) war eingewandert in Algier.
20 Nichts dal
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Marx an Engels in London
[Algier] Freitag, 28. April 82
Lieber Fred, Received your letter'21 and the1 „Kölnischen] Zeit[un]gen". Diese Zeilen nur zur Nachricht, daß ich am 2. Mai (Dienstag) Algier verlassen mit demselben „Said" und selbem Commandant Mr.Mace, „lieutenant de vaisseau"2, die mich nach Algier brachten. Letzten Mittwoch besuchte ich das französische Geschwader von 6 Panzerschiffen; natürlich ich inspizierte das Admiralschiff „Le Colbert", wo ein Unteroffizier, hübscher und intelligenter Bursche, mir alles im Detail zeigte und vordemonstrierte. Echt französisch beim Weggehn sagte er mir, er sei dieses langweiligen Diensts müde und bientot3 seinen Abschied zu erhalten hoffe. Ich und meine Begleiter (des Hotel „Victoria", 3 seiner co-locataires4) erhielten erst Erlaubnis zum Eintritt nach Beendigung des „Dienstes". Wir sahen also von Nachen, alias Kahn, von da auf und ab fahrend den Manoeuvres des Admiralschiffs und der 5 andern Panzer zu. Morgen nachmittag ist „Ball" auf dem „Colbert"; ich hätte durch Ferme auch eine Einladungskarte dazu erwischen können, doch keine Zeit. Nämlich am Dienstag (25 Avril) letzte Examination durch Stephann; das Collodion-Tatouement5 zu Ende: quo-ad6 Pleuritisrückfall altogether absolved7; dagegen gehe ich morgen (Samstag) 3 Uhr nachmittag zu ihm, wo ich seine geschriebne Konsultation erhalten solle und Abschied von ihm nehme. Das Wetter jetzt teilweis heiß, aber in fact8 hat Orkan - Stürme des Sirocco tanzend - (bei Nacht durchweg und wiederholt stoßweis jeden Tag) die ganze Woche (auch to-day9) fortdauert. Es ist die Ursache, weswegen mein Husten bisher nicht nachgibt; hence10 Flucht von Algier zeitgemäß. Beste Grüße an alle. Dein Old Mohr
1 Deinen Brief erhalten und die — 2 „Leutnant zur See" -3 bald -4 Gäste - 5 Einpinseln 6 somit - 7 völlig überwunden - 8 in der Tat -9 heute -10 daher
Apropos; vor der Sonne habe ich den Prophetenbart und die Kopfperücke weggeräumt, aber (da meine Töchter dies besser haben) mich photographieren lassen vor Haaropfer auf Altar eines algierschen Barbiers. Ich erhalte die Photogramme nächsten Sonntag (30. April). Sende Euch specimina11 von Marseille. Ihr werdet daraus sehn, daß, considering12 diese Kollodionmalerei fortgewährt habend (Ludwig von Baierlandstil[631) ganzer 8 Wochen (wobei man in der Tat keinen einzigen Tag völlige Ruhe hatte)» j'ai fait encore bonne mine a mauvais jeu13.
11 Abzüge -12 in Anbetracht - 13 ich noch gute Miene zum bösen Spiel gemacht habe
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8. Mai 82 Hotel de Russie, Monte Carlo
Dear Fred, Schon 2- 3 Wochen vor Abreise (Anfang Mai) von Alger[641 war meteorologisch verkündet Seesturm. In der Tat während meiner letzten afrikanischen Tage tobte sich der Sirocco aus, mit ihm große Hitze, aber verdorben durch die Windstöße, Staubwirbel und momentan, wenn auch oft rasch verschwindend, unerwartete Abkühlung. Mein Bronchialkatarrh wurde heftiger während selber Zeit und ist noch nicht hinlänglich niedergedämpft. Der Sturm (in der Nacht vom 4. auf 5. Mai) zur See ließ auch in der Kabine den Windzug empfindlich machen; in starkem Regen (morgens den 5. Mai) traf ich in Marseille, und es dauerte Regen fort nach Nice. Auch in Monte Carlo importierte ich 1 Regentag (gestern); heute herrliches Wetter. Du siehst, ich blieb konsequent, denn vor meiner Ankunft hatte es monatelang nicht geregnet in Nizza und Monte Carlo. Diesmal war aber Neckerei, kein solcher Ernst wie in Algier. In Nizza, wo ich am 5ten und 6ten blieb, fand ich bald aus, daß der Wind hier kapriziös und konstante Gleichmäßigkeit der Temperatur keineswegs zu gewarten. Heute noch bestätigte mir meine kurze Erfahrung Dr.Delachaux, medecin-chirurgien (residiert zu Interlaken), der hier im selben Hotel logiert. Er hat auf Ferienreise Nizza, umgebenden Orte und generally1 die berühmtesten Plätze der Riviera besucht, so far with an eye to business as to ascertain which places he might best recommend to sufferers of lung diseases, bronchial catarrh of a chronic character etc. He declared decidedly against Nice, but preferred Monte Carlo even to Mentone.2 Dr.Delachaux kehrt heut noch zurück ins schweizerische Vaterland.
1 überhaupt - 2 insoweit mit einem Blick aufs Geschäft, um festzustellen, welche Plätze man Kranken mit Lungenleiden und chronischen Bronchialkatarrhen usw. am besten empfehlen kann. Er erklärte sich entschieden gegen Nizza, zog aber Monte Carlo sogar Mentone vor.
Von dem Reiz hiesiger Naturschönheit kennst Du everything3, sei es aus eigner Anschauung1651, sei es aus Gedrucktem oder Gemaltem. Es erinnert mich lebhaft ans Afrikanische in vielen Zügen. Im allgemeinen ist mit Bezug auf „warme trockne Luft", sie bald überall zu packen haben. Die Sonneflecken prophezeien intensive Aktion der Strahlen, und in Frankreich befürchtet man Wassermangel. For conscience sake4 werde ich hier den deutschen Dr. Kunemann morgen konsultieren. Ich habe bei mir geschriebne Konsultation des Dr.Stephann (aus seinen Vis[iten]karten erst ersah ich, daß Stephann auch Professeur suppleant ä l'Ecole de Medicine an der Alger faculte5), was mir weiteres Schwätzen erspart. - Sobald Stephann die Pleuresie für beendet erklärt, hatte ich auf seine (Stephanns) Vorschrift sofort mit Einreiben von Jodtinktur auf ganz oberen Plätzen (auf linker Seite) der Brust und des Rückens begonnen. Dies seit dem Einsteigen ins Seeschiff bis to-day6 unterbrach ich diese Operationen, die zudem in eigner Person nur „schwerlich" auf dem eignen Rücken selbst von mir ausführbar, obgleich Dr.Delachaux mir riet, vermittelst des Spiegels Hilfe es zu versuchen. Qui vivra verra7, jedenfalls will ich vorher den Dr. Kunemann sprechen. Ich will mich soviel möglich im Freien umhertummeln. Im Casino des Monte Carlo ist im Lesesaal fast vollständige Pariser und italienische Zeitungsliteratur; deutsche Zeitungen ziemlich repräsentiert, sehr wenig die englischen. Aus dem „Petit Marseillais'' von heutigem Datum ersah ich „l'assassinat de lord Cavendish et de M.Burke"8.[66] Das hiesige Publikum dahingegen, z.B. die Table d'höte-Genossen9 des Hotel de Russie, interessiert sich viel mehr, was sich ereignet in den salles de jeu10 des Casino (tables de roulette et de trente-et-quarante11). Namentlich amüsierte mich ein Sohn Großbritanniens, ganz unwirsch, sauertöpfisch, verbiest, and why12? Weil er eine gewisse Anzahl Goldfüchse verlor, während er doch ganz entschlossen gewesen sei, solcher zu „stibitzen". Er begriff nicht, daß die Fortuna selbst durch britische Grobheit nicht „to bully"13. Diese Zeilen müssen abschließen, da von hier Briefe per Boten erst nach Monaco auf Post zu expedieren sind. Beste Grüße an alle. _ . Dein Mohr
3 alles - 4 Zur Beruhigung des Gewissens - 6 Außerordentlicher Professor der medizinischen Fakultät in Algier - 6 heute - 7 Wer's erlebt, wird's sehen - 8 „die Ermordung des Lord Cavendish und des Herrn Burke" - 9 Tafelgenossen -10 Spielsälen -11 Roulette- und andere Hasardspieltische -12 und warum -13 „einzuschüchtern"
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Marx an Engels in London
20. Mai 82 Hotel de Russie, Monte Carlo (Monaco)
Privately. Dear Fred, Dies hier wäre nutzlos, den Kindern mitzuteilen, da es sie umsonst beängstigen würde. Doch muß ich somebody at least1 über die letzten Erfahrungen benachrichtigen. Im letzten Brief (ich weiß nicht genau, ob an Dich direkt oder an Tussy oder an Laura) schrieb ich, ich werde Dir Näheres mitteilen, nach Zusammenkunft mit Dr.Kunemann.2 Diese fand3 statt am 8.Mai; es ist ein Elsässer, wissenschaftlich (medizinisch) gebildet; teilte z.B. mir des Dr.Koch über den Bazillus mit vor Empfang Deines Briefs121; Mann mit großer Praxis; hat wenigstens 52-54 Jahre auf dem Buckel, da er 1848 Student auf der Universität zu Straßburg; als Politiker findet er im Journal „Temps" seinem Temperament entsprechendes Organ; die Wissenschaft habe ihn überzeugt, daß alles nur „langsam" voran; keine revolutionäre Überstürzung - zwingt sonst fast ebensoviel „rückwärts" danach zu marschieren (wie auf der Echtnacher Prozession1671 p.e.4); Erziehung der Masse und der „Nichtmasse" erste Bedingung etc. In one word, politically, a republican philistine5; dies all hier erwähnt, warum ich ihm gegenüber mich nicht auf dies Gebiet einließ, außer einging auf die „machiavellistische" Politik von Charles III., absoluter Tyrann von Monaco. Er hält mich für einen 1848er, und auf weiteres, außer diesem Datum, gab ich ihm über meine sonstige public activity6 keine weiteren Daten. Nun zur Sache. Ursprünglich schloß er aus meiner Visitenkarte, wo Dr. figuriert, die ich ihm durch seine Dienstbotin übermachen ließ, daß ich Dr.med. sei, worin weiter überzeugt durch die Karte des Dr. Stephann, die ich ihm übergab,
1 wenigstens irgend jemand - 2 siehe vorl. Band, S. 62 - 3 in der Handschrift: stand - 4 z.B. — 5 Mit einem Wort, politisch ein republikanischer Philister - 6 öffentliche Tätigkeit
ditto die meines neu bekannten Doktors1 aus Interlaken; Dr.Donkins Karte, den ich als Freund meines Freundes Prof. Ray Lankester erwähnte, da er wissen wollte, wer mich zu London behandelt habe etc. Dann gab ich ihm zum Lesen Stephanns consultation ecrite8. Weil er mich also selbst als Dr.med.-Kollegen, either theoretically or practically9 - betrachtete, sprach er auch rein von der Leber weg, nachdem er mich auskultiert und perkutiert. Und zu meinem Schreck - die Pleuresie wieder da, wenn auch in geringerem Grad, nur eine Stelle links auf Rückseite; Bronchite mehr oder minder dahingegen - chronisch! Er glaubte mit 1 oder 2 vesicatoires10 der Sache (pleuresie) Ende der Sache; über 9.Mai {Mardi11) erstes vesicatoire, am 13. Mai (Samedi12), 2ter nur Besuch bei Kunemann, zweites vesicatoire vorgeschrieben; konnte erst am 16.Mai (Mardi) nach Trocknung applizierbar; am 19ten Mai besuchte ich ihn (Freitag); Auskultation und Perkussion; fand es besser, namentlich auf geringes reduziert das epanchement13; er meinte (da diese Ärzte fürchten, den Patienten ginge die Geduld aus bei diesem ganze Woche jedesmal plus ou moins14 verdorben und torturiert), es sei nicht weiter notwendig voranzugehn mit vesicatoires; ich könne nur die Einreibung mit tincture of Iodide15 (mir von Stephann gegen das Bronchitische vorgeschrieben) jetzt auf obere und auch nun untere Stellen auf der linken Brust- und Rückenseite mich begnügen. Darauf dahingegen erklärte ich, wenn das epanchement noch nicht ganz verschwunden sei, ziehe ich vesicatoire abermals (für 23. Mai, Mardi) vor; von Dr.Stephann wisse ich, daß, wo es sich um Pleuresie handelt, Jodtinktur nur ein schwaches, unsichres, die Sache auf die lange Bank verschleppendes Mittel sei. Dem Kunemann selbst war es offenbar viel angenehmer, daß ich mich zur heroischen Remedur entschloß; hoffe nun, daß er mir am 26. oder 27. Mai [sagt,] diese 2te rechute16 sei nun final (pro nunc)17. In der Tat, mit Bezug hat sich diesmal das „Schicksal", konsequent, fast sogar als in Dr.Müllners Tragödien'681, schauerlich offenbart. Warum erklärt Kunemann (und ich wußte das vorher „erfahren") dies Bronchitische so „chronisch"? Weil in der ganzen Riviera das Wetter so ungewöhnlich schlecht, anormal sich wandte; doch meinte er, dies sei vielleicht sofern normal, als das Wetter Von Januar bis Beginn Mai zu wenig Regen gebracht, fast gar keinen; ein zu schönes warmes Wetter; eine Reaktion
7 Delachaux - 8 geschriebene Konsultation - 9 sei es theoretisch oder praktisch - 10 Zugpflastern -11 Dienstag -12 Sonnabend -13 der Erguß -14 mehr oder weniger -16 Jodtinktur 16 dieser 2ie Rückfall ~17 der letzte (für diesmal)
müsse dagegen eingetreten worden sein. Ich erklärte ihm daraus einfacher, daß dies alles meiner Ankunft von Algier schulde; mit 4. Mai brachte ich Regen nach Marseille und nach einigem Widerstreben nahm das Wetter mutatis mutandis18 - den von mir eben durchfahrnen Charakter des algierschen „Unwetters" am jetzigen Ort meiner Anwesenheit ein. Es gehört viel Geduld, namentlich auch seitens meiner Briefadressaten. Solche repetitio19 zu langweilig. Nutzloser, inhaltsloser, dazu teurer Lebensgang! Morgen schreib* ich an Tussy20, da ihr unbeantworteter Brief vom ältesten Datum. Heute geniert mich, da die durch vesicatoire gebildete neue Haut noch die Tendenz bei Bücken hat, sich peinlich an Wams oder an Leinen zu reiben. Notabene: Was ich an die Kinder schreibe, ist die Wahrheit, aber nicht die ganze. Wozu sie ängstigen? Dein Mohr
Dr.Kunemanns Irrtum über meinen Charakter als „ärztlichen" Kollegen klärte sich, als er beim ersten Besuch schließlich Zahlung verweigerte; war um so süßer, wenn er unterrichtet, daß ich Laie, also auch zu „blechen".
18 entsprechend abgewandelt -19 Wiederholungen - 20 siehe vorl. Band, S. 325
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
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Marx an Engels in London
[Monte Carlo] 30. Mai 82
Dear Fred, Seit der am 23. Mai stattgehabten Applikation (der 3ten in Monte Carlo) von vesicatoire1 hatte ich zwar vor heute spätere Rendezvous mit Dr.Kunemann, aber nur betreffs des „Bronchialitischen". Quo-ad2 Pleuresie fand dagegen heute lange Schlußexamination; das epanchement3 ist „weg" ; was bleibt, ist sog. trockne Pleuresie; es ist keine Feuchtigkeit mehr im Weg; aber es bleibt das Knistern von einem Fell über anderm, um die Sache falsch populär auszudrücken. Er glaubt es für nützlich, daß ich heute noch ein Vesicatoire zu guter Letzt appliziere, dann aber für ein paar wenige Tage nach Cannes emigriere und darauf nach Paris trollen könne. Die Pleuresie, meint er, habe ich sie nur ganz zufällig mir zugezogen; ebensogut, bei meinem soliden, normalen Bau, hätte ich sie niemals, aber mit demselben Recht auch vor 40 Jahren erwischen lassen - zufällig! Los sie haben schwieriger wegen der Rezidivenchancen4. Da ich in nackter Schönheit von vorn und von hinten zu paradieren, machte er mich aufmerksam, daß die linke Seite früher aufgeschwollen gegen die rechte infolge der Pleuresie gewesen; jetzt umgekehrt die linke Seite (es handelt sich um den schadhaften Platz) kontrahiert im Gegensatz zur rechten, und zwar das infolge meines traitement5. Um die letzten Reste, sozusagen die Gedächtnismarken der Pleuresie, ganz mir wegzuarbeiten, sei später durch einigen Aufenthalt auf Gebirgshöhe, wo die dünnere Luft herrscht, erreichbar. Die Lungen müßten durch solche Gymnastik, ihr durch Milieu aufgezwungne Gymnastik, wieder „berichtigt". Ich konnte die Details um so minder folgen, als er das Französische häufig durch Elsasser Deutsches, wohl auch durch einiges Yankee-Englisch (die Details) mir näherzubringen suchte6. Doch war das klar, was Dr.Stephann mir den ersten Tag gesagt: Ihr Brustkasten bleibt, was er ist; nimmt also eine
•"Zugpflastern - 2 Betreffs - 3 der Erguß - 4 Rückfallgefahr - 6 meiner Behandlung - 6 in der Handschrift: suchen
falsches Geweb den Platz der einen Lungenseite verengt, so muß die Lunge sich mit minder Raum genügen. Im Maß, wie dies Geweb entfernt, dehnt sich die Lunge wieder aus. Ich kam eben erst von Kunemann, also nahe 6 Uhr abends, was (6 Uhr) letzte Poststunde for to-day7. Morgen - von wegen der heute nacht mir schließlich applizierbaren vesicatoire - ist out of question8 Schreiben; übermorgen muß ich mich erholen, und so werdet Ihr vor 2ten oder 3ten Juni (da ich außerdem packen werden müsse) „schwörliche" weitere Nachricht erhalten. Mit besten Grüßen. Old Mohr
7 für heute - 8 außer Frage
5*
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Marx an Engels in London
Cannes, 5 Juin 82
Dear Fred, On 30th May letzte (pro Monte Carlo) Rückenbrandmarkung; am 3Ist May hielten die Nachoperationen mich in Hausarrest; am 3ten Juni ward ich von Kunemann emanzipiert und reiste selben Tag ab. Er riet mir, unter allen Umständen ein paar Tage in Cannes zu weilen1691, da dies schon die „Trocknung" der mir geschlagnen Wunden erheischten. So habe ich ganzen Monat in diesem repaire1 der vornehmen Müßiggänger oder adventurers2 vegetiert. Natur herrlich, sonst ein ödes Nest; es ist „monumental", weil es nur aus Hotels besteht; hier keine plebejische „Masse", außer dem Lumpenproletariat zugehörigen gar?ons d'hotels, de cafe etc. und domestiques3. Das alte Raubnest auf vorspringendem Fels, von 3 Seiten der Seebucht umschlossen, i.e. Monaco, wenigstens altbrüchige, mittelaltrige Sorte von italienischem Städtlein; andrerseits Condamine, meist unten am Meer, zwischen „Stadt" Monaco und der maison de jeu4 (i.e. Monte Carlo), erbaut und rasch sich vergrößernd. Monaco, in the strict sense5, ist die „Politik", der „Staat", die „Regierung"; Condamine ist die ordinaire „kleinbürgerliche" Gesellschaft; aber Monte Carlo ist „the pleasure", and, thanks to the banque de jeu, the financial basis of the whole trinity6. Sonderbar, daß diese Grimaldi sich konsequent geworden; früher lebten sie von Piraterie, und einer von ihnen' f. i.8 schrieb dem Lorenzo dei Medici, ihr Boden sei beengt, außerdem unfruchtbar; Natur weise sie deshalb auf Seeraub hin; Lorenzo sei daher wohl so großmütig, ihnen ein jährliches „Präsent" zu garantieren, da sie nicht „wagten", Jagd auf florentinische Schiffe zu machen. Lorenzo zahlte ihnen, consequently, geringes Jahrgehalt. - Nach Sieg der Holy Alliance9 über Napoleon10 machte Talleyrand,
1 Schlupfwinkel - 2 Abenteurer - 3 Kellner der Hotels, der Kaffees etc. und Dienstpersonal 4 dem Casino - 5 im engeren Sinne - 6 „das Vergnügen", und dank der Spielbank die finanzielle Basis dieser ganzen Dreieinigkeit - 7 Lamberto Grimaldi - 8 z. B. - 9 Heiligen Allianz10 Napoleon I.
der den Erzlump, den Extyrann von Monaco11, unter den Emigres12 sich zum Zeitvertreib als einen der Genossen erwählt, - also Talleyrand machte sich den Jux, ihn, den Vater „Florestans"13, zu „restaurieren" „au nom du principe de la legitimite"14. Diese 2 Restaurierten - der von Hessen Kassel15 und der von Monaco1701 - 'dies couple16 verdient zu figurieren in neuer Ausgabe des Plutarch; zugleich welcher Kontrast zwischen dem Genuesen (vor allem auf finanziellen Raub ausgehend) und dem deutschen „Patriarchen". Unser Dr. Kunemann hat doch stillen Gram, daß, bereits als des Serenissimus funktionierender Leibarzt des jetzigen (stockblinden) Charles III., er (Kun[emann]) seiner liberalen Prinzipien von wegen anstößig ward und einem Engländer (Dr. Pickering) Platz räumen mußte. The survival of the best - i.e. als Duodeztyrannenleins Leibarzt - to a Britisher, of course, warranted by the nature of the beast! And that is the worst; this same Dr. Pickering, before being called by natural selection, he had dangerously fallen ill at Monaco, was treated and cured by Dr. Kunemann.17 Solch kummervolle Verhängnisdramen gibt's in dieser Welt viele! Sonderbarerweise hat dies heiße Wetter meinen Bronchialhusten eher verschlimmert als verbessert. Natürlich um so mehr „Vorwände" zur Verkältung! Im übrigen ist Kunemann (und der Mann ist ein ausgezeichneter Arzt, kennt englische, deutsche, wie französische medizinische Literatur, Spezialist mit Bezug auf Lungen- und Brustkrankheiten) nicht Deiner Ansicht wegen Rückreise nach Paris. Ich solle es nicht in Unterbrechungen machen. Das Wetter sei nun heiß, nicht nur bei Tag, sondern auch warm bei Nacht. Daß jetzt Hauptanlässe zur Verkältung auf den Eisenbahnstationen; je öfter ich die Reise unterbrechen würde, desto öftere Möglichkeiten zu rechutes18. Dahingegen solle ich zu Cannes für die Reise 2 Flaschen guten alten Bordeaux mitholen. Er, wie Dr.Stephann, basiert auf der Base: der Magen müsse Grundlage bei Behandlung wie der Pleuresie als Bronchitis etc. zu behandeln; gut und viel essen; auch wenn es gegen den Mann, es sich „angewöhnen"; „Gutes" „trinken" und sich zerstreuen durch Fahren etc., wenn man nicht viel gehn, steigen etc. dürfe; möglichst wenig denken etc.
11 Honoratus IV. - 12 Emigranten - 13 Florestan I. - 14 „im Namen des Legitimitätsprinzips" - 16 Kurfürst Wilhelm I. - 16 Paar -17 Das Überleben der Tüchtigsten - d.h. als Duodeztyrannenleins Leibarzt - eines Briten natürlich, gewährleistet durch die Natur des Tieres! Und dies ist das schlimmste: eben dieser Dr.Pickering wurde, bevor er durch natürliche Zuchtwahl berufen worden war, in Monako schwer erkrankt, von Dr. Kunemann behandelt und geheilt. - 18 Rückfällen
So dieser „Anleitung" folgend, bin ich auf dem besten Weg zum „Idiotismus", obgleich mit alldem den Bronchialkatarrh nicht los. Der alte Garibaldi hat mir zum Trost an Bronchite „verewigt". Natürlich, at a certain age19, ist es durchaus indifferent, woran man „launched • • ((on into eternity . Ich bin hier seit 3. Juni21 und reise heut abend fort. In Nizza und diesmal auch, wo es ausnahmsweis, zu Cannes starker Wind (obgleich Warmer) und Staubwirbel. Einen gewissen Philisterhumor hat auch Natur (in der Art schon in dem „Alten Testament" die Fütterung der Schlange mit Dreck als von Darwins Würmern Dreckdiet humoristische Antizipation).1711 So geht ein solcher Naturalwitz durch die ganze Lokalpresse der Riviera. Nämlich am 24. Mai war ein entsetzlich Orage22 namentlich zu Mentone; der Blitz schlug ein dicht aupres de la gare23 (von Mentone) ein und schlug einem daneben wandelnden Philister die Sohle eines Schuhs weg, ließ aber den sonstigen übrigen Philister intakt. Mit besten Grüßen an alle. Old Mohr
Ich werde erst nach einigen Tagen meine Anwesenheit in Paris Freunden wissen [lassen]. Möglichst weniger „Umgang mit den Menschen"1721 mir noch notwendig. An Dr. Dourlen finde ich guten Arzt, um zu konsultieren.
19 in einem gewissen Alter - 20 „in die Ewigkeit eingeht" - 21 in der Handschrift: Mai 22 Gewitter - 23 beim Bahnhof
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Marx an Engels in London'731
9. Juni 82 11, Boulevard Thiers, Argenteuil
Dear Fred, Du weißt, wie die tickets of leave1, mich zu melden beim nächsten Arzt meines jedesmaligen zunächsten Aufenthalts.'741 Also gestern examination durch Dr. Dourlen. State of health exactly the same I left in which it was at Monte Carlo. As to the bronchite, I shall for a few weeks try the sulphurous waters of Enghien, about 15 minutes distance from Argenteuil; if this will not work, he wants to send me to the Pyrenees (Cauterets). (The same things had me already told by Dr. Kunemann, who, in the last time, commenced to feed me with pastilles de sulphure.) A specialist at Enghien is a special friend of Dr.Dourlen to whom he will give me a letter. Generally Dr.Dfourlen] found the tone and strength of my body much other than when I left; he was even astonished that I was in so good a condition after two rechutes et apres 14 vesicatoires. Compliments to all. QJJ
Longuet brings me every evening the „Standard", so useless to him. I have not yet written to the Gascon; my cough wams me to be careful before seeing friends.2
1 auf Bewährung entlassenen Sträflinge - 2 Gesundheitszustand genau derselbe wie beim Verlassen von Monte Carlo. Was die Bronchitis anbetrifft, so soll ich während einiger Wochen die Schwefelquellen von Enghien, ungefähr 15 Minuten von Argenteuil entfernt, versuchen; wenn dies nicht hilft, will er mich nach den Pyrenäen (Cauterets) schicken. (Dasselbe hatte mir schon Dr.Kunemann gesagt, der mich in der letzten Zeit mit Schwefelpillen zu füttern begann.) Ein Spezialarzt fDr.Feugier] in Enghien ist ein spezieller Freund des Dr. Dourlen, für den er mir einen Brief mitgeben will. Im allgemeinen fand Dr. D[ourlen] Zustand und Kraft meines Körpers bedeutend anders, als bei meinem Fortgang; er war sogar erstaunt, mich, nach zwei Rückfällen und 14 Zugpflastern, in so gutem Zustand zu sehen. - Grüße an alle. Old Mohr - Longuet bringt mir jeden Abend den „Standard", so nutzlos für ihn. Ich habe dem Gaskogner [Paul Lafargue] noch nicht geschrieben; mein Husten warnt mich, vorsichtig zu sein und keine Freunde zu empfangen.
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Marx an Engels in London1751
[Argenteuil] 15. Juni 82
Dear Fred, Ich glaubte progress berichten können seit ungefähr verflossener Woche. Aber das Sinken der Temperatur trat ein, sobald ich eingetroffen, in der Tat einen Tag nach meiner Ankunft. Dies Wetter also, nach Erklärung von Dr. Dourlen, wie von seinem medical friend1 zu Enghien, erlaubt noch nicht, die Schwefelkur zu beginnen. In meinem früheren Zustand - der glücklichen Raucherperiode - hätte ich das Wetter delightful2 gefunden! Himmel zwar mehr oder minder oft umwölkt, etwas Regen von Zeit zu Zeit, Winderregung, weniger Sommer als späterer Herbst, mit alledem für gesunde Verhältnisse ein angenehmes Wetter! Gestern - infolge von Zeilen an St. Paul, den Gaskon3 - kam er zum Besuch. I was glad to see him.4 Nach meinem avis5 verschweigt er - bis auf Weitere Ordre - meine Anwesenheit hier. Ich gehe zu Bett früh, verlasse es spät, bringe großen Teil des Tags mit den Kindern und Jennychen zu und benutzte bis jetzt zu kurzen Spaziergängen alle günstigen Momente. Ich fühle mich wohler bei all dem als at any time6 zu Algier, Monte Carlo oder Cannes. Eine Änderung auch des Wetters zum Besseren scheint hier wahrscheinlich. Ich schreibe Dir Brief, sofort meine erste Fahrt nach Enghien. Besten Gruß an alle. Dein Mohr
Tussychen hat interessanten Bericht über das Hyde Park Meeting1761 als Augenzeugin Jennychen geschrieben.
1 Dr.Feugier - 2 angenehm - 3 Paul Lafargue - 4 Ich freute mich, ihn zu sehen. - 5 Rat — 6 jemals
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Marx an Engels in London
[Argenteuil] 22. Juni 82
Dear Fred, Dein Brief121 kommt grade paar Minuten vor Postschluß, der verdammt frühzeitig ist. Also nur wenige Worte. Ich kann erst heute report progress1, weil wegen dem regnigten Wetter von Sonntag bis gestern inklusive meine Schwefeloperationen suspendiert, erst heute wieder begonnen. Zu Cauterets at present time2 ist es kalt wie der Teufel, und die Saison daselbst beginnt normally3 erst Mitte July. Also kam hier Enghien sehr gelegen, obgleich das Wetter bis jetzt nicht genügend für uninterrupted4 Benutzung der institution thermale5. Andre Leute würden sich weniger zu genieren haben, die von wegen des „residu" 6 vorsichtig sein müssen. Dr. Dourlen sagt, daß die ganze Schwierigkeit, alles zu vermeiden, was Pleuresie reproduzieren könnte. Laß die Kerls in New York ihren „Abdruck" auf eigne Faust machen und sich nur in acht nehmen vor unberechtigten Zusätzen.1771 Helen wird also Sonntag erwartet. Dem Lawrow - da ich vor jeder längeren Unterhaltung einstweilen noch zu flüchten - noch nicht Zeit, meine Anwesenheit zu wissen. Er wäre grade der Mann, um mich für Stunden schwatzen zu machen. Grüße Jennychen7. Dein K.M.
1 Fortschritt berichten - 2 gegenwärtig - 3 normalerweise - 4 ununterbrochene - 6 Thermalbäder -6 „Rests" -7 Marx meint wahrscheinlich seine Tochter Eleanor
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Marx an Engels in London[78]
[Argenteuil] 24. Juni 82
Dear Fred, Gestern erhielt ich das registered Ietter1[791; heute habe ich realisiert zu Paris. Infolge dieser Wetterschwankungen setzte sich mir Muskelrheumatism nah bei den Hüften an2; infolge davon u.a. Nacht von 22. auf 23. schlaflos wegen heftiger Schmerzen, Tag darauf ohne Essen (doch absolviert Schwefelinhalation zu Enghien gestern); Dourlen kam Abend und half mir durch Laudanumeinreibung; all right3 nun mit Bezug auf diesen incident4; nur noch schwache Andeutungen des Muskelrheumatism. Mit Bezug auf Enghien ist die erst zu beantwortende Frage - da dies vom Individuum abhängt -, ob hiesige Schwefelquelle stark genug. At all events5, Reinhardt hat sich hier Bronchite kuriert, ebenso früher Longuet. Letzterer war auch zu Cauterets at an earlier time long before his marriage. Its height above the sea level 1200-1400 metres about. I should be very glad if I should not want it for the bronchial catarrh; at all events Cauterets was out of question for this time. Helen will arrive at St. Lazare gare oix Longuet there to receive her.6 Salut. Der Mohr
1 den eingeschriebenen Brief - 2 in der Handschrift: nah - 3 alles in Ordnung - 4 Zwischenfall-5 Jedenfalls-6 in früherer Zeit, lange vor seiner Heirat. Es liegt ungefähr 1200-1400 Meter über dem Meeresspiegel. Ich wäre sehr froh, wenn ich es nicht wegen des Bronchialkatarrhs brauchte, jedenfalls kam Cauterets diesmal nicht in Frage. Helene wird am Bahnhof St.Lazare ankommen, wo Longuet sie empfangen wird.
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Marx an Engels in London'801
[Argenteuil] 4 July 82
Dear Fred, Eigentlich begann Sommer erst am 1st july (oder rather on the second only1). Ich habe bis jetzt 2 Schwefelbäder mit douches2, morgen das 3te; etwas Herrlicheres als das Spritzbad (alias douche) mir noch nicht vorgekommen; aus dem Bad steigt man auf etwas erhobnes Brett, und zwar en „nature"; der Badwärter behandelt dann die Spritze (vom Umfang von Feuerspritze) wie ein Virtuos sein Instrument, kommandiert die Bewegungen des corpus3 und bombardiert einem das corpus wechselnd alle parts {save the headi, (die Hirnplatte)), während 180 Sekunden (alias 3 minutes), bald schwächer, bald stärker, bis zu den Beinen und Füßen inkl. und stets fortschreitend crescendo. Du siehst, wie wenig man ein Mann hier schreiblustig werden kann. Vor 1/29 Uhr morgens muß ich an railway5 sein (i.e. this the time of leaving exactly for6 Enghien), rückwärts zu Argenteuil about 12 o'clock7, bald nachher dejeuner; apres8 großes Erholungsbedürfnis, da dieser Schwefel in allen Formen ermüdet; dann ins Freie etc. In dem Saal der inhalation ist die atmosphere dunkel von den Schwefeldämpfen; hier Aufenthalt 30-40 Minutes; alle 5 Minuten saugt man an gewissem Tisch mit speziellem pulverisierten, schwefelschwangeren (aus einem der Röhren (Zink) mit Kranen) Dampf; jeder Mann in Caoutchuc9 vermummt von Kopf bis Fuß, dann marschieren sie hintereinander um den Tisch herum; unschuldige Szene aus Dantes inferno'811. Gruß an Schorlemmer. Ich habe für ihn noch ein Photogramm von mir aus Algier. Lafargue kommt sich hier als gros oracle10 vor. Paris ist für ihn the only place of the world worth manhood11.
1 vielmehr erst am zweiten - 2Duschen -3 Körpers- 4 Teile (mit Ausnahme des Kopfes...) 5 an der Eisenbahn - 6 d.h. dies ist die genaue Zeit für die Abfahrt nach - ' ungefähr um 12 Uhr - 8 danach - 9 Gummikleidung - 10 gewichtiges Orakel -11 der einzige der Menschheit würdige Platz auf der Welt
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Marx an Engels in London
Jeudi, 3 Aoüt182 11, Boulevard Thiers, Argenteuil
Dear Fred, Die Schwierigkeit zum Briefschreiben erklärt sich daraus: Va 8 Uhr morgens beginne ich mit Waschen, Anziehn, Frühcoffee etc.; um halb 9 Uhr morgens Abreise nach Enghien, kehre allzumeist erst zurück um 12 Uhr, dann dejeuner in Argenteuil en famille2, von 2-4 Uhr nachmittag Ausruhen, dann Spazieren und Herumtreiben mit den Kindern, daß Hören und Sehen noch viel gründlicher (namentlich aber auch das Denken) einem ausgeht als dem Hegel der „Phänomenologie"; endlich 8 Uhr Abendsupper3 und Tagewerk hiermit vollendet. Wo bleibt dann Zeit zur Korrespondenz? Tussychen hilft dem Jennychen außerordentlich, und man könnte ihren Aufenthalt kaum als Erholungsstadium betrachten, wäre Tussy den Kindern4 nicht so gut und dem armen Jennychen, und entwickelte unter den spezifischen Umständen Eigenschaften, die in London schlummern. Tussy und Laura haben sich noch nicht gesehn und sehnen sich kaum darnach. Doch müssen sie [sich] schon anstandshalber einmal mindestens einander bei mir treffen. Zunächst nun Gesundheitsbericht. Meine Kur begann 17ten Juni. Das Wetter bis jetzt war so wenig durchschnittliches Sommerwetter (französisches), daß die Saison, die zu Enghien im Juni beginnt, als failure5 seitens des etablissement thermal6 betrachtet wird, und man hofft auf „Besseres" für August und September. Beständiger Wechsel der Temperatur, viel umwölker Himmel, namentlich des Vormittags nach Regen und orages7 ausblickend, heftige Winde, mit Wasserdämpfen schwangere Luft, daher häufig une chaleur lourde, alias Londoner „close" status8. Mit Mühe haben
1 Donnerstag, 3. August - 2 im Familienkreis - 3 Abendessen - 4 Jean, Henri, Edgar und Marcel Longuet -5 Mißerfolg-6 der Thermalbadeanstalt-7 Gewittern - 8 eine drückende Hitze, sozusagen ein Londoner „Schwüle"-Zustand
sich die Franzosen der englischen Allianz entwehrt; dagegen scheint englisches Klima (I mean9 speziell das Londoner Klima) sich mehr und mehr liier zu Paris und Umgebung zu naturalisieren. Wenigstens dies Jahr ist's so. Natürlich, dazwischen auch schöne einzelne Tage und Tagfragmente. Unter diesen Umständen ist meine Kur mit „angenehmen Hindernissen" zu ringen. Lenchen wird sich erinnern, daß an einem bestimmten Tag sowohl Dr. Feugiers Examination als die ein paar Stunden später von Dr. Dourlen vorgenommene gleichlautend ergaben: die rälements10 seien verschwunden, damit auch der „bronchiale" Charakter des Katarrhs eliminiert. Ich teilte Dir „solches" nicht mit; es ahnte mir, daß dieser Bronchialkatarrh keineswegs sein letztes Wort geröchelt. In der Tat, bei momentan verschlechtertem Wetter röchelte es von neuem. Daß der Husten nicht „verschwunden" war (natürlich viel mehr gemildert), wußte ich; aber Rest von Husten könnte bleiben, nachdem sein Charakter sich verändert. Auch letzten Montag (3I.Juli) fand Dr. Feugier bei Auskultation, daß das Röcheln immer noch fortwährt, wenn auch schwächer; das Wetter sei speziell grad für diese Arten Krankheiten böslich widrig. Im Durchschnitt brauchen die Patienten nur während 3 Wochen die Schwefelkur; viele Leute könnten in der Tat nicht länger es ertragen, ohne sich Fieberanfällen etc. auszusetzen. Bei meiner sonst kräftigeren Konstitution halte er es für das beste, bis Mitte August - da auch mein Husten namentlich morgens noch störend - die Kur zu verlängern, mit inhalation, baths, douches11 und Schwefelquelletrinken; über diesen Termin hinaus würde es zweckwidrig. Natürlich füge ich mich durchaus dem ärztlichen Rat. Allerdings wird es andrerseits wohl zu spät für den Engadinplan'821; sowohl Feugier wie Dourlen fürchten, ich könne mich sonst Temperatur-adventures12 aussetzen, die man vor allem in meinem Zustand nicht ohne Notwendigkeit herausfordere.Ich hoffe, daß Du jedenfalls für einige Tage herkommst (wo die Lafargues für Quartier in Paris leicht finden), nicht nur, um mit Dir zu beraten, que faire apres13, namentlich aber begreifst Du, wie sehr ich mich danach sehne, Dich wieder zu sehn nach allen diesen damned vesicatoires14! und ein paarmal nah beim Umkippen! Laurachen schrieb mir, daß Deville abends des 2. August nach seiner Vaterstadt Tarbes abreisen werde. Da ich aber den Wunsch geäußert, ihn zu sehn, schlug Mesa bei sich dejeuner vor am 2. August, wo ich mit den Lafargues ditto Deville und Guesde treffen werde. Dies war das erstemal,
9 ich meine -10 röchelnden Geräusche - 11 Inhalation, Bädern, Duschen - 12 TemperaturAbenteuern -13 was nachher zu tun -14 verdammten Zugpflastern
daß ich solche Zusammenkunft annahm. (Es ist immer noch das belebtere Sprechen, resp. Schwatzen, das mich angreift - post festum.) Ging gut ab. Mir scheint, daß die Leute des „Citoyen" mit ihren öffentlichen meetings über ägyptische etc. affaires Erfolg haben1831; was die Leistungen ihres Blatts dagegen angeht, ils laissent beaucoup ä desirer15. Nebenbei, abgesehrt auch Von sog. sozialistischen Journalen, ist ein großer und einflußreichster Teil der Pariser Presse unvergleichbar unabhängiger als die Londoner. Trotz des Drucks der meisten professional politicans16, trotz der Konspiration der „Republique Franfaise", des „Temps" und des „Journal des Debats" gemeinsam arbeitend unter direkter Leitung Gambettas -; nicht minder trotz der Bestechungsversuche seitens der Financiers (Rothschilds etc.), die direkt in Kreuzzug mit den Engländern gegen Ägypten interessiert - hat die Pariser Presse jeden Versuch (selbst maskierten Freycinets) zur Intervention mit England oder mit Quadrupelallianz niedergeschlagen; ohne sie hätte Clemenceau nicht den parlamentarischen Sieg errungen.184' Aber wo ist in London auch nur ein Atom „unabhängiger" Presse? Ich erinnere mich in der Tat nicht, wo Lorias grandes opus1-85' steht in meiner Bibliothek; auch scheint es mir nicht der Mühe wert, daß Du Dir die Mühe gibst, es zu suchen. Du weißt, daß nach Lesung (oder rather17 von erster Hälfte des Buches, denn die Phantasien des Herrn Loria in 2ter Hälfte, wie sein Normalideal, kleines Grundeigentum, i.e. kleines bäuerliches Eigentum, sachgemäß zu konstruieren sei - hatte ich nicht die Geduld mehr als durchzublättern) des „opus" die private eklige Schmeichelei mir gegenüber und öffentliche „Überlegenheit"-tuerei, resp. einige Fälschung meiner Ansichten, um sie bequemer widerlegen zu können - mich keineswegs erbauten. Doch, obgleich ich auf ersten Eindruck nichts mit ihm schaffen wollte, ließ ich mich näher ein, weil er Talent zeigte, weil er viel geochst hatte; weil er ein armer Teufel, der mir viel von seinem Wissensgier schrieb; weil er noch sehr jung und seine zwar keineswegs jugendlichen, vielmehr überklugalten Tendenzen begreiflich schienen teils aus italienischen Zuständen, teils aus der Schule, wovon er herkam; ebenso weil er die Methode der Untersuchung, die er im „Kapital" fand, soviel als möglich ihm damals tubar, sich anzueignen strebte, manchmal nicht ohne Erfolg. Daß er sich offenbar schmeichelte, in seinem „Grundeigentum" das „Kapital" zu antiquieren, „amüsierte" mich und gefiel mir. Mit alledem blieben mir namentlich Zweifel über den „Charakter" des Jünglings. Nachdem ich jedoch diese 2 Broschüren186' durchgelesen, gab ich Tussy
15 lassen sie viel zu wünschen übrig -16 Berufspolitiker -17 vielmehr
2 Tage nach ihrer Ankunft hier mein sehr kategorisches und definitives Endurteil - in Worten - rate! - in wörtlich denselben Ausdrücken, die selbiges Tussychen erstaunt war, in Deinem Brief vom 31.Julf2\ den ich ihr mitteilte, wiederzufinden! Also sind wir, Du und ich, genau nicht nur zum selben Resultat gekommen, sondern in exakt selbiger Formulierung desselben! Unter solchen Umständen kann man sich in Zukunft nur ironisch abwehrend ihm gegenüber halten, ohne irgendwie mehr auf die Sache eingehn! Er ist viel schlimmer als das Kauzkitzchen18, der wenigstens sehr guten Willen hat. Apropos Hirsch: Wenn er wirklich mit Mehring kollaboriert hat187', so wird die Partei ihm niemals verzeihn. Sehe ich ihn, so stelle ich ihn direkt zur Sprache. Im übrigen, mit Bezug auf die Kontroverse über meinen status, wäre es besser gewesen zu schweigen. Was sollen die Arbeiter glauben, als ob ich sozusagen nur Scheinkranker, und so viel Zeit und Mittel nur vergeudete ohne ernste Notwendigkeit! Die Lafargues ziehen nächste Woche in ihr wirkliches Quartier, das sehr hübsch und für hiesige logements19 wohlfeil sein soll. Au revoir, old boy.20 Gruß auch an Lenchen. Dein Mohr
18 Karl Kautsky -19 Wohnverhältnisse - 20 Auf Wiedersehn, alter Junge.
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Marx an Engels in London
[Argenteuil] Jeudi1, 10. August 82
Dear Fred, Nächsten Dienstag werde ich von Dr. Feugier wissen, ob mich von Enghien definitiv zurückzuziehn oder noch ein paar Tage weiter zu praktizieren. Leider bin ich gezwungen, falls ich von hier (mit Laura) nach Schweiz abziehe (nach Vevey oder dergleichen Ort ist mir empfohlen), vorher noch einiger monetary subsidy2 brauche. Nämlich ich entdeckte zufällig, daß Jenny arg getreten ist von landlord3 (und man scherzt hier nicht) für den term4, und hatte ich heut Mühe genug, sie das Geld zu nehmen und die Sache zu regulieren. Ferner hoffe ich (der einzige Widerstand seitens des Longuet, dem es total Wurst ist, ob für Jennychen das eine Erleichterung und zum Nutzen Johnnys), daß Johnny mit Tussy nach London geht, dem ich dann noch einiges Geld Tussy gebe, mit dem Jungen für 2 Wochen an die See in England ihn zu bringen. Der Hauptvorwand des Herrn Longuet, den Johnny uns nicht für Jahr überzulassen, war, daß Seebesuch in der Normandie gesundheitlich nötig für Johnny, wohin Longuet ihn demgemäß nach Caen zu old Madame Longuet5 begleiten würde. In der Tat verwildert Johnny hier, hat das wenige Anfängliche in Lesen und Schreiben in Frankreich vergessen etc., aus Langweile (i.e. aus [Nicht]Beschäftigung) ist er ungezogen geworden und macht Jennychen mehr zu tun als die 3 Kleinen6. Herr Longuet tut „nichts" für das Kind, aber seine „Liebe" besteht darin, sich ihn nicht von sich entfernen, wegen der wenigen Zeitmomente, worin er sichtbar, da er in Argenteuil meist im Bett während des Vormittags, und 5 Uhr nachmittags wieder nach Paris. Bei dem, was Jennychen bevorsteht'881, wird ihm es absolut unmöglich, <len Jungen Johnny zu bemeistern. Tussy ist an excellent disciplinarian7
1 Donnerstag - 2 einigen Geldzuschuß - 3 Hauswirt - 4 Mietbetrag - 6 Felicitas Longuet € Henri, Edgar und Marcel Longuet - 7 eine ausgezeichnete Erzieherin
und wird ihn in Ordnung bringen. Dem Longuet ist daher wenigstens der „Vorwand" entzogen, der Junge könne nicht nach England (wo Tussy ihn auch in Schule schickt), weil er „zur See" müsse; er soll „zur See", aber in England. Außer besagten Ausgaben wird mir, nach Zahlung des Doktors8 und verschiedner notwendiger Anschaffungen, nicht viel zur Reise von hier nach Schweiz übrigbleiben. Es ist mir sehr fatal, diese Pressung, aber nötig, wenn ich nicht direkt nach London zurück. Salut. Mohr
Die Angabe in den französischen Blättern, i. e. Pariser, erst in „Temps"[891, Liebknecht reise nach Paris, um „Verbindungen mit den deutschen Arbeitern anzuknüpfen und Visite zu machen dem Sozialisten Karl Marx, der nun nach Rückkehr aus Algier in Argenteuil wohne" - ich sage, diese Note in dieser Form roch „polizeilich" und selbst für Liebknecht zu taktlos. Sollte er mich hier noch treffen, so werde ich über seine „Taktlosigkeit" (alles stammt aus Wichtigtuerei-Drang) reinen Wein ihm einschenken.
8 Feugier
6 Man/Engels, Werke, Bd. 35
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Engels an Marx in Argenteuil
10, Columbia Terrace Great Yarmouth[90] 20. Aug. 82
Lieber Mohr, Die Gelder sind eingezahlt, und ich habe sofort heute bei der Bank eine Anweisung für fr. 1200 bestellt. Am Dienstag hoffe ich sie zu haben. Wie ist's mit der großen Doktorenprüfung vom vorigen Dienstag?1 Bis jetzt ganz ohne Nachricht. Gibt's Schwierigkeiten mit dem cheque, so schick ihn einfach zurück, und ich schicke Dir ebenfalls eine Anweisung auf Paris dafür. Die Geschichte war nur Notbehelf. Pumps und baby2 sehr flott, das Kleine kriegt schon zwei Zähne. Schorljemmer] geht morgen über acht Tage nach Deutschland. Das Tischdecken zwingt mich zu schließen. Dein F.E.
1 Siehe vorl. Band, S. 80 und 83 - 2 Lilian Rosher
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Marx an Engels in Great Yarmouth
Montag, 21. August 1882 11, Boulevard Thiers, Argenteuil
Dear Fred, Die „Versilberung" fand statt vorgestern. Die Woche, die mit letztem Montag begonnen, zeichnete sich aus durch abominables1 Wetter; Regen (kalt z.T.), Stürme, Schwüle; vor allem Nässe, während „Wassermangel" zu Paris „offiziell" angezeigt. Die hiesige Bürokratie würde zur Zeit selbst der Sündflut „offizielle Wassernot" für Trinken, Waschen, häusliche und industrielle Zwecke etc. fertiggebracht haben. Gestern meine letzte Wanderung im salle d'inhalation2 und Genuß von Bad und douche3 zu Enghien, eben daselbst untersucht zum Abschied durch Dr. Feugier; Resultat: 1. Das bronchitische Röcheln sehr reduziert; ganz wäre verschwunden ohne das Wetterpech. 2. Der pleuritische frottement-Lärm4 bleibt im status quo; ein durchaus vorhergesagter casus. Im besten Fall, und keineswegs häufigen, dauert diese Reliquie der pleuresie für Jahre. Man schickt mich an den Genfer See, von wo bis jetzt günstige Wetterberichte, indem die beiden Doctores5 meinen, daß möglicherweise die letzten Reste des Bronchialkatarrhs von selbst dort „alle" werden können. Qui vivra verra.6 Für Berglungengymnastik die saison zu avanciert und vor allem Kälte zu vermeiden. Diesmal vorgeschrieben, nur bei Tag zu reisen nach der Schweiz, so daß ich in Dijon über Nacht zu bleiben; nächsten Tag erst nach Bestimmungsort abzutrollen. Man will platterdings jeden Vorwand zu „rechute"7 abschneiden. Tussychen reiste ab mit Johnny letzten Mittwoch; wir haben Brief von ihr erhalten; lief alles gut ab. Am 19.August (Samstag) wollte sie mit
1 scheußliches - 2 Inhalierungssaal - 3 Dusche -1 Reibungslärm - 6 Dourlen und Feugier 6 Wer's erlebt, wird's sehen. - 7 „Rückfall"
Johnny nach Eastbourne. Da für ihre pädagogische Zwecke vor allem the young man8 beim Beginn nur unter ihrer Aufsicht stehe, wählte Tussy Seeort, wo er keine „Freunde" vorfinde. Jennychen ist leider krankhaft. Unter jetzigen „ Umständen "[88! entbehrt sie dabei aller Ruhe und Erholung. Laura is all right9; morgen reist sie fort mit mir. Der Skandal Lissagarays mit der Bande Brousse191' hat das gute Resultat, daß letztere über kein Tageblatt mehr verfügt. Der Diplomat Malon hält sich neutral bei dieser Gelegenheit vis-a-vis des Brousse, da er (Malon) nicht seinem Redakteur-en-chef Rochefort gegenüber Sympathien für Brousse et Co. im „Intransigeant" sich erlauben darf (auch „wünscht" Malon das nicht zu „dürfen"). Guesde und seine Partei gewinnen das Oberwasser. Beste Grüße an Jollymeyer und Pumps. Salut. Der „Mohr"
Mit gewöhnlichem Takt bringt Herr Longuet mir zum Dejeuner den Roy10; während 3 Monaten fand er hierzu keinen Tag bis heute, wann ich zu packen habe etc. etc., außerdem ich Dr. Dourlen Abschiedsbesuch machen muß, endlich mit Jennychen allein zu sein wünsche.
8 der junge Mann -9 ist wohlauf -10 siehe vorl. Band, S. 85
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Marx an Engels in Great Yarmouth
Hotel du Nord, Lausanne 24. August 82
Dear [Fred]1, Gestern, von Dijon nach Lausanne192', Regen und relative Kälte. Im Regen abends 9 Uhr Ankunft zu Lausanne. Meine erste Frage an den Kellner: Seit wann regnet es hier? Antwort: Seit 2 Tagen erst Regenwetter (also seit Tag meiner Abreise von Paris). C'est drole!2 Wir sehn uns heute Vevey, Montreux etc. an, um Sitz zu suchen. Unterdes schreibe nach Lausanne, poste restante. Es ist mir lieb, zeitig noch einige additioneile Munition3 zu erhalten, um für jeden Fall nach jeder Seite hin stets disponible. Adresse Dr. Charles Marx, nicht Karl Marx. Longuet blieb sich bis zum Tag meiner Abreise gleich. Nämlich der Übersetzer des „Capital", der arme Teufel Roy, hatte während meines früheren zweimaligen Aufenthalts zu Argenteuil193' stets Longuets Versprechen eines Rendezvous mit mir; jedesmal fand Longuet nicht die gelegne Zeit. Und diesmal, als Longuet mir wieder von Rendezvous für Roy faselte, ließ ich ihm freie Hand dazu während der letzten 4 Wochen. Eh bien!4 Erst am Tag meiner Abreise - wo ich zu packen, Abschiedsbesuch bei Dr. Dourlen zu machen, vieles noch mit Jennychen abzusprechen etc. reist Longuet, ohne mein Vorwissen, nach Paris, holt den Roy, bringt ihn zum Dejeuner (1 Uhr) nach Argenteuil. Es war ein kalter nordöstlicher Wind, und meine obligate conversation mit poor Roy5 im Garten zog mir Verkältung zu. Thanks to Longuet!6 Apropos. Ein teutscher Korrespondent, der von Paris aus Masse teutscher Bourgeoisblätter versorgt, schrieb mir in hochergebner Ersterbung; seine Ehrlichkeit es für nötig haltend mich zu wissen, daß er nicht Sozialdemokrat sei, noch viel minder Korrespondent für Blätter solcher Farbe; aber in allen Kreisen der deutschen „Gesellschaft" sei man ängstlich,
1 unleserlich - 2 Das ist komisch! - 3 finanzielle Mittel -4 Also gut! - 5 unerläßliche Unterhaltung mit dem armen Roy - 6 Das ist dem Longuet zu danken!
offizielle Nachrichten über meinen Gesundheitszustand; verlangt daher to interview7 mich zu Argenteuil etc. Of course, I did not reply to that softsawder penman.8 Grüße an alle. Der Mohr
Old Becker9 und Wröblewski werde ich zu Genf besuchen, sobald der Husten wieder nachläßt.
7 zu interviewen - 8 Natürlich habe ich diesem schmeichlerischen Federfuchser nicht geantwortet. - 9 Johann Philipp Becker
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Engels an Marx in Lausanne
10, Columbia Terrace Great Yarmouth 25. Aug. 82
Lieber Mohr, Telegramm soeben erhalten[94], in höchster Eile 2 Zeilen geschäftlich. Mittwoch1 abend kam Dein Brief2, aber schon vorher hatte ich selben Tags Dir die erhaltene Anweisung von A.Kayser & Co. auf Hirsch fils aine, Paris, fr. 1200 a presentation3 nach Argenteuil eingeschickt. Ich schrieb gleich nächsten Tag an Jenny'951, was der Brief enthielt, und bat um sorgfältige Besorgung. Die Einkassierung von dort aus wird wenig Schwierigkeiten machen. Wir bleiben noch 14 Tage hier, es bekommt allen brillant, nur Jollymeyer kriegt bei dem Wetter zuweilen etwas Rheumatismus. Montag geht er nach Deutschland, ich mit ihm nach London, hoffe Tussy und Johnny mit herzubringen. Ich wünsche Dir besseres Wetter, als wir seit 4 Tagen haben, aber ebensolche Wirkung, wie die Seeluft uns antut. Das Kleine4 entwickelt einen rasenden Appetit und nimmt zusehends zu. Herzliche Grüße von allen an Dich und Laura. Dein F.E.
Was sagst Du zu De Paepes Revolverschüssen auf Duverger?'961 O green eyed monster!1971
1 In der Handschrift: Montag - 2 siehe vorl. Band, S. 83/84 - 3 auf Sicht -1 Lilian Rosher
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Engels an Marx in Lausanne
10, Columbia Terrace Great Yarmouth 26. Aug. 82
Lieber Mohr, Heute morgen kam Dein und Lauras Brief aus Lausanne an, und ich benutze die momentan im Zimmer herrschende Stille, um Dir zu schreiben. Diesmal hast nicht Du das schlechte Wetter gemacht, sondern der „N[ew] Y[ork] Herald" mit seiner vorhergesagten Depression. Wenn Tussy das frühere hiesige Regenwetter auf Deine zu große Nähe in Paris zurückführen konnte, so müssen wir jetzt konstatieren, daß die neueste Wendung zum Nassen genau mit Deiner Entfernung aus unsrer Nähe zusammenfällt und daß wir Mittwoch abend hier ganz denselben heftigen Wasserfall hatten wie Ihr in Lausanne. Auch heute morgen kommen noch Schauer auf Schauer, und das prophezeite: finer later on1 läßt noch auf sich warten. Den Longuet soll der Kuckuck holen mit seiner Taktlosigkeit. Aber war es denn auch absolut nötig bei kaltem Nordost, den Roy grade im Garten zu unterhalten? Die ägyptische Kampagne'831 fängt gut an. Die ,,K[öInische] Z[eitung]" behauptet gradezu, in 2V2 Stunden seien die Forts von Alexandrien zum Schweigen gebracht, die übrigen 5 Stunden hätten die Engländer bloß zum Zweck der Zerstörung der Stadt weiter bombardiert. - Die rasche Besetzung des Kanals wurde gut durchgeführt, aber sobald ich sah, daß Wolseley bei der Einschiffung die Beschießung von Abukir demonstrativ als Ziel ausposaunen ließ, war mir die ganze Sache klar, und ich konnte dem Schorl[emmer] den ganzen Feldzugsplan darlegen, wie er jetzt ausgeführt wird. Aus alten Nrn. der ,,K[ölnischen] Zjeitung]" sah ich seitdem, daß der Plan, über Ismailia auf Kairo zu marschieren, schon seit 10-12 Tagen in London allgemein bekannt war. So gut war das Geheimnis gehalten! Der Plan selbst ist noch der rationellste, der unter den'Umständen gefaßt
1 spätere Aufklären
werden konnte. Indes wird's mit der Ausführung nicht so rasch gehn. Die gescheuten Engländer haben zwar Feldgeschütze hingeschickt, aber weder Pferde noch Maultiere zur Bespannung. Die Maultiere werden eben in Südeuropa und Afrika aufgekauft. Ballons captifs2, zur Rekognoszierung in einem ebnen, baumlosen Land unentbehrlich, wurden verweigert, werden jetzt aber nachträglich nachgeschickt. Forcierte Rekognoszierungen gegen die verschanzte Stellung der Ägypter vor Alexandrien wurden gemacht sinnlos, weil niemand so dumm ist, seine Stärke vor der verschanzten Stellung zu entwickeln. Der Heldenmut von Schafuir ist lächerlich - fünfstündiges Gefecht und 2 englische Verwundete! Wolseley, der 30000 Mann schon hat, verlangt jetzt seine 3. Division, aber die ist noch in der Mobilmachung begriffen. Und wenn sie kommt, wird ihm nach Besetzung von Alexandrien und Kairo kaum so viel bleiben, um das Delta zu reinigen und die Küstenstädte zu besetzen. Wenn Arabi so gescheut ist, jedem Hauptschlag auszuweichen und sich nach Mittel- resp. Oberägypten zurückzuziehn, kann die Sache äußerst langwierig werden. Abgesehn davon, daß bei etwas früherm Nilsteigen das Durchstechen der Dämme den Engländern alles zu Wasser machen kann. Indes ist es mehr als wahrscheinlich, daß die Sache zum Abschluß, kommt nicht durch militärische Aktion, sondern durch diplomatische Klüngelei hinter den Kulissen. Ein hübsches Stückchen: wozu red tape3 gut ist, hat C.W.Siemens als Präsident der British Association1981 zutage gefördert. Vor mehreren Jahren wurde doeh das Metermaß in England legalisiert neben dem alten. Auch ließ man sich aus Paris authentische Kopien des Urmeters und Urkilogramms kommen. Will aber jemand von der betreffenden Behörde eine authentische geeichte Kopie dieser Einheiten haben, so erklärt diese: der betr. Parlamentsakt habe sie weder berechtigt noch verpflichtet, dies zu tun. Wenn Du aber nach nicht von dieser Behörde autorisierten Metern und kg verkaufst, so ist das fraudulent4 und kriminell. Diese wohlweisliche kleine Auslassung nullifiziert also den ganzen Akt und basta, es bleibt alles beim alten. Übrigens behauptet Siemens, das Festhalten am alten Maß schade der englischen Industrie seit der allgemeinen Einführung des metrischen auf dem Kontinent enorm, eine Menge Maschinen etc. seien jetzt exportunfähig, weil auf andre Einheiten zugeschnitten als Meter und kg. Ich hoffe, Dein Husten legt sich wieder, und endlich wirst Du doch auch wohl besseres Wetter bekommen. Wenn Du reisest, nimm Dich mit dem
2 Fesselballons - 3 Bürokratismus - 4 betrügerisch
Dampfschiff in acht. Es ist abends oft kalt und neblig auf dem Wasser. Bis zum nächsten Frühjahr wirst Du Dich wohl noch in acht nehmen müssen, dann die Bronchitis definitiv beseitigt und etwas Lungengymnastik im Hochgebirg, und dann sind wir über den Berg. Im Waadtland gibt es einen vortrefflichen Wein, Ivorne, der, namentlich alt, sehr zu empfehlen. Dann trinkt man roten Neuchäteller, Cortaillod, der etwas schäumt, der Schaum bildet einen Stern mitten im Glase; auch recht gut. Endlich Veltliner (Valtellina), der beste Wein in der Schweiz. Daneben war zu meiner Zeit1"1 der petit Bourgogne und Macon und Beau» jolais recht gut und nicht teuer. Trink recht tapfer von allen diesen Sorten und bedenke, wenn Dich das Herumvagieren auf die Dauer langweilt, daß es doch die einzige Manier ist, Dir die alte Schneid wiederzugeben; sie mag noch ein bißchen ruhen, aber der Tag kommt, wo wir sie gar zu nötig brauchen. Grüß Becker5 und Wrobljewski] von mir, wenn Du sie siehst. Herzliche Grüße von der ganzen Gesellschaft an Dich und Laura, die meinen nächsten Brief125 erhält. Dein F.E.
5 Johann Philipp Becker
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Marx an Engels in London[100)
Hotel du Leman, Vevey Dear Fred, 4. September 82 Laura wird Dir ausführlich schreiben über unsere Ereignisse oder vielmehr Nichtereignislosigkeit, da wir hier leben wie im Schlaraffenland.11011 Wir hatten trips1 auf dem lake2, wie andre. Am 3Ist August erhielt ich Jennychens Brief mit Einlage Deines Briefs121 und den cheque, habe ich letzteren einem hiesigen Bankierhaus, Genton et Co., überliefert zum encaissement3 in Paris. 3 I.August, Ist, 2nd und 3rd September brillantes Wetter (gestern überheiß). Heute Sturm und Regen, hoffentlich nicht zu entarten in Landregen. Sonderbar, daß ich immer noch huste; ich glaube, ich bin die einzige Person zu Vevey, die hustet; wenigstens begegnete ich keiner andern. Mein general State4 aber sehr zufriedenstellend; ich habe ohne irgendwelche Beklemmung sowohl auf Höhe hiesigen Weinbergs wie auf noch höheren Weinberg zu Montreux gestiegen mit Laura. In unserem Hotel meldete sich mir Mr. Songeon, president du conseil municipal de Paris5; ist einer der refugies6, den ich 1849-1850 zu London kannte. Er verehrt mir offiziellen Bericht an den conseil municipal von Paris seiner Deputation (darunter der Songeon) nach Rom zur Apotheose Garibaldis'1021; handelt sich hier hauptsächlich um „Songeons" eigne Apotheose, da er stets im Namen der andern französischen Delegierten das Wort führte. Zeigte mir auch ein Exemplar des „Capital", das ihn begleiten soll in Waldeinsamkeit, wohin er wanderte nicht weit von hier. Mit den Engländern in Ägypten'331 bisher nicht so rascher Erfolg, wie Wolseley „vorgekündigt". Herr Virchow, wie ich aus Supplement7 des „Journal de Geneve" von gestern ersah, wieder nachbewiesen, daß er unendlich über Darwin, er in der Tat allein wissenschaftlich, und daher auch die organische Chemie „verachtet".
1 Spazierfahrten - 2 See - 3 Einkassieren - 4 allgemeiner Zustand - 6 Stadtratspräsident von Paris - 6 Flüchtlinge - 7 der Beilage
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Engels an Marx in Vevey
London, 12. Sept. 1882
Lieber Mohr, Postkarte und Lauras Brief erhalten. Freut mich, daß endlich gutes Wetter, hält hoffentlich an. Wir sind seit Samstag wieder hier; Tussy und Johnny waren 8 Tage mit in Yarmouth. Des Songeon erinnere ich mich noch sehr gut; ich war immer nachsinnlich, was dies patronisierend-bonhommisierende1 Gesicht wohl für eine Bestimmung haben möge, bis ich endlich in der Zeitung las: Stadtratspräsident! Das war's in der Tat, was ihm schon 1850 auf dem Gesicht geschrieben stand. Von Genton & Co. habe ich manchen Wechsel auf London in der Hand gehabt. Wenn Du vorhast, Dich in der Schweiz noch etwas umzusehn, so kannst Du keine bessere und bequemere Route nehmen als von Genf über Bern nach Interlaken und Brienz, von da über den Brünig (nur 3150 Fuß hoch) nach dem Vierwaldstätter See und, wenn Du Lust hast, von da nach Zürich. Das ist eine leichte Rekonvaleszentenreise und gibt Dir doch einige der schönsten Punkte der Schweiz. In Interlaken und Luzern oder sonstwo am Vierwaldstätter See wäre längere Rast zu halten. Am Genfer See ist auch Morges ein hübscher Punkt, man sieht da den Montblanc am schönsten. Die ägyptische Affäre'831 entpuppt sich immer mehr als von der russischen Diplomatie eingefädelt. Gladstone muß jetzt, nachdem er von der süßen Olga2 hinreichend eingeseift, einem geriebneren Mentor zum Rasieren überantwortet worden sein. England muß mitten im Frieden Ägypten besetzen, damit das arme Rußland dadurch gezwungen wird, zu seiner eignen Verteidigung Armenien ebenfalls mitten im Frieden zu besetzen. Die kaukasische Armee ist schon an die Grenze gerückt, bei Kars allein stehn 48 Bataillone - mobil ist diese Armee immer. Und um zu beweisen, daß Gladstone mit dieser Befreiung eines weiteren „christlichen"
1 gönnerhaft-biedere - 2 Olga Alexejewna Nowikowa
Landes vom Joch des unspeakable Türk3 einverstanden ist, werden grade jetzt die nach dem Berliner Kongreß11031 nach Kleinasien geschickten englischen Reforminspektionskommissare mit Ostentation zurückberufen und ihre Berichte veröffentlicht, wonach sie von den Türken zum Narren gehalten worden und alles beim alten geblieben, die Korruption der Beamten ununterdrückbar sei. Palmerston est mort, vive Gladstone!4 vive Gambetta, der gerne auch die russische Allianz in Ägypten mit besiegelt hätte. Leider sind die guten alten Zeiten nicht mehr da, und Rußland steht nicht mehr hinter der russischen Diplomatie, sondern ihr gegenüber. Ich käme verdammt gern einmal zu Dir herüber, aber wenn mir etwas zustieße, selbst nur temporär, so wären alle unsre finanziellen Arrangements in Unordnung. Hier ist kein Mensch, dem ich Vollmacht geben und die immerhin etwas verzwickten Einkassierungen etc. überlassen könnte. Sam Moore wäre noch der einzige gewesen, aber er ist fort, und diese Sachen können nur am Ort besorgt werden. Außerdem hatte ich gehofft, Du würdest wenigstens diesen Sommer, wenn auch nur kurz, herkommen. Daß Du den nächsten Winter nicht hier zubringen könntest, war mir klar, ehe Du England verließest und ehe Du die Rückfälle hattest; ich habe es damals schon Lenchen gesagt. Jetzt, nach den Rückfällen, ist es absolut notwendig, daß Du den Winter in der Form des Frühlings durchmachst, und ich habe mich gefreut, als ich erfuhr, daß Dourlen und Feugier dies einstimmig und •entschieden erklärt haben; so einsam ich hier ohne Dich bin, so ist da nix za wolle, und alles andre muß davor zurücktreten, daß Du erst gründlich auskuriert wirst. Dazu gehört aber auch wesentlich, daß die finanzielle Ordnung nicht gestört wird, und deshalb halte ich mich für strengstens verpflichtet, mich keinen Zufälligkeiten auszusetzen, solange das dauert. Hartmann5 hat eine elektrische Lampe erfunden, patentiert und für £ 3000 an einen schäbigen Kerl unter einem ebenso schäbigen Kontrakt verkauft, so daß es sehr fraglich ist, ob und wann er Geld erhält. Unterdes hat er wieder eine Stelle, aber für wie lange? Aus seinen ewigen ups and downs6 ist schwer klug zu werden. Besten Dank für die algierischen Geschenke, die Tussy mitgebracht. Der Dolch ist echt orientalisch, wo der hinsticht, da wächst kein Gras mehr. Für den Pfeifenkopf muß ich mir ein Rohr besorgen, ehe ich ihn probieren kann. Pumps ist sehr stolz auf ihre arabischen Armbänder. Sie ist damit beschäftigt, ihr neues Haus einzurichten, was wohl noch eine Woche
'unmöglichen Türken - 4 Palmerston ist tot, es lebe Gladstone! - 6 L.N.Hartmann - 6 abwechselnden Erfolgen und Mißerfolgen
dauern wird. Ihr Kleines7 hat sich in Yarmouth merkwürdig herausgemacht. Johnny geht seit gestern in die Kleinkinderschule (in Grafton Terrace, Eurem alten Haus gegenüber). Herzliche Grüße von allen an Dich und Laura. Dein F.E.
7 Lilian Rosher
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Marx an Engels in London
16. Sept. 82 Hotel du Leman, Vevey
Dear Fred, Im Moment, um an Dich zu schreiben, bringt mir der gar^on1 das „Journal de Geneve" mit der Nachricht über Bebels Tod[104]. Es ist entsetzlich, das größte Unglück für unsre Partei! Er war eine einzige Erscheinung innerhalb der deutschen (man kann sagen innerhalb der „europäischen") Arbeiterklasse. Deine selbstaufopfernde Sorge für mich ist unglaublich, und ich schäme mich oft im Inneren -, doch ich will nicht jetzt weiter auf dies Thema eingehn. Mein Plan, bevor ich Paris verließ, war, at all events2 wenigstens: während des Oktobers zu London verweilen und mit Dir zusammen sein. Feugier und Dourlen hielten dies auch für unverfänglich, wenn der Oktober passabel wird. Das ist immer noch möglich, trotz regnerischen Septembers. Das Barometer hier stieg am 8., erreichte am 9. den höchsten Punkt, fiel von da an allmählich bis auf den niedrigsten Stand am 12.* stieg wieder am 13. (wo er am 11. ungefähr ebenso hoch), fiel dann und steigt wieder langsam seit gestern abend. Obgleich generally3 in der ganzen Schweiz arger Regen und Stürme (viel Erdrutschung und damit verbundne „accidents"4); um Vevey speziell relativ gutes Wetter (auch nur ausnahmsweis kalt morgens und in den ersten Abendstunden). Wir haben deswegen auch hier unsren Aufenthalt verlängert. Die Luft hier ist heilkräftig. Trotz der beständigen Wechsel in Temperatur und Luftfeuchtigkeit während desselben Tages geht mein Wohlsein crescendo5. Ich glaube,, daß der Katarrh aus bronchialem in gewöhnlichen sich verwandelt hat; doch werde ich darüber Gewißheit erst in Genf erhalten, wo ich einen guten deutschen Arzt konsultieren will, i.e. auskultieren lassen. Die von Dir vorgeschlagne Reise6 ist aber, reizend wie sie wäre, bei den jetzigen
1 Kellner - 2 auf jeden Fall - s im allgemeinen-4 „Unglücksfälle "~5 aufwärts - 6 siehe vorL Band, S. 92
Wetterverhältnissen der Schweiz nicht wohl ausführbar. Die Weinernte scheint „nix" hier für dies Jahr. Es schneit ditto sichtbar - und früher wie gewöhnlich - auf den montagnes de la7 Dent du Midi; auf dem Jura ist's „regulär". Der Berner „Bund" erklärt Wolseley für einen den alten Napoleon fast übertreffenden Feldherrn. Die Mogelei mit den Russen hat einen Haken; es wäre möglich, daß Bismarck mit Vergnügen sie, letztere, sich engagieren lassen, aber dann lcämen Ostreichs „Tröstungen" und compensation für das preußische Kaisertum. Einschreiten der Russen in Armenien kann daher zu allgemeinem Krieg führen und ist wahrscheinlich Bismarcks Wunsch. Apropos! Der Dolch, wie Du die Roheit der Arbeit sehn mußt, ist Kabylenarbeit. Was das Rohr für den Pfeifenkopf belangt, brachte ich 3 Röhren mit (für nur eins war nur noch ein Pfeifenkopf in dem jardin •d'acclimatation8 vorrätig), Röhren aus Bambus; ich wollte Helen und Tussy, da diese Röhren zu lang für ihre malles9, nicht belasten mit deren Transport, sondern sie selbst nach London bringen. Aus Brief von Jennychen - eben an Laura angekommen - ersehe ich, •daß Longuet mit Wolf and Harry zu Aubin. Leider ist Jennychens Gesundheitszustand bedenklich, wie mir die doctores (Feugier und Dourlen) schon zu Paris mitgeteilt. Jennychen erwartet ängstlich aus London Nachricht über Johnny; sie erhielt no news10 seit Tussychens Reise mit Johnny nach Yarmouth. Laurachen schreibt heute auch an Jennychen und teilt ihr .auch mit, daß all rightu mit John, und er bereits, wie wir aus Deinem Brief12 sahen, in die Kleinkinderschule eingetreten. Beste Grüße an Tussychen, Lenchen, Pumps, and not to forget, my grandson13. Jedenfalls schreiben wir Dir, falls wir Vevey verlassen. Dein Mohr
Haben die preußischen Hunde nicht kooperiert, durch Gefängnis etc., an Bebels Tod?
7 Bergen des - 8 Botanischen Garten - 9 Koffer -10 keine Nachrichten -11 alles in Ordnung 12 siehe vorl. Band, S. 94 -13 und nicht zu vergessen, meinen Enkel
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Engels an Marx in Vevey
London, 18. Sept. 1882
Lieber Mohr, Um 9 heut abend Dein und Lauras Brief angekommen, ging sogleich zu Tussy und Lenchen, das Nötige mitzuteilen. Die falsche Nachricht vom Tod Bebels11011 hat auch uns hier in die höchste Aufregung versetzt. Seit Samstag abend viele Anzeichen, daß sie falsch, und in der eben angekommnen „Justice" Telegramm von LiebIcnecht, daß Bebel allerdings gefährlich krank gewesen, jetzt aber auf der Besserung. Gleichzeitig kam ich zur rechten Zeit für die eben eingetroffene Nachricht, daß Jenny ein kleines Mädchen hat[88] und alles so gut geht, wie erwartet werden kann. Wenn Ihr Vevey verlaßt, hinterlaßt Adresse (poste restante oder sonst was) für Briefe. Morgen oder übermorgen ausführlicher. Dein F.E. Herzlichen Gruß an Laura.
7 Marx/Engels, Werte, Bd. 35
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Marx an Engels in London
Paris11051, 28. Sept. 82
Dear Fred, Ein Brief von Laura, worin ich einen Zettel einlegte, ist durch Versehn in Lauras Wohnung auf Briefpult geblieben, wird also erst nach Postschluß expediert.11061 Um aber keine Zeit verlieren, wiederhole ich, daß Du mir möglichst bald von London Banknote schickst (Adresse wie vorher zu Argenteuil), wenn Dr. Dourlen, wie ich hoffe, mir erlaubt to cross the Channel1. Heut gießt's vom sog. Himmel, obgleich, trotz fortdauerndem Angst vor famine d'eau2 seitens des Alphand. Schreib zugleich 2 lines as to the3 Wetterstand in London. Der Mohr
1 über den Kanal zu fahren - 2 Wassermangel - 3 2 Zeilen über den
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Marx an Engels in London
Paris, 30. Sept. 82
Lieber Fred, Grade hierhin (i.e. la Gare1 St.Lazare) von Argenteuil zu fahren, um Laura zu erwarten, in Paris zu dinieren mit ihr und sie mit nach Argenteuil bringen - erwischte mich der facteur2 noch mit Deinem Brief[2] nebst Einlage. Laura wird in about a3 Viertelstunde eintreffen, probably4 mit Deinem Brief an sie. Dr. Dourlen hat mich heute examiniert in Jennychens presence5. Das rälement muqueux6 ist verschwunden; bleibt some7 Pfeifen, aber auf bestem Punkt Ende zu machen mit diesem hartnäckigen Katarrh, der seinen Charakter schon wesentlich geändert. Mein general habitus8 sei außerordentlich verbessert; ich sei auch „fetter" geworden. Er will, unter keinen Umständen solle ich über 14 Tage oder bei ganz gutem Wetter: 3 Wochen in London bleiben. Er fürchte noch weniger mäßige Kälte als feuchte Luft. Unter keinen Umständen solle ich mit dem Extrazug abends über Calais reisen; bei Tag nach Calais fahren, erst andren Tag mit Morgensteamer9 von da fort. Im übrigen, nannte er es, frühzeitig la campagne de l'hiver10 beginnen, in Isle of Wight, Jersey, zu Morlaix (Bretagne) oder Pau. Sonst liebt er für mich nicht zu südlichen Aufenthalt, außer in case ofneed11, weswegen er auch Vevey für mich besser fand als das wärmere Montreux. Er unterstellt, daß die normalen Temperaturen etc. wegen meiner Ankunft nicht plötzlich wieder rebellieren. Schließlich wird er mir „Erlaubnis" zur Abreise nach London erst definitiv geben, nachdem er durch die meteorologischen bulletins für die nächsten Tage sich beruhigt. (Französische Ärzte haben arges Vorurteil über London Klima.) Er sei völliger Kur jetzt sicher, wenn keine Fehler begangen. Vor Dienstag komme ich daher frühestens nicht weg.
I zum Bahnhof - 2 Briefträger - 3 ungefähr einer - 4 wahrscheinlich - 5 Beisein - 6 schleimige Röcheln - 7 einiges - 8 allgemeiner Zustand - 9 Morgendampfer -10 den Winterfeldzug II im Notfall
Wenn die französische Regierung - as represented by the swindling financier12 Duclerc - meine Anwesenheit hier wüßte (namentlich bei Abwesenheit der Kammer), würde sie mich vielleicht ohne Dr.Dourlens Erlaubnis auf die Reise schicken, da die „Marxistes" et „Anti-Marxistes" auf den respektiven Sozialistenkongressen zu Roanne et St.-Etiennet1071, beide Sorten, ihr möglichstes getan, um mir den Aufenthalt in Frankreich zu versalzen. Bei alledem kompensiert's mich einigermaßen, daß dieselbe Bande der Alliance - die Malon, Brousse etc. - sich „sehre" getäuscht sah in der Hoffnung, ah ob (unseren Brunos13 Lieblingswendung) die „stille" Insinuation: Marx sei ein „Deutscher", alias „Preuße", also auch die französischen „Marxistes" Landesverräter - bei niemand mehr verfangen wollte, sogar sich keinen Augenblick „öffentlich" zu werden wagte. C'est un progres.14 Clemenceau war gefährlich krank, noch nicht ganz hergestellt. Er hat sich auch das „Capital" zur Krankenperiode mit von Paris genommen. Scheint jetzt Mode für French real or would be „advanced" leaders - if „the Devil be sick"15.11081 Besten Gruß an alle, nicht zu vergessen Jollymeyer. Der Mohr
Ich schreibe oder telegraphiere vor Abreise von Frankreich.
12 vertreten durch den Finanzschwindler - 13 Bruno Bauer - 14 Das ist ein Fortschritt. 15 wirklich oder angeblich „fortgeschrittene" französische Führer-wenn „der Teufel krankist"
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Engels an Marx in Ventnor11091
[London, 1. November 1882]
L.M., Hoffentlich geht alles soweit gut bei Dir.11101 Zwei „Egalites" abgeschickt, gestern 2 alte „Köl[nische] Ztg." Hier stürmt's und bläst's heut abend ganz erfreulich. Blamabel für Gladstone & Co. die kurze Debatte gestern wegen Maceos Auslieferung aus Gibraltar.11111 Johnny hat heute sich 2 Zähne ausziehn lassen, mit ganz unerwartetem Heroismus, der selbst den Dr. Shyman erstaunte. Sonst nichts Neues. Mittwoch abend. Dein F.E.
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Engels an Marx in Ventnor
[London] 3. Nov. [1882]
Lieber Möhr, Postkarte erhalten1581, - waren etwas ängstlich, nichts zu hören, wie die Reise Dir am nächsten Tag bekommen. - All right!1 Inl. Brief von Laf[argue] - also doch Brissac, Picard und Bouis wacklig einen Moment!11121 Wirst gesehn haben, daß Andrea Costa in Ravenna gewählt11131 und in Norwegen republikanische Majorität11145. Hierbei „Egalite" und die neuesten doings2 von zwei „Hiesigen", für die Du Dich immer interessiert. Dein F.E.
1 Alles in Ordnung! - 2 Taten
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Engels an Marx in Ventnor
London, 6. Nov. 82
Lieber Mohr, Laura schreibt mir heute zwei Zeilen, wonach das Schicksal der „figalite" sich erst morgen entscheidet'1151; Aussichten indes sehr günstig. Hast Du den heutigen „Standard" gesehn? Telegramm aus Frankfurt: seit Ignatjews Anwesenheit in Paris neue Versuche eines russisch-französischen Kompromisses, vorläufig scheinbar sehr milder Art: wenn Frankreich in Auslieferung von Dynamitern etwas mehr täte, wolle man russischerseits Frankreich in Tunis, Ägypten etc. kräftig unterstützen.'1161 Daher also die Polizeikampagne in Frankreich! Wollen sehn, ob den Kammern was Bezügliches vorgelegt wird. Laf[argue] hat mir den „Prolet[aire]" zugeschickt, worin der in St.-£tienne verlesene Anklageakt gegen ihn, Guesde etc. steht.'1171 Ein echt bakunistisches, aber sonst schwaches Machwerk: stärkste Stützen sind die einander widersprechenden, Augenblickslaunen vertretenden Briefe Laf[argae]s an Malon, die dieser ruhig abdruckt, ohne, wie es scheint, den Abdruck seiner Briefe durch Laf[argue] zu fürchten. Er hat nicht unrecht, diese Herren verwerten ihr Material zur rechten Zeit, kommt nachher Laf[argue] mit Malons Briefen, so ist's moutarde apres diner1. Ich schick' Dir das Ding morgen. Du mußt's aber zurückschicken von wegen Bernsteins, gegen den ich's wohl brauchen werde. Dieser wollte statt des Verlangten, oder daneben, eine halbe Bibliothek über Fabrikgesetzgebung schicken, was ich noch hoffentlich rechtzeitig gestoppt2; das schweizerische Fabrikgesetz erwarte ich täglich, die deutsche neuste Gewerbeordnung, worin die Fabrikbestimmungen stehn'1181, bestelle ich Dir. Sonst nichts Neues hier. Dein F.E.
1 Senf nach dem Essen - 2 siehe vorl. Band, S. 391
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 8. November 82
Dear Fred, Was sagst Du von Deprez' Experiment bei der Münchner Elektrizitätsausstellung?11191 Es ist beinahe schon ein Jahr, als Longuet mir versprach, die Arbeiten von Deprez mir zu verschaffen (speziell zum Beweis, daß Elektrizität erlaube den Transport der Kraft auf große Entfernimg vermittelst einfachen Telegraphendrahts).11201 Nämlich ein intimus des Deprez, Dr. D'Arsonval, ist Mitarbeiter an der „Justice" und hat Verschiednes publiziert über Deprez' Forschungen. Longuet vergaß jedesmal, gewohnterweise. Mit großem Vergnügen erblickte ich das von Dir überschickte „paper"1, wo Sherbrooke und Rivers Wilson als „trustees in London for the Bondholders"2 prunken! Gestern im „Standard", House of Commons debates3, wurde Gladstone arg zerzaust von wegen dieser trustees, da benamster Rivers Wilson noch hohen (i.e. gut bezahlten) Platz in englischer Public Debts4 Verwaltung einnimmt. Gladstone, offenbar sehr verlegen, suchte erst to pooh-pooh5, dann aber auf Ankündigung drohender Motion6 gegen den Rivers Wilson lügt Gladstone, er wisse in der Tat gar nichts von der Galveston and Eagle etc. Railway Co.11211 Nicht minder rühmlich spielt our saintly grand old man7 in der Gibraltar-„Auslieferung".11111 Man erinnert sich, daß dieser Gladstone nicht umsonst in der schikanösen Beamtenoligarchie neben einem Graham etc. unter Sir Robert Peel seine Schultage erlebt. Für das ungeschickte Lügen, dumme Wortverdrehn, faule Ausflüchte in der ägyptischen Sache, hier Sir Charles Dilke ganz am Platz.11221 Er hat weder die pietistische Kasuistik des Gladstone, noch den heitren Hohn des quondam8 Palmerston. Dilke ist einfach ungezogner Parvenü, der sich groß erscheint in seiner Flegelei.
1 „Blatt" - 2 „Treuhänder in London für die Inhaber von Obligationen" - 3 Unterhausdebatten - 4 Staatsschulden - 6 mit einem „Pah"! abzutun - 6 drohenden Antrags - 7 unser frommer großer alter Mann [William Gladstone]-8 weiland
Da ich „Standard" hier halte, fand ich darin auch das erwähnte Telegramm aus Frankfurt.9 Apropos. Es wäre mir lieb, wenn Bernstein mir das „ Jahrbuch" schickte, worin der Artikel Oldenburgs (ich glaube wenigstens, so heißt der Verfasser) über meine Werttheorie.11231 Obgleich das mir nicht nötig, wäre es doch besser, wenn ich vor mir habe, was damals plädiert wurde. Als ich an das holländische Pfäfflein10 schrieb, war mir alles gewärtig; es liegt seitdem meine ganze Krankheit und der Verlust meiner Frau dazwischen - eine Periode langer Kopfverfinsterung. Die heftige Windstürmerei wütet hier fortwährend, namentlich abends und die Nacht; morgens früh meist regnigt oder wenigstens gloomy11; während des Tags immer gute Intervalle, die man erwischen muß; dabei unstetes, launiges Wetter. Z. B. letzten Sonntag ging ich um 4 Uhr auf die Downs12 und promenierte dort auf Fahrpfad entlang Bonchurch, dessen höchste terrassenmäßig aufsteigende Häuser (die niedrigsten dicht nah dem Meer) bis an den Pfad reichen; weiter schlängelt der Pfad, bald etwas auf bald nieder, zwischen der Höhe der Downs und ihrer Abflachung bis ans Meer. (Als ich das letztemal hier mit Tussy'25', wagte ich nicht bis an den Pfad aufzusteigen.) Hier kann man stundenlang bummeln, Berg- und Seeluft zusammen genießend. Es war so warm wie im Sommer; reines Blau des Himmels, mit nur durchsichtig weißen Wölkchen; plötzlich kalter Regen, sky suddenly overcast13. Dem verdankte ich wohl den Muskelrheumatismus (auf linker Brustseite, nah dem alten corpus delicti), ward Montag nacht so heftig, daß ich Dienstag trotz meines Widerstrebens einen Dr. kommen ließ. Meine old spinster14 MacLean, auf mein Befragen, sagte mir, daß 2 Ärzte in ihr Haus kommen. The greatest, the most fashionable man was " I. G. Sinclair Coghill, Physician to the Royal Hospital for Consumption "15. Ich trug, whether he be the old fogey whose coach I had had the displeasure of meeting almost daily before the door of her house. Indeed16, er war der Mann. Er besucht namentlich eine hier konstant wohnende old lady „with whom nothing serious it was the matter", but „she liked to see the doctor at least 3 times in the course of a week"17. Ich verbat mir diesen Patron. Aber der 2te Doktor, den andre ihrer Logierer konsultierten, sei
s siehe vorl. Band, S. 103 -10Ferdinand Domela Nieuwenhuis (siehe vorl.Band, S. 159-161)11 trübe -12 Hügel - 13 der Himmel plötzlich bezogen -14 alte Jungfer -15 Der größte, der begehrteste Mann war „I.G. Sinclair Coghill, Arzt am Kömglichen Hospital für Lungenkranke" -16 ob es der alte Kauz sei, dessen Kutsche ich das Mißvergnügen hatte, fast täglich vor ihrem Hause zu treffen. In der Tat -17 alte Dame „der nichts Ernstes fehlte", aber „sie liebte es, den Doktor wenigstens dreimal im Laufe einer Woche zu sehen"
dagegen ein junger Mann, Dr. James M. Williamson. Den berief ich; indeed he is a nice young fellow, nothing priestly about him18. Er hatte mir in der Tat nichts zu verschreiben als ein liniment zum Einreiben. (Es geniert mich, solange dieser Muskelrheumatismus dauert, indem er unangenehme Empfindung speziell während des Hustens provoziert.) Im übrigen entschuldigt er sich wegen des schlechten Wetters. Was den Husten betrifft, namentlich der in der letzten Zeit auch in London stets verdrießlicher werdenden spasmodischen Charakter angenommen hat, so bin ich darüber mein einziger Sanitätsrat, und hoffe ihn bald los zu sein ohne doctor med. Damit ich nicht zu sehr vom kapriziösen Wind und Temperaturwechsel abhänge beim Bummeln im Freien, bin ich genötigt, wieder respirator für case in need19 bei mir zu halten. Großen Skandal setzte hier ein in dem „Standard" und in „Globe" erschienener Brief to that effect20, daß Ventnor ein central head of typhoid fever21 sei und verschiedne Opfer desselben in letzter Zeit gefallen worden seien. Nun in der lokalen Presse offizielle und nichtoffizielle Antworten auf dies „libel"22. Aber das komischste, der Ventnor Munizipalphilister will daraus einen libel-case23 machen gegen den Brief Schreiber! Salut. Der Mohr
18 er ist wirklich ein netter junger Bursche, der nichts Salbungsvolles an sich hat-19 Atmungsgerät für den Notfall - 20 in dem Sinne - 21 ein Hauptherd für Typhusfieber - 22 diese „Verleumdung" - 23 Verleumdungsprozeß
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Engels an Marx in Ventnor
London, 11. Nov. 1882
Lieber Mohr, Deinen Brief1 konnte ich noch denselben Abend Tussy zeigen, Lenchen und Johnny waren nämlich den Morgen nach Percys Office2 gegangen, um den Lord Mayors Show3 zu sehn, und abends trafen wir uns denn alle bei Pumps zum Dinner. Johnny war sehr liebenswürdig und der Pumps ihre Gans sehr gut. Ich bin sehr froh, daß Du einen angenehmen Doktor4 gefunden hast, es ist doch immer besser für einen Rekonvaleszenten, einen solchen an der Hand zu haben, und was kann's nützen, wegen jeder Kleinigkeit erst hieher zu schreiben? Hoffentlich ist Rheumatismus und Husten jetzt besser. Ich schicke Dir heute 2 „Egalites" und eine do. Wöchentliche. Aus dem Manifest des (Lyoner) Conseil National'1241 kannst Du Dich überzeugen, daß die Lyoner nach wie vor echte Knoten sind. Uber den Verlauf der Verhandlungen mit dem Pariser Kapitalisten weiter keine Nachricht'115', es scheint also noch nichts abgeschlossen zu sein. Die Unart, mit der Dilke unbequeme Fragen beantwortet1122', ist in der Tat auffallend, scheint aber dem liberalen Parvenüzeug, das hinter ihm sitzt, recht sehr zu gefallen. Nun, sie werden auch bald die Cloture'125' zu fühlen bekommen. Die Geschichte in Gibraltar'111' wird immer fauler, nicht nur die Polizei, sondern auch ein Magistrat, also ein Richter, hat die Auslieferung befohlen, der Gouverneur liest sie in der Zeitung und tut nichts! Inzwischen rücken die Russen immer näher auf Persien und Afghanistan los, bauen Straßen nach Mesched in Persien und von Samarkand durch Buchara nach Balch (Baktra der Alten) in Afghanistan, mogeln in der Türkei, so daß es sogar ihrem Protege Aleko Pascha in Ostrumelien zu arg wird, aber dafür haben weder der große Gladstone noch der kleine Dilke Augen. Die Russen haben sicher etwas vor für das neue Frühjahr. Wie es
1 Siehe vorl. Band, S. 104-106 - 2 Percy [Roshers] Kontor - 3 Bürgermeisterumzug 4 James M. Williamson
aber mit ihrem Kredit steht, wirst Du aus der Annonce der Prioritätsanleihe der Poti-Baku-Eisenbahn gesehn haben. Hinter eine Gesellschaft müssen sie sich stecken, und noch dazu zu welchen Bedingungen! Im „Sozialdemokrat]" hat Vollmar seine Kampagne für Malon eröffnet11261 - an dem doucerösen5 Ton der Apologetik am Schluß des Artikels erkennt man direkt Malons Zuflüsterung. Was sagst Du aber zu Wilhelms Panegyrikus auf Bennigsen in der „Justice"? Das ist denn doch stark selbst für den biedern Wilhelm. Das Schweizer Fabrikgesetz11181 ist ebenfalls bei der heutigen Sendung. Den Oldenburgschen Artikel11231 werde ich bei Bernst[ein] bei erster Gelegenheit bestellen. B[ernstein] wird sich wohl etwas besinnen, ehe er mir schreibt; in der französischen Geschichte habe ich ihm aus seinen eignen Gründen so sehr das Gegenteil seiner Schlüsse nachgewiesen6, daß er kaum noch etwas wird sagen können. Mit dem Debattenschluß ist das Unterhaus nunmehr ganz auf das Niveau einer kontinentalen Kammer herabgesunken, bei seiner jetzigen Zusammensetzung ist das auch eine ganz angemessene Stellung. Auf Näheres über das bei München angestellte Deprezsche Experiment bin ich sehr begierig7; wie dabei die bisher gültigen und auch noch von den Ingenieuren praktisch angewandten (in ihren Rechnungen) Gesetze der Berechnung des Leitungswiderstands bestehn können, ist mir total unklar. Man rechnete bisher, daß der Widerstand zunahm, bei selbem Leitungsmaterial, im Verhältnis wie der Querschnitt des Leitungsdrahts abnahm. Ich wollte, die Sachen wären aus dem Longuet herauszuschlagen. Das Ding macht auf einmal die ganze kolossale, bisher brachliegende Masse von Wasserkräften nutzbar. Jetzt aber ans Packen der Zeitungen. Hier ist alles wohl. Dein F.E.
s süßlichen - 6 siehe vorl. Band, S. 386-394 - 7 siehe vorl. Band, S. 104
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 11. Nov. 82
Dear Fred, Ich schicke zurück den „Proletaire".1 Schwer zu sagen, wer größer, Lafargue, der seine orakelhaften Inspirationen in die Busen von Malon und Brousse ausgeschüttet, oder aber diese beiden Heroen, Zweisterne, die nicht nur bewußt lügen, sondern sogar sich selbst vorlügen, die Außenwelt habe nichts zu tun als zu „intrigieren" gegen sie, in der Tat, alle Welt habe Hirnkasten derselben Konstruktion wie das edle Paar. Lafargue hat die üble Narbe von dem Negerstamm: £em Gefühl der Scham, ich meine damit der Schamhaftigkeit, sich lächerlich zu machen. Doch wäre es Zeit, wenn das Journal2 nicht mutwillig zu ruinieren ist, wenn man nicht beabsichtigt (was unglaubbar), daß es durch einen Prozeß seitens der Regierung begraben werden soll - dann Zeit, daß Lafargue seinen kindischen Renommistereien über seine Zukunftsrevolutionsgreueltaten Ende macht. Diesmal ist er von sich selbst hübsch düpiert. Natürlich erschreckt, daß irgendein Denunziantenblatt die entsetzlichen, polizeiwidrig-anarchistischen Auszüge aus dem unterdrückten „Etendard" abgedruckt hat, letzteres also „noch weitergeht" als Paul Lafargue, das patentierte Orakel des socialisme scientifique3 - erschreckt über solche revolutionäre Rivalität, zitiert Lafargue sich selbst (und in letzter Zeit hat er sich hübsch gewöhnt, seine Orakel nicht nur in die Welt fliegen zu lassen, sondern sie auch „fixiert" durch Selbstzitation) zum Beweis, daß „£fendard", daß also der Anarchismus nur Lafargues et Co. Weisheit kopiert hat, aber nur unzeitig, unreif zu realisieren vorhat. So geht's manchmal Orakeln; was sie für eigne Inspiration glauben, ist dahingegen sehr oft nur im Gedächtnis gehangen gebliebne Reminiszenz. Und das von Lafargue Geschriebne und von ihm selbst „Zitierte" - ist in der Tat nur Reminiszenz eines Bakuninschen Rezepts. Lafargue ist in der Tat der letzte Schüler Bakunins, der ernstlich an ihn glaubt. Er solle wieder lesen sein mit Dir
1 Siehe vorl. Band, S. 103 - 2 „L'Egalitt" - 3 wissenschaftlichen Sozialismus
geschriebnes Pamphlet über die „Alliance"11271 und wird ihm klarwerden, wo er seine allerneueste Munition hergenommen hat. Viel Zeit hat es in der Tat gewährt, bis er den Bakunin had understood and, into the bargain has misunderstood him4. Longuet als letzter Proudhonist und Lafargue als letzter Bakuninenist! que le diable les importe!5 Schöner Tag heut und muß ich ins Freie (ist noch erst halb 11 Uhr morgens). Im letzten Brief schrieb ich Dir, ich wolle ohne die medical men6 den Husten loswerden; aber Dr.Williamson machte mich d'une maniere autoritaire7 aufmerksam, daß ich gefälligst trotz alledem Medizin zu schlucken habe. In der Tat tut mir das Gebräu wohl; das Hauptelement darin ist Quinine disulphuricum; das übrige: Morphia, Chloroform etc., fehlt nie in den früher mir aufgehalsten Gebräuen. Wie steht's mit Hartmanns8 Erfinderwehen? Salut. Der Mohr
Aus gestern „Standard" parliamentary debates9 wirst Du gesehn, daß der „werte" Rivers Wilson gefälligst sein Schema, sein mit dem edlen Lowe, alias Sherbrooke, übernommener trusteeship10, schmerzlich wieder auf dem Altar des Vaterlandes niedergelegt hat.11211 Bitter für den Rivers Wilson!
4 verstanden hatte und ihn obendrein mißverstanden hat - 5 der Teufel soll sie holen ! 6 Medizinmänner - 7 in autoritativer Weise - 8 L. N. Hartmann - 9 den gestrigen Parlamentsberichten im „Standard" -10 Treuhänderschaft
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 20. Nov. 82
Dear Fred, Ende dieser Woche (i.e. mit nächstem Montag, 27.Nov.) wird mein Latein zu End sein. Da ich das 8 Tage vorher anzeigen soll, geschieht's. Bevor ich London verließ, zahlte ich about1 5 £ an den parliamentary bookseller2 St. King und about 2 £ dem Kolkmann (Buchhändler), außerdem aber 3 £ für Verschiednes. Tussy und Johnny verließen mich about 3 o'clock3 mit passablem Wetter heute. Ich bin ängst[l]ich über Nachrichten von Paris; daß Lafargue, Guesde etc. sich in gerichtliche Verfolgung fangen ließen11281, ist unverzeihlich; es war vorherzusehn; alles das nur aus „Angst" von wegen der Konkurrenz mit den „Anarchisten"! Kindereien! Salut. Dein K.M.
•^ungefähr - 2 Parlamentsbuchhändler - 3 gegen 3 Uhr
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Engels an Marx in Ventnor
London, 21. Nov. 82
Lieber Mohr, Grade wollte ich bei Dir anfragen, wie's mit den Vorräten steht, als ich Deinen Brief heute erhielt. Inl. cheque £ 30, den Du wie gewöhnlich einziehen lassen willst. Das Geld wirst. Du dann Montag, vielleicht schon Samstag, und wenn Du 1 sh. für Telegramm dransetzen willst, bereits Freitag haben. Inl. I. ein mathematischer Versuch von Moore. Der Schluß, daß the algebraic method is only the differential method disguised1, bezieht sich natürlich bloß auf seine eigne Methode der geometrischen Konstruktion und ist da auch ziemlich richtig. Ich habe ihm geschrieben121, Du legtest gar keinen Wert auf die Art, wie einer sich die Sachen versinnliche in der geometrischen Konstruktion, die Anwendung auf die Gleichungen der Kurven reiche ja hin. Ferner, der Grundunterschied Deiner und der alten Methode sei, daß Du x in x' sich verwandeln, also wirklich Variieren läßt, während die andern von x + h ausgehn, was immer nur eine Summe zweier Größen, nie aber die Variation einer Größe darstellt. Weshalb Dein x, selbst wenn es durch x' durchgegangen und wieder zum ersten x geworden, dennoch ein andres ist als vorher; während, wenn man zu x, h erst zusetzt und dann wieder abzieht, x die ganze Zeit konstant geblieben ist. Nun ist aber jede graphische Darstellung des Variierens notgedrungen die Darstellung des vergangnen Prozesses, des Resultats, also einer konstant gewordenen Größe, die Linie x, ihr Zusatzstück, stellt sich dar als x + h, zwei Stücke einer Linie. Hieraus folgt schon, daß eine graphische Darstellung davon, wie x zu x' und wieder zu x wird, unmöglich.'191 Ferner 2. ein Brief Bernsteins'1291, eben eingesprungen, den ich zurückerbitte. (Pumps mit der Kleinen2 kommt mir dazwischen, da muß ich den Brief übers Knie brechen, da ich mich überzeugt, daß er 5.30 abgehn muß.)
1 die algebraische Methode nichts anderes als die verkleidete Differentialmethode ist 2 Lilian Rosher
Ich weiß nicht, ob ich dem Vollmar einiges auf den Pelz geben soll für seine Malonsche Geschichtsklitterung.0261 Die Unterdrückung des Marseiller Kongresses11301 ist doch eine gar zu starke Geschichtsfälschung. Wenn Bernstein das nicht hervorhebt in den Noten zum Schlußartikel, wird es nötig sein, das zu berichtigen. „Egalite" schick* ich, sobald gelesen. Ein von Lafjargue] versprochner Brief noch nicht da, wie gewöhnlich. Seine offne Antwort an den Untersuchungsrichter'1311, wo er sich als Professor geriert, war kindisch. Die Leute tun, als wenn sie mit aller Gewalt arretiert werden wollten. Glücklicherweise wackelt das Ministerium, so daß sie vielleicht noch davonkommen. Tussy und Johnny kamen gestern all right3 an. Dein F.E.
3 wohlbehalten
S Marx/Engels, Werke, Bd. 35
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Marx an Engels in London
22. Nov. 82 1, St. Boniface Gardens, Ventnor
Dear Fred, Cheque dankbarst erhalten. Sam1, wie Du auch sofort gesehn hast, kritisiert die von mir angewandte analytische Methode, indem er sie ruhig beiseite schiebt, statt dessen sich mit der geometrischen Anwendung beschäftigt, von der ich noch kein Wort gesagt habe. In derselben Manier könnte ich die Entwicklung der eigentlichen sog. Differentialmethode - beginnend mit der mystischen Methode von Newton und Leibniz; dann fortgehend zur rationalistischen Methode von d'Alembert und Euler; abschließend mit der streng algebraischen Methode (aber immer ausgehend von derselben ursprünglichen Newton-Leibnizschen Grundanschauung) Lagranges -, ich könnte diese ganze historische Entwicklung der Analyse damit abspeisen, daß praktisch an der geometrischen Anwendung des Differentialkalkuls nichts im Wesen geändert hat, d.h. an der geometrischen Versinnlichung.'191 Da die Sonne eben sich zeigt, der Moment also zum Spaziergehn, gehe ich daher hier pro nunc2 nicht weiter auf Mathematisches ein, komme aber später auf die verschiednen Methoden gelegentlich ausführlich zurück.3 Des Bernsteins Mitteilung über die „Verstaatlichung" der Eisenbahnen in Preußen interessant.'1291 Seine Ansichten über die extensive Größe der Malon-Broussitischen Organisation11321 teile ich nicht; die Analyse, die ihrer Zeit Guesde gab über die „zahlreiche" (!) Delegation auf dem Kongreß von St.-£tienne, ist nicht widerlegt worden, doch wäre es Streit um des Kaisers Bart. Die erste Organisation einer wirklichen Arbeiterpartei in Frankreich datiert vom Marseille Kongreß11301; damals saß Malon in der Schweiz; Brousse
1 Samuel Moore - 2 im Augenblick-3 siehe vorl. Band, S. 118/119
was nowhere4; und der „Prol6taire" - zusamt mit dessen Syndikaten - hielt sich abwehrend. Der Esel Arnos - das Sprechrohr der englischen Beamten in Ägypten hat den casus seiner Klienten unendlich verschlechtert, indem er dem Keay, dem Verfasser des Pamphlet „Spoiling the Egyptians", den Anlaß zu „ARejoinder" in „Contemporary Review"'1331 gab. Namentlich die Rivers, Wilson, Rowsell und Goschen hat Keay tiefer in den mud5 hineingestampft und mit ihnen das englische Ministerium. Salut. Der Mohr
4 war unbedeutend - 5 Dreck 8*
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Engels an Marx in Ventnor
London, 22. Nov. 82
Lieber Mohr, Meinen Brief von gestern mit cheque für £ 30 wirst Du erhalten haben. Hartmann1 war Sonntag abend hier im tollsten Erfinderrausch. Seine Zelle sei seit Freitag in Tätigkeit, treibe ein Galvanometer mit starkem Widerstand, der anfangs über 50 jetzt stetig 46 ° zeige. Nicht bloß drei, nein sechs Monate bis ein Jahr würde sie ohne Nachhilfe gleichmäßig arbeiten. Zeigen wollte er sie aber den Käufern nicht wegen der noch nicht patentierten Verbesserungen daran. Da sollte ich denn wieder einschreiten. Ich lehnte entschieden ab, ließ die - ganz einfache und ohne Schwierigkeit zu erledigende Sache - durch Percy2 abmachen (was geschehn) und riet ihm, in Zukunft seinen englischen Käufern den Artikel zu liefern, den er ihnen verkauft habe, nicht aber einen andern bessern oder schlechtem. Oh's helfen wird, fraglich. Der Kerl arbeitet fanatisch; Arbeit und Fanatismus reiben ihn auf, er schläft nur von 3-5 morgens und sieht sehr schlecht aus, dafür aher sind seine Kleider um so besser, er kommt jedesmal in einem andern Anzug. Unter den patentierten neuen Verbesserungen ist auch folgende: Um die Ätzkalilauge KOH der Zelle vor der Kohlensäure der Luft zu bewahren und ihre Verwandlung in Kaliumkarbonat zu verhindern, goß er Ol auf die Lösung und konnte, wie Percy erzählt, gar nicht begreifen, daß dies den Zweck nicht erfüllte, vielmehr Fett und Alkali zusammen etwas bildeten, was wie Seife aussah und in der Tat Seife war! Ich habe neulich second hand3 endlich die vollständigen „Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit" gehunden erhalten, und rate, aus wessen verklopfter Bibliothek? - Dr.Strousberg! Da habe ich denn eine Stelle in Plutarchs „Marius" gefunden, die, zu Cäsar und Tacitus gehalten, den ganzen Agrarzusammenhang klarmacht.11341 Die Cimbern „seien ausgewandert, aber nicht wie mit einem Stoße, noch in ununterbrochenem Zuge, sondern Jahr für Jahr wären sie in der guten Jahreszeit immer vorwärts gerückt, und
1 L.N. Hartmann - 2 Percy Rosher - 3 antiquarisch
hätten so in langer Zeit das Festland unter Kampf und Krieg durchzogen". Diese Stelle, zu dem jährlichen Ackerwechsel der Sueven gehalten, wie 70 Jahre später ihn Cäsar beschreibt, gibt den Modus der germanischen Einwanderung an: wo man den Winter verbracht, wurde im Frühjahr gesät und nach der Ernte weitergezogen, bis der Winter Halt gebot. Daß sie in der Regel im Sommer Acker bauten (wo nicht Raub das ersetzte), wohl unzweifelhaft bei Leuten, die Ackerbau mit aus Asien brachten. Bei den Cimbern sehn wir noch den Wanderprozeß, bei Cäsar sein Ende, seitdem der Rhein unüberschreitbare Grenze. Beides zusammen erklärt auch, warum bei C[äsar] „privati ac separati agri apud eos nihil est"4 [135): auf der Wanderschaft war nur geschlechterweise organisierter Gemeinbau möglich, Vermessung von Einzeläckern wäre absurd gewesen. Der Fortschritt resp. Rückschritt zum Einzelanbau bei gemeinsamem Eigentum dann bei Tacitus. Tussy hat mir diverse Zeitungen für Dich übergeben lassen, wozu ich eine „Egalite" füge. Die Frechheit der „figalite" scheint dem Parquet5 wirklich zu imponieren, die Adressen sind noch immer von Lafargues Hand. Besten Gruß. Dein F.E.
4 „es keine privaten und abgegrenzten Äcker gibt" - 6 der Staatsanwaltschaft
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Engels an Marx in Ventnor
London, 23. Nov. 1882
Lieber Mohr, Inl. Brief von Laffargue], den Du mir zurückschicken willst, da ich ihn erst heut morgen erhalten. Er wird also wohl in einigen Tagen ins Cachot1 wandern müssen. Es sind inkurable2 Narren. Wenn Guesde und Laffargue] in Montluson sitzen, so ist das Blatt3 ziemlich kaputt. Die Regierung wagt nicht, sie in Paris vor Gericht zu stellen, aber so einen nach dem andern in der Provinz in aller Stille unschädlich zu machen, %as kann sie sich erlauben. Bis das Blatt fest gegründet, mußten sie jeden Vorwand vermeiden, statt dessen der bakunistische Blödsinn. Ich hatte Laffargue] um Auskunft über die relative Stärke der beiden Parteien4 und ebenso wegen der Maret-Godard Geschichte11361 gebeten. Du siehst seine Antwort. Eis ist offenbar, daß es grade die chambres syndicales5 waren, denen zulieb Malon & Co. das Programm und die ganze Vergangenheit der Bewegung seit dem Marseiller Kongreß11301 zum Opfer brachten. Seine scheinbare Stärke ist also seine wirkliche Schwäche. Wenn man sein Programm aufs Niveau der allerordinärsten Trades Unions herabdrückt, so hat man allerdings leicht „ein groß Publikum". Die Elektrizität hat mir einen kleinen Triumph bereitet. Du erinnerst Dich vielleicht meiner Auseinandersetzung über den Descartes-Leibnizschen Streitpunkt wegen mv und mv2 als Maß der Bewegung11371, die darauf hinauslief, daß mv Maß der mechanischen Bewegung sei bei Übertragung von mechanischer Bewegung als solcher, dagegen mv2 ihr Maß bei Form2 Wechsel der Bewegung, daß Maß, nach dem sie sich in Wärme, Elektrizität etc. verwandelt. Nun, in der Elektrizität galt, solange die Laboratoriumsphysiker das Wort allein hatten, als Maß der elektromotorischen Kraft, die als Repräsentantin der elektrischen Energie angesehn wurde, das Volt (E), Produkt aus Stromstärke (Ampere, C) und Widerstand (Ohm, R).
1 Gefängnis - 2 unheilbare - 3 „ L'£galit6" siehe vorl. Band, S. 402-404-5 Syndikatskammern
E = CxR. Und dies ist richtig, solange elektrische Energie bei Übertragung nicht in eine andre Bewegungsform umschlägt. Nun aber hat Siemens, in seiner Präsidentenrede der letzten British Association'981, daneben eine neue Einheit vorgeschlagen, das Watt (sagen wir W), das die wirkliche Energie des elektrischen Stroms (also gegenüber andern Formen der Bewegung, vulgo Energie) ausdrücken soll, und deren Wert ist Volt X Ampere W = E X C. Aber W = ExC = CxRxC = C2R. Widerstand repräsentiert in der Elektrizität dasselbe, was in der mechanischen Bewegung Masse. Es zeigt sich also, daß in der elektrischen wie mechanischen Bewegung die quantitativ meßbare Erscheinungsform dieser Bewegung - hier Geschwindigkeit, dort Stromstärke - wirkt, bei einfacher Übertragung ohne Formwechsel, als einfacher Faktor, in der ersten Potenz; dagegen bei Übertragung mit Formwechsel als Faktor im Quadrat. Es ist also ein allgemeines Naturgesetz der Bewegung, das ich zuerst formuliert habe. Jetzt muß es aber auch rasch mit der Naturdialektik zu Ende gehn. Bei Dir zu Hause alles wohl, aber überall das Bier schlecht, nur das deutsche im Westend gut. Dein F.E.
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 27. Nov. 82
Dear Fred, Einliegend Lafargues Brief. Ich habe meinem Ärger über die Narrheiten L[afargue]s und Guesdes bereits antizipatorisch1 in Zeilen an Dich2 Luft gemacht und so diskontiert. Unbegreiflich, wie man an Spitze einer Bewegung so leichtsinnig, gradheraus gesagt, so albern alles riskiert - pour le roi dePrusse3! L[afargue]s Artikel über das verhexte Finanzministerium11381 war sehr gelungen. Was die Pariser „Syndikate" anbelangt, so weiß ich auch durch Berichte zu Paris seitens Unparteiischer (während meinem Argenteuil Aufenthalt11391), daß besagte Syndikate womöglich noch viel schlechter als die Londoner Trades Unions. Die Bestätigung der Rolle des Quadrats bei Übertragung von Energie mit Formwechsel der letzteren sehr schön, und gratuliere Dir dazu.4 Salut. Der Mohr
1 vorwegnehmend - 2 siehe vorl. Band, S. 109/110 vorl. Band, S. 118/119
- 3 für nichts und wieder nichts - 4 siehe
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Engels an Marx in Ventnor
London, 30. Nov. 82
Lieber Mohr, Inl. ein heute erhaltener Brief Bebels'1401. Das „Mystische", was er auf einmal nicht verstehn kann und das sie vom Sozialistengesetz'1411 befreien kann, ist natürlich der Losbruch der Krise in Rußland.1 Sonderbar, daß die Leute sich alle nicht daran gewöhnen können, es solle ein Anstoß von dorther kommen. Und ich hab's ihm doch mehr als einmal auseinandergesetzt. Seine Hoffnungen auf eine neue große Krise halte ich für verfrüht — eine Zwischenkrise wie 1842 kann kommen, und das industriell zurückgebliebenste Land, Deutschland, das sich mit den Abfällen der Weltmarktsnachfrage begnügen muß, würde allerdings am meisten leiden. Guesde ist in Montlu^on nach dem ersten Verhör sofort auf freien Fuß gesetzt, und weder Bazin nach Laf[argue] verhaftet, im Gegenteil, Bazin hat in der „lÜg[alit6]" einen Brief an den Polizeikommissar seines Viertels, worin er sich die seine Wohnung umschnüffelnden Mouchards2 verbittet und angibt, wann man ihn zu Haus arretieren könne. Die Leute haben mehr Glück als Verstand. Ich kann die „£g[alite]" erst nach Abgang der 5.30 Post lesen, sie wird Dir also morgen mit der 2ten Post zukommen (2 Nrn.). Ich habe antiquarisch erhalten: „Vom Entstehen und Untergange der polnischen Konstitution vom 3. Mai 1791." 1793 ohne Druckort.11421 Es ist das so oft von Dir erwähnte Buch, worin die Infamien Friedrich] Wilhelms] II. gegen Polen ausführlich geschildert. Kostet eine ganze Mark! Hartmanns3 Batterie, zur Anzündung von 6 Swanschen Glühlampen, soll morgen fertig sein. Gelingt die Sache, d. h. Lichtstetigkeit für längere Zeit, also tatsächlicher Nachweis der konstanten Stromstärke, so wird sofort öffentlich ausgestellt und die Gesellschaft zur Exploitation „gegründet". Auch im Crystal Palace, wo nächstens neue Elektr. Ausstellung, wird
1 Siehe auch vorl. Band, S. 415/416 - 2 Spitzel - 3 L.N. Hartmann
Hjartmann] diverses ausstellen. Er und sein Finanzmann, den ihm Percy4 gefunden, sind sehr begeistert für die Erfindung. Hier alles wohl. Dein F.E.
4 Percy Rosher
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 4. Dez. 82
Dear Fred, Eingeschlossen Bebels Brief, der mich sehr interessiert hat. An so bald eintretende industrielle Krisis glaube ich nicht.'1401 Im ganzen war das Novemberwetter gut, obgleich sehr veränderlich. Die ersten Dezembertage brachten rauhe Kälte, wechselnd mit schmutzig milder Nässe. Heute ist es schön, aber trotzdem bin ich verurteilt zu Stubenarrest. Da ich seit den letzten Tagen Heiserkeit spürte (sicher nicht infolge von Sprechen), unangenehmes Gefühl im Schlund, vermehrter Husten und wenig guter Schlaf trotz meiner regelmäßiger, unausgesetzter und langer Spaziergänge, war wieder Doktor1 zu zitieren. Man wird diese Herrn so leicht nicht los! Es ist nur ein Katarrh im Rachen; jedoch glaubt er, es sei nötig, das Haus zu hüten, bis die Entzündung weg. Neben einer milden Medizin zu schlucken, läßt er mich einatmen Dämpfe von Bezoe2 (dem noch etwas zugemischt ist, es scheint mir etwas Chloroformiges). Er hat mich heute—das 3temal seit meiner Ankunft — wieder auskultiert und perkussiert - und sonst alles in Ordnung gefunden. In ein paar Tagen springt er wieder vor, zu sehn, ob Stubenarrest aufzuheben. In der J'lebe" über meine Werttheorie ist das Merkwürdige, daß alle 3, jeder derselben Widersacher Tun contre l'autre3, Blödsinn kohlen, der Laveleye, Cafiero und Candelari.11431 Das Zitat, was darüber über diese meine Werttheorie Candelari beibringt aus Malorts „Histoire crilique de l'econom[ie] polit[ique\", so übertrifft Malon an Flachheit jedoch in der Tat alle diese 3 Überflieger. I hope that all right4 in 41, Maitland Park Road[1441. Ich erwartete von dort ein paar Zeilen, aber ich weiß, daß poor Tussy overworked6. Salut. Der Mohr
1 James M. Williamson - 2 in der Handschrift: Bezoin - 3 gegeneinander - 4 Ich hoffe, daß alles in Ordnung ist - 6 die arme Tussy überarbeitet ist
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Marx an Engels in London'145'
[Poststempel: Ventnor, 8.Dezember I882J Gleichzeitig rückgeschickt heutig erhaltner „Proletaire" mit Bericht über Shipton & Co.'1461 (die nebenbei Lafargue sehr gerühmt hatte in selber „figalite" von wegen Sammlung für ein French „Strike"1. So geht's, wenn jeder momentane stimulus sofort in „prädestinierter" Richtung ihn dreht.) Dahingegen der in Deiner letzten Postkarte1581, heut arriviert, erwähnte, ein mir fälschlich zugeschickter und wieder Dir zu retournierender „Proletaire" 11171 ist niemals hier angekommen. Er müßte doch gestern oder heute oder wenigstens innerhalb dieser Woche gekommen, aber quod nona, vielleicht verloren auf Post? Der „Sozialdemokrat" müßte sich Material (detailliertes) über Arbeiterbehandlung in preußischen Staatsbergwerken etc. verschaffen zur Charakteristik des Wagener-Bismarckschen Staatssozialismus. Salut. Der Mohr
1 einen französischen „Streik" - 2 dies war nicht der Fall
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Engels an Marx in Ventnor
London, 8. Dez. 82
Lieber Mohr, Die Geschichte mit dem ,,Prol[etaire]" ist wie folgt: als ich Dir neulich ein Paket „Egalites" und „Kölnische] Ztg." schickte, wollte ich Dir auch den Trades Union-,,Prol[etaire]" 11461 schicken und war der Meinung, ihn beigelegt zu haben. Während des Packens war jemand im Zimmer, und ich machte die Sache etwas eilig. Da ich nun nächsten Tag den Trade Union,,Prol[etaire]" noch dort fand, aber nicht den andern, mit den Saintfitienner Schweinereien11171, glaubte ich, Dir diesen zum zweitenmal beigelegt zu haben. Wie ich heute bei Tageslicht nachsehe, finde ich ihn noch in dem Originalumschlag, in dem Du ihn zurückgeschickt; was auch wohl der Grund war, daß ich ihn nicht finden konnte. Aus Deiner Postkarte an Tussy11581 sehe ich, daß Du noch Hausarrest hast bei diesem Schnee und schneewassernassen Boden jedenfalls das beste; wird aber wohl bald besser werden (nicht als das beste, sondern als das jetzige Wetter). Auf gelindere Affektionen der Atmungskanäle während dieses Deines ersten Winters im Norden seit der Pleuritis wirst Du Dich gefaßt machen müssen, die Kur des nächsten Sommers erst kann dem ein Ende machen. Um endlich mit der Parallele zwischen Tacitus* Germanen'1471 und amerikanischen Rothäuten ins reine zu kommen, habe ich mir den ersten Band von Deinem Bancroft'1481 gelind exzerpiert. Die Ähnlichkeit ist in der Tat um so überraschender, als die Produktionsweise so grundverschieden hier Fischer und Jäger ohne Viehzucht und Ackerbau, dort Wanderviehzucht übergehend in Ackerbau. Es beweist eben, wie auf dieser Stufe die Art der Produktion weniger entscheidend ist als der Grad der Auflösung der alten Blutbande und der alten gegenseitigen Gemeinschaft der Geschlechter (sexus) im Stamm. Sonst könnten die Thlinkeets im ehemaligen russischen Amerika'1491 nicht das reine Gegenbild der Germanen sein - wohl noch mehr als Deine Irokesen'1601. Ein andres Rätsel, das sich dort löst, ist, wie Aufladung der Hauptmasse der Arbeit auf die Weiber sich sehr gut verträgt mit großem Respekt vor den Weibern. Ferner habe ich meine Ver
mutung bestätigt gefunden, daß das in Europa ursprünglich bei Kelten und Slawen gefundne jus primae noctis1 Rest der alten sexuellen Gemeinschaft ist; bei zwei Stämmen, weit voneinander und verschiedner Race, besteht es für den Schamanen als Vertreter des Stamms. Ich habe sehr viel aus dem Buch gelernt und vorläufig mit Bezug auf die Germanen hinreichend. Mexiko und Peru muß ich mir für später aufsparen. Ich habe nämlich den Bancrfoft] wieder abgeliefert, dagegen aber den Rest der Maurerschen Sachen genommen, die also jetzt a//e11511 bei mir. Ich mußte sie durchsehn wegen meiner Schlußnote über die „Mark"[1621, die ziemlich lang wird und mir noch immer nicht gefällt, obwohl ich sie 2-3maI neu geschrieben. Auf 8-10 Seiten das nach Entstehn, Blüte und Verfall zu resümieren, ist eiber auch kein Spaß. Wenn ich irgend Zeit habe, schick* ich sie Dir, um Deine Meinung zu hören. Und ich selbst möchte den Kram los sein und wieder an die Naturwissenschaften11371 gehn. Komisch ist, wie sich bei den sog. Naturvölkern zeigt, wie die Vorstellung der Heiligkeit entstanden. Heilig ist ursprünglich das, was wir aus dem Tierreich übernommen haben, das Bestialische; demgegenüber die „Menschensatzungen" ebenso ein Greuel wie im Evangelium gegenüber dem göttlichen Gesetz. Hartmanns2 Installation seiner Batterie zur Erleuchtung von 6 Swanschen Lampen (Glühlichtern a 6 Kerzen Leuchtkraft) sollte gestern fertig werden, ich weiß aber nicht, ob's geglückt. Ich werde Bernstfein] auf Saarbrücken aufmerksam machen3, ich habe das schon früher getan. Aber es wird schwer sein, dort Material aufzutreiben unter dem Sozialistengesetz11411. Schon vorher wurde alles aufgeboten, um diesen Bezirk rein zu halten. mit zweiter Post. Laf[argue] ist noch immer frei11281, da er sie mir adressiert. Apropos Trades-Unions-Deputation: als auf dem Meeting der Possibilisten zu ihren Ehren die Franzosen die „Marseillaise" gesungen, glaubten Ehren-Shipton und Konsorten, sie müßten sich revanchieren und sangen unisono „GodSaoe the Queen!"1 So die „Kölnfische] Ztg.", die ich an Laura geschickt. Also gute Besserung sowohl Deines Halses wie des Wetters! Dein F.E.
1 Recht der ersten Nacht- 2 L.N.Hartmann -3 vgl. vorl. Band, S. 124 - 1 „Gott schätze die Königin/"
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Engels an Marx in Ventnor11531
[London, 13. Dezember 1882J
Dies soeben, 9.20 abends, erhalten. Natürlich wird Paul nach Präsentation in Montlufon sofort in Freiheit gesetzt. Inzwischen schicke ich gleich morgen an Lfaura]1 the needful2. In 41, Maitland Park11441 all right3.
1 Siehe vorl. Band, S. 406 und 409 - 2 das Notwendige - 3 ist alles in Ordnung
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Engels an Marx in Ventnor
London, 15. Dez. 82
Lieber Mohr, Inl. der Anhang über die „Mark"[1521. Sei so gut und schicke ihn Sonntag zurück, damit ich ihn Montag revidieren kann - ich bin mit Schlußrevision heute nicht fertig geworden. Die Ansicht, die hier über die Bauernverhältnisse im Mittelalter und die Entstehung der zweiten Leibeigenschaft seit Mitte 15. Jahrhunderts dargelegt, halte ich für im ganzen unumstößlich. Ich habe im ganzen Maurer'1511 alle bezüglichen Stellen nachgelesen und finde fast alle meine Aufstellungen darin, und zwar belegt, und daneben grade das Gegenteil, aber entweder unbelegt oder aus einer Zeit genommen, von der grade eben nicht die Rede ist. Dies besonders Fronhöfe Band 4, Schluß. Diese Widersprüche gehn hervor bei M[aurer]: 1. aus der Gewohnheit, Belege und Exempel aller Zeiten nebeneinander und durcheinander anzuführen, 2. aus einem Rest juristischer Befangenheit, die ihm jedesmal in den Weg tritt, wenn es sich um Verständnis einer Entwicklang handelt, 3. aus seiner viel zu geringen Berücksichtigung der Gewalt und ihrer Rolle, 4. aus dem aufgeklärten Vorurteil, es müsse doch seit dem dunklen Mittelalter ein stetiger Fortschritt zum Besseren stattgefunden haben; das verhindert ihn nicht nur den antagonistischen Charakter des wirklichen Fortschritts zu sehn, sondern auch die einzelnen Rückschläge. Du wirst finden, daß das Ding durchaus nicht aus einem Guß, sondern rechtes Stückwerk ist. Der erste Entwurf war aus einem Guß, aber leider falsch. Erst allmählich hab' ich das Material untergekriegt und daher das viele Flickwerk. Beiläufig ist die allgemeine Wiedereinführung der Leibeigenschaft einer der Gründe, warum in Deutschland keine Industrie im 17. und 18. Jahrhundert aufkommen konnte. Erstens die umgekehrte Arbeitsteilung bei den Zünften, das Gegenteil der bei der Manufaktur: statt innerhalb der Werkstatt, wird die Arbeit zwischen den Zünften geteilt. Hier fand1 in England
1 In der Handschrift: trat
Auswanderung aufs unzünftige Land statt. Das verhinderte in Deutschland die Verwandlung der Landleute und Bewohner der ackerbautreibenden Marktflecken in Leibeigene. Daran aber ging dann auch schließlich die Zunft kaputt, sobald die Konkurrenz der auswärtigen Manufaktur auftrat. Die andern Gründe, die hier mitgewirkt, die deutsche Manufaktur niederzuhalten, lasse ich hier aus. Heute wieder den ganzen Tag Nebel und Gaslicht. Hartmanns2 Batterie wahrscheinlich für Beleuchtung failure3, höchstens für Telegraphen etc. brauchbar. Darüber mehr, sobald Definitives festgestellt. Halt Dich wohl, hoffentlich erhältst Du bald Wetter, in dem Du ausgehen darfst. Dein F.E.
2 L.N.Hartmann -3 Fehlschlag
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
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Engels an Marx in Ventnor
London, 16. Dez. 1882
Lieber Mohr, Gestern unterbrochen, fahre ich heute fort. Du wirst gesehn haben, wie eilig hingeworfen mein Brief - Pumps und Baby1 störten mich fortwährend, erst bei der Revision des Ms.21152dann beim Brief. Der Punkt von dem fast gänzlichen - rechtlichen oder faktischen - Zurücktreten der Leibeigenschaft im 13. und 14. Jahrhundert ist es, auf den mir am meisten ankommt, weil Du darüber früher eine abweichende Ansicht ausgesprochen. Für das Ostelbische Land steht die Freiheit der deutschen Bauern fest durch die Kolonisation, für Schleswig-Holstein gibt Maurer zu, daß damals „alle" Bauern die Freiheit wiedererlangt (vielleicht noch etwas später als M.Jahrhundert). Auch für Süddeutschland gibt er zu, daß grade damals die Hörigen am besten behandelt. Ebenso mehr oder weniger in Niedersachsen (z. B. die neuen „Meier", faktische Erbpächter).11541 Er ist nur gegen Kindlingers Ansicht, daß die Leibeigenschaft im 16. Jahrhundert erst entstanden sei.[155,! Daß sie aber seitdem wieder neu aufgefrischt, in 2ter Ausgabe erschienen, scheint mir unzweifelhaft. Meitzen gibt die Jahrszahlen an, wo zuerst in Ostpreußen, Brandenburg, Schlesien wieder von Leibeignen die Rede: Mitte lö.Jahrhunderts11561, für Schleswig-Holstein dito Hanssen[157]. Wenn Maurer dies eine gemilderte Leibeigenschaft nennt, so hat er recht gegenüber der des 9.-1 I.Jahrhunderts, die ja noch die altgermanische Sklaverei fortsetzte, ebenso recht gegenüber den juristischen Befugnissen, die der Herr auch nach den Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts noch und später über den Leibeignen hatte. Aber gegen die faktische Stellung der Bauern im 13. und 14., und in Norddeutschland auch im 15. Jahrhundert, war die neue Leibeigenschaft anything but3 eine Milderung. Und erst nach dem 30jährigen Krieg!11581 Bezeichnend ist auch, daß, während im Mittelalter die Grade der Hörigkeit und Leibeigenschaft unzählbar sind, so daß der Sachsenspiegel11591 darauf verzichtet, von egen lüde recht zu reden, seit
1 Lilian Rosher - 2 Friedrich Engels: „Die Mark" - 3 alles andere als
dem 30jährigen Krieg dies merkwürdig einfach wird. Enfin4, ich bin begierig auf Deine Meinung. Ebenso verhinderte mich Pumps bei der Stelle, wo das russische Gemeineigentum erwähnt, eine Note anzukleben, konstatierend, daß diese Mitteilung von Dir herrührt. Inl. vom alten Becker11601, glücklicherweise konnte ich den sanften Tritt sofort parieren und ihm fünf Pfd. schicken, da ich grade Shares5 verkauft und das Geld selbigen Tags eingezahlt war. Hiermit 2 ,,figal[ites]" - hoffe, sie werden morgen abgeliefert, woraus Du siehst, daß Lafjargue] sofort wieder freigelassen'1281 und gestern abend in Paris erwartet wurde. Hart[manns]6 Batterie: solange er bloß den Galvanometer einsetzte, wo der Widerstand durch einen sehr langen Draht repräsentiert wird, also die elektromechanische Kraft nur allmählich verzehrt, so lange ging alles gut. Sobald er aber die Lampe einsetzte, wo der Widerstand auf einem Punkt, dem dünnen kurzen Glühdraht konzentriert, war alles am Ende; der Wasserstoff polarisierte die Silberelektrode sofort, und der schwache Strom brachte bloß eine schwache Röte des Glühdrahts hervor. Nun hat er wieder allerlei Neuerungen im Kopf, die alle beweisen, daß er die Schwierigkeit am unrechten Ort sucht. Ob aber die Herren Geldvorschießer noch zu weiteren Experimenten bereit sein werden, fragt sich. Was meinst Du, könntest Du in der ersten Januarwoche für Schorl[emmer] und mich dort 2 Betten besorgen ? Wir hätten nicht übel Lust, auf ein paar Tage herüberzurutschen, wenn nichts dazwischenkommt. Aber das Dazwischenkommen ist immer wahrscheinlich, von wegen Sch[orlemmers] Rheumatismus etc. Indes wenn wir wissen, daß Du uns bei Dir oder benachbart unterbringen kannst und wie früh wir Dir definitiv uns anmelden müssen, so können wir uns danach einrichten. Dein F.E.
4 Kurzum - 5 Aktien - 6 L.N. Hartmann
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Marx an Engels in London
[Ventnor] 18. Dez. 82
Dear Fred, Retour des Mskr.1[152i; sehr gut! Doktor2 war eben wieder hier; ich kann nicht sagen, daß ich progress sehe, eher das Gegenteil. Es ist nicht kalt in der Außenwelt, aber regnicht, feucht, und der Doktor behauptet, er könne Ausgang nicht erlauben, bis ein schöner Tag; er wolle die Verantwortung sonst nicht nehmen. Au diable ! il faut patienter!3 Salut. Der Mohr
1 Friedrich Engels: „Die Mark" - 2 James M. Williamson - 3 Zum Teufel! man muß sich gedulden!
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Engels an Marx in Ventnor
London, 19. Dez. 1882
Lieber Mohr, Gestern abend 5 Uhr Deinen Brief, heute morgen das Ms.111521 zurückerhalten. Dein Urteil sehr schmeichelhaft, ich kann's, wenigstens was die Form angeht, nicht teilen. Da heute schöner warmer Mittag, wirst Du wohl endlich auf ein paar Stunden vom Hausarrest entbunden worden sein. Wir hier haben freilich seit 1 Uhr wieder zunehmenden, ab und zu nächtlich werdenden Nebel. Die Podolinski-Geschichte'1611 stelle ich mir so vor. Seine wirkliche Entdeckung ist die, daß menschliche Arbeit imstande ist, Sonnenenergie länger auf der Oberfläche der Erde festzuhalten und wirken zu lassen, als ohne sie der Fall sein würde. Alle seine daraus gezognen ökonomischen Folgerungen sind falsch. Ich habe das Ding nicht zur Hand, las es aber noch neulich italienisch in der „Plebe". Den Fragpunkt: Wie kann die in einer bestimmten Menge Nahrungsmittel gegebne Energiemenge durch Arbeit eine größere Energiemenge hinterlassen als sie selbst, löse ich mir so: Gesetzt, die für einen Menschen täglich nötigen Lebensmittel repräsentieren eine Energiemenge, ausgedrückt durch 10 000 WE (Wärmeeinheiten). Diese 10 000 WE bleiben in alle Ewigkeit = 10 000 WE und verlieren in der Praxis, bei der Umwandlung in andre Energieformen, wie bekannt, durch Reibung etc. einen nicht nutzbar zu machenden Teil. Im menschlichen Körper sogar bedeutend. Die in der ökonomischen Arbeit geleistete physikalische Arbeit kann also nie = 10 000 WE sein, sie ist immer kleiner. Aber physikalische Arbeit ist darum noch lange keine ökonomische Arbeit. Die von den 10 000 WE geleistete ökonomische Arbeit besteht keineswegs in der Reproduktion derselben 10 000 WE ganz oder teilweise, in dieser oder jener Form. Diese gehn im Gegenteil größtenteils verloren, in Vermehrter und ausgestrahlter Körperwärme etc., und was von ihnen nutzbar bleibt, ist die Dürigfähigkeit der Exkremente. Die ökonomische Arbeit, die ein
1 Friedrich Engels: „Die Mark"
Mensch vermittelst Aufwendung dieser 10 000 WE leistet, besteht vielmehr in der Fixierung, auf längere oder kürzere Zeit, von neuen, von der Sonne ihm zugestrahlten WE, die mit den ersten 10 000 WE nur diesen Arbeitszusammenhang haben. Ob nun die durch Aufwendung der 10 000 WE der täglichen Nahrung fixierten neuen WE 5000, 10 000, 20 000 oder eine Million betragen, das hängt allein von dem Entwicklungsgrad der Produktionsmittel ab. Rechnungsmäßig darstellen läßt sich dies auch nur an den primitivsten Produktionszweigen: Jagd, Fischerei, Viehzucht, Ackerbau. Bei Jagd und Fischerei wird nicht einmal neue Sonnenenergie fixiert, sondern nur bereits fixierte nutzbar gemacht. Dabei ist es klar, daß - normale Ernährung des Betreffenden vorausgesetzt, das Quantum Eiweiß und Fett, das er erjagt oder erfischt, unabhängig ist von dem Quantum dieser Stoffe, das er verzehrt. Bei der Viehzucht wird insofern Energie fixiert, als sonst rasch verwelkende, absterbende und sich zersetzende Pflanzenteile planmäßig in tierisches Eiweiß, Fett, Haut, Knochen etc. verwandelt, also länger fixiert werden. Die Berechnung wird hier schon verwickelt. Noch mehr beim Ackerbau, wo der Energiewert der Hülfsstoffe, Dünger etc. ebenfalls mit in Rechnung kommt. Bei der Industrie hört vollends alle Berechnung auf: die dem Produkt hinzugefügte Arbeit läßt sich meist gar nicht mehr in WE ausdrücken. Wenn dies z. B. bei einem Pfund Garn allenfalls noch angeht, indem dessen Zähigkeit und Widerstandsfähigkeit sich mit Ach und Krach noch in einer mechanischen Formel wiedergeben läßt, so erscheint es hier doch schon als reine nutzlose Pedanterie und wird schon bei einem Stück Rohtuch, noch mehr beim gebleichten, gefärbten, gedruckten, absurd. Der Energiewert, den Produktionskosten nach, eines Hammers, einer Schraube, einer Nähnadel ist eine unmögliche Größe. Ökonomische Verhältnisse in physikalischen Maßen ausdrücken zu wollen, ist meiner Ansicht nach rein unmöglich. Was Pod[olinski] total vergessen hat, ist, daß der arbeitende Mensch nicht nur ein Fixierer gegenwärtiger, sondern ein noch viel größerer Verschwender vergangner Sonnenwärme ist. Was wir in Verschleuderung von Energievorräten, Kohlen, Erze, Wälder usw. leisten, kennst Du besser als ich. Von diesem Gesichtspunkt aus erscheint auch Jagen und Fischen nicht als Fixierung neuer Sonnenwärme, sondern als Aufbrauchen und schon beginnende Verschwendung von bereits vorher akkumulierter Sonnenenergie. Ferner: was der Mensch absichtlich durch Arbeit, das tut die Pflanze unbewußt. Die Pflanzen - das ist ja schon eine alte Geschichte - sind die
großen Aufsauger und Ablagerer von Sonnenwärme in veränderter Form. Durch die Arbeit, soweit sie Sonnenwärme fixiert (was in der Industrie und auch sonst keineswegs ausnahmslos der Fall), bringt es der Mensch also fertig, die natürlichen Funktionen des Energie verzehrenden Tiers mit denen der Energie aufsammelnden Pflanze zu vereinigen. Der Pod[oIinski] ist von seiner sehr wertvollen Entdeckung ab auf Abwege gekommen, weil er einen neuen naturwissenschaftlichen Beweis für die Richtigkeit des Sozialismus finden wollte und daher Physikalisches und Ökonomisches vermengt hat. Inl. cheque für £ 40, damit Du ihn einkassieren kannst, wann Du willst, und den Rücken gedeckt hast. Wegen Tussys Kommen werde ich heut abend mit ihr sprechen. Was uns angeht, so ist Jollym[eyer] natürlich gleich darauf eingegangen; Näheres kann erst arrangiert werden, wenn er kommt.2 Morgen mehr.
Dein F.E.
2 siehe vorl. Band, S. 131
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Engels an Marx in Ventnor
London, 22. Dez. 1882
Lieber Mohr, Um nochmals auf den Podolinski zu kommen11611, berichtige ich, daß Energieaufspeicherung durch Arbeit eigentlich nur im Feldbau vor sich geht; in der Viehzucht wird im ganzen die in Pflanzen aufgespeicherte Energie nur in das Tier umgelagert, von Aufspeicherung kann da nur insofern die Rede sein, als ohne Viehzucht Nährpflanzen sonst nutzlos verwelken, so aber verwandt werden. Dagegen in allen Industriezweigen wird Energie bloß ausgegeben. Höchstens kommt in Betracht, daß Pflanzenprodukte, Holz, Stroh, Flachs etc., und Tierprodukte, in denen Pflanzenenergie aufgespeichert, durch die Bearbeitung nutzbar gemacht, also länger erhalten werden, als wenn sie der natürlichen Zersetzung überlassen. Die alte ökonomische Tatsache also, daß alle Industrieproduzenten leben müssen von den Produkten des Landbaus, der Viehzucht, Jagd und Fischerei, kann man also, wenn's beliebt, auch ins Physikalische übersetzen, wobei aber kaum viel herauskommt. Inl. Brief von Laura11621; die Sache mit Jenny ist in der Tat gar nicht so schlimm, wenn sie sich nur ordentlich und konsequent behandeln läßt, aber das ist nötig - nicht wegen unmittelbarer Gefahr, sondern wegen höchst unangenehmer Folgen, die bei Vernachlässigung sich festsetzen können. Hartm[ann]1 hat seine ganze Geschichte hier aufgegeben und geht morgen wieder über den Ozean. Es ist das beste. Er hat sich hier mit seinen Kontrakten eine solche Masse rechtlicher Verbindlichkeiten aufgeladen (und sie stellenweise nicht gehalten), daß er selbst nicht mehr weiß, woran er ist. Ich erzähle Dir die Geschichten mündlich, ich bin froh, daß er fort ist. Während er mich in einem fort anpumpte, stellt sich jetzt heraus, daß er fünf bis sechs £ die Woche einsteckte. Mit dem wenigen Nachdenken, das sich Bernstein manchmal erlaubt, hast Du recht. Er aber steht nicht allein. Sieh mal Lafargues neue Ent
1 L.N. Hartmann
deckungen in „Pretres et commerfants" („£g[alite]", 20. Dez.) an und in selber Nr. Devilles neuste Rekonstruktion des keineswegs verbesserten Weitlingianismus[163]. Ich freue mich, daß wir in Beziehung auf die Geschichte der Leibeigenschaft2 „einig gehn", wie der Geschäftsstil sagt. Sicher ist die Leibeigenschaft und Hörigkeit keine spezifisch mittelalterlich-feudale Form, wir haben sie überall oder fast überall, wo Eroberer das Land durch die alten Einwohner für sich bebauen lassen -in Thessalien z. B. sehr früh. Diese Tatsache hat sogar mir und manchem andern den Blick getrübt für die Mittelaltersknechtschaft; man wollte sie gar zu gern auf bloße Eroberung gründen, das machte die Sache so nett und glatt ab. Sieh u.a. Thierry.11641 Auch die Stellung der Christen in der Türkei zur Blütezeit des alttürkischen Halbfeudalismus hatte etwas Ähnliches. Jetzt aber kommt Pumps zum Essen, es ist 5 Uhr, und damit wirkt force majeure3 auf mich. Das brillante Wetter hat Dich hoffentlich wieder herumgebracht. Dein Fred
2 siehe auch vorl. Band, S. 128/129 und 130/131 -3 höhere Gewalt
1883
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Engels an Marx in Ventnor
London, 9. Jan. 83
Lieber Mohr, In aller Eile schicke ich Dir die Inlagen: I. Lafargue[165], 2. Bebel[166], 3. Hepner1167', von denen ich mir 2. und 3. zurückerbitte. Endlich also einmal ein Bericht über Jennys Zustand, aus dem man sieht, wie es eigentlich steht. Meiner Ansicht nach ist die Sache nicht so schlimm, wie sie aussieht, das arme Kind hat sich zu sehr heruntergebracht durch Uberanstrengung und Scheu vor ärztlicher Behandlung, wird aber unter Lauras Direktion sicher bald wieder aufkommen. Ich habe L[aura] sofort £ 15 geschickt, die letzten fünf, damit Laura in ihren Besuchen bei und Einkäufen für Jenny etwas freiere Hand hat. Bis Jenny wieder imstande ist, ihr Haus zu führen, sollte aber Johnny doch besser hierbleiben. Bebels Nachrichten über deutsche Industrie interessant, scheinen mir aber cum grano salis1 zu nehmen zu sein. Was sich ausdehnt, ist meist Luxusindustrie und allenfalls mechanische Weberei - dieser aber unterbinden die Garnzölle die Ausfuhrmöglichkeit. Spindeln haben sie seit der Annexation von Elsaß mehr als sie brauchen, Eisenhütten seit 1870 ditto, was kann sich also in der eigentlichen großen Industrie viel ausdehnen? Auch daß ihm der Rübenzucker so imponiert, deutet auf kleinen Gesichtspunkt hin. Daß der Staat den fabrizierenden Zuckerjunkern Profite zahlt, ist bereits im Landtag verhandelt worden. Hepner. Was sagst Du dazu, daß das kleine Jüdchen (offenbar gedrängt von seinem Associe Jonas) uns die Pistole auf die Brust setzen will wegen einer Vorrede zum „Manifest"? Ich denke, auf solche schnoddrige Briefe antwortet man entweder gar nicht oder verweist ihn höchstens auf die
1 d.h. nicht ganz wörtlich
Vorrede der Leipziger Ausgabe; wenn die ihm nicht gut genug, soll er das „Manifest" ungedruckt lassen. Wenn Du an Sorge wegen Hartmann2 schreibst (falls nicht schon geschehn), könntest Du einige Zeilen über das Hepnerchen einfließen lassen. Postschluß - ich mußte des Gelds wegen in die Stadt und dann die Versendung besorgen, daher verspätet. Dein F.E.
2 L.N. Hartmann
73
Marx an Engels in London
[Ventnor] 10. Jan. 83
Lieber Fred, Es war sehr gut von Dir, mir sofort Lafargues Schreiben11651 herzuschicken; es hat mich sehr beruhigt, so mehr, da ich gleichzeitig heut direkt Brief von Laf [argue] erhielt und danach sicher die Wendung zum Besseren scheint. Ganz bin ich mit Deiner Ansicht, daß unter keinen Umständen Johnny jetzt fort darf. Es kann nicht die Rede davon sein, bevor Jenny wieder völlig hergestellt ist. Es wäre unverzeihlich, die Lage des Kinds noch erschweren. Ich schreibe heut noch direkt dem Longuet. Es ist mir lieb, wenn Du selbst ein paar Zeilen an Jennychen schreibst im selben Sinn. Johnny wäre deshalb noch nicht verloren pour l'armee territoriale1. Es ist merkwürdig, wie alle Nervenaufregung mir jetzt gleich an dem Hals packt, wie der rote Wolff seinen Bruder, den Kornwucherer11681. Alias2 hatte ich im ersten Schreck über die schlechte Nachricht von Paris einige Tage vorher einen spasmodischen Hustanfall, wo ich glaubte zu ersticken. Dies höchst distressing feeling3 muß das arme Jennychen oft während seines Asthma durchpassiert haben. Was das „Hepnerchen" angeht11671, so meine Ansicht, ihn „geschäftlich" zu behandeln. Es stehe ihm ja frei, unsere Vorrede der Leipziger Ausgabe abzudrucken, auch bemerken, daß die Russen eine neue Übersetzung im letzten Jahr veröffentlichten11691. Wenn er ohne eigne neue Vorrede unsrerseits das „Manifest" wieder drucken nicht der Mühe wert halte, so habe er ja zu tun oder lassen, was ihm den Umständen gemäß scheine. Das „Pistole auf die Brust setzen" ist „unsrer Leit" Natur und Art, also als Selbstverständliches mit dem Hepnerchen in Kauf zu nehmen! Von poor4 Meißner erhielt ich Rechnungsbericht für 1881, es sei schlechtes Jahr gewesen, was aber wenig wichtig, da nach seinem eignen Bericht im Jahr 1882 die Exemplare zu „Neige" gehn11701; je weniger in 1881, muß
1 für die territoriale Armee (im übertragenen Sinne: für die Angehörigen in Paris) - 2 Zuvor 3 qualvolle Gefühl - 4 dem armen
er also mehr in 1882 verkauft haben. Mein langes Schweigen muß ihn haben irrlichterlieren. Endlich kommt Mahomet zu ihm; leider noch nicht, was ihm wünschenswerter, ein Pack von Revisionsbogen5. Seit Eintritt des langen und dann nur noch ausnahmsweise unterbrochnen Hausarrests, namentlich aber infolge fortwährender Übelkeit, oder mich süddeutsch ä la Madame Karl Blind, ehemalige Cohen, ästhetisch ausdrückend, infolge täglicher „Kotzerei" - (Folge dies des Hustens) - war ich wenig bis jetzt fähig, die Revision voranzustoßen. Doch glaube ich, mit Geduld und pedantischer Selbstkontrolle bald wieder ins Gleis zu kommen. Der Mohr
i5 des ersten Bandes des „Kapitals", 3. deutsche Auflage

Zweiter Teil
Briefe von Marx und Engels an dritte Personen
Januar 1881 - März 1883

1881
l
Marx an Charles Longuet in Paris
[London] 4. Jan. 1881
Lieber Longuet, Bei mir haben sich so viel alte Zeitungen angesammelt, daß es zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde, die „Eastern Post" herauszufinden, in der die Polemik des Generalrats (einschließlich seiner Kommunardenmitglieder) mit dem illustren Bradlaugh enthalten ist.[171] Ich nehme jedoch an, Leßner wird die „Post" zur Hand haben. Aber das ist für Sie nicht so wichtig. Daß Bradlaugh die Kommunarden beschuldigte, daß er die übelstenVerleumdungen solcher Blätter wie der „Liberte" und des „Soir" wiederholte, was Sie ihm damals in der „Post" nachgewiesen haben, daß er über die Adresse des Generalrats „Der Bürgerkrieg in Frankreich" herfiel usw., das wird ihm in den Augen der Pariser Bourgeoisie kaum schaden. Trotzdem könnte die Angelegenheit kurz angedeutet werden, da sie für den Mann charakteristisch ist. In einer Antwort des Generalsekretärs des Generalrats (es war Haies, aber ihn zu erwähnen, hieße ihm zuviel Ehre zu erweisen) an Bradlaugh (in der „Eastern Post", September 1871) hieß es unter anderem: „Die mutwillige Zerstörung privater Wohnungen (durch Thiers' Bombardement) war das Werk von Mr. Bradlaughs Freunden... Rochefort ist unter der Republik wegen eines Preßvergehens zu lebenslänglicher Deportation verurteilt worden. Man stelle sich vor, Mr. Bradlaugh würde wegen seiner Äußerungen lebenslänglich deportiert!" Wichtig ist, daß Bradlaugh vom Generalrat (Auszüge seiner Sitzungen wurden von der „Eastern Post" veröffentlicht) als Buhler des Plon-Plon {er war damals in London) und wegen seiner verdächtigen Beziehungen in Paris entlarvt wurde. In der Sitzung des Generalrats vom 19.Dez. 1871 deckte ich (informiert durch den Franzosen, der unter dem Namen
10 Marx/Engels, Werke, Bd.-35
Azamouth1 oder einem anderen türkischen Namen schrieb und dem eine Dame - wahrscheinlich die Brimont - dies auf dem geselligen Beisammensein, auf das ich später zurückkomme, erzählt hatte) eine kürzlich unternommene Reise Bradlaughs nach Paris auf, wo er sich mit Detroyat und Emile de Girardin liierte. Letzterer gab ihm zu Ehren ein Essen, wo zweifelhafte, d.h. bonapartistische Damen zugegen waren und wo Bradlaugh sich durch die Prahlerei mit seinem angeblichen Einfluß in London lächerlich machte. Wenn Bradlaugh sagt, die Brimont wäre damals, als er ihre Bekanntschaft machte, eine große Patriotin gewesen, so kann man ihm das wirklich glauben. Vor der Schlacht bei Sedan11721 waren alle Bonapartisten so weit Patrioten, daß sie ihrem Kaiser2 den Sieg wünschten. Nach der Schlacht bei Sedan waren sie weiterhin Patrioten, weil, von ihrem Standpunkt aus, Frankreich nur gerettet werden konnte durch die Restauration Louis Bonapartes, selbst wenn diese Restauration mit Bismarcks Hilfe bewerkstelligt werden müßte. Es versteht sich von selbst, daß Sie mich nicht erwähnen dürfen. Was die Einzelheiten von Bradlaughs enger Verbindung mit der Brimont anbelangt, so ist Blanc (le vieux3) der Mann, der sie geben kann. In seiner Polemik mit dem Generalrat wurde Bradlaugh unterstützt vom „Soir" (der Pariser Zeitschrift). In der Ratssitzung vom 2. Januar 1872 teilte Serraillier mit: „Er habe in ,LeSoir einen zu Bradlaughs Verteidigung geschriebenen Artikel gelesen. Darin stand, daß er (Bradlaugh) die Zeitschrift (,LeSoir ) durch seine Mitarbeit geehrt hätte und daß er ein verläßlicher Mann der Regierung sei und nichts mit demagogischen Intrigen zu tun habe." Als Gladstone das Parlament auflöste (wobei er von Disraeli gestürzt wurde), war Bradlaughs Hörsaal mit riesigen Plakaten ausstaffiert, die verkündeten: „Ein Lebewohl dem Bilderstürmer, dem Volkserlöser! Ein Willkommen dem großen Wagehals von St.Stephens!"[1731 Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er wurde nicht ins Parlament gewählt, trotz seiner öffentlichen Bettelbriefe (um ein gutes Zeugnis) an Bright und andere Führer der „großen liberalen Partei", die sehr kühl antworteten. Auch seine Prahlereien, er habe mit einem life-Bishop4 (der Anglikanischen Kirche) diniert, halfen ihm nicht. Bei der letzten Wahl war Bradlaugh aus folgendem Grund erfolgreicher: Er war einer der lautesten demagogischen Anhänger von Gladstones prorussischer Kampagne gegen Disraeli - tatsächlich eines der rührigsten
1 Azamat-Batuk - 2 Napoleon III. - 3 der alte - * auf Lebenszeit ernannnten Bischof
Werkzeuge der Partei, der, coüte que coüte5, wieder zu „Amt und Würden" gelangen wollte. Darüber hinaus sollte in der bevorstehenden entscheidenden Wahlschlacht kein Wahlkreis aufs Spiel gesetzt werden. Die Zimperlichkeit der Whigs und der radikalen Partei mußte über Bord geworfen werden. Diesmal war Bradlaughs Wahl in Northampton nicht sicher, trotz des starken Kontingents von Schuhmachern in dieser Stadt, die zu seiner „Sekte" gehören; aber diese Schuhmacher hatten zuvor wie ein Mann für ihn gestimmt, und er war doch durchgefallen. Aber es gab noch einen anderen liberalen Kandidaten, der schwer durchzubringen war, weil er wegen seiner „affaires vereuses en matiere de finances"6 und auch einiger Skandale anderer Art (des gifles re?us7) einen notorisch schlechten Ruf genoß. Dieser Mann war Labouchere. Er ist einer der drei Eigentümer der „Daily News", also der Partner jenes gros bonnet8 der liberalen Partei - des pietistischen Kapitalisten Samuel Morley. War es auch schwierig, sowohl Bradlaugh wie Labouchere einzeln durchzubringen, so war es doch möglich, wenn man aus ihnen ein Paar machte. Die öffentliche Empfehlung (durch einen gedruckten Brief) des Atheisten Bradlaugh durch den Pietisten Samuel Morley sicherten Bradlaugh das religiöse Element von Northampton, während Bradlaugh Labouchere die ungläubigen Schuhmacher jener Stadt sicherte. Auf diese Weise kamen beide zusammen als Abgeordnete für Northampton durch. Die ganze Gemeinheit von Bradlaugh kommt am besten in den Manövern zum Ausdruck, mit denen es ihm gelungen ist, all die anderen populären Prediger der Freidenkerei - die wie Mrs. Law nicht seine persönlichen seides9 sein wollten — (die wissenschaftlichen Prediger wenden sich an andere couches sociales10) dadurch zu verdrängen, daß er sich alle Gelder der Partei aneignete. Es gelang ihm sogar, ihnen den Zugang zu allen Hörsälen in London sperren zu lassen, während er mit den Geldern der Partei einen eignen Hörsaal für seinen persönlichen Gebrauch baute. Mrs. Law usw. waren somit darauf beschränkt, in den Provinzen Vorträge zu halten. Falls es Sie interessiert (aber ich glaube, es lohnt nicht, ins Detail zu gehen), können Sie über diesen Punkt von den betreffenden Personen alle Informationen erhalten. Salut. K.M. (Verte11)
5 um jedenPreis —6 „zweifelhaften Finanzgeschäfte" — 7 erhaltene Ohrfeigen —8 Geldmannes — 9 Anhänger -10 soziale Schichten -11 Wenden
Können Sie mir einige Auskünfte über eine Person namens E.Fortin geben, der mir mehrere Briefe mit der Anrede: „Mon eher maitre"12 geschrieben hat? Seine Forderung ist sehr „bescheiden". Während er das „Capital" studiert, schlägt er vor, monatliche resumes anzufertigen, die er mir freundlicherweise monatlich zuzusenden gewillt ist. Ich soll sie monatlich korrigieren und ihm die Stellen erläutern, die er mißverstanden haben könnte. Auf diese stille Weise würde er, wenn er das letzte monatliche resume fertig hat und ich es ihm korrigiert zurückgesandt habe, ein Manuskript haben, das reif zur Veröffentlichung ist, und - wie er sagt - Frankreich mit torrents de lumiere13 überfluten. Nun - schon allein wegen des bloßen Zeitmangels - werde ich seiner Aufforderung nicht nachkommen, aber auf alle Fälle muß ich seinen Brief beantworten. Vielleicht hat er die besten Absichten. Aber ich hätte gern, bevor ich ihm schreibe, einige Auskünfte. Gegenwärtig wohnt er in Beauvais, 22, rue de la Porte de Paris.
Aus dem Englischen.
12 „Mein lieber Meister" -13 Strömen von Licht
2
Marx an einen Unbekannten in London11741
[London] 31. Januar 1881 41, Maitland Park Road, N. W.
Werter Herr, Ich bitte Sie, mir die Zeitungen usw. zugehen zu lassen, die auf der beigefügten Liste angegeben sind. Gleichzeitig würden Sie mich sehr verpflichten, wenn Sie mir mitteilten, ob es eine kurze Übersicht über die Factory and Workshops' Acts gibt. Ich besitze zwar die einzelnen Acts, ein Mitglied der französischen Deputiertenkammer hat mich jedoch gebeten, ihm eine solche Übersicht zu besorgen, in der er alles zusammen finden kann. Wurde nicht etwas dieser Art von Herrn Fabrikinspektor Redpath veröffentlicht?11751
Ihr ergebener Karl Marx
Aus dem Englischen.
3
Engels an Karl Kautsky in Wien
122, Regent's Park Road, N.W. London, 1. Febr. 81
Werter Herr Kautsky, Nach langen Abhaltungen komme ich endlich zur Beantwortung Ihres Briefs.11761 Da Sie ja doch bald hierher zu kommen gedenken, so wäre eine ausführliche schriftliche Kritik des mir gütigst gesandten Buchs eine ziemlich überflüssige Arbeit, ich werde ja wohl das Vergnügen haben, mich mündlich mit Ihnen darüber zu unterhalten, und beschränke mich auf einige wenige Punkte. 1. Das auf S. 66 etc. Gesagte wird dadurch hinfällig, daß zwischen Mehrwert und Kapitalprofit noch andre, reelle, Unterschiede bestehn außer dem der prozentualen Berechnung aufs variable oder aufs Gesamtkapital. „Anti-Dühring" p. 182 sind die hierauf bezüglichen Hauptstellen des „Kapital" zusammengestellt.11771 2. Wenn auch die Kathedersozialisten11781 uns proletarische Sozialisten hartnäckig dazu auffordern, wir sollen ihnen das Rätsel lösen, wie wir eine etwa hereinbrechende Übervölkerung und die daraus drohende Gefahr des Zusammenbruchs der neuen Gesellschaftsordnung vermeiden können, so ist das noch lange kein Grund für mich, den Leuten auch diesen Gefallen zu tun. Diesen Leuten alle Skrupel und Zweifel zu lösen, die sie ihrer eignen konfusen Superweisheit verdanken, oder z.B. nur all den horrenden Kohl zu widerlegen, den allein Schäffle in den vielen dicken Büchern zusammengeschrieben11791, halte ich für reine ZeitverschWendung. Es gäbe allein schon einen ziemlichen Band, wollte man nur alle die in Anführungszeichen gesetzten falschen Zitate dieser Herren aus dem „Kapital" berichtigen. Sie sollen erst lesen und abschreiben lernen, ehe sie verlangen, daß man auf ihre Fragen antwortet. Dazu halte ich die Frage für gar nicht brennend in einem Augenblick, wo die erst eben entstehende amerikanische Massenproduktion und wirkliche große Agrikultur uns unter der Wucht der produzierten Lebensmittel
förmlich zu ersticken droht; am Vorabend einer Umwälzung, die unter andern Folgen auch die haben muß, die Erde erst zu bevölkern, - was Sie S. 169-70 darüber sagen, geht doch gar zu leicht über diesen Punkt hin und die auch in Europa sicher eine starke Bevölkerungszunahme notwendig braucht. Die Eulersche Berechnung11801 hat ganz denselben Wert wie die von dem Kreuzer, der zu Anno 1 unsrer Zeitrechnung auf Zinseszins gelegt, 1 x2144 alle 13 Jahre sich verdoppelt, also jetzt etwa —gg— Gulden ausmacht, ein Silberklumpen, größer als die Erde. Wenn Sie sagen S. 169, die gesellschaftlichen Zustände Amerikas unterschieden sich nicht sehr von den europäischen, so gilt das doch bloß, sobald Sie nur die großen Städte der Küste oder auch nur die äußeren Rechtsformen dieser Zustände ansehn. Die große Masse der amerikanischen Bevölkerung lebt sicher in Zuständen, die der Bevölkerungszunahme äußerst günstig sind. Der Einwanderungsstrom beweist es. Und doch braucht's mehr als 30 Jahre für Verdoppelung. Bangemachen gilt nicht. Die abstrakte Möglichkeit, daß die Menschenzahl so groß wird, daß ihrer Vermehrung Schranken gesetzt werden müssen, ist ja da. Sollte aber einmal die kommunistische Gesellschaft sich genötigt sehn, die Produktion von Menschen ebenso zu regeln, wie sie die Produktion von Dingen schon geregelt hat, so wird gerade sie und allein [sie] es sein, die dies ohne Schwierigkeiten ausführt. Ein Resultat in einer solchen Gesellschaft planmäßig zu erreichen, das sich schon jetzt in Frankreich und Niederöstreich naturwüchsig, ohne Plan entwickelt hat, scheint mir gar nicht so schwer. Jedenfalls ist es Sache jener Leute, ob, wann und wie, und welche Mittel sie dazu anwenden wollen. Ich halte mich nicht berufen, ihnen darüber Vorschläge und Ratschläge zu machen. So gescheit wie wir werden diese Leute doch auch wohl sein. Übrigens schrieb ich schon 1844 („Deutsch-Französische Jahrbücher" S. 109): „Selbst wenn Malthus unbedingt recht hätte, so müßte man diese (sozialistische) Umgestaltung auf der Stelle vornehmen, weil nur sie, nur die durch sie zu gebende Bildung der Massen diejenige moralische Beschränkung des Fortpflanzungstriebes möglich macht, die Malthus selbst als das wirksamste und leichteste Gegenmittel gegen Übervölkerung darstellt."11811 Hiermit genug, bis ich die sonstigen Punkte mündlich mit Ihnen besprechen kann. Sie haben ganz recht herzukommen. Sie sind einer der wenigen aus der jüngeren Generation, der sich bemüht, wirklich etwas zu
lernen, und da wird es Ihnen sehr nützlich sein, aus der Atmosphäre von Unkritik herauszukommen, in der die ganze jetzt in Deutschland verfertigte historische und ökonomische Literatur verkommt. Mit aufrichtigem Gruß. Ihr F. Engels
4
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 2. Febr. T88T
Lieber Herr Bernstein, Inl. ein Brief an Kautsky1, zur gefl. Beförderung, ich weiß nicht, ob die mir gegebne Wiener Adresse noch gut ist. Die 5 Nrn. des „Sozialdemokrat]" seit dem Jahreswechsel bekunden einen bedeutenden Fortschritt. Der melancholische Verzweiflungston des „geschlagenen Mannes", die ihn ergänzende hochtrabende Biedermännischkeit, die fortwährend mit Mostschen Revolutionsphrasen abwechselnde spießbürgerliche Zahmheit, endlich die ewige Beschäftigung mit Most haben aufgehört. Der Ton ist flott und zielbewußt geworden, das Blatt wird nicht mehr abwiegeln, wenn es so bleibt, sondern den Leuten in Deutsch" land zur Ermutigung dienen. Da Sie die ,,N[eue] Rheinische] Ztg." haben, werden Sie gut tun, zuweilen darin zu lesen. Es war grade die Verachtung und der Spott, mit dem wir die Gegner behandelten, die uns in den 6 Monaten bis zum Belagerungszustand11821 fast 6000 Abonnenten einbrachte, und obwohl wir im Nov. wieder von vorn anfingen, hatten wir Mai 49 wieder die volle Zahl und darüber. Die „Kölnische] Ztg." hat jetzt eingestanden, daß sie damals nur 9000 hatte. Da es Ihnen an Feuilleton zu mangeln scheint, könnten Sie einmal das Gedicht aus Nr.44 von 1848 abdrucken: „Heute morgen fuhr ich nach Düsseldorf"; etwa mit dem Titel: Ein Sozialistenfresser von 1848. (Feuilleton der „Neuen Rhein. Ztg." vom 14. Juli 1848) und drunter den Verfasser: Georg Weerth (gestorben in Havanna 1856).11835 Also nur so voran!
Ihr F.E.
„Du sollst nicht stehlen"'1841 und die Apologie der Hinrichtung L[udwigs] XVI.'1851 sehr gut.
1 Siehe vorl. Band, S.150-152
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Marx an Nikolai Franzewitsch Danielson in St. Petersburg11861
London, 19. Februar 1881
Werter Herr, In aller Eile diese wenigen Zeilen als Antwort auf Ihren freundlichen Brief. Seit meiner Rückkehr von Ramsgate war meine Gesundheit im allgemeinen besser11871, doch das abscheuliche Wetter, das wir schon seit Monaten haben, hat mich mit dauerndem Schnupfen und Husten gesegnet, die den Schlaf stören usw. Aber das Schlimmste ist, daß der Zustand meiner Frau täglich gefährlicher wird, obwohl ich mich an die berühmtesten Ärzte Londons gewandt habe; außerdem habe ich eine Menge häuslicher Sorgen, auf die einzugehen langweilig wäre. Anderseits hatte und habe ich mich durch eine ungeheure Menge von Blue Books'1881, die mir aus verschiedenen Ländern, hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten, zugeschickt worden sind, durchzuarbeiten, so daß meine Arbeitszeit für die gestellte Aufgabe kaum ausreicht, zumal mir alle Nachtarbeit von meinen ärztlichen Beratern auf Jahre hinaus strengstens untersagt worden ist. So kommt es auch, daß ich furchtbar viel Briefschulden habe. In meiner Familie geht augenblicklich alles drunter und drüber, da meine älteste Tochter, Frau Longuet, mit ihren Kindern von London nach Paris übersiedelt, wo ihr Mann (seit der Amnestie; in der Zwischenzeit war er Professor am King's College in London) Mitherausgeber der „Justice" geworden ist (er inspirierte Clemenceaus halbsozialistische Rede in Marseille11891). Sie werden begreifen, wie schmerzvoll diese Trennung Lei dem jetzigen Zustand meiner Frau - ist. Für sie, wie für mich, waren unsere Enkelkinder, drei kleine Buben, unerschöpfliche Quellen der Lebensfreude. Nun zunächst zum beiliegenden Manuskript11901. Sein Verfasser, Herr Lafargue, ist der Gatte meiner zweiten Tochter und einer meiner direkten Schüler. Er bat mich, in Erfahrung zu bringen, ob er durch Ihre Vermittlung Mitarbeiter einer Petersburger Revue, der „Omenecme[eHHbiH] 3anucKuu
oder des „Cjioeo" werden könne (ich glaube, das sind die einzigen, bei denen er ankommen kann). Wenn ja, sind Sie ermächtigt, alles, was dem Petersburger Breitengrad nicht entspricht, zu ändern oder fortzulassen. Was seinen „Namen" betrifft, so genügen die Anfangsbuchstaben. Auf jeden Fall wird es Sie interessieren, das Manuskript zu lesen. Ich habe mit dem größten Interesse Ihren Artikel[1911 gelesen, der im besten Sinne des Wortes „originell" ist. Daher auch der Boykott. Wenn man mit seinem Denken die ausgefahrenen Geleise verläßt, kann man immer gewiß sein, zunächst „boykottiert" zu werden; das ist die einzige Verteidigungswaffe, die die routiniers in ihrer ersten Verwirrung zu handhaben wissen. Ich bin in Deutschland viele Jahre lang „boykottiert" worden und werde es in England immer noch, mit der kleinen Variation, daß von Zeit zu Zeit etwas derart Absurdes und Eselhaftes vom Stapel gelassen wird, daß ich erröten müßte, öffentlich davon Notiz zu nehmen. Aber versuchen Sie es nur weiter! Das Nächste, was meiner Meinung nach zu tun wäre, ist, sich die erstaunlich zunehmende Verschuldung der Gutsherren, der Repräsentanten der Oberklasse in der Landwirtschaft, vorzunehmen und zu zeigen, wie sie sich unter der Kontrolle der „neuen Stützen der Gesellschaft" in der Retorte „kristallisieren". Ich bin sehr gespannt auf Ihre Polemik mit dem „CJIOBO". 11921 Sobald ich mehr Ruhe habe, werde ich ausführlicher auf Ihre Esquisse1 eingehen. Einer Bemerkung kann ich mich gegenwärtig jedoch nicht enthalten. Da der Boden erschöpft ist und die Substanzen, deren er bedarf - durch künstliche, vegetabilische und animalische Düngung - nicht erhält, wird er weiter mit der wechselnden Gunst der Witterung, also unter Umständen, die von menschlicher Beeinflussung unabhängig sind, Ernten sehr verschiedenen Umfangs hervorbringen, obschon sich, wenn man eine ganze Periode, etwa die von 1870-1880, überblickt, der stagnierende Charakter der Produktion in schlagender Weise zeigt. Unter solchen Voraussetzungen bahnen günstige klimatische Bedingungen wegen des schnellen Verbrauchs und der Freisetzung des im Boden noch enthaltenen mineralischen Düngers einem Hungerjahr den Weg, während vice versa2 ein Hungerjahr und noch mehr eine Reihe schlechter Jahre die im Boden steckenden Mineralien sich wieder ansammeln und bei Wiedereintritt günstiger klimatischer Bedingungen ihre Wirkung ausüben läßt. Ein solcher Prozeß geht natürlich überall vor sich, aber anderswo wird er durch das modifizierende Eingreifen des Landwirts reguliert. Doch da, wo der Mensch - aus Mangel an Mitteln
1 Skizze - 2umgekehrt
aufgehört hat, eine „Macht" zu sein, wird dieser Prozeß zum einzigen regulierenden Faktor. So hatten wir 1870 eine ausgezeichnete Ernte in Ihrem Lande, aber dieses Jahr war ein Gipfelpunkt, ihm folgte unmittelbar ein sehr schlechtes; das Jahr 1871, die Mißernte, muß als Anfang eines neuen kleinen Zyklus betrachtet werden, der im Jahre 1874 zu einem neuen Gipfelpunkt gelangte; ihm folgte direkt das Hungerjahr 1875. Dann begann die Aufwärtsentwicklung wieder und endete mit dem noch schlimmeren Hungerjahr 1880. Zieht man das Fazit der ganzen Periode, so ergibt sich, daß die durchschnittliche Jahresproduktion gleichgeblieben ist und daß die wechselnden Ergebnisse, wenn man die einzelnen Jahre und kleineren Zyklen vergleicht, allein durch natürliche Faktoren zustande kamen. Wie ich Ihnen vor einiger Zeit schrieb3, war die Tatsache, daß die große industrielle und kommerzielle Krise, die England durchgemacht hat, vorüberging, ohne in einem Börsenkrach in London zu kulminieren, eine AusnahmeeTscheimmg, die einzig dem französischen Geld zuzuschreiben ist. Dies wird jetzt sogar von englischen routiniers eingesehen und anerkannt. So schreibt der „Statist" (29.Jan. 1881): „Der Geldmarkt war nur durch einen Zufall während des vergangenen Jahres so ruhig. Die Bank Von Frankreich hat im Frühherbst ihren Vorrat an Barrengold von £ 30 Millionen auf £ 22 Millionen sinken lassen ...Im Vergangenen Herbst sind wir zweifellos dem Krach nur mit Müh und Not entgangen." (!) Das englische Eisenbahnsystem bewegt sich auf derselben abschüssigen Ebene wie das europäische Staatsschuldenwesen. Die herrschenden Magnaten unter den Direktoren der verschiedenen Eisenbahngesellschaften nehmen nicht nur in wachsendem Ausmaß neue Anleihen auf, um ihr Streckennetz zu erweitern, d.h. das „Territorium", wo sie als absolute Monarchen regieren, sondern sie vergrößern auch ihr Netz, um neue Vorwände für die Aufnahme neuer Anleihen zu haben, die es ihnen ermöglichen, die den Besitzern von Obligationen, Vorzugsaktien usw. geschuldeten Zinsen zu zahlen und von Zeit zu Zeit auch den stark mißbrauchten Inhabern einfacher Aktien einen Bissen in Form etwas erhöhter Dividenden hinzuwerfen. Diese famose Methode muß eines Tages in einer jämmerlichen Katastrophe enden. In den Vereinigten Staaten sind die Eisenbahnkönige zum Mittelpunkt des Angriffs nicht nur wie früher seitens der Farmer und anderer industrieller „entrepreneursui des Westens geworden, sondern auch seitens der großen Repräsentanten des Handels - der New-Yorker Handelskammer.
3 siehe Band 34 unserer Ausgabe, S.463/464 -1 „Unternehmer"
Der Eisenbahnkönig und Finanzschwindler Gould, dieser Riesenkrake, entgegnete den New-Yorker Handelsmagnaten: jetzt attackiert ihr die Eisenbahngesellsch'aften, weil ihr glaubt, sie seien in Anbetracht ihrer augenblicklichen Unbeliebtheit am leichtesten verwundbar; aber nehmt euch in acht! Nach den Eisenbahnen wird jede Art von Corporation (bedeutet im Yankee-Dialekt Aktiengesellschaft), später alle Arten assoziierten Kapitals und schließlich das Kapital schlechthin an die Reihe kommen; so ebnet ihr dem Kommunismus den Weg, dessen Tendenzen sich schon immer mehr im Volk verbreiten. Herr Gould „a le flair bon"5. In Indien harren der britischen Regierung ernste Komplikationen, wenn nicht gar ein allgemeiner Aufruhr. Was die Engländer jährlich an Renten, an Dividenden für Eisenbahnen, die für die Hindus nutzlos sind, an Pensionen für Militärs und Zivilbeamte erhalten, was sie für afghanische und andere Kriege usw. usw. aus dem Land ziehen, was sie ohne jede Gegenleistung bekommen und ganz abgesehen von dem, was sie sich alljährlich innerhalb Indiens aneignen - ich spreche also nur von dem Wert der Waren, die Indien umsonst jedes Jahr nach England schicken muß - all das macht schon mehr als das gesamte Einkommen der 60 Millionen indischen landwirtschaftlichen und industriellen Arbeiter aus! Das ist ein Prozeß des Ausblutens, der sich rächen muß! Die Hunger jähre jagen einander und in einem Ausmaß, wie man es in Europa bisher nicht für möglich hielt! Jetzt ist eine ernsthafte Verschwörung im Gange, zu der Hindus und Moslems sich zusammengetan haben; die britische Regierung ist unterrichtet, daß sich etwas „zusammenbraut", aber diese Hohlköpfe (ich meine die Regierungsleute), die durch ihre eigene parlamentarische Rede- und Denkweise verdummt sind, wollen noch nicht einmal klarsehen und das ganze Ausmaß der drohenden Gefahr erfassen! Anderen etwas vormachen und sich dabei selbst etwas vormachen - das ist die parlamentarische Weisheit in der Nußschale. Tant mieux!6 Können Sie mir sagen, ob Prof. Lankesters „Chapter on deteriorationa (ich fand es in Ihrem Artikel zitiert) ins Russische übersetzt ist?[193i Er ist ein Freund von mir. Vorigen Monat hatten wir hier russischen Besuch, darunter Prof. Sieber (jetzt in Zürich) und Herrn Kablukow (Moskau). Sie haben den ganzen Tag über im Britischen Museum gearbeitet. Keine Nachricht von unserem „gemeinsamen" Freund7?
s „hat einen guten Riecher" - 6 Um so besser! - 7 G.A.Lopatin
Apropos. Jansons letzte statistische Arbeit11941 - ein Vergleich Rußlands mit Europa - hat viel Aufsehen erregt. Ich würde sie gern sehen. Mit den besten Wünschen Ihr sehr ergebener Karl Marx
Sollte Lafargues Artikel in Petersburg keine „Heimat" finden, dann: seien Sie so gut, ihn mir zurückzuschicken.
Aus dem Englischen.
6
Marx an Ferdinand Domela Nieuwenhuis in Den Haag
22. Februar 1881 41, Maitland Park Road London, N.W.
Sehr geehrter Parteigenosse, Mein langes Schweigen ward dadurch veranlaßt, daß ich mit meiner Afntwjort1 auf Ihr Schreiben vom 6. Januar zugleich eine Ubersicht der Änderungen beilegen wollte, die Ihrerseits etwa im Fall einer 2. Ausgabe von „Kapitaal en Arbeid"11951 auszuführen wären. Infolge häuslicher Störungen, nicht vorhergesehner Arbeiten und andrer Unterbrechungen bin ich noch nicht zu Ende gekommen, schicke also diese Zeilen zunächst ohne die Beilage ab, da fortgesetztes Schweigen Ihrerseits mißdeutet werden könnte. Die mir nötig scheinendenÄnderungen betreffen Details; die Hauptsache, der Geist der Sache, ist gegeben. Ich danke Ihnen für die freundliche Widmung, da Sie damit den bürgerlichen Antagonisten persönlich den Fehdehandschuh ins Gesicht geworfen.11961 Der Verfasser2 der „Mannen van beteekenis" 11971, Schulinspektor or something of that sort3, hatte sich brieflich an mich gewandt, um Materialien zu meiner Biographie zu haben, außerdem seinen BJucfJhändler1 an meinen Schwager Juta sich wenden lassen, damit letzterer mich bewege, auf das Anliegen einzugehn, da ich gewöhnlich dergleichen abweise. Der Herr schrieb mir - der Verfasser der „Mannen" -, er teile nicht meine Ansichten, aber erkenne deren Wichtigkeit an, Achtungserklärungen etc. Dasselbe Individuum hatte nachher die Schamlosigkeit, in seine Broschüre ein Verleumdungsfabrikat des berüchtigten preußischen Spions Stieber einzuverleiben, ditto - wahrscheinlich unter Inspiration eines Bonner Kathedersozialisten - mich absichtlicher Fälschung von Zitaten zu zeihen, wobei der Ehrenmann sich nicht die Mühe gegeben, meine Polemik gegen den würdigen Brentano selbst im „Volksstaat" nachzulesen, wo er gesehn hätte, daß
1 Papier beschädigt - 2 Arnold Kerdijk - 3 oder etwas Ähnliches
Brentano, der mich ursprünglich in der „Concordia" (Fabrikantenblatt) „formeller und materieller Fälschung" halber denunziert, sich später durch die Lüge herauswand, er habe das anders verstanden etc.[198] Ein holländisch Journal zur Züchtigung des „Schulinspektors" wollte seine Spalten öffnen, aber ich antworte prinzipiell auf solche Wanzenbisse [nich]t4. Selbst in London habe ich nie die geringste Notiz von ähnlichem literarischem Gekläff genommen. Bei umgekehrtem Verfahren hätte ich den besten Teil meiner Zeit mit Berichtigungen von Kalifornien bis Moskau totzuschlagen. Als ich jünger war, schlug ich manchmal heftig ein, aber das Alter bringt soweit Weisheit, daß man nutzlose dissipation of force5 vermeidet. Die „Frage" des bevorstehenden Züricher Kongresses, die Sie mir mitteilen, scheint mir - ein Fehlgriff.fl99] Was in einem bestimmten, gegebnen Zeitmoment der Zukunft zu tun ist, unmittelbar zu tun ist, hängt natürlich ganz und gar von den gegebnen historischen Umständen ab, worin zu handeln ist. Jene Frage aber stellt sich in Nebelland, stellt also in der Tat ein Phantomproblem, worauf die einzige Antwort - die Kritik der Frage selbst sein muß. Wir können keine Gleichung lösen, die nicht die Elemente ihrer Lösung in ihren Data einschließt. Übrigens sind die Verlegenheiten einer plötzlich durch einen Volkssieg entstandnen Regierung keineswegs etwas spezifisch „Sozialistisches". Umgekehrt. Die siegreichen Bourgeoispolitiker fühlen sich sofort durch ihren „Sieg" geniert, während der Sozialist wenigstens ungeniert eingreifen kann. Auf eins können Sie sich verlassen, eine sozialistische Regierung kommt nicht ans Ruder eines Landes ohne so entwickelte Zustände, daß sie vor allem die nötigen Maßregeln ergreifen kann, um die Bourgeoismasse so ins Bockshorn zu jagen, daß das erste desideratum6 - Zeit für nachhaltige Aktion - gewonnen wird. Sie werden mich vielleicht auf die Pariser Kommune verweisen; aber abgesehn davon, daß dies bloß Erhebung einer Stadt unter ausnahmsweisen Bedingungen war, war die Majorität der Kommune keineswegs so[zial]istisch4, konnte es auch nicht sein. Mit geringem Quantum common sense7 hätte sie jedoch einen der ganzen Volksmasse nützlichen Kompromiß mit Versailles - das allein damals Erreichbare - erreichen können. Die Appropriation der Banque de France allein hätte der Versailler Großtuerei ein Ende mit Schrecken gemacht, etc. etc. Die allgemeinen Forderungen der französischen Bourgeoisie vor 1789 waren ungefähr ebenso, mutatis mutandis8, festgestellt, wie heutzutag die
4 Papier beschädigt - 5 Kraftvergeudung - 6 Wünschenswerte - ' gesunden Menschenverstands - 8 mit den nötigen Abwandlungen
ersten unmittelbaren Forderungen des Proletariats es ziemlich uniform in allen Ländern kapitalistischer Produktion sind. Aber die Weise, worin die Forderungen der französischen Bourgeoisie durchgesetzt wurden, hatte irgendein Franzos' des 18. Jahrhunderts vorher, a priori, die geringste Ahnung davon ? Die doktrinäre und notwendig phantastische Antizipation des Aktionsprogramms einer Revolution der Zukunft leitet nur ab vom gegenwärtigen Kampf. Der Traum vom nah bevorstehenden Untergang der [W]elt9 feuerte die primitiven Christen an in ihrem Kampf gegen das römische Weltreich und gab ihnen Siegesgewißheit. Die wissenschaftliche Einsicht in die unvermeidbare und stetig unter unseren Augen vorgehende Zersetzung der herrschenden Gesellschaftsordnung und die durch die alten Regierungsgespenster selbst mehr und mehr in Leidenschaft gegeißelten Massen, die gleichzeitig riesenhaft fortschreitende positive Entwicklung der Produktionsmittel—dies reicht hin als Bürgschaft, daß mit dem Moment des Ausbruchs einer wirklich proletarischen Revolution auch die Bedingungen ihres (wenn auch sicher nicht idyllischen) unmittelbaren, nächsten Modus operandi10 gegeben sein werden. Nach meiner Uberzeugung ist die kritische Konjunktur einer neuen internationalen Arbeiterassoziation noch nicht da; ich halte daher alle Arbeiterkongresse, resp. Sozialistenkongresse, soweit sie sich nicht auf unmittelbare, gegebne Verhältnisse in dieser oder jener bestimmten Nation beziehn, nicht nur für nutzlos, sondern für schädlich. Sie werden stets verpuffen in unzählig wiedergekäuten [allgejmeinen9 Banalitäten.
Ihr freundlichst ergebner Karl Marx
* Papier beschädigt -10 Handelns
J1 Marx/Engels, Werte, B J. 35
7
Engels an Jenny Longuet in Paris
[London] 24. Febr. 1881
Meine liebe Jenny, Mag der illustre Regnard sein factum1 hinlänglich Deiner „Anteilnahme" empfehlen.1200] Dieser Jakobiner, der den ehrwürdigen englischen Protestantismus und den englischen Vulgärliberalismus mit dem historischen appareil2 dieses selben Vulgärliberalismus verteidigt, verdient in der Tat wärmste Anteilnahme. Aber zu seinen „Tatsachen". 1. Die Hinmetzelung der 30000 Protestanten von 1641. Die irischen Katholiken befinden sich hier in derselben Situation wie die Commune de Paris. Die Versailler ermordeten 30000 Kommunarden und nannten das die Schrecken der Kommune. Die englischen Protestanten unter Cromwell ermordeten mindestens 30000 Iren, und um ihre Brutalität zu bemänteln, erfanden sie das Märchen, dies wäre geschehen,, um den Mord von 30000 Protestanten durch die irischen Katholiken zu rächen. Die Tatsachen sind folgende: Nachdem Ulster seinen irischen Eigentümern, bei denen zu jener Zeit, 1600-1610, das Land Gemeinbesitz war, weggenommen und schottischen protestantischen Militärkolonisten übereignet worden war, fühlten sich diese Ansiedler in den unruhigen Zeiten nach 1640 auf ihren Besitzungen nicht sicher. Die puritanischen englischen Regierungsbeamten in Dublin verbreiteten das Gerücht, daß eine Armee schottischer Covenanter[201] in Ulster landen und alle Iren und Katholiken ausrotten sollte. Sir W.Parsons, einer der beiden Oberrichter von Irland, sagte, daß nach 12 Monaten kein Katholik mehr in Irland übrig sein würde. Infolge dieser im englischen Parlament wiederholten Drohungen erhoben sich die Iren von Ulster am 23. Oktober 1641. Aber es gab kein Gemetzel. Alle zeitgenössischen Quellen schreiben, die Iren hätten ein allgemeines Gemetzel nur beabsichtigt, und sogar die beiden (am 8. Februar 1642 proklamierten) protestantischen Oberrichter erklären, „der Hauptteil ihrer
1 Werk - 2 System
Verschwörung, darunter ein allgemeines Gemetzel, wurde vereitelt". Die Engländer und Schotten warfen jedoch am 4. Mai 1642 irische Frauen nackt in den Fluß (Newry) und ermordeten Iren (Prendergast, „Cromwellian settlement of Ireland", 1865[202)). 2. L'Irlande la Vendee de TAngleterre.3 Irland war katholisch, das protestantische England republikanisch, daher ist Irland die englische Vendee12031. Es besteht jedoch der kleine Unterschied, daß die französische Revolution dem Volk das Land geben, das englische Commonwealth in Irland das Land dem Volke nehmen wollte. Wie den meisten Kennern der Geschichte mit Ausnahme von Regnard wohl bekannt ist, war die ganze protestantische Reformation, abgesehen von ihren dogmatischen Zänkereien und Auslegungen, ein weitreichender Plan zur Konfiskation von Grund und Boden. Zuerst wurde der Kirche das Land genommen. Dann wurden in Ländern, wo der Protestantismus an der Macht war, die Katholiken zu Rebellen erklärt, und ihr Land wurde konfisziert. Nun war es mit Irland ein Sonderfall. „Denn die Engländer", sagt Prendergast, „scheinen geglaubt zu haben, daß Gott einen Fehler machte, als er ein so schönes Land wie Irland den Iren gab; und nahezu 700 Jahre lang haben sie versucht, das wiedergutzumachen." Die ganze Agrargeschichte Irlands ist eine Reihe von Konfiskationen von irischem Grund und Boden, zwecks Übergabe an englische Ansiedler. Diese Ansiedler wurden nach ganz wenigen Generationen unter dem Zauber der keltischen Gesellschaft irischer als die Ureinwohner. Dann fand eine neue Konfiskation und eine neue Kolonisation statt, und so in infinitum4. Im 17. Jahrhundert war ganz Irland, mit Ausnahme des erst kürzlich schottifizierten Nordens, für eine neue Konfiskation reif. Derart, daß das britische (puritanische) Parlament, als es Karl I. eine Armee zur Unterwerfung Irlands bewilligte, beschloß, daß das Geld für deren Ausrüstung gegen Verpfändung von 2500000 Acres, die in Irland konfisziert werden sollten, aufzubringen sei! Und die „Adventurers"[2041, die das Geld vorstreckten, sollten auch die Offiziere dieser Armee ernennen. Das Land sollte unter diesen „Adventurers" so aufgeteilt werden, daß diejenigen 1000 Acres erhalten sollten, die in Ulster £ 200 vorausbezahlten, in Connaught £ 300, in Munster £ 450, in Leinster £ 600. Und wenn sich die Menschen gegen diesen wohlwollenden Plan erheben, sind sie Vendeer!
8 Irland ist die englische Vendge. - 4 ohne Ende 11*
Wenn Regnard jemals in einem Nationalkonvent sitzen sollte, mag er dem Beispiel des Langen Parlaments'2051 folgen und eine etwaige Vendee mit diesen Mitteln bekämpfen. Die Abschaffung der Strafgesetze!'2061 Nun, der größere Teil von ihnen wurde nicht 1793, sondern 1778 aufgehoben, als England vom Aufstand der amerikanischen Republik bedroht war, und die zweite Aufhebung, 1793, erfolgte, als sich die Französische Republik drohend erhöh und England alle verfügbaren Soldaten brauchte, um sie zu bekämpfen! Die Subsidien für Maynooth12071 durch Pitt: Diese Almosen wurden durch die Tories bald widerrufen und erst durch Sir R.Peel 1845 erneuert. Aber kein Wort über das andere cadeau que faisait a l'Irlande ce grand homme (c'est la premiere fois qu'il trouve grace devant les yeux d'un Jacobin)5, jene andere - nicht nur „considerable"6, sondern wirklich verschwenderische „dotation"7 - die 3 Millionen Pfund, durch die die Union Irlands mit England12081 erkauft wurde. Die Parlamentsdokumente werden zeigen, daß allein der Posten des Kaufgeldes verfallener und nomineller Wahlkreise keine geringere Summe als £1245000 ausmacht (O'Connell, Memoir on Ireland", an die Königin gerichtet). Lord Derby errichtete le systeme des ecoles nationales8.12091 Sehr richtig, aber warum tat er das? Schlage Fitzgibbon, „Ireland in 1868", das Werk eines unerschütterlichen Protestanten und Tory, nach oder aber den offiziellen „Report of Commissioners on Education in Ireland" von 1826. Die Iren hatten die Erziehung ihrer Kinder selbst in die Hand genommen, da sich die englische Regierung nicht um sie kümmerte. Zu der Zeit, als englische Väter und Mütter auf ihrem Recht bestanden, ihre Kinder statt in die Schule zum Lernen in die Fabrik zu schicken, damit sie Geld verdienten, zu jener Zeit wetteiferten in Irland die Bauern miteinander, eigene Schulen zu errichten. Der Schulmeister war ein Wanderlehrer, der in jedem Dorf ein paar Monate verbrachte. Man gab ihm eine Hütte, jedes Kind zahlte ihm wöchentlich 2 d. und im Winter ein paar Stücke Torf. An schönen Tagen im Sommer wurde in den Feldern, nahe einer Hecke, Schule gehalten, daher nannte man sie dann Heckenschulen. Es gab auch Wanderschüler, die mit den Büchern unterm Arm von Schule zu Schule wanderten und von den Bauern ohne Schwierigkeiten Unterkunft und Nahrung erhielten. 1812 gab es 4600 solcher Heckenschulen in Irland,
6 Geschenk, das dieser, große Mann Irland gemacht hat (es ist das erstemal, daß er vor den Augen eines Jakobiners Gnade findet) - 6 „beach tliche" - 7 „Zuwendung" - 8 das System der nationalen Schulen
und der „Report of the Commissioners" von diesem Jahr besagt, daß eine solche Erziehung „eher zum Bösen als zum Guten führe", „daß die Menschen eine solche Erziehung tatsächlich für sich erhalten, und obgleich wir es für tunlich halten, das zu ändern, scheint es unmöglich, ihr Fortschreiten aufzuhalten: sie kann verbessert, aber sie kann nicht verhindert werden". Diese wahrhaft nationalen Schulen entsprachen also nicht den englischen Absichten. Um sie zu unterdrücken, wurden scheinbar nationale Schulen errichtet. Sie sind so wenig Weltlich, daß das Lesebuch aus Ausschnitten der katholischen und der protestantischen Bibel besteht, denen der katholische und der protestantische Erzbischof von Dublin zugestimmt haben. Vergleiche mit diesen irischen Bauern die Engländer, die bis zum heutigen Tage nach obligatorischem Schulbesuch heulen!12101
Aus dem Englischen.
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Marx an Vera Iwanowna Sassulitsch in Genf12111
8. März 1881 41, Maitland Park Road London, N.W.
Liebe Bürgerin, Eine Nervenkrankheit, die mich seit zehn Jahren periodisch befällt, hat mich gehindert, früher auf Ihren Brief vom 16. Februar zu antworten. Ich bedaure, Ihnen keine bündige, für die Öffentlichkeit bestimmte Auskunft über die Frage geben zu können, die Sie an mich zu stellen mir die Ehre erwiesen haben. Vor Monaten habe ich bereits dem St. Petersburger Komitee12121 eine Arbeit über denselben Gegenstand versprochen. Dennoch hoffe ich, daß einige Zeilen genügen werden, um Sie von jedem Zweifel über das Mißverständnis hinsichtlich meiner sogenannten Theorie zu befreien. Bei der Analyse der Entstehung der kapitalistischen Produktion sage ich: „Dem kapitalistischen System liegt also die radikale Trennung des Produzenten von den Produktionsmitteln zugrunde ... Die Grundlage dieser ganzen Entwicklung ist die Expropriation der Ackerbauern. Sie ist auf radikale Weise erst in England durchgeführt ... Aber alle anderen Länder Westeuropas durchlaufen die gleiche Bewegung." („Le Capital", edit. franfaise, p.315.) Die „historische Unvermeidlichkeit" dieser Bewegung ist also ausdrücklich auf die Länder Westeuropas beschränkt. Der Grund dieser Beschränkung wird in folgendem Passus des Kapitels XXXII angeführt: „Das Privateigentum, das auf persönlicher Arbeit gegründet ist..., wird verdrängt durch das kapitalistische Privateigentum, das auf der Ausbeutung der Arbeit andrer, auf Lohnarbeit gegründet ist." (I.e., p.341.)12131 Bei dieser Bewegung im Westen handelt es sich um die Verwandlung einer Form des Privateigentums in eine andere Form des Privateigentums. Bei den russischen Bauern würde man im Gegenteil ihr Gemeineigentum in Privateigentum umwandeln.
Die im „Kapital" gegebene Analyse enthält also keinerlei Beweise weder für noch gegen die Lebensfähigkeit der Dorfgemeinde, aber das Spezialstudium, das ich darüber getrieben und wofür ich mir Material aus Originalquellen beschafft habe, hat mich davon überzeugt, daß diese Dorfgemeinde der Stützpunkt der sozialen Wiedergeburt Rußlands ist; damit sie aber in diesem Sinne wirken kann, müßte man zuerst die zerstörenden Einflüsse, die von allen Seiten auf sie einstürmen, beseitigen und ihr sodann die normalen Bedingungen einer natürlichen Entwicklung sichern. Ich habe die Ehre, liebe Bürgerin, Ihr sehr ergebener Karl Marx
Aus dem Französischen.
9
Engels an S.F.Kaufmann in London (Entwurf)
122, Regent's Park Road, N.W. [London] 1 I.März 1881
Werter Herr Kaufmann, In Beantwortung Ihrer werten Zeilen vom 9. er. bedaure ich, Ihren Wunsch wegen der Garantie nicht erfüllen zu können. Ich habe mit Garantien solche Erfahrungen gemacht, daß ich ein für allemal mir vorgenommen habe, lieber gleich selbst das Geld vorzuschießen, falls ich das kann, als zu garantieren. Ich habe aber das Geld nicht zur Verfügung; hätte ich es und könnte ich es entbehren, so würde ich es für meine erste Pflicht halten, es der Partei in Deutschland zu überweisen, der wir jetzt jeden disponiblen Pfennig schulden. Ich habe aber noch einen andern Grund. Ich habe in den letzten 10 Jahren nur zu oft gesehn, wie rasch hier die Leute wechseln, aus denen die hiesigen deutschen Arbeitervereine sich zusammensetzen, und da könnte es immerhin kommen, daß, ehe meine Garantie abgelaufen ist, der Verein eine ganz andre Richtung eingeschlagen hätte als seine jetzige, und ich in letzter Instanz für Herrn Most Garantie geleistet hätte, was doch nicht zu verlangen ist.1 [214) In der Hoffnung, daß Sie anderweitig Mittel finden werden, die fehlenden Fonds zu beschaffen, verbleibe ich ergebenst
1 Dieser Absatz in der Handschrift senkrecht gestrichen
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 12. März 1881'
Lieber Herr Bernstein, Hierbei einiges Material für das Ehebruchsverbot.t215] Ob Sie's werden benutzen können, weiß ich freilich nicht. Der Punkt ist kitzlich, und Sie müssen wissen, ob seine Berührung mehr schadet als nutzt. Jedenfalls wollte ich Ihnen einen Weg zeigen, wie man dies Gebot behandeln kann, ohne in Moralphilisterei zu verfallen, und es kann Ihnen immerhin nützlich sein, das historische Material über diesen Kasus, soweit es mir zu Gebot stand, zusammengestellt zu haben. Im übrigen hält sich das Blatt1 im ganzen recht gut, einzelne Nrn. sind, sehr gut, etwas weniger doktrinäre Artikel, wie der über den Staatssozialismus'2161, könnten nicht schaden. Wie kann man Turgot, einen der ersten Ökonomen des 18. Jahrhunderts, in einen Topf werfen mit dem sehr praktischen Mann der haute finance2, Necker, dem Vorgänger der Laffittes und Pereires, und gar dem elenden Calonne, dem Mann der Auskunftsmittel von der Hand in den Mund, der ein echter Aristokrat war: aprfcs moi le deluge3? Wie diese, besonders Turgot und selbst Necker, zusammenstellen mit Bismarck, der höchstens a la Calonne Geld um jeden. Preis will, und diesen Bismarck wieder ohne weiteres mit Stoecker und andrerseits Schäffle & Co., die jeder wieder ganz andre Tendenzen verfolgen? Wenn die Bourgeois dies alles in einen Topf werfen, so ist das kein Grund, daß wir ebenso unkritisch verfahren. Das ist ja eben die Wurzel des Doktrinarismus, daß man den interessierten und bornierten Behauptungen des Gegners glaubt und dann auf diese Behauptungen ein System baut, das natürlich mit ihnen steht und fällt. Bei Bis[marck] handelt es sich um Geld, abermals Geld, zum dritten Mal Geld, und die Vorwände dafür wechselt er nach rein äußerlichen Rücksichten. Gebt ihm eine andre Zusammensetzung
1 „Der Sozialdemokrat" - 2 Hochfinanz - 3 nach mir die Sintflut
der Majorität im Reichstag, und er wirft alle seine jetzigen Pläne fort und macht entgegengesetzte. Darum kann man nie und nimmermehr eine Bankerutterklärung der modernen Gesellschaft herauslesen aus irgend etwas, das ein theoretisch so unvernünftiges und praktisch so wechselndes Tier tut wie Bismarck. Ebensowenig aus den geistigen Veitstänzen eines Narren wie Stoecker. Auch nicht aus dem Kohl der „denkenden Männer" a la Schäffle. Diese Leute „denken" (es ist ungefähr alles, was sie „denken") nicht daran, die moderne Gesellschaft für bankerott zu erklären. Im Gegenteil, sie leben ja bloß davon, daß sie sie wieder zurechtflicken wollen. Was aber z.B. Schäffle für ein denkender Mann ist: in der „Quintessenz"11791 gesteht der dumme Schwab, er habe zehn Jahre lang über einen (der einfachsten) Punkte im „Kapital" nachgedacht, eher dahintergekommen, und dann ist er hinter puren Blödsinn gekommen! Es ist eine rein interessierte Fälschung der Manchesterbourgeois, jede Einmischung des Staats in die freie Konkurrenz als „Sozialismus" zu bezeichnen: Schutzzölle, Innungen, Tabaksmonopol, Verstaatlichung von Industriezweigen, Seehandlung, kgl. Porzellanmanufaktur. Das sollen wir kritisieren, nicht aber glauben. Tun wir das letztere und basieren eine theoretische Entwicklung darauf, so fällt diese mit ihren Voraussetzungen, also mit dem einfachen Nachweis, daß dieser angebliche Sozialismus nichts ist als einerseits feudale Reaktion, andrerseits Vorwand zur Geldpresse, mit der Nebenabsicht, möglichst viele Proletarier in vom Staat abhängige Beamte und Pensionäre zu verwandeln, neben dem disziplinierten Kriegs- und Beamtenheer auch ein dito Arbeiterheer zu organisieren. Wahlzwang durch staatliche Vorgesetzte statt durch Fabrikaufseher schöner Sozialismus! Dahin aber kommt man, wenn man dem Bourgeois glaubt, was er selbst nicht glaubt, sondern nur vorgibt: Staat sei = Sozialismus. Sonst finde ich Ihre Auffassung von der dem Blatt zu gebenden Haltung ganz stimmend mit der meinigen, freue mich auch, daß in der letzten Zeit nicht mehr so viel Aufwand mit dem Wort Revolution gemacht wird wie zuerst. Das war anfangs ganz gut nach der argen Abwiegelei von 1880, aber es ist besser, auch gegenüber Most, vor großen Phrasen auf der Hut zu sein.12171 Man kann revolutionäre Gedanken aussprechen, ohne fortwährend mit dem Wort Revolution um sich zu werfen. Der arme Most ist übrigens ganz aus dem Häuschen, er weiß nicht mehr, wo anbinden, und nun nimmt ihm auch noch der Erfolg von Fr[itzsche] und V[iereck] in Amerika12181 den letzten Wind aus den Segeln. Das Blatt kann jetzt unsern Leuten in Deutschland doch wirklich zur
Aufmunterung und Erheiterung dienen, die sie, wenigstens die sog. Führer, teilweise sehr nötig haben. Ich habe wieder einige Jammerbriefe erhalten und gebührend beantwortet. Auch V[iereck] war anfangs sehr melancholisch, aber ein paar Tage in der freien Londoner Luft genügten, ihm wieder Elastizität zu geben. Diese freie Luft muß das Blatt nach Deutschland hineintragen, und dazu dient vor allem, daß der Gegner mit Verachtung behandelt, verhöhnt wird. Wenn die Leute erst wieder über Bismarck& Co. lachen lernen, ist viel gewonnen. Man darf aber nicht vergessen, daß dies das erste Mal ist, daß so etwas den Leuten passiert, wenigstens der großen Mehrzahl, und daß namentlich eine Menge Agitatoren und Redakteure aus ganz angenehmen Stellungen sehr unangenehm aufgerüttelt wurden. Da ist Erheiterung nötig, ebensosehr wie die stete Erinnerung daran, daß Bismarck & Co. immer noch dieselben Esel, dieselben Kanaillen und dieselben, gegenüber der geschichtlichen Bewegung machtlosen, armen Tröpfe sind wie vor den Attentaten1-321. Also jeder Witz über dies Pack ist wertvoll. Wegen Irland nur soviel: die Leute sind viel zu klug, um nicht zu wissen, daß ein Aufstand ihr Ruin wäre; der kann nur im Fall eines Kriegs zwischen England und Amerika Chance haben. Inzwischen haben die Irländer im Parlament Gladstjone] genötigt, kontinentale Geschäftsordnung einzuführen und damit den ganzen englischen Parlamentarismus zu untergraben.12191 Sie haben Gladst[one] ferner gezwungen, alle seine Phrasen zu verleugnen und torystischer zu werden als selbst die ärgsten Tories. Die Zwangsbills1291 sind durch, die Landbill12201 wird vom Oberhaus entweder verworfen oder kastriert, und dann geht der Tanz los, nämlich die geheime Zersetzung der Parteien wird öffentlich. Seit Gladst[one]s Ernennung tun sich Whigs und gemäßigte Tories, d.h. die Gesamtheit der Großgrundbesitzer im stillen zu einer großen Grundbesitzpartei im stillen zusammen. Sobald dies gereift, die Familien- und Personenmteressen ausgeglichen, oder sobald etwa infolge der Landbill die neue Partei an die Öffentlichkeit gedrängt wird, zerfällt das Ministerium und die jetzige Majorität. Gegenüber der neuen konservativen Partei tritt dann die neue bürgerlich-radikale, aber ohne jeden andern Hinterhalt als die Arbeiter und die irischen Bauern. Und damit hier nicht wieder Prellerei und Mogelei stattfindet, bildet sich soeben eine proletarisch-radikale Partei unter Führung von Joseph Cowen (M.P.4 für Newcastle), der ein alter Chartist, halber, wenn nicht ganzer Kommunist, und sehr braver Kerl ist.
4 Member of Parliament (Abgeordneter)
Irland bewirkt das alles, Irland ist das treibende Element im Reich. Dies zu Ihrer Privat-Information. Nächstens mehr darüber. Gruß. Ihr F.E.
Da Kautsky, den Sie grüßen wollen, doch bald herkommt, wäre es zwecklos, ihm ausführlich zu antworten. Grüßen Sie Beust, wenn Sie ihn sehn.
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf12211
122, Regent's Park Road, N. W. London, 28. März 81
Lieber Alter, Ich schicke Dir sofort Geld, sobald Du mich durch Angabe Deiner neuen Adresse dazu in den Stand setzest, diese muß ich ja angeben, und was ich im „Precurseur" von Adressen finde, scheint mir kaum zur Angabe geeignet, wenn nicht Schwierigkeiten daraus entstehn sollen. Sobald ich Antwort habe, erhältst Du sofort 100 fr. und ausführliche Antwort1
von Deinem F. Engels
1 Siehe vorl. Band, S.176
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Engels an August Bebel in Leipzig
London, 30. März 1881
Lieber Bebel, Viereck (von dem inl. eine Postkarte) wünscht, ich soll Euch über das Bostoner Meeting berichten; aber wie gewöhnlich bei kombinierten Operationen kam auch hier eine Störung nach der andern; 1. schrieb Harney eine Woche später, 2. vergaß er , den Zeitungsbericht beizulegen, den ich erst gestern erhielt. Diesen gab ich heute an Kautsky, der hier ist, damit er ihn für den „Sozialdemokrat]" verarbeitet12221. Das Meeting in Boston war brillant, trotz schlechter Ankündigung 1500 Leute, V3 Deutsche. Zuerst sprach Swinton, ein amerikanischer Kommunist, der uns vorigen Sommer hier besuchte und Eigentümer einer großen N[ew] Y[orker] Zeitung1 ist. Dann Fritzsche. Endlich Wendell Phillips, der große Anti-Sklaverei-Mann, der mehr als irgend jemand, John Brown ausgenommen, für die Abschaffung der Sklaverei und die Durchführung des Kriegs getan und der der erste Redner Amerikas, vielleicht der Welt ist. Er trug den Deutschen den Dank ab, den er ihnen dafür schuldete, daß 1861 in allen großen Städten die deutschen Turner ihn vor dem amerikanischen Mob mit ihren Leibern gedeckt und St. Louis der Union erhalten hatten.'2231 Wie er sprach, nur eine Probe: „So weit, wie ich vom Kampfplatz ab bin, erlaube ich mir nicht, die Kampfweise zu kritisieren. Ich schaue auf Rußland, 4000 Meilen entfernt, und sehe, welch ein Alp auf dem Volk dort lastet. Ich hoffe nur, daß sich jemand findet, der ihn von den Schultern des Volks wegnimmt. Und wenn das nur der Dolch kann, dann, sage ich: Willkommen der Dolch! Ist hier ein Amerikaner, der das mißbilligt? Wenn das, dann sehe er (auf ein Wandgemälde zeigend) sich Joe Warren an, der bei Bunkers Hill starb." Das war am 7.März, am 13. tat die Bombe, was der Dolch nicht konnte.12241 Nach dem heutigen „Standard" soll Most wegen des Attentatsartikels von der englischen Regierung verfolgt werden! Wenn die russische
•'„The Sun"
Gesandtschaft und Gladstone platterdings den albernen Hans zum großen Mann machen wollen, dann ist ihnen nicht zu helfen. Es ist dabei noch lange nicht sicher, daß M[ost] verurteilt wird. Die sittliche Entrüstung der großen Blätter über die Bombe war großenteils Anstandssache, der der Bourgeois schandenhalber hier sich nie entzieht. Die komischen Blätter, die die Stimmung weit treuer widerspiegeln, haben den Fall ganz anders gefaßt, und bis es zur Schlußverhandlung kommt, kann sich dabei noch manches ändern, so daß das erforderliche einstimmige Verdikt von 12 Geschwornen noch lange nicht sicher ist.'2251 Um zu unsern amerikanischen Freunden zurückzukehren, so ist das Eintreten von Wendell Phillips (bewirkt durch einen jungen amerikanischen Journalisten Willard Brown, der voriges Jahr hier viel bei Marx verkehrte und der überhaupt bei der amerikanischen Presse alles für sie getan und die nötige Reklame für sie gemacht) von der höchsten Bedeutung. Der Erfolg übertrifft überhaupt meine Erwartungen und zeigt, daß auch bei den Deutschen, selbst Bürgern, in Amerika die Bismärckerei sehr in Verfall gekommen. I l's2 Hoffnungen von einer zweiten Reise mit L[iebknecht] dürften sich aber schwerlich realisieren, so rasch darf man nicht zweimal kommen. Auch dürfte das große Petersburger Ereignis und seine unvermeidlichen Folgen eine solche, die doch erst im nächsten Jahr zulässig, überflüssig machen. Alex[ander] III. muß, er mag wollen oder nicht, durch irgendeinen entscheidenden Schritt den Stein ins Rollen bringen, bis dahin kann aber noch eine kurze Zeit schwerer Verfolgung kommen, und die Schweiz wird wohl bald zu Massenausweisungen schreiten. Inzwischen versimpelt der alte Wilhelm3 immer mehr, wenn er nicht abkratzt, Bismarck wird täglich toller und scheint mit Gewalt den preußischen rasenden Roland spielen zu wollen, die bürgerlichen Parteien gehen täglich mehr aus dem Leim, die Steuerwut der Regierung tut den Rest. Selbst wenn wir alle die Hände in den Schoß legten, die Ereignisse würden uns mit Gewalt in den Vordergrund schieben und den Sieg vorbereiten. Es ist ein wahrer Genuß, so eine lang vorhergesehne revolutionäre Weltlage der allgemeinen Krisis entgegenreifen, die blinden Gegner unsre Arbeit für uns tun, die Gesetzmäßigkeit der dem Weltkrach zutreibenden Entwicklung in und durch die allgemeine Verwirrung sich durchsetzen zu. sehn. Gruß von M[arx] und Deinem F.E.
2 Louis Vierecks - 3 Wilhelm I.
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 4. April 1881
Lieber Alter, Ich schreibe Dir unmittelbar vor Postschluß, weil ich erst jetzt die Anweisung erhalte, vier Pfund Sterling = 100 fr. 80 c., die Dir hoffentlich ohne Verzug ausgezahlt werden.12261 Deine Adresse war mir unentbehrlich, da sie hier auf der Post verlangt wird, sonst gibt's keine Anweisung. Den Liebkn[echt] werde ich wegen der falschen Versprechungen treten1, die Leute müssen etwas für Dich tun. Im übrigen ist erfreulich, daß die Courage sich wieder bei unsern Leuten einstellt, eine Zeitlang hatten die meisten starken Eisgang in der Hose; auch das Blatt2 macht sich ganz gut. Biedermann Most hat entschieden Schwein, seine „Freiheit" pfiff auf dem letzten Loch, da muß ihr die englische Regierung in der glänzendsten Weise unter die Arme greifen.12251 Man begreift solche kolossale Dummheit nicht, aber wir haben halt die Liberalen am Ruder, und die sind jeder Dummheit und Gemeinheit fähig. Sie sind so hastig verfahren, daß sie noch gar nicht einmal wissen, unter welchem Gesetz sie den Most anklagen wollen! Aber Bismarck hatte diesen Coup für seine Sozialisten-Debatte im Reichstag12271 nötig, und da Gladstone, unser Premier, für den abgemurksten Alexander schwärmt, fand die Sache keine Schwierigkeit. Desto mehr wird ihnen schwer werden, einen Anklageakt zu machen, und noch mehr, eine Jury zu fabrizieren, die den M[ost] verdonnert. Auf diese Weise wird M[ost] wohlfeil ein berühmter Mann, wenn auch nur für kurze Zeit, und Bismarck, wenn er sich jetzt auch ein wenig freut, erlebt doch schließlich wieder eine .Blamage. Besten Gruß von M[arx] und Deinem F. Engels
^ Siehe Band 34 unserer Ausgabe, S. 484 - 2 „Der Sozialdemokrat"
Haus in London, 122, Regent's Park Road, in dem Engels von September 1870 bis Oktober 1894 wohnte

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Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
[London] 11. April 1881
Mein liebes Jennychen, Seit Eurer Abreise ist's langweilig - ohne Dich und den Johnny und Harra! und den Mr. „tea!"1. Ich laufe manchmal ans Fenster, wenn ich Kinderstimmen höre, die denen der unsrigen ähneln, momentan nicht gewahr, daß die Männlein jenseits des Kanals! Ein Trost ist, daß Ihr schöne, für die Kinder passende Wohnung habt; sonst scheint alles rather worse2 als in London - doch mit Ausnahme des Klima, dessen wohltuende Wirkung, auch mit Bezug auf Asthma, Du by and by3 entdecken wirst. Ich habe für die Mama wieder neuen Doktor, den mir Prof. Lankester empfohlen, nämlich den Dr. Donkin; he seems a bright and intelligent man4, aber für Mamas Leiden scheint mir in der Tat one man as good, and perhaps better, than another man5. Doch zerstreut sie der change of medical advisers6, und in der ersten Periode - meist nicht langwährend - ist sie voll des Lobes für den neuen Äskulap. Longuets Augenglas kam sofort nach seiner Abreise zum Vorschein, es lagerte in der Tat in Eurem Schlafzimmer. Hirsch7 ist ausersehn, es zu überbringen, aber dieser Jäger auf Klatsch scheint sich kaum losreißen zu können von London, in einem Moment, wo so viel zu stänkern. Die „grauße" Mostaffaire'2251 allein ist eine unerschöpfliche Quelle frischen Wassers (wenn auch keineswegs,,freudenhellen") für jenen Hirsch. Jetzt droht er, erst am 18. April abzureisen. Dann hat er in Kautsky - auf den er so finster gegrollt - einen Mitläufer gefunden; auch Engels urteilt viel milder über diesen Kautz, seitdem letzterer großes Talent im Trinken bewährt. Als der Holde zuerst bei mir erschien - das Käutzchen mein' ich - war die erste Frage, die mir entfuhr - gleichen Sie
1 Edgar Longuet - 2 eher schlechter - 3 nach und nach - 4 er scheint ein angenehmer und kluger Mann zu sein - 5 ein Mann so gut, und vielleicht besser, als ein anderer - 6 Wechsel der ärztlichen Ratgeber - 7 Carl Hirsch
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
Ihrer Frau Mutter8? Aber auch absolut nicht, versicherte er, und ich gratulierte im stillen seiner Mutter. Er ist eine Mittelmäßigkeit, von kleinen Gesichtspunkten, überweis (erst 26 alt), Besserwisser, in einer gewissen Art fleißig, macht sich viel mit Statistik zu schaffen, liest aber wenig Gescheites heraus, gehört von Natur zum Stamm der Philister, im übrigen in seiner Art ein anständiger Mensch, ich wälze ihn möglichst auf amigo9 Engels ab. Vorgestern war Dogberry club hier; gestern außer den 2 Maitland Mädchen10 - und für einen Augenblick Lankester und Dr. Donkin - Überfall von Hyndman und Gattin, die beide zuviel Sitzfleisch besitzen. Ich mag die Frau leiden, wegen ihrer brüsken, unkonventionellen und entschiednen Denk- und Sprechweise, aber komisch ist's, mit welcher Bewundrung ihr Aug' an den Lippen des selbstgefälligen, schwatzhaften Gatten haftet! Die Mama (es nahte sich x/a 11 Uhr abends) ward so ermüdet, daß sie sich zurückzog. Doch amüsierte sie ein byplay11. Tussy hat nämlich unter den Dogberries ein neues Wunderkind aufgetrieben, einen gewissen Radford; dieser Jüngling ist bereits barrister-at-law12, verachtet jedoch das jus13 und arbeitet in derselben line14 wie Waldhorn. He looks well, cross15 zwischen Irving und Lassalle selig (doch nichts gemein mit der zynisch schmierzudringlichen Marquis-Judenmanier des letzteren), an intelligent and somewhat promising boy16. Well, das ist des Pudels Kern, Dolly Maitland macht ihm entsetzlich die Cour, so daß Mama und Tussy während des Abendessens sich beständig zuwinkten. Endlich kam dann noch Mr. Maitland, ziemlich nüchtern, und hatte mit seinem lehrreichen Tischnachbar - dem Hyndman - noch ein Zungenduell über Gladstone, an den der Spiritist M[aitland] glaubt. I - rather annoyed by a bad throat feit glad when the whole lot vanished. It is a stränge thing that one cannot well live altogether without Company, and that when you get it, you try hard to rid yourself of itself.17 Hartmann18 arbeitet hart in Woolwich als common workman19; die Schwierigkeit, mit ihm in irgendeiner Sprache zu reden, wächst. Die russischen Refugees20 in Genf verlangen von ihm Desavouierung des Rochefort[2281, und zwar öffentliche. Dies kann und will er nicht, geht auch
8 Minna Kautsky -9 Freund -10 Dolly Maitland und ihre Schwester -11 stummes Spiel 12 Rechtsanwalt-13 die Rechtswissenschaft-14 Richtung-15 Er sieht gut aus, eine Kreuzung16 ein intelligenter und vielversprechender junger Mann -17 Ich hatte ziemliches Halsweh und war froh, als die ganze Gesellschaft verschwand. Es ist seltsam, daß man ohne Gesellschaft nicht auskommen kann, und wenn man sie hat, alles versucht, um sie wieder loszuwerden. — 18 L. N. Hartmann -19 einfacher Arbeiter - 20 Emigranten
nicht, schon von wegen des übertriebenen Briefes, den das Petersburger Comite an Rochefort geschrieben und den dieser seinerseits im „Intransigeant" veröffentlicht hat. Die Genfer haben in der Tat lange Europa zu überreden gesucht, daß sie in der Tat die Bewegung in Rußland dirigieren; jetzt, wo diese von ihnen selbst verbreitete Lüge von Bismarck et Co. aufgegriffen und für sie gefährlich wird, konstatieren sie das Gegenteil und suchen vergeblich, die Welt von ihrer Unschuld zu überzeugen. In der Tat sind sie bloße Doktrinärs, konfuse Anarchismus-Sozialisten, und ihr Einfluß auf dem russischen „Kriegstheater" ist zero21. Hast Du die gerichtlichen Verhandlungen in St. Petersburg gegen die Attentäter verfolgt?'2291 Es sind durch und durch tüchtige Leute, sans pose m6lodramatique22, einfach, sachlich, heroisch. Schreien und Tun sind unversöhnliche Gegensätze. Das Petersburger Exekutivkomitee12121, das so energisch handelt, erläßt Manifeste von raffinierter „Moderation". Es ist weit entfernt von der schulbubenhaften Manier der Mösts und andrer kindischen Heulmeier, tyrannicide23 als eine „Theorie" und „Panacea"24 zu predigen (das taten so unschuldige Englishmen wie Disraeli, Savage Landor, Macaulay, Stansfeld, Freund des Mazzini); sie bestreben sich umgekehrt, Europa zu belehren, daß ihr modus operandi25 eine spezifischrussische, historisch unvermeidliche Aktionsweise ist, worüber ebensowenig zu moralisieren ist - für oder gegen - als über das Erdbeben in Chios'2301. Bei dieser Gelegenheit war ein schöner Skandal im Unterhaus (Du weißt, daß diese elenden Gladstoniten dem Bismarck und Gortschakow zulieb in der Person des Jammer-Most ein Attentat auf die englische Preßfreiheit unternommen, das ihnen kaum glücken wird). Lord Churchill ein frecher Toryjüngling aus der Marlborough family - interpellierte den Sir Charles Dilke und den Brassey, beide understrappers26 im cabinet, von wegen Geldunterstützung der „Freiheit". Es ward rundweg abgeleugnet und Churchill genötigt, seinen Gewährsmann zu nennen. Er nannte dann auch den unvermeidlichen M. Maltman Barry! Ich lege Dir einen Ausschnitt ein über diese Affäre aus „ Weekjy Dispatch" (dem Journal der Dilkes, redigiert durch den „philosophical radical"27 Ashton Dilke, Bruder des großen „Dilke") und eine Erklärung des Maltman Barry in „Daily News". Offenbar lügt Dilke; welche Jämmerlichkeit dieses von sich selbst zum künftigen „Präsidenten der englischen Republik" ernannten Prahlhansen, der aus Furcht, seinen Posten zu verlieren, sich von Bismarck
21 Null - 22 ohne melodramatische Pose - 23 Tyrannenmord -24 „Allheilmittel" - 25 Vorgehen 26 zweitrangige Figuren - "„philosophischen Radikalen"
vorschreiben läßt, welche Journale er mit 1 £ zu beglücken oder nicht zu beglücken hat! Wenn's nun gar bekannt würde, daß Ashton Dilke, gleich nach Ankunft Hartmanns in London ihn zu einem luncheon28 einlud? Aber H[artmann] schlug's ab, weil er sich nicht „exhibieren" lassen wollte. Apropos des Comtist-Renegaten Maxse! Man erweist diesem Burschen in der „Justice" gar zu viel Ehr' und packt ihn mit Glacehandschuh an. Dieser sonderbaren Clique - English liberals und ihrer noch schlechteren Abart, so called radicals29 - erscheint es in der Tat als ein Verbrechen, daß die „Justice" gegen alles Herkommen und wider die Verabredung diese shams und humbugs30 nicht in der traditionellen Manier behandelt, nicht die Legende über sie aufrechterhält, die landläufig in der liberalen kontinentalen Presse! Wenn man erwägt, wie die Londoner Presse mit der größten Schamlosigkeit über die Sozialistenpartei aller europäischen Länder herfällt, wie schwer es ist, sofern einer es einmal der Müh' wert hält, ein Wort zu erwidern, auch nur einige Zeilen Antwort in jene Presse zu bringen - so ist es doch etwas stark, das Prinzip anzuerkennen, daß, wenn ein Pariser Blatt sich verfängt, den „graußen" Gladstone, diesen Erzhypokrit und casuist veralteter Schule, zu kritisieren, es nun verbunden, ganze Spalten der Prosa des Herrn Maxse zur Verfügung zu stellen, damit dieser in kind31 den Gladstone abzahle für das von diesem erhaltne avancement32! Gesetzt, die Politik Gladstones (des Coercion-1291 und Arms act'smannest231J) gegen Irland sei ebenso richtig als sie falsch ist, wäre dies ein Grund, von der „generosite"33, der „magnanimite"34 dieses Mannes zu sprechen? Als ob es sich um dergleichen zwischen England und Irland handle! Man sollte Maxsen doch bedeuten, daß solche Pecksniffphrasen Bürgerrecht in London, aber nicht in Paris besitzen! Laß Longuet in der heutigen „Times" die Rede Parnells in Cork lesen; er findet dort den Kern dessen, was über Gladstones neuen land acf[220] zu sagen; wobei nicht zu übersehn, daß Gl[adstone] durch seine präliminarischen Schandmaßregeln (inclus. die Vernichtung der Sprechfreiheit der Unterhausmitglieder) die Zustände vorbereitet, unter denen die eüi'cfions35 in Irland nun massenhaft Vorgehn, während der Act reine Spiegelfechterei ist, indem die Lords, die alles von Gladstone erhalten, was sie wollen, und nicht mehr vor der Landligue[2321 zu zittern haben - ihn doubtless36 durch
28 Frühstück - 29 sogenannten Radikalen - 30 Schwindler und Aufschneider - 31 angemessen 32 Beförderung - 33 »Edelmütigkeit" - 34 „Großherzigkeit" - 36 Vertreibungen - 36 zweifellos
fallen oder so kastrieren werden, daß die Irländer selbst schließlich dagegen stimmen werden. Küß die Kinder 10Omal von mir; Gruß an Longuet. Schreib mir, dear child37, wie's mit Deiner Gesundheit? Adio. Dein Old Nick Dear Johnny, how do you like France?38
37 liebes Kind - 38 Lieber Jonny, wie gefällt Dir Frankreich? (in der Handschrift am Kopf des Briefes in Blockschrift)
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 14. April 1881
Lieber Herr Bernstein, Besten Dank für den Abzug - es ist uns jedoch aus vielen Gründen •wünschenswert, den ganzen Text der betr. Reden zu lesen. Kfautsky] wird Sie schon gebeten haben, das Stenogramm12331 auf ein paar Tage herzuschicken. Es sind in Reichs- und Landtagen so manche Dinge gesagt worden, die besser ungesagt geblieben wären, daß wir in diesen Dingen kein Urteil abgeben können außer in voller Sachkenntnis. Sehr unangenehm hat uns Ihre Anzeige überrascht, daß Sie vom Blatt1 abtreten wollen. Wir können absolut keinen Grund dafür sehn, und es wäre uns sehr angenehm, wenn Sie diesen Entschluß zurücknähmen. Sie haben das Blatt von Anfang an mit Geschick redigiert, ihm den richtigen Ton gegeben, dabei den nötgen Witz entwickelt. Bei der Redaktion einer Zeitung kommt es lange nicht so sehr auf Gelehrsamkeit an als darauf, daß man die Sachen gleich rasch von der Seite auffaßt, auf die es ankommt, und das haben Sie fast immer getan. Das würde z. B. Kautsky nicht können, er hat immer zu viel Nebengesichtspunkte, das ist schon gut für längere RevueArtikel, aber bei einer Zeitung, wo man sich schnell entschließen muß, sieht man da oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, und das darf in einem Parteiorgan nicht vorkommen. KJautsky] neben Ihnen wäre schon ganz gut, aber allein, fürchte ich, würden ihn theoretische Gewissensskrupel zu oft verhindern, so direkt vom entscheidenden Angriffspunkt aus vorzugehn, wie es im „Sozialdemokrat]" nötig. Ich sehe nun nicht ein, wer augenblicklich an Ihre Stelle treten könnte, so lange Lfiebknecht] sitzt12341 und nicht nach Zürich geht, was ohne Not Unsinn wäre, da er im Reichstag weit nötiger ist. Sie werden also wohl oder übel doch wohl bleiben müssen. Wenn wir noch nicht direkt und namentlich im „Sozialdemokrat]" aufgetreten, so liegt das, dessen können Sie sicher sein, nicht an Ihrer bisherigen Art der Redaktion. Im Gegenteil. Es liegt eben an den eingangs
1 „Der Sozialdemokrat"
erwähnten, in Deutschland gefallenen Äußerungen. Wir haben zwar Versprechungen, daß das nicht mehr vorkommen soll und auch der revolutionäre Charakter der Partei unumwunden ausgesprochen und festgehalten werden soll. Aber wir möchten das erst sehn und haben von dem Revolutionarismus verschiedner der Herren zu wenig Sicherheit (eher das Gegenteil), daß uns grade deswegen Mitteilung der Stenogramme aller von unsern Abgeordneten gehaltenen Reden sehr wünschenswert ist. Nach dem Gebrauch könnten Sie sie ja leicht auf ein paar Tage herschicken, für prompte Rücksendung stehe ich ein. Es wird dies dazu beitragen, die letzten Hindernisse, die noch zwischen uns und der Partei in Deutschland nicht durch unsre Schuld - bestehn, aus dem Weg zu räumen. Dies unter uns. Gladstone wird wahrscheinlich Most einen Triumph bereitet haben. Es werden sich schwerlich 12 Geschworne finden, die Most einstimmig verurteilen, und spricht nur einer frei, so fällt der Prozeß zu Boden, er kann zwar nochmals vor andern Geschwornen geführt werden, aber das geschieht fast nie. Aber dazu ist das Gesetz von 1861, worunter Mfost] angeklagt, noch nie angewandt, und die Meinung der Juristen ist durchschnittlich die, daß der Wortlaut auf den Fall nicht anwendbar ist.C235J Der Austritt Argylls aus dem Ministerium, weil die irische Landbill12201 denPächtern ein gewisses Miteigentum am Boden überträgt, ist ein schlimmes Vorzeichen für das Schicksal der Bill im Oberhaus. Unterdes hat Parnell seine englische Agitationsreise erfolgreich in Manchester angefangen. Die Lage der großen liberalen Koalition wird immer kritischer. Aber es geht hier halt alles langsam, dafür desto gründlicher. Also lassen Sie sich durch die ersten Schwierigkeiten nicht abschrecken, lassen Sie den Mut nicht sinken und redigieren Sie ruhig weiter wie bisher. Im schlimmsten Fall schreiben Sie nach Leipzig, man soll Ihnen Hülfe schicken, das würde doch wohl der beste Weg sein, die Schwierigkeiten zu beseitigen, mit denen Sie zu kämpfen haben. Wenn Sie dann erst den neuen Mann eingeschossen haben, ist immer noch Zeit, von Rücktritt zu sprechen. Beste Grüße von Ihrem F. Engels
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Engels an August Bebel in Leipzig
London, 28. April 1881
Lieber Bebel, Auf Deine Anfrage'2361 habe ich bei meiner Quelle (einem Börsenmakler) angefragt, ob der Betreffende besser tue, der Great Britain Mutual & Co. (Büro 101, Cheapside, es ist doch dieselbe? Great Britain Mutual Insurance?) weiterzuzahlen oder die Einzahlungen einzustellen, und die Antwort erhalten: „Wir fürchten, es gibt keinen andern Ausweg als fortzufahren und die Einzahlungen zu machen, je nachdem sie eingefordert werden" (we fear there is no alternative but to keep on paying the calls as they are made). Ede hat uns die Stenogramme der Reichstagsverhandlungen über Belagerungszustand und Unfallversicherungsgesetz geschickt.1233] Wir machen Dir unser Kompliment über Deine beiden Reden. Die über das Unfallgesetz hat uns ganz besonders gefallen.[237) Das ist der richtige Ton der vornehmen, aber auf wirkliche Kenntnis der Sache gegründeten, ironischen Überlegenheit. Die Kritik des Entwurfs war alles, was zu wünschen und zu sagen war. Ich soll Dir das alles auch ausdrücklich in M[arx]' Namen sagen. Es war die beste Rede, die wir noch von Dir gelesen, und die Debatte macht den Eindruck, daß der Drechsler Bebel der einzige gebildete Mann im ganzen Reichstag ist. Was Du vielleicht bei 2ter Lesung noch anbringen könntest: Sie, meine Herren, werden uns vielleicht fragen, wie wir's übers Gewissen bringen können, dieser Regierung Geld zu bewilligen, wenn auch für Unterstützung verunglückter Arbeiter? Meine Herren, nach dem, was der preußische Landtag und Sie selbst im Bewilligen geleistet haben, ist die Macht des Reichstags in Geldsachen, die Möglichkeit, Konzessionen von der Regierung zu bekommen dadurch, daß man den Knopf auf dem Beutel hält, völlig dahin. Der Reichstag und Landtag hat sein Budgetrecht vollständig und ohne Gegenleistung geopfert, fortgeworfen, und da kommt es auf ein paar lumpige Millionen gar nicht mehr an. - Dazu waren alle jene Bewilligungen zu Ausbeuterzwecken (Schutzzölle, Kauf der Eisenbahnen zu
30% über dem Wert - die rheinische stand unter 120, stieg durch die Kaufofferte der Regierung auf 150, jetzt 160!), und diesmal soll es doch wenigstens für Arbeiter sein. Im übrigen decken Dir die von Dir gestellten Annahmsbedingungen vollständig den Rücken. Welch eine aufgeblasene, boshaft dumme preußische Krautjunker- und Bürokratennatur ist aber dieser Bruder von Puttkamer!12381 Dein F.E. Beste Grüße von M[arx]. Ede schreibt, er bleibt vorderhand.1
1 Siehe auch vorl. Band, S. 182/183
17
Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
[London] 41, Maitland Park, N.W. 29. April 1881
Meine liebe Jenny, Ich gratuliere Dir zur glücklichen Entbindung; ich nehme wenigstens an, daß alles in Ordnung ist, da Du Dir die Mühe gemacht hast, selber zu schreiben. Meine „Frauen" erwarteten, daß der „neue Erdenbürger"1 „die bessere Hälfte" der Bevölkerung vermehren würde; ich ziehe meinerseits das „männliche" Geschlecht bei Kindern vor, die an diesem Wendepunkt der Geschichte geboren werden. Sie haben die revolutionärste Periode vor sich, die Menschen jemals zu bestehen hatten. Schlecht ist es jetzt, so „alt" zu sein, daß man nur voraussehen kann, statt zu sehen. Der „Ankömmling" trifft ziemlich nahe an Deinem eigenen, Johnnys und meinem Geburtstag ein. Er bevorzugt wie wir den schönen Monat Mai. Ich bin natürlich von Mama (und Tussy, obgleich sie vielleicht noch die Zeit findet, selber zu schreiben) beauftragt, Dir alles denkbar Gute zu wünschen, ich kann allerdings nicht einsehen, daß „Wünsche" zu irgend etwas gut sind, außer dazu, die eigene Ohnmacht zu bemänteln. Ich hoffe, Du wirst nach und nach die Hausgehilfinnen finden, die Du brauchst, und Deinen „menage"2 in eine geregelte Ordnung bringen. Ich war ziemlich besorgt wegen der allzu vielen Mühen, die gerade jetzt auf Dir lasten, in solch einem kritischen Augenblick. Wie aus Deinem letzten Brief hervorgeht, erholt sich Johnny. Er ist tatsächlich das zarteste Kind von den drei Jungen, die ich die Ehre habe, persönlich zu kennen. Sage ihm, daß gestern, während ich durch den Park spazierenging - unseren Maitland Park - dieser prächtige Kerl, der Parkwächter, plötzlich herankam, sich nach Johnny erkundigte und mir schließlich die wichtige Tatsache mitteilte, daß er „in den Ruhestand treten" und einer jüngeren „Kraft" Platz machen will. Mit ihm verschwindet eine der Säulen des „Lord Southampton"[2391.
1 Marcel Longuet - 2 „Haushalt"
Es geht wenig vor in „unserem Kreis", wie ihn Beesly getauft hat. Pumps wartet noch auf „Nachrichten" von Beust; sie hat inzwischen ein Auge auf „Kautsky" geworfen, der sich jedoch noch nicht „erklärt" hat, und wird immer Hirsch3 dankbar sein, daß er sich nicht nur formal „erklärt", sondern nach einer Ablehnung seine „Erklärung" erneuert hat, ehe er nach Paris ging. Dieser Hirsch wird immer lästiger. Meine „Meinung" über ihn wird immer schlechter. Die neueste Londoner Schrulle war die Lobpreisung Disraelis, die John Bull die Genugtuung verschaffte, seine eigene Großmut zu bewundern. Ist es nicht „großartig", einen Toten mit Schmeicheleien zu überschütten, den man, kurz bevor er ins Gras biß, mit verfaulten Äpfeln und faulen Eiern begrüßt hat? Das lehrt gleichzeitig die „niederen Klassen", daß, wie die ihnen „von Natur Überlegenen" in ihrem Kampf um „Rang und Mammon" sich auch in den Haaren liegen mögen, der Tod die Wahrheit an den Tag bringt, daß die Führer der „herrschenden Klassen" immer „große und gute Männer" sind. Es ist ein sehr geschickter Schachzug Gladstones - den die „stupide Partei" nur nicht versteht - in einem Augenblick, da das Grundeigentum in Irland (wie in England) durch die Einfuhr von Getreide und Vieh aus den Vereinigten Staaten entwertet wird, ihnen genau in diesem Augenblick das • Schatzamt anzubieten, wo sie dieses Eigentum zu einem Preise verkaufen können, den es nicht mehr besitzt!'240' Die wirklichen Schwierigkeiten des irischen Landproblems - die keineswegs nur für Irland zutreffen - sind so groß, daß der einzig mögliche Weg, es zu lösen, sein würde, den Iren Selbstverwaltung zu geben und sie so zu zwingen, es selber zu lösen. Aber John Bull ist zu dumm, um das zu begreifen. Gerade kommt Engels, er sendet Dir seine besten Grüße, und da es beinahe Postzeit ist, so daß ich den Brief nicht nachher beenden kann, muß ich ihn jetzt abbrechen. Mit Grüßen an Johnny, Harry und den „guten" Wolf (der wirklich ein feiner Junge ist) und auch an Vater Longuet. Dein Old Nick
Aus dem Englischen.
3 Carl Hirsch
18
Engels an Jenny Longuet in Argenteuil
122, Regent's Park Road, N.W. London, 3I.Mai 81
Meine liebe Jenny, Vielen Dank für Deinen lieben Brief, es ist wirklich zu freundlich von Dir, daß Du Dich bei aller Sorge, die Du durchzumachen hast, hinsetzt und uns schreibst. Aber laß mich gleich zur Hauptsache kommen. Ich habe alle Ursache zu hoffen,"daß Du, wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, doch bald Deine Mama bei Dir haben wirst; Mohr sagte mir am Sonntag, daß der Arzt1 glaubt, sie werde kräftig genug sein, die Reise zu unternehmen. Ihr Befinden ist zeitweise starken Veränderungen unterworfen, manchmal ist sie tagsüber beschäftigt und geht sogar abends ins Theater, doch ein andermal leidet sie an sehr heftigen Schmerzen und verläßt ein paar Tage lang kaum das Bett. Aber diese Anfälle scheinen vorüberzugehen, wie sie kommen, und ihren Zustand nicht sichtbar zu verschlechtern. Doch sie magert insgesamt ab, und das scheint das einzig ständige Symptom zu sein, das gefährlich werden kann, wenn es nicht aufgehalten wird. Über die Art des Leidens weiß ich absolut nichts, und ich neige zu der Ansicht, daß auch die Ärzte im Dunklen tappen, jedenfalls scheinen sie sich nicht einig zu sein. Als Tussy Dir schrieb, hatte Deine Mama gerade einen dieser Anfälle, und ich glaube, es gab ein kleines Mißverständnis über das, was der Arzt sagte, nämlich, daß sie damals vorübergehend nicht imstande war zu reisen. Der Arzt möchte selbst sehr gern, daß sie fährt, da er sich von der Veränderung ein gutes Ergebnis verspricht. Nun über Möhrs türkische Bäder; die brauchen Dich nicht zu ängstigen, er nimmt sie bloß wegen seines rheumatisch steifen Beins, das ihn beim Laufen stört. Was seine Erkältung betrifft, so wird sie bei dem gegenwärtig warmen Wetter fast ganz zurückgehen, und durch eine Luftveränderung an der See völlig verschwinden - das ist meine Meinung. Ich habe ihn gerade nach Hampstead Heath mitgenommen und hoffe, daß der Spazier
1 Donlcin
gang ihm guttun wird. Mama war ausgegangen, so kann es ihr im Augenblick nicht allzu schlecht gehen. Ich freue mich, daß Du inmitten all der petites miseres de la vie de campagne2 noch immer an Haus, Garten und Klima Deine Freude hast, was schließlich die Hauptsache ist, dem Übrigen wirst Du entweder allmählich abhelfen oder - Du wirst Dich daran gewöhnen. Mein besonderer Neid gilt natürlich dem Weinkeller und den Kellern überhaupt, nach denen wir hier in London Vergeblich seufzen können. Ihr müßt in den Augen des alten CoIIets gewaltig gestiegen sein, seit Du und Longuet Clemenceau zu der einzig „richtigen" Ansicht über Tunis12411 herumgekriegt habt. Ich kann mir die Begeisterung des alten Mannes sehr gut vorstellen, als er die echt orthodoxe Politik in einer großen Pariser Tageszeitung3 verkündet sah. Stell Dir den alten Kauz vor, der sein ganzes Leben lang die Macht der Krone verteidigt hat und jetzt von einem Retter der Republik spricht. Wir leben hier in der üblichen Weise, außer, daß wir Mrs. Pauli hier haben, die ihre älteste Stieftochter nach Manchester bringt, wo sie einige Zeit bei einer alten Freundin Paulis bleiben wird. Sie ist nicht mehr ganz so dick wie früher, aber genau so lebhaft. Letzten Sonntag bekamen wir durch ein Geschenk des Himmels etwas Waldmeister4 und brauten mit Hilfe von einem Dutzend Flaschen Mosel drei Bowlen Maitrank5, die von einer ziemlich zahlreichen - Gesellschaft prompt geleert wurden. Wir waren vierzehn, und sie waren alle sehr vergnügt. Lenchen war auch da und erzählte mir heute morgen, es wäre ihr nicht sehr gut bekommen: „Sie hätte niemals in ihrem Leben einen solchen Katzenjammer6 gehabt." (Bitte, verrate es nicht!) Mrs. Pauli bedauert es sehr, daß sie Dich diesmal hier nicht sehen kann und läßt Dich freundlichst grüßen. Hartmann7 kam gestern mit der Nachricht, daß er nach Amerika geht; für ihn ist das gut, er konnte hier niemals recht heimisch werden, bis er für kurze Zeit in Siemens' Kabelfabrik in Woolwich Arbeit fand, aber das ist jetzt auch vorbei. Er hat die Absicht, in wenigen Monaten zurückzukofnmen. Pumps geht es wie immer, sie leidet ab und zu an Kopfschmerzen; mein einziges Leiden ist eine zunehmende Taubheit des linken Ohrs; ich hoffe, daß der Sommer es heilen wird.
2 kleinen Unzulänglichkeiten des Landlebens - 3 „La Justice" - 4 in der Handschrift deutsch: Waldmeister - 5 in der Handschrift deutsch: Maitrank - 6 in der Handschrift deutsch: Katzenjammer - 7 L.N. Hartmann
Freundliche Grüße an Longuet. Pumps sendet ihre herzlichsten Grüße,, und ich schließe mich ihr an. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
19 • Marx an John Swinton • 2. Juni 1881 191
19
Marx an John Swinton in New York
2. Juni 1881 41, Maitland Park Road London, N.W.
Lieber Herr Swinton, Ich brauche Ihnen den Überbringer dieser Zeilen, meinen vortrefflichen Freund, Herrn Hartmann1, kaum zu empfehlen. Ich sende Ihnen durch ihn ein Photogramm von mir; es ist ziemlich schlecht, aber das einzige, das ich noch habe. Was das Buch von Herrn Henry George'2421 betrifft, so betrachte ich es als einen letzten Versuch, die Kapitalistenherrschaft zu retten. Natürlich ist das nicht die Ansicht des Autors, aber schon die älteren Schüler Ricardos - die radikalen - bildeten sich ein, daß durch die Aneignung der Grundrente durch den Staat alles in Ordnung gebracht wäre. Ich hinauf diese Doktrin in „Misere de la philosophie" (1847 gegen Proudhon veröffentlicht) eingegangen.'2431 Meine Frau läßt sich Ihnen bestens empfehlen. Leider nimmt ihre Krankheit mehr und mehr einen verhängnisvollen Charakter an. Ich verbleibe, werter Herr, Ihr sehr ergebener Karl Marx
„Viereck" war bei seiner Ankunft in den Vereinigten Staaten so benommen, daß er meinen Freund Engels mit mir verwechselte und meine Empfehlungen an Sie in solche von Engels verwandelte; er hat dasselbe auch bei einem anderen meiner amerikanischen Freunde getan, durch dessen Brief ich über das Quidproquo informiert wurde.
Aus dem Englischen.
20
Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken1'2441
Lieber Sorge, Ich empfehle Dir sehr herzlich den Freund Hartmann1.
Nach: „The New-York Herald" Nr. 16455, vom lO.September 1881, Aus dem Englischen.
London, 2. Juni 1881
Überbringer dieser Karte, meinen
21
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken'2441
London, 2. Juni 1881
Mein lieber Sorge, In der Person des Überbringers stelle ich Dir unseren Freund Leo Hartmann1 vor, eine Moskauer Berühmtheit. Es wäre überflüssig, ihn Deiner Aufmerksamkeit besonders zu empfehlen. Wenn Du ihm während seines Aufenthaltes in Amerika in irgendeiner Weise behilflich sein kannst, wirst Du damit der gemeinsamen Sache einen Dienst erweisen und Marx wie auch mir einen persönlichen Gefallen tun. Dein treuer F. Engels
Nach: „The New-York Herald" Nr. 16455, vom 10. September 1881. Aus dem Englischen.
1 L.N. Hartmann
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
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Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
[London] 6: Juni 1881
Mein liebster Don Quichotte, Es ist wirklich unrecht von mir, nicht eher geschrieben zu haben, aber Du kennst meine guten Absichten und schwachen Taten in dieser Beziehung. Es vergeht jedoch kein Tag, an dem meine Gedanken nicht bei Dir und den reizenden Kindern sind. Uber meine Gesundheit brauchst Du Dir keine Gedanken zu machen. Ich hatte einen scheußlichen Schnupfen, beinahe so ewig wie der Stockschnupfen1 von Seguin selig2 - aber er geht jetzt schnell weg. Was Möhmchen3 anbelangt, so bist Du Dir wohl im klaren, daß es für die Krankheit, an der sie leidet, keine Heilung gibt, und sie wird in der Tat schwächer. Glücklicherweise sind die Schmerzen nicht derartig, wie sie in solchen Fällen zu sein pflegen, was am besten durch die Tatsache bewiesen wird, daß sie noch immer mehrmals in der Woche die Londoner Theater besucht. Sie hält sich in der Tat wunderbar, aber eine Reise nach Paris kommt gar nicht in Frage. Ich betrachte es als einen sehr glücklichen Umstand, daß Lina Schöler uns gestern überraschte und ca. einen Monat hierbleiben will. Hat Johnny Reineke oder besser Renard, den Fuchs, bekommen, den ich ihm schickte? und hat der arme Kerl jemanden, der es ihm vorliest? Heute (Bankfeiertag12451) und gestern starker Regen und ekelhaft kaltes Wetter, einer der schlechten Späße, die der himmlische Vater immer für seine plebejische Londoner Herde bereit hat. Gestern verdarb er mit dem Regen Parnells Kundgebung im Hyde Park.12461 Hartmann4 ist vergangenen Freitag nach New York abgereist, und ich bin froh, daß er weit vom Schuß ist. Dummerweise hielt er einige Tage vor seiner Abreise bei Engels um die Hand von Pumps an - und das schriftlich, wobei er ihm mitteilte, er glaube, keinen Fehler damit zu begehen, alias er
1 In der Handschrift deutsch: Stockschnupfen - 2 in der Handschrift deutsch: selig 3 Jenny Marx ~4 L.N.Hartmann
(Hartmann) glaube, daß Pumps ihn (Hartmann) nehmen würde. Dabei hat das Mädchen tatsächlich kaum mit ihm geflirtet und dies nur, um Kautsky anzustacheln. Ich erfahre jetzt von Tussy, daß sich ihr derselbe Hartmann vor ihrer Reise nach Jersey angeboten hat. Aber der gegenwärtige Fall ist um so schlimmer, als die berühmte Perowskaja, das Opfer der russischen Bewegung, mit Hartmann in „freier" Ehe gelebt hat. Und sie ist kaum am Galgen gestorben.'2291 Von Perowskaja zu Pumps - das ist wirklich zu viel, und Mama ist davon und vom ganzen männlichen Geschlecht angewidert! Longuets Artikel über Irland war gut. Wir glaubten alle, es wäre irgend etwas passiert, da sein Name seit einiger Zeit immer seltener in der „Justice" zu finden war. Hast Du von dem erlauchten Hirsch5 etwas gesehen oder gehört? Er schickte mir heute zwei New-Yorker Zeitungen. Darin ist nur eine berichtenswerte Nachricht. Ein Yankee6 soll eine Kohlenschrämmaschine erfunden haben, die den größten Teil der jetzigen Arbeit der Bergleute abschaffen würde - nämlich das „Hauen" der Kohle in den Kohlenflözen und in den Schächten, wobei den Bergleuten nur die Aufgabe bleibt, die geschrämte Kohle zu brechen und in die Loren zu verladen. Wenn diese Erfindung sich durchsetzt - was anzunehmen aller Grund vorhanden ist -, wird sie im Yankeeland viel Bewegung auslösen und John Bulls industrieller Überlegenheit großen Schaden zufügen. Möhmchen läßt Dir noch sagen, daß der Vorwand von Linas7 Anwesenheit hier die Verheiratung von Lisa Green, der Tochter des8 erfolgreichen Verehrers von Martin Tupper ist. Laura tut alles, um Möhmchen zu unterhalten und aufzuheitern. Helene läßt Dich grüßen. Und nun küsse viele, viele Male Johnny, Harra und den edlen Wolf für mich. Mit dem „großen Unbekannten"9 wage ich nicht so frei zu sein. Wie ist Dein Asthma? Quält es Dich immer noch? Ich verstehe kaum, wie Du noch eine Atempause finden kannst bei 4 Kindern und nur nominellen Dienstboten. Lebwohl, mein liebes Kind, Old Nick
Aus dem Englischen.
5 Carl Hirsch - 6 Jeffrey - 7 Lina Schöler - 8 in der Handschrift deutsch: Möhmchen läßt Dir noch sagen, daß der Vorwand von Linas Anwesenheit hier die Verheiratung von Lisa Green, der Tochter des - 9 Marcel Longuet - , ;
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Engels an Jenny Longuet in Argenteuil
122, Regent's Park Road, N.W. London, 17. Juni 1881
Meine liebe Jenny, Ich beeile mich, Dir auf Deinen Brief vom 15. zu antworten, den ich erst heute morgen erhielt. Als ich Dir das letzte Mal schrieb1, bestand der Arzt2 darauf, daß Eure Mama nach Paris gehen sollte, und sie war es, die das nicht wollte und meinte, sie fühle sich nicht kräftig genug für die Reise. Einige Tage später fand sie der Arzt tatsächlich viel schwächer, so daß er ihr nicht länger raten konnte, nach Paris zu fahren. Sie magert wirklich immer mehr ab und klagte heute sehr über zunehmende Schwäche, besonders beim Ankleiden. Sie bleibt jetzt die meiste Zeit im Bett. Als ich da war, veranlaßte der Arzt sie aufzustehen und einen Spaziergang zu machen. Er sagte zu Mohr, daß es das beste wäre, wenn sie beide nach Eastbourne gingen und zwar sofort. Wir versuchten sie zu überreden, aber sie wehrte sich natürlich mit allen Mitteln: wenn sie schon irgendwohin fahren soll, dann nach Paris usw. Darauf sagten wir ihr, ein vierzehntägiger Aufenthalt in Eastbourne würde vielleicht ihre Kräfte so weit wiederherstellen, daß sie dann nach Paris fahren könne usw. usw. So standen die Dinge, als ich sie verließ. Du wirst wahrscheinlich in ein, zwei Tagen von Tussy das Resultat erfahren, die Dir bald schreiben wollte. Welcher Art auch immer das Leiden sein mag, so ist doch die ständig zunehmende Abmagerung und der Kräfteverfall ein sehr ernstes Anzeichen, besonders da es nicht zum Stillstand zu kommen scheint. Die meisten Ärzte sind der Ansicht, daß dies an sich noch kein gefährliches Symptom sei, wenn nicht ein gewisser Punkt überschritten wird; daß sie Fälle kannten, wo die Schwäche ganz plötzlich aufgehört und die Kräfte zurückgekehrt seien. Ich hoffe, daß der Aufenthalt an der See das bewirken wird, wenn wir sie nur erst dort hätten.
1 Siehe vorl. Band, S. 188-190 - 2 Donkin
Mohr wird die Luftveränderung ebenfalls guttun, er braucht auch ein bißchen Auffrischung, wenn auch sein Husten nachts nicht mehr so schlimm ist und er besser schläft. Ein großes Glück war die Ankunft von Lina Schöler, die jetzt bei Euch weilt, so lebhaft und gutmütig wie immer und ein gut Teil schwerhöriger. Ihre Anwesenheit belebt Eure Mama sehr. Ich hoffe, sie wird einige Zeit bleiben. Sam Moore hat sein Examen als Rechtsanwalt letzte Woche erfolgreich abgelegt. Von Tussy erfahre ich, daß Du ein neues Dienstmädchen hast und daß sie Dir zu gefallen scheint; es besteht also Aussicht, daß sich auch Deine Sorgen mit dem Haushalt verringern werden. Ich schließe diesen Brief, weil ich ihn früh mit der Morgenpost abschicken will, und hoffe, daß er Dich somit morgen abend erreicht. Fräulein Parnells Brief werde ich in einigen Tagen zurückschicken. Freundliche Grüße an Longuet und Johnny. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
[London] 20. Juni 1881
Lieber Sorge, Ich hatte mich heute in andren Arbeiten unterbrochen mit der Absicht, endlich Dir einen ausführlichen Brief zu [brechen]1 und nun will es der Teufel, daß ein Besuch nach dem andern kommt und mir so kaum die Zeit bleibt, Dir wenige Zeilen noch vor Postabschluß zuzusenden. Also summarische Darstellung. Dein Sohn2 gefällt hier allgemein. Da ein seit länger als 6 Monaten fortdauernder Husten, Verkältung, Halsleiden und Rheumatismus mir das Ausgehn nur selten erlauben und mich von Gesellschaft fernhalten, haben er und ich about once a week3 ein Stündchen Privatunterhaltung zusammen und finde ich, daß er au fond4 doch mehr von unsern Ansichten aufgenommen hat, als es den Schein hat. Es ist überhaupt ein fähiger, tüchtiger Bursche, dabei mit gebildeten Formen und von liebenswürdigem Temperament. Außerdem, was Hauptsache, füll of energy5. Die letzten Besucher, die mich eben verließen, waren Viereck und die mit ihm neu Vermählte, ebenfalls geborne Viereck. Ich hatte den Herrn nicht gesehn seit seiner Rückkunft von Amerika12181. Vor ein paar Tagen hatte er den Kautsky mit verschiednen kleinen Wischen (einen von Liebknecht geschrieben und auch von ihm unterzeichnet in eignem und Bebels Namen) zu mir zur Unterzeichnung geschickt. Alle bezogen sich auf gewisse durch Viereck vermittelte Abmachungen mit der „New Yorker Volkszeitung" et Co. bezugs der Lingenauschen Erbschaft.12471 Ich verweigerte meine Unterschrift, indem ich, wie ich erklärte, in dieser Angelegenheit nur mit unserm Generalbevollmächtigten Sorge zu verhandeln habe. Zugleich ließ ich Viereck wissen, daß vor allem - nach meiner Ansicht - die 120 Dollars für den Advokat in St. Louis an Dich aus dem noch in New York befindlichen Rest der amerikanischen Sammlung auszuzahlen seien. Viereck
1 In der Handschrift schwer zu entziffern - a Adolph Sorge - 3 ungefähr einmal wöchentlich - 4 im Grunde - 5 voll Energie
erzählte mir nun heute, er habe das - auf meine Verantwortlichkeit den Leipzigern gegenüber - sofort nach New York befohlen. Er kam in the nick of time6, denn sonst würde morgen ein förmlicher Protest meinerseits nach Leipzig spediert worden sein, ein Protest gegen den modus operandi7 der Leipziger Parteileiter, die in dieser Angelegenheit sich bisher so gebart hatten, als ob sie allein zu entscheiden. Nun, post festum, sprach mir Viereck von Deinem Anspruch wegen vorgeschoßner 80 Dollars. Ich sagte ihm, daß wir, die Exekutoren, nach Entscheidung des Prozesses, wenn sie ungünstig ausfalle, Dich entschädigen würden, wie das unsere verdammte Schuldigkeit. Vor Deinem Exemplar des Henry George®421 hatte ich schon 2 andre erhalten, eins von Swinton und eins von Willard Brown; gab also eins an Engels, eins an Lafargue. Ich muß für heute mich darauf beschränken, mein Urteil über das Buch ganz kurz zu formulieren. Der Mann ist theoretisch total arriere8. Von der Natur des Mehrwerts hat er nichts verstanden und treibt sich daher, nach englischem Vorbild, in dabei noch hinter den Engländern zurückgebliebnen Spekulationen über die verselbständigten Stücke des Mehrwerts um - über das Verhältnis von Profit, Rente, Zins etc. Sein Grunddogma, daß alles in Ordnung wäre, würde die Grundrente an den Staat bezahlt. (Du findest solche Zahlung auch unter den im „Kommunistischen Manifest" enthaltnen Übergangs maßregeln.12481) Diese Ansicht ist ursprünglich den Bourgeoisökonomen angehörig; sie wurde zunächst geltend gemacht (abgesehn von ähnlicher Forderung Ende des 18. Jahrhunderts) von den ersten radikalen Anhängern Ricardos, gleich nach dessen Tod. Ich sagte darüber 1847 in meiner Schrift gegen Proudhon: „Nous concevons que des economistes, tels que Mill" (der ältere, nicht sein Sohn John Stuart, der dies auch etwas modifiziert wiederholt), „Cherbuliez, Hilditch et autres, out demande que la rente soit attribuee ä l'Etat pour servir a l'acquittement des impots. C'est la franche expression de la haine que le capitaliste industriel voue au proprietaire foncier, qui lui parait une inutilite, une superfetation, dans I'ensemblede Iaproduction bourgeoise."12431 Wir selbst, wie bereits erwähnt, nahmen diese Aneignung der Grundrente durch den Staat unter zahlreiche andre Ubergangsmaßregeln auf, die, wie ebenfalls im „Manifest" bemerkt, in sich selbst widerspruchsvoll sind und sein müssen. Aber aus diesem desideratum9 der radikalen englischen Bourgeoisökonomen die sozialistische Panacea10 machen, diese Prozedur für Lösung
6 zur rechten Zeit - 7 die Handlungsweise - 8 zurückgeblieben - 9 Wunsch -10 AllheilmUte
der in der heutigen Produktionsweise eingeschlossenen Antagonismen erklären, das geschah erst von Colins, einem in Belgien gebornen ehmaligen alten Napoleonschen Husarenoffizier, der in der letzten Zeit Guizots und der ersten von Napoleon le petit12491 von Paris aus die Welt mit dicken Bänden[250] über diese seine „Entdeckung" beglückte, wie er auch die andre Entdeckung machte, daß es zwar keinen Gott gibt, wohl aber eine „unsterbliche" Menschenseele, und daß die Tiere „keine Empfindung" haben. Hätten sie nämlich Empfindung, also Seele, so wären wir Kannibalen und könne nie ein Reich der Gerechtigkeit auf Erden gegründet werden. Seine „Antigrundeigentumstheorie" zugleich mit seiner Seelen- etc. theorie wird seit Jahr und Tag monatlich in der Pariser „Philosophie de l'Avenir" von seinen wenigen restierenden Anhängern, meist Belgier, gepredigt. Sie nennen sich „collectivistes rationnels"11 und haben den Henry George belobt. Nach ihnen und neben ihnen hat u.a. auch der preußische Bankier und ehmalige Lotteriekollektor Samter aus Ostpreußen, ein Flachkopf, diesen „Sozialismus" in einen dicken Band ausgepatscht.12511 Alle diese „Sozialisten" seit Colins haben das gemein, daß sie die Lohnarbeit, also auch die kapitalistische Produktion bestehn lassen, indem sie sich oder der Welt vorgaukeln wollen, daß durch Verwandlung der Grundrente in Steuer an den Staat alle Mißstände der kapitalistischen Produktion von selbst verschwinden müssen. Es ist das Ganze also nur ein sozialistisch verbrämter Versuch, die Kapitalistenherrschaft zu retten und in der Tat auf noch weiterer Basis als der jetzigen neu zu begründen. Dieser Pferdefuß, der zugleich ein Eselsfuß ist, guckt auch unverkennbar aus den Deklamationen von Henry George hervor. Bei ihm um so unverzeihlicher, als er sich umgekehrt die Frage hätte stellen müssen: Wie ging's zu, daß in den United States, wo relativ, d. h. verglichen mit dem zivilisierten Europa, der Boden der großen Volksmasse zugänglich war und to a certain degree12 (wieder relativ) noch ist, die Kapitalwirtschaft und die entsprechende Knechtung der Arbeiterklasse sich rascher und schamloser entwickelt haben als in irgendeinem andern Land? Andrerseits hat das Buch des George, wie die Sensation, die es bei Euch gemacht, die Bedeutung, daß es ein erster, wenn auch fehlgeschlagner Versuch ist, sich von der orthodoxen politischen Ökonomie zu befreien. H. George scheint übrigens nichts von der Geschichte der früheren amerikanischen Antirenterst2521, die mehr Praktiker als Theoretiker waren, zu wissen. Er ist sonst ein Schriftsteller von Talent (auch Talent habend zur
11 „vernunftgemäße Kollektivisten" - 12 bis zu einem gewissen Grade
Yankeereklame), wie z.B. sein Artikel über Kalifornien im „Atlantic"12531 beweist. Er hat auch die widerliche Anmaßung und Uberhebung, die alle solche Panaceahecker unverbrüchlich auszeichnet. Die Krankheit meiner Frau ist, unter uns gesagt, leider unkurierbar. Ich gehe in wenigen Tagen mit ihr nach Eastbourne an die seaside13. Salut fraternel.14 Dein K.Marx
13See-14 Brüderlicher Gruß.
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Marx an Henry Mayers Hyndman in London (Entwurf)
2. Juli 1881 43, Terminus Road , Eastbourne, Sussex Mein sehr geehrter Herr, Der Gesundheitszustand meiner Frau, der täglich kritischer wird, erfordert, daß ich ständig bei ihr bin und erklärt auch meine verspätete Antwort auf Ihren Brief vom 5. Juni. Ich gestehe, daß ich ziemlich überrascht war, als ich erfuhr, daß Sie Ihren seinerzeit gefaßten und auch durchgeführten Plan - den vom „Nineteenth Century" abgelehnten Artikel mit einigen Änderungen als II. und III. Kapitel des „England for All", als Ihre Darstellung des Gründungsprogramrns der Feder ation125^ zu veröffentlichen - während Ihres Aufenthalts in London so streng geheimgehalten haben. In Ihrem Brief, der auf diese mir bevorstehende Überraschung überhaupt nicht eingeht, heißt es: „Glauben Sie, ich sollte Ihren Namen nennen, wenn ich mich auf Ihr Buch beziehe usw." Diese Frage, so scheint mir, hätten Sie vor der Veröffentlichung stellen müssen und nicht nachher. Sie geruhen zwei Gründe dafür anzuführen, daß Sie das „Kapital", ein Werk, das noch nicht ins Englische übersetzt ist, so ausgiebig benutzt haben, ohne weder das Buch noch seinen Verfasser zu erwähnen. Ein Grund ist, daß „viele (Engländer) den Sozialismus und den Namen verabscheuen". War es, um diesen Abscheu zu verringern, daß Sie auf S.86 „den Dämon des Sozialismus" heraufbeschworen? Ihr zweiter und letzter Grund ist, daß „die Engländer sich nicht gern von Fremden belehren lassen"! Ich habe das weder in der Zeit der „Internationale" noch des Chartismus12555 bemerken können. Aber lassen wir das. Wenn Sie dieser Abscheu „der" Engländer erschreckte, warum erzählen Sie ihnen dann auf S. VI des Vorworts, daß die „Ideen" usw. der Kapitel II und III, wie immer sie auch
sein mögen, auf alle Fälle das Stigma tragen, daß sie kein einheimisches Produkt sind? Die Engländer, mit denen Sie es zu tun haben, können kaum so schwer von Begriff sein anzunehmen, die obengenannte Passage entstamme der Feder eines - englischen Verfassers. Doch abgesehen von Ihren ziemlich lächerlichen Gründen bin ich fest davon überzeugt, daß die Erwähnung des „Kapitals" und seines Verfassers ein grober Mißgriff gewesen wäre. In Parteiprogrammen sollte alles vermieden werden, was auf die klare Abhängigkeit von einzelnen Autoren oder Büchern schließen läßt. Ich erlaube mir noch hinzuzufügen, daß sie auch nicht der geeignete Ort sind für neue wissenschaftliche Entdeckungen, wie jene, die Sie dem „Kapital" entliehen haben. Und außerdem sind sie völlig fehl am Platze in der Darstellung eines Programms, mit dessen verkündeten Zielen sie ganz und gar nichts gemein haben. Sie wären vielleicht geeignet gewesen für das Expose eines Programms zur Gründung einer selbständigen und unabhängigen Arbeiterpartei. Sie haben mir liebenswürdigerweise mitgeteilt, daß Ihre Broschüre, „trotzdem der ,Preis von half a crown1' darauf steht, nicht zum Verkauf bestimmt ist", sondern „nur" „an Mitglieder der Democratic Federation usw. verteilt" wird. Ich bin fest überzeugt, daß dies Ihre Absicht war, aber mir ist bekannt, daß dies nicht die Ansicht Ihres Verlegers ist. Einer meiner Freunde2 sah Ihre Broschüre in meinem Arbeitszimmer, wollte sie haben, schrieb sich ihren Titel und die Verlagsanstalt auf, bestellte sie am 13. Juni über seine Buchhändler Williams and Norgate und erhielt sie mit Rechnung vom 14. Juni. Und damit komme ich zu dem einzigen Punkt, der praktische Bedeutung hat. Falls die Presse über Ihre Broschüre herfallen sollte, werde ich wahrscheinlich gezwungen sein, einiges zu sagen, da die Kapitel II und III teilweise aus Passagen bestehen, die einfach aus dem „Kapital" übersetzt, aber nicht durch Anführungsstriche vom übrigen Text getrennt sind, von dem ein großer Teil nicht exakt ist und sogar zu Mißverständnissen Anlaß gibt. Ich habe mit der ganzen Offenheit geschrieben, die ich für die erste Bedingung freundschaftlicher Beziehungen halte. Beste Grüße von meiner Frau und mir an Frau H[yndman].
Ihr ergebener K.M.
Aus dem Englischen.
1 einer halben Krone (2 sh. 6 d.) - 2 Friedrich Engels
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Engels an Norris A. Clowes in New York (Entwurf)
122, Regent's Park Road, N.W. London, 22. Juli 1881
Norris A. Clowes Esq. Sehr geehrter Herr, Ich bedauere, daß es mir meine Zeit nicht erlaubt, den von Ihnen gewünschten Bericht zu schreiben.1 Wenn Sie sich jedoch mit dem gegenwärtigen Stand der Arbeiterbewegung in Großbritannien bekannt machen wollen, werden Sie die notwendige Information in der Wochenzeitung „Labour Standard" finden, die in 2, Whitefriars st. herausgegeben Wird und von der bisher zwölf Nummern erschienen sind. Die meisten der nicht gezeichneten Leitartikel habe ich geschrieben.'141 Wenn Sie mit Herrn Most Verbindung aufnehmen möchten, so schreiben Sie besser an den Herausgeber der „Freiheit"2,252, Tottenham Court Road, W. London, der Ihnen sagen kann, ob unter den gegenwärtigen Umständen eine derartige Verbindung möglich ist. Falls Sie nach London kommen, würde ich mich freuen, Sie zu sehen.12561 Ich verbleibe Ihr sehr aufrichtiger F.E.
Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift gestrichen: da das erfordern würde, auf die Geschichte der britischen Arbeiterklasse und ihrer Aktionen mindestens seit 1824, wenn nicht seit der durch die Dampfkraft hervorgerufenen industriellen Revolution, einzugehen; und dazu habe ich nicht die Zeit - 2 Karl Schneidt
27
Engels an die Redaktion der,,Freiheit" in London (Entwurf)
[London] 22. Juli 1881
An die Red. der „Freiheit" Ein mir aus Amerika empfohlener Herr Norris A. Clowes, Korrespondent für Irland des „New York Star" 12561, schreibt mir: „If Herr Most would like to make any statement to the ,New York Star' public, I should be glad to give him the opportunity."1 Ich antworte ihm darauf: „If you wish to enter into communication with Mr. Most, you had better write to the Editor of the .Freiheit', 252 Tottenharri Court Road, W. London, who will be able to teil you whether such communication will be possible under present circumstances."2 Was ich nicht verfehle, zu Ihrer Kenntnis zu bringen.
Ergebenst F. E.
1 „Wenn Herr Most für die Leser des ,New York Star' irgendeinen Bericht schreiben möchte, würde ich ihm gern diese Möglichkeit geben." - 2 „Wenn Sie mit Herrn Most Verbindung aufnehmen möchten, so schreiben Sie besser an den Herausgeber der .Freiheit', 252, Totten ham Court Road, W. London, der Ihnen sagen kann, ob unter den gegenwärtigen Umständen eine derartige Verbindung möglich ist." (Vgl. vorl. Band, S. 204.)
28
Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
[London] 22. Juli 1881
Meine liebe Jenny, Der Arzt1 hat Mama gerade verlassen, und am Dienstag oder Mittwoch werden wir abfahren. Über das genaue Datum wirst Du durch ein Telegramm informiert werden. Bitte schreibe sofort, weil Mama nicht von London abreisen will, ehe Du ihr nicht geschrieben hast, welche Sachen Du aus London brauchst.; Du weißt, sie macht diese Art von Auftragsgeschichten gern. Ich lege 5 Pfund ein, da Du bei dem Leihen von Bettzeug etc. doch Handgeld zahlen mußt; den Rest zahle ich nach Ankunft. Nur unter dieser Bedingung nehme ich das Arrangement, wie Du es vorgeschlagen, an.2 Mit Bezug3 auf die Geschichte, die Hirsch4 Dir über Lafargue erzählt hat, so ist sie eine reine Lüge. Lafargue hat, wie ich von Anfang an sicher war, niemals etwas derartiges an seine Pariser Korrespondenten geschrieben. Adio, liebes Kind, mit 1000 Küssen an die Kinder Old Nick
Aus dem Englischen.
1 Donkin der ganze Absatz in der Handschrift deutsch - 3 in der Handschrift deutsch: Mit Bezug - 4 Carl Hirsch
29
Marx an Carl Hirsch in Paris1256"1
6. August11881 11, Boulevard Thiers, Argenteuil
Lieber Hirsch, Ich bin seit beinah 2 Wochen hier141; habe weder Paris besucht, noch irgendeinen meiner Bekannten. Der Zustand meiner Frau erlaubte weder das eine noch das andre. Da ich wegen ihrer zunehmenden Schwäche vielleicht viel früher fort muß, als ich ursprünglich plante, will ich (wenn no accident interferes) to-morrow morning2 nach Paris mit Lenchen und Johnny. Ich werde bei Dir vorfahren und, wenn Deine Zeit es erlaubt, rechne auf Deine Begleitung. Gruß an Kaub, Dein • K.Marx
1 In der Handschrift: Juli — 2 (wenn kein Unglücksfall dazwischenkommt) morgen früh
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Marx an Laura Lafargue in London
[Argenteuil] 9. August 1881
Liebes Laurachen, Ich kann Dir nur ein paar Zeilen schreiben, da Postabgang vor der Hand. Der Zustand Mamas bedenklich infolge zunehmender Schwäche. Ich wollte daher (da wir diesmal nur in kleinen etappes reisen können) Ende dieser Woche unter allen Umständen fort und teilte das der Patientin mit. Sie hat aber meinen Plan durchkreuzt, indem sie gestern unsre Wäsche fortgab. So nicht zu denken an Abreise vor Anfang nächster Woche. Vielleicht - je nach ihrem Zustand - werden wir uns einige Tage in Boulogne aufhalten. Der Doktor1 meint (unter sonst günstigen Umständen) könne die Seeluft momentan kräftigend wirken. Nächstes Mal (doch mußt Du mir dazu gleich schreiben, wo Eure nächste Adresse) ausführlicher Bericht. Besten Gruß an Paul. Dein Old Nick
1 vermutlich Dourlen (siehe vorl. Band, S. 17)
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Engels an George Shipton in London (Entwurf)
Bridlington Quay, 10. Aug. 1881
Werter Herr Shfipton], Ich sende Ihnen den abgeänderten Korrekturbogen'151, wie gewünscht, zurück. Es scheint mir, daß Sie die erste Stelle falsch verstanden haben, und die zweite Änderung ist rein formal. Wie dem auch sei, ich verstehe nicht, wozu solche Änderungen gut sein können, wenn sie am Dienstag erbeten, am Mittwoch hier eingehen, um am Donnerstag wieder in London nach Erscheinen des Blatts einzutreffen. Aber da ist noch etwas anderes. Wenn so sehr milde und harmlose Dinge wie diese anfangen, Ihnen zu stark zu erscheinen, so muß ich annehmen, daß dies in einem weit höheren Maße bei meinen eigenen, im allgemeinen weit stärkeren Artikeln der Fall sein muß. Ich bin gezwungen, Ihre Bemerkungen daher als ein Symptom aufzufassen und daraus zu schließen, daß es besser für uns beide sein wird, wenn ich Ihnen keine Leitartikel mehr schicke. Dies dürfte weitaus besser sein, als so lange fortzufahren, bis es an einem unvermeidlichen Punkt zu einem offenen Bruch zwischen uns kommt. Im übrigen erlaubt es mir meine Zeit nicht länger, weiterhin regelmäßig Leitartikel zu schreiben[141; und schon allein deshalb war ich zu einem ähnlichen Entschluß gekommen, der, wie ich damals dachte, nach dem Trades Union Congress1161 verwirklicht werden sollte. Aber je eher ich aufhöre, um so besser wird vielleicht Ihre Stellung zu diesem Kongreß sein. Ein weiterer Punkt ist folgender: ich bin der Ansicht, Sie hätten mir vor der Veröffentlichung eine Kopie oder einen Korrekturbogen des Artikels über die Max-Hirsch-Gewerkschaften in Deutschland1131 schicken sollen, da ich unter Ihren Mitarbeitern der einzige war, der etwas davon verstand und dazu die erforderlichen Bemerkungen machen konnte. Jedenfalls ist es mir unmöglich, im Mitarbeiterstab einer Zeitung zu bleiben, die sich, ohne mich zu fragen, dazu hergibt, diese Gewerkschaften herauszustreichen, welche nur mit jenen schlechtesten englischen vergleichbar
14 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
sind, die es zulassen, sich von eindeutig an die Bourgeoisie verkauften oder zumindest von ihr bezahlten Leuten führen zu lassen. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß ich im übrigen dem „Labour Standard" viel Erfolg wünsche und wenn erwünscht, hin und wieder gelegentliche Informationen vom Kontinent liefern werde.
Ihr aufrichtiger F. E.12571
Aus dem Englischen.
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Engels an George Shipton in London (Entwurf)
Bridlington Quay, 15. Aug. 81
Werter Herr Shipton, Ich kann gar nicht begreifen, wie Sie Herrn K[autsky]s1151 Artikel so sonderbar falsch verstehen konnten. Gegen die erste Stelle hatten Sie Einwände, weil die staatliche Einmischung „vielen prominenten Männern der Gewerkschaften" gegen den Strich ginge. Natürlich ist das so, da sie ja im Grunde ihres Herzens Männer der Manchesterschule12581 sind; und solange ihre Meinungen berücksichtigt werden, ist keine Arbeiterzeitung möglich. Aber meine Ergänzung der betreffenden Stelle müßte Sie überzeugt haben, daß mit der hier erwähnten staatlichen Einmischung nur allein eine solche gemeint ist, wie sie in England seit Jahren gang und gäbe: Fabrikgesetzgebung12591 und nichts anderes: Dinge, gegen die selbst Ihre „prominenten Männer" nichts einzuwenden haben. An der zweiten Stelle sagt Herr K[autsky]: eine internationale Regelung des Konkurrenzkriegs ist ebenso notwendig wie die Regelung der offenen Kriegführung; wir fordern eine Genfer Konvention für die Arbeiter der Welt. Die „Genfer Konvention" ist ein Übereinkommen, das die verschiedenen Regierungen zum Schutze von Verwundeten und Feldlazaretten im Krieg abgeschlossen haben. Herr K[autsky] fordert nun ein ähnliches Übereinkommen zwischen den verschiedenen Regierungen zum Schutze der Arbeiter nicht nur eines, sondern aller Staaten gegen Überarbeit, besonders von Frauen und Kindern. Wie Sie daraus einen Appell an die Arbeiter der Welt machen können, zu einer Delegiertenkonferenz in Genf zusammenzukommen, sehe ich mich völlig außerstande zu verstehen.1
In der Handschrift gestrichen: Wenn Sie hinter den tieferen Sinn des Artikels gekommen wären, so hättenSie sofort verstehen müssen, daß wir es hiermit einer unmittelbar praktischen Maßnahme zu tun haben, die so leicht auszuführen ist, daß eine der derzeitigen Regierungen Europas (die Schweizer Regierung) veranlaßt worden ist, sich der Sache anzunehmen; daß der Vorschlag, die Arbeitszeit in allen Industrieländern gleichzustellen, indem man die
Sie werden zugeben, daß mich das Auftreten solch eines falschen Verständnisses Ihrerseits keineswegs ermuntern kann, meinen Entschluß zu ändern.[14! Was den Hirsch-Artikel[13i angeht, so kenne ich Herrn Eccarius, und nur allzu gut als einen Verräter an unserer Sache, und es ist für mich völlig unmöglich, für eine Zeitung zu schreiben, die ihm ihre Spalten zur Verfügung stellt. Überdies sehe ich keinen Fortschritt. Der ,,L[abour] St[andard]" bleibt der gleiche Übermittler der verschiedensten und einander widersprechenden Ansichten über alle politischen und sozialen Fragen, der er - vielleicht unvermeidlich - am ersten Tage seines Bestehens war, der er heute aber nicht mehr zu sein brauchte, gäbe es in der britischen Arbeiterklasse eine auf Emanzipation von den liberalen Kapitalisten gerichtete Strömung. Da eine derartige Strömung bis jetzt noch nicht zu erkennen ist, muß ich annehmen, daß sie nicht existiert. Gäbe es unmißverständliche Anzeichen ihrer Existenz, würde ich besondere Anstrengungen machen,um sie zu unterstützen. Aber ich glaube nicht, daß eine Spalte pro Woche, die unter den anderen mannigfaltigen im ,,L[abour] St[andard]" vertretenen Ansichten sozusagen ertränkt ist, irgend etwas tun könnte, sie in Gang zu bringen. Wie ich Ihnen mitteilte, hatte ich mich entschlossen, nach dem Trades Unions Congress'16' mit dem Schreiben wegen Zeitmangel aufzuhören; ob ich nun bis dahin noch einige Artikel schreibe, würde belanglos sein. Auf bessere Zeiten wartend und hoffend, verbleibe ich Ihr ergebener F.E.
Aus dem Englischen.
Fabrikgesetzgebung zum Gegenstand internationaler staatlicher Übereinkunft macht, für die Arbeiter Von größtem unmittelbarem Interesse ist. Besonders für die Arbeiter Englands, die, abgesehen von den schweizerischen, am besten von allen gegen Uberarbeit geschützt und deshalb einer unfairen Konkurrenz von Seiten der belgischen, französischen und deutschen Arbeiter ausgesetzt sind, deren Arbeitszeit viel länger ist.
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
[Argenteuil] 16. August 1881
Mein lieber Lawrow, Ich muß morgen abreisen und werde deshalb keine Gelegenheit mehr haben, Sie noch einmal zu sehen. Aber da ich nun schon einmal meinen Weg nach Paris gefunden habe, werde ich mich von Zeit zu Zeit sehen lassen. En attendant au revoir. Tout ä vous1 K.Marx
Aus dem Englischen.
1 Inzwischen auf Wiedersehen. Ganz der Ihre
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
Bridlington Quay, Yorkshire 17. Aug. 1881
Lieber Herr Bernstein, Seit 3 Wochen hier an der See, benutze ich das eingetretne schlechte Wetter, Ihnen vor meiner, Montag, 22., erfolgenden Rückreise ein paar Zeilen zu schreiben. Wenn ich Zeit habe, auch an Kautsky1, der aber jedenfalls sehr rasch auch Antwort und Abdruck seines Artikels im ,,L[abour] Standard]"'151 erhält. Die Antijudenschriften haben Sie wohl richtig zurückerhalten1260ich sandte sie an K[autsky], da Sie keine nähere Adresse gaben. Ich habe nie etwas so Dummes und Kindisches gelesen. Diese Bewegung hat nur die Wichtigkeit, die in Deutschland, bei der Feigheit der Bourgeoisie, jede von oben her eingeleitete Bewegung hat: Wahlmanöver, um konservative Wahlen zu erzielen. Sobald die Wahlen vorbei oder schon früher die Bewegung über das höheren Orts gesteckte Ziel hinausschießt (wie jetzt in Pommern), fällt sie auf höheren Befehl zusammen wie eine angestochene Schweinsblase „und ward nicht mehr gesehn"'2611. Solche Bewegungen kann man nicht verächtlich genug behandeln, und ich freue mich, daß der „Sozialdemokrat]" dies getan.'2621 Übrigens schreibt mir C.H[irsch], der den plötzlichen Sparren einer Spritztour nach Berlin bekommen und ausgeführt hat, von dort: „Die antisemitische Bewegung ist rein von oben arrangiert, ja fast kommandiert. Ich bin in die ärmlichsten Lokale gegangen, und niemand hat sich an meiner Nase gestoßen; in dem Omnibus, auf der Eisenbahn, nirgends hab' ich ein Wort gegen die Juden zu hören bekommen. Die offiziösen Zeitungen, die den Artikel Judenhetze vertreiben, haben sehr wenig Leser. Die Deutschen haben eine natürliche Abneigung gegen die Juden, aber der Haß, den ich bei den Arbeitern wie bei den fortschrittlichen Kleinbürgern und Philistern gegen die Regierung konstatiert habe, ist weit energischer."
1 Siehe vorl. Band, S. 223-225
Von den 1001 Geheimpolizisten in Berlin sagt er, man kenne sie alle und „infolgedessen wissen sie nichts. Sie sind naiv genug, immer in den gleichen Kneipen an denselben Tischen zu sitzen." 12631 Ihre Artikel über die „Intelligenzen" 12641 sind sehr gut. Sowohl die Behandlung der Bismarckschen Verstaatlichungsmanie als eine Sache, für die wir nicht einzutreten haben, die aber doch, wie alles sich Ereignende, nolens volens zu unsern Gunsten ausschlägt, wie auch die der „Intelligenzen" als von Leuten, die, soweit sie etwas wert sind, uns von selbst zufallen, die aber, soweit wir sie erst werben müßten, uns nur durch Reste alten Sauerteigs schädlich werden können, ist ganz vortrefflich. Ebenso vieles einzelne, am Ausdruck findet jeder natürlich hie und da zu flicken. Überhaupt war die letzte Nr. wieder sehr gut, der rechte, frische, siegsgewisse Ton, der den Führern nach Attentaten1321 und Ausnahmegesetz'1411 abhanden gekommen war, ist wieder da und ersetzt, was Friedrich] Wilh[elm] IV. die „Hosentrompeterei" nannte. Den Bradlaugh haben Sie sehr gut mitgenommen.'2651 Im einzelnen einige Glossen: 1. Valles brauchen Sie gar nicht so zu bekomplimentieren.12661 Er ist ein elender literarischer oder vielmehr literatischer Phrasenmacher, an dem absolut gar nichts ist, der aus Mangel an Talent unter die Äußersten gegangen ist, um in Tendenz, sog. Gesinnung zu machen und damit seine schlechten Belletristereien an den Mann zu bringen. Während der Kommune hat er nichts getan als große Worte machen, und wenn er irgendwie gewirkt hat, dann schädlich. Lassen Sie sich von der Pariser Kameraderie (für die auch Malon große Schwäche hat), über diesen drole de fanfaron2 nichts aufbinden. Was er als Politiker ist, zeigt sein Brief an Grevy12671, als dieser Präsident wurde: er solle par ordre du mufti3 die soz. Republik einführen etc., ein Brief, der die Amnestie um Monate verzögert hat. 2. Die Spanier sind keineswegs lauter Anarchisten. In Madrid sitzt ein ganz vortrefflicher Kern (die ehemalige nueva federaciön madrilena12681), dazu sind sehr gute Elemente, namentlich in Valencia und einigen kleineren katalanischen Fabrikstädten, dazu andre zerstreut. Der energischste und klarstsehende ist unser Freund Jose Mesa, jetzt in Paris, ein ganz ausgezeichneter Kerl, der auch mit Guesde und den andern dortigen zusammenwirkt, und die Verbindungen aufrechterhält. Wollen Sie Nachrichten über Spanien, so schreiben Sie französisch an ihn (Malon wird direkt oder durch Guesde den Brief besorgen können, ich hab' seine Adresse nicht hier). Beziehn Sie sich auf mich.
2 großmäuligen Kauz - 3 von oben her
Im ganzen ist meine Ansicht, daß ein junger Mann, der sich auf und für seinen Posten so gut entwickelt wie Sie, eigentlich auch den Posten behaupten muß.4 Ob Kegel, der zudem ja noch sitzt, sich in derselben Weise einschießen würde, ist mir sehr fraglich. Sein theoretischer Standpunkt ist mir unbekannt, ob seine Fähigkeiten über ein Lokal- und Witzblatt hinausgehn, jedenfalls nicht erwiesen. Die Engländer sagen: let well alone; bessert nicht an dem, was gut ist. Ich gestehe, ich sehe jeder Ändrung mit Mißtrauen und Mißbehagen entgegen. Nun also: Rrrevolutionärer Kongreß.12691 Laffargue] hat einen Italiener aufgeschnappt, der Delegierter war, aber, ich weiß nicht weshalb, an die Luft gesetzt wurde. Zudem hat Lfafargue] bei einem französischen Weinund Eßwarenhändler, auch Anarchiste, verschiedne getroffen von der;Bande. Es stellt sich heraus: 1. Der Kongreß bestand aus 20 und einigen Leuten, von denen die meisten Londoner Einwohner mit Mandaten von draußen waren. Dann einige Franzosen, Italiener, ein Spanier. Sie hielten ihre Sitzungen öffentlich. Aber kein Mensch, kein Reporter, kein Hund, keine Katze kam. Nachdem diese vergebliche Erwartung eines Publikums 3-4 Tage gedauert, und stets gleich vergeblich blieb, faßten sie den heroischen Beschluß: die Sitzungen für geheim zu erklären! 2. Das erste, was konstatiert wurde, war die allgemeine Enttäuschung über die Nichtigkeit der ganzen anarchistischen Bewegung und die Gewißheit, daß aber auch nirgendwo irgend jemand hinter den paar Schreiern stehe. Von sich und seiner Lokalität wußte das jeder, aber obgleich jeder den andern die kolossalsten Lügen aufgebunden über den kolossalen Fortgang der Bewegung in seiner Gegend, hatte doch jeder den Lügen der andern geglaubt. Der Zusammenbruch der Illusionen war so kolossal, daß sie ihr Erstaunen über ihre eigne Nichtigkeit sogar in Gegenwart Fremder nicht unterdrücken konnten. 3. Erst das Meeting12701, wohin sie natürlich Reporter bestellten und dann die albernen Anfragen dummer Tories und noch dümmerer Radikaler im Parlament haben den Kongreß einigermaßen gerettet. Daß die Presse bei der jetzigen Nihilistenseuche aus dem von höchstens 700 Mann besuchten Meeting Kapital schlagen würde, war zu erwarten. Wenn also die „Freih[ei]t" von Delegierten Nr. 63 usw. spricht12711, so bezieht sich das auf die Nr. des Mandats des von 1-2-3 Mann in blanko oder auf den Namen eines ihnen total unbekannten, in London wohnenden
"vgl. vorl. Band, S. 182/183
Mannes, oder wovon 10-20 auf einen nach London reisenden Delegierten ausgestellt wurden. Die Anzahl der wirklich anwesenden Delegierten war näher 20 als 30; und die der von außen wirklich zugereisten sicher nicht 10. NB alles dies vorsichtig zu gebrauchen, da ich es aus dritter Hand habe. Z.B. in Frageförm, ob sich das so verhalten, könnte man davon sprechen.12721 Die Herren klammern sich stets an ein ungenaues Wort. Es ist ganz die alte Geschichte aller anarchistischen Kongresse. Lesen Sie in den „Pretendues Scissions dans 1'Internationale]" den Bericht der Leute über ihren eignen Kongreß der Fed[eration] Jurassienne oder in der „Alliance de la Dem[ocratie] Socfialiste]" den über ihren ersten Kongreß nach der Spaltung.12731 Die Anarchie nimmt bei diesen Leuten zunächst die Form an, daß jeder Offizier werden will, aber keiner Soldat. Wie dann auch der wütende Anarchist Adhemar Schwitzguebel (quel nom!5) die Annahme eines Amts vom Staate als Verrat an der Sache verschreit, was ihn nicht verhindert, Lieutenant dans l'armee federale suisse6 zu sein! Beste Grüße auch an K[autsky], der bei nächstem Regenwetter einen Brief erhält. Ihr F. Engels
5 welch ein Name! - 6 Offizier in der schweizerischen Bundesarmee
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Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
[London] 18. August 1881
Mein liebes Herzenskind, Ich kam an in London, d. h. in1 Maitland Park, gegen 7 Uhr. Tussychen sieht blaß und dünn aus, seit Wochen ißt sie fast nichts (wörtlich); ihr Nervensystem befindet sich in einem Zustand äußerster Depression; daher ständige Schlaflosigkeit, Händezittern, nervöse Gesichtszuckungen usw. Ich telegraphierte sofort an Dr. Donkin; er erschien um 11 Uhr (gestern morgen), hatte lange Konsultation mit Tussy und untersuchte sie. Er sagt, daß kein organisches Leiden da ist, Herz ist gesund, Lunge ist gesund usw., nur die Magentätigkeit sei durch ihre närrische Lebensweise völlig in Unordnung gebracht und ihr Nervensystem furchtbar überreizt. Es ist ihm gelungen, sie so zu erschrecken, daß sie seine Vorschriften befolgt, und Du weißt, wenn sie einmal nachgibt und etwas verspricht, hält sie ihr Versprechen. Bei alldem kann ihre Erholung nur langsam vor sich gehen, und ich bin gerade zur rechten Zeit gekommen. Jede weitere Verzögerung wäre sehr gefährlich gewesen. Donkin wollte - wie er mir vor unserer Abreise mitgeteilt hatte - London verlassen und nach den Hebriden gehen. Wegen Tussy und weil er hofft, noch etwas von Mama zu hören, wird er jetzt bis Ende der Woche bleiben. Benachrichtige mich über Mamas Zustand, ob sie Dich verlassen hat usw. Wie geht es Longuet und Harra und Dir selbst und den anderen lieben Kindern2? Wie kommst Du mit dem neuen Mädchen zurecht? Apropos. Sarah3 (Engels' Sarah), die jetzt einige Stunden täglich Tussy hilft, ein Mädchen von bestem Charakter und zu allem geschickt, hat Tussy gesagt, daß sie nichts lieber getan hätte, als mit Dir zu gehen, aber Pumps hätte ihr niemals etwas davon gesagt, daß Lizzy Dich verlassen hat und daß
1 Bis hierher in der Handschrift deutsch - 2 Jean, Edgar und Marcel Longuet - 3 Sarah Parker
Du einen remplaganft für sie suchst. Sie hat Tussy auch gesagt und es mir wiederholt, daß sie immer noch bereit ist, zu Dir hinüberzufahren. Sie wagt nur nicht, allein nach Frankreich zu reisen, aber das macht nichts. Ich kann sie später selber hinüberbringen. Und nun adio, liebes Kind. Das Vergnügen, bei Dir und den lieben Kindern zu sein, hat mir mehr Freude verschafft, als ich sonst irgendwo hätte finden können. Meine Empfehlungen an diesen ausgezeichneten Dr. Dourlen. Mit 1000 Küssen für die Kinder Dein Old Nick Tussy sendet Wolf und der ganzen Familie die besten Grüße.
Aus dem Englischen.
4 Ersatz
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Engels an August Bebel in Leipzig
London, 25. Aug. 1881
Lieber Bebel, Ich hätte auf Deinen Brief vom 13.5.12741 früher geantwortet. Aber nach dem Leipziger „Kleinen" 12751 wartete ich, ob Du nicht vielleicht eine andre Deckadresse angeben würdest; da dies nicht geschehn, benutze ich die alte und lege noch einen Brief von Tussy M[arx] an Frau Liebknecht bei, deren Adresse wir ebenfalls nicht haben. Bernstein schreibt noch immer, er wolle fort vom „Sozialdemokrat]" und schlägt jetzt Kegel als einzuschießenden und nach der Einschießung an seine Stelle zu nehmenden Ersatzmann vor. Meiner Ansicht nach wäre jede Ändrung von Nachteil. Bfernstein] hat sich so über Erwarten gut gemacht (seine Artikel über die „Intelligenzen" 12641 z.B. waren, Kleinigkeiten abgerechnet, ganz vortrefflich und hielten ganz die richtige Linie), daß ein Besserer schwerlich zu finden. Kegel ist auf diesem Gebiet mindestens unerprobt, und, wie die Sachen stehn, sollten alle Experimente vermieden werden. Ich habe B[ernstein] dringend aufgefordert zu bleiben1 und glaube, Ihr könnt nichts Beßres tun, als ihm ebenfalls zuzureden. Unter seiner Hand wird das Blatt immer besser und er selbst auch. Er hat wirklichen Takt und faßt schnell auf, das grade Gegenteil von Kautsky, der ein äußerst braver Kerl ist, aber ein geborner Pedant und Haarspalter, unter dessen Händen nicht die verwickelten Fragen einfach, sondern die einfachen verwickelt werden. Ich und wir alle haben ihn persönlich sehr gern, und er wird auch in längeren Revue-Artikeln manchmal recht Gutes leisten, aber gegen seine Natur kann er beim besten Willen nicht, c'est plus fort que lui2. Bei einer Zeitung ist ein solcher Doktrinär ein wahres Unglück, sogar Ede hat ihm im letzten „Sozialdemokrat]" einen kritischen Schwanz an einen seiner Artikel hängen müssen. Dagegen hat er ein Bauernflugblatt12761 für Ostreich geschrieben, worin er etwas vom novellistischen Talent seiner Mutter
1 Siehe vorl. Band, S. 182/183 und 216 — 2 das ist stärker als er
entwickelt; einzelne gelehrte Ausdrücke abgerechnet, ist es recht gut und wird wirken. An L[iebknecht] habe ich wegen der Landtagsreden geschrieben und als Antwort12771 erhalten, das sei „Taktik" gewesen (aber diese Taktik hatte ich grade als das Hindernis offnen Zusammengehens mit ihm hingestellt!), es würde aber bald im Reichstag anders geredet werden. Das hast Du nun allerdings getan12781 - aber was soll man sagen zu L[iebknecht]s unglücklicher und höchst überflüssiger Redensart von der „Ehrlichkeit des Reichskanzlers" ? Er mag das ironisch gemeint haben, aber dem Bericht sieht man's nicht an, und wie hat die Bourgeoisiepresse das ausgebeutet! 12791 Ich habe ihm nicht weiter geantwortet, es hilft doch nichts. Aber auch Kautsky sagt uns, daß L[iebknecht] in alle Welt hinausschreibt, z.B. nach Ostreich, M[arx] und ich seien vollständig mit ihm einverstanden und billigten seine „Taktik", und daß man das glaubt. Das kann doch nicht in Ewigkeit so fortgehn! Auch über Hartmanns3 Rede beim Unfallgesetz macht sich die „Freih[ei]t" weidlich lustig, und wenn der zitierte Passus echt, so ist sie allerdings sehr bettelhaft.12801 In Frankreich haben die Arbeiterkandidaten 20 000 Stimmen in Paris und 40 000 in der Provinz gehabt12811, und wenn die Führer nicht eine Dummheit über die andre gemacht hätten seit Gründung der kollektivistischen Arbeiterpartei1231, so wäre es noch besser gegangen. Aber auch dort sind die Massen besser als die meisten Führer. In der Provinz haben z.B. einzelne Pariser Kandidaten Tausende von Stimmen verloren, weil sie die hohle Revolutionsphraseologie (die in Paris nun einmal dazugehört wie Klappern zum Handwerk) auch dort vorbrachten, wo sie aber ernsthaft genommen wurde und die Leute sagten: womit Revolution machen ohne Waffen und Organisation? Im übrigen geht die französische Entwicklung ihren regelmäßigen, normalen und sehr nötigen Verlauf in friedlicher Form, und das ist augenblicklich sehr nützlich, weil ohne das die Provinz nicht ernsthaft in die Bewegung gerissen werden kann. Ich begreife sehr wohl, daß es Euch in den Fingern juckt, wo sich in Deutschland alles so schön für uns entwickelt und Ihr mit Euren gebundenen Händen nicht nachhelfen, die Euch fast in den Schoß fallenden Erfolge nicht einheimsen könnt. Aber das schadet nichts. Man hat in Deutschland von vielen Seiten (Viereck ist nur ein schlagendes Exempel, der ganz ein geschlagener Mann war, weil keine öffentliche Propaganda möglich) der offnen Propaganda zuviel Wert beigelegt, der wirklichen Triebkraft der
3 Georg Wilhelm Hartmann
geschichtlichen Ereignisse zu wenig. Es kann nur nützen, hier durch die Erfahrung korrigiert zu werden. Die Erfolge, die wir jetzt nicht einheimsen können, sind uns darum noch lange nicht verloren. Die Aufrüttelung der gleichgültigen, passiven Volksmassen kann nur durch die Ereignisse selbst geschehn, und wenn dann auch der Gemütszustand der Aufgerüttelten unter jetzigen Umständen etwas arg konfus bleibt, so wird seinerzeit das erlösende Wort um so gewaltiger einschlagen, die Wirkung auf Staat und Bourgeoisie um so drastischer sein, wenn die 600 000 Stimmen sich plötzlich verdreifachen, wenn außer Sachsen alle großen Städte und Industriebezirke uns zufallen, und auch die Landarbeiter in eine Lage versetzt sind, wo sie erst für uns geistig zugänglich werden. Eine solche Eroberung der Massen im Sturm ist viel wertvoller als die allmähliche durch offne Propaganda, die uns unter jetzigen Umständen ja doch bald wieder gelegt würde. Die Junker, Pfaffen und Bourgeois können uns unter jetzigen Verhältnissen nicht erlauben, ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehn, und daher ist es besser, sie besorgen das selbst. Es wird schon wieder eine Zeit kommen, wo ein andrer Wind weht. Inzwischen habt Ihr den Kram in eigner Person durchzumachen, die Infamien der Regierung und Bourgeois selbst zu erdulden, und das ist kein Spaß. Vergeßt nur keine Euch und allen unsern Leuten getane Niedertracht, die Zeit der Rache kommt und muß redlich ausgenutzt werden. Dein F.E.
Viereck ist in Kopenhagen, Adresse poste restante, K.
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Engels an Karl Kautsky in Zürich
London, 27. Aug. 1881
Lieber Herr Kautsky, Sie erhalten in 1-2 Tagen per Post 1. den „Lfabour] St[andard]" mit Ihrem Artikel[151, bei Gelegenheit dessen allerhand Komisches vorgekommen, 2. eine „Nature" vom 18. Aug., 3. Ihr Mskr.[2761 zurück. Nachdem ich die gar schülerhafte Ubersetzung etwas revidiert, sandte ich sie an Shipton als Leitartikel. Der brave Shipton verstand ihn aber miß, und reklamierte bei mir, es war aber wie gewöhnlich zu spät. Der Mann hatte sich bei der „Staatseinmischung" zugunsten der Arbeiter wer weiß was gedacht, nur nicht das, was drin stand, und daß diese Staatseinmischung in England längst in factories and Workshops acts12591 besteht. Noch schlimmer: in den Worten: we demand a Geneva Convention for the working classes1, las er heraus, Sie verlangten den Zusammentritt einer Delegiertenkonferenz in Genf zur Regelung der Sache!! Was soll man mit einem solchen Rindvieh machen? Ich habe die Sache zum Anlaß genommen, meinen Entschluß auszuführen und mit dem ,,L[abour] St[andard]" abzubrechen, da das Blatt eher schlechter als besser wird.2 In der „Nature" finden Sie eine im internationalen medizinischen Kongreß 12821 hier gehaltene Rede von John Simon, die ein wahrer Anklageakt der medizinischen Wissenschaft gegen die Bourgeoisie ist. J. Simon ist medical officer to the Privy Council (Staatsrat)1283', faktisch Chef der gesamten britischen Medizinalpolizei, und derselbe, den M[arx] im „Kapital" so oft und so rühmlich zitiert, ein Mann, der - vielleicht der letzte der alten berufstreuen und gewissenhaften Beamten aus der Zeit von 1840- 60 - überall Bourgeoisinteressen als erstes Hindernis seiner Pflichterfüllung vorgefunden hat und zu bekämpfen genötigt war. Sein instinktiver Haß gegen die Bourgeoisie ist daher ebenso heftig wie erklärlich. Jetzt kommt ihm, dem Arzt, die Bourgeoisie, unter pfäffischer Leitung, mit ihrer Antivivisektionsbewegung in sein eignes Fach, und er kehrt den Spieß um: statt wie
1 wir f ordern eine Genfer Konvention für die Arbeiterklasse - 2 siehe vorl. Band, S. 211/212
Virchow matt und farblos zu predigen, attackiert er den Gegner, stellt den paar wissenschaftlichen Experimenten der Ärzte an Tieren die riesigen kommerziellen Experimente der Bourgeoisie an den Volksmassen gegenüber, und stellt damit erst die Frage auf das richtige Terrain. Ein Auszug daraus würde ein famoses Feuilleton für den „Sozialdemokrat]" geben.12841 Übrigens hat der Kongreß einstimmig die Vivisektion für notwendig für die Wissenschaft erklärt. Ihr Flugblatt'2761 beweist, daß Sie von dem novellistischen Talent Ihrer Mutter geerbt haben. Es hat mir besser gefallen als alle Ihre früheren Sachen. Einige Ausdrücke und Wendungen hätten bei etwas mehr Feile geändert werden können, für einen zweiten Abdruck würde ich das empfehlen. Schriftdeutsch ist für die Erzählung eine sehr holprige Sprache, und gelehrte Worte, wie Reaktion, wobei der Bauer sich nichts denken kann, sollten umgangen werden. Das Ding ist es wert, daß Sie es nach der Seite hin ernstlich revidieren. Es ist das beste Flugblatt, das ich noch gelesen. Ihre Mostianischen Leute in Ostreich müssen durch Schaden klug werden, das ist nun einmal nicht anders. Es ist das ein Prozeß, bei dem viel sonst gute Elemente draufgehn, aber wenn die guten Elemente platterdings zum Spaß konspirieren wollen und nicht wissen wofür, ist ihnen nicht zu helfen. Glücklicherweise hat die proletarische Bewegung eine enorme Reproduktionsfähigkeit. Viereck und Frau haben in Schottland entsetzlich viel schlechtes Wetter genossen und sind dann nach Kopenhagen abgefahren, auch angekommen. Dort bleiben sie vorläufig, Adresse poste restante, K. Unsere französischen Freunde scheinen noch immer nicht zufrieden zu sein mit den vielen Dummheiten, die sie aus Übereifer, Kameraderie, Deklamationsbedürfnis usw. schon seit 2 Jahren begangen. Der „Citoyen" ist an, wie es scheint, Bonapartisten verkauft worden, die den Unsern zwar noch nicht ohne weiteres den Stuhl vor die Tür setzen, aber sie nicht mehr zahlen und sonst en canaille behandeln, als ob sie sie zwingen wollten, Strike zu machen und sie dadurch loszuwerden. Dazu liegen die Unsern sich alle in den Haaren untereinander, wie das bei Mißerfolgen so oft geschieht. Einer der Unglücklichsten ist Brousse, ein kreuzbraver Kerl, aber Konfusionarius erster Größe, und der platterdings die Bekehrung seiner anarchistischen Ex-Freunde für die erste Aufgabe der ganzen Bewegung hält. Er hat auch den verrückten Beschluß der Kandidaturablehnung12851 seinerzeit veranlaßt. Im übrigen ist der regelmäßige friedliche Gang der Entwicklung in Frankreich uns schließlich nur günstig. Erst wenn die Provinz, wie seit 1871 geschehn, in die Bewegung gezogen wird und, wie mehr
und mehr geschieht, als Macht im Staat auftritt, d.h. in normaler gesetzlicher Form, kann der stoßweisen, von Pariser Coups ausgehenden und durch Provinzialreaktion auf jahrelang zurückgedrängten bisherigen Entwicklungsform Frankreichs im Interesse unser aller ein Ende gemacht werden. Wenn dann die Zeit kommt für Paris, zu agieren, dann hat es die Provinz nicht gegen sich, sondern hinter sich. Beste Grüße von allen. Ihr F. Engels
15 Marx/Engels, Werlte, Bd. 35
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Marx an Karl Kautsky in Zürich12861
[London] I.Oktober 1881 In aller Eile.
Lieber Herr Kautsky, Einliegend einige Zeilen an Ihre Frau Mutter, nebst einliegenden Zeilen an meine Tochter.12871 Hätten Sie mir die Pariser Adresse Ihrer Mutter geschickt, so wäre Zeit gespart worden. Ich würde Ihre Mutter ersucht haben, einige Tage in meinem Haus zu residieren und sich gleichzeitig mit mir in London umzuschauen. Die jeden Tag der Katastrophe näherrückende, fatale1 Krankheit meiner Frau verhindert's. Ich bin garde malade2. Die „Arbeiterstimme" erhalte ich regelmäßig, erbaut mich, aber verwundert mich nicht, da ich meine Schwyzer seit Jahrzehnten kenne. Was Mr. McGuire angeht, so scheint er nach Ihrem Brief in London zu sein. Wie kommt's, daß keiner unsrer New-Yorker Freunde ihn mit Empfehlungsschreiben versah? Ich habe prima facie3 immer gewissen Verdacht gegen Yankeesozialisten und weiß speziell, daß die Sorte, womit Shipton in Verbindung stand, very crotchety and sectarian4 ist. With all that, Mr. McGuire may be an excellent partyman.5
Ihr freundlichst ergebner Karl Marx
Grüße von Frau und Tochter6 an Sie.
1 tödliche — 2 Krankenwärter - 3 von vornherein - 4 sehr verdreht und sektiererisch - 5 Bei alledem kann Mr. McGuire ein ausgezeichneter Parteimann sein. - 6 Eleanor Marx
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Marx an Minna Kautsky in Paris'2881
I.Oktober 1881 41, Maitland Park Road London, N.W.
Hochverehrte Frau, Ich sende Ihnen einliegend einige Zeilen für meine Tochter.12871 Argenteuil ist ganz nahe bei Paris, ungefähr 20 minutes Reise von der Gare1 St. Lazare. Ich würde mir erlaubt haben, Sie zu einem Aufenthalt in meinem Haus in London einzuladen, - und Ihr Sohn wird Sie unterrichtet haben, wie sehr die ganze Familie Ihre Werke bewundert12891, - wenn nicht eine schreckliche, und ich fürchte fatale? Krankheit meiner Frau sozusagen unsern Verkehr mit der Außenwelt unterbrochen. Mit den aufrichtigsten Wünschen für Ihr Wohlergehn
Ihr ergebenster Karl Marx
1 dem Bahnhof - 2 tödliche
15*
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 25. Okt. 1881
Lieber Herr Bernstein, Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie an mich in der Angelegenheit der „Egalite" geschrieben haben.12901 Abgesehn von dem Punkt, um den es sich handelt, gibt dies mir Gelegenheit, Ihnen auseinanderzusetzen, was Marx' und damit in zweiter Linie auch meine Stellung zur französischen Bewegung ist. Und an diesem einen Exempel haben Sie den Maßstab unsrer Stellung zu den andern außerdeutschen Bewegungen, soweit sie uns, und wir ihnen, sympathisch sind. Es ist mir lieb, daß Sie nicht in der Lage sind, augenblicklich die „Egalite" mit Geld zu unterstützen. Laf[argue]s Brief war wieder einer jener coups de tete1, die die Franzosen, namentlich die südlich der Linie Bordeaux-Lyon gebornen, von Zeit zu Zeit nicht lassen können. Er war so sicher, einen Geniestreich und zugleich einen Bock zu machen, daß er sogar seiner Frau (die manches der Art verhindert) erst post festum davon sprach. Mit Ausnahme Laf[argue]s, der immer dafür ist, daß „doch etwas geschieht", n'importe quoi2, waren wir hier einstimmig gegen ,,Egal[ite]" Nr. 3. Mit ihren Fr. 5000 (wenn so viel), versprach ich ihnen eine Lebensdauer von 32 Nrn. Wenn Guesde und Laf[argue] mit Gewalt sich den Ruf von tueurs de journeaux3 in Paris machen wollen, so können wir sie nicht hindern, aber weiter tun wir auch nichts. Geht es mit dem Blatt wider Erwarten besser, und wird es wirklich gut, so kann man ja in einem schwierigen Moment immer noch sehn, was zu tun ist. Aber es ist absolut nötig, daß die Herren endlich lernen, mit ihren eignen Hülfsquellen Rat zu halten. Die Sache ist die, daß unsre französischen Freunde, die den Parti ouvrier4 gründen wollen, seit 12-15 Monaten einen Bock über den andern gemacht haben, und zwar alle ohne Ausnahme. Den ersten beging Guesde, als er aus absurdem Purismus Malon verhinderte, die ihm angetragne
1 Geniestreiche - 2 ganz gleich, was — 3 Zeitungstötern - 4 die Arbeiterpartei
Redaktion des Arbeiterdepartements im „ Intransigeant" mit Fr. 12 000 Gehalt anzunehmen. Das ist der Ausgangspunkt des ganzen Krakeels. Dann kam die unverzeihliche Dummheit mit der „Emancipation", wo M[alon] sich von den Lyonern (den schlechtesten Arbeitern in Frankreich) durch falsche Versprechungen hintergehn ließ, wo aber G[uesde] ebenso hitzig war, ein Tagesblatt a tout prix5 zu haben. Nachher der Zank um des Kaisers Bart wegen der Kandidatur1285', wobei es sehr möglich ist, daß G[uesde] den von Ihnen gerügten Formfehler begangen hat, wobei mir aber klar ist, daß M[alon] einen Anlaß zum Streit suchte. Endlich der Eintritt in und dann der Austritt aus dem ,,Cit[oyen] franfais" der Fa. Boubeau alias Secondigne, eines Abenteurers schlimmsten Rufs - der Austritt, weil durch bloße Nichtzahlung des Honorars veranlaßt, ohne politischen Grund. Dann der Eintritt Guesdes, mit einer sehr gemischten Gesellschaft, in den neusten „Citoyen", und der von M[alon] und Brousse in den elenden „Proletaire", den sie, wenigstens Malon, unterderhand immer bekämpft hatten als ordinäres Knotenblatt. Der „Proletaire" war das Blatt der allerborniertesten Clique aller schreiblustigen Pariser Arbeiter. Es war Vorschrift, daß nur wirkliche Handarbeiter mitraten und mitschreiben durften. Der beschränkteste Weitlingsche „Gelehrten"-haß war an der Tagesordnung. Das Blatt war auch danach absolut inhaltslos, aber mit der Prätension, la plus pure expression6 des Pariser Proletariats zu sein. Daher, bei aller scheinbaren Freundschaft, stets geheime Todfeindschaft und Intrigen gegen alle Nebenblätter, die 2 „Egalites" eingeschlossen. Wenn jetzt Mal[on] behauptet, die französische Arbeiterpartei suche sich im ,,Prol[etaire]" ein Organ zu schaffen, wozu also eine konkurrierende „figalite"? - so weiß niemand besser als Malon, 1. daß die beiden ersten ,,Eg[alites]" ebenfalls neben dem ,,Prol[etaire]" bestanden, einfach weil aus dem ,,Prol[etaire]" 2. nichts zu machen war, und Mal[on] kennt die Leute vom ,,Prol[etaire]" grade so gut wie Guesde, und 3. bilden die paar Schafsköpfe vom ,,Prol[etaire]" benebst Mal[on] und Brousse noch lange nicht die französische Arbeiterpartei. Er weiß also, daß das faule Fische sind, und daß er es ist, der sich im ,,Prol[etaire]" ein Organ schaffen will, weil er es überall anderswo verdorben. Was aber Mal[on] und Br[ousse] mit diesem Käseblättchen verbindet, ist die gemeinsame Eifersucht gegen Marx. Es ist der Masse der französischen Sozialisten ein Greuel, daß die Nation, die die Welt mit den idees
5 um jeden Preis - 6 der reinste Ausdruck
fransaises beglückt, die das Monopol der Ideen hat, daß Paris, centre des lumieres7, jetzt auf einmal ihre sozialistischen Ideen fix und fertig beziehen soll von dem Deutschen Marx. Aber das ist nun einmal so, und zudem ist Marx uns allen durch sein Genie, seine fast übertriebne wissenschaftliche Gewissenhaftigkeit und seine fabelhafte Gelehrsamkeit so weit überlegen, daß, wenn sich einer aufs Kritisieren dieser Entdeckungen verlegen wollte, er sich zunächst nur die Finger verbrennen kann. Dazu gehört eine fortgeschrittnere Epoche. Wenn also die französischen Sozialisten (d.h. die Mehrzahl) sich wohl oder übel ins Unvermeidliche fügen müssen, so geht es doch nicht ohne ein gewisses Knurren ab. Die Leute vom ,,Prol[etaire]" sind es, die von Guesde wie Laf[argue] behaupten, sie wären Mundstücke von Marx, was dann in der vertrauteren Sprache dahin übersetzt wird, ils veulent vendre les ouvriers fran^ais aux Prussiens et ä Bismarck8. Und Monsieur Malon läßt auch dieses Knurren in allen seinen Schriftwerken sehr deutlich vernehmen, und zwar in einer sehr unwürdigen Form: Malon bemüht sich, für Marx' Entdeckungen andre Väter zu entdecken (Lassalle, Schäffle, ja sogar De Paepe!) oder unterzuschieben. Nun ist es ja ganz in der Ordnung, daß man mit Parteileuten, wer sie auch seien, andrer Meinung ist über ihre Handlungsweise in diesem oder jenem Fall; oder daß man über einen theoretischen Punkt differiert und diskutiert. Aber jemandem wie Marx seine eigensten Errungenschaften in dieser Weise streitig zu machen, verrät eine Kleinlichkeit, wie sie, man sollte fast sagen, nur ein Schriftsetzer besitzen kann, über deren Einbildung von sich selbst Sie ja gewiß auch schon Erfahrungen genug gemacht haben. Ich begreife überhaupt nicht, wie man auf ein Genie neidisch sein kann; das ist so eine Sache so eigner Art, daß wir, die wir es nicht haben, von vornherein wissen, es ist für uns unerreichbar; so etwas aber beneiden zu können, dazu muß man doch arg kleinlich sein. Die versteckte Weise, in der M[alon] dies tut, verbessert die Sache nicht. Daß er dabei schließlich der Blamierte ist, überall Mangel an Kenntnissen und an Kritik verrät, das könnte ihm wohl einmal unangenehm zu Gemüt geführt werden, falls es einmal nötig würde, Malons saubre ,,Hist[oire] du Soc[ialisme]" „depuis les temps les plus recules"9 (!!) und sonstige Leistungen auf ihren Gehalt zu untersuchen. Brousse ist so ziemlich der hülfloseste Konfusionarius, den ich je gesehn. Er hat vom Anarchismus die Anarchie, d. h. die Bekämpfung der politischen Tätigkeit und des Wählens, fallenlassen, dagegen alle andern Phrasen und
7 Zentrum der Aufklärung — 8 sie wollen die französischen Arbeiter an die Preußen und an Bismarck verkaufen — 9 „seit den ältesten Zeiten"
namentlich die Taktik beibehalten. So spintisiert er jetzt im ,,Prol[etaire]" in langstieligen, gegen Guesde (ohne ihn zu nennen) gerichteten Artikeln über die unlösbare Frage, wie eine Organisation einzurichten, die die Möglichkeit einer Diktatur (Guesdes!!) ausschließt. Daß diese absolute literarische und theoretische Inkapazität, die aber das Klüngeln aus dem ff versteht, wieder eine Rolle spielen kann, ist gemeinsame Schuld von Laf[argue], Guesde und Malon. Endlich Guesde. Dieser ist von den Parisern theoretisch bei weitem der klarste Kopf und einer der wenigen, die an dem deutschen Ursprung des jetzigen Sozialismus absolut keinen Anstoß nehmen. Hinc illae lacrimae.12911 Daher verbreiteten die Herren vom ,,Prol[etaire]", er sei bloßes Mundstück von Marx, und Malon und Brousse kolportieren das mit bedauerlicher Miene weiter. Außerhalb dieser Clique denkt niemand daran. Was daran ist, weiter unten. Daß er herrschsüchtig sein soll, mag wohl sein. Jeder von uns ist herrschsüchtig in der Art, daß er seine Ansichten zu den herrschenden machen will. Wenn Guesde dies auf gradem und Malon auf krummem Weg versucht, so spricht dies für Guesdes Charakter und für Malons größere Weltklugheit, namentlich bei einem Volk wie die Pariser, die sich nicht das geringste wollen befehlen lassen, dafür aber sich mit Entzücken an der Nase herumführen lassen. Übrigens ist mir noch von jedem, der irgend etwas wert war, zu irgendeiner Zeit gesagt worden, er sei herrschsüchtig, und ich schloß nur daraus, daß etwas Wirkliches gegen den Mann nicht zu sagen war. Guesde hat ganz andre Fehler. Erstens den Pariser Aberglauben, daß immer mit dem Wort Revolution um sich geworfen werden muß. Und zweitens seine grenzenlose Ungeduld. Er ist nervenkrank, glaubt, nicht lange mehr leben zu können, und will nun mit Gewalt noch etwas Ordentliches erleben. Daher und aus seiner krankhaften Erregung der übertriebne, manches verderbende Tatendrang. Nehmen Sie nun dazu noch die Unfähigkeit der Franzosen, besonders Pariser, Differenzen anders als persönlich aufzufassen, und es wird wohl klar genug sein, wieso die Herren bei den ersten kleinen Erfolgen sich schon am Ziel sahn, die Haut des unerlegten Bären teilen wollten und darüber in Zank gerieten. Übrigens sind Guesdes Broschüren und Artikel die besten, die in französischer Sprache erschienen sind, und dabei ist er einer der besten Redner in Paris. Und wir haben ihn immer offen und zuverlässig gefunden. Nun zu uns. Wir stehen, d.h. M[arx] und ich - mit Guesde gar nicht einmal in Korrespondenz. Nur wo bestimmte geschäftliche Anlässe vorlagen, haben wir geschrieben. Was Laf[argue] an G[uesde] schreibt, wissen
wir nur im allgemeinen, und was Gfuesde] an Laffargue], haben wir auch lange nicht alles gelesen. Da sind wer weiß was für Pläne ausgetauscht worden, von denen wir absolut nichts wissen. M[arx] hat, wie ich, von Zeit zu Zeit durch Lfafargue] an G[uesde] einen Rat gegeben, der aber kaum jemals befolgt worden ist. Aber allerdings kam G[uesde] herüber, als es sich darum handelte, den Programmentwurf für die französische Arbeiterpartei1431 zu entwerfen. Von diesem hat ihm Marx in meiner und Laf [arguejs Gegenwart hier auf meinem Zimmer die Considerants in die Feder diktiert: der Arbeiter ist nur frei, sobald er Besitzer seiner Arbeitsmittel ist - dies kann in individueller oder in kollektiver Form stattfinden - die individuelle Besitzform ist durch die ökonomische Entwicklung überwunden und wird es täglich mehr - bleibt also nur die des gemeinsamen Besitzes etc. - ein Meisterstück schlagender, den Massen in wenig Worten klarzustellender Beweisführung, wie ich wenige kenne und wie es mich selbst in dieser konzisen Fassung in Erstaunen setzte. Der übrige Inhalt des Programms wurde dann diskutiert; wir brachten einiges hinein und andres heraus, wie wenig aber Gfuesde] Mundstück von M[arx] war, geht daraus hervor, daß er darauf bestand, seine Torheit vom Minimum du Salaire10 hineinzusetzen, und da nicht wir, sondern die Franzosen dafür verantwortlich, ließen wir ihn schließlich gewähren, obwohl er den theoretischen Unsinn zugab. Damals war Brousse in London und wäre gern mit dabeigewesen. Aber Gfuesde] hatte nur kurze Zeit und erwartete nicht mit Unrecht von Brfousse] langstielige Debatten über unverstandne anarchistische Redensarten, bestand also drauf, daß Brfousse] nicht bei dieser Sitzung sei. C'etait son affaire.11 Aber Brfousse] hat ihm das nie vergessen, und von da an datiert sein Klüngel gegen Gfuesde], Dies Programm haben dann nachher die Franzosen diskutiert und mit einigen Änderungen, worunter die von Malon keineswegs Verbesserungen, angenommen. Dann habe ich noch 2 Artikel in die „figalfite]" Nr. II geschrieben über „Le socialisme de M. Bismarck"ta92], und das ist, soviel ich weiß, unser ganzer aktiver Anteil an der französischen Bewegung. Was aber die kleinlichen Nörgler, die nichts sind und gern alles wären, am meisten ärgert, ist das: Marx hat sich durch theoretische und praktische Leistungen die Stellung erobert, daß die besten Leute aller Arbeiterbewegungen in den verschiednen Ländern volles Vertrauen in ihn haben. Sie
10 Mindestlohn -11 Das war seine Sache.
wenden sich an ihn in entscheidenden Momenten um Rat und finden dann gewöhnlich, daß sein Rat der beste ist. Diese Stellung hat er in Deutschland, in Frankreich, in Rußland, von den kleineren Ländern nicht zu sprechen. Es ist also nicht M[arx], der den Leuten seine Meinung, geschweige seinen Willen aufdrängt, es sind diese Leute selbst, die zu ihm kommen. Und grade darauf beruht der eigentümliche, für die Bewegung äußerst wichtige Einfluß von M[arx]. Malon wollte auch herkommen, aber sich durch Laffargue] eine Spezialeinladung von M[arx] erwirken, die er natürlich nicht erhielt, man war bereit, mit ihm wie mit jedem andern de bonne volonte12 zu verhandeln, aber ihn einladen! Wozu? Wen hat man denn je so eingeladen? Wie zu den Franzosen, so steht M[arx] und in zweiter Linie ich zu den übrigen nationalen Bewegungen. Wir haben fortwährende Fühlung mit ihnen, soweit es der Mühe wert und Gelegenheit da, aber jeder Versuch, die Leute wider ihren Willen zu beeinflussen, würde nur uns schaden, das alte Vertrauen aus der Zeit der Internationalen vernichten. Und dazu haben wir doch zu viel Erfahrung in revolutionaribus rebus13. Nun noch zwei facts: 1. War es Guesde und mit ihm Laffargue], die in der „Egalfite]" dem Malon einen ganz unverdienten Ruf, sozusagen eine Legende machten, und zwar bloß weil Gfuesde] als Schriftsteller echt französisch glaubte, einen Arbeiter neben sich nötig zu haben. 2. Und dies bin ich von dem Empfänger des Briefs bevollmächtigt, Ihnen mitzuteilen: Lissagaray, der der Präsident des Meetings war, worin Malon den Lumpen Lullier anklagte, schreibt: eben als das Meeting beginnen sollte, läßt Lullier den Malon um eine kurze Besprechung bitten. Malon geht, kommt nicht wieder, bis endlich sein Comiti ihn suchen geht (Lissfagaray] war Präsident des Comites und des Meetings) und findet ihn - in höchst gemütlicher Kneiperei und beginnender friedlicher Verständigung mit dem von ihm als niederträchtigsten aller Lumpen (mit Recht) angeklagten Lullier! Hätte nicht Malon um 9 Uhr zum Kongreß nach Zürich1293' abfahren müssen, so war Gefahr da, daß die Versöhnung sich vollzog. Und das will ein politischer Mann sein! Mesas Adresse ist: J. Mesa, 36 Rue du Bac, Paris. Marx weiß von diesem Brief kein Wort. Er liegt seit 12 Tagen im Bett an einer Bronchitis mit allerlei Verwicklungen, doch ist seit Sonntag jede Gefahr - bei Vorsicht - vorüber. Ich habe Angst genug ausgestanden. Nun
12 guten Willens -13 revolutionären Dingen
geht's besser, und morgen, 27. Okt.[2941, zeigen wir hoffentlich der Welt, daß wir noch dicke da sind. Beste Grüße auch an Kfautsky]. Ihr F.E.
Wegen der ,,Eg[alite]" halte ich fürs beste, daß die Leute vorderhand gar \ein neues Blatt stiften, bis die Verhältnisse innerhalb der Partei sich etwas mehr klären. Wenn sie indes anfangen wollen, so können wir und niemand sie hindern, ich seh' aber nicht ab, wie es diesmal ohne Krakeel zwischen ,,£g[alite]" und „Prolfetaire]" abgehn soll. Dies wäre kein Weltunglück, aber doch immer eine vielleicht unnötige Kinderkrankheit. Was ist denn das für eine Operation mit K[autsky] - hoffentlich läßt er sich nicht zum vollendeten Malthusianer schneiden!
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
[London] 122, Regent's Park Road, N.W. 4. Nov. 1881
Lieber Alter, Deine Postkarte wegen Kongreß12951 kam zu spät, als daß ich Dir vorher noch hätte schreiben sollen. Seitdem haben wir hier auch allerhand Unheil gehabt. Frau M[arx] liegt seit Monaten gefährlich krank im Bett und nun bekam auch M[arx] eine von allerhand Verwicklungen begleitete und in seinem Alter und allgemeinen Gesundheitszustand keineswegs spaßhafte Bronchitis. Glücklicherweise ist das Schlimmste überstanden und für M[arx] alle Gefahr vorläufig beseitigt, doch muß er noch den größten Teil des Tags im Bett zubringen und ist sehr mitgenommen. Hierbei Postanweisung für vier Pfd. St. = 100 Fr. 80 c., die ich Dir diesmal schicken soll. Ich hoffe, sie kommt gelegen, denn so sehr es mich freut zu erfahren, daß Du imstande gewesen bist, Dir wenigstens den Anfang einer Existenz zu machen, so ist es doch aber nur ein Anfang und es tut mir nur leid, daß ich in der letzten Zeit selbst ziemlich knapp war und daher nicht früher einspringen konnte. Ich bin immer froh, wenn so ein sog. Weltkongreß ohne öffentliche Blamage abläuft, wie diesmal. Es kommen da immer so allerhand Leute zusammengeschneit, von denen ein Teil nur den Zweck hat, vor dem Publikum als wichtig zu erscheinen und die eben deshalb jeder Dummheit fähig sind. Nun, diesmal ist's noch glimpflich abgegangen. Unsre Leute in Deutschland haben sich bei den Wahlen12941 famos bewährt. In 23 oder 27 Kreisen (bestimmt kann ich's nicht erfahren) in der Stichwahl, trotzdem daß alle andern Parteien bis auf den letzten Mann diesmal erschienen sind. Und das unter dem Druck des Ausnahmegesetzes und Belagerungszustandes12271, ohne Presse, ohne Versammlungen, ohne irgendwelche öffentliche Agitationsmittel und mit der Gewißheit, daß dafür wieder an tausend Existenzen innerhalb der Partei geopfert werden. Es ist ganz famos, und der Eindruck in ganz Europa, namentlich aber hier in England,
ganz enorm gewesen. Wieviel Sitze wir erhalten, ist Wurst. Immer genug, um das Nötige im Reichstag zu sagen. Aber das Faktum, daß wir in den großen Städten Grund gewonnen haben, statt ihn zu verlieren - das ist brillant und Hurra für unsre Jungens in Deutschland! Dein alter F.E.
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 30. Nov. 1881
Lieber Herr Bernstein, Wenn ein äußeres Ereignis dazu beigetragen hat, M[arx] wieder einigermaßen auf den Strumpf zu bringen, so sind es die Wahlen gewesen.12941 So famos hat sich noch kein Proletariat benommen. In England, nach dem großen Mißerfolg von 18481296 verfallen in Apathie, und zuletzt Ergebung in die bürgerliche Ausbeutung unter Vorbehalt des Einzelkampfs der Trades-Unions für höheren Lohn. In Frankreich, Verschwinden des Proletariats von der Bühne nach dem 2. Dez.12971 In Deutschland, nach 3 Jahren unerhörter Verfolgung, nie nachlassenden Drucks, kompletter Unmöglichkeit öffentlicher Organisation und selbst Verständigung, stehn unsre Jungens nicht nur in alter Kraft da, sondern verstärkt.11411 Und verstärkt grade in einem. Hauptumstand: der Schwerpunkt der Bewegung ist verlegt aus den sächsischen halbländlichen Distrikten in die industriellen großen Städte. Die Masse unsrer Leute in Sachsen besteht aus Handwebern, die dem Untergang durch den Dampfstuhl geweiht sind und nur durch Hungerlohn und Nebenbeschäftigung (Gartenbau, Spielwarenschnitzerei etc.) noch so eben fortexistieren. Diese Leute befinden sich in einer ökonomisch reaktionären Lage, vertreten eine untergehende Produktionsstufe, Sie sind also mindestens nicht in demselben Grad geborne Repräsentanten des revolutionären Sozialismus wie die Arbeiter der Großindustrie. Sie sind deshalb nicht von Natur reaktionär (wie z.B. hier die Reste der Handweber schließlich wurden - der Kristallkern der „(konservative Working Men"1), aber sie sind auf die Dauer unsicher. Namentlich auch wegen ihrer furchtbar elenden Lage, die sie weit weniger widerstandsfähig macht als die Städter, und wegen ihrer Zerstreuung, die es lichter macht, sie politisch zu knechten als die Leute der großen Städte. Nach den im „Sozialdemokrat]" gegebnen Tatsachen12981 ist in der Tat der Heroismus noch zu bewundern, mit dem diese armen Teufel noch so zahlreich ausgehalten haben.
1 „Konservativen Arbeiter"
Aber ein richtiger Kern für eine große nationale Bewegung sind sie nicht. Ihr Elend macht sie unter Umständen - wie 1865-70 - rascher empfänglich für sozialistische Anschauungen als die Großstädter. Aber dasselbe Elend macht sie auch unsicher. Wer am Ertrinken ist, greift nach jedem Strohhalm und kann nicht warten, bis das Boot vom Ufer abstößt, das Rettung bringen will. Das Boot ist die sozialistische Revolution, der Strohhalm ist der Schutzzoll und Staatssozialismus. Es ist bezeichnend, daß dort in unsern alten Bezirken fast nur Konservative Chance hatten gegen uns. Und wenn damals Kayser solchen Unsinn machen konnte wegen Schutzzöllnerei12991 und die andern nicht recht entgegenzutreten wagten, woran lag das, wie Bebel mir selbst schrieb13001, als an den Wählern, besonders K[ayser]s! Jetzt ist das alles anders. Berlin, Hamburg, Breslau, Leipzig, Dresden, Mainz, Offenbach, Barmen, Elberfeld, Solingen, Nürnberg, Frankfurt a. M., Hanau, neben Chemnitz und den erzgebirgischen Distrikten, das gibt einen ganz andern Halt. Die ihrer ökonomischen Lage nach revolutionäre Klasse ist Kern der Bewegung geworden. Daneben ist die Bewegung gleichmäßig über den ganzen industriellen Teil von Deutschland verbreitet, aus einer auf ein paar lokale Zentren beschränkte, eine nationale erst jetzt geworden. Und das erschreckt den Bürger am meisten. Was die Gewählten angeht13011, so wollen wir das Beste hoffen, obwohl mir das bei einzelnen sehr schwerfällt. Aber ein Unglück wär's, wenn Bebel nicht noch hineinkäme. Der allein ist mit seinem richtigen Takt imstande, die vielen neuen und sicher auch mit allerhand neuen Plänchen ausgestatteten Elemente in Ordnung zu halten und Blamagen zu verhüten. Was die Franzosen angeht, so wäre es am besten, die Herren Malon und Brousse jetzt ruhig gewähren zu lassen und abzuwarten, was sie leisten können. Dazu aber wird's schwerlich kommen. Die „Egalite" wird dieser Tage erscheinen; Brousse wird wie bisher im stillen verleumden, im „Prol[etaire]" angreifen, ohne Namen zu nennen, und die andern werden ungedüldig genug sein, auf den Leim zu gehn, zuerst mit Nennung von Namen angreifen, und dann als Friedensstörer, Sektierer, Spaltungsmacher und angehende Diktatoren angeschrien werden. Das ist nicht zu verhindern. Die Leute können nun absolut nicht warten, bis ihre Gegner sich selbst in den Dreck reiten, sie müssen ihnen durch Polemik eine verlängerte Lebensfrist geben. Allein gelassen, würden Malon und namentlich Brousse sich in 6 Monaten selbst kaputtmachen (wahrscheinlich gegenseitig). So aber kann's länger vorhalten. Der Kongreß von Reims13021 war, wie fast alle solche Kongresse, gut, der
Außenwelt zu imponieren, bei Licht besehn, Schwindel. Von den vertretnen „Föderationen" bestehn nur Centre, Nord, Est, wirklich; die andern nur auf dem Papier. Die von Algerien hatte den Bourgeois Henri Maret (radikaler Deputierter) zu ihrem Delegierten gewählt!! was beweist, was Malon da für Bundesgenossen hat. Guesde verlangte, daß im Comite national nur wirklich organisierte Föderationen vertreten sein sollten - aber verworfen. Dies im offiziellen Bericht des ,,Prol[etaire]" gefälscht, d.h. unter drückt.13031 Die Hälfte der Delegierten des Kongresses und des Comite national vertreten also nichts, im besten Falle Zukunftsmusik. Die Eile, den bereits ganz von Mal[on] und Brfousse] mit Beschlag belegten ,,Prol[etaire] "zum Moniteur zu erklären, kam nur daher, daß man der erwarteten „Egalite" dadurch von vornherein einen Streich spielen wollte. Die sämtlichen Organisationsbeschlüsse wie gewöhnlich nicht durch innere Zweckmäßigkeitsgründe, sondern durch Opportunitätsrücksichten der Parteien bestimmt. Zur Charakteristik von Malons Marxophobie die Tatsache, daß er voriges Frühjahr, als Lafargue in Paris war, diesen bat, ihm für seine ,,Hist[oire] du Soc[ialisme]", neue Ausgabe, eine Vorrede von Marx zu verschaffen; L[afargue] lachte ihn natürlich aus und sagte, er müsse Marx schlecht kennen, wenn er ihn für fähig halte, sich zu solchem Humbug herzugeben. G.Howell, der in Stafford glücklich durchgefallne „Arbeiterkandidat", ist von den hiesigen politicanti2 Ex-Arbeitern unbedingt der größte Lump. Er war bis vor kurzem Sekretär des Parliamentary Committee der TradesUnions (eine bezahlte Stelle natürlich) und hat dabei Kassendefekte gemacht, die nur mit Mühe vertuscht wurden, doch wurde er geschaßt. Über diePolengeschichte schreibe ich dieser Tage an K.K. von Käsburg3. Grüßen Sie ihn inzwischen bestens. M[arx] ist noch sehr reduziert, darf's Zimmer nicht verlassen, sich nicht ernsthaft beschäftigen, nimmt aber zusehends zu. Seine Frau wird immer schwächer. Besten Gruß Ihr F.E.
2 politisierenden - 3 Karl Kautsky (siehe vorl. Band, S. 269-273)
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Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
[London] 7 Decembre 1881
Mein liebes, gutes Jennychen, Du findest es sicher natürlich, daß ich in diesem Augenblick nicht zum „Schreiben" gestimmt bin und daher erst jetzt diese wenigen Zeilen schicke. Da ich überhaupt das Krankenzimmer noch nicht verlassen, war das ärztliche Interdikt gegen meine Teilnahme an der Beerdigung unerbittlich. Auch fügte ich mich, da die teure Hingeschiedne noch einen Tag vor ihrem Tod ihrer Nurse1, bei Gelegenheit von Vernachlässigung von irgendwas Zeremoniellem, sagte: „We are no such external people!"2 Schorlemmer kam aus eignem Antrieb von Manchester. Ich habe noch immer die Jodtätowierung auf Brust und Nacken etc. vorzunehmen, und diese produziert, bei regulärer Wiederholung, ziemlich lästiges, peinliches Hautbrennen. Diese Operation, nur noch vollzogen, um Rückfall während der Heilung (faktisch bis auf etwas Husten fertig) zu verhindern, leistet mir daher jetzt großen Dienst. Gegen Gemütsleiden gibt es nur ein wirksames Antidot, und das ist körperlicher Schmerz. Setze den Weltuntergang auf die eine Seite und einen Mann mit akutem Zahnschmerz auf die andre! Ich bin jetzt außerordentlich glücklich bei der Erinnerung, daß ich trotz vieler Bedenklichkeiten die Reise nach Paris gewagt! Nicht nur die Zeit selbst, welche die Unvergeßliche mit Dir und den Kinderchen® zugebracht „kaum" getrübt durch das Bild of a certain domestic bully et Mirabeau de la cuisine4 -, auch das Wiederdurchleben dieser Zeit während ihrer letzten Krankheitsperiode! Es ist ganz sicher, daß in dieser Periode Deine und der Kinder Gegenwart sie nicht so intensiv hätte zerstreuen können, wie die ideale Beschäftigung mit Euch! Ihr Ruheplatz ist ziemlich nahe bei dem des lieben „Charles"5.
1 Krankenpflegerin - 2 „Wir sind nicht so auf Äußerlichkeiten bedacht!" -3 Jean, Henri, Edgar und Marcel Longuet — 4 eines gewissen Haustyrannen und Küchen-Mirabeaus - 5 Sohn von Charles und Jenny Longuet
Jenny Marx in ihren letzten Lebensjahren

Ein Trost ist mir, daß rechtzeitig ihre Kraft zusammenbrach. Dank der außerordentlich seltnen Lage des Geschwulsts - so daß es beweglich, schiebbar - traten die wirklich charakteristischen unerträglichen Schmerzen erst in den allerletzten Tagen ein (und auch dann noch bändigbar durch Einspritzung von Morphin, was der Doktor absichtlich für die Katastrophe aufgespart, indem es bei längerer Anwendung auch alle Wirkung verliert). Wie Dr.Donkin mir vorhergesagt, nahm der Krankheitsverlauf den Charakter eines allmählichen Hinschwindens wie von Altersschwäche an. Auch während der letzten Standen kein Todeskampf, allmähliches Entschlafen; ihre Augen voller, schöner, leuchtender als je! Apropos. Engels - mir wie immer aufs Treuste zur Seite - hat Dir auf mein Ersuchen eine Nummer des „Irish World" geschickt, worin die Nichtigkeitserklärung des Grundeigentums (privaten) Seiten eines irischen Bischofs. Dies war eine der letzten news, die ich Deiner Mamma mitteilte, und sie meinte, Du könntest es vielleicht in a French paper6 zum Schrecken der französischen Klerikalen bringen. Jedenfalls beweist's, daß diese Herrn aus allen Mundarten zu pfeifen verstehn. (In der „Justice" vom 2. Dez. 1881 hat ein gewisser Bursche namens B. Gendre7 unter dem Titel „Le catholicisme socialiste en Allemagne" seinen Chauvinismus zu befriedigen versucht, indem er, Laveleye folgend, die Phantasiestatistik unsres Freundes R. Meyer (in dessen Buch „Emancipationskampf des 4. Standes") au seneux8 nahm. Tatsache ist, daß die sog. katholischen Sozialisten seit Bestand des deutschen Reichs nur einmal einen Deputierten zum Reichstag gewählt, und daß dieser eine sofort nach seiner Wahl nur als „Mitglied des Zentrums13041 figurierte". Andrerseits, was den Zahlenbestand katholischer Arbeitervereinebetnfh, hat unser R.Meyer Frank' reich mit noch ungleich größerer Anzahl beglückt als Deutschland.) Soeben erhalte ich die „ Justice" vom 7 Decembre und finde darin unter der Rubrik „Gazette du jour" eine nekrologische Notiz, worin es u. a. heißt: „On devine que son" (il s'agit de votre mere) „mariage avec Karl Marx, fils d'un avocat de Treves, ne se fit pas sans peine. II y avait a vaincre bien des prijuges, le plus fort de tous etait encore le prejuge de race. On sait que l'illustre socialiste est d'origine israelite."9
6 ein französisches Blatt W.N.Nikitina - 8 ernst-9 „Man kann sich denken, daß ihre Heirat" (es ist von Eurer Mutter die Rede) „mit Karl Marx, dem Sohn eines Advokaten aus Trier [Heinrich Marx], nicht ohne Schwierigkeiten vor sich ging. Es gab sehr viele Vorurteile zu überwinden, das stärkste von allen war wohl das Rassenvorurteil. Man weiß, daß der berühmte Sozialist jüdischer Abstammung ist."
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
Toute cette histoire is a simple inüention; there was no prejuges ä üaiticre. I suppose, I am not mistaken in crediting Mr. Ch. Longuet's inventive genius with this Iiterary „enjolivement". The same writer when speaking of the Iimitation of the working day and the factory acts, mentioned in another number of the „Justice" - „Lassalle and Karl Marx", the former having never printed or spoken a syllable on the matter in question. Longuet would greatly oblige me in never mentioning my name in his writings.10 The allusion to your Maman's occasional anonymous correspondence (in fact in behalf of Irving)13051 I find indiscreet. At the time she wrote to the „Gazette de Francfort" (she never wrote to the „Journal de Francfort" as the „Justice" calls it -, a simply reactionary, and philistine paper) the latter (the „Gazette") was still on more or less friendly terms with the socialist party.11 As to the „von Westphalen", they were not of Rhenish, but of Braunschwei' gischer Abkunft. The father of your mother's father was the factotum of the berüchtigte Duke of Brunswick (during the „seven years' war"). As such he was also overwhelmed with favours on the part of the British government and married a near relative of the Argyll's. His papers relative to war and politics13061 have been published by the Minister v. Westphalen. On the other hand, „par sa mere", your mother descends from a small Prussian functionary and was actually born at Salzwedel in the Mark. All these things need not be known, but knowing nothing of them, one ought not pretend correcting d'autres „biographies",12
10 Diese ganze Geschickte ist eine glatte Erfindung, es gab feine Vorurteile zu überwinden. Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich Herrn Ch. Longuets erfindungsreichem Genie diese literarische „Ausschmückung" zuschreibe. Derselbe Autor erwähnte, als er von der Beschränkung des Arbeitstags und den Fabrikgesetzen in einer anderen Nummer der „Justice" sprach, „Lassalle und Karl Marx", ersterer hat jedoch niemals eine Silbe zu der fraglichen Angelegenheit gesagt oder drucken lassen. Longuet würde mich sehr verpflichten, wenn er in seinen Schriften nie meinen Namen erwähnte. -11 Die Anspielung auf die gelegentliche anonyme Korrespondenz Mamas (tatsächlich zugunsten Irvings) finde ich indiskret. Zu der Zeit, als sie für die „Frankfurter Zeitung" schrieb (sie hat niemals für das „Journal de Francfort" geschrieben - wie die „Justice" diese Zeitung nennt -, die ein ganz reaktionäres und spießbürgerliches Blatt), stand diese (die „Zeitung") noch in mehr oder weniger wohlwollenden Beziehungen zur sozialistischen Partei. —12 Was die „von Westphalen" angeht, so waren sie nicht rheinischer, sondern braunschweigischer Abkunft. Der Vater Deines Großvaters mütterlicherseits [Christian Heinrich Philipp von Westphalen] war das Faktotum des berüchtigten Herzogs Von Braunschweig (während des „Siebenjährigen Kriegs"). Als solcher wurde er auch mit Gunstbezeigungen seitens der britischen Regierung überschüttet und heiratete eine nahe Verwandte der Argylls [Jeanie Wishart of Pittarow]. Seine Schriften über Krieg und Politik wurden vom Minister v. Westphalen veröffentlicht. „Mütterlicherseits"
And now, my dear child, send me a long description of the doings of Johnny et Co. I still regret that Henry was not left to us at the time he went on so well. He is a child who wants a whole family's attendance being singly, exclusively concentrated upon him. As it is, with so many other little ones requesting your care, he is rather an impediment. With many kisses to you and your „little men" Your devoted father K.M.13
I was rather disagreeably affected by Meissner's communication, that a new third edition of the „Capital vol. I" has become necessary.13071 I wanted indeed to apply all my time - as soon as I should feel myself able again - exclusively to the finishing of the 2nd volume. Please write a few words in my name to Reinhardt. I could not find his address. He was an acquaintance of Mama's.14
stammt Eure Mutter von einem kleinen preußischen Beamten [Julius Christoph Heubel] ab, sie wurde in Salzwedel in der Mark geboren. Alle diese Dinge braucht man nicht zu wissen, aber wenn man sie nicht kennt, sollte man sich nicht anmaßen, anderer Leute „Biographien" zu korrigieren. —13 Und nun, mein liebes Kind, schreibe mir ausführlich, was Johnny und Co. tun. Ich bedauere noch, daß uns Henry nicht gelassen wurde, als er sich so wohl fühlte. Er ist ein Kind, das einer ganzen Familie Betreuung bedarf, die sich einzig und ausschließlich auf ihn konzentriert. Wie die Dinge sind, ist er neben so vielen anderen Kleinen, die Deiner Pflege bedürfen, eher ein Ballast. - Mit vielen Küssen für Dich und Deine „kleinen Männer" Dein treuer Vater K. M. -14 Ich wurde ziemlich unangenehm berührt von Meißners Mitteilung, daß eine neue, dritte Auflage des „Kapitals Band I" notwendig geworden ist. Ich wollte meine ganze Zeit - sobald ich mich wieder dazu imstande fühle - ausschließlich der Beendigung des zweiten Bandes widmen. - Bitte schreibe in meinem Namen einige Worte an Reinhardt. Ich konnte seine Adresse nicht finden. Er war ein Bekannter von Mama.
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Marx an Johann Philipp Becker in Genf13081
London, 10. Dezember 1881
Lieber Freund, Du wirst vielleicht schon aus Zeitungen den Tod meiner Frau (sie hauchte ihr Leben aus am 2. Dez.) erfahren haben. Du wirst es natürlich finden, daß ich mich in den ersten Tagen nach diesem unersetzlichen Verlust keineswegs in der Verfassung befand, zu korrespondieren, in der Tat, außer ihrem Bruder Edgar von Westphalen in Berlin bist Du der Einzige, dem ich bis jetzt persönlich Mitteilung gemacht; die andern Freunde oder Bekannten hat meine jüngste Tochter informiert. Meine Frau blieb Dir bis zu ihrem letzten Augenblick eine treue Freundin und grollte mit Recht, daß die Partei Dir und Deiner treuen Lebensgenossin nicht den Kampf ums Dasein erleichtert, einem so langjährigen, unerschütterlichen und heroischen Vorkämpfer, wie Du es bist. Ich selbst bin noch Patient, aber auf Weg der Herstellung; eine Pleurisy, verbunden mit Bronchitis, hatten mich so ernstlich gepackt, daß die Ärzte einen Augenblick, i.e. mehre Tage, an meinem Durchkommen zweifelten. Leb wohl, teurer Freund. Gruß an Deine Frau. K.M.
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Marx an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 13. Dezember 1881
Mein lieber Freund, Am zweiten dieses Monats starb nach einer langen und qualvollen Krankheit meine Frau. Ich war mit ihr während der Herbstmonate - als ihr garde-malade1 zuerst an der englischen Küste (Eastbourne111), später in Argenteuil (ungefähr 20 Minuten von Paris)141, wo sie und ich die große Freude erlebten, mit unserer ältesten Tochter (Frau Longuet) und ihren vier kleinen Söhnen2 (der älteste ungefähr 5 Jahre), die alle an ihren Großeltern sehr hängen, zusammen zu sein. Es war von meiner Seite, in Anbetracht des geschwächten Zustandes meiner lieben Frau, eine sehr riskante Sache, diese Reise nach Paris zu unternehmen. Aber im Vertrauen auf meinen ausgezeichneten Freund, Dr. Donkin, wagte ich es, um ihr diese letzte Freude zu bereiten! Unglücklicherweise bekam ich selbst - meine Gesundheit war während dieser ganzen Zeit mehr oder weniger angegriffen - nach unserer Rückkehr nach London plötzlich einen Anfall von Bronchitis, kompliziert durch eine Pleuritis, so daß ich meine Frau während der letzten 6 Wochen ihres Lebens 3 Wochen lang nicht sehen konnte, obwohl wir in zwei angrenzenden Zimmern lagen. Bis jetzt konnte ich das Haus noch nicht verlassen. Ich war nahe daran, „dieser schlechten Welt den Rücken zu kehren". Die Ärzte wollen mich nach Südfrankreich oder sogar nach Algier schicken. Die Beileidsbriefe, die ich von allen Seiten erhalten habe, waren insofern ein Quell des Trostes für mich, als in allen (abgesehen von einem einzigen russischen Brief) echtes Mitgefühl, aufrichtige Anerkennung und Würdigung der außergewöhnlichen Eigenschaften meiner lieben Frau zu spüren waren. Mein deutscher Verleger3 benachrichtigt mich, daß eine dritte Auflage des „Kapitals" notwendig geworden ist. Dies kommt in einem sehr ungelegenen Augenblick. Erstens muß ich wieder gesund werden und zweitens
1 Krankenwärter - 2 Jean, Henri, Edgar und Marcel Longuet - 3 Otto Meißner
möchte ich den 2. Band so bald wie möglich fertigstellen13071 (selbst wenn er im Ausland erscheinen sollte). Ich möchte ihn gerade jetzt auch deshalb fertig haben, weil ich ihn mit einer Widmung an meine Frau versehen möchte. Auf jeden Fall aber werde ich mit meinem Verleger vereinbaren, daß ich für die 3.Auflage nur so wenig Änderungen und Ergänzungen wie möglich mache, daß er aber andererseits diesmal nur 1000 Exemplare statt 3000, wie er ursprünglich wollte, ausdruckt. Wenn diese 1000 Exemplare der 3. Auflage verkauft sind, werde ich vielleicht das Buch so umarbeiten, wie ich es jetzt unter anderen Umständen getan hätte. Ich verbleibe wie immer Ihr treuer Freund A. Williams4
Aus dem Englischen.
* Deckname von Marx
.46
Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
, . . „ [London] 15.Dez. 1881 Lieber borge, Nach den Mitteilungen, die Dir Dein Sohn1 von hier mündlich überbracht, warst Du sicher vorbereitet auf die Nachricht vom Tod meiner teuren, unvergeßlichen Lebensgefährtin (am 2. Dezember). Ich selbst war noch nicht hinlänglich hergestellt, ihr die letzte Ehre zu beweisen. Ich habe in der Tat bis jetzt Hausarrest, soll aber nächste Woche nach Ventnor (Isle of Wight). Ich komme aus der letzten Krankheit doppelt verkrüppelt heraus, moralisch durch den Verlust meiner Frau, physisch dadurch, daß eine Verdickung der Pleura und größere Reizbarkeit der Luftröhrenäste geblieben. Einige Zeit werde ich leider total verlieren müssen mit Gesundheitsherstellungsmanoeuvres. Eine neue Auflage der deutschen Ausgabe des „Kapitals"13071 ist nötig geworden. Kömmt mir sehr ungelegen. Euer Henry George entlarvt sich immer mehr als Humbug.12431 Ich hoffe, Sorge jun. ist wohlerhalten eingetroffen: grüß ihn von mir. Dein K.Marx
Die Engländer fangen an, in der letzten Zeit sich mehr mit dem „Kapital" etc. zu beschäftigen. So in der letzten Oktober- (oder November-, I am not quite sure2) Nummer des „Contemporary" ein Artikel von John Rae über German Socialism.13091 (Sehr unzulänglich, voller Irrtümer, aber „fair", wie einer meiner English friends3 mir vorgestern sagte.) Und warum fair?4 Weil John Rae nicht unterstellt, daß ich in den vierzig Jahren der Verbreitung meiner gefährlichen Theorien mich von „schlechten" Motiven leiten ließ. „Seine Großmut muß ich loben!"5 Die Fairness, sich zumindest
1 Adolph Sorge - 2 ich bin nicht ganz sicher — 3 englischen Freunde - 4 bis hierher in der Handschrift deutsch, im folgenden englisch - 6 dieses Zitat in der Handschrift deutsch
hinreichend mit dem Gegenstand seiner Kritik bekannt zu machen, scheint den Schreiberlingen des britischen Philistertums etwas völlig Unbekanntes zu sein. Zuvor, Anfang Juni, wurde von einem gewissen Hyndman (der mir seine Bekanntschaft vorher in meinem Hause aufgedrängt hatte) ein kleines Buch veröffentlicht: „England for all". Es gibt vor, ein Expose des Programms der „Democratic Federation'[254) zu sein - einer vor kurzem gegründeten Assoziation verschiedener englischer und schottischer radikaler Gesellschaften, halb bürgerlich, halb proletaires. Die Kapitel über Arbeit und Kapital sind nur wörtliche Auszüge oder Umschreibungen aus dem „Kapital", aber der Kerl gibt weder das Buch noch seinen Verfasser an.; um sich jedoch gegen jede Bloßstellung zu decken, bemerkt er am Ende seines Vorworts: „Für die Ideen und einen großen Teil des stofflichen Inhalts der Kapitel II und III bin ich dem Werk eines großen Denkers und schöpferischen Schriftstellers verpflichtet usw. usw." An meine Adresse gerichtet, schrieb der Kerl alberne Entschuldigungsbriefe, z.B., daß „sich die Engländer nicht gern von Ausländern belehren lassen", daß „mein Name so verhaßt sei etc."6 Bei alldem macht sein kleines Buch - soweit es vom „Kapital" stibitzt - gute Propaganda, obwohl der Mann ein „schwacher" Mensch ist und sehr weit davon entfernt, die nötige Geduld aufzubringen die erste Voraussetzung, um überhaupt etwas zu lernen -, um eine Sache gründlich zu studieren. Alle diese reizenden middle-class Schreiber sind sofern sie nicht Spezialisten sind - begierig, unmittelbar aus jedem neuen Gedanken, der ihnen von einem günstigen Wind zugetragen wird, Geld oder Namen oder politisches Kapital zu schlagen. Viele Abende hat dieser Kerl mir gestohlen, um mich auszunehmen und so auf die leichteste Art zu lernen. Schließlich erschien am letzten 1. Dezember in der Monatsrevue „Modern Thought" (ich werde Dir davon ein Exemplar schicken) ein Artikel: „Leaders of Modern Thought: Nr. XXIII-Karl Marx. By Ernest Beifort Box." Das ist nun die erste englische Publikation dieser Art, die von wirklicher Begeisterung für die neuen Ideen durchdrungen ist und sich dem britischen Philistertum kühn entgegenstellt. Das schließt zwar nicht aus, daß die vom Verfasser über mich gemachten biographischen Angaben zum größten Teil falsch sind usw. In der Darlegung meiner ökonomischen Grundgedanken und in seinen Übersetzungen (d.h. der Zitate aus dem „Kapital") ist vieles falsch und verworren; aber bei alledem hat das Erscheinen dieses Artikels,
6 vgl. vorl. Band, S. 202/203
in großen Lettern auf Plakaten an den Mauern des Londoner Westend angekündigt, großes Aufsehen erregt. Das Wichtigste für mich dabei war, daß ich besagte Nummer von „Modern Thought" bereits am 30. November erhielt, so daß meiner lieben Frau die letzten Tage ihres Lebens aufgeheitert wurden. Du weißt ja, welch leidenschaftliches Interesse sie an allen solchen Dingen genommen hat.
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Marx an Jenny Longuet in Argenteuil
17. Dez. 1881 41, Maitland Park Road London, N.W.
Mein liebes Kind, Soeben bringt Tussy, supported by1 Engels, per Cab2 die Weihnachtskiste für unsre Kleinen zur parcel Company3. Helen verlangt, daß ich speziell anzeigen soll, daß von ihr 1 Röckchen für Harry, 1 für Eddy4 und ein wollnes Käppchen für Pa8; ferner für selben Pa ein „blaues Kleidchen" von Laura; von mir ein sailors' suit6 für my dear Johnny. Möhmchen7 lachte noch so heiter an einem ihrer letzten Lebenstage, als sie Laura erzählte, wie Du und ich mit Johnny nach Paris gingen und dort ihm einen Anzug auswählten, worin er wie ein kleiner bourgeoisgentilhomme8 ausschaute. Die Kondolenzbriefe, die ich von fern und nah und von Personen so verschiedner Nationalität, Berufs, etc. etc. empfange, sind alle in Schätzung von Möhmchen von einem Geist der Wahrheit und einer tiefen Empfindung beseelt, wie das selten in solchen, meist nur konventionellen Kundtuungen. Ich erkläre das daraus, daß alles an ihr natürlich und wahr, unbefangen, nichts Gemachtes war; daher auch der Eindruck auf dritte Personen lebendig, lichtvoll; es schreibt sogar die Frau Heß: „in ihr hat die Natur ihr eignes Meisterstück zerstört, denn in meinem ganzen Leben ist mir keine so geist- und liebevolle Frau begegnet". Liebknecht schreibt, daß er ohne sie in der Exilsmisere untergegangen wäre13101 etc. etc. Wie außerordentlich kräftig, bei aller Delikatesse, sie von Natur war, ergibt sich daraus, daß zur großen Verwunderung der Ärzte kein wunder Fleck an ihr, trotz der langen Bettlägerigkeit; ich war während der letzten Krankheit schon wund, an manchen Stellen, nach nur zweiwöchentlicher Fesselung ans Bett. Da das Wetter sehr schlecht, seit dem Abschluß meiner Krankheit, so bin ich bisher im Hausarrest, soll aber, auf ärztliche Weisung, nächste
1 unterstützt von - 2 mit einer Droschke - 3 Paketgesellschaft - 4 Edgar Longuet - 5 Marcel Longuet - 6 Matrosenanzug - 7 Jenny Marx - 8 bürgerlicher Edelmann
Woche nach Ventnor (Isle of Wight) und von da später noch weiter nach Süden. Tussy geht mit mir. Du erhältst (gleichzeitig per Post von hier abgehend) einen Artikel über mich in der Monatsrevue „Modern Thought".9 Es ist das erstemal, daß eine englische Kritik mit solchem Feuer auf die Sache eingeht. Möhmchen wurde dadurch noch erheitert. Wo die Quotationen10 aus dem deutschen „Text" zu schlecht sind (I mean11 zu schlecht done into English12) habe ich in den paar Exemplaren, die wir für Freunde reservieren, Veränderungen durch Tussy einkratzen lassen. Die Irrtümer, die unter der Rubrik „Life"13 stehn, sind indifferent. Und nun, mein liebes Kind, den besten Dienst, den Du mir leisten kannst, ist, Dich selbst aufrechtzuerhalten! Ich hoffe, an Deiner Seite noch manchen schönen Tag zu erleben und meine Funktion als Grandpa14 würdig zu erfüllen. Mit tausend Küssen für Dich und die Kleinen Dein treuer Old Nick
Ich hätte noch allerlei zu schreiben über Vivanti etc., glaube aber, daß Tussy sich das vorbehalten.
' siehe vorl. Band, S. 248/249 - 10 zitierten Stellen - 11 ich meine - 12 ins Englische übertragen - 13 „Leben" - 14 Großvater
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Engels an Karl Kautsky in Zürich
London, 18. Dez. 1881
Lieber Herr Kautsky! Ich erhielt Ihr und Bernsteins Telegramm um 3.50 heute nachmittag und freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß M[arx] nunmehr so weit genesen ist, um nach der englischen Südküste-zunächst-geschickt werden zu können. Er wird im Lauf der Woche dorthin abreisen, sobald er sich wieder etwas an die freie Luft gewöhnt und ein Rückfall nicht mehr zu besorgen, wird er dann wohl weiter nach dem europäischen Süden gehn und dort einige Zeit zubringen. Ich konnte Ihnen nicht telegraphisch antworten, da ich hätte nach dem Central Office1 gehn müssen, und wie gewöhnlich Pumps, ihren Mann2 und Sam Moore (die Sie alle bestens grüßen lassen) zum Essen hatte, und nachher, wie Sie wissen, andre Leute noch dazukommen. Morgen zu telegraphieren hätte kaum noch Zweck, da dieser Brief wohl ebenso früh (±)3 ankommen wird. Wegen der Polacken dieser Tage4, es ist hier in der letzten Zeit sehr kunterbunt hergegangen. Die „Egalite" ist also wieder heraus, Nr. 1 hat Artikel, die fast alle ganz vortrefflich anfangen und sehr enttäuschend endigen.'3111 Nr. 2 habe ich noch nicht gesehn. Besten Gruß an Bernstein. Ihr F. Engels
1 Haupttelegraphenamt - 2 Percy Rosher - 3 (mehr oder weniger) - 4 siehe vorl. Band, S. 269 bis 273
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Engels an Ferdinand Domela Nieuwenhuis in Den Haag
; 122, Regent's Park Road, N. W. London, 29. Dez. 1881 Werter Genosse, Mit Befriedigung kann ich Ihnen mitteilen, daß die Nachricht, wonach Karl Marx todkrank sein soll, nichts als Lüge und Erfindung ist. Seine Krankheit (Bronchitis und Pleuritis) ist jetzt überstanden, er ist heute auf den Rat der Ärzte hin nach Ventnor (Isle of Wight) abgereist; sie hoffen, daß das dortige warme Klima und die trockene Luft seine Wiederherstellung rasch vollenden werden. Ich werde ihm Ihren Brief nachschicken.
Hochachtungsvoll F. Engels
Aus dem Holländischen.
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Engels an Lew Nikolajewitsch Hartmann in London (Entwurf)
[London, Ende Dezember 1881] Ich habe einen Brief aus Amerika für Dich, jedoch hat man mir befohlen, ihn nur Dir persönlich auszuhändigen. Kannst Du kommen, um ihn in Empfang zu nehmen? Dein
Aus dem Russischen.
1882
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Marx an Laura Lafargue in London
4. Jan. 1882 1, St. Boniface Gardens, Ventnor
Liebes Laurachen, Heute ist der erste sonnige und erträgliche Tag in Ventnor. Man sagt, das Wetter sei vorzüglich gewesen - bis zur Zeit unsrer Ankunft.1251 Von da an gales every day1, Windstürme und Geheul die ganzen Nächte durch, morgens the sky overcast, leaden, Londonlike2; Temperatur bedeutend kälter als in London und dazu, was das Verdrießlichste, viel Regen. (Die Luft selbst war natürlich „reiner" als in London.) Unter diesen Umständen war es natürlich, daß mein Husten, in fact der Bronchialkatarrh, sich eher verschlimmert als verbessert. Mit all dem sofern Fortschritt, als ich einen Teil der Nächte auf natürlichem Weg, ohne Opium etc. schlief. Doch der allgemeine Zustand noch nicht so, daß ich arbeitsfähig. Heute, wo die erste Woche unseres Aufenthalts about3 endet, scheint Umkehr einzutreten. Mit wärmerem Wetter dies sicher famoser Ort der Erholung für Rekonvaleszenten meiner Art. Mein Kompagnon4 (dies ganz unter uns) ißt fast gar nicht; leidet stark an Nervenzuckungen; liest und schreibt den ganzen Tag, sofern nicht mit Einkaufen der nötigen Lebensmittel oder kurzem Spaziergang beschäftigt; ist sehr wortkarg, und scheint indeed5 den Aufenthalt mit mir nur aus Pflichtgefühl, als selbstaufopfernder Märtyrer, zu ertragen. Sind noch keine neusten Nachrichten von Jenny, betreffs der Christmas box6, angekommen? Die Sache beunruhigt mich. Du begreifst, liebes Kind, daß ich Dir von hier, wo ich bis jetzt nur Negatives erlebt, nichts Positives zu berichten habe; es sei denn die große
1 jeden Tag kalte Winde - 2 der Himmel bedeckt, düster, ähnlich wie in London - 3 nun 4 Eleanor Marx - 6 in der Tat - 6 des Weihnachtspakets
Entdeckung, daß die lokale Literatur hier durch 3 Zeitungen vertreten ist, daß es sogar a school of art und science institution7 hier gibt, wo nächsten Montag abend große Vorlesung, on the casts and „metiers" of India8, stattfinden wird. Ich erhielt heute Brief aus Paris von Reinhardt, wo er, in der most sincere und most sympathetic9 Weise, über unsern großen Trauerfall spricht. Die Heftigkeit, womit die Bourgeoisblätter in Deutschland entweder meinen Tod, oder doch den unvermeidlich nahen Eintritt desselben, verkündet haben13121, hat mich sehr amüsiert, und ihnen zulieb muß sich „der mit der Welt zerfahrene Mann" notwendig wieder aktionsfähig machen. Willard Brown hat von New York an Tussy geschrieben; er hat einen sehr intimen und kompetenten Freund in New Orleans mit Eurer Hausapgelegenheit beauftragt; letzterer schreibt, daß at first sight10 große Schwindeleien stattgefunden, daß er aber erst nähere Untersuchungen anstellen muß, um tatsächliche Beweise in die Hand zu bekommen. Als Kuriosum lege ich ein für Paul folgenden Ausschnitt aus dem Money article der „Times" (29.Dez. 1881), der offenbar von Herren Say und Rothschild eingerückt ist. (Grüß mir Paulum und Helen.) Adio, my dear child. Schreib bald. Dein Old Nick
7 eine Kunstschule und wissenschaftliche Institution - 8 über die Kasten und „Handwerke" in Indien -9 in der aufrichtigsten und verständnisvollsten-10 dem ersten Eindruck nach
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 6. Jan. 82
Lieber Herr Bernstein, Ich schreibe Ihnen heute in der Eile, um Sie über die sonderbaren Ausdrücke aufzuklären, die in der letzten „Egalite" über den „Sozialdemokrat]" vorkommen. Guesde in seiner Gutmütigkeit hat nämlich für die deutsche Partie des Blattes den bekannten Todfeind alles, was „zürchrisch" ist1, engagiert und da hat dieser es nicht lassen können, auf diese Weise sein Mißvergnügen darüber auszudrücken, daß der „Sfozialdemokrat]" besteht und die „Laterne" nicht. Tun Sie uns und der Sache den Gefallen, keine Notiz davon zu nehmen. Wenn es sich wiederholt, werden wir dem Ding sofort ein Ende machen. Wir im Gegenteil haben uns gefreut, daß der „Sfozialdemokrat]" den Herren Abgeordneten sofort direkt ihre Feigheit vorwarf13131, und damit die Angelegenheit zur Entscheidung brachte, der manche, bei Abwesenheit Bebels, sicher gern ausgewichen wären. Übrigens haben die Leute von der „Egalite" mehr Glück gehabt, als sie au fond2 verdienten. Malon und Brousse haben sich greulich blamiert, als sie bei der Kandidatur Joffrin ein abgeschwächtes Programm - gegen den Kongreßbeschluß von Reims13021 - aufstellten und unter den in Reims zur Diskussion gestellten Punkten einen ihnen unangenehmen, ohne weiteres unterdrückten („Egalfite]" Nr.4, Seite 7. Paris). Damit haben sie der „Egalite" den Rechtsboden gegeben, der unter den Umständen aus taktischen Gründen unumgänglich war - nicht Guesde und Co., sondern Malon und Co. sind die wirklichen „autoritaires", die Anstreber der Diktatur, und da der Kampf jetzt offen ausgebrochen, sind unsre Sympathien natürlich alle mit Guesde und seinen Freunden. Überdies ist die „Egalite", wie schon immer dem „Proletfaire]" an Inhalt unendlich überlegen. Malon und Brousse agieren wieder als echte Bakunisten: sie werfen andern Diktaturgelüste vor und wollen selbst unter scheinbarer Hochhaltung der „Autonomie", ohne Rücksicht auf die Parteibeschlüsse, herrschen.
1 Carl Hirsch - 2 im Grunde
17 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
Mfarx] ist in Ventnor, Isle of Wight, schreibt aber, daß er sehr schlechtes Wetter hat3, schlechter, als wir hier. Das wird sich nun auch wohl bald ändern, jedenfalls sind die Gefahren eines Rückfalls schon jetzt ziemlich gründlich beseitigt. Die Eilfertigkeit, womit die Bourgeoispresse die Nachricht von seinem sicher bevorstehenden Tod verbreitete, hat ihm sehr gut getan: „jetzt muß ich den verdammten Hunden zum Trotz erst recht lange leben". Kautsky muß noch ein paar Tage Geduld haben, Schorlemmer ist hier, und da kann höchstens etwas Naturwissenschaft getrieben werden, dazu das viele Herumlaufen, das erst nächste Woche zum Abschluß kommt. Dann schreib* ich ihm wegen der Polen4, wo ja auch Zeit haben, wie Schforlemmer] als Darmstädter sagt. Beste Grüße an ihn und Sie von Ihrem F. Engels
3 siehe vorl. Band, S.30 - 4 siehe vorl. Band, S. 269-273
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Engels an Emil Engels in Engelskirchen
London, 12. Jan. 1882
Lieber Emil, Endlich komme ich nach allerhand Störungen und Zwischenfällen, darunter auch die Essereien und Trinkereien der Feiertage, soweit zur Ruhe, daß ich Dir, Lottchen, Elisabeth und ihrem Bräutigam1 zur Verlobung meinen herzlichsten Glückwunsch darbringen kann. Das hätte ich allerdings nicht gedacht, als ich Spätherbst 1842 mit Aug. Erbslöh nach Manchester reiste'3141 (ich habe ihn seitdem nur ein- oder zweimal in Barmen wiedergesehn), daß sein Sohn eine Nichte von mir heiraten würde. Damals wurde freilich an die beiden jungen Leute noch gar nicht gedacht. Hierüber ließen sich nun allerhand passende und unpassende Bemerkungen machen - die ich jedoch unterlasse, da dieselben sich jedermann mit Leichtigkeit selbst machen kann, und zudem die jungen Brautleute mit Gegenwart und Zukunft viel zu sehr beschäftigt sein werden, um Zeit zu finden zu ganz nutzlosen Glossen über eine vor ihrer Geburt liegende Vergangenheit. Übrigens komme ich bald in den Fall zu hoffen, daß die Verlobungen und ihre näheren und entfernteren Folgen in der Familie doch mit etwas negativ beschleunigter Geschwindigkeit vorgehn mögen; aber freilich, in einer so zahlreichen und fruchtbaren Familie wie die unsrige, vermehren sich diese Fälle im Verhältnis des Quadrats der Entfernung vom über 60 Jahre hinter uns liegenden Ausgangspunkt, und gegen ein solches Naturgesetz ist nichts zu machen. Mir geht es soweit ganz gut, bloß daß ich auf dem linken Ohr ziemlich taub bin und im Winter regelmäßig den Schnupfen habe, das bin ich aber seit Jahren gewohnt. Der milde Winter wird jedenfalls dazu beitragen, Dir die Folgen der Lungenentzündung fortzuschaffen oder doch zu mildern;
1 Charlotte und Elisabeth Engels, Carl Alexander Erbslöh 17*
hier ist es heut wieder so warm, daß ich den Überrock trotz etwas Scotch mist2 nicht anbehalten konnte. Beste Grüße an Euch alle, Lottchen und das Brautpaar besonders. Dein Friedrich
Es wird mich freuen, Emil3 hier zu sehn.
s dichten, feuchten Nebels - 3 Emil Engels jun.
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Marx an Amalie Daniels in Köln
12. Jan. 1882 1, St. Boniface Gardens Isle of Wight
Meine liebe Frau Daniels, Denselben Tag, als ich Ihnen schrieb, fand meine Tochter1 unter den Papieren, die sie von London mitgebracht hatte, noch ein älteres Photogramm von mir. Ich expedierte das sofort nach Köln in dem einliegenden Kuvert, worin das „Kaiserliche Postamt" es mir rückgesandt hat. Sie sind wohl so gut, mir genau Ihre Adresse zukommen zu lassen. Ich werde dann das corpus delicti von neuem verschicken. Mit bestem Gruß. Ihr ergebenster K.Marx
1 Eleanor Marx
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
23. Jan. 1882 41, Maitland Park Road, London, N. W.
Lieber Freund, Einliegend einige Zeilen zur russischen Ausgabe des „Kommunistischen Manifests"13151; da dieselben ins Russische zu übersetzen sind, sind sie nicht so stilisiert, wie es nötig wäre für deren Veröffentlichung in the German vernacular1. Ich bin erst seit einigen Tagen wieder in London. Infolge der von mir überstandnen Pleuritis und Bronchitis verblieb nämlich ein chronischer Bronchialkatarrh, den mein Arzt2 zu beseitigen hoffte durch meine Spedition nach Ventnor (Isle of Wight), ein Ort, gewöhnlich selbst im Winter warm. Diesmal jedoch - während meines 3wöchentlichen Aufenthalts daselbst - überzog Ventnor kaltnasses, nebelhaft-graues Wetter, während gerade gleichzeitig in London fast Sommerwetter eintrat, das bei meiner Rückkehr jedoch verschwand. Es wird jetzt bezweckt, mich irgendwo nach dem Süden zu senden, vielleicht nach Algier. Die Wahl ist schwer, weil Italien mir unzugänglich ist (in Mailand ward ein Mann verhaftet wegen Namensähnlichkeit mit mir); ich kann nicht einmal per steamer3 von hier nach Gibraltar, weil ich keinen Paß habe, und dort verlangen selbst die Engländer Paß. Trotz aller ärztlichen Bedrängnis und der mir nächststehenden Personen würde ich auf solche zeitverschwenderische Operation keineswegs eingehn, wenn diese verfluchte „englische" Krankheit einem nicht das Gehirn angriffe. Außerdem würde ein Rückfall, selbst wenn ich davon käme, noch mehr Zeit kosten. - Mit alledem will ich erst noch etwas hier experimentieren.4 Ich sende Ihnen eine Nummer von „Modern Thought" mit einem Artikel über mich'3161; ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß die biographische
1 der deutschen Muttersprache - 2 Donkin - 3 Dampfer - 4 bis hierher in der Handschrift deutsch, im folgenden englisch
Notiz des Autors völlig falsch ist. Meine Tochter - Ihre Korrespondentin Eleanor, die Sie grüßen läßt - hat es übernommen, in dem Ihnen übersandten Exemplar die englisch falsch zitierten Stellen aus dem „Kapital" zu berichtigen. Aber wie schlecht auch Herr Bax - ich höre, daß er ein ganz junger Mann ist - übersetzen mag, er ist auf jeden Fall der erste englische Kritiker, der ein echtes Interesse für den modernen Sozialismus zeigt. Er hat so etwas Aufrichtiges in der Sprache und einen Ton echter Überzeugung, die einem auffallen. Ein gewisser John Rae - ich glaube, er ist Dozent für Politische Ökonomie an irgendeiner englischen Universität hat vor einigen Monaten in der „Contemporary Review" einen Artikel über das gleiche Thema veröffentlicht13091, sehr oberflächlich (obgleich er vorgibt, viele meiner Schriften zu zitieren, die er augenscheinlich niemals gesehen hat), und voll jenes Anspruches auf Überlegenheit, von der der echte Brite dank einer besonderen Gabe dummer Borniertheit erfüllt ist. Dabei ist er sehr bemüht, großzügigerweise anzunehmen, daß ich aus Überzeugung und nicht aus eigennützigen Motiven seit fast 40 Jahren die Arbeiterklasse durch falsche Lehren irreführe! Im allgemeinen beginnen die Leute hier, nach etwas Kenntnissen des Sozialismus, Nihilismus und so fort zu verlangen. Irland und die Vereinigten Staaten einerseits, andererseits der bevorstehende Kampf zwischen Pächtern und Grundbesitzern, zwischen Landarbeitern und Pächtern, zwischen Kapitalismus und Grundbesitz; einige Symptome der Wiederbelebung unter der Arbeiterklasse in der Industrie, wie z.B. bei einigen kürzlich stattgefundenen Nachwahlen für das Unterhaus, wo die offiziellen Kandidaten der Arbeiter (besonders der Renegat der Internationale, der elende Howell13171) von den anerkannten Führern der Trades Unions vorgeschlagen und von Herrn Gladstone, „dem Volks-William", öffentlich empfohlen, von den Arbeitern verächtlich abgelehnt wurden; die in London entstehenden demonstrativ radikalen Klubs, die sich größtenteils aus Arbeitern, englischen und irischen vermischt, zusammensetzen, die absolut gegen die „Große Liberale Partei", den offiziellen Trades-Unionismus und den Volks-William sind usw. usw. - alles dies veranlaßt den britischen Philister gegenwärtig dazu, einiges über den Sozialismus erfahren zu wollen. Leider beuten die Zeitschriften, Magazine, Zeitungen usw. diese „Nachfrage" aus, indem sie den Lesern das Geschmiere käuflicher, ignoranter und liebedienerischer penny-a-liners (selbst angenommen, sie wären shilling-a-liners)[3181 „offerieren". Da erscheint eine „Wochenschrift" namens „The Radical", voll lobenswerter Aspirationen, kühn in der Sprache (die Kühnheit liegt in der
sans-gene5, nicht in der Kraft), welche versucht, das Lügengewebe der britischen Presse zu zerreißen, aber trotz alledem zeigt sie eine schwache Leistung. Was der Zeitung fehlt, sind aufgeweckte Redakteure. Vor vielen Monaten haben diese Leute an mich geschrieben. Ich war damals in Eastbourne111 mit meiner lieben Frau, dann in Paris141 usw., so daß sie mit mir bis jetzt noch keine Unterredung hatten. Ich halte es für nutzlos. Je mehr ich von ihrer Zeitung gelesen habe, um so mehr bin ich überzeugt, daß sie unverbesserlich ist. Meine Tochter erinnert mich, daß es höchste Zeit ist, diesen Brief zu beenden, da nur noch Minuten für Aufgeben des Briefes verblieben sind. Salut. Karl Marx
1 Ungeniertheit
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 25. Jan. 82
Lieber Herr Bernstein, Erst heute komme ich zur Beantwortung Ihres Briefes vom 12. M[arx] ist mit seiner jüngsten Tochter von der Insel Wight'251 zurück, beide bedeutend besser, M[arx] stark genug, um gestern mit mir 2 Stunden lang ununterbrochen spazierengehn zu können. Da er noch nicht arbeitet, auch Lafargues oft vor dem Essen (id est 5 Uhr) hinkommen und gutes Pilsener Flaschenbier aufgefahren wird, so gehn mir die tageslichten Stunden meist flöten, und bei Licht schreib' ich nicht gern, seit ich vor 3 Jahren eine an mein linkes Auge gerichtete Mahnung (chronische Konjunktivitis) erhalten. Da ich grade bei Mfarx] bin, so wollen Sie H[öchber]g in Mfarx]' Namen gefälligst für sein freundliches Anerbieten bestens danken; Mfarx] wird indes wohl nicht in den Fall kommen, davon Gebrauch zu machen; das einzige, was über seine Südreise feststeht, ist dies, daß er nicht an die Riviera, überhaupt Italien, geht, und zwar aus einfach polizeilichen Gründen. Polizeischikanen bei Rekonvaleszenten zu verhindern ist erste Bedingung, und Italien bietet uns hierin grade die wenigsten Garantien nächst dem empire-Bismarck natürlich. Die Mitteilungen über die Vorgänge bei den „Führern" in Deutschland13131 haben uns sehr interessiert. Ich habe nie verhehlt, daß nach meiner Ansicht die Massen in Deutschland viel besser sind als die Herren Führer, besonders seit diesen durch die Presse und Agitation die Partei eine milchende Kuh geworden, die sie mit Butter versorgte, und gar als Bismarck und die Bourgeoisie diese Kuh plötzlich einschlachteten. Die 1000 Existenzen, die dadurch momentan ruiniert wurden, haben das persönliche Unglück, nicht in direkt revolutionäre Lage, d.h. ins Exil versetzt zu werden. Sonst würden gar viele, die jetzt Trübsal blasen, ins Mostsche Lager übergegangen sein oder doch den „Sfozialdemokrat]" viel zu zahm finden.1217' Die Leute blieben meist in Deutschland und mußten es, gingen
meist an ziemlich reaktionäre Orte, blieben sozial geächtet, für ihre Existenz von Philistern abhängig, und wurden großenteils von dem Philistertum selbst angefressen. Für sie drehte sich bald alle Hoffnung auf Aufhebung des Sozialistengesetzes. Kein Wunder, daß unter dem Druck des Philisteriums der - in Wirklichkeit absurde - Wahn unter ihnen aufkam: dies sei mit Zahmheit zu erreichen. Deutschland ist ein ganz infames Land für Leute, die wenig Willenskraft haben. Die Enge und Kleinlichkeit der bürgerlichen wie politischen Verhältnisse, die Kleinstädterei selbst der Großstädte, die kleinen, aber sich stets häufenden Schikanen im Kampf mit Polizei und Bürokratie - alles das ermattet, statt zum Widerstand aufzustacheln, und so werden in der „großen Kinderstube"13191 viele selbst kindisch. Kleine Verhältnisse erzeugen kleine Anschauungen, so daß schon viel Verstand und Energie dazu gehört, wenn jemand, der in Deutschland lebt, imstande ist, über das Allernächste hinauszusehn, den großen Zusammenhang der Weltereignisse im Auge zu behalten, und nicht in jene selbstzufriedne „Objektivität" zu verfallen, die nicht weiter sieht als ihre Nase und ebendeshalb die bornierteste Subjektivität ist, selbst wenn sie von Tausenden dieser Subjekte geteilt wird. So natürlich aber auch das Aufkommen dieser ihren Mangel an Einsicht und an Widerstandskraft durch „objektive" Superklugheit verdeckenden Richtung ist, so entschieden muß sie bekämpft werden. Und da bieten die Arbeitermassen selbst den besten Anhaltspunkt. Sie allein leben in Deutschland in annähernd modernen Verhältnissen, alle ihre kleinen und großen Miseren finden ihr Zentrum im Druck des Kapitals, und während alle sonstigen Kämpfe in Deutschland, soziale wie politische, kleinlich und lumpig sind und sich um Lumpereien drehn, die anderwärts längst überwunden, ist ihr Kampf der einzig großartige, der einzige, der auf der Höhe der Zeit steht, der einzige, der die Kämpfer nicht ermattet, sondern mit immer neuer Energie versieht. Je mehr Sie also Ihre Korrespondenten unter den wirklichen, nicht zu „Führern" gewordnen Arbeitern finden können, desto mehr Chance werden Sie haben, der führerlichen Heulerei ein Gegengewicht entgegenzustellen. Daß allerhand sonderbare Leute in den Reichstag kommen würden, war diesmal unvermeidlich. Um so größer das Pech, daß Bebel nicht gewählt.13011 Er allein hat klaren Verstand, politischen Überblick und Energie genug, um Dummheiten zu verhindern. KönntenSieuns nicht die „StenographischenBerichte" der Debatten13201, worin unsre Abgeordneten ernsthaft teilnehmen, nach dem Gebrauch auf 8-14 Tage herschicken? Für Rücksendung stehe ich. Nach den Zeitungs
berichten ist absolut nicht zu gehn, das haben wir oft gesehn, und keiner der Abgeordneten, auch Liebk[necht] nicht, wäre dahin zu bringen, uns blamable Reden zuzusenden. 31. Jan. Wieder unterbrochen. U. a. war der kleine Hepner hier, auf der Flucht nach Amerika; bankerott an Inhalt wie des Geld- so des Herzbeutels. Ein in jeder Beziehung armes Kerlchen, Verfasser einer wohlmeinenden Broschüre über Zwangsvollstreckung, Wechselrecht, Judenfrage und Postreform, matt, matt, matt, all der alte Judenwitz, den er vor 10 Jahren hatte, rein zum Teufel, ich hätte ihm beinah den Rat gegeben: laß dich taufen! Hat mir aber Gelegenheit gegeben, mich über die neuen Reichsjustizgesetze13211 aufzuklären. Das ist ja was Erzinfames. Die sämtlichen Schweinereien des preußischen Landrechts, vermählt mit sämtlichen Infamien des Code Napoleon, ohne dessen gute Seiten. Der Richter überall frei entscheidend, an nichts gebunden als - an das Disziplinargesetz, das ihm in politischen Fällen sein „freies Ermessen" schon eingeben wird und eingibt. Der Richter wird dadurch - innerhalb des allgemein-deutschen Mediums - notwendig der Exekutivbeamte und Willensvollstrecker der Polizei. Übrigens wird erzählt (der Witz rührt wohl von Windthorst her), Leonhardt habe auf seinem Sterbebett gesagt: jetzt habe ich mich an den Preußen gerächt; ich hab' ihnen eine Gerichtsordnung gemacht, an der sie kaputtgehn müssen. Das Bürklische zinstragende und Geld vorstellen sollende Hypothekenpapier ist noch viel älter als der urkonfuse althegelsche Polacke Cieszkowski.1 Dergleichen Pläne sind schon zur Zeit der Gründung der Bank von England zur Weltbeglückung entworfen. Da im I.Band des „Kapitals" von Kredit überhaupt noch nicht die Rede ist (abgesehn von einfachem Schuldverhältnis), so kann Kreditgeld hier höchstens in seiner allereinfachsten Form (Wertzeichen etc.) und in Beziehung auf seine untergeordnetsten Geldfunktionen berücksichtigt werden^zinstragendes Kreditgeld aber noch gar nicht. B[ürkli] hat daher recht, wenn er Schr[amm] sagt: alle diese Stellen aus dem „Kapital" passen nicht auf mein spezielles Geldpapier; und Schr[amm] hat recht, wenn er dem B[ürkli] aus dem „Kapital" nachweist, daß er überhaupt von Natur und Funktion des Geldes nicht die blasseste Vorstellung hat. Damit aber ist der spezielle Bürklische Geldvorschlag nicht direkt in seinen Unsinn aufgelöst; dazu gehört außer dem allgemeinen Nachweis, daß dies „Geld" unfähig, die wesentlichsten Geldfunktionen zu erfüllen, auch der besondere über die Funktionen, die ein
1 Vgl. vorl. Band, S. 35/36
solches Papier etwa wirklich erfüllen kann. Zudem, wenn B[ürkli] sagt: was geht mich Marx an? ich halte mich an Cieszk[owski] - so fällt Schr[amm]s ganze Beweisführung gegenüber Bürkli. - Es ist ein Glück, daß der „Sozialdemokrat]" sich in den ganzen Kram nicht gemischt. Diese ganze Agitation wird wohl von selbst wieder einschlafen. Daß die Krisen einer der mächtigsten Hebel der politischen Umwälzung sind, liegt schon im „Kommunistischen Manifest" und ist in der „Revue" der ,,N[euen] Rheinischen] Z[ei]t[un]g" bis inkl. 1848 ausgeführt, daneben aber auch, daß die rückkehrende Prosperität dann auch die Revolutionen knickt, und den Sieg der Reaktion begründet.13221 Der Detailnachweis hat dabei auf die Zwischenkrisen, die teilweise mehr lokaler, teilweise mehr spezieller Natur sind, Rücksicht zu nehmen; eine solche auf reinen Börsenschwindel zu reduzierende Zwischenkrise erleben wir in diesem Augenblick, bis 1847 waren sie regelmäßige Mittelglieder, so daß in meiner „Lage der arbeitenden Klasse" der Zyklus noch als fünfjähriger erscheint. In Frankreich sind auf beiden Seiten grobe Fehler begangen worden, zuletzt jedoch haben Malon und Brousse mit ihrer Ungeduld, die Sache zur Krisis zu treiben und die „Egalite" auszustoßen (wozu die Union Föderative13231 gar kein Recht hat), sich so entschieden ins Unrecht gesetzt, daß ihnen dies schlecht bekommen wird. Bei so geriebnen Klünglern wie M[alon] und Bfrousse] wäre eine solche Unklugheit unbegreiflich, wenn ihnen nicht das Feuer auf den Nägeln gebrannt hätte. Der „Proletfaire]" soll nämlich auf dem letzten Loch pfeifen, und geht der ein, so haben sie kein Blatt und die andern zwei2. Daher mußte die Sache entschieden werden, solange sie noch ein Blatt hatten, das die Beschlüsse verbreitete. Die Gemeinheiten und puren Erdichtungen, die sie jetzt gegen Gfuesde], Laffargue] etc. verbreiten, besonders das Factum - Joffrin3, das dieser aber nicht gemacht, sondern Brfousse] und Mfalon], sind ganz im Stil der alten bakunistischen Allianz1411 und wecken alte Erinnerungen bei uns wach. Der „Sfozialdemokrat]" hat ganz recht, sich absolut nicht einzumischen, bis die Sache mehr Klärung erhalten, ich glaube nicht, daß das sehr lange dauert. Ich wollte noch an Kautsky wegen der Polen schreiben13241, muß es aber für heute lassen. Besten Gruß. Ihr F.E.
1 „L'Egalite" und „Le Citoyen" -3 vgl. vorl. Band, S. 37/38
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Engels an Karl Kautsky in Zürich
London, 7. Febr. 82
Lieber Herr Kautsky, Ich komme endlich zur Beantwortung Ihres Briefs vom 8. Nov.13241 Eine der wirklichen Aufgaben der Revolution von 48 (und die wirklichen, nicht illusorischen Aufgaben einer Revolution werden immer infolge dieser Revolution gelöst) war die Herstellung der unterdrückten und zersplitterten Nationalitäten Mitteleuropas, soweit diese überhaupt lebensfähig und speziell zur Unabhängigkeit reif waren. Diese Aufgabe wurde von den Testamentsvollstreckern der Revolution, Bonaparte, Cavour, Bismarck, den damaligen Verhältnissen nach für Italien, Ungarn, Deutschland, gelöst. Blieben Irland und Polen. Irland kann hier unbeachtet bleiben, es berührt die Verhältnisse des Kontinents nur sehr indirekt. Aber Polen liegt mitten im Kontinent, und die Erhaltung seiner Teilung ist grade das Band, das die Heilige Allianz13251 immer wieder zusammenführt, und Polen interessiert uns daher sehr. Nun ist es für ein großes Volk geschichtlich unmöglich, irgendwelche innere Fragen auch nur ernsthaft zu diskutieren, solange die nationale Unabhängigkeit fehlt. Vor 1859 war von Sozialismus in Italien keine Rede, sogar die Anzahl der Republikaner war klein, obwohl sie das energischste Element ausmachten. Erst seit 1861 haben die Republikaner sich ausgebreitet und später ihre besten Elemente an die Sozialisten abgegeben.13261 Ebenso in Deutschland. Lassalle war auf dem Punkt, die Sache als verfehlt aufzugeben, als er das Glück hatte, erschossen zu werden. Erst als das Jahr 1866 die großpreußische Einheit Kleindeutschlands13271 tatsächlich entschieden hatte, kam sowohl die lassalleanische13281 wie die sog. Eisenacher Partei13291 zur Bedeutung, und erst seit 1870, wo die bonapartistischen Einmischungsgelüste definitiv beseitigt, kam Schwung in die Sache. Hätten wir den alten Bundestag13301 noch, wo wäre unsre Partei! Ebenso in Ungarn. Erst seit 1860 ist es in die moderne Bewegung - Schwindel oben, Sozialismus unten - hineingezogen.13311
Eine internationale Bewegung des Proletariats ist überhaupt nur möglich zwischen selbständigen Nationen. Das bißchen republikanischer Internationalismus von 1830/48 gruppierte sich um Frankreich, das Europa befreien sollte, steigerte also den französischen Chauvinismus in einer Art, daß der weltbefreiende Beruf Frankreichs und damit sein Geburtsrecht, an der Spitze zu stehn, uns noch alle Tage zwischen die Beine läuft (als Karikatur bei den Blanquisten, aber auch sehr stark z. B. bei Malon und Co.). Auch in der Internationale war das so ziemlich selbstverständliche Ansicht der Franzosen. Erst die Ereignisse mußten ihnen - und auch manchen andern - beibringen und müssen es noch täglich, daß internationales Zusammenwirken nur unter Gleichen möglich ist, und selbst ein primus inter pares1 höchstens für die unmittelbare Aktion. Solange Polen geteilt und unterjocht, kann sich also weder eine kräftige sozialistische Partei im Lande selbst entwickeln noch mit andern Polen als der Emigration ein wirklicher internationaler Verkehr der übrigen proletarischen Parteien in Deutschland etc. Jeder polnische Bauer und Arbeiter, der aus der Verdumpfung zur Teilnahme an allgemeinen Interessen aufwacht, stößt zuerst auf die Tatsache der nationalen Unterjochung, sie tritt ihm überall als erstes Hindernis in den Weg. Sie zu beseitigen ist Grundbedingung jeder gesunden und freien Entwicklung. Polnische Sozialisten, die nicht die Befreiung des Landes an die Spitze ihres Programms setzen, kommen mir vor wie deutsche Sozialisten, die nicht zunächst Abschaffung des Sozialistengesetzes11411, Preß-, Vereins-, Versammlungsfreiheit fordern wollten. Um kämpfen zu können, muß man erst einen Boden haben, Luft, Licht und Ellenbogenraum. Sonst bleibt alles Geschwätz. Ob dabei eine Herstellung Polens vor der nächsten Revolution möglich, ist nicht von Bedeutung. Keinesfalls haben wir den Beruf, die Polen von Anstrengungen abzuhalten, sich die Lebensbedingungen ihrer Fortentwicklung zu erkämpfen, oder ihnen einzureden, die nationale Unabhängigkeit sei vom internationalen Standpunkt eine sehr sekundäre Sache, wo sie vielmehr Grundlage alles internationalen Zusammenwirkens ist. Im übrigen war 1873 der Krieg zwischen Deutschland und Rußland auf dem Punkt auszubrechen, die Herstellung irgendeines Polens, Kern des späteren wirklichen, also sehr möglich. Und wenn die Herren Russen mit ihren panslawistischen Intrigen und Hetzereien in der Herzegowina13321 nicht bald einhalten, so können sie sich einen Krieg auf den Hals ziehn, der ihnen, Ostreich und Bismarck über den Kopf wächst. Daran, daß die Sache in der
1 Erster unter Gleichen
Herzegowina ernsthaft werde, hat nur die russische Panslawistenpartei und der Zar ein Interesse, für das bosnische Raubgesindel kann man sich doch ebensowenig interessieren wie für die dummen östreichischen Minister und Bürokraten, die dort jetzt ihr Wesen treiben. Also selbst ohne Aufstand, durch rein europäische Kollisionen, wäre die Herstellung eines unabhängigen Kleinpolens gar nicht so unmöglich; grade wie das von den Bourgeois erfundne preußische Kleindeutschland nicht auf dem von ihnen geträumten revolutionären oder parlamentarischen Weg hergestellt wurde, sondern durch Krieg. Ich bin also der Ansicht, daß zwei Nationen in Europa nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, national zu sein, ehe sie international sind: Irländer und Polen. Sie sind eben am besten international, wenn sie recht national sind. Das haben die Polen in allen Krisen begriffen und auf allen Revolutionsschlachtfeldern bewiesen. Man nehme ihnen die Aussicht, Polen herzustellen, oder rede ihnen ein, das neue Polen werde ihnen doch nächstens von selbst in den Schoß fallen, so ist es aus mit ihrem Interesse an der europäischen Revolution. Wir speziell haben gar keinen Grund, den Polen in ihrem unumgänglichen Streben nach Unabhängigkeit in den Weg zu treten. Erstens haben sie 1863 die Kampfweise erfunden und angewandt, die die Russen jetzt mit solchem Erfolg nachahmen (s. „Berlin und [St.] Petersburg", Anhang 2)13331, und zweitens waren sie in der Pariser Kommune die einzigen zuverlässigen und fähigen Heerführer.'3341 Wer sind übrigens die Leute, die gegen die polnischen Nationalitätsbestrebungen ankämpfen? Erstens die europäischen Bourgeois, bei denen die Polen seit der Insurrektion von 184613351 und ihren sozialistischen Tendenzen allen Kredit verloren haben, zweitens die russischen Panslawisten und die von ihnen beeinflußten Leute wie Proudhon, der durch Herzens Brille sah. Von den Russen, selbst den besten, sind aber bis heute nur wenige von panslawistischen Tendenzen und Erinnerungen frei: der panslawistische Beruf Rußlands ist ihnen so ausgemacht wie den Franzosen die angeborne revolutionäre Initiative Frankreichs. In Wirklichkeit ist aber der Panslawismus ein Weltherrschaftsschwindel unter Deckmantel einer nichtexistierenden slawischen Nationalität und unser und der Russen schlimmster Feind. Der Schwindel wird seinerzeit in sein Nichts zerfallen, aber inzwischen kann er uns sehr unangenehm werden. Ein panslawistischer Krieg als letzter Rettungsanker des russischen Zarentums und der russischen Reaktion wird in diesem Augenblick präpariert, ob er zustande kommt, ist sehr fraglich, geschieht's aber, so ist nur eins gewiß: daß die sich so
prächtig vollziehende Entwicklung in der revolutionären Richtung, in Deutschland, Ostreich und Rußland selbst, total derangiert und in andre, zunächst unberechenbare Bahnen gedrängt wird. Im besten Fall verlieren wir 3-10 Jahre Zeit dabei, Galgenfrist für eine konstitutionelle „neue Ära"'3381 in Deutschland und vielleicht auch Rußland, ein Kleinpolen unter deutscher Hegemonie, ein Revanchekrieg mit Frankreich, neue Völkerverhetzung, schließlich neue Heilige Allianz dürfte dann das Wahrscheinlichste sein. Der Panslawismus ist also jetzt mehr als je unser Todfeind, trotzdem daß er am Rande des Grabes steht oder grade eben deshalb. Denn das wissen die Katkow, Aksakow, Ignatjew und Co., daß ihr Reich auf ewig zu Ende ist, sobald das Zarentum gestürzt ist und das russische Volk auf die Bühne tritt. Und daher dieser Feuereifer für Krieg in einem Augenblick, wo der Schatz ein Minus enthält und kein Bankier auch nur einen Heller der russischen Regierung vorschießt. Das ist eben, weshalb alle Panslawisten die Polen so tödlich hassen: Sie sind die einzigen an f/panslawistischen Slawen, daher Verräter an der heiigen Sache des Slawentums und müssen mit Gewalt eingefügt werden in das großslawische Zarenreich, dessen künftige Hauptstadt Zarigrad, d.h. Konstantinopel, ist. Nun könnten Sie mich fragen, ob ich denn gar keine Sympathien habe für die kleinen slawischen Völker und Volkstrümmer, die von den drei ins Slawentum eingetriebnen Keilen: dem deutschen, magyarischen und türkischen auseinandergesprengt sind? In der Tat, verdammt wenig. Der tschechisch-slowakische Notschrei: Boze! ... Ach nikdo neni na zemi Kdohy Slavum (sie) spraüedlivost am'/P13371 ist von Petersburg aus beantwortet, und die ganze tschechische Nationalbewegung strebt dahin, daß der Zar ihnen spravedlivost ciniti2 soll. So mit den andern auch: Serben, Bulgaren, Slowenen, galizische Ruthenen (wenigstens teilweise). Für diese Ziele aber können wir nicht eintreten. Erst wenn durch den Zusammenbruch des Zarentums die nationalen Bestrebungen dieser Völkerknirpse von der Verquickung mit panslawistischen Weltherrschaftstendenzen befreit sind, erst dann können wir sie frei gewähren lassen, und ich bin sicher, sechs Monate Unabhängigkeit reichen hin bei den meisten östreich-ungarischen Slawen, um sie dahin zu bringen, wieder um Aufnahme zu flehen. Aber keinenfalls wird man diesen Völkchen das Recht zugestehn, wie sie es jetzt in Serbien, Bulgarien und
2 Gerechtigkeit widerfahren lassen
Ostrumelien sich zuschreiben: den Ausbau des europäischen Eisenbahnnetzes bis Konstantinopel zu verhindern. Was nun die Differenz zwischen den Polen in der Schweiz angeht, so sind das Emigrationsstreitigkeiten, die selten von Belang sind, am allerwenigsten aber bei einer Emigration, die in 3 Jahren ihr 1 OOjähriges Jubiläum feiert und wo, bei dem Drang aller Emigranten, etwas zu tun oder doch zu planen, Plan auf Plan gefolgt ist, eine neue angebliche Theorie die andre abgelöst hat. Daß wir aber nicht der Ansicht der Leute von der „Röwnosc " sind, geht aus Vorhergehendem hervor, und haben wir ihnen auch in einem Schreiben für die 50jährige Feier des 29. Nov. 1830, was beim Meeting in Genf verlesen wurde, gesagt.3 Sie finden es im Bericht (Sprawozdanie, etc. - Biblijoteka „Rownoscf": Nr. 1, Genf, 1881), Seite 30ff. abgedruckt (polnisch). Die „Röwnosc"-Leute, scheint es, haben sich von den radikal klingenden Phrasen der Genfer Russen imponieren lassen, und wollen nun auch beweisen, daß der Vorwurf des nationalen Chauvinismus sie nicht trifft. Diese auf bloß lokalen und vorübergehenden Ursachen beruhende Abirrung wird ohne viel Einwirkung auf Polen selbst Vorübergehn, und ist nicht der Mühe wert, im einzelnen widerlegt zu werden. Wie übrigens die Polen sich mit den Litauern, Weiß- und Kleinrussen des alten Polens zurechtsetzen werden und ebenso mit den Deutschen wegen der Grenze, geht uns vorläufig nichts an. Wie wenig die Arbeiter übrigens selbst in den angeblich „unterdrückten" Ländern von den panslawistischen Gelüsten der Professoren und Bourgeois angefressen sind, beweist das famose Zusammengehn der deutschen und tschechischen Arbeiter in Böhmen.13381 Doch nun genug. Besten Gruß von Ihrem F.E.
3 „An das Meeting in Genf, einberufen zur Erinnerung an den 50. Jahrestag der polnischen Revolution von 1830"
18 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 10. Febr. 1882
Lieber Alter, Wir haben gar nicht gewußt, daß Du so gefährlich krank warst, wir wußten nur, daß Du an einer Gesichtsrose littest, und die verläuft ziemlich leicht. Hätte ich eine Ahnung gehabt, wie die Sachen standen, ich hätte Dir sofort einiges Geld flüssiggemacht, obwohl ich selbst damals sehr knapp und von rechts und links in Anspruch genommen war. Indes ist's noch immer nicht zu spät, und so habe ich Dir eine Postanweisung für vier Pfd. St. = Fr. 100, 80 cts. herausgenommen, wovon Avis Dir wohl schon zugegangen sein wird; wegen eines hier vorgekommenen Formfehlers konnte ich vor heute nicht schreiben. Unter uns war es fast ein Glück zu nennen, daß Marx während der letzten Lebenszeit seiner Frau mit seiner eignen Krankheit so beschäftigt war, daß er sich weniger mit dem bevorstehenden und dem wirklich eintretenden Verlust beschäftigen konnte. Obwohl wir seit über 6 Monaten ganz positiv wußten, wie es stand, war das Ereignis selbst doch ein arg harter Schlag. M[arx] ist gestern nach dem Süden von Frankreich abgereist1521, wohin er von da gehn wird, wird sich definitiv wohl erst in Paris entscheiden. Keinenfalls zunächst nach Italien1, im Anfang der Rekonvaleszenz ist auch die Möglichkeit von Polizeischikanen zu vermeiden. Wir haben uns Deinen Vorschlag13391 überlegt und sind der Ansicht, daß die Zeit zu seiner Ausführung noch nicht gekommen ist, aber heranrückt. Erstens würde eine neue, förmlich reorganisierte, Internationale in Deutschland, Ostreich, Ungarn, Italien und Spanien nur neue Verfolgungen hervorrufen und schließlich nur die Wahl lassen, die Sache aufzugeben oder aber geheim zu machen. Letzteres wäre ein Unglück wegen der unvermeidlichen Konspirations- und Putschgelüste und der ebenso unvermeidlichen Aufnahme von Mouchards2. Selbst in Frankreich wäre neue
1 Vgl. auch vorl. Band, S. 265 - 2 Spitzeln
Anwendung des keineswegs abgeschafften Gesetzes gegen die Internationale[340' gar nicht unmöglich. - Zweitens ist bei dem jetzigen Zank zwischen „Egalite" und ,,ProIet[aire]" auf die Franzosen gar nicht zu rechnen3, man müßte denn für eine der Parteien sich erklären, und das hat auch seine bösen Seiten. Wir stehn, was unsre Person angeht, auf Seite der „Egalite", werden uns aber wohl hüten, für die Leute öffentlich jetzt aufzutreten, weil sie, obwohl ausdrücklich von uns gewarnt, einen taktischen Bock nach dem andern gemacht. - Drittens ist mit den Engländern jetzt weniger anzufangen als je. Ich habe es 5 Monate lang versucht durch den „Labour Standard", wo ich Leitartikel schrieb114', an die alte Chartistenbewegung anzuknüpfen und unsre Ideen zu verbreiten, um zu sehn, ob das kein Echo findet. Absolut Null, und da der Redakteur4, ein wohlmeinender, aber schwacher Schlappes, zuletzt auch vor den kontinentalen Ketzereien Angst bekam, die ich ins Blatt schrieb, gab ich's dran.5 Es bliebe also nur eine Internationale, die außer Belgien sich auf lauter Emigration beschränkte, denn mit Ausnahme von Genf und Gegend etwa, wäre selbst auf die Schweizer nicht zu rechnen - vide „Arbeiterstimme" und Bürkli.6 Einen bloßen Flüchtlingsverein zu stiften, wäre aber kaum der Mühe wert. Denn die Holländer, Portugiesen, Dänen machen auch die Suppe nicht fett, und je weniger man mit Serben und Rumänen zu tun hat, desto besser. Andrerseits aber besteht die Internationale tatsächlich fort. Die Verbindung zwischen den revolutionären Arbeitern aller Länder, soweit sie wirksam sein kann, ist da. Jedes sozialistische Journal ist ein internationales Zentrum, von Genf, Zürich, London, Paris, Brüssel, Mailand laufen und kreuzen sich die Fäden in allen Richtungen, und ich wüßte wirklich nicht, was in diesem Augenblick die Gruppierung dieser kleinen Zentren um ein großes Hauptzentrum der Bewegung an neuer Kraft zuführen könnte wohl nur die Reibung vermehren. Kommt aber der Moment, wo es gilt, die Kräfte zusammenzufassen, so ist das ebendeswegen Sache eines Moments und braucht keine lange Vorbereitung. Die Namen der Vorkämpfer eines Landes sind in allen andern bekannt, und eine von allen unterzeichnete und vertretene Manifestation würde einen kolossalen Eindruck machen, ganz anders als die meist unbekannten Namen des alten Generalrats. Aber ebendeshalb muß man eine solche Manifestation aufsparen bis zum Moment, wo sie durchschlagend wirken kann, d. h., wo europäische Ereignisse
3 vgl. vorl. Band, S.268 -4 George Shipton - 5 siehe vorl. Band, S.211/212 - 5 siehe vorl. Band, S. 35/36
sie provozieren. Sonst verdirbt man sich den Effekt für die Zukunft und tut nur einen Schlag ins Wasser. Solche Ereignisse aber bereiten sich vor in Rußland, wo die Avantgarde der Revolution zum Schlagen kommen wird. Das und den unvermeidlichen Rückschlag auf Deutschland muß man abwarten - nach unsrer Meinung -, und dann wird auch der Moment einer großen Manifestation kommen und der Herstellung einer offiziellen, förmlichen Internationale, die aber keine Propagandagesellschaft mehr sein kann, sondern nur noch eine Gesellschaft für die Aktion. Deshalb sind wir entschieden der Ansicht, ein so famoses Kampfmittel nicht dadurch abzuschwächen, daß man es in verhältnismäßig noch ruhiger Zeit, schon am Vorabend der Revolution, vernutzt und verschleißt. Ich glaube, wenn Du Dir die Sache nochmals überlegst, wirst Du Dich unsrer Ansicht anschließen. Inzwischen wünschen wir beide Dir gute und rasche Besserung und hoffen, recht bald von Dir zu hören, daß Du wieder ganz auf dem Damm bist. Stets Dein alter F.E.
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London13411
Mein lieber Herr Lawrow, Ich bedaure unendlich, Sie heute nachmittag nicht angetroffen zu haben. Wenn diese Karte, wie ich hoffe, Sie heute noch erreicht, möchte ich Sie jedoch bitten, morgen, Sonntag abend, gegen 7 bis 8 Uhr zu mir zu kommen. Sie werden hier Freunde vorfinden. Wir werden uns alle sehr freuen, Sie zu sehen. Ganz der Ihre F. Engels
122, Regent's Park Road, [London] 18. Febr. 82
Aus dem Französischen.
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 22. Febr. 1882
Lieber Herr Bernstein, Ich beantworte Ihren Brief gleich, !. weil die panslawistische Geschichte immer brennender wird und 2. weil ich mich jetzt, nach M[arxen]s Abreise'521, wieder ernsthaft an die Arbeit setzen muß und nicht mehr Zeit haben werde zu so langen Auseinandersetzungen. Die „Stenogramme"1 gehn heute zurück. Besten Dank. Meist etwas matt, doch bin ich schon zufrieden, wenn keine wirkliche Blamage und Prinzipverleugnung erfolgt. Für fernere Zusendungen von Zeit zu Zeit werde ich Ihnen stets verbunden sein. Die Wiedergutmachung der früheren argen Böcke im sächsischen Landtag hat mich sehr gefreut. Ich denke, der „Sozialdemokrat]" kann mit dem Erfolg seines Auftretens ganz zufrieden sein. Für Bios muß die Unterschrift der Erklärung eine bittre Pille gewesen sein.'3131 Sehr freut mich das Steigen des Abonnements bis über 4000 und die regelmäßige Verbreitung trotz Polizei etc. in Deutschland. Es ist ein unerhörter Erfolg eines verbotenen deutschen Blatts. Die vor 48 kamen viel leichter hinein, weil von Bourgeois und Buchhändlern unterstützt, aber die Abonnementsgelder liefen nie ein. Hier aber zahlen die Arbeiter, und das beweist ihre Disziplin und wie sehr sie in der Bewegung leben und weben. Es ist mir gar nicht bange um unsre deutschen Jungen, wenn's zum Klappen kommt. Jede Probe bestehn sie famos. Und nicht sie geben sich philiströs, es sind nur die Herren Führer, die von Anfang an von den Massen geschoben worden sind, statt die Massen zu schieben. Daß mein Brief'3421 Sie nicht bekehrt, da Sie schon Sympathien hatten für die „unterdrückten" Südslawen, ist sehr begreiflich. Wir alle haben ja ursprünglich, soweit wir erst durch Liberalismus .oder Radikalismus durchgegangen, diese Sympathien für alle „unterdrückten" Nationalitäten mit herübergenommen, und ich weiß, wieviel Zeit und Studium es mich gekostet hat, sie, dann aber auch gründlich, loszuwerden.
1 Siehe vorl. Band, S. 266/267
Nun muß ich aber bitten, mir nicht Meinungen unterzuschieben, die ich nie ausgesprochen. Die in der Augsburger „Allgemeinen] Ztg." jahrelang vertretnen östreichischen Kanzleiargumente gehn mich nichts an. Was daran richtig war, ist veraltet, und was nicht veraltet, ist unrichtig. Ich habe durchaus keinen Grund, mich über die zentrifugale Bewegung in Ostreich zu ärgern. Ein „Damm gegen Rußland" ist überflüssig von dem Augenblick, wo die Revolution in Rußland ausbricht, d. h., wo irgendwelche repräsentative Versammlung zusammentritt. Von dem Tage an ist Rußland im Innern beschäftigt, der Panslawismus klappt zusammen in sein Nichts, der Beginn des Reichszerfalls tritt ein. Der Panslawismus ist nur ein Kunstprodukt der „gebildeten Stände", der Städte und Universitäten, Armee und Beamten, das Land weiß nichts davon, und selbst der Landadel ist so sehr in der Klemme, daß er jeden Krieg verflucht. Ostreich war von 1815-59 in der Tat ein Damm gegen Rußland, so feig und dumm seine Politik auch blieb. Jetzt, am Vorabend der Revolution in Rußland, ihm nochmals Gelegenheit geben, sich als „Damm" aufzuspielen, hieße ja Ostreich eine neue Lebensfrist, eine neue historische Existenzberechtigung geben, den Zerfall aufschieben, der ihm sicher bevorsteht. Und mit echt geschichtlicher Ironie spricht Ostreich, indem es die Slawen zur Herrschaft kommen läßt, selbst aus, daß sein einziges bisheriges Existenzrecht aufgehört hat zu existieren. Ein Krieg mit Rußland würde übrigens der Slawenherrschaft in Ostreich in 24 Stunden ein Ende machen. Sie sagen, sobald die slawischen Völker (immer die Polen auszunehmen!) nicht mehr Grund haben, in Rußland ihren einzigen Befreier zu sehn, ist der Panslawismus schachmatt. Das ist leicht gesagt und klingt plausibel. Aber erstens liegt die Gefahr des Panslawismus, soweit sie besteht, nicht in der Peripherie, sondern im Zentrum, nicht am Balkan, sondern in den 80 Millionen Sklaven, aus denen der Zarismus seine Armee und Finanzen holt. Da also ist der Hebel anzusetzen, und er ist ja angesetzt. Soll ein Krieg ihn wieder absetzen? Zweitens will ich nicht untersuchen, wieso es kam, daß die kleinen slawischen Völker im Zar ihren einzigen Befreier sehn. Genug, sie tun es, wir können es nicht ändern, und es bleibt so, bis der Zarismus gebrochen; gibt's Krieg, so gehn alle diese interessanten Natiönchen auf Seiten des Zarismus, des Feindes des ganzen bürgerlich-entwickelten Westens. Solange dies der Fall, kann ich mich für ihre unmittelbare, sofortige Befreiung nicht interessieren, sie bleiben unsre direkten Feinde ebensosehr wie ihr Bundesgenosse und Schutzherr, der Zar. Wir haben an der Befreiung des westeuropäischen Proletariats mitzu
arbeiten und diesem Ziel alles andre unterzuordnen. Und wären die Balkanslawen etc. noch so interessant, sobald ihr Befreiungsdrang mit dem Interesse des Proletariats kollidiert, so können sie mir gestohlen werden. Die Elsässer sind,auch unterdrückt, und es soll mich freuen, wenn wir sie wieder los sind. Wenn sie aber am Vorabend einer sichtbar heranziehenden Revolution einen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland provozieren, diese beiden Völker wieder verhetzen und die Revolution dadurch vertagen wollten, so sage ich: Halt da! Ihr könnt ebensoviel Geduld haben wie das europäische Proletariat. Wenn das sich befreit, seid ihr von selbst frei, bis dahin aber dulden wir nicht, daß ihr dem kämpfenden Proletariat in die Parade fahrt. Ebenso mit den Slawen. Der Sieg des Proletariats befreit sie wirklich und mit Notwendigkeit, nicht scheinbar und temporär, wie der Zar. Darum sollen sie, die für Europa und seine Entwicklung bisher nicht nur nichts geleistet, sondern ein Hemmschuh an ihr sind, mindestens soviel Geduld haben wie unsre Proletarier. Um der paar Herzegowzen willen einen Weltkrieg entflammen, der 1 OOOmal mehr Menschen kostet, als in der ganzen Herzegowina wohnen - das ist nicht meine Ansicht von der Politik des Proletariats. Und wie „befreit" der Zar? Fragen Sie die kleinrussischen Bauern, die Katharina auch erst vor dem „polnischen Druck" befreite (Vorwand: Religion), einfach, um sie nachher zu annektieren. Worauf läuft denn der ganze russisch-panslawistische Schwindel hinaus? Auf die Einnahme von Konstantinopel, weiter nichts. Nur diese würde auf die religiösen Traditionen des russischen Bauern mit Macht wirken, ihn für die Verteidigung des heiligen Zarigrad begeistern, dem Zarismus neue Lebensfrist geben. Und wenn die Russen erst in Konstantinopel, adieu bulgarische und serbische Unabhängigkeit und Freiheit - die Brüderchen (bratanki) würden bald merken, wie viel besser sie es selbst unter den Türken hatten. Es gehört eine kolossale Naivetät dazu, bei diesen bratanki, zu glauben, der Zar wolle ihren Vorteil und nicht den seinen. Sie sagen, ein Großserbien sei ein ebensoguter Damm gegen Rußland wie Ostreich. Ich habe schon gesagt, daß ich von der ganzen „Damm"theorie nichts halte, seitdem in Rußland eine revolutionäre Bewegung Macht erhalten hat. Ebenso, daß ich Ostreichs Zerfall mit Vergnügen entgegensehe. Aber nun kommen wir auf die Qualität dieser Natiönchen, die doch auch bei unsern Sympathien zu erwägen ist. Ein Großserbien ist nach 2-4 Generationen und nach allgemeinen europäischen Umwälzungen sicher möglich, heute - bei dem Bildungsstand seiner Elemente - ebenso sicher nicht.
1. Teilen sich die Serben in 3 Religionen (die Zahlen sind aus Safarfk, „Slovansky Närodopis" und gelten für 1849): griechisch 2880000, katholisch, inkl. der sog. Kroaten, die aber serbisch sprechen, 2664000, ohne Kroaten 1884000. Mohammedaner 550000. Bei diesen Leuten geht aber Religion noch vor Nationalität und jede Konfession will herrschen. Solange hier kein Bildungsfortschritt, der wenigstens Toleranz möglich macht, heißt Großserbien nur Bürgerkrieg. S. „Standard" hierbei. 2. Hat das Land 3 politische Zentren: Belgrad, Montenegro, Agram. Weder Kroaten noch Montenegriner wollen sich der Hoheit von Belgrad unterwerfen. Im Gegenteil. Montenegriner und Ihre Freunde, die Naturvölkchen in Krivosije und Herzegowina, werden gegen Belgrad und jede andre Zentralregierung, serbisch oder nicht, ihre „Unabhängigkeit" ebenso verteidigen wie gegen Türken und Ostreicher. Diese Unabhängigkeit besteht darin, daß sie, um ihren Haß gegen die Unterdrücker zu beweisen, ihren eignen „unterdrückten" serbischen Landsleuten das Vieh und andre bewegliche Wertsachen abstehlen, wie sie das seit 1000 Jahren getan, und wer dies Recht des Raubens angreift, greift ihre Unabhängigkeit an. Ich bin autoritär genug, die Existenz solcher Naturvölkchen mitten in Europa für einen Anachronismus zu halten. Und wenn die Leutchen so hoch ständen wie die von Walter Scott gefeierten Hochschotten, die ja auch die ärgsten Viehdiebe waren, so können wir doch höchstens die Art und Weise verurteilen, mit der die heutige Gesellschaft sie behandelt. Wären wir am Ruder, auch wir würden dem altererbten Rinaldo-Rinaldini- und Schinderhannestum dieser Burschen ein Ende machen müssen. Und so müßte es die großserbische Regierung auch. Also auch hier heißt Großserbien Erneuerung des Kampfes, den die Herzogowzen jetzt führen, also Bürgerkrieg mit all den Hochländern von Montenegro, Cattaro, Herzegowina. Das Großserbien sieht also, in der Nähe betrachtet, lange nicht so einfach und selbstverständlich aus, wie Panslawisten und Liberale a la Rasch es uns vormachen wollen. Haben Sie übrigens so viel Sympathien mit den Naturvölkchen, wie Sie wollen, einen gewissen poetischen Schimmer haben diese ja ohnehin, machen auch noch Volkslieder ganz im Stil der altserbischen (und diese sind sehr schön), ich will Ihnen sogar einen „Standard"-Artikel als Beleg schicken. Aber Handlanger des Zarentums sind und bleiben sie, und in die Politik gehören poetische Sympathien nicht hinein. Und wenn aus dem Aufstand dieser Burschen ein Weltkrieg zu entbrennen droht, der uns unsre ganze revolutionäre Situation verdirbt, so müssen sie und ihr Recht auf
Viehraub den Interessen des europäischen Proletariats ohne Gnade geopfert werden. Großserbien wäre übrigens, soweit es zustande käme, nur ein vergrößertes Fürstentum Serbien. Und was hat dies getan? Eine aus im Westen, besonders Wien, studierten Belgradern und andern Städtern gebildete Bürokratie nach östreichischem Muster eingerichtet, die von den Gemeineigentumsverhältnissen der Bauern gar nichts wissen, Gesetze nach östreichischem Muster machen, die seinen Verhältnissen ins Gesicht schlagen, so daß die Bauern massenhaft verarmen und expropriiert werden, während sie zur Türkenzeit volle Selbstregierung hatten, reich wurden und weit weniger Steuer zahlten. Die Bulgaren haben sich selbst geschildert in ihren Volksliedern, die neuerdings von einem Franzosen gesammelt und in Paris erschienen sind.1343' Da spielt das Feuer eine große Rolle. Ein Haus brennt, die junge Frau verbrennt, weil ihr Ehemann, statt ihrer, lieber seine schwarze Stute rettet. Ein andermal rettet eine junge Frau ihren Schmuck und läßt dafür ihr Kind verbrennen. Geschieht ausnahmsweise einmal eine noble, mutige Tat, so geschieht sie jedesmal von einem Türken. Wo in der Welt finden Sie ein solches Sauvolk wieder? Wenn v Sie übrigens eine passable Sprachenkarte der Gegend einsehn (z.B. die Safanksche im obigen Buch oder die Kiepertsche von Ostreich und den Unterdonauländern 1867), so werden Sie finden, daß die Sache mit der Befreiung dieser Balkanslawen doch nicht so einfach liegt und daß mit Ausnahme des serbischen Gebiets das Ganze durchsetzt ist von türkischen Kolonien und berändert von einer griechischen Küste, davon nicht zu sprechen, daß Saloniki eine spanische Judenstadt ist. Allerdings räumen die biedern Bulgaren jetzt in Bulgarien und Ostrumelien mit den Türken rasch auf, indem sie sie totschlagen, vertreiben und ihnen die Häuser überm Kopf anzünden. Wären die Türken ebenso verfahren, statt ihnen mehr Selbstregierung und weniger Steuern zu lassen, als sie jetzt haben, so wäre die ganze Bulgarenfrage aus der Welt. Was den Krieg angeht, so scheinen Sie mir doch le coeur un peu trop leger2 zu haben. Kommt es zum Krieg, so bringt Bismarck es mit Leichtigkeit dahin, daß Rußland als der Angreifer erscheint: er kann warten, die russischen Panslawisten nicht. Ist aber Deutschland und Ostreich einmal im Osten engagiert, so muß man die Franzosen und besonders die Pariser schlecht kennen, um nicht vorauszusehn, daß sofort ein chauvinistisches
2 die Sache zu leicht genommen
Revanchegeschrei entsteht, vor dem die sicher friedliche Majorität des Volks verstummen muß und das es dahin bringt, daß auch hier Frankreich als Angreifer dasteht; und daß der dann herrschende Chauvinismus sehr bald das linke Rheinufer fordern wird. Daß dabei Deutschland in einen Kampf um die Existenz gerät und damit auch dort der patriotische Chauvinismus wieder vollständig Oberwasser bekommt, scheint mir evident. Soweit also alle Aussichten gegen uns. Ist der Krieg aber einmal im Gang, so wird der Ausgang eines solchen europäischen Kampfs, des ersten seit 1813-15, ganz unberechenbar, und ich möchte ihn um keinen Preis herbeiwünschen. Kommt er, dann ist's eben nicht zu ändern. Nun aber die andre Seite. Wir haben in Deutschland eine Situation, die mit steigender Geschwindigkeit der Revolution zutreibt und in kurzem unsre Partei in den Vordergrund drängen muß. Wir selbst brauchen dazu gar nichts zu tun, nur unsre Gegner für uns arbeiten zu lassen. Dabei eine bevorstehende neue Ära mit einem neuen liberalisierenden, höchst unentschlossenen und schwankenden Kaiser13441, der ganz zum Ludwig XVI. gemacht ist. Was uns fehlt, ist einzig ein rechtzeitiger Anstoß von außen. Diesen bietet die Lage Rußlands, wo der Beginn der Revolution nur noch Frage von Monaten ist. Unsre Leute in Rußland haben den Zar so gut wie gefangengenommen13451, die Regierung desorganisiert, die Volkstraditionen erschüttert. Auch ohne einen neuen großen Schlag muß der Zusammenbruch in nächster Zeit erfolgen, er wird sich jahrelang fortsetzen wie 1789 bis 94; er gibt also volle Zeit, um auf den Westen und besonders Deutschland zurückzuwirken, so daß die Bewegung eine allmählich ansteigende wird, nicht wie 1848, wo die Reaktion am 20. März schon in ganz Europa wieder in vollem Gang war. Kurz, es ist eine so prachtvolle revolutionäre Situation wie noch nie. Nur eins kann sie verderben: Skobelew hat's in Paris selbst gesagt, nur ein auswärtiger Krieg könne Rußland herausreißen aus dem Morast, in dem es versinke.13461 Dieser Krieg soll alles gut machen, was unsre Leute mit Aufopferung ihres Lebens dem Zarismus angetan haben. Er würde jedenfalls genügen, die Gefangenschaft des Zaren zu brechen, die Sozialrevolutionäre der allgemeinen Volkswut auszusetzen, ihnen die Unterstützung der Liberalen, die sie jetzt besitzen, entziehn, und alle Opfer wären umsonst gebracht; alles müßte unter ungünstigeren Umständen von vorn wieder angefangen werden; aber ein solches Stück spielt schwerlich zweimal, und auch in Deutschland können Sie darauf bauen, daß unsre Leute entweder ins patriotische Geheul miteinstimmen oder einen Wutausbruch gegen sich hervorrufen müssen, gegen den der nach den Attentaten1321 ein Kinderspiel ist; dann würde Bismarck auf die
letzten Wahlen noch ganz anders antworten als damals mit dem Sozialistengesetz11411. Bleibt Friede, dann sind die russischen Panslawisten geprellt und müssen bald abtreten. Dann kann der Kaiser® höchstens noch einen letzten Versuch machen mit den alten bankerotten Bürokraten und Generalen, die bereits Schiffbruch gelitten. Das kann höchstens ein paar Monate dauern, und dann bleibt kein Ausweg, als die Liberalen zu berufen - d.h., eine Nationalversammlung irgendwelcher Art, und das, wie ich Rußland kenne, ist Revolution a la 1789. Und da soll ich Krieg wünschen? Sicher nicht, und wenn 200 edle Räubervölker dabei kaputtgingen. Doch nun genug und zu Bürkli4. Ich habe seine Broschüre13471 nicht gelesen und verlegt, will aber suchen, sie bei mir oder M[arx] zu finden. Genau kann ich also nicht sagen, was er will. (25. Febr.) Ich habe eben bei M[arx] das ganze Lokal durchgesucht und finde sie nicht. Solche Spezialfragen fallen, bei unsrer Arbeitsteilung, in M[arxen]s Gebiet, und wegen der Krankheit haben wir den Kasus auch nicht diskutieren können. Ich nehme an, daß B[ürkli] es jedem Züricher Grundeigentümer erlaubt, auf sein Gut eine solche Hypothek aufzunehmen und daß der Schein dafür als Geld zirkulieren soll. Dann richtet sich also die Menge des zirkulierenden Geldes nach der Wertsumme des fraglichen Grundeigentums und nicht nach der viel kleineren Summe, die zur Zirkulation genügt. Also schon jetzt: 1. Entweder nicht einlösbare Scheine, und dann werden sie depreziert nach dem bei M[arx] entwickelten Gesetz13481; 2. oder einlösbar, und dann geht der für die Zirkulation überschüssige Teil an die Bank zur Einlösung zurück und hört auf, Geld zu sein, wobei die Bank natürlich Kapital festlegen muß. Nun ist ein zinstragendes, also täglich seinen Wert wechselndes Geldsurrogat schon wegen dieser Eigenschaft zum Zirkulationsmittel ungeeignet; man muß sich nicht nur zuerst um den Preis der Ware in wirklichem Geld verständigen, sondern auch um den Preis des Papiers. Die Züricher müßten schlechtere Geschäftsleute sein, als ich sie kenne, wenn sie nicht, bei Einlösbarkeit der Scheine, sie alle baldigst an die Bank zur Einlösung ablieferten und das alte kommode, nicht zinstragende Geld wieder allem gebrauchten. Dann hat die Kantonalbank also ihr eignes Kapital und alles, was sie zusammenpumpen kann, in Hypotheken festgelegt und mag sehn, woher sie neues Betriebskapital bekommt.
8 Alexander III. -4 vgl. auch vorl. Band, S.267/268
Bei Nichteinlösbarkeit aber hören sie auf, Geld zu sein ohne weiteres. Man bezieht Metall- oder gutes Papiergeld von der Außenwelt, die glücklicherweise noch ein klein wenig größer ist als der Kanton Zürich, und braucht das, da kein Mensch diese ledernen Scheine für Geld nehmen wird, die, wie Sie mit Recht sagen, dann weiter nichts sind als märkische Pfandbriefe. Und wenn die Regierung darauf besteht, sie als Geld dem Publikum aufzuzwingen, so wird sie was erleben. Dies privatim, ich bitte es nicht in meinem Namen zu benutzen, da ich, wie gesagt, das Broschürli nicht gelesen und auch nicht Zeit gehabt, die klassische ökonomische Literatur darüber durchzulesen; aus dem Kopf aber lassen sich solche Sachen nicht ohne Sicherheit gegen Verstöße so ohne weiteres kritisieren. Unsinn ist die Sache jedenfalls. Mfarx] ist Montag morgen in Algier angekommen, wohin ich und die Arzte ihn immer haben wollten, aber er hatte keine rechte Lust. Er hat da einen Richter5 am tribunal civil, der, ehemaliger Deportierter Bonapartes, die Gemeineigentumsverhältnisse der Araber sehr studiert und sich erboten hat, ihm Aufklärungen darüber zu geben . Besten Gruß auch an Kautsky. Ihr F. E.
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