segunda parte tomo 36

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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 13. Jan. 1885
Werter Herr Schlüter, Beginnen Sie nur mit dem „Anti-Dühring", sobald es Ihnen paßt, was der Biedermann1 mir erwidert, habe ich nicht gelesen und mag ich nicht lesen.13711 Antworten kann er nicht, und schnoddrige Redensarten mag er loslassen, soviel er will. Nach der Revue der „Rheinischen] Z[eitung]"2 sehe ich mich seit Jahren vergebens um, ich habe nur Heft 3 und 5 und 6; 1. 2. 4. fehlen.13721 Artikel zum Wiederabdruck sind kaum darin, die Hefte 1-4 enthalten Marx' französische Revolutionsgeschichte von 1848 bis 503 (zusammengefaßt im „18.Brumaire"), und meine Erzählung der rheinischen und badisch-pfälzischen Maitage 494. Dann der „Bauernkrieg"5 (5 und 6) und kleine kritische Aufsätze6 sowie Revue der Tagesereignisse7. Über Recht auf Arbeit findet sich nur etwa im I.Heft einiges sehr Kurze8; auf die Phrasen ging M[arx] nur wenig ein. Daß Sie in Ihrem Namen bei Wigand wegen einer neuen Auflage der „Lage etc." anfragen lassen1361, ist schon ganz gut, hilft uns aber nicht viel weiter. Ich muß wissen, was meine gesetzliche Stellung ist ihm gegenüber, und werde nochmals bei Freytag anfragen lassen. Notabene, ich rechne darauf, daß, sobald die Sache soweit, Sie sich mit Dietz ins reine setzen, da er doch eigentlich das ältere Anrecht hat oder beanspruchen könnte. Gruß an Ede. Ihr ergebener F. Engels
1 Eugen Karl Dühring - 2 „Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue" 8 „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 his 1850" -4 „Die deutsche Reichsverfassungskampagne" - 5 „Der deutsche Bauernkrieg" - 6 Rezensionen (siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 198-212 und 255 -291) - 7 „Revue. Januar/Februar 1850"; „Revue. März/April 1850"; „Revue. Mai bis Oktober 1850" - 8 siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 18-21
272 144 • Engels an Hermann Schlüter -17, Januar 1885
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 17. Jan. 1885
Werter Herr Schlüter, Nachträglich bemerke ich Ihnen noch wegen „Anti-Dühring": 1. auf die alte Vorrede folgt eine zur 2. Auflage, die ich aber jetzt noch nicht gut machen kann; Sie fangen also wohl, wie gewöhnlich, mit dem Text selbst an und lassen Vorrede und Titel bis zuletzt. 2. Was von Zusätzen kommt, kommt als Anhang.1 Von Bonn wird mir mitgeteilt, „Ursprung der Familie etc." sei nicht im Buchhandel zu haben, die Buchhändler sagen, es sei ihnen von der Schweiz, vom Verleger, mitgeteilt, das Buch sei verboten, und. ich werde von verschiednen Freunden mit Anfragen bombardiert, wo das JBuch zu haben. Da nun meines Wissens kein öffentliches Verbot erfolgt, ein geheimes Verbot aber Unsinn, und die Annahme, daß von Zürich aus das Gerücht eines Verbots ausgestreut werde, noch größerer Unsinn ist, so bleibt mir die Sache rätselhaft. Sollten Schabelitz's Leipziger Kommissionäre sich von der Regierung haben bereden lassen, dergleichen zu verbreiten und dadurch den Absatz zu erschweren, ohne daß man sich durch ein öffentliches Verbot lächerlich macht? Ich bitte, Sie gefl., Nachforschungen dort anstellen zu wollen und mir den Erfolg mitzuteilen, ich werde auch zu erfahren suchen, ob dieselbe Taktik anderswo befolgt wird. Was macht Ede? Ich höre und sehe nichts von ihm. Ihr ergebner F. Engels
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 19, Jan. 85
Lieber Bebel, Meinen letzten eingeschriebenen Brief in Sachen Dampfervorlage (vom 30. oder 3I.Dez.1) hast Du hoffentlich erhalten. Heute habe ich Dich mit einer Anfrage zu belästigen. Herr Franz Mehring schreibt mir jetzt zum zweiten Mal, ich soll ihm Material für eine Biographie etc. von Marx Zur Verfügung stellen, und macht mir unter andern die unverschämte Zumutung, ihm unersetzliche Schriften von uns, die er sich dort nicht verschaffen kann, „leihweise" nach Berlin zu schicken!1373' Ich werde ihm nicht antworten, aber ihm Bescheid durch Hirsch zukommen lassen. Um aber dafür den richtigen Ton zu treffen, möchte ich etwas Bestimmteres über seine Vergangenheit und Gegenwart und über seine Stellung gegenüber der Partei wissen. Ich weiß nur im allgemeinen, daß er vor 1878 in „ Volksst[aat]" und „Vorwärts" als von der Partei abgefallen und als Reptil ziemlich hart mitgenommen wurde, und sah aus den wenigen Schriften, die mir von ihm in die Hand fielen, daß er seine nähere Bekanntschaft mit der Bewegung, soweit sie reicht, literarisch vernutzt, um dem Philister „Wahrheit und Dichtung" darüber in beliebiger Quantität zu liefern und sich als Autorität in diesen Dingen aufzuspielen. Hat er spezielle Gemeinheiten begangen, die ihn vor dem übrigen Literatengesindel besonders auszeichnen, so wäre mir das sehr nützlich zu wissen.'3741 Dann noch eins. Man drängt mich sehr wegen Neuausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse". Da kann ich absolut nichts tun, ohne meine rechtliche Stellung zu Wigand, dem alten Verleger, vorher zu kennen.?361 Ich habe bei Liebk[necht] x-mal deshalb angefragt, und er hat wie immer übernommen, mir die Auskunft von Freytag zu verschaffen, aber ich habe nie welche erhalten; und wer sich dann drüber wunderte, daß nichts erledigt war, war natürlich Liebk[necht]. Da es also Torheit wäre, ihn weiter mit Geschäften zu behelligen, die erledigt werden müssen, so muß ich Dich
18 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
wiederum belästigen und bitte Dich, mir von Fr[eytag] oder sonst einem sächsischen Advokaten die inl. Fragen beantworten zu lassen. Sobald ich diese Antwort habe, kann ich und werde ich vorgehn. Um auf die industrielle Stellung Deutschlands zurückzukommen, so gebe ich den enormen Fortschritt seit 1866 und besonders 1871 gern zu. Aber der Vergleich mit andern Ländern bleibt doch. Die Massenartikel waren von England, die feineren Luxus- und Geschmacksartikel von Frankreich mit Beschlag belegt, und darin hat sich doch nicht so enorm viel geändert. In Eisen allerdings steht Deutschland, neben Amerika, nur noch hinter England zurück; die englische Massenproduktion ist aber noch lange nicht erreicht, und die Konkurrenz damit nur dann möglich, wenn mit Verlust verkauft wird. In Baumwolle macht Deutschland nur Nebenartikel für den Weltmarkt. Die enormen Massen Garne und Gewebe (Shirtings und andre Massenartikel) für den indischen und chinesischen Markt sind immer noch englisches Monopol, und wer da konkurriert, ist nicht Deutschland, sondern Amerika. Auch in den Wollenwaren beherrscht England noch den Weltmarkt, ditto in Leinen (Irland). Metallwaren zum Hausgebrauch etc. haben noch ihr Zentrum in Birmingham, wie Messerwaren in Sheffield, und die drohendste Konkurrenz ist wieder die amerikanische, nicht die deutsche. Maschinerie (Lokomotiven ausgenommen) England und Amerika. Was Geschmacksartikel angeht, so hat Frankreich viel verloren. Auch hier hat sich der Geschmack bedeutend entwickelt, und in Deutschland unbedingt auch. Beide Länder aber, und namentlich Deutschland, liefern doch nur, der Hauptsache nach, Artikel 2., 3. und 4. Rangs und hängen noch immer vielfach vom Pariser Geschmack ab. Inzwischen ist klar, daß bei den aus fast ausschließlich Emporkömmlingen bestehenden Käufern die Artikel 2. und 3. Rangs eine große Rolle spielen und diesen Knoten für 1. Rang verkauft werden können. Das aber ist sicher, die große Masse der deutschen Ausfuhr setzt sich zusammen aus einer Unzahl von, einzeln genommen, mehr oder weniger unbedeutenden Artikeln, deren Anfertigung zudem, soweit Geschmack ins Spiel kommt, großenteils auf Diebstahl von Pariser Mustern beruht. Z.B. die Berliner Frauenmäntelkonfektion, wo dies in den Berichten der „Kölnischen] Ztg." offen eingestanden wird. Dabei wird großenteils auswärtiger Stoff verarbeitet. Ich glaube, der Weltmarkt beurteilt sich von hier aus richtiger als von dort; dabei aber habe ich auch die speziell deutschen Handelsberichte regelmäßig verfolgt, und sehe also beide Seiten. Ich wollte, ich hätte einmal die Zeit, von diesem Standpunkt aus die Schutzzölle in Deutschland darzu
stellen. Sie sind der größte Blödsinn. Die deutsche Industrie war unter einem außer England in keinem Industrieland so großen Freihandel groß und exportfähig geworden - und da, wo sie exportfähig wird, zwängt man sie in Schutzzölle ein! Daß Exporteurs Schutzzölle verlangen, ist das Bezeichnende für Deutschland: wir müssen sie haben, um im Ausland mit Verlust verkaufen zu können und doch am Jahresschluß noch zu verdienen! Was wir dem Ausland schenken, muß uns das Inland zahlen: ganz wie wir den Mehrwert dem Ausland schenken und uns einen Profit machen durch Abzug am Arbeitslohn! NB. Der biedre Mehring ist Verfasser der „Leitartikel" der „Demokratischer^ Blätter", er schickt sie mir als Gesinnungsbeleg ein! Dein F. E.
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Engels an Paul Lafargue in Paris'375' (Auszug)
{London, um den 25. Januar 1885] ... Sie wissen, welche Anstrengungen die russische Regierung seit Jahren unternommen hat, um von England und Frankreich - vor allem aber von England - die Auslieferung der heroischen Nihilisten zu erzwingen. Wären diese beiden Länder für eine derartige Sache gewonnen, so müßte das übrige Europa diesem Beispiel folgen. Man könnte dann sogar hoffen, Amerika in diese Bewegung hineinzuziehen. Nun enthielt die „Pall Mall Gazette" vom 15. Januar den Artikel einer dem Zarismus mit Leib und Seele ergebenen Frau Nowikow, die erneut an England appellierte, den Hartmanns, Stepniaks und all jenen, die „den Mord in Rußland organisieren", nicht länger Asyl zu gewähren. Die Engländer, so heißt es darin, seien jetzt denselben Sprengstoffattentaten ausgesetzt; die Zuflucht, die sie den russischen Dynamitern gewähren, gewähre Amerika den irischen Dynamitern. Das, was England von Amerika fordere, sei genau das, was Rußland von England fordert. Das ist schon deutlich genug. Aber es kommt noch besser. Am Morgen des 24. Januar gaben alle Zeitungen den Wortlaut des auf diplomatischem Wege zwischen Petersburg und Berlin geschlossenen Vertrags'3761 bekannt, in dem die Auslieferung politischer Emigranten festgelegt ist, und der auf Deutschland und dann ganz Europa ausgedehnt werden soll. Und an eben diesem selben 24. Januar, nachmittags, wird London durch eine dreifache Explosion in Schrecken versetzt, Anschläge, die sich gegen die Legislative im Unterhaus, gegen die Gerichtsbarkeit in Westminster Hall und gegen die Exekutive im Tower richteten. Diesmal handelt es sich schon nicht mehr darum, Bedürfnisanstalten in die Luft zu sprengen'2591 oder die Reisenden der underground railway zu erschrecken. Hier ist es ein konzentrierter Angriff auf die drei großen Gewalten des Staats, symbolisiert durch die Gebäude, in denen sie ihren Sitz haben. Handelt es sich hier um den Akt einiger übererregter Fenier? Ist es nicht vielmehr der große Schlag, den der Zarismus braucht, um England zu
zwingen, seinem antirevolutionären Bund beizutreten? Wenn das Dynamit russischer Herkunft ist, von russischen Agenten gehandhabt wurde, konnte es dann, so frage ich, zu einem geeigneteren Zeitpunkt explodieren, um den erschreckten und reumütigen John Bull zu Füßen Alexanders III. zuwerfen?...
Nach: „Le Cri du Peuple", vom 3I.Januar 1885. Aus dem Französischen.
278 147 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky • 4. Februar 1885
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
122, Regent's Park Road, N.W. ~ ,, , London, 4. Febr. 85 Dear Madam, Ich hoffe, daß Sie den Brief, den ich ungefähr um Neujahr herum an Sie schrieb, erhalten haben. Ich schicke Ihnen heute, eingeschrieben, das mir von Ihnen gesandte Manuskript'3681, und bedauere nur, daß ich es wegen dringender Arbeit nicht früher zurücksenden konnte. Ich habe es sorgfältig durchgesehen und mit Bleistift einige Korrekturen und Vorschläge gemacht, um zu zeigen, wie ich es übersetzt sehen möchte. Sie werden vielleicht merken, daß die Sätze durch meine Vorschläge manchmal kein korrektes Englisch mehr ergeben; in diesen Fällen habe ich es Ihnen überlassen, das richtigzustellen. Was die fachlichen Termini betrifft, so werde ich Ihnen, wenn Sie so gut sein wollen, mir von Zeit zu Zeit eine Liste mit Seitenangabe zu senden, gern die englischen Äquivalente übermitteln. Das deutsche Vorwort (sowie die englische Widmung) würde ich an Ihrer Stelle ganz weglassen.'3771 Sie enthalten nichts, was jetzt noch von Interesse wäre. Der erste Teil des Vorworts bezieht sich auf eine Phase intellektueller Entwicklung in Deutschland und anderswo, die jetzt nahezu vergessen ist, und der zweite Teil ist in unseren Tagen überflüssig. Was Übersetzungen meiner anderen Schriften betrifft, so werden Sie natürlich begreifen, daß ich jetzt keine bestimmten Abmachungen treffen kann. Es gibt hier Leute, die auch das eine oder das andere übersetzen wollen, und ich habe zugestimmt unter der Bedingung, daß sie einen Verleger finden und wirklich an die Arbeit gehen. Das englische Vorwort werde ich schreiben'3781, wenn die Sache etwas weiter vorgeschritten ist. Inzwischen verbleibe ich Ihr sehr ergebener F. Engels
148 • Engels an Wilhelm Liebknecht • 4. Februar 1885 279
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
London, 4. Febr. 1885
Lieber Liebknecht, Den Literatus hast Du mir also doch zugeschickt, hoffentlich ist es der letzte dieser Sorte. Du siehst wohl selbst, wie diese schamlosen Bengel Dich mißbrauchen. Der Mann ist total unheilbar, ebenso wie sein Freund Quarck - Quark sind sie beide -, und wenn sie zu Euch einschwenken und Ihr sie akzeptiert, so schwenke ich etwas ab. Wirst Du Dich denn nie überzeugen, daß dies halbgebildete Literatengesindel nur die Partei verfälschen und verhunzen kann? Nach Dir sollte auch Viereck nie in den Reichstag kommen! Das kleinbürgerliche Element in der Partei bekommt mehr und mehr Oberwasser. Der Name von Marx soll möglichst unterdrückt werden. Wenn das so vorangeht, so gibt es eine Spaltung in der Partei, darauf kannst Du Dich verlassen. Du schiebst alles darauf, daß die Herren Spießbürger vor den Kopf gestoßen seien. Aber es gibt Momente, wo das nötig, und wenn es nicht geschieht, werden sie zu übermütig. Soll denn der Abschnitt über den deutschen oder wahren Sozialismus1 nach 40 Jahren wieder anwendbar werden? Im übrigen geht's mir gut, ich habe aber höllisch viel zu tun und kann keine langen Briefe schreiben. Dein F.E.
280 149 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky • lO.Februar 1885
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
122, Regent's Park Road, N.W. _ ... London, 10. Febr. 1885 Dear Madam, Hiermit sende ich Mr. Putnams Brief zurück - natürlich wäre es ein schöner Erfolg, wenn wir das Buch1 in diesem Verlag herausbringen könnten -, aber ich fürchte, daß Mr. P[utman] seine Einwände aufrechterhalten wird, deren volle Berechtigung ich vom Standpunkt eines Verlegers ganz anerkenne. Vielleicht mag ihn die Tatsache, daß eine neue deutsche Ausgabe meines Werkes gegenwärtig vorbereitet wird, etwas in Bewegung bringen. Meine Freunde in Deutschland sagen, daß das Buch gerade jetzt für sie wichtig ist, weil es einen Stand der Dinge beschreibt, der augenblicklich in Deutschland nahezu genau reproduziert wird; und da die Entwicklung der Industrie, Dampfkraft und Maschinerie und deren gesellschaftliches Produkt, die Entstehung eines Proletariats in Amerika gegenwärtig weitgehend dem englischen Status von 1844 entspricht (obgleich Ihr vorwärtsdrängendes Volk sicherlich in den nächsten 15-20 Jahren die Alte Welt insgesamt überflügeln wird), so könnte der Vergleich des industriellen Englands von 1844 mit dem industriellen Amerika von 1885 auch von Interesse sein. Natürlich werde ich im neuen Vorwort zur englischen Übersetzung13781 so ausführlich, wie es der Raum gestattet, auf die in der Zwischenzeit eingetretenen Änderungen in der Lage der britischen Arbeiterklasse hinweisen, auf die verbesserte Lage einer mehr oder weniger privilegierten Minderheit, auf das gewiß nicht geringer gewordene Elend der großen Masse und besonders auf die drohende Verschlimmerung, die notwendig dem Zusammenbruch des englischen Industriemonopols auf Grund der wachsenden Konkurrenz des kontinentalen Europas und besonders Amerikas auf dem Weltmarkt folgen muß. , . Ihr sehr ergebener F. Engels Mrs. F. K. Wischnewetzky Aus dem Englischen. 1 Friedrich Engels: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England"
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, II.Februar 1885
Werter Herr, Ich werde Ihnen gern die Korrekturbogen des Bandes II schicken, sobald Sie mich wissen lassen, wohin ich sie „sous bände" (unter Kreuzband) oder im geschlossenen Umschlag als Brief senden soll.'3791 Tatsache ist, daß, wenn einer verlorengeht, er unmöglich ersetzt werden kann, solange das Werk nicht fertiggestellt ist. Bis zu Ihrer Antwort hoffe ich zwei oder drei Bogen für Sie parat zu haben. Ich danke Ihnen bestens für das Angebot, das Sie mir vor einiger Zeit gemacht haben, mir die Briefe von Mr. Williams1 an Sie zur Verfügung zu stellen. Augenblicklich beanspruchen die Manuskripte alle meine Zeit und Aufmerksamkeit, aber ich werde bestimmt noch dazu kommen, von Ihrem freundlichen Anerbieten Gebrauch zu machen. Haben Sie Nachrichten von unserem gemeinsamen Freund2 seit dem Unglück, das ihm vor einiger Zeit zugestoßen ist?'3801 Adressieren Sie bitte Ihre Briefe in Zukunft an die unten angegebene Adresse. Ihr sehr ergebener F. Roshert3811 Mrs. Rosher 6, Richmond Villas, Messina Avenue West Hampstead N. W. .London
Aus dem Englischen.
1 Pseudonym von Marx - 2 German Aiexandrowitsch Lopatin
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris
London, den 12. Febr. 1885
Mein lieber Lawrow, Ich beeile mich, Ihre Fragen zu beantworten.13821 Die Angaben über die „Neue Rheinische Zeitung, Revue", herausg. v. K.M[arx], Hamburg und London 1850, sind ganz in der Ordnung. Davon ist Heft11-VI erschienen. Der Verleger war Schuberth in Hamburg. Sie selbst haben mich vor einigen Monaten um Auskunft über die in dieser Revue erschienenen Artikel von Marx11611 gebeten, und zwar über die Februarrevolution und die darauffolgenden Ereignisse. Ich besitze nur 3 Lieferungen, und ich habe mich vergeblich bemüht, ein komplettes Exemplar davon zu erhalten. - Die anderen von Groß angegebenen Tatsachen stimmen ebenfalls, soweit ich mich erinnere (Tussy hat mein Exemplar, ich kann es nicht vergleichen). Ich habe selbstverständlich nichts gemein mit seiner stupiden Kritik an den Theorien von Mfarx]. Er war mir von Wiener Sozialisten empfohlen worden, stellte mir einige Fragen biographischen Charakters, und ich habe ihm die Tatsachen mitgeteilt. In der deutschen Übersetzung der „Misere" sind nur einige erklärende Bemerkungen von mir11071, aber dort ist auch ein 1865 verfaßter Artikel von Marx „Über Proudhon" und seine „Rede über die Frage des Freihandels" von 1847. Der 2. Band „Kapital" ist im Druck, gestern habe ich den 4. Bogen korrigiert. Das übrige Manuskript geht in 15 Tagen von hier weg. Der wichtigste wird der 3. Band sein, ich mache mich gleich daran, sobald der 2. endgültig fertig ist. - Die englische Ausgabe2 stockt, da beide Übersetzer3 zuviel andere Arbeit haben, um sich mit Eifer daranzumachen. Zum Sommer - hoffe ich - wird sie beendet sein. Man hatte mir schon gesagt, daß Ihnen die Augen weh tun; wäre es nicht besser, Ihre Arbeiten auf kurze Zeit zu unterbrechen, damit Sie die
1 In der Handschrift deutsch: Heft - 2 des ersten Bandes des „Kapitals" - 3 Samuel Moore und Edward Aveling
Augen nicht zu sehr anstrengen? Ich finde, daß es in unserem Alter immer besser ist, bei Krankheitssymptomen sofort etwas dagegen zu unternehmen. Hoffentlich können Sie mir bald bessere Neuigkeiten berichten. Im Vorwort zum 2.Band des „Kapitals" komme ich auf Rodbertus zu sprechen, um zu beweisen, daß seine Einwände gegen M[arx] auf einer völligen Ignoranz der klassischen politischen Ökonomie beruhen.4 Freundschaftlichst Ihr F. Engels (Oeßopt Oe^opuHt)
Aus dem Französischen.
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Engels an Karl Kautsky in London!383J
[London] 14. Febr. 1885
Lieber Kautsky, Ich vergaß vorgestern, Dich daran zu erinnern, daß wir Dich und Deine Frau Sonntag (morgen 15. er.) zum Essen erwarten wie gewöhnlich, d.h., wenn Ihr nichts Besseres zu tun habt, und seid Ihr hiermit ein für allemal gebeten, sonntags bei mir vorliebzunehmen. Dein F. Engels
Nach: Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky. Wien 1955.
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 22. Febr. 1885
Werter Herr Schlüter, Den Korrekturbogen des „Anti-Dühring" sehe ich gern entgegen: Die Sache mit Wigand1361 ist so: Daß keine Exemplare der „Lage" mehr zu haben sind, wurde bereits in Leipzig 1875 oder 76 konstatiert, und habe ich die Originalfaktura mit der Bemerkung: „die letzten Exemplare". Es kann aber nicht schaden, wenn es nochmals von andrer Seite festgestellt wird. Nun habe ich endlich ein juristisches Gutachten erhalten, wonach die Sache keineswegs so einfach ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Ich werde nun, da ich weiß, woran ich bin, das Weitere einleiten, und Ihnen Mitteilung machen, sobald ich eine positive Antwort von W[igand] habe, Schabelitz kenne ich seit vor 48, wo er hier in London und im kommunistischen Verein'1581 war. Wenn Sie ihn sehn, bitte ich, ihn von mir bestens zu grüßen. Ihre Aufklärungen wegen des angeblichen „Verbots" waren mir sehr erwünscht, sie sind sehr bezeichnend für, den deutschen Buchhandel.13841 Zu machen ist da freilich nichts, solange sich nicht ein Kommissionär findet, der Courage hat. Aber die Masse des BourgeoisPublikums kauft unsre Sachen nicht, und da zahlt sich die Courage nicht besonders. Solange die verbotnen Bücher nur radikal oder liberal waren, und selbst solange vor 48 der Kommunismus noch eine Sache war, mit der die Bourgeois kokettierten, war das anders. Das letzte Ms. des II.Buchs „Kapital" geht morgen fort; und übermorgen geht's ans III.Buch. Solange ich das noch auf dem Gewissen habe, kann ich an nichts andres ernstlich denken. Sagen Sie gefl. Ede, ich schreibe ihm, sobald ich einen freien Moment habe. Besten Gruß von Ihrem , , F.Engels
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Engels an Laura Lafargue in Paris
... ... . London, 8. März 1885 Meine liebe Laura, Unerwartet habe ich heute abend einige freie Minuten, und so setze ich mich hin, um Dir zu schreiben - in der Hoffnung, daß niemand auftauchen wird. Denn Abendbesuche werden in letzter Zeit immer häufiger, mehr als manchmal erwünscht ist, wenn man zu arbeiten hat. Und die diktierten Teile des „Kapitals"1 muß ich überprüfen, solange die Sache noch frisch im Gedächtnis und das Original greifbar ist, um Fehler zu korrigieren. Außerdem sind noch Übersetzungen zu revidieren (letzte Woche Teil einer dänischen Übersetzung meines „ Ursprung"2 - sehr ordentlich) und russischePamphlete zu entziffern (VeraSassulitsch hatmir eins vonPlechanow13861 übersandt, das gegen Lawrow und Tichomirow polemisiert, und möchte, daß ich ihr meine Meinung schreibe, auch sind diese russischen Streitigkeiten nicht uninteressant) und ähnliches, so daß ich außer den laufenden Kleinigkeiten monatelang keine Zeit gehabt habe, ein Buch zu lesen. Das 3.Buch „Kapital" wird immer großartiger, je tiefer ich eindringe, und ich bin erst (nachdem ich etwa 70 Seiten übersprungen habe, die durch ein späteres Manuskript mehr oder weniger überholt wurden), auf Seite 230 von 525 Seiten. Es ist kaum faßbar, wie ein Mann, der solche gewaltigen Entdeckungen, solch eine umfassende und vollständige wissenschaftliche Revolution im Kopf hatte, sie 20 Jahre bei sich behalten konnte. Denn das Manuskript, an dem ich arbeite, ist entweder vor oder gleichzeitig mit dem ersten Band geschrieben worden, und der wesentliche Teil davon ist bereits in dem alten Manuskript von 1860/62 enthalten.'1701 Tatsache ist, daß ihn erstens die Schwierigkeiten des 2. Buchs (das er zuletzt schrieb und mit dem er sich als einzigem noch nach 1870 beschäftigte) aufhielten, da er natürlich seine 3 Bände in richtiger Reihenfolge veröffentlichen wollte; und des weiteren hätte sein russisches und amerikanisches Material für die Theorie der Grundrente1471 in das alte Manuskript verarbeitet werden müssen, und das hätte wahrscheinlich seinen Umfang nahezu verdoppelt.
Hier trotten die zwei sozialistischen Organisationen13863 noch nebeneinander her ohne Reibereien, aber das Amt für Auswärtige Angelegenheiten wird sie wahrscheinlich aufeinanderhetzen. Du hast vielleicht in Nr.9 des „Sozialdemokrat" einen Brief von Varenholz gesehen, der von Hyndman diktiert war. Dieser ziemlich schnoddrige3 Erguß machte eine Erwiderung notwendig, die wir zusammengebraut haben und die, wenn möglich, in der nächsten Samstag-Ausgabe des „Soz[ial]dem[okrat]" erscheinen wird. Diesmal mußte Aveling natürlich rückhaltlos sprechen, und das ziemlich energisch, um Hyndmans Spiel ein für allemal ein Ende zu machen.13871 Kautsky, den Du, glaube ich, schon mal gesehen hast, ist mit seiner jungen Frau, einer Wienerin4, hier, ein nettes kleines Ding. Sie wollen sich vorläufig hier niederlassen - und in Maitland Park wohnen, nur wenig außerhalb des Crescent.[388] So gibt es immer eine Verbindung zur alten Stätte. Pumps und Percy geht es wie üblich. Sonntags findet sich jetzt hier eine große Runde, alles Kartenspieler, zusammen; einige spielen Whist, wenn 4 Partner da sind, die übrigen „Mariage" und „Nap", alles Spiele, die der noble Percy eingeführt hat. Seine Firma hatte einen Prozeß, den sie verlor; aber es ist nichts Ernstes, ich hoffe nur, daß dies des armen Percy unerschütterliches Vertrauen in die englische Gesetzgebung dämpfen wird. Den Kleinen geht es insgesamt sehr gut; Lilly ist sehr lieb und lustig. Sie hat ein sehr gutes Ohr und ein genaues Gedächtnis für des jurons5, und Du kannst sicher sein, daß sie genügend Gelegenheit findet, sie aufzuschnappen. Am Samstag6 gehen Nim und Tussy sowie Pumps nach Highgate.13891 Ich kann nicht mitgehen, immer noch wechselt es sehr mit meiner Beweglichkeit, und soeben habe ich einen kleinen Denkzettel bekommen, daß ich mich ruhig zu verhalten habe. Immerhin werde ich weiter an dem Buch arbeiten, das ihm ein Denkmal setzen wird, von ihm selbst geschaffen, und grandioser als irgendeins, das andere Menschen Mohr setzen könnten. Samstag sind es schon zwei Jahre! Und doch kann ich aufrichtig sagen, solange ich an seinem Buch arbeite, bin ich mit ihm verbunden, als ob er lebte. Das 2. Buch kommt gut voran. 13 Bogen korrigiert. Bitte sag Paul, er möchte mir sofort die Adresse schicken, unter der er an Dan[ielson] schreibt. Ich hatte einen Brief von ihm und möchte ihm die Korrekturbogen übersenden, aber ich bin mir wegen der Adresse nicht im klaren, die sich außerdem verändert haben kann.1379'
s in der Handschrift deutsch: schnoddrige - 4 Louise Kautsky - 6 Flüche -6 14. März
Was macht die Montceau-Brenin-Thevenin-Affäre?13901 Und hat der „Cri du P[euple]" seinen letzten Schrei getan? Amiti6s a Paul.7 In Zuneigung Dein F. Engels
Nim läßt grüßen!
Aus dem Englischen.
? Grüße an Paul.
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Engels an Richard Stegemann in Tübingen13911 (Entwurf)
[London] 26./3./85
Sehr geehrter Herr, Ich glaube kaum, daß ich imstande sein werde, Ihrem Wunsche zu entsprechen. Aus der gesamten nicht nur literarischen, sondern auch politischen Tätigkeit von M[arx] könnten Sie sich allerdings ein ziemlich klares Bild des Menschen M[arx] machen; diese Tätigkeit liegt nun zwar der Welt offen vor, aber grade nicht der deutschen Welt, da das Material dazu größtenteils im Ausland erschienen ist. Andrerseits müßte eine Charakteristik meinerseits notwendig kurz, also nicht nur mangelhaft, sondern auch i1 assertorisch und nebenbei „belletristisch" ausfallen, also schlimmer sein als gar keine. Zudem kann ich Ihnen doch nicht zumuten, daß Sie mir in meiner Beurteilung aufs Wort glauben, und wüßte so schließlich nicht, was aus dem Geschriebnen würde, selbst bei der unbezweifelten bona fides Ihrerseits. Wenn Sie aber von der Präsumtion ausgehn, daß M[arx] in allem und jedem das grade Gegenteil eines deutschen Philisters war, so können Sie nicht viel irren. Ob der Moment für eine Kritik von M[arx] grade jetzt vorhanden, wo das II.Buch des „Kapitals" in wenigen Monaten erscheint und das III. in Arbeit ist, müssen Sie entscheiden. Jedenfalls haben Sie recht darin, daß die Kritik und die sog. „Wissenschaft" bisher nur eine „allgemeine Urteilslosigkeit" an den Tag gelegt hat und damit niemand mehr erheitert hat als M[arx] selbst. Ich sehe ihn noch lachen über Herrn Schäffles Notseufzer daß er das „Kapital" nunmehr zehn Jahre studiert und noch nicht begriffen habe.13921
1 mehr oder weniger
19 Marx/Engels, Werlte, Bd. 36
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 2. April 85
Lieber Alter, Damit Du nicht glaubst, ich hätte Dich vergessen, habe ich Dir eine fünfpfündige Postanweisung herausgenommen und hoffe, Du erhältst das Geld sofort. Mir geht es soweit passabel, ich bin zwar noch nicht wieder kriegsdienstfähig und zweifle, ob ich werde je wieder ein Pferd besteigen können, aber für die Friedensarbeit bin ich noch flott da. Der zweite Band vom „Kapital" ist zu 2/s gedruckt und erscheint in ca. 2 Monaten, der dritte ist stark in Arbeit. Dieser dritte, der die abschließenden Resultate enthält, und zwar ganz brillante Sachen, wird die ganze Ökonomie endgültig umwälzen und enormen Lärm machen. Inzwischen kommt wieder etwas Leben in die Bude. Der Sturz Ferrys13931 macht den Anfang, Gladstone kommt dann an die Reihe, und sowie der Esel Wilhelm1 abkratzt, folgt Bismarck. Die günstigste Lage für uns ist, wenn im Moment der Revolution überall die radikalsten Elemente der Bourgeoisie am Ruder sind, Clemenceau in Frankreich, Dilke und Chamberlain hier und Richter in Deutschland, damit sie sich vorher selbst ruinieren und die Revolution gemacht wird gegen sie, nicht für sie. Dies scheint kommen zu wollen, wenn in Paris keine Übereilungen passieren. Wie unter dem Sozialistengesetz1381 nicht anders möglich, sind von unsern Leuten eine Anzahl rechter Philister in den Reichsteig geschickt worden und fangen an, sich zu fühlen, weil sie die Majorität der Fraktion13941 sind. Man muß nun abwarten, wie weit sie gehn, im Schlepptau kann man sie sich eine Zeitlang gefallenlassen, an der Spitze aber nicht. Sie wissen, daß sie die Massen nicht hinter sich haben, aber sie wissen auch, daß den Massen gegenwärtig sehr die Hände gebunden sind. Eins ist sicher. Bekommen sie Oberwasser, so mache ich nur bis zu einem gewissen Punkt mit, dann heißt's bon jour messieurs2. Leider kann ich wegen der Arbeitsüberhäufung nicht losgehn wie ich möchte, es ist aber vielleicht gut, den Herren ein biß
1 Wilhelm I. — 2 Abschied nehmen
chen Spielraum zu geben. Die Geschichte mit der Dampfersubvention13611 ist noch soeben glimpflich abgelaufen, nachdem einzelne sich arg blamiert. Jetzt wollen sie dem Züricher „Sozialdemokrat" an den Leib.t395J Da wird's schon ernsthafter. Denn es ist genug, daß man sich gefallen läßt, von den Herren im Reichstag blamiert zu werden, aber vor ganz Europa - das geht doch nicht an. Wäre Bebel gesund, so hätte das alles wenig zu sagen, aber er ist nervös, abgespannt und muß dabei arg für seine Familie arbeiten. Alles das aber wird ins Gleise kommen, wenn der alte Wilhelm absegelt. Der Kronprinz3 ist ein schwacher, unschlüssiger Bursche, ganz zum Geköpftwerden gemacht, seine Frau4 ehrgeizig, hat ihre eigne Clique, kurz, es wird allerhand Änderungen geben, die die alte Wirtschaft in Verwirrung bringen, die Beamten konfus und unsicher machen, und die Bourgeoisie wird gezwungen sein, endlich einmal wieder ein Stück von dem alten Kram niederzureißen und eine politische Rolle zu spielen, wie das ihre verdammte Schuldigkeit. Nur wieder Leben in die innere politische Bude, weiter brauchen wir nichts. Aber die lausige Bourgeoisie ist so herunter, daß sie das, was sie als Klasse in ihrem eignen Interesse freiwillig tun sollte, nur gezwungen tut, gezwungen durch ihr aufgenötigte geschichtliche Umstände. Und solange der alte Esel lebt, wird sie nicht dazu gezwungen, sich zu bewegen, und deswegen hoffe ich, daß er abkratzt und das eines natürlichen Todes, damit der Nachfolger frei ist in der Wahl, welche Dummheit er zuerst machen will. Und mit diesem frommen Wunsch will ich infolge herannahenden Postschlusses schließen. Borkheim war im Winter etwas unwohler, ist aber jetzt wieder besser, d.h. in seinem gewöhnlichen Zustand. Brudergruß. Dein älter F.E.
8 Friedrich Wilhelm - 4 Victoria (älteste Tochter der britischen Königin Victoria)
19'
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Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
London, 4. April 85
Lieber Bebel, Da Du jetzt grade zu Hause bist, so will ich - indem ich mir auch einige Ferien gemacht - den Moment benutzen, Dir ein Lebenszeichen zu geben. Die Herren von der Fraktionsmajorität wollen sich also doch als „Macht" konstituieren, nach ihrer Erklärung im heutigen „Sozialdemokrat]" zu urteilen.'3961 Der Versuch als solcher ist schwach, es ist im Grund ein selbstausgestelltes Armutszeugnis: wir ärgern uns über die Haltung des Blatts, sie widerspricht der unsrigen, wir sollen verantwortlich sein für das Gegenteil unsrer Meinung, und wir wissen doch nicht, wie dem abzuhelfen - man bedaure uns! - Aber es ist zugleich ihr erster Schritt zur Konstituierung des kleinbürgerlichen Elements als des herrschenden, offiziellen in der Partei und zur Zurückdrängung des proletarischen zu einem nur geduldeten. Wie weit sie auf diesem Wege sich vorwärtsriskieren wollen, bleibt abzuwarten. Bemächtigen sie sich des „Sozialdemokrat]", so wird es mir unmöglich, fernerhin die Partei im Ausland so unbedingt durch dick und dünn zu verteidigen wie bisher. Und ihre Untersuchungskommission scheint gewisse Gelüste nach Besitz des Organs zu verraten. Übrigens scheint der Hauptärger der zu sein, daß man sie schließlich doch gezwungen hat, gegen die Dampfervorlage zu stimmen, an der sie im Innersten der Seele hingen. Im übrigen geht's in der Welt recht hübsch voran. Das Jahr 85 läßt sich vortrefflich an. In Frankreich Sturz Ferrys, Zusammenbruch der von Börsenspekulanten geleiteten Kolonialpolitik13931, Neuwahlen nach neuem Wahlgesetz'3961 bevorstehend. Dabei in Paris eine durch die Raubgier und Inkapazität der herrschenden Bourgeoisie provozierte und durch die Infamien der Polizei (der man alles erlaubt, jede Gemeinheit, vorausgesetzt, daß sie nur die Massen im Zaum hält) auf die Spitze getriebne Erregung, die sich hoffentlich nicht bis zu Putschen steigern wird. Verläuft die Sache ruhig, so muß in nicht zu langer Zeit der Radikalismus, d. h. Clemenceau, ans Ruder kommen. Kommt er nicht infolge einer Erneute, sondern fried
lieh zur Macht, so daß er gezwungen ist, seine Versprechungen zu halten und seine radikale Panacee1 in Praxis zu setzen, so sind die Pariser Arbeiter bald von ihrem Glauben an den Radikalismus kuriert. Nun kommen auch die Neuwahlen nach neuem Wahlgesetz und so kommt doch wieder Bewegung in den Sumpf. In England ditto Neuwahlen nach neuem Wahlgesetz'3121 und ein vollständig abgelebtes Ministerium'3971. Und in Deutschland der Thronwechsel, der jeden Tag kommen kann und der in einem so dick voll Traditionen steckendem Land wie Preußen-Deutschland immer der Anfang einer neuen Periode der Bewegung ist. Kurz, es kommt überall Leben in die Bude und zwar auf der ökonomischen Grundlage einer allgemeinen, unheilbaren und sich zu einem akuten Krach allmählich zuspitzenden Überproduktion. Eben kommt Kautsky mit einem langen Brief Edes über seinen Konflikt mit der Fraktion. Ich habe Kfautsky] gesagt, nach meiner Ansicht habe Ede im Blatt auch die Pflicht, die Masse der Partei zu Wort kommen zu lassen, was die Fraktion kein Recht hat zu verhindern. Stellt er sich auf diesen Standpunkt, so kann ihm die Fraktion nichts anhaben. Zweitens solle er sich nicht von der Fraktion dahin drängen lassen, die Kabinettsfrage zu stellen, die Leute wollen ihn ja grade los sein, und damit tut er ihnen den größten Gefallen. Drittens soll er nicht die Verantwortlichkeit für andrer Leute Artikel auf sich nehmen, ohne das Recht zu haben, sie zu nennen. Du weißt, wen ich meine und wer die meisten Artikel in der Dampfergeschichte geschrieben, worüber die Majorität so wütend und die Ede auf sich genommen zu haben scheint.'398' Den Kampf mit der kleinbürgerlichen Sektion hat er ja schon lange führen müssen, dieser hat jetzt nur eine andre Gestalt angenommen, die Sache ist dieselbe. Und ich glaube mit Dir, daß die Herren nicht es zum Äußersten treiben werden, sosehr sie die Position ausnützen wollen, die ihnen das Sozialistengesetz'331 gibt, wo ihre Wähler sich nicht offiziell und authentisch gegen und über sie erklären können. Die Sache würde meiner Ansicht nach glatter verlaufen, wenn der „Sfozialdemokrat]" aufhörte, den amtlichen Charakter zu tragen, den man ihm angehängt. Das war seinerzeit ganz gut, kann aber jetzt nichts mehr nutzen. Ob das, und wie, zu machen, weißt Du besser als ich. Vom „Kapital" Buch II sind 25 Bogen (von 38) gedruckt. Das Buch III ist in Arbeit. Es ist ganz ausgezeichnet brillant. Diese Umwälzung der alten Ökonomie ist wirklich unerhört. Erst hierdurch erhält unsre Theorie eine unerschütterliche Basis und werden wir befähigt, nach allen Seiten
1 Allheilmittel
siegreich Front zu machen. Sowie das erscheint, wird auch die Spießbürgerei in der Partei wieder einen Schlag bekommen, woran sie denken wird. Denn damit treten die ökonomischen Generalfragen wieder in den Vordergrund der Debatte. Postschluß. Schicke ich nicht fort, geht's nicht ab vor Montag und trifft Dich vielleicht nicht mehr zu Hause. Also herzlichen Gruß, halt Dich gesund und schone Dich, wir brauchen nicht nur einen Bebel, sondern auch einen gesunden und starken Bebel. Dein F.E.
158
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento13991
122, Regent's Park Road, N.W. London, 11. Apr. 1885
Hochverehrter Herr, Ich schreibe Ihnen diese wenigen Zeilen, um Ihnen nur zu sagen, daß ich die Übersetzung erhalten habe und mich mit ihr befasse. Ich Hoffe sie Ihnen mit meinen Bemerkungen und Anregungen in zehn oder fünfzehn Tagen zurückschicken zu können. Was ich bisher lesen konnte, scheint mir sehr gut gelungen. Ihnen herzlichst dankend, verbleibe ich Ihr ergebenster F. Engels
Aus dem Italienischen.
159
Engels an Karl Kautsky in London
[London] 16. April 1885
Lieber Kautsky, Lenchen hat einige Bronchitis, und der Doktor hat sie zu Bett kommandiert - unser übliches Essen am Sonntag muß also leider ausfallen. Hoffentlich hat Deine Frau endlich ihre Kopfschmerzen verloren. Besten Gruß. Dein F. Engels
160
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 16. April 85
Meine liehe Laura, Seit ich Dir zuletzt schrieb, ist mir eingefallen, daß man hinsichtlich der russischen Freunde Lawrows etwas unternehmen könnte, wenn sie bereit wären, etwas Geld für die vorläufigen Unkosten zu riskieren. 1. Wenn der Mann in London gestorben ist und Tag und Ort seines Todes annähernd bekannt sind, könnten diese Details es jemandem ermöglichen, die amtliche Sterbeurkunde aufzuspüren. 2. Hat man die, dann wird es leicht sein, sich beim Erbschaftsgericht zu vergewissern, ob ein beglaubigtes Testament vorhanden war, oder ob jemand, und wer, sich Erbberechtigungspapiere verschafft und das Gold angeeignet hat, das der Mann angeblich hinterlassen haben soll. Jedenfalls wären dies die ersten zwei Schritte, die unternommen werden müßten; dann wären die interessierten Parteien in der Lage, besser beurteilen zu können, ob es sich lohnt, die Sache weiter zu verfolgen. Ich glaube, man könnte Percy mit diesen Voruntersuchungen der Angelegenheit betrauen, und ich würde darauf achten, daß seine Gebühren nicht höher sind als üblich. Sie würden natürlich davon abhängen, welche Mühe er aufwenden muß. Wie steht es um die Sehkraft des armen alten Lawrow? es muß schrecklich für ihn sein, daß er der Möglichkeit beraubt ist, seine Bücher zu lesen. Hier ist noch ein Kranker: der alte Harney hat sich seit Juli vorigen Jahres in ganz England und Schottland herumgetrieben, und überall wurde er von Gelenkrheumatismus und schlechtem Wetter verfolgt - jetzt ist er endlich in London aufgetaucht. Er hat alle möglichen ziemlich quacksalberischen Behandlungen durchgemacht - türkische Bäder, Solbäder, magnetische Gürtel usw. - alle natürlich ohne Ergebnis; nun hat er sich erneut in die Hände eines inserierenden „Spezialisten" begeben, der die HarnsäureGicht-Theorie (die an sich ganz richtig ist) in einer, wie mir scheint, äußerst quacksalberischen Weise ausbeutet. Ich will jedoch das Beste hoffen, der arme alte Bursche hat es sehr nötig. Er ist zittrig genug in den Armen, Händen,
Beinen und Füßen, und natürlich sehr abgemagert durch die Behandlung, die er durchgemacht hat. Ich habe ihn heute nachmittag gesehen (er wohnt irgendwo in der Nähe von Brecknock) und redet nur von seinen Leiden, wenn auch ab und zu mit einem Anflug seines früheren trockenen Humors. Seine Behandlung hat ihn natürlich eine Unmenge Geld gekostet, und er scheint große Bange davor zu haben, nach Amerika zurückkehren zu müssen. Aus alledem ersiehst Du, wie sehr acht Monate unaufhörlicher Schmerzen und das allmähliche Dahinschwinden der Hoffnung auf Erleichterung den alten Burschen heruntergebracht haben. Ich hoffe, das Frühlingswetter, das doch irgendwann einmal kommen muß, wird ihm zumindest etwas Erleichterung bringen. Heute geht es nur um Kranke. Tussy hat Dich wahrscheinlich darüber informiert, daß Edward vor etwa 10 Tagen erkrankt ist und daß Donkin sagt, es handle sich um einen Nierenstein - er ist jetzt in Ventnor und die Ruhe wird - so hoffen wir - die Reizung beheben. Natürlich laufen sehr viele Menschen mit solch einem Ding in ihren Nieren herum, aber es ist sicher nicht angenehm. Um den nächsten Kranken steht es nicht so schlimm: es ist Nim, sie war stark erkältet, und da man sie nicht von der Küche fernhalten konnte, ging die Erkältung in eine - bisher leichte - Bronchitis über. Heute habe ich sie jedoch dazu gebracht, den Arzt zu konsultieren, der ihr sagte, das beste Mittel, alles sofort zu überwinden, sei, sich ins Bett zu legen; das haben wir nun also erreicht, sie liegt im geheizten Zimmer, 64 Grad Fahrenheit, und wir hoffen, sie wird am Montag wieder aufstehen können. So, jetzt ist meine Krankenliste zu Ende, es ist die längste seit geraumer Zeit, ein sehr angenehmes Thema für einen Brief und noch angenehmer für den Leser! Pauls Artikel für Kautsky kommt deutsch in „Die Neue Zeit" und englisch in die nächste Nummer des „ Common weal".'4001 Ich weiß nicht, ob Du diesen regelmäßig erhältst. Die geschäftliche Verwaltung ist wie immer schrecklich unordentlich, alles lastet auf Edwards Schultern, und da er nicht jede Kleinigkeit überwachen kann, weiß niemand, ob die Zeitung wirklich an all die Leute im Ausland geschickt wird, die sie bekommen sollten. Die ganze Socialist League13683 ist jetzt in großer Aufregung wegen der afghanischen Panik'4011 - sie sehen nicht nur Krieg, sondern England geschlagen, Indien in Aufruhr und schließlich Revolution im eigenen Land, und als Sieger den Sozialismus - Hurra! Der arme Bax war im Begriff, in diesem Sinn zu schreiben, aber Tussy riet ihm, lieber noch mit mir darüber zu reden, und ich habe mein Bestes getan, um ihn ein wenig zu beruhigen.
Sooft ein Engländer sich vom Hurrapatriotismus gründlich frei gemacht hat, scheint er einen ausgesprochenen Haß auf seine eigene Nationalität zu entwickeln. Das ist keine so schlechte Eigenschaft, nur ziemlich fehl am Platze, wenn es um einen Krieg gegen den russischen Zaren geht. Die Socialist League wird England noch nicht in Flammen setzen, aber den russischen Nihilisten könnte das mit Rußland gelingen - mit Hilfe eines erfolglosen Krieges. Du wirst die stupide Erklärung der deutschen Abgeordneten im „Sozialdemokrat" 13951 gesehen haben. Das kleinbürgerliche Element hat unter den Abgeordneten entschieden die Majorität, wie ich von Anfang an befürchtete. Daran ist das Sozialistengesetz'33' schuld, das ihnen außergewöhnlich günstige Möglichkeiten verschafft, ihre Kandidaturen in den Vordergrund zu rücken. Aber sie werden ihren Fehler bald einsehen, wenn sie es nicht schon getan haben. Ich bin ganz froh, daß sie so bald und auf so dumme Weise zeigen, wie sie sind. Die Trennung von diesem Element, das hauptsächlich von Freund Liebknecht gefördert und umschmeichelt worden ist - natürlich mit den besten Absichten, wie üblich - wird kommen, aber ich möchte sie nicht herausfordern, solange das Sozialistengesetz in Kraft ist, weil es uns daran hindert, die Sache durchzukämpfen. Es gibt diesen Leuten einen gewissen Vorteil, aber damit müssen wir uns vorläufig abfinden. Und ich glaube nicht, daß sie die Dinge zu einer Krise treiben werden. Nun ein Wort an Paul.'402' Zweifellos ist lex1 abgeleitet von legere2 und vofxoi;3 von vefxo4, und so kann ein gewisser Zusammenhang zwischen landwirtschaftlichen und politischen Termini hergestellt werden. Das kann auch gar nicht anders sein. Die ersten gesellschaftlichen Verfügungen, die in Kraft traten, bezogen sich notwendigerweise auf die Produktion und die Mittel zur Erlangung des Lebensunterhalts. Daß dies durch die Entwicklung der Sprache bestätigt wird, - rien de plus naturel5. Aber jetzt weiterzugehen und die Ableitung von legere und vefxo in ein vollständiges System zu bringen, kann zu nichts anderem als zu phantastischen Ergebnissen führen - und sei es auch nur, weil wir nicht wissen, zu welcher Zeit jede einzelne Ableitung gebildet wurde, und noch weniger, zu welcher Zeit sie die Bedeutung erlangte, in der sie uns überliefert ist. Und überdies sind alte Etymologen wie Vico schlechte Ratgeber; ilex6 hat die Wurzel il und nichts mit lex zu tun. Etymologie muß wie Physiologie und jede andere -ologie erlernt, sie kann nicht erdacht werden. Und das führt mich zu den Roshers.
1 Gesetz - 2 sammeln - 3 Gesetz, urspr. Weide - 4 ich treibe auf die Weide - 6 nichts ist natürlicher - 6 Eichel
Du erinnerst Dich, daß Charley sich mit einem neuen Eisenbahnwaggon befaßte, durch den man im Falle eines Zusammenstoßes auf neue Weise zerquetscht werden könnte. Nun, das ist geplatzt. Aber Charleys jüngere Brüder (einer 20, der andere 18) haben einen neuen Waggon erfunden, ihn patentieren lassen, und der alte R[osher] scheint nicht sehr abgeneigt, sich für dieses Ding einzusetzen! Was für eine geniale Familie! Sur ce7 schließe ich. Beste Grüße an Paul - hoffentlich „das nächste Mal bessere Nachrichten". In Zuneigung Dein F.E.
17. April. Der Arzt war hier. Nim geht es besser, und sie kann in ein paar Tagen aufstehen.
Aus dem Englischen.
7 Hiermit
161
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 23. April 1885
Werter Herr, Ich erhielt Ihren freundlichen Brief vom 9. (21.) vergangenen Monats und danke Ihnen vielmals für die darin enthaltenen sehr interessanten Informationen.14031 Daß das Gesetz, wonach die Löhne in umgekehrter Proportion zur Länge der Arbeitszeit stehen, sich auch in Rußland bewahrheitet, ist tatsächlich sehr interessant. Ebenso die rasche Auflösung des Mi.pi>1 durch den Fortschritt der modernen Industrie und Geldwirtschaft, wie das die wachsende Zahl der 6eaxo3HHCTBeHHHe X08HeBa2 zeigt. Alle diese Tatsachen sind für mich von größter Wichtigkeit, und ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir von Zeit zu Zeit mitteilten, was Sie über die ökonomische Lage und Entwicklung Ihres großen Landes wissen. Leider ist meine ganze Zeit augenblicklich mit der Herausgabe der Manuskripte so in Anspruch genommen, daß ich nicht nur davon unabhängige Arbeiten, sondern sogar meine Studien unterbrechen muß und kaum Zeit für Korrespondenz finde; Sie sehen also, ich kann Ihr freundliches Angebot, mir russische Originalschriften über ökonomische Fragen zuzusenden, im Augenblick nicht annehmen, da ich wirklich keine Zeit hätte, von ihnen Gebrauch zu machen. Aber ich hoffe, Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich mir bei der nächsten Gelegenheit erlauben werde, Sie an Ihr freundliches Versprechen zu erinnern. Vorläufig jedoch sind diese unschätzbaren Manuskripte für mich eine Quelle von höchstem wissenschaftlichen Genuß3, und Ihnen wird es bei den Bogen13791 sicherlich genauso ergehen. Ich sandte Ihnen von diesen vor ungefähr 3 Wochen, 27. März, Bogen 5-9 und gestern 10-14. In Kürze werde ich noch weitere schicken, immer eingeschrieben. Der ganze Band II wird ungefähr 37 Bogen umfassen und Ende Mai herauskommen. Jetzt beschäftige ich mich mit Nr. III, der der abschließende und krönende Teil ist und Nr. I noch in den Schatten stellen wird. Ich diktiere aus dem Original, das für jeden anderen Sterb
1 der Dorfgemeinde - 2 landlosen Bauernwirtschaften - 3 in der Handschrift deutsch: Genuß
liehen außer für mich absolut unleseilich ist, und werde nicht eher ruhen, bis der ganze Text abgeschrieben ist, so daß er auf alle Fälle auch für andere leserlich sein wird. Erst dann kann ich mir die Zeit für die endgültige Redaktion nehmen, was bei dem unvollendeten Zustand des Originals keine leichte Aufgabe sein wird. Wie dem auch sei, selbst wenn es mir nicht vergönnt sein sollte, das fertigzustellen, so würde das Werk auf jeden Fall vor dem gänzlichen Verlust bewahrt sein und könnte im Notfall so publiziert werden, wie es ist. Dieser III. Band ist das verblüffendste, was ich je gelesen habe, und es ist tausendmal schade, daß der Verfasser nicht mehr dazu kam, ihn auszuarbeiten, ihn selbst zu veröffentlichen und die Wirkung zu beobachten, die er unweigerlich auslösen wird. Nach einer derart klaren Darlegung sind direkte Einwände nicht mehr möglich. Die schwierigsten Fragen werden mit Leichtigkeit erklärt und entwirrt, als ob es sich um ein Kinderspiel handelte, und das ganze System erhält einen neuen und einfachen Aspekt. Ich fürchte, Nr. III wird zwei Bände werden. Außerdem habe ich noch ein altes Manuskript, welches die Geschichte der Theorie behandelt1170' und ebenfalls noch ein gutes Stück Arbeit erfordern wird. Sie sehen also, ich habe alle Hände voll zu tun. Ihr sehr ergebener P. W.Rosherim]
Aus dem Englischen.
162 Engels an Vera Iwanowna Sassulitsch in Genf14041
London, den 23. April 1885
Werte Bürgerin, Ich schulde Ihnen noch die Antwort auf Ihren Brief vom 14. Februar. Hier die Ursachen der Verzögerung, die ihre Wurzel bestimmt nicht in meiner Faulheit haben. Sie haben mich nach meiner Meinung über Plechanows Buch „Hamii pa3HOrjiacifl" gefragt.13851 Dazu müßte ich es gelesen haben. Ich lese Russisch ziemlich mühelos, wenn ich mich eine Woche lang damit beschäftigt habe. Aber manchmal kann ich das ein halbes Jahr lang nicht, dann verliere ich die Übung und bin gezwungen, es gewissermaßen von neuem zu lernen. So ist es mir mit den ,,Pa3HOrji[acifl]" ergangen. - Die Manuskripte von Marx, die ich einem Sekretär1 diktiere, beschäftigen mich den ganzen Tag über; abends kommen Leute, die man schließlich auch nicht hinauswerfen kann; Korrekturbogen müssen gelesen, viel Korrespondenz erledigt werden, und schließlich gibt es auch noch Übersetzungen (italienische, dänische uws.) meines „Ursprung usw."2, die man mich durchzusehen bittet und deren Durchsicht mitunter weder überflüssig noch leicht ist. Nun, alle diese Unterbrechungen haben mich gehindert, weiter als bis auf Seite 60 der ,,PasHorji[acia]" zu kommen. Wenn ich drei Tage für mich hätte, wäre die Sache erledigt, und ich hätte außerdem noch meine russischen Kenntnisse aufgefrischt. Indessen genügt, denke ich, das Wenige, was ich von dem Buch gelesen habe, mich mehr oder weniger mit den Meinungsverschiedenheiten3 vertraut zu machen, um die es sich handelt. Vorerst wiederhole ich Ihnen, daß ich stolz darauf bin zu wissen, daß es unter der russischen Jugend eine Partei gibt, die sich offen und ohne Umschweife zu den großen ökonomischen und historischen Theorien von Marx bekennt und entschieden mit allen anarchistischen und den, wenn
1 Oskar Eisengarten - 2 „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" 3 im Entwurf an dieser Stelle gestrichen: zwischen Ihrer Fraktion und den Narodowolzen
auch wenigen, slawophilen Traditionen ihrer Vorgänger gebrochen hat.14051 Und Marx selbst wäre ebenso stolz darauf gewesen, wenn er noch etwas länger gelebt hätte. Das ist ein Fortschritt, der von großer Bedeutung für die revolutionäre Entwicklung Rußlands sein wird. Die historische Theorie von Marx ist nach meiner Meinung die Grundbedingung jeder zusammenhängenden und konsequenten revolutionären Taktik; um diese Taktik zu finden, braucht man nur die Theorie auf die ökonomischen und politischen Verhältnisse des betreffenden Landes anzuwenden. Aber dazu muß man diese Verhältnisse kennen; und was mich betrifft, so weiß ich zu wenig von der gegenwärtigen Lage in Rußland, um mir die Kompetenz anzumaßen, die Einzelheiten der Taktik zu beurteilen, die dort in einem gegebenen Moment erforderlich ist. Außerdem ist mir die innere und geheime Geschichte der russischen revolutionären Partei, besonders die der letzten Jahre, fast völlig unbekannt. Meine Freunde unter den Narodowolzen haben darüber niemals mit mir gesprochen. Und das ist eine unerläßliche Bedingung, um sich eine Meinung zu bilden. Das, was ich über die Lage in Rußland weiß oder zu wissen glaube, veranlaßt mich anzunehmen, daß man sich dort seinem 1789 nähert. Die Revolution muß zu gegebener Zeit ausbrechen; sie foinn jeden Tag ausbrechen. Unter diesen Umständen ist das Land wie eine geladene Mine, an die man nur noch die Lunte zu legen braucht. Besonders seit dem 13. März.'406' Dies ist einer der Ausnahmefälle, in denen es einer Handvoll Leute möglich ist, eine Revolution zu machen, d.h. durch einen kleinen Anstoß ein ganzes System zu stürzen, dessen Gleichgewicht mehr als labil ist (um mich der Metapher4 Plechanows zu bedienen), und durch einen an sich unbedeutenden Akt Explosivkräfte freizusetzen, die dann nicht mehr zu zähmen sind. Nun, wenn jemals der Blanquismus - die Phantasie, eine ganze Gesellschaft durch die Aktion einer kleinen Verschwörergruppe umzuwälzen - eine gewisse Daseinsberechtigung gehabt hat, dann sicherlich in Petersburg5. Einmal das Feuer ans Pulver gelegt, einmal die Kräfte befreit und die nationale Energie aus potentieller in kinetische transformiert (noch ein Lieblingsbild Plechanows, und ein sehr gutes) -, so werden die Männer, die das Feuer an die Mine gelegt haben, durch die Explosion fortgerissen werden, die tausendmal stärker sein wird als sie und sich ihren Ausweg suchen wird, wie sie kann, wie die ökonomischen Kräfte und Widerstände entscheiden werden.
4 im Entwurf an dieser Stelle gestrichen: Lieblingsmetapher - 6 im Entwurf an dieser Stelle gestrichen: ich sage nicht in Rußland, denn in der Provinz, weit entfernt vom Regierungszentrum, kann ein solcher Schlag nicht geführt werden
Erste Seite des Briefes von Engels an V. I. Sassulitsch vom 23. April 1885
20 Marx/Endels, Werke. Bd. 3(i

Nehmen wir an, diese Leute bilden sich ein, die Macht ergreifen zu können, was schadet das? Wenn sie nur das Loch bohren, das den Deich zerreißen wird, der Strom selbst wird sie bald über ihre Illusionen aufklären. Aber wenn diese Illusionen zufällig bewirkten, ihnen überlegene Willensstärke zu verleihen, warum sich darüber grämen? Die Leute, die sich rühmten, eine Revolution gemacht zu haben, haben noch immer am Tag darauf gesehen, daß sie nicht wußten, was sie taten, daß die gemachte Revolution jener, die sie machen wollten, durchaus nicht ähnlich sah. Hegel nennt das die Ironie der Geschichte14071, eine Ironie, der wenige historische /J'fjHTeJiH6 entgehen7. Nehmen Sie nur Bismarck, den Revolutionär wider Willen, und Gladstone, der schließlich mit seinem angebeteten Zaren8 aneinander geraten ist. Die Hauptsache ist meiner Meinung nach, daß der Anstoß in Rußland gegeben wird, daß die Revolution ausbricht. Ob nun diese oder jene Fraktion das Signal gibt, ob es unter dieser oder jener Fahne geschieht, interessiert mich nicht. Wäre es eine9 Palastrevolution - sie würde am Tage darauf hinweggefegt werden. Da, wo die Lage so gespannt ist, wo sich die revolutionären Elemente in einem solchen Grade angesammelt haben, wo die ökonomische Lage der ungeheuren Masse des Volkes von Tag zu Tag unmöglicher wird, wo alle Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung vertreten sind, von der Urgemeinschaft bis zur modernen Großindustrie und Hochfinanz, und wo alle diese Widersprüche gewaltsam zusammengehalten werden durch einen Despotismus ohnegleichen, einen Despotismus, der immer unerträglicher wird für eine Jugend, die in sich die nationale Intelligenz und Würde vereint - wenn dort das 1789 einmal begonnen hat, wird das 1793 nicht auf sich warten lassen. Ich verabschiede mich, liebe Bürgerin. Es ist halb drei Uhr früh, und ich werde morgen vor Abgang der Post keine Zeit mehr haben, etwas hinzuzufügen. Schreiben Sie mir russisch, wenn Sie es vorziehen, aber bitte vergessen Sie nicht, daß geschriebene russische Buchstaben etwas sind, was ich nicht alle Tage lese. Ihr ganz ergebener F. Engels
Aus dem Französischen.
6 Persönlichkeiten - 7 im Entwurf folgt an dieser Stelle der gestrichene Satz: Vielleicht wird es uns allen so gehen. - 8 Alexander III. -9 im Entwurf folgen an dieser Stelle die gestrichenen Worte: Clique von Adligen oder Börsenspekulanten, sie seien willkommen bis ...
163
Engels an Richard Stegemann in Tübingen (Entwurf)
[London] 5. Mai 85
Sehr geehrter Herr, Ich kann nach reiflicher Überlegung unbedingt nicht auf Ihren Wunsch eingehn.14081 Entweder ist die gewünschte Arbeit kurz, und dann kann sie nur Beteuerungen meinerseits enthalten und dann bleibt sie assertorisch und belletristisch. Oder ich muß Belege bringen, und dann wird's ein Buch, und das kann Ihnen nicht dienen, und das kann ich auch nicht so nebenbei und gelegentlich schreiben, dazu ist mein Material viel zu massenhaft. Außerdem hat es doch auch sein Bedenken, mich zum mehr oder weniger moralisch verantwortlichen Mitherausgeber eines Werks zu machen, das ich nur aus Ihrer kurzen Beschreibung kenne. Zudem wäre die Sache - innerhalb des zulässigen Raums - ganz nutzlos. Meine stärksten Versicherungen würden den halbgebildeten Biedermeier, gegen diesen Voreingenommenheit Sie wirken wollen, äußerst kühl lassen. Die Leute, die sagen, Mfarx] „wäre freundlos gestorben", müssen doch vor allem glauben, ich existiere überhaupt nicht. Und da sollten Beteurungen meinerseits eine Zauberwirkung ausüben? Die alten, von der vulgär-demokratischen Emigration von 1850-59 erfundnen und vom bezahlten bonapartistischen Agenten Karl Vogt - il lui a 6te remis en 1859 - frs. 40000, sagen die Tuilerienpapiere14091 - weiter ausgesponnenen Ammenmärchen sind in Ihrer Gegend vielleicht mehr im Schwang als sonstwo, weil die schwäbische Volkspartei14101 die direkte Erbin jener Emigrationsdemokratie ist und dieser und jener der Führer ein Intimus des besagten Vogt. Da nun Mfarx] im „Herr Vogt" das alles schon erledigt, liegt kein Grund für mich vor, grade jetzt noch einmal darauf zurückzukommen. Es ist über Marx so enorm viel gelogen worden, ohne daß er es der Mühe wert hielt, darauf zu antworten. Die Zeit kommt vielleicht, wo es für mich nötig wird, dies für ihn zu tun, aber da wird es meine Sache sein,
Zeit, Ort, und Modus operandi zu wählen. Und dann wird's eben wieder heißen, ich wäre auch „gemütlos". Jedenfalls habe ich in diesem Augenblick nicht die Zeit, in dieser Richtung jetzt etwas zu tun, was dem Zweck entspräche und meinen eignen Anforderungen an eine solche Arbeit genügte. Meine ganze Zeit ist in Anspruch genommen mit der Herausgabe der Manuskripte von M[arx], und ich handle unbedingt in seinem Sinn, wenn ich dieser Pflicht gegenüber alles Philistergekrächze mit Verachtung behandle. Hochachtungsvoll] und ergfebenst]
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
[London, vor dem 15. Mai 1885]
L. E., Dank, Brief von August1: in der Fraktion, deren Kompetenz Afugust] ablehnte, nach 3tägiger Debatte einstimmig beschlossen, daß der persönliche Streit fallengelassen, der sachliche bis nach der Reichstagssitzung vertagt werden soll, womit A[ugust] einverstanden war. Also die Nachricht von einer Niederlage falsch, wir haben auf der ganzen Linie gesiegt.
Dein F.E.
1 August Bebel
165
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 15. Mai 85
Lieber Ede, Ich muß Dir doch auch mal wieder ein paar Zeilen schreiben, Du wirst mir sonst gar zu melancholisch. Du und Kautsky, Ihr scheint Euch gegenseitig soviel Trübsal zuzublasen, daß man ein ganzes Konzert in Moll davon machen könnte, es ist ganz wie die Posaune bei Wagner, die auch immer loslegt, wenn irgendein Pech passiert. Ihr vergeßt immer, wenn eine schlechte Nachricht eintrifft, das alte Sprichwort: es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Eindruck der ganzen Kollision zwischen „Fraktion und Redaktion" ist also allgemein und unvermeidlich der, daß die Fraktion sich blamiert hat. Und wenn die Fraktion darauf bestehn sollte, dies noch einmal zu tun, so muß man das nicht verhindern. Hättest Du das erste Reskript14111 gleich nach Verlangen abgedruckt, so war sie erst recht blamiert, und der „Entrüstungssturm" kam von allen Ecken. Das war allerdings nicht gut im ersten Augenblick von Dir zu verlangen, aber es ist nicht minder sicher, daß wir kein Interesse daran haben, die Fraktion daran zu hindern, daß sie sich zeigt, wie sie ist. Wie die Sachen stehn, stehn jetzt „Fraktion und Redaktion" sich als gleichberechtigte Mächte gegenüber - vor dem Publikum - das ist das Resultat der letzten langen Kompromißerklärung14121 und man kann Weiteres abwarten. Ich hatte Singer hier am Sonntag1 und schnitt alle seine Redensarten kurz ab: die erste Erklärung der Fraktion, sagte er, sei nicht so sehr gegen die Artikel im Blatt13981 gewesen, als gegen den (angeblich) versuchten Versuch, einen Entrüstungssturm gegen die Fraktion zu erregen. Das, sagte ich, kann das Publikum nicht wissen. Wenn Sie eine öffentliche Erklärung machen, so kann sie sich nur auf öffentlich vorliegende Tatsachen beziehn. Schlagen Sie aber aufs Blatt los wegen Sachen, die gar nicht im Blatt gestanden haben, so sagt das Publikum mit Recht: Was wollen die Herren
anders als die freie Meinungsäußerung unterdrücken? Das mußte er zugeben. Dann sagte ich, nach dem mir sehr wohl bekannten Stil zu urteilen, waren die meisten der mißliebigen Artikel von Liebkn[echt], - Singer: Ganz richtig, und wir haben es dem L[iebknecht] dafür auch in der Fraktion gehörig gegeben. - Ich: Dafür aber das Blatt öffentlich zu tadeln, daß es Sachen druckt, die aus der Fraktion selbst kamen, geht nicht an. Das mußten Sie unter sich abmachen. Statt dessen greifen Sie die Redaktion öffentlich an, für Sachen, die reine Interna der Fraktion sind. An wen soll sich denn die Redaktion halten? Dagegen konnte er auch nichts sagen. Kurz, Sie haben sich blamiert durch einen unüberlegten Schritt, und wer vor dem Publikum den Sieg hat, ist die Redaktion. Das mußte er auch indirekt zugeben. Da ich mich einfach an die entscheidenden Punkte hielt und all seinen persönlichen Klatsch, dessen er viel hatte, gleich Null setzte, waren wir in zehn Minuten fertig. Damit ist natürlich die Sache nicht abgemacht. Wir kennen jetzt aber die schwache Seite der Herren. Wäre ich Redakteur des „Sozialdemokrat]", so würde ich von Redaktions wegen die Fraktion wirtschaften lassen, wie sie wollte, d.h. im Reichstag, die Kritik hierüber den Parteigenossen überlassen, kraft der beliebten „freien Meinungsäußerung", und dem Liebkniecht] ein für allemal erklären, daß er für seine Artikel gegenüber der Fraktion selbst einzustehn hat, damit wenigstens soweit sein Doppelspiel aufhört. Wenn dann im übrigen das Blatt in der bisherigen entschiednen Richtung fortredigiert wird, so ist das alles, was wir brauchen. Es ist viel wichtiger, daß dem in Deutschland gedruckten Quatsch gegenüber der theoretische Standpunkt gewahrt wird, als daß die Handlungsweise der Fraktion kritisiert wird. Die Gewählten selbst tun ja ihr Möglichstes, die Wähler aufzuklären über den Charakter der Gewählten. Und im übrigen gibt ja die Tagesgeschichte Anlaß genug, den Standpunkt hervorzuheben, auch wenn man die Fraktion der Fraktion und den Parteigenossen überläßt. Was sie aber am meisten ärgert, ist grade der Standpunkt, und den wagen sie nicht öffentlich anzugreifen. Jetzt geht der Reichstag bald heim. Die Herren haben inzwischen - obgleich sie fast alle geheime Schutzzöllner sind - gesehn, wie die Schutzzöllnerei wirtschaftet.'4133 Das ist schon eine erste Enttäuschung. Deren erleben sie noch ein paar. Das ändert nicht ihren spießbürgerlichen Charakter, wohl aber muß es ihr Auftreten unsicher machen und sie unter sich spalten in Beziehung auf die Spießbürgerfragen, für die oder gegen die sie sich erklären sollen. Diese Sorte braucht bloß etwas Spielraum, dann machen sie sich gegenseitig unschädlich.
Kurz, unsre Politik ist, glaube ich, temporisieren. Sie haben das Sozialistengesetz1331 für sich, und wenn sie während seiner Dauer nur Gelegenheit finden, sich zu zeigen, wie sie sind, so brauchen wir in der Hauptsache weiter nichts. Inzwischen müssen wir jede Position, namentlich in der Presse, behaupten bis aufs Äußerste, was nicht immer direkten Widerstand nötig macht. Die Umgehung ist auch ein Mittel der Defensive mit offensiven Rückschlägen. Wir haben momentan viel gegen uns. Bebel ist krank und, wie es scheint, entmutigt. Ich kann auch nicht helfen, wie ich möchte, bis ich mit den M[arx]schen Manuskripten fertig bin. So fällt die Wucht des Kampfs auf Dich und Kautsky. Aber vergiß nicht die alte Regel: über der Gegenwart der Bewegung und des Kampfs nicht die Zukunft der Bewegung zu vergessen. Und die gehört uns. Der dritte Band des „Kapital" schlägt all die Kerle mit einem Schlag tot. Dein F.E.
166
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich[4141
lv, TT „ ,, London, 15. Mai 85 Werter Herr bchluter, Was die Gedichte angeht: Die Marseillaise des Bauernkriegs war: Ein feste Burg ist unser Gott1415', und so siegbewußt auch Text und Melodie dieses Liedes sind, so wenig kann und braucht man es heute in diesem Sinn zu fassen. Sonstige Lieder der Zeit finden sich in Sammlungen von Volksliedern, „Des Knaben Wunderhorn" usw. Da findet sich vielleicht noch einiges. Aber der Landsknecht hat schon damals unsre Volkspoesie stark in Beschlag genommen. Von ausländischen kenne ich nur das schöne altdänische Lied von Herrn Tidmann, das ich im Berliner „Soc[ial]-Dem[okrat]" 1865 übersetzt habe.1 Chartistenlieder gab's allerlei, aber jetzt nicht mehr zu haben. Eins fing an: Britannia's Sons, though slaves you be, God your creator made you free; To all he life and freedom gave, But never, never made a slave.2 Weiter weiß ich's nicht mehr. Alles das ist verschollen, übrigens war diese Poesie auch nicht viel wert. 1848 herrschten zwei Lieder nach derselben Melodie. 1. Schleswig-Holstein. 2. Das Heckerlied. [416> Hecker, hoch Dein Name schalle An dem ganzen deutschen Rhein. Deine Großmut, ja Dein Auge Flößen schon Vertrauen ein. Hecker, der als deutscher Mann Vor der Freiheit sterben kann. Ich denke, das genügt. Dann die Variante:
1 Siehe Band 16 unserer Ausgabe, S.33/34 - 2 Britanniens Söhne, wenn Ihr auch Sklaven seid, / Gott, euer Schöpfer, schuf euch frei; / allen gab er Leben und Freiheit, / aber niemals, niemals einen Sklaven er schuf.
Hecker, Struve, Blenker, Zitz und Blum Bringt die deitsche Ferschte um! Überhaupt ist die Poesie vergangner Revolutionen (die „Marseillaise"14171 stets ausgenommen) für spätere Zeiten selten von revolutionärem Effekt, weil sie, um auf die Massen zu wirken, auch die Massenvorurteile der Zeit wiedergeben muß - daher der religiöse Blödsinn selbst bei den Chartisten. Was nun die kleinen Schriften von Marx angeht, so ist das eine Sache, wobei außer mir auch andre Leute mitzusprechen haben und wo ich selbst darauf sehn muß, daß nichts geschieht, was der beabsichtigten GesamtHerausgabe hindernd in den Weg tritt. Die Sachen aus der Internationale, die „Inauguraladresse", „Bürgerkrieg", „Haager Bericht"3 etc. wie das „Manifest" rechne ich nicht dazu, obwohl ich mir vorbehalten möchte, ein paar einleitende Zeilen zu schreiben. Was die Artikel der „Nfeuen] Rheinischen] Zfeitung]" angeht, müssen Sie doch erst feststellen, was von M[arx] ist. Z. B. über die Juni-Insurrektion ist nur der eine prachtvolle Artikel von ihm. Die ganze Schilderung des Kampfs etc. ist von mir.'418' Ebenso der Artikel gegen Bakunin und den Panslawismus.4 M[arx']s und meine Sachen aus jener Zeit sind überhaupt fast gar nicht zu trennen, wegen der planmäßigen Teilung der Arbeit. Wie gesagt, ich werde Ihnen sicherlich keine unnützen Hindernisse machen, aber ich möchte doch, daß Sie Ihren Plan etwas näher präzisierten, ehe ich mich bestimmt darüber aussprechen kann. Jedenfalls würde es kaum passen, Sachen aus der „N[euen] Rheinischen] Z[eitung]" und von der Internationale zusammen herauszugeben, d.h. in einem Heft; es liegen 15-20 Jahre dazwischen. - Der „Kölner Prozeß"5 macht allein ein gutes Heft, dazu würde ich Ihnen eine Einleitung6 schreiben. Aber notabene, dann muß ich auch wissen, wann es wirklich gebraucht wird, und jetzt haben Sie ja am unglücklichen „Dühring" genug zu drucken. Die beiden Bogen 4 und 5 werden Sie erhalten haben. Apropos, ich beabsichtige, das Kapitel: „Theoretisches" aus dem Abschnitt: „Sozialismus" nach dem revidierten Text in der „Entwicklung des Sozialismus" abdrucken zu lassen. Wenn es soweit ist, werde ich Ihnen das Nötige einsenden, dies nur zur vorläufigen Notiz. Im übrigen herzlichen Gruß F. Engels
3 „Offizieller Bericht des Londoner Generalrats, verlesen in öffentlicher Sitzung des Internationalen Kongresses zu Haag" — 4 „Der demokratische Panslawismus" - 5 „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln" -6 „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten"
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Engels an Paul Lafargue in Paris
London, den 19. Mai 1885
Mein lieber Lafargue, Die Affäre Lissagaray hat mir sehr viel Spaß gemacht, und ich hoffe, daß er aus der „Bataille" hinausfliegen wird.'4191 Die Ironie der Geschichte ist unerbittlich, selbst für revolutionäre Wanzen. Ya me comen, ya me comen Por do mas pecado habia1,
wie der gute König Don Rodrigo sagte, als die Schlangen seinen vitalen Teil fraßen. Le Brousse an der Spitze einer Tageszeitung wäre zu amüsant, das wird nicht lange dauern, das hat ihm gerade noch gefehlt, um sich zugrunde zu richten. Der Gedanke, daß das Leben nur die normale Daseinsweise der Eiweißkörper ist und daß infolgedessen das Eiweiß, wenn es der Chemie jemals gelingen sollte, es herzustellen, Lebenserscheinungen zeigen muß - findet sich in meinem Buch gegen Dühring, worin ich ihn Seite 60ff. in Ansätzen entwickelt habe.2 Sch[orlemmer] hat ihn übernommen und sich da auf eine gewagte Sache eingelassen, als er ihn übernahm; denn wenn er Pech hat, ist er der Blamierte, und wenn es glückt, wird er der erste sein, es mir zuzuschreiben. - Übrigens ist Euer Grimaux ein Dummkopf, wenn er wirklich gesagt hat: nichts zeigt uns an, wie es zu dieser ersten Bewegung kommt, durch die ein Albuminoid zu einer organischen lebenden Zelle wird.ii20] Der einfältige Mensch weiß also nicht, daß es ein ganzes Heer von lebenden Dingen gibt, die von der Organisation einer Zelle noch weit entfernt sind und die, wie Haeckel sagt, nur ein „Plasson" sind, Albuminoide ohne irgendeine Spur von Organisation, aber lebend, z. B. die Protamöben, die Siphonen usw.14211 Das arme Albuminoid hat wahrscheinlich Millionen Jahre gearbeitet, um sich als Zelle zu organisieren. Euer Grimaux sieht also
1 Ich muß büßen, muß da büßen, / Wo am meisten ich gesündigt - 2 siehe Band 20 unserer Ausgabe, S. 75/76
nicht einmal, worum es sich handelt. Er zeigt seine Unwissenheit in der Physiologie weiter, wenn er das Urprotoplasma, die Quelle allen Lebens auf der Erde, mit einem so spezialisierten Produkt wie dem Ei eines Wirbeltiers vergleicht. Seit 10 Tagen haben wir den armen Harney hier, er leidet sehr an chronischem Gelenkrheumatismus und ±3 an Gicht. Nim hat ihre Sorge mit ihm. Wenn sich das Wetter bessert, will er Samstag4 nach Macclesfield abreisen. Am Samstag erwarten wir auch Sam Moore mit seiner - leider noch nicht fertigen Übersetzung5. Der 2. Band ist gedruckt mit Ausnahme meines Vorworts, dessen Probebogen ich täglich erwarte. Die Sendungen an D[anielson] sind bis jetzt alle angekommen und 7 Bogen übersetzt.'4221 Vom 3.Band habe ich mehr als die Hälfte diktiert, aber zwei Abschnitte14231 werden mir noch schön zu schaffen machen. Der über das Bankkapital und den Kredit ist in einer Unordnung, die einen Stärkeren als mich entsetzen würde, aber da kann man nichts machen. Ich bin jetzt bei der Grundrente. Das ist von einer wundervollen Schönheit. Doch ich werde noch viel Arbeit damit haben, denn das Manuskript stammt von 1865, und man muß seine Exzerpte von 1870-78 über die Banken und über das Grundeigentum in Amerika und in Rußland studieren. Und es sind derer nicht wenig. Dieser 3. Band wird also mindestens noch ein Jahr auf sich warten lassen. Der kleine Windstoß in unseren Reihen in Deutschland13951 wird sich vorläufig wahrscheinlich beruhigen; da der Reichstag in die Ferien gegangen ist, haben sich die Herren der „sozialistischen Fraktion" zerstreut. Der moralische Sieg ist dem „Sozialdemokrat" gegen die „Fraktion" geblieben. Aber das ist noch nicht das Ende, es kann von neuem anfangen. Wenn es nicht das Gesetz gegen die Sozialisten1331 gäbe, wäre ich für die offene Spaltung. Aber solange dieses in Kraft ist, beraubt es uns all unserer Waffen und verschafft der kleinbürgerlichen Gruppe der Partei den ganzen Vorteil; und schließlich ist es nicht unsere Sache, die Spaltung zu provozieren. Die Sache war unvermeidlich und mußte früher oder später kommen; aber sie wäre entweder später oder zu günstigeren Bedingungen für uns gekommen, wenn Liebk[necht] nicht so unglaubliche Dummheiten gemacht hätte. Er lavierte nicht nur zwischen den beiden Gruppen und begünstigte immer die Kleinbürger, er war auch mehr als einmal bereit, den proletarischen Charakter der Partei für eine scheinbare Einheitlichkeit zu opfern, an die keiner glaubt. Es scheint, daß jetzt seine eigenen Proteges, die Vertreter der
3 mehr oder weniger — 4 23. Mai — 5 des ersten Bandes des „Kapitals"
kleinbürgerlichen Seite, von seinem Doppelspiel genug hatten. Liebk[necht] glaubt immer, was er sagt, während er es sagt; aber jedesmal, wenn er zu einem anderen spricht, glaubt er etwas anderes. Hier ist er ganz Revolution, dort ist er ganz Rücksicht. Das wird ihn nicht hindern, am entscheidenden Tage mit uns zu sein und uns zu sagen: ich habe euch das immer gesagt! Dies unter uns. Umarmen Sie Laura von mir. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
168 Engels an Pasquale Martignetti in Benevento[4241 (Entwurf)
[London, 19. Mai 1885]
Hochverehrter Bürger, Am... d. M. habe ich Ihnen die Übersetzung1 mit meinen Bemerkungen per „Einschreiben" zugeschickt. Ich bedaure sehr, daß meine geringe Kenntnis des Italienischen mir nicht erlaubte, sie noch besser zu machen, doch hoffe ich, daß sie verständlich sein werden. Eis ist erstaunlich, daß Sie, ohne in Deutschland gelebt und die Sprache im Lande erlernt zu haben, meine Gedanken so gut wiedergeben konnten. Ich habe keine Abkürzungen, idiomatische und sprichwörtliche Redewendungen gefunden, bei denen Ihnen ein Fehler unterlaufen wäre; und gerade das ist für einen, der die Umgangssprache oder gar die Dialekte des Landes nicht spricht, schwierig, da so etwas weder in Grammatiken noch in Wörterbüchern zu finden ist. Aber in einigen Fällen, glaube ich, hätten Sie, da Sie den Sinn richtig verstanden haben, etwas freier und kühner übersetzen können. Ich fürchte, daß die Anmerkung zur „Mark" nicht klar genug ist.14251 Sie ist die einzige Anmerkung, die nach meinem Dafürhalten gedruckt werden müßte. Die anderen sind nur zu Ihrer Information. Wenn diese Anmerkung bei Ihnen irgendwelchen Zweifel hervorruft, so teilen Sie es mir bitte mit, und ich werde versuchen, sie neu zu schreiben. Entschuldigen Sie bitte, daß ich für die Revision so lange Zeit brauchte. Doch meine Tage sind mit dem Diktieren der Manuskripte von Marx ausgefüllt, und am Abend bin ich auch nicht immer frei; außerdem habe ich gerade jetzt eine dänische Übersetzung2 zur Revision erhalten, ganz zu schweigen von der englischen Übersetzung des „Kapitals". Indem ich Ihnen nochmals für die keineswegs geringe Mühe danke, die Sie auf meine Arbeit verwandt haben, verbleibe ich Ihr ergebenster Aus dem Italienischen.
1 die italienische Übersetzung des „Ursprungs der Familie, des Privateigentums und des Staats" - 2 des „Ursprungs der Familie, des Privateigentums und des Staats"
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 29. Mai 1885
Meine liebe Laura, Also eine Sache ist nun klar - der arme Paul sitzt in seinem Kittchen1 in Ste-Pelagie.[4261 Ich hoffe, es wird nicht für vier Monate sein - noch dazu die vier besten des Jahres! Aber einen Trost hat er wenigstens, er wird sich nicht länger zwischen dem braconnier2 und dem vol avec effraction (de puanteur)3 herumquälen müssen! Es ist wohl auch als schwer erkämpfter Sieg anzusehen, daß er sein altes Kittchen1 in Gesellschaft eines polternden Anarchisten wiederhaben kann. Nun, wir wollen hoffen, daß Revillon und noch einige Deputierte dem liberalen Kabinett einheizen und seine Freilassung erreichen werden. Harney ist gestern nach Macclesfield abgereist und gut angekommen. Es geht ihm wirklich viel besser, aber natürlich vergehen die Schmerzen nicht alle auf einmal, und sobald er sich etwas wohler fühlt, fängt er an, in Droschken herumzugondeln; so hat er es zwei Tage lang vor seiner Abfahrt gemacht, dann kam die Reise, und natürlich ist er dann in einem schlimmedenZustand angekommen. Ich fürchte, er wird nie mehr ganz gesundjwerden, teils, weil es ein zu altes Leiden ist, teils, weil er inkonsequent ist und auf jeden hört, der ein Heilmittel vorzuschlagen hat. Es war für die arme Nim eine schwere Zeit, und ihretwegen bin ich froh, daß sie ein Ende hat. Sam Moore mußte zu Pumps ziehen; ich glaube, diesmal war es ihm ganz recht, da er auf Ausstellungen, Gemäldegalerien, Kunstakademien und dergleichen erpicht war, und so verbringen er und Pumps die Zeit sehr angenehm. Heute besuchen sie Lord'st427], um sich ein Kricket-Match anzusehen. Ich bekam heute früh den letzten Korrekturbogen meines Vorworts zum zweiten Bd.4; Du siehst also, daß die Meldung, er sei erschienen,^wieder eine Zeitungsente ist. Du kannst gewiß sein, daß Dir - sobald er heraus ist und wir Exemplare erhalten - noch am selben Tage eins zugeschickt
1 In der Handschrift deutsch: Kittchen - 2 Wilddieb - 3 Einbrecher (mit Gestank) - 4 des „Kapitals"
wird. Die 3. Auflage des ,,18.Brumaire"5 ist im Druck, 2 Bogen sind ausgedruckt. Die italienische Übersetzung vom „Ursprung" ist ebenfalls im Druck. Aber Du wirst sofort sehen, daß es kaum möglich sein wird, daraus ins Französische zu übersetzen.'428' Wenn Paul sie] nur dazu benutzt, um das Original besser zu verstehen, mag es angehen, aber ansonsten würde sie ihm nur einen sehr verwässerten Abklatsch6 und rechauffe7 ermöglichen, und ich habe gar keinen Ehrgeiz, in dieser Form vor dem französischen Publikum zu erscheinen. Der Mann8 hat sein Bestes getan, und einige Stellen sind wirklich gut. Aber man kann von ihm, der die deutsche Sprache in Benevento allein erlernt hat, nicht erwarten, daß er idiomatisches Deutsch in entsprechendes idiomatisches Italienisch übersetzt. Und diesen Mangel konnte ich nicht beheben, da mein idiomatisches Italienisch kein Italienisch, sondern nur Mailändisch ist, und das habe ich auch schon fast vergessen. Ich hoffe, es wird in Paris nicht wieder wegen roter Fahnen usw. zu Zusammenstößen kommen - die Polizei braucht ein paar Barrikaden, und wenn sie die bekommt, wird es ein schönes Gemetzel geben - das Volk hat nicht die geringste Chance auf einen Sieg. Selbst wenn die Regierung zögern sollte, werden die reaktionären Militärs dafür sorgen, daß alles Gewehr bei Fuß steht, und eingreifen.'4291 Ein Trost für Paul - daß er am Tage der Beisetzung des großen alten Franzosen9 sozusagen „außerhalb von Paris" ist. Während ich Korrekturbogen gelesen, an Harney geschrieben, Pakete für ihn gemacht und einem Konditor aus Kolmar10 geschrieben habe'4301, der mich um Rat fragte, ob er in London Arbeit finden könne (Antwort: bestimmt nicht) und allerhand anderes erledigt habe, ist es 5.20 geworden, und so muß ich schließen, wenn ich die Post noch erreichen will. Also, in der Hoffnung, daß Paul nicht zu unglücklich, noch zu lange dort sein wird, wo er ist, und Du trotz allem Deinen für Paris anormalen Gesundheitszustand beibehältst, mache ich Schluß. Nim läßt grüßen. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
6 Karl Marx: „Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" - 6 in der Handschrift deutsch: Abklatsch - 7 Aufgewärmtes - 8 Pasquale Martignetti - 9 Victor Hugo -10 Wegmann
21 Man/Engels, Werke, Bd. 36
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
„, TT London, 3. Juni 1885 Werter Herr, Ich habe Ihren Brief vom 24. [April] (6.) Mai erhalten und hoffe, daß Sie die Bogen 21/26, die ich am 13. Mai absandte, bekommen haben.[431J Heute schicke ich Ihnen 27/33, den Rest. In einigen Tagen denke ich Ihnen das Vorwort usw. schicken zu können. Aus diesem Vorwort werden Sie ersehen, daß das Ms. von Bd. III schon 1864/66, also vor der Zeit geschrieben worden ist, da der Verfasser dank Ihrer Liebenswürdigkeit in der Lage war, sich mit den Agrarverhältnissen Ihres Landes so gründlich vertraut zu machen. Augenblicklich arbeite ich an dem Kapitel über die Grundrente1 und habe bis jetzt noch keine Anspielung auf russische Verhältnisse gefunden. Sobald das ganze Manuskript in eine leserliche Schrift übertragen worden ist, werde ich es ordnen müssen, indem ich es mit anderen Materialien, die vom Autor hinterlassen wurden, vergleiche; und für das Kapitel über die Grundrente sind sehr umfangreiche Auszüge aus den verschiedenen statistischen Werken, die er von Ihnen bekam, vorhanden - aber ob diese irgendwelche kritischen Notizen enthalten, die für diesen Band verwertbar sind, kann ich noch nicht sagen. Was aber da ist, soll aufs gewissenhafteste genutzt werden. Auf jeden Fall wird mich die bloße Arbeit des Umschreibens bis tief in den Herbst hinein beschäftigen, und da das Manuskript nahezu 600 Seiten in Folio ausfüllt, wird es vielleicht wieder in zwei Bände geteilt werden müssen. Die Analyse der Grundrente ist theoretisch so vollständig, daß Sie darin sicher allerhand Interessantes für die speziellen Bedingungen Ihres Landes finden werden. Allerdings werden in diesem Ms. die vorkapitalistischen Formen des Grundeigentums nicht behandelt; sie werden lediglich hie und da des Vergleichs wegen erwähnt. Ihr sehr ergebener P. W.Rosher[ml] Aus dem Englischen.
171
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 3. Juni 1885
Lieber Sorge, Es war mir leid zu vernehmen, daß Du schreibunfähig bist, hoffentlich hat sich's gelegt. Die Gronlunds und Elys14321 sowie Zeitungen dankend erhalten. Der Ely ist ein wohlwollender Philister und gibt sich wenigstens mehr Mühe als seine deutschen Leidens- und Dummheitsgenossen, was immer anzuerkennen ist. Der Gronlund dagegen macht mir einen stark spekulativen Eindruck: das Vorpoussieren unsrer Sachen, soweit er sie versteht oder auch nicht, dient offenbar dem Zweck, seine eignen Utopistereien als leal live German socialism1 an den Mann zu bringen. Immerhin ein Symptom. Die „To-Days" und „Commonweals" schicke ich Dir erstere von März an, letztre von Anfang. Die Verwaltung ist nur nicht sehr ordentlich; sollte das Blatt (die „Commonweal") beim „Sozialist" nicht regelmäßig ankommen, i o wäre mir Anzeige sehr lieb, um Beweis der Unordnung beibringen zu können, die von Seiten des Sekretärs stets geleugnet wird, aber unzweifelhaft besteht. Fabian tut man am besten absolut zu ignorieren, der Mann hat das Bedürfnis, von sich reden zu machen, und das braucht man nicht zu befördern.2 Seine Hauptklage gegen mich ist, daß ich im „Anti-Dühring" die ]/— 1 böswillig verleumdet habe, worüber er sich bereits brieflich bei Marx beschwerte.12061 Von den Reichstagsburschen hast Du dieselbe richtige Vorahnung gehabt wie ich - sie haben bei der Dampfersubvention13611 kolossale Spießbürgergelüste durchscheinen lassen. Es kam fast zur Spaltung, was jetzt, solange da& Sozialistengesetz1331 dauert, nicht wünschenswert. Sobald wir aber wieder etwas elbow-room 3 in Deutschland haben, wird die Spaltung wohl kommen und dann nur nützen. Eine kleinbürgerlich-sozialistische Fraktion ist in einem Land wie Deutschland unvermeidlich, wo das Spieß
1 echten deutschen Sozialismus - a siehe vorl. Band, S. 133 - 3 Ellbogenfreiheit
21*
bürgertum noch mehr als das historische Recht „keinen Datum nicht hat"[4331. Sie ist auch nützlich, sobald sie sich getrennt von der proletarischen Partei konstituiert hat. Diese Trennung aber würde jetzt nur schaden, wenn sie von uns provoziert würde. Sagen sie selbst sich aber faktisch vom Programm los, dann ist's um so besser, und man kann draufschlagen. Ihr in Amerika leidet auch an allerhand solchen großen Gelehrten, wie sie die Spießbürgersozialisten Deutschlands an Geiser, Frohme, Bios etc. besitzen. Die Geschichtsexkurse der Stiebelings, Douais etc. über die Völkerwanderung im „Sozialist]"14341 haben mich sehr erheitert, da die Leute das alles viel besser und gründlicher studiert haben als ich. Namentlich tut der Douai ganz riesenhaft groß. So sagt er in Nr. 13 des „Sozialist]", bei den deutschen Eroberungen in Italien etc. bekam der König 1/3 des Landes, 2/3 die Soldaten und Offiziere, und davon ging wieder 2/3 an die bisherigen Sklaven etc. „So zu lesen hei Jornandes4 und Cassiodorus."14351 Ich fiel auf den Rücken, als ich dies alles las. „Ganz ebenso wird uns von den Westgoten berichtet. Und in Frankreich ist es nicht anders gewesen." Nun ist das alles von A bis Z erfunden, und weder im Jornandes noch im Cassiodor noch in irgendeinem QuellenschriJtsteUer der Zeit steht ein Wort davon. Es ist eine kolossale Unwissenheit und Unverschämtheit zugleich, mir solchen reinen Blödsinn vorzuhalten und zu sagen, ich sei da „nachweislich im Unrecht". In den Quellen, die ich so ziemlich alle kenne, steht von alledem das Gegenteil. Ich hab's diesmal passieren lassen, weil's in Amerika war, wo man so etwas doch kaum ausfechten kann, aber Monsieur Douai soll sich in Zukunft in acht nehmen, ich könnte doch einmal die Geduld verlieren. Der II.Band des „Kapitals" erscheint nun bald, ich erwarte noch den letzten halben Aushängebogen Vorrede, wo Rodbertus wieder sein Fett erhält.5 Mit dem III.Buch geht's lustig voran, wird aber noch lange dauern, das schadet auch nichts, der 2. Band muß erst verdaut werden. Der 2. Band wird große Enttäuschung erregen, weil er so rein wissenschaftlich ist und nicht viel Agitatorisches enthält. Dagegen wird der dritte wieder wie ein Donnerschlag wirken, weil da die ganze kapitalistische Produktion erst im Zusammenhang behandelt und die ganze offizielle bürgerliche Ökonomie über den Haufen geworfen wird. Es wird aber noch Mühe kosten. Seit Neujahr habe ich schon über die Hälfte ins reine diktiert, und denke in ca. 4 Monaten mit dieser ersten Arbeit fertig zu werden. Dann kommt aber die eigentliche Redaktionsarbeit, und die ist nicht leicht, da die wichtigsten Kapitel in ziemlicher Unordnung - was die Form angeht. Indessen wird
das alles schon gehn, nur Zeit will's haben. Du begreifst, daß ich alles andre liegenlassen muß, bis ich damit fertig bin, und daher auch meine Korrespondenz vernachlässige und von Artikelschreiben keine Rede sein kann. Tu mir aber den Gefallen und laß von dem über den III.Band Gesagten nichts in den „Sozialist" kommen. Das setzt in Zürich und sonst immer Unannehmlichkeiten. Das Erforderliche fürs Publikum sage ich in der Vorrede zum II.Band. Tussy geht's soweit gut. Die zwei6 sind sehr fidel zusammen, leider aber nicht immer gesund. Lafargue hat jetzt wieder 4 Monate an der alten Geldstrafe und Kosten abzusitzen.14261 Die Polizei in Paris wollte mit Gewalt am 24. Mai einen Krawall, es ist aber nicht gelungen, und die Minister bekamen Angst.14291 So ist denn der Victor-Hugo-Schwindel ruhig abgelaufen, und das ist gut. Da keine Nationalgarde besteht, sind keine Waffen zu haben, und jeder Putsch muß mit Niederlage enden. Die Taktik muß eben nach den Umständen geändert werden. Grüß Dietzgen und Adolph7.
Dein F.E.
6 Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling - 7 Adolph Sorge jun.
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
London, den 13. Juni 1885
Hochverehrter Herr, Würden Sie mir bitte sechs Exemplare Ihrer Übersetzung1 schicken, das wird genügen. Ich hoffe, daß Sie meinen Brief, den ich ungefähr zehn Tage nach der Übersetzung2 abschickte, erhalten haben. Ihr ergebenster F.Engels
Ich schicke Ihnen auch ein Exemplar des „Manifests der Kommunistischen Partei von 1847" (von Marx und Engels). So alt es auch ist, verdient es, glaube ich, immer noch gelesen zu werden.14361
Aus dem Italienischen.
1 Friedrich Engels: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" 2 siehe vorl. Band, S.3I9
173
Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 15. Juni 1885
Lieber alter Kerl! Dein Brief hat mich sehr erfreut, und es ist in der Tat eine verdammte Geschichte, daß wir so weit auseinander sind. Indes wird doch wohl die Zeit kommen, wo unsereiner wieder einmal ungeniert herumreisen kann, ungeniert von überdringlicher Arbeit und kontinentalen Polizeiplackereien. Und dann packe ich auf und besuche Dich.14371 Inzwischen geht die Welt so sachte voran, und wird bald auch wohl ein bißchen rascher gehn. Der alte Wilhelm wäre längst abgekratzt, aber man hat ihm von oben melden lassen, daß das Exerzitium der Engel noch manches zu wünschen übriglasse, und sie namentlich die Beine noch immer nicht beim Parademarsch reglementsmäßig in die Luft schleudern, und er somit noch nicht mit gebührenden Ehren empfangen werden könne. Da hat er denn jetzt den Friedrich Karl geschickt, um zu inspizieren.'4381 Hoffentlich kann der den Bericht erstatten, daß es dem Feldmarschall Michael Erzengel gelungen ist, die himmlischen Heerscharen zur erstrebten preußischen Vollkommenheit auszubilden, und dann wird der alte Wilhelm sich wohl beeilen, die himmlische Wachtparade selbst abzunehmen. Du hast ganz recht, in Frankreich schleißt sich der Radikalismus kolossal rasch ab. Es ist eigentlich nur noch einer zu verschleißen, und das ist Clemenceau. Wenn der drankommt, wird er einen ganzen Haufen Illusionen verlieren, vor allem die, man könne heutzutage eine bürgerliche Republik in Frankreich regieren, ohne zu stehlen und stehlen zu lassen. Es ist eben möglich, daß er dann weitergeht. Aber nötig ist's nicht. Nötig ist nur, daß auch dieser letzte Notanker des Bürgertums zeigt, was er kann - nämlich mit seinem jetzigen Standpunkt nichts. Hier in England geht die Sache ganz gut, wenn auch nicht in der bei uns hergebrachten Form. Das englische Parlament ist seit 1848 entschieden die revolutionärste Körperschaft der Welt gewesen, und von den nächsten Wahlen datiert eine neue Epoche, selbst wenn sich das nicht so unbedingt rasch zeigen sollte.[312] Es wird Arbeiter im Parlament geben, in wachsender
Zahl, und einer noch schlechter als der andre. Das aber ist hier nötig. Alle die Lumpen, die hier zur Zeit der Internationalen die bürgerlich-radikalen Biedermänner gespielt haben, müssen sich im Parlament zeigen, wie sie sind. Dann werden die Massen auch hier sozialistisch werden. Die industrielle Überproduktion tut den Rest. Der Krakeel in der deutschen Partei hat mich nicht überrascht.0981 In einem Spießbürgerland wie Deutschland muß die Partei auch einen spießbürgerlichen „gebildeten" rechten Flügel haben, den sie im entscheidenden Moment abschüttelt. Der Spießbürger-Sozialismus datiert von 1844 in Deutschland und ist schon im „Kommunistischen Manifest" kritisiert. Er ist so unsterblich wie der deutsche Spießbürger selbst. Solange das Sozialistengesetz1331 dauert, bin ich nicht dafür, daß wir die Spaltung provozieren, da die Waffen nicht gleich sind. Sollten aber die Herren die Spaltung selbst hervorrufen, indem sie den proletarischen Charakter der Partei unterdrücken und durch eine knotig-ästhetisch-sentimentale Philanthropie ohne Kraft und Saft ersetzen wollen, so müssen wir's eben nehmen, wie es kommt. Ich bin noch immer am Diktieren des dritten Bandes vom „Kapital". Das ist ein Prachtwerk, das den ersten wissenschaftlich noch in den Schatten stellt. Sobald ich das erst in einer auch für andre Leute leserlichen Handschrift habe, kann ich mir Zeit nehmen, die Papiere zu ordnen. Dann suche ich auch Deine Sachen heraus.[11S1 Bis dahin - gegen Herbst - kann ich aber absolut nichts andres in die Hand nehmen. Der zweite Band ist fertig gedruckt, ich werde Dir wohl in 14 Tagen oder so ein Ex. schicken können. Marx' Töchter sind soweit wohl, Frau Lafargue hat ihren Mann einmal wieder auf 4 Monate im Gefängnis (wo er eine Geldstrafe absitzt)14261, und Frau Aveling arbeitet hier stark an der Propaganda, aber der Massenerfolg kann sich erst später zeigen. Ich habe Dir wieder eine fünfpfündige Postanweisung herausgenommen, was Dir wohl schon angezeigt worden. Ich hoffe, sie kommt willkommen. Und nun halt Dich gesund, damit Du noch einen kleinen Spaß miterlebst, der jedenfalls bald kommt. Ich bin soweit wohl, aber die Doktoren sagen, aufs Pferd würd' ich wohl schwerlich wieder steigen können - also kriegsdienstunfähig - verdammt! Im übrigen immer Dein alter F. Engels
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 16. Juni 85
Lieber Ede, Vorige Woche sandte ich Dir registriert die beiden Broschüren von Rodbertus aus dem Archiv zurück, die Du hoffentlich erhalten hast. Gestern hat K. K[autsky] vollständige Sammlung der „Fr[ank]furter Zeitung" mit den diversen „Erklärungen" erhalten. Sehr erheiternd. Ich möchte aber wetten, daß man dennoch den ganzen Kram wieder einschlafen läßt, und daß die Majorität der Fraktion sich mit dem Ausspruch beruhigt, man habe auf beiden Seiten gefehlt.'3951 Alles das ist zunächst bloß noch Wetterleuchten, aber auch das ist ein Symptom. Heute inspiziert Friedrich Karl die himmlischen Heerscharen und schimpft über ihren schlechten Parademarsch.1-4381 Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 16. Juni 85
Meine liebe Laura, Du hast also dieselben Sorgen wie ich! Gäste, die an und für sich angenehm, aber verdammt im Wege sind, wenn man mehr zu tun hat als sie. In der letzten Woche habe ich mich jeden Abend hingesetzt, um Dir zu schreiben, aber entweder hielten mich Besucher oder dringende Geschäftskorrespondenz davon ab. Und sogar jetzt, um halb zwei Uhr nachts, muß ich mir einige Augenblicke stehlen, um Dir ein paar Zeilen zu schreiben, die sich neben Deinen liebenswerten und heiteren Briefen traurig ausnehmen werden! Nun, es ist nicht zu ändern, und Du mußt mit meinem Geschreibsel vorliebnehmen. Ich glaube, die Einzelheiten über Lawrows toten Mann könnten ohne große Schwierigkeiten erkundet werden. Aber was soll ich in der Sache tun? Percy kann das ebensogut wie jeder andere feststellen, aber natürlich muß er dafür zum üblichen Londoner Satz bezahlt werden.1 Tussy war letzten Sonntag nicht hier - sie2 sind mit einem Burschen, der ein Boot und ein Zelt hat, auf dem Fluß irgendwohin gefahren, sie brauchen beide soviel frische Luft, wie sie nur kriegen können. Das British Museum ist zwar ein ganz netter Ort, aber nicht zum Gegenüberwohnen. Ich werde sie also nicht vor nächstem Sonntag sehen. Kautsky hat Pauls Artikel über le cceur du cceur du monde, qui vient de cesser de battre3 (cceur Nr. 1 meine ich) erhalten und übersetzt.14391 Sehr erfreut, daß die Deutschen etwas Geld für die französischen Wahlen schicken.14401 Nur schade, daß es die Hamburger sind, weil das als Bestechung für Liebknecht gedacht ist, um ihn zu bewegen, sich in dem augenblicklichen Sturm im - Pott, der unter den deutschen Parlamentariern im Gange ist, auf ihre Seite (die kleinbürgerliche Seite4) zu stellen. Ich
1 Siehe vorl. Band, S. 297 - 2 Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling - 3 das Herz des Herzens der Welt, das aufgehört hat zu schlagen - 4 in der Handschrift deutsch: kleinbürgerliche Seite
glaube, daß dieser Sturm sich wieder legen wird, wenigstens vorläufig, aber er ist ein Symptom. Wenn das Sozialistengesetz1331 abgeschafft wäre und wir Ellbogenfreiheit hätten, und wenn das 3.Buch des „Kapitals" abgeschlossen wäre, würde es mir gar nichts ausmachen, die Sache sofort auszufechten. Wie die Dinge jedoch liegen, bin ich für eine temporisierende Politik. Aber eines Tages wird die Spaltung kommen, und dann werden wir dem Spießbürger6 den nötigen Fußtritt geben. Übrigens sehe ich auch aus dem NewYorker „Sozialist", daß dort ebenfalls Geld für die französischen Wahlen gesammelt worden ist. Armer Paul! Ich fürchte, er wird la belle saison6 im Gefängnis verbringen müssen.14261 Einmal verdonnert, könnte ihn, wie ich es sehe, nur ein acte de gräce7 des alten Grevy herauskriegen. Jedenfalls hat er schon einen Monat hinter sich, und seine Elastizität muß ihn über den Rest bringen. Aus Petersburg erfahre ich, daß alle Korrekturbogen angekommen und von 33 Bogen 18 bereits übersetzt sind.14221 Das scheint mir zu schnell gemacht, um gut zu sein. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie behaglich sich John Bull in seiner Regierungskrise fühlt.14411 Kein bißchen Aufregung. Abendzeitungen, Extraausgaben usw. werden überhaupt nicht abgesetzt. Der Grand Old Man, wie sie Gladstone nennen, verschwindet völlig unbemerkt von der politischen Bühne. Die Undankbarkeit dieser Welt ist wirklich schockierend. Tatsache ist, daß die Whigs und die Radikalen14421 unmittelbar vor den neuen Wahlen mit einer gänzlich veränderten Wählerschaft'3121 herausgefunden haben, daß sie nicht länger miteinander auskommen können. Es besteht also Hoffnung, daß die Tories und die Whigs nach den Herbstwahlen eine Koalition eingehen. Und dann haben wir das gesamte Grundeigentum auf einer Seite, das gesamte Industriekapital auf der anderen, und die Arbeiterklasse ist genötigt, beiden entgegenzutreten - der Ausgangspunkt einer revolutionären Situation. Heute ist große Wachtparade im Himmel. Friedrich Karl inspiziert die Heerscharen des Herrn der Heerscharen.14381 Ich fürchte, er wird an ihrem Parademarsch8 sehr viel auszusetzen finden und dem alten Wilhelm Nachricht schicken, daß sie noch nicht tauglich sind, vor ihm zu defilieren. Hätte man doch nur den Erzengel Michael ein paar Jahre in der preußischen Garde dienen lassen können! Nim klagt über Rheumatismus und drohte, kein Bier mehr zu trinken, ich sagte ihr jedoch, das sei Unsinn, und hoffe, daß sie mir glauben wird. 5 in der Handschrift deutsch: Spießbürger - 6 die schöne Jahreszeit - 7 Gnadenakt - 8 in der Handschrift deutsch: Parademarsch
Pumps und ihre Kinder sind wohlauf. Percy hat die üblichen Streitigkeiten mit seinen Eltern. Den Scheck über £ 10 füge ich bei. Und hiermit - sur ce - verbleibe ich in Zuneigung Dein alter F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich14431
London, 16. Juni 1885
Werter Herr Schlüter, 1. Die beiden Assisenprozesse - der ,,N[euen] Rheinischen] Ztg." und des demokratischen Ausschusses - von 1849 erschienen damals zusammen nach dem Bericht der Zeitung als: „Zwei politische Prozesse". Wollen Sie einen oder beide wieder herausgeben, so wird das ganz gut wirken, und schreibe ich Ihnen ein Vorwort dazu.'4441 2. Der „Kommunisten-Prozeß"1 könnte ebenfalls mit Vorteil wieder abgedruckt werden, einerseits bewiese er den alten Lassalleanern wieder einmal, daß auch vor dem großen Ferdinand2 schon etwas los war in Deutschland, und dann ist das damalige Verfahren der Preußen ja schon das Vorbild desjenigen, was jetzt unter dem Sozialistengesetz'331 herrscht. Auch hierzu steht Vorrede3 zur Verfügung, sobald es zum wirklichen Druck kommt, leider erlaubt meine Zeit nicht, im voraus auf Lager zu arbeiten. Dann fehlt mir auch ein Ex. der Leipziger Ausgabe mit Marx' nachträglichen Bemerkungen4. Es ist bezeichnend für die damalige dortige Geschäftsführung, daß weder M[arx] noch ich jemals ein Ex. davon erhalten haben! Haben Sie im Archiv: Stieber und Wermuth, „Die Kommunistenverschwörungen des 19. Jahrhunderts"? (Berlin, Hayn, 1853, 2 Teile), das sog. „schwarze Buch". Darin stehn zwei Ansprachen der Zentralbehörde an den Bund5, die als Anhang abgedruckt werden könnten. 3. Wenn ich Sie recht verstehe, dachten Sie daran, die Artikel der ,,N[euen] Rheinischen] Ztg." über die Pariser Junischlacht 18486 zusammenzustellen. Das wäre ganz gut, ich könnte Ihnen die betreffenden Stellen mit einigen Zwischenbemerkungen zur Herstellung des Zusammenhangs und mit dem Nötigen aus Marx' Artikel der „Revue der Neuen]
1 Karl Marx: „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln" - 2 Ferdinand Lassalle -3 Friedrich Engels: „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" - 4 „Nachwort zu .Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln"' - 5 Karl Marx/Friedrich Engels: „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850" und „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom Juni 1850" - 6 in der Handschrift: 1849
Rheinischen] Z[eitung]"7 etc. ordnen. Als einzige gleichzeitige Darstellung der ersten Schlacht des Pariser Proletariats, die die Junikämpfer verteidigte, hat die Sache ihre Bedeutung, und das Ereignis selbst kann nicht oft genug den Massen in Erinnerung gerufen werden. Das ist aber eine Arbeit von mindestens einer Woche, und die kann ich erst im Herbst in die Hand nehmen.14461 4. Weitere Sachen aus der „Nfeuen] Rheinischen] Zeitung]" könnten folgen, aber ich habe jetzt platterdings nicht die Zeit, sie auszusuchen, wollen Sie mir Vorschläge machen, so können wir ja sehn. Dasselbe gilt von andern kleineren Arbeiten von M[arx] und mir aus jener Zeit. Ich werde, sobald das Ms. des III.Bandes „Kapital" im rohen in eine leserliche Handschrift übertragen, also im Herbst, die Papiere ordnen müssen. Dann bekomme ich erst wieder eine Übersicht über das, was überhaupt vorhanden ist, und kann Passendes aussuchen. Bis dahin aber tappe ich selbst ziemlich im dunkeln. Solange das II I.Buch „Kapital" noch nicht fertig diktiert ist, sind meine Tage von 10-5 engagiert, und abends habe ich, abgesehn von Besuchen, nicht nur eine sich immer mehr häufende Korrespondenz abzumachen, sondern auch das Diktierte durchzusehn, dazu französische, italienische, dänische und englische Übersetzungen unsrer Sachen (darunter die englische des „Kapital") zu revidieren, und wo mir da die Zeit noch für andre Dinge herkommen soll, möchte ich wissen. Ich kann mich also - das müssen Sie einsehn - nur auf das Dringendste einlassen. Außer der erwähnten Ausgabe des „Kommunistenprozesses" bitte ich mir zu schicken: 3 Ex. Marx, „Lohnarbeit und Kapital". 6 „ „Kommunistisches Manifest", Züricher Ausgabe, und mir zu belasten. Ein Auszug meiner Rechnung wäre mir auch erwünscht, d imit ich weiß, wie wir stehn. Von den Photographien von Marx sind in beiden Formaten noch welche hier. Inl. bitte an Ede abzugeben. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
7 Karl Marx: „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850"
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Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
122, Regent's Park Road, N.W. London, 22. Juni 1885
Lieber Bebel, Ich beantworte Deinen heute morgen erhaltenen Brief vom 19.14461 sofort, damit er Dich noch vor der größeren Reise trifft. Über die letzten Vorgänge bin ich im ganzen, wenigstens was die öffentlichen Kundgebungen angeht, auf dem laufenden gehalten worden, und habe so die verschiednen Zudringlichkeiten Geisers und Frohmes wie auch Deine kurzen und schlagenden Antworten gelesen.14471 Diesen ganzen Unrat verdanken wir zum allergrößten Teil Liebknecht mit seiner Vorliebe für gebildete Klugscheißer und Leute in bürgerlichen Stellungen, womit man dem Philister gegenüber dicktun kann. Einem Literatus und einem Kaufmann, die mit dem Sozialismus liebäugeln, kann er nicht widerstehn. Das sind aber grade in Deutschland die gefährlichsten Leute und die Mfarx] und ich seit 1845 in einem fort bekämpft haben. Hat man sie einmal in der Partei zugelassen, wo sie sich überall vordrängen, so muß in einem fort vertuscht werden, weil ihr kleinbürgerlicher Standpunkt jeden Augenblick mit dem der proletarischen Massen in Zwist gerät oder sie diesen verfälschen wollen. Trotzdem bin ich überzeugt, daß Liebkfnecht], wenn es einmal wirklich zur Entscheidung kommt, auf unsrer Seite stehn und obendrein behaupten wird, das habe er immer gesagt, und wir hätten ihn daran verhindert, früher loszuschlagen. Gut ist's indes, daß er einen kleinen Denkzettel bekommen hat. Die Spaltung kommt so sicher wie etwas, nur bleibe ich dabei, daß wir sie unter dem Sozialistengesetz1331 nicht provozieren dürfen. Kommt sie uns auf den Pelz, nun dann geht's eben nicht anders. Präparieren muß man sich darauf, und da sind es drei Posten, die wir, glaub' ich, unter allen Umständen halten müssen. 1. Die Züricher Druckerei und Buchhandlung, 2. die Leitung des „Soz[ial]demokrat", 3. die der „Neuen Zeit". Es sind die einzigen Posten, die wir jetzt noch behalten haben, und sie genügen auch unter dem Sozialistengesetz, damit wir mit der Partei verkehren können. Alle
andern Posten in der Presse haben die Herren Spießbürger, sie wiegen aber jene drei nicht bei weitem auf. Du wirst da manches, gegen uns Geplante, verhindern können und solltest meiner Meinung nach alles tun, damit uns diese 3 Posten so oder so gesichert bleiben. Wie das anzufangen, mußt Du besser wissen als ich. Ede und Kautsky fühlen sich in ihren Redaktionsposten begreiflicherweise sehr erschüttert und brauchen Aufmunterung. Daß gegen beide stark intrigiert wird, ist augenscheinlich. Und es sind ein paar sehr brave und brauchbare Leute: Ede ist theoretisch ein sehr offner Kopf, dabei witzig und schlagfertig, es fehlt ihm aber noch das Vertrauen zu sich selbst, was heutzutage wahrhaftig selten ist und gegenüber dem allgemeinen Größenwahn selbst des kleinsten studierten Esels ein wahres Glück relativ; Kautsky hat auf Universitäten eine furchtbare Masse Blödsinn gelernt, gibt sich aber alle Mühe, ihn wieder zu verlernen, und beide können aufrichtige Kritik vertragen und haben die Hauptsache richtig gefaßt und sind zuverlässig. Bei dem schauerlichen Literatennachwuchs, der sich an die Partei hängt, sind so zwei Leute wahre Perlen. Was Du von unsern parlamentarischen Repräsentanten im allgemeinen sagst und von der Unmöglichkeit, eine wirklich proletarische Repräsentation - in Friedenszeiten wie die jetzigen - zu schaffen, ist ganz meine Ansicht. Die notwendig mehr oder weniger bürgerlichen Parlamentarier sind ein ebenso unvermeidliches Übel wie die aus, von der Bourgeoisie in Verruf erklärten, also beschäftigungslosen Arbeitern der Partei aufgeladenen berufsmäßigen Agitatoren. Letzteres war schon 1839-48 bei den Chartisten stark im Gang und habe ich das schon damals beobachten können. Gibt's Diäten, so werden diese sich neben die vorwiegend bürgerlichen und kleinbürgerlichen resp. „gebildeten" Abgeordneten stellen. Aber das wird alles überwunden. Auf unser Proletariat hab' ich dasselbe unbedingte Vertrauen wie unbegrenztes Mißtrauen gegen die ganz verkommne deutsche Spießbürgerei. Und wenn die Zeiten etwas lebhafter werden, spitzt sich auch der Kampf in einer Weise zu, daß man ihn con amore1 führen kann, und der Ärger über die Kleinlichkeit und Philisterei, mit der Du Dich jetzt en detail herumschlagen mußt und die ich auch aus alter Erfahrung kenne, verschwindet in den großen Dimensionen des Kampfs, und dann bekommen wir auch die richtigen Leute ins Parlament. Aber freilich, ich habe hier gut sprechen, Du hast inzwischen die ganze schmierige Suppe auszuessen, und das ist wahrhaftig kein Spaß. Jedenfalls aber bin ich froh, daß Du körperlich wieder auf dem Strumpf bist. Schone Deine Nerven für beßre Zeiten, wir haben sie noch nötig.
1 mit Leidenschaft
„Kapital" III.Buch ist der Hauptsache nach aus dem Manuskript in leserliche Handschrift diktiert. In 5-6 Wochen wird diese erste Arbeit ziemlich fertig. Dann kommt die sehr schwere Schlußredaktion, die viel Arbeit erfordern wird. Es ist aber brilknt, wird einschlagen wie ein Donnerwetter. Von Buch II2 erwarte ich täglich die ersten Ex. Du erhältst sofort eins. Dein alter F.E.
23. Juni. Heut zu spät geworden zum Einschreiben, geht daher erst morgen ab. 24. Juni. Berliner Zeitungen mit Dank, erhalten.
2 des „Kapitals"
22 Marx/Engels, Werlte. Bd. 36
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 1. Juli 85
Lieber Herr Schlüter, Hierbei die Vorrede für den „Prozeß"1. Das andre ist notiert. Vorrede2 und Anmerkungen zum „Kommunistenprozeß"3 kann ich wahrscheinlich erst Anfang Sept. machen. Juli bin ich vollauf beschäftigt und August muß ich etwas an der See ausruhn. Dann kann auch an die Juni-Insurrektion[4451 gegangen werden. Abdruck der „schlesischen Milliarde" wird mich sehr freuen.11481 Dazu müßte meine Biographie von Wolff aus der „Neuen Welt" (ich glaube 1873 circa) abgedruckt werden, und eine Einleitung mache ich auch.14491 Auf Band II „Kapital" warte ich auch noch. Bei Meißner kann ich schwerlich etwas für Sie tun, ich habe kein Recht, mich da einzumischen, und der Mann ist ängstlich.14501 Porträts von M[arx] in beiden Größen noch mehrere 100 zu haben. Im übrigen geht alles ja ganz gut in Deutschland, unsre Arbeiter werden das alles schon in Ordnung bringen. Ihr ergebner F.E.
Bitte mir von „Dühring" Aushängebogen zu schicken, damit ich Druckfehlerverzeichnis machen kann. Auch muß ich in Zukunft stets um 2 Korrekturabzüge bitten, wie das überall üblich und in der Tat nötig. Wollen Sie die Sachen betiteln: „Aus der ,N[euen] Rheinischen] Ztg.'", Heft I, II usw., so ist mir das natürlich recht.
1 Friedrich Engels: „Vorwort zu ,Karl Marx vor den Kölner Geschwornen'" - 2 „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" -3 Karl Marx: „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln"
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 4. Juli 1885
Meine liebe Laura, Hier den Scheck über £ 15, wie von Paul erbeten, der hoffentlich nicht zu sehr unter der Hitze leidet, die um diese Zeit in Ste~Pelagiet42fil ziemlich quälend sein muß. Dein Abenteuer mit den Russen erinnerte mich lebhaft an die Zeiten, in denen man niemals sicher war, ob Dupont nicht etwa um halb zwei nachts mit ein oder zwei citoyens1 (manchmal in leicht angeheitertem Zustand) auftauchen würde, die er gleich zum Ubernachten daließ. „Justice" kündigt an, wie Du vielleicht gesehen hast, daß Reeves (ein ziemlich mittelloser kleiner Mann aus der Fleet st.) eine Übersetzung von Devilles Auszug aus dem „Kapital" in „Lieferungen" veröffentlichen wird.14511 Das ist ein Schachzug gegen unsere Übersetzung2. Wenn das zustande kommt, werde ich erklären müssen, daß Devilles Auszug alles andere als getreu und in der zweiten Hälfte eher zu getreu ist, da er alle Schlußfolgerungen bringt und die meisten Prämissen und alle Definitionen wegläßt. Fortin aus Beauvais schickt mir den Anfang seiner Übersetzung des „18.Brumaire".3 Ich habe noch keine Zeit gehabt, sie anzusehen. Ich bin fast fertig mit dem Diktieren des 3.Bandes4, d.h. mit dem, was davon diktiert werden kann. Dann, nach meiner Rückkehr von der See (Ende August), kommt zuerst das Sortieren der Briefe usw. (und auch der Bücher) dran und dann die eigentliche Arbeit mit dem 3. Bd. - Vom 2. Bd. nichts Neues. Wenn er nächste Woche nicht kommt, werde ich schreiben. Diese Verleger haben immer irgendeine geschäftliche Ausrede, warum etwas nicht sofort herausgebracht werden kann. Möhrs Prozeß zu Köln5 wird in Zürich neu aufgelegt.
1 Bürgern - 2 des ersten Bandes des „Kapitals" - 3 siehe vorl. Band, S. 67 - 4 des „Kapitals" 5 „Karl Marx vor den Kölner Geschwornen"
Von der russischen Übersetzung des 2. Bandes sind von 33 Bogen 18 bereits fertig.'4221 Jetzt muß ich in dringenden Privatangelegenheiten (Geld) in die Stadt gehen, darum für heute nichts mehr von Deinem Dir stets geneigten F. Engels Aus dem Englischen.
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Engels an Gertrud Guillaume-Schack in Beuthen14521 (Entwurf)
_ . . _ [London, um den 5. Juli 1885] behr geehrte rrau, Auf Ihre Anfrage kann ich Ihnen nur sagen, daß ich nicht das Recht habe, über Mfarx]'s und meine Mitwirkung bei politischen Arbeiten, wo wir im Vertrauen zugezogen wurden, Mitteilungen zu machen, die schließlich für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Auch kann ich weder in M[arx]'s noch in meinem Namen irgendwelche Verantwortlichkeit für ein französisches Gesamtprogramm übernehmen, bei dem1 der Natur der Sache nach höchstens unser Rat gehört wurde. Im Vertrauen kann ich Ihnen mitteilen, daß allerdings die Considerants des Programms des Parti ouvrier2, Roanner Richtung, von Mfarx] herrühren.14531 Wenn die Franzosen weniger als die Deutschen die Beschränkung der Frauenarbeit fordern, so liegt dies darin, daß die Fabrikarbeit der letzteren in Frankreich, besonders in Paris, nur eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle spielt. Die Lohngleichheit bei gleicher Leistung wird für beide Geschlechter, soviel ich weiß, von edlen Sozialisten für die Zeit verlangt, wo der Lohn überhaupt noch nicht abgeschafft ist. Daß die arbeitende Frau infolge ihrer besondern physiologischen Funktionen besondern Schutz gegen kapitalistische Ausbeutung bedarf, scheint mir klar. Die englischen Vorkämpferinnen des formellen Rechts der Frauen, sich ebenso gründlich von den Kapitalisten ausbeuten zu lassen wie die Männer, sind auch großenteils direkt oder indirekt bei der kapitalistischen Ausbeutung beider Geschlechter interessiert. Mich, ich gestehe es, interessiert die Gesundheit der kommenden Generation mehr als die absolute formelle Gleichberechtigung der Geschlechter während der letzten Lebensjahre der kapitalistischen Produktionsweise. Eine wirkliche Gleichberechtigung von Frau und Mann kann nach meiner Überzeugung erst eine Wahrheit werden, wenn die3 Ausbeutung beider durch das Kapital beseitigt und die private Hausarbeit in eine öffentliche Industrie verwandelt ist.
1 im Entwurf gestrichen: wir bloß als Berater vertret - 2 Karl Marx: „Einleitung zum Programm der französischen Arbeiterpartei" — 3 im Entwurf gestrichen: auf Basis der Männerherrschaft entwickelte Kapital
181
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 23. Juli 1885
Meine liebe Laura, Sehr erfreut zu hören, daß unser Gefangener1 bald wieder l'air pur de la liberte (sans egalite et fraternite)2 atmen wird und [.. ,]S[4541 Natürlich ist Deville an dem Trick von Hyndman & Co. ganz unschuldig - es wird nämlich erzählt, daß der „John Broadhouse", der als Übersetzer figuriert, der unsterbliche Hyndman selbst ist - und ich hoffe, die Sache wird sich zerschlagen.'4511 Vielleicht haben es Hfyndman] und K.Paul nur ausgeheckt, um uns zu drängen, denn K.Pfaul] hat lange nichts von mir gehört, weil ich bis heute keinen Termin nennen kann,'wann wir fertig sein werden.14551 Jedenfalls können wir nichts über diese angebliche Veröffentlichung erfahren. Natürlich wäre es am besten, wenn sich dies als bloßer Schreckschuß4 erwiese. Aber wenn nicht, dann bin ich gezwungen, öffentlich zu erklären, daß die letzte Hälfte des Resumes das Original nicht korrekt wiedergibt. Ich sagte das Deville, bevor es gedruckt wurde5, und nun wurde es doch in der alten Form gedruckt, „weil der Verleger nicht warten wollte". Das konnte man in Frankreich, wo die französische Ausgabe im Handel ist, unbeachtet passieren lassen. Aber hier geht das keinesfalls, solange keine englische Übersetzung6 da ist oder solange es als Konkurrenz gegen diese Übersetzung herausgebracht wird. Der kleine Krakeel unter den deutschen Abgeordneten hatte alles in allem eine ausgezeichnete Wirkung. Die Arbeiter sind gegen diese lächerlichen Prätensionen überall so energisch vorgegangen, daß die aufgeblasenen Herren im Parlament ihren Versuch, alles zu beherrschen, wahrscheinlich nicht wiederholen werden.'3961 Unsere Leute sind in unmißverständlicher Weise aufgetreten trotz aller Fesseln des Sozialistengesetzes'331. Mittlerweile hastet der arme Liebknecht von einem Ende Deutschlands zum
1 Paul Lafargue - 2 die reine Luft der Freiheit (ohne Gleichheit und Brüderlichkeit) - 3 an dieser Stelle folgen zwei von unbekannter Hand gestrichene Zeilen, die nicht zu entziffern sind - 4 in der Handschrift deutsch: Schreckschuß - 5 siehe vorl. Band, S. 64 und 67 - 6 des ersten Bandes des „Kapitals"
Das Kapital
Kritik der politischen Oekonomie,
Von
Karl Marx.
Zweiter Band.
Bush II: Der CMnlaBonspcocess des KapüdS.
Herausgegeben von Friedlich EogelK.
EaraJjBJ'g Yer% vrat Otto Meissnet 1885.
Titelblatt der ersten Ausgabe des zweiten Bandes des „Kapitals" mit Widmung von Engels an P. Lawrow

andern, predigt Eintracht und erzählt jedem, daß es keine prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten gibt, daß alles persönliches Gezänk ist, daß beide Seiten Fehler begangen haben usw. - die Henne, die junge Enten ausgebrütet hat. Er hat die letzten zwanzig Jahre „jebildete" Sozialisten „ausgebrütet" und weigert sich jetzt hartnäckig einzusehen, daß die Küchlein junge Enten, die Sozialisten philanthropische Spießbürger7 sind. Sehr glücklich bin ich, daß das Scrutin de liste13961, erfunden, um die opportunistische Regierung zu verewigen, wahrscheinlich den Opportunismus'244' ganz zerschmettern wird. Wenn Clemenceau nur die Hälfte von dem hält, was er verspricht, wenn er die Abschaffung der ungeheuren französischen Bürokratie auch nur einleitet, so wird das ein immenser Fortschritt sein. Andererseits, sogar angenommen, daß er wirklich aufrichtig sein und zu seinem Wort stehen will, wird er auf so viele echte Hindernisse stoßen und so bald zum Stillstand gezwungen werden, daß er für die Pariser Wähler immer den Anschein eines Verräters haben wird. Es ist eine Selbsttäuschung, zu glauben, man könne in Frankreich angelsächsische, insbesonders amerikanische kommunale Selbstregierung einführen, ohne das ganze Bourgeois-Regime durcheinanderzubringen. Und so wird er sehr bald vor der Wahl stehen: entweder seine Reformen fallenzulassen und Bourgeois avec les bourgeois8 zu bleiben oder vorzugehen und sich zu revolutionieren. Ich denke, er wird Bourgeois bleiben, und dann wird unsere Zeit vielleicht gekommen sein. Schorlemmer ist hier, hat soweit noch keine bestimmten Vorstellungen wegen seiner Reisen auf den Kontinent, behält aber Paris im Auge. Er ist gerade weggegangen, kommt aber vielleicht zurück, ehe ich den Brief schließe. Auch hier werden wir im November eine friedliche Revolution haben. Die neue Wählerschaft wird sicherlich die ganze Basis der alten Parteien verändern.13121 Die Whigs haben bereits durch ihr großes Sprachrohr, „The Edinburgh Review", verkündet, daß sich jetzt die „Wasser scheiden" müßten: die Radikalen sollen ihren Weg gehen, und die Whigs beabsichtigen, sich den Tories anzuschließen, die, wie sie finden, nach allem doch gar nicht so übel sind.14561 Ob die Tories sie akzeptieren werden und unter welchen Bedingungen, bleibt abzuwarten. Tatsache ist, daß diese Allianz die letzten 10 Jahre aufs Tapet gebracht wird, aber immer an der Frage der Aufteilung der Beute scheiterte. Noch ein Fortschritt: wir werden sehr wahrscheinlich all die verfaulten „repräsentativen Arbeiter" ins Parlament bekommen. Das ist gerade der Ort, wo wir sie haben wollen.
7 in der Handschrift deutsch: Spießbürger — 8 Bourgeois unter den Bourgeois
Pumps möchte, daß wir in diesem Jahr nach Jersey gehen; wenn wir das tun und Paul heraus ist, willst Du Dich dann uns anschließen und nachher mit nach London kommen? Dampfer von St Malo. — Oder willst Du in Paris warten, bis Jollymeier kommt und Dich herüberbringt? Überleg Dir das ein bißchen und gib mir Bescheid. Wir können wegen Percys Geschäften nicht vor dem 8. oder 10. Aug. abreisen. Grüße von Nim und Jollymeier. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an August Bebel in Zürich
London, 24. Juli 85
Lieber Bebel, Ich versuche, ob Dich dieser Brief in Zürich am 26. trifft, wie Du mich vermuten läßt. Der Parteikrakeel nimmt, soweit ich hier sehn kann, einen recht erwünschten Verlauf. Frohme reitet seine Kameraden möglichst in die Sauce, was uns nur angenehm sein kann, aber zum Glück ist L[iebknecht] da mit der rettenden Tat; er hat dem Verein hier angezeigt, er werde jetzt nach Frankfurt gehn und alles in Ordnung bringen14571, wenn das aber nicht gelinge, so müsse Frfohme] herausfliegen. Lfiebknecht] spielt bei der ganzen Geschichte die erheiternde Rolle der Henne, die junge Enten ausgebrütet hat: er hat „gebildete" Sozialisten züchten wollen, und siehe da, es sind lauter Philister und Spießbürger aus den Eiern gekrochen, und nun will die brave Henne uns glauben machen, es seien doch Küchlein, die da im bürgerlichen Fahrwasser schwimmen, und keine Enten. Da ist auch nichts zu machen, man muß eben seine Illusionen mit in den Kauf nehmen, aber in Offenbach scheint er's doch etwas zu arg gemacht zu haben, wenn man dem Zeitungsbericht glauben darf.14581 Nun, kommen wird von der ganzen Sache bloß das Bewußtsein in der Partei, daß es zwei Strömungen in ihrem Innern gibt, von denen die eine den Massen, die andre der Mehrzahl der sog. Führer die Richtung gibt, und daß diese Richtungen mehr und mehr auseinandergehn müssen. Das wird die später kommende Spaltung vorbereiten, und das ist ganz gut. Die Herren vom rechten Flügel werden sich aber besinnen; ehe sie wieder einen Ukas erlassen. Bei Kfautsky] hast Du ganz die entscheidende Schwäche getroffen. Seine jugendliche Neigung zu raschem Aburteilen ist durch die lausige Methode des Geschichtsunterrichts auf Universitäten - besonders östreichischen noch mehr bestärkt worden. Man lehrt dort die Studenten systematisch, historische Arbeiten mit einem Material machen, wovon sie wissen, daß es ungenügend ist, was sie aber als genügend behandeln sollen, also Sachen schreiben, die sie selbst als falsch kennen müssen, aber doch für richtig
halten sollen. Das hat Kfautsky] natürlich erst recht keck gemacht. Dann das Literatenleben - Schreiben fürs Honorar, und Vielschreiben. So daß er absolut keine Vorstellung davon hatte, was wirklich wissenschaftliches Arbeiten heißt. Da hat er sich dann ein paarmal gründlich die Finger verbrannt, mit seiner Bevölkerungsgeschichte und nachher mit den Artikeln über die Ehe in der Urzeit.[459] Ich habe ihm das in aller Freundschaft auch redlich eingetränkt und erspare ihm nichts in dieser Beziehung und kritisiere alle seine Sachen, nach dieser Seite hin, unbarmherzig. Ich kann ihm aber dabei glücklicherweise den Trost geben, daß ich es in meiner naseweisen Jugendzeit akkurat so gemacht und erst von Marx gelernt habe, wie man arbeiten muß. Es hilft auch schon ganz bedeutend. Die Artikel der Berliner „Ztg."1 sind sicher von Mehring, wenigstens weiß ich keinen anderen in Berlin, der so gut schreiben kann. Der Kerl hat viel Talent und einen offnen Kopf, ist aber ein berechnender Lump und von Natur Verräter; ich hoffe, man wird das im Gedächtnis halten, wenn er wieder zu uns kommt, was er sicher tut, sobald sich die Zeiten ändern.13741 Walther und Frau waren hier und brachten mir die Zeitungen über den Parteikrakeel. Sie kommen Sonntag wieder. „Kapital" II habe ich Dir, sobald es ankam, nach Dresden geschickt. Das Manuskript von III2 habe ich, soweit es anging, fertig diktiert und werde im Herbst, sobald ich mich etwas ausgeruht und allerhand andre dringende Arbeiten erledigt, an die Schlußredaktion gehn. Ich bin aber jetzt ruhig, das Ms. ist jetzt in einer leserlichen Handschrift vorhanden und kann schlimmstenfalls auch so gedruckt werden, wenn ich auch inzwischen flöten ginge. Solange das nicht geschehn, hatte ich keine Ruh noch Rast. Übrigens ist die Redaktion von 3 sehr wesentlichen Abschnitten, d.h. 2/3 des Ganzen, auch noch eine Heidenarbeit. Aber das findet sich, und ich freue mich schon auf den Hallo, den es anrichten wird, wenn es herauskommt. Im Herbst erleben wir zwei friedliche Revolutionen: die Wahlen in Frankreich und hier. In Frankreich wird das scrutin de liste[396], erfunden von den reinen Republikanern und eingeführt von den Gambettisten zum Zweck, sich durch Zwangswahl von Advokaten und Journalisten, besonders Parisern, die ewige Herrschaft zu sichern, wahrscheinlich die Gambettisten massenweise hinauswerfen und fast sicher Clemenceau und die Radikalen14805, wo nicht gleich, doch bald zur Herrschaft bringen. Sie sind die letzte mögliche unter den jetzt existierenden bürgerlichen Parteien. Clem[enceau]s
1 „Volks-Zeitung" - 2 des dritten Bandes des „Kapitals"
Specifikum ist departementale und kommunale Selbstregierung, d.h. Dezentralisation der Verwaltung und Abschaffung der Bürokratie. Nur der Anfang davon wäre in Frankreich eine größere Revolution, als seit 1800 vorgekommen. Herrschaft der Radikalen heißt aber in Frankreich vor allem Emanzipation des Proletariats von der alten revolutionären Tradition, direkter Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, also Herstellung der endlichen klaren Kampflage. Hier wird das neue Stimmrecht1312' die ganze alte Parteilage umwerfen. Die Allianz zwischen Whigs und Tories'4611 zu einer großen konservativen Partei, die das gesamte, nicht mehr wie bisher in zwei Lager gespaltne, Grundeigentum zur Basis hat und alle konservativen Elemente der Bourgeoisie umfaßt: Bank, hohe Finanz, Handel, einen Teil der Industrien; daneben andrerseits die radikale Bourgeoisie, d.h. die Masse der Großindustrie, das Kleinbürgertum und zunächst noch als Schwanz das wieder zu politischem Leben erwachende Proletariat - das ist ein revolutionärer Ausgangspunkt, wie England ihn seit 1689 nicht erlebt hat. Und dazu der alte Wilhelm, der auf dem letzten Loch pfeift. Das läßt sich famos an. Du wirst sehn. Dein F. Engels
183
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
[London, 24. Juli 1885]
Lieber Ede, Bebel schrieb mir, er würde gegen 26. er. in Zürich sein - inl. Zeilen1 sind für ihn, wenn er nicht da sein sollte, wirst Du wissen, was Du damit zu tun hast. Gruß von Schorlemmer. Die Neuwahlen in Frankreich14621 und England'3121 im Herbst sind der Anfang des Endes, welches letztere ich auch dem alten Wilhelm wünsche. Da die Russen ins Stocken geraten scheinen, müssen wir wohl selbst anfangen. Und wenn die drei großen Westländer in Bewegung kommen, reicht das auch hin. Dein F.E.
184
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg14631
London, 8. Aug. 1885
Werter Herr, Ich habe mir Ihren Vorschlag, ein besonderes Vorwort für die russische Ausgabe zu schreiben, überlegt, aber ich sehe nicht, wie ich es in zufriedenstellender Weise tun könnte.14641 Wenn Sie glauben, es sei besser, auf Rodbertus überhaupt nicht einzugehen, so würde ich vorschlagen, daß Sie den ganzen zweiten Teil des Vorworts weglassen. Als eine Darlegung der Stellung, welche der Autor1 in der Geschichte der ökonomischen Wissenschaft einnimmt, ist er viel zu unvollständig, wenn das alles nicht gerechtfertigt wäre durch die besonderen Umstände, unter denen es geschrieben wurde, nämlich durch die Angriffe der Rodbertus-Clique. Diese Clique ist in Deutschland außerordentlich einflußreich, macht viel Lärm, und man wird ohne Zweifel auch in Rußland bald von ihr hören. Es ist so billig und bequem, die ganze Angelegenheit mit der Behauptung, unser Autor habe R[odbertus] einfach kopiert'2341, abzutun, daß es sicher überall, wo man unseren Autor liest und diskutiert, nachgeplappert wird. Aber alle diese Fragen können Sie am besten beurteilen, und so lege ich die Sache ganz in Ihre Hand, um so mehr, als ich nicht die entfernteste Ahnung habe, was die Zensur bei Ihnen durchlassen würde und was nicht. Hier werden einige erfreuliche Gerüchte über unseren gemeinsamen Freund2 verbreitet. Können Sie mir darüber Näheres mitteilen? Ihr ergebener P.W.Rosherl3S1]
Aus dem Englischen.
1 Karl Marx - 2 German Alexandrowitsch Lopatin
185
Engels an Laura Lafargue in Paris14651
London, 8. Aug. 1885
Meine liebe Laura, Zu meinem Erstaunen stelle ich fest, daß in allen Exemplaren1, die ich mir beschaffen kann, der Index beim Binden weggelassen worden ist. Ich habe sofort an Meißner geschrieben und um Aufklärung gebeten und werde Dir ein Exemplar schicken, sobald ich es erhalte. Es ist schon recht, daß Du Mutter Vaillant in Villerville besuchst, aber das ist kein Grund, warum Du nicht auch uns besuchen solltest. Wir beabsichtigen, Dienstag, den 11., hier abzufahren und werden spätestens am 11. Sept. zurück sein. Schorl[emmer] wird um etwa dieselbe Zeit nach Deutschland reisen und ungefähr Mitte Sept. über Paris zurückkehren, und wir sehen keine Veranlassung, warum Du dann nicht mit ihm herkommen könntest. Wenn Paul nicht jetzt nach Bordeaux fahren kann, kann er es vielleicht dann so einrichten, und alles wäre aufs beste geregelt. Dein Brief erinnert mich daran, daß Devilles Verleger2 die Übersetzung ein Jahr lang nach Veröffentlichung des Originals tatsächlich aufhalten kann. Aber dieses Jahr ist abgelaufen, da es jetzt zwei Jahre her sind, seit ich das Ms. in Eastbourne hatte3, und fast unmittelbar danach wurde es herausgebracht. Der Mann, der die Übersetzung veröffentlichen will, ist Wm.Reeves, 185 Fleet st., aber wir können uns weder ein Exemplar beschaffen noch mehr darüber erfahren. Tussy und Edward sollten gestern nach Deal abreisen, aber ich habe noch keine Nachricht von ihnen mit ihrer Adresse erhalten. Sie wollen 10-14 Tage bleiben. Die Kautskys sind nach Eastbourne gefahren. Mutter Kautsky ist für eine deutsche Schriftstellerin eine ungewöhnlich einfache Frau. Ich habe einen ihrer Romane'4661 gelesen, er ist keineswegs schlecht. Doch habe ich ihr geraten, Balzac zu studieren, und sie hat sich einige Bände genommen, aber wird ihr Französisch für solche Lektüre ausreichen?
Das scrutin de liste richtet sich zweifellos zunächst gegen unsere Leute, aber das macht nichts, so lange wir nicht zahlreicher sind.13961 Wenn es ihnen gelingt, in Paris und einigen großen Provinzzentren Erfolge zu erzielen, werden die Radikalen gezwungen sein, das nächste Mal mit ihnen in einigen Orten eine gemeinsame Liste aufzustellen, und dann könnten einige gewählt werden; außerdem werden sie dann erheblich stärker und viele der getrennt existierenden Sekten, Possibilisten12451 usw. zerschlagen sein. Wenn diese nächste Wahl Clemenceau ins Amt bringt, werde ich ganz befriedigt sein. Er ist, soweit ich es beurteilen kann, der letzte Mann, den die Bourgeoisie aufzubieten hat. Nach ihm le deluge4. Und zur gleichen Zeit finden hier die Wahlen mit einer ganz neuen Wählerschaft statt13121, was der Anfang vom Ende sein muß; und der alte Wilhelm steht mit einem Fuß im Grabe (er ist gestern in Gastein wieder die Treppe hinaufgefallen) - na, wir werden ja sehen, was kommt. Nach den hiesigen Wahlen - die hoffentlich alle Potters, Cremers und anderen faux freres5 ins Parlament bringen werden - wird die Basis für eine sozialistische Bewegung hier breiter und fester werden. Und deshalb bin ich froh, daß die Hyndman-Bewegung nirgends ernstlich Wurzeln schlagen wird und daß die einfache, holprige, herrlich ungeschickte, aber airfrichtige Bewegung der Socialist League13671 langsam und anscheinend sicher an Boden gewinnt. „Justice" ist von wachsender Hohlheit, und „To-Day" liegt im Sterben, wenn sie nicht schon tot ist. Lebe wohl - ich habe noch eine Menge Briefe zu schreiben - Grüße von uns allen. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
4 die Sintflut - 5 falschen Brüder
23 Marx/Engels, Werke Bd. 36
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Engels an Karl Kautsky in Eastbourne14671
[Jersey, Sonntag, 16. August 1885] Lieber K[autsky]. Nach allerlei Irrfahrten sind wir vorgestern morgen hier gelandet und nach einiger Mühe auch untergekommen.14681 Das Nest hat sich in 10 Jahren nicht viel verändert, ist noch immer hübsch bei schönem Wetter. Die Seefahrt war sehr schön, bloß gegen Morgen wurde Nim, Pumps und Lili etwas freigebig, d.h. eigentlich bloß die beiden letzten, Nim legte sich hin und wurde besser. In Guernsey luden wir ca. 10 Kälber und 20 Schafe aus, deren Seekrankheit erbärmlich anzusehn war. Pilsener Bier ist entdeckt und in starker Konsumtion, daneben sehr guter Rotwein zu 10 Pence die Flasche. Die Partei lasse ich jetzt machen, was sie will, wenn Du aber Interessantes mitzuteilen hast, ist's willkommen. Adr. 2, Royal Crescent. Jersey. Herzliche Grüße von allen an Dich, Deine Frau und Deine Mutter. Dein F. E.
187
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
31, Roseville st. Jersey 25. Aug. 85
Werter Herr, Ich habe Ihre Briefe 6.(18.) und 9. (21.)Aug. erhalten, die ich nach meiner Rückkehr nach London beantworten werde.1 Inzwischen inliegend der Brief an den Herausgeber des „Cf'fsBepHHÖ] B[icTHHKi]". Die Antwort haben Sie vermutlich.14691 Wenn nicht, schreiben Sie mir bitte wie bisher nach London, und ich werde nach meiner Rückkehr in 14 Tagen eine Abschrift schicken. Ihr ergebener P.W.R[osherYm]
Aus dem Englischen.
188
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich14701
31, Roseville st. Jersey 26. Aug. 85
Werter Herr Schlüter, Die Druckbogen 16 und 171 kamen in London nach meiner Abreise an Kautskys und Avelings waren auch fort, so daß niemand da war, der die eingehenden zahlreichen Drucksachen einigermaßen sortiert nachschicken konnte. Erst Montag kam Frau Aveling nach meinem Hause und sandte mir dann die Bogen zu. Gestern, Mittwoch, gingen sie an Sie korrigiert zurück. Es sind mir da viele Worte hineingesetzt, die im Original nicht stehn und den Sinn total fälschen. Und besonders sind in Bogen 17 die Seiten total durcheinandergeworfen: 257. 262. 263. 258. 259. 264 usw., was grade in diesem wichtigsten Kapitel des Buchs absolut unzulässig ist, und weshalb ich der Vorsicht halber diese Zeilen an Sie richte. Ich bleibe hier bis heute über 14 Tage. Alle Sendungen von dort, nach Samstag, 3. Sept., gehn besser wieder nach London. - Wir ersticken hier förmlich im schönen Wetter, denn aus Regenmangel ist großer Wassermangel auf der kleinen schönen Insel. Von der Partei höre und sehe ich nichts, was nach den letzten Stürmen im parlamentarischen Glas Weisser13951 kein Unheil. Beste Grüße an Ede. Ihr F.E.
1 der zweiten Auflage von »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft"
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Engels an Karl Kautsky in London
Lieber K[autsky], Am Donnerstag1 reisen wir von hier ab und hoffen Euch also wie gewöhnlich am Sonntag bei uns zu sehn. Die „Volks-Zfeitung]" mit | 2 dankend erhalten. Der Mann will sich liebes Kind bei seinem Papa machen.14711 Dieser aber hat was Beßres zu tun. Nicht zufrieden damit, 1870 eine französische Republik gemacht zu haben, muß er jetzt auch noch alles aufbieten, eine spanische zu machen.14721 Hoffentlich gelingt's ihm. Welche Esel, diese großen Männer! Besten Gruß an Deine Frau und Dich von allen. Dein F.E. [Jersey] 6./9./85
1 10. September - 2 Louis Vierecks Artikel
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich14701
Schluß von ,,D[ühring] "-Korrektur gestern hier erhalten. Morgen reise ich zurück, kann daher hier nichts mehr damit machen, um so mehr, da Bogen 18 noch unkorrigiert in London liegt. Die Nachsendung der nach London dirigierten Sachen hieher ist dies Jahr sehr schlecht besorgt worden, daher der Aufenthalt. Die Erledigung dieser Korrekturen sowie die Vorrede1 werden meine erste Arbeit sein. Das andre ist notiert und folgt. Die Wolff-Biographie aus der „Neuen Welt" bitte sofort nach London zu schicken, sie wird dann auch gleich besorgt.114491 Beste Grüße von
Ihrem F.E.
Jersey, 9./9./85
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Engels an Karl Kautsky in London
Lieber Kautsky, Wegen heftigen Sturms, während dessen ich die Verantwortlichkeit einer Seereise für die Kleinen nicht übernehmen kann, noch hier und schwerlich imstande, morgen abzureisen. Aus der Aussicht, Euch Sonntag wieder bei mir zu sehn1, wird also nichts. Beste Grüße an Deine Frau.
Dein F.E.
[Jersey] Donnerstag [lO.September 1885]
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 22. Sept. 1885
Meine liebe Laura, Als ich Dir gestern schreiben wollte, kamen Leute, und ich versäumte die Post. Daher kann ich Dir erst heute den Scheck über £ 10 schicken; das ist alles, was ich erübrigen kann, bis mehr Geld eingeht, was hoffentlich nicht lange dauern wird. Von Schorl[emmer] habe ich nichts gehört, vermute aber, daß Du Nachricht hast, da Du ihn erwartest, und weil dies so ist, gehe ich natürlich einen Schritt weiter und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß er Dich irgendwann in der nächsten Woche mit herüberbringt. Wir haben alles für Dich vorbereitet. Während Ihr am letzten Sonntag in Paris einen schönen Krawall'4731 hattet, haben Tussy und Aveling einen hier im East End gehabt; ich werde Dir die „Daily News" schicken, die den besten Bericht und einen Leitartikel brachte.'4741 Sie waren heute morgen hier, meine Auffassung ist: wenn sie die Radikalen, die anscheinend sehr interessiert sind, nicht auf ihre Seite ziehen können, um die Sache aufzugreifen, dann ist le jeu ne vaut pas la chandelle1. Die Sozialisten sind unbedeutend, die Radikalen sind eine Macht. Wenn man die ganze Angelegenheit zu einer solchen machen kann, daß sich ein Dutzend Radikale dafür verhaften lassen, wird die Regierung nachgeben - sei es auch nur wegen der bevorstehenden Wahlen. Sind aber nur Sozialisten die Opfer, dann werden sie ins Gefängnis gehen, ohne daß etwas dabei herauskommt. Mir gefällt die systematische und theoretisch korrekte Art, mit der die Franzosen darangehen, das scrutin de liste'3961 ins Werk zu setzen. Jede Partei stellt eine eigene vollständige Liste auf. Die Folge davon wird sein, daß überall die verhältnismäßig stärkste Partei alle ihre eigenen Leute hineinbekommt, die übrigen keine. Aber gleichzeitig wird jede Partei die Auszählung selbst vornehmen und über ihre Stärke Bescheid wissen. Und bei den nächsten Wahlen wird das notwendige Ergebnis herauskommen:
die Parteien, die ähnliche Interessen haben, werden sich entsprechend ihrer relativen Stärke zu einer gemeinsamen Liste zusammentun - wenn dies nicht schon jetzt am Vorabend der Wahl geschehen ist. Scrutin de liste zwingt Radikale1-4601 und Sozialisten, eine gemeinsame Liste aufzustellen, ebenso wie sie die Opportunisten12441 und Monarchisten nach und nach zwingen wird, sich in einer gemeinsamen Liste zu vereinen, wenigstens in einzelnen Departements. Aber es ist charakteristisch für das genie fran;ais, daß dies nur als Ergebnis praktischer Erfahrung erreicht werden kann. Gerade dieser ideologische, absolute Charakter ist es, der der Geschichte der französischen Politik ihre klassische Form gibt, verglichen mit der verworrenen Politik anderer Nationen. Ich werde überschüttet mit Korrekturbogen, Durchsichten, Vorworten, die zu schreiben sind, usw. usw., so daß ich noch nicht die Zeit gehabt habe, Deine Übersetzung des „Manifests"14751 ernsthaft anzuschauen. Sobald die allerdringendsten Sachen erledigt sind, ich hoffe Ende dieser Woche, werde ich darangehen, und dann können wir hier darüber diskutieren. Ich freue mich, daß Du endlich Dein Licht nicht länger unter den Scheffel stellen willst, und uns hilfst, einige gute Sachen ins Französische zu übersetzen, da unsere gebürtigen Franzosen anscheinend unfähig sind, Deutsch zu verstehen. Wenn Du erst einmal drinsteckst, wirst Du nach dem Trägheitsgesetz fortfahren und allmählich beginnen, die Tretmühle zu lieben. Es ist Postzeit, und darum lebe wohl, bis wir Dich hier sehen und Du hoffentlich den Rest Deiner Übersetzung mitbringen wirst. Nim läßt grüßen. In Zuneigung Dein F. Engels
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 23. Sept. 1885
Werter Herr Schlüter, I. Die sämtlichen Korrekturen von „Dühring" werden Sie erhalten haben. Sie wurden am 13. und 14. von hier abgeschickt. Sollte etwas fehlen, so bitte ich um gefl. Nachricht, der Satz war so, daß er absolut nicht ohne meine Korrektur gedruckt werden kann. Von Aushängebogen ist der letzte hier angekommne Nr. 14. Den Rest erwarte ich wegen Druckfehlerverzeichnisses. Anbei ein provisorisches, das viel Unsinn korrigiert, den ich wohl selbst habe größtenteils stehnlassen. Ich werde aber das Ganze noch einmal durchgehen. Hierbei endlich auch die Vorrede1, die mich hat weidlich schwitzen machen. Erstens viel Unterbrechungen. Dann aber war ich auch aus den Naturwissenschaften sehr heraus und mußte vieles nachlesen. II. Von „Marx vor den Geschwornen" bitte mir (nebst „Vorrede") wo möglich Korrektur (doppelte), sonst aber wenigstens Aushängebogen zuzuschicken, wegen Druckfehlerverzeichnis. Die Originalausgabe ist nicht ohne starke Fehler, und die Herren Setzer denken auch manchmal mehr, als dem Schriftsteller lieb ist. III. „Vorrede"2 etc. zum „Kommunistenprozeß"3 folgt noch diese Woche, wenn keine Unterbrechungen kommen. IV. Sofort darauf mache ich die Biographie von Lupus4 für die „schlesische Milliarde" zurecht nebst sonstigem, was dazu gehört.14491 Dies folgt auch in wenigen Tagen. Von allem bitte ich mir Aushängebogen zu senden und von meinen Vorreden etc. Korrekturabzüge. Ferner von allen diesen Sachen je 12 Ex. Die Photographie von Marx besorge ich ebenfalls.
1 Siehe Band 20 unserer Ausgabe, S.8-14 - 2 Friedrich Engels: „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" - 3 Karl Marx: „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln"-4 Wilhelm Wolff
Alsdann geht es an die Umarbeitung des „Bauernkriegs", sobald die französischen und englischen Übersetzungs-Revisionen vom Hals geschafft sind.'220' Korrekturen werden jetzt, seit ich wieder hier, rasch und pünktlich besorgt. An der Ausstattung des II. Bandes „Kapital" habe ich Herrn Meißner vieles auszusetzen gehabt. Die Typen der Vorrede und des Texts sind überall durcheinandergeworfen, und ich habe sie großenteils erst in der Korrektur etwas sortiert, soweit es ging. Das ist unverzeihlich. Auch ist bei 500 Ex. das Register ganz ausgefallen. Ich lege eins bei fürs ArchivExemplar. I |5 ist unverbesserlich.6 Der Appell an seinen Papa ist rührend14711, der Alte wird ihm die Rute geben. Mit besten Grüßen Ihr F. Engels
5 Louis Viereck - 6 siehe vorl. Band, S. 357
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 8. Okt. 1885
Lieber Ede, Hierbei schicke ich Dir die Einleitung1 zu den „Enthüllungen über den Kölner Prozeß". Wenn Du sie vorher als Feuilleton im „Sfozialdemokrat]" abdrucken willst, so habe ich nichts dagegen, Du mußt Dich nur mit Schlüter deshalb verständigen, der wahrscheinlich mit Schmerzen darauf wartet. Sage ihm, er erhielte morgen die Noten und Korrekturen zum Marxschen Text, sowie Angaben wegen der aus Stieber abzudruckenden Anlagen2. K.Kfautsky] wird Dir einige „Kölnfische] Ztg." zuschicken, worin der erste rationelle Bericht über die bulgarischen Ereignisse1476 K Der Korrespondent ist in Belgrad und sachkundig, und da hier bis jetzt kein Interesse Bismarcks einen Vertuschungsbefehl provoziert, kann man den Bericht auch für aufrichtig halten. Die Russen sind also in ihrer eignen Falle gefangen; sie vergaßen, daß Alexander Battenberg als preußischer Gardeleutnant sich mit Recht auf seinen „Kameraden" Wilhelm3 verläßt. Du machst Dir viel zu viel Sorgen wegen eines „Nachfolgers" beim „Sfozialdemokrat]". Das ist ja grade das Gute, daß man Dich da nicht ersetzen kann; sollten die Herren versuchen, einen ihrer eignen Schlappes dahin zu setzen, so scheitern sie; denn 1. geht keiner der Sorte ins freiwillige Exil, und 2. würde die Partei dem bald ein End machen und so ein Blatt nicht halten. Gehst Du, so geht auch der „Sfozialdemokrat]", und daß das zusammenfällt ist grade gut. Es ist auch Augusts4 Ansicht, daß die Züricher Etablissements uns unter allen Umständen verbleiben müssen, und es auch wohl werden, da sie für die andern nur eine Last wären. Wofür Du, glaub' ich, zu sorgen hast, ist, daß die Druckerei und Buchhandlung uns verbleiben,
1 „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" - 2 Karl Marx/Friedrich Engels: „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850" und „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom Juni 1850", siehe vorl. Band, S. 333 -3 Wilhelm I. -4 August Bebel
dann macht sich das mit dem „Sfozialdemokrat]" von seihst, im schlimmsten Fall nach Untergang des jetzigen durch ein neues Blatt. Aber Du schreibst den Herren zu viel Offensivkraft zu. Die Freisprechung in Chemnitz ist famos.14771 Das war also doch selbst den sächsischen Richtern zu stark. Die französischen Wahlen14621 sind ein großer Fortschritt. Wie ich vorher sagte6, hat das Scrutin de liste13961 die Opportunisten12441 erdrückt. Daß es sie aber dermaßen erdrücken würde, daß die große, mittlere und ein Teil der kleinen Bourgeoisie sich zu den Monarchisten flüchten würde, und so massenweis, das war nicht vorherzusehn - wenigstens nicht außerhalb Frankreichs. Die Opportunisten haben „Direktorium" gespielt, eine Korruption betrieben, die selbst die des II.Empire weit hinter sich läßt. Aber ohne dem Bourgeois die Ruhe zu garantieren, die ihm die Monarchie garantiert. Der Rückfall in die Monarchisterei, die hier Orleanismus heißt, war um so natürlicher, als das ganze Centre gauche6 (Ribot, „Journal des Debats", etc.) nur als Republikaner verkappte Orleanisten sind, man also die echten Orleanisten vorzieht, und sich auch, wo es nicht anders geht, mit Bonapartisten und Legitimisten begnügt. Die Stichwahlen werden wahrscheinlich schon den Rückschlag, den Schrecken des Bourgeois über seinen eignen Wahlerfolg, also radikale Wahlen konstatieren. Wo nicht, wird bald losgeschlagen. Jedenfalls ist das gewonnen: Verdrängung der Mittelparteien, Monarchisten gegen Radikale, die wenigen Mittelparteideputierte gezwungen zu wählen zwischen Anschluß an diese oder an jene. Damit ist die Situation revolutionär. An die Monarchie selbst glaubt kein Mensch in Frankreich ernsthaft. Schon wegen der Unzahl der Prätendenten. Aber ein orleanistischer Versuch wäre möglich, und dann käme es zum Klappen. Jedenfalls ist die Frage so gestellt: entweder la republique en danger7, oder aber Herstellung einer „radikalen" Republik. Alle Wahrscheinlichkeit ist, daß letztre siegt. Dann aber müssen die Radikalen nicht nur mit ihren eignen Versprechungen Wort halten, die zentralisierte Administration Napoleons durch die Selbstregierung der Departements und Gemeinden, wie sie 1792-98 bestand, ersetzen, sondern sich auch auf die Sozialisten stützen. Eine günstigere Situation können wir uns nicht wünschen. Frankreich bleibt dem eigentümlich logisch-dialektischen Gang seiner Entwicklung treu. Die Gegensätze werden nie auf die Dauer vertuscht, sondern stets ausgefochten. Und das kann uns nur recht sein.
B siebe vorl. Band, S. 348/349 - 6 linke Zentrum - 7 die Republik in Gefahr
Daß die Sozialisten so wenig Stimmen haben (worüber Lafargue schrecklich jammert), ist ganz natürlich.'4781 Der französische Arbeiter wirft seinen Stimmzettel nicht weg. Und da in Frankreich noch lebendige Parteien bestehn, nicht, wie in Deutschland, nur tote oder sterbende, so ist es keineswegs politisch, für einen aussichtslosen Sozialisten zu stimmen, wenn man dadurch einen Radikalen in die Minorität und einen Opportunisten in die Majorität bringt. Die Zählkandidaturen haben eben in Frankreich ihren großen Haken, wie sie ihn auch stellenweise in Deutschland bekommen werden, sobald wieder Leben in die dortige politische Bude kommt. Wenn erst die Entwicklung der Dinge in Frankreich den Sozialisten erlaubt, offizielle Opposition zu werden, d.h. wenn Clemenceau definitiv am Ruder ist, bekommen wir Millionen Stimmen im Nu. Man muß aber nicht den Franzosen vorschreiben wollen, sich auf deutsche Weise zu entwickeln. Das tun aber viele auch der besten Leute in Deutschland. Ein Endurteil läßt sich natürlich erst fällen, sobald die Nachwahlen vorüber.'4791 Dein F.E.
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
... T T „ , , London, 9. Oktober 85 Lieber Herr Schlüter, Die Einleitung zum „Kölner Prozeß" habe ich gestern an Ede geschickt, für den Fall, daß er sie im „Sfozialdemokrat]" vorher abdrucken will, wo er sich dann mit Ihnen verständigen muß. Hierbei nun Inhaltsanzeige als Plan der Zusammenstellung, Druckfehler aus und Noten zur Leipziger Ausgabe von 187514801. Ich habe nur die beiden Ansprachen der Londoner Zentralbehörde von März und Juni aufgenommen, die „Kölner Ansprache" vom Dezember 1850 bietet theoretisch nichts Neues und geht in Details über die Sprengung ein, die heute nur noch in einer ausführlicheren Geschichte der damaligen Bewegung wichtig sind.'4811 Die Sache hat sich arg verschleppt - ohne meine Schuld. La bravoure, c'est dans le ventre1, sagte der Marschall Davout einmal zu seinem Quartiergeber, dem Schwiegervater von Marx2, als dieser ihm zu seinem Appetit gratulierte. L'esprit, c'est dans le ventre3, sage ich, nachdem ich erfahren, bis zu welchem Grad von Dummheit und Unfähigkeit man durch einen Magenkatarrh herabgebracht werden kann. Fünf Stunden über einer Seite schwitzen und dann das Geschriebne wütend ins Feuer werfen - well4, es ist jetzt vorüber und kommt hoffentlich so bald nicht wieder. Die Einleitung zur „schlesischen Milliarde"14491 wird morgen in Angriff genommen. Dagegen ist es mit der Junischlacht vorderhand nichts. Ich habe mich überzeugt, daß die Sachen der ,,N[eueri] Rheinischen] Zfeitung]" so nicht ohne eine wirkliche Geschichte der Ereignisse abgedruckt werden können.14451 Dazu aber gehören Spezialstudien, die ich nicht machen kann, ehe die Marxschen Haufen von Broschüren geordnet sind, weil ich dann erst sehe, welche Sachen ich mir für den Zweck noch anschaffen muß. Und dann erst käme ich ans Studieren. Dies also muß vorderhand auf die lange Bank. Besten Gruß von Ti Ihrem „ n , F. Engels
1Die Tapferkeit geht durch den Magen - 8 Ludwig von Westphalen - 3 Der Geist geht durch den Magen — 4 nun
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Engels an Paul Lafargue in Parist482! (Auszug)
[London, 12. Oktober 1885] ... Ich bin nicht der Ansicht, daß der 4. Oktober eine Niederlage ist, es sei denn, daß Sie sich allen möglichen Illusionen hingegeben hatten. Es handelte sich darum, die Opportunisten'2441 zu zerschlagen - und sie sind zerschlagen worden. Aber um sie zu zerschlagen, bedurfte es eines Drucks der beiden entgegengesetzten Seiten, von rechts und von links. Daß der Druck von rechts stärker gewesen ist, als man erwartet hatte, ist offensichtlich. Aber das macht die Situation viel revolutionärer. Der Bourgeois, der große und der kleine, hat den verkappten Orleanisten und Bonapartisten die offenen Orleanisten und Bonapartisten vorgezogen, er hat den Männern, die sich auf Kosten der Nation bereichern wollen, jene vorgezogen, die sich schon durch Diebstahl an ihr bereichert haben - er hat den Konservativen von morgen die Konservativen von gestern vorgezogen. Das ist alles. Die Monarchie ist in Frankreich unmöglich, sei es auch nur wegen der Vielzahl der Thronprätendenten. Wäre sie möglich, so wäre dies ein Zeichen, daß die Anhänger Bismarcks recht haben, wenn sie von der Degeneration Frankreichs sprechen. Aber diese Degeneration betrifft nur die Bourgeoisie, in Deutschland und in England ebenso wie in Frankreich. Die Republik bleibt immer die Regierung, die die drei monarchistischen Sekten14831 am wenigsten spaltet, die ihnen gestattet, sich in einer konservativen Partei zu vereinen. Wenn die Möglichkeit einer monarchistischen Restauration diskutabel wird, spaltet sich die konservative Partei sofort in drei Sekten, während die Republikaner gezwungen sein werden, sich um die einzig mögliche Regierung zu gruppieren, und im Augenblick ist das wahrscheinlich das Kabinett Clemenceau. Clemenceau ist immerhin, im Vergleich zu Ferry und Wilson, ein Fortschritt. Es ist sehr wichtig, daß er nicht an die Macht kommt als Verteidiger des Eigentums gegen die Kommunisten, sondern als Retter der Republik vor der Monarchie. In diesem Falle wird er mehr oder weniger
gezwtmgen sein, das zu halten, was er versprochen hat; im entgegengesetzten Falle würde er sich wie die andern verhalten, die sich wie Louis-Philippe für „die beste der Republiken"14841 hielten: - wir sind an der Macht, die Republik kann ruhig schlafen; es genügt, daß wir von den Ministerien Besitz ergriffen haben, erzählt uns also nichts mehr von den versprochenen Reformen. Ich glaube, daß die Männer, die am 4. für die Monarchisten gestimmt haben, schon über ihren eigenen Erfolg erschrocken sind, und daß der 18. Ergebnisse mehr oder weniger im Sinne Clemenceaus14851 zeitigen wird, mit einem gewissen Erfolg für die Opportunisten, nicht aus Achtung, sondern aus Verachtung für sie. Der Philister wird sich sagen: - bei so vielen Royalisten und Bonapartisten brauche ich schließlich einige Opportunisten. Im übrigen wird der 18. die Situation entscheiden; Frankreich ist das Land des Unvorhergesehenen, und ich werde mich hüten, eine endgültige Meinung zu äußern. Aber auf alle Fälle werden sich Radikale14601 und Monarchisten gegenüberstehen. Die Republik wird gerade soweit gefährdet sein, als nötig ist, um den kleinen Bourgeois zu zwingen, ein wenig mehr nach der extremen Linken zu tendieren, was er sonst niemals getan hätte. Das ist genau die Situation, die wir brauchen, wir Kommunisten. Bisher sehe ich keinen Grund anzunehmen, daß der so außergewöhnlich logische Verlauf der politischen Entwicklung in Frankreich gestört wäre: die Logik von 1792-94 besteht noch immer; nur die Gefahr, die damals seitens der Koalition drohte, droht heute seitens der Koalition der monarchistischen Parteien im Innern. Aus der Nähe betrachtet, ist sie weniger gefährlich, als es die andere war... F. Engels
Nach: „Le Socialiste", vom 17. Oktober 1885. Aus dem Französischen.
24 Marx/Engels, Werlte. Bd. 36
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 13. Okt. 1885
Meine liebe Laura, Ich schicke Dir mit dieser Post die ersten zehn Blätter des „Manifests"14761 zurück - ich mußte abbrechen, erstens weil es 5 Uhr ist, und zweitens, weil es da eine Lücke von beträchtlichem Ausmaß gibt, die ich nicht ausfüllen kann. Paul wird mir, hoffe ich, sofort das Fehlende zusenden, und ich werde es, wenn möglich, am gleichen Tag zurückschicken, denn ich sehe schon, daß es mich nicht lange in Anspruch nehmen wird. Ehrlich gesagt, eine Übersetzung des „Manifests" schreckt mich immer es erinnert mich an die mühseligen Stunden, die ich vergeblich mit diesem unübersetzbarsten aller Dokumente verbracht habe. Aber Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Es sind nur zwei Stellen, wo Du wahrscheinlich unterbrochen worden bist und die exakte Bedeutung nicht getroffen hast. Sonst ist die Arbeit ausgezeichnet gemacht, und zum erstenmal wird das Pamphlet in Französisch in einer Form erscheinen, auf die wir stolz sein können und die dem Leser einen Begriff von dem Original geben wird. Je mehr Du zum Schluß kommst, wirst Du Dich durch die Praxis vervollkommnen, und Du wirst immer weniger übersetzen, sondern es in der anderen Sprache wiedergeben. Darum nimm meine Bemerkungen - dort, wo es sich nicht um den Sinn handelt - als bloße Anregungen, über deren Wert Du zu entscheiden hast. Ich bin so aus der Übung, französisch zu sprechen und zu schreiben, daß nur eine Stunde Unterhaltung mit Johnny auf mich wie ein Honorarzuschuß auf einen Kronanwalt wirkt, und meine Fähigkeit, französisch zu denken, mehr belebt, als ich mir je hätte träumen lassen. Ich bin wirklich froh, daß Du diese Sache in die Hand genommen hast; daß es Dir gelingen wird, wenn Du Dich nur erst einmal ins Zeug legst, habe ich niemals bezweifelt, aber ich freue mich, die fertige Arbeit zu lesen. Nun haben wir Dich eingespannt und werden unser Bestes tun, um Dich bei der Stange zu halten. Es wird der Bewegung in Frankreich unendlichen Nutzen bringen, denn Du kannst überzeugt sein, daß bei ihnen das
Erlernen der deutschen Sprache noch für längere Zeit keine allzu großen Fortschritte machen wird, und sogar die, die sie lernen, erlernen sie wie Schuljungen und vielleicht ohne je mit einem Deutschen gesprochen zu haben. Die Übersetzung des armen Fortin1 macht mir genug Mühe - die deutschen Wörter sind für ihn bloße Skelette, kein Fleisch und Blut - wie kann er sie französisch wiedergeben! Und noch dazu Möhrs kraftvolles Deutsch! Also Dir zum Wohl und guten Erfolg; nach dem „Manifest" wird Dir alles, was Du anpackst, ein Kinderspiel scheinen! Es läutet zum Mittagessen - drum lebe wohl. Immer Dein F. E.
Aus dem Englischen.
1 die französische Übersetzung von Karl Marx: „Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte", siehe vorl. Band, S.34I
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Engels an Karl Kautsky in London
[London, M.Oktober 1885]
Der letzte Akt heißt: „The Factory and Workshops Act, 1878, 41. Victoria, Chapter 16." und ist zu haben bei P. S. King & Son Canada Building King st., Westminster. Ist abgedruckt und kommentiert in: „The Factory & Workshops Act 1878." - By Alex. Redgrave, Her Maj. Inspector of Factories. 2nd ed. London, Shaw & Sons, Fetter Lane and Crane Court, Law Printers and Publishers. 1879. 238 Seiten klein Octav. 5 Schillinge. Der Act selbst kostet höchstens 1 Schill. Dein F.E.
199
Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris14861
Mein lieber Lawrow, Es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen keine Quellen für die Geschichte des Chartismus angeben kann.14871 Alle meine Papiere, Bücher, Zeitungen usw., die diese Zeit behandeln, sind bei dem Sturm von 1848/49 verlorengegangen. Der „Northern Star", Hauptquelle, ist unauffindbar, selbst im Norden Englands (sein ehemaliger Chefredakteur Harney sucht vergeblich, sich eine Kollektion zusammenzustellen). Was die Bourgeois darüber geschrieben haben, ist größtenteils falsch; außerdem habe ich mich mit dieser Literatur überhaupt nicht beschäftigt. Es ist schade, denn wenn Harney keine Memoiren schreibt, wird die Geschichte der ersten großen Arbeiterpartei für immer verloren sein. Ich bedaure also. Freundschaftlichst F.E. [London] 20./10./85
200
Engels an Salo Faerber in Breslau
London, 22. Oktober 1885
Sehr geehrter Herr, Ich habe Ihre werten Zeilen vom 15. erhalten'4881, aber mit stark verletztem Siegel, welches ich Ihnen zur größeren Ehre des Herrn Stephan14891 beilege. Auch ich habe schon öfter, seit 1848, die Behauptung ausgesprochen,daß das russische Zarentum der letzte Hort und die große Armeereserve der europäischen Reaktion ist. Indes ist da seit 20 Jahren in Rußland manches geändert. Die sogenannte Bauernemanzipation hat eine durchaus revolutionäre Lage geschaffen, indem sie die Bauern in eine Lage versetzt hat, in der sie weder leben noch sterben können. Die rasche Entwicklung der großen Industrie und ihrer Verkehrsmittel, der Banken etc. haben diese Lage nur verschärft. Rußland steht vor seinem 1789. Die Nihilisten einerseits, die Finanznot andrerseits sind Symptome dieser Lage. Vor der letzten Anleihe stand die Sache so, daß die russische Regierung sogar in Berlin kein Geld auftreiben konnte, es sei denn, die Anleihe werde von einer repräsentativen Versammlung garantiert. Selbst Mendelssohn stellte diese Bedingung. Da, als das Zarentum in der tiefsten Klemme stak, trat Bismarck ein, ermöglichte eine Anleihe, freilich nur von 15 Millionen £, ein Tropfen auf einen heißen Stein, aber hinreichend für ein paar Jahre Galgenfrist.11821 Bismarck unterjochte sich dadurch Rußland, das ohne ihn auch jetzt kein Geld bekommt, und vertagte andrerseits dadurch die russische Revolution, die ihm auch nicht in den Kram paßt. Es ist das erstemal, daß Bismarck etwas getan hat, was uns nicht indirekt und wider seinen Willen zum Vorteil ausgeschlagen ist, und wenn er so fortfährt, können wir ihn nicht länger brauchen. Ob also die Russen noch mehr Geld bekommen sollen, hängt wesentlich von Bismarck ab, und wenn dieser es gestattet, stürzt der deutsche Geldphilister mit Entzücken in die ihm gestellte Schlinge. Daß er dabei sein Geld verliert, ist mir äußerst gleichgültig, im Gegenteil, es geschieht ihm ganz recht; und das sogenannte deutsche Nationalkapital verliert auch
nicht viel dabei, da der Teil desselben, der uns interessiert, in Hüttenwerken, Fabriken und andern Produktionsinstrumenten besteht, die man den Russen nicht pumpen kann. Das sogenannte Geldkapital, das verpumpt wird, ist größtenteils fingiertes Kapital, Kreditstücke, und daran ist nicht viel gelegen. Viel mehr gelegen daran wäre den Russen, den Kredit zu erschweren oder zu brechen, aber der deutsche Geldmichel glaubt da Bismarck mehr als uns. Ich habe absolut nicht die Zeit, mich jetzt mit einem Versuch zu beschäftigen, den russischen Staatskredit auf das verdiente Niveau herunterzubringen, eine solche Arbeit wäre jedenfalls verdienstvoll und zeitgemäß, aber dazu gehört Studium der russischen Verhältnisse aus russischen Quellen. Für das eigentlich Finanzielle reichen die Aufstellung der russischen Staatsschuld und die Kurszettel der letzten Jahre hin, aber für die inneren ökonomischen Verhältnisse des Landes muß man viel studieren, um eine richtige Anschauung zu gewinnen. Ein Hauptwerk ist die vom russischen Kriegsministerium bearbeitete Untersuchung unter dem Titel BoeHHO-CTaTHCTHHecKift cßopHHKt IV. Poccis, Petersburg 1871. Ferner: A. CKpeöui^niü, KpecThHHCKoe p^no Bt> ijapcTBOBaHie ÜMiiepaTopa AjieKcaHflpa II. Bonn, 1862- 68, 4 Bände, zus. etwa 5000 Seiten. Ferner die cöopHHKH CTaTHCTiiiecKHX'b CBis^Hift der einzelnen Gouvernements, namentlich Moskau und Twer, und HHCOHI,, CpaBHHTejibHaa: cTaTucTHKa PocciH h sanaHHO-eBponeficKHXT, rocysapcTBi,. Petersburg 1880, mehrere Bände. Die russischen Budgets sind nicht das Papier wert, worauf sie geschrieben. Lauter Lüge und Erfindung, noch mehr als die preußischen Budgets vor 1848. Was eine Abschätzung der heutigen nach preußischem Muster reorganisierten Armeen betrifft, so ist diese rein unmöglich. Soviel ist sicher, daß Ostreich, und noch weit mehr Rußland, der zahlreichen gebildeten Klasse ermangeln, die allein für so zahlreiche Armeen hinreichende Zahl brauchbarer Offiziere liefern kann, und daß die Kriegführung der Russen 1878 in der Türkei nach der Beschreibung ihres eignen Generals Kuropatkin unter der preußischen von 1806 steht.14901 Inl. Brief von L[ie]bkn[echt] zurück.14911
Hochachtungsvoll und ergebenst F. Engels
201 Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
T . , r> i i London, 28. Oktober 1885 Lieber bebel, L[iebknecht]s Durchfall in Sachsen tut mir leid für ihn persönlich, aber sonst kann er ihm nicht schaden. Die Popularität ist ihm eine gar zu wichtige Sache, der er mehr Opfer bringt als gut ist, und da ist es nützlich, daß er einmal merkt, wie alle Konzessionen nach rechts nichts nützen, und erst recht nicht bei einer Zensuswahl, wo sie ihm nicht einmal Kleinbürgerstimmen einbringen.14921 Sehr gefreut haben mich Deine Nachrichten über den unabhängigen Sinn der Massen. Die Herren vom rechten Flügel werden daran freilich erst glauben, wenn an ein paar von ihnen Exempel statuiert werden; sie leben im Umkreis kleiner Cliquen, und was sie da hören, gilt ihnen als Volksstimme. Die Augen werden ihnen schon aufgehn. Der chronische Druck auf allen entscheidenden Industriezweigen herrscht auch hier, in Frankreich, in Amerika, ununterbrochen fort. Namentlich in Eisen und Baumwolle. Es ist ein unerhörter Zustand, so sehr er auch die unvermeidliche Konsequenz des kapitalistischen Systems ist: eine so kolossale Überproduktion, daß sie es nicht einmal zu einer Krise bringen kann! An disponiblem, anlagesuchendem Kapital ist so stark überproduziert, daß der Diskont hier tatsächlich von 1-172% jährlich schwankt und Geld auf kurze Vorschüsse bei beiderseits täglicher Abzahlung oder Rückforderung (money at call) kaum zu V2/0 jährlich anzubringen ist. Aber daß der Geldkapitalist sein Geld lieber so anlegt, als daß er es in neue industrielle Unternehmungen steckt, dadurch grade gesteht er ein, wie faul ihm die ganze Wirtschaft erscheint. Und in dieser Scheu vor neuen Anlagen und aller Spekulation, die sich schon in der Krisis 1867 zeigte, liegt der Hauptgrund, warum man es nicht zu einer akuten Krisis bringt. Schließlich muß sie aber doch wohl kommen, und dann wird sie hier hoffentlich den alten Gewerkschaften ein Ende machen. Diese haben den ihnen von Anfang anklebenden Zunftcharakter ruhig
beibehalten und der wird täglich unerträglicher. Ihr glaubt wohl, bei den Mechanikern, Zimmerleuten, Maurern usw. könne jeder Arbeiter der Branche ohne weiteres eintreten? Davon ist keine Rede. Wer eintreten will, muß an einen der Gewerkschaft angehörigen Arbeiter eine Reihe von Jahren (meist 7) als Lehrling attachiert gewesen sein. Dies sollte die Zahl der Arbeiter beschränkt halten, war aber sonst ganz zwecklos, außer, daß es dem Lehrmeister Geld eintrug, wofür er tatsächlich nichts leistete. Dies ging noch an bis 1848. Seitdem aber hat der kolossale Aufschwung der Industrie eine Klasse von Arbeitern erzeugt, ebenso zahlreich oder zahlreicher wie die „gelernten" der Trades Unions, die dasselbe oder mehr leisten, aber nie Mitglieder werden können. Diese Leute sind durch die Zunftregeln der Trades Unions förmlich gezüchtet worden. Aber glaubst Du, die Unions dächten daran, diesen alten Blödsinn abzuschaffen? Nicht im mindesten. Ich erinnere mich nicht, je einen Vorschlag der Art auf einem Trades-Unions-Kongreß gelesen zu haben. Die Narren wollen die Gesellschaft nach sich, nicht aber sich nach der Entwicklung der Gesellschaft reformieren. Sie kleben an ihrem traditionellen Aberglauben, der ihnen selbst nur schadet, statt daß sie den Kram abschaffen und dadurch ihre Zahl und ihre Macht verdoppeln und tatsächlich das wieder werden, was sie jetzt täglich weniger bleiben, nämlich Vereine sämtlicher Arbeiter des Gewerks gegen die Kapitalisten. Das, glaub' ich, wird Dir manches im Betragen dieser privilegierten Arbeiter klarmachen. Was hier nötig, ist vor allem, daß die offiziellen Arbeiterführer massenweise ins Parlament kommen. Dann geht's bald flott; sie werden sich rasch genug enthüllen. Die Wahlen im Nov.14931 werden dazu vieles tun, 10-12 davon kommen sicher hinein, wenn nicht ihre liberalen Freunde ihnen zu guter Letzt noch einen Streich spielen. Die ersten Wahlen mit einem neuen System sind immer eine Art Lotterie und enthüllen nur den geringsten Teil der Revolution, die damit eingeleitet worden. Aber das allgemeine Stimmrecht - und das neue hiesige gibt bei der Abwesenheit einer Bauernklasse und dem industriellen Vorsprung Englands den Arbeitern soviel Macht, wie das deutsche allgemeine - ist heute der beste Hebel einer proletarischen Bewegung, und wird's auch hier werden. Darum ist es so wichtig, so rasch wie möglich die Social Democratic Federation13131 kaputtzumachen, deren Leiter lauter politische Streber, Abenteurer und Literaten sind. Hyndman, ihr Chef, hilft da mit Macht; er kann es nicht erwarten, bis daß das Glöcklein zwölfe schlägt, wie's im Volkslied heißt, und blamiert sich aus Hätz nach Erfolgen täglich mehr. Er ist eine elende Karikatur von Lassalle.
Die Franzosen beurteilst Du, glaub' ich, nicht ganz gerecht. Die Masse in Paris ist „sozialistisch" im Sinne eines aus Proudhon, Louis Blanc, Pierre Leroux usw. im Lauf der Jahre herausdestillierten ziemlich neutralen Durchschnittssozialismus. Die einzige Erfahrung, die sie mit dem Kommunismus gemacht haben, war die mit der Cabetschen Utopie, die in einer Musterkolonie in Amerika, d.h. mit der Flucht aus Frankreich und mit Zank und halbem Bankerott in Amerika endete.14941 Was darüber hinaus, kommt ihnen aus Deutschland, und es ist nicht zu verwundern, daß Frankreich, von 1789-1850 das Land, wo nicht nur die politischen Ideen jedesmal zuerst scharf formuliert, sondern auch in die Praxis übersetzt wurden, sich etwas sträubt, seine Abdankung von der theoretischen revolutionären Führerschaft zu unterschreiben; namentlich nach der gloriosen Kommune, und noch dazu gegenüber Deutschland, das die Pariser Arbeiter 1870 faktisch besiegt haben, da die deutsche Armee nicht wagte, Paris zu besetzen; ein Fall, wohl zu merken, der in der bisherigen Kriegsgeschichte noch nicht dagewesen. Nun nimm aber dazu: wie sollen die französischen Arbeiter zu einer bessern Einsicht kommen? Selbst die französische Ausgabe des „Kapital" ist ihnen ein Buch mit sieben Siegeln; nicht nur ihnen, auch der Masse der Gebildeten. Das einzige, was sie kennen, ist meine„Entwicklung des Sozialismus"[4S5), und die hat in der Tat überraschend gewirkt. Keiner von den Führern, ich rechne Vaillant nicht, da er als Blanquist eine ganz andre Taktik hat als wir, kann Deutsch. Frau Lafargue übersetzt jetzt endlich das „Manifest" in gutes Französisch.14751 Das Verständnis der Theorie selbst bei den Führern ist noch ziemlich unvollkommen, und wenn Du Paris kenntest, so würdest Du einsehn, wie leicht sich dort lebt und agitiert, aber wie schwer sich dort ernstlich arbeitet. Also woher soll den französischen Arbeitern die Einsicht kommen? Dazu aber, was die Wahlen angeht, noch eins. Bei uns stimmt sich leicht für einen Sozialdemokraten, weil wir die einzige wirkliche Oppositionspartei sind und weil der Reichstag doch nichts zu sagen hat, es also schließlich einerlei ist, ob überhaupt für einen und für welchen man stimmtvon den „Hunden, die wir jadochsind" 1496]. Allenfalls das Zentrum12371 ist noch eine Partei mit selbständiger Politik. Aber in Frankreich ist das was andres. Da ist die Kammer die entscheidende Macht im Land, und da kommt es darauf an, seinen Stimmzettel nicht wegzuwerfen. Und dabei ist zu bedenken, daß dort Gambettisten gegen Monarchisten, Radikale14601 gegen Gambettisten jedes Mal einen Fortschritt bedeuten. Und das beweist sich auch praktisch. In Deutschland floriert seit 1870 die junkerliche Reaktion, alles geht zurück. In Frankreich haben sie jetzt die besten Schulen der
Welt, einen gehörigen Schulzwang, und während Bismarck mit den Pfaffen nicht fertig wird, sind sie in Frankreich aus den Schulen total verdrängt. Unsre deutsche Armee ist, abgesehn vom Anwachsen der sozialdemokratischen Elemente, ein infameres Werkzeug der Reaktion als je. In Frankreich hat die allgemeine Dienstpflicht die Armee dem Volk enorm genähert, und sie ist es vor allem, die die Monarchie unmöglich macht (vgl. 187814971). Und wenn jetzt die Radikalen ans Ruder kommen und genötigt werden, ihr Programm durchzuführen, so heißt das: Dezentralisation der Verwaltung, Selbstregierung der Departements und Gemeinden wie in Amerika und wie in Frankreich 1792-98, Trennung der Kirche vom Staat, jeder zahlt seinen Pfaffen selbst. Weder in Deutschland noch in Frankreich sind wir bis jetzt imstande, die geschichtliche Entwicklung zu dirigieren. Aber diese Entwicklung steht darum nicht still. Nur daß sie im Deutschen Reich momentan rückwärts geht, in Frankreich immerhin vorwärts. Wir kommen aber erst an die Reihe - das ist der langsame aber sichre Gang der Geschichte sobald die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien ihre Unfähigkeit zur Leitung des Landes tatsächlich und augenfällig bewiesen haben und wie die Ochsen am Berge stehn. (In Deutschland könnten wir, nach einer französischen Revolution, etwas anticipando1 drankommen, aber nur getragen von einer europäischen Sturmflut.) Daher haben die Pariser Arbeiter den, nach der einen Seite hin, richtigen Instinkt, stets die radikalste mögliche Partei zu unterstützen. Sobald die Radikalen am Ruder sind, treibt derselbe Instinkt sie in die Arme der Kommunisten, denn die Radikalen sind auf das alte konfus-sozialistische (nicht kommunistische) Programm vereidigt und müssen damit scheitern. Und dann fällt Instinkt und Vernunft zusammen, die radikalste mögliche Partei ist dann die Partei des Proletariats als solche, und dann geht's rasch. Aber Engländer und Franzosen haben eben ihre vorrevolutionäre Jungferschaft längst vergessen, während wir Deutschen uns mit diesem manchmal sehr hinderlichem Möbel noch herumschleppen, sintemal wir noch nie eine seihständige Revolution gemacht. Beides hat seine Vorteile und seine Nachteile; aber es wäre sehr ungerecht, die verschiedne Haltung der Arbeiter der drei Länder an demselben einseitigen Maßstab zu messen. Das sehr flache und wesentlich auf Stieber beruhende Buch von Adler14981 hat mir K[autsky] gegeben, ich werde ihm bei einer Kritik helfen.2 Kommst Du nicht wieder mal herüber, wenn Dich Dein Geschäft an den Rhein führt, wär's rasch gemacht. p. •
1 vorzeitig - 2 siehe vorl. Band, S.399
202
Engels an Laura Lafargue in Paris
. ,. , , London, 7.Nov. 1885 Meine liebe Laura, Ich habe nichts dagegen einzuwenden, eine kurze Einleitung zum „Manifest" zu schreiben. Aber um das tun zu können, müßte ich wissen, welche Stellen in dem alten Vorwort für die empfindlichen Ohren Eures Pariser Publikums anstößig sind. Ich gestehe, daß ich sie nicht herausfinden kann, wenn es nicht die eine über die Kommune ist, die von Mohr selbst hineingebracht wurde und auf der er ausdrücklich bestand.14"1 Obgleich nach meiner Ansicht unsere Pariser Freunde diesen Empfindlichkeiten viel zu sehr nachgeben, die sie weitgehend unterdrücken sollten, bin ich um des lieben Friedens willen1 durchaus bereit, ihnen, soweit ich kann, entgegenzukommen, ohne dadurch die Geschichte zu fälschen oder den Glauben zu bestärken, daß alles Licht notwendigerweise aus Paris kommt. Es ist meines Erachtens einfach unmöglich, daß das „Manifest" in irgendeiner Sprache herauskommt, ohne daß festgestellt wird, wie es zustande kam. Die Folgerung aus dem II. und der ganze III. und IV. Abschnitt sind sonst völlig unverständlich. „Mr. Broadhouse" hat tatsächlich die Unverschämtheit gehabt, Aveling - durch Reeves, den Verleger - fragen zu lassen, ob ich mit ihm bei der Übersetzung des „Kapitals" zusammenarbeiten möchte!2 Ich nehme an, daß Du die letzte Nr. des „Commonweal" erhalten hast? Wenn Du mir Bescheid gibst, welche Nrn. von „To-Day" Dir fehlen, werde ich dafür sorgen, daß Du sie bekommst. Nim ist vergnügt wie immer, wir haben gerade eine Flasche Pilsener gemeinsam geleert. Gestern abend war sie mit Pumps im Lyzeum, um „Olivia"18001 anzusehen; sie sagt, es ist ein regelrechtes Rührstück3, Irving nichts Besonderes, Ellen Terry sehr gut. Lavigne schrieb, er habe seine Übersetzung des „ 18. Brumaire" an Paul geschickt, aber nichts von ihm gehört, was war der Grund? Ich habe das
1 In der Handschrift deutsch: um des lieben Friedens willen - 2 siehe vorl. Band, S.344 3 in der Handschrift deutsch: Rührstück
Ding hier, aber da ich Fortin gegenüber gebunden bin4, wage ich nicht, es anzusehen, ich könnte sonst beschuldigt werden, unrechtmäßig davon Gebrauch gemacht zu haben, daher kann ich mir über seine Vorzüge kein Urteil erlauben.15011 Nächste Woche beginnt das große politische Spektakel. Am 10. die französischen Kammern, am 19. oder so ungefähr der deutsche Reichstag, und eine Woche später hier die Wahlen. Wie sie sich auch in der Gestalt eines Parlaments auswirken mögen, zweierlei ist gewiß: die Iren werden das Ganze durch ihre 80-90 Stimmen beherrschen14931, und die Große Liberale Partei wird schließlich ihr Ende finden durch die Trennung der Whigs von den Radikalen'4421 und die Vorbereitung, wenn nicht die Durchführung, der Vereinigung der Whigs mit den Tories. Herzliche Grüße an Paul (11 500 Stimmen'5021), ich hoffe, daß er nicht ganz zerschmettert ist. Nächstes Jahr wird er mehr Glück haben.
In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
203
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
... T T „ , , London, 11. Nov. 1885 Lieber Herr ochluter, Von „Dühring" Aushängebogen bis inkl. 20 erhalten, Schluß und Vorreden fehlen noch; sobald diese eintreffen, erhalten Sie Druckfehlerverzeichnis. Einleitung zur „schlesischen Milliarde"14491 ist in Arbeit, wäre ohne eine Reihe Unterbrechungen aller Art längst fertig. Liegt mir schwer auf dem Gewissen, wird also sicher nicht ohne Not um eine Stunde verzögert. Korrektur zu „Bund der Kommunisten"1 werden Sie erhalten haben. Wollen Sie gefl. Ede sagen, daß ich das Buch von dem Spatzen, der sich „Adler" nennt, durch K[autsky] schon vorher erhalten2, und absichtlich nicht erwähnt, weil es ebenfalls Stieber14981 als letzte Quelle braucht. Der Passus wegen Buttermilch-Born war grade deshalb so abgefaßt, weil das Buch mir bewies, daß Born dem Adler im stillen etwas Buttermilch eingeschenkt hat, aber (s. Vorrede) verboten, daß man seinen Namen nenne.'5031 Dafür mußte er etwas auf den Allerwertesten bekommen. Dietz hat an K[autsky] geschrieben, er wünsche jetzt meinen „ Ursprung" in Verlag zu übernehmen, ob ich nichts dagegen hätte. Ich habe gesagt, ich hätte nichts dagegen, vorausgesetzt, daß er sich mit Ihnen und Schabelitz einige. Machen Sie also in der Sache ganz, was Sie für das Beste halten. Dietz verspricht in dem Fall, die Schrift in den Buchhandel zu bringen, was mir natürlich sehr recht wäre, aber das geht am Ende auch von Zürich aus, nachdem das Ding ein Jahr unverboten zirkuliert. Andrerseits war es grade seine Unentschlossenheit, die den Druck monatelang hingeschleppt hat, und wenn er jetzt nachträglich kommt, so hat er gut sprechen, nachdem andre das Risiko gelaufen. Zudem ist mir die damalige Verhandlung mit ihm im einzelnen nicht bekannt, und kann ich daher nichts andres tun, als ihn einfach an Sie verweisen. Machen Sie also die Sache gefl. ganz nach Belieben ab.
1 Friedrich Engels: „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" - 2 siehe vorl. Band, S.379
Im „Dühring" habe ich noch eine ganze Masse Druckfehler gefunden die ich alle selbst stehngelassen. Ich habe mich so dran gewöhnt, zwei Korrekturen zu lesen, eine für den Sinn, die andre für die Einzelfehler, daß ich ohne die Gelegenheit dazu lauter Unsinn stehnlasse. Daher die meisten in den ersten 11 Bogen, die zudem unter erschwerenden Umständen korrigiert wurden. Besten Gruß. Ihr F.E.
204
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
,v, TI London, 13. Nov. 1885 Werter Herr, Ich erhielt Ihre beiden Briefe vom 6. (18.) und 9. (21.) August in Jersey und sandte Ihnen sofort den von Ihnen gewünschten Brief für den „CiBepHHH BicTHHi«,"14691. Seitdem war ich durch dringende Arbeit verhindert, sowohl diese Briefe wie den vom 25. Aug. (5. Sept.) ausführlicher zu beantworten. Ich zweifelte nicht daran, daß der2. Band1 Ihnen das gleiche Vergnügen wie mir bereiten würde. Die Ausführungen, die er enthält, haben tatsächlich ein so außerordentlich hohes Niveau, daß sich der gewöhnliche Leser nicht die Mühe nehmen wird, sie ganz zu durchdenken und bis ins letzte zu verfolgen. Das erleben wir jetzt in Deutschland, wo die gesamte historische Wissenschaft, einschließlich der politischen Ökonomie, so tief gesunken ist, daß sie kaum noch tiefer sinken kann. Unsere Kathedersozialisten21291 sind theoretisch nie viel mehr gewesen als ganz unbedeutende philanthropische Vulgärökonomen3, und jetzt sind sie auf das Niveau simpler Apologeten des Bismarckschen Staatssozialismus4 hinabgesunken. Für sie wird der 2. Band immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Es ist ein gutes Beispiel dafür, was Hegel die Ironie der Weltgeschichte® nennt1407 daß die deutsche Geschichtswissenschaft durch die Erhebung Deutschlands zur ersten europäischen Macht wieder auf den gleichen jämmerlichen Stand reduziert werden sollte, auf den sie durch die tiefste politische Erniedrigung Deutschlands nach dem Dreißigjährigen Krieg gebracht wurde. Aber so ist es. Und so beglotzt die deutsche „Wissenschaft" diesen neuen Band, ohne ihn verstehen zu können; lediglich eine gesunde Angst vor den Konsequenzen hindert sie, ihn öffentlich zu kritisieren, und daher hüllt sich die offizielle ökonomische Literatur in vorsichtiges Schweigen. Der 3. Band wird sie jedoch zwingen, Rede zu stehen. 1 des „Kapitals" - 2 in der Handschrift deutsch: Kathedersozialisten - 8 in der Handschrift deutsch: Vulgärökonomen -4 in der Handschrift deutsch: Staatssozialismus -5 in der Handschrift deutsch: die Ironie der Weltgeschichte
Bei dem 3. Band bin ich nun mit der ersten Übertragung aus dem Original in eine leserliche Kopie fertig. Dreiviertel davon sind im jetzigen Zustand beinahe publikationsreif; aber das letzte Viertel oder vielleicht Drittel wird noch ein gut Stück Arbeit kosten: es sind das der erste Abschnitt (Verhältnis von Mehrwertsrate und Profitrate) und die folgenden über Kredit und teilweise auch über Grundrente6; außerdem bestimmte Teile von fast allen anderen Abschnitten. Während der letzten beiden Monate habe ich eine ganze Menge anderer Arbeiten, die durch meine ausschließliche Beschäftigung mit dem 2. und 3. Bd. vernachlässigt worden waren, erledigen müssen. Das wird noch einige Zeit so weitergehen, und danach wird mich die Revision der englischen Übersetzung des I.Bandes, die fast fertig ist, wohl noch einen weiteren Monat in Anspruch nehmen; aber dann werde ich an den 3. Bd. gehen und ihn fertigmachen. Vielleicht wird er in 2 Teilen veröffentlicht, da er ungefähr 1000 Seiten stark werden dürfte. Ich danke Ihnen sehr für die Auszüge aus den Briefen des Autors von 1879 bis 1881.16041 Ich konnte sie nicht ohne ein schmerzliches Lächeln lesen. Nun ja, wir sind so an diese Entschuldigungen für die NichtVollendung des Werks gewöhnt! Immer, wenn sein Gesundheitszustand es nicht zuließ, sich mit Arbeit zu befassen, bedrückte ihn das sehr, und er war nur zu froh, wenn er irgendeine theoretische Entschuldigung dafür finden konnte, warum das Werk damals nicht zum Abschluß kam. Alle diese Argumente hat er seinerzeit vis-a-vis de moi7 gebraucht; sie schienen sein Gewissen zu beruhigen. Nach Beendigung des 3. Bandes und sobald ich aus den anderen Ms. das zur Veröffentlichung Geeignete ausgewählt habe, werde ich sehr gern versuchen, den wissenschaftlich bedeutenden Teil der Korrespondenz unseres Autors zu sammeln, und da gehören seine Briefe an Sie zu den wichtigsten. Wenn es soweit ist, werde ich daher auf Ihr freundliches Anerbieten, mir Abschriften dieser Briefe zur Verfügung zu stellen, zurückkommen. Ich habe oft Gelegenheit, Ihnen Broschüren usw., Neudrucke der Schriften des Autors und meiner eigenen usw. zuzuschicken, aber ich weiß nicht, ob es angebracht ist, sie Ihnen direkt zu senden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich wissen ließen, was ich tun soll. Die Gesundheit unseres gemeinsamen Freundes8 bessert sich hoffentlich, trotz der schlechten Prognose seiner Ärzte.13801 Jede Nachricht über ihn wird immer willkommen sein.
6 in der Handschrift deutsch: Mehrwertsrate, Profitrate, Grundrente — 7 mir gegenüber 8 German Alexandrowitsch Lopatin
25 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
Die Krise, von der der Autor in seinem Brief spricht, war wirklich eine außergewöhnliche.16051 Tatsache ist, daß sie noch anhält, ganz Europa und Amerika leiden bis auf den heutigen Tag unter ihr. Eine der Ursachen ist das Ausbleiben des Börsenkrachs. Aber die Hauptursache ist zweifellos die vollkommen veränderte Lage auf dem Weltmarkt9. Seit 1870 sind Deutschland und besonders Amerika zu Rivalen Englands in der modernen Industrie geworden, während die meisten anderen europäischen Länder ihre eigene Industrie so weit entwickelt haben, daß sie aufhören, von England abhängig zu sein. Die Folge war, daß der Prozeß der Uberproduktion sich über ein viel größeres Gebiet erstreckte als zu der Zeit, da sie sich hauptsächlich auf England beschränkte, und daß sie - wenigstens bis jetzt - einen chronischen statt einen akuten Charakter angenommen hat. Durch diese Verzögerung des Gewitters, das früher alle zehn Jahre einmal die Atmosphäre reinigte, muß diese lang anhaltende chronische Depression einen Krach von bisher beispielloser Gewalt und Ausdehnung vorbereiten. Dies um so mehr, als auch die Agrarkrise, von der der Autor spricht, bis jetzt anhält und auf fast alle europäischen Länder übergegriffen hat; und sie wird fortdauern, solange die jungfräuliche HepHoaeMT.10 der Prärien im Westen Amerikas nicht erschöpft ist. Ihr sehr ergebener P. W.R[osher][3811
Aus dem Englischen.
205
Engels an Paul Lafargue in Paris15061
London, den 14. November 1885
Mein lieber Lafargue, Dank für das Porträt - was für ein mißvergnügtes Gesicht läßt man mich in Frankreich machen, einem Lande, wo man doch - wie es heißt - von Zeit zu Zeit lacht; vielleicht wird man über mich lachen. Nim sagt, ich sehe darauf zehn Jahre älter aus; aber das ist wahrscheinlich eine Schmeichelei. Die Maiaufstände von 1849 waren durch die Weigerung der meisten deutschen Regierungen hervorgerufen, sich der von der Frankfurter Nationalversammlung für ganz Deutschland beschlossenen Verfassung zu unterwerfen. Diese Versammlung, die niemals über materielle Macht verfügt und jede Maßnahme unterlassen hatte, um sich diese zu verschaffen, verlor schließlich auch den letzten Rest moralischen Einflusses gerade in dem Augenblick, als sie ihre ziemlich romantische „Verfassung" auf dem Papier zustande gebracht hatte. Dennoch war diese Verfassung damals das einzige Banner, unter dem man eine neue Bewegung versuchen konnte, mit der Absicht, sich ihrer nach dem Sieg zu entledigen. Folglich wollte man in den kleinen Ländern die Regierungen zwingen, sie anzuerkennen; daraus ergaben sich die Aufstände von Dresden (3. Mai) und einige Tage später in der bayrischen Pfalz und im Großherzogtum Baden, wo der Großherzog1 die Flucht ergriff, als sich die Armee für das Volk erklärte. Der Dresdener Aufstand wurde nach heroischem Widerstand - viertägigem Kampf - mit Hilfe von preußischen Truppen niedergeschlagen (in Preußen hatte die Reaktion durch den Staatsstreich vom November 1848 gesiegt, Berlin war entwaffnet und der Belagerungszustand erklärt). Aber um die Pfalz und die Badenser zu unterwerfen, bedurfte es einer Armee. Also begann man in Preußen, die Landwehr2 einzuberufen. In Iserlohn (Westfalen) und in Elberfeld (Rheinpreußen) weigerten sich die Männer loszumarschieren. Man schickte Truppen, die die Städte verbarrikadiert fanden und abgewiesen wurden. Iserlohn wurde, vierzehn Tage später,
1 Leopold Karl Friedrich - 2 in der Handschrift deutsch: Landwehr
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nach zweitägigem Widerstand genommen; Elberfeld bot nicht so viele Verteidigungsmöglichkeiten, und als die Truppen von allen Seiten dagegen anliefen, beschlossen die Verteidiger, etwa tausend an der Zahl, sich einen Weg nach den aufständischen Ländern im Süden zu bahnen; sie wurden unterwegs vollständig zerschlagen, einer großen Anzahl gelang es jedoch, von den Einwohnern unterstützt, sich durchzuschlagen. Ich war Adjutant des Kommandanten Mirbach in Elberfeld; aber dieser schickte mich, ehe er seinen Plan durchführte, mit einem Auftrag nach Köln, das heißt in das Lager des Feindes, wo ich mich bei Daniels verbarg; in Wirklichkeit wollte er in seinem Korps keinen bekannten Kommunisten haben, um die Bourgeoisie in den Orten, die er durchqueren mußte, nicht zu erschrecken; er verabredete ein Treffen mit mir in der Pfalz, wo er jedoch nicht eintraf, da er in Gefangenschaft geraten war (ein Jahr später wurde er vom Gericht in Elberfeld freigesprochen). Mirbach hatte die Feldzüge in Griechenland von 1825 bis 29 und in Polen von 1830 und 31 mitgemacht; später ging er wieder nach Griechenland, wo er gestorben ist. Inzwischen hatte der Aufstand im Süden an Boden gewonnen, aber man beging den verhängnisvollen Fehler - nicht anzugreifen. Die Truppen der benachbarten kleineren Staaten suchten nur einen Vorwand, um sich dem Aufstand anzuschließen, sie waren entschlossen, nicht gegen das Volk zu kämpfen. Dann hatte man den Vorwand, man müsse vorrücken, um die von preußischen und österreichischen Soldaten umstellte Frankfurter Versammlung zu schützen. Marx und ich waren nach der Unterdrückung der „Neuen Rheinischen Zeitung" nach Mannheim gegangen, um den Führern diesen Marsch vorzuschlagen. Aber man hatte alle möglichen Einwände: die Armee sei durch die Flucht der ehemaligen Offiziere desorganisiert, es fehle an allem usw. usw. In den ersten Junitagen rückten die Preußen von der einen, die Bayern von der anderen Seite - durch eben diese Truppen der kleineren Staaten verstärkt, welche wir mit mehr Kühnheit hätten gewinnen können, die aber jetzt von den Fluten der reaktionären Armeen hinweggeschwemmt wurden - gegen die aufständischen Gebiete vor. Eine Woche genügte, um die Pfalz auszufegen - es standen dort 36000 Preußen gegen 8-9000 Aufständische, und die beiden Festungen des Landes blieben in den Händen der Reaktion. Man zog sich auf die Badenser Truppen zurück, etwa 8000 Mann Linientruppen und 12000 Freischärler; sie wurden von einem 30000 Mann starken Korps reaktionärer Truppen bedrängt. Es fanden vier große Gefechte statt, in denen die Reaktionäre das Ubergewicht erhielten dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit und durch die Verletzung des
württembergischen Territoriums, was ihnen ermöglichte, uns im entscheidenden Augenblick zu umgehen. Nach zehn Wochen Kampf mußten die Reste der aufständischen Armee sich in die Schweiz zurückziehen. Im Verlauf dieses Krieges war ich Adjutant des Obersten Willich, des Kommandeurs eines Freischärlerkorps ausgesprochen proletarischen Charakters; ich habe an drei kleineren Gefechten und an der letzten Entscheidungsschlacht an der Murg teilgenommen.[S071 Das genügt, denke ich, um ein kurzes Resume daraus zu machen, wenn Sie durchaus darauf bestehen, einen Kommentar zu dem schönen Werk von Bürger Clarus zu schreiben. Ich hoffe, daß Ihr interessanter Furunkel bald von seinem eitrigen Inhalt befreit wird. Waschen Sie die Wunde mit 2% Karbolsäure auf 98% Wasser, das ist ausgezeichnet, um die Eiterzellen zu töten. Herzliche Grüße an Laura. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 17. Nov. 85
Lieber Bebel, Noch ein paar Worte, eh Du in den Reichstag gehst.18081 Schumacher habe ich auf einen langen Brief zur Verteidigung seiner Haltung bei der Dampfersubvention15091 ebenso ausführlich geantwortet1351 und meinen alten Standpunkt ihm gegenüber festgehalten: Will man, um angebliche Vorurteile gewisser Wähler zu schonen, nicht unbedingt gegen Staatshülfe aus der Tasche der Arbeiter und Bauern für die Bourgeoisie stimmen, so kann man das meiner Ansicht nach nur dann, wenn die gleiche Summe Staatshülfe direkt für Arbeiter, städtische wie ländliche, bewilligt wird - vornehmlich für Landarbeitergenossenschaften auf Staatsdomänen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, habe ich ihn gebeten, falls er von diesem Brief andern Genossen gegenüber Gebrauch macht, stets den ganzen Brief mitzuteilen. L[ie]bkn[echt] kommt ja auf einmal ganz tapfer in den Vordergrund. Die „Sammlung" im Gefängnis16101, die Lektüre des halbvergeßnen „Kapital" und die ihm von rechts her klarwerdende Aussicht, sich zwischen zwei Stühle zu setzen, scheinen äußerst nützlich gewirkt zu haben. Mich freut das sehr, wenn's nur dauert. Er wird im entscheidenden Moment sicher auf dem rechten Fleck sein, bis es dahin kommt, macht er aber uns andern schauerliche Mühsal mit seiner Vertuschung, die er für Diplomatie hält, und worin er allerdings uns allen weit überlegen ist. Der europäische Krieg fängt an, uns ernstlich zu drohen. Diese elenden Trümmerstücke ehemaliger Nationen, Serben, Bulgaren, Griechen und andres Räubergesindel, für die der liberale Philister im Interesse der Russen schwärmt, gönnen also einander die Luft nicht, die sie einatmen, und müssen sich untereinander die gierigen Hälse abschneiden. Das wäre wunderschön und geschah dem nationalitätenschwärmenden Philister recht, wenn nicht jeder dieser Zwergstämme über europäischen Krieg oder Frieden disponierte. Der erste Schuß ist bei Dragoman gefallen'6111, aber wo und wann der letzte fallen wird, kann keiner sagen.
Unsre Bewegung geht so schön voran, überall und überall arbeiten ihr die Verhältnisse so in die Hände, und endlich haben wir auch noch einige Jahre ruhiger Entwicklung und Stärkung so nötig, daß wir einen großen politischen Krach unmöglich wünschen können. Er würde unsre Bewegung auf Jahre lang in den Hintergrund drängen, und nachher müßten wir wahrscheinlich, wie nach 1850, ganz spät wieder von vorn anfangen. Andrerseits könnte der Krieg eine Revolution in Paris hervorrufen und diese später indirekt die Bewegung im übrigen Europa wieder anfachen, dann wären die - unter den Umständen sicher arg chauvinistischen Franzosen die Führer, wozu ihr theoretischer Entwicklungsgrad sie am wenigsten befähigt. Grade für die seit 1871 sich politisch mit der ihnen eignen, unbewußten logischen Konsequenz sehr gut fortentwickelnden Franzosen wären ein paar Jahre ruhiger Herrschaft der Radikalen unbezahlbar. Denn diese Radikalen haben alle den landläufigen, aus L. Blanc, Proudhon etc. zusammengewürfelten Durchschnittssozialismus sich zu eigen gemacht, und es wäre für uns von enormem Wert, wenn sie Gelegenheit erhielten, diese Phrasen durch die Praxis totzumachen. Dagegen wird ein großer Krieg, wenn er ausbricht, sechs Millionen Soldaten ins Feld führen und eine bisher ganz unerhörte Masse Geld kosten. Das gibt ein Blutvergießen und eine Verwüstung und schließlich eine Ermattung wie nie vorher. Darum haben auch die Herren alle eine solche Angst davor. Und das kann man vorhersagen, kommt dieser Krieg, so ist er der letzte; er ist der vollständige Zusammenbruch des Klassenstaats, politisch, militärisch, ökonomisch (auch finanziell) und moralisch. Er kann dahin führen, daß die Kriegsmaschine rebellisch wird und sich weigert, wegen der lausigen Balkanvölker fernerhin sich untereinander abzuschlachten. Es ist der Ruf des Klassenstaats: apres nous le deluge1; aber nach der Sündflut kommen wir und nur wir. Es bleibt also beim alten: was auch passieren möge, es schlägt schließlich aus in ein Mittel, unsre Partei zur Herrschaft zu bringen und dem ganzen alten Schwindel ein Ende zu machen. Aber ich gestehe, ich wünsche, daß es auch ohne diese Mörderei abgeht; nötig ist sie nicht. Wenn's aber sein muß, dann will ich nur hoffen, daß mein alter Leibschaden mich im richtigen Moment nicht hindert, wieder aufs Pferd zu steigen. Dein alter F.E.
1 nach uns die Sintflut
207
Engels an Minna Kautsky in Wien
... .. , London, 26.Nov. 1885 Liebe r rau K.autsky, (Bitte gestatten Sie mir diese einfache Anrede, wozu sollen zwei Leute wie wir noch Schnörkel machen.) Vorab meinen herzlichsten Dank für die freundliche Weise, in der Sie meiner gedenken.'5121 Es hat mir sehr leid getan, nicht länger mit Ihnen hier zusammen sein zu können, ich versichre Sie, es hat mir unendlich wohlgetan, einmal eine deutsche Schriftstellerin kennenzulernen, die nicht aufgehört hat, eine einfache Frau zu sein - ich hatte ja das Unglück, in dieser Beziehung nur affektierte „jebildete" Berlinerinnen gekannt zu haben, von der Sorte, der man nur deshalb nicht den. Kochlöffel wieder in die Hand geben möchte, weil sie am Ende damit noch mehr Unheil anrichten würden wie mit der Feder. Und so hoffe ich, daß Sie über nicht gar zu lang wieder einmal über das schmale Wasser kommen, und ich dann mit Ihnen ein bissei durch London und Umgegend streifen kann und wir uns allerhand Schnurren erzählen, damit das Gespräch nicht gar zu ernst wird. Daß Ihnen London mißfallen, glaub* ich gern. Das ist mir vor Jahren auch so gegangen. Man gewöhnt sich nur schwer an die trübe Luft und die meist trüben Menschen, an die Abgeschlossenheit, die Klassenscheidung im geselligen Leben, das Leben in geschloßnen Räumen, wie es das Klima vorschreibt. Man muß die vom Kontinent mitgebrachten Lebensgeister etwas herabspannen, das Barometer der Lebenslust etwa von 760 auf 750Millimeter herabsinken lassen, bis man sich allmählich eingewöhnt. Dann findet man sich allmählich in die Sache, findet, daß sie auch ihre guten Seiten hat, daß die Leute im allgemeinen grader und zuverlässiger sind als anderswo, daß zum wissenschaftlichen Arbeiten keine Stadt so geeignet ist wie London, und daß die Abwesenheit von Polizeischikanen doch auch manches aufwiegt. Ich kenne und liebe Paris, aber wenn ich die Wahl hätte, will ich lieber in London permanent wohnen als dort. Paris ist nur recht zu genießen, wenn man selbst Pariser wird, mit allen Vorurteilen des Parisers, mit Interesse in erster Linie nur für Pariser Dinge, mit der Gewöhnung an den Glauben, daß Paris Zentrum der Welt, alles in allem ist. London ist
häßlicher, aber doch großartiger als Paris, wirkliches Zentrum des Welthandels, und bietet auch weit mehr Mannigfaltigkeit. Aber London erlaubt auch eine vollständige Neutralität gegenüber der ganzen Umgebung, wie sie für wissenschaftliche und selbst künstlerische Unparteilichkeit notwendig. Für Paris und Wien schwärmt man, Berlin haßt man, gegen London bleibt man in einer neutralen Gleichgültigkeit und Objektivität. Und das ist auch etwas wert. Apropos Berlin. Ich freue mich, daß es diesem Unglücksnest endlich gelingt, Weltstadt zu werden. Aber schon Rahel Varnhagen sagte vor 70 Jahren: In Berlin wird alles ruppig, und so scheint Berlin der Welt zeigen zu wollen, wie ruppig eine Weltstadt sein kann. Vergiften Sie alle jebildeten Berliner und zaubern Sie eine wenigstens erträgliche Umgebung dorthin, und bauen Sie das ganze Nest von oben bis unten um, dann kann vielleicht noch was Anständiges draus werden. Solange aber der Dialekt da gesprochen wird, schwerlich. „Die Alten und die Neuen", für die ich Ihnen herzlich danke, habe ich nun auch gelesen. Die Schilderungen aus dem Leben der Salzarbeiter sind wieder ebenso meisterhaft wie die der Bauern im „Stefan".15131 Auch diejenigen aus dem Leben der Wiener Gesellschaft sind großenteils sehr schön. Wien ist ja die einzige deutsche Stadt, die eine Gesellschaft hat, Berlin hat nur „gewisse Kreise" und noch mehr ungewisse, weshalb da auch nur der Literaten-, Beamten- und Schauspielerroman einen Boden findet. Ob die Motivierung der Handlung in diesem Teil Ihres Werks nicht stellenweise etwas zu hastig verläuft, können Sie besser beurteilen als ich; manches, was unsereinem so erscheint, mag bei dem eigentümlich internationalen, mit südlichen und osteuropäischen Elementen versetzten Charakter Wiens dort ganz natürlich vorkommen. Auf beiden Gebieten finde ich auch die gewohnte scharfe Individualisierung der Charaktere; jeder ist ein Typus, aber auch zugleich ein bestimmter Einzelmensch, ein „Dieser", wie der alte Hegel sich ausdrückt, und so muß es sein. Nun aber muß ich doch auch der Unparteilichkeit zuliebe etwas auszusetzen finden, und da komme ich auf den Arnold. Dieser ist in der Tat doch gar zu brav, und wenn er schließlich beim Bergsturz umkommt, so kann man das mit der poetischen Gerechtigkeit nur vereinigen, indem man etwa sagt: er war zu gut für diese Welt. Es ist aber immer schlimm, wenn der Dichter für seinen eignen Helden schwärmt, und in diesen Fehler scheinen Sie mir hier einigermaßen verfallen zu sein. Bei Elsa ist noch eine gewisse Individualisierung, wenn auch schon Idealisierung, aber bei Arnold geht die Person noch mehr in das Prinzip auf. Woher dieser Mangel entstanden, fühlt man aber aus dem Roman selbst
heraus. Es war Ihnen offenbar Bedürfnis, in diesem Buch öffentlich Partei zu ergreifen, Zeugnis abzulegen vor aller Welt von Ihrer Überzeugung. Das ist nun geschehn, das haben Sie hinter sich und brauchen es in dieser Form nicht zu wiederholen. Ich bin keineswegs Gegner der Tendenzpoesie als solcher. Der Vater der Tragödie, Aschylus, und der Vater der Komödie, Aristophanes, waren beide starke Tendenzpoeten, nicht minder Dante und Cervantes, und es ist das Beste an Schillers „Kabale und Liebe", daß sie das erste deutsche politische Tendenzdrama ist. Die modernen Russen und Norweger, die ausgezeichnete Romane liefern, sind alle Tendenzdichter. Aber ich meine, die Tendenz muß aus der Situation und Handlung selbst hervorspringen, ohne daß ausdrücklich darauf hingewiesen wird, und der Dichter ist nicht genötigt, die geschichtliche zukünftige Lösung der gesellschaftlichen Konflikte, die er schildert, dem Leser in die Hand zu geben. Dazu kommt, daß sich unter unsern Verhältnissen der Roman vorwiegend an Leser aus bürgerlichen, also nicht zu uns direkt gehörenden Kreisen wendet, und da erfüllt auch der sozialistische Tendenzroman, nach meiner Ansicht, vollständig seinen Beruf, wenn er durch treue Schilderung der wirklichen Verhältnisse die darüber herrschenden konventionellen Illusionen zerreißt, den Optimismus der bürgerlichen Welt erschüttert, den Zweifel an der ewigen Gültigkeit des Bestehenden unvermeidlich macht, auch ohne selbst direkt eine Lösung zu bieten, ja unter Umständen ohne selbst Partei ostensibel zu ergreifen. Ihrer genauen Kenntnis und wunderbar lebensfrischen Darstellung sowohl des östreichischen Bauernvolks wie der Wiener „Gesellschaft" bietet sich da Stoff die Menge, und daß Sie auch Ihre Helden mit der feinen Ironie zu behandeln wissen, die die Herrschaft des Dichters über sein Geschöpf dokumentiert, haben Sie im „Stefan" bewiesen. Nun muß ich aber damit aufhören, sonst werde ich Ihnen gar zu langweilig. Hier geht alles seinen Schlendrian voran, Karl und seine Frau1 lernen in Avelings Abendklassen Physiologie und arbeiten auch sonst fleißig; ich sitze ebenfalls tüchtig in der Arbeit, Lenchen, Pumps und ihr Mann2 gehn heut abend ins Theater ein Sensationsstück sehn, und währenddessen schickt das alte Europa sich an, wieder etwas in Bewegung zu kommen, was auch allgemach Zeit wird. Ich will nur hoffen, daß es mir Zeit läßt, noch den dritten Band vom „Kapital" fertigzumachen, nachher kann's losgehn! In herzlicher Freundschaft und aufrichtiger Verehrung ^ F. Engels
208 Engels an Paul Lavigne in Paris15141 (Entwurf) Bürger [London] I.Dez. 85 Als ich Ihren Briefvom 8. August sowie Ihr ManuskriptI501JerhieIt, warich gerade dabei, nach Jersey abzureisen, von wo ich erst am 14. Sept. zurückgekehrt bin. Danach hatte ich soviel dringende Arbeiten zu erledigen, daß es mir unmöglich war, mich mit der französischen Übersetzung des „18. Brumaire" zu befassen. Und heute, da ich endlich die Zeit finde, darauf zurückzukommen, liegen zwei miteinander rivalisierende Ms. vor mir.1515' Zunächst, es ist mir unmöglich, mich zum Richter in einem Streit aufzuwerfen, von dem ich weder die Ursachen noch den Inhalt ergründen kann. Ich weiß nur, daß F[ortin] mehrere Jahre mit Marx vor dessen Tod in Korrespondenz stand1; daß er mich gebeten hat, seine Übersetzung durchzusehen, was ich ihm versprach, und daß ich schon einen Teil seines Ms. einer Revision unterzogen habe. Ich fühle mich also ihm gegenüber gebunden. Unter diesen Umständen halte ich mich nicht für berechtigt, von Ihrer Arbeit auch nur irgendwelchen Gebrauch zu machen; ich habe mich sogar gehütet, auch nur eine einzige Seite davon zu lesen, denn wenn sie besser wäre als die von F[ortin], könnte ich es nicht lassen, Ihre Redewendungen in sein Ms. zu übernehmen, was Ihnen und vielleicht auch F[ortin] gegenüber ungerecht wäre, da Sie beide sich nicht mehr verstehen. Die Pflicht, unparteiisch zu sein, verbietet es mir daher, so sehr ich das auch bedauern mag, von Ihrem Werk Kenntnis zu nehmen. Das Ms. steht zu Ihrer Verfügung. Die Übersetzung des II.Bandes „Kapital" ist eine äußerst schwierige Sache; außerdem werde ich das ganze nächste Jahr absolut keine Möglichkeit haben, mich mit der Durchsicht zu befassen; dann gibt es auch noch eine ganze Masse anderer Dinge, die in Erwägung zu ziehen sind. Ich kann im gegenwärtigen Zeitpunkt niemandem gegenüber Verpflichtungen übernehmen; das ist eine Frage der Zukunft. Empfangen Sie meine aufrichtigsten Grüße.
Aus dem Französischen.
209
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin
London, 1. Dez. 1885
Lieber Liebknecht, Über russische Finanzen15161 s. Kolbs „Statistik", Ausg. von 1875, S.44 und folgende. Die letzte dort aufgeführte Anleihe ist von Nov. 73 mit 15 Mill. £. Seitdem wurde 1875 mit Ach und Krach noch eine Anleihe von weiteren 15 Mill. £ fertiggebracht, aber gleichzeitig den Russen von den Bankiers erklärt, dies sei das letzte Mal, falls nicht Garantie einer Repräsentativversammlung erfolge. Nachdem nämlich mit 1869 die für Eisenbahnzwecke aufgenommnen Gelder ihren vorläufigen Abschluß erhalten, waren weiterhin gepumpt worden: 1870-12 Mill. £ 1871-12 „ „ 1872-15 „ „ 1873-15 „ „ 1875-15 „ „ also in sechs Jahren 1870/75 - 69 Mill. £ = 1380 Mill. Mark. Man mußte nun zu neuen Kniffen greifen. Also 1. eine inländische Anleihe. Obwohl diese tatsächlich eine Zwangsanleihe, war das Resultat doch fast = 0. Denn die Regierung, da wenig Kapital im Land zu haben war, mußte sich selbst ihr eignes Geld (Papiergeld) pumpen, damit es doch aussah, als sei die Anleihe überzeichnet. 2. die transkaukasische Eisenbahnanleihe 8 904 200 £. Diese kam (1880 oder 81?) im Ausland zustand gegen Verpfändung der Bahn von Poti nach Baku, mußte aber größtenteils zum Bahnbau selbst verwandt werden; die Finanznot blieb also. Während dieser ganzen Zeit fortwährende Versuche bei den Bankiers, alle erfolglos. Endlich reiste der Finanzminister1 selbst nach dem Westen - Paris, Berlin, Amsterdam; London besuchte er gar nicht als ganz hoffnungslos. Überall fuhr er ab, sogar der Leibbankier Mendelssohn in Berlin soll direkt Parlamentsgarantie
verlangt haben, jedenfalls lehnte auch er ab. So war die Frage nur noch, ob die russische Konstituante ein Jahr früher oder später berufen wurde, denn einen andern Ausweg gab's nicht. Da kam Giers nach Friedrichsruh und unterwarf sich, und Bismarck verschaffte ihm in Deutschland die 15 Mill. £, die die Galgenfrist etwas verlängern.15171 (Hieraus geht u.a. hervor, daß Rußland keinen Krieg anfangen kann, ohne B[ismarck]s Erlaubnis, denn nur unter seiner Protektion kann es Geld auftreiben, und die 15 Mill. sind längst flöten. Wenn es also doch Krieg macht oder ernstlich droht, so ist Bismarck] direkt verantwortlich.) Ich lese den „Econfomist]" nicht und weiß auch nicht, wo eine Kollektion des Blatts aufzutreiben, da hier fast alle Lesekabinette durch die vielen Klubs ruiniert worden sind. Ich will K[autsky] sagen, er soll „Econfomist]", „Statist", „Bullionist" und „Money Market Review" nachsehn, wenn er sie auftreiben kann, und Dir Auszüge machen. Obwohl Dein Brief 26. Nov. 11-12 vormittag aufgegeben, kam er doch erst 28. Nov. morgens hier an, auch ist das Gummi manipuliert worden, wie inl. retourniertes Kuvert zeigt. Er hätte 27. Nov. abends hier sein müssen. Die Bibel liegt ja auf dem Altar nur zu dem Zweck, daß sie aufgemacht wird.15181 Deine Rede zur I.Budgetlesung schickte mir Bebel von Dresden. Sie war sehr gut; es wundert mich bloß, daß Du so wenig unterbrochen worden. Den obligaten Ordnungsruf hast Du ja auch erwirkt.15191 Dein F.E.
Dieser Brief ist gesiegelt mit einer Grafenkrone und Monogramm JC verschlungen. Die hiesigen Wahlen verlaufen sehr hübsch. Zum ersten Mal haben die Irländer in England en masse für eine Seite gestimmt, und zwar für die Tories. Damit haben sie den Liberalen gezeigt, wie sehr sie auch in England den Ausschlag geben. Die 80-85 Homerulers - einer ist auch in Liverpool gewählt! - stehn hier da wie das Zentrum im Reichstag, können jede Regierung unmöglich machen. Jetzt muß Parnell zeigen, was er ist.14931 Im übrigen siegt auch das neue „Manchestertum"[5201, nämlich die Theorie der Kampfzölle, die hier freilich noch unsinniger als in Deutschland, aber nach der achtjährigen Geschäftsmisere der jungen Fabrikantengeneration in die Köpfe gefahren ist. Dann die opportunistische Schwäche Gladstones und die ungeschickte, erst schnauzige, dann auch klein bei
gebende Manier Chamberlains, die den Ruf: the Church in danger! hervorrief.15211 Endlich die jammervolle auswärtige Politik Gladstones. Die Liberalen stellen sich, als glaubten sie, die neuen county voters2 würden liberal stimmen. Diese sind freilich unberechenbar; aber um eine liberale absolute Majorität zu erzielen, müßten sie von den noch ausstehenden 300 Wahlen über 180 gewinnen, und das passiert doch nicht. Parnell wird fast sicher Diktator von Großbritannien und Irland.
8 Wähler auf dem Lande
210
Engels an Karl Kautsky in London1522 ]
[London] 2. Dez. 85
Lieber Kautsky, Ad vocem Adler: 1. Vergiß nicht bei der Pistolengeschichte zu bemerken, daß die Unteroffiziere ihre Säbel trugen. Sie beklagten sich wegen Beleidigung des Unteroffiziersstandes.15231 2. Heß. Es ist natürlich nicht festzustellen - da ich ihn seit Mai 48 nie wiedergesehn und er ganz verscholl ob er nicht einige Tage in Baden oder der Pfalz gewesen. Aber „beteiligt" hat er sich nicht, er war dort weder Volksredner noch Journalist noch Beamter noch Soldat, und es ist daher nicht abzusehn, wo so irgendeine Regierung - Adler hätte diese doch angeben müssen - ihn zum Tod verurteilen sollte.[524i Ad vocem Liebkn[echt]. Ehe Du ihm schreibst, gib mir Gelegenheit, ein paar Zeilen Erläuterung beizulegen, ich habe etwas gestern vergessen, ihm zu schreiben. Dein F.E.
211
Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 5. Dez. 1885
Lieber Alter, Ich habe lange nichts von Dir gehört und will Dir deshalb meinerseits ein Lebenszeichen geben, indem ich Dich auf eine fünfpfündige Geldanweisung aufmerksam mache, die Dir ^öffentlich gleichzeitig mit diesem Brief zukommen wird und die vielleicht etwas dazu beiträgt, Dir den Übergang aus dem alten ins neue Jahr leichter zu machen. Ich hoffe, Du bist noch wohl und munter und bestätigst mir dies bald durch ein paar Zeilen. Ich habe die letzte Zeit tüchtig geschanzt, wie Dir der Verlag der Züricher Buchhandlung wohl anzeigen wird, und namentlich Gelegenheit genommen, allerhand Stücke aus der schönen Jugendzeit 1848/49 wieder aufzufrischen. Das wird verdammt nötig, denn die junge Generation, die das alles vergessen oder gar nie erfahren hatte, fängt an, jetzt wissen zu wollen, was damals passiert, und da ist es nötig, bei den vielen falschen Quellen und Nachrichten ihr auch möglichst viel Richtiges beizubringen. Es wäre von der höchsten Wichtigkeit, daß Du Deine Memoiren fertig machtest, vor Jahren brachte die „Neue Welt" einige ganz allerliebste Stücke15251, und Du hast so ein famoses Geschick zum Erzählen, und obendrein gehn Deine Erinnerungen volle 10-15 Jahr weiter zurück als die meinigen und umfassen die Zeit von 1830-40, die auch sehr wichtig ist für die spätere Entwicklung.'5261 Vielleicht ließe sich auch noch Geld damit machen, was immer mitzunehmen. Jetzt hab' ich noch den „Bauernkrieg"'2201 umzuarbeiten, der dies sehr nötig hat, und dann geht's an den III.Band „Kapital", der im rauhen aus dem Originalmanuskript ins Leserliche fertig diktiert ist. Das wird noch eine Heidenarbeit, aber famos. Leider kommen mir dazwischen immer eine Masse Übersetzungen ins Französische, Englische, Italienische und Dänische, die ich durchsehn muß und die es meist sehr nötig haben.'5271 Glücklicherweise reicht mein Russisch und gar Polnisch nicht so weit, daß ich da nützen kann, sonst hörte das gar nicht auf. Dir wird es aber als Beweis
dienen können, welche breite internationale Ausdehnung unser Kommunismus jetzt erobert hat, und da freut es einen immer, wenn man das Seinige dazu beitragen kann, dies Gebiet noch weiter auszudehnen. Ich hoffe, die elende Balkangeschichte14761 verläuft friedlich. Wir marschieren jetzt so famos voran, überall, daß ein Weltkrieg uns jetzt ungelegen käme - zu spät oder zu früh. Aber auch er würde schließlich für uns arbeiten, indem er dem Militarismus ein für allemal ein Ende machte - vermittelst Massakrieren von U/a Millionen Menschen und Vergeudung von 1000 Milliarden Franken. Danach wäre kein Krieg mehr möglich. Die Wahlen in Frankreich haben dem Radikalismus die nächste Aussicht auf die Herrschaft verschafft und damit auch uns ein gut Stück vorangeholfen.14621 Die Wahlen hier14931 haben die Irländer momentan zu Herren von England und Schottland gemacht; keine der beiden Parteien kann ohne sie regieren. Es stehn noch etwa 100 Wahlen aus, aber die werden daran wenig ändern. Damit kommt endlich die irische Frage aus der Welt - wenn nicht sofort, doch in nächster Zukunft, und dann ist auch hier reine Bahn gemacht. Gleichzeitig sind etwa 8-10 Arbeiter gewählt — teils an die Bourgeoisie verkaufte, teils reine Gewerkschaftsleute -, die sich wahrscheinlich arg blamieren und die Bildung einer selbständigen Arbeiterpartei dadurch enorm befördern werden, indem sie vererbte Selbsttäuschungen der Arbeiter beseitigen. Die Geschichte geht hier langsam, aber sie geht. Herzlichen Gruß. Dein alter F. Engels
26 Marx/Engels, Werke, Bd. 35
212
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin15161
London, 5.Dez. 1885
Lieber Liebknecht, Hierbei Auszüge aus „Economist" und „Bullionist".1 Die in meinem Brief vom 1. er. angegebnen Summen sind die der an der hiesigen Stock exchange2 gangbaren russischen Anleihen. Die Anleihe von 1884 (die Bismarcksche)15171 wird, hier gar nicht gehandelt, ist von der Liste der an der Stock exchange verkäuflichen Papiere ausgeschlossen. Ebenso die kleineren, seit 1878 hier und da abgeschlossenen Anleihen von der Hand in den Mund, die meist im Inland aufgenommen, und die auf der Berliner Börse Kurs haben. Davon finde ich angegeben im Kurszettel: Orient-Anleihe 5% I, II und III. Anleihe 1880 4% Rente 1883 6%
und andres, mir unklares Zeug. Darüber mußt Du Dir in Berlin von einem Börsianer Auskunft geben lassen. Sie figurieren z. T. auch in den beiliegenden Auszügen, aber nur mit dem Nettobetrag, den die Regierung erhalten haben will. Der russische Papierrubel, der, al pari, 39 d. gelten soll, steht jetzt 23 d., also 16 d. oder 41 % unter dem vollen Goldwert. Wenn der russische Staat im Inland noch Gelegenheit findet, seine Papierches unterzubringen, so kommt dies lediglich aus der kolossalen Geschäftsstockung, die es den russischen Fabrikanten vorteilhafter macht, ihr überflüssiges Geld in Papieren anzulegen, die 6-7% Zinsen bringen, als in jetzt ruinösen Fabrikausdehnungen und Handelsspekulationen. Die Zinskupons dienen als Zahlungsmittel im Verkehr, namentlich bei Arbeitslohn. So zirkulieren jetzt in Rußland Kupons vonHand zu Hand, die erst 1891-92 fällig sind, und die die Arbeiter für voll in Lohnzahlung nehmen müssen, aber zum halben Wert kaum loswerden können (ähnlich vor kurzem in Deutschland). Dies habe ich direkt aus Rußland. Dein F. E.
213
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 7. Dez. 85
Lieber Ede, Sturm im sozialistischen Glase Wasser auch hier. Kfautsky] wird Dir schon einiges geschrieben haben, 2 „Echos" (liberal) hierbei enthalten. Andres und ein Dokument (Brie! von Bland, basiert auf die Protokolle der Exekutive der Social Democratic Federation, den Aveling Dir schickt) die Hauptsache.1628' Diesmal hat Hyndman sich selbst den Gnadenstoß gegeben. Er hat von den Tories Geld genommen für sozialistische Kandidaturen, um den Liberalen Stimmen zu entziehn. £ 340 sind eingestanden, da aber die offiziellen Kosten der 3 Kandidaturen an £ 600 betragen haben, muß es an £ 1000 oder mehr sein. Geld von einer andern Partei zu nehmen, kann unter Umständen und ausnahmsweise zulässig sein, wenn 1. das Geld bedingungslos gegeben und 2. nicht mehr Schaden als Nutzen aus dem Geschäft folgt. Hier war das Gegenteil der Fall. 1. war die Bedingung die Aufstellung von sozialistischen Kandidaten in Bezirken, wo sie sich nur lächerlich machen konnten, was auch geschah: Williams 27 Stimmen aus 4722, Fielding 32 aus 6374, nur Burns erhielt 598 Stimmen aus 11 055 in Nottingham. 2. aber wußte Hfyndman], daß Geld von den Tories nehmen, nichts andres hieß, als die Sozialisten rettungslos moralisch ruinieren bei der einzigen Klasse, bei der sie sich rekrutieren können, nämlich der großen radikalen Arbeitermasse. Es ist ganz wie damals in Berlin die vorgeschlagne Stoecker-Allianz gegen die Fortschrittspartei.15291 Nun aber war Hfyndman] mit dieser Heldentat noch nicht zufrieden. Er kam sich schon wie ein zweiter Parnell vor, der zwischen beiden Parteien die Waage hält, und vergaß nur, daß er nicht 80 Stimmen im Parlament und 200 000 irische Stimmen in England und Schottland bei den Wahlen14931 für sich hat, wie dieser. Er ließ sich von der Exekutive der Föderation bevollmächtigen, mit Champion nach Birmingham zu gehn zu Chamberlain, dem Chef der Radikalen14421. Diesem bot er, das Torygeld in der Tasche, seine
Unterstützung an, wenn Chfamberlain] ihm einen Wahlsitz in Birmingham abtreten und die liberalen Stimmen sichern und eine Achtstundenbill einbringen wolle. Ch[amberlain] war nicht so dumm wie die Tories und wies ihm die Tür. Inzwischen kam die Sache, die stillekens von der Exekutive der Föderation abgemacht, unter die Sektionen und erregte großen Lärm. Das Nähere in Blands Brief, der zur Veröffentlichung geschrieben, von dem Du aber nicht sagen darfst, daß er auf die Protokolle basiert ist. Eine Generalversammlung wird stattfinden, und es ist fraglich, ob die Föderation sie überlebt; als lebensfähige Organisation schwerlich. Inl. Hunter Watts Erklärung in der „Pall Mall Gazette".1530' Sie ist mit Hyndmans Mitwirkung redigiert, doch mußte er die Bezeichnung „illadvised"1 für sich stehnlassen. Dagegen Williams' Erklärung im „Echo" ist direkte Absage und stellt sich, unter den Umständen nicht ohne Veranlassung, auf den Standpunkt absoluter Feindseligkeit gegen alle sozialistischen Middle-class men. Das also hat Herr Hfyndman] mit seiner Vordringlichkeit fertiggebracht. Der Mann ist die reine Karikatur von Lassalle, total gleichgültig gegen die Qualität der Mittel, selbst wenn sie nicht zum Ziel führen, sobald nur etwas für Hfyndman] abfallen dürfte; dabei stets unmittelbarer Erfolge bedürftig und die Speckseite für die Wurst opfernd; endlich sich selbst stets als Mittelpunkt der Welt vorstellend und absolut unfähig, die Tatsachen anders zu sehn als wie sie ihm zu Gefallen eigentlich sein müßten. Dabei politischer Abenteurer comme il faut2. Alle schlechten Seiten von Lassalle potenziert, ohne eine einzige der guten. Wie sieht's denn in Eurem parlamentarischen Wasserglas aus?
Dein F. E.
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Engels an Paul Lafargue in Paris15311
. . . ,. . , . London, den 7. Dez. 85 Mein lieber Lafargue, Ich werde mit Tussy über Davitt sprechen, vielleicht wird sie Ihnen beschaffen, Weis Sie wünschen. Als Gegengewicht zu Ihrem Cercle d'litudes soc.11781, haben der brave Malon und der nicht minder berühmte lilie May eine Republikanische Gesellschaft für Sozialökonomie gegründet mit fix und fertigen Statuten.15321 Hoffen wir, daß diese „Forschungsgruppe" auf Malon, der im Schöße Mays forschen, und May, der im Herzen Malons forschen wird, beschränkt bleibt. Das sind die kleinen großen Männer, um die man sich am besten gar nicht kümmert, das betrübt sie am meisten. Das ist Karl Blind, wie er leibt und lebt. Warum stellen Sie Williams und die Kandidaturen der Social Democratic Federation'3131 im „Socialiste" zur Schau?15331 Sie sollten doch wissen, was Sie von Hyndman zu halten haben, und diesmal sind Sie in eine schöne Falle geraten. Zunächst ist es Hyndman geglückt, seine Partei im höchsten Grade lächerlich zu machen. Williams hat 27 Stimmen aus 10 000, Fielding in North Kennington 32 aus 10 000, Burns in Nottingham 598 aus 11 000 erhalten. Dann hat es in der liberalen Presse einen höllischen Lärm gegeben, daß das notwendige Geld für diese dummen Kandidaturen von den Tories gegeben worden ist und daß sich die Sozialisten erniedrigt haben, das schmutzige Geschäft dieser Partei zu besorgen. Dann schrieb Williams am 5. Dez. im „Echo"[5281, dies alles sei arrangiert worden, während er sich in Liverpool befand, man habe ihn durch Telegramm zurückgerufen, ohne ihm Einzelheiten mitzuteilen, er sei von den Führern als einfaches Werkzeug benutzt worden und jetzt sehe er „that we cannot trust the middle class men of our movement any longer. I am not prepared to be made the tool of middle class men. I call upon my fellow-wage-slaves to meet me as soon as possible and to say good-bye to the middle class men and to shut them out from what must be a real working men's Organization etc."1
1 „daß wir den middle class men in unserer Bewegung nicht mehr trauen können. Ich bin nicht gewillt, mich zum Werkzeug der middle class men machen zu lassen. Ich rufe meine
schließlich geht er direkt zur Opposition gegen Hyndman, Champion usw. über. In der Social Democratic Federation hat sich folgendes zugetragen (Sie werden über Aveling mit gleicher Post einen Brief von einem ihrer Mitglieder, Bland, erhalten).2 Hyndman hatte von den Tories Geld genommen für Kandidaturen gegen die Liberalen. £ 340 sind eingestanden. Aber es müssen an £ 1000 gewesen sein, denn die offiziellen Kosten der 3 Kandidaten überschreiten £ 600. Das Exekutivkomitee - mit Ausnahme von Burrows - hat die Aktion H[yndmans] gebilligt. Aber innerhalb der Federation hat sich eine Opposition erhoben. Ehe diese jedoch zur Geltung kommen konnte, kam sich H[yndman] schon wie ein politischer Schiedsrichter, wie ein Parnell, vor und fuhr mit Champion nach Liverpool, um seine Dienste - Chamberlain, dem Chef der Radikalen'4421, anzubieten! Sie schlugen diesem vor, die Liberalen zu unterstützen, wenn Ch[amberlain] einen liberalen Kandidaten in Birmingham zugunsten von Hyndman zurückziehen und diesem die liberalen Stimmen sichern würde! Chamberlain wies ihnen die Tür. Die Opposition in der Federation wächst. Auf der letzten Sitzung des Komitees, an der viele andere Mitglieder der Federation teilnahmen, wurde die Korrespondenz über die Tory-Gelder verlesen, trotz des Einspruchs von H[yndman], der das verhindern wollte. Großer Skandal. Warum waren die Sektionen in einer so lebenswichtigen Frage nicht konsultiert worden? Kurz, es wird eine Generalversammlung stattfinden, und wir werden sehen, ob die Federation sie überleben wird. Man kann natürlich Geld von einer anderen Partei nehmen, wenn dieses Geld bedingungslos gegeben wird und wenn daraus nicht mehr Schaden als Nutzen folgt. Aber H[yndman] hat wie ein Dummkopf gehandelt. Zunächst hätte er wissen müssen, daß seine Kandidaturen nur die lächerliche Schwäche des Sozialismus in England offenbaren würden. Dann mußte er wissen, daß Geld von den Tories nehmen, nichts anderes hieß, als unwiederbringlich und für immer in den Augen der großen radikalen Arbeitermasse zu verlieren, aus der allein der Sozialismus seine Anhänger rekrutieren kenn. Und schließlich, wenn man schon solche Sachen macht, so hält man sie nicht geheim, sondern gibt sie selber bekannt und rühmt sich ihrer. Aber H[yndman] ist eine Karikatur von Lassalle, ihm sind alle Mittel recht, selbst wenn sie nicht zum Ziel führen. Er ist so darauf erpicht, sich als Mit-Lohnsklaven auf, so bald wie möglich mit mir zusammenzukommen und den middle class men Lebewohl zu sagen und sie aus dem auszuschließen, was eine wirkliche Arbeiterorganisation sein muß usw." - 2 siehe vorl. Band, S.403
großen Politiker hinzustellen, daß er für seine wirkliche Lage keinen Blick hat. Dabei vereint er alle schlechten Eigenschaften eines englischen professionellen politischen adventurers3 - mit der in Frankreich ziemlich verbreiteten, hier jedoch seltenen Eigenschaft: die Tatsachen nicht zu sehen, wie sie sind, sondern so, wie er sie haben möchte. All das kommt so schnell nach seiner letzten Infamie gegen Aveling'5341, die man ihm noch nicht verziehen hat - auch in der eigenen Partei nicht -, daß man ziemlich zählebig sein muß, um das durchzustehen. Auf alle Fälle wird die Social Democratic Federation, wenn sie weiter existiert, nur noch ein Schatten sein. Umarmen Sie Laura für mich. Freundschaftlichst Ihr F. E.
Aus dem Französischen.
215
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 7. Dez. 85
Lieber Herr Schlüter, Besten Dank für die 2 Ex. „Dühring"[2043. Wenn ich in allem 20 Ex. erhalte, wird's zunächst ausreichen. Bitte mir auch 4 Ex. „Bauernkrieg", 3. Aufl., zu schicken, ich habe kein einziges mehr, um die neue Aufl. zu besorgen.12201 Mit Eccarius stehe ich außer aller Verbindung und will und kann auch keine anknüpfen. Ich will sehn, ob die Adresse durch Leßner zu besorgen ist. Ich rate aber höchstens zum einfachen Neuabdruck ohne Änderungen etc., denn E[ccarius] ist total verbummelt und wird sie schwerlich wirklich machen, und dann hat er ein so böses Gewissen, daß alle Zusätze ihm wahrscheinlich dazu dienen würden, Beschönigungsgründe für seine seit 1873 begangnen vielen Schlechtigkeiten einzuschmuggeln, also das Buch, das mit starker Mithülfe und Einpaukung von Marx geschrieben (am Schluß sind ganze Seiten wörtlich von Marx), wesentlich zu verschlechtern, wo nicht gar für unsre Propaganda untauglich zu machen. Ich würde sogar raten, auf unverändertem Abdruck zu bestehn.15351 Rechnung über Photographien1 haben Sie erhalten. Selbst im Druckfehlerverzeichnis des „D[ühring]" muß ich vom Setzer leiden. Es heißt da: hülflosen Verirrung statt Verwirrung. Besten Gruß. Ihr F.E.
216
Engels an Ferdinand Domela Nieuwenhuis in Den Haag
London, 19. Dez. 1885
Werter Genosse, Ich habe Ihnen per Parcels Continental Express ein Paket, an Sie adressiert, zugeschickt, enthaltend die gewünschten drei Parlamentsberichte. Wie Sie aus inl. Anzeige ersehn, war der erste H[ouse] of L[ords]-Bericht über Prostitution nicht mehr zu haben. Sie haben ganz recht, wenn Sie dort von jedem gewaltsamen Ausbruch zurückhalten. Es würde nur unnütze Opfer kosten und die Bewegung um Jahrzehnte zurückwerfen. Im nächsten Jahr werden es hundert Jahr, daß die Preußen ihren ersten Raubzug nach Holland unternahmen1536 und nichts würde Bismarck mehr freuen, als wenn er das hundertjährige Jubiläum dieser „Heldentat" durch ihre Wiederholung feiern könnte. Die Annexionsgelüste, die jetzt noch harmloses ohnmächtiges Verlangen sind, könnten dann leicht handgreiflichere Gestalt annehmen. Von meinem „Anti-Dühring" sende ich Ihnen per Post die eben erschienene zweite Auflage. Stets zu Ihren Diensten in der gemeinsamen Sache bleibe ich
freundschaftlichst Ihr F. Engels
217
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
London, den 2I.Dez. 1885
Geehrter Bürger, Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Übersetzung von Marx' Broschüre „Lohnarbeit und Kapital" übernehmen wollen.'537' Für die Biographie werden die Angaben im „Socialiste"'538' kaum genügen. Darum habe ich die Züricher Freunde gebeten, Ihnen ein Exemplar des Braunschweiger „Kalenders"1 zu schicken, der eine vollständigere, von mir geschriebene Biographie2 enthält.. Hochachtungsvoll grüßt Sie F. Engels
Natürlich werde ich die von Ihnen gewünschte Durchsicht gern vornehmen.
Aus dem Italienischen.
218
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 2I.Dez. 85
Lieber Herr Schlüter, 20 „Dührings" (in allem) und 4 „Bauernkriege" dankend erhalten.1 Sagen Sie gefl. der Frau Wischnewetzky, daß ich, wie abgemacht, bereit sein werde, das Ms. ihrer Ubersetzung durchzusehn und die Vorrede2 zu schreiben, sobald sie mit einem Verleger fest abgeschlossen hat.13681 Bei meiner Überhäufung mit Arbeit ist es mir platterdings unmöglich, andre Arbeiten als unmittelbar dringende zu übernehmen. An eine deutsche Neu-Ausgabe3 kann ich erst denken, wenn ich einen bedeutenden Teil meiner jetzigen Arbeitslast abgeschüttelt. Im Januar ist die englische Übersetzung des „Kapital" zu revidieren, mit Verleger zu unterhandeln etc. Dann „Bauernkrieg"12201 und die vielen andern Nebenarbeiten. Dann folgt als sehr dringend „Kapital", III.Band. Habe ich alles abgeschüttelt bis auf diesen, so kann ich an das alte Buch denken. Die von Bucher erwähnte Broschüre ist mir nicht erinnerlich.16391 Peel starb 1850. Die Marxschen Pamphlets4 erschienen 1855. Auch ist es nicht anzunehmen, daß Palmerston einem beliebigen Schriftsteller 100 Guineen und ein Faß Sherry gegeben haben sollte, um den Beweis zu führen, daß Palmerston ein russischer Agent ist. Möglich ist, daß Tucker, in Anspielung auf die frühere Schrift, für eins der M[arx]schen Pamphlets denselben Titel in Vorschlag gebracht hat, dies würde alles erklären. Auch ist in den M[arx]schen Pamphlets kein Holzschnitt zu finden. Besten Gruß. IL
Martignetti will „Lohnarbeit und Kapital" ins Italienische übersetzen163'1 nebst einer Biographie von Marx, die ihm fehlt, da die paar Brocken aus
1 Siehe vorl. Band, S.408 - 2 „Anhang zur amerikanischen Ausgabe der .Lage der arbeitenden Klasse in England'" - 3 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" - 1 „Lord Palmerston"
dem „Socialiste"15381 nicht genügen. Können Sie ihm den Brackeschen „Volks-Kalender" schicken, der meine Biographie von M[arx]5 enthält? ich glaube, es ist Jahrgang 1878, doch werden Sie das bald finden. Die Adresse ist Paolo6 Martignetti Benevento, Italia.
219
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 22. Dez. T885
Meine liebe Laura, Hiermit übermittle ich Dir den Scheck, von dem Paül schrieb und dem ich eine bescheidene etrenne1 für Dich hinzugefügt habe. Die Kiste mit dem Plumpudding und dem Kuchen wurde letzten Samstag2 abgeschickt, wird aber wahrscheinlich von hier nicht vor Montag abgegangen sein, so daß Du sie bestenfalls heute erhalten hast. Als Jollymeier aus Paris kam, sagte er mir, daß Du für Deine Übersetzungsarbeit dringend Wörterbücher brauchst. Unter Möhrs Büchern war das einzige, das Deinen Zwecken entsprochen hätte, Mozins Französisch-Deutsch, aber es war so abgegriffen, daß es niemand für eine reguläre Arbeit gebrauchen kann; Tussy hat es damals genommen. EnglischDeutsch war keins dabei. So versuchte ich festzustellen, welches die besten wären und beauftragte Williams und Norgate, sie Dir gebunden zugehen zu lassen. Es sind Flügels Englisch-Deutsch und Deutsch-Englisch, Mozin-Peschier: Französisch-Deutsch und Deutsch-Französisch. Ich denke, sie werden noch vor Weihnachten geliefert werden. Da ich nun keine Gelegenheit hatte, sie mir anzusehen, möchte ich, daß Du es tust und mir darüber berichtest. Flügel ist das Beste, was zu haben ist, obgleich es besser sein könnte; wenn es also beides enthält, sowohl Englisch-Deutsch als auch Deutsch-Englisch, geht es in Ordnung. Aber was den MozinPeschier anbelangt, bin ich nicht so sicher, ob es nicht eine gekürzte Ausgabe von dem ist, was ich Dir schicken wollte, nämlich: „Dictionnaire complet des langues fran?aise et allemande", in 2 Bde., Fr.-D. und 2 Bde. D.-Franz. Sollte es dies nicht sein, so laß es mich bitte wissen, und ich werde es umtauschen, da dann nicht auftragsgemäß geliefert. Am Sonnabend abend kam Jollymeier hier an, er hat bis zum 12. Jan. Ferien; und wer schneite heute morgen herein? kein anderer als der unvermeidliche Meyer3, frisch aus Winnipeg, wo seine erste Weizenernte im 1 Neujahrsgabe - a 19. Dezember - 8 Rudolph Hermann Meyer
vergangenen August erfroren ist. Er fuhr wieder ab und wird morgen früh in Paris sein - aber, erklärte er, ich sehe die Lafargues nicht - warum nicht ? Weil Lafargue einen nie besucht4 - was er sich anscheinend sehr zu Herzen genommen hat und was, wie ich ihm sagte, ziemlich töricht von ihm ist. Ich teile Dir das nur mit, wie es gesagt wurde, so daß Du Dich trösten kannst, falls der erlauchte Fremde Euch nicht aufsucht. Ich werde versuchen, ein Exemplar „Justice" für Paul zu bekommen15401, gerade jetzt ist es nicht so einfach, da Tussy und Edward für einige Tage in Kingston-on-Thames sind und vor Freitag nicht zurückkommen werden. Johnny ist inzwischen bei uns, er hat sein Englisch ziemlich rasch wieder aufgefrischt, besonders seit er zur Schule geht. Er ist ein sehr guter Junge und liest schrecklich viel ihm unverständliche Bücher. Ich hoffe, Paul ist wieder in Ordnung, ist wieder im Kern gesund und fest im Fundament, plus solide que le Pont-Neuf5, der anscheinend auch zu Pickeln und Eiterbeulen neigt.15411 Übrigens sagt er in seinem letzten Brief kein Wort über die endgültige Lösung der Labruyere-Severine-LissagarayAffäre, das letzte war Labr[uyeres] Behauptung, daß Liss[agaray] a menti6. Ist es alles zu Schall und Rauch geworden, wie die meisten Skandale heutzutage ? Zweifellos hat sich Hyndman diesmal für immer ruiniert. Sollte es ihm gelingen, die Social Democratic Federation13131 dem Namen nach aufrechtzuerhalten, so wird sie nur ein Schatten sein. Die Provinzsektionen fallen sicher ab, und hier in London haben sich seine eigenen Leute daran erinnert, wie er zur Zeit der Morris-Aveling-Trennung7 die Generalversammlung voll bekam, indem er eine Menge neuer Mitglieder, die speziell für diesen Zweck aufgenommen worden waren, hineinmanövrierte. Man hat daher beschlossen, daß nur diejenigen abstimmen, die zur Zeit der Wahlen und seiner Heldentaten15281 Mitglieder waren. Nim, Pumps und Jollymeier sind ins Westend gegangen, um Weihnachtseinkäufe zu machen, wie sie behaupten, in Wirklichkeit aber, um in der Wiener Bierhalle zu essen. Da ich mir immer noch etwas Zurückhaltung auferlegen muß, bin ich zu Hause geblieben und nutze die Zeit, um Dir zu schreiben. Aber jetzt läutet es zu Mittag - für mich und Johnny und so leb denn wohl! Gesundheit und gute Stimmung und ein festes Fundament für Paul! T _ _ . in Zuneigung Dem F. Engels Aus dem Englischen.
4 in der Handschrift deutsch: ich sehe... besucht -5 fester als der Pont-Neuf - 6 gelogen hat — 7 siehe vorl. Band, S. 256-258 und 265/266
220
Engels an Wilhelm Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 28. Dez. 1885
Lieber Liebknecht, Mittwoch 16. Dez. ist Borkheim in Hastings gestorben und am folgenden Montag begraben worden. Er hatte den Sonntag vorher eine Lungenentzündung bekommen, die ihn rasch tötete. Er hatte seit 12 Jahren die Schwindsucht und seit zehn Jahren lag er, an der ganzen linken Seite gelähmt, bis auf wenige kurze Pausen täglich, den ganzen Tag im Bett. Er ertrug seine Leiden mit seltner Energie und unverwüstlicher Heiterkeit, verfolgte die politische und soziale Bewegung fortwährend, war Abonnent des „ Sozfial]demokrat" bis zuletzt. Bis vor einem Jahr erhielt er Pension von zuerst zwei, dann einem der Häuser, für die er früher verkauft resp. eingekauft. Das letzte Jahr war es uns gelungen, unter seinen hiesigen Freunden eine genügende Subskription aufzubringen, so daß er hatte, was er brauchte. Vielleicht setzest Du ihm einen kleinen Nachruf im „Sozialdemokrat]", ich dränge mich nicht gern bei solchen Gelegenheiten vor, Du kannst das ohne Anstand tun und weißt ja auch mehr von seiner Tätigkeit in Baden. Wegen der russischen Finanzen'5161 noch dies über die neueste kritische Wendung der Sache: Vor 14 Tagen etwa hat die russische Regierung durch Bleichröder und die russische Bank ein neues Anlehen, aber nur von 20 Mill. Rubel aufgenommen, das in Berlin, heißt es, stark überzeichnet wurde. Je nachdem dies Rubel Metall oder Papier vorstellt, was Du dort erfahren kannst, repräsentiert es 60 oder nur 40 Mill. Mark ungefähr. Das Anleihen sollte zur Deckung der von der russischen Bank der Regierung gemachten Vorschüsse dienen. Dies ist der alte hohle Vorwand. Wie hohl er war, zeigte sich wenige Tage nachher! Vor ca. 8 Tagen hieß es in englischen Blättern, die russische Regierung habe der russischen Bank befohlen, für 100 Mill. Rubel Hypothekenbriefe des russischen Adels (wohl der Kreditanstalt) zu verkaufen. Die deutschen Zeitungen ergänzten dies dahin, daß die Bank der Regierung dafür 75 Mill. aus dem Erlös vorschießen solle.
Also die Regierung zahlt der Bank in bestem Falle 20 Mill. Rubel in Gold ab und läßt sich dafür neue 75 Mill. von ihr pumpen. Da nun die Versilberung der 100 Mill. Hypothekenscheine namentlich in Rußland eine sehr langwierige Operation ist, so heißt das mit andern Worten: es sollen neue 75 Mill. Papiergeld gemacht und der Regierung gepumpt werden. Der Rubel stand hier vor den Feiertagen 231/s d. (statt 39 d.) und muß jetzt noch mehr sinken - aber auch im Inland; die Mittel, die man in der Finanzklemme anwenden muß, um die ruinierte Währung noch etwas zu halten (die 20 Mill. Gold, wenn die Bank sie kriegt), dienen nur dazu, die Papierwährung noch mehr in den Dreck zu reiten. Das 1789 naht - auch ohne die Nihilisten, und die Regierung muß seinen Hereinbruch selbst beschleunigen. Es folgt ferner hieraus, daß Bismarck seine Russen kurz hält und ihnen das deutsche Geld nur noch von der Hand in den Mund bewilligt, damit sie nicht zu üppig werden und ihm nicht am Balkan Streiche spielen.'4761 Ich kann Dir nur die Hauptanhaltspunkte geben, es kann Dir aber nicht schwerfallen, in Berlin das Weitere im einzelnen zu erfahren. Weihnachten haben wir hier - Avelings, Kautskys, Pumps und ihr Mann1, Schorlemmer, Lenchen und ich bis vier Uhr morgens redlich gekneipt und sehr gelacht. Prost Neujahr. Dein F.E. Schorlfemmer] grüßt bestens.
221
Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 28. Dez. 1885
Lieber Alter, Hiermit die Anzeige, daß unser alter Borkheim am 16. ds. Monats in Hastings nach dreitägiger Krankheit einer Lungenentzündung erlegen ist. Er hatte seit zwölf Jahren die Schwindsucht und war seit zehn Jahren an der ganzen linken Körperhälfte gelähmt. Der Arzt sagte, er habe Krankheit genug gehabt, um drei andre Leute zu töten. Er ertrug alles mit unverwüstlicher Heiterkeit und verfolgte die Bewegung bis zuletzt, soweit es ihm möglich. Ich habe Liebknecht gebeten, ihm einen kurzen Nachruf im „Sozialdemokrat]" zu widmen.'5421 Anfang dieses Monats schickte ich Dir eine Anweisung, die Du hoffentlich richtig erhalten. Im übrigen - da die Post drängt und ich in diesen hier für mich unruhigen Tagen nicht oft zum Schreiben komme, wünsche ich Dir ein herzliches Prosit Neujahr und tüchtige Gesundheit; unsrer Bewegung braucht man nichts Besondres zu wünschen, sie marschiert überall - je nach Ort und Volk verschieden - aber überall famos voran, und die Balkansauerei14761 scheint auch ohne Weltkrieg vorüberzugehn. Von ganzem Herzen Dein alter F. Engels
27 Marx/Eneels, Werte. Bd. 36
1886
222
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in Zürich
122, Regent's Park Road, N.W. London, 7. Jan. 86
Sehr geehrte Frau Wischnewetzky, Ich habe Ihr Ms.'368' erhalten, es aber bis jetzt noch nicht durchsehen können, so daß ich nicht sagen kann, wie lange mich dies in Anspruch nehmen wird. Auf jeden Fall werde ich mich beeilen, dessen können Sie versichert sein. Was jene klugen Amerikaner betrifft, die glauben, ihr Land bleibe von den Folpen der vollentwickelten kapitalistischen Produktion verschont, so scheinen sie in seliger Unkenntnis der Tatsache zu leben, daß es in verschiedenen Staaten, Massachusetts, New Jersey, Pennsylvania, Ohio usw., solch eine Einrichtung wie ein Arbeitsbüro gibt'543', aus dessen Berichten sie etwas Gegenteiliges lernen dürften. Ihr sehr ergebener F. Engels
223
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin
London, 7. Januar
Lieber Liebknecht, Deine Vermutung wegen dem „Bloß" beweist mir wieder nur, daß die „Nervosität", worüber Du Dich beklagst, eben wieder nur Deine eigne ist. Doch, wie Du sagst, never mind1. Borkheim war geboren 1825 in Glogau, studierte in Greifswald und Berlin, war 1848 dreijähriger freiwilliger Kanonier in Glogau, kam wegen demokratischer Versammlungen in Untersuchung und brannte durch, war dann längere Zeit in Berlin, flüchtete, glaub' ich, nach dem Zeughaussturm15441 und ging, wenn ich nicht irre, nach der Schweiz, von wo er mit Struve zurückkam. Einzelnes ist mir nicht ganz erinnerlich.'545' Wegen der Biographie schreibe ich. Tussy werde ich Sonntag Deinen Avis mitteilen. Wenn Du und Bebel, Ihr beide zusammen, nach Amerika geht, kriegt Ihr sicher Geld zusammen, fehlt einer von Euch beiden oder wird durch einen andern ersetzt, so macht das einen Unterschied von 25-30% der zu erhaltenden Summe. Außerdem bist Du speziell nötig, weil wenigstens einer auch einmal von Zeit zu Zeit eine englische Rede halten muß.'546' Was den Ostseekanal angeht, so bin ich entschieden für Vertiefung auf mindestens 8 Meter.'547' Die Handelssteamer2 werden immer größer und tiefgehender (5500 Tons ist jetzt schon häufig) und die neuen Hafenanlagen immer mehr auf 9-10 Meter Tiefe gebracht, so daß ein flacherer Kanal in wenig Jahren veraltet wäre, wie es der jetzige Eiderkanal seit 30 Jahren total ist (teilweise war er es von jeher). Eure Reise könnte beschleunigt werden durch eine Auflösung bei unmittelbar drohender Auflösung des alten W[ilhelm]. Das würde uns aber nur um so eher die Freude "erschaffen, Dich hier zu sehn. Schorlfemmer] ist noch hier und grüßt herzlich.
1 Nichts für ungut - 2 Handelsdampfer
Im übrigen ist alles wohl, außer der Social Democratic Federation'3131, die Herr Hyndman diesmal gründlich ruiniert zu haben scheint.3 Er mag nächsten Sonntag in seinem Packed general meeting4 einen Scheinsieg erfechten, aber in den Provinzen ist er kaputt, und hier hat er nur einen täglich mehr abbröckelnden Anhang. Besten Gruß. Dein alter F.E.
3 siehe vorl. Band, S.403/404 und 405 - 407 - 4 seiner Generalversammlung ergebener Anhänger
224
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 17. Jan. 1886
Meine liebe Laura, Ich bin froh, daß die Wörterbücher endlich angekommen sind.1 Man hatte mir reichlich eine Woche vor Weihnachten versprochen, sie von hier abzuschicken. Gestern habe ich von Dr. Max Quarck eine Postkarte erhalten, in der er mir mitteilt, daß er - da ein guter Auszug aus dem „Kapital" benötigt werde - den von Deville11281 übersetzen wolle: „Herr Deville hat mir nun eben auf mein Nachsuchen die alleinige Autorisation zur Übersetzung seines Auszuges ins Deutsche gegeben"2; der große Quarck hat dies Meißner angeboten und bittet mich, ihm eine Vorrede zu schreiben.15481 Nun, sollte Deville das wirklich getan haben, dann muß ich sagen, daß er sehr unklug und darüber hinaus entgegen allen internationalen Verpflichtungen gehandelt hat, die praktisch zwischen uns allen bestehen. Wie in aller Welt konnte er sich nur mit einem Mann einlassen, von dem er nichts wußte? Dieser Quarck gehört zu dem halben Dutzend junger Literaten, die im Grenzgebiet zwischen unsrer Partei und dem Kathedersozialismus3 [291 hin und her pendeln, die sehr darauf bedacht sind, jedes Risiko, in das sie eine Verbindung mit unserer Partei verwickeln könnte, zu vermeiden, und die nichtsdestoweniger alle Vorteile einsacken wollen, die aus solch einer Verbindung entstehen könnten. Sie betreiben eine lebhafte Propaganda für das soziale Kaisertum der Hohenzollern4 (das Quarck dithyrambisch gefeiert hat), für Rodbertus gegen Marx (Quarck besaß die Frechheit, mir zu schreiben, daß er „Das Kapital" damit ehre, indem er es in seiner Bibliothek neben die Werlte des großen Rodbertus5 stelle!) und besonders einer für den andern. Der Kerl ist so ausgesprochen unfähig, daß
1 Siehe vorl. Band, S.413 - 2 in der Handschrift deutsch: „Herr Deville ... gegeben" -3 in der Handschrift deutsch: Kathedersozialismus — 4 in der Handschrift deutsch: das soziale Kai» sertum der Hohenzollern - 6 in der Handschrift deutsch: neben die Werke des großen Rodbertus
selbst Liebknecht, der für diese Kerle eine gewisse Schwäche hat, mit Kautsky einer Meinung ist, er sei nicht fähig, in der „Neuen Zeit" zu schreiben.'5491 Gerade kommt Kautsky mit Pauls Brief herein; demnach hat Deville nicht geantwortet und Quarck lügt. Ich wäre sehr froh, wenn das stimmt, weil ich dann den kleinen Schuft völlig in der Hand hätte. Aber nun zu der Übersetzung selbst. Erstens, ein Auszug aus dem „Kapital" für unsere deutschen Arbeiter muß nach dem deutschen Original gemacht werden, nicht nach der französischen Ausgabe. Zweitens ist Devilles Buch für die Arbeiter zu umfangreich und würde in der Übersetzung, besonders in der zweiten Hälfte, so schwierig wie das Original sein, da es so viel wie möglich wörtliche Auszüge enthält. Das geht für Frankreich, wo die meisten Termini keine Fremdwörter6 sind, und wo es eine große Leserschaft gibt, die zwar nicht eigentlich Arbeiter sind, die aber dennoch das Bedürfnis haben, sich auf diesem Gebiet etwas Wissen zu erwerben - wenn es leicht faßlich ist -, ohne das dicke Buch zu lesen. In Deutschland sollte eine solche Leserschaft das Original lesen. - Drittens, und das ist die Hauptsache: wenn D[eville]s Buch in Deutsch erscheint, weiß ich nicht, wie ich es mit meinen Pflichten Mohr gegenüber verantworten kann,, es unbeanstandet als ein getreues Resume passieren zu lassen. Solange es nur in Französisch veröffentlicht war, habe ich geschwiegen, obwohl ich vor der Veröffentlichung entschieden gegen die ganze zweite Hälfte protestiert hatte'. Aber wenn es dazu kommt, daß es dem deutschen Publikum vorgelegt wird, dann ist das eine ganz andere Sache. Ich kann es nicht zulassen, daß Mohr in Deutschland verfälscht wird - und stark verfälscht - mit seinen eigenen Worten. Wenn man sich damals nicht so sinnlos beeilt, wenn man es, wie ich vorgeschlagen, überarbeitet hätte, dann gäbe es jetzt nichts dagegen einzuwenden. Ich kann jedenfalls nur soviel sagen, daß ich mir volle Handlungsfreiheit vorbehalte, falls das Buch in Deutsch veröffentlicht wird; und ich bin um so mehr verpflichtet, das zu tun, da verbreitet wurde, ich hätte das Ms. durchgesehen. Ich kann jetzt Kautsky nicht nach seinen Absichten hinsichtlich D[eville]s Buch fragen, da alle zum Sonntags-Dinner hereingekommen sind und ich schließen muß. K[autsky] muß selbst schreiben. Soviel ich weiß, beabsichtigen K[autsky] und B[ernstein] selbst einen neuen Auszug zu machen, was auf alle Fälle das Beste wäre, wobei sie von D[eville]s Arbeit Gebrauch machen und sie dankend anerkennen können. 16501
6 in der Handschrift deutsch: Fremdwörter — 7 siehe vorl. Band, S.64 und 67
Tussy, Edward, die Pumps* und Kautskys senden alle herzliche Grüße, freundliche Empfehlungen und Küsse, und ich weiß nicht, was sonst noch alles. Johnny und die anderen Kleinen ditto. Dein Dir zugetaner, aber hungriger F.E.
225
Engels an August Bebel in Berlin
London, 20. Januar 86
Lieber Bebel, Der große Schreckschuß ist also losgelassen, Schramm hat mir die Ehre angetan, mir ein Ex. des graußen Werks zukommen zu lassen; ich muß aber sagen, es ist gar zu pauvre1, und der frühe Hinweis im „Sozialdemokrat]" darauf hat ihm viel zuviel Ehre angetan. Ede wird dem Mann schon heimleuchten, auf einige mir aufgefallne Punkte hab' ich ihn schon durch K[autsky] aufmerksam gemacht, und die Hauptsachen findet er selbst.15511 Für K[autsky] ist diese ganze Polemik mit Schr[amm] sehr nützlich gewesen.15521 Schr[amm] ist geschickt genug - da er in der Sache selbst nichts sagen kann -, alle die Formfehler herauszugreifen, die K[autsky] teils aus jugendlichem Eifer, teils aus angelernter Universitäts- und literarischer Praxis macht, und das war ihm eine sehr nützliche Lektion. In dieser Beziehung ist Ede, weil kein Universitätsmensch, kein Literat von Profession und doch im „Sozialdemokrat]" in stetem Kampf begriffen, dazu Geschäftsmann und, was nicht das Geringste ist, Jude, dem K[autsky] schon jetzt sehr überlegen. Man lernt den Krieg eben nur im Kriege. Deine Nachrichten über die Stimmung in der Fraktion sind sehr erfreulich.15531 Solange die Partei gut bleibt - und da bekommt die Kleinbürgern sicher nicht das Oberwasser -, können die Böcke der Herren Vertreter nur dazu dienen, ihnen selbst derbe Lektionen zuzuziehn. Wie Du selbst sagst, und was auch meine Ansicht ist, bekommen wir in Friedenszeiten nie das ganz richtige Material von Leuten in den Reichstag, und da ist die Hülfe, die uns die Partei durch ihren Druck auf die Herren Vertreter bringt, nicht hoch genug anzuschlagen; das zeigt ihnen, daß sie jeden ernstlichen Konflikt vermeiden müssen, und die Gewißheit, daß dem so ist, kann in einem entscheidenden Moment sehr wichtig werden, weil sie uns die Gewißheit gibt, daß man ohne Schaden resolut auftreten kann.
1 armselig
Liebk[necht] bombardiert mich in der letzten Zeit förmlich mit Briefen über Auskunft wegen allerlei. Ich habe die Gelegenheit benutzt, ihm meine Meinung über sein widerspruchsvolles Auftreten in aller Freundschaft kurz, aber bestimmt zu sagen1351; und als er das, wie gewöhnlich, auf mir zugekommne Klatschereien schieben wollte, ihm gesagt, der einzige Mensch, der ihm bei mir etwas am Zeuge flicken könne, heiße W. Liebknecht, der immer vergesse, was er in Briefen geschrieben und in Zeitungen habe drucken lassen. Im übrigen müßten wir diese seine Schwächen eben hinnehmen und täten das um so leichter, als wir wüßten, daß im wirklich entscheidenden Moment er doch auf dem rechten Fleck zu finden sein werde. Wobei er sich gegen seine Gewohnheit, immer das letzte Wort zu behalten, denn auch beruhigt hat. Da er die Schleswig-Holsteinische Kanalgeschichte2 erwähnte, so benutzte ich die Gelegenheit, ihm zu sagen, daß es töricht sein würde, aus angeblicher Opposition gegen die Benutzung des Kanals durch die Flotte für einen seichten, weniger als 8-9 Meter tiefen Kanal zu stimmen. Die großen Handelsdampfer werden immer größer, 5-6000 Tons sind jetzt schon gewöhnlich, und die Häfen werden mehr und mehr für den entsprechenden Tiefgang eingerichtet. Diejenigen, die das nicht können, veralten und verkommen, und das wird auch in der Ostsee der Fall sein. Soll die Ostsee am überseeischen Handel teilnehmen, so müssen dort entsprechend tiefe Häfen eingerichtet werden, und das geschieht dort ebenso sicher wie anderswo. Den Kanal aber so einrichten, daß er in 10-20 Jahren ebenso nutzlos und veraltet ist wie der alte Eiderkanal, hieße Geld zum Fenster hinauswerfen. Was meinen Vorschlag wegen der Produktivgenossenschaft auf Domänen3 anging, so hatte der nur den Zweck, der Majorität, die ja damals für die Dampfersubvention13611 war, einen Ausweg zu zeigen, wie sie mit Anstand dagegen stimmen könne, aus der Sackgasse komme, in der sie festsaß. Er war aber meiner Ansicht nach prinzipiell durchaus korrekt. Ganz richtig, wir sollen nur durchführbare Vorschläge machen, wenn wir Positives vorschlagen. Aber durchführbar der Sache nach, einerlei, ob die bestehende Regierung es kann. Ich gehe noch weiter: wenn wir sozialistische, zum Sturz der kapitalistischen Produktion führende Maßregeln vorschlagen (wie diese), dann nur solche, die sachlich praktisch, aber für diese Regierung unmöglich sind. Denn diese Regierung versaut und verdirbt jede solche Maßregel, führt sie nur durch, um sie zu ruinieren. Diesen
Vorschlag aber führt keine junkerliche oder Bourgeoisregierung durch. Dem Landproletariat der Ostprovinzen den Weg zeigen, es selbst auf den Weg stellen, auf dem es die Junker- und Pächterausbeutung vernichten kann - gerade die Bevölkerung in die Bewegung zu ziehn, deren Verfechtung und Verdummung die Regimenter liefert, auf denen das ganze Preußen beruht, kurz, Preußen von innen, an der Wurzel kaputtmachen, das fällt ihnen nicht ein. Es ist dies eine Maßregel, die wir unter allen Umständen poussieren müssen, solange das große Grundeigentum dort besteht, und die wir selbst durchführen müssen, sobald wir ans Ruder kommen: die Übertragung - pachtweise zunächst - der großen Güter an selbstwirtschaftende Genossenschaften unter Staatsleitung und so, daß der Staat Eigentümer des Bodens bleibt. Die Maßregel hat aber den großen Vorteil, daß sie praktisch durchführbar ist, der Sache nach, aber daß keine Partei außer uns sie in Angriff nehmen, also auch keine Partei sie verfumfeien kann. Und damit allein ist Preußen kaputt, und je früher wir sie popularisieren, desto besser für uns. Die Sache hat weder mit Sch[ulze]-Delitzsch noch mit Lassalle zu tun. Beide proponierten kleine Genossenschaften, der eine mit, der andre ohne Staatshülfe, aber bei beiden sollten die Genossenschaften nicht in den Besitz schon bestehender Produktionsmittel kommen, sondern neben der bestehenden kapitalistischen Produktion eine neue genossenschaftliche herstellen. Mein Vorschlag verlangt Einrücken der Genossenschaften in die bestehende Produktion. Man soll ihnen Land geben, das sonst doch kapitalistisch ausgebeutet würde; wie die Pariser Kommune verlangte, die Arbeiter sollten die von den Fabrikanten stillgesetzten Fabriken genossenschaftlich betreiben. Das ist der große Unterschied. Und daß wir beim Übergang in die volle kommunistische Wirtschaft den genossenschaftlichen Betrieb als Mittelstufe in ausgedehntem Maß werden anwenden müssen, daran haben Marx und ich nie gezweifelt. Nur muß die Sache so eingerichtet werden, daß die Gesellschaft, also zunächst der Staat, das Eigentum an den Produktionsmitteln behält und so die Sonderinteressen der Genossenschaft, gegenüber der Gesellschaft im ganzen, sich nicht festsetzen können. Daß das Reich keine Domänen hat, macht nichts aus; man kann die Form finden, ganz wie bei der Polendebatte, wo die Ausweisungen das Reich auch direkt nichts angingen.[554) Eben weil die Regierung solche Dinge nie akzeptieren kann, eben deshalb war es ungefährlich, die von mir vorgeschlagne Dotation als Gegenstück gegen die Dampferdotation zu verlangen. Hätte die Regierung darauf eingehn können, so hättest Du natürlich recht.
Das Zerbröckeln der Deutschfreisinnigen12391 auf ökonomischem Gebiet entspricht ganz dem, was bei den englischen Radikalen14421 vorgeht. Die alten Manchesterleute a la John Bright sterben ab, und die jüngere Generation macht, ganz wie die Berliner, in sozialer Flickreform. Nur daß hier der Bourgeois nicht sowohl dem Industriearbeiter als dem Landarbeiter helfen will, der ihm soeben bei den Wahlen14931 so ausgezeichnete Dienste geleistet, und daß nach englischer Art nicht sowohl der Staat wie die Gemeinde einschreiten soll. Für die Landarbeiter Gärtchen, und Kartoffelfeldchen, für die städtischen sanitäre und dgl. Verbesserungen, das ist ihr Programm. Es ist ein vortreffliches Zeichen, daß die Bourgeois schon1 ihre eigne klassische ökonomische Theorie opfern müssen, teils aus politischen Rücksichten, teils aber, weil sie selbst durch die praktischen Konsequenzen dieser Theorie an ihr irre geworden sind. Dasselbe beweist das Wachsen des Kathedersozialismus1291, der in dieser oder jener Form die klassische Ökonomie auch hier und in Frankreich von den Lehrstühlen mehr und mehr verdrängt. Die tatsächlichen Widersprüche, die die Produktionsweise erzeugt, sind so grell geworden, daß eben keine Theorie mehr sie vertuschen kann, es sei denn der kathedersozialistische Mischmasch, der aber keine Theorie mehr ist, sondern Kohl. Vor 6 Wochen hieß es hier, es zeigten sich Symptome der Besserung im Geschäft. Jetzt ist das alles schon wieder verrauscht, die Not ist größer als je und die Aussichtslosigkeit auch, dazu ein ungewohnt strenger Winter. Dies ist nun schon das achte Jahr des Drucks der Überproduktion auf die Märkte, und statt besser, wird's immer schlimmer. Es ist kein Zweifel mehr, die Lage hat sich wesentlich gegen früher geändert; seit England bedeutende Nebenbuhler auf dem Weltmarkt bekommen, ist die Periode der Krisen im bisherigen Sinn abgeschlossen. Wenn die Krisen aus akuten zu chronischen werden, aber dabei an Intensität nichts verlieren, wie kann das auslaufen? Eine wenn auch kurze Periode der Prosperität muß doch einmal wiederkommen, nachdem der Schwärm der Waren sich verlaufen hat; aber wie das alles sich machen wird, bin ich begierig zu sehn. Zweierlei ist aber sicher: wir sind in eine Periode eingetreten, die dem Bestand der alten Gesellschaft ungleich gefährlicher ist als die Periode der zehnjährigen Krisen; und zweitens: England wird von der Prosperität, wenn sie kommt, in viel geringerem Maß betroffen werden als früher, wo es den Rahm vom Weltmarkt allein abschöpfte. An dem Tag, wo das hier klar wird, an dem Tag wird die sozialistische Bewegung hier ernstlich, früher nicht. Über die Zusammensetzung der englischen Liberalen ein andermal. Das ist ein weitläuftiges Thema, weil Schilderung eines Übergangszustands.14611
Die Debatte über den Polenantrag (I.Tag) habe ich heut morgen von Dresden erhalten. Der 2. Tag folgt wohl bald. Diese Sendungen sind mir um so wichtiger, als ich jetzt nur noch die Wochenausgabe der „Kölnischen] Ztg." sehe, die nur ganz kurze Auszüge der Debatten gibt. Wie werden die stenographischen Berichte verkauft? Ich zahle gern für alle Debatten, in denen unsre Leute ernstlich eingreifen. Die Reise nach Amerika solltest Du unter allen Umständen mitmachen.15461 Einerseits hängt der Erfolg sehr von Deiner Anwesenheit mit ab. Zweitens ist die Partei nur dann vollständig richtig vertreten, wenn Du dabei bist. Gehst Du nicht, so wird der erste beste mit Lfiebknecht] geschickt, und wer weiß, was dann passiert. Drittens solltest Du die Gelegenheit nicht versäumen, das progressivste Land der Welt mit eignen Augen zu sehn. Das Leben in den deutschen Verhältnissen übt auf jeden, auch den besten, einen drückenden und beengenden Einfluß aus, ich weiß das aus eigner Erfahrung, man muß wenigstens von Zeit zu Zeit heraus. Und dann bekommen wir Dich auch einmal wieder her. Könnte ich von meinen Arbeiten abkommen, ich wäre längst einmal hinübergerutscht, ich hoffte4 immer, es einmal mit Mfarx] tun zu können. Du und Lfiebknecht] repräsentiert einmal für das Ausland die Partei, und da ist keiner von Euch beiden zu ersetzen. Bleibst Du weg, so macht das einen Ausfall von 5000 bis 10 000 Mark, vielleicht mehr. Die Sache kann aber auch sehr angenehm werden. Nämlich Tussy und Aveling sind in Korrespondenz mit den amerikanischen Freidenkern wegen einer Spekulationsreise dahin und wünschen, sie mit der Eurigen zu verbinden. Die Antwort wird wohl in 3-4 Wochen hier sein. Das gäbe dann eine ganz nette Reisegesellschaft zu vieren. Jetzt aber leb wohl für heute. Apropos, Ede hat meine Erwartungen in seinem ersten Artikel gegen Schrfamm][5511 übertroffen. Ganz famos. Er hat in der Tat den Krieg nach Strategie und Taktik gelernt. Dein F.E. 23. Jan.
226 • Engels an Edward R.Pease • 27. Januar 1886 429
226
Engels an Edward R.Pease in London15551 (Entwurf)
[London] 27. Jan. 86
Werter Herr, In Beantwortung Ihres freundlichen Schreibens von gestern muß ich Ihnen leider mitteilen, daß meine Zeit so vollständig durch unaufschiebbare Arbeit in Anspruch genommen ist, daß ich mindestens für das nächste Jahr unmöglich neue Verpflichtungen auf mich nehmen kann. Nach dem oben Gesagten, brauche ich wohl nicht noch andere Gründe anzuführen, die mich hindern könnten, den von Ihnen gewünschten Artikel zu schreiben. Aber ich darf auf jeden Fall feststellen, daß die Partei, der ich angehöre, keine feststehenden gebrauchsfertigen Vorschläge zu unterbreiten hat. Unsere Ansichten über die Unterschiede zwischen einer künftigen, nichtkapitalistischen Gesellschaft und der heutigen, sind exakte Schlußfolgerungen aus den historischen Tatsachen und Entwicklungsprozessen und sind, wenn sie nicht im Zusammenhang mit diesen Tatsachen und dieser Entwicklung dargelegt werden, theoretisch und praktisch ohne Wert. Die ökonomischen Aspekte dieser Unterschiede habe ich versucht, in meinem Buch „Herrn E[ugen] D[ührings] Umwälzung der Wissenschaft", 2.Ausg., S.253 -2711 darzulegen und zu erläutern; nächgedruckt in meiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus usw.", 3.Ausg., S.28-482. Kürzer kann ich diesen besonderen Abriß, in dem weder politische noch nicht-ökonomische soziale Fragen auch nur berührt werden, keinesfalls fassen. Ihnen ein resume von 600 Worten zu geben, ist daher eine Aufgabe, die meine Möglichkeiten völlig übersteigt.
Hochachtungsvoll
Aus dem Englischen.
1 Siehe Band 20 unserer Ausgabe, S.248 - 265 - 2 siehe Band 19 unserer Ausgabe, S.210-228
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
... „ London, 29. Jan. 86 Lieber borge, Ich habe endlich etwas freie Zeit und schreibe Dir daher sogleich, eh sie sonstwie in Beschlag genommen wird. Hoffentlich wird Dein Adolph1 mit dem neuen Geschäft Glück haben. Er versteht's ja und ist aktiv, dazu ist es ein wenig spekulatives Geschäft die große Gefahr in Amerika wie hier -, und so sehe ich nicht ein, warum's nicht gut gehn sollte. Also meinen besten Glückwunsch! Das Stück von Marx wegen der englischen Übersetzung wäre mir sehr erwünscht.16661 Ich habe endlich das ganze Ms. der englischen Übersetzung im Hause und gehe nächste Woche dran. Sowie ich weiß, wie lang' ungefähr die Revision dauern wird, also den Termin des Druckanfangs bestimmen kann, schließe ich definitiv mit dem Verleger ab. Du hast gesehn, wie Herr Hyndman alias Broadhouse mir einen Knüppel zwischen die Beine werfen wollte (in „To-Day").15571 Das zwingt mich, rascher vorzugehn, damit nicht meine Stellung gegenüber dem Verleger sich verschlechtert, sonst hat's keinen Schaden. Eine Amerikanerin2 hat mein Buch über die arbeitende Klasse3 ins Englische übersetzt und mir auch das Ms. zur Revision geschickt - die stellenweise zeitraubend wird. Der Druck in Amerika ist gesichert, was die Person aber jetzt noch an dem alten Ding findet, ist mir unerklärlich. Ferner steht mir noch bevor allein an Revisionen: 1. „18.Brumaire" französisch - ca. V3 schon besorgt. 2. „Lohnarbeit und Kapital" von M[arx] - italienisch. 3. „Ursprung der Familie" - dänisch. 4. „Manifest" und „Entwicklung des Sozialismus" etc. dänisch, diese beiden sind schon gedruckt, aber voller Fehler. 4. „Ursprung der Familie" französisch. 5. „Entwicklung des Sozialismus" englisch. Plenty more looming in the distance.4 Du siehst, ich werde reiner Schulmeister, der Pensa korrigiert. Zum Glück reichen meine Sprachkenntnisse nicht weiter, denn sonst würden sie mir 1 Adolph Sorge jun. - 2 Florence Kelley-Wischnewetzky - 3 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" -1 Es ist noch eine ganze Menge mehr zu erwarten.
auch noch russischen, polnischen, schwedischen etc. Kram aufladen. Aber es ist eine Arbeit, die man doch endlich leid wird - jedenfalls werden alle diese schönen Sächelchen (von 2. bis 5. wenigstens) hinter dem II I.Band „Kapital" zurückstehn müssen, der aus dem Ms. fertig diktiert ist, aber in einigen der wichtigsten Kapitel sehr viel Arbeit der Redaktion machen wird, da vieles nur gesammelte Bausteine sind. Das ist die einzige Arbeit, auf die ich mich freue. Die ,,N[ew] Y[orker] Volkszeitung" habe ich noch nicht erhalten. „ToDay" Sept. erfolgt womöglich noch mit dieser Post. Du hast keine Vorstellung, wie schwierig diese Sachen hier zu haben sind - die Verleger sind von einer Unordnung, die schmählich ist. Laß Dir von Dietzgen das von H. Bland hier über Hyndmans Wahlmänöver mit den Tories und gleichzeitig mit den Liberalen6 geben, wenn Du es noch nicht kennst. Es ist buchstäblich wahr. Die Social Democratic Federation13131 ist, wenn sie zusammenbleibt, hiernach moralisch tot. Hyndman muß verrückt sein, so zu handeln, wie er handelt. Seinen ganz wahnsinnigen Angriff gegen Aveling'5341 wirst Du nebst den Dokumenten in „Justice" und „Commonweal" gelesen haben. Leider taugen die übrigen Chefs der Federation nicht viel mehr als er, Literaten und politische Spekulanten. Die ganze Bewegung hier ist überhaupt bis jetzt nur Schein, aber wenn es gelingt, in der Socialist League13671 einen Kern von Leuten zu erziehn, die die Sache theoretisch verstehn, so ist für den Ausbruch der wirklichen Massenbewegung, der nicht mehr lang' ausbleiben kann, sehr viel gewonnen. Grüße Dietzgen von mir. Er hat einen harten Stand, aber es wird schon gehn.'5581 After all6 macht die Bewegung in Amerika doch schöne Fortschritte. Daß die Anglo-Amerikaner die Sache in ihrer Weise anfangen, mit Verachtung von Vernunft und Wissenschaft, ist nun einmal nicht anders zu erwarten, aber sie nähern sich doch. Und schließlich werden sie auch ganz kommen. Die kapitalistische Zentralisation geht bei Euch mit Schritten von Siebenmeilenstiefeln, ganz anders als hier. Hoffentlich bist Du mit Deiner Gesundheit wieder ganz auf dem Damm, mir geht's meist recht gut, sonst käme ich gar nicht durch die Arbeit. Ich bearbeite Bebel, daß er mit Liebk[necht] nach dort kommt.7 Vielleicht kommt auch Tussy und Aveling. Doch das ist noch in weitem Felde. Mit bestem Gruß an Adolph ^ • Dein „ „ , r. Engels
5 siehe vorl. Band, S.403/404und 405 - 407 - 6 Schließlich-7 siehe vorl.Band, S.419 und 428
432 228 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky • 3. Februar 1886
228
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in Zürich
,. . , London, 3. Febr. 1886 Meine sehr geehrte rrau Wischnewetzky, Heute habe ich, eingeschrieben, an Sie abgeschickt den ersten Teil des Ms.1 bis zu Ihrer Seite 70 inkl. Leider konnte ich es unmöglich früher senden. Ich war mit einer Arbeit beschäftigt, die fertig sein mußte, bevor ich mit Ihrem Ms. beginnen konnte. Jetzt werde ich leicht vorankommen; dabei merke ich, daß wir besser miteinander bekannt werden, Sie mit, meinem eigentümlichen, altmodischen Deutsch, ich mit Ihrem Amerikanisch. Und wirklich lerne ich ziemlich viel dabei! Niemals vorher ist mir der Unterschied zwischen britischem und amerikanischem Englisch so stark aufgefallen, wie bei diesem experimentum in proprio corpore vili2. Welche glänzende Zukunft muß einer Sprache beschieden sein, die auf beiden Seiten des Ozeans bereichert und entwickelt wird und weitere Ergänzungen von Australien und Indien zu erwarten hat! Ich weiß nicht, ob dieser Teil des Ms. noch rechtzeitig genug vor Miss Fosters Abreise ankommen wird, aber ich hoffe, daß Sie durch meine unvermeidliche Verzögerung keine besonderen Unannehmlichkeiten haben werden. Ich kann all den Freunden nicht dankbar genug sein, die Marx' und meine Schriften in die verschiedenen Kultursprachen übersetzen wollen und mir durch die Bitte, ihre Ubersetzungen durchzusehen, ihr Vertrauen beweisen. Ich bin gern dazu bereit, aber auch für mich hat der Tag, ebenso wie für andere, nur 24 Stunden, und darum kann ich es unmöglich immer jedermann recht machen und allen getroffenen Abmachungen entgegenkommen. Wenn ich abends nicht zu oft unterbrochen werde, hoffe ich, Ihnen den Rest des Ms. und möglicherweise auch die Einleitung in zwei Wochen schicken zu können. Diese letztere kann entweder als Vorrede oder als Anhang3 gedruckt werden. Uber die Länge derselben kann ich Ihnen gar 1 der englischen Übersetzung der „Lage der arbeitenden Klasse in England" -2 Experiment am eigenen Leibe - 3 „Anhang zur amerikanischen Ausgabe der .Lage der arbeitenden Klasse in England'"
228 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky • 3. Februar 1886 433
nichts sagen. Ich werde zusehen, sie so kurz wie möglich zu machen, besonders weil es für mich zwecklos wäre, die Argumente der amerikanischen Presse bekämpfen zu wollen, die ich nicht einmal oberflächlich kenne. Wenn natürlich die amerikanischen Arbeiter die Berichte der Arbeitsbüros16431 ihrer eigenen Staaten nicht lesen, sondern sich auf den Extrakt der Politiker verlassen, so kann ihnen niemand helfen. Aber es fällt mir auf, daß die jetzige chronische Depression, die bisher ohne Ende zu sein scheint, sowohl in Amerika als auch in England ihre Auswirkungen haben wird. Amerika wird Englands Industriemonopol brechen - was noch davon übriggeblieben ist - aber Amerika allein kann das Erbe dieses Monopols nicht antreten. Und wenn ein Land nicht allein das Monopol auf den Weltmärkten besitzt, zumindest in den entscheidenden Handelszweigen, können die verhältnismäßig günstigen Bedingungen, die in England von 1848 bis 1870 bestanden, nirgends reproduziert werden, und selbst in Amerika muß die Lage der Arbeiterklasse nach und nach immer schlechter werden. Denn wenn drei Länder (sagen wir England, Amerika und Deutschland) unter verhältnismäßig gleichen Bedingungen um den Besitz des Weltmarkt4 konkurrieren, dann gibt es keinen Ausweg als chronische Überproduktion, da jedes der drei Länder imstande ist, den gesamten Bedarf zu decken. Darum verfolge ich die Entwicklung der gegenwärtigen Krise mit größerem Interesse als je zuvor, und darum glaube ich, daß sie in der geistigen und politischen Geschichte der amerikanischen und englischen Arbeiterklassen - dieser beiden Klassen, deren Unterstützung ebenso absolut notwendig wie wünschenswert ist - eine Epoche kennzeichnen wird. Ihr sehr ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
4 in der Handschrift deutsch: Wellmarkt
28 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
229
Engels an Ferdinand Domela Nieuwenhuis in Den Haag15591
London, 4. Febr. 1886
Werter Genosse, Ich lese Ihre Schrift: „Hoe ons land geregeerd wordt" mit vielem Vergnügen, erstens, weil ich daraus wieder holländische Konversationssprache lerne, und zweitens, weil ich daraus so viel über die innere Verwaltung von Holland lerne. Holland ist mit England und der Schweiz das einzige westeuropäische Land, das im 16. -18. Jahrhundert die absolute Monarchie nicht durchgemacht hat, und hat dadurch manche Vorteile, namentlich einen Rest von lokaler Und provinzieller Selbstregierung, ohne eigentliche Bürokratie im französischen oder preußischen Sinn. Das ist ein großer Vorteil für die Entwicklung des Nationalcharakters und auch für später; mit wenigen Änderungen läßt sich hier die freie Selbstverwaltung durch das arbeitende Volk herstellen, die unser bestes Werkzeug bei der Umgestaltung der Produktionsweise sein muß. Alles das fehlt in Deutschland und Frankreich, muß erst wieder neu geschaffen werden. Zu Ihrer gelungnen populären Darstellung mache ich Ihnen mein Kompliment. Durch Ihre Übersetzung meiner Broschüre1 verbinden Sie mich zu lebhaftem Dank. Es wird nicht so leicht sein, hier überall ebenso populär zu sprechen wie in Ihrem Werkchen, doch wenn man beide Sprachen so beherrscht wie Sie, findet sich auch das. „Gewanne" sind die Bodenstücke von einnähernd gleicher Qualität, worin das gemeinsame Acker- und Wiesenland zuerst eingeteilt wird; vielleicht zehn bis zwanzig im ganzen. Dann erhält jeder vollberechtigte Markgenosse in jedem Gewann einen gleichen Anteil. Sind also zehn Gewanne und hundert Markgenossen, so gibt's im ganzen 1000 Parzellen, und jeder Markgenosse erhält 10 Parzellen, in jedem Gewann eine. Nachher tauschen dann oft die Markgenossen unter sich wieder aus, so daß ein jeder doch weniger einzelne Parzellen hat und sein Ackerbesitz näher zusammenliegt. Dasselbe geschah noch vor kurzem in Irland in den „rundale" 15601 Dörfern
1 „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"
und in Hochschottland (cf. „Fortnightly Review" Nov. 1885, ein Artikel über village communities in Schottland1661 Die Schriften von G.L.Maurer sind: 1. „Einleitung in die Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Städteverfassung in Deutschland". 2. „Geschichte der Markenverfassung in Deutschland". 3. Geschichte der Hofverfassung „ „ 4 Bde. 4. do. „ Städteverfassung „ „ 2 „ 5. do. „ Dorfverfassung „ „ 2 „ Nr. 1 und 2 sind die wichtigsten, die andern aber auch wichtig, namentlich für deutsche Geschichte. Wiederholungen, schlechter Stil, verworrene Anordnung erschweren das Studium dieser sonst ausgezeichneten Bücher. On n'est pas Allemand pour rien!2 Die besten Schriften über die große französische Revolution sind unbedingt die von Georges Avenel, der ca. 1875 starb: „Lundis revolutionnaires", eine Sammlung Feuilletons, die in der ,,Republ[ique] Fran?aise" erschienen, dann: „Anacharsis Cloots", letzteres eine an die Biographie sich knüpfende Übersicht des Gangs der Revolution bis Thermidor 1794. Melodramatisch geschrieben, man muß jeden Augenblick die genauen Daten bei Mignet oder Thiers vergleichen, um klarzusehn. Aber Avenel hat die Archive fleißig studiert und gibt dabei enorm viel Neues und Zuverlässiges. Für die Zeit von Sept. 92 bis Juli 94 ist er unbedingt beste Quelle. Dann existiert ein sehr gutes Buch von Bougeard über Jean-Paul Marat, „L'Ami du Peuple"; auch noch ein andres, das gut sein soll über Marat, dessen Verfasser mir entfallen, er fängt mit Ch. an[6621. Auch noch andre gute Sachen sind in den letzten Jahren des Empire erschienen, weniger gut sind die der Robespierristen (Hamel: „St.-Just" etc.), meist Phrasen und Auszüge aus Reden. Von den Bourgeoishistorikern ziehe ich Mignet noch immer vor. Kautskys, Avelings und Lenchen grüßen bestens. Wie steht's mit Ihrer Reise hieher im Sommer? Besten Gruß von Ihrem F. Engels
2 Man ist nicht umsonst Deutscherl 28*
230
Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris15631
Mein lieber Lawrow, Wollen Sie mir bitte sagen, wie Sie das Wort Worthies auffassen - ich möchte ihm in Ihrem Mund nicht den philisterhaften Sinn geben, der hier der fast offizielle Sinn ist und der die ganze Skala von einem Faraday bis zu einemPeabody oder einer Lady Burdett-Coutts umfaßt; dann werde ich versuchen, Ihnen das zu besorgen, was Sie wünschen. Das Manuskript der englischen Übersetzung des I.Bandes1 ist endlich in meinen Händen, ich werde es gleich durchsehen; danach die endgültige Fassung des III.Bandes. Es wird hart sein, aber ich werde es schon schaffen. Freundschaftlichst Ihr F.E. [London] 7. Febr. 86
Aus dem Französischen.
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 8. Febr. 1886
Werter Herr, Ich habe Ihre freundlichen Briefe vom 18. (30.) Nov., 19. (31.) Dez., 26. [Dez.] (7.) Jan. und 8. (20.) Jan. erhalten18641; ebenso die vier Exemplare der Übersetzung1, von denen eines an das British Museum, ein anderes an den Oberst2 und ein drittes an eine bekannte Dame3 gegangen ist, die ebenfalls verschiedene Werke des Autors4 in Ihre Sprache übersetzt hat. Wenn Sie so freundlich sein wollten, ein weiteres Exemplar an Herrn Otto Meißner, Hamburg, unseren deutschen Verleger, zu senden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ihr ausgezeichnetes Vorwort15651 habe ich mit viel Vergnügen gelesen, und daß ich es auch sehr aufmerksam gelesen habe, möchte ich durch die Feststellung beweisen, daß der Setzer auf Seite X, Zeile 17, offenbar ein Wort ausgelassen hat; sollte es dort nicht heißen: ito h nepearfäHHaH iacTi> KanumajibHoü ctoümocth etc. ?5 Die Auslassung ist für den, der die Terminologie des Autors kennt, von geringer Bedeutung, könnte aber für jemand, der sie nicht kennt, verwirrend sein. Besten Dank für Ihre Bemerkungen über die ökonomische Lage Ihres Landes. Jede Mitteilung dieser Art ist für mich immer von höchstem Interesse. Die letzten 30 Jahre haben in der ganzen Welt gezeigt, in wie kurzer Zeit die immensen Produktivkräfte der modernen Industrie sogar in Länder, die bisher reine Agrarländer waren, verpflanzt werden und feste Wurzeln schlagen können. Und die Begleiterscheinungen dieses Prozesses wiederholen sich überall: Was Sie mir über die Zahlungen mit noch nicht fälligen Kupons schreiben, geschah in ganz Deutschland vor zehn oder fünfzehn Jahren und mag dann und wann immer noch vorkommen; aber besonders vor der Einführung der neuen Münzen klagte man allgemein über
1 der russischen Übersetzung des zweiten Bandes des „Kapitals" - 2 Pjotr Lawrowitsch Lawrow - 3 Vera Iwanowna Sassulitsch - 4 Karl Marx - 5 daß auch der variable Teil des Kapitalwerts usw.?
die Zirkulation solcher noch nicht fälligen Kupons, die ursprünglich zu Lohnzahlungen benutzt wurden. Die schnelle Entwicklung der deutschen Industrie hat dieses Stadium jetzt überwunden, und wenn es manchmal noch vorkommt, so handelt es sich um eine Ausnahme; aber vor fünfzehn Jahren war es die Regel, besonders in Sachsen und Thüringen. Doch daß Ihre Ökonomen darin den Beweis eines Mangels an Zirkulationsmitteln sehen, und das angesichts eines durch übermäßige Emission um mindestens 36% entwerteten Papiergeldes, ist eine Argumentation, die auf dem gleichen Niveau wie die Ansicht der amerikanischen Greenbacker steht, die ebenfalls eine erhöhte Emission von Papiergeld verlangten, weil es nicht mehr unter pari stand und daher offensichtlich zu wenig emittiert war!15661 Es freut mich zu hören, daß unserem Freund6 Klimawechsel empfohlen wird - ich vermute, es handelt sich ungefähr um die gleiche Gegend, in die ihn die Ärzte schon früher geschickt haben und die seiner Gesundheit förderlich schien. Auf jeden Fall ist das ein Beweis für mich, daß jede Gefahr einer plötzlichen Krise seiner Krankheit jetzt vorbei ist. Ich habe nun endlich das ganze Manuskript der englischen Übersetzung des I.Bandes7 hier und werde nächste Woche an die Revision gehen; und sobald ich eine Ahnung habe, wann ich fertig sein kann, schließe ich gleich mit einem Verleger ab. Es gibt zwei Übersetzer: der eine ist ein Anwalt und alter Freund von uns8 (Sie und er sind die einzigen, die das Buch gründlich kennen), aber seine beruflichen Geschäfte gestatten ihm nicht, alles rechtzeitig fertigzumachen. So bot Dr. A[veling], der Mann der jüngsten Tochter des Autors, seine Dienste ein9; aber sowohl die ökonomische Theorie wie die Sprache des Autors sind ziemlich neu für ihn, und ich weiß, daß der Teil, den er liefert, mir mehr Arbeit machen wird. Sobald die Übersetzung annähernd druckfertig ist, wende ich mich wieder dem III.Band zu und beende ihn, ohne mich durch irgendwelche andere Arbeiten abhalten zu lassen. Hier wird's mit der industriellen Krise schlimmer statt besser, und die Leute sehen allmählich ein, daß es mit Englands Industriemonopol zu Ende ist. Und da Amerika, Frankreich und Deutschland auf dem Weltmarkt als Konkurrenten auftreten und hohe Zölle ausländische Waren von den Märkten anderer aufsteigender Industrieländer fernhalten, ist das ein einfaches Rechenexempel. Wenn ein großes Industrieland mit Monopolstellung alle zehn Jahre eine Krise hervorbrachte, wie wird das bei vier
6 German Alexandrowitsch Lopatin - ' des „Kapitals"-8 Samuel Moore - 8 siehe vorl. Band, S. 137/138
solchen Ländern werden? Annähernd eine Krise alle Jahre, das heißt also praktisch eine Krise ohne Ende. Uns kann's recht sein.10 Ihr sehr ergebener P.W.Rosher^
Aus dem Englischen.
10 in der Handschrift deutsch: Uns kann's recht sein.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken15671
Lieber S[orge], Meinen Brief vom 30. Jan.1, ferner „To-Day" und neue Ausg. „Kommunisten-Prozeß"2 wirst Du erhalten haben. „N[ew] Y[orker] VoIksz[eitung]", Wochenblatt vom 23. Jan. angekommen, sonst keins. Das Septemberheft von „To-Day" wirst Du auch bekommen haben. Gestern haben die Herren von der Social Democratic Federation13131 wieder den schauerlichsten Blödsinn auf der Straße angestellt3 - es wird Euch schon telegraphiert sein. Hoffentlich haben sie jetzt ausgespielt. Wie geht's Adolph4 in seinem Geschäft? Dein F.E. [London] 9./2./86
1 Siehe vorl. Band, S.430/431 -2 Karl Marx: „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln" - 3 siehe vorl. Band, S.441/442 und 444 -446 - 4 Adolph Sorge jun.
Laura Lafargue

233
Engels an Laura Lafargue in Paris
», . , , London, 9.Febr. 1886 Meine liebe Laura, Unsere klugen Leute von der Social Democratic Federation13131 verschmähen es, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Gestern mußten sie sich durchaus in ein Meeting der Arbeitslosen einmischen - die es jetzt zu Hunderttausenden gibt um La Revolution, Revolution im allgemeinen, zu predigen und alle die um ihr Handzeichen zu bitten, die bereit seien, Herrn Champion zu folgen, wohin immer er sie auch führen werde - aber wohin, das weiß er selbst nicht. Hyndman, der seine persönliche Feigheit nur dadurch überwinden kann, daß er sich mit seinem eigenen Gebrüll betäubt, fuhr in der gleichen Weise fort. Du weißt natürlich, aus wem sich ein Meeting auf dem Trafalgar Square um 3 Uhr nachmittags zusammensetzt: Scharen armer Teufel vom East End, die an der Grenze zwischen Arbeiterklasse und Lumpenproletariat1 dahinvegetieren, und dazu ein Gemisch von Rowdys und Straßenjungen, das genügt, um das ganze in eine brodelnde Menge zu verwandeln, die zu jedem „Ulk" bis zu wildem Aufruhr ä propos de rien2 bereit ist. Gerade in dem Augenblick, als diese Elemente im Begriff waren, die Oberhand zu gewinnen (Kautsky, der dort war15681, sagt: das eigentliche Meeting war vorbei, die Keilerei ging los, und so ging ich weg3), führten die oben erwähnten Besserwisser diese Rowdys in einem Zug durch Pall Mall und Piccadilly zum Hyde Park zu einem anderen und wahrlich revolutionären Meeting. Aber unterwegs rissen die Rowdys die Sache an sich, schlugen Klubfenster und Schaufenster ein, plünderten erst Weinhandlungen und Bäckerläden und dann auch einige Juwelierläden, so daß unsere revolutionären Herrschaften im Hyde Park „le calme et la moderation"4 predigen mußten! Während sie Schmeicheleien faselten, hielt draußen in der Audley Street und sogar bis zur Oxford Street das Zerstören und Plündern an, wo schließlich die Polizei eingriff.5
1 In der Handschrift deutsch: Lumpenproletariat - 2 für nichts und wieder nichts - 3 in der Handschrift deutsch: das eigentliche Meeting ... ging ich weg — 4 „Ruhe und Mäßigung" 6 siehe vorl. Band, S.444/445
Die Abwesenheit der Polizei beweist, daß der Krawall erwünscht war; aber daß Hyndman und Co. donnaient dans le piege6, ist unverzeihlich und brandmarkt sie schließlich nicht nur als hilflose Narren, sondern auch als Schurken. Sie wollten die Schande ihres Wahlmanövers15281 von sich abwaschen und haben jetzt der hiesigen Bewegung einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zugefügt. Um eine Revolution zu machen - und das ä propos de rien, wann und wo es ihnen paßt - dazu war ihrer Meinung nach nichts anderes nötig als die erbärmlichen Tricks, die genügen, um eine Bewegung zu einer x-beliebigen niederträchtigen Narretei „aufzuwiegeln": Meeting s vollzupfropfen, in der Presse zu lügen und dann mit fünfundzwanzig Mann, von denen sie scheinbar unterstützt werden, an die Massen zu appellieren, sich irgendwie nach besten Kräften, gegen niemand im besonderen und gegen alle im allgemeinen zu „erheben" und den Ausgang der Sache dem glücklichen Zufall zu überlassen. Ich weiß nicht, ob sie diesmal so leicht davonkommen werden. Mich würde es nicht wundern, wenn sie noch in dieser Woche verhaftet würden.15®1 Das englische Gesetz ist in dieser Hinsicht sehr genau: man kann den Mund aufreißen, wie man will, solange nichts weiter darauf folgt; aber sowie daraus irgendwelche „wirkliche Tathandlungen" eines Aufruhrs erfolgen, wird man dafür zur Verantwortung gezogen, und manch arme Chartistenteufel, Harney, Jones und andere, haben zwei Jahre für weniger bekommen.15701 Außerdem n'est pas Louise Michel qui veut7. Endlich habe ich fast das ganze Ms. der englischen Übersetzung von Bd. I8 erhalten; den kleinen Rest hat Edward zum Sonntag versprochen. Ich werde mich diese Woche daransetzen - das einzige, was mich noch davon abhält, ist die Revision einer Übersetzung (englisch) meines alten Buches über die englische Arbeiterklasse, von einer Amerikanerin9 besorgt, die erstaunlicherweise dafür auch einen Herausgeber in Amerika gefunden hat! Das mache ich in den Abendstunden und werde - falls man mich nicht zuviel stört - in dieser Woche damit fertig werden. Sobald ich klarsehe und ein Datum für den Druckbeginn festsetzen kann, werde ich K.Pjaul] aufsuchen, und wenn wir uns mit ihm nicht einigen können, werde ich woanders hingehen; uns würden von mehr als einem Verleger Andeutungen und Angebote gemacht.14551 Unsere Lage hat sich in dieser Hinsicht bedeutend verbessert. Dann - Bd. III, und weitere Unterbrechungen werden nicht geduldet.
6 in die Falle gingen - 7 ist nicht jeder, der will, eine Louise Michel - 8 des „Kapitals" 8 Florence Kelley-Wischnewetzky
Wir fanden es sehr merkwürdig, daß Bernstein einen Kerl wie Quarck empfohlen haben sollte10, und fragten ihn. Hier ist seine Antwort, die ich Dir wörtlich gebe, damit kein Fehler unterläuft: „Von einer QuarckEmpfehlung bin ich mir gar nichts bewußt, wie sollte ich einen Mann empfehlen, den ich gar nicht Lennep Es ist möglich, daß ich auf eine Anfrage einmal geantwortet, der Mann sei kein Parteigenosse, aber es liege nichts gegen ihn vor, aber auch nur möglich... Sollte da nicht eine Verwechslung vorliegen? Ich selbst fenne Quarck gar nicht, habe auch noch nie mit ihm korrespondiert. Also wie gesagt, ich bestreite nicht absolut, über Quarck einmal Auskunft erteilt zu haben, aber empfohlen habe ich ihn nicht."11 Verzeih mir, daß ich Dich wieder mit dieser Sache belästige, aber ich möchte gern, daß dieser Auszug im deutschen Original nach Paris gelangt. Über das Weitere schreibe ich an Paul. Ansonsten wünsche ich Deville in seiner neuen menage12 viel Glück und hoffe, daß seine Gewohnheiten dadurch nicht zu sehr gestört werden. Ist er erst einmal an die neuen Verhältnisse gewöhnt, verspricht er der beste und glücklichste aller Ehemänner, zu werden. Den Leuten hier geht es wie gewöhnlich. Edward hat einen Saal in Tottenham Court Road gemietet, wo er jeden Sonntag zweimal zu einem aufmerksamen und im allgemeinen ziemlich gut zahlenden Auditorium spricht - das kollidiert zwar mit seinem Portwein nach Tisch, tut ihm aber dennoch gut, da es Bradlaughs Plan vereitelt, ihn als öffentlichen Redner zu ruinieren; ab und zu fährt er auch in Provinzstädte, um an einem Sonntag! 3 Vorträge zu halten und einen am Samstag abend. Bax ähnelt Paul etwas, schreibt oft im „Commonweal" charmante Artikel, wird aber völlig unmöglich, wenn er von einer Idee besessen ist. Für praktische Agitation ist der arme Bax höchst gefährlich, da völlig unerfahren; wirft die Gedanken vom Studierzimmer, unverdaut wie sie sind, in den Versammlungsraum; hat das Gefühl, daß irgend etwas getan werden muß, um den Stein ins Rollen zu bringen, weiß aber nicht, was; dabei sehr nett, sehr intelligent, sehr fleißig, so daß wir hoffen können, daß er seinen Eifer überwindet.
In Zuneigung Dein F.E.
Aus dem Englischen.
10 siehe vorl. Band, S.421/422-11 in der Handschrift deutsch: „Von einer Quarck-Empfehlung ... empfohlen habe ich ihn nicht." —12 Ehe
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 15. Febr. 86
Lieber Bebel, Dein Brief15711 kommt mir grade recht, ich wollte Dir ohnehin heute eine andre erfreuliche Mitteilung machen - darüber weiter unten. Also der Krawall vom 8. cf.1 Die Social Democratic Federation, eine trotz aller Reklameberichte äußerst schwache Organisation, die gute Elemente enthält, aber von literarisch-politischen Abenteurern geführt wird, war durch Geniestreiche dieser letzteren bei den Novemberwahlen2 an den Rand der Auflösung gekommen. Hyndman (gesprochen Heindman), der Chef der Gesellschaft, hatte damals Geld von den Tories (Konservativen) genommen und damit in zwei Londoner Bezirken soc. dem. Kandidaten aufgestellt. Da sie in diesen beiden Wahlkreisen nicht einmal eine Mitgliedschaft hatten, war die Blamage vorauszusehn (der eine erhielt 27, der andre 32 Stimmen aus je 4—50001). Kaum aber hatte H[yndman] das Torygeld, so schwoll ihm der Kamm mächtig, und er reiste nun sofort nach Birmingham zu Chamberlain, dem jetzigen Minister, und offerierte ihm seine „Unterstützung" (die in ganz England keine 1000 Stimmen ausmachte), falls Chfamberlain] ihm, dem Hfyndman], einen Parlamentssitz in Birmingham mit Hülfe der Liberalen sichern und eine Achtstundenbill einbringen wolle. Chfamberlain] ist kein Esel und wies ihm die Tür. Darüber, trotz aller Vertuschungsversuche, großer Radau in der Föderation und drohende Auflösung derselben. Jetzt mußte also etwas geschehn, um die Sache wieder in Gang zu bringen. Inzwischen stieg hier die Arbeitslosigkeit immer mehr. Der Zusammenbruch des englischen Weltmarktsmonopols hat es fertiggebracht, daß die Krise seit 1878 ununterbrochen anhält und eher schlimmer als besser wird. Die Not, namentlich in Ostend der Stadt, ist schauderhaft. Der ungewöhnlich strenge Winter, seit Januar, daneben die grenzenlose Gleichgültigkeit der besitzenden Klassen, brachte größere Bewegung unter die arbeitslosen
1 Siehe vorl. Band, S.441/442 - 2 siehe vorl. Band, S.403/404 und 405 -407
Massen. Wie immer wurde diese Bewegung von politischen Machern zu ihren Zwecken auszubeuten versucht. Die soeben von der Regierung verdrängten Konservativen'5721 schoben die Arbeitslosigkeit auf die fremde Konkurrenz (mit Recht) und die fremden Schutzzölle (großenteils mit Unrecht) und predigten „fair trade"15731, d.h. Kampfzölle. Es existiert auch eine Arbeiterorganisation, die vorwiegend an Kampfzölle glaubt. Diese berief das Meeting vom 8. ds. nach Trafalgar Square. Inzwischen war die Social Democratic Federation auch nicht faul gewesen, hatte schon im kleinen demonstriert und wollte nun dies Meeting benutzen. Es fanden also zwei Meetings statt, das der Kampfzöllner um die Nelsonsäule, während die Leute der Social Democratic Federation vom Nordend des Platzes, von der ca. 25 Fuß höheren Straße gegenüber der National Gallery herab sprachen. Kautsky war dort15681, ging weg, eh der Krawall begann, und erzählte mir, die Masse der eigentlichen Arbeiter sei bei den Kampfzöllnern gewesen, während Hyndman & Co. ein gemischtes, Ulk suchendes, teilweise bereits angeheitertes Publikum hatten. Wenn Kfautsky] dies sah, der kaum ein Jahr hier ist, so mußten die Herren von der Föderation es noch besser sehn. Trotzdem aber setzten sie, als schon alles sich zu verlaufen schien, eine alte Lieblingsidee Hyndmans ins Werk, nämlich eine Prozession der „Arbeitslosen" durch Pall Mall, die Straße der großen politischen, aristokratischen und hochkapitalistischen Klubs, der Zentren der politischen Intrigue von England. Die Arbeitslosen, die ihnen folgten, um ein neues Meeting im Hyde Park zu halten, waren meist solche, die überhaupt keine Arbeit wollen, Höker, Bummler, Polizeispione, Spitzbuben. Verhöhnt von den Aristokraten an den Klubfenstern, warfen sie diese letzteren ein, ditto Ladenfenster, plünderten Weinhandlungen, um den Konsumverein dafür sofort auf der Straße zu etablieren, so daß Hyndman & Co. im Hyde Park ihre blutrünstigen Redensarten sofort einstecken und abwiegeln mußten. Aber die Sache war im Gang. Während des Zugs, während dieses zweiten kleinen Meetings und nachher wälzten sich die von Hyndman für Arbeitslose gehaltenen Massen des Lumpenproletariats durch einige anstoßende feine Straßen, plünderten Juwelier- und andre Läden, benutzten die Brote und Hammelkeulen, die sie geplündert, lediglich zum Fenstereinwerfen und verliefen sich, ohne Widerstand zu finden. Nur ein Rest wurde in Oxford Street durch vier, sage vier Polizisten zersprengt. Die Polizei war sonst nirgends zu sehn, und so auffällig abwesend, daß nicht nur wir an Absicht glauben mußten. Die Chefs der Polizei scheinen Konservative zu sein und ein bißchen Krawall in dieser Zeit liberaler
Regierung nicht ungern gesehn zu haben. Die Regierung hat aber sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt, und es kann mehr als einen der Herren seinen Platz kosten. Daneben ist denn auch eine sehr lahme Verfolgung gegen Hyndman & Co. eingeleitet worden, die ganz so aussieht, als wolle man sie im Sand verlaufen lassen, obwohl das englische Gesetz sehr scharfe Mittel bietet, sobald auf aufregende Reden wirkliche Tathandlungen gefolgt sind.1569' Die Herren haben allerdings viel von sozialer Revolution geflunkert, was gegenüber diesem Publikum und in Abwesenheit jedes organisierten Rückhalts in den .Massen reiner Blödsinn war; ich kann aber kaum glauben, daß die Regierung so dumm ist, sie zu Märtyrern machen zu wollen. Diese Herren Sozialisten wollen mit Gewalt eine Bewegung über Nacht hervorzaubern, die notwendig hier wie anderswo jahrelange Arbeit erfordert, und wenn sie auch, einmal im Gang und den Massen durch die historischen Ereignisse aufgezwungen, hier weit rascher gehn wird als auf dem Kontinent. Aber Leute wie jene können nicht warten und begehn daher solche Kindereien, wie wir sie sonst nur bei den Anarchisten gewohnt sind. Der Schrecken beim Philister dauerte vier Tage und hat sich endlich gelegt. Er hat das Gute gehabt, daß die Not, die von den Liberalen einfach weggeleugnet und von den Konservativen nur zu ihren Zwecken auszubeuten versucht wurde, jetzt anerkannt wird, und man sieht, daß wenigstens zum Schein etwas geschehn muß. Aber der vom Lord Mayor3 eröffnete Subskriptionsfonds betrug bis Samstag kaum 20000 Pfd. St. und reicht, für alle Brotlose berechnet, kaum auf 2 Tage! Soviel ist aber wieder bewiesen: die besitzenden Klassen sind gleichgültig gegen alles Massenelend, bis ihnen Angst eingejagt wird, und ich bin noch nicht sicher, daß sie nicht noch etwas mehr Schrecken nötig haben. Nun zu Frankreich. Hier hat sich vorige Woche eine Geschichte zugetragen, die Epoche macht: die Konstituierung einer Arbeiterpartei in der Kammer. Es sind nur drei Mann, dazu noch zwei Radikale, aber der Anfang ist da, und die Scheidung ist komplett. Basly (gesprochen Bali), Bergarbeiter und später Wirt (weil gemaßregelt) aus Anzin, hat die Massakrierung des infamen Minenverwalters Watrin in Decazeville an Ort und Stelle untersucht.15741 Bei seiner Rückkehr erstattete er zuerst einem großen Meeting am 7. in Paris Bericht, wobei die Radikalen der Kammer schlecht wegkamen. Am Donnerstag4 interpellierte er das Ministerium in der Kammer in einer ganz famosen Rede.
3 Bürgermeister - 4 11. Februar
Die ganze äußerste Linke ließ ihn im Stich. Nur die beiden andern Arbeiter, Boyer (aus Marseille, Ex-Anarchist) und Camelinat (Ex-Proudhonist, Kommuneflüchtling), traten für ihn auf, sonst applaudierten noch Clovis Hugues und Planteau, die andern äußersten Radikalen waren wie vom Donner gelähmt bei diesem ersten kühnen selbständigen Auftreten des französischen Proletariats in der Kammer. (Unter uns steht Basly ganz unter dem Einfluß unsrer Leute, Lafargue, Guesde etc., deren theoretischen Rat er sehr bedarf und gern akzeptiert.) Ich schicke Dir den „Cri du Peuple" mit dem ausführlichen Bericht dieser historischen Sitzung und bitte Dich, ihn zu studieren. Es ist der Mühe wert.'5751 Die Gegenkontrolle über die Wichtigkeit dieses Bruchs erhielt ich durch Longuet, der grade herkam und als Freund und Mitredakteur von Clemenceau sich ziemlich mißliebig über dies unparlamentarische Betragen der Arbeiter aussprach. Jetzt haben wir also auch in Paris Leute im Parlament, und ich freue mich nicht nur wegen der Franzosen, denen dies enorm rasch voranhelfen wird, sondern auch wegen unsrer Fraktion, die in der Kühnheit des Auftretens stellenweise noch manches von jenen lernen kann, jetzt hat man doch auch auswärtige Beispiele, die man den Angstmeiern und Schwachmatischen vorhalten kann. Das Schönste ist, die Leute waren von den Radikalen vorgeschlagen in der Hoffnung, man werde sie einseifen, und jetzt haben sie das Nachsehn. Auch ich war wegen Camelinat sehr im Zweifel als altem Proudhonisten, aber für ihn sprach, daß er als Flüchtling hier sich sofort in Birmingham Arbeit suchte (er ist einer der besten Ziseleure) und alle Flüchtlingspolitik laufen ließ. Postschluß. Dein F. E.
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Engels an Paul Lafargue in Paris (Auszug)
[London] lö.Februar 1886
Mein lieber Lfafargue], Herzlichen Glückwunsch. Die Sitzung der französischen Kammer vom 11. ist ein historisches Ereignis.1 Das Eis - die parlamentarische Allmacht der Radikalen'4601 - ist gebrochen, und es ist unwichtig, ob es drei oder dreißig waren, die es zu brechen gewagt haben. Die Kraft der Radikalen beruhte ja gerade auf dieser falschen Annahme der Pariser Arbeiter, diesem Glauben, daß man die Republik in Gefahr bringe, wenn man weiter als die Radikalen gehe, oder daß man zumindest den Opportunisten'2441 in die Hände spiele, wenn man die „revolutionäre Partei" spalte. Das bedeutet die endgültige Niederlage des utopischen Sozialismus in Frankreich. Denn die Radikalen waren alle „Sozialisten" im alten Sinne des Wortes; das, was von den Thesen Louis Blancs und Proudhons überlebte, diente ihnen als sozialistische Gewandung; sie vertreten den französischen utopischen Sozialismus, bar aller Utopien und folglich auf die reine und nackte Phrase reduziert. Dieser alte französische Sozialismus wurde am 11. Februar von dem internationalen Sozialismus unserer Zeit zerschlagen. „Elend der Philosophie!" Für Eure Propaganda in Paris und in Frankreich überhaupt ist das ein Ereignis von höchster Bedeutung. Die Auswirkungen werden sich sehr bald zeigen; die Radikalen - ob sie sich nun endgültig von den Arbeitern trennen oder abwarten und ihnen mehr oder weniger sterile Konzessionen machen - werden ihren Einfluß auf die Massen verlieren, und mit diesem Einfluß werden auch die letzten Reste der Herrschaft des traditionellen Sozialismus schwinden und die Hirne werden aufnahmebereit für neue Ideen... Z...2 ließ mir keinen Zweifel darüber, daß Clemenceau und seine ganze Bande - so wie sie nun einmal in die Intrigen des Ministeriums verstrickt sind - sich die parlamentarische Krankheit geholt haben; sie können
1 Siehe vorl. Band, S.446/447 - 3 vermutlich Charles Longuet
schon nicht mehr klar erkennen, was außerhalb der Palais Bourbon und Luxembourg vor sich geht, dort ist für sie der Angelpunkt der Bewegung, und das außerparlamentarische Frankreich ist für sie nur von sekundärer Bedeutung. Das hat mir gezeigt, was diese Herren wert sind. Kurz, ich habe gesehen, daß die Worte „flectere si nequeo superos, Acheronta movebo"3 nicht ihre Sache ist. Sie sitzen mit ihrem Hinterteil auf der gleichen schiefen Ebene, auf der Ranc, Gambetta und Cie schon ausgerutscht sind. Sie haben Angst vor dem proletarischen Acheron. Ich habe zu Z... gesagt: Solange sich die Radikalen wie bei den Wahlen durch den Ruf: „Die Republik ist in Gefahr" schrecken lassen, werden sie nur Diener der Opportunisten sein und ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen. Aber gebt jedem Arbeiter ein Gewehr und 50 Patronen - und die Republik wird niemals wieder in Gefahr sein!
Nach: „Le Socialiste", vom 24. November 1900. Aus dem Französischen.
8 „wenn der Himmel mich nicht hört, dann ruf ich zu Hilfe die Hölle"
29 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
236
Engels an Eduard Bernstein in Zürich [S76)
[London, 24. Februar 1886] Lieber E[de], Deine Artikel in Sachen C.A.S[chramm] waren sehr schön und haben uns sehr erheitert.'5771 Der Mann hat ziemlich genug. Die neue Wendung in Frankreich ist sehr zu beachten. Siehe „Cri du Peuple". Am 7.Meeting des Chateau d'Eau, wo Basly sich von den Radikalen'4601 lossagt, am 11. in der Kammer, Baslys Interpellation wegen Decazeville15741, unterstützt von Camelinat und Boyer, applaudiert von Cl.Hugues und Planteau - Trennung von den Radikalen, Bildung der parlamentarischen ArbeiterparteiFamose Entree en scene. Großer Kummer der Radikalen ob dieser höchst unparlamentarischen Ereignisse. Die drei Arbeiter sollen sofort bestraft werden durch Mißtrauensvotum der Bourgeoiswähler. Meeting auf den 21. er. im Chateau d'Eau berufen, aber fallengelassen, sobald die drei erklären, dabeisein zu wollen. Dafür ein Meeting du Commerce in Chateau d'Eau angesagt, wegen öffentlicher Arbeiten im Interesse der Arbeitslosen, in Wirklichkeit sollten dann die 3 dort Tadelsvotum erhalten. Aber statt dessen großer Sieg der Arbeiter, Basly Präsident, die Bourgeois reißen aus, brillante Rede von Guesde.'5781 Lies „Cri du Peuple" vom 23. er. — Die französische parlamentarische Arbeiterpartei ist ein großes geschichtliches Ereignis und für Deutschland ein hohes Glück. Wird gewissen Leuten in Berlin Beine machen. Dabei ganz international, chauvinistische Anzapfungen fielen platt auf den Boden. Dein F.E.
237 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky - 25. Februar 1886 451
237
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in Zürich
London, 25. Febr. 1886
Sehr geehrte Frau Wischnewetzky, Den Rest des Ms. nebst Einleitung oder Anhang1, je nachdem, wie Sie es verwenden wollen, habe ich heute eingeschrieben an Sie abgeschickt. Ich glaube, es ist besser, den Titel einfach zu übersetzen: The Condition of the Working Class in England in 1844 usw. Es freut mich, daß alle Hindernisse der Veröffentlichung erfolgreich überwunden sind. Nur tut es mir leid, daß Miss Foster sich an die Exekutive der Sozialistischen Arbeiter-Partei215791 in New York gewandt hat, wie aus deren Sitzungsbericht im „Sozialist", New York, 13. Febr. hervorgeht. Weder Marx noch ich haben jemals eine Handlung begangen, die ausgelegt werden könnte als Aufforderung an irgendwelche Arbeiterorganisation, uns irgendeinen persönlichen Gefallen zu erweisen - und das war notwendig nicht nur für unsere eigene Unabhängigkeit, sondern auch wegen der konstanten Bourgeoisdenunziationen der „Demagogen, die den Arbeitern ihre sauer erworbenen Pennies ablocken, um sie für ihre eigenen Zwecke zu verwenden". Ich bin daher gezwungen, die Exekutive zu benachrichtigen, daß dieses Ansuchen völlig ohne mein Wissen oder meine Erlaubnis gemacht wurde. Miss F[oster] handelte ohne Zweifel so, wie es ihr am besten schien, und dieser Schritt ist an und für sich bestimmt vollkommen zulässig; hätte ich ihn indessen voraussehen können, wäre ich genötigt gewesen, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, um ihn zu verhindern.[S80] Die Revision Ihrer Übersetzung hat die der englischen Übersetzung des „Kapitals"3 um drei Wochen verzögert - und gerade in der kritischsten Zeit des Jahres. Heute abend werde ich darangehen, und es wird mich wahrscheinlich mehrere Monate in Anspruch nehmen. Danach muß der deutsche 3. Band vorgenommen werden; Sie sehen also, daß es mir einige
1 Friedrich Engels: „Anhang zur amerikanischen Ausgabe der .Lage der arbeitenden Klasse in England'" - 2 in der Handschrift deutsch: Sozialistische Arbeiterpartei - 3 erster Band
29*
452 237 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky • 25. Februar 1886
Zeit unmöglich sein wird, die Revision anderer Übersetzungen zu übernehmen, höchstens vereinzelt und wenn sie nicht sehr umfangreich sind. Augenblicklich wartet hier eine italienische Übersetzung von Marx' „Lohnarbeit und Kapital" auf mich, die mindestens noch einige Wochen warten muß. Aber wenn Sie das ins Englische übersetzen wollen (es ist kürzlich in Zürich neu herausgegeben worden) und nicht zu arg drängen, werde ich's gern durchsehen, und Sie können keine bessere populäre Broschüre als diese bekommen. Aveling beabsichtigt, meine „Entwicklung"4 zu übersetzen, und da der Gegenstand zum Teil ziemlich schwierig ist, kann ich ihn nur von jemand übersetzen lassen, dem hier an Ort und Stelle mündliche Erläuterungen gegeben werden können'1891. Was meinen „Anti-Dühring" betrifft, so glaube ich kaum, daß das englisch sprechende Publikum Geschmack finden würde an der Kontroverse und an der das ganze Buch durchdringenden Feindseligkeit gegenüber der Religion. Doch können wir das später besprechen, wenn Sie anderer Meinung sind. Jetzt müssen vor allem Marx' nachgelassene Manuskripte besorgt werden. Die halb-Hegelsche Ausdrucksweise in vielen Passagen meines alten Buches ist nicht nur unübersetzbar, sondern hat sogar im Deutschen den größten Teil ihrer Bedeutung verloren. Ich habe sie daher soviel als möglich modernisiert. Aufrichtig der Ihrige F. Engels
Aus dem Englischen.
4 .Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
* . i T • 11 i London, 25. Febr. 86 Lieber Liebknecht, Für die Verbreitung Deiner Russenrede'5811 kann hier doch nichts geschehn, da, wie Du weißt, die großen Blätter uns verschlossen sind und die monatliche „Commonweal" zu klein ist, um auf so etwas einzugehn. Das müßt Ihr dort selbst besorgen, indem Ihr Euch z. B. mit dem „Standard"Korrespondenten in Verbindung setzt, wie z. B. Longuet in Paris mit der Mutter Crawford, der „Daily News "-Korrespondentin. Die englischen Blätter wissen, daß der Reichstag nichts zu sagen hat, und erwähnen ihn daher fast nie, höchstens ganz kurze Telegramme. Hättest Du Dich nicht so sehr auf dem Faerberschen Standpunkt der Schädigung der deutschen Kapitalisten gehalten1, sondern die jetzige orientalische Verwicklung'4761 hereingebracht, und sie auf Bismarck geschoben, als den, der die Russen wegen des Gelds vollständig im Sack hat, so wäre das Totschweigen schwerlich gelungen. Aber was Du von der Wertlosigkeit der russischen Papiere sagst, wissen die Leute hier selbst. Mit den liebenswürdigen deutschen Literaten, die das neutrale Grenzgebiet zwischen uns und den Katheder- und Staatssozialisten unsicher machen und alle Vorteile einsacken wollen, die von unsrer Partei zu ergattern sind, aber sich vor allen Nachteilen des Umgangs mit uns säuberlich zu schützen wissen - von denen hab* ich auch wieder ein Beispiel gehabt, welche Scheißkerle sie sind. Ein zudringlicher Max Quarck - nomen est omen2 - schreibt mir, er habe von Deville in Paris die ausschließliche Autorisation zur Übersetzung seines Auszugs aus dem „Kapital" erhalten, ich solle ihn an Meißner empfehlen und ihm eine Vorrede schreiben.3 Das war gelogen, wie mir von Paris konstatiert wurde, und wie er selbst denselben Tag an Kautsky schrieb.'548' Und jetzt kommt der unverschämte Lumpazius und verlangt, ich solle ihn um Entschuldigung bitten dafür, daß er mich belogen hat! Das Gesindel soll mir wiederkommen!
1 Siehe vorl. Band, S.374/375 - 2 der Name sagt alles - 3 siehe vorl. Band, S. 421/422 und 443
In Frankreich bekommt Ihr Konkurrenz. Die drei Arbeiter Basly, Boyer, Camelinat, denen Clovis Hugues beigetreten, haben sich gegenüber den Radikalen1460' als sozialistische Arbeiterfraktion der Kammer konstituiert4, und als die Radikalen ihnen bei den Wählern vorigen Sonntag in einem Meeting ein Mißtrauensvotum erschleichen wollten, sie heillos geschlagen, so zwar, daß die Radikalen in dem von ihnen selbst berufnen Meeting'5781 nicht den Mund aufzutun wagten. Diese drei französischen Arbeiter werden mehr Effekt in Europa machen als Ihr 25, weil sie in einer Kammer sitzen, die kein Debattierklub ist wie der Reichstag, und weil sie den kleinbürgerlich-zahmen Schwanz abgeschüttelt haben, der Euch wie ein Bleigewicht an den Füßen hängt. Clemenceau steht jetzt vor der letzten Entscheidung, aber es ist fast sicher, daß er entschieden auf die bürgerliche Seite tritt, und dann wird er zwar Minister, ist aber fertig.
Dein F. E.
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
Wollen Sie gefl. an Williams & Norgate, 14, Henrietta St., Covent Garden, London - 1 Ex. „Entwicklung des Sozialismus etc." nebst Rechnung (inkl. Porto) per Kreuzband senden - die Leute wenden sich an mich (sind meine Sortimenter und nebenbei Verleger, großes Haus), und ich schrieb ihnen, daß alle meine Sachen stets in der Volksbuchhandlung zu haben sind. Die Frau Wischnewfetzky] hat Ihnen mit ihrem Ms.1 einen fatalen Streich gespielt. Auf ihr Drängen, daß alles davon abhinge, habe ich es gleich vornehmen müssen, und jetzt muß die englische Übersetzung „Kapital" sofort abgemacht werden, da Konkurrenz im Werk (s. „ToDay"1557') und drohend wird. Soll also nicht alles verdorben werden, so muß rasch vorangegangen werden und alles andre, auch der „Bauernkrieg"1220', liegenbleiben. Die Konkurrenz-Übersetzung ist übrigens schauderhaft, aber um so schlimmer, wenn sie nicht sofort beiseite geschoben wird. Besten Gruß. Ihr . F.E. [London] 3./3./8Ö
der englischen Übersetzung von Friedrich Engels' „Lage der arbeitenden Klasse in England"
456 240 • Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky • 12. März 1886
240
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in Zürich
. London, 12. März 1886 Liebe rrau Wischnewetzky, Sitze tief in der Arbeit am englischen „Kapital"1, und kann Ihnen nur in Eile ein paar Zeilen schreiben. Ihre ganze Auseinandersetzung der Umstände war nicht nötig, um mich zu überzeugen, daß Sie an dem, was in Amerika mit Ihrer Übersetzung2 geschah, völlig unschuldig waren. Es ist geschehen, und daran kann nichts geändert werden, auch wenn wir beide davon überzeugt sind, daß es ein Fehler war.3 Ich danke Ihnen, daß Sie mich auf eine Stelle im Anhang4 aufmerksam gemacht haben, die tatsächlich alles andere als klar ist. Die Stufenfolge vom polnischen Juden zum Hamburger und vom Hamburger wiederum zum Kommissionär in Manchester kommt keineswegs deutlich heraus. Ich habe daher versucht, das in einer Weise zu ändern, die sowohl Ihrem als auch meinem Einwand dagegen entsprechen könnte, und ich hoffe, es ist mir geglückt. Und nun kann ich nicht schließen, ohne Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für die sehr große Mühe auszusprechen, die Sie auf sich genommen haben, um ein Buch von mir in englischer Sprache wieder zum Leben zu erwecken, das in der deutschen Originalsprache fast vergessen ist. Stets zu Ihren Diensten, soweit meine Zeit und meine Kräfte es erlauben, verbleibe ich, liebe Frau Wischnewetzky, Ihr sehr ergebener F. Engels Die Widmung an die englischen Arbeiter sollte ausgelassen werden.13771 Sie hat heutzutage keine Bedeutung.
Aus dem Englischen.
1 erster Band - 2 die englische Übersetzung von Friedrich Engels' „Lage der arbeitenden Klasse in England" - 3 siehe vorl. Band, S.451 - 4 siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.250/251
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevento'5821
Lieber1 Bürger [London, 12. März 1886] Entschuldigen Sie bitte die verspätete Antwort. Ihr wertes Schreiben vom 8. Febr.2 und das Manuskript, mit dem ich mich so bald als möglich befassen werde, habe ich erhalten.15831 Aber im Augenblick muß ich vor allem die englische Übersetzung des „Kapitals" Band I durchsehen, die sehr drängt und unverzüglich gedruckt werden muß; und das ist keine leichte Sache. Wenn mir eine freie Minute bleibt, so werde ich sie Ihrer Arbeit widmen. Ich habe auch die sechs Ex. des „Ursprungs usw." erhalten und danke Ihnen dafür.3 Es tut mir leid, daß mein Irrtum „Paolo" Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat. Es wird nicht wieder vorkommen.'5841 Den Kalender muß ich mir noch verschaffen, damit ich den zusammengeklebten Teil wieder herstellen kann.'5851 Ich hoffe, ihn hier in London bei irgendeinem Freund zu finden. Aber das führt zu einer weiteren Verzögerung. Ich bedaure, daß ich dies nicht besser und schneller machen kann, aber das englische „Kapital" muß den Vorrang haben, um so mehr, da ich beim Herausgeber an Termine gebunden bin. Mit vorzüglicher Hochachtung grüßt Sie F. Engels
Ich hoffe, im Verlauf des Aprils die Zeit für „Lohnarbeit und Kapital" zu finden.
Nach: „La corrispondenza di Marx e Engels con italiani 1848-1895". Milano 1964. Aus dem Italienischen.
1 Im Entwurf: Verehrter - 2 im Entwurf: 8. er. - 8 siehe vorl. Band, S.326
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Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 12. März1 1886
Lieber Herr Schlüter, Um Ihnen rasch zu antworten, muß ich mich kurz fassen. 1. Der Mann mit dem Geld war noch nicht hier. 2. Lexis haben wir hier. Dank für den Hinweis. 3. „Ursprang". Die Sache mit der „2.Auflage" hat ihr Bedenkliches, wenn ich aber erwäge, daß die beiden Märkte total verschieden sind und die „l.Aufl." somit schwerlich der „2." in den Weg kommen wird, kann's schwerlich viel schaden. Lieb wäre es mir allerdings gewesen, wenn D[ietz] uns erst zu Rate gezogen. Der Mann ist schon früher so eigenmächtig verfahren, in andern Sachen. Hier war es gar nicht nötig, er konnte z. B. mir die Sache leicht durch Kautsky mitteilen lassen.1586' Aber er macht gerne faits accomplis2. Ich werd's ihm sagen lassen. 4. Berichte der Internationale. Damals war ich in Manchester und habe die Details nicht so im Kopf. Jedenfalls hat der Generalrat an alle Kongresse eine Message erlassen, aber die Papiere und Broschüren von Marx sind alle noch unsortiert, wie ich sie hieher geschleppt, und es ist eine Arbeit von 6 Wochen, das zu ordnen. Ich habe aber K[autsky] gebeten, bei Leßner anzufragen, es sollte mich sehr wundern, wenn der nicht alles gesammelt hätte.'587' 5. Stephenssche Rede.'588' Das Ding ist allerdings von Weerth. Was die Einleitung angeht, so will ich Ihr Ms. gern durchgehn. Aber die Quellen sind auch hier rar, und die Bourgeois haben arg hineingelogen. Harney hat voriges Jahr ganz Yorkshire, Lancashire und London abgejagt, um ein Ex. des von ihm redigierten „Northern Star" aufzutreiben, der in 100000 Ex. abgesetzt wurde. Vergebens. Das ist der Fluch aller von der offiziellen Literatur ausgeschloßnen Proletarierliteratur, unterzugehn. So sind Owens Werke nirgendwo zu haben, und das British Museum gäbe schweres Geld, sie komplett zu erhalten. Wirkliche Darstellung wird also
1 In der Handschrift: Mai - 2 vollendete Tatsachen
schwer sein. Die Brentanos & Co. wissen nichts. Die Charte ist 1835 gemacht, nicht 1838, und wenn ich nicht irre, war auch O'Connell mit dabei. Was Brentano von der Petition erzählt, ist ganz Wurst, die Bourgeois beider Parteien hielten nach dem 10. April15891 zusammen, und da werden stets Lügen verbreitet, weil kein Widerspruch möglich ist, weder im Parlament noch in der Presse. Wenn auch ein Comite des Unterhauses die Petition untersucht (was ich kaum glaube), so war es total außerstande, die wahren von den falschen zu unterscheiden. Aber auf solche Lumpereien konnte im Frühjahr 48 kein Mensch eingehn, man hatte was andres zu tun. Außerdem waren wir nicht in England. Besten Gruß von Ihrem F. Engels
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Engels an Laura Lafargue in Paris
. , , London, 15. März 1886 Meine liebe Laura, Du beschwerst Dich über das Wetter und lebst in Paris! Was sollen wir hier sagen - seit zehn Tagen kein Grad über Null, schneidender Ostwind, wobei man nicht weiß, welcher am schlimmsten ist, der aus Nordost oder der aus Südost - und heute abend auf den Straßen und Dächern eine frische couche de neige1. Nim hat ihre zweite Erkältung, aber es geht ihr schon besser; ich hatte auch eine, Pumps und Percy sitzen auch in demselben Boot, doch den Kindern geht es glücklicherweise gut. Aber damit muß auch irgendwann einmal Schluß sein, ich wünsche nur, es wäre schon soweit. Das englische „Kapital"2 nimmt jetzt endlich Gestalt und Form an. Ich habe das ganze Ms. hier und die Revision begonnen. Bis auf das I.Kapitel, das nochmal gründlich überarbeitet werden muß, sind die ersten 200 Seiten nach dem deutschen Original druckfertig. Vorige Woche habe ich K.P[aul] gesehen, seine Vorschläge von vor zwei Jahren abgelehnt und meine unterbreitet. Im Prinzip war er mit ihnen einverstanden. Allerdings hat das bei einem Mann wie K.P[aul], der von allen für äußerst unzuverlässig gehalten wird, nicht viel zu sagen, und ich rechne damit, daß es noch einen Kampf mit ihm geben wird. Aber das macht gar nichts, weil sich unsere Lage auf dem Markt großartig verbessert hat, und wir haben mindestens noch eine gute Firma, die es sehr gern unter günstigen Bedingungen nehmen würde. Sowie die Sache abgeschlossen ist, werde ich Dir Bescheid geben.[455] Das Buch wird Ende Sept. erscheinen, damit es nicht in der toten Saison herauskommt, und das gibt mir Zeit, eine sorgfältige Revision zu machen. Faktisch sind 300 Seiten nach dem Original redigiert, die restlichen 500 habe ich jedoch bisher noch nicht angesehen, darunter sind noch einige sehr schwierige Kapitel. Und mit einer überstürzten Bearbeitung wäre der Sache nicht gedient.
1 Schneedecke - 2 erster Band
Broadhouse-Hyndman übersetzt für „To-Day" weiterhin „aus dem deutschen Original".15571 Er hat soeben mit der sechsten Fortsetzung Kapitel I beendet. Doch sein „deutsches Original" ist jetzt die französische Übersetzung, und er will unbedingt beweisen, daß er mit dem Französischen genausogut jonglieren kann wie mit dem Deutschen. Vorläufig richtet die Sache so wenig Schaden an, daß K.P[aul] sie nicht einmal erwähnte. Aber sie hat auch eine gute Seite, nämlich, daß ich Moore und Edward dazu gebracht habe, ihre Arbeit abzuschließen. Du hast keine Ahnung, wie schwierig es ist, diese „To-Day" zu kriegen. Obwohl ich im voraus bezahlt habe, muß ich ihnen fast jeden Monat wegen des mir zustehenden Exemplars in den Ohren liegen; außerdem kommt sie zu jeder beliebigen Zeit des nächsten Monats heraus. Vergangenes Jahr ist Tussy hingegangen und hat für Dich bezahlt, damit Dir immer ein Exemplar zugeschickt wird; aber wie ich gehört habe, ist es niemals abgeschickt worden! Übrigens steht wirklich nichts drin - bis auf den christlichen Sozialismus! Aus der „ Justice" wirst Du ersehen haben - die wenigstens erhältst Du ja im Austausch für „Socialiste" -, wie Hyndman sein Bündnis mit Brousse aufrechterhält und sogar die neue proletarische Partei in der Kammer ignoriert.15901 Für mich ist dies Erscheinen einer parti ouvrier3 im Palais Bourbon das große Ereignis des Jahres. Das Eis, mit dem es den Radikalen14601 bisher gelungen ist, die arbeitenden Massen Frankreichs zuzudecken, ist jetzt gebrochen. Diese Radikalen sind nun gezwungen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, oder aber der Führung Baslys zu folgen. Letzteres werden sie nicht lange und auch nicht bereitwillig tun. Was aber auch immer sie tun, sie müssen sich den Massen entfremden und sie zu uns treiben, und zwar sehr schnell. Die Ereignisse überstürzen sich, die Decazeville-Affäre15741 konnte gar nicht gelegener kommen. C'est coup sur coup.4 Und sehr gut, daß sich das nicht in Paris, sondern in einem der dunkelsten, reaktionärsten und klerikalsten Winkel der province abspielt. Ich bin schrecklich neugierig, wie die Sache heute in der Kammer zu Ende ging.5 Aber was auch geschieht, muß sich zu unseren Gunsten wenden. Das Wiedererscheinen Frankreichs auf dem Schauplatz der proletarischen Bewegung „comme grande puissance"6 wird überall, besonders in Deutschland und Amerika, kolossale Auswirkungen haben; in Deutschland habe ich mein Bestes getan, damit sie die volle Bedeutung dieses
3 Arbeiterpartei - 4 Das ist Schlag auf Schlag. - 6 siehe vorl. Band, S.465/466 - 6 „als große Macht"
Ereignisses ermessen, und habe Baslys Rede7 an Bebel geschickt; Camelinats wird folgen, sowie ich sie von Kautsky zurück habe. Wie wütend muß Longuet sein, daß sein alter Freund und - wie er glaubte - protege Camelinat ihm den Rücken gekehrt hat! Zur gleichen Zeit haben unsere Pariser Freunde getan, was sie nur tun konnten, um diesem Ereignis den Weg zu ebnen, so daß es, als es eintraf, den terrain prepare8 fand. Ihr Vorgehen seit den Wahlen ist völlig richtig gewesen: ihr Bemühen, alle revolutionären proletarischen Elemente zu sammeln, ihre Nachsicht gegenüber den Possibilisten1245 das Beschränken ihrer Angriffe auf die Punkte und Tatsachen, die Brousse und Co. als bloße Hemmnisse für die Vereinigung zeigen - all das war so, wie es sein sollte. Und jetzt ernten sie die Früchte: Brousse wurde in eine Lage getrieben, in der er Basly und Co. kritisieren und dadurch die letzten Bande zerreißen muß, die ihn noch mit der Bewegung der Massen verbunden hatten. Savoir attendre9 - das haben unsere Freunde endlich gelernt, und das wird ihnen auch weiterhelfen. Paul wird, wenn er will, vor Longuet im Palais Bourbon sein. Ein Citoyen Hermann hat mich um ein Begrüßungsschreiben - wie ich annehme - für Euer Meeting am 18. gebeten.'5911 Ich schicke es Dir mit, 1. um sicher zu sein, daß es in die richtigen Hände kommt, und 2. damit Du und Paul es durchsehen und mein holpriges Französisch verbessern könnt. Nun gute Nacht, es ist ein Uhr, und ich muß noch einige Zeitungen durchsehen, damit ich für morgen davon befreit bin. Herzliche Grüße an Paul. In inniger Zuneigung Dein F. Engels 16. März. Habe soeben die von der Kammer angenommene ordre du jour10 gesehen. Sie klingt ganz anders als alle früheren ordres du jour, für die bei ähnlichen Anlässen gestimmt wurde. Es ist ein entschiedener Sieg für uns, und auch Freycinet pfeift aus einem andern Loch als früher11. La Situation devient serieuse pour MM. les Radicaux.12
Aus dem Englischen.
7 siehe vorl. Band, S.446/447 - 8 Boden vorbereitet - 3 Zu warten verstehen -10 Tagesordnung (siehe vorl. Band, S.465) - 11 in der Handschrift deutsch: pfeift aus einem andern Loch als früher -12 Die Lage wird ernst für die Herren Radikalen,
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Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
London, 18. März 1886
Lieber Bebel, Ich sitze tief in der Revision der englischen Übersetzung des „Kapital", I. Bd., die jetzt endlich herauskommen wird, aber da die Geschichte mit dem Liebkfnecht] Fonds[592] Eile hat, muß ich mir doch ein Stündchen abzwacken, um Deinen Brief rasch zu beantworten. Inl. also meinen Beitrag in einem Cheque auf die Union Bank of London zum Betrag von £ 10. Besten Dank für die Sozialistengesetz- und Schnapsmonopol-Debattent593J und „B[ürge]r-Ztg." Die Rückspiiegelung der Stimmung bei den Herren der Fraktionsmajorität in der Sozialistengesetz-Debatte ist allerdings frappant. Sie möchten wohl, aber es geht nicht, und so müssen sie, so schwer es ihnen wird, sich relativ korrekt aussprechen, und der Effekt der Debatte im ganzen ist recht gut, namentlich, da Singer durch den Fall Ihring genötigt war, scharf aufzutreten15941. Überhaupt sind diese Leute, so z.B. auch Frohme, immer ganz gut, wenn sie in eigner Angelegenheit oder der ihrer Wähler gegen die Polizei vorgehn müssen, da bleibt der Biedermeier hübsch im Sack. Denn eine ihrer schlimmsten Eigenschaften ist eben die Biedermeierei, die den Gegner überreden will, statt ihn zu bekämpfen, weil „unsre Sache doch so edel und gerecht ist", daß jeder andre Biedermeier sich uns anschließen muß, sobald er sie nur richtig versteht. Dieser Appell ans Biedermeiergemüt, der die dies Gemüt unbewußt treibenden Interessen gar nicht sieht und sehen will das ist eben eins der Hauptkennzeichen des spezifisch-deutschen Philisteriums und ist hier oder in Frankreich parlamentarisch und literarisch unmöglich. So etwas entsetzlich Langweiliges wie die Schnapsdebatte ist mir lange nicht vorgekommen, selbst Bambergers schlechte Witze blieben herzlich schlecht, mehr als gewöhnlich. Da macht es wenig aus, wenn auch Schumacher langweilig sprach. Bei dem kuckt das „Verstaatlichungs"-Ohr redlich durch. Richter sprach noch am besten mit den statistischen Tatsachen.15951
Über Liebk[nechts] Rede erlaube ich mir nach dem Bericht der „B[ürge]r-Ztg."[596] kein Urteil. Es kommt da alles auf die Nuancierung an, auf die Art, wie etwas gesagt wird, und die geht im kurzen Bericht verloren. Den Bericht Kautskys, von dem Du sprichst, kenne ich nicht.'5971 Was aber Hyndman angeht, so hat sein Auftreten in Trafalgar Square und Hyde Park am 8. Febr.1 unendlich mehr geschadet als genützt. Revolutionsgebrüll, das in Frankreich als abgenutztes Zeug ohne Schaden mit durchläuft, ist hier bei den ganz unpräparierten Massen reiner Blödsinn und wirkt aufs Proletariat abschreckend, aufmunternd nur auf die verlumpten Elemente, und kann hier platterdings nicht anders aufgefaßt werden, denn als Aufruf zur Plünderung, die auch erfolgte und uns hier für lange Zeit auch bei den Arbeitern diskreditiert hat. Was aber das betrifft, daß dadurch die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Sozialismus geleitet sei, so kennt Ihr drüben nicht den durch hundertjährige Preß- und Versammlungsfreiheit und die damit zusammenhängende Reklame total abgestumpften Zustand des Publikums gegen solche Mittel. Der erste Schreck der Bürger war allerdings sehr heiter und brachte ca. 40000 £ Subskription für die Arbeitslosen zusammen - in allem ca. 70000 £, aber das ist bereits vermöbelt, und keiner zahlt mehr, und die Not ist die alte. Was erreicht ist beim bürgerlichen Publikum - ist, den Sozialismus mit der Plünderung zu identifizieren, und wenn das die Sache auch nicht viel schlimmer macht, so ist es doch sicher für uns kein Gewinn. Wenn Du glaubst, H[yndman] habe großen Mut bewiesen, so scheint das so. Aber H[yndman] ist, wie ich von Morris und andern weiß, feig und hat sich bei entscheidenden Gelegenheiten so benommen. Das hindert nicht, daß, wenn er sich einmal in eine gefährliche Situation festgeritten, er seine Feigheit durch sein eignes Geschrei übertäubt und das blutrünstigste Zeug in die Welt kreischt. Das macht ihn aber um so gefährlicher für seine Mithelfer - sie und er wissen nie vorher, was er machen wird. Glücklicherweise ist die ganze Geschichte hier schon halb vergessen. Ich bin ganz Deiner Ansicht, daß es mit den Prosperitätsperioden von mehr als 6 Monaten am Ende ist. Die einzige Aussicht auf Geschäftsbelebung - wenigstens für Eisen direkt und anders indirekt - bietet noch die mögliche Eröffnung Chinas für den Eisenbahnbau und damit die Vernichtung der letzten, abgeschlossen für sich bestehenden, auf Vereinigung von Ackerbau und Handwerk basierten Zivilisation. Aber 6 Monate reichen
1 Siehe vorl. Band, S.441/442 und 444 - 446
hin, um das zu diskontieren und uns dann vielleicht wieder einmal eine akute Krise erleben zu lassen. Außer der Zerstörung des englischen Weltmarktsmonopols haben noch die neuen Kommunikationen das ihrige beigetragen, die zehnjährigen Industriezyklen zu durchbrechen: der elektrische Telegraph, die Eisenbahnen, der Suezkanal und die Verdrängung der Segelschiffe durch Dampfschiffe. Wird nun noch China erschlossen, so ist nicht nur das letzte Sicherheitsventil der Überproduktion verschlissen, sondern es erfolgt auch eine so kolossale chinesische Auswanderung, daß das allein eine Revolution in den Produktionsbedingungen von ganz Amerika, Australien, Indien hervorrufen und vielleicht auch selbst Europa berühren wird, - wenn's hier solange noch dauert. Die Verrücktheit Bismarcks wird in der Tat akut. Aber eins geht überall durch: mehr Geld! Seine tollsten Geschichten laufen immer und unfehlbar auf Geldbewilligung hinaus, und die Herren Nationalliberalen1251' scheinen eine wahre Wut zu haben, ihm noch mehr Geld zu liefern. In Frankreich neuer Sieg. Die Interpellation Camelinats wegen Decazeville hat dreitägige Debatte provoziert, 7 motivierte Tagesordnungen wurden am Samstag2 verworfen, bis endlich die Herren Radikalen'4601 und die Regierung sich über eine Resolution verständigten, die in der französischen parlamentarischen Geschichte unerhört ist und die Montag angenommen wurde3: Die Kammer, im Vertrauen, daß die Regierung alle nötigen Verbesserungen in der Minengesetzgebung vorschlagen und in ihrer Haltung in Decazeville die Rechte des Staats und die Interessen der Arbeit zur Richtschnur nehmen wird, geht zur Tagesordnung über.'5981 Die Rechte der Arbeit - das ist noch nie dagewesen. Dabei der ganze Beschluß gegen die Gesellschaft, die von einer Staatskonzession lebt und die die Bedingungen dieser Konzession jetzt gegen sich gekehrt sieht. Natürlich steht das alles bloß auf dem Papier, aber das ist als erster Schritt genug. Die ganze politische Situation in Frankreich hat sich umgewälzt infolge des Auftretens der drei Arbeiter. Die Radikalen, die sich auch Sozialisten nennen und in der Tat die Vertreter des nationalfranzösischen Sozialismus sind, der noch übrigen Reste von Proudhon und Louis Blanc, die aber als Ministerkandidaten sich auch in der republikanischen Bourgeoisie einen Halt sichern müssen, sind nun gezwungen, Farbe zu bekennen. Ihre kühle, fast feindliche Haltung gleich anfangs, gegen die Arbeiterdeputierten, hat das Eis bei der Masse der Arbeiter gebrochen; diese sieht jetzt plötzlich wirkliche Arbeitersozialisten neben den „jebildeten" Radikalen und jubelt
2 13. März - 3 siehe vorl. Band, S.462
30 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
jenen zu. Entweder müssen die Radikalen inkl. Clemenceau auf ihre Ministeraussichten zunächst verzichten und im Schlepptau von Basly und Camelinat mitmachen, oder mit ihrer Wiederwahl steht's schlimm. Die Frage von Kapital und Arbeit steht plötzlich auf der Tagesordnung, wenn auch noch in sehr elementarer Form (Lohnhöhe, Recht des Strikens, evtl. Kooperations-Betrieb der Bergwerke), aber sie ist da und kann nicht wieder abgesetzt werden. Da aber die Arbeiter in Frankreich durch ihre Geschichte und durch die ganz ausgezeichnete Haltung unsrer Leute in den letzten 2 Jahren vortrefflich präpariert waren, brauchte es bloß ein solches Ereignis wie den Decazeville-Strike und die Dummheit der Radikalen, 3 Arbeiter auf ihre Wahlliste zu setzen, um die Explosion herbeizuführen. Jetzt geht's rasch in Frankreich; welche Angst die Radikalen haben, hast Du aus den Beschlüssen der Stadträte von Paris, Lyon etc. gesehn, den DecazevilleStrikern Geld zu bewilligen. Ebenfalls unerhört. Wenn es mit Deiner Stimme so aussieht, dann geh ja nicht nach Amerika.[546] Die Anforderungen, die die dort landläufige Praxis an die Stimmorgane stellt, übertreffen weit alle Eure Vorstellung. Dafür aber freuen wir uns drauf, Dich im Herbst hier zu sehn. Postschluß. Zu spät zum Einschreiben. Bitte zeig mir per Postkarte den Empfang des Cheques an. Dein F.E.
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Engels an Paul Lafargue in Paris ... ... « . London, den 20. März 1886 Mein lieber Lafargue, Anbei den Scheck über £ 12. Gestern hat man mich wieder gestört, das ist immer so, wenn man etwas Eiliges zu erledigen hat. Die Abstimmung am Montag1 in der Kammer ist ein großer Sieg.2 Zum ersten Mal ergreift eine französische Kammer für die Arbeit gegen das Kapital Partei - und zwar sehr gegen ihren eigenen Willen! Aber Basly und Cie wurden von den Herren Monarchisten wacker unterstützt, denen ihr relativer Sieg bei den Wahlen'4621 zu Kopf gestiegen ist und die offenbar glauben, daß sie sich - vor allen Dingen in ihrer Eigenschaft als Kapitalisten, Aktionäre usw. - alles erlauben können. Vor die Wahl gestellt: eine ultramonarchistische Gesellschaft oder die revolutionären Arbeiter - mußte man für diese letzteren stimmen; sie sind wenigstens Republikaner, und dann hat die niedere Finanz des Opportunismus und des Radikalismus'4601 keine Lust, das Regime der hohen Finanz, das mit Mac-Mahon und Thiers gestürzt wurde'4971, wiederherzustellen. Ich ahnte es - dieses neue Auftauchen Malons hinter den Kulissen.'5991 Eine parlamentarische Partei aller possibilistischen Schattierungen, mit Malon als geheimem Führer, welch' schöner Traum! Immer wieder die bakunistische Taktik, die diesen Intriganten viel mehr in Fleisch und Blut übergegangen ist als die grobschlächtigen Phrasen des Anarchismus! Gegenüber diesen Versuchungen muß man stark bleiben. Wenn Ihr erreicht, daß Basly und Camel[inat] - sei es auch ganz allein - so weitermachen, wie sie begonnen haben, und sich nicht überreden lassen, in eine Partei einzutreten, in der sie eine ohnmächtige Minderheit wären, ist das Spiel gewonnen! Die geringste Transaktion von ihrer Seite aus würde sie ruinieren und den Radikalen die Oberhand geben. Wenn sie hingegen kühn voranschreiten, ohne auf die süßlichen Phrasen der Mäßiger und Vermittler zu hören, wird sich dieser Wirrwarr ganz von selbst lösen. Nicht der gute Wille treibt diese Herren an, sondern die Furcht, nur die Furcht, die den wenigen guten Willen hervorruft, den sie haben - und im Grunde genommen ist es der gute Wille, das zu verderben, was Basly begonnen hat, nichts 1 15.März - 2 siehe vorL Band, S.462 und 465
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anderes. Im übrigen ist eine solche Partei unmöglich; entweder werden Basly und Camel[inat] wie Verräter handeln, was ich nicht glaube, oder aber sie werden gezwungen sein, sich von diesen Herren gleich bei der ersten wichtigen Frage zu trennen. Besser ist es also, sich nicht mit ihnen zu verbünden. Ihr Artikel in der ,,R[evue] Nouv[elle]" hat mir sehr gefallen. Natürlich muß man „allowance"3 nehmen, denn in einem solchen Organ kann man sich nicht erlauben, alles zu sagen. Ich war sogar erstaunt, daß man Ihnen so viele Schlüpfrigkeiten durchgehen ließ, aber - sie4 ist eine Frau, hat ihre schwache Stelle. Wäre der Chefredakteur ein Mann gewesen, so hätten Sie es mit einer viel strengeren Moral zu tun gehabt.16001 Mit dem „Journal des £con[omistes]", der „Revue philosoph[ique]" und mit Juliette haben Sie in die hochoffizielle Literatur Eingang gefunden.[601] Und da Sie ein französischeres Französisch als die anderen schreiben (mehr XVI.Jahrhundert und weniger pariserisch), müßten Sie Erfolg haben. Juliette hat mich mit ihrer hohen Außenpolitik sehr amüsiert.16021 Ganz Biowitz, nur nicht so grotesk in der Form. Zum Glück schläft die Socialist League13671 im Augenblick. Unsere braven Bax und Morris, die darauf brennen, etwas zu tun (wenn sie nur wüßten was?), werden nur dadurch zurückgehalten, daß es absolut nichts zu tun gibt. Übrigens haben sie zu den Anarchisten engere Beziehungen als wünschenswert. Ihre Feier am 18. wurde mit diesen letzteren gemeinsam durchgeführt16031, und Kropotkin hat dort gesprochen - Dummheiten, wie man mir sagte. All das geht vorüber, schon allein deswegen, weil es hier momentan eben absolut nichts zu tun gibt. Doch mit Hyndman, der sich in der Intrigenpolitik auskennt und um seiner Karriere willen zu allen möglichen Dummheiten fähig ist - mit diesem H[yndman] auf der einen und unseren beiden politischen Säuglingen auf der anderen Seite, sind die Chancen nicht gerade glänzend - und da schreien die sozialistischen Zeitungen des Auslands aus vollem Halse, daß in England der Sozialismus mit Riesenschritten vorwärts geht! Ich bin sehr froh, daß das, was man hier für Sozialismus ausgibt, durchaus nicht vorwärts geht. Freundschaftlichst Ihr F.E. Übrigens hat Bax ein Handbuch der Geschichte der Philosophie veröffentlicht, das sehr gute Sachen enthält.
Aus dem Französischen.
3 „Rücksicht" - 4 Juliette Adam
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Engels an Vera Iwanowna Sassulitsch in Genf
London, den 31. März 1886
Liebe Bürgerin, Ich danke Ihnen sehr für die mir übersandte Übersetzung des „Elends der Philosophie", die gut angekommen ist. Beim Öffnen des Pakets habe ich die Adresse des Absenders zerrissen. Mit viel Mühe ist es mir gelungen, die Stücke wieder einigermaßen zusammenzusetzen, damit ich die Adresse entziffern kann, die ich heute benutze. Da ich jedoch nicht weiß, ob ich richtig gelesen habe, bitte ich Sie, mir die Adresse noch einmal mitzuteilen, denn ich möchte Ihnen ein Exemplar der russischen Übersetzung des II.Bandes des „Kapitals" schicken, die ich aus St. Petersburg erhalten habe. Entschuldigen Sie die Mühe, die ich Ihnen mit meiner Ungeschicklichkeit verursache, und seien Sie meiner aufrichtigsten Gefühle versichert. F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 12. April 1886
Lieber Bebel, Dank für die Sozialistengesetz-Debatte - sie hat mich sehr gefreut. Das ist doch wieder etwas, das auf der Höhe der Bewegung steht und diesen Eindruck von Anfang bis zu Ende macht. Auch Liebknecht ist wieder ganz der alte, die französische Konkurrenz scheint gut zu wirken.1 Das Schauspiel, wie die ganze Bande - Meute wollte ich sagen - sich um Dich drängt und Dich anbellt und anheult, um mit Peitschenhieben zurückgeworfen zu werden, ist sehr hübsch. Welch ein Glück, daß außer Euch nur Vollmar ein paar Worte sprach und Singer, persönlich kommun angegriffen, heftig antworten mußte, während die Masse der Zahmen den Mund hielt.16041 Die Angst der Herren vor dem Fürstenmord ist zu lächerlich. Sie oder ihre Väter haben doch alle gesungen: Hatte je ein Mensch so'n Pech Wie der Bürgermeister Tschech, Daß er diesen dicken Mann Auf zwei Schritt nicht treffen kann. Damals hatte die deutsche Bourgeoisie allerdings noch Lebenskraft, und der Unterschied zeigt sich auch darin, daß 1844 das Lied von Freifrau von Droste-Vischering16051 entstand, während jetzt der Kulturkampf16061 mit den langweiligsten Waffen von den mattesten Armen geführt wird. Die Sozialisten hier sind freigesprochen.15691 Ich schicke Dir den heutigen hochkonservativen „Standard" (darin ein „Cri du Peuple") mit Bericht der letzten Verhandlung. Da kannst Du sehn, wie ein Richter in England (allerdings nicht in Irland!) auftritt. Aus der juristischen Sprache übersetzt heißt die Rede: Das Gesetz über aufrührerische Reden trifft die Angeklagten, aber das Gesetz ist veraltet und praktisch ungültig, sonst müßt ihr alle radikalen Wortführer und Minister verurteilen, ihr müßt also nur
fragen: haben die Angeklagten die Plünderungen des 8. Febr.2 gewollt oder nicht? Und Cave ist einer der 16 höchsten Richter von England. Das Urteil ist eine schöne Reklame für Hyndman, aber sie kommt zu spät. Er hat es verstanden, seine Organisation rettungslos zu ruinieren, sie schläft in London ein, während in den Provinzen die einzelnen Organisationen sich gegenüber den hiesigen Spaltungen abwartend und neutral verhalten. Summa summarum haben beide Organisationen - federation und League'3861 - zusammen keine 2000 zahlende Mitglieder und ihre Blätter3 zusammen keine 5000 Leser - darunter die Mehrzahl sympathische Bourgeois, Pfaffen, Literaten etc. Es ist, wie die Dinge hier stehn, ein wahres Glück, daß es diesen unreifen Elementen nicht gelingt, in die Massen zu dringen. Sie müssen erst in sich selbst ausgären, dann kann's gut werden. Übrigens geht's jetzt wieder wie zur Zeit der Internationalen. Heut morgen allein kam ein ganzer Stoß deutscher, französischer, spanischer, belgischer Zeitungen an, und das nimmt mir eine Zeit weg, die der englischen Übersetzung des „Kapital"4 gewidmet werden sollte. Wenn der Kram nur noch solange zusammenhält, daß ich den 3. Band fertigmachen kann - dann nachher kann's losgehn, soweit es mich betrifft. Decazeville15741 marschiert prächtig. Aus dem Dir heute geschickten Bericht („Cri du Pfeuple]") über das Meeting von vorigem Sonntag (gestern vor 8 Tagen) wirst Du sehn, wie geschickt diese als revolutionäre Maulhelden verschrienen Pariser Ruhe und Gesetzlichkeit im Strike predigen können, ohne der revolutionären Haltung etwas zu vergeben. Es beweist aber, wieviel die Franzosen weiter sind vermöge des revolutionären Bodens, auf dem sie stehn, daß eine ganze Masse Spitzfindigkeiten und Bedenklichkeiten dort gar nicht existieren, die in Deutschland noch in so vielen Köpfen Verwirrung stiften. Daß man je nach Umständen gesetzlich oder auch ungesetzlich vorgeht, versteht sich da ganz von selbst, und niemand sieht einen Widerspruch darin. Für Paris ist bezeichnend, daß der „Cri du Peuple" für Decazeville bis gestern 35 000 fr. aufgebracht. Rocheforts „Intransigeant" aber noch nicht 11 000. Dem Bismarck, der sehr wütend gewesen zu sein scheint, aber offenbar an die Adresse des Kronprinzen5 sprach, werden wohl Laura und Tussy auf seine lächerliche Verdächtigung von Marx antworten'6071. Von den übrigen Reden ist die Hänelsche juristisch die beste, er setzt die absurde Forderung ins Licht, die Staatsbürger sollen sich nicht nur äußerlich dem
2 siehe vorl. Band, S.441 /442 und 444-446 - 3 „Justice" und „The Commonweal" -4 erster Band - 5 Friedrich Wilhelm
Gesetz fügen, sondern auch innerlich -, daß so etwas verlangt, daß die bloße Absicht und deren offne Aussprache für strafbar erklärt werden kann durch Stellung außerhalb des Gesetzes - das beweist, wie sehr alle Rechtsvorstellungen des Bürgertums untergegangen sind in Deutschland - sie haben dort freilich nur gegolten bei der oppositionellen Bourgeoisie; in Wirklichkeit galt stets die Rechtlosigkeit des Polizeistaats, die in andern Ländern doch nur verschämt und als Gewaltstreich sich durchsetzen kann (Irland immer ausgenommen). Schluß wegen Zeitbestimmung zum Einschreiben (5 Uhr). Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 28. April 1886
Meine liebe Laura, Die englische Übersetzung des „Kapitals"1 ist eine furchtbare Arbeit. Erst übersetzen sie2. Dann sehe ich die Übersetzung durch und mache meine Vorschläge mit Bleistift. Dann geht es an sie zurück. Dann Besprechung der strittigen Fragen. Dann muß ich das Ganze noch einmal lesen, um stilistisch und technisch alles für den Druck fertigzumachen und darauf zu achten, daß alle Zitate, die Tussy in den englischen Originalen nachgeschlagen hat, richtig eingesetzt sind. Bis jetzt habe ich 300 Seiten nach dem deutschen Text geschafft und werde bald noch etwa 100 fertig haben. Doch ist da noch ein Haken. Edward hat bei der Übersetzung seines Teils etwa 50 Seiten ausgelassen, die ich hoffentlich gegen Ende der Woche bekommen werde. Sobald ich sie habe, werde ich K.Pfaul]3 aus seiner Schlafmützigkeit aufrütteln. Dieser verschlagene Schotte, der sich immer noch einbildet, daß wir unsere günstige Lage auf dem Markt nicht kennen, wendet die Taktik des Abwartens an, aber eines schönen Morgens wird er feststellen, daß er sich jämmerlich getäuscht hat. Wir sind es nämlich, die es sich leisten können zu warten, und wir sind entschlossen, so lange zu warten, bis wir ganz fertig sind, um in Satz zu geben, sagen wir in einer Woche. Und da wir ein schriftliches Angebot von einer anderen Firma haben, können wir auf unseren Bedingungen bestehen. Das muß Dir als Entschuldigung für meinen letzten kurzen Brief1351 dienen sowie für die seither eingetretene Verzögerung. Die Dinge liegen so, daß wir Mitte Mai mit dem Druck beginnen müssen, damit wir gegen Ende Sept. herauskommen können. Und dazu sind wir in der Lage, obgleich es mich mindestens bis weit in den Juni hinein stark in Anspruch nehmen wird. Euer billet-doux4 an Bismarck'6071 erregt großes Aufsehen in Deutschland. Bebel schreibt: „Die Erklärung von Laura und Eleanor M. ist famos,
1 erster Band - 2 Samuel Moore und Edward Aveling - 3 siehe vorl. Band, S. 460 - 4 Liebesbrief
der größte Teil der deutschen Presse nimmt davon Notiz, hütet sich selbstverständlich, sie abzudrucken. Otto wird wütend sein, für dergleichen Angriffe ist er sehr empfindlich."5 Die Wirkung der neuen Ausgangsposition in Frankreich6 ist aus der Debatte über das Sozialistengesetz in Berlin16041 klar zu erkennen. Library7 würde es kaum gewagt haben, sich wieder in seiner besten alten Weise so stark zu äußern, hätten ihn nicht diese Ereignisse in Paris und Decazeville15741 wieder ein bißchen in Bewegung gebracht. Dieser Wettstreit ist für unsere Leute in Deutschland unschätzbar. Die Spaltung und die Meinungsverschiedenheiten in Paris gaben ihrer Gruppe von Philistern einen Vorwand, auf die Franzosen de haut en bas8 zu sehen, als ob sie selbst sich nicht jahrelang in Spaltungen, Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten ergangen hätten; und sie begannen so zu reden, als ob sie, die deutsche kleinbürgerliche9 Sektion der Partei, die Führer der ganzen Bewegung wären. Dieses schöne Häuflein Chauvinisten hat jetzt tüchtig eins auf den Kopf bekommen. Leider ist eines der Ergebnisse des Sozialistengesetzes, daß die Verbreitung solcher Zeitungen wie „Socialiste" und „Cri du Peuple" fast völlig unmöglich gemacht wird und somit die tägliche, laufende Information über Frankreich aus den niederträchtigen BourgeoisBlättern genommen werden muß. Ich habe die „Cris" und „Intrans[igeants]u, die Du mir geschickt hast, an Bebel und Liebk[necht] gesandt, aber sie werden sicher nicht weitergegeben und sie vielleicht nicht immer erreichen. Ich finde es sehr merkwürdig, daß ich nichts von einer Berufung gegen das Villefranche-Urteil höre.16081 Meiner Meinung nach gibt es zwei Möglichkeiten für Berufung: 1. die nachgewiesene Inkompetenz des Gerichts, 2. das Urteil als solches; und dann pourvoi en Cassation10 auf Grund dieser beiden strittigen Fragen. Es scheint mir wohl der Mühe wert, der Sache nachzugehen, wenn auch nur, um die Niedertracht der Gerichte aufzudecken und die Öffentlichkeit wachzuhalten. Es ist wohl kaum zu hoffen, daß Roche nächsten Sonntag gewählt wird.16091 Da ich etwa eine Woche keine „Cris" gelesen habe, weiß ich nicht, welche anderen Kandidaten außer Gaulier im Felde stehen. Aber die Wahl wird auf jeden Fall einen großen Fortschritt bringen und genügen, um die Radikalen14601 noch mehr zu erschrecken. Hier ist alles ein Durcheinander. Bax und Morris geraten immer tiefer in die Netze einiger anarchistischer phraseurs und schreiben mit zunehmender
5 das Zitat aus August Bebels Brief an Engels vom 23. April 1886 in der Handschrift deutsch — 6 siehe vorl. Band, S. 446/447 und 461/462 - ' Wilhelm Liebknecht - 8 von oben herab 9 in der Handschrift deutsch: kleinbürgerliche - 10 Nichtigkeitsbeschwerde
Intensität Unsinn. Die Umwandlung des „Commonweal" in ein „Wochenblatt" - in jeder Hinsicht absurd - hat Edward eine Chance gegeben, sich von der Verantwortung für dieses jetzt unberechenbare Organ frei zu machen.16101 Bax mit halbverdauter Hegelscher Dialektik ä la recherche11 nach extremen und paradoxen Vorschlägen, und Morris, der nach Art der Bullen mit dem Kopf gegen den „Parlamentarismus" rennt, werden durch die Erfahrung lernen müssen, was für Menschen ihre anarchistischen Freunde sind. Es wäre lächerlich zu erwarten, daß die Arbeiterklasse von diesen verschiedenen Grillen, die aus Höflichkeit englischer Sozialismus genannt werden, die geringste Notiz nimmt, und es ist ein Glück, daß dem so ist. Diese Herren haben genug zu tun, ihre eigenen Köpfe in Ordnung zu bringen. Schorl[emmer], der hier ist, und Nim haben die kleine Lily mit in den Zoo genommen. Pumps fährt auf ein paar Tage nach Manchester. In unseren abendlichen Plaudereien sprechen wir sehr viel davon, daß Du versprochen hast, nach London herüberzukommen. Wann wird das sein? Schorljemmer] sagt, Du hättest etwas erwähnt, daß Paul zur gleichen Zeit herüberkäme. Um so besser. Immerhin wird es Zeit, daß diese guten Absichten anfangen, sich in mehr oder weniger reale Pläne und Projekte zu verwandeln; die richtige Jahreszeit dafür ist in diesem gesegneten Klima nicht zu lang. Hast Du im letzten „Soz[ial]dem[okrat]" die Affäre betreffs Kalle und der Weibergemeinschaft1216111 gelesen? Dieser Bursche ist ganz schön reingefallen. Er gilt als ein großes Licht unter den Nationalliberalen'2511 und besitzt große chemische (Farbstoff-)Werke in Wiesbaden. Grüße von Schorljemmer] und Nim. In Zuneigung Dein F. Engels
Paul wird hoffentlich entschuldigen, wenn ich ihm nicht so oft schreibe, wie ich möchte.
Aus dem Englischen.
11 auf der Suche - 12 in der Handschrift deutsch: Weibergemeinschaft
249
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 29. April 1886
Lieber Sorge, Deine Briefe 15. und 28.Febr. und 8.März und Postkarte 2I.März erhalten. Das Ms. enthält großenteils dieselben Sachen, die M[arx] in seinem Ex. für die 3. Ausgabe angemerkt.'556' In andern, die mehr Einschübe aus dem Französischen anordnen, binde ich mich nicht unbedingt daran, 1. weil die Arbeit für die 3. Ausg. weit später, also für mich entscheidender ist, 2. weil M[arx] für eine in Amerika, außerhalb seines Bereichs, zu machende Übersetzung manche schwierige Stellen lieber aus der französischen Verflachung richtig als aus dem Deutschen unrichtig übersetzt wünschen mochte, und diese Rücksicht jetzt wegfällt. Trotzdem hat es mir manche sehr nützliche Winke gegeben, die auch für die 4. deutsche Auflage ihrerzeit Verwendung finden werden. Sobald ich damit fertig bin, schicke ich es Dir registriert zurück. Die „Volkszeitung"1 und „Sozialist]" kommen jetzt regelmäßig an. Ich habe Dir in den letzten 14 Tagen geschickt „To-Day" und „Commonweal", März und April. Sodann gestern „To-Day", Mai. Verspätung lediglich der Unordnung der Herausgeber geschuldet. Fehlt Dir nun noch etwas, so laß mich's wissen. Die Broadhouse(Hyndman)sche Übersetzung des „Kapitals" ist eine reine Komödie.'55" Das I.Kapitel war aus dem Deutschen, voller Fehler bis zur Lächerlichkeit. Jetzt wird aus dem Französischen übersetzt2, die Fehler sind dieselben. Nach der jetzigen Geschwindigkeit ist das Ding anno 1900 noch nicht fertig. Dank für „Kalender". Daß der Douai ein so schmählich verkannter großer Mann ist, habe ich allerdings nicht geahnt.'6121 Möge er das Bewußtsein seiner Größe mitsamt ihrer ganzen Verkanntheit mit ins Grab nehmen, ohne es vorher in Zuckerform geschmälert zu sehn. Er ist aber der rechte
1 „New Yorker Volkszeitung" -2 siehe vorl. Band, S.461
Mann für Amerika gewesen, und wäre er ordinärer Demokrat geblieben, so hätte ich ihm alles Gute gewünscht. So aber verlief er sich an die unrechte Schmiede. Dem Puristen, der über unsern Stil und unsre Interpunktion eifert: er kann weder Deutsch noch Englisch, sonst würde er nicht Anglizismen finden, wo keine sind. Das Deutsch, wofür er schwärmt und das uns auf der Schule eingepaukt wurde, mit seinem scheußlichen Periodenbau und dem Verbum durch zehn Meilen Einschiebsel vom Subjekt getrennt, hinten am Schwanz, dies Deutsch habe ich dreißig Jahre nötig gehabt, um es wieder zu verlernen. Dies bürokratische Schulmeisterdeutsch, für das Lessing gar nicht existiert, ist sogar in Deutschland jetzt ganz am Verkommen. Was würde dieser Biedermann sagen, wenn er die Leute im Reichstag sprechen hörte, die diese schauerliche Konstruktion abgeschafft haben, weil sie sich immer darin festritten, und die da sprachen wie die Juden: „als der Bismarck ist gekommen vor die Zwangswahl, hat er lieber geküßt den Papst auf den Hintern als die Revolution auf den Mund" usw. Diesen Fortschritt hat Laskerchen eingeführt, es ist das einzige Gute, was er getan hat. Wenn der Herr Purist mit seinem Schulmeisterdeutsch nach Deutschland kommt, wird man ihm sagen, er spräche amerikanisch. „Sie wissen, wie kleinlich der deutsche gelehrte Philister ist" - das scheint er namentlich in Amerika zu sein. Der deutsche Satzbau mitsamt der Interpunktion, wie sie vor 40 bis 50 Jahren auf Schulen gelehrt wurden, sind nur wert, in die Ecke geworfen zu werden, und das passiert ihnen in Deutschland redlich.'6131 Ich glaube Dir schon geschrieben zu haben, daß ein an einen Russen verheiratetes amerikanisches Madämchen3 sich in den Kopf gesetzt hatte, mein altes Buch4 zu übersetzen.® Ich habe die Übersetzung durchgesehn, was viel Arbeit machte. Aber sie schrieb, der Druck sei gesichert, und es müsse gleich geschehn, und da mußte ich dran. Jetzt stellt sich heraus, daß sie die Unterhandlung einer Miss Foster, Sekretärin einer Woman's Rights Gesellschaft, übertragen und diese den Blödsinn begangen hat, es an die Sozialistische Arbeiter-Partei'®791 zu geben.6 Ich habe der Übersetzerin meine Meinung darüber gesagt, aber es war geschehn. Im übrigen bin ich froh, daß die Herren dort nichts von mir übersetzen, es würde schön werden. Ihr Deutsch ist schon hinreichend, und nun noch ihr Englisch!? Die Herren von der „Volkszeitung" müssen zufrieden sein. Sie haben die ganze Bewegung unter den Deutsehen in die Hand bekommen, und ihr
3 Florence Kelley-Wischnewetzky - 4 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" 6 siehe vorl. Band, S.430 - 6 siehe vorl. Band, S.451
Geschäft muß florieren. Daß da ein Mann wie Dietzgen zurückgedrängt wird, versteht sich von selbst.15581 Die Spielerei mit dem Boykott und den kleinen Strikes ist natürlich viel wichtiger als theoretische Aufklärung. Aber bei alledem geht doch in Amerika die Sache mächtig voran. Zum ersten Mal existiert eine wirkliche massenhafte Bewegung unter den Englischsprechenden. Daß diese noch tastend verfährt, ungeschickt, unklar, unwissend, ist unvermeidlich. Das wird sich alles klären, die Bewegung wird und muß sich an ihren eignen Fehlern fortentwickeln. Theoretische Unkenntnis ist Eigenschaft aller jungen Völker, aber auch praktische Raschheit der Entwicklung. Wie in England hilft alles Predigen nichts auch in Amerika, bis die tatsächliche Notwendigkeit da ist. Und diese ist in Amerika vorhanden und kommt zum Bewußtsein. Das Eintreten der eingebornen Arbeitermassen in die Bewegung in Amerika ist für mich das eine der großen Ereignisse von 1886.'6141 Was die dortigen Deutschen angeht, so mag die jetzt florierende Sorte sich allmählich an die Amerikaner anschließen, sie wird diesen immer noch etwas voraus sein; und schließlich bleibt unter den dortigen Deutschen doch immer noch ein Kern, der die theoretische Einsicht in die Natur und den Gang der Gesamtbewegung behält und den Gärungsprozeß in Gang hält und schließlich wieder obenauf kommt. Das zweite große Ereignis von 1886 ist die Bildung einer Arbeiterpartei in der französischen Kammer durch Basly und Camelinat, zwei AnstandsArbeiterdeputierte, von den Radikalen14601 auf die Liste gesetzt und durchgebracht, die aber gegen allen Komment nicht Diener der Herren Radikalen wurden, sondern als Arbeiter auftraten. Der Decazeviller Strike15741 brachte den Split7 zwischen ihnen und den Radikalen zum Ausbruch - 5 andre Deputierte schlössen sich an.8 Die Radikalen mußten jetzt mit ihrer Politik gegenüber den Arbeitern herausrücken, und da die Regierung nur durch die Radikalen besteht, war das sehr eklig, denn sie wurden von den Arbeitern für jede Regierungshandlung mit Recht verantwortlich gemacht. Kurz, die Radikalen, Clemenceau und alle, benahmen sich erbärmlich, und da erfolgte das, was bisher kein Predigen zustande gebracht hatte: der Abfall der französischen Arbeiter von den Radikalen. Und das zweite Resultat war: die Vereinigung sämtlicher sozialistischen Fraktionen zu gemeinsamer Aktion. Nur die elenden Possibilisten12451 hielten sich separat und zerfallen infolgedessen täglich mehr. Dieser new departure9 half die Regierung durch ihre Dummheiten kolossal voran. Nämlich sie will ein Anleihen von
'die Spaltung -8 siehe vorl. Band, S.446/447 -9 Diesem neuen Ausgangspunkt
900 Mill. fr. aufnehmen und braucht dazu die hohe Finanz, aber diese sitzt auch als Aktionäre in Decazeville und weigert ihr Geld, wenn nicht die Regierung den Strike niederschlägt. Daher die Verhaftung von Duc und Roche'608'; Antwort der Arbeiter: Roches Kandidatur in Paris für nächsten Sonntag (Wahl zur Kammer) und Ducs (Quercys) Kandidatur für den Stadtrat, wo er sicher durchgeht1609'. Kurz, in Frankreich ist wieder eine famose Bewegung flott im Gang, und das Beste ist, daß unsre Leute, Guesde, Lafargue, Deville, die theoretischen Führer sind. Die Rückwirkung auf Deutschland ist nicht ausgeblieben. Die revolutionäre Sprache und Aktion der Franzosen hat die Heulmeierei der Geisers, Vierecks, Auers & Co. erst recht matt erscheinen lassen, und so sind in der letzten Sozialistengesetz-Debatte nur Bebel und Liebk[necht] aufgetreten, und beide sehr gut.'6041 Mit dieser Debatte können wir uns wieder in anständiger Gesellschaft sehn lassen, was keineswegs mit allen der Fall war. Überhaupt ist es gut, daß den Deutschen, namentlich seitdem sie so viel Philisterelemente gewählt (was freilich unvermeidlich war), die Führung etwas streitig gemacht wird. In Deutschland wird alles in ruhigen Zeiten philisterhaft; da ist der Stachel der französischen Konkurrenz absolut nötig. Und der wird nicht fehlen. Der französische Sozialismus ist plötzlich aus einer Sekte eine Partei geworden, und jetzt erst und dadurch erst der Massenanschluß der Arbeiter möglich, denn diese sind dort die Sektiererei übersatt, und das war das Geheimnis, weshalb sie der äußersten Bourgeoispartei anhingen, den Radikalen. Der nächste Sonntag wird bei der Wahl schon bedeutenden Fortschritt zeigen, obwohl kaum zu erwarten, daß Roche durchgeht. Ich denke, in 14 Tagen-3 Wochen beginnt der Druck der englischen Übersetzung von „Kapital", I.Band. Ich bin noch lange nicht fertig mit der Revision, aber 300 Seiten sind ganz und weitere 200 nahezu druckfertig. Noch eins. Ein Mr. J.T.McEnnis interviewte mich dieser Tage unter dem Vorwand, im Namen des Staats Missouri Rat über Arbeitergesetzgebung zu erhalten. Ich fand bald, daß Preßgeschichten dahinter, und er gestand auch, für the leading Democratic Paper of St. Louis10 zu arbeiten; versprach aber auf Ehrenwort, mir jedes Wort vorher zur Revision vorzulegen. Der Kerl war mir von dem Russen Stepniak zugeschickt. Das sind jetzt beinah 14 Tage, und ich fürchte, er hat nicht Wort gehalten. Den Namen des St. Louis-Blatts habe ich vergessen. Sollte also etwas über den
10 das führende demokratische Blatt von St. Louis („Missouri Republican")
Interview erscheinen, so bitte ich Dich, inl. Erklärung11 in „Sozialist]", „Volkszeitung" und wo Du es sonst für nötig hältst, abdrucken zu lassen. Kommt der Kerl dennoch wieder und hält Wort, so benachrichtige ich Dich selbstredend sofort, und Du kannst dann die Erklärung zerreißen.16151 Hier geht's glücklicherweise mit der Bewegung gar nicht voran. Hyndman & Co. sind politische Streber, die alles verderben, und in der Soc. League13671 machen die Anarchisten reißende Fortschritte. Morris und Bax - der eine als Gemütssozialist, der andre als philosophischer Paradoxenjäger - sind momentan ganz in ihren Händen und müssen nun diese Erfahrung in corpore vili12 durchmachen. Aus der nächsten „Commonweal" wirst Du ersehn, daß Aveling, dank namentlich der Energie von Tussy, die Verantwortlichkeit für diesen Schwindel nicht mehr mitträgt16101, und das ist gut. Und diese Konfusionsräte wollen die englische Arbeiterklasse führen! Glücklicherweise will diese absolut nichts davon wissen. Besten Gruß. Dein F. Engels
An die Redaktion etc. Sollte in St. Louis ein Bericht über ein Interview eines Korrespondenten dieses Blattes mit mir erscheinen, so habe ich darauf folgendes zu bemerken: Allerdings hat ein Herr McEnnis als Repräsentant dieses Blattes mich besucht und mich über Verschiednes ausgefragt; aber unter dem Versprechen auf Ehrenwort, keine Zeile zum Druck abzuschicken; ohne sie mir vorher vorzulegen. Statt dessen hat er sich nichfrwieder bei mir sehn lassen. Ich erkläre daher hiermit, daß ich alle und jede Verantwortlichkeit für jene Publikation ablehnen muß, um so mehr, als ich Gelegenheit hatte, mich zu überzeugen, daß Herr McEnnis aus Mangel an den nötigen Vorkenntnissen selbst beim besten Willen kaum imstande sein dürfte, meine Äußerungen richtig zu verstehn.
London, 29. April 1886
Friedrich Engels
11 „Eine Erklärung an die Redaktion der ,New Yorker Volkszeitung'" - 12 am eigenen Leibe
250 Engels an Paul Lafargue in Paris (Auszug) [London] 7. Mai 1886 ... Ich beglückwünsche Sie zu dem Sieg vom Sonntag, der in der Tat bestätigt, daß sich die Pariser Arbeiter vom Radikalismus lossagen.'6091 Sind diese Radikalen dumm! aber es ist die verhängnisvolle Dummheit, die sich jeder bourgeoisen Partei bemächtigt, sobald sie sich dem Regierungsantritt nähert und infolgedessen ihren Charakter einer Oppositionspartei verliert. Ungeduldig wartet man darauf, an die Regierung zu kommen, obwohl man weiß, daß der Augenblick noch nicht gekommen ist; man spielt insgeheim Regierung, ja, man fühlt sich sogar für die Dummheiten und Fehler der amtierenden Regierung verantwortlich. Andererseits stößt man auf die Arbeiterpartei16161, die infolge eben dieser Dummheiten der Regierung, die man nur zur Hälfte desavouieren kann, von Tag zu Tag stärker wird. Die Arbeiterpartei gibt sich nicht mehr mit schönen Worten und Versprechungen zufrieden, sie verlangt Taten, die man nicht bieten kann; man möchte sie zurückhalten, und man ist gezwungen, gegen sie vorzugehen; und zwischen der Regierung, die man noch nicht hat, und den Massen, die einem immer mehr entgleiten, ist man gezwungen, die Monarchisten als Verschwörer zu bezeichnen, sie als eine reale Gefahr hinzustellen, zu rufen: Vereinigen wir uns, um die Republik zu retten; mit einem Wort - Opporturusf'2441 zu werden. Jede Partei, die an die Regierung will, bevor ihr die Umstände gestatten, ihr eigenes Programm zu verwirklichen, ist verloren; aber die Ungeduld, ans Ruder zu kommen, ist bei den bourgeoisen Parteien so groß, daß sie alle an dieser Klippe zerschellen, ehe ihre Stunde gekommen ist. Für uns verkürzt das nur die Dauer der Entwicklung. Andererseits hat unsere Bewegung in Paris ein solches Stadium erreicht, wo sie sogar kleine Schnitzer schadlos verdauen kann. Ohne Zweifel hängt das Tempo der künftigen Entwicklung weitgehend von der Leitung durch die Chefs der einzelnen Gruppen ab; sind die Massen aber erst einmal in Bewegung geraten, so sind sie wie ein gesunder Organismus, der die Kraft hat, Krankheitskeime und in geringer Menge sogar Gift auszuscheiden.
Nach: „Le Socialiste", vom 24.November 1900. Aus dem Französischen.
31 Man/Engels, Werke, Bd. 36
251
Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
London, 12. Mai 1886
Lieber Liebknecht, Die französischen Blätter (deren ich wenigstens 3 Sendungen geschickt) sollten Dir bloß Gelegenheit geben, einige Nachrichten aus erster Hand über die brillante Entwicklung der Dinge in Frankreich zu lesen. Da Du den „Cri du Pjeuple]" hältst, brauche ich Dir also nur den „ Intrans[igeant]" etc. zu schicken. Laffargue] schickt sie mir ab und zu ein, wenn was vorfällt, und ich dachte, sie so weiter zu verwerten. Was Clemenceau betrifft, so kann allerdings der Moment bald kommen, wo Du die „Justice" besser laufenläßt. Einerseits die nahe Aussicht aufs Ministerium, andrerseits aber auch die, namentlich ihm, unerwartet rasche Entwicklung der Arbeiterpartei drängen ihn auf die konservative, prononciert-bürgerliche Seite. Selbst von seinem eignen Standpunkt aus ist sein Auftreten töricht. Aber so geht's allen Bourgeois, auch den avanciertesten. Longuet wird auch bald wählen müssen, oder er ruiniert sich total. Die Kandidatur Gaulier, von der Presse allein, ohne Zuziehung der Comites radicaux-socialistes aufgestellt, hat den Radikalen'4601 50 000 Stimmen gekostet, die zu uns übergegangen und jetzt die wütendsten gegen ihre ExChefs sind.[609) Wenn nicht kolossale Böcke gemacht werden - ldeine Schnitzer schadlos zu verdauen, ist die Bewegung schon jetzt stark genug haben wir bei den nächsten Wahlen in Paris V^bis 1js der Sitze. Und unsre Leute, jetzt wo es was Wirkliches zu tun gibt, benehmen sich ganz musterhaft. Ohne Geld aber für die „Justice" zu schreiben, ist Torheit. Das Blatt kann ganz gut zahlen; die Hauptredakteure - Deputierte - zahlt ja die Nation. Bebel schrieb mir, seine Stimme versage ihm nach wenig Tagen Anstrengung, und da habe ich ihm allerdings gesagt1, daß für eine amerikanische Stumpreise2 eine bombenfeste Stimme in der Tat erste Bedingung.
1 Siehe vorl. Band, S.466 - 2 Agitationsreise
Ob er sich das nicht übertreibt, weiß ich natürlich nicht, aber sehr riskiert wäre es jedenfalls; was die Yankees in der Beziehung für ihr gutes Geld verlangen, wirst Du selbst erst vollauf drüben erfahren. Wenn er nicht geht, mußt Du jedenfalls sorgen, daß Du keinen von der zahmen Kleinbürgersorte mitbekommst.'54®1 Die Chicago-Affäre'6171 wird wohl das Ende der Anarchistenkomödie in Amerika bedeuten. Schreien läßt man die Leute, soviel sie wollen, aber in Beziehung auf zwecklosen Krawall verstehn die Amerikaner keinen Spaß, seitdem sie ein Industrievolk geworden. Von der hiesigen sogenannten „Bewegung"13861 ist nichts Gutes zu melden. Hyndman verschleißt sich täglich mehr, hat alles Vertrauen bei seinen eignen Leuten verloren, und die League kommt mehr und mehr unter die3 Leitung der Anarchisten. Seit die „Commonweal" wöchentlich geworden - wozu weder Geld noch Kräfte genügend vorhanden - hat Aveling die (unbezahlte) Redaktion an Bax abtreten müssen, und dieser und Morris werden von den Anarchisten stark influenziert. Die Herren müssen das in corpore vili4 durchmachen, sie werden's schon satt kriegen, es ist aber ein wahres Glück, daß diese Kinderkrankheiten abgemacht werden, noch ehe die Massen in die Bewegung eintreten. Und das zu tun, verweigern sie bis jetzt hartnäckig. Es geht eben wie in Frankreich. Eine ganze große Arbeiterklasse ist nicht durch Predigen in Bewegung zu setzen; aber wenn die Verhältnisse reif sind, so genügt ein kleiner Anstoß, die Lawine ins Rollen zu bringen. Und dieser kommt auch hier, und bald. Sehr wahrscheinlich wird der finanzielle Zusammenbruch der großen Trades Unions unter dem Druck der chronischen Überproduktion den Moment bezeichnen, wo den Engländern die Unzulänglichkeit der „Selbsthülfe" und des Radikalismus klar wird. Also Herbst hier! Bein F.E.
Frau Pfänder segeltmorgen über 8 Tage nach Amerika zu ihrem Schwägerin-Neu Ulm, Minnesota.
3 in der Handschrift: der—4 am eigenen Leibe
31*.
252
Engels an F.H.Nestler & Melle's Verlag in Hamburg16181 (Entwurf)
[London] 13. Mai 86
Herren F. H. Nestler & Melle's Verlag, Hamburg G[eehrte] H[erren], So schmeichelhaft auch der mir mit Ihrem Geehrten vom 10. er. gemachte Antrag ist, so bedaure ich doch, denselben ablehnen zu müssen, und zwar aus Zeitmangel. Die Pflicht der Herausgabe der hinterlassenen Mskr. von Marx und die Verwertung der sonstigen von ihm hinterlassenen Papiere reicht allein hin, mich noch für mehrere Jahre beschäftigt zu halten, und ist für mich eine Pflicht, der gegenüber alles andre zurücktreten muß. Dazu kommt aber noch die Pflicht der meist sehr nötigen Revision von Übersetzungen unsrer Schriften in fremde Sprachen. Nicht nur die englische Übersetzung des „Kapital", die ich jetzt fertigzumachen habe und die nächsten Monat in die Presse geht; es kommen mir fortwährend Ms. der Art zur Durchsicht zu, Übersetzungen kleinerer Schriften ins Französische, Italienische, Dänische, Holländische etc.15271, und nehmen mir jeden Rest freier Zeit weg. Sollte ich aber mit allem dem fertig werden, so muß ich zunächst daran denken, meine eignen, seit drei Jahren gänzlich unterbrochenen, selbständigen Arbeiten endlich einmal fertigzustellen, falls ich das überhaupt noch erlebe. Von Leuten meiner Richtung wäre mein Freund K. Kautsky wohl geeignet, einen solchen Posten zu übernehmen, um so mehr, da er augenblicklich hier wohnt, und ich ihm also dabei gern nach Kräften behülflich sein könnte; auch ist die einschlägige, meist ganz unbekannte englische Literatur nirgendswo als im British Museum zugänglich. Ich war daher gestern so frei, ihm Ihren Vorschlag mitzuteilen. Aber er hat sich - auch abgesehn von der Redaktion der „Neuen Zeit" - bereits so sehr und auf so lange Zeit gebunden, daß er mich nicht autorisieren konnte, ihn bei Ihnen in Vorschlag zu bringen.
So sehr ich mich, wie Sie sehn, für Ihren Plan interessiere, so leid tut es mir, bei seiner Ausführung mich nicht beteiligen zu können; indem ich Ihnen für Ihren ehrenvollen Antrag danke, empfehle ich mich Ihnen hochachtend
253
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 22.Mai 86
Lieber Ede, Ich schicke Dir die Parlamentsdebatte von Donnerstag („Daily News") über die irische Waffenbillt619J: Beschränkung des Rechts, Waffen zu tragen und zu besitzen für Irland, bisher gegen die Nationalisten gerichtet, soll aber jetzt auch gegen die protestantischen Prahlhänse von Ulster gewandt werden, die Rebellion drohen. Bemerkenswert Rede von Lord Randolph Churchill, Bruder des Herzogs von Marlborough, demokratisierender Tory, im letzten Torykabinett Minister für Indien, und als solcher lebenslängliches Mitglied des Staatsrats (privy Council). Gegenüber den matten und feigen Protesten und Beteurungen friedlicher Zweckverfolgung unter allen Umständen von Seiten unsrer kleinbürgerlichen Sozialisten ist es in der Tat an der Zeit zu zeigen, wie englische Minister - Althorp, Peel, Morley, Gladstone selbst, das Recht zur Revolution als verfassungsmäßige Theorie predigen - freilich nur solange sie in der Opposition, wie Gladstones nachfolgende Seichbeutelei beweist, worin er aber doch das Recht als solches nicht zu verleugnen wagt - und besonders auch, weil dies aus England kommt, dem Land der Gesetzlichkeit par excellence. Eine schönere Abfertigung können unsre Vierecks schwerlich finden. Freut mich, an der wiedererstandnen verve des „Soz[ial]dem[okrat]" zu sehn, daß Du wieder auf dem Damm. Ich sitze tief in der englischen Übersetzung des „Kapital"1. Heute morgen mit Aveling beim Verleger2 alles geordnet, Kontrakt wird in 1 bis 2 Tagen unterzeichnet, dann Druck, 5 Bogen pro Woche Minimum. Leider bin ich mit der Revision noch nicht fertig, aber S. 1-450 des Originals ist druckfertig; S. 450-640 fast ditto. Bitte aber noch nichts zu veröffentlichen, da noch nichts unterschrieben. Unsre Franzosen machen sich famos. Dagegen hier bleibt alles Dilettantenspielerei. Die anarchistischen Dummheiten in Amerika können nütz
1 erster Band - 2 William Swan Sonnenschein
lieh werden18171; es ist nicht zu wünschen, daß die amerikanischen Arbeiter auf ihrer jetzigen noch ganz bürgerlichen Denkstufe - hoher Lohn und kurze Zeit - zu rasche Erfolge erfechten. Das könnte den einseitigen TradesUnion-Geist stärken mehr als nötig. Die Amalgamated Engineers3 hier, die stärkste Trade-Union, haben voriges Jahr über £ 43 000 aus Reservefonds für brotlose Mitglieder zusetzen müssen, Reserve von ca. £ 165 000 auf ca. £ 122 000 herabgebracht. Sobald der Fonds erschöpft, und nicht früher, ist mit den Leuten was zu machen. Dein F. E.
Ich adressiere an Schl[üter], da ich Deiner neuen Hausnummer nicht ganz sicher bin.
3 Der Vereinigte Verband der Maschinenbauer
254
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 23. Mai 1886
Meine liebe Laura, Heute kann ich Dir positiv mitteilen, daß die Angelegenheit mit der englischen Ausgabe des „Kapitals"1 endlich geregelt ist. Mit K.P[aul] & Co. war es unmöglich, zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, aber wir konnten uns mit Swan Sonnenschein & Co. einigen. Gestern bin ich mit Edward bei S. S[onnenschein] gewesen, und jetzt muß der Vertrag nur noch formell unterzeichnet werden, und dann geht das Ms. sofort in Druck. S.S[onnenschein] & Co. zahlen uns für die ersten 500 verkauften Exemplare 10% des Bruttopreises und 121/a% für alle weiteren Exemplare. Die erste Auflage soll eine Bibliotheksauflage sein, in 2 Bänden zu 32 sh.; der Satz soll sofort stereotypiert werden, aber so, daß bei der 2. Auflage in gewissen Grenzen Änderungen vorgenommen werden können; die zweite Aufl. dann in einem Band, etwa zwischen 7sh. 6Pence bis 10sh„ und dieser Plan gefällt uns viel besser als K.P[aul]s, der den Preis bei 28 sh. gehalten und damit das Buch von einer allgemeinen Verbreitung ausgeschlossen hätte. Da ich 450 Seiten (nach dem deutschen Original) druckfertig habe, und etwa 200 weitere Seiten in 14 Tagen soweit sein könnten, außerdem der ganze Rest im Unreinen fertig ist, sehe ich keinen Grund, warum nicht 5 Bogen pro Woche gedruckt werden und wir nicht mit allem Mitte August fertig sein sollten, so daß das Buch zum 1. Oktober herausgebracht werden kann. Ich glaube, Paul versteht nicht recht, weshalb man von ihm einen Brief über die Pariser Wahlen für den „Commonweal" verlangt hat. Die Leute hier wollen die „ Justice" nicht direkt angreifen, und vor allem würde ihre Aussage nicht halb so überzeugend sein wie ein maßgeblicher Bericht aus Paris.16201 Aber das ist nicht so wichtig, da die League völlig durcheinander ist, weil sie die Anarchisten eindringen ließ. Pfingstsonntag soll ihre
1 erster Band
Delegiertenkonferenz sein, und dann werden wir ja sehen, was dabei herauskommt.1621' Ich kann einfach nicht begreifen, warum Decazeville so plötzlich zusammengebrochen ist[62al, besonders da Paul - wie Napoleon nach dem Brand von Moskau - im kritischen Moment sofort aufhörte, mich mit „Cris du Peuple" zu versorgen. Ist es für die Pariser Mentalität so gänzlich unmöglich, unerfreuliche Dinge einzugestehen, die nicht zu vermeiden sind? Ein Sieg in Decazeville wäre sehr schön gewesen, aber die Niederlage kann sich mit der Zeit vielleicht für die Bewegung doch als nützlicher erweisen. So glaube ich auch, daß die anarchistischen Dummheiten von Chicago von Nutzen sein werden.1617' Wenn die gegenwärtige amerikanische Bewegung die, soweit sje nicht ausschließlich deutsch ist, sich immer noch im TradeUnion-Stadium befindet - in der Frage des 8-Stunden-Tages einen großen Sieg errungen hätte, wäre der Trade-Unionismus ein starres und endgültiges Dogma geworden. Ein gemischtes Ergebnis dagegen wird dazu angetan sein, ihnen zu zeigen, daß es nötig ist, über das Problem der „hohen Löhne und des kurzen Arbeitstages" hinauszugehen. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
255
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky , in Zürich
122, Regent's Park Road, N.W. [London] 3. Juni 1886
Sehr geehrte Frau Wischnewetzky, Ich habe die Druckbogen1 gelesen und einige weitere Fehler mit Bleistift korrigiert. Daß die Ausstattung des Werkes alles andere als elegant sein würde, sah ich voraus, sobald ich erfuhr, wer es in Händen hatte, und bin deshalb nicht sehr überrascht davon; ich fürchte, daß daran jetzt nichts mehr zu ändern ist, also unnütz, darüber zu brummen. Was immer auch die Mißgriffe und die Borniertheit2 der Führer der Bewegung und teilweise auch der eben erwachenden Massen sein mögen eins ist sicher: die amerikanische Arbeiterklasse ist unverkennbar in Bewegung. Und nach einigen Fehlstarts werden sie schon recht bald ins richtige Geleise kommen. Dies Auftreten der Amerikaner auf der Bühne betrachte ich als eins der größten Ereignisse des Jahres.[614) Der Ausbruch des Klassenkampfes in Amerika bedeutet für die Bourgeois der ganzen Welt dasselbe, was der Zusammenbruch des russischen Zarismus für die großen Militärmonarchien Europas bedeuten würde - die Erschütterung ihrer Grundfesten. Denn Amerika war immerhin das Ideal aller Bourgeois: ein reiches, großes, aufwärtsstrebendes Land mit rein bürgerlichen, von feudalen Überbleibseln oder monarchistischen Traditionen unberührten Institutionen und ohne ein permanentes und erbliches Proletariat. Hier konnte jedermann, wenn nicht Kapitalist, so doch auf jeden Fall ein unabhängiger Mann werden, der mit eigenen Mitteln auf eigene Rechnung produziert oder Handel treibt. Und da es, bis jetzt, keine Klassen mit entgegengesetzten Interessen gab, dachte unser - und Ihr - Bourgeois, daß Amerika über Klassenantagonismen und Klassenkämpfen stehe. Diese Illusion ist jetzt zerstört, das letzte Bourgeois-Paradies auf Erden verwandelt
1 der englischen Übersetzung von Friedrich Engels' „Anhang zur amerikanischen Ausgabe der .Lage der arbeitenden Klasse in England'" - 2 in der Handschrift deutsch: Borniertheit
sich zusehends in ein Fegefeuer, und vor der Verwandlung in eine Hölle, wie in Europa, kann es nur bewahrt werden durch die stürmische Entwicklung des kaum flügge gewordenen amerikanischen Proletariats. Die Art und Weise seines Auftretens auf-der Bühne ist ganz außergewöhnlich: noch vor sechs Monaten ahnte kein Mensch etwas, und jetzt erscheint es plötzlich in solch organisierten Massen, daß die ganze Kapitalistenklasse in Schrecken gerät. Ich wünschte nur, Marx hätte das noch erleben können! Ich weiß nicht, ob ich dies nach Zürich oder an die von Ihnen am Schluß Ihres Briefes angegebene Pariser Adresse senden soll. Da aber im Falle eines Irrtums Zürich am sichersten ist, schicke ich Brief und Druckbogen an Herrn Schlüter, der sie bestimmt an die richtige Stelle weiterbefördern wird. Ihr stets ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
256
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 3. Juni 86
Lieber Herr Schlüter, Frau Wischnewetzky schickt mir Druckbogen1, die ich zurückgehn lassen muß, und gibt dabei eine Pariser Adresse, die ich nicht recht entziffern kann und ohne mir zu sagen, daß ich dorthin senden soll. Der Sicherheit halber bin ich so frei, Ihnen Antwort und Korrektur zuzuschicken mit der Bitte, sie gefl. weiterbefördern zu wollen. Die Pariser Adresse wissen Sie vielleicht oder ist sie in der Pension Tiefenau zu erfragen - ich lese sie: c/Drexel, Harjes & Co., Paris. Die Mühe bitte zu entschuldigen. Ihr Chartismus16231 kommt jetzt auch an die Reihe, sobald die englische Übersetzung „Kapital"2 mir einen Moment frei läßt. Der Druck beginnt eben und das Ms. ist erst zur Hälfte druckfertig, da muß ich den Rest platterdings erst abmachen, denn da darf jetzt nichts mehr dazwischenkommen. Gruß an Ede. Ihr F. Engels
1 der englischen Übersetzung von Friedrich Engels' «Anhang zur amerikanischen Ausgabe der .Lage der arbeitenden Klasse in England'" -a erster Band
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Engels an Karl Kautsky in London[624)
Besten Dank für Deine vielen Bemühungen! Bitte mir außer „Nature" keine englischen Blätter, auch nicht das Manchester Blatt, das samstags kommt, und überhaupt, außer dem „Sozialdemokrat]", nach Samstag keine Zeitungen mehr und nach Montag auch keine Briefe mehr zu schicken, da wir Mittwoch nachmittag wieder dort sind. Das Wetter anhaltend prachtvoll - bin auf die ersten großstädtischen Wahlresultate16251 morgen früh neugierig. Viele Grüße von Haus zu Haus. Dein F. E. [Eastbourne] Freitag 2./7./Ö6
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Engels an Karl Kautsky in London
[Eastbourne, 4. Juli 1886]
Lieber K[autsky], Es wäre mir natürlich lieber, hier16241 keine weiteren Besuche zu erhalten, da ohnehin morgen wahrscheinlich Sch[orlemmer] kommt, jedoch was nicht zu ändern, ist nicht zu ändern. Im übrigen bin ich ja Mittwoch1 wieder in London und hoffe, Frau G[uillaume]-S[chack] wird bis dahin genug in London zu tun haben. Hier ist's auch seit gestern drückend heiß, doch immer noch etwas Brise - Freitag war's sogar noch frisch, und konnte ich abends draußen nicht ohne Überzieher sitzen. Viele Grüße an Deine Frau. Pumps, Percy und Moore fangen per Boot Fische zum Abendessen, wenn nämlich le bon Dieu2 ihnen die Sabbatschändung nicht übelnimmt und ihnen iceine Seeschlangen schickt. Das Pilsener Bier ist auch hier gut.
Dein F.E.
1 7. Juli-2 der liebe Gott
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Engels an Karl Kautsky in London
[London, 8. Juli 1886] Glücklich wieder hier16241 - war heute bei der G[uillaume]-S[chack], die aber nicht zu Hause - kam also soweit um das Vergnügender Bekanntschaft. Schorl[emmer] ist hier - kommt Ihr morgen abend herüber?
Dein F.E.
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
London, 9. Juli 1886
Lieber alter Kamerad, Ich habe die Antwort auf Deinen Brief ein paar Tage aufgeschoben, weil ich erst abwarten mußte, ob sich eine Möglichkeit finden ließ, auf Deinen Pariser Plan einzugehn.16261 Leider nein - und zwar 1. bin ich an England gebunden, weil ich die Korrektur und Herausgabe der englischen Übersetzung des „Kapital"1 besorgen muß, die in der Presse ist und die ich keinem andern überlassen könnte, auch wenn ich nicht kontraktlich gebunden wäre; 2. aber bin ich wieder seit 3 Monaten invalid, kann nicht über 2 bis 300 Schritt gehn und hänge von allerhand medizinischen Leuten ab; die Sache ist weiter nichts als genant, aber es kann doch jeden Augenblick eine Verwicklung eintreten, wenn ich mich nicht ruhig halte, und von langen Reisen ist da keine Rede. Und wenn ich auch, wie ich hoffe, bis zum Herbst wieder mobiler werde, so muß ich denn doch diesmal dieser alten Geschichte, die mich nunmehr drei Jahre ab und zu zum Krüppel gemacht hat, soweit es angeht, ein Ende machen, und dazu gehört, daß ich nichts unternehme, was mich wieder zurückwerfen könnte. Ich muß platterdings wieder soweit kommen, daß ich 2-3 Stunden weit an einem Stück marschieren kann, sonst geh' ich kaputt und kann das Arbeiten nicht auf die Dauer aushalten. Ich hatte geglaubt, in den letzten 14 Tagen so weit zu kommen, daß ich eine positive Besserung konstatieren könnte, aber es geht langsamer, als ich dachte. Nun aber läßt sich die Sache hoffentlich anders einrichten. Nämlich wenn Du erst in Paris bist, so könntest Du auch ein wenig übers Weisser hieher kommen. Die Kosten dafür trage ich gern, und hier kostet Dich der Aufenthalt keinen Heller. Den August werde ich an die See geschickt, um mich auszukurieren, im September bekomme ich Besuch aus der Provinz, aus Deutschland und wahrscheinlich auch Lafargues aus Paris, und da ich
1 erster Band
nur ein Zimmer frei habe, werde ich wegen Unterbringung der Leute Mühe genug haben. Aber im Oktober ist das vorbei, und ich kann Dir das Zimmer jederzeit zur Verfügung halten und würde mich unendlich freuen, Dich bei mir zu sehn. Da haben wir auch mehr Ruhe, alles zu besprechen und zu erzählen als in Paris, wo man doch nie allein ist. Also fasse Deinen Entschluß. Bis Oktober bin ich auch mit den dringenden Arbeiten so weit fertig, daß ich alles andre auf die lange Bank schieben kann, und auch hoffentlich wieder so weit, daß ich wieder kneipen darf. Wenn Du übrigens lieber im September kommst, so schreib mir's, es .wird sich dann doch wohl so oder so einrichten lassen. Wir haben noch allerlei miteinander zu verhandeln, und Du kannst mir ganz speziell noch so manches aus der Entwicklungsgeschichte der Bewegung mitteilen, was, wie Du sagst, niemand sonst weiß, daß es wahrhaftig ein Unrecht wäre, wenn wir nicht alles täten, um noch einmal zusammenzukommen und das alles zu erledigen. Die Papiere von Marx habe ich noch gar nicht ordnen können, das ist eine Arbeit von mindestens einem Monat. Vielleicht geht's im Herbst - geschehn muß es, und das eh die Tage zu kurz werden. Ich lasse Dir wieder eine fünfpfündige Postanweisung herausnehmen, die Du hoffentlich gleich nach oder mit diesem Brief erhältst. Also entschließ Dich. Ich freue mich ungeheuer darauf, Dich wieder einmal zu sehn und mit Dir von Angesicht zu Angesicht zu verhandeln. Wäre ich noch so stramm auf den Beinen wie Du, so käme ich nach Genf. Aber so! Nun, ich erwarte, Du tust es für mich und kommst hieher.
Dein alter F. Engels
32 Man/Engels, Werke, Bd. 36
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Engels an Karl Kautsky in Deal16271
London, 26. Juli 86
, Lieber Baron, Ich habe Dir heute eine „Volksztg."1 geschickt und schicke Dir morgen die heut angekommene; ferner „Deutsche Worte", worin Anfang eines Artikels über Gustav Cohn16281, soweit ganz allerliebst, den Kerl2 mußt Du ja einfangen für die ,,N[eue] Z[eit]". Gestern waren wir relativ einsam - Tussy war auch krank, und Aveling mußte daher früh weg -, es ist nicht viel, aber doch störend. Dabei Regen die Hülle und Fülle - ich hoffe, Ihr habt's besser dort in der Südostecke, wo das Maximum von kontinentalem Klima für England ist. Dilke ist also glücklich ins politische Exil geschickt - requiescat in pace! Das kommt von der protestantischen Heuchelei. Die ganze Geschichte ist in katholischen Ländern unmöglich - weder in Wien noch in Rom noch in Paris, noch selbst in Petersburg konnte sie passieren; solcher übertünchter Sehmutz ist nur in zwei Zentren möglich: London und Berlin. In der Tat wird Berlin nur deshalb Weltstadt, weil London immer mehr auf Berlin herunterkommt. Daß der galante Capt. Forster seine Dame in ein Püffchen führt, ist echt berlinerisch.16291 Sonst gibt's nicht viel Neues - Schorl[emmer] ist nach Deutschland, ich befinde mich täglich besser. Nim hat eben die „Märtyrer der Phantasie" ausgelesen (Schluß ist da!!) und strickt Strümpfe. Beste Grüße an Dich und Deine Frau von uns beiden. Dein F.E.
Hast Du vielleicht irgend etwas in Deiner Wohnung zu besorgen - ich bin jetzt wieder so weit, daß ich die Distanz ganz gut marschieren kann, und hoffentlich bleibt's so; hast Du also etwas, worin ich Dir dienen kann, so verfüge über mich.
1 „New Yorker Volkszeitung" - 2 Julius Platter
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Engels an Karl Kautsky in Deal16271
London, 3I.Juli 86
Lieber Kautsky, Die Post Office Order halte ich hier, da es vergebens sein würde, bei dem Stockfisch in South[ampton] Road den Versuch der Einkassierung zu machen. Ich halte sie zu Deiner Verfügung und lasse sie, falls Du nicht vorher zurückkommst, hier unter Kuvert adressiert an Dich bei Mrs. Parker alias Sarah. Dagegen inl. Post Office Order £ 4 auf Deinen Namen K. K[autsky] von mir Frederick Efngels] genommen. Solltest Du sonst noch ein paar Pfunde Sterlinge gebrauchen können, so stehn sie Dir gern zur Verfügung. Wetter bessert sich - hoffentlich auch dort. Um die Chance zu haben, daß dieser Brief noch heute ankommt, schließe ich, mit besten Grüßen an Deine Frau und Dich von Nim und Deinem F.E.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Mount Desert[630J
Den Interview16311 dankend erhalten, hat mich sehr erheitert, natürlich läßt mich das Vieh1 alle Dummheiten sagen, die es selbst gesagt. „Commonweal", I.Mai-17.Juli, folgt in 2 Paketen morgen. Ich erhalte sie jetzt durch Leßner in Zwischenräumen, aber komplett. „To-Day" folgt, sobald ich Juli-Nr. erhalten, die fehlt noch. Übersetzung Ms.a wird übermorgen fertig und Schluß dem Verleger3 übergeben. Gedruckt sind 320 Seiten, fast mit III. Aufl. deutsch stimmend. Denke bis Ende Sept. fertig zu sein und im Oktober heraus. Gehe auch Samstag an die See[632!, hoffentlich bekommt sie uns beiden und Deiner Frau gut. Dein F.E. [London] 3./8./86
1 John T. McEnnis - 2 die englische Ubersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" - 3 William Swan Sonnenschein
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Engels an Karl Kautsky in Deal'6271
London, 6. Aug. 86
Lieber Kautsky, Wir gehn morgen nach Eastbourne16321, Adresse wie früher 4, Cavendish Place. Eben für Liebkn[echt] Platz per Cunard Steamer „Servia" genommen und ihm Quittung gesandt.16331 Deine Money Order findest Du hier kuvertiert und adressiert. Ebenso div. amerikanische „Sozialisten" für Dich, und div. amerikanische „Volkszeitungen"1 benebst „Miss[ouri] Republican" mit dem himmelschreienden Interview'6311 - diese „V[olkszeitungen]" und „Rep[ublicanl" bitte mir aufzuheben. Darf ich Dich bitten, mir wieder - nach Deiner Rückkunft - von Zeit zu Zeit, d. h. höchstens jeden 2. Tag, in der Regel aber 2mal die Woche, mir die Briefe etc. zuzuschicken, wie das letzte Mal? Gestern mit Ms. Übersetzung2 definitiv fertig, 23 Bogen sind gesetzt und in Korrektur vorliegend. Liebk[necht] fährt am4.Sept., Avelings am 3I.Aug, von Liverpool'6341. Wir bleiben sicher bis 28. Aug., womöglich noch eine Woche länger, das hängt vom Eintreffen Liebk[necht]s und andrer möglicher Besucher ab. Die Verurteilung in Freiberg3 - Dietz, Heinzel, Müller 6 Monate, die andern 9 - wirst Du gelesen haben.16351 Echt deutsch. Dank für die Wiener Nachrichten.'6361 Im übrigen ist die Welt still und schwitzt sich aus, nur die Russen mogeln stark im stillen. Giers scheint vorzuhaben, dies Jahr bei Bismarck etwas Ordentliches herauszuschlagen, aber ich glaube nicht, daß es ihm gelingt. Besten Gruß an Deine Frau. Dein F.E.
1 „New Yorker Volkszeitung" -2 die englische Übersetzung des erstenBandes des „Kapitals" s in der Handschrift: Freiburg
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Engels an Karl Kautsky in London
Eastbourne, 4, Cavendish Place ... D 1 I.Aug. 86 Lieber baron, Ich will gern.meiri mögliches tun mit Deinem Ms.'6373 Aber versprechen kann ich innerhalb bestimmter kurzer Frist absolut nichts: 1. hängt alles vom Drang der Druckbogen1 ab, deren jeder mindestens 3mal von mir genau durchgelesen werden muß in Korrektur, 1. und 2. Revision; 2. habe ich einen solchen Stoß dringender Korrespondenz - die seit 3 Monaten total abgebrochen - aufgehäuft, daß ich diese erst abstoßen muß; 3. lagern seit 7 Monaten 2 Ms. zur Revision bei mir[638], doch die setze ich zurück, wenn's sein muß.. Schick mir also das Ms., und nous verrons2. Er3 braucht ja ohnehin zunächst nur ein erstes Heft - dieses schick mir. Von4 meiner Durchsicht darf Dietz absolut kein Wort wissen. Ich habe von seiner Manier, alle Diskretion außer Augen zu setzen, sobald er einen Geschäftsvorteil dabei wittert, schon mehr Exempel als genug. Du wirst also im Notfall ein andres Auskunftsmittelchen finden müssen. Wetter seit gestern wechselnd. Von Zeitungen etc. bitte mir nur die französischen, spanischen und deutschamerikänischen „Sozialisten"8, den „Soz[ial]dem[okrat]", die „Volkszeitung"6, „Volksfreund" und „Nature" zu schicken, alles andre kann liegenbleiben. Ebenso alle Prospekte und Berichte von industriellen Gesellschaften können liegenbleiben. Jetzt geht's wieder an die Druckbogen. Hoffentlich ist die Seeluft Euch beiden und namentlich Deiner Frau gut bekommen. Hier wird jeden Abend 9-11 mit Verzweiflung Karten gespielt, wobei ich bis jetzt ein famoses Glück im Verlieren habe. Nim und Roshers grüßen bestens. Gruß an Deine Frau. . F. E. 1 der englischen Übersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" - 2 wir werden sehen 3 J.H. W.Dietz - 4 in der Handschrift: Vor - 5 „Le Socialiste", „El Socialista", „Der Sozialist" - 6 „New Yorker Volkszeitung"
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Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in Zürich
4, Cavendish Place „ . . „ . Eastbourne, 13.Aug. 1886 Sehr geehrte rrau Wischnewetzky, Meine Antwort auf Ihren freundlichen Brief vom 9. Juni wurde aus dem einfachen Grund verzögert, weil Überarbeit mich nötigte, meine ganze Korrespondenz zu suspendieren (soweit sie nicht sofortige Erledigung erforderte), bis das Ms. der Übersetzung des „Kapitals"1 endlich fertig war für den Druck. Das ist jetzt der Fall, und ich kann endlich an den vor mir liegenden Stoß unbeantworteter Briefe gehen; und Sie sollen zuerst darankommen. Hätten Sie mir in dem oben erwähnten Brief gesagt, daß Sie Zeit für Parteiarbeit übrig haben, so hätte ich Ihnen sofort eine kurze Antwort gesandt; es tut mir leid, wenn Sie durch meine Schuld daran gehindert wurden, etwas Nützliches zu tun. Als ich Ihnen „Lohnarbeit und Kapital" zur Übersetzung vorschlug2, vergaß ich gänzlich, daß eine englische Übersetzung bereits in London erschienen war. Da sie in New York zu kaufen ist, hat es keinen Zweck, es noch mal zu übersetzen. Nun „Der Ursprung"3. Das Ding ist schwieriger zu übersetzen als „Die Lage"4', und jede Seite würde von Ihnen verhältnismäßig größere Aufmerksamkeit und mehr Zeit beanspruchen. Ließe man mir aber Zeit zur Durchsicht, so wäre das kein Hindernis, vorausgesetzt, daß Sie soviel Zeit und Aufmerksamkeit daranwenden können und mir einen breiten Rand auf dem Papier lassen, um Änderungen einzutragen. Es ist aber noch ein anderer Punkt in Betracht zu ziehen. Wenn es überhaupt in Englisch erscheinen soll, so müßte man es so herausbringen, daß das Publikum es im regulären Buchhandel bekommen kann. Das wird, soweit ich es beurteilen kann, für „Die Lage" nicht zutreffen. Wenn sich das Geschäftsgebaren in Amerika nicht zu sehr von dem in Europa unterscheidet, dann werden die Buchhändler Werke, die von außenstehenden Verlagen, einer Arbeiterpartei
1 der englischen Übersetzung des ersten Bandes - 2 siehe vorl. Band, S. 452 - 8 „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" — 4 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England"
angehörenden Institutionen herausgegeben werden, nicht vertreiben. Das ist die Ursache, warum die Schriften der Chartisten und Oweniten nirgends erhalten geblieben und nirgends zu haben sind, nicht einmal im British Museum, und warum unsere ganze deutsche Parteiliteratur im Handel nicht zu haben ist und - lange vor dem Sozialistengesetz1335 - nicht zu haben war und dem Publikum außerhalb der Partei unbekannt blieb. Ein solcher Zustand ist manchmal nicht zu vermeiden, sollte aber, wenn irgend möglich, vermieden werden. Und Sie werden mich nicht tadeln, wenn ich für die englischen Übersetzungen meiner Schriften dies zu vermeiden suche, nachdem ich mehr als 40 Jahre in Deutschland darunter gelitten habe. In England ist die Lage so, daß man - jetzt oder sehr bald - Verleger für sozialistische Werke finden kann, und ich bin sicher, daß es mir im nächsten Jahr gelingen wird, hier eine englische Übersetzung herauszubringen und Honorar für den Übersetzer zu bekommen; und da ich überdies Dr. Aveling schon längst die Übersetzung der „Entwicklung" und des „Ursprungs" 16391 versprochen habe, wenn er es versteht, sich das Honorar selbst zu sichern, so sehen Sie wohl ein, daß das Erscheinen einer nicht vom regulären Buchhandel herausgebrachten amerikanischen Ausgabe die Chancen für eine Londoner Ausgabe nur verderben würde, die vom regulären Buchhandel besorgt und daher allgemein und überall demPublikum zugänglich wäre. Auch glaube ich nicht, daß dieses Buch gerade das ist, was die amerikanischen Arbeiter augenblicklich haben möchten. „Das Kapital" wird zu ihrer Verfügung stehen, ehe das Jahr um ist, und wird ihnen als piece de resistance5 dienen. Als leichtere, volkstümlichere Literatur für die eigentliche Propaganda wird mein kleines Buch kaum dienen. Im gegenwärtigen unentwickelten Stadium der Bewegung würden meiner Meinung nach wahrscheinlich einige der französischen populären Schriften eher am Platze sein. Deville und Lafargue haben vor ungefähr zwei Jahren zwei Lektionszyklen herausgegeben, Cours d'ficonomie Sociale'1781, wobei Deville die ökonomische12461 und Lafargue die mehr allgemeine, die historische Seite der Marxschen Theorie darlegt. Sicherlich kann Bernstein Ihnen ein Exemplar zeigen und eins aus Paris bekommen, und dann können Sie selbst darüber urteilen. Natürlich meine ich nicht Devilles größere Arbeit, den Auszug aus dem „Kapital", der in der letzten Hälfte sehr irreführend ist.11281 14.August. Kommen wir auf den „Ursprung" zurück. Ich will nicht sagen, daß ich es Aveling positiv versprochen habe, aber ich betrachte mich ihm verpflichtet, falls eine Übersetzung in London herauskommen soll. Die endgültige Entscheidung würde daher sehr davon abhängen, welche Ver5 Kampfmittel
einbarungen Sie über die Veröffentlichung in Amerika treffen können. Eine Wiederholung dessen, was Miss Foster mit meiner Schrift „Die Lage" gemacht hat®, muß ich entschieden ablehnen. Wenn ich eine Möglichkeit sehe, daß eine in der bürgerlichen Geschäftswelt bekannte Firma eine englische Ausgabe nicht nur dieses einen Buches, sondern wahrscheinlich einer Reihe anderer Schriften herausbringt, und den Vorzug habe, daß die Übersetzung hier am Ort gemacht wird (was mir viel Zeit erspart) -, werden Sie zugeben, daß ich es mir zweimal überlegen muß, ehe ich die Herausgabe nur dieses einen Büchleins in Amerika sanktioniere und damit die ganze Geschichte verderbe. Und bei der augenblicklichen antisozialistischen Panikmacherei in Amerika bezweifle ich, daß Sie reguläre Verleger finden, die gewillt sind, ihre Namen mit sozialistischen Werken in Verbindung zu bringen. Eine sehr gute Sache wäre die Herausgabe einer Reihe von Broschüren, die in populärer Form „Das Kapital" wiedergäben. Die Theorie des Mehrwerts Nr. 1; die Geschichte der verschiedenen Formen des Mehrwerts (Kooperation, Manufaktur, Moderne Industrie) Nr. 2; Akkumulation und Geschichte der ursprünglichen Akkumulation Nr. 3; die Entwicklung der Mehrwerterzeugung in Kolonien (letztes Kapitel) Nr. 4- dies wäre gerade für Amerika sehr instruktiv, da es die ökonomische Geschichte dieses Landes zeigen würde, die Verwandlung eines Landes unabhängiger Bauern zu einem Zentrum moderner Industrie, und könnte durch spezielle amerikanische Fakten vervollständigt werden. Vorläufig können Sie versichert sein, daß es noch geraume Zeit währen wird, ehe die Masse der amerikanischen Arbeiter anfangen wird, sozialistische Literatur zu lesen. Und für diejenigen, die wirklich lesen und lesen wollen, ist Stoff genug vorhanden, und „Der Ursprung" wird am allerwenigsten von ihnen vermißt werden. Dem angelsächsischen Verstand und besonders seiner ausschließlich aufs Praktische ausgerichteten Entwicklung in Amerika gilt die Theorie nichts, bis sie ihm durch die harte Notwendigkeit aufgezwungen wird; und ich rechne vor allem darauf, daß die Lehren, die unsere Freunde aus den Folgen ihrer eigenen Fehler ziehen werden, sie auf die theoretische Schulung vorbereiten.
Ihr sehr ergebener F. Engels Ich bleibe bis zum 27. d.M. hier, nachher in London.
Aus dem Englischen.
6 siehe vorl. Band, S.451
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Engels an Eduard Bernstein in Zürich16401
4, Cavendish Place ... „. Eastbourne, 14./8./86 Lieber Lde, Vor 14 Tagen schickte ich Dir einen „Standard" mit bulgarischer Korrespondenz über die russischen Intrigen im Balkan16411, die sehr wichtig war. Inzwischen spitzt sich die Sache mehr und mehr zu, der Alexander III. hat auf seine vielen Schlappen einen Erfolg nötig, und da kann es bei den Kreuz- und Querintrigen passieren, daß den Herren die Sache über den Kopf wächst und der Krieg ausbricht. In dieser Beziehung wollte ich Dir die Nachricht mitteilen, die der „Daily News"-Korrespondent in Petersburg und positiv gegen alle Dementis aufrechthält, daß vom 18. ds. bis Ende des Monats bei Wilna, also nah an der preußischen Grenze, sechs russische Armeekorps gegen sechs andre ditto manövrieren werden; also eine Zusammenziehung von ,12 Armeekorps (die ganze deutsche Armee hat deren nur 18), sehr schwach gerechnet 240 000 Mann. Daß die enormen Geldkosten nicht aus bloßer Renommage zum Fenster hinausgeworfen werden, ist sicher. Auch hat Alexander III. sich die Anwesenheit aller fremden Offiziere verbeten, selbst die des Preußen Werder. Während diese 240 000 Mann an der Grenze konzentriert stehn, kommt Herr Giers nach Deutschland, um mit Bismarck zu unterhandeln. Das Manöver ist sehr gewagt, besonders dem alten Wilhelm gegenüber, der hier grade an seiner empfindlichsten Seite gefaßt wird. Es kann also schief gehn und Krieg geben. Es kann ebensogut im stillen abgemacht werden, da Giers sicher solche tolle Streiche nicht willig mitmacht. Aber ich habe es für besser gehalten, Dich auf diese kuriose Geschichte aufmerksam zu machen. Sage Schl[üter], sobald ich nach London zurückkomme, wird seine Arbeit'6231 vorgenommen. Möglicherweise sehe ich den alten Harney vorher noch, und da kann ich über manches Auskunft erhalten, was ihm wissenswert ist. Besten Gruß. Am 28. er. in London zurück. p. •
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Engels an August Bebel in Borsdorf bei Leipzig
4, Cavendish Place Eastbourne, 18. Aug. 1886
Lieber Bebel, Es ist lange her, seit ich Dir Nachricht von mir gegeben, aber einerseits kamen keine besondren Ereignisse vor, über die ein Meinungsaustausch nötig schien, und andrerseits hatte ich mit dem Ms. der „Kapital"-Übersetzurig1 so heftig zu schanzen, daß ich seit ca. 10 Wochen alle Korrespondenz, die nicht sofortige Erledigung heischte, buchstäblich und prinzipiell habe unterdrücken müssen. Jetzt ist das auch besorgt, und so verfolgen mich nur noch die sehr mühsamen Korrekturen bis hier an die See, und ich kann endlich das Versäumte nachholen, namentlich, da auch einiges passiert ist, worüber zu schreiben der Mühe wert. Vor allem das Freiberger Urteil.'6351 Der deutsche Richter, voran der sächsische, scheint sich selbst noch immer nicht hundsföttisch genug vorzukommen. Es geht ihm wie zur Zeit der Internationalen dem Eccarius, von dem Pfänder einmal sagte: Ihr kennt den E[ccarius] noch gär nicht, der will noch viel schlechter werden, als er schon ist. Und die Sachsen bilden keine Ausnahme. Korrumpiert ist alles Offizielle in Deutschland, aber ein Kleinstaat bildet eine aparte Sorte Korruption heraus. Da ist die ganz oder halb erbliche Beamtenschicht so wenig zahlreich und zugleich so eifersüchtig auf ihr Kastenprivilegium, daß da Justiz, Polizei, Verwaltung, Armee, lauter Brüder und Vettern, einander unter die Arme greifen und in die Hände arbeiten, derart, daß alle in großen Ländern unumgängliche Rechtsnorm dabei abhanden kommt und die kolossalsten Unmöglichkeiten möglich werden. Was da möglich ist, habe ich auch außer Deutschland in Luxemburg, ganz neuerdings in Jersey und zur bonapartistischen Schwindelzeit in der Schweiz gesehn. Und ich bin überzeugt, in jedem andern deutschen Kleinstaat hätte Bismarck dasselbe erreicht von dein Augenblick an, wo der Hof, der Chef der Räuberbande, ihm keinen Widerstand mehr leistet. Im
1 der englischen Übersetzung des ersten Bandes
größten Kleinstaat, in Preußen selbst, bildet der Offiziers-und Beamtenadel diese Gevatterschaft, die jeder Gemeinheit im wirklichen oder vermeinten Kasteninteresse fähig ist. In diesem Augenblick hat die regierende Clique alle Hände voll zu tun. Mit dem Tod des alten Wilhelm tritt eine Periode der Unsicherheit und des Schwankens für sie ein, und da muß eine - nach ihrer Ansicht - möglichst feste Lage vorher geschaffen werden. Daher die plötzliche Verfolgungswut, die noch verschärft wird durch die Wut über die totale Erfolglosigkeit der ganzen bisherigen Arbeit gegen uns und die Hoffnung auf kleine Krawalle und dadurch ermöglichte neue Gesetzverschärfung.2 Und deswegen müßt Ihr neun Monate brummen. Ich hoffe, Du bringst es fertig, Dich durch Deine Sommerreisen so weit zu stärken, daß die 9 Monate Dir keinen Schaden an der Gesundheit tun. Für die Partei wird diese Deine erzwungne Zurückgezogenheit ein großer Schaden sein; die Zahmen werden freilich endlich einsehn müssen, daß all ihre Sanftmut sie nicht vor dem Kaschott schützt, aber ihre Natur wird's schwerlich ändern, und alles, was unsern Massen die Organisation, also auch den organisierten Ausdruck ihrer Willensmeinung erschwert, erleichtert ihnen das Manöver, sich als die echten Vertreter der Partei zu gerieren. Und wenn sie Dich erst hinter Schloß und Riegel wissen, schwillt ihnen der Kamm erst recht. Viel wird da von Liebk[necht] abhängen aber wovon wird der abhängen? Er kommt in 14 Tagen her und wird mir jedenfalls enorm viel Parteiklatsch erzählen, d.h. soviel er davon für gut hält, mir zu erzählen. Auf eins kannst Du Dich verlassen: meine Ansicht über die deutsche Bewegung im ganzen und über die zu befolgende Taktik sowie über die einzelnen Personen darin, inkl. L[iebknecht] selbst, wird nachher wie vorher unverändert dieselbe sein. Im übrigen freue ich mich sehr, ihn wiederzusehn, obwohl ich aus Erfahrung weiß, daß all mein Argumentieren mit ihm verlorne Müh ist - höchstens wird er auf meine Meinung in Amerika Rücksicht nehmen, wo ihm Tussy Aveling auch von Zeit zu Zeit einen Ruck geben wird, um ihn in der richtigen Fährte zu halten. Was den Gelderfolg der Reise betrifft, so habe ich einige Zweifel. Seitdem die amerikanische Bewegung Wirklichkeit gewonnen, muß sie mehr und mehr aufhören, Geldquelle für Deutschland zu sein. Das konnte sie nur, solang sie rein akademisch war. Jetzt aber, wo die angloamerikanischen Arbeiter aus der Lethargie aufgerüttelt sind, handelt es sich darum, sie durch Rede und Presse in ihren ersten noch taumelnden Schritten zu
unterstützen, einen wirklich sozialistischen Kern unter ihnen zu bilden, und das kostet Geld. Dennoch wird diesmal immer noch etwas abfallen.'6331 Dieser Eintritt der Amerikaner in die Bewegung und die Neubelebung der französischen Bewegung durch die drei Arbeiterdepütierten und Decazeville'5741 - das sind die zwei weltgeschichtlichen Ereignisse dieses Jahrs. In Amerika geschehn allerlei Dummheiten - die Anarchisten hier, die Knights of Labor16421 dort -, aber das ist Wurst, die Sache ist im Gang und wird sich rasch entwickeln. Es wird noch manche Enttäuschung geben die Drahtzieher der alten politischen Parteien bereiten sich schon vor, die aufsprossende Arbeiterpartei unter ihre geheime Direktion zu bekommen und ganz kolossale Böcke werden gemacht werden, aber trotzdem wird's dort rascher gehn als anderswo. In Frankreich haben die 108 000 Stimmen für Roche16091 bewiesen, daß der radikale Zauber gebrochen ist und die Pariser Arbeiter anfangen, sich von den Radikalen'4601 loszusagen, und zwar massenhaft. Um diesen Erfolg, diese neugewonnene Position zu sichern, haben unsre Leute fertiggebracht, daß die temporäre Organisation zur Wahl Roches in eine permanente verwandelt wurde16431, und so sind sie die theoretischen Lehrer der sich von den Radikalen abwendenden Arbeiter geworden. Diese Leute nennen sich alle Sozialisten, aber lernen jetzt erst durch bittre Erfahrung, daß ihr verblaßter Lumpenkram von Proudhon und L.Blanc reiner Bourgeois- und Kleinbürgerdreck ist, und sind daher der Marxschen Theorie zugänglich genug. Das ist die Folge davon, daß die Radikalen halb am Ruder sind; kommen sie ganz dran, so fällt die ganze Arbeiterschaft ab, und ich behaupte: der Sieg des Radikalismus, d.h. des verblaßten alten französischen Sozialismus in der Kammer bedeutet den Sieg des Marxismus zunächst im Pariser Stadtrat. Oh, wenn Marx dies noch hätte erleben können, wie sich sein Satz in Frankreich und Amerika bewährt, daß die demokratische Republik heute weiter nichts ist als der Kampfplatz, worauf die entscheidende Schlacht zwischen Bourgeoisie und Proletariat geschlagen wird. Hier ist trotz alledem und alledem noch so gut wie gar nichts los. Man kann nicht einmal sagen, daß wie zu Owens Zeit eine sozialistische Sekte besteht. Soviel Köpfe, soviel Sekten. Die Social Democratic Federation'3131 hat wenigstens ein Programm und eine gewisse Disziplin, aber absolut nichts hinter sich in den Massen. Die Chefs sind politische Abenteurer der streberhaftesten Art, und ihr Blatt „Justice" eine einzige kolossale Lüge über die welthistorische Macht und Bedeutung der Federation.] Das vergißt selbst der gute Ede zuweilen und zitiert das Blatt zur unrechten Zeit, wodurch er der wirklichen Bewegung hier mehr Schaden tut, als er gutmachen
kann; er kann dort kaum verstehn, In welcher Weise die „Justice" das hier ausnutzt. Die League'3671 ist in einer Krisis. Morris, der reine Gefühlsdusler, der inkorporierte gute Wille, der sich so gut vorkommt, daß er der böse Wille wird, absolut nichts zu lernen, ist auf die Phrase Revolution hineingefallen und Opfer, der Anarchisten geworden. Bax ist sehr talentvoll und versteht etwas - aber hat sich nach Philösophenmanier einen aparten Sozialismus, den er für die wahre Marxsche Theorie hält, zusammengebraut und richtet damit viel Unheil an. Indes ist das bei ihm eine Kinderkrankheit und wird sich schön verlieren, schade ist nur, daß dieser Prozeß vor dem Publikum durchgemacht wird. Aveling hat mit seinen Arbeiten für die liebe Existenz soviel zu tun, daß er auch nicht viel lernen kann, er ist der einzige, den ich regelmäßig zu sehn bekomme. Das Erscheinen des „Kapital" in englischer Sprache wird aber hier ganz enorm klärend wirken. Hiermit muß ich aber schließen, wenn ich fertig werden will. Es ist 6.45, und gleich wird der Tee angefahren, und um 8 geht die letzte Post. Also halte Dich wohl und laß mich mein langes Schweigen nicht entgelten, und vor allem sei überzeugt, daß aller Klatsch, der Dich etwa betreffen könnte, wirkungslos an mir abprallt. Dein alter F.E.
Ich bleibe bis 28. er. sicher hier16321, später schreibst Du am besten nach London.
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Engels an Karl Kautsky in London
4, Cavendish Place Eastbourne, 20./8./86
Lieber Baron, Hierbei Brief von Dietz zurück.16441 Wenn Du Garantie erhältst, daß Bl[os] nicht das Geringste einrücken darf, das Du nicht vorher gebilligt, so kann man ihm das Mechanische schon überlassen. Schlimmstenfalls rutschest Du auf ein paar Tage nach Stuttgart und ordnest die Sache. Das ist immer besser als der Versuch, auf 6 Monate hinzugehn, der nach 3 Wochen mit Deiner Ausweisung enden und dann Herrn Bios erst recht freie Hand geben würde. Das einzige ist, daß Du für die Zeit die Zensur selbst etwas strenger führst, damit Bl[os] nicht unter diesem Vorwand Schlappheiten hineinbringt. Es ist selbstredend, daß Du mich im Prospekt als Mitarbeiter aufführen kannst, auch steht Dir die Einleitung zur englischen Übersetzung der „Lage der arbeitenden Klasse"1 gern zu Diensten, sobald ich sie selbst erhalte. Lang ist sie nicht. Etwas andres Positives Dir zu versprechen, bin ich augenblicklich nicht imstande, um so weniger, als der unternehmende Schlüter die „Wohnungsfrage" neu herausgeben, will, wozu Revision und Einleitung2, auch Borkheims „Mordspatrioten", wozu ich eine kurze Biographie B[orkheim]3 schreiben muß. Du siehst, für Arbeit brauche ich nicht zu sorgen, das wird für mich besorgt. Der Plan, Dich häuslich einzumöblieren, ist sehr vernünftig; nur wirst Du auf die Dauer doch finden, daß die Züge abends zu früh nach Harrow abgehn, und ich würde Dir raten, Dich noch anderswo umzusehn. Es ist aber so ziemlich überall dasselbe. Die plötzliche Rekrudeszenz4 der Verfolgungswut beruht offenbar auf dem bevorstehenden Tod des alten Wilhelm. Der eröffnet für die jetzt 1 „Anhang zur amerikanischen Ausgabe der ,Lage der arbeitenden Klasse in England'" 2 „Vorwort zur zweiten, durchgesehenen Auflage ,Zur Wohnungsfrage'" - 3 „Einleitung zu Sigismund Borkheims Broschüre ,Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806 bis 1807"' - 4 Verschlimmerung
herrschende Bande eine Periode der Unsicherheit, und man will daher, soviel möglich, sich eine feste Position sichern; teils durch vollendete Tatsachen der innern Politik, teils, wenn möglich, durch provozierte Krawalle und noch gesteigerte Angst beim Philister.5 Die Bande gäbe was drum, wenn in Berlin Aale gezogen würden wie in Amsterdam.'®451 Dazu kommt noch die persönliche Wut des Puttkamer, der als echter Preuß in jeder eignen fehlgeschlagnen Dummheit eine Beleidigung andrer gegen seine werte Person sieht. Percy, Pumps und Lily sind Dienstag nach Walmer bei Deal zu den alten Roshers, sollen heut wiederkommen, aber nichts gehört. Gestern scheußlich schwül, regenneblig, heut brillant. Nim ist wohlauf und läßt bestens grüßen, ich schließe mich an. Hoffentlich ist Deine Frau wohlauf. Euer F. E.
Dank für Sonnenschein, das Paket war aus Versehen nach Regent's Park Road adressiert, enthielt mir hier Fehlendes, weshalb ich bereits reklamiert hatte.'®461
270
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
Lieber Ede, Die 2 Zeilen per Frau Schack hast Du hoffentlich erhalten. Die Russen haben klein beigegeben, die Mogelei geht im stillen fort und richtet sich zunächst gegen England in Asien - Turkestan und China. Damit ist die Kriegsgefahr für dies Jahr beseitigt. Die 240 000 Mann des „Daily News"» Korrespondenten werden jetzt schwerlich aufmarschieren1 ... Dies zur Nachricht. Die Aspekten haben so rasch gewechselt, daß unsereins meist mit den Nachrichten zu spät kommt. Der arme Baron2 ist in Verzweiflung, daß Du ihm keine Zeile schreibst.'6471 Dein F.E. [Eastbournel 20./8./86
1 Siehe vorl. Band, S.506 - 3 Karl Kautsky
33 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
271
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
4, Cavendish Place Eastbourne, 20. Aug. 86
Lieber Herr Schlüter, Jetzt kommen Sie endlich an die Reihe. Ich habe mir das Briefschreiben verbieten müssen, bis das englische Manuskript1 fertig war. Also erstens Ihr Brief vom 10. März. 1. Guthaben endlich erhalten, Quittung doppelt ausgestellt.2 2. Lexis gelesen. Der Mann ist gar nicht dumm, aber ein sehr großer Schuft und weiß das. 3. „ Ursprung" - die Handlungsweise von Dietz war mir ein neuer Beweis, wie eigenmächtig er in Geschäftssachen verfährt, und werde ich mich in Zukunft danach richten. Im übrigen ist die Sache gut abgelaufen und das Ding auf diese Weise wieder in den Buchhandel gekommen. 4. Generalrats-Adressen.15871 Ob ich sie alle habe, kann ich erst ausfinden, sobald mir meine Freunde soviel Zeit lassen, die Briefe etc. von Marx zu ordnen. Solange kann ich Ihnen also nicht helfen. 5. Chartisten-Ms.16231 wird beendigt, sobald ich nach London zurückkomme, nach 28. ds. Ich werde wohl Gelegenheit haben, über zweifelhafte Punkte unsern alten Harney zu konsultieren, der jetzt in London sein muß. Der Artikel in „Rh[einische] Jahrb[ücher]" ist von Weerth, und können Sie ihn nennen. Postkarte vom 8./6. - Die Briefe aus dem Heßschen Nachlaß können Sie mir gelegentlich schicken, es wird schwerlich mehr sein als Klatsch. Der gute Moses war aus aller wirklichen Bewegung seit 1848 heraus und hat nur eine Zeitlang unter Schweitzer ein bißchen mitgelassallt. Brief 16./8. - Die „Wohnungsfrage" will ich gern durchsehn, im ganzen kann das Ding abgedruckt werden wie es ist (soviel ich aus dem Kopf beurteilen kann). Ein paar Worte Einleitung3 werden nötig sein.
1 des ersten Bandes des „Kapitals" - 2 siehe vorl. Band, S.458 - 3 „Vorwort zur zweiten, durchgesehenen Auflage ,Zur Wohnungsfrage'"
Ein Neuabdruck der „Mordspatrioten" wird sicher sehr gut sein. Das Ding ist von Borkheim, und würde ich eine kurze Biographie4 dazu schreiben. Da ich aber nur ein Ex. habe, ebenso von der „Wohnungsfrage", und zu beiden vielleicht Noten erforderlich werden, würden Sie mich verbinden, wenn Sie mir ein Ex. von jedem (nach London) schicken wollten. Inl. zwei Zeilen für Ede zur gefl. Besorgung. Ihr F. Engels
4 „Einleitung zu Sgismund Borkheims Broschüre ,Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806-1807'"
272
Engels an Karl Kautsky in London'6181
Da Du mir schreibst, Du würdest mir Samstag Briefe etc. schicken, wollte ich Dir nur eben anzeigen, daß ich weder Samstag noch gestern noch heute, Montag, bis 7 p.m. etwas erhalten habe, ich hatte auf wenigstens den „Sfozialdemokrat]" gerechnet. Lfiebknecht] schreibt, er werde wohl im Lauf der Woche kommen18331, ich komme auf einen Tag nach dort, ihn zu holen, schreibe vorher. Gruß an Deine Frau von Nim und Deinem F.E. [Eastbourne] 23./8./86
273
Engels an Karl Kautsky in London
4, Cavendish Place Eastbourne, 24./8./8Ö
Lieber Kautsky, Deine Lawine Briefe heut morgen hat mich vollständig erdrückt, zerquetscht, zermalmt, versimpelt. Ich winde mich durch deren Beantwortung, wie es eben geht. Besten Dank! L[iebknecht] schreibt mir, er würde vielleicht schon morgen direkt nach London abreisen via Vlissingen - ich erwarte täglich ein paar Zeilen Bestimmteres, und sowie ich den Tag seiner Ankunft weiß, komme ich auf einen Tag herüber und hole ihn hieher ab. Den Esel16491 würde ich ihm nicht kaufen, auf dem Schiff kann er auch ohne Esel schreiben. Oder nimmt er sich vor, die ganze Zeit seekrank zu sein? Aber gegen die Seekrankheit ist bis jetzt kein Esel gewachsen. Am 12.-13. will der alte Genfer Becker1 in London bei mireinspringen.16501 Auf Mitte Sept. meldet sich Mutter Schack benebst den Wischnewetzkys für London an. Wenn dann Schorl[emmer] und Lafargues noch dazukommen - von Schorl[emmer] Postkarte aus Bellaggio, Corner See 16. Aug., erhalten -, dann wird's heiter. Wir bleiben hier bis 4. Sept.[632] - Samstag über 8 Tage. Nim und Pumpses grüßen Deine Frau und Dich bestens. Ditto Dein F. E.
1 Johann Philipp Becker
274
Engels an Laura Lafargue in Paris
4, Cavendisk-Place Eastbourne, 24.Ang. 86
Meine liebe Laura, Heut morgen Habe ich aus London Deinen Brief vom 20. zusammen mit einer ganzen Lawine anderer Briefe und Zeitungen erhalten - ich kann Dir daher heute nur den Scheck über £ 15 schicken. Der alte Becker1 schreibt, daßi er mit den van Kols um den 12. Sept. herum hier (in London) sein wird.16501 Gräfin Guillaume-Schack, die erst vor einem Monat hier war, schreibt, sie wird ungefähr am 15. Sept. benebst den Wischnewetzkys (er Russe, sie Yankee) hier sein. Liebknecht schreibt mir, er könne schon morgen nach London abreisen. Sowie er mich den Tag seiner Ankunft wissen läßt, werde ich nach London kommen, um Edward und Tussy vor ihrer Abfahrt'634' aufzusuchen und Lfiebknecht] für einige Tage herüberzuholen - wir fahren dann am 4. Sept.'6321 nach London zurück. Freut mich zu lesen, daß Vierzon'8511 wieder wie Decazeville ausgenutzt wird.2 Neulich kam eine Karte von Schorljemmer] aus Bellaggio, Corner See. Herzliche Grüße von Nim, den Pumpses und Deinem F. Engels
Aus dem Englischen.
275
Engels an Karl Kautsky in London
4, Cavendish Place Eastbourne, 25./8./8Ö
Lieber Baron, Dein Brief nach Offenbach kommt vollkommen rechtzeitig, da Liebknecht] erst am 26. abends von Borsdorf abreist, also 27. in Offenbach ist, und erst 29. mittags 1.40 von Köln abreist, wenn er über Vlissingen geht, wie er früher schrieb.16331 Ich komme also Sonntag1 abend nach London, zwischen 9 und 10, und sehe Euch hoffentlich noch den Abend. L[iebknecht] hat von mir die Aufforderung erhalten, sofort bei Ankunft per Cab2 zu mir zu fahren, was will er also mehr? Du wirst mich sehr verbinden, wenn Du am Freitag abend bei mir nachsiehst, ob Briefe, namentlich ein Brief von der Union Bank of London, da sind, und sie mir schickst, damit ich Samstag noch einiges Geschäftliche wo möglich erledigen kann. Besten Gruß. Dein F.E.
276
Engels an Karl Kautsky in London
Eastbourne, 26. Aug. 86
Lieber Kautsky, Liebk[necht] kommt Montag1 an der von Dir zu bestimmenden Station an - via Flushing Hat er Deinen Brief nicht erhalten, dann in Holborn. Braucht also keinen Rat. Wenn er niemand am Bahnhof findet, kommt er zu mir per Cab2.[633] Ich komme Samstag nachmittag, spätestens abend, in London an _ womöglich bin ich gegen 4-5 Uhr in Regent's Park Road. Sonntag habe ich Harney wahrscheinlich bei mir. Näheres mündlich. Sollte Freitag ein Brief von der Union Bank bei mir sein und Du könntest ihn vor 5.30 abschicken, so wäre es mir lieb, sonst laß ihn liegen, bis ich komme. Ebenso laß alles andre liegen, das hat Zeit. Besten Gruß an Deine Frau. Dein F.E.
277
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken16521
Die Übersetzung des „Kapital"1 erscheint bei W.Swan Sonnenschein, Lowrey & Co., Paternoster Square, London, und sind bereits 23 Bogen davon gedruckt und das ganze Ms. in des Druckers Hand. Leider habe ich den betr. Artikel'6531 nirgends finden können, sonst würde ich Dir wohl noch mehr Auskunft geben können. Liebkfnecht] wirst Du wohl schon vor Empfang ds. gesehn haben, er ging vorgestern per „Servia" 16331. Sobald ich das Dringendste beseitigt - noch diese Woche - schreibe ich ausführlich.
Dein F.E.
[London] 6./9./8Ö
1 die englische Übersetzung des ersten Bandes
278
Engels an F.H.Nestler & Melle's Verlag in Hamburg (Entwarf)
[London, 11. September 1886]
Geehrte Herren, Die in Ihrem Geehrten vom 9. er. enthaltne Insinuation18541 muß ich aufs entschiedenste zurückweisen. Selbst wenn Kautsky und durch ihn Dietz erst infolge des von Ihnen mir gemachten Antrags auf den Gedanken gekommen wären, eine ähnliche Sammlung Auszüge zu veranstalten, so könnten Sie sich nicht beklagen, da Ihre Postkarte vom 15.Mai mir mitteilte: „Wir müssen offen gestehen, daß wir unsere Idee ohne Sie nicht zur Ausführung bringen." Wo Sie zurücktreten, hatten jene unbedingt das Recht einzutreten. Und wie da irgendein Vorwurf mich treffen sollte, ist mir absolut unverständlich. Nun aber ist obige Voraussetzung nicht einmal richtig. Das Bedürfnis einer solchen Sammlung ist seit Jahren in sozialistischen Kreisen besprochen, ihre Ausführung oft mehr oder weniger vorbereitet worden. Speziell von Dietz weiß ich, daß er schon seit Begründung seines Geschäfts sich damit trug. Als ich mit Kautsky wegen Ihres Vorschlags sprach, war einer der Gründe seiner Ablehnung, daß er mit Dietz bereits wegen eines ganz ähnlichen Antrags in Briefwechsel stehe und er sich in dieser Beziehung Dietz gegenüber schon soweit gebunden habe, um jede derartig ähnliche Proposition von andrer Seite ablehnen zu müssen. Ich deutete dies, soweit ich durfte, in meiner Antwort an Sie1 an; mehr zu sagen war ich nicht berechtigt. In der Tat war die Sache damals schon so weit gediehen, daß Kautsky, als Sie an mich schrieben, bereits seit Wochen mit der Ausarbeitung der ersten Hefte (über Marx) beschäftigt war und also keines Impulses Ihrerseits bedurfte. Auch daß die Annonce von D[ietz] grade jetzt erscheint, ist keineswegs Folge Ihrer Mitteilung an mich, von der Dietz, soweit mir bekannt, nicht
einmal etwas weiß. Es ist lediglich Folge davon, daß Dietz infolge seiner Freiberger2 Verurteilung16351 sich genötigt sieht, eine Reihe von Unternehmungen so weit in Gang zu bringen, daß sie während seiner sechsmonatlichen Haft auch ohne seine Aufsicht fortgeführt werden können. Ich bin es im Geschäftsleben gewohnt worden, derartige übereilte, auf unvollständiger Information beruhende Vorwürfe zu hören. Es ist dies eine jener spießbürgerlichen deutschen Sitten, die es den Deutschen fast unmöglich metchen, in der Geschäftswelt eine wirklich großartige Rolle zu spielen. Ick muß aber gestehn, daß mich so etwas bei einer Firma von Ihrem Ruf einigermaßen wundert. Achtungsvoll
2 in der Handschrift: Freiburger
279
Engels an August Bebel in Borsdorf bei Leipzig
London, 13. Sept. 1886
Lieber Bebel, Was mich bei der ganzen bulgarischen und orientalischen Geschichte'4761 wundert, ist, daß die Russen erst jetzt dahintergekommen sind, daß sie, wie Marx schon 1870 der Internationalen mitteilte, durch die Annexion von Elsaß etc. zum Schiedsrichter Europas geworden.1 Die einzig mögliche Erklärung liegt darin, daß seit dem Krieg das preußische Landwehrsystem überall (in Rußland 1874) neu eingeführt worden, und dies 10-12 Jahre braucht, um eine entsprechend starke Armee zu züchten. Diese ist jetzt auch in Rußland und Frankreich vorhanden, also kann's jetzt losgehn. Und eben deshalb drückt die russische Armee, die den Kern des Panslawismus stellt, auch jetzt so heftig auf die Regierung, daß der Zar2 seine Abneigung gegen die französische Republik überwinden und entweder Allianz mit ihr oder Einwilligung Bismarcks in die russische Orientpolitik als die beiden einzig möglichen Fälle hinstellen muß. Für Bismarck und Wilhelm3 war die Alternative die: entweder Widerstand gegen Rußland, und dann die Aussicht auf russisch-französische Allianz und Weltkrieg, oder Gewißheit einer russischen Revolution durch Allianz von Panslawisten und Nihilisten; oder aber Nachgeben gegen Rußland, d.h. Verrat an Ostreich. Daß Bism[arck] und Wilhelm nicht anders handeln konnten, als sie gehandelt haben - scheint mir von ihrem Standpunkt aus klar, und der große Fortschritt ist eben der, daß die Unverträglichkeit der HohenzoIIerschen Interessen mit denen Deutschlands jetzt klar und überwältigend zutage tritt. Das Deutsche Reich wird in Lebensgefahr gebracht durch seine preußische Grundlage. Vorderhand wird die Geschichte wohl noch über den Winter hinüber überkleistert werden, aber den Panslawisten kommt der Appetit mit dem Essen, und eine so günstige Gelegenheit wie jetzt kommt ihnen nie wieder.
1 „Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg" (siehe Band 17 unserer Ausgabe, S.275) - 2 Alexander III. - 3 Wilhelm I.
Gelingt es den Russen, Bulgarien zu besetzen, dann gehn sie auch auf Konstantinopel los, falls nicht überwiegende Hindernisse - etwa eine deutsch-östreichisch-englische Allianz - Halt gebieten. Daher Bismarcks Notschrei nach aktiver antirussischer Politik Englands, den er jetzt im „Standard" fast täglich erschallen läßt, damit England den Weltkrieg verhüte. Jedenfalls spitzt sich der Gegensatz Ostreichs und Rußlands auf der Balkanhalbinsel so sehr zu, daß ein Krieg wahrscheinlicher wird als Erhaltung des Friedens. Und da hört das Lokalisieren des Kriegs auf. Was aber dabei herauskommt - wer Sieger bleibt, ist nicht zu sagen. Die deutsche Armee ist unbedingt die beste und bestgeführte, aber nur eine unter vielen. Die Östreicher sind unberechenbar, auch militärisch, sowohl der Zahl wie besonders der Führung nach, und haben immer verstanden, die besten Soldaten schlagen zu lassen. Die Russen täuschen sich wie immer über ihre auf dem Papier kolossalen Kräfte, sind in der Offensive äußerst schwach, in der Verteidigung des eignen Landes stark. Ihr schwächster Punkt ist außer der Oberleitung der Mangel an brauchbaren Offizieren für die enormen Massen, das Land erzeugt diese Zahl von gebildeten Leuten nicht. Die Türken sind die besten Soldaten, aber die Oberleitung ist immer miserabel, wo nicht verkauft. Die Franzosen endlich haben - da sie zu sehr politisch entwickelt sind, um eine Einrichtung wie die Einjährig-Freiwilligen ertragen zu können, und da der französische Bourgeois absolut unkriegerisch ist (persönlich) - auch Mangel an Offizieren. Bei allen außer den Deutschen endlich ist die neue Organisation noch nie auf die Probe gestellt. Diese Größen sind also - der Zahl wie der Qualität nach - sehr schwer zu berechnen. Von den Italienern ist sicher, daß sie bei gleicher Zahl von jeder andern Armee geschlagen werden. Wie aber sich diese verschiednen Größen im Weltkrieg zu- resp. gegeneinander gruppieren werden, ist ebenfalls unberechenbar. Das Gewicht Englands - sowohl seiner Flotte wie seiner enormen HüKsquellen, wird wachsen mit der Dauer des Kriegs, und wenn es seine Soldaten anfangs zurückhält, so kann schließlich ein englisches Korps von 60 000 Mann den Ausschlag geben. Alles das setzt voraus, daß im Innern der verschiednen Länder nichts geschieht. Nun kann aber in Frankreich ein Krieg die revolutionären Elemente ans Ruder bringen, in Deutschland eine Niederlage oder der Tod des Alten3 einen heftigen System Wechsel hervorrufen; das kann wieder andre Gruppierungen der Kriegführenden geben. Kurz, es gibt ein Chaos mit nur einem sichern Resultat: Massenmetzelei auf bisher unerhörter Stufe, Erschöpfung von ganz Europa in bisher unerhörtem Grad, schließlich Zusammenbruch des ganzen alten Systems.
Em direkter Erfolg für uns könnte nur durch eine Revolution in Frankreich herauskommen,-die den Franzosen die Rolle der Befreier des europäischen Proletariatsgäbe. Ich weiß nicht, ob dies das für letzteres günstigste wäre, es würde den idealen französischen Chauvinismus bis aufs Maßlose steigern. Ein Umschwung in Deutschland nach einer Niederlage würde mir helfen, wenn er zum Frieden mit Frankreich führte. Am günstigsten wäre eine russische Revolution, die aber nur nach sehr schweren Niederlagen der rassischen Armee; zu erwarten. Soviel-'ist sicher, der Krieg würde unsre Bewegung zunächst in ganz Europa zurückdrängen, in vielen Ländern total sprengen, den Chauvinismus und Nationalhaß schüren und uns sicher unter den vielen unsichern Möglichkeiten nur das bieten, daß nach dem Krieg wir wieder von vorn anzufangen hätten, aber auf einem unendlich günstigeren Boden als selbst beute. Ob's aber Krieg gibt oder nicht, soviel ist gewonnen, daß der deutsche Philister aus seinem Dusel aufgeschreckt ist und endlich wieder gezwungen wird, aktiv in die Politik einzugreifen. Da zwischen der sozialistischen Republik, die unsre erste Stufe sein wird, und dem heutigen preußischen Bonapartismus auf halbfeudaler Grundlage noch viele Mittelstufen durchzujagen sind, kann es uns nur dienen, daß der deutsche Bürger endlich einmal wieder gezwungen wird, politisch seine Schuldigkeit zu tun und dem jetzigen System Opposition zu machen, damit es doch wieder in etwas vorangeht. Und deswegen bin ich ungeheuer begierig auf die neue Reichstagssession. Da ich kein deutsches Blatt augenblicklich beziehe, würdest Du mir einen großen Gefallen tun durch Zusendung deutscher Blätter, von Zeit zu Zeit, mit Berichten über wichtige Sitzungen, namentlich über auswä&ige Politik. Liebkfnecht] erzählte auch viel von der-Entrüstung in Deutschland über Bismarcks Kniefall vor den Russen.[655) Er war mehrere Tage bei mir in Eastbourne an der See16321, sehr wohlgemut und wie immer „ging alles famos"; da die Herren vom rechten Flügel keine Stänkereien von Bedeutung mehr machen und haben klein beigeben müssen, so konnte Liebknecht] auch wieder ganz revolutionär sprechen und sich womöglich als den Allerentschiedensten aufspielen wollen. Ich habe ihn hinreichend merken lassen, daß ich über diese Geschichten mehr weiß, als er vielleicht wünscht, und da er ganz in dem rechten Gleise war, so war absolut kein Anlaß, anders als äußerst herzlich zu verkehren. Was er Dir über das zwischen ihm und mir Besprochene geschrieben, weiß ich nicht und bin also auch nicht dafür verantwortlich.
14. Sept. Wieder unterbrochen, muß ich machen, daß ich bis zur Abendpost fertig werde, damit Du den Brief Donnerstag morgen spätestens erhältst. Auch <ler ungarische Landtag tritt dieser Tage zusammen, da wird's an Verhandlungen über den Bulgarenkram nicht fehlen. Das günstigste für uns wäre ein friedliches oder kriegerisches Zurückdrängen Rußlands, dann wäre die Revolution dort fertig. Die Panslawisten würden dabei mitmache«, aber am nächsten Morgen über den Löffel barbiert sein. Es war dies ein Punkt, über den Marx sich immer mit -der größten Sicherheit aussprach -, und ich kenne niemand, der Rußland so gut verstand wie er, nach innen wie nach-außen: daß, sowie in Rußland das alte System gebrochen, einerlei durch wen, und eine Repräsentatiwersammlung zusammen, einerlei welche, es am Ende sei mit der russischen Eroberungspolitik, daß dann die inneren Fragen alles beherrschen würden. Und der Rückschlag auf Europa, wenn diese letzte Burg der Reaktion gebrochen, würde enorm sein; wir in Deutschland würden es zuerst merken. Liebkfnechtjs Schiff ist gestern morgen 3 Uhr in New York angekommen, Avelings ihres schon einige Tage früher.16331 Wenn es dort so heiß ist wie hier - ich habe 4 Uhr nachm. 25 Grad Celsius im Zimmer -, so wird ihnen das Paukenheiken einigen Schweiß kosten. In Frankreich wird gut fortgearbeitet. Das in Decazeville erprobte Agitationsschema wird jetzt in Vierzon bei dem dortigen Strike wiederholt.16611 Vaillant, der dort zu Hause, tritt-dortinden Vordergrund. In Paris arbeiten die Radikalen14601 für uns wie Bismarck in Deutschland. Sie sitzen tief in der Sauce mit BörsenschwindeJ-Gesellsehaften, und Clemenceau, der selbst das nicht nötig hat, hat sich do*& zu tief eingelassen mit dieser Sorte, als daß er sich ganz davon zurückhalten könnte. So wird der Riß zwischen ihm und den bisher radikalen Arbeitern immer tiefer, und was er verliert, gewinnen wir. Unsre Leute benehmen sich mit großem Geschick, ich bin erstaunt über die Disziplin, die die Franzosen an den Tag legen. Grade das fehlte ihnen, und das lernen sie jetzt, aber auf dem-Hintergrund einer durchaus revolutionären Überlieferung» die sich dort; von selbst versteht und von all den spießbürgerlichen Bedenken nichts weiß, in denen unsre Geisers und Vierecks festsitzen. Selbst mit der Listenabstinnming13981 werden wir das nächste Mal bedeutende Erfolge in Frankreich haben- Und eben weil alles so brillant geht, dort wie in Deutschland, und ein paar Jahre ungestörter innerer Entwicklung mit Hülfe der dabei unvermeidlichen Ereignisse uns so enorm voranhelfen müssen, eben deshalb kann ich einen Weltkrieg nicht grade wünschen - aber wa6 fragt die Geschichte danach? Sie geht ihren Gang, und wir müssen sie nehmen, wie sie kommt.
Eins könnt Ihr von den Franzosen lernen. Seit 50 Jahren gilt dort die Regel bei allen Revolutionären, daß der Angeklagte dem Untersuchungsrichter alle und jede Auskunft verweigert. Jener hat das Recht TU fragen, der Angeklagte das Recht, nicht zu antworten, sich und seine Genossen nicht selbst zu inkriminieren. Das-einmal allgemein angenommen, so sehr, daß jede Abweichung als halber Verrat gilt - ist von enormem Vorteil in allen Prozessen. Was man dann bei der öffentlichen Verhandlung sagen will, steht immer frei. Aber in der Voruntersuchung werden alle Protokolle so abgefaßt, daß sie die Aussagen des Angeklagten fälschen und man ihn durch allerlei Manöver zur Unterschrift breitschlägt. Überlegt Euch das einmal.
Dein F.E.
280
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 13. Sept. 1886
Meine liebe Laura, Da sind wir also wieder in London 16321 - und es ist immer und immer wieder das gleiche, allerlei verschiedene Arbeiten. Letzte Woche mußte ich einen deutschen Auszug von Kautsky aus dem „Kapital" durchsehen, und es war sehr viel daran zu tun.16371 Zwei weitere Ms. liegen in meinem Schreibtisch, und zwar schon seit über sechs Monaten. Hoffe, sie noch diese Woche zu erledigen. Zum Glück für mich gab es nur vereinzelt Korrekturbogen1, sonst hätte ich wenig von den Ferien gehabt.. Auf jeden Fall werde ich derartige Arbeiten jetzt völlig beiseite lassen, sonst komme ich überhaupt nicht mehr zu meiner Hauptaufgabe. Tussys und Edwards Schiff, die „City of Chicago", ist am 10. in New York angekommen, und Liebknechts, die „Servia", muß inzwischen auch dort sein, da es am 4. Sept. abfuhr. Sie werden eine harte Arbeit zu leisten haben, umherreisen und Pauken halten.16331 Liebkfnecht] war vier Tage mit uns in Eastbourne; er ist ziemlich dick und schleppt ein schönes Gewicht vor sich her, die Yankees werden ihn sicher um einiges erleichtern. Ansonsten war er sehr fröhlich und zuversichtlich wie immer: „alles geht famos"2. Ich schrieb Dir, daß ich um den 18. August eine Karte von Schorlfemmer] vom Corner See hatte3; seitdem habe ich nichts von ihm gehört. Jedenfalls wird er jetzt bald in Paris eintreffen, und er hat geschworen, Dich, und wenn möglich auch Paul, von dort nach London mit herüberzubringen. Ich hoffe von ganzem Herzen, daß es ihm gelingt; Nim macht sich schon Gedanken über die wenigen nötigen Vorbereitungen, die wirklich gar keine großen Anstrengungen erfordern werden. Pauls Prozeß wird ihn hoffentlich nicht am Kommen hindern16561, der alte Laden, wo er immer so gern Unterhosen zu 1 sh. 6 d. pro Paar kauft, ist noch da, falls ihn das lockt.
1 der englischen Übersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" - 2 in der Handschrift deutsch: „alles geht famos" - 3 siehe vorl. Band, S. 518
34 Marx/EngeU, Werke, Bd. 36
Und wenn er nicht weg kann, dann mußt Du Dir wenigstens etwas Ruhe gönnen und Deine alten Freunde in London wieder mal besuchen. Du weißt doch, was Meyer sagte: „wenn sie ins Zimmer kommt, ist es, als wenn die Sonne aufginge"4 - laß also die Sonne wieder einmal über London aufgehen! Nim hat sich in Eastbourne photographieren lassen, das Bild ist gut getroffen und auch bezahlt, vielleicht sind darum die Abzüge noch nicht geschickt worden. Danke bitte Paul für seinen Brief über die Weinherstellung - er bestätigte nicht nur, sondern vervollständigte auch das, was ich schon von anderer Seite gehört hatte. Es ist sehr beruhigend zu wissen, daß in diesen letzten Tagen der kapitalistischen Produktion die phylloxera5 den Chateau Lafitte, Lagrange und andere grands crus6 zunichte gemacht hat, da wir, die wir sie zu schätzen wissen, sie doch nicht bekommen und die Juden und die Parvenüs, die sie bekommen, sie nicht zu schätzen wissen. Da sie also keine Mission mehr zu erfüllen haben, mögen sie eben zugrunde gehen; unsere Nachkommen werden sie schnell erneuern, wenn sie für große Volksfeste gebraucht werden. Was Mohr 1870 in dem Zirkular an die Internationale7 sagte, daß durch die Annexion von Elsaß usw. Rußland zum arbitre de l'Europe8 geworden, wird jetzt endlich augenfällig, Bismarck hat völlig nachgeben müssen, was Rußland will, muß getan werden.16551 Der Traum vom Deutschen Reich, das Hüter des Friedens in Europa ist, ohne dessen Erlaubnis kein Kanonenschuß abgefeuert werden kann, ist zerstört, und der deutsche Philister sieht sich genauso als Sklave des Zaren, wie damals, als Preußen „das fünfte Rad am europäischen Wagen"9 war. Und nun fällt er über Bismarck her, der schließlich nur das tut, wozu er gezwungen wird. Die Wut ist groß in Deutschland, nicht nur unter den Philistern, sondern auch in der Armee. Liebk[necht] sagt, seit 1866 hätte es noch nie so eine Entrüstung gegen eine Handlung der Regierung gegeben. Aber dabei wird es nicht bleiben. Wenn der zweite Akt des Balkandramas beginnt, wird ein Krieg zwischen Rußland und Österreich ausbrechen und dann vogue la galere10 - wird ganz Europa in Flammen aufgehen. Es täte mir sehr leid - zweifellos würde es der letzte Krieg sein, und zweifellos muß auch das, wie alles andere, schließlich zu unseren Gunsten ausgehen. Aber es würde wahrscheinlich unseren Sieg
4in der Handschrift deutsch: „wenn sie ins Zimmer kommt, ist es, als wenn die Sonne aufginge" - 6 Reblaus - 6 erstklassige Weinsorten -7 „Zweite Adresse des Generalrats über den Peutsch-Französischen Krieg" - 8 Schiedsrichter Europas - 9 in der Handschrift deutsch: „das fünfteRad am europäischen Wagen" -l0 komme, was wolle
verzögern, und der andere Weg ist sicherer. Was das angeht, so gibt es allerdings kaum einen anderen Weg als den einer Revolution in Rußland, und solange Alexander11 der Führung der Panslawisten folgt, ist das ziemlich unwahrscheinlich. Tatsächlich war das entscheidende Argument von Giers gegen Bismarck: wir stehen zwischen Panslawisten und Nihilisten; wenn wir den Frieden halten, werden sie sich vereinigen und die Palastrevolution wird ein fait accompli sein - folglich müssen wir gegen Konstantinopel gehen, und das wird für euch, Bismarck und Wilhelm12, von geringerem Schaden sein als eine russische Revolution. Dieser Winter wird die Dinge entscheiden, deshalb bin ich verpflichtet, den 3. Band13 bis zum kommenden Frühjahr fertigzubekommen. Hatte mehrere Besuche von Bax und kürzlich einen von Morris - Bax sieht jetzt die Sackgasse, in die er sich hineinmanövriert hat, und möchte gern heraus, wenn es ohne direkten Widerruf ginge, und zweifellos wird er irgendeinen Ausweg finden. Morris ist ein ausgemachter Gefühlssozialist; man könnte ihn leicht zurechtbiegen, wenn man ihn regelmäßig zweimal in der Woche sehen würde, aber wer hat die Zeit dazu? Und wenn man ihn einen Monat lang sich selbst überläßt, wird er sich bestimmt wieder verlieren. Und selbst wenn man die Zeit dazu hätte, ist er all der Mühe wert? Indes festigt Hyndman seine Position immer mehr, weil er ein bestimmtes Programm und eine bestimmte Linie der politischen Aktion hat -, Morris aber scheint gegen beides zu sein, sein Ideal ist ein Debattierklub, in dem alle Schattierungen vertreten sind. In dieser ganzen Konfusion erwarte ich die grundsätzliche Hilfe von der englischen Ausgabe des „Kapitals"14. 23 Bogen sind gedruckt und korrigiert, aber irgend etwas stimmt nicht mit der Druckerei, ich bekomme keine neuen Bogen und kann auch nichts erfahren, da Sonnenschein auf Urlaub ist und niemand mir sagen kann oder will, wo der Haken ist. Herrliches Wetter heute - hoffentlich hält es bis zu Deinem Kommen an. In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
11 Alexander III. -la Wilhelm I. -13 des „Kapitals" -11 des ersten Bandes
34*
281
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 16. Sept. 1886
Lieber Sorge, Ich mache mir gewaltsam ein Stündchen frei, um Dir zu schreiben. Nachdem die (dreifache) Korrektur der „Kapital"-Übersetzung1 mich wochenlang so weit im Atem gehalten, daß ich an anderm gehindert war, kommt sie jetzt faustdick. 6 Bogen die Woche (d. h. 18 Bogen zu korrigieren per Woche) sollen geliefert und in 4 Wochen alles fertig sein. Wollen's abwarten. Gibt aber eine lebhafte Zeit für mich, da ohnehin morgen der alte Becker2 von Genf mich besuchen kommt, nächste Woche Schorlemmer und wahrscheinlich Lafargues, und außerdem noch andre Leute von der Schweiz hieher kommen wollen. Wenn ich da heut keinen Brief fertigbringe, so weiß ich, nachher geht's nicht mehr. Besten Dank für Deine Bemühungen wegen dem Interviewer3.16313 Es war der letzte. Jetzt, mit dem Ehrenwortsbruch, habe ich einen Grund, sie abstinken zu lassen, falls wir nicht selbst ein Interesse haben, einem solchen Lügner etwas aufzubinden. Du hast recht, im ganzen kann ich mich nicht beklagen, der Mann sucht wenigstens persönlich anständig zu sein, und für seine Dummheit kann nicht er, sondern nur die amerikanische Bourgeoisie. In New York scheint eine schöne Bande an der Spitze der Partei'5791 zu stehn, der ,,Soz[ialist]" ist ein Musterblatt, wie es nicht sein soll. Ich kann aber auch Dietzgen wegen seines Anarchistenartikels16571 nicht die Stange halten, er hat eine eigentümliche Manier zu verfahren. Wenn einer eine vielleicht etwas engherzige Meinung hat über einen bestimmten Punkt, dann weiß D[ietzgen] nicht genug und oft zuviel hervorzuheben, daß das Ding seine zwei Seiten hat. Aber jetzt, weil die New-Yorker sich erbärmlich benehmen, stellt er sich plötzlich auf die andre Seite und will uns alle als Anarchisten darstellen. Der Moment mag das entschuldigen, aber er sollte doch auch im entscheidenden Moment nicht seine ganze Dialektik
1 der englischen Übersetzung des erstenBandes - 2 Johann Philipp Becker - 3 John T. McEnnis
vergessen. Indes hat er das wohl längst wieder ausgeschwitzt, er ist sicher schon wieder im richtigen Gleise, davor ist mir nicht bange. In einem so naturwüchsigen Land wie Amerika, das ohne alle feudale Vergangenheit rein bürgerlich sich entwickelt hat, dabei aber einen ganzen Haufen aus der Feudalzeit überkommne Ideologie unbesehn mit aus England übernommen, als da ist englisches gemeines Recht, Religion, Sektentum, und wo die Notdurft des praktischen Arbeitens und Kapitalkonzentrierens eine allgemeine, erst jetzt in den gebildetsten Gelehrtenschichten abkommende Verachtung aller Theorie erzeugt hat - in einem solchen Land müssen die Leute über ihre eignen gesellschaftlichen Interessen dadurch ins klare kommen, daß sie Böcke über Böcke machen. Das wird auch den Arbeitern nicht erspart bleiben, die Konfusion der Trades Unions, Sozialisten, Knights of Labor16421 usw. wird noch einige Zeit vorangehn, und erst durch Schaden werden sie klug werden. Aber die Hauptsache ist, daß sie in Bewegung gekommen sind, daß es überhaupt vorangeht, daß der Bann gebrochen ist, und rasch wird's auch gehn, rascher als irgendwo anders, wenn auch auf einem aparten, vom theoretischen Standpunkt aus fast verrückt erscheinenden Weg. Dein Brief kam zu spät, als daß ich Aveling noch wegen Brooks16581 sprechen konnte - ich sah ihn, Av[eling], nur noch ein paar Stunden 30. Aug. und hatte Deinen Brief in Eastbourne gelassen. Jedenfalls hast Du ihn seitdem in New York gesehn, ebenso Liebkjnecht]. Dein Adolph4 scheint ja die Partnership mit dem Agenten in Rochester schon wieder gelöst zu' haben, ich hoffe, er hat sich dabei nicht die Finger verbrannt, wie das bei solchen Sachen dem Besten passieren kann. Ich schicke Dir dieser Tage die fehlenden „To-Days", soweit ich sie selbst erhalten, und „Commonweals". Sie direkt zubeziehn, ist unmöglich. Französische Blätter werde ich Dir schicken, wenn ich selbst welche von Paris erhalte, von Eastbourne schickte ich einiges. Den „Socialiste" solltest Du dort doch erhalten können, Redaktion und Administration ist 17, rue du Croissant, Paris, das Blatt ist wöchentlich. Abonnement etranger5 4 fr. halbjährlich, inkl. Porto. Ich selbst erhalte es sehr unregelmäßig, muß oft schreiben, muß es aber aufheben wegen Reference6. Auch schick' ich Dir einige überflüssige Korrekturbogen der „KapitalÜbersetzung, damit Du siehst, daß es vorangeht, und wie das Ding aussieht. Ich hoffe, mit Deiner Gesundheit bessert es sich, ich bin scheinbar noch rüstig genug, aber habe doch seit 3 Jahren wegen eines innern Fehlers ab
4 Adolph Sorge jun. - 5 Auslandsabonnement - 6 Nachschlagens
und zu sehr, und immer etwas beschränkte Beweglichkeit, so daß ich leider nicht mehr kriegsdienstfähig bin. Ich muß vor allen Dingen, sobald die Übersetzung fertig, die mir aufgedrängten Nebenarbeiten - Revision der Arbeiten andrer, namentlich Übersetzungen - abschütteln und mir keine neuen oktroyieren lassen, damit ich wieder an den 3. Band7 komme. Fertig diktiert liegt er da, aber es stecken noch reichlich 6 Monat harte Arbeit drin. Diese verdammte englische Übersetzung hat mich fast ein Jahr gekostet. Aber das war absolut notwendig und reut mich auch nicht.
17. Sept. Die Druckbogen gingen gestern ab, die „Commonweals" bis 18.Sept. folgen heute. „To-Days" muß ich erst wieder zusammensuchen. Hier bleibt die Bewegung einerseits in den Händen von Abenteurern (Democratic Federation13131), andrerseits von Marottenjägern und Gefühlssozialisten (Socialist League13671), die Massen stehn noch fern, obwohl ein Anfang von Bewegung sich auch da merklich macht. Es wird aber noch einige Zeit dauern, bis die Massen in Fluß kommen, und das ist gut, damit Zeit bleibt, worin ordentliche Führer sich entwickeln können. - In Deutschland wird endlich wohl einmal wieder etwas Bewegung in die Bourgeoisie kommen, deren feige Stagnation uns schädlich wird; einerseits wird der baldige Thronwechsel alles ins Schwanken bringen, andrerseits rüttelt Bismarcks Kniefall vor dem Zar8 auch die schläfrigsten Duselmeier auf.16651 In Frankreich geht's vortrefflich. Die Leute lernen Disziplin, in den Provinzen an den Strikes, in Paris an der Opposition gegen die Radikalen14601. Beste Grüße. Dein F.E.
' des „Kapitals" - 8 Alexander III.
282
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
[Ich da]Tnke Ihnen für die große Geduld, die Sie [mir gege]1nüber in Beziehung auf Ihr Manuskript2 [beweisen]1. Sobald die englische Übersetzung des „Kapital" fertig ist - ich hoffe im Oktober -, wird Ihr Ms. das erste sein, das ich in die Hand nehme. Den „Kalender" habe ich gefunden und werde die fehlende Stelle ergänzen.3 Aufrichtigst Ihr F.E. [London] 17./9./86
1 Papier beschädigt - 2 die italienische Übersetzung von Karl Marx' „Lohnarbeit und Kapital" - 3 siehe vorl. Band, S. 457
283
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 24. Sept. 1886
Meine liebe Laura, Vermutlich sitzt Du jetzt gerade in der Gerichtsverhandlung und verfolgst Pauls Prozeß; hoffentlich endet er mit einem Freispruch.16561 Inzwischen habe ich eine angenehme Nachricht für Dich. Meißner schickt heute früh die Abrechnung über den Verkauf in der letzten Zeit, und das Ergebnis ist ein Gewinn von 2600 Mark oder ungefähr 130 £ für uns, alle Ausgaben für den zweiten Band1 schon abgezogen. Dein Anteil wird sich also auf über £ 40 belaufen. Ich habe ihn gebeten, das Geld zu überweisen, und sobald ich es erhalten habe, werde ich Dir einen Scheck auf Deinen Anteil schicken. Von Bd. I sind 320 Exemplare, von Bd. II 1260 Exemplare verkauft worden. Die englische Ausgabe2 wird kaum vor dem neuen Jahr herauskommen. Es sieht aus, als habe Sonnenschein dringendere Sachen in Arbeit, und zwar bei der gleichen Druckerei, die unser Buch zurückgestellt hat. Die Sache geht zwar voran, aber ziemlich langsam. Von Tussy habe ich einen Brief bekommen, den sie nach ihrer Ankunft in New York geschrieben hat16341; sie hatte eine sehr angenehme Überfahrt, war aber ziemlich enttäuscht von dem amerikanischen Bourgeois, dem sie, wie er leibt und lebt, an Bord begegnete; das hat ihre Begeisterung für Amerika ziemlich gedämpft, sie aber auf die Realität des amerikanischen Lebens vorbereitet. Die letzte Woche verbrachte ich zusammen mit dem alten Becker3; er ist sehr lustig, wird aber schon recht wacklig auf den Beinen. Nächsten Dienstag4 will er nach Paris fahren und hofft Dich dort zu sehen.16591 Er sendet Dir einen ganzen Strauß herzlicher Grüße. Er ist ein prachtvoller alter Bursche, achtundsiebzig Jahre und vollständig auf der Höhe der Bewegung.
1 des „Kapitals" -a des ersten Bandes des „Kapitals" -3 Johann Philipp Becker -4 28. September
Von Schorlemmer nichts Neues gehört. Wie steht es mit Deiner Reise nach London? Falls Du Dich noch nicht entschieden hast, wirst Du es wahrscheinlich nach dem heutigen Urteilsspruch tun. Aber selbst wenn man Paul wieder nach Pelagie schickt, wird das nicht gleich sein; sie werden ihm sicher noch einige Wochen Zeit lassen, so daß Ihr beide noch ein Weilchen herkommen könnt. Wie immer in Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
284
Engels an Natalie Liebknecht in Borsdorf bei Leipzig
London, 122, Regent's Park Road 25. Sept. 1886
Liebe Frau Liebknecht, Im Auftrag Liebknechts sende ich Ihnen hiermit eine Reichsbanknote über 100 Mark Nr. 1236179d, Berlin, 3. Sept. 1883, die er bei seiner Abreise bei mir zurückließ. Er ließ mich außerdem hoffen, daß Sie vielleicht im Dezember hieher kommen und ihn bei mir in Empfang nehmen würden.1 Es würde uns alle sehr freuen, wenn sich dies verwirklichte und Sie dann bei mir vorliebnehmen und mein Haus wie das Ihrige ansehn wollten. Soweit wir bis jetzt gehört, ist die Reise unsrer Freunde sehr erfolgreich.[633] Mit aufrichtigem Gruß an Sie und die Kinder Ihr ergebner F. Engels
285
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 2. Okt. 86
Meine liebe Laura, Um mit dem Anfang anzufangen: inliegend ein Scheck auf £ 42.13.4, die den dritten Teil von Meißners Überweisung von £ 128 ausmachen. Du wirst ihn hoffentlich erhalten und ohne weiteres ausgezahlt bekommen. Schade, daß Du gerade jetzt nicht kommen kannst, solange das Wetter schön ist, solltest Du allerdings ausgesprochenes Heimweh nach dem Londoner Nebel und unserem schönen Winter haben, so kann Dir auch dieser Wunsch erfüllt werden. Nim ist bereit, Dich jederzeit aufzunehmen, zu Weihnachten oder sonstwann, und wenn wir zur gleichen Zeit noch andere Gäste haben, so übernimmt sie es, auch diese unterzubringen. Das ist also abgemacht, und wir werden diesmal nicht enttäuscht werden. Ich schicke Dir außerdem 2 „Volkszeitungen"1, die ich Dich bitte zurückzuschicken, weil sie Edward gehören und er damit rechnen wird, sie bei seiner Rückkehr16341 hier vorzufinden (während seiner Abwesenheit werden seine Zeitungen usw. an mich geschickt). Du wirst aus ihnen ersehen, daß la republique cosaque2 - Möhrs Lösung für Napoleons Dilemma: ou republicaine ou cosaque3 - in New York ebenso floriert wie in Paris. Sie haben Glück, daß der erste Versuch zur Einschüchterung so bald kam und so ungeschickt gemacht war. Ich fürchte, Paul überschätzt die Bedeutung des Pariser Urteils, wenn er es für ein Symptom der Zugänglichkeit der industriellen Bourgeoisie für sozialistische Ideen hält.16601 Der Kampf zwischen Wucherer und industriellem Kapitalisten ist ein Kampf innerhalb der Bourgeoisie selbst - und wenn auch ohne Zweifel eine gewisse Anzahl Kleinbürger zu uns herübergetrieben werden wird, weil sie ihrer nahe bevorstehenden Enteignung de la part des boursiers4 gewiß sind, so können wir doch niemals hoffen, die Masse der Kleinbürger auf unsere Seite zu bekommen. Ganz abgesehen
1 „New Yorker Volkszeitung" - 2 die kosikische Republik - 3 entweder republikanisch oder kosakisch (siehe Band 8 unserer Ausgabe, S. 195) - 4 durch die Börsianer
davon wäre das auch gar nicht zu wünschen, da sie ihre bornierten Klassenvorurteile mitbringen. In Deutschland haben wir zu viele von ihnen, und gerade sie sind der Ballast, der den Vormarsch der Partei hemmt. Es wird immer das Los des Kleinbürgers sein - in seiner Masse gesehen -, unentschieden zwischen den zwei großen Klassen zu treiben, wobei ein Teil durch die Zentralisation des Kapitals und der andere durch den Sieg des Proletariats erdrückt wird. Am entscheidenden Tage werden sie wie gewöhnlich schwankend, unschlüssig und hilflos sein, se laisseront faire®, und das ist alles, was wir wollen. Selbst wenn sie sich zu unseren Anschauungen bekennen, werden sie sagen: natürlich ist der Kommunismus die endgültige Lösung, aber es dauert noch lange, vielleicht 100 Jahre, bis er verwirklicht werden kann - mit anderen Worten: wir beabsichtigen nicht, für seine Verwirklichung zu arbeiten, weder zu unseren noch zu unserer Kinder Lebzeiten. Das ist jedenfalls unsere Erfahrung in Deutschland. Andererseits ist das Urteil ein großer Sieg und bedeutet einen entscheidenden Schritt vorwärts. Die Bourgeoisie wird von dem Augenblick an, da ihr ein bewußtes und organisiertes Proletariat entgegentritt, in hoffnungslose Widersprüche verstrickt zwischen ihren liberalen und allgemein demokratischen Bestrebungen hier und den Unterdrückungsmaßnahmen in ihrem Verteidigungskampf gegen das Proletariat dort. Eine feige Bourgeoisie, wie die deutsche und die russische, opfert ihre allgemeinen Klassenbestrebungen den augenblicklichen Vorteilen brutaler Unterdrückung. Aber eine Bourgeoisie mit eigener revolutionärer Geschichte, wie die englische und besonders die französische, kann das nicht ohne weiteres tun. Daher der Kampf innerhalb der Bourgeoisie, der sie, trotz gelegentlicher Ausbrüche von Gewalt und Unterdrückung, im ganzen gesehen vorwärtstreibt - man denke an die verschiedenen Wahlreformen Gladstones in England und an das Vordringen des Radikalismus in Frankreich. Dies Urteil ist eine neue etape. Und so macht die Bourgeoisie durch ihre eigene Arbeit auch unsere mit. Aber jetzt muß ich schließen. Ich möchte diesen Brief eingeschrieben schicken und muß noch mit der ersten Post an Tussy schreiben.
In Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
G die Ereignisse ihren Lauf nehmen lassen
286
Engels ein August Bebel in Plauen bei Dresden
... n , , London, 8. Okt. 1886 Lieber Bebel, Der Grund, warum ich Dir heute schreibe, liegt in meinen Unterhaltungen mit dem alten Joh. Phil. Becker, der mich hier auf 10 Tage besucht hat und jetzt wohl wieder über Paris (wo er seine Tochter unerwartet gestorben fand!) nach Genf zurückgekehrt sein wird.'6691 Es hat mir große Freude gemacht, den alten Hünen, wenn auch körperlich gealtert, doch immer noch lustig und kampflustig noch einmal wiederzusehn. Er ist eine Gestalt aus unsrer rheinfränkischen Heldensage, wie sie im Nibelungenlied verkörpert - Volker der Fiedeler wie er leibt und lebt. Ich hatte ihn schon seit Jahren aufgefordert, seine Erinnerungen und Erlebnisse niederzuschreiben1, und nun sagte er mir, auch von Dir und andern dazu ermuntert worden zu sein, er selbst habe große Lust dazu, auch schon manchmal angefangen, aber bei fragmentarischer Veröffentlichung auf wenig wirkliche Aufmunterung gestoßen (so bei der „Neuen Welt", der er vor Jahren einige ganz prächtige Sachen'526' geschickt, die aber nicht „novellistisch" genug gefunden wurden, wie ihm Liebk[necht] durch Motteier schreiben ließ). Was ihn aber mehr daran hinderte, war die Notwendigkeit, für seinen Unterhalt zu arbeiten und mit einer Wiener Korrespondenz 25 fr. die Woche zu verdienen.'6611 Dazu muß er eine Masse Zeitungen und Zeitschriften lesen, und da er seit seiner Pariser ErfinderExplosion schwache Augen hat'6621, ist dies allein mehr, als er leisten kann. Ich habe ihm nun versprochen, in dieser Sache zunächst an Dich und Ede zu schreiben. Mir scheint, daß die Partei verpflichtet ist, sobald ihre Mittel es erlauben-und das tun sie jetzt, nach dem, was mir Liebk[necht] gesagt und was ich von Zürich höre diesen alten Veteranen wenigstens teilweise auf ihren Pensionsfonds zu übernehmen und nicht zuzugeben, daß er sich wegen 25 fr. wöchentlich die Augen blindarbeitet. Nun erhält Becker von van Kol 25 fr. monatlich, von einem Baseler Freund ebensoviel, und ich
habe mich verpflichtet, ihm vierteljährlich 5 Pfd. = 125 fr. zu schicken, macht zusammen jährlich 1100 fr. Ich kann mich in den Zahlen der beiden Leute irren, vielleicht sind es nur 20 fr., dann würde die Gesamtsumme 980 fr. sein. Der noch nötige Zuschuß der Partei würde also nicht sehr bedeutend sein und würde auch wohl leicht durch eine Privatsubskription aufzubringen sein, so daß die Parteikasse nur Vermittlerin der Zahlung bliebe. Wieviel der Zuschuß noch betragen müßte, könnte Ede mit dem Alten selbst am besten feststellen. Wäre dies abgemacht, so hätte er Zeit, seine für die Geschichte der revolutionären Bewegung in Deutschland, also für die Vorgeschichte unsrer Partei, und teilweise seit 1860 auch für die Parteigeschichte selbst, höchst wichtigen Denkwürdigkeiten aufzuschreiben resp. zu diktieren und so der Volksbuchhandlung2 einen höchst wertvollen Verlags- und Vertriebsartikel zu liefern. Ich halte diese Arbeit für sehr nötig, da mit dem alten Becker sonst eine ganze Masse des wertvollsten geschichtlichen Materials in die Grube fährt, oder im besten Fall diese Dinge nur von unsern ganzen und halben Gegnern, Vulgärdemokraten usw., aufbewahrt und dargestellt werden. Dabei hat der Alte eine ganz bedeutende politische und militärische Rolle gespielt. In der Kampagne 1849 war er der einzige wirklich aus dem Volk herausgewachsene Führer und hat mit seiner in der Schweizer Armee gelernten hausbackenen und hanebüchenen Strategie und Taktik mehr geleistet als alle die badischen und preußischen Offiziere dort, und dabei politisch ganz den richtigen Weg eingehalten. Er ist übrigens ein geborner Volksheerführer, von merkwürdiger Geistesgegenwart und mit einem seltnen Geschick, junge Truppen zu behandeln. Ich wollte eigentlich erst an Ede wegen der buchhändlerischen Seite der Sache schreiben, weil ich nach Empfang seiner Antwort über manches positiver hätte sprechen können, aber das verdammte Freiberger Urteil16351 kann jeden Augenblick einen Strich durch die Rechnung machen, und so wende ich mich gleich an Dich. Interessierst Du Dich für die Sache, so sage mir, an wen ich mich während Deiner Pensionierung zu halten habe, um die Sache weiterzuführen - gegen Liebk[necht] hat der Alte einiges Mißtrauen, und ich halte ihn auch nicht für den rechten Mann, wenn ich auch bei seiner Rückkehr mit ihm darüber sprechen werde; aber schon weil er fort, müßte ein andrer die Geschichte jetzt schon in die Hand nehmen. Jetzt muß ich schließen, wenn der Brief noch fort soll. Daß das Urteil mich um Deinen Besuch und Dich um eine Reise nach Paris gebracht,
2 in Zürich
verzeih' ich den Richtern nicht. Indes kommst Du vielleicht nächsten Sommer vor den Wahlen her, gehst mit an die See, Dich für die Kampagne zu stärken. Kann man so oder so mit Dir im Gefängnis in einiger Verbindung bleiben? Liebk[necht] und Avelings sind von der englisch-amerikanischen Presse ziemlich, ja unerwartet anständig aufgenommen worden.16331 Beste Grüße. Dein F.E.
287
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 9. Okt. 1886
Lieber Ede, Nachdem ich mit einiger Verwunderung Deine 3 Seiten gründlicher Erwägungen durchgelesen - Verwunderung darüber, wo das eigentlich hinaus sollte mußte ich laut auflachen, als ich endlich an des Pudels Kern kam, daß das alles Deine Heirat erklären sollte, die doch absolut keiner Erklärung bedarf.16631 Wenn alle Proletarier so bedenklich wären, so würde das Proletariat aussterben oder sich nur durch uneheliche Kinder fortpflanzen, und zu letzterem Modus werden wir doch wohl erst en masse kommen, wenn es kein Proletariat mehr gibt. Also ich gratuliere Dir von Herzen, daß Du Dich endlich über die schweren Bedenken hinweggesetzt und dem Drang Deines Herzens freien Lauf gelassen hast. Du wirst finden, auch im Pech lebt sich's zu zweien besser als allein, ich hab's lang genug probiert, und stellenweise unter sehr pauvren Verhältnissen, und es nie bereut. Also empfiehl mich Deiner Braut1 bestens und spring bald mit beiden Füßen in den Thalamus2. Es ist aber schon vier Uhr und der Brief muß vor 5.30 fort, also jetzt zu den Geschäften. Der alte Becker war hier16591, und wir haben viel über die Notwendigkeit gesprochen, daß er seine Erinnerungen und Erlebnisse aufschreibt. Ich habe ihn oft dazu aufgefordert und, wie er sagt, andre auch, aber wie soll er's machen? Um zu leben, schreibt er für 25 fr. die Woche an die Schneebergersche „Korrespondenz" in Wien16611 und muß dflzu mühsam das Material zusammensuchen. Das erschöpft seine Kräfte und seine schwachen Augen so, daß er weiter nichts tun kann.[662i Er müßte also vor allem so gestellt werden, daß er leben könnte, und alle seine Zeit dafür frei haben. Nun gibt ihm van Kol, wenn ich mich recht erinnere, fr. 25 den Monat. Ein andrer Freund dieselbe Summe. Macht 600 fr. im Jahr. Ich habe mich verpflichtet, ihm £ 5 = fr. 125 vierteljährlich zu schicken. Macht in allem
1 Regina Schattner - 2 das Ehebett
fr. 1100. Den Rest zu liefern ist meines Erachtens die Partei schuldig, sobald sie die Mittel hat, und nach dem, was Liebknecht mir sagte, hat sie diese. Sie wäre eigentlich sogar verpflichtet, den alten Veteranen ganz auf ihren Pensiönsfonds zu übernehmen. Aber ich meine, es kann wenig Mühe machen, die paar hundert fr., die noch nötig sind, von gutgestellten Parteigenossen aufzubringen, so daß die Partei nur Vermittlerin der regelmäßigen Zahlung wäre. Die Memoiren selbst wären ein höchst wertvoller Verlagsartikel der Volksbuchhandlung3, eine neue Quelle für die Vorgeschichte (die revolutionäre Bewegung von 1827-60) und die Geschichte von den 50er Jahren bis jetzt) unsrer Partei, ein Dokument, das kein wirklicher Geschichtsschreiber übersehn dürfte. Und dabei - nach den in der ,,N[euen] Welt" vor Jahren gegebnen Proben15251 - prächtig lebendig dargestellt, echte Volkslektüre. Und je eher er sich dransetzt, desto besser, denn wenn einer schon 77 Jahre auf dem Puckel hat, so nimmt die Geschwätzigkeit manchmal etwas mehr zu als das Urteil über Wichtiges und Unwichtiges - das ist der Lauf der Natur. Ich habe gestern darüber an August geschrieben, ich wollte erst vorher an Dich schreiben, um zu hören, was Ihr an der Verlagsquelle davon haltet; aber da er bald ins Kachot mußt635], war keine Zeit zu verlieren. Ich halte die Sache selbst für sehr wichtig. Die Darstellung dieser Verhältnisse von einem Mithandelnden, und zwar dem einzigen aus den dreißiger Jahren, der auf unserm Standpunkt steht, ist absolut notwendig, gibt die ganze Zeit von [18]27—40 in einem neuen Licht, und wenn B[ecker] sie nicht gibt, ist sie total verloren. Oder aber, sie wird von Leuten übernommen, die uns feindlich sind, Volksparteilern und andern Vulgärdemokraten, und damit ist uns nicht gedient. Es ist eine Gelegenheit, die sich nie wieder bietet, und die fahrenzulassen ich für ein Verbrechen hielte. Ich habe August geschrieben, das Nähere sowohl über den zu zahlenden Zuschuß wie über die Verlagsmodalitäten wäre wohl am besten _ wenn es soweit ist - persönlich durch Dich mit B[ecker] abzumachen. Und dabei wäre noch ein Punkt, den ich vorderhand bei August zu berühren noch nicht für nötig hielt, nämlich der: daß der Zuschuß einfach als Pension angesehen werde, nicht als Abschlagszahlung auf das Honorar. Letzteres dürfte von einigen „Führern" verlangt werden, wäre aber durchaus schäbig gegenüber dem alten Kriegsmann. Deswegen schlug ich auch vor, soviel wie möglich von dem Zuschuß durch Privatzeichnung aufzubringen, dann fällt diese Zumutung von selbst weg.
3 in Zürich
35 Marx/Engels, Werke, Bd. 36
Sollte die Sache in Ordnung kommen und Du mit B[ecker] wegen des Verlags verhandeln, so darfst Du Dich nicht von seinen Vorstellungen über Vertrieb usw., Prospektus etc. beeinflussen lassen. Er lebt noch ganz in den Vorstellungen der 40er Jahre über Vertrieb verbotner Bücher und hat keine Vorstellungen, wie wir das jetzt in eine große Industrie verwandelt haben. Also überleg Dir die Sache, und laß mich Deine Meinung wissen. Die Bulgaren benehmen sich in der Tat bis jetzt unerwartet gut, und wenn sie noch 8-10 Teige aushalten, sind sie entweder durch, oder die Russen können nur gegen sie vorgehn auf Gefahr eines europäischen Kriegs.16641 Das verdanken sie dem Umstand, daß sie so lange unter den Türken standen, die ihre alten Reste von Gentilinstitutionen ruhig konserviert haben und nur dem aufkommenden Bürgertum - durch Brandschatzung der Paschas - hinderlich waren. Die Serben dagegen, die seit 80 Jahren frei von den Türken, haben ihre alten Gentilinstitutionen durch eine östreichisch geschulte Bürokratie und Gesetzgebung ruiniert und deswegen von den Bulgaren unvermeidlich Prügel bekommen. Gib den Bulgaren 60 Jahre bürgerlicher Entwicklung - wo sie doch es zu nichts bringen - und bürokratischer Regierung, und sie sind ebenso im Arsch wie jetzt die Serben. Für die Bulgaren wie für uns wäre es unendlich besser gewesen, wenn sie türkisch geblieben bis zur europäischen Revolution; die Gentilinstitutionen hätten einen famosen Anknüpfungspunkt gegeben zur Fortentwicklung in den Kommunismus, ganz wie der russische Mir4, der uns jetzt auch vor der Nase kaputtgemacht wird. Wie die Sachen jetzt liegen, ist meine Ansicht die: 1. Die Südslawen unterstützen, wenn und solange sie gegen Rußland gehn, dann gehn sie mit der europäischen revolutionären Bewegung. 2. Gehn sie aber gegen die Türken, d.h., verlangen sie a tout prix.die Annexierung der wenigen jetzt noch türkischen Serben und Bulgaren, so tun sie bewußt oder unbewußt das Werk Rußlands, und da können wir nicht mit. Dies kann nur erreicht werden auf Gefahr eines europäischen Kriegs, und das ist die Sache nicht wert, die Herren müssen eben warten ebensogut wie die Elsässer und Lothringer, die Trientiner usw. Außerdem würde jeder neue Angriff gegen die Türken - unter jetzigen Verhältnissen - nur dazu führen, daß die siegreichen kleinen Natiönchen - siegreich könnten sie aber nur durch die Russen werden - entweder direkt unter russisches Joch kämen oder - vgl. die Sprachenkarte der Halbinsel - einander unrettbar in die Haare gerieten.
4 die Dorfgemeinde
3. Sobald aber in Rußland die Revolution losbricht, können die Herren machen, was sie wollen. Dann werden sie aber auch sehn, daß sie mit den Türken nicht fertig werden. Postschluß. Dein F.E.
288
Engels an Eduard Bernstein in Zürich
London, 22. Okt. 86
Lieber Ede, Hiermit die Anzeige, daß unser Freund Beifort Bax Euch Ende des Monats wahrscheinlich besuchen wird. Er ist ein durchaus braver Kerl, sehr gelehrt, namentlich in deutscher Philosophie, spricht deutsch, ist aber in allen politischen Dingen von einer kindlichen Unerfahrenheit, die einen zur Verzweiflung bringen kann und sich auch in der „Commonweal" sehr geltend macht. Aber er und Aveling sind unter den „Jebildeten" hier die einzigen, denen es nicht nur Ernst mit der Sache ist, sondern die auch was studieren. K[autsky] wird Dir die juristischen Details, wegen dem Heiraten hier, mitgeteilt haben, ich hoffe, es läßt sich machen. Wegen Becker1 schreibt August, er habe Dich beauftragt, die Sache mit dem Alten ins reine zu bringen2, Du hast ihm hoffentlich schon geschriebendem Alten -, da ihm die Sache sehr am Herzen liegt. August schreibt, B[ecker] habe schon jetzt von der Partei 200 fr. Jahreszuschuß erhalten-, ich wußte, daß ich in der Aufzählung der Gelder einen Posten vergessen, es war dieser; ich erwähne dies, damit es nicht den Schein hat, als habe Becker mir dies verschwiegen, was nicht der Fall ist. Wenn es wahr ist, was die Zankoffisten in Sofia verbreiten16651, so kann Alexfander] III. seinen blamierten Kaulbars ruhig einstecken16641, denn dann hat er alles, was er will. Es ist eine verbesserte Ausgabe des Vertrags von Hunkiar-Iskelessi16661 (1839, s. Louis Blanc „Dix ans", wo er im letzten Band abgedruckt). Dann gehört das Schwarze Meer ihm, und Konstantinopel ist sein, sobald er nur will. Das wäre die Folge davon, daß Ostreich in Bosnien und England in Ägypten sich Stücke der Türkei angeeignet und sich dadurch in Konstantinopel ebensosehr wie die Russen als Räuber an der Türkei konstatiert haben. Darum also mußte der friedfertige Gladstone Alexandria bombardieren und im Sudan Krieg führen.16671 - Indes wird die
Sache bestritten und ist möglicherweise noch nicht formell abgeschlossen; jedenfalls aber muß man achthaben auf neue Nachrichten darüber. Denn selbst wenn es wahr, wird namentlich Ostreich versuchen, dies zu vertuschen, um nicht zum Losschlagen gezwungen zu werden, ehe die Russen wirklich Miene machen, die Dardanellen zu besetzen, d.h. wenn es zu spät ist. Inzwischen scheint Alexander wirklich toll geworden zu sein - er soll einen Adjutanten für einen Nihilisten angesehn und erschossen haben und der alte Wilhelm rasch bergab zu gehn. Die russische Revolution eingeleitet selbst durch eine Palastrevolution - wird nötiger als je und würde sofort Klarheit in den ganzen Kram bringen. Dein F. E.
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Engels an Laura Lafargue in Paris London, 23. Okt. 1886 Meine liebe Laura, Heute habe ich so etwas wie einen Feiertag, d. h. keine Korrekturbogen1, und die Vorworte sind so gut wie fertig. So nutze ich dies aus, um Dir zu schreiben. Korrekturen sind jetzt bis Bogen 40 oder S.644 der 3. deutschen Aufl. gemacht. Doch nun ist erneut eine Verzögerung eingetreten, sonst säße ich heute wieder über ihnen. Es ist eine schreckliche Arbeit, jeden Bogen 3 X durchsehen, und im Text sind eine ganze Menge Änderungen erforderlich; der letzte Teil des Ms. war alles andere als ausgefeilt2, als wir ihn dem Drucker einhändigen mußten. Beim Ausfeilen des Textes ist mir Sam Moore eine unbezahlbare Hilfe, er hat ein scharfes Auge für diese Dinge und eine sehr gewandte Hand. Aber ich werde froh sein, wenn ich diese Arbeit hinter mir habe, bis dahin kann ich nichts anderes in Angriff nehmen, und in meinem Pult warten noch etwa 5 Arbeiten. Ich hoffe bestimmt, daß Du Deine Reise nicht wieder auf einen anderen Zeitpunkt verschiebst, der meteorologisch zwar weniger neblig sein mag, uns beide jedoch in einem Nebel neuer Ungewißheit läßt. Schorl[emmer] ist hier ganz zerschlagen angekommen, er hatte zu Hause eine Woche lang wegen Verdauungsstörungen liegen müssen (ich vermute, er hat das Vaterland3 nicht verdauen können'3261) und war hier die ganze Zeit in entsetzlich niedergeschlagener Stimmung - seitdem habe ich kein Wort von ihm gehört. Ich sende Dir hiermit zwei weitere Briefe von unseren Überseereisenden'6341, bitte bewahre sie edle für mich auf, bis Du herüberkommst, wenn Du sie mir nicht vorher zurückschickst. Gestern waren sie in Providence (Rhode Island) und sind jetzt auf dem Wege von New England zu den großen Seen, werden aber morgen auf halbem Wege in Albany und Troy (Staat New York) am Hudson haltmachen. In den Industriedistrikten New Englands empfing sie die Presse beinahe herzlich und bewies dadurch nicht nur, wie abhängig sie von den Arbeitern ist, sondern auch ein augenscheinliches Sympathisieren der Arbeiter mit dem Sozialismus. Ich freue mich 1 der englischen Ubersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" - 2 in der Handschrift deutsch: ausgefeilt - 3 in der Handschrift deutsch: Vaterland
sehr darüber und auch über den günstigen Eindruck, den sie auf die bürgerliche Presse allgemein gemacht haben, ganz besonders auch wegen ihres bevorstehenden Eintreffens in Chicago, wo die Bourgeois noch vor sechs Wochen geneigt schienen, bei ihrer Ankunft Polizeikordons aufziehen zu lassen. Aber angesichts des entschiedenen Umschwungs in der öffentlichen Meinung werden sie in den östlichen Staaten wohl kaum etwas Derartiges versuchen. Die Wiener Anarchisten-Verschwörung ist eine reine Polizei-Affäre.'6681 Der beste Beweis dafür sind die Brandflaschen, die die armen Teufel in Holzlagern abgestellt haben sollen, um diese in Brand zu setzen. Eine Flasche mit Salpetersäure, verschlossen mit einem mit Schwefelsäure imprägnierten Baumwollpfropfen. Die Schwefelsäure sollte durchsickern und, wenn sie die Salpetersäure erreicht hätte, eine Explosion und Feuer verursachen!! Auf diese Weise traf dieselbe Polizei, welche die anarchistischen Esel zu diesem Komplott aufstachelte, verteufelt gut Vorsorge, daß die Brandflaschen völlig harmlos waren. Aber die gegenwärtige antiproletarische Jurisprudenz wird dort wie überall Mittel finden, um sie der Brandstiftung zu überführen. Gestern erhielt ich eine Karte aus einem unbekannten Ort in Kanada „Rolandrie, P.O. Whitewood": „Verehelicht: Dr. R.Meyer, Mathilde Meyer, geb. Trautow"4. Das muß eine seiner Cousinen sein, die er im vergangenen Winter zur Verwaltung seiner Farm dort zurückließ. Auf der Rückseite standen einige Worte in Französisch von einem Comte Ives de Rossignac oder Prossignac, daß Meyer einen Unfall gehabt hätte, kurze Zeit seine rechte Hand nicht gebrauchen und daher auch nicht selber schreiben könnte. Das ist das Ende noch eines Deiner Verehrer. Wenn die Trauben sauer sind, greifen die Leute nach Holzäpfeln. Über den erfolgreichen Verlauf des Kongresses in Lyon las ich im „Cri", trotzdem waren mir Pauls Kommentare und Einzelheiten sehr willkommen.'6601 Die Dinge scheinen überall reif für uns, und wir haben nur die Früchte zu ernten; alle altmodischen Formen des Sozialismus sind überlebt, unserer Theorie aber kann man nichts anhaben; die Arbeiter müssen nur angestoßen werden - und wenn sie - ganz gleich auf welche Weise - in Bewegung kommen, so kommen sie sicher zu uns. Alles in allem geht es in Frankreich prächtig vorwärts. Vierzon setzt Decazeville fort'6511, und das ist richtig so. Man muß die Regierung lehren, ihre eigenen Gesetze zu respektieren und sich an Streiks zu gewöhnen.
4 in der Handschrift deutsch: „Verehelicht: Dr. R. Meyer, Mathilde Meyer, geb. Trautow"
Andererseits aber ist die Streikdisziplin den französischen Arbeitern sehr nützlich; die erste Bedingung für den Erfolg eines solchen Kampfes ist die genaue Beachtung der Legalität, und alle revolutionäre Prahlerei und Leidenschaftsausbrüche führen unvermeidlich zur Niederlage. Diese Disziplin, das ist die erste Bedingung für eine erfolgreiche und feste Organisation, sie ist das, was die Bourgeoisie am meisten fürchtet. Und da der Streik eine Kabinettskrise hervorgerufen hat16701, kann er noch mehr hervorrufen. Wie die Dinge liegen, sieht es aus, als ob die jetzige Kammer bald unmöglich wird und aufgelöst werden muß. Ich glaube, daß es nötig sein wird, sich auf dieses Ereignis vorzubereiten, denn bei den nächsten allgemeinen Wahlen müßte es den Sozialisten gelingen, die Radikalen14601 zu zwingen, mindestens 20 von unseren Leuten auf die Liste für Paris zu setzen; und die nächste Kammer müßte das scrutin de liste abschaffen.13965 Paul müßte nächstes Mal ins Parlament kommen, er hat sich sehr zugunsten von Guesde, Deville und anderen zurückgehalten, hat die schwere anonyme Arbeit sich aufgeladen und den anderen nicht nur die ganze Belohnung überlassen, sondern auch den größeren Teil des von ihm errungenen Vertrauens. Ich denke, es wird allmählich Zeit, daß er sich etwas mehr behauptet. Er ist entschieden der beste Journalist von ihnen - und jetzt, da er nun einmal die ihm zusagende Tätigkeit gefunden hat und ihr treu bleibt - auch der fleißigste. Außerdem ist er viel mehr als die übrigen in ständigem Kontakt mit der internationalen Bewegung. Nächstes Mal sollten er und Guesde mindestens hineinkommen, und man muß schon jetzt darauf hinarbeiten. Guesde mag als Redner glänzender sein, aber Paul wäre viel besser, indem er Fakten vorbringt. Allerdings können wir nächstes Frühjahr einen europäischen Krieg haben, der alle unsere Berechnungen über den Haufen wirft, da man seine Ergebnisse nicht voraussagen kann. Hierüber werde ich Paul schreiben5, sobald ich Zeit finde. Jetzt muß ich aber schließen; es bleibt gerade noch genug Zeit, um Tussy mit der heutigen Post einige Worte zu senden. Nim ist sehr vergnügt und läßt grüßen. In Zuneigung Dein F.E. Liebk[necht]s Wein-Revolution ist nicht sehr arg, wenn man erwägt, daß er den schrecklichsten Wein „famos" findet.
Aus dem Englischen.
* siehe vorl. Baad, S. 561-564
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Engels an August Bebel in Plauen bei Dresden
London, 23. Okt. 1886 Samstag
Lieber Bebel, Soeben, abends 1/2 10, erhalte ich den „Sozialdemokrat]" mit Eurer Erklärung16711 und schreibe Dir gleich, obgleich der Brief erst Montag 5.30 abgehn kann, wenn ich ihn einschreiben lasse. Aber Montag habe ich vielleicht wieder einen Haufen Korrekturbogen1, die rasch besorgt werden müssen. Eure Erklärung ist So abgefaßt, daß absolut nichts daran ausgesetzt werden kann - die Notwendigkeit dieses Schrittes einmal zugegeben. Über letztere kann ich nicht unbedingt urteilen, aber auch ohne Freytags Ansicht scheint sie mir erwiesen.16721 Für die Sache überhaupt und für das Blatt selbst halte ich es für ein wahres Glück, daß Ihr den Schritt infolge des Urteils mit Anstand tun konntet. Es war meiner Ansicht nach ein großer Fehler, dem Blatt überhaupt einen offiziellen Charakter zu geben, wie sich das auch im Reichstag gezeigt hat; aber einmal gemacht, war er schwer aufzuheben, ohne daß es als Desavouierung des Blatts und als Rückzug aussah. Das Urteil gab Euch die Gelegenheit, ihn aufzuheben, ohne diesen Schein zu erzeugen, und das habt Ihr mit Recht benutzt. Von Rückzug, wie Liebknecht] die Sache ansah, ist da keine Rede, und das Blatt kann jetzt die Ansicht der Parteimassen weit freier aussprechen und mit weit weniger Bedenken von wegen der Herren vom rechten Flügel. Die ,,N[eue] Zeit" ist noch nicht hier. Daß Bismarck sich weit tiefer mit den Russen eingelassen, als er wegen Frankreich braucht, ist auch meine Ansicht, und zwar ist der Hauptgrund dafür - außer den von Dir angegebnen und sie entschieden beherrschend16731 - der, daß die Russen ihm gesagt, und daß er weiß, daß es wahr ist: „Wir brauchen entweder entschieden große Erfolge in der Richtung auf Konstantinopel, oder aber wir bekommen Revolution." Alex[ander] III. und selbst die russische
1 der englischen Ubersetzung des ersten Bandes des „Kapitals"
Diplomatie können nicht den heraufbeschwornen panslawistischen und chauvinistischen Geist beschwören ohne Opfer, sonst wird Alex[ander] III. von den Generalen abgemurkst, und dann gibt's Nationalversammlung, sie mögen wollen oder nicht. Und eine russische Revolution fürchtet Bismarck mehr als alles. Mit dem russischen Zarismus fällt auch die preußischbismarcksche Wirtschaft. Und deshalb muß alles geschehn, den Krach aufzuhalten, trotz Ostreich, trotz der Bürgerentrüstung in Deutschland, trotzdem daß Bismarck] weiß, daß er auch so sein System schließlich untergräbt, das ja auf der deutschen Hegemonie über Europa beruht; und daß am Tag, wo der alte Wilhelm stirbt, Rußland wie Frankreich noch ganz anders die Zähne zeigen werden. Das schlimmste ist, daß bei der Schuftigkeit der herrschenden Personen beim Krieg niemand sagen kann, wie die Kämpfer sich gruppieren, wer mit wem und wer gegen wen geht. Daß dabei schließlich die Revolution herauskommt, ist klar, aber mit welchen Opfern! mit welcher allgemeinen Abspannung - und nach welchen vielen Wendungen! Inzwischen haben wir Zeit bis zum Frühjahr, und da kann noch manches passieren. Es kann auch so in Rußland losgehn, der alte Wilhelm kann abfahren und eine andre Politik in Deutschland aufkommen - die Türken (die jetzt, nachdem Ostreich ihnen Bosnien und England Ägypten weggenommen, in diesen ihren alten Bundesgenossen natürlich reine Verräter sehn) können aus dem russischen Fahrwasser wieder hinauskommen usw. Von der deutschen Bourgeoisie kannst Du keine schlechtere Ansicht haben als ich.16741 Aber es fragt sich nur, ob sie nicht wider Willen gezwungen wird, durch die geschichtlichen Umstände wieder aktiv einzugreifen, grade wie die französische. Diese macht es auch miserabel genug, die unsre würde sie darin noch übertreffen, aber sie müßte dennoch wieder mit an ihrer eignen Geschichte arbeiten. Den Bergerschen Ausspruch las ich auch seinerzeit mit Vergnügen, aber er gilt in der Tat nur für Bismarcks Lebzeiten.16751 Daß sie ' vorhaben, ihre eigenen „liberalen" Phrasen ganz fallenzulassen, das bezweifle ich keinen Augenblick. Es fragt sich nur, ob sie's können, wenn einmal kein Bismarck mehr da ist, der für sie regiert, und wenn ihnen nur noch versimpelte Krautjunker und vernagelte Bürokraten - Menschen ihres eignen moralischen Kalibers - gegenüberstehe Denn Krieg oder Frieden, seit den letzten Monaten ist die deutsche Hegemonie kaputt, und man ist wieder der gehorsame Diener Rußlands. Und nur diese chauvinistische Satisfaktion, der Schiedsrichter Europas zu sein, hielt den ganzen Kram zusammen. Die Furcht vor dem Proletariat tut sicher das ihrige. Und wenn die Herren zur Regierung zugelassen werden,
so treten sie anfangs sicher ganz so auf, wie Du es beschreibst, aber sie werden bald gezwungen sein, anders zu sprechen. Ich gehe noch weiter: selbst wenn, nachdem der Bann durch den Tod des Alten gebrochen, dieselben Leute am Ruder blieben wie jetzt, sie würden entweder zum Abtreten gezwungen durch neue - nicht our hofmäßige - Kollisionen, oder aber im Bourgeoissinn handeln müssen. Natürlich nicht gleich, aber lange würde es nicht dauern. Eine Stagnation, wie sie jetzt im politischen Deutschland herrscht - das echte Zweite Kaiserreich16761 -, kann nur ein vorübergehender Ausnahmezustand sein; die große Industrie läßt sich ihre Gesetze nicht von der Feigheit der Industriellen diktieren, die ökonomische Entwicklung bringt die Kollisionen immer wieder hervor, treibt sie auf die Spitze und leidet nicht, daß die halbfeudalen Junker mit feudalen Gelüsten über sie auf die Dauer herrschen. Übrigens ist auch möglich, daß im Frühjahr sie alle zum Krieg rüsten, bis an die Zähne bewaffnet einander gegenüberstehn und jeder Angst hat anzufangen - bis dann einer einen Lösungsplan mit gegenseitigen Kompromissen und Verschluckung der Kleinstaaten vorbringt und sie alle zugreifen. Daß Bismarck schon jetzt an einem solchen Rettungsmittel arbeitet, ist wahrscheinlich genug.
25. Okt. Was Du von L[ie]bk[necht]s Reden sagst, bezieht sich wohl meistens auf seine Äußerungen zum Korrespondenten der ,,N[ew] Y[orker] Volksztg." (dem kleinen Cuno); die kann man nicht so genau nehmen, die Interviewer stellen alles verdreht dar. Was er sonst über den Kulturkampf16061 sagte, erschien auch mir ganz verkehrt, aber Du weißt, Liebknecht] hängt sehr von Stimmungen ab, spekuliert gern auf sein Publikum (und nicht immer richtig) und hat immer nur zwei Farben, schwarz und weiß, auf seiner Palette. Im übrigen wird das wenig Schaden tun, das ist in Amerika schon längst der Vergessenheit verfallen. Also leb wohl, halt Dich gesund und laß mal aus der Gefangenschaft von Dir hören.'6351 Ich glaub' schwerlich, daß Du die ganze Zeit wirst absitzen müssen, in 9 Monaten kann sich alles ändern. Dein F. E.
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Engels arr Paul Lafargue in Paris16771
London, den 25. Okt. 1886
Mein lieber Lafargue, Die orientalische Affäre ist ein wenig langwierig, ich muß auf eine Menge Details eingehen wegen der absurden Dummheiten, die die französische Presse, inklusive „Le Cri", unter dem russisch-patriotischen Einfluß über diese Angelegenheit verbreitet hat. Im Winter 18781 schickte Disraeli 4 Panzerschiffe nach dem Bosporus, die genügten, um den Marsch der Russen auf Konstantinopel zum Stillstand zu bringen und den Vertrag von San Stefano16781 zu zerreißen. Der Frieden von Berlin regelte für einige Zeit die Lage im Orient. Es gelang Bismarck, zwischen den Russen und den Österreichern ein Übereinkommen zu erreichen. Österreich sollte unterderhand die Herrschaft über Serbien ausüben, während Bulgarien und Ostrumelien vorwiegend dem Einfluß Rußlands überlassen sein sollten. Das hieße, daß, wenn man später den Russen gestattete, von Konstantinopel Besitz zu ergreifen, Österreich Saloniki und Makedonien erhalten würde. Außerdem aber gab man Österreich Bosnien, so wie Rußland im Jahre 1794 den Preußen und Österreichern den größeren Teil des eigentlichen Polens überlassen hatte, um ihn 1814 wieder zurückzunehmen.16795 Bosnien war ein ständiger Aderlaß für Österreich, ein Zankapfel zwischen Ungarn und dem westlichen Österreich und vor allem - der Beweis für die Türkei, daß die Österreicher ebenso wie die Russen ihr das Schicksal Polens bereiteten. Von nun an war jedes Vertrauen zwischen der Türkei und Österreich unmöglich: ein gewaltiger Sieg für Rußland. Serbien hatte zwar slawophile und folglich russophile Sympathien, hatte aber seit seiner Emanzipation alle Mittel seiner bürgerlichen Entwicklung aus Österreich geschöpft. Die jungen Leute studierten in Österreich, das bürokratische System, die Gesetze, das Gerichtswesen, die Schulen waren nach österreichischen Vorbildern geregelt. Das war ganz
natürlich. Aber Rußland mußte eine Wiederholung dessen in Bulgarien verhindern und wollte dort nicht auch für Osterreich die Kastanien aus dem Feuer holen. Bulgarien wurde daher von Anfang an zu einer russischen Satrapie gemacht. Die Verwaltung, die Offiziere und Unteroffiziere der Armee, alle Beamten und das ganze System wurden russisch, und Battenberg, den man ihm als Satrap gegeben hatte, war ein Vetter Alexanders III. Die zuerst direkte, dann indirekte Herrschaft der Russen genügte, um in weniger als 4 Jahren jegliche Sympathien, die Bulgarien für Rußland gehabt hatte, zu ersticken - und sie waren groß und herzlich gewesen. Das Volk widersetzte sich mehr und mehr der Unverschämtheit der „Befreier", so daß sogar Battenberg, ein Mann ohne politische Ideen und von weichem Charakter, der nach nichts Besserem Verlangen trug, als dem Zaren zu dienen, dabei aber Achtung für sich beanspruchte -, daß sogar Battenberg immer widerspenstiger wurde. Inzwischen gingen die Dinge in Rußland ihren Gang. Der Regierung war es durch Gewaltmaßnahmen gelungen, die Nihilisten für einige Zeit zu zerstreuen und zu desorganisieren. Aber das genügte nicht für immer, sie bedurfte einer Stütze in der öffentlichen Meinung, sie mußte die Aufmerksamkeit von der sozialen und politischen Misere im Innern ablenken; kurz, sie brauchte ein wenig chauvinistische Phantasmagorie. Und wie unter Louis-Napoleon das linke Rheinufer dazu gedient hatte, die revolutionären Leidenschaften nach außen abzulenken, so präsentierte man jetzt in Rußland dem beunruhigten und erregten Volke die Eroberung Konstantinopels, die „Befreiung" der von den Türken unterdrückten Slawen und ihre Vereinigung in einer großen Föderation unter der Ägide Rußlands. Aber es genügte nicht, diese Phantasmagorie hervorzurufen, man mußte auch etwas tun, um sie in den Bereich der Realität zu rücken. Die Umstände waren günstig. Die Annexion von Elsaß-Lothringen hatte zwischen Frankreich und Deutschland einen Zankapfel geworfen, der, so schien es, diese beiden Mächte neutralisieren mußte. Osterreich allein konnte kaum gegen Rußland kämpfen, da seine wirksamste Angriffswaffe - der Appell an die Polen - durch Preußen stets zunichte gemacht werden würde. Und die Besetzung Bosniens, dieser Raub, war ein zweites Elsaß zwischen Österreich und der Türkei. Italien stand dem Meistbietenden, nämlich Rußland, zu Gebote, das ihm Triest und Istrien, wenn nicht sogar Dalmatien und Tripolis offerierte. Und England? Der friedfertige russophile Gladstone hatte Rußlands verführerischen Worten Gehör geschenkt, mitten im Frieden hatte er Ägypten besetztim\ was nicht
nur einen ständigen Streit zwischen England und Frankreich einbrachte, sondern noch viel mehr: die Unmöglichkeit einer Allianz der Türken mit den Engländern, die jene soeben beraubt hatten; sie hatten sich das türkische Lehen Ägypten angeeignet. Zudem waren die russischen Vorbereitungen in Asien genügend weit gediehen, um im Falle eines Krieges den Engländern in Indien viel zu schaffen zu machen. Noch niemals hatten sich den Russen so viele Chancen geboten; ihre Diplomatie triumphierte auf der ganzen Linie. Die Empörung der Bulgaren gegen die russische Herrschaft gab den Vorwand, den Feldzug zu beginnen. Im Sommer 1885 gaukelte man den Bulgaren im Norden und Süden die Möglichkeit der im Frieden von San Stefano zugesagten und durch den Berliner Vertrag außer Kraft gesetzten Vereinigung vor. Wenn sie sich von neuem in die Arme Rußlands, des Befreiers, würfen, so sagte man ihnen, dann werde Rußland seine Mission erfüllen und diese Vereinigung vollziehen; um dies jedoch zu erreichen, müßten die Bulgaren zunächst Battenberg davonjagen. Dieser war rechtzeitig gewarnt worden; gegen seine Gewohnheit handelte er schnell und mit Energie; er selbst vollzog, allerdings im eigenen Interesse, diese Vereinigung, die die Russen gegen ihn hatten zustande bringen wollen. Seither datiert der unversöhnliche Kampf zwischen ihm und Rußland. Dieser Kampf ging anfangs nur versteckt und indirekt vor sich. Man erinnerte die kleinen Balkanstaaten an die schöne Doktrin Louis Bonapartes: wenn ein bisher getrenntes Volk, sagen wir Italien oder Deutschland, sich vereinigt und als Nation konstituiert, haben - dieser Doktrin zufolge - andere Staaten, sagen wir Frankreich, ein Re:ht auf Gebietskompensationen. Serbien fiel auf dieses Lockmittel herein und erklärte den Bulgaren den Krieg; Rußland aber triumphierte, daß dieser Krieg, zu dem es in seinem eigenen Interesse gedrängt hatte, sich vor der Welt unter den Auspizien Österreichs abspielte, das aus Furcht, die russische Partei in Serbien könnte ans Ruder gelangen, ihn nicht verhinderte. - Rußland seinerseits desorganisierte die bulgarische Armee, es beorderte alle höheren Offiziere zurück, einschließlich aller Bataillonschefs der bulgarischen Armee. Aber wider alles Erwarten schlugen die Bulgaren ohne russische Offiziere und bei einem zahlenmäßigen Verhältnis von zwei zu drei die Serben aufs Haupt und gewannen so die Achtung und Bewunderung des erstaunten Europas. Diese Siege haben zwei Ursachen. Zunächst ist Alexander Battenberg zwar ein weicher Politiker, aber ein guter Soldat und führte Krieg, wie er es in der preußischen Schule gelernt hatte, während die
Serben sowohl die Strategie als auch die Taktik ihrer österreichischen Vorbilder nachahmten. Außerdem hatten die Serben seit 60 Jahren unter dem österreichischen bürokratischen Regime gelebt. Dieses Regime hatte - ohne ihnen eine starke Bourgeoisie und unabhängige Bauern zu geben (sie sind alle mit Hypothekenschulden belastet) - ausgereicht, um die Reste des GenfiZkommunismus zu unterminieren und zu desorganisieren, der ihnen Stärke in ihren Kämpfen gegen die Türken gegeben hatte. Bei den Bulgaren hingegen waren diese mehr oder weniger kommunistischen Institutionen von den Türken nicht angetastet worden; das erklärt ihre außerordentliche Tapferkeit.'6811 Also eine neue Niederlage für Rußland; es mußte von neuem beginnen. Der slawophile Chauvinismus aber, den man als Gegengewicht gegen das revolutionäre Element geschürt hatte, wuchs von Tag zu Tag und wurde bereits zu einer Gefahr für die Regierung. Der Zar geht nach der Krim, wo er, den russischen Zeitungen nach, etwas sehr Großes unternehmen werde; - er bemüht sich, den Sultan auf seine Seite zu ziehen, um ihn zu einer Allianz zu bewegen, indem er ihm nachweist, daß seine ehemaligen Verbündeten - Österreich und England - Verräter und Räuber sind, daß Frankreich im Schlepptau Rußlands segelt und auf dessen Gnade angewiesen ist. Aber der Sultan geht darauf nicht ein, und die enormen Kriegsrüstungen im Westen und Süden Rußlands sind vorläufig zwecklos. Der Zar kehrt (im vergangenen Juni) aus der Krim zurück. Inzwischen aber ist die chauvinistische Welle angestiegen, und anstatt die stärker werdende Bewegung zu unterdrücken, wird die Regierung mehr und mehr von ihr mitgerissen, so, daß man bei der Rückkehr des Zaren nach Moskau es dem Stadtoberhaupt gestatten muß, in seiner Ansprache laut von der Eroberung Konstantinopels zu reden.'6821 Die unter dem Einfluß - und der Protektion der Generale stehende Presse erklärt offen, sie erwarte vom Zaren, daß er gegen Österreich und Deutschland vorgehe, da diese ihm Hemmnisse in den Weg legen; und die Regierung wagt es nicht, ihr Schweigen zu gebieten. Kurz, der slawophile Chauvinismus ist mächtiger als der Zar, dieser muß nachgeben, oder aber - Revolution der Slawophilen. Hinzu kommen die finanziellen Schwierigkeiten. Niemand will dieser Regierung etwas leihen, die sich von 1870 bis 75 in London 70 Millionen £ (1750 Millionen francs) geborgt hat und den europäischen Frieden bedroht. Vor drei Jahren hat ihr Bismarck in Deutschland eine Anleihe von 375 Millionen frs. verschafft, aber das ist längst aufgezehrt, und ohne die Unterschrift Bismarcks werden die Deutschen keinen Pfennig geben. Zudem wäre diese Unterschrift nur noch zu erniedrigenden Bedingungen zu
erhalten. Im Inland sind schon zu viele Staatspapiere ausgeworfen; der Silberrubel = 3 fr. 80, der Papierrubel nur 2 fr. 20 wert. Und die Kriegsrüstungen kosten verteufelt viel Geld. Kurz, es gilt zu handeln. Entweder ein Erfolg in Richtung Konstantinopel oder die Revolution. Darum sucht Giers Bismarck auf, um ihm die Lage zu erklären. Und Bismarck begreift sehr gut. Er hätte die Russen zurückgehalten, einmal, weil er von ihrer Unersättlichkeit genug hat, zum andern aus Rücksicht auf Osterreich. Aber eine Revolution in Rußland, das bedeutet den Sturz des Bismarchschen Regimes in Deutschland. Ohne diese große Reservearmee der Reaktion würde die Herrschaft der Krautjunker in Preußen keinen Tag lang dauern. Die Revolution in Rußland würde die Lage in Deutschland mit einem Schlag verändern; sie würde dem blinden Glauben an die Allmacht Bismarcks, der alle besitzenden Klassen um B[ismarck] schart, ein Ende machen; sie würde das Heranreifen der Revolution in Deutschland beschleunigen. Bismarck, der sich keiner Täuschung darüber hingibt, daß die Existenz des Zarismus in Rußland die Grundlage seines ganzen Systems ist, hat sehr wohl verstanden; er hat sich in aller Eile nach Wien begeben, um seinen Freunden in Österreich zu sagen, daß es angesichts einer solchen Gefahr unangebracht ist, sich bei Fragen der Eigenliebe aufzuhalten, daß die Russen einen Schemtriumph brauchen und Deutschland und Österreich sich in ihrem eigenen Interesse vor dem Zaren zu beugen haben. Sollten indessen die Herren Österreicher darauf bestehen, sich in die Angelegenheiten Bulgariens einzumischen, so würde er sich die Hände in Unschuld waschen, sie würden ja sehen, wozu das führen werde. Schließlich gibt Kalnoky nach, Alexander Battenberg wird geopfert, und Bismarck persönlich wird es Giers verkünden. Es folgt die Entführung Battenbergs durch militärische Verschwörer, und zwar unter Umständen, die jeden monarchisch gesinnten Konservativen und besonders die Fürsten, die auch Armeen haben, vor den Kopf stoßen müssen. Aber Bismarck geht zur Tagesordnung über, glücklich, so billig davongekommen zu sein. Unglücklicherweise zeigen die Bulgaren ein politisches Können und eine Energie, die unter den gegebenen Umständen schlecht angebracht und bei einer vom heiligen Rußland „befreiten" slawischen Nation unzulässig sind. Sie verhaften die Verschwörer, ernennen eine fähige, energische und - unbestechliche Regierung (eine Eigenschaft, die bei einer eben erst emanzipierten Nation völlig unzulässig ist!), die Battenberg zurückholt. Dieser jedoch beweist seine ganze Schwäche und ergreift die Flucht. Aber
die Bulgaren sind unverbesserlich. Mit oder ohne Battenberg - sie widersetzten sich den souveränen Befehlen des Zaren und zwingen sogar den heldenmütigen Kaulbars, sich vor ganz Europa zu blamieren.16641 Man stelle sich die Wut des Zaren vor. Bismarck für sich gewonnen, den österreichischen Widerstand gebrochen, und nun sieht er sich aufgehalten durch dieses kleine Volk von gestern, das ihm oder seinem Vater2 seine „Unabhängigkeit" verdankt und nicht einsieht, daß diese Unabhängigkeit nur blinden Gehorsam gegenüber dem „Befreier" bedeutet! Die Griechen und die Serben waren schon reichlich undankbar; die Bulgaren aber überschreiten die Grenzen des Möglichen. Ihre Unabhängigkeit ernst nehmen, hat man so was schon erlebt? Um sich vor der Revolution zu retten, ist der arme Zar gezwungen, einen neuen Schritt vorwärts zu tun. Aber jeder neue Schritt macht die Sache gefährlicher, denn er vergrößert nur das Risiko eines europäischen Krieges, den die russische Diplomatie immer zu vermeiden versucht hat. Es steht fest, daß bei einer russischen Einmischung in Bulgarien, falls dies zu äußersten Komplikationen führen sollte, der Augenblick eintritt, wo die Feindschaft zwischen den russischen und den österreichischen Interessen offen zum Ausdruck kommt. Und dann gibt es kein Mittel, den Konflikt zu lokalisieren. Es wird zu einem allgemeinen Krieg kommen. Und bei den Spitzbuben, die Europa heute regieren, ist es unmöglich vorauszusagen, wie sich die beiden Lager gruppieren werden. Bismarck ist imstande, sich mit den Russen gegen Österreich zu verbünden, falls es kein anderes Mittel gibt, die Revolution in Rußland aufzuhalten. Aber wahrscheinlicher ist ein Krieg Österreichs gegen Rußland, Deutschland wird Österreich nur im Notfälle zu Hilfe eilen, um zu verhindern, daß es vernichtet wird. Bis zum Frühjahr - denn vor April werden sich die Russen in einen großen Krieg an der Donau nicht einlassen können - tun sie alles, um die Türkei in ihre Netze zu ziehen, und der Verrat Österreichs und Englands an der Türkei hat ihnen den Boden vorbereitet. Ihr Ziel ist, die Dardanellen zu besetzen und das Schwarze Meer somit in einen russischen See zu verwandeln, in einen unzugänglichen Zufluchtsort für den Aufbau einer mächtigen Flotte; diese würde von dort auslaufen, um das zu beherrschen, was Napoleon einen französischen See nannte, nämlich das Mittelländische Meer. Aber so weit haben sie es noch nicht gebracht, wenn auch ihre wenigen Anhänger in Sofia ihre geheimen Wünsche verraten haben.16651 Das ist die Lage. Um eine Revolution in Rußland zu verhindern, muß der Zar Konstantinopel haben. Bismarck zögert; er möchte das Mittel 1 Alexander II,
36 Marz/EmeU, Werke, Bd. 36
finden, um der einen wie der anderen Eventualität aus dem Wege zu gehen. Und Frankreich? Für diejenigen Franzosen, die seit 16 Jahren nur an Revanche denken, ist es natürlich, diese sich vielleicht bietende Gelegenheit zu nutzen. Für unsere Partei indes ist die Frage nicht so einfach; sie ist nicht einmal einfach für diese Herren Chauvinisten. Ein Krieg gegen Deutschland, mit Hilfe Rußlands, könnte eine Revolution oder auch eine Konterrevolution in Frankreich zur Folge haben. Im Fälle einer Revolution, die die Sozialisten an die Macht brächte, würde die russische Allianz zusammenbrechen. Zunächst würden die Russen sogleich mit Bismarck Frieden schließen, um sich gemeinsam mit ihm auf das revolutionäre Frankreich zu stürzen. Sodann würden die Sozialisten, in Frankreich an die Macht gelangt, es nicht darauf ankommen lassen, durch einen Krieg die Revolution in Rußland zu verhindern. Dieser Fall aber wird kaum eintreten. Viel wahrscheinlicher ist die von der russischen Allianz begünstigte monarchistische Konterrevolution. Sie wissen, wie sehr der Zar die Restauration der Orleans wünscht und daß nur diese ihm gestattet, eine gute und dauerhafte Allianz mit Frankreich zu schließen. Und ist der Krieg erst einmal ausgebrochen, so wird man zur Vorbereitung dieser Restauration schon guten Gebrauch von den monarchistischen Offizieren in der Armee machen. Bei der geringsten Teilniederlage - und solche bleiben nicht aus - wird man sagen, die Republik sei schuld daran; um Erfolge zu erringen und die vorbehaltlose Unterstützung des verbündeten Rußlands zu erlangen, sei eine stabile, monarchistische Regierung, mit einem Wort: ein Philippe VII.3 notwendig; die monarchistischen Generale werden lässig handeln, um ihren Mangel an Erfolgen der republikanischen Regierung in die Schuhe schieben zu können - und siehe, die Monarchie ist da. Und ist Philippe erst einmal eingesetzt, werden sich all diese Könige und Kaiser sofort verständigen, und werden, anstatt sich gegenseitig umzubringen, Europa unter sich aufteilen und dabei die kleinen Staaten verschlingen. Ist die französische Republik erst einmal tot, wird es einen neuen Wiener Kongreß[683J geben, auf dem man vielleicht die republikanischen und sozialistischen Sünden Frankreichs zum Vorwand nehmen wird, um ihm Elsaß-Lothringen ganz oder teilweise zu verweigern. Und die Fürsten werden sich über die Republikaner lustig machen, die dumm genug waren, an die Möglichkeit einer aufrichtigen Allianz zwischen dem Zarismus und der Anarchie zu glauben. Ist es übrigens wahr, was General Boulanger jedem sagt, der es hören
8 Louis-Philippe-Albert, duc d'Orl^ans
will: Frankreich braucht den Krieg einzig als Mittel, um die soziale Revolution zu ersticken? Wenn es wahr ist, so diene Euch das als Warnung. Der gute Boulanger hat großsprecherische Allüren, die man einem Soldaten verzeihen kann, die aber ein jämmerliches Bild von seinem politischen Geist geben. Er wird die Republik jedenfalls nicht retten. Zwischen die Sozialisten und die Orleans gestellt, wird er sich, wenn erforderlich, mit letzteren verständigen, besonders dann, wenn sie ihm die russische Allianz zusichern. In jedem Fall befinden sich die Bourgeoisrepublikaner in Frankreich in derselben Lage wie der Zar in Rußland: sie sehen Vor sich die Revolution und sehen nur ein einziges Mittel zur Rettung: den Krieg. In Frankreich wie in Deutschland entwickeln sich die Dinge so sehr zu unseren Gunsten, daß wir nichts anderes als die Fortsetzung des Status quo wünschen können. Und wenn die Revolution in Rußland ausbräche, so würde das ein Zusammenwirken von Bedingungen hervorrufen, wie man sie sich besser nicht wünschen kann. Ein allgemeiner Krieg dagegen würde uns in den Bereich des Unvorhergesehenen und der unberechenbaren Ereignisse zurückwerfen. Die Revolution in Rußland und in Frankreich würde hinausgeschoben; die glänzende Entwicklung unserer Partei in Deutschland gewaltsam aufgehalten, und in Frankreich würde es wahrscheinlich zur Wiederherstellung der Monarchie kommen. Ohne Zweifel wird sich all das schließlich zu unseren Gunsten wenden, aber wieviel Zeitverlust, wieviel Opfer, wieviel neue Hindernisse wären zu überwinden! Die zu einem Kriege drängende Versuchung ist überall groß. Da ist einmal das überall übernommene preußische Militärsystem, das zu seiner vollständigen Entwicklung 12 bis 16 Jahre erfordert: nach Ablauf dieser Zeit bestehen alle Kader der Reserven aus Männern, die im Gebrauch der Waffen geübt sind. Diese 12-16 Jahre sind überall abgelaufen; überall hat man 12 bis 16 Jahrgänge, die gedient haben. Man ist also überall bereit, und die Deutschen haben in dieser Hinsicht keinen besonderen Vorteil mehr. Und dann wird der alte Wilhelm wahrscheinlich sterben; dann wird es irgendeine Veränderung des Systems geben. Bismarck wird seine Stellung mehr oder weniger erschüttert sehen, und vielleicht selbst zum Kriege drängen, als dem einzigen Mittel, um sich zu halten. Für die anderen wird das eine neue Versuchung sein, Deutschland anzugreifen, das man in dem Augenblick, in dem es seine Innenpolitik ändert, für weniger stark und gefestigt halten wird. In der Tat glaubt die Börse überall an Krieg, sobald der Alte die Augen geschlossen haben wird. Was mich betrifft, so glaube ich, es muß für uns feststehen, daß der Krieg, sollte er ausbrechen, nur zu dem Zweck geführt werden wird, um die
Revolution zu verhindern: in Rußland, um der gemeinsamen Aktion aller Unzufriedenen, Slawophilen, Konstitutionellen, Nihilisten und Bauern zuvorzukommen; in Deutschland, um Bismarck zu halten; in Frankreich, um die siegreiche Bewegung der Sozialisten zurückzudrängen und (worauf die ganze Großbourgeoisie rechnet) die Monarchie wiederherzustellen. Daher bin ich für „den Frieden um jeden Preis", denn nicht wir werden diesen Preis zu zahlen haben. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Ich schicke Ihnen „La France Juive".[684] Was für ein langweiliges Buch! Dienstag, 26. Okt., 3.30 Uhr nachmittags. Sie werden diesen Brief also morgen früh erhalten.
Aus dem Französischen.
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Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 2. Nov. 86
Meine liebe Laura, Es tut mir leid, daß Du Dir die Mühe gemacht hast, das Geschwätz von Menger herauszuschreiben. Der Kerl ist einfach ein Streber1, der weiß, je dicker er aufträgt, um so günstiger sind seine Aussichten, Karriere zu machen. Wir haben das Buch hier bekommen, und ich werde Kautsky genügend Hinweise geben, damit er den unverschämten Kerl erledigen kann.'6851 Seine Position ist so ausgesprochen lächerlich, daß sie nirgends akzeptiert werden wird, es sei denn in nationalliberalen Zeitungen, und dort müssen wir damit rechnen, daß man es uns immer wieder präsentiert, aber das ist absolut bedeutungslos. Das Rodbertus-Schreckgespenst war weit ernster, und wir haben es schon so restlos zerschlagen, daß es inzwischen völlig vergessen ist.'6861 Ich glaube, daß nicht einmal Hyndman es wagen wird, daraus Kapital zu schlagen, höchstens vielleicht in einem sehr geringfügigen Maße. Jetzt muß ich beginnen, mein Vorwort2 zu schreiben, da S. Sonnenschein] und Co. schon danach fragen, das sieht ganz so aus, als ob die Dinge zum Schluß kommen! In aufrichtigster Zuneigung Dein F.E.
Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift deutsch: Streber - 2 „Vorwort zur englischen Ausgabe" des ersten Bandes des „Kapitals"
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 9. Nov. 1886
Werter Herr, Die ganze Zeit über war ich mit der englischen Übersetzung von Bd. I1 beschäftigt, die hoffentlich in wenigen Wochen fertig ist, da ich die ersten Korrekturbogen des Ganzen gelesen und jetzt nur noch die 2. und 3. Korrektur der letzten 10 Bogen zu machen habe. Es war eine sehr schwere Arbeit, denn in letzter Instanz werde ich ja für den Text verantwortlich sein. Ich war nicht in der Lage, während dieser Zeit irgend etwas anderes zu tun, und so haben sich viele kleine Sachen angesammelt, die ich jetzt erledigen werde, und dann gehe ich wieder an den 3. Bd. Ich habe Ihnen wohl schon mitgeteilt, daß ich das Ms, aus dem Original in eine leserliche Handschrift hinüberdiktiert habe2, und daß der größere Teil davon nicht viel Revisionen erfordern wird; nur die Kapitel über die Verwandlung der Rate des Mehrwerts in Profitrate, über Bankkapital und bis zu einem gewissen Grade auch das über die Grundrente müssen noch großenteils ausgearbeitet werden.16871 Ich hoffe, den ganzen Band im nächsten Jahr herauszubringen, aber ich gebe nichts in Druck, ehe nicht alles fertig ist. Von Bd. II sind bis März 1886 1300 Exemplare verkauft worden. Sobald die englische Übersetzung heraus ist, werde ich Ihnen ein Exemplar schicken. Die Besprechungen über Bd. II in der deutschen Presse waren außerordentlich stupide. Eine, von einem Dr. Groß in Wien, war ganz anständig, aber der Mann selbst ist ein Idiot. Eine andere von Prof. Lexis in Breslau ist in ihrer Art sehr geschickt, der Mann versteht das Buch ausgezeichnet und weiß, daß nichts dagegen zu sagen ist; aber er ist ein „Streber"3 und entpuppt sich daher als Vulgärökonom4. Die Besprechung steht in Hildebrands „Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik", XI. Band, 1885, 5. Heft (5. Dez. 85).
1 des „Kapitals" - 2 siehe vorl. Band, S. 385 - 3 in der Handschrift deutsch: „Streber" - 4 in der Handschrift deutsch: Vulgärökonom
Ich werde heilfroh sein, wenn ich den 3. Bd. herausbringen kann, denn erst dann wird, wie Sie sagen, das ganze System des Autors völlig verständlich, und dann werden auch viele der jetzt erhobenen albernen Einwände gegenstandslos werden. Ihr ergebener P. W.R[osher] I3811
568 294 • Engels an E.T. • vor dem 13. November 1886
294
Engels an E.T. in London1688 ]
[London, vor dem 13. November 1886] In Beantwortung der obigen Anfrage teile ich mit, daß ich einen Übersetzer1 habe für die erwähnte Broschüre; da diese jedoch ziemlich schwer zu übersetzen ist, würde ich es natürlich nicht gern sehen, daß eine Übersetzung veröffentlicht wird, die vorher von mir nicht durchgesehen worden ist. Ihr ergebener F. Engels
Nach: „The Commonweal" Vol. 2, Nr. 44, vom 13. November 1886. Aus dem Englischen.
295
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 23. Nov. 86
Meine liebe Laura, Ich wollte Dir eigentlich heute schreiben, mußte jedoch zuerst an Edward schreiben'351, damit der Brief noch den Dampfer erreicht, und das hat mich bis jetzt, 5 Uhr nachmittags, in Anspruch genommen. So muß ich es auf morgen verschieben. Vorworte usw.1 in 14 Bogen korrigiert, so daß gegen Ende der Woche mein Anteil an der Arbeit wahrscheinlich getan sein wird. Ich bin verdammt froh, es hat mich mehr als genug geplagt. Wann S.S[onnenschein] und Co. es nun herausbringen werden, kann ich nicht sagen. Gleichzeitig lege ich zwei Briefe aus Amerika bei'6891, auf die ich gerade geantwortet habe. Dank für „Fergus"16901 - sie lehnen es demnach also ab, seinen Namen zu nehmen? Cion soll in Paris im Interesse Rußlands ein großes französisches Blatt gründen (oder ein bestehendes kaufen), deshalb ist er also nach Hause gefahren und hat das Geld dafür mitgebracht. In Zuneigung Dein F.E.
Aus dem Englischen.
1 der englischen Ausgabe des ersten Bandes des „Kapitals"
296
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 24. Nov. 1886
Meine liebe Laura, Hoffentlich hast Du die Briefe aus Amerika bekommen16891, die ich Dir gestern geschickt habe, heute kann ich mein Wort halten und schreiben: Unsere Leute haben wirklich einen günstigen Augenblick für ihre Reise erwischt'6341, sie fällt in die Zeit, in der zum ersten Mal in Amerika eine wirkliche Arbeiterpartei entsteht und fällt zusammen mit dem, was praktisch ein enormer Erfolg war, mit dem Henry-George-„Boom" in New York'8911. Meister George ist ein ziemlicher Wirrkopf, und da er ein Yankee ist, hat er sein eigenes, nicht gerade sehr großartiges Heilmittel, aber seine Konfusion ist ein sehr deutlicher Ausdruck des augenblicklichen Entwicklungsstandes im Denken der angloamerikanischen Arbeiterklasse, und gerade von den amerikanischen Massen können wir nicht erwarten, daß sie innerhalb von sechs oder acht Monaten - dem Bestehen dieser Bewegung - in der Theorie perfekt sind. Und in Anbetracht dessen, daß die Deutschen in Amerika alles andere als ein gutes und ebenbürtiges Abbild der Arbeiter in Deutschland sind, sondern eher der Elemente, die in der Heimat aus der Bewegung ausgeschlossen wurden - Lassalleaner, enttäuschte Ehrgeizige, Sektierer jeder Art -, tut es mir jedenfalls nicht leid, daß die Amerikaner unabhängig von ihnen, oder zumindest von ihrer Führerschaft, beginnen. Die Deutschen können und werden als Ferment wirken und dabei selber ein gut Teil nützlicher und nötiger Fermentation erfahren. Den unvermeidlichen Ausgangspunkt in Amerika bilden die Knights of Labor'6421; sie sind eine wirkliche Macht und werden sicher die erste Form der Bewegung darstellen. Ihre lächerliche Organisation und ihre sehr unzuverlässigen Führer - die an die Methoden des korrupten amerikanischen Parteiwesens gewöhnt sind - werden sehr bald eine Krise innerhalb jenes Vereins hervorrufen, und dann kann sich daraus eine zweckentsprechendere und wirkungsvollere Organisation entwickeln. Ich glaube, all das wird im Lande der Yankees nicht sehr lange dauern; die entscheidende Stufe ist erreicht, daß
dort von nun an das politische Auftreten der Arbeiterklasse als unabhängige Partei gesichert ist. Von Amerika nach Rußland il n'y a qu'un pas1. Tussy erzählte mir im vergangenen Sommer, daß Lawrow sie gebeten hätte, etwas über Lopatin zu schreiben und mich darum bitten möchte, dasselbe zu tun, da er etwas über ihn veröffentlichen wolle. Ich sagte ihr, daß L[opatin], soviel ich wüßte, noch immer auf seinen Prozeß warte13801, und Lawrow unter diesen Umständen sicher nichts veröffentlichen würde, was dessen Lage verschlimmern könnte; sie solle deshalb wieder an Lawr[ow] schreiben, um zu erfahren, wie es um die Sache stehe (denn ich mußte fast annehmen, daß man Lawrfow] informiert hatte, Lopatin sei tot) und was ich über ihn schreiben solle. Seitdem habe ich nichts wieder davon gehört. Jetzt ersehe ich aus den Zeitungen, daß in Petersburg ein neuer Nihilisten-Prozeß bevorsteht, und nach der Art, wie darüber berichtet wird, betrifft er wahrscheinlich auch Lopatin, wenn er noch am Leben ist. Würdest Du so gut sein und Lawrow, wenn Du ihn wieder siehst, mal fragen, wie es damit steht, und was ich seiner Meinung nach im Hinblick auf Lop[atin] tun soll, denn ich werde immer gern bereit sein, mit meinem Zeugnis zur Bestätigung und Anerkennung der großen Dienste beizusteuern, die er der Sache geleistet hat, vorausgesetzt ich weiß, was gebraucht wird und wie seine Lage im gegebenen Moment ist. Dank der Dummheit all ihrer Rivalen und Gegner fängt die Social Democratic Federation13131 an, eine Macht zu werden. Die Regierung bewahrte sie vor einem Jour2, als sie ihre Prozession am Lord Mayor's Tag verbot, und verhalf ihr so zu einem scheinbaren Triumph, als sie ihr erlaubte, am gleichen Nachmittag auf dem Trafalgar Square ein sogenanntes Meeting abzuhalten. Und als danach die Social Democratic Federation ein Meeting für vergangenen Sonntag auf dem Trafalgar Square einberief, machte die gleiche Regierung das zu einem wirklichen Triumph, indem sie zuerst bekanntgab, daß einsatzbereite Artillerie zum St. James Park gebracht würde, und dann diesen lächerlichen Plan zurücknahm. So wurde dieses Meeting - das erste, dessen ruhigen und friedfertigen Verlauf die Social Democratic Federation angekündigt hatte -, von der Regierung zu einem großen Ereignis aufgebauscht16921; als es aber ruhig und friedfertig verlief, stellten die Bourgeois und Spießbürger3 fest, daß die Social Democratic Federation, was auch immer ihre eigene Stärke sein mag, doch über einen sehr großen Anhang verfüge. Tatsache ist, daß die Socialist League13671
1 ist es nur ein Schritt - 2 Fiasko - 3 in der Handschrift deutsch: Spießbürger
zu sehr in die Erörterung ihrer eigenen Statuten mit ihren anarchistischen Mitgliedern vertieft ist, um für die Geschehnisse außerhalb Farringdon Road Nr. 18 einen Augenblick Zeit zu haben. Und da die radikalen Klubs16931 von East End überhaupt keine Initiative hinsichtlich der Arbeitslosen ergreifen, hat die Social Democratic Federation keinen Konkurrenten, steht allein im Feld und behandelt diese Frage, die jeder folgende Winter erneut stellt, völlig nach eigenen Gutdünken. Und sie sind in letzter Zeit in ihrer Handlungsweise unbestreitbar vernünftiger gewesen _ in letzter Zeit, das heißt in den letzten vierzehn Tagen. Wie lange das andauern wird, kann natürlich keiner sagen. Hyndman est capable de tout.4 Dieser Professor Menger, der durch seine unverschämte Frechheit überall auf dem Kontinent den Leuten Angst gemacht zu haben scheint, ist ein ganz gewöhnlicher Streber®, der es auf das Justizministerium abgesehen hat. Ich habe K[autsky] die nötigen Materialien gegeben und sie teilweise, soweit es erforderlich war, selbst ausgearbeitet; wenn wir es machen können, bekommt er sein Fett schon in der ersten Nr. der „N[euen] Z[eit]" Januar 87®.16351 Natürlich haben die liberalen Zeitungen einen fürchterlichen Lärm um seine Enthüllungen gemacht, wie sie es auch um die von Vogt getan hatten. Nur die Zeiten haben sich geändert, und wir können jetzt wirkungsvoll zurückschlagen. Die Verschwörung der bürgerlichen Presse 1859 gegen uns16941 war lOOOmal wirkungsvoller als Bismarcks niederträchtiges Sozialistengesetz. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, daß das Buch7 endlich ausgedruckt ist. Es war unmöglich, inzwischen irgend etwas anderes zu tun. Die Arrangements waren notwendigerweise sehr kompliziert; Korrekturbogen mußten an Edward, Moore und mich geschickt werden, was natürlich Verzögerung und ständiges Drängen seitens S.S[onnenschein] und Co. bewirkte. Außerdem wurde das Buch, wie ich erst neulich herausgefunden, in - Perth8 gedruckt! Und dazu noch die ziemlich nachlässige Arbeitsweise des Büros von S.S[onnenschein] und Co., durch das alles gehen mußte. Schließlich die übliche Geschichte: Vernachlässigung und Verzögerung seitens der Druckerei im Sommer, dann Ende Sept. alles Hals über Kopf - gerade bei dem Teil des Ms., das die sorgfältigste endgültige Durchsicht nötig hatte - und ständige Versuche, die Verzögerung uns in die Schuhe zu schieben. Große Industrie9 im Verlagswesen mag für Zeit
4 Hyndman ist zu allem fähig. - 6 in der Handschrift deutsch: Streber - 6 in der Handschrift deutsch: bekommt er sein Fett schon in der ersten Nr. der „N.Z." Januar 87 - 7 die englische Übersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" - 8 Stadt in Schottland - 9 in der Handschrift deutsch: Große Industrie
Schriften, Romane und Tagesliteratur10 recht gut sein, aber für Arbeiten wie diese ist es nicht das richtige, es sei denn, das Ms. ist bis auf jedes i-Tüpfelchen vollkommen; sonst: wehe dem Autor! Und wie steht es nun mit Eurer, Deiner und Pauls Reise nach London? Tussy wird von New York am 25.Dez., am Weihnachtsfeiertag, abreisen, so daß sie ungefähr am 6. Januar hier sein wird. Aber das ist kein Grund, weshalb Ihr so lange wegbleiben solltet; im Gegenteil, wir hoffen, Euch Weihnachten hier zu haben. Und Paul hat diesmal keine Entschuldigung, und ich würde auch keine gelten lassen; in Frankreich ist alles schön ruhig, keine Prozesse, keine Gefängnisstrafe, keine großen Versammlungen, keine Aufregungen, und es ist völlig ausgeschlossen, daß während la saison des etrennes11 noch etwas passiert. Und Du, nachdem Du den Sommer und Herbst hast vorbeigehen lassen, Du wirst mit den Nebeln vorliebnehmen müssen - hast Du nicht ein bißchen Sehnsucht nach ihnen? Übrigens behandeln uns die Nebel vorläufig ganz anständig, denn bei uns ist es klar und hell, während seit Montag nicht nur die City, sondern auch Kilburn dunkel und trübe ist. Also entscheidet Euch bitte und laßt uns wissen, wieviel Tage vor Weihnachten Ihr hier auftauchen werdet. Nim wird schon sehr ungeduldig und ist imstande, zu Euch zu kommen und Euch zu holen, wenn wieder eine Verzögerung eintritt. Und damit verbleibe ich in Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
10 in der Handschrift deutsch: Tagesliteratur -11 der Feiertage
297
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich
London, 26. Nov. 1886
Lieber Herr Schlüter, Besten Dank für Ihre Mitteilungen wegen J.Ph.B[ecker], Was seine Übersiedlung nach Zürich angeht, so ist das ein Punkt, den ich am liebsten Ihrer direkten Verhandlung überlasse. Sie sagen, die Notwendigkeit dafür liege klar auf der Hand, das mag für Sie in Zürich ja ganz richtig sein, für mich hier in London, der ich die Details nicht so beurteilen kann, ist das aber nicht der Fall. Und da kann ich doch unmöglich dem alten Mann zureden, er solle Genf, wo er sich seit über vierzig Jahren eingelebt, womit er sozusagen verwachsen, so ohne weiteres mit Zürich vertauschen. Ich habe also von dieser Sache bis jetzt kein Wort erwähnt.16951 Mit der englischen Übersetzung1 bin ich jetzt so gut wie fertig, und nachdem ich meine dringendsten Korrespondenzschulden abgezahlt, kann ich endlich die in meinem Pult ruhenden Restanten vornehmen. Dafür gilt folgende Anciennitätsreihe: 1. italienische Übersetzung von „Lohnarbeit und Kapital", 10 Monate alt, 2. französische do. des ,,18.Brumaire", 8 Monate alt, 3. Ihr Chartisten-Ms.15881, 4. und 5. Meine „Wohnungsfrage" etc. und die „Mordspatrioten"2. Dazu fügen Sie jetzt noch ein 6. und 7. 6. „Gewaltstheorie".16961 Steht mit Vergnügen zu Diensten, aber was verstehn Sie unter: „entsprechend geändert?" Das bloß Positive darin sind nur ein paar Seiten, die Polemik gegen D[ühring] ist selbst positiv und kann weder sachlich noch technisch entbehrt werden. Wenn Sie also bloß meinen, daß einzelnes, was nicht speziell auf den Gewaltspunkt sich bezieht, sondern die Verbindung mit dem Rest des Buchs herstellt, gestrichen resp. geändert wird, dann einverstanden. Das gibt ca. 25 Seiten und ist etwas wenig. Meiner Ansicht nach könnten die 2 Kapitel Moral und Recht:
1 des ersten Bandes des „Kapitals" - 2 Friedrich Engels: „Einleitung zu Sigismund Borkheims Broschüre ,Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806-1807'"
Ewige Wahrheiten, und Gleichheit ebenso bearbeitet, dazugesetztwerden, die sich ebenfalls um die materialistisch-ökonomische Geschichtsauffassung drehen, und das Ganze dann heißen: Über Recht und Gewalt in der Weltgeschichte, oder so etwas. 7. „Soziales] aus Rußland". Wenn Sie das Broschürchen, wie es ist, wieder abdrucken, so habe ich nichts dagegen; eine Vorrede dazu würde mich zwingen, neue russische Studien zu machen, wozu ich absolut keine Zeit habe; eine Vorrede ohne neue Studien würde nichts Neues geben, bleibt also besser weg. Die darauf bezüglichen Artikel im ,,Volksst[aat]" bleiben auch besser weg. Nr. 33 war gegen Lawrow, der uns seitdem keinen Anlaß gegeben, den alten Kram wieder aufzuwärmen, und enthält wie der Anfang von Nr.44 (gegen Tkatschow) außer einigen vielleicht passablen Witzen absolut nichts, was heute interessieren oder gar propagandistisch wirken könnte.16971 Wenn Ede nicht ganz und gar im Ewig Weiblichen aufgegangen ist, so bitte sagen Sie ihm doch, daß m. E. die Social Democratic Federation13131 jetzt wohl etwas anders behandelt werden müßte. Die Dummheit der Regierung, die Untätigkeit der radikalen Arbeiterklubs16931 gegenüber den enorm anwachsenden „Arbeitslosen", und endlich die Weisheit der Socialist League13671, die für nichts Zeit und Augen hat als für die unaufhörliche Beschäftigung mit ihren eignen Statuten, haben der Social Democratic Federation ein so brillantes Tätigkeitsfeld geschaffen, daß es selbst Hyndman & Co. bis jetzt nicht gelungen ist, es zu verderben. Die S.D.F. fängt an, eine gewisse Macht zu werden, weil die Massen absolut keine andre Organisation finden, hinter der sie sich gruppieren können. Die Tatsachen sollten also unparteiisch registriert werden, und namentlich die Haupttatsache, daß eine wirkliche sozialistische Arbeiterbewegung hier angefangen hat. Aber man müßte sehr unterscheiden zwischen den Massen und ihren momentanen Führern, und namentlich sich hüten, sich irgendwie mit diesen zu identifizieren; denn es ist fast absolut sicher, daß diese politischen Abenteurer in der Ungeduld ihres Ehrgeizes bald genug wieder die gröbsten Böcke begehn werden. Sobald die Bewegung Konsistenz gewonnen, werden jene Herren entweder von ihr in Schranken gehalten oder sie fliegen an die Luft. Bis jetzt ist die Masse auch nur noch in dumpfer bewußtloser Unzufriedenheit erregt, aber damit ist der Boden für die Saat präpariert. In Amerika geht, außer New York, die wirkliche Bewegung über den Köpfen der Deutschen vor sich. Die wirkliche Organisation der Amerikaner
sind die Knights of Labor, die so konfus wie die Massen selbst. Aber aus diesem Chaos wird sich die Bewegung entwickeln, nicht aus den Sektionen der Deutschen, die seit 20 Jahren nicht imstande waren, aus der Theorie das für Amerika Nötige herauszuarbeiten.'6421 Aber sehr aufklärend können die Deutschen grade jetzt wirken, wenn sie nur - Englisch gelernt hätten! Besten Gruß an alle. Ihr F. Engels
298
Engels an Karl Kautsky in London
London, 29. Nov. 86
Lieber Kautsky, Heute morgen Brief von Frau Liebknecht, daß sie mir auf den Rat ihres Mannes anzeigt, daß sie übermorgen via Vlissingen in Victoria Station ankommen wird. Da gestern davon die Rede war, will ich nicht versäumen, Dir dies mitzuteilen, und überlasse es nun Deinem Ermessen, ob Du Dich gedrungen fühlst, als einziger, der sie persönlich kennt, sie am Bahnhof zur nachtschlafenden Zeit abzuholen, wozu ich E)ich aber keineswegs in irgendeiner Weise drängen will, sondern Dich bloß in Kenntnis jener wichtigen victorianischen Tatsache setzen. Es ist wieder Bier da, wenn ich's nur trinken dürfte. Grüß Deine Frau,
Dein F.E.
299
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 29. Nov. 86
Lieber Sorge, Heut morgen hab* ich die letzte Korrektur der Vorrede1 zum Verleger getragen und bin somit endlich von diesem Alp los. In 14 Tagen hoffe ich Dir ein Ex. der Übersetzung senden zu können. Übermorgen kommt Frau Liebknfecht] ihren Mann hier erwarten, der erst vorgestern von New York abgefahren.16331 Der Henry-George-Boomffi911 hat natürlich eine kolossale Masse Schwinde] an den Tag gefördert, und ich bin froh, daß ich nicht dabei war. Trotz alledem aber ist es ein epochemachender Tag gewesen. Die Deutschen haben nun einmal nicht verstanden, von ihrer Theorie aus den Hebel anzusetzen, der die amerikanischen Massen in Bewegung setzen konnte; sie verstehn die Theorie großenteils selbst nicht und behandeln sie doktrinär und dogmatisch als etwas, das auswendig gelernt werden muß, dann aber auch allen Bedürfnissen ohne weiteres genügt. Es ist ihnen ein Credo, keine Anleitung zum Handeln. Dazu lernen sie aus Prinzip kein Englisch. Daher mußten die amerikanischen Massen ihren eignen Weg suchen und scheinen ihn zunächst in den Knights of Labor16421 gefunden zu haben, deren konfuse Grundsätze und lächerliche Organisation ihrer eignen Konfusion zu entsprechen scheint. Nach allem aber, was ich höre, sind die Knights of Labor namentlich in New England und dem Westen eine wirkliche Macht und werden es täglich mehr durch die brutale Gegnerschaft der Kapitalisten. Ich glaube, daß es nötig ist, innerhalb ihrer zu wirken, innerhalb dieser noch ganz plastischen Masse einen Kern von Leuten auszubilden, der die Bewegung und ihre Ziele versteht und damit von selbst die Leitung wenigstens eines Teils bei der unvermeidlich kommenden Sprengung des jetzigen „Ordens" übernimmt. Die faulste Seite der Knights of Labor war ihre politische Neutralität, die auf reine Mogelei der Powderlys etc. hinaus
1 Friedrich Engels: „Vorwort zur englischen Ausgabe" des ersten Bandes des „Kapitals"
läuft; dieser ist aber die Spitze abgebrochen durch die Haltung der Massen bei den Novemberwahlen und namentlich in New York. Der erste Schritt, worauf es in jedem neu in die Bewegung eintretenden Land ankommt, ist immer die Konstituierung der Arbeiter als selbständige politische Partei, einerlei wie, solange es nur eine distinkte Arbeiterpartei ist. Und dieser Schritt ist geschehn, viel rascher als wir erwarten durften, und das ist die Hauptsache. Daß das erste Programm dieser Partei noch konfus und äußerst mangelhaft'6981, daß sie den H. George als Fahne aufgesteckt, das sind unvermeidliche Übelstände, aber auch nur vorübergehende. Die Massen müssen Zeit und Gelegenheit haben, sich zu entwickeln, und die Gelegenheit haben sie erst, sobald sie eine eigne Bewegung haben - einerlei in welcher Form, sobald es nur ihre eigne Bewegung ist -, in der sie durch ihre eignen Fehler weitergetrieben werden, durch Schaden klug werden. Die Bewegung steht in Amerika da, wo sie bei uns vor 48 stand, die wirklich intelligenten Leute dort werden zunächst die Rolle zu spielen haben, wie der Kommunistenbund vor 48 unter den Arbeitervereinen.'6991 Nur daß es jetzt in Amerika unendlich schneller gehn wird; daß nach kaum achtmonatlicher Existenz der Bewegung solche Wahlerfolge erzielt worden, ist ganz was Unerhörtes. Und was noch fehlt, das werden die Bourgeois ins Werk setzen, nirgendwo in der ganzen Welt treten sie so unverschämt und tyrannisch auf wie dort, und Eure Richter schlagen die Bismarckschen Reichsrabulisten glänzend aus dem Feld.17001 Wo der Kampf von den Bourgeois mit solchen Mitteln geführt wird, da kommt er rasch zur Entscheidung, und wenn wir uns in Europa nicht beeilen, kommen uns die Amerikaner bald vor. Aber grade jetzt wäre es doppelt nötig, daß auf unsrer Seite ein paar Leute da wären, die in der Theorie und altbewährten Taktik fest im Sattel sind und auch englisch sprechen und schreiben können, denn die Amerikaner sind aus guten historischen Gründen in allen theoretischen Dingen himmelweit zurück, haben zwar keine mittelalterlichen Institutionen aus Europa herübergenommen, wohl aber Massen mittelalterlicher Tradition, Religion, englisches gemeines (feudales) Recht, Aberglauben, Spiritismus, kurz allen Blödsinn, der dem Geschäft nicht direkt schädlich war und jetzt zur Massenverdummung sehr brauchbar ist. Und wenn da theoretisch klare Köpfe vorhanden sind, die ihnen die Folgen ihrer eignen Fehler vorhersagen können, ihnen klarmachen, wie jede Bewegung, die nicht die Vernichtung des Lohnsystems als letztes Ziel stets im Auge behält, irregehn und fehlschlagen muß - da kann mancher Unsinn vermieden und der Prozeß wesentlich abgekürzt werden. Aber es muß englisch geschehn, der deutsche Sondercharakter muß abgestreift werden, und die Herren vom 37«
„Sozialist" haben schwerlich das Zeug dazu, die von der „Volkszeitung"2 sind auch nur im Geschäft gescheiter. Die Wirkung der amerikanischen Novemberwahlen in Europa war ungeheuer. Daß England und besonders Amerika bisher keine Arbeiterbewegung hatten, war der große Trumpf der radikalen Republikaner überall, namentlich in Frankreich. Jetzt sind die Herren total aufs Maul geschlagen, am 2. Nov. ist speziell dem Herrn Clemenceau die ganze Basis seiner Politik zusammengebrochen: seht auf Amerika, war sein ewiges Sprüchlein; wo eine wirkliche Republik herrscht, da ist kein Elend und keine Arbeiterbewegung! Und ebenso geht's den Fortschrittlern und „Demokraten" in Deutschland und hier -, wo sie eben auch ihre eigne anfangende Bewegung erleben. Grade daß die Bewegung als Arbeiterbewegung so scharf akzentuiert und so plötzlich und gewaltsam emporgesprungen, das hat die Leute vollständig betäubt. Hier hat einerseits der Mangel an aller Konkurrenz, andrerseits die Dummheit der Regierung den Herren von der Social Democratic Federation'3131 erlaubt, eine Stellung einzunehmen, die sie sich vor 3 Monaten noch nicht zu träumen wagten. Der Lärm, der von dem - nie ernstgemeinten - Plan einer Prozession hinter dem Lordmayorszug am 9. Nov. gemacht worden, und nachher derselbe Lärm wegen des Trafalgar-Square-Meetings vom 21. Nov., wo von Aufstellung von Artillerie die Rede war und die Regierung am Ende doch den Schwanz zwischen die Beine nahm - alles das zwang die Herren der Social Democratic Federation, am 21. endlich einmal ein ganz gewöhnliches Meeting zu halten, ohne hohle Rodomontaden und scheinrevolutionäre Demonstrationen mit obligater Pöbelbegleitung und die Philister bekamen jetzt plötzlich Respekt vor den Leuten, die so viel Staub aufgewirbelt und sich doch so honett benommen hatten.'6921 Und da außer der Social Democratic Federation sich niemand um die Unemployed3 kümmert, die jeden Winter während der chronischen Geschäftsstagnation eine stärkere Masse bilden und ein sehr akutes Elend durchmachen, hat die Social Democratic Federation gewonnen Spiel. Die Arbeiterbewegung beginnt jetzt hier and no mistake4, und wenn die Social Democratic Federation die Ernte zunächst einheimst, ist das die Folge der Feigheit der Radikalen und der Dummheit der Socialist League'3671, die sich mit den Anarchisten katzbalgt und sie nicht loswerden kann und deshalb keine Zeit hat, sich um die lebendige Bewegung zu kümmern, die draußen vor ihrer Nase vorgeht. Wie lange übrigens Hyndman & Co. ihre jetzige relativ rationelle
2 „New Yorker Volkszeitung" - 8 Arbeitslosen - 4 daran besteht kein Zweifel
Handlungsweise beibehalten, ist fraglich. Ich erwarte, daß sie bald doch wieder kolossale Dummheiten machen, sie haben's zu eilig. Und dann werden sie merken, daß das in einer ernstlichen Bewegung nicht so hingeht. In Deutschland wird's immer schöner. In Leipzig wegen „Aufruhr" auf Zuchthaus bis zu 4 Jahren erkannt!17011 Es soll mit aller Gewalt ein Krawall provoziert werden. Jetzt hab' ich noch 7 kleinere Arbeiten im Pult - italienische, französisch e Übersetzungen, Vorreden, Neuauflagen etc.5 -, und dann geht's unaufhaltsam an Band III®. Dein alter F. E.
6 siehe vorl. Band, S. 574/575' - 6 des „Kapitals'
300
Engels an Hermann Schlüter in Hottingen-Zürich17021
Bitte mir ein Ex. „Bakunisten an der Arbeit" zu senden17031, habe nur eins, mit andern Sachen zusammengebunden. Das Ding ist arg verdruckt, muß genau von mir angesehn werden. Sonntag1 nachmittag sprang der Soldat2 hier ein, seine Frau war schon einige Tage hier - er ist sehr zufrieden mit seinen Erfolgen16331 gestern auch Paul, der Berliner3, eingetroffen. Da ich während deren Anwesenheit doch schwerlich zu größeren Arbeiten komme, will ich sehn, ob ich Ihnen nicht eins oder das andre zum Druck fertigmachen kann, meine Vorreden aber schreibe ich vorzugsweise selbst. Beste Grüße. Ihr F.E. [London] 7./12./86
1 5. Dezember - 2 Wilhelm Liebknecht - 3 Paul Singer
301
Engels an Laura Lafargue in Paris
London, 13. Dez. 1886
Meine liebe Laura, Jetzt haben wir Dich endlich auf ein Datum festgenagelt, und Du wirst hoffentlich beim 23. bleiben, so daß Du noch vor Weihnachten ein bißchen mit Nim durch die Stadt bummeln und Dir die weihnachtlich geschmückten Geschäfte ansehen kannst. Und um allen weiteren Entschuldigungen zuvorzukommen, lege ich einen Scheck über £ 20 bei, damit Du Dein Versprechen halten kannst. Schicke auch einen Brief von Tussy mit, die gestern in Williamsport, Pennsylvania, war und anschließend nur noch in Baltimore, Wilmington und New York Versammlungen haben wirdt6341 - in New York allerdings eine ganze Reihe vom 19. bis 23., und dann am 25. abreisen wird. Einen anderen Brief von Edward schicke ich morgen; ich muß mir noch ein oder zwei Notizen daraus machen. Bring bitte all diese Briefe wieder mit, wenn Du kommst, weil ich den starken Verdacht habe, daß sie mit einem Auge zu praktischen Zwecken geschrieben worden sind; ich habe nämlich festgestellt, daß Liebknecht seiner Frau ebenfalls fast täglich seine impressions de voyage1 mitteilte, nicht so sehr für sie, als zur Vorbereitung eines Buchs, über das er schon einen Kontrakt abgeschlossen hat. Vorletzte Woche Mittwoch2 ist Frau Liebknecht hier eingetroffen, eine ausgesprochen deutsche Dame; es waren noch keine 24 Stunden vergangen, als sie Nim auch schon mit solch einem Eifer ihr Herz auszuschütten begann, daß es fast zuviel für Nim war. Der Haushalt scheint mustergültig deutsch zu sein, Sentimentalität und häuslicher Zwist3, aber von letzterem beträchtlich mehr. Nim wird Dir bald mehr erzählen. Sonntag nachmittag sprang Liebknecht ein, hungriger als gewöhnlich; zum Glück war eine gekochte Hammelkeule da, um seinen Appetit zu stillen. Er ist ganz der alte Liebknecht, doch Nim, die am tiefsten in die Geheimnisse seines häuslichen
1 Reiseeindrücke - 2 1.Dezember (siehe vorl. Band, S.577) -3 in der Handschrift deutsch: Sentimentalität und häuslicher Zwist
Lebens eingedrungen ist, behauptet, er sei noch etwas mehr Philister geworden. Was Tussy von ihm sagt, ist ganz richtig: seine Meinung von seiner eigenen Wichtigkeit, seinen Fähigkeiten und seiner absoluten Unbesiegbarkeit ist verblüffend; aber gleichzeitig spürt er im Unterbewußtsein, daß er trotz allem nicht der große Mann ist, für den ihn die Leute halten sollen; dieses Unterbewußtsein treibt ihn dazu, die Bewunderung anderer mehr zu suchen, als es sonst der Fall wäre, und in all seinen Geschichten über sich selbst die Tatsachen beträchtlich aufzuputzen. Aber seine Frau sagt ganz richtig, daß er niemals imstande wäre, die Arbeit zu leisten, die er leistet, wenn er nicht mit sich selbst so ungemein zufrieden wäre. So müssen wir ihn eben nehmen, wie er ist, und uns bei vielem, was er sagt, mit einem stillen Lächeln begnügen; er wird durch seine diplomatisch sein sollende Art pro aris et focis4 in kleinen Dingen viel Unheil anrichten, aber im entscheidenden Moment wird er immer den richtigen Standpunkt einnehmen. Am Freitag sind sie nach Leipzig abgereist. Percy geht es wieder ganz gut, er hat immer solche starken Anfälle, ist aber der erste Ansturm vorüber, dann ist er bald wieder auf den Beinen. Die Kautskys nehmen sich hinter dem Archway ein Haus - nicht Archway Tavern, sondern am richtigen Archway, weiter oben. Das heißt, Scheu mietet das Haus für drei Jahre und bewohnt die Hälfte mit seiner Tochter, einem ziemlich albernen Mädchen von ungefähr 18, das er aus Ungarn herübergebracht hat; und Kfautskys] nehmen die andere Hälfte. Sie fangen heute mit dem Umzug an und hoffen, bis Samstag fertig zu sein. Vorige Woche erhielt ich einen Brief vom alten Harney; er ist am 12. Okt. per Schiff abgereist, für seinen Gesundheitszustand viel zu spät, und ist natürlich mit Rheuma- und Gichtbeschwerden angekommen. Aber er wollte England, für das er schwärmt, während er Amerika haßt, nicht verlassen und meint, wenn er noch am Leben ist, will er nächstes Frühjahr wiederkommen und in England leben und sterben! Der arme Kerl - als die Chartistenbewegung zusammenbrach, war er ohne Halt, und die glorreiche Zeit der Freihandelsprosperität in England konnte einen wahrhaftig zur Verzweiflung treiben. Dann ging er nach Boston, nur um dort vorherrschend und in übersteigerter Form eben jene Dinge und Erscheinungen zu finden, die er in England am meisten gehaßt hatte. Und heute, wo auf beiden Seiten des Atlantiks unter den englischsprechenden Völkern eine wirkliche Bewegung beginnt, ist er zu alt, zu klapprig, zu sehr Außenseiter und - zu
4 für Altar und Herd
patriotisch, um ihr zu folgen. Alles, was er in Amerika gelernt hat, ist britischer Chauvinismus! Gerade kommt Nim und bringt mir die selten gebrauchten Briefmarken, die auf diesen ungewöhnlich schweren Brief geklebt werden müssen, während Anni den Tisch zum Mittagessen deckt, und so muß ich also schließen. Nim läßt Euch beide herzlich grüßen. Was Paul angeht, so wird es Dir vielleicht doch noch gelingen, ihn am 23. mitzubringen. Was zum Teufel will er sich in der Weihnachtswoche in Paris herumtreiben, wo nicht einmal die Kammern tagen? Wie immer in Zuneigung Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Emil Engels jun. in Engelskirchen
London, 22. Dez. 1886
Lieber Emil, Es hat mich sehr gefreut, wieder einmal von Dir zu hören, und durch Dich von Deiner Mutter1 und Euch allen. Was Dein Anliegen angeht, so kommt es mir doch vor, als wenn es mir als eine starke Inkonsequenz angerechnet werden würde, wollte ich dem evangelischen Vereinshaus in Barmen einen Beitrag von M. 150 machen, weil es auch sonst allgemein nützliche Zwecke verfolgt.'7041 Ich glaube, Dein Schwiegervater2 würde es ebenfalls für inkonsequent halten, wenn er einer ausgesprochen sozialdemokratischen Arbeiterkasse wegen ihrer allgemein nützlichen Zwecke eine Schenkung machen sollte. Indes mit gutem Willen läßt sich manches machen, und da ich mir ohnehin jedesmal etwas komisch vorkomme, wenn ich mich im Kontokorrent als Aktionär des evangelischen Vereinshauses verzeichnet finde, so schenke ich Dir hiermit die beiden Aktien, und Du kannst damit machen, was Du willst. Ein Zettel für Hermann3, der die Sache hoffentlich erledigt, liegt bei. Ich freue mich zu hören, daß es Euch allen gut geht, und namentlich Deine Mutter in der Sorge um ihre Kinder und Enkel wieder auflebt. Den Vater4 werdet Ihr alle in der Tat noch lange missen, in der Familie wie im Geschäft. Er war ein ganzer Mann, und der ersetzt sich in der Familie nie und im Geschäft nur schwer. Indes ist es Euch jungen Leuten sehr nützlich, daß Ihr schon früh in eine verantwortliche Stellung kommt, es war das zu meiner Zeit in Deutschland leider selten genug, und ist doch zur Entwicklung des Verstands wie namentlich des Charakters durchaus nötig. Laßt die alten Herren sich in Barmen amüsieren und im Sommer Engelskirchen mehr als Kurort denn als Geschäftsort benutzen, um so besser, wenn Ihr das Geschäft allein führen könnt, das gibt Euch Vertrauen auf Euch selbst.
1 Charlotte Engels - 2 Friedrich Wilhelm Röhrig - 3 Hermann Engels jun. - 4 Emil Engels sen.
Nun muß ich aber schließen, in ein paar Minuten kommt Schorlemmer von Manchester, und morgen erwarte ich weiteren Besuch aus Paris5, da ist das Haus voll, und mit der Arbeit geht auch die Korrespondenz in die Brüche. Ich wollte aber gern vorher noch die Angelegenheit wegen der Aktien in Ordnung bringen und habe dazu die letzten freien Augenblicke benutzt. Also grüße Deine Mama ganz besonders herzlich von mir, und ferner Deine Frau und Deinen Jungen, Hermanns und Moritz, und sei selbst herzlich gegrüßt von Deinem Onkel Friedrich
Und namentlich wünsche ich Euch allen recht frohe Feiertage und viel Glück zum neuen Jahr!
6 Laura und Paul Lafargue
303
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
122, Regent's Park Road, N.W. ... _ , . , . London, 28. Dez. 1886 Liebe rrau Wischnewetzky, Ihren Brief vom 13. Nov. habe ich zu meinem großen Leidwesen nie erhalten; es hätte mir viel besser gepaßt, das Vorwort damals zu schreiben, und überdies hätte es mir mehr Zeit gelassen.17051 Aber erlauben Sie mir vor allem, Ihnen zu dem glücklichen Familienereignis zu gratulieren, in dem Sie die Hauptrolle spielten, und Ihnen meine besten Wünsche für Ihre Gesundheit und die des kleinen Neugeborenen auszusprechen. Natürlich ist der Anhang1 jetzt nicht mehr recht zeitgemäß; und da ich etwas Derartiges voraussah, schlug ich vor, daß er geschrieben wird, sobald das Buch im Druck ist. Jetzt wird ein Vorwort sehr notwendig sein, und ich werde Ihnen eins schreiben; aber vorher muß ich die Rückkehr der Avelings abwarten'634', um einen vollständigen Bericht über den Stand der Dinge in Amerika zu bekommen, ich glaube jedoch, daß mein Vorwort nicht ganz so ausfallen wird, wie Sie es wünschen. Erstens scheint es mir, daß Sie New York ein wenig für das amerikanische Paris halten und die Bedeutung der New-Yorker lokalen Bewegung mit ihren lokalen Besonderheiten für das gesamte Land überschätzen. Ohne Zweifel hat sie große Bedeutung, aber der Nordwesten mit seiner zahlreichen Farmerbevölkerung und seiner Unabhängigkeitsbewegung wird schwerlich Georges Theorie blindlings annehmen. Zweitens ist das Vorwort dieses Buches kaum der Platz für eine gründliche Kritik dieser Theorie und bietet nicht einmal genügend Raum dazu. Drittens müßte ich H. G[eorge]s verschiedene Schriften und Reden (von denen ich die meisten nicht besitze) gründlich studieren, um alle auf Ausflüchte und auf Randfragen gegründeten Erwiderungen unmöglich zu machen.
1 Friedrich Engels: „Anhang zur amerikanischen Ausgabe der ,L.age der arbeitenden Klasse in England'"
Mein Vorwort wird sich selbstredend ausschließlich mit dem ungeheuren Fortschritt befassen, den die amerikanischen Arbeiter in den letzten zehn Monaten gemacht haben und natürlich auch H. Gfeorge] und seinen Bodenreformplan berühren. Aber es kann nicht den Anspruch erheben, ihn erschöpfend zu behandeln. Und ich glaube auch nicht, daß die Zeit dafür schon gekommen ist. Es ist viel wichtiger, daß die Bewegung sich ausbreitet, sich harmonisch entwickelt, Wurzeln schlägt und soweit als möglich das ganze amerikanische Proletariat umfaßt, als daß sie von Anfang an von theoretisch völlig korrekter Linie ausginge und vorwärtsschreite. Es gibt keinen besseren Weg zur Klarheit theoretischer Erkenntnis, als durch die eignen Fehler lernen, „durch Schaden klug werden"2. Und für eine ganze große Klasse gibt es keinen anderen Weg, besonders für eine so hervorragend praktische und der Theorie so abholde Nation wie die Amerikaner. Die Hauptsache ist, zu erreichen, daß die Arbeiterklasse als Klasse handelt; ist das erst erreicht, so wird sie bald die rechte Richtung finden und alle, die widerstreben, ob H.Gjeorge] oder Powderly, werden mit ihren kleinen eignen Sekten kaltgestellt sein. Deshalb halte ich auch die Knights of Labort642] für einen sehr wichtigen Faktor in der Bewegung, den man nicht von außen geringschätzig behandeln, sondern von innen revolutionieren sollte, und ich bin der Meinung, daß viele von den dortigen Deutschen einen ernsten Fehler gemacht haben, als sie versuchten, angesichts einer mächtigen und ruhmreichen Bewegung, die nicht ihre Schöpfung war, aus ihrer importierten und nicht immer verstandenen Theorie eine Art „alleinseligmachendes Dogma"3 zu machen und sich von jeder Bewegung fernzuhalten, die dieses Dogma nicht angenommen hat. Unsere Theorie ist kein Dogma, sondern die Darlegung eines Entwicklungsprozesses, und dieser Prozeß schließt aufeinanderfolgende Phasen ein. Erwarten, daß die Amerikaner mit dem vollen Bewußtsein der Theorie beginnen werden, die in älteren industriellen Ländern ausgearbeitet ist, heißt, Unmögliches erwarten. Was die Deutschen tun sollten, ist, gemäß ihrer eignen Theorie zu handeln - wenn sie es verstehen, wie wir 1845 und 1848 für jede wirkliche allgemeine Bewegung der Arbeiterklasse einzutreten, deren faktischen4 Ausgangspunkt als solchen zu akzeptieren und sie schrittweise dadurch auf die theoretische Höhe zu bringen, daß sie zeigen, wie jeder begangene Fehler, jede erlittene Schlappe eine notwendige Folge falscher theoretischer Ansichten im ursprünglichen Programm war: Sie
2 in der Handschrift deutsch: „durch Schaden klug werden" - 3 in der Handschrift deutsch: „alleinseligmachendes Dogma" -1 in der Handschrift deutsch: faktische
haben, mit den Worten des „Komm[unistischen] Manifest": in der Gegenwart der Bewegung die Zukunft der Bewegung zu repräsentieren6. Aber vor allem laßt der Bewegung Zeit, sich zu festigen, und verschlimmert nicht die unvermeidliche Konfusion zu Beginn dadurch, daß ihr die Leute Dinge zu schlucken zwingt, die sie zunächst nicht richtig verstehen können, die sie aber bald lernen werden. Ein oder zwei Millionen Arbeiterstimmen im nächsten November für eine bona fide Arbeiterpartei sind augenblicklich unendlich viel mehr wert als hunderttausend Stimmen für eine doktrinär einwandfreie Plattform. Der allererste Versuch - der bald gemacht werden wird, wenn die Bewegung fortschreitet -, die in Bewegung geratenen Massen auf nationaler Basis zu vereinigen, wird sie alle gegenüberstellen, George-Anhänger, Knights of Labor, Trade-Unionisten und alle anderen; und wenn unsere deutschen Freunde dann die Sprache des Landes genug erlernt haben werden, um sich auf Diskussionen einzulassen, dann wird es für sie an der Zeit sein, die Ansichten der anderen zu kritisieren und sie durch Aufdeckung der inneren Widersprüche der verschiedenen Standpunkte nach und nach zum Verständnis ihrer eigenen tatsächlichen Lage zu bringen, der Lage, die sich aus den Wechselbeziehungen von Kapital und Lohnarbeit für sie ergibt. Aber alles, was jene nationale Festigung der Arbeiterpartei - gleichgültig auf welcher Plattform - verzögern oder verhindern kann, würde ich als großen Fehler ansehen, und deshalb glaube ich, daß die Zeit noch nicht gekommen ist, um sich voll und erschöpfend in bezug auf H. Gfeorge] oder die Knights of Labor zu äußern. Ich konnte Ihnen nicht „ja" telegraphieren, weil ich mir nicht genau vorstellen konnte, wie Sie dieses „ja" auslegen würden. Was den Titel anbetrifft: Ich kann das 1844 nicht auslassen, denn diese Auslassung würde dem Leser eine ganz falsche Vorstellung geben von dem, was er zu erwarten hat. Und da ich, durch Vorwort und Anhang, eine bestimmte Verantwortlichkeit übernehme, kann ich nicht gestatten, daß es weggelassen wird. Wenn Sie es für erforderlich halten, können Sie hinzufügen: „Mit Vorwort und Anhang vom Verfasser". Die Korrekturbogen sende ich mit gleicher Post korrigiert zurück. Ihr sehr ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
5 in der Handschrift deutsch: „Komm. Manifest": in der Gegenwart der Bewegung die Zukunft der Bewegung zu repräsentieren (vgl. Band 4 unserer Ausgabe, S.492)
1887
304
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken[B671
Hiermit geht registered an Dich ab die englische Übersetzung des „Kapital"1. Vorige Woche 1 Paket - 2 „Commonweals", 1 „To-Day" etc. Weitere Sendungen folgen. Den ,,N[ew] Y[ork] Herald" mit dem Schweineartikel wegen A[veling]s soeben erhalten; dieser ist uns sehr viel wert, da A[veling]s sonst nicht erfahren haben würden, was die Bourgeoisblätter dort zusammenlügen.'7061 Beide A[veling]s kamen heute vor 8 Tagen wieder an, sehr gesund und wohlgemut. Lafargues sind auch hier, lassen bestens grüßen. Das „Kapital" geht hier reißend ab, für Zufuhr nach Amerika ist gesorgt. Das wird den Yankees den Standpunkt bald klarmachen.
Dein F.E.
Prosit Neujahr!
[London] 11./1./87
1 erster Band
305
Engels an Ferdinand Domela Nieuwenhuis in Den Haag
London, 1 I.Jan. 1887
Lieber Freund Nieuwenhuis, Aus den Zeitungen sehe ich, daß der Kassationshof das Urteil gegen Sie bestätigt hat, und Sie also nun wohl bald werden ins Gefängnis wandern müssen.'7071 Ich kann Sie nicht dorthin gehn lassen, ohne von Ihnen Abschied zu nehmen und Sie zu versichern, daß meine volle Sympathie Sie in Ihre Zelle begleitet, und daß ich hoffe, Sie werden aus der Einzelhaft ungeschädigt am Körper und ungebrochen am Geist zu Ihrer Tätigkeit und zu uns zurückkommen. Bitte lassen Sie mich wissen, ob man mit Ihnen verkehren kann, brieflich oder durch Zusendung von Drucksachen, während Sie sitzen, und ob Ihnen Bücher und literarische Beschäftigung gestattet sind. Seit Weihnachten sind Lafargues von Paris hier und heute vor acht Tagen auch Avelings von Amerika wieder eingetroffen, mit viel und erfreulichen Nachrichten von dort.'6341 Die Bewegung dort ist in bestem Rollen, und das unaufhaltsam. Die Schnelligkeit, mit der sich aus der ursprünglichen und unvermeidlichen Konfusion eine politische Arbeiterpartei herausgebildet hat, ist überraschend. Allerdings ist das Programm - oder vielmehr die verschiednen Programme in New York, Chicago etc. - noch sehr unklar, wie nicht anders zu erwarten. Aber die Aktion ist ganz wie sie sein sollte, und das ist die Hauptsache. Wenn ich bedenke, wie lange es gedauert hat, bis die Arbeiter in Frankreich, Belgien, Spanien etc. zu der Einsicht gekommen sind, daß nur eine politische Organisation der Arbeiterklasse als Partei, getrennt von allen andern Parteien und im Gegensatz zu ihnen, sie zum Sieg führen kann, so ist diese Aktion der Amerikaner bewundernswert, die sechs Monate nach dem Entstehn der Bewegung schon als gegliederte Partei auftreten, in New York 68000 Stimmen erhalten und im Westen bedeutende Siege in den Wahlen erkämpfen.'6911 Sobald aber das Proletariat eines Landes erst als kämpfende Partei sich organisiert hat, wird es durch die Wechselfälle des Kampfs' selbst vorangetrieben in der Erkenntnis der Bedingungen seiner Emanzipation, und grade für ein so
eminent praktisches und anti-theoretisches Volk wie die Amerikaner gibt es keinen andern Weg zur Einsicht als den, durch Schaden klug zu werden, aus den Folgen ihrer eignen Fehler Weisheit zu lernen. Und das werden sie rasch genug durchmachen und abmachen. Auch sonst geht die Bewegung überall vortrefflich, und ich hoffe, wenn Sie wieder aus dem Gefängnis treten, werden Sie uns ein gutes Stück weiter finden. Daran kann uns nur ein europäischer Krieg hindern, der uns momentan enorm zurückwerfen, aber schließlich auch, wie jedes andre Ereignis, zu unserm Vorteil ausschlagen muß. Die englische Übersetzung des „Kapital"1 ist soeben herausgekommen, und grade für Amerika im rechten Moment. Und nun nochmals Lebewohl! Unser aller beste Wünsche begleiten Sie in die Einsamkeit. Übers Jahr sehn wir uns hoffentlich wieder in London. Beste Grüße von Lafargues und Avelings und von Ihrem F. Engels
1 erster Band
38 Marx/Endels, Werlte, Bd. 36
306
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento (Fragment)
London, 18. Januar 1887
Caro Cittadino1, Ihr Brief vom 9. dieses Monats'7081 kam mir nicht ganz unerwartet, da ich wußte, daß Sie Regierungsbeamter sind und diese Ihre Stellung früher oder später unhaltbar werden mußte. Leider kann ich Ihnen keine günstigen Aussichten eröffnen, weder hier noch in Amerika. Falls Sie nicht fertig Englisch sprechen, würden Sie in beiden Ländern keine remunerative2 Beschäftigung finden, bis Sie die Gewandtheit im mündlichen Gebrauch der Sprache sich angeeignet haben. Für gebildete Leute ist die gewöhnliche, fast die einzige Carriere hier die des Sprachlehrers, und diese ist eben deshalb stets überfüllt, selbst von Leuten, die die Landessprache fließend sprechen und schreiben. Für den übrigen Unterricht besteht eine so große [...1 17091
1 Lieber Bürger - 2 lohnende
307
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
London, den 26. Januar 1887
Lieber Bürger, Ich antwortete Ihnen am 18. d.M. auf Ihr wertes Schreiben vom 9. des Monats17081 und erhielt danach Ihren Brief vom 21. Ich kann nur bestätigen, was ich schon in meinem letzten Brief sagte: wenn man kein Englisch spricht, kann man sich weder in England noch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika seinen Lebensunterhalt anders als durch manuelle Arbeit verdienen. Die Argentinische Republik würde vielleicht ein günstigerer Boden sein; dort gibt es eine starke italienische Kolonie, und Spanisch würden Sie ohne große Schwierigkeiten lernen. Aber es ist weit, die Reise kostspielig, die Rückkehr schwierig. Das Land macht Fortschritte, doch das ist auch alles, was ich darüber sagen kann. Da ich die argentinischen Gesetze nicht kenne, weiß ich nicht, unter welchen Bedingungen man dort vom Elementarschulunterricht leben kann. Was den Kommerz betrifft, so befasse ich mich seit 18 Jahren nicht mehr damit und habe keinerlei Verbindungen mehr zu Handelshäusern oder Fabriken; außerdem wäre meine Empfehlung in einigen Fällen schlimmer als gar keine (falls sich ein Haus fände, dessen Mitarbeiter mich noch kennen); denn man kennt mich nicht als Geschäftsmann vergangener Zeiten, sondern als aktiven Sozialisten der Gegenwart. Außerdem wimmelt es überall in den großen Städten von arbeitsuchenden Handelsangestellten, die nicht des Sozialismus verdächtig sind, und sie werden wegen ihrer Handelsausbildung bevorzugt. Ich habe lange überlegt, ob es nicht möglich wäre, von dieser Seite her einen Ausweg zu finden, doch mir ist nichts eingefallen. Ich schreibe nach Wien in Österreich und nach Hamburg, um vielleicht dort etwas zu finden, allerdings besteht keine große Hoffnung; trotzdem - machen wir den Versuch, das Ergebnis werde ich Ihnen mitteilen. Sie täten ebenfalls gut daran, an Lafargue zu schreiben; er war hier, als Ihr Schreiben vom 9. Januar eintraf, erhielt Kenntnis davon und sagte, daß
auch er leider wenig Hoffnung habe, in Paris eine Anstellung für Sie zu finden; doch es bestehe die Möglichkeit, daß er nach Rückkehr zu seinen Freunden Genaueres erfährt und seine Meinung ändert. Ich werde ihm in Ihrer Angelegenheit auch noch einmal schreiben.1 Die große Schwierigkeit besteht darin, daß wir Sozialisten nicht nur im politischen, sondern auch im bürgerlichen Leben geächtet sind, und daß sich die gesamte Bourgeoisie ein Vergnügen und eine Pflicht daraus macht, uns auszuhungern. Und diese Ächtung trifft vor allem Gelehrte und Gebildete, die man für Deserteure hält, die aus der eigenen Klasse ins feindliche Lager übergegangen sind. Auf diese Schwierigkeit stößt man überall, and wir haben sie in den Jahren 1844 und 1849 selbst zu spüren bekommen; wie oft haben Marx und ich es bedauert, daß wir nicht irgendein Handwerk erlernt hatten, das auch für die Bourgeoisie unentbehrlich ist, denn sie kann ohne die Erzeugnisse der manuellen Arbeit nicht leben! Wäre es nicht möglich, eine Beschäftigung bei einer der sozialistischen italienischen Zeitungen zu bekommen, in Mailand oder anderweitig? Ich erhalte sie nicht und bin deshalb über die gegenwärtige Lage der sozialistischen Partei Ihres Landes wenig unterrichtet. Auf jeden Fall wäre es vorzuziehen, wenn Sie in Italien bleiben könnten. Ich wiederhole, ich werde gern alles tun, was in meinen Kräften steht, um einen Ausweg aus Ihren Schwierigkeiten zu finden, nur tut es mir leid, daß ich keine besseren Aussichten bieten kann. Ich werde nicht vergessen, was Sie für die Verbreitung unserer Ideen und meiner Schriften in Italien getan haben, und wenn ich irgendwo irgend etwas für Sie finde, werde ich es mir nicht entgehen lassen, dessen können Sie versichert sein.
Herzlich grüßt Sie F. Engels
Aus dem Italienischen.
308
Engels an Florence Kelley-Wischnewetzky in New York
122, Regent's Park Road, N. W. [London] 27. Jan. 1887
Liebe Frau Wischnewetzky, Hiermit sende ich Ihnen endlich das Vorwort.17061 Kaum waren die Avelings zurückgekehrt16341, als ich eine leichte Bindehautentzündung bekam, die jedoch genügte, um jede regelmäßige Arbeit unmöglich zu machen, vor allem deshalb, weil die wenige Zeit, die ich täglich dem Schreiben widmen konnte, hauptsächlich von dringenden Korrespondenzen in Anspruch genommen wurde. Obgleich die Entzündung des Auges noch nicht ganz vorbei ist, habe ich das Vorwort doch beenden können, und hoffe, daß die Verzögerung Sie nicht zu sehr aufgehalten hat. Da ich keine Abschrift machen konnte, möchte ich Sie bitten, mir das Ms. nach Beendigung der Arbeit zurückzuschicken. Ich nehme an, daß Sie auch so gut sein werden, den Druck im Auge zu behalten. Ich hoffe, Dr. Wischnewetzky hat eine gute Reise gehabt und ist wohlbehalten angekommen. Ich bedauere, daß ich ihn nicht für ein paar Stunden ganz für mich haben konnte, aber er kam gerade an dem Abend, als die alte „Internationale" für einen Augenblick praktisch wieder auferstanden war. Die Bewegung in Amerika sieht man, glaube ich, grade jetzt am besten von diesseits des Ozeans. Dort an Ort und Stelle wird ihre Größe sicher durch persönliche Zänkereien und lokale Streitigkeiten verwischt werden. Das einzige, was ihren Vormarsch wirklich aufhalten könnte, wäre eine Verhärtung dieser Differenzen, die zur Bildung von Sekten führt. Bis zu einem gewissen Grade wird das unvermeidlich sein, aber je weniger, desto besser. Und die Deutschen müssen sich besonders davor hüten. Unsere Theorie ist eine Theorie, die sich entwickelt, kein Dogma, das man auswendig lernt und mechanisch wiederholt. Je weniger sie den Amerikanern von außen eingepaukt wird und je mehr sie sie durch eigne Erfahrung unter dem Beistand der Deutschen - erproben, desto tiefer geht sie ihnen
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in Fleisch und Blut über.1 Als wir im Frühjahr 1848 nach Deutschland zurückkehrten, schlössen wir uns der demokratischen Partei an, als dem einzig möglichen Mittel, das Ohr der Arbeiterklasse zu gewinnen; wir waren der am weitesten fortgeschrittene Flügel der Partei, aber immerhin ein Flügel derselben. Als Marx die Internationale gründete, hat er die Allgemeinen Statuten2 so abgefaßt, daß ihr alle proletarischen Sozialisten jener Zeit beitreten konnten - Proudhonisten, Pierre-Lerouxisten und selbst der weiter fortgeschrittene Teil der englischen Trade-Unions; und nur dank dieser Breite ist die Internationale das geworden, was sie war, das Mittel zur allmählichen Auflösung und Aufsaugung all jener kleineren Sekten, mit Ausnahme der Anarchisten, deren plötzliches Auftreten in den verschiedenen Ländern nur das Resultat der grausamen Bourgeois-Reaktion nach der Kommune war und daher von uns ruhig dem Absterben überlassen werden konnte, wie es auch geschah. Hätten wir von 1864-73 darauf bestanden, nur mit denen zusammenzuarbeiten, die offen unsere Plattform anerkannten - wo wären wir heute? Ich denke, unsere ganze Praxis hat bewiesen, daß es wohl möglich ist, mit der allgemeinen Bewegung der Arbeiterklasse in jeder einzelnen Etappe zusammenzuarbeiten, ohne unsere eigne aparte Stellung oder gar Organisation aufzugeben oder zu verbergen, und ich fürchte, daß die Deutsch-Amerikaner, wenn sie einen anderen Weg einschlagen, einen großen Fehler begehen werden. Ich hoffe, Sie sind inzwischen wieder vollkommen genesen und auch Ihr Gatte und Ihre Kinder sind gesund. Freundliche Grüße an Dr. Wischnewetzky]. Ihr sehr ergebener F. Engels
Aus dem Englischen.
1 Der ganze Satz in der Handschrift deutsch Internationalen Arbeiter-Assoziation" - 2 Karl Marx: „Provisorische Statuten der

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