KARLMARX FRIEDRICH ENGELS BAND 12

MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 12
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZKD ER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
(ff
Dl ETZ VERLAG BERLIN
1984
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARLMARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 12
DIETZ VERLAG BERLIN
1984
Die deutsche Ausgabe der Werke von Marx und Engels fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten zweiten russischen Ausgabe.
Die Texte werden nach den Handschriften bzw. nach den zu Lebzeiten von Marx und Engels erfolgten Veröffentlichungen wiedergegeben.
© Dietz Verlag Berlin
Vorwort
Der zwölfte Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält Schriften, die in der Zeit von April 1856 bis Januar 1859 entstanden sind. Die überwiegende Anzahl der in den Band aufgenommenen Artikel und Korrespondenzen erschien in der damals fortschrittlichen amerikanischen Zeitung „New-York Daily Tribüne". Einige Artikel erschienen in der englischen Chartistenzeitung „The People's Paper" und in der Londoner „Free Press", wobei manche von ihnen gleichzeitig in der „New-York Daily Tribüne" Veröffentlicht wurden. Die Periode, zu der die in den Band aufgenommenen Arbeiten von Marx und Engels gehören, leitete das Ende des „denkwürdigen Jahrzehnts" (Marx) ein, das auf die Niederlage der Revolution von 1848/49 folgte. Es ist gekennzeichnet einerseits durch einen stürmischen Aufschwung der kapitalistischen Weltwirtschaft und andererseits durch finstere politische Reaktion in Europa. Das wichtigste Ereignis dieser Zeit war die Wirtschaftskrise von 1857/1858, die erste Weltwirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus, die alle großen europäischen Länder und die USA erfaßte. Marx und Engels betrachteten die Periode der europäischen Reaktion der fünfziger Jahre immer als eine bloß zeitweilige Etappe, als eine „Atempause", die der alten bürgerlichen Gesellschaft von der Geschichte gewährt wurde. Sie waren tief überzeugt davon, daß der Triumph der Konterrevolution nicht lange dauern würde, und ließen auch in den schwärzesten Tagen der Reaktion nicht von ihrem Glauben, daß sich bald eine neue revolutionäre Welle in Europa erheben werde. Sie rechneten damit, daß die hereinbrechende Wirtschaftskrise der Vorbote einer gesamteuropäischen Revolution sein, den nationalen Befreiungskampf verstärken und die proletarische Revolution in den am weitesten entwickelten europäischen Ländern näherbringen werde. Bereits zu Beginn der fünfziger Jahre gelangten die Begründer des Marxismus nach der Unterdrückung der Revo
lution von 1848/49 in einer Zusammenfassung der Ergebnisse der revolutionären Bewegung zu der Schlußfolgerung: „Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis" (siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 440). Und als sie allseitig die ökonomische und politische Entwicklung Europas und Amerikas nach der Revolution von 1848/49 untersuchten, wurden Marx und Engels noch mehr in ihrer Meinung bestärkt, daß die Wirtschaftskrisen zu den mächtigsten Faktoren gehören, die zu einer revolutionären Krise führen. Mitte der fünfziger Jahre war die Herausbildung der revolutionären marxistischen Theorie im wesentlichen abgeschlossen. Die philosophischen und politischen Ideen des Marxismus waren in ihren Hauptzügen ausgearbeitet, eine Reihe von Ausgangsthesen der marxistischen politischen Ökonomie formuliert. Aus der materialistischen Geschichtsauffassung, wonach die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion die entscheidende Rolle in der Geschichte der Gesellschaft spielt, zogen Marx und Engels den Schluß, daß es für das Proletariat besonders wichtig ist, eine geschlossene ökonomische Theorie zu schaffen, die die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft und die Gesetze ihrer revolutionären Umwandlung in eine sozialistische Gesellschaft aufdeckt. Die einsetzende Wirtschaftskrise, auf die, wie die proletarischen Führer glaubten, eine neue Revolution in Europa folgen würde, veranlaßte Marx, sich ab Oktober 1856 noch intensiver seinen ökonomischen Studien zu widmen. Während der vollen Entfaltung der Krise im August 1857 beginnt Marx mit der Arbeit an einem großen ökonomischen Werk, für das er die in allen vorangegangenen Jahren gesammelten Materialien auswertet. Er ergänzt diese Materialien und bearbeitet sie zum Teil, wobei er gedenkt, sein ökonomisches Werk in sechs Büchern herauszugeben. Die vorläufige Fassung des ersten Teiles dieses Werkes ist in Gestalt der umfangreichen ökonomischen Manuskripte von 1857/1858 erhalten geblieben. Diese ökonomischen Manuskripte wurden 1939 im Original vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU unter dem redaktionellen Titel „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf) 1857 bis 1858" herausgegeben. Sie widerspiegeln eine wichtige Etappe in der Herausbildung der ökonomischen Lehre von Marx, in seiner Kritik an der bürgerlichen politischen Ökonomie und in der Erforschung der Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise. In den Manuskripten sind eine Reihe wichtiger Thesen der ökonomischen Theorie des Marxismus ausgearbeitet, die Marx später in allen drei Bänden des „Kapitals" - des Hauptwerkes des Marxismus - sowie in den „Theorien über den Mehr
wert" entwickelt hat. In den Manuskripten von 1857/1858 legt Marx in den wesentlichsten Zügen die Grundlagen seiner Mehrwerttheorie dar, die den Eckstein der marxistischen politischen Ökonomie bildet. Im August und September 1857 entwirft Marx im rohen die „Einleitung" zu dem erwähnten ökonomischen Werk, das er allerdings nicht nach dem ursprünglichen Plan verwirklichte. Obwohl die „Einleitung" den Charakter des Unvollendeten trägt, ist sie reich an tiefen Ideen und hat einen großen selbständigen wissenschaftlichen Wert. Marx stellt in ihr das Wesen des Gegenstandes der politischen Ökonomie klar, untersucht das Problem des Zusammenhangs und der Wechselwirkung zwischen Produktion, Verteilung, Austausch und Konsumtion und zeigt dabei die bestimmende Rolle der Produktion im Wirtschaftsleben der Gesellschaft. Einen besonderen Platz in der „Einleitung" nimmt die Charakterisierung der marxistischen Methode der politischen Ökonomie ein. Ferner zeigt die „Einleitung" in bemerkenswerten Ausführungen, wie sich die marxistische Lehre in bezug auf eine Reihe gesellschaftlicher Erscheinungen entwickelt hat und konkreter geworden ist, insbesondere enthält sie wichtige Thesen über- die spezifischen Entwicklungsgesetze der Kunst als einer Form des gesellschaftlichen Bewußtseins unter bestimmten historisch konkreten Bedingungen. Ab August 1858 arbeitet Marx intensiv am Manuskript des ersten Heftes vom ersten Buch seines ökonomischen Werkes, wobei er die entsprechenden Abschnitte der ökonomischen Manuskripte von 1857/1858 verwendet. Im Januar 1859 hat er das Heft zum Druck fertiggestellt und gibt es unter dem Titel „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" in Berlin heraus (siehe Band 13 unserer Ausgabe). Aber es gelingt Marx nicht, die nächsten Hefte herauszubringen. In der weiteren Arbeit geht er von seinem ursprünglichen Plan der ökonomischen Forschung ab und arbeitet einen neuen Plan aus, der seine Verwirklichung im „Kapital" gefunden hat. Neben der angestrengten theoretischen Arbeit an der Entwicklung seiner ökonomischen Lehre schreibt Marx im Laufe dieser Jahre eine große Anzahl von Zeitungsartikeln, in denen er auf alle wichtigen Ereignisse und Probleme des internationalen Lebens und der Innenpolitik der europäischen Staaten eingeht. Die revolutionäre Publizistik, eine der wichtigsten Formen des politischen Wirkens von Marx und Engels während der ganzen Periode der Reaktion, bleibt auch in diesen Jahren das Hauptinstrument, mit dessen Hilfe die proletarischen Führer in der Lage sind, das Proletariat revolutionär zu beeinflussen, sein Klassenbewußtsein zu heben, ihm seine welthistorische Rolle als Totengräber des Kapitalismus zu erklären, die nächsten Aufgaben
bei der bevorstehenden revolutionären Umwälzung der alten Gesellschaft und die Grundlagen der proletarischen Strategie und Taktik zu erläutern. Am Anfang des Bandes steht die Niederschrift der Rede, die Marx am 14. April 1856 bei einem Bankett zu Ehren des vierjährigen Bestehens der Chartistenzeitung „The People's Paper" gehalten hat. In dieser kurzen, aber außerordentlich inhaltsreichen Rede legt Marx in anschaulicher, für die breiten Massen der englischen Arbeiter verständlicher Form knapp das Wesen seiner revolutionären Lehre dar. Die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, sagt Marx, können nur auf eine Weise gelöst werden - durch die proletarische Revolution, zu der die Entwicklung der kapitalistischen Verhältnisse mit unumstößlicher Notwendigkeit hintreibt. Marx betont die unwiderlegbare Tatsache, daß das Proletariat die einzige konsequent revolutionäre Klasse in der bürgerlichen Gesellschaft ist, die die alte Welt verändern kann. „Wir wissen", sagt er, „daß die neuen Kräfte der Gesellschaft, um richtig zur Wirkung zu kommen, nur neuer Menschen bedürfen, die ihrer Meister werden - und das sind die Arbeiter." (Siehe vorl. Band, S. 4.) In einem beträchtlichen Teil der in den Band aufgenommenen Artikel und Korrespondenzen untersucht Marx die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise von 1857/1858. Er beginnt, die ersten, noch schwach erkennbaren Anzeichen der Krise im Kreditwesen und in der Geldzirkulation zu erforschen, und studiert eingehend die Krisenerscheinungen in allen Bereichen der Wirtschaft, vor allem Englands, Frankreichs und Deutschlands. Das besondere Interesse bei Marx für die Entwicklung der Krise in diesen damals fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern erklärt sich dadurch, daß Marx und Engels gerade in den genannten Ländern die proletarische Revolution erwarteten. Die Artikel von Marx über die Krise enthalten eine ganze Reihe wichtiger theoretischer Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen, die die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung des Kapitalismus im allgemeinen und in den fünfziger Jahren im besonderen aufzeigen. Als einen der dieser Epoche eigentümlichen Züge bezeichnet Marx den großen Aufschwung der Gründerei und der damit verbundenen Börsenspekulation. Die Spekulation wucherte besonders stark nach Beendigung des Krimkrieges und nahm bald allgemeinen Charakter an, indem sie nacheinander die Hauptgebiete des Wirtschaftslebens der kapitalistischen Länder erfaßte: die Sphäre des Anleihekapitals, den Handel, die Industrie und die Landwirtschaft. Sie begann in Frankreich und verbreitete sich ungewöhnlich rasch in Deutschland. Sie erfaßte sämtliche ökonomisch mehr oder weniger entwickelten europäischen Länder und die USA. Bereits im Herbst 1856, also
wenige Monate vor Beginn der Wirtschaftskrise, sagt Marx richtig voraus, daß dieser allgemeine Spekulationsschwindel unvermeidlich mit einer allgemeinen Krise enden müsse (siehe die Artikel „Die Wirtschaftskrise in Europa", „Die Geldkrise in Europa" und „Die Ursachen der Geldkrise in Europa"). In einer Reihe von Artikeln über die Kredit- und Geldverhältnisse gibt Marx eine glänzende Analyse des Zustandes des Weltgeldmarktes und besonders der Sphäre des Wechselkredits, der sich in den fünfziger Jahren ungewöhnlich ausbreitete. Die allseitige Kenntnis der Lage in der Weltindustrie und im Welthandel, das gründliche Studium der Wechselbeziehung zwischen Ausfuhr und Einfuhr im Weltmaßstab, die sorgfältige Erforschung der Bewegung des Diskontsatzes an der Bank von England, dem Zentrum des internationalen Geldmarktes, die systematische Beobachtung der Kursschwankungen der Wertpapiere an der Pariser Effektenbörse, dem Mittelpunkt des europäischen Spekulationsfiebers, die Erklärung der Ursachen für die Entwertung des Goldes im Verhältnis zum Silber und des Abflusses des Silbers aus Europa nach Asien in den fünfziger Jahren - all das erlaubte es Marx, schon in der Periode, bevor sich die Krise ausbreitete, nicht nur die Unvermeidlichkeit einer allgemeinen Krise, sondern auch die Besonderheiten ihrer Entwicklung völlig exakt vorauszusagen. In den Artikeln „Der Bankakt von 1844 und die Geldkrise in England", „Die Erschütterung des britischen Handels", „Die Handelskrise in England", „Die Krise in Europa" und anderen bestimmt Marx im voraus den Charakter der hereinbrechenden Krise, indem er hervorhebt, daß sie hinsichtlich Intensität und Ausbreitung alle vorangegangenen Krisen übertreffen und schließlich in eine industrielle Weltkrise ausmünden müsse. In einer Reihe weiterer Artikel untersucht Marx die Besonderheiten der Entwicklung der Wirtschaftskrise von 1857/1858 in den einzelnen Ländern. In dem Artikel „Der britische Handel" und einigen anderen betont er, daß die Krise am stärksten England erfaßt habe, als das Land, das den Mittelpunkt des internationalen Geldmarktes bildete. Das Merkmal der Krise in England bestand darin, daß sie die Grundlage des nationalen Wohlstandes selbst traf - die Industrie; sie nahm den Charakter einer industriellen Krise an. Die oben erwähnten Artikel sowie die Artikel „Der englische Bankakt von 1844", „Handelskrisen und Geldumlauf in England" und „Britischer Handel und Finanzen" enthalten eine scharfe Kritik der Ansichten der englischen Freihändler, die das Freihandelsprinzip als Allheilmittel gegen die Krisen hinstellten. Marx zeigt die Zwecklosigkeit der Versuche der bürgerlichen Ökonomen, ein Rezept gegen Krisen zu finden, widerlegt ihre ein
fältig vulgäre Version über den Ursprung der Krise von 1857 sowie der Krisen überhaupt und zieht wichtige Schlußfolgerungen für die Krisentheorie. Die wirklichen Ursachen jeder Krise, bemerkt Marx, liegen nicht in der maßlosen Spekulation und den Kreditmißbräuchen, wie die Freihändler behaupteten, sondern in den der Nat ur cles Kapitalismus eigentümlichen sozialökonomischen Verhältnissen. Die Krisen, schreibt er, „wohnen dem jetzigen System der Produktion inne" und „müssen ... wie der natürliche Wechsel der Jahreszeiten ertragen werden, solange das System existiert" (siehe vorl. Band, S. 571). Unter den Wirtschafts- und Finanzartikeln von Marx sind die Artikel über die damals bekannte französische Aktienbank Credit mobiiier besonders interessant, deren spekulative Börsenmachenschaften beträchtlich zur Verschärfung der Wirtschaftskrise von 1857 beigetragen haben. Marx untersucht die Tätigkeit des Credit mobiiier, streicht seine spezifischen Besonderheiten gegenüber anderen Aktiengesellschaften heraus und spricht in dem Artikel „Der französische Credit mobiiier (Dritter Artikel)" zum erstenmal die theoretisch wichtige These über Bedeutung und Rolle der Form der Aktiengesellschaften in der Periode des Kapitalismus aus. Die Aktiengesellschaften befanden sich in den fünfziger Jahren erst im Anfangsstadium ihrer Entwicklung und waren „noch weit davon entfernt, ihre richtig^Verfassung ausgearbeitet zu haben", aber trotzdem bereits damals „machtvolle Hebel" bei der Entwicklung der Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft. Ihr „rasch wachsender Einfluß" auf die Volkswirtschaft der kapitalistischen Länder, schreibt Marx, „kann kaum überschätzt werden" (siehe vorl. Band, S. 573). Marx verknüpfte die Entwicklung der Form des Aktienkapitals mit der weiteren Evolution der kapitalistischen Wirtschaft. „Nun kann nicht geleugnet werden", schrieb er, „daß die Anwendung von Aktiengesellschaften auf die Industrie eine neue Epoche im ökonomischen Leben der modernen Nationen kennzeichnet." (Siehe vorl. Band, S. 33.) Auf der einen Seite verfügt die Vereinigung individueller Kapitale in der Form von Aktiengesellschaften über ungeheure Produktionsmöglichkeiten und ist daher in der Lage, industrielle Unternehmungen auf einer für einzelne Kapitalisten unerreichbaren Stufenleiter zu schaffen. Auf der anderen Seite bewirken die Aktiengesellschaften, indem sie die Konzentration der Produktion und die Zentralisation der Kapitale bei gleichzeitiger Ruinierung des Kleinbürgertums beschleunigen, daß sich die Herrschaft einer oligarchischen Gruppe industrieller Kapitalisten nach und nach verstärkt. Zugleich wächst auch die Masse der Lohnarbeiter „in direktem Verhältnis zur abnehmenden Zahl der Repräsentanten dieses Kapitals"
(siehe vorl. Band, S. 34) und wird zu einer immer drohenderen revolutionären Kraft für das sie ausbeutende Kapital. In diesen Ausführungen sieht Marx im Grunde genommen genial einige Merkmale des monopolistischen Stadiums des Kapitalismus voraus. Einen wichtigen Platz im Band nehmen die Artikel von Marx und Engels ein, in denen das Problem des Kolonialismus behandelt wird. Die Begründer des Marxismus verfolgen auch in dieser Periode sehr aufmerksam die Kolonialpolitik der kapitalistischen Länder und den nationalen Befreiungskampf der unterdrückten Völker, der Mitte der fünfziger Jahre einen großen Aufschwung erreichte. In einer Reihe von Artikeln über die Ereignisse in China und Indien entwickelt Marx seine schon zu Beginn der fünfziger Jahre ausgesprochenen Gedanken über die Wechselbeziehungen und die gegenseitige Abhängigkeit der nationalen Befreiungsbewegung in den Kolonien und der Perspektiven der Revolution in Europa. Indem er die Tatsache hervorhebt, daß der Abfluß des Silbers aus Europa nach Asien in den fünfziger Jahren, der zu einer der Ursachen der europäischen Geldkrise wurde, zum Teil mit dem Taiping-Aufstand zusammengehangen hat, schreibt Marx, „daß diese chinesische Revolution dazu bestimmt ist, einen weit größeren Einfluß auf Europa auszuüben als alle russischen Kriege, italienischen Manifeste und Geheimgesellschaften dieses Kontinents" (siehe vorl. Band, S. 70). Den nationalen Befreiungsaufstand in Indien von 1857 bis 1859, der einen beträchtlichen Teil der Streitkräfte aus England abzog, stellte Marx in eine Reihe mit den anderen entscheidenden Faktoren, die nach seiner Meinung unter gewissen Bedingungen die Einbeziehung Englands in die kommende Revolution fördern konnten (siehe die Artikel „Die Lage in Europa - Die Finanzlage Frankreichs", „Die politischen Parteien in England - Die Lage in Europa"). Marx' Gedanke von der Wechselwirkung zwei solcher Faktoren, wie sie die revolutionäre Bewegung in den kapitalistischen Ländern und der nationale Befreiungskampf der Völker des Ostens darstellen, wurde zur Grundlage für die weitere Entwicklung der marxistischen Lehre von der nationalen und kolonialen Frage. Die Grundideen über die Politik des Proletariats in der nationalen und kolonialen Frage, wie sie in den Artikeln Von Marx und Engels über China, Indien und die anderen kolonialen und abhängigen Länder enthalten sind, wurden später von W. I. Lenin allseitig entwickelt, als er die nationale und koloniale Frage in der Epoche des Imperialismus schöpferisch ausarbeitete.
Indem Marx und Engels den Kampf der unterdrückten Völker gegen die englische Herrschaft ins Licht der Öffentlichkeit rückten, erzogen sie die europäische Arbeiterklasse im Geiste des proletarischen Internationalismus und traten für die entschiedene Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegung in Persien, China, Indien und Irland auf. Ihre Artikel über den £nglisch-Persischen Krieg 1856/1857, den ersten und zweiten Opiumfcneg m China 1839-1842 und 1856-1858 sowie über den nationalen Befreiungsaufstand in Indien von 1857 bis 1859 sind Dokumente, die die englischen Kolonialherren in aller Schärfe entlarven. Marx und Engels geißeln in diesen Artikeln voller Zorn die koloniale Expansion Englands in Asien und enthüllen die Methoden der englischen Kolonialpolitik in Indien und China. Durch die Aufdeckung der Formen und Methoden, mit deren Hilfe England, damals der größte kapitalistische Räuber, schon Mitte des 19. Jahrhunderts das koloniale Monopol errichten konnte, zeigen Marx und Engels, wie der englische Kapitalismus durch offene Räuberei und Gewaltanwendung oder durch Bestechung und Betrug seine Annexionen in den Ländern des asiatischen Kontinents betrieb. In den Artikeln „Der Englisch-Persische Krieg", „Der englisch-chinesische Konflikt", „Der Krieg gegen Persien" und „Perspektiven des Englisch-Persischen Krieges" unterstreichen die Begründer des Marxismus den aggressiven Charakter der englischen Diplomatie in Asien, die eines der Hauptinstrumente der englischen kolonialen Expansion war. Eine beliebte und typische Methode der Diplomatie der englischen Kolonialherren, so schreiben Marx und Engels, war die Beschuldigung der einheimischen Regenten, angeblich die Vertragsverpflichtungen verletzt oder irgendwelche nichtigen Regeln der diplomatischen Etikette nicht eingehalten zu haben. Das diente als Vorwand für eine militärische Aggression, für räuberische territoriale Annexionen und den Abschluß neuer ungleicher Verträge, die sowohl diese Annexionen als auch andere für die englischen Aggressoren günstige Bedingungen gesetzlich verankerten. In ihrem Streben nach ungeteiltem Einfluß in Persien und Afghanistan nutzten die englischen Kapitalisten in ihrem eigenen egoistischen Interesse nicht nur die Stammeszwietracht und den nationalen und religiösen Hader zwischen den verschiedenen Völkerschaften, die diese Länder bewohnen, aus, sondern schürten auch künstlich deren Feindschaft zu den ihnen benachbarten Staaten. Ein überzeugender Beweis dafür, daß die englischen Eroberer die Lebensinteressen der Völker der schwachentwickelten Länder mit Füßen
traten, war der Opiumhandel in China, über den Marx und Engels in einer Reihe von Artikeln in diesem Band schreiben („Die Geschichte des Opiumhandels" und andere). Getarnt mit der scheinheiligen Maske christlicher Zivilisatoren machten die englischen Eroberer den von ihnen monopolisierten Schleichhandel mit Opium zu einer der wichtigsten Quellen ihrer Bereicherung. Die englische Regierung, die sich heuchlerisch als Gegnerin des Opiumhandels ausgab, führte in der Tat das Monopol auf die Opiumproduktion in Indien ein und eignete es sich an, legalisierte den Verkauf des Opiums an Schleichhändler und erzielte schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch diesen Handel riesige Profite. Die Finanzen der britischen Regierung in Indien, schlußfolgert Marx, beruhten unmittelbar nicht einmal auf dem Opiumhandel mit China schlechthin, sondern gerade darauf, daß dieser Handel Schleichhandel war. Marx zeigt, daß der Opiumhandel die Staatskasse Chinas leerte, die Wirtschaft des Landes untergrub und das Volk mit physischer Erschöpfung und moralischer Entartung bedrohte. Den Widerstand der chinesischen Behörden gegen diesen Handel beantworteten die englischen Kolonialherren damit, daß sie zwei sogenannte Opiumkriege provozierten. Auf die Geschichte dieser Kriege eingehend und sie als räuberische Piratenkriege kennzeichnend, enthüllten Marx und Engels die Grausamkeiten der englischen Eroberer gegenüber der friedlichen Bevölkerung des von ihnen besetzten chinesischen Territoriums. In bezug auf Ursachen und Ziele des ersten Opiumkrieges mit China bemerkt Engels, daß die englischen Kolonialherren diesen Krieg von Anfang bis Ende mit brutalster Grausamkeit führten (siehe den Artikel „Der neue englische Feldzug in China"). Marx schreibt darüber: „Die englische Soldateska verübte damals Schandtaten zum bloßen Vergnügen; ihre Zügellosigkeit wurde weder durch religiösen Fanatismus geheiligt, noch durch Haß gegen anmaßende Eroberer gesteigert, noch durch den unnachgiebigen Widerstand eines heldenhaften Feindes erregt. Schändung von Frauen, Aufspießen von Kindern, Abbrennen ganzer Dörfer waren damals bloß zügellose Belustigungen, die nicht von den Mandarinen, sondern von den britischen Offizieren selbst bezeugt wurden." (Siehe vorl. Band, S. 286.) In den Artikeln „Der englischchinesische Konflikt", „Parlamentsdebatten über die Feindseligkeiten in China", „Über den britisch-chinesischen Vertrag", die aus Anlaß des zweiten Opiumkrieges geschrieben wurden, gelangt Marx zu dem Schluß, daß dieser zweite Krieg, der mit der grausamen Bombardierung der friedlichen Bevölkerung von Kanton begonnen hatte, ebenso räuberisch war wie der erste.
Mit dem Gefühl tiefer Sympathie sprechen Marx und Engels von dem hartnäckigen und aktiven Kampf des chinesischen Volkes gegen die fremden Eindringlinge. Sie treten gegen die bürgerlichen Apologeten des Kolonialismus auf, die die Chinesen wegen der besonderen Formen ihres Kampfes auf jede Art und Weise beschimpfen, und erklären die Notwendigkeit dieser Formen durch die ungleichen Bedingungen, unter denen sich das chinesische Volk angesichts der bis an die Zähne bewaffneten Kolonialherren befindet. „Zu diesem allgemeinen Aufruhr aller Chinesen gegen alle Ausländer", schreibt Engels, „hat die Piratenpolitik der britischen Regierung geführt. Sie hat ihn zu einem Vernichtungskrieg gestempelt." (Siehe vorl. Band, S. 213.) Den Widerstand, den die Volksmassen Chinas den englischen Aggressoren im zweiten Opiumkrieg leisteten, charakterisiert Engels als einen wirklichen Volkskrieg, als einen Krieg „zur Erhaltung der chinesischen Nation". „Und in einem Volkskrieg", erläutert Engels, „können die Mittel, die von der aufständischen Nation angewandt werden, weder nach den allgemein anerkannten Regeln der regulären Kriegführung gewertet werden, noch nach irgendeinem anderen abstrakten Maßstab, sondern allein nach dem Grad der Zivilisation, den die aufständische Nation erreicht hat." (Siehe vorl. Band, S. 214.) Die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus sagten prophetisch den Untergang des alten und die Geburt des neuen Chinas voraus. Sie glaubten fest an die künftige Befreiung dieses großen und alten Landes und beurteilten sie als ein Ereignis, das von größter historischer Bedeutung für die fortschrittliche Entwicklung aller Länder des Ostens sein würde. Engels schreibt: „In nicht allzu ferner Zeit werden wir Zeugen vom Todeskampf des ältesten Kaiserreiches der Welt und vom Anbruch einer neuen Ära für ganz Asien sein." (Siehe vorl. Band, S. 215.) Der Band enthält eine umfangreiche Serie von Artikeln, die Marx und Engels in Verbindung mit dem großen nationalen Befreiungsaufstand in Indien 1857—1859 geschrieben haben. In den Artikeln zu diesem Thema werden die Ursachen des Aufstandes und seiner Niederlage aufgedeckt, wird der Aufstand charakterisiert und historisch beurteilt sowie der Verlauf der militärischen Operationen dargelegt. Karl Marx und Friedrich Engels betrachten den indischen Aufstand als Bestandteil des allgemeinen Befreiungskampfes der asiatischen Völker gegen den Kolonialismus; sie begründen die gegenseitige Abhängigkeit, die zwischen dem indischen Aufstand und den englischen Kolonialkriegen in Asien bestand. In den Artikeln „Persien - China", „Der persische Vertrag" und anderen gelangen Marx und Engels zu der Schlußfolgerung, daß der
Englisch-Persische Krieg und der zweite Opiumkrieg in China, die dem indischen Volk neue ungeheure Lasten auferlegten, da sie im wesentlichen mit den Streitkräften der englisch-indischen Armee geführt wurden, in hohem Maße zur Entstehung des indischen Aufstandes beigetragen haben. Der Aufstand seinerseits zwang die englischen Kolonialherren, sich mit dem Abschluß eines Friedens mit Persien zu beeilen und die Kriegshandlungen in China für einige Jahre einzustellen. Die herrschenden Klassen Englands waren bestrebt, den wahren Charakter und die Ausmaße des indischen Aufstandes zu verschleiern; sie wollten ihn als eine einfache Militärrevolte der Sepoys, der Eingeborenen-Einheiten der englisch-indischen Armee in Bengalen, hinstellen. Die englisch-indischen Behörden verheimlichten sorgfältig die Tatsache, daß breite Schichten der indischen Bevölkerung sich am Aufstand beteiligten, sie suchten zu beweisen, daß der Aufstand von Mohammedanern inszeniert worden sei und bei den Hindus angeblich keine Sympathie gefunden habe. Marx und Engels widerlegen diese falschen Behauptungen und kennzeichnen den indischen Aufstand von Anbeginn als eine gesamtnationale Bewegung, als eine Revolution des indischen Volkes gegen die britische Herrschaft (siehe die Artikel „Der Aufstand in der indischen Armee", „Nachrichten aus Indien", „Der Aufstand in Indien", „Der Entsatz Lakhnaus"). Als bemerkenswerte Tatsache bezeichnen sie den Zusammenschluß nicht nur von Anhängern der verschiedenen Religionen - Hindus und Mohammedanern - und nicht nur von Anhängern der verschiedenen Kasten - Brahmanen, Radschputen und in einer Reihe von Fällen Sikhs -, sondern auch von Vertretern der verschiedenen sozialen Schichten der indischen Gesellschaft während des Aufstands zu einem gemeinsamen Bund gegen die britische Herrschaft. „Es ist das erste Mal", schreibt Marx, „daß Sepoy-Regimenter ihre europäischen Offiziere umbrachten, daß Mohammedaner und Hindus ihre gegenseitigen Antipathien aufgaben und sich gegen ihre gemeinsamen Herren zusammenschlössen, daß .Unruhen, die bei den Hindus ausbrachen, tatsächlich damit endeten, daß in Delhi ein mohammedanischer Kaiser auf den Thron gesetzt wurde', daß die Meuterei nicht auf wenige Gebiete beschränkt blieb und daß zuguterletzt die Revolte in der englisch-indischen Armee zu einer Zeit ausbrach, als die großen asiatischen Völker von einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der englischen Herrschaft erfaßt waren, denn der Aufstand der bengalischen Armee stand ohne Zweifel in engem Zusammenhang mit dem Krieg in Persien und China." (Siehe vorl. Band, S. 231.) In dem Artikel „Die indische Insurrektion" beweist Marx unwider
leglich, daß die indische Bevölkerung mit dem Aufstand sympathisierte und ihn unterstützte, daß sich breite Schichten des indischen Volkes am Aufstand beteiligten. Allein die Tatsache, daß der Aufstand riesige Ausmaße annahm und die Engländer auf Schritt und Tritt bei der Versorgung ihrer Armee mit Transportmitteln und Proviant auf große Schwierigkeiten stießen, bemerkt Marx, zeuge schon von der feindlichen Einstellung der indischen Bauern zu den englischen Eroberern. Marx und Engels stellten die unmittelbaren Ursachen, die den indischen Aufstand ausgelöst hatten, in engen Zusammenhang mit den Veränderungen, die zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter der britischen Herrschaft in Indien vor sich gegangen waren, im besonderen mit der Veränderung der Funktionen der Eingeborenen-Armee. England war es gelungen, wie Marx an anderer Stelle bemerkt, Indien zu erobern und ohne nennenswerte Erschütterungen ein halbes Jahrhundert lang zu beherrschen, hauptsächlich mit einem einzigen Grundprinzip, dem Prinzip „teile und herrsche". Das Schüren von Feindschaft zwischen den verschiedenen Rassen, Stämmen, Religionen, Kasten und einzelnen souveränen Fürstentümern war eins der wichtigsten Mittel zur Festigung der britischen Herrschaft in Indien. Mitte des 19. Jahrhunderts veränderten sich jedoch wesentlich die Bedingungen dieser Herrschaft. Die Ostindische Kompanie, ein Werkzeug in den Händen der britischen Kolonialherren, hatte zu diesem Zeitpunkt die territorialen Eroberungen beendet und als alleiniger Eroberer des Landes festen Fuß gefaßt. Um das indische Volk Untertan zu halten, mußte sie sich auf die von ihr geschaffene Eingeborenen-Armee stützen, deren Hauptbestimmung nicht militärische, sondern Polizeifunktionen zur Niederhaltung der unterdrückten Bevölkerung waren. Der Gehorsam des indischen Volkes hing also von der Treue der Eingeborenen-Armee ab, „mit deren Aufstellung die britischen Machthaber gleichzeitig das erste allgemeine Widerstandszentrum schufen, ein Zentrum, wie es das indische Volk nie zuvor besessen hatte" (siehe vorl. Band, S. 231). Gerade damit erklärt Marx die Tatsache, daß der Aufstand nicht von den hungrigen, völlig heruntergekommenen indischen Raiat-Bauern begonnen wurde, sondern von den in privilegierter Stellung befindlichen, gut bezahlten Sepoys. Aber die Triebkräfte des Aufstands beschränkten sich keineswegs auf die Soldaten der Eingeborenen-Armee. Die Sepoys, bemerkt Marx, spielten im Aufstand lediglich die Rolle eines Werkzeugs (siehe den Artikel „Die indische Frage"). Der Aufstand hatte ungleich tiefere soziale Wurzeln, die in der allgemeinen Unzufriedenheit des indischen Volkes mit der langen kolonialen Unterdrückung, mit der Ausraubung des Landes durch
die englischen Eindringlinge und mit den grausamen Methoden der kolonialen Ausbeutung stecken. In den Artikeln „Über die Folterungen in Indien" und „Die Steuern in Indien" hebt Marx hervor, daß äußerst drückende Besteuerungen, Erpressungen, Vergewaltigungen und grausame Folterungen, die überall beim Eintreiben der staatlichen Steuern angewandt wurden, zu den gewöhnlichen Erscheinungen im Leben der. indischen Bauernschaft gehörten. Die Folterung wurde zum offiziell anerkannten untrennbaren Bestandteil der englischen Finanzpolitik in Indien. Zugleich wurde kein einziger Teil der eingetriebenen Steuern als gesellschaftlich nützliche Bauten, „die in den Ländern Asiens nötiger als anderswo sind" (siehe vorl. Band, S. 517), dem Volke zurückgegeben. Zu den unmittelbaren Ursachen des Aufstandes, schreibt Marx, gehören auch die Politik der gewaltsamen Erweiterung der britischen Besitzungen durch Annexion noch unabhängig gebliebener Territorien und Beschlagnahme der Ländereien der einheimischen Fürstentümer (siehe die Artikel „Die Annexion von Audh" und „Die Proklamation Cannings und die Frage des Grundeigentums in Indien"). Diese Politik erzeugte Unzufriedenheit mit der britischen Herrschaft bei einem beträchtlichen Teil der besitzenden Klassen der indischen Bevölkerung, insbesondere bei den feudalen Grundbesitzern. Oppositionelle Stimmungen gegenüber der britischen Herrschaft waren während des Aufstandes auch bei der indischen Bourgeoisie zu beobachten, davon zeugt das Fiasko der Anleihe für den indischen Krieg, die die Ostindische Kompanie in Kalkutta ausgeschrieben hatte. Da Marx und Engels tiefe Sympathie für den Befreiungskampf des indischen Volkes empfanden, hofften sie auf den Sieg des Aufstandes, wobei sie ihn abhängig machten von der Aktion - besonders im südlichen und mittleren Teil Indiens - aller zum Kampf mit den Kolonialherren fähigen Schichten der indischen Bevölkerung. Aber zu einer solchen allgemeinen Aktion kam es nicht infolge verschiedener historischer Ursachen: der feudalen Zersplitterung Indiens, der ethnischen Buntheit seiner Bevölkerung, der religiösen und kastenmäßigen Spaltung des indischen Volkes, des Verrats des überwiegenden Teils der örtlichen Feudalherren, die den Aufstand leiteten. Eine der Hauptursachen der Niederlage des Aufstandes sahen Marx und Engels darin, daß den Aufständischen eine einheitliche zentralisierte Führung, ein gemeinsames militärisches Kommando fehlte und innere Unstimmigkeiten und Zwiste unter ihnen entstanden waren. Verhängnisvolle Auswirkungen auf den Aufstand hatten der Mangel an Streitkräften und
II Marx/Engels, Werke, Bd. 12
Kriegsmitteln auf Seiten der Aufständischen im Vergleich zu ihrem Gegner und der Mangel an Erfahrungen in der Kriegführung. Alles das machte die innere Organisation der Teilnehmer am Aufstand labil, verringerte ihre Aussichten auf Erfolg bei den militärischen Operationen, schwächte ihren moralischen Geist, desorganisierte ihre Reihen und führte schließlich zur Niederlage des Aufstandes (siehe Artikel „Die Einnahme Delhis", „Die Belagerung und Erstürmung Lakhnaus", „Der Entsatz Lakhnaus" und „Die Einnahme von Lakhnau"). Aber trotz der schwierigen Bedingungen des Kampfes, bemerken Marx und Engels, taten die Aufständischen alles, was sie konnten, besonders bei der Verteidigung der Hauptzentren des Aufstandes: Delhi und Lakhnau. Erlitten sie bei der Verteidigung von Delhi zwar eine Niederlage, so haben sie trotzdem die Kraft der nationalen Erhebung gezeigt, die, wie Engels schreibt, nicht in regulären Kämpfen, sondern im Partisanenkrieg besteht. In den Artikeln „Der indische Aufstand" und „Einzelheiten über die Erstürmung Lakhnaus" geben Marx und Engels eine vernichtende Charakteristik der „zivilisierten" britischen Kolonialarmee, die die besiegten Teilnehmer am Aufstand bestialisch vergewaltigte und die den Aufständischen abgerungenen Städte barbarisch plünderte. Bei der Beurteilung der historischen Bedeutung des indischen Aufstandes schreibt Marx, daß der Aufstand das Kolonialregime in Indien zwar nicht wesentlich verändert, dafür aber gezeigt habe, wie das indische Volk die koloniale Knechtschaft haßt, und daß es fähig ist, entschlossen für seine Befreiung zu kämpfen. Der Aufstand hat die englischen Kolonialherren gezwungen, die Formen und Methoden der Kolonialherrschaft etwas zu ändern, vor allem die Ostindische Kompanie endgültig aufzulösen, deren Politik allgemeine Empörung in Indien hervorgerufen hatte. Bei der Untersuchung des Einflusses, den der indische Aufstand auf die Entwicklung der europäischen Krise ausgeübt hat, hebt Marx in den Artikeln „Die Finanzkrise in Europa", „Wichtige britische Dokumente" und „Der Zustand des britischen Handels" hervor, daß der Aufstand den indischen Markt für einige Monate geschlossen und den englischen Export lahmgelegt sowie zur Verschärfung der Krise im Sommer 1857 in England beigetragen hat. Andererseits jedoch spielte der Aufstand eine gewisse Rolle bei der Belebung der englischen Industrie und des englischen Handels, indem er die Nachfrage nach englischen Waren, die in Indien durch die Erfordernisse des Krieges beträchtlich gestiegen war, erhöhte. In seinen Artikeln über den nationalen Befreiungskampf der Völker Chinas und Indiens sowie in dem Artikel „Kriegführung im Gebirge einst
und jetzt" behandelt Engels vom Standpunkt des Materialismus Fragen der Kriegswissenschaft. An Hand verschiedener historischer Beispiele von Volksaufständen entwickelt er hier vor allem Thesen über den Partisanenkrieg eines Volkes als eine besondere Kriegsform, die breiten gesamtnationalen Bewegungen gegen fremde Unterdrücker eigentümlich ist. In einer Reihe von Artikeln des Bandes erörtern Marx und Engels die Innen- und Außenpolitik der kapitalistischen Hauptländer während der Krise und beurteilen sie im Lichte der Perspektiven der, wie sie glaubten, nahenden neuen europäischen Revolution. Zwecks politischer Aufklärung des Proletariats und-seiner Erziehung zum Klassenbewußtsein untersuchen Marx und Engels sorgfältig den Verlauf der internationalen Ereignisse während der Krise; sie bestimmen den Charakter des Klassenkampfes zu dieser Zeit, die Gruppierung der Klassenkräfte, die Stellung der Parteien und der Regierungen, die Lage der Arbeiterklasse in den einzelnen Ländern. Zugleich verfolgen sie aufmerksam jeden neuen Schritt der internationalen demokratischen und proletarischen Bewegung. Im Juli 1856 reagiert Marx mit lebhaftem Interesse auf den neuen Aufschwung der bürgerlichen Revolution in Spanien, die schon 1854 begonnen hatte und ein erstes Anzeichen für das Erwachen der europäischen revolutionären Bewegung nach der langen Periode der Reaktion war. Aus Anlaß der Juli-Ereignisse in Spanien schreibt Marx zwei Artikel - im Band unter der Überschrift „Die Revolution in Spanien" -, die eine direkte Fortsetzung der Serie seiner 1854 geschriebenen Artikel über die revolutionären Ereignisse in Spanien darstellen (siehe Band 10 unserer Ausgabe). Indem er die spezifischen Besonderheiten und charakteristischen Merkmale der spanischen Revolution von 1856 bestimmt, unterstreicht Marx ihre deutlich ausgeprägte politische Tendenz; er hebt hervor, daß sie den allen früheren bürgerlichen Revolutionen in Spanien eigentümlichen dynastischen und militärischen Charakter völlig abgestreift hat. Marx verweist auf ein neues Merkmal der Revolution - den Eintritt der spanischen Arbeiterklasse in den Kampf und die dadurch bewirkte Veränderung in der Gruppierung der Klassenkräfte der Revolution: auf der einen Seite standen der Hof und die Armee und auf der anderen das Volk mit der Arbeiterklasse. Eine bemerkenswerte Tatsache der Revolution von 1856, die, wie Marx sagt, „eines der vielen Symptome des Fortschritts" in Spanien widerspiegelte, war die begeisterte Unterstützung der Revolution durch die spanische Bauernschaft. In der Revolution von 1856 hätte die spanische Bauernschaft, schreibt Marx, zum „äußerst machtvollen Element des Widerstandes" werden können, wenn die Führer der Bewegung deren
Energie auszunutzen gewollt und vermocht hätten. Dieser Gedanke zeugt von der wichtigen Rolle, die die Begründer des Marxismus in diesen Jahren bei der Weiterentwicklung ihrer genialen Thesen vom Bündnis der Arbeiterklasse und der Bauernschaft den Bauernmassen im Kampf gegen den Feudalismus und Absolutismus beimaßen. In den Artikeln über Spanien enthüllt Marx noch einmal die verräterische konterrevolutionäre Rolle der Großbourgeoisie gegenüber den Volksmassen. Die Haltung der spanischen Bourgeoisie in der Revolution von 1856 bestätigte die historische Gesetzmäßigkeit des Klassenkampfes, die Marx und Engels an Hand der Erfahrungen der Revolution von 1848/49 festgestellt hatten; aus Angst vor den republikanisch-demokratischen Forderungen der Arbeiter, der Gefahr des Sturzes der Monarchie und des Ausbruchs eines Bürgerkriegs verriet die spanische Bourgeoisie im entscheidenden Augenblick die Arbeiter, die ihr beim Widerstand gegen die Kräfte der Reaktion geholfen hatten. Die spanische bürgerliche Revolution von 1856 unterlag infolge der Schwäche der Arbeiterklasse, der Isolierung der Bauernbewegung und des Verrats der liberalen Bourgeoisie. Marx und Engels untersuchten die innere Lage in den europäischen Hauptländern, besonders in England und Frankreich, vom Standpunkt der Aussichten der Revolution und waren der Ansicht, daß in diesen Ländern während der Krise Anzeichen einer revolutionären Situation heranreiften. Hierbei war die Revolution in Frankreich, wo die Krise die ökonomische Lage der werktätigen Massen beträchtlich verschlechtert und die Positionen der bonapartistischen Regierung erschüttert hatte, nach ihrer Meinung am wahrscheinlichsten. Die durch die Krise hervorgerufene Stockung in der Industrie, die schwere Lage der Landwirtschaft, die Handelsdepression und die dem Lande drohende Finanzkatastrophe müssen „das französische Volk in jene Geistesverfassung versetzen", schreibt Marx, „in der es bereit ist, sich in neue politische Wagnisse einzulassen. Mit dem Schwinden des materiellen Wohlstands und seines üblichen Anhängsels, der politischen Gleichgültigkeit, verschwindet auch jeder Vorwand für ein weiteres Bestehen des Zweiten Kaiserreichs" (siehe vorl. Band, S. 398). In den Artikeln „Das Attentat auf Bonaparte", „Die Herrschaft der Prätorianer", „Die gegenwärtige Position Bonapartes", „Pelissiers Mission in England", „Mazzini und Napoleon" sowie in den bereits erwähnten Artikeln über den Credit mobiiier 'unterzieht Marx das Regime des Zweiten Kaiserreichs einer vernichtenden Kritik und enthüllt die charakteristischen Züge des Bonapartismus: offene Diktatur der Bourgeoisie, Vorherrschaft der Soldateska, politischer Massenterror, allgemeine Korruption, Unter
schlagungen, riesige Spekulationsaffären und außenpolitische Abenteuer, die die Regierung Napoleons III. unternahm, um die Aufmerksamkeit der Werktätigen von den Fragen der Innenpolitik abzulenken. In diesen Artikeln wird die von Marx schon im „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" formulierte klassische These weiterentwickelt, daß sich die bonapartistische Diktatur nur halten konnte, weil sie zwischen den Klassen lavierte, indem sie zugleich durch tausend Fäden mit den räuberischsten, habgierigsten und zynischsten Elementen der französischen Bourgeoisie verknüpft war. Die Spekulation, bemerkt Marx, war zum „Lebensprinzip" des Zweiten Kaiserreichs und die kurz nach dem Staatsstreich von der Regierung gegründete Gesellschaft Credit mobilier zur Säule des bonapartistischen Regimes geworden (siehe die Artikel „Der Credit mobilier" und „Der französische Credit mobilier"). Die bonapartistische Regierung nutzte den Credit mobilier und die in Frankreich aufblühende Gründerei und Spekulation in breitem Maße dazu aus, das Streben der Bourgeoisie nach ungeheuren Profiten zu befriedigen, die Zahl der beschäftigten Arbeiter zu erhöhen und sie dadurch vom politischen Kampf abzulenken, schließlich, die persönlichen Bedürfnisse der bonapartistischen Clique zu befriedigen. Marx vermerkt die allmählich zunehmende Unzufriedenheit aller Schichten der französischen Gesellschaft mit dem bonapartistischen Regime; er kommt zu dem Schluß: „Nur ein europäischer Krieg bietet eine Aussicht, die Revolution in Frankreich aufzuschieben" (siehe vorl. Band, S. 662), in dem sich Frankreich und Sardinien, unterstützt vom zaristischen Rußland, gegen Österreich verbünden müssen. Diese Prognose von Marx bestätigte sich völlig 1859. Nach der Niederlage der Revolution von 1848/49 war Marx wie vordem der Meinung, daß die proletarische Revolution in Europa nur unter der Bedingung siegen kann, daß das englische Proletariat daran teilnimmt. Unter diesem Gesichtspunkt untersucht Marx in einer Reihe von Artikeln des Bandes sorgfältig die innere Lage Englands. In den Artikeln „Die Finanzlage Frankreichs", „Der Bankakt von 1844 und die Geldkrise in England" und „Die politischen Parteien in England Die Lage in Europa" spricht Marx die feste Überzeugung aus, daß die Entwicklung der Krise eine Revolution in England möglich mache. Einerseits verstärkte sich in England die Ausbeutung der Arbeiterklasse, verschärften sich die Gegensätze zwischen Proletariat und Bourgeoisie, nahm rasch das Elend der Volksmassen zu, lösten sich die alten herrschenden Parteien auf. Andererseits war England nach dem Krimkrieg mit Napoleon III. ver
bündet, wobei die englischen Streitkräfte und Kriegsmittel durch den indischen Aufstand und den chinesischen Krieg gebunden waren. Marx kommt zu dem Schluß, daß England nicht abseits stehen könnte im Falle einer ernsten revolutionären Explosion auf dem europäischen Kontinent, daß England nicht in der Lage wäre, „die hochmütige Position wieder einzunehmen, die es 1848 und 1849 innehatte", und „die sichtbar näherrückende europäische Revolution zu behindern" (siehe vorl. Band, S. 234 bis 235 und 504). Marx streift einige Besonderheiten des englischen politischen Lebens in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. In den Artikeln „Eine Niederlage des Kabinetts ralmerston", „Die bevorstehenden Wahlen in England", „Die englischen Wahlen" und „Die Niederlage von Cobden, Bright und Gibson" charakterisiert er treffend das System des bürgerlichen Parlamentarismus in England, das, wie er schreibt, darin besteht, daß „bei bestimmten feierlichen Anlässen die Unverantwortlichkeit von einem Whig auf einen Tory oder von einem Tory auf einen Whig übertragen wird. Ministerielle Verantwortlichkeit bedeutet dort, daß die Stellenjägerei zur Hauptbeschäftigung der parlamentarischen Parteien wird" (siehe vorl. Band, S. 619). Marx verzeichnet insbesondere die fortschreitende Auflösung der traditionellen herrschenden Parteien Englands - der Tories und der Whigs. Er hebt die Tendenz zur Verwandlung dieser zwei alten Parteien in eine einzige aristokratische Partei hervor und weist darauf hin, daß die Tories und die Whigs nur dann weiter existieren können, wenn sie sich den allgemeinen Interessen der Bourgeoisie unterordnen. Zugleich stellt er die Tendenz der englischen Bourgeosie fest, Kompromisse mit der Aristokratie einzugehen. Damit zeigt Marx die wesentlichen Merkmale der Auflösung des englischen Zweiparteiensystems, die später zur Verwandlung der alten aristokratischen Parteien der Tories und der Whigs in die zwei abwechselnd herrschenden Parteien der englischen Bourgeoisie - der Konservativen und der Liberalen - führte. Völlig zufriedengestellt durch die Eroberung der Handeisfreiheit und der politischen Rechte, ging die englische Bourgeoisie in den fünfziger Jahren offen auf ein Bündnis mit der Aristokratie ein, weil sie Angst vor der Arbeiterklasse hatte und Zugeständnisse an sie vermeiden wollte. In den Artikeln „Das Ergebnis der Wahlen" und „Das englische Fabriksystem" spricht Marx von der Weigerung der englischen Bourgeoisie, für die demokratische Reform des englischen Staats. apparats zu kämpfen. Die Niederlage der Vertreter der sogenannten Manchesterschule bei den Wahlen von 1857, schreibt er, war ein deutlicher Beweis dafür, daß die englische Bourgeoisie auf die Führung der demo
kratischen Bewegung im Lande verzichtete, die sie während der Agitation der Anti-Korngesetz-Liga usurpiert hatte. Zugleich sahen Marx und Engels voraus, daß die Niederlage der Führer der industriellen Bourgeoisie in Manchester unvermeidlich zur Belebung der Agitation für die Wahlreform in England beitragen mußte. Marx und Engels hofften, daß diese Agitation eine ernste politische Krise hervorrufen würde, die die revolutionäre Bewegung auf dem Kontinent gefördert hätte. Die Zersetzung und die Ohnmacht der alten aristokratischen Parteien und der Mangel an revolutionärer Energie bei der Bourgeoisie bewirkten, schreibt Marx, daß die von Palmerston geführte oligarchische Clique an der Macht blieb. In einer Reihe von Artikeln charakterisiert Marx diesen typischen Vertreter der herrschenden aristokratischen Oligarchie als Gegner jeglicher innenpolitischen Reformen, als Inspirator der kolonialen Expansion und eifrigen Verfechter einer aggressiven Außenpolitik, mit der die englische Bourgeoisie das Proletariat von den inneren Fragen abzulenken suchte. Die Ursachen der Popularität und des Einflusses Palmerstons enthüllend, der sich den Ruhm des „wahrhaft britischen Ministers" erworben hatte, zeigt Marx, daß die Politik Palmerstons klassischer Ausdruck der Interessen der englischen Bourgeoisie war, die gierig danach strebte, ihre Absatzmärkte zu erweitern und das Industrie- und Kolonialmonopol Englands zu festigen. In den Artikeln über die Lage in Preußen - „Die Geistesgestörtheit des Königs von Preußen", „Die preußische Regentschaft", „Die Lage in Preußen" und „Das neue Ministerium" - stellt Marx das reaktionäre Wesen der Hohenzollern-Dynastie bloß und unterzieht die Grundlagen der staatlichen Ordnung der preußischen Monarchie, die reaktionäre preußische Verfassung, die alle demokratischen Rechte des Volkes in einen toten Buchstaben verwandelt hatte, einer vernichtenden Kritik. Marx geißelt die Herrschaft der Bürokratie, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens des preußischen Staates durchdrungen hatte. Die feudal-monarchistische Ordnung in Preußen, zeigt Marx, konnte sich halten durch den feigen Liberalismus der preußischen Bourgeoisie, deren ganzes Bestreben sich darauf beschränkte, einträgliche Staatsämter zu erjagen. Der Band enthält mehrere Artikel von Marx und Engels über Rußland. Wenn die Begründer des Marxismus im zaristischen Rußland nach wie vor die Säule der europäischen Reaktion sahen und immer als unversöhnliche Gegner des Zarismus auftraten, so hatten sie eine völlig andere Einstellung zu dem anderen Rußland, zu dem inoffiziellen Rußland, zu den Kräften, die im Lande selbst der zaristischen Selbstherrschaft gegenüberstanden.
Nach Beendigung des Krimkrieges, der die Morschheit der zaristischen militärisch-bürokratischen Maschinerie sichtbar gemacht hatte, zeigen Marx und Engels unter dem Einfluß der stürmisch zunehmenden Bauernunruhen in Rußland immer größeres Interesse für die Perspektiven der revolutionären Entwicklung Rußlands. Hielten Marx und Engels während des Krimkrieges diese Perspektiven noch für verhältnismäßig fern, so kommen sie jetzt zu dem direkten Schluß, daß die Revolution in Rußland heranreift. In den Artikeln „Die politischen Parteien in England - Die Lage in Europa", „Die Frage der Aufhebung der Leibeigenschaft in Rußland", „Europa im Jahre 1858" und „Ober die Bauernbefreiung in Rußland" betrachten Marx und Engels Rußland als ein Land, das mit einer gegen die Leibeigenschaft gerichteten Volksrevolution schwanger geht, wobei sie hervorheben, daß die Bewegung der Volksmassen in Rußland für die Selbstherrschaft gefährlich wird, daß ein Bauernaufstand zu einem „Wendepunkt in der russischen Geschichte" werden kann (siehe vorl. Band, S. 682). Beim Studium der internationalen Lage Europas in der zweiten Hälfte des Jahres 1858 spricht Marx den Gedanken aus, daß das revolutionäre Rußland ein potentieller Verbündeter der revolutionären Bewegung im Westen ist. Wenn diese Großmacht vor zehn Jahren, schreibt er, „dem revolutionären Strom gewaltsam Einhalt gebot", so „hat sich unter" ihren „eigenen Füßen Zündstoff gesammelt, den ein starker Windstoß aus dem Westen plötzlich in Brand setzen kann" (siehe vorl. Band, S. 505). In dem Artikel „Europa im Jahre 1858", in dem Engels auf die Anzeichen eines neuen Erwachens der politischen Bewegung in allen europäischen Ländern hinweist, richtet er besonderes Augenmerk auf die politische Belebung in Rußland, die sich in der Vorbereitung der Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft ausdrückte. Bei der Kennzeichnung der internationalen Lage Ende 1858 in Europa zieht Marx den sehr bedeutungsvollen Schluß, daß in der weiteren Entwicklung Europas nur eine Alternative möglich ist: Revolution oder Krieg. Gerade im gegenwärtigen Augenblick, hebt Marx hervor, windet sich Europa „zwischen den beiden Möglichkeiten dieses Dilemmas" (siehe vorl. Band, S. 662).
Außer vier Artikeln waren alle in den Band aufgenommenen Artikel nicht gezeichnet. Doch wird die Verfasserschaft der meisten Artikel durch Vermerke von Marx in seinen Notizheften von 1857 und 1858, durch den
Briefwechsel zwischen Marx und Engels und durch andere Dokumente bestätigt. Wie Marx und Engels wiederholt gezeigt haben, ist die Redaktion der „New-York Daily Tribüne" willkürlich mit dem Text ihrer Artikel verfahren, besonders derjenigen, die ohne Unterschrift als Leitartikel veröffentlicht wurden. In einigen Artikeln von Marx und Engels machte die Redaktion zahlreiche Ergänzungen und fügte ganze Absätze ein. In der vorliegenden Ausgabe sind solche offensichtlichen Ergänzungen aus den Artikeln herausgelöst worden und stehen in den Anmerkungen zu den entsprechenden Stellen des betreffenden Artikels. Die im Text der „New-York Daily Tribüne" und anderer Zeitungen festgestellten offensichtlichen Druckfehler in Eigennamen, geographischen Benennungen, Zahlenangaben, Daten und Zitaten sind auf Grund einer Überprüfung an Hand der Quellen, die Marx und Engels benutzt haben, berichtigt worden. Die Uberschriften der Artikel und Korrespondenzen von Marx und Engels entsprechen ihrer Veröffentlichung in den Zeitungen. Stammt eine im Original nicht vorhandene Überschrift vom Institut für MarxismusLeninismus, ist sie durch eckige Klammern gekennzeichnet. Weicht die Überschrift eines Artikels in der Zeitung von der Variante der Überschrift ab, wie sie Marx in seinen Notizheften vermerkt hat, so wird das in Anmerkungen erklärt. In Anmerkungen wird auch auf die Überschriften j von Artikeln hingewiesen, die das Institut für Marxismus-Leninismus auf Grund der Notizhefte von Marx eingesetzt hat. Enthält der Text von Artikeln, die Marx zugleich in zwei verschiedenen Organen veröffentlicht hat, wesentliche Differenzen, oder divergiert der Text des gedruckten Originals mit dem erhaltenen handschriftlichen Text, so werden die wichtigen Varianten der Lesarten als Fußnoten gebracht.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU
In den vorliegenden Band ist, abweichend vom zwölften Band der Ausgabe in russischer Sprache, Marx' berühmter Entwurf einer Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie noch nicht aufgenommen. Diese Arbeit erscheint erst im dreizehnten Band. Der größte Teil der im Band 12 enthaltenen Artikel wurde an Hand der Originale oder Photokopien neu übersetzt, bei einer ^srin^w ei* Anzah! früher bereits ins Deutsche übertragener Artikel wurden die neuen ÜberSetzungen mit den alten verglichen und überprüft. Ein großer Teil dieser Artikel erscheint zum erstenmal in deutscher Sprache. Bei jeder Arbeit ist die für die Übersetzung herangezogene Quelle vermerkt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden ebenfalls überprüft, soweit die Quellen zur Verfügung standen. Längere Zitate werden zur leichteren Übersicht in kleinerem Druck gebracht. Fremdsprachige Zitate und fremdsprachige Wörter, die in den englischen Originalfassungen vorkommen, sind in der deutschen Übertragung beibehalten und werden in Fußnoten übersetzt. Alle in eckigen Klammern stehenden Wörter oder Wortteile stammen von der Redaktion; offensichtliche Druckfehler in den englischen Quellen wurden in der deutschen Fassung stillschweigend korrigiert. Fußnoten von Marx und Engels sind durch Sternchen gekennzeichnet, Fußnoten der Redaktion durch eine durchgehende Linie vom Text abgetrennt und durch Ziffern kenntlich gemacht. Zur Erläuterung ist der Band mit Anmerkungen versehen, auf die im Text durch hochgestellte Zahlen in eckigen Klammern hingewiesen wird; außerdem sind ein Literaturverzeichnis, Daten über das Leben und die Tätigkeit von Marx und Engels, ein Personen Verzeichnis, ein Verzeichnis der literarischen und mythologischen Namen, eine Liste der geographischen Namen, sowie eine Erklärung der Fremdwörter und ein Verzeichnis der Gewichte, Maße und Münzen beigefügt.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED
KARLMARX und FRIEDRICH ENGELS April 1856-Januar 1859

(gl)t \hoy\t% paytr. „„•»aar.»'»u».™.— • London. katurdaY.aPIUl h.um i -ir~i mmj j ...j..ra^xsttsrastiask...
Karl Marx [Rede auf der Jahresfeier des People's Paper" am M.April 1856 in London"1]
[„The People's Paper" Nr. 207 vom 19. April 1856] Die sogenannten Revolutionen von 1848 waren nur kümmerliche Episoden - kleine Brüche und Risse in der harten Kruste der europäischen Gesellschaft. Sie offenbarten jedoch einen Abgrund. Sie enthüllten unter der scheinbar festen Oberfläche Ozeane flüssiger Masse, die nur der Expansion bedarf, um Kontinente aus festem Gestein in Stücke zerbersten zu lassen. Lärmend und verworren verkündeten sie die Emanzipation des Proletariers, d.h. das Geheimnis des 19. Jahrhunderts und der Revolution dieses Jahrhunderts. Diese soziale Revolution war allerdings keine 1848 erfundene Neuheit. Dampf, Elektrizität und Spinnmaschine waren Revolutionäre von viel gefährlicherem Charakter als selbst die Bürger Barbes, Raspail undBlanqui. Aber obgleich die Atmosphäre, in der wir leben, auf jedem mit einem Gewicht von 20000 Pfund lastet, empfinden wir es etwa? Nicht mehr, als die europäische Gesellschaft vor 1848 die revolutionäre Atmosphäre empfand, die sie von allen Seiten umgab und drückte. Eis gibt eine große Tatsache, die für dieses unser 19. Jahrhundert bezeichnend ist, eine Tatsache, die keine Partei zu leugnen wagt. Auf der einen Seite sind industrielle und wissenschaftliche Kräfte zum Leben erwacht, von der keine Epoche der früheren menschlichen Geschichte je eine Ahnung hatte. Auf der andern Seite gibt es Verfallssymptome, welche die aus der letzten Zeit des Römischen Reiches berichteten Schrecken bei weitem in denSchatten stellen. In unsern Tagen scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger zu gehen. Wir sehen, daß die Maschinerie, die mit der wundervollen Kraft begabt ist, die menschliche Arbeit zu verringern und fruchtbarer zu machen, sie verkümmern läßt und bis zur Erschöpfung auszehrt. Die neuen Quellen des Reichtums verwandeln sich durch einen seltsamen Zauberbann zu Quellen der Not. Die Siege der Wissenschaft scheinen erkauft durch Verlust an Charakter. In dem Maße, wie die Menschheit die Natur bezwingt, scheint
der Mensch durch andre Menschen oder durch seine eigne Niedertracht unterjocht zu werden. Selbst das reine Licht der Wissenschaft scheint nur auf dem dunklen Hintergrund der Unwissenheit leuchten zu können. All unser Erfinden und unser ganzer Fortschritt scheinen darauf hinauszulaufen, daß sie materielle Kräfte mit geistigem Leben ausstatten und das menschliche Leben zu einer materiellen Kraft verdummen. Dieser Antagonismus zwischen moderner Industrie und Wissenschaft auf der einen Seite und modernem Elend und Verfall auf der andern Seite, dieser Antagonismus zwischen den Produktivkräften und den gesellschaftlichen Beziehungen unserer Epoche ist eine handgreifliche, überwältigende und unbestreitbare Tatsache. Einige Parteien mögen darüber wehklagen; andere mögen wünschen, die modernen technischen Errungenschaften loszuwerden, um die modernen Konflikte loszuwerden. Oder sie mögen sich einbilden, daß ein so bemerkenswerter Fortschritt in der Industrie eines ebenso bemerkenswerten Rückschritts in der Politik zu seiner Vervollständigung bedarf. Wir für unsern Teil verkennen nicht die Gestalt des arglistigen Geistes, der sich fortwährend in all diesen Widersprüchen offenbart. Wir wissen, daß die neuen Kräfte der Gesellschaft, um richtig zur Wirkung zu kommen, nur neuer Menschen bedürfen, die ihrer Meister werden - und das sind die Arbeiter. Sie sind so gut die Erfindung der neuen Zeit wie die Maschinerie selbst. In den Anzeichen, die die Bourgeoisie, den Adel und die armseligen Rückschrittspropheten in Verwirrung bringen, erkennen wir unsern wackern Freund Robin GoodfellowI2], den alten Maulwurf, der so hurtig wühlen kann, den trefflichen Minierer - die Revolution. Die englischen Arbeiter sind die erstgeborenen Söhne der modernen Industrie. Sie werden also gewiß nicht die letzten sein, der durch diese Industrie erzeugten sozialen Revolution zu helfen, einer Revolution, die die Emanzipation ihrer eignen Klasse in der ganzen Welt bedeutet, die so universal ist wie die Herrschaft des Kapitals und die Lohnsklaverei. Ich kenne die heldenmütigen Kämpfe, die die englische Arbeiterklasse seit Mitte des vorigen Jahrhunderts bestanden hat - Kämpfe, nur darum weniger berühmt, weil sie in Dunkel gehüllt sind und die bürgerlichen Historiker sie vertuschen. Im Mittelalter gab es in Deutschland ein geheimes Gericht, Femgericht genannt. Es existierte, um die Untaten der herrschenden Klasse zu rächen. Wenn man ein Haus mit einem roten Kreuz gezeichnet fand, so wußte man, daß der Besitzer von der Feme verurteilt war. Alle Häuser Europas sind jetzt mit dem geheimnisvollen roten Kreuz gezeichnet. Die Geschichte ist der Richter - ihr Urteilsvollstrecker der Proletarier. Aus dem Englischen.
Karl Marx Das Oberhaus und das Denkmal des Herzogs von York
[„The People's Paper" Nr. 208 vom 26. April 1856] Gerade zu dem Zeitpunkt, da Lord John Russell, „The minimus bf hind'ring knot-grass made" das Unterhaus mit einem seiner zwerghaften Narrenpläne ergötzte, die jenen Riesen, genannt das Volk, erziehen sollen, stellten seine Kollegen im Oberhaus ein praktisches Exempel der Erziehung zur Schau, die die gottbegnadeten Herrscher Großbritanniens genossen haben. Gegenstand ihrer Debatte war der Bericht eines Komitees des Unterhauses, der aus örtlich bedingten Interessen empfahl, das Denkmal des Herzogs von York vom Waterloo Place zu entfernen. Bei jener Gelegenheit sagte der Marquis von Clanricarde, „der Herzog von York war nicht nur erhaben durch seine erlauchte Geburt, er hatte auch große militärische Dienste Krone und Vaterland erwiesen... Die Trauer bei seinem Hinscheiden beschränkte sich nicht allein auf seinen Freundeskreis, sondern wurde allgemein empfunden. Der Eifer, den er bei der Erfüllung der ihm übertragenen Pflichten zeigte, wurde übereinstimmend von allen Seiten bezeugt." Nach den Ausführungen des Marquis von Lansdowne „sollte ein Gedenkstein, der vor einigen Jahren zu Ehren einer erlauchten, von allen geachteten Persönlichkeit errichtet worden ist, nicht so leichtfertig beiseite geschafft oder weggeräumt werden". c Aberdeen, der weitgereiste Thant41, bezeichnete das Monument als „gewissermaßen geweiht". Der Graf von Malmesbury „stimmte im Hinblick darauf, was man die gefühlsmäßige Seite der Angelegenheit nennen könnte, mit den Äußerungen des edlen Grafen völlig überein"J6] Betrachten wir einmal rückblickend das Leben dieses königlichen Helden, der so von den Lords heilig gesprochen worden ist.
Das denkwürdigste Ereignis im Leben des Herzogs von York - seine Geburt - geschah im Jahre 1763. Sechsundzwanzig Jahre später verstand er es, die Aufmerksamkeit der Welt auf seine Person zu lenken, indem er dem glückseligen Junggesellenstand entsagte und Ehemann wurde. Der Anti-JakobinerKrieg bot dein königlichen Prinzen die Gelegenheit, königlicher Befehlshaber zu werden. Wenngleich die englische Armee bei seinem ewig rühmlichen Unternehmen in Flandern und bei dem nicht minder rühmlichen Unternehmen zu Helder regelmäßig geschlagen wurde161, so hatte sie dennoch die stete Genugtuung, ihren königlichen Befehlshaber wieder mit heiler Haut heimkehren zu sehen. Es ist bekannt, wie geschickt er bei Hondschoot vor Houchard davonlief und wie seine Belagerung von Dünkirchen gewissermaßen die Belagerung von Troja an Possen übertraf. So groß war der vorzügliche Ruhm, den er in seinem flandrischen Feldzug erwarb, daß Pitt, um seinen Ruf besorgt, den Kriegsminister Dundas veranlaßte, seiner königlichen Hoheit auf schnellstem Wege die dringliche Mitteilung zukommen zu lassen, daß er heimkehren, daß er die Bezeugung persönlicher Tapferkeit für Zeiten größerer Gefahr aufsparen und sich auf die alte fabianische Maxime: ' „famae etiam iactura facienda est pro patria"1 besinnen möge. Ein Offizier namens Coehrane Johnstone, auf den wir später noch zurückkommen werden, wurde als Überbringer dieser Depeschen auserkoren und - so berichtet ein Autor jener vergangenen Zeiten
„Johnstone leistete diesen Dienst mit einem Maß an Geschwindigkeit und Entschlossenheit, das ihm zu Recht die Bewunderung der Armee einbrachte" J7!
Noch größer als seine militärischen Heldentaten während dieses Feldzugs erwiesen sich die, welche der Herzog auf finanziellem Gebiet vollbrachte; ein zweckdienlicher Brand in jedem Depot beglich ein für allemal die Rechnungen seiner sämtlichen Intendanturoffiziere, Lieferanten und Aufsichtsbeamten. Ungeachtet dieser Erfolge finden wir seine königliche Hoheit im Jahre 1799 erneut an der Spitze der Helder-Expedition, die in den britischen Zeitungen, welche ganz offen Pitts Protektion unterstanden, als eine reine Sonntagswanderving dargestellt wurde, da man die Vorstellung als recht unnatürlich empfand, daß eine Armee von 45000 Mann, mit einer Eskader im Rücken, die den Zuider-See beherrschte, und geführt von einem Sproß des königlichen Hauses von Braunschweig, nicht imstande sein sollte, durch ihr bloßes Erscheinen einen Pöbelhaufen von etwa 20000 Mann Franzosen
1 „Selbst den Ruhm muß man für's Vaterland opfern"
„unter dem Kommando eines Druckerjungen aus Limousin, eines gewissen Brune, der seine militärische und politische Ausbildung auf den Tennisplätzen der Französischen Revolution erhalten hatte", in alle Winde zu zerstreuen. Der Drucker junge aus Limousin aber hatte die Unverschämtheit - mit dem plumpen Zynismus, der jenen JakobinerGeneralen eigen war -, seine königliche Hoheit bei jedem Zusammenstoß kurz und klein zu schlagen, und als seine königliche Hoheit sich bemühte, nach Helder zurückzugelangen, weil sie es für verdienstvoller hielt, für ihr Vaterland zu leben als dafür zu sterben, da war dieser Brune unhöflich genug, sie nicht durchzulassen, bevor sie die berühmte Kapitulation von Alkmaar181 unterzeichnet hatte, welche die Auslieferung von achttausend französischen und holländischen Matrosen vorsah, die sich damals in englischer Kriegsgefangenschaft befanden. Der Herzog von York hatte vorerst einmal von den Feldzügen genug und, gewitzt, ließ er sich für eine Weile dazu herab, seine Person in dem Dunkel zu verbergen, das von Haus aus den commander-in-chief at the Horse Guards[9J umgibt. Doch sah er sich auf diesem Posten an die Spitze eines Departements gestellt, das das Volk 23000000 Pfd. St. im Jahr kostete, und mit der absoluten, nur noch vom König überwachten Vollmacht betraut, jede beliebige Anzahl von insgesamt 12000 Berufs- und Stabsoffizieren zu befördern oder zu entlassen. Seine königliehe Hoheit verfehlte nicht, reichlich öffentlichen Dank zu ergattern für seine erleuchteten Tagesbefehle, die solche Maßnahmen vorsahen, wie die Abschaffung der Zöpfe bei allen Soldaten und Unteroffizieren, die Ergänzung ihrer Ausrüstung-durch einen Schwamm zum Sauberhalten ihrer Köpfe, das Ausrichten nach rechts und links, den Marsch- und den Paradeschritt, das Schließen und öffnen der Reihen, das Schwenken und Wenden, das Zurückwerfen des Zündschlosses, das Haareschneiden und das Gamaschenreinigen, das Polieren von Waffen und Ausrüstungen sowie die Anordnung, daß John Bull seinen weiten Brustkorb in ein enges Warn? zwängen, seinen Dummkopf mit einer österreichischen Kappe krönen lind seinen breiten Rücken mit einem Mantel ohne Aufschlag bedecken muß und all die anderen bedeutungsvollen Dinge, aus denen die Wissenschaft eines Rekrutenunteroffiziers besteht. Gleichzeitig wies er die höheren Qualitäten eines Strategen und Taktikers auf bei seinem privaten Feldzug gegen Oberst Cochrane Johnstone, den Offizier, der von Pitt beauftragt worden war, seinen siegreichen Unternehmungen in Flandern ein jähes Ende zu setzen* Im Jahre 1801 wurde Johnstone, damals Oberst des 8. West-Indien-Regiments (Neger) und Gouverneur der Insel Dominique, infolge einer in seinem
Regiment ausgebrochenen Meuterei zurückberufen. Er reichte Klage ein gegen den Major seines Regiments, John Gordon, dem zur Zeit der Meuterei das unmittelbare Kommando darüber oblag. Dieser Major Gordon sowie ein Oberst Gordon, Sekretär des Herzogs, gehörten jener vorzüglichen Familie an, die die Welt mit großen Männern gesegnet hat, wie mit dem Verhandlungskrämer Gordon von Adrianopel[10] sowie mit Aberdeen, dem weitgereisten Than, und seinem nicht minder erlauchten Sohn Oberst Gordon, an dessen Namen man sich im Zusammenhang mit dem Krimkrieg erinnert. Der Herzog von York mußte also seine Rache nicht allein an einem Verleumder der Gordons, sondern vor allem an dem Überbringer jener heiklen Depesche üben. Trotz allem Drängen des Oberst Johnstone wurde John Gordon erst im Januar 1804 vor ein Militärgericht gestellt. Obgleich das Gericht sein Verhalten als regelwidrig, sträflich pflichtvergessen und äußerst tadelnswert beurteilte, gestattete ihm der Herzog von York, daß er seinen Rang und ungekürzten Sold beibehielt, während er es unterließ, den Namen des Oberst Johnstone in die Liste der Offiziere einzutragen, die im Oktober 1803 zum Brevet-Generalmajor[U] zu befördern waren. So mußte dieser zusehen, wie Offiziere mit niedrigerem Rang ihm vorgezogen wurden. Auf seine Beschwerde an den Herzog erhielt Johnstone nach neun Wochen, am 10. Dezember 1803, von seiner königlichen Hoheit Bescheid, daß er bei der allgemeinen Titularbeförderung nicht dabeigewesen wäre, weil „Anschuldigungen gegen ihn vorlägen, deren Hauptpunkt noch nicht geklärt worden sei". Es gelang ihm auch nicht, weitere Genugtuung zu erlangen, bis er am 28. Mai 1804 in Erfahrung brachte, daß Major Gordon sein Ankläger war. Sein Prozeß wurde von einem Termin auf den nächsten vertagt; das Militärgericht, das seinen Fall prüfen sollte, wurde einmal nach Canterbury und ein andermal nach Chelsea beordert und eröffnete erst im März 1805 den Prozeß. Johnstone wurde restlos und in allen Ehren freigesprochen, beantragte die Wiederzuerkennung seines ehemaligen Ranges, stieß jedoch am 16. Mai auf die Weigerung seiner königlichen Hoheit. Am 28. Juni kündigte General Fitzpatrick - einer aus der Koterie Fox'£12] - im Parlament an, daß er in Jahnstones Interesse zu Beginn der kommenden Sitzungsperiode des Parlaments die Aufnahme eines besonderen Verfahrens beantragen würde, da das Johnstone zugefügte Unrecht in „der ganzen Armee größte Beunruhigung hervorgerufen" habe. Die nächste Sitzungsperiode wurde eröffnet, aber Fitzpatrick hatte sich inzwischen in den Kriegsminister verwandelt und erklärte von der Regierungsbank aus, daß er den angedrohten Antrag nicht einbringen würde. Einige Zeit später übergab der Herzog von York diesem Kriegsminister einem Salonlöwen, der sein Lebtag keinem Feind ins Auge gesehen, der
zwanzig Jahre früher seine Gardekompanie verkauft1131 und seitdem keinen einzigen Tag mehr gedient hatte - ein Regiment; so mußte Fitzpatrick, der Kriegsminister, die Geschäfte Fitzpatricks, des Obersten, ins reine bringen. Vermöge solcher Kunstgriffe gelang es dem Herzog von York, Oberst Johnstone zu zermalmen und sein Talent als Stratege zu behaupten. Daß der Herzog, ungeachtet einer bestimmten Schwerfälligkeit des Geistes, mit der das erlauchte Haus Braunschweig erblich belastet ist, auf seine Art ein schlauer Kerl war, wurde genügend dadurch bewiesen, daß er als Chef der Geheimkanzlei und des Familienrats Georgs III., des sog. Hauskabinetts, und als Oberhaupt der Hofpartei, genannt Freunde des Königs1141, figurierte. Genauso offenbarte es sich darin, daß er es fertigbrachte, bei einem jährlichen Einkommen von 61000Pfd.St. eine Anleihe in Höhe von 54000 Pfd.St. aus dem Ministerium herauszupressen und trotz dieses öffentlichen Kredits seine Privatschulden nicht zu bezahlen. Man braucht schon einen recht wendigen Geist, um derartige Kunststücke zu vollbringen. Da sich bekanntlich „viele Blicke auf Position und Größe richten", wird man unschwer verstehen, daß sich die Regierung Grenvilles nicht genierte, seiner königlichen Hoheit die Entlastung von einigen seiner Nebenämter vorzuschlagen, wodurch der Herzog - wie ein von ihm bezahltes Pamphlet1151 klagte - vom Oberbefehlshaber zur bloßen Null reduziert worden wäre. Es sei bemerkt, daß Lansdowne unter dem Namen Lord Henry Petty in .demselben Kabinett diente. Jene gleiche Regierung drohte, dem glanzvollen Kriegsmann ein Militärkollegium vor die Nase zu setzen, wobei sie heuchlerisch vorgab, „die Nation" wäre verloren, wenn nicht der Oberbefehlshaber in seiner Unerfahrenheit durch ein Kollegium von Offizieren unterstützt würde. Soweit wurde der Herzog durch diese unwürdige Kabale bedrängt, daß sogar eine Untersuchung über seine Tätigkeit in den Horse Guards gefordert wurde. Glücklicherweise wurde diese Intrige der GrenvillePartei durch ein sofortiges Eingreifen - besser gesagt, durch einen Befehl Georgs III. - vereitelt, der zwar ein notorischer Idiot war, aber dennoch genug Verstand besaß, um das Genie seines Sohnes zu erkennen. Im Jahre 1808 verlangte der königliche Feldherr - von mutigen und patriotischen Gefühlen bewogen - das Kommando der britischen Truppen in Spanien und Portugal, doch da kam das allgemeine Entsetzen der Massen, England in so schwerer Stunde seines Heimatkommandeurs beraubt zu sehen, in äußerst lärmenden, taktlosen und beinahe unanständigen Demonstrationen zum Ausbruch. Man mahnte ihn, sich seines früheren Mißgeschicks im Ausland zu erinnern, man riet ihm, sich für Begegnungen mit dem Feind im eigenen Lande aufzusparen und sich vor öffentlichem Fluch zu hüten. Durch
aus nicht entmutigt ließ der großmütige Herzog ein Pamphlet veröffentlichen, um seinen erblichen Anspruch zu beweisen, in Portugal und Spanien genauso geschlagen zu werden, wie er in Flandern und Holland geschlagen worden war. Doch ach! Der „Morning Chronicle"[16] jener Tage stellte fest, daß „es im gegebenen Fall offenkundig ist, daß Minister und Volk, Regierung und Opposition in ihrer Meinung vollends übereinstimmen". Ja, das Gerücht über die Ernennung des Herzogs schien England mit einem regelrechten Krawall zu bedrohen. So liest man beispielsweise in einer Londoner Wochenzeitschrift1171 jener Tage: „Das Gespräch über dieses Thema ist nicht auf Kneipen, Kaffeehäuser, Märkte, Promenaden und übliche Klatschzentralen beschränkt geblieben. Es ist in alle privaten Kreise eingedrungen; es ist zu einem Stammgericht der Mittags- und Teetische geworden; die Menschen bleiben auf der Straße stehen, um sich darüber zu unterhalten, ob der Herzog von York nach Spanien gehen wird; selbst der geschäftige Londoner bleibt auf dem Wege zur Börse stehen, um sich zu erkundigen, ob es wirklich wahr ist, daß der Herzog von York nach Spanien gehe. Ja, sogar vor den Kirchenportalen auf dem Lande kann man sehen, wie die Dorfpolitiker, deren Unterhaltung über öffentliche Angelegenheiten selten über die Frage der Steuerveranlagung hinausging, ihre Köpfe zusammenstecken, so daß sie sich fast berühren, um sich genauestens zu vergewissern, ob der Herzog von York tatsächlich nach Spanien entsandt wird." Es ist also augenfällig, daß es trotz aller Anstrengungen seiner neidischen Schmäher nicht gelang, die früheren Heldentaten des Herzogs vor der Welt zu verbergen. Welch eine Genugtuung für einen einzelnen Menschen, diese einmütige Besorgnis eines ganzen Volkes, ihn daheim zu halten! Der Herzog konnte natürlich nicht anders, als sein tapferes Gemüt gröblichst zu verletzen, indem er seinen kriegerischen Eifer abkühlte und still in den Horse Guards verharrte. Bevor wir uns der glanzvollsten Periodie dieses monumentalen Lebens zuwenden, müssen wir noch einen Aügenblick bei seinen jungen Jahren verweilen, um zu zeigen, daß der Herzog bereits 1806 von seines Vaters ergebenen Untertanen hoch und öffentlich geschätzt wurde. In seinem „Political Register" jenes Jahres schrieb Cobbett: „Berühmt machte er sich nur durch Davonlaufen und durch die Schande, die er über Englands Waffen brachte; er war ein halber Trottel und zugleich ein Meister der gemeinsten Tücke; er stach gleichermaßen hervor durch weibische Schwäche wie durch teuflische Grausamkeit, durch Hochmut wie durch Kriecherei, durch Verschwendungssucht wie durch Habgier. Solange er das Kommando über die Truppen innehatte, mißbrauchte er diese Vertrauensstellung zu niederträchtigen Geschäften und benutzte sie, um das Volk, das zu verteidigen er reichlich bezahlt wurde, schänd
lieh zu berauben. Nachdem er jeden, von dem er eine eventuelle Bloßstellung zu befürchten hatte, von vornherein bestochen oder eingeschüchtert hatte, ließ er seinen zahlreichen und widersprüchlichen Lastern freien Lauf und gab sich den allgemeinen, wenngleich geflüsterten Verwünschungen der Öffentlichkeit preis." Am 27. Januar 1809 erhob sich Oberst War die im Unterhaus, um einen Antrag „auf Ernennung eines Ausschusses zur Untersuchung der Verhaltensweise des Oberbefehlshabers hinsichtlich der Beförderungen und Auswechselungen in der Armee" zu stellen. In einer Rede, die jeglichen Zartgefühls ermangelte, in der bis ins einzelne alle Fälle dargelegt wurden, die er zur Bekräftigung seines Antrages beizubringen hatte, und in der die Namen aller Zeugen aufgeführt waren, die er zur Bestätigung seiner Anklagen aufzufordern gedachte, beschuldigte der Oberst den vom jetzigen Oberhaus vergötterten Helden, daß seine Konkubine, eine gewisse Mrs. Clarke, die Vollmacht hätte, militärische Beförderungen zu verfügen, daß auch der Tausch der Kommandostellen in der Armee ihrer Disposition unterstände, daß sich ihr Einfluß bis zu Ernennungen im Armeestab erstreckte, daß sie mit dem Privileg ausgestattet wäre, die Streitmacht des Landes zu vergrößern, daß sie aus all diesen Quellen geldliche Zuwendungen erhalte, daß der Oberbefehlshaber nicht nur ein stiller Teilhaber all ihrer Transaktionen wäre, daß er nicht nur seine eigene Börse vermöge ihrer Bezüge schone, sondern sogar versucht habe, durch ihre Vermittlung finanzielle Vergünstigungen für sich selbst herauszuschlagen, unabhängig von denen der Mrs. Clarke. Mit einem Wort, er behauptete, daß der königliche Feldherr nicht nur seine Mätresse auf Kosten der britischen Armee aushalte, sondern ihr auch gestatte, ihn ihrerseits auszuhalten. Auf diesen Antrag hin beschloß das Haus, die Zeugen vernehmen zu lassen. Diese Vernehmungen, die sich bis zum 17. Februar hinzogen, bestätigten Punkt für Punkt die unangenehme Schmährede des Oberst Wardle. Es wurde bewiesen, daß der echte Offizier in den Horse Guards nicht in Whitehall1181 lebte, sondern in Mrs. Qarkes Wohnsitz in der Gloucester Street, einem Etablissement, das aus einem prachtvollen Haus, einer Auswahl an Equipagen und einem langen Gefolge von Dienern, Musikanten, Sängern, Schauspielern, Tänzern, Parasiten, Zuhältern und Kupplerinnen bestand. Diese persönliche Horse Guard hatte der königliche Feldherr 1803 aufgestellt. Obgleich ein Haushalt dieser Art mit 20000 Pfd.St. jährlich nicht geführt werden konnte - zumal noch ein Landsitz in Wybridge dazu gehörte - wurde durch Zeugenaussagen bewiesen, daß Mrs. Clarke niemals mehr als 12000 Pfd.St. jährlich aus der Tasche des
Herzogs erhalten hatte, eine Summe, die kaum ausgereicht hätte, die Gehälter und Livreen zu bezahlen. Das übrige Geld wurde durch den allgemeinen Liebeshandel mit Offizierspatenten beschafft. Dem Parlament wurde eine schriftliche Liste von Mrs. Clarkes Preisen vorgelegt. Der reguläre Preis einer Majorstelle betrug 2600Pfd.St., während Mrs. Clar'ke sie für 900Pfd.St. verkaufte; eine Kompanie konnte man bei ihr für 700 Pfd. St. an Stelle des vorschriftsmäßigen Preises von 1500 Pfd. St. haben, etc. Ja, es gab sogar in der City ein staatliches Büro, wo Offizierspatente zu den gleichen verbilligten Preisen verkauft und dessen leitende Beamte als die Kommissionäre der Favoritin bezeichnet wurden. Jedesmal, wenn sie sich über pekuniäre Verlegenheiten beklagte, sagte ihr der Herzog, sie hätte „größeren Einfluß als die Königin und solle Gebrauch davon machen". In einem Fall bestrafte der eifrige Oberbefehlshaber einen Menschen wegen Nichterfüllung eines mit seiner Mätresse eingegangenen ruchlosen Vertrages, indem er ihn auf halben Sold setzte. In einem anderen Fall behielt er eine Gratifikation in Höhe von 5000 Pfd. St. einfach für sich. In einem weiteren Fall besetzte er auf Veranlassung seiner Mätresse Leutnantsposten mit Schuljungen und berief Ärzte zum Militärdienst ein,-die niemals den Befehl erhalten hatten, ihre Praxis zu verlassen. Ein gewisser Oberst French erhielt von Mrs. Clarke ein Rekrutierungspatent, d.h. die Befugnis zur Aushebung von 5000 Mann für die Armee. Es wurde dem Unterhaus berichtet, daß folgendes Gespräch zwischen dem Herzog und seiner Mätresse aus diesem Anlaß stattgefunden habe: Herzog: Ich werde von Herrn French ständig wegen dieser Aushebung belästigt. Er verlangt immer neue Gefälligkeiten. Wie benimmt er sich zu dir, Liebling? Mrs. Glarke: Mittelmäßig, nicht sehr gut. Herzog: Der junge Herr French soll sich wohl überlegen, was er tut, sonst werde ich ihn bald erledigen und auch seine Aushebung. Es wurden des weiteren einige Liebesbriefe des erlauchten Herzogs präsentiert, die sich auch mit geschäftlich-militärischen Transaktionen befaßten* Einer dieser Briefe, datiert vom 4. August 1803, beginnt folgendermaßen: ' „Wie kann ich nur meinem süßesten, meinem liebsten Schätzchen das Entzücken befriedigend ausdrücken, das ihr lieber, ihr hübscher Urief mir bereitet hat, oder wie sehr ich all die artigen Dinge empfinde, die sie mir darin sagt; dafür aber millionenfachen Dank, mein Engel." Nach dieser Kostprobe des literarischen Stils seiner königlichen Hoheit wird es wohl kaum mehr in Erstaunen setzen, daß die gelehrten Gentlemen des St. John's College zu Oxford seiner königlichen Hoheit das Diplom eines
Doktors der Rechte zusprachen. Nicht zufrieden mit Offizierspatenten, verfiel das Liebespärchen auch noch auf den Handel mit Bistümern und Dekanaten. Andere Sachen tauchten auf, nicht minder rühmlich für den erlauchten Sproß des Hauses Brunswick. Zum Beispiel war ein Offizier namens Dowler viele Jahre hindurch Mrs. Clarkes Liebhaber gewesen, in dessen Gesellschaft sie Entschädigung für den Widerwillen, den Ekel und Abscheu gesucht hatte, den sie im Verkehr mit dem Herzog empfunden. Die Freunde des Herzogs, die seinen Engel „ein niederträchtiges Frauenzimmer, ein unverschämtes Weibstück" schalten, machten für ihren zarten Jüngling von rund 50 Jahren, für den Mann, der zwanzig Jahre im würdigen Stand der Ehe verbracht, die allgewaltige Macht der Leidenschaft geltend. Welche Leidenschaft ganz nebenbei den Herzog nicht daran hinderte, Mrs. Clarke 7 Monate nach ihrer Trennung die zwischen ihnen vereinbarte Jahresrente vorzuenthalten und sie, als ihre Forderungen dringlich wurden, mit Pranger und Turm zu bedrohen. Gerade diese Drohung wurde der unmittelbare Anlaß für Mrs. Clarkes Enthüllungen an Oberst Wardle. Es wäre zu ermüdend, die gesamte Prozedur im Unterhaus mit allen schmutzigen Einzelheiten zu durchwaten oder auf das Bittschreiben des wackeren Herzogs (vom 23. Februar 1809) näher einzugehen, worin er dem Unterhaus „bei seiner Fürstenehre" feierlich erklärte, daß er von nichts wüßte, nicht einmal von Dingen, die durch Briefe von seiner Hand erwiesen wurden. Möge es genügen, darauf hinzuweisen, daß General Ferguson im Unterhaus erklärte, es „gereiche der Armee nicht zur Ehre, falls der Herzog das Kommando behalten sollte"; daß der Schatzkanzler Herr Perceval am 20. März den Rücktritt des Herzogs aus seinem Amt verkündete und daß daraufhin das Haus den Antrag Lord Althorps annahm, nach dem „das Haus es nicht für notwendig halte, nun, da seine königliche Hoheit der Herzog von York sein Amt als Befehlshaber der Armee niedergelegt habe, weitere Schritte zu unternehmen" etc. Lord Althorp begründete seinen Antrag mit dem Wunsch,
„den Rücktritt des Herzogs in das Protokoll des Hauses aufzunehmen, um zu beurkunden, daß der Herzog das Vertrauen des Landes für allezeit verwirkt habe und daß er folglich jede Hoffnung aufgeben müsse, jemals wieder auf jenen Posten zurückzukehren". In Anerkennung seines mutigen Vorgehens gegen den Herzog wurde Oberst Wardle mit Dankschreiben aus allen Grafschaften, Städten, Dörfern und Gemeinden in Großbritannien überflutet.
Eine der ersten Regierungshandlungen des Prinzen von Wales - des späteren Georg IV. - im Jahre 1811 war die Wiedereinsetzung des Herzogs von York als Oberbefehlshaber - ein einleitender Schritt, der völlig der gesamten Herrschaft jenes königlichen Kalibantie5 entsprach, der, weil der letzte aller Menschen, der erste Gentleman Europas genannt wurde. Dieser Herzog von York aber, dessen Monument einen Misthaufen zieren würde, ist also des Marquis von Clanricarde „hervorragender Befehlshaber", des Lords Lansdowne „erlauchte, allgemein geachtete Persönlichkeit" und eben derselbe Mann, der durch des Grafen von Aberdeen „geweihtes Monument" dargestellt wird - mit einem Wort, der Schutzengel des Oberhauses. Die Anbeter sind ihres Heiligen wert.
Aus dem Englischen.
Karl Marx Sardinien1201
[„The People's Paper" Nr. 211 vom 17. Mai 1856} Die Geschichte des Hauses Savoyen kann man in drei Perioden einteilen - die erste, in welcher es aufsteigt und sich ausdehnt, wobei es eine zweideutige Position zwischen den Guelfen und Ghibellinen, zwischen den Italienischen Republiken und dem Deutschen Reich bezieht; die zweite, in der es gedeiht, indem es in den Kriegen zwischen Frankreich und Osterreich die Seiten wechselt1211, und die letzte Etappe, in der es bemüht ist, den weltumspannenden Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution zu seinen eigenen Gunsten zu nutzen, wie es früher den Antagonismus der Völker und Dynastien ausgenutzt hat. In allen drei Perioden ist Zweideutigkeit die konstante Achse, um die sich seine Politik dreht, und die Ergebnisse, unbedeutend an Ausmaß und doppelsinnig im Charakter, erscheinen als natürliche Frucht dieser Politik. Am Ende der ersten Periode, gleichzeitig mit der Herausbildung der großen europäischen Monarchien, beobachten wir, wie sich das Haus Savoyen zu einer kleinen Monarchie entwickelt. Am Ende der zweiten Periode geruhte der Wiener Kongreß, ihm die Genuesische Republik zu überlassen, während Osterreich Venedig und die Lombardei verschluckte und die Heilige Allianz alle zweitrangigen Mächte knebelte, gleich welcher Konfession. Im Laufe der dritten Periode endlich darf Piemont auf dem Pariser Kongreß erscheinen, es verfaßt ein Memorandum gegen Österreich und Neapel[22), erteilt dem Papst weise Ratschläge, läßt sich von einem Orlow auf die Schultern klopfen, wird in seinen konstitutionellen Bestrebungen durch den coup d'etat1 ermutigt und in seinen Träumen von einer Vormachtstellung in Italien von demselben Palmerston aufgestachelt, der 1848 und 1849 Piemont so erfolgreich verriet.[23)
1 Staatsstreich Napoleons III.
Eis ist ein recht widersinniger Gedanke seitens der sardinischen Vertreter, daß der Konstitutionalismus, dessen Agonie sie gegenwärtig in Großbritannien mit eigenen Augen betrachten können und von dessen Bankrott die Revolutionen von 1848/49 das europäische Festland widerhallen ließen - indem sie bewiesen, daß er gegen die Bajonette der Kronen und die Barrikaden der Völker gleichermaßen machtlos ist =, daß dieser Konstitutionalismus jetzt im Begriff sei, nicht allein seine restitutio in integrum1 auf der piemontesischen Bühne zu feiern, sondern sogar eine überwältigende Macht zu werden. Solch ein Gedanke konnte nur von den großen Männern eines kleinen Staates hervorgebracht werden. Für jeden unparteiischen Beobachter ist es eine unzweifelhafte Tatsache, daß neben Frankreich, als der großen Monarchie, Piemont eine kleine Monarchie bleiben muß; daß angesichts des kaiserlichen Despotismus in Frankreich Piemont bestenfalls nur geduldeterweise existiert; und daß mit der Bildung einer echten Republik in Frankreich die piemontesische Monarchie verschwinden und sich in einer italienischen Republik auflösen wird. Namentlich die Bedingungen, von denen das Bestehen der sardinischen Monarchie abhängt, hindern sie an der Erreichung ihrer ehrgeizigen Ziele. Die Rolle des Befreiers von Italien kann sie nur in einer Zeit spielen, wenn die Revolution in Europa ausbleibt und die Konterrevolution in Frankreich die unumschränkte Macht besitzt. Unter solchen Bedingungen kann sie daran denken, als der einzige italienische Staat mit fortschrittlichen Tendenzen, mit einheimischen Herrschern und einer nationalen Armee die Führung in Italien zu übernehmen. Aber gerade diese Bedingungen setzen sie dem zweiseitigen Druck des kaiserlichen Frankreichs auf der einen und des kaiserlichen Österreichs auf der anderen Seite aus. Im Falle ernster Reibungen zwischen diesen benachbarten Kaiserreichen müßte die sardiriische Monarchie zum Satelliten des einen und zum Schlachtfeld beider werden. Im Falle einer entente cordiale zwischen ihnen müßte sie sich mit einer asthmatischen Existenz, mit einer bloßen Galgenfrist zufriedengeben. Sich auf die revolutionäre Partei in Italien zu stützen, wäre für das Haus Savoyen der reinste Selbstmord - haben doch die Ereignisse der Jahre 1848/49 die letzten Illusionen über seine revolutionäre Mission zerstört. Die Hoffnungen des Hauses Savoyen sind also mit dem Status quo in Europa verbunden; aber der Status quo in Europa verwehrt ihm die Ausbreitung auf der Apenninenhalbinsel und weist ihm die bescheidene Rolle eines italienischen Belgien zu. Bei ihrem Versuch, auf dem Pariser Kongreß das Spiel von 1847 wieder
1 vollständige Wiederherstellung
aufzunehmen, konnten die piemontesischen Bevollmächtigten deshalb nur einen recht jämmerlichen Anblick bieten. Jeder ihrer Züge auf dem Schachbrett der Diplomatie bedeutete Schach für sie selbst. Während sie heftig gegen die österreichische Besetzung Mittelitaliens protestierten, waren sie gezwungen, die französische Besetzung Romst241 nur ganz vorsichtig zu berühren; während sie über die Theokratie des Papstes murrten, mußten sie sich vor den scheinheiligen Grimassen des erstgeborenen Sohnes der Kirche1 beugen. An Clarendon, der 1848 Irland so gütige Gnade erwiesen hattet25], mußten sie appellieren, damit er dem König von Neapel2 einige Lehren der Menschlichkeit erteile, und den Kerkermeister von Cayenne, Lambessa und Belle-Ilet26] mußten sie anflehen, die Tore der Gefängnisse von Mailand, Neapel und Rom zu öffnen. Während sie sich als Vorkämpfer der Freiheit in Italien ausgaben, unterwarfen sie sich sklavisch dem Anschlag Walewskis auf die Pressefreiheit in Belgien und betonten ausdrücklich, daß „es schwer sei, zwischen zwei Nationen gute Beziehungen aufrechtzuerhalten, wenn es bei einer dieser Nationen Zeitungen mit übertriebenen doktrinären Ansichten gibt und die gegen benachbarte Regierungen Krieg führen". Sich auf deren törichtes Festhalten an bonapartistischen Doktrinen stützend, wandte sich Österreich sogleich an Piemonts Bevollmächtigte mit der gebieterischen Forderung, den Krieg, den die piemontesische Presse gegen Österreich führe, zu beenden und die Verantwortlichen zu bestrafen. Im gleichen Augenblick, da sie vorgeben, die internationale Politik der Völker der internationalen Politik der Staaten3 entgegenzustellen, beglückwünschen sie sich andererseits zu dem Vertrag, der jene Freundschaftsbande erneuert, die seit Jahrhunderten zwischen dem Haus Savoyen und der Familie Romanow bestanden haben. Dazu angespornt, mit ihrer Beredsamkeit vor den Bevollmächtigten des alten Europa zu prunken, müssen sie es sich gefallen lassen, von Österreich verächtlich als zweitrangige Macht behandelt zu werden, die außerstande ist, bei der Erörterung' erstrangiger Fragen mitzureden. Während sie sich der überaus großen Genugtuung erfreuen, ein Memorandum aufstellen zu dürfen, erlaubt man Österreich, entlang der gesamten sardinischen Grenze, vom Po bis zu den Gipfeln der Apenninen, seine Truppen aufzustellen, Parma zu besetzen, trotz des Wiener Vertrages Piacenza zu befestigen und an der Küste des Adriatischen Meeres, von Ferrara und Bologna bis nach Ancona, seine Streitkräfte aufmarschieren
1 Napoleons III. - 2 Ferdinand II. - 3 in der „New-York Daily Tribüne" Nr. 4717 vom 3I.Mai 1856: Dynastien 2 Marx/Engels. Werke. Bd. 12
zu lassen. Sieben Tage nach diesen Beschwerden, die dem Kongreß unterbreitet worden waren, am 15. April, wurde zwischen Frankreich und England einerseits und Österreich andererseits ein Sondervertrag unterzeichnet, der klar ersichtlich den Schaden nachwies, den das Memorandum Österreich zugefügt hatte.[27] Dies also war auf dem Pariser Kongreß die Lage der würdigen Vertreter jenes Viktor Emanuel, der nach der Abdankung seines Vaters und der Niederlage in der Schlacht bei Novara[28], vor den Augen einer aufs höchste erbitterten Armee Radetzky, den grimmigsten Feind Karl Alberts, umarmt hatte. Piemont muß jetzt - wenn es nicht absichtlich blind ist - erkennen, daß es mit dem Frieden genauso betrogen wird, wie es mit dem Krieg betrogen wurde. Bonaparte kann sich seiner bedienen, um Italiens Gewässer zu trüben, in der Absicht, Kronen aus dem Schlamm zu fischen.[28] Rußland kann dem kleinen Sardinien auf die Schulter klopfen mit dem Ziel, Österreich im Süden zu alarmieren, um es im Norden zu schwächen. Palmerston kann aus Gründen, die ihm selber am besten bekannt sein dürften, die Komödie von 1847 wiederholen, ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, das alte Lied nach einer neuen Weise zu spielen. Bei all dem ist Piemont nichts anderes als ein Werkzeug fremder Mächte. In bezug auf die Reden im britischen Parlament erklärte Herr Brofferio vor der sardinischen Abgeordnetenkammer, deren Mitglied er ist, daß diese Reden „niemals delphische, sondern stets nur trophonische Orakel gewesen waren". Er irrt sich hierbei nur insofern, als er Echo mit Orakel verwechselt.[30] Das piemontesische Intermezzo ist an und für sich von keinerlei Interesse, außer jenem, zu sehen, wie das Haus Savoyen in seiner erblichen Politik des Lavierens und in seinen wiederholten Versuchen, die italienische Frage zur Stütze seiner eigenen dynastischen Intrigen zu machen, erneut Schiffbruch erlitt. Doch gibt es da noch einen wichtigeren Gesichtspunkt, der von der englischen und französischen Presse absichtlich übersehen wird, auf den aber die sardinischen Bevollmächtigten in ihrem berüchtigten Memorandum besonders1 anspielen. Die feindselige Haltung Österreichs, gerechtfertigt durch die Politik der sardinischen Bevollmächtigten in Paris, „nötigt Sardinien, bewaffnet zu bleiben und Maßnahmen2 zu treffen, die seine Finanzen, die bereits durch die Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 sowie durch den Krieg, an dem es teilgenommen hat, zerrüttet sind, außerordentlich belasten," Damit nicht genug.
1 In der „New-York Daily Tribüne": besorgt - 2 in der „New-York Daily Tribüne": Verteidigungsmaßnahmen
„Die Unruhe unter dem Volk", heißt es in dem sardinischen Memorandum^31], „schien sich in letzter Zeit besänftigt zu haben. Die Italiener, die einen ihrer nationalen Fürsten mit den großen Westmächten verbündet sahen..., hegten die Hoffnung, daß kein Friede unterzeichnet werden würde, ehe ihre Leiden gelindert sind. Diese Hoffnung machte sie ruhig und resigniert; wenn sie jedoch die negativen Ergebnisse des Pariser Kongresses erfahren, wenn sie vernehmen, daß Österreich trotz der Gefälligkeiten und der wohlwollenden Vermittlung Englands und Frankreichs selbst eine Erörterung der Frage abgelehnt hat..., dann wird ohne jeden Zweifel die Erbitterung, die augenblicklich schlummert, noch wütender denn je wiedererwachen. Überzeugt, daß sie von der Diplomatie nichts mehr zu erhoffen haben, Werden sich die Italiener mit südlicher Heftigkeit erneut in die Arme der umstürzlerischen und revolutionären Partei werfen1 und Italien wiederum in einen Brennpunkt von Verschwörungen und Aufruhr verwandeln, die wohl durch verdoppelte Strenge erstickt werden können, aber durch die geringfügigste Unruhe in Europa zu einem erneuten Ausbruch von äußerster Heftigkeit entfacht werden. Das Erwachen revolutionärer Leidenschaften in allen Ländern, die Piemont umgeben, durch Ursachen, die geeignet sind, unter dem Volk Sympathie zu wekken, setzt die sardinische Regierung außerordentlich schwerwiegenden Gefahren aus." So ist es. Während des Krieges hatte die reiche Bourgeoisie der Lombardei sozusagen den Atem angehalten in der vergeblichen Hoffnung, bei Kriegsschluß durch diplomatische Aktionen und unter der Schirmherrschaft des Hauses Savoyen nationale Emanzipation und bürgerliche Freiheit zu erringen ohne die Notwendigkeit, das rote Meer der Revolution durchwaten und ohne der Bauernschaft und dem Proletariat jene Konzessionen einräumen zu müssen, von denen die Bourgeoisie nach den Erfahrungen der Jahre 1848/49 wußte, daß sie von jeder Volksbewegung untrennbar geworden sind. Doch nun sind ihre epikureischen Hoffnungen dahin. Das einzige greifbare Ergebnis des Krieges - zumindest das einzige, das die Aufmerksamkeit der Italiener erregt - sind die materiellen und politischen Vorteile, die Österreich eingeheimst hat: eine weitere Festigung jener verhaßten Macht, die durch die Beihilfe des sogenannten unabhängigen italienischen Staates gesichert worden ist. Wieder hatten die piemontesischen Konstitutionalisten das Spiel in der Hand; wieder haben sie es verloren; und wieder stehen sie da, des Versagens in ihrer so laut verkündeten Mission als führende Kraft Italiens überführt. Ihre eigene Armee wird sie zur Verantwortung ziehen. Die Bourgeoisie ist erneut gezwungen, sich auf die Volksmassen zu stützen und nationale Befreiung mit sozialer Erneuerung gleichzusetzen. Der piemontesische Alpdruck ist abgeschüttelt, der diplomatische Bann gebrochen, und das vulkanische Herz des revolutionären Italiens beginnt wieder zu schlagen. Aus dem Englischen.
1 Hervorhebung nach der „New-York Daily Tribüne"
V- XVI Na 4.735. NEW-VORK. 8ATURDAV. JUNE 21. 1856. PJUCE TWO CENTS.
Karl Marx Der französische Credit mobiiier1321 [Erster Artikel] [„New-York Daily Tribüne" Nr. 4735 vom 21. jum 1856] Die Londoner „Times"133' zeigt sich in einem Leitartikel vom 30. v. M. sehr erstaunt über die Entdeckung, daß der Sozialismus in Frankreich niemals verschwunden, sondern einige Jahre „vielmehr vergessen worden" war. Bei dieser Feststellung nimmt sie Gelegenheit, England zu beglückwünschen, daß es nicht von dieser Seuche geplagt wird, sondern frei ist vom Antagonismus der Klassen, auf deren Boden dieses giftige Gewächs gedeiht. Eine recht kühne Behauptung in den Spalten der führenden Zeitung eines Landes, dessen bedeutendster Ökonom, Herr Ricardo, sein berühmtes Werk über die Grundsätze der politischen Ökonomie mit der Maxime beginnt, daß die drei großen Klassen der Gesellschaft - das heißt der englischen Gesellschaft -, nämlich: Grundeigentümer, Kapitalisten und Lohnarbeiter, einen tödlichen und unüberbrückbaren Antagonismus bilden; denn die Rente steigt und fällt im umgekehrten Verhältnis zum Steigen und Fallen des industriellen Profits, und der Lohn steigt und fällt im umgekehrten Verhältnis zum Profit. Wenn, wie englische Rechtsgelehrte behaupten, das Gleichgewicht der drei rivalisierenden Kräfte der Grundpfeiler der englischen Verfassung ist - dieses achten Weltwunders dann muß nach Herrn Ricardo, der, wie man voraussetzen kann, einiges mehr darüber weiß als die „Times", der tödliche Antagonismus der drei Klassen, welche die hauptsächlichen Produktionsagenten sind, den Bau der englischen Gesellschaft durchdringen. Während die „Times" über den revolutionären Sozialismus in Frankreich verächtlich die Nase rümpft, kann sie nicht umhin, einen gierigen Blick auf den kaiserlichen Sozialismus in Frankreich zu werfen, den sie gern als nachahmenswertes Beispiel für John Bull hinstellen möchte, da ihr soeben der Hauptvertpeter dieses Sozialismus, der Credit mobiiier, den „Bericht des Verwaltungsrates in der ordentlichen Generalversammlung der Aktionäre vom 23. April 1856 unter dem Vorsitz des Herrn Pereire" in Form eines
Inserats von drei gedrängten Spalten übersandt hat. Dies ist der Bericht, der die neidvolle Bewunderung der Aktionäre der „Times" hervorgerufen und den Verstand ihres Redakteurs geblendet hat:
Passiva am 31. Dez. 1855
frs. cts. Gesellschaftskapital 60 000 000,00 Der Kontokorrent-Saldo stieg seit dem 31. Dez. 1854 von 64 924 379 frs. auf 103 179 308,64 Betrag der fälligen Wechsel der Kreditoren und der Konti pro diverses 864 414,81 Rücklage 1 696083,59 Gesamtbetrag der 1855 realisierten Gewinne nach Abzug der Summe, die der Rücklage zuzuführen ist 26 827 901,32 Passiva insgesamt .... '..-...- 192 567 708,36
Aktiva
frs. cts. Im Portefeuille: 1. Renten 40 069 264,40 2. Obligationen 32 844 600,20 3. Eisenbahn- und andere Aktien 59431593,66 Insgesamt 132345 458,26
Davon sind die Einschüsse1 abzuziehen, die bis zum 31. Dez. v. J. nicht aufgerufen worden sind — 31166 718,62 Aktivsaldo 101178739,64
Befristete Anlagen in Schatzanweisungen, Prolongationen, Darlehen auf Aktien, Obligationen etc. 84 325 390,09 Wert des Grund- und Hausbesitzes und des Mobiliars 1 082 219,37 Verfügbarer Kassen- und Bankbestand sowie der Betrag der bis zum 31. Dez. v. J. eingenommenen Dividenden 5 981 359,26 Aktiva insgesamt 192 567 708,36 Gesamtbetrag der Renten, Aktien und Obligationen im Portefeuille am 31. Dez. 1854. 57 460 092,94 Durch Zeichnungen und Ankäufe im Jahre 1855 vermehrt um... .... 265 820 907,03 Insgesamt 323 280 999,97
1 Einzahlungen auf nicht voll bezahlte Aktien
frs. cts. Betrag der Realisationen1 217 002 431,34 Dazu der Betrag der im Portefeuille befindlichen Wertpapiere von 132 345 458,26 349 347 889,60 Ergibt einen Gewinn von 26 066 889,63 Ein Profit von 26 Millionen auf ein Kapital von 60 Millionen - also ein Profit von 431/3%, das sind in der Tat faszinierende Zahlen. Und was hat nicht alles dieser wunderbare [Credit] mobiiier mit seinem großartigen Kapital von etwa zwölf Millionen Dollar zuwege gebracht! Er hat mit sechzig Millionen Francs in den Händen auf die französischen Anleihen zuerst 250 Millionen und dann noch 375 Millionen gezeichnet; er hat einen Anteil an den Haupteisenbahnen Frankreichs erworben; er hat die Ausgabe der Anleihe übernommen, die von der Gesellschaft der österreichischen Staatsbahnen aufgenommen wurde; er ist Teilhaber der Schweizer Westund Zentralbahn geworden; er nimmt an einem bedeutenden Unternehmen teil, dessen Ziel die Kanalisierung des Ebro von Saragossa bis zum Mittelme'er ist; er hatte bei der Fusion der Omnibusunternehmen von Paris und bei der Gründung der Allgemeinen Schiffahrtskompanie seine Hand im Spiel; er hat durch sein Eingreifen die Fusion aller ehemaligen Gasgesellschaften von Paris zu einem einzigen Unternehmen zustande gebracht; er hat, wie er sagt, dem Volk 500000 Francs geschenkt, indem er ihm Korn unter dem Marktpreis verkaufte; er hat durch seine Anleihen über Krieg und Frieden entschieden, neue Eisenbahnlinien geschaffen und alte gestützt, Städte beleuchtet, einen Anstoß zur Entwicklung der Industrie und zu kommerziellen Spekulationen gegeben und schließlich seinen Einfluß über die Grenzen Frankreichs ausgedehnt und den fruchtbringenden Samen ähnlicher Institutionen über den ganzen europäischen Kontinent ausgestreut. Der Credit mobiiier erweist sich somit als eine der merkwürdigsten ökonomischen Erscheinungen unserer Zeit, die gründlich untersucht v/erden will. Ohne eine solche Untersuchung kann man weder die Aussichten des französischen Kaiserreichs einschätzen, noch die Symptome der allgemeinen sozialen Erschütterung verstehen, die sich in ganz Europa zeigen. Wir werden zunächst das untersuchen, was der Verwaltungsrat seine theoretischen Grundsätze nennt, und sodann ihre praktische Ausführung prüfen. Wie uns der Bericht mitteilt, sind diese Grundsätze bisher nur teilweise verwirklicht worden und werden in Zukunft eine weit größere Entwicklung erfahren.
1 In Ländereien etc. angelegten Gelder
Die Grundsätze dieser Kompanie sind dargelegt in ihren Statuten und in den Geschäftsberichten an die Aktionäre, besonders aber im ersten dieser Berichte. Nach der Präambel der Statuten „haben die Gründer des Credit mobilier die bedeutenden Dienste erwogen, die die Gründung einer Gesellschaft leisten könnte, welche sich zum Ziel setzt, die Entwicklung der Industrie der öffentlichen Arbeiten zu fördern und die Konvertierung der verschiedenen Wertpapiere aller möglichen Unternehmungen vermittels ihrer Konsolidierung in einem gemeinsamen Fonds auszuführen, und beschlossen, ein so nützliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Deshalb haben sie sich zusammengeschlossen, um die Grundlagen einer anonymen Gesellschaft unter dem Namen Allgemeine Gesellschaft des Credit mobilier zu legen." Unsere Leser werden sich erinnern, daß die Franzosen unter „anonymer Gesellschaft" eine Aktiengesellschaft mit beschränkter Verantwortlichkeit der Aktionäre verstehen, und daß die Bildung einer solchen Gesellschaft von einem Privileg abhängt, das die Regierung ganz nach ihrem Gutdünken gewährt. Der Credit mobilier beabsichtigt also erstens, „die Entwicklung der Industrie der öffentlichen Arbeitert zu fördern", was bedeutet, daß Industrie und öffentliche Arbeiten ganz und gar von der Gunst des Credit mobilier abhängig gemacht werden sollen und folglich auch von der persönlichen Gunst Bonapartes, dessen Wort über die Existenz dieser Kompanie entscheidet. Der Rat versäumt nicht darauf hinzuweisen, mit welchen Mitteln er sein Patronat und das seines kaiserlichen Schöpfers über die ganze Industrie Frankreichs ausdehnen will. Die verschiedenen Industrieunternehmungen, die von Aktiengesellschaften betrieben werden, sind durch verschiedenartige Wertpapiere - Aktien, Schuldverschreibungen, Bons, Obligationen etc. repräsentiert. Diese verschiedenartigen Wertpapiere werden auf dem Geldmarkt natürlich zu unterschiedlichen Preisen gehandelt, je nach dem angelegten Kapital, dem Profit, den sie abwerfen, dem unterschiedlichen Verhältnis voii Angebot und Nachfrage nach ihnen und anderen ökonomischen Bedingungen. Was hat der Credit mobilier nun vor? Alle diese verschiedenartigen Wertpapiere, von verschiedenartigen Aktiengesellschaften ausgegeben, durch eine gemeinsame Aktie zu ersetzen, die vom Credit mobilier selbst ausgegeben wird. Wie aber kann er das erreichen? Indem er mit seinen eigenen Aktien oder anderen Wertpapieren die Aktien der verschiedenen Industrieunternehmungen aufkauft. Kauft man nämlich all die Bons, Aktien, Obligationen etc. - mit einem Wort, alle Wertpapiere eines Unternehmens - auf, kauft man das Unternehmen selbst auf. Damit aber gesteht der Credit mobilier die Absicht, sich selbst zum Besitzer und Napoleon den Kleinen1343 zum obersten
Direktor der ganzen mannigfaltigen Industrie Frankreichs zu machen. Eben das nennen wir kaiserlichen Sozialismus. Um dieses Programm zu verwirklichen, sind natürlich Finanzoperationen notwendig; Herr Isaac Pereire fühlt sich, da er den Geschäftskreis des Credit mobiiier darlegt, naturgemäß auf schlüpfrigem Boden und ist daher gezwungen, der Gesellschaft gewisse Beschränkung aufzuerlegen, die er als rein zufällig betrachtet und im Laufe der Entwicklung dieser Gesellschaft beseitigen will. Das Kapital der Gesellschaft ist auf 60000000 Francs festgelegt, verteilt auf 120000 Aktien zu je 500 Francs. Die Geschäfte der Gesellschaft, wie sie in den Statuten festgelegt sind, können in drei Kategorien unterteilt werden: erstens, Geschäfte zur Unterstützung der Industrie; zweitens, die Emission von Wertpapieren der Gesellschaft, um die Aktien aller Arten von Industrieunternehmungen zu ersetzen oder zu konsolidieren; drittens, die üblichen Bankoperationen, .Geschäfte mit Staatspapieren, kommerziellen Wechseln etc. Die Geschäfte der ersten Kategorie, mit denen die Gesellschaft das Patronat über die Industrie erlangen will, werden im Artikel V der Statuten aufgezählt, welcher besagt: „Staatspapiere, Aktien oder Schuldverschreibungen von Industrie- oder Kreditunternehmungen aller Art, die als anonyme Gesellschaften organisiert sind, zu subskribieren oder zu erwerben, besonders von Eisenbahnen, Kanälen, Bergwerken und anderen öffentlichen Unternehmungen, die bereits gegründet sind oder gegründet werden sollen. Alle möglichen Anleihen aufzulegen, sie zu vergeben und zu realisieren ebenso wie alle Vorhaben der öffentlichen Arbeiten." Wir sehen, wie dieser Artikel bereits über die Ansprüche der Präambel hinausgeht, denn er zielt darauf ab, daß der Credit mobiiier nicht nur der Besitzer solcher großen Industrieunternehmungen, sondern auch der Sklave der Schatzkammer und der Despot des kommerziellen Kredits wird. Die Geschäfte der zweiten Kategorie, die die Ersetzung der Wertpapiere aller möglichen Industrieunternehmungen durch die Wertpapiere des Credit mobiiier betreffen, umfassen das Folgende: „Emission von eigenen Obligationen der Gesellschaft in einer Höhe, die den Summen gleichkommt, welche zur Zeichnung von Anleihen und zum Ankauf von Wertpapieren der Industrie erforderlich sind." Die Artikel VII und VIII bestimmen die Limite und den Charakter der Obligationen, die zu emittieren die Kompanie ermächtigt ist. Diese Obligationen oder Bons „dürfen eine Summe bis zur, zehnfachen Höhe des Kapitals erreichen. Sie müssen
immer vollkommen gedeckt sein durch Staatspapiere, Aktien und Obligationen, die im Portefeuille der Gesellschaft sind. Sie dürfen nicht zu einer Kündigungsfrist von weniger als 45 Tagen zahlbar werden. Der Gesamtbetrag der auf Kontokorrent eingelaufenen Summen und der Obligationen auf kürzere Zeit als Jahresfrist soll das Doppelte des eingebrachten Kapitals nicht überschreiten". Die dritte Kategorie schließlich umfaßt die Geschäfte, die mit dem Austausch kommerzieller Werte verbunden sind. „Die Gesellschaft nimmt Geld auf Abruf an." Sie ist ermächtigt, „alle Arten von Effekten, Aktien und Obligationen, die sich in ihrem Besitz befinden, zu verkaufen oder für Anleihen in Zahlung zu geben und sie gegen andere Werte auszutauschen". Sie gewährt Darlehen auf „Staatspapiere, auf deponierte Aktien und Obligationen und eröffnet Kontokorrentkonten auf diese verschiedenartigen Werte". Sie gewährt anonymen Gesellschaften all die üblichen Dienste, die von Privatbanken geleistet werden, wie Annahme aller Zahlungen ä conto der Gesellschaften, Auszahlung ihrer Dividenden, Zinsen etc. Sie nimmt die Wertpapiere dieser Unternehmungen als Depositum an; zu den Geschäften aber, die den Handel mit kommerziellen Werten, Wechseln, Pfandscheinen etc. betreffen, „wird ausdrücklich festgestellt, daß die Gesellschaft weder heimliche Verkäufe noch Käufe um des Agios willen tätigen darf".
Geschrieben um den 6. Juni 1856. Aus dem Englischen.
Kar! Marx Der französische Credit mobiiier [Zweiter Artikel] [«New-York Daily Tribüne" Nr. 4737 vom 24. Juni 1856] Man sollte sich daran erinnern, daß Bonaparte seinen coup d'etat unter zwei einander diametral entgegengesetzten Vorwänden durchführte: einerseits verkündete er, ihm sei die Sendung aufgetragen, die Bourgeoisie und die „materielle Ordnung" vor der roten Anarchie zu retten, die im Mai 1852 losgelassen werden sollte, und andererseits, er müsse die Arbeiterklasse vor dem in der Nationalversammlung konzentrierten Despotismus der Bourgeoisie retten. Außerdem war er persönlich genötigt, seine eigenen Schulden und die des respektablen Mobs der Gesellschaft des Dix Decembre[351 zu bezahlen und sich wie auch diesen auf gemeinsame Rechnung der Bourgeoisie und der Arbeiter zu bereichern. Die Sendung dieses Mannes war, man muß es zugeben, von widerstreitenden Schwierigkeiten erfüllt, war er doch gezwungen, gleichzeitig als Plünderer und als patriarchalischer Wohltäter aller Klassen aufzutreten. Er konnte nicht der einen Klasse geben ohne von der anderen zu nehmen, und er konnte nicht seine eigenen Wünsche und die seiner Anhänger befriedigen, ohne beide zu berauben. Zur Zeit der Fronde[36] galt der Herzog von Guise als der verbindlichste Mann Frankreichs, weil er cille seine Besitzungen in Verbindlichkeiten verwandelt hatte, die im Besitz seiner Parteigänger waren. Ebenso beabsichtigte auch Bonaparte, zum verbindlichsten Manne Frankreichs zu werden durch Umwandlung des gesamten Eigentums und der gesamten Industrie Frankreichs in eine persönliche Verbindlichkeit gegenüber Louis Bonaparte. Frankreich zu stehlen, um Frankreich zu kaufen - das war das große Problem, welches dieser Mann lösen mußte, und in dieser Transaktion, bei der Frankreich genommen wurde, was Frankreich wieder zurückgegeben werden sollte, war nicht die unbedeutendste Seite für ihn der Gewinn, den er und die Gesellschaft des Zehnten Dezember dabei abschöpfen konnten. Wie waren diese gegensätzlichen Ansprüche miteinander zu versöhnen? Wie konnte dieses heikle ökonomische
Problem gelöst, wie dieser komplizierte Knoten entwirrt werden? All die vielfältigen vergangenen Erfahrungen Bonapartes wiesen auf die eine große Hilfsquelle, die ihm über die schwierigsten ökonomischen Situationen hinweggeholfen hatte - den Kredit. Und zufällig gab es in Frankreich die Schule Saint-Simons, die zu ihren Anfängen wie bei ihrem Niedergang sich dem Traum hingegeben hatte, der ganze Antagonismus der Klassen müsse verschwinden, wenn ein allgemeiner Wohlstand durch irgendein ausgeklügeltes System des öffentlichen Kredits geschaffen werde. Und der Saint-Simonismus in dieser Form war zur Zeit des coup d'etat noch nicht ausgestorben. Da war Michel Chevalier, der Ökonom des „Journal des Debats"[37], da war Proudhon, der versuchte, den schlimmsten Teil der saint-simonistischen Lehre unter der Maske exzentrischer Originalität zu verbergen; und da gab es zwei portugiesische Juden, mit der Börsenspekulation und mit Rothschild praktisch verbunden, die Pere Enfantin zu Füßen gesessen hatten und auf Grund ihrer praktischen Erfahrung die Kühnheit besaßen, hinter dem Sozialismus Börsenspekulation und hinter Saint-Simon Law zu wittern. Diese Männer - Emile und Isaac Pereire - sind die Begründer des Credit mobilier und die Urheber des bonapartistischen Sozialismus. Es gibt ein altes Sprichwort: „Habent sua fata libelli."1 Auch Theorien haben ihre Schicksale, ebenso wie Bücher. Saint-Simon als Schutzengel der Pariser Börse, als Prophet des Schwindels, als Messias allgemeiner Bestechung und Korruption! Die Geschichte bietet kein Beispiel grausamerer Ironie, ausgenommen vielleicht die Erfüllung Saint-Justs im Juste-milieu2 Guizots und die Napoleons in Louis Bonaparte. Ereignisse schreiten schneller einher als eines Menschen Überlegung. Während wir auf Grund einer Untersuchung der Prinzipien und ökonomischen Bedingungen des Credit mobilier auf den unvermeidlichen Zusammenbruch hinweisen, der schon durch die Verfassung der Gesellschaft angezeigt wird, ist die Geschichte bereits am Werke, unsere Voraussagen zu erfüllen. Ende Mai fallierte einer der Direktoren des Credit mobilier, Herr Place, wegen einer Summe von zehn Millionen Francs; nur wenige Tage zuvor war er „von Herrn de Morny dem Kaiser präsentiert" worden als einer der dieux de la finance. Les dieux s'en vont!3 Fast am selben Tage veröffentlichte der „Moniteur"[38] das neue Gesetz über die societ^s en commandite4, das unter dem Vorwand, dem Spekulationsfieber Einhalt zu gebieten, diese Gesellschaften der Gnade des Credit mobilier ausliefert, indem es ihre Gründung
1 „Bücher haben ihre Schicksale." -2 in der goldenen Mitte; Schlagwort für das lavierende Regierungssystem Louis-Philippes - 3 Götter der Finanzen. Die Götter gehen! - 4 Kommanditgesellschaften
von dem Willen der Regierung oder des Credit mobiiier abhängig macht. Und die englische Presse, die nicht einmal weiß, daß es einen Unterschied gibt zwischen societes en commandite und societes anonymes1 - denen also die ersteren geopfert werden -, gerät in Ekstase über diesen großen „klugen Akt" bonapartistischer Weisheit und bildet sich ein, die französischen Spekulanten würden sehr bald zu der Solidität der englischen Sadleir, Spader und raimer bekehrt werden. Zur gleichen Zeit sanktioniert das gerade von dem berühmten Corps legislatif erlassene Dränage-Gesetz, das ein direkter Bruch aller früheren Gesetzgebung und des Code Napoleon[39] ist, die Expropriation der Hypothekenschuldner des Landes zugunsten der Regierung Bonapartes, der beabsichtigt, sich mit dieser Einrichtung des Landes zu bemächtigen, so wie er sich vermittels des Credit mobiiier der Industrie bemächtigt und durch die Bank von Frankreich des französischen Handels; und das alles, um das Eigentum vor den Gefahren des Sozialismus zu retten! Indessen halten wir es nicht für überflüssig, unsere Untersuchung des Credit mobiiier fortzusetzen, einer Institution, der, so glauben wir, es noch bestimmt ist, Leistungen zu vollbringen, von denen die obenerwähnten nur geringe Anfänge sind. Wir haben gesehen, daß die vornehmliche Aufgabe des Credit mobiiier darin besteht, solchen Industrieunternehmungen Kapital zu gewähren, die von anonymen Gesellschaften betrieben werden. Wir zitieren aus dem Bericht des Herrn isaac Pereire: „Der Credit mobiiier spielt hinsichtlich der Werte, die industrielles Kapital repräsentieren, eine Rolle, die den Funktionen analog ist, welche hinsichtlich der Werte, die kommerzielles Kapital repräsentieren, von Diskontobanken ausgeübt werden. Die erste Pflicht dieser Gesellschaft besteht darin, die Entwicklung der nationalen Industrie zu unterstützen, die Bildung großer Unternehmungen zu erleichtern, welche, auf sich allein gestellt, großen Hindernissen begegnen. Ihre Mission in dieser Hinsicht wird um so leichter zu erfüllen sein, als sie über die verschiedensten Mittel der Information und Nachforschung verfügt, die sich dem Zugriff von Privatpersonen entziehen, um den wirklichen Wert oder die Aussichten von Unternehmungen zuverlässig abzuschätzen, die um ihre Hilfe ersuchen. In günstigen Zeiten wird unsere Gesellschaft dem Kapital zum Führer dienen, das um profitable Anlage bemüht ist; in schwierigen Situationen hat sie die Aufgabe, wertvolle Mittel zur Aufrechterhaltung der Arbeit und zur Linderung der Krisen zu gewähren, welche von einer schnellen Verminderung des Kapitals herrühren. Die Sorgfalt, mit der unsere Gesellschaft ihr Kapital in allen Geschäftsunternehmungen nur in solchen Proportionen und für so begrenzte Fristen investieren wird, daß eine sichere Rücknahme möglich ist, wird sie befähigen, ihre Tätigkeit zu
1 anonymen Gesellschaften
vervielfachen, in einer kurzen Zeit eine große Zahl von Unternehmungen zu befruchten und das Risiko ihrer Konkurrenz durch die Vielheit der partial commandites1" (Investitionen in Aktien) „zu verringern." Haben wir nun gesehen, in welcher Weise Isaac die Ideen Bonapartes entwickelt, so wird es auch wichtig sein, zu sehen, wie Bonaparte die Ideen Isaacs kommentiert. Dieser Kommentar ist in dem Bericht des Innenministers2 an Bonaparte vom 21 .Juni 1854 zu finden, wo es über die Prinzipien und die Verwaltung des Credit mobilier heißt: „Unter allen Kreditanstalten, die auf der Welt existieren, gilt die Banque de France3 mit Recht als das Unternehmen, welches sich der solidesten Verfassung rühmen kann" (so solide, daß der leichte Sturm vom Februar 1848 sie an einem Tage niedergerissen hätte, wenn Ledru-Rollin und Co. sie nicht gestützt hätten, denn die Provisorische Regierung hob nicht nur die Verpflichtung der Banque de France auf, für ihre Noten Metallgeld zu zahlen, womit sie die Flut der Banknoten- und Bonsbesitzer zurückdrängte, die sich auf den Straßen zur Bank staute, sondern ermächtigte sie auch, 50-Francs-Noten auszugeben, während es unter Louis-Philippe niemals gestattet war, Noten zu weniger als 500 Francs auszugeben; und so deckte die Regierung nicht nur durch ihren Kredit die insolvente Bank, sondern verpfändete ihr obendrein noch die Staatswaldungen für das Privileg, Kredit für den Staat zu erhalten). „Die Banque de France ist gleichzeitig eine Stütze und ein Führer unseres Handels, und ihr materieller und moralischer Einfluß verleiht unserem Markt eine sehr wertvolle Stabilität." (Diese Stabilität ist so groß, daß die Franzosen jedesmal eine reguläre industrielle Krise haben, wenn sich Amerika und England nur zu einem kleinen Krach in ihrem Handel herablassen.) „Durch die Zurückhaltung und Klugheit, die alle ihre Operationen bestimmen, erfüllt diese treffliche Institution daher die Rolle eines Regulators. Doch um all die Wunder, die es in seinem Schoß trägt, hervorzubringen, bedarf das kommerzielle Genie vor allem des Anreizes; und gerade weil die Spekulation in Frankreich in den engsten Grenzen gehalten wird, war es kein Nachteil, sondern umgekehrt ein großer Gewinn, als man neben der Banque de France eine Einrichtung schuf, die in einem ganz anderen Vorstellungskreis gedacht war und die in der Sphäre der Industrie und des Handels den Geist der Initiative repräsentieren sollte. Glücklicherweise existierte bereits das Modell für diese Einrichtung; es entstammt einem Lande, das gerühmt wird wegen seiner strengen Loyalität, der Klugheit und
1 Anteilsummen stiller Gesellschafter (bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung) 2 Persigny — 3 Bank von Frankreich
Solidität, die über allen seinen kommerziellen Operationen walten. Die Allgemeine Gesellschaft der Niederlande hat ihr Kapital, ihren Kredit und ihre moralische Autorität in den Dienst aller gesunden Ideen und nützlichen Unternehmungen gestellt und in Holland neue Kanäle angelegt, das Dränagesystem erweitert und tausend andere Vervollkommnungen eingeführt, die den Wert des Eigentums hundertfach gesteigert haben. Warum sollte Frankreich nicht gleichermaßen aus einer Institution Nutzen ziehen* deren Vorteile durch so blendende Erfahrungen erwiesen sind? Das ist der Gedanke, der zur Gründung des Credit mobiiier führte, die durch das Dekret vom 18. November 1852 bestätigt wurde. Diese Gesellschaft kann gemäß ihren Statuten neben anderen Geschäften auch Staatspapiere und Industrieaktien kaufen und verkaufen, auf sie als Sicherheiten leihen und borgen, Staatsanleihen übernehmen, mit einem Wort, ihre Wertpapiere langfristig bis zum Betrage der so erlangten Werte emittieren. Somit hat sie die Mittel in der Hand, unter vorteilhaften Bedingungen in jedem Augenblick ein beträchtliches Vermögen zusammenzubringen. Die Fruchtbarkeit der Institution hängt ab von der richtigen Verwendung dieser Kapitalien. In der Tat kann die Gesellschaft nach Gutdünken in der Industrie investieren" (commanditer1), „sich an Unternehmungen beteiligen, an langfristigen Operationen teilhaben, was die Statuten der Barique de France und der Diskontobank diesen Institutionen zu tun verbieten; mit einem Wort, sie ist frei in ihren Bewegungen und kann ihr Wirken so variieren, wie es die Bedürfnisse des kommerziellen Kredits erfordern. Wenn sie es versteht, unter den beständig auftauchenden Unternehmungen die gewinnbringenden zu erkennen; wenn sie durch das rechtzeitige Eingreifen mit den gewaltigen Fonds, über die sie verfügt, die Ausführung von Arbeiten ermöglicht, die an sich hoch produktiv sind, aber eine ungewöhnlich lange Zeit erfordern und sonst darniederliegen; wenn ihr Mitwirken das sichere Anzeichen für eine nutzbringende Idee oder ein vortreffliches Projekt ist, dann wird die Gesellschaft des Credit mobiiier die Billigung der Öffentlichkeit verdienen und gewinnen; disponibles Kapital wird seine Kanäle suchen und sich massenhaft immer dorthin wenden, wo sich unter dem Patronat der Gesellschaft eine sichere Anlage bietet. So wird diese Gesellschaft, mehr sogar durch die Macht des Beispiels und durch die Autorität, die ihrer Unterstützung anhaften wird, als durch irgendwelche materielle Hilfe, mitwirken bei allen Ideen von allgemeinem Nutzen. Damit wird sie die Bemühungen der Industrie gewaltig fördern und überall den Erfindergeist anregen." Wir werden bei nächster Gelegenheit zeigen, wie all diese hochtrabenden Phrasen nur schwach den einfachen Plan verdecken, die ganze Industrie Frankreichs in den Strudel der Pariser Börse zu ziehen und sie zum Spielball der Herren des Credit mobiiier und ihres Schutzpatrons Bonaparte zu machen. Geschrieben um den 12.Juni 1856. Aus dem Englischen.
1 Geld in ein Geschäft geben, ohne haftender Teilhaber zu sein
Karl Marx Der französische Credit mobilier [Dritter Artikel] [„New-York Daily Tribüne" Nr. 4751 vom 11. Juli 1856] Der herannahende Zusammenbruch der bonapartistischen Finanzen kündigt sich weiterhin auf vielerlei Wegen an. Als Graf Montalembert am 31 .Mai gegen einen Gesetzentwurf opponierte, nach dem das Porto für alle gedruckten Schriften, Bücher und dergleichen erhöht wird, schlug er in folgender Tonart Alarm: „Jedes politische Leben ist unterdrückt - und wodurch ist es ersetzt worden? Durch den Wirbel der Spekulation. Die große französische Nation konnte sich nicht dem Schlummer, der Tatenlosigkeit hingeben.'Das politische Leben wurde ersetzt durch das Fieber der Spekulation, die Gier nach Gewinn, die Sucht des Spiels. Allerorten, selbst in unseren kleinen Städten, selbst in unseren Dörfern sind die Menschen von der Manie besessen, solch schnell gewonnene Reichtümer zu erlangen, von denen es so viele Beispiele gibt, Reichtümer, die ohne Mühe, ohne Arbeit und oft unehrenhaft erworben sind. Ich brauche nach keinem andren Beweis zu suchen als dem Gesetzentwurf gegen die societes en commandite1, der Ihnen soeben vorgelegt worden ist. Die Abschriften sind gerade an uns verteilt worden; ich hatte noch nicht die Zeit, ihn zu prüfen; dennoch bin ich geneigt, ihn zu unterstützen, trotz der etwas drakonischen Bestimmungen, die ich darin entdeckt zu haben glaube. Wenn das Heilmittel so dringlich und so bedeutend ist, dann muß das Übel ebenso ernst sein. Die wirkliche Ursache dieses Übels besteht darin, daß jeder politische Geist in Frankreich eingeschlafen ist... Und das Übel, auf das ich hinweise, ist nicht das einzige, das dieser selben Quelle entspringt. Während sich die oberen Klassen - jene alteil politischen Klassen - der Spekulation hingeben, zeigt sich eine andere Tätigkeit in den unteren Klassen der Gesellschaft, von wo fast alle Revolutionen ausgegangen sind, die Frankreich erlitten hat. Angesichts dieser furchtbaren Spekulationsmanie, die nahezu ganz Frankreich zu einer riesigen Spielbude gemacht hat, ist ein Teil der Massen, der unter den Einfluß der Sozialisten geraten ist, durch die Gewinnsucht mehr denn je verführt worden. Daher ein unzweifelhaftes Anwachsen der geheimen Gesellschaften, eine größere und
1 Kommanditgesellschaften
tiefere Entwicklung jener wilden Leidenschaften, die den Sozialismus geradezu verleumden, wenn sie seinen Namen für sich in Anspruch nehmen, und die kürzlich in den Prozessen von Paris, Angers und anderwärts in ihrer ganzen Heftigkeit aufgedeckt worden sind."^ So spricht Montalembert, selbst einer der ersten Aktionäre des bonapartistischen Unternehmens zur Rettung von Ordnung, Religion, Eigentum und Familie! Wir haben von Isaac Pereire gehört, daß eines der Geheimnisse des Credit mobiiier in dem Prinzip bestand, seine Tätigkeit zu vervielfachen und das Risiko zu verringern, indem er sich an allen nur möglichen Unternehmungen beteiligte und sich in der kürzestmöglichen Zeit aus ihnen zurückzog. Was heißt das nun, wenn man es der blumigen Sprache des SaintSimonismus entkleidet? In größtem Umfang Aktien subskribieren, massenhaft mit ihnen spekulieren, das Agio einstreichen und dann die Aktien so schnell wie möglich wieder loswerden. Börsenspekulation soll also die Basis der industriellen Entwicklung sein, oder, besser gesagt, alle industrielle Tätigkeit soll bloßer Vorwand zur Börsenspekulation werden. Und mit welchem Instrument soll dieses Ziel des Credit mobiiier erreicht werden? Durch welche Mittel soll er in den Stand gesetzt werden, „seine Tätigkeit zu vervielfachen" Und „das Risiko zu verringern"? Es sind dieselben Mittel, die Law angewandt hat. Da der Credit mobiiier eine privilegierte Kompanie ist. die die Unterstützung der Regierung genießt und über verhältnismäßig viel Kapital und Kredit verfügt, steht es außer jedem Zweifel, daß die Aktien jedes neuen von ihm gegründeten Unternehmens bei der ersten Emission ein Agio auf der Börse einbringen werden. Er hat genügend von Law gelernt, daß man seinen eigenen Aktionären die neuen Aktien zum Nennwert zuteilt, proportional der Anzahl der Aktien, die sie in der Dachgesellschaft besitzen. Der ihnen damit gesicherte Profit wirkt sich in erster Linie auf den Wert der Aktien des Credit mobiiier selbst aus, während deren hoher Kurs seinerseits den heu auszugebenden Aktien einen hohen Wert sichert. Auf diese Weise erlangt der Credit mobiiier die Verfügungsgewalt über einen großen Teil des verleihbaren Kapitals, das zur Anlage in industriellen Unternehmungen bestimmt ist. Abgesehen von der Tatsache, daß das Agio somit der wirkliche Angelpunkt ist, um den sich die Tätigkeit des Credit mobiiier dreht, besteht sein Ziel also offenbar darin, auf das Kapital in einer Weise einzuwirken, die das genaue Gegenteil von der Funktion kommerzieller Banken ist. Eine kommerzielle Bank setzt durch ihre Diskontierungen, Anleihen und Notenausgabe fixes Kapital zeitweilig frei, während der Credit mobiiier gerade flüssiges
Kapital fixiert. Zum Beispiel können Eisenbahnaktien sehr flüssig sein, aber das Kapital, das sie repräsentieren, d. h. das beim Bau der Eisenbahn angelegte Kapital, ist fix. Stünde der Teil des Kapitals, den ein Fabrikant in Gebäuden und Maschinen angelegt hat, in keinem entsprechenden Verhältnis zu dem Teil, der für die Zahlung von Löhnen und den Einkauf von Rohstoffen reserviert ist, der Fabrikant sähe seine Fabrik sehr bald stillgelegt. Dasselbe gilt auch für eine Nation. Fast jede Handelskrise in unserer Zeit ist mit einer Verletzung der richtigen Proportion zwischen flüssigem und fixem Kapital verbunden gewesen. Welches Ergebnis muß dann das Wirken einer Institution wie des Credit mobilier haben, dessen unmittelbarer Zweck es ist, soviel wie möglich von dem Leihkapital des Landes in Eisenbahnen, Kanälen, Bergwerken, Werften, Dampfschiffen, Eisenwerken und anderen industriellen Unternehmungen festzulegen, ohne jede Rücksicht auf die Produktionsmöglichkeiten des Landes? Gemäß seinen Statuten kann der Credit mobilier nur solche industrielle Unternehmungen begünstigen, die von anonymen Gesellschaften oder Aktiengesellschaften mit beschränkter Verantwortlichkeit betrieben werden. Folglich mußte eine Tendenz entstehen, möglichst viele solcher Gesellschaften zu gründen und ferner allen industriellen Unternehmungen die Form dieser Gesellschaften zu geben. Nun kann nicht geleugnet werden, daß die Anwendung von Aktiengesellschaften auf die Industrie eine neue Epoche im ökonomischen Leben der modernen Nationen kennzeichnet. Einerseits hat dies die produktiven Potenzen der Assoziation offenbart, wie man sie vorher nicht vermutet hatte, und industrielle Gründungen auf einer Stufenleiter ins Leben gerufen, die durch die Anstrengungen einzelner Kapitalisten nicht erreichbar ist. Andererseits darf man nicht vergessen, daß in Aktiengesellschaften nicht die Individuen vereinigt sind, sondern die Kapitalien. Durch diese Manipulation sind Eigentümer in Aktionäre, d.h. in Spekulanten verwandelt worden. Die Konzentration des Kapitals hat sich beschleunigt und, als natürliche Folge, auch der Ruin der Kleinbourgeoisie. Eine Art von Industriekönigen ist entstanden, deren Macht im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Verantwortlichkeit steht, sind sie doch nur bis zur Höhe ihrer Aktien haftbar, während sie über das gesamte Kapital der Gesellschaft verfügen. Sie bilden ein mehr oder weniger beständiges Element, während die Masse der Aktionäre einen unaufhörlichen Prozeß der Veränderung ihrer Zusammensetzung durchläuft; und da sie eben über den ganzen Einfluß und Reichtum der Gesellschaft verfügen, sind sie in der Lage, einzelne rebellische Mitglieder derselben zu bestechen. Unter diesem oligarchischen Direktorium steht eine bürokratische Körperschaft von Geschäftsführern und Agenten 3 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
für die praktische Arbeit, und unmittelbar unter diesen eine riesige und täglich anschwellende Masse von bloßen Lohnarbeitern, deren Abhängigkeit und Ohnmacht mit den Dimensionen des Kapitals, das sie beschäftigt, wächst, die aber auch in direktem Verhältnis zur abnehmenden Zahl der Repräsentanten dieses Kapitals gefährlicher werden. Es ist das unsterbliche Verdienst Fouriers, diese Form der modernen Industrie unter der Bezeichnung industrieller Feudalismus vorausgesagt zu haben. Gewiß konnten ihn weder Herr Isaac Pereire noch Herr Emile Pereire, noch Herr Morny, noch Herr Bonaparte erfinden. Auch vor ihrer Zeit gab es Banken, die industriellen Aktiengesellschaften ihren Kredit gewährten. Was sie erfanden, war eine Aktienbank, die nach dem Monopol der früher zersplitterten und vielfältigen Tätigkeit der privaten Geldverleiher strebte und deren leitendes Prinzip die Gründung einer riesigen Zahl industrieller Gesellschaften sein sollte, nicht zum Zwecke produktiver Kapitalanlagen, sondern einfach um der Spekulationsgewinne willen. Der neue Gedanke, den sie aufgebracht haben, besteht darin, den industriellen Feudalismus der Börsenspekulation tributpflichtig zu machen. Nach den Statuten ist das Kapital des Credit mobiiier auf 60000000 Francs festgelegt. Dieselben Statuten gestatten es, Einzahlungen auf Kontokorrent für das Doppelte dieser Summe, d. h. für 120000000 entgegenzunehmen. Die der Gesellschaft zur Verfügung stehende Summe beläuft sich also insgesamt auf 180000000 Francs. Gemessen an dem kühnen Plan, die Schutzherrschaft über die gesamte Industrie Frankreichs zu erlangen, ist das gewiß eine sehr kleine Summe. Aber zwei Drittel dieser Summe - weil sie nämlich auf Abruf entgegengenommen sind - können kaum für den Kauf von Industrieaktien oder solchen Werten verwendet werden, bei denen es keine Garantie gibt, daß sie unmittelbar realisiert werden können. Aus diesem Grunde öffnen die Statuten dem Credit mobiiier eine andere Quelle. Er ist befugt, Obligationen auszugeben bis zur zehnfachen Summe seines Stammkapitals, d. h. bis zu 600000000 Francs; oder, mit anderen Worten, die Institution, welche als Aushilfe für alle Welt gedacht ist, hat die Befugnis, als Borger einer Summe auf dem Markt zu erscheinen, die zehnmal größer ist als ihr Eigenkapital.
„Unsere Schuldverschreibungen", sagt Herr Pereire, „werden von zweifacher Art sein. Die einen, mit kurzer Verfallszeit ausgegeben, sollen unseren verschiedenen zeitweiligen Kapitalanlagen entsprechen." Schuldverschreibungen dieser Art interessieren uns hier nicht, da sie laut Artikel VIII der Statuten nur ausgegeben werden sollen, um den vermutlichen Fehlbetrag bis zu jenen auf Kontokorrent einzunehmenden 120000000
auszugleichen, die gänzlich auf diese Weise vereinnahmt worden sind. Die andere Kategorie von Obligationen „wird mit langer Verfallszeit emittiert, ist auf dem Wege der Tilgung rückzahlbar und wird den Kapitalanlagen gleichen Charakters entsprechen, die wir entweder in Staatspapieren oder in Aktien und Schuldverschreibungen industrieller Gesellschaften investiert haben werden. Nach der Ökonomie des Systems, auf dem unsere Gesellschaft beruht, wird diesen Obligationen nicht bloß eine entsprechende Anzahl von Wertpapieren als Deckung dienen, welche unter der Aufsicht der Regierung angeschafft und in ihrer Zusammenfassung bei Anwendung des Prinzips der Gegenseitigkeit die Vorteile der Kompensation und Teilung der Gefahr bieten werden, sondern sie werden auch durch ein Kapital gedeckt sein, das wir zu diesem Zwecke auf eine beträchtliche Höhe gebracht haben." Diese Schuldverschreibungen des Credit mobilier sind also einfach Nachahmungen von Eisenbahnbons - Obligationen, die zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Bedingungen einlösbar sind und feste Zinsen bringen. Es gibt jedoch auch einen Unterschied. Eisenbahnbons sind oft durch einen Pfandbrief der Eisenbahn selbst gesichert; worin besteht dagegen die Sicherheit für die Schuldverschreibungen des Credit mobilier? In den Staatspapieren, Aktien, Schuldverschreibungen und dergleichen, die der Credit mobilier mit seinen eigenen Schuldverschreibungen erwirbt. Was ist dann durch ihre Emission gewonnen? Die Differenz zwischen den fälligen Zinsen auf die Schuldverschreibungen des Credit mobilier und den Zinsen von den Aktien und dergleichen, in denen er seine Anleihe investiert hat. Um diese Operation genügend profitabel zu machen, muß der Credit mobilier das durch die Ausgabe seiner Schuldverschreibungen realisierte Kapital in solchen Investitionen unterbringen, die den lohnendsten Gewinn versprechen, d. h. in Aktien, die großen Kursschwankungen und -Veränderungen unterliegen. Die wichtigste Sicherheit für seine Schuldverschreibungen wird daher aus den Aktien gerade der Industriegesellschaften bestehen, die von der Gesellschaft selbst gegründet werden. Während Eisenbahnbons durch ein wenigstens doppelt so großes Kapital gesichert werden, sind diese Schuldverschreibungen des Credit mobilier also durch ein nur nominal gleich großes Kapital gesichert, das sich aber mit jeder fallenden Bewegung der Effektenbörse verringern muß* Die Inhaber dieser Schuldverschreibungen teilen folglich alle Risiken der Aktienbesitzer, ohne an ihren Profiten teilzuhaben. „Aber die Inhaber der Schuldverschreibungen", heißt es im letzten Jahresbericht, „sind nicht nur durch die Kapitalanlagen gedeckt, in die er" (der Credit mobilier) „seine Anleihen gesteckt hat, sondern auch durch sein Stammkapital."
Das Stammkapital von 60000000, das für die 120000000 an Einzahlungen haftet, bietet sich an, als Garantie für 600000000 an Schuldverschreibungen zu dienen, neben den Garantien, die es wohl der unbegrenzten Zahl von Unternehmungen wird liefern müssen, welche der Credit mobiiier zu gründen befugt ist. Wenn es der Gesellschaft gelänge, die Aktien aller Industriegesellschaften gegen ihre eigenen Schuldverschreibungen einzutauschen, dann würde sie in der Tat der oberste Direktor und Eigentümer der gesamten Industrie Frankreichs werden, während sich die Masse der ehemaligen Eigentümer pensioniert fände mit einem festen Einkommen, das den Zinsen der Schuldverschreibungen entspricht. Doch der Bankrott, der aus den oben gezeigten ökonomischen Bedingungen folgt, wird den kühnen Abenteurern auf dem Wege zu diesem Ende Einhalt gebieten. Diesen kleinen Unglücksfall hat man indes nicht außer acht gelassen. Im Gegenteil, die eigentlichen Begründer des Credit mobiiier haben ihn in ihre Berechnungen einbezogen. Wenn dieser Zusammenbruch kommt, nachdem die Interessen einer riesigen Zahl von Franzosen in ihn verwickelt worden sind, so scheint die Regierung Bonapartes berechtigt zu sein, in die Geschäfte des Credit mobiiier einzugreifen, wie es die englische Regierung 1797 bei der Bank von England tat[411. Der Regent von Frankreich1, jener ehrenwerte Vorfahr Louis-Philippes, versuchte die Staatsschuld loszuwerden, indem er die Staatsobligationen in Obligationen von Laws Bank konvertierte; Louis Bonaparte, der kaiserliche Sozialist, wird versuchen, sich der französischen Industrie zu bemächtigen, indem er die Schuldverschreibungen des Credit mobiiier in Staatsobligationen konvertiert. Wird er zahlungsfähiger sein als der Credit mobiiier? Das ist hier die Frage.
Geschrieben Ende Juni 1856. Aus dem Englischen.
1 Philippe von Orleans
Karl Marx [Die Revolution in Spanien]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4775 vom 8. August 1856, Leitartikel] Obwohl die gestern von der „Asia" gebrachten Nachrichten drei Tage später datiert sind als unsere vorangegangenen Berichte, enthalten sie keinerlei Anzeichen für eine rasche Beendigung des Bürgerkriegs in Spanien. O'Donnells coup d'etat hat zwar in Madrid gesiegt1421, doch kann man noch nicht sagen, er hätte den endgültigen Erfolg errungen. Der französische „Moniteur", der den Aufstand zu Barcelona anfangs als bloßen Aufruhr bezeichnet hatte, sieht sich jetzt zu dem Eingeständnis genötigt, daß „der Kampf dort sehr heftig gewesen ist, daß aber der Erfolg der Truppen der Königin als gesichert angesehen werden kann". Nach der Darstellung dieses offiziellen Blattes dauerte der Kampf in Barcelona von 5 Uhr nachmittags des 18. Juli bis zur gleichen Stunde des 21., also genau drei Tage, zu welchem Zeitpunkt laut Bericht die „Insurgenten" aus ihren Positionen vertrieben worden und, von Kavallerie verfolgt, aus der Stadt geflohen sein sollen. Es wird indessen versichert, daß die Aufständischen noch im Besitz mehrerer Städte in Katalonien sind, darunter Gerona, Junquera und einige kleinere Ortschaften. Außerdem geht hervor, daß Murcia, Valencia und Sevilla ihre pronunciamientos1 gegen den coup d'etat gemacht haben, daß ein Bataillon der Garnison zu Pamplona, welches von dem Gouverneur dieser Stadt gegen Soria kommandiert war, sich unterwegs gegen die Regierurig erklärt hat und auf Saragossa marschiert, um sich dort dem Aufstand anzuschließen; und daß endlich in Saragossa, in dem von Anfang an anerkannten Zentrum des Widerstandes, General Falcon über 16000 Liniensoldaten, verstärkt durch 15000 Mann Miliz und Bauern aus der Umgebung, Heerschau gehalten hat.
1 Aufstände
Jedenfalls betrachtet die französische Regierung die „Insurrektion" in Spanien als noch nicht unterdrückt, und Bonaparte, weit davon entfernt, sich mit der Entsendung einer Reihe von Bataillonen zur Besetzung der Grenze zufriedenzugeben, hat angeordnet, daß eine Brigade an die Bidassoa vorrückt, und diese Brigade wird durch Verstärkungen aus Montpellier und Toulouse auf den Stand einer Division gebracht. Es scheint auch, daß eine zweite Division auf Grund der am 23.Juli direkt von Plombieres aus ergangenen Befehle unmittelbar aus der Armee von Lyon detachiert worden ist und nun in Richtung Pyrenäen marschiert, wo nunmehr ein vollständiges corps d'observation1 von 25000 Mann zusammengezogen wird. Sollte sich der Widerstand gegen die Regierung O'Donnell behaupten können, sollte er sich als so stark erweisen, daß Bonaparte zu einer bewaffneten Invasion auf die Halbinsel verlockt wird, dann hätte der coup d'etat von Madrid das Signal für den Zusammenbruch des coup d'etat von Parisf43] gegeben. Wenn wir den allgemeinen Handlungsablauf und die dramatis personae2 betrachten, dann erscheint diese spanische Verschwörung von 1856 als einfache Neuauflage des ähnlichen Versuchs von 1843[44J, natürlich mit einigen geringfügigen Veränderungen. Damals, wie heute, Isabella in Madrid und Christina in Paris; Louis-Philippe an der Stelle von Louis Bonaparte, als Dirigent der Bewegung von den Tuilerien aus; auf der einen Seite Espartero und seine Ayacuchos[45), auf der anderen O'Donnell. Serrano, Concha, mit Narväez damals im Proszenium und jetzt imPostszenium. 1843 sandte LouisPhilippe auf dem Landwege zwei Millionen in Gold und auf dem Seewege Narväez und seine Freunde, nachdem der Vertrag, der die spanischen Heiraten betraf, zwischen ihm und Madame Munoz abgeschlossen war.t46] Auf die Mittäterschaft Bonapartes am spanischen coup d'etat - Bonapartes, der möglicherweise die Heirat seines Vetters, des Prinzen Napoleon, mit einer Mademoiselle Munoz eingefädelt hat und der in allen Fällen fortfahren muß, seinen Onkel3 nachzuahmen -, auf diese Mittäterschaft weisen nicht nur die Drohungen hin, die der „Moniteur" seit zwei Monaten gegen die kommunistischen Verschwörungen in Kastilien und Navarra schleudert; nicht nur das Auftreten des französischen Botschafters in Madrid, des Herrn de Turgot, vor, während und nach dem coup d'etat, desselben Mannes, der während Bonapartes eigenem coup d'etat dessen Außenminister war; nicht nur die Tatsache, daß der Herzog Alba, Bonapartes Schwager, unmittelbar nach O'Donnells Sieg als Präsident des neuen Ayuntamientos4 von Madrid aufgetaucht ist; nicht nur, daß Ros de Olano, ein altes Mitglied der pro
1 Beobachtungskorps - 2 Personen des Dramas — 3 Napoleon L - 4 Stadtrats
französischen Partei, der erste gewesen ist, dem man einen Posten in O'Donnells Kabinett angeboten hat; und nicht nur, daß Bonaparte sofort Narväez nach Bayonne geschickt hat, als die ersten Nachrichten über die Angelegenheit nach Paris gelangt waren. Auf diese Mittäterschaft wurde schon vorher hingedeutet, als große Mengen Munition von Bordeaux nach Bayonne befördert wurden, vierzehn Tage vor der jetzigen Krise in Madrid. Vor allem aber deutet auf sie der Operations plan hin, den O'Donnell bei seinem Raubzug gegen die Bevölkerung jener Stadt befolgt hat. Gleich zu Anfang verkündete er, er würde nicht davor zurückschrecken, Madrid in die Luft zu sprengen, und während der Kämpfe hielt er sich genau an sein Wort. Nun hat aber O'Donnell, obwohl er ein dreister Bursche ist, noch niemals einen kühnen Schritt gewagt, ohne für einen sicheren Rückzug zu sorgen. Gleich seinem berüchtigten Onkel, dem Helden des Verrats1, verbrannte er niemals die Brücke hinter sich, wenn er den Rubikon überschritten hatte. Das Organ der Kampfeslust wird bei den O'Donnells in einzigartiger Weise durch die Organe der Vorsieht und der Verschwiegenheit gezügelt. Es ist klar, daß jeder General, der die Drohung ausstößt, die Hauptstadt in Schutt und Asche zu legen, dem aber sein Unternehmen mißglückt, seinen Kopf verwirkt. Wie aber wagte sich O'Donnell auf solch heiklen Boden? Das Geheimnis verrät das „Journal des Debats", das spezielle Organ der Königin Christina: „O'Donnell erwartete eine schwere Schlacht und im besten Falle einen heiß umstrittenen Sieg. In seine Berechnungen wurde die Möglichkeit einer Niederlage aufgenommen. Wenn solch ein Unglück eingetreten wäre, hätte der Marschall mit dem Rest seiner Armee Madrid verlassen und, die Königin geleitend, sich nach den Nordprovinzen gewandt, um sich der französischen Grenze zu nähern." Sieht das alles nicht gerade so aus, als hätte er seinen Plan mit Bonaparte abgesprochen? Genau der gleiche Plan war 1843 zwischen Louis-Philippe und Narväez vereinbart worden, und dieser wiederum war eine Kopie der geheimen Konvention zwischen Ludwig XVIII. und Ferdinand VII. aus dem Jahre 1823.[471 Wird diese plausible Parallele zwischen den spanischen Verschwörungen von 1843 und 1856 einmal anerkannt, so gibt es immer noch genügend Unterscheidungsmerkmale in den beiden Bewegungen, welche die gewaltigen Fortschritte anzeigen, die das spanische Volk in einer so kurzen Zeitspanne gemacht hat. Diese Merkmale sind: der politische Charakter des letzten Kampfes in Madrid, seine militärische Bedeutung und schließlich die Stellung Esparteros beziehungsweise O'Donnells 1856, verglichen mit der Stellung beider
1 Enrique Jos£ O'Donnell
im Jahre 1843. 1843 waren alle Parteien Esparteros überdrüssig geworden. Um sich seiner zu entledigen, wurde zwischen den Moderados und Progresistas1481 eine mächtige Koalition geschlossen. Revolutionäre Juntas, die in allen Städten wie Pilze aus dem Boden schössen, bahnten Narväez und seinen Gefolgsleuten den Weg. 1856 haben wir nicht nur den Hof und die Armee auf der einen Seite gegen das Volk auf der anderen, sondern auch innerhalb der Reihen des Volks finden wir die gleichen Trennungslinien wie im übrigen Westeuropa. Am 13. Juli bot das Kabinett Espartero seinen erzwungenen Rücktritt an; in der Nacht vom 13. zum 14. konstituierte sich das Kabinett O'Donnell, am 14. früh verbreitete sich das Gerücht, daß O'Donneii, mit der Bildung eines Kabinetts beauftragt, Rios y Rosas, den übelbeleumdeten Minister der blutigen Julitage 1854l49], aufgefordert hätte, sich ihm anzuschließen. Um 11 Uhr vormittags bestätigte die „Gaceta"1501 das Gerücht. Dann traten die Cortes zusammen; 93 Abgeordnete waren anwesend. Nach den Statuten dieser Körperschaft genügen 20 Mitglieder zur Einberufung einer Sitzung und 50 zur Beschlußfassung. Außerdem waren die Cortes formell nicht vertagt worden. General Infante, der Präsident, konnte nicht umhin, dem allgemeinen Wunsch auf Abhaltung einer regulären Sitzung nachzugeben. Ein Antrag wurde gestellt, der zum Ausdruck brachte, daß das neue Kabinett nicht das Vertrauen der Cortes genieße und daß Ihre Majestät von diesem Votum unterrichtet werden sollte. Gleichzeitig forderten die Cortes die Nationalgarde auf, sich kampfbereit zu halten. Unter Geleitschutz einer Abteilung der Nationalmiliz begab sich der Ausschuß der Cortes mit dem Mißtrauensvotum zur Königin. Als seine Mitglieder versuchten, in den Palast zu gelangen, wurden sie von den Linientruppen zurückgetrieben, die auf sie und ihre Eskorte das Feuer eröffneten. Dieser Zwischenfall gab das Signal für den Aufstand. Der Befehl, mit dem Bau von Barrikaden zu beginnen, wurde um 7 Uhr abends von den Cortes gegeben, deren Versammlung unmittelbar danach von den Truppen O'Donnells auseinandergesprengt wurde. Der Kampf begann in derselben Nacht, und nur ein Bataillon der Nationalmiliz schloß sich den königlichen Truppen an. Es ist bemerkenswert, daß schon am Morgen des 13. Senor Escosura, der Innenminister Esparteros, nach Barcelona und Saragossa telegraphiert hatte, ein coup d'etat stünde bevor, und man müsse zum Widerstande rüsten. An der Spitze der Madrider Aufständischen standen Senor Madoz und General Valdez, der Bruder Escosuras. Kurz, es kann keinen Zweifel daran geben, daß der Widerstand gegen den coup d'etat seinen Ursprung bei den Esparteristen, den Bürgern und den Liberalen überhaupt hatte. Während sie mit der Miliz auf einer von Osten nach Westen quer durch Madrid gehenden Linie Stellungen bezogen,
besetzten die Arbeiter unter Pucheta den Süden und einen Teil der Nordseite der Stadt. Am Morgen des 15. ergriff O'Donnell die Initiative. Selbst nach dem voreingenommenen Zeugnis des „Debats" erlangte O'Donnell während der ersten Hälfte des Tages keinen merklichen Vorteil. Plötzlich waren gegen I Uhr die Reihen der Nationalmiliz ohne jeden erkennbaren Grund in Auflösung, um 2 Uhr waren sie noch mehr gelichtet, und um 6 Uhr waren sie gänzlich voni Schauplatz verschwunden und überließen damit die ganze Last des Kampfes den Arbeitern, die ihn bis zum 16. nachmittags 4 Uhr ausfochten. Somit gab es in diesen drei Tagen des Gemetzels zwei verschiedene Schlachten - einmal die der liberalen Miliz der Bourgeoisie mit Unterstützung der Arbeiter gegen die Armee, und zum anderen die der Armee gegen die von der Miliz im Stich gelassenen Arbeiter, Grad wie Heine sagt:
Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu.^511 Espartero verläßt die G>rtes, die G>rtes verlassen die Führer der Nationalgarde, die Führer verlassen ihre Männer, und die Männer verlassen das Volk. Am 15. indessen traten die Cortes noch einmal zusammen, als Espartero für einen Augenblick wieder auftauchte. Er wurde von Senor Assensio und anderen Abgeordneten an seine wiederholten Beteuerungen erinnert, daß er am ersten Tage, an dem die Freiheit des Landes in Gefahr wäre, sein glorreiches Schwert von Luchana ziehen werde.1521 Espartero rief den Himmel als Zeugen an für seinen unerschütterlichen Patriotismus, und als er wegging, wurde fest damit gerechnet, daß man ihn bald an der Spitze der Erhebung sehen wird. Statt dessen begab er sich zum Haus des Generals Gurrea, wo er sich ä la Palafox in einem bombensicheren Keller verbarg, und seitdem ward nichts mehr von ihm vernommen. Die Kommandeure der Miliz, denen am Abend zuvor jedes Mittel recht war, um die Milizionäre zum Ergreifen der Waffen anzustacheln, waren jetzt genauso eifrig dabei, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Um J/2 3 Uhr nachmittags rief General Valdez, der für einige Stunden das Kommando über die Miliz usurpiert hatte, die unter seinem unmittelbaren Kommando stehenden Soldaten auf der Plaza Mayor zusammen und sagte ihnen, daß der Mann, der naturgemäß an ihrer Spitze stehen müßte, sich nicht zeigen wolle und daß es demzufolge jedem freigestellt sei, zu gehen. Daraufhin stürzten die Nationalgardisten nach Hause, um eilends ihre Uniformen abzulegen und die Waffen zu verstecken. So lautet der wesentliche Inhalt des Berichts, der von einer gut informierten Quelle stammt. Eine andere Quelle bezeichnet als Grund für diesen plötz
liehen Akt der Unterwerfung vor der Verschwörung, man hätte in Betracht gezogen, daß der Sieg der Nationalgarde wahrscheinlich den Untergang des Throns und die absolute Vorherrschaft der republikanischen Demokratie nach sich gezogen hätte. „LäPresse"[53) von Paris gibt uns auch zu verstehen, daß Marschall Espartero, nachdem er gesehen hatte, welche Wendung die Demokraten im Kongreß den Dingen gegeben hatten, nicht den Thron opfern oder sich in die Gefahren von Anarchie und Bürgerkrieg stürzen wollte und folglich alles in seiner Macht Befindliche tat, um die Unterwerfung unter O'Donnell zu bewirken. Zwar werden die Einzelheiten in bezug auf die Zeitdauer, die Umstände und den Zusammenbruch des Widerstandes gegen den coup d'etat von verschiedenen Autoren verschieden angegeben, aber alle stimmen hinsichtlich des einen, hauptsächlichen Punktes überein, daß Espartero die Cortes im Stich gelassen, die Cortes die Führer, die Führer die Bourgeoisie, und die Bourgeoisie das Volk. Das liefert uns eine neue Illustration des Charakters der meisten jener Kämpfe, die 1848/49 in Europa stattgefunden haben und im westlichen Teil dieses Kontinents künftig noch stattfinden werden. Auf der einen Seite stehen die moderne Industrie und der Handel, deren natürliches Oberhaupt, die Bourgeoisie, den militärischen Despotismus verabscheut; wenn sie aber andererseits den Kampf gegen diesen Despotismus aufnimmt, greifen die Arbeiter, jenes Produkt der modernen Organisation der Arbeit, selbst ein, um ihren gebührenden Anteil am Ergebnis des Sieges zu verlangen. Erschreckt also von den Konsequenzen eines ihr gegen ihren Willen auferlegten Bündnisses, weicht die Bourgeoisie wieder unter die schützenden Batterien des verhaßten Despotismus zurück. Dies ist das Geheimnis der stehenden Armeen Europas, die sonst dem künftigen Historiker unverständlich blieben. Der europäischen Bourgeoisie wird so zu verstehen gegeben, daß sie sich entweder einer politischen Macht, die sie verabscheut, ergeben und auf die Vorzüge der modernen Industrie und des Handels und der darauf begründeten gesellschaftlichen Beziehungen verzichten muß oder der Privilegien verlustig wird, weiche die moderne Organisation der gesellschaftlichen Produktivkräfte in ihrem ersten Stadium ausschließlich einer Klasse verliehen hat. Daß diese Lektion gerade von Spanien erteilt werden sollte, ist ebenso treffend wie überraschend.
Geschrieben am 25. Juli 1856. Aus dem Englischen.
Karl Marx [Die Revolution in Spanien]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4783 vom 18. August 1856, Leitartikel] Saragossa ergab sich am 1 .August um J/2 2 Uhr nachmittags, und damit war das letzte Zentrum des Widerstandes gegen die spanische Konterrevolution verschwunden. Militärisch gesehen bestanden nach den Niederlagen in Madrid und Barcelona, der nur schwachen Aktion der Aufständischen in Andalusien und dem konzentrischen Vorrücken überwältigender Kräfte aus den Baskischen Provinzen, aus Navarra, Katalonien, Valencia und Kastilien nur wenig Erfolgsaussichten. Aber jede Aussicht, die noch möglicherweise bestand, wurde durch den Umstand zunichte gemacht, daß ausgerechnet General Falcon, ein alter Adjutant Esparteros, die Widerstandskräfte befehligte, daß als Kampflosung „Espartero und die Freiheit" ausgegeben wurde und daß die Einwohner Saragossas von dem unermeßlich lächerlichen Fiasko Esparteros zu Madrid erfahren hatten.1541 Außerdem gab es einen direkten Befehl aus Esparteros Hauptquartier an seine Gehilfen in Saragossa, daß sie jedem Widerstand ein Ende setzen sollten, wie man dem folgenden Auszug aus dem „Journal de Madrid" 1551 vom 29. Juli entnehmen kann: „Einer der Exminister Esparteros nahm an den Verhandlungen teil, die zwischen General Dulce und den Behörden von Saragossa geführt wurden, und Juan Martinez Alonzo, ein Espartero-Anhänger in den Cortes, übernahm den Auftrag, die aufständischen Führer davon zu unterrichten, daß die Königin, ihre Minister und ihre Generale von einem höchst versöhnlichen Geist beseelt wären." Die revolutionäre Bewegung war nahezu vollständig über ganz Spanien verbreitet. Madrid und La Mancha in Kastilien; Granada, Sevilla, Malaga, Cadiz, Jaen usw. in Andalusien; Murcia und Cartagena in Murcia; Valencia, Alicante, Alcira usw. in Valencia; Barcelona, Reus, Figueras, Gerona in Katalonien; Saragossa, Teruel, Huesca, Jaca usw. in Aragonien; Oviedo in
Asturien und Coruna in Galicien. Es gab keine Erhebungen in Estremadura, Leon und Alt-Kastilien, wo die revolutionäre Partei schon zwei Monate vorher unter der gemeinsamen Leitung Esparteros und O'Donnells unterdrückt worden war; die Baskischen Provinzen und Navarra blieben ebenfalls ruhig. Die Sympathien der letztgenannten Provinzen waren jedoch bei der revolutionären Sache, wenn sie auch angesichts der französischen Beobachtungsarmee nicht so offen hervortreten konnten. Das ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß zwanzig Jahre vorher gerade diese Provinzen das Bollwerk des Karlismus[56] bildeten der damals durch die Bauernschaft Aragoniens und Kataloniens unterstützt wurde; diesmal jedoch standen die Bauern mit großer Leidenschaft auf der Seite der Revolution und hätten sich als äußerst machtvolles Element des Widerstandes erwiesen, wenn die Schwachköpfigkeit der Führer in Barcelona und Saragossa die Entfaltung ihrer Energien nicht verhindert hätte. Sogar der Londoner „Morning Herald"157V der orthodoxe Verfechter des Protestantismus, der vor etwa zwanzig Jahren Lanzen für Don Carlos, den Don Quixote des Autodafe, gebröchen hatte, ist über diese Tatsache gestolpert, die er, ehrlich genug, anerkennt. Das ist eines der vielen Symptome des Fortschritts, welche die letzte Revolution in Spanien enthüllt hat, eines Fortschritts, dessen Langsamkeit nur diejenigen verwundern wird, die mit den eigentümlichen Sitten und Gebräuchen eines Landes nicht bekannt sind; wo ;;a la manana"1 das Kennwort des alltäglichen Lebens ist und wo jedermann einem die Antwort bereithält, daß „unsere Vorfahren achthundert Jahre brauchten, um die Mauren zu vertreiben". Ungeachtet der allgemeinen Verbreitung der pronunciamientos2 war die Revolution nur auf Madrid und Barcelona beschränkt. Im Süden wurde sie durch die Choleraseuche, im Norden durch die Espartero-Pest gebrochen. In militärischer Hinsicht bieten die Aufstände in Madrid und Barcelona nur wenig Interessantes und kaum irgendwelche neuartigen Züge. Auf der einen Seite - der Armee - war alles längst vorbereitet; auf der anderen Seite wurde alles improvisiert, die Offensive ging auch nicht für einen Augenblick auf sie über. Auf der einen Seite eine gut ausgerüstete Armee, die mühelos den Befehlen ihrer Generale folgte; auf der anderen Führer, die sich nur widerstrebend und durch den Druck eines ungenügend bewaffneten Volkes vorwärtsstoßen ließen. In Madrid begingen die Revolutionäre gleich zu Anfang den Fehler, sich in den Innenbezirken der Stadt einzuschließen, auf einer Linie, welche die östlichen mit den westlichen Außenbezirken verbindet;
1 „bis morgen" - 2 Aufrufe zum Aufstand
diese Außenbezirke aber wurden von O'Donnell und Concha beherrscht, die miteinander und mit der Kavallerie von Dulce über die äußeren Boulevards in Verbindung standen. Auf diese Weise schnitten sich die Leute selbst ab und setzten sich dem konzentrischen Angriff aus, der vorher zwischen O'Donnell und seinen Komplizen verabredet war. O'Donnell und Concha brauchten nur ihre Vereinigung durchzuführen - und die revolutionären Kräfte waren in die Nord- und Südbezirke der Stadt zersprengt und allen weiteren Zusammenhalts beraubt. Es war ein besonders charakteristisches Merkmal des Madrider Aufstands, daß man Barrikaden wenig und nur an wichtigen Straßenecken verwendete, während die Häuser zu Zentren des Widerstandes wurden, und was im Straßenkampf noch nicht dagewesen ist - daß die stürmenden Kolonnen der Armee mit Bajonettangriffen empfangen wurden. Wenn aber die Aufständischen sich die Erfahrungen der Pariser und Dresdener Erhebungen1581 zunutze machten, so hatten die Soldaten nicht weniger davon gelernt. Die Häusermauern wurden nacheinander durchbrochen und die Aufständischen von der Flanke und von hinten angegriffen, während die Straßenausgänge mit Geschützfeuer bestrichen wurden. Ein weiteres hervorstechendes Merkmal dieser Schlacht von Madrid bestand darin, daß Pucheta, als er nach der Vereinigung von Concha und O'Donnell in den südlichen Teil (Toledo) der Stadt gedrängt wurde, den Guerillakrieg aus den spanischen Bergen in die Straßen von Madrid übertrug. Zersprengt, stellten sich die Aufständischen dem Feind unter dem Bogen einer Kirche, in irgendeiner engen Gasse, auf der Treppe eines Hauses und verteidigten sich dort bis in den Tod. In Barcelona war der Kampf noch intensiver, wobei es dort überhaupt keine Führung gab. Militärisch gesehen, scheiterte dieser Aufstand wie alle früheren Erhebungen in Barcelona an der Tatsache, daß die Zitadelle, Fort Montjuich, in der Hand der Armee blieb. Die Heftigkeit des Kampfes wird dadurch charakterisiert, daß in Gracia, einem Vorort, den die Aufständischen heiß umkämpften, nachdem sie schon aus Barcelona vertrieben waren, 150 Soldaten in ihrer Kaserne verbrannt wurden. Folgendes verdient erwähnt zu werden: Während in Madrid, wie wir im vorhergehenden Artikel gezeigt haben, die Proletarier von der Bourgeoisie verraten und im Stich gelassen wurden, erklärten die Weber von Barcelona gleich zu Anfang, daß sie nichts zu tun haben wollen mit einer Bewegung, die von den EsparteroAnhängern ins Werk gesetzt worden ist, und beharrten darauf, daß die Republik ausgerufen werde. Als ihnen dies verweigert wurde, blieben sie mit Ausnahme von einigen, die dem Pulvergeruch nicht widerstehen konnten, passive Betrachter der Schlacht, die damit schon verloren war; denn alle Aufstände in Barcelona werden von den 20000 Webern der Stadt entschieden.
Die spanische Revolution von 1856 unterscheidet sich von allen ihren Vorgängerinnen durch das Fehlen jeglichen dynastischen Charakters. Es ist bekannt, daß die Bewegung von 1808 bis 18141 national und dynastisch war.[59] Obwohl die Cortes 18122 eine nahezu republikanische Verfassung verkündeten, taten sie das im Namen Ferdinands VII. Die zaghaft republikanische Bewegung von 1820-1823[60] war insgesamt unreif und hatte die Massen, um deren Unterstützung sie anrief, gegen sich, weil diese Massen völlig mit der Kirche und der Krone verbunden waren. So tief verwurzelt war das Königtum in Spanien, daß der Kampf zwischen der alten und der neuen Gesellschaft, um ernsthaft geführt zu werden, ein Testament Ferdinands VII. und die Verkörperung der antagonistischen Prinzipien in zwei dynastischen Linien, der der Karlisten und der Christines, benötigte. Sogar um für ein neues Prinzip zu kämpfen, brauchte der Spanier eine altehrwürdige Standarte. Unter diesen Bannern wurde der Kampf von 18333 bis 1843 ausgefochten. Dann war die Revolution zu Ende, und von 1843 bis 1854 wurde der neuen Dynastie ihre Bewährungsprobe zugestanden. In der Julirevolution von 1854 war somit notwendigerweise ein Angriff auf die neue Dynastie einbegriffen, doch die unschuldige Isabella wurde dadurch geschützt, daß sich der Haß auf ihre Mutter konzentrierte; und das Volk berauschte sich nicht nur an seiner eigenen Emanzipation, sondern auch an der Isabellas von ihrer Mutter und der Camarilla. 1856 war die Hülle gefallen, und Isabella selbst stellte sich gegen das Volk durch den coup d'etat, der die Revolution provozierte. Sie erwies sich als die würdige, kaltblütig grausame und feigherzig heuchlerische Tochter Ferdinands VII., der so sehr der Lüge verfallen war, daß er ungeachtet seiner Bigotterie niemals - auch nicht mit Hilfe der heiligen Inquisition - zu der Überzeugung gelangen konnte, daß so erhabene Persönlichkeiten wie Jesus Christus und seine Apostel die Wahrheit gesprochen hätten. Selbst Murats Blutbad unter den Madrilenos4 im Jahre 1808[61] verblaßt zu einer unbedeutenden Ausschreitung im Vergleich mit den Metzeleien des 14.-16. Juli, bei deren Anblick die unschuldige Isabella nur gelächelt hat. Diese Tage läuteten dem spanischen Königtum die Totenglocke. Nur die geistesschwachen Legitimisten Europas leben in dem Wahn, daß Don Carlos aufsteigen könne, nachdem Isabella gefallen sei. Sie sind ewig in dem Glauben befangen, daß die letzte Manifestation eines Prinzips nur abstirbt, um seiner ursprünglichen Manifestation neues Leben zu geben.
1 In der „New-York Daily Tribüne": von 1804 bis 1815 - 2 ebenda: 1824 -3 ebenda: 1831 - 4 Madridern
1856 hat die spanische Revolution nicht nur ihren dynastischen, sondern auch ihren militärischen Charakter verloren. Warum die Armee eine so hervorstechende Rolle in spanischen Revolutionen spielte, läßt sich in sehr wenigen Worten sagen. Die althergebrachte Einrichtung der Generalkapitanate, welche die Generalkapitäne zu den Paschas ihrer jeweiligen Provinzen machte[62]; der Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich, der die Armee nicht nur zum Hauptinstrument der nationalen Verteidigung, sondern auch zur ersten revolutionären Organisation und zum Zentrum des revolutionären Handelns in Spanien werden ließ; die Verschwörungen von 1814-18191, die sämtlich von der Armee ausgingen; der dynastische Krieg von 1833-18402, welcher von den Armeen beider Seiten abhing[6"J; die Isolierung der liberalen Bourgeoisie, die sie dazu zwang, die Bajonette der Armee gegen die Geistlichkeit und die Bauernschaft auf dem Lande zu verwenden; die für Christina und die Camarilla zwingende Notwendigkeit, Bajonette gegen die Liberalen zu verwenden, so wie die Liberalen Bajonette gegen die Bauern verwendet hatten; die Tradition, die aus all diesen Präzedenzfällen erwuchs; - dies waren die Ursachen, welche der Revolution in Spanien einen militärischen und der Armee einen prätorianischen Charakter verliehen. Bis 1854 hatte die Revolution ihren Ursprung immer in der Armee gehabt, und ihre verschiedenartigen Ausdrucksformen boten bis zu dieser Zeit kein sichtbares Unterscheidungsmerkmal außer der Rangstufe in der Armee, wo sie entstanden. Selbst 1854 ging der erste Anstoß noch von der Armee aus, doch bezeugt das Manifest O'Donnells zu Manzanares[64], wie schwach die Basis des militärischen Übergewichts in der spanischen Revolution geworden war. Unter welchen Bedingungen wurde es O'Donnell schließlich gestattet, seinen kaum zweideutigen Spaziergang von Vicalvaro zur portugiesischen Grenze aufzuhalten und die Armee nach Madrid zurückzuführen? Nur nach dem Versprechen, sie unverzüglich zu reduzieren, sie durch die Nationalgarde zu ersetzen und nicht zuzulassen, daß die Generale die Früchte der Revolution untereinander aufteilen. Wenn die Revolution von 1854 sich also darauf beschränkte, ihr Mißtrauen zum Ausdruck zu bringen, so mußte sie nur zwei Jahre später erleben, daß sie offen und direkt von dieser Armee angegriffen wird - einer Armee, die nun würdig an die Seite der Kroaten Radetzkys, der Afrikaner Bonapartes und der Pommern Wrangeis getreten istE65]. Wie sehr die spanische Armee die Herrlichkeit ihrer neuen Position abzuschätzen weiß, wird durch die Rebellion eines Regiments am 29. Juli in Madrid bewiesen, welches, mit den Zigarren Isabellas noch nicht zufriedengestellt, für die
1 In der „New-York Daily Tribüne": 1815-18 - 2 ebenda: 1831-41
Fünf-Francs-Stücke und Würste Bonapartes1661 streikte und sie dann auch bekam. Diesmal ist nun die Armee gänzlich gegen das Volk gewesen, oder, genauer, sie hat nur gegen das Volk und die Nationalgarde gekämpft. Kurz, die revolutionäre Sendung der spanischen Armee ist zu Ende. Der Mann, in dem sich der militärische, der dynastische und der bürgerlich-liberale Charakter der spanischen Revolution konzentrierte - Espartero dieser Mann ist sogar noch tiefer gesunken als seine intimsten connoisseurs1 nach dem gewöhnlichen Gesetz des Schicksals voraussehen konnten. Wenn, wie allgemein das Gerücht umgeht und wie es sehr wahrscheinlich ist, die Espartero-Anhänger vorhaben, sich unter O'Donnell zu sammeln, werden sie ihren Selbstmord durch einen eigenen offiziellen Akt bestätigt haben. Ihn aber werden sie nicht retten. Die nächste europäische Revolution wird Spanien zur Zusammenarbeit mit ihr gereift finden. Die Jahre 1854 und 1856 waren Übergangsphasen, die das Land zu durchlaufen hatte, um zu dieser Reife zu gelangen.
Geschrieben Anfang August 1856. Aus dem Englischen. ,
1 Kenner
Karl Marx [Die Wirtschaftskrise in Europa]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4828 vom 9. Oktober 1856, Leitartikel] Was die gegenwärtige Periode der Spekulation in Europa kennzeichnet, ist die Allgemeinheit des Fiebers. Auch früher hat es Spekulationsfieber gegeben - um Getreide, Eisenbahnen, Bergwerke, Banken und Baumwollspinnereien - kurz, Spekulationsfieber jeder möglichen Art. Doch wenn auch während der großen Handelskrisen von 1817, 1825, 1836, 1847/48 jeder Zweig der Industrie und des Handels betroffen war, eine Manie herrschte vor, die jeder Zeit ihren bestimmten Charakter verlieh. Obgleich alle Zweige der Wirtschaft vom Geist der Spekulation durchdrungen waren, beschränkte sich doch jeder Spekulant auf sieine Branche. Hingegen ist das herrschende Prinzip des Credit mobiiier, des Trägers der gegenwärtigen Manie, nicht die Spekulation auf einem gegebenen Gebiet, sondern die Spekulation an sich und die allgemeine Ausbreitung des Schwindels in dem gleichen Maße, wie ihn die Gesellschaft zentralisiert. Außerdem zeigen Ursprung und Wachstum der gegenwärtigen Manie einen weiteren Unterschied; sie begann nicht in England, sondern in Frankreich. Die französischen Spekulanten der Gegenwart stehen in gleicher Beziehung zu den englischen Spekulanten der obenerwähnten Jahre, wie die französischen Deisten des achtzehnten Jahrhunderts zu den englischen Deisten des siebzehnten Jahrhunderts. Die einen lieferten das Material, während die anderen die verallgemeinernde Form schufen, wodurch die Verbreitung des Deismus in der gesamten zivilisierten Welt des achtzehnten Jahrhunderts ermöglicht wurde. Die Briten sind geneigt, sich dazu zu beglückwünschen, daß sich der Brennpunkt der Spekulation von ihrer freien und nüchternen Insel auf den chaotischen, von Despoten beherrschten Kontinent verlaigert hat; aber sie vergessen dann, mit welch großer Unruhe sie den monatlichen Bericht der Bank von Frankreich verfolgen, da er den
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
Edelmetallvorrat im Allerheiligsten der Bank von England beeinflußt; sie vergessen, daß es großenteils englisches Kapital ist, das die Schlagadern der europäischen Credits mobiliers mit dem himmlischen Naß füllt; sie vergessen, daß die „gesunde" Überschacherei und Überproduktion in England, die sie jetzt wegen der erzielten Exportziffer von annähernd 110000000Pfd.St. lobpreisen, das direkte Ergebnis der „ungesunden" Spekulation ist, die sie auf dem Kontinent anprangern, so wie ihre liberale Politik von 1854 und 1856 das Ergebnis des coup d'etat Von Bonaparte ist. Es kann jedoch nicht in Abrede gestellt werden, daß sie unschuldig sind am Ausbrüten dieser seltsamen Mischung von kaiserlichem Sozialismus, saint-simonistischer Aktienspekulation und philosophischem Schwindel, woraus sich zusammensetzt, was Credit mobilier genannt wird. In schroffem Gegensatz zu dieser kontinentalen Raffinesse ist die englische Spekulation zu ihrer plumpesten und primitivsten Form des Betrugs zurückgekehrt, zum nackten, ungeschminkten und durch nichts gemilderten Betrug. Betrug war das Geheimnis von Paul, Strahan& Bates, der Tipperary Bank Sadleirsehen Angedenkens, der großen City-Unternehmen von Cole, Davidson & Gordon; und Betrug ist die traurige, aber simple Geschichte der Londoner Royal British Bank. Für eine Gruppe von Direktoren bedarf es keiner besonderen Raffinesse, um das Kapital einer Gesellschaft zu verschlingen, solange sie ihre Aktionäre durch hohe Dividende ermuntern und Deponenten und neue Aktionäre durch betrügerische Berichte anziehen. Dazu braucht man nichts weiter als die Kenntnis der englischen Gesetze. Der Fall der Royal British Bank hat eine Sensation hervorgerufen, nicht so sehr wegen des Kapitals, sondern wegen der darein verwickelten Anzahl kleiner Leute sowohl unter den Aktionären als auch unter den Deponenten. Die Arbeitsteilung in diesem Unternehmen scheint tatsächlich überaus einfach gewesen zu sein. Es gab zwei Gruppen von Direktoren: die einen begnügten sich damit, ihr Gehalt von 10 000Dollar jährlich dafür einzustreichen, daß sie nichts von den Angelegenheiten der Bank wußten und ihr Gewissen rein hielten, die anderen waren versessen auf die tatsächliche Leitung der Bank, doch nur, um ihre ersten Kunden oder, besser gesagt, Räuber zu sein. Da die letztere Gruppe in bezug auf Gefälligkeitsanleihen vom Geschäftsführer abhängig ist, beginnt sie sofort damit, dem Geschäftsführer zu gestatten, sich selbst Gefälligkeiten zu erweisen. Neben dem Geschäftsführer müssen sie den Rechnungsprüfer und den Anwalt der Kompanie ins Geheimnis ziehen, die deshalb Bestechungsgelder in Form von Darlehen erhalten. Außer den Darlehen, die sie sich und auf den Namen ihrer Verwandten gegeben haben, setzen die Direktoren und der Geschäftsführer weiterhin eine Anzahl Strohmänner ein, aüf deren Namen sie weitere
Darlehen einstecken. Gegenwärtig beträgt das gesamte eingezahlte Kapital 150000 Pfd.St., von denen 121 840Pfd. St. direkt und indirekt Von den Direktoren geschluckt wurden. Der Gründer der Kompanie, Herr MacGregor, Mitglied des Parlaments für Glasgow, der berühmte Verfasser statistischer Arbeiten[67], schuldete der Kompanie 7362 Pfd. St.; ein anderer Direktor, Herr Humphrey Brown aus Tewkesbury, Mitglied des Parlaments, der die Bank zur Zahlung seiner Wahlausgaben ausnutzte, übernahm ihr gegenüber einmal eine Verbindlichkeit von 70000 Pfd. St. und scheint ihr noch einen Betrag von 50000 Pfd. St. schuldig zu sein. Der Geschäftsführer, Herr Gameron, hatte Darlehen in Höhe von 30000 Pfund. Seit Beginn ihrer Tätigkeit hat die Bank jedes Jahr 50000 Pfd. St. verloren, und doch beglückwünschten die Direktoren die Aktionäre jedes Jahr zu ihrem Wohlstand. Dividende von sechs Prozent wurden vierteljährlich gezahlt, obwohl die Aktionäre laut Erklärung des offiziellen Rechnungsführers, Herrn Goleman, überhaupt keine Dividende hätten erhalten dürfen. Allein im vergangenen Sommer wurden den Aktionären gefälschte Konten in Höhe von über 370000 Pfd. St. vorgelegt, wobei die an MacGregor, Humphrey Brown, Cameron & Co. gegebenen Darlehen unter der undefinierbaren Rubrik konvertierbare Obligationen erschienen. Als die Bank gänzlich zahlungsunfähig war, wurden neue Aktien ausgegeben, zusammen mit begeisterten Berichten über ihre Fortschritte und einem Vertrauensvotum für die Direktoren. Diese Ausgabe neuer Aktien wurde keineswegs als verzweifeltes Mittel zur Erleichterung der Lage der Bank betrachtet, sondern einfach als Erschließung einer neuen Quelle für die Betrügereien der Direktoren. Obwohl die Statuten der Bank den Handel mit eigenen Aktien untersagten, hatte es offenbar zur ständigen Praxis gehört, ihr zur Sicherheit immer dann die eigenen Aktien aufzubürden, sobald sie in den Händen der Direktoren entwertet worden waren. Darüber, wie der „ehrliche Teil" der Direktoren angeblich betrogen worden war, berichtete einer von ihnen, Herr Owen, auf einer Aktionärsversammlung folgendes:
„Als alle Vorbereitungen zur Eröffnung dieses Unternehmens getroffen worden waren, wurde Herr Cameron zu unserem Geschäftsführer ernannt, und wir stellten bald fest, welches Unheil es ist, einen Geschäftsführer zu haben, der noch nie zuvor Verbindung mit irgendeiner Bank in London gehabt hatte. Durch diesen Umstand ergaben sich eine Reihe von Schwierigkeiten. Ich will darlegen, was sich vor zwei Jahren und einigen Monaten ereignete, als ich aus der Bank austrat. Noch kurz vor dieser Zeit wußte ich nicht, daß es auch nur einen einzigen Aktionär gab, der der Bank einen Betrag von 10 000Pfd. St. aus Diskont- oder Darlehensgeschäften schuldete. Einmal kamen mir Gerüchte über einige Beschwerden zu Ohren, daß bei einem von
ihnen eine große Summe auf Wechselkonto fällig sei, und ich erkundigte mich bei einem der Buchhalter danach. Man antwortete mir, daß ich nichts mehr iriit der Bank zu tun hätte, sobald ich die Tür zum Geschäftszimmer hinter mir schlösse. Herr Cameron sagte, kein Direktor dürfe seine eigenen Wechsel zum Diskontieren vor den Aufsichtsrat bringen. Er erklärte, daß solche Wechsel dem Hauptgeschäftsführer vorgelegt werden müßten, denn wenn sie vor den Aufsichtsrat gebracht würden, mache kein Geschäftsmann von Rang mehr Geschäfte mit uns. In dieser Unkenntnis befand ich mich, bis Herr Cameron einmal so ernsthaft erkrankte, daß man keine Genesung mehr erwartete. Wegen seiner Krankheit stellten der Vorsitzende und einige der anderen Direktoren einige Untersuchungen an, die uns enthüllten, daß Herr Cameron ein Buch mit einem Privatschlüssel besaß, das wir noch nie gesehen hatten. Als der Vorsitzende dieses Buch öffnete, waren wir alle außerordentlich bestürzt." Um Herrn Cameron gerecht zu werden, muß man sagen, daß er, ohne die Folgen dieser Enthüllungen abzuwarten, mit großer Klugheit und Schnelligkeit seinem englischen Vaterland den Rücken kehrte. Eine der ungewöhnlichsten und bezeichnendsten Transaktionen der Royal British Bank war ihre Verbindung mit einigen Eisenwerken in Wales. Zu einer Zeit, da das eingezahlte Kapital der Kompanie sich auf nur 50000 Pfd. St. belief, erreichten allein die diesen Eisenwerken gegebenen Darlehen die Summe von 70000-80000 Pfd. St. Als sich anfangs die Kompanie dieses Eisenunternehmens bemächtigte, war es nicht betriebsfähig. Nachdem es durch eine Kapitalanlage von etwa 50000 Pfd. St. betriebsfähig geworden war, befand sich das Eigentum in den Händen eines gewissen Herrn Clarke, der es, nachdem er es „einige Zeit" ausgebeutet hatte, an die Bank wieder losschlug; dabei „verlieh er seiner Überzeugung Ausdruck, daß er ein großes Vermögen aufgäbe", hinterließ aber der Bank eine zusätzliche Schuld von 20000 Pfd. St. auf dieses „Eigentum". Auf diese Weise entglitt dieses Unternehmen den Händen der Bank immer dann, wenn die Erzielung von Profiten wahrscheinlich zu sein schien, und kam immer dann zur Bank zurück, wenn neue Darlehen benötigt wurden. Dieses Spiel versuchten die Direktoren selbst im letzten Moment ihrer Geständnisse fortzusetzen, indem sie nach wie vor auf die Gewinnmöglichkeiten aus diesen Werken hinwiesen, die ihren Worten nach jährlich 16000 Pfd. St. einbringen könnten; dabei vergaßen sie, daß die Werke während des Bestehens der Kompanie die Aktionäre jährlich 17742 Pfd. St. gekostet haben. Die Affären der Kompanie sollen jetzt Vor dem Court of Chancery'681 aufgerollt werden. Doch ehe das geschehen kann, werden alle Spekulationsgeschäfte der Royal British Bank in den Fluten der allgemeinen europäischen Krise untergegangen sein. Geschrieben um den 26. September 1856. Aus dem Englischen.
Karl Marx Die Geldkrise in Europa
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4833 vom 15. Oktober 1856] London, 3. Oktober 1856 Die allgemeine Handelskrise, die in Europa etwa im Herbst 1847 auftrat und bis zum Frühling 1848 anhielt, wurde durch eine Panik auf dem Londoner Geldmarkt eingeleitet, die in den letzten Tagen des April begann und am 4. Mai 1847 ihren Höhepunkt erreichte. In jenen Tagein kamen alle Geldgeschäfte völlig zum Erliegen; doch vom 4.Mai an ließ der Druck nach, und Kaufleute und Journalisten beglückwünschten sich zu dem rein zufälligen und vorübergehenden Charakter der Panik. Wenige Monate darauf brach die kommerzielle und industrielle Krise aus, für die die Geldpanik nur das Anzeichen und der Vorbote gewesen war. Auf den europäischen Geldmärkten ist jetzt eine der Panik von 1847 ähnliche Bewegung festzustellen. Die Ähnlichkeit ist jedoch nicht vollkommen. Anstatt sich wie die Panik von 1847 von Westen nach Osten - von London über Paris nach Berlin und Wien - zu bewegen, breitet sich die jetzige Panik von Osten nach Westen aus; sie hatte ihren Ausgangspunkt in Deutschland, breitete sich von dort nach Paris aus und erreichte schließlich London. Infolge ihres langsamen Fortschreitens nahm damals die Panik örtlichen Charakter an; jetzt tritt sie infolge der Schnelligkeit ihrer Ausbreitung sofort in ihrem allgemeinen Charakter auf. Damals währte sie so etwa eine Woche; jetzt dauert sie bereits drei Wochen. Damals gab es wenige, die in ihr den Vorboten einer generellen Krise vermuteten; heute bezweifelt das niemand außer jenen Engländern, die sich einbilden, Geschichte zu machen, wenn sie die „Times" lesen. Damals fürchteten die weitsichtigsten Politiker eine Wiederholung der Krisen von 1825 und 1836; heute sind sie davon über
zeugt, daß sie eine erweiterte Auflage nicht nur der Krise von 1847, sondern auch der Revolutionen von 1848 vor sich haben. Die Besorgnis der oberen Klassen Europas ist so groß wie ihre Enttäuschung. Da seit Mitte 1849 alles ganz nach ihren Wünschen ging, war der Krieg1 bisher die einzige Wolke an ihrem sozialen Horizont. Jetzt, nachdem der Krieg beendet ist oder für beendet gehalten wird, machen sie überall die gleiche Entdeckung wie die Engländer nach der Schlacht von Waterloo und dem Frieden von 1815, als die Schlachtenbulletins durch Berichte über die landwirtschaftliche und industrielle Notlage ersetzt wurden. In der Absicht, ihr Eigentum zu retten, taten sie alles, was in ihren Kräften stand, um die Revolution niederzuwerfen und die Massen zu unterdrücken. Jetzt stellen sie fest, daß sie selbst die Werkzeuge einer Revolution der Eigentumsverhältnisse waren, die größer ist als jene, die die Revolutionäre von 1848 im Auge hatten. Sie sehen einem allgemeinen Bankrott entgegen, der, wie sie wissen, mit dem Abrechnungstag der großen Pfandleihe in Paris zusammenfallen muß; und während die Engländer nach 1815, als Castlereagh, „der Mann des strengen Pfades der Pflicht", sich selbst den Hals durchschnitt, zu ihrer Überraschung feststellten, daß er Verrückt gewesen war, so beginnen sich die Börsenspekulanten Europas bereits zu fragen, ehe der Kopf Bonäpartes herunter ist, ob er 'jemals geistig normal gewesen ist. Sie wissen, daß alle Märkte mit Importen übersättigt sind, daß alle Schichten der besitzenden Klassen, selbst jene, die vorher noch nicht angesteckt waren, in den Wirbel des Spekulationsfiebers hineingezogen worden sind, daß ihm kein europäisches Land entronnen ist und daß die Forderungen der Regierungen an ihre Steuerzahler bis zum letzten artgespannt worden sind. 1848 trugen die Ereignisse, die unmittelbar die Revolution hervorriefen, rein politischen Charakter, wie die Reformbankette in Frankreich, der Sonderbundskrieg in der Schweiz, die Debatten des Vereinigten Landtages in Berlin, die spanischen Heiraten, die schleswig-holsteinischen Wirren1691, etc., und als die Soldaten der Revolution, die Arbeiter von Paris, die Revolution von 1848 als soziale Revolution proklamierten, waren deren Generale ebenso verblüfft wie die ganze übrige Welt. Jetzt hingegen wird eine soziale Revolution allgemein als selbstverständlich angenommen noch ehe die politische Revolution proklamiert wird; und zwar eine soziale Revolution, die nicht durch unterirdische Verschwörungen der Geheimgesellschaften unter den Arbeitern hervorgerufen wird, sondern durch die offenkundigen Machenschaften der Credits mobiliers der herrschenden Klassen. Deshalb wird die Besorgnis der oberen Klassen
1 Krimkrieg
Europas durch die Überzeugung vergällt, daß gerade ihre Siege über die Revolution nur dazu gedient haben, die materiellen Bedingungen im Jähre 1857 für die ideellen Tendenzen von 1.848 zu schaffen. Demnach erweist sich die ganze Periode seit Mitte 1849 bis heute nur als ein Aufschub, den die Geschichte der alten europäischen Gesellschaft gewährt hat, um ihr eine letzte konzentrierte Entfaltung all ihrer Tendenzen zu ermöglichen. In der Politik die Anbetung des Schwertes, in der Moral die allgemeine Korruption und heuchlerische Rückkehr zu überlebtem Aberglauben, in der politischen Ökonomie die Sucht, reich zu werden ohne Aufwand an Arbeit - das waren die Tendenzen, die jene Gesellschaft während ihrer konterrevolutionären Orgien von 1849 bis 1856 offenbarte. Wenn wir andererseits die Wirkung dieser kurzen Geldpanik mit der Wirkung der Proklamationen Mazzinis und anderer vergleichen, wird die ganze Geschichte der Irrtümer der allbekannten Revolutionäre seit 1849 sogleich ihrer Geheimnisse beraubt. Sie wissen nichts vom ökonomischen Leben der Völker, sie wissen nichts von den wirklichen Bedingungen der historischen Entwicklung, und wenn die neue Revolution ausbricht, werden sie ein größeres Recht als Pilatus haben, ihre Hände in Unschuld zu waschen und ihre Unschuld an dem vergossenen Blut zu beteuern. Wir haben gesagt, daß die derzeitige Geldpanik in Europa zuerst in Deutschland auftrat, und auf diesen Umstand haben sich die Blätter Bona-, partes gestürzt, um sein Regime von dem Verdacht reinzuwaschen, daß es auch nur den geringsten Anteil an dem jäfien Ausbruch der Panik gehabt hätte.
„Die Regierung", schreibt der Pariser „Constitutionnel"^70!, „hat sich bemüht, gleich nach Friedensschluß den Unternehmergeist zu zügeln, indem sie mehrere neue Konzessionen aufschob und die Einführung neuer Projekte an der Börse verbot. Leider konnte sie nicht mehr tun; sie konnte nicht alle Auswüchse verhüten. Doch woher kamen diese Auswüchse? Wenn ein Teil auf dem französischen Markt entstanden War, so war das bestimmt der geringere Teil. Im Wetteifer handelten unsere Eisenbahngesellschafteri vielleicht zu übereilt bei der Ausgabe von Bons, deren Erlös zum Ausbau der Nebenlinien bestimmt war. Dadurch wären jedoch keine Schwierigkeiten entstanden, wenn nicht die Vielzahl ausländischer Unternehmen plötzlich ins Kraut geschossen wäre. Vor allen Dingen stürzte sich Deutschland, das nicht am Kriege teilgenommen hatte, rücksichtslos auf «die möglichen Projekte. Da es selbst nicht über genügend Ressourcen verfügte, Wandte es sich an die Ressourcen Frankreichs, und da ihm der offizielle Markt verschlossen war, öffneten unsere Spekulanten ihm die Winkelbörse. Deshalb wurde Frankreich zum Mittelpunkt kosmopolitischer Projekte, die fremden Ländern die Möglichkeit der Bereicherung auf Kosten nationaler Interessen boten. Kapital wurde folglich knapp auf unserem Markt, und unsere Wertpapiere, die
weniger Käufer fanden, erlitten eine solche Entwertung, die angesichts so vieler Elemente des Reichtums und der Prosperität die Öffentlichkeit in Erstaunen versetzt." Nachdem wir dieses Beispiel offiziellen kaiserlichen Unsinns über die Ursachen der europäischen Panik gebracht haben, können wir auch ein Beispiel über die Art der unter Bonaparte geduldeten Opposition nicht vorenthalten. „Die Existenz einer Krise", schreibt die „Assemblee nationale"!71], „kann verneint werden, doch müssen wir annehmen, daß die Prosperität etwas im Sinken begriffen ist, wenn wir das kürzliche Sinken der Einnahmen unserer Eisenbahnen, das Zurückgehen der Bankdarlehen auf Handelswechsel und das Sinken der in den ersten sieben Monaten dieses Jahres erhobenen Exportzölle um fünfundzwanzig Millionen Francs in Erwägung ziehen." In Deutschland haben also alle aktiven Elemente der Bourgeoisie seit der Konterrevolution von 1849 ihre Tatkraft auf kommerzielle und industrielle Unternehmungen gerichtet, so wie der denkende Teil der Nation das Philosophieren zugunsten der Naturwissenschaften aufgegeben hat. Die im Krieg neutral gebliebenen Deutschen haben um so viel mehr Kapital akkumuliert, als ihre französischen Nachbarn in den Krieg hineingesteckt haben. Der französische Credit mobilier, der diese Lage bei den Deutschen mit ihrer rasch fortschreitenden Industrie und Kapitalakkumulation feststellte, ließ sich herab, sie als geeignetes Objekt für seine Operationen zu beachten; denn das passive Bündnis zwischen Bonaparte und Österreich hatte seine Aufmerksamkeit bereits auf die unerforschten Gebiete Österreichs, Ungarns und Italiens gelenkt. Doch obwohl der Credit mobilier das Beispiel zur Spekulation gegeben und in Deutschland die Initiative dazu ergriffen hatte, war er selbst erschrocken über das unerwartete Inskrautschießen von Spekulationsunternehmen und Kreditinstitutionen, die auf seinen Anstoß hin entstanden waren. Die Deutschen von 1855/1856 erhielten die Schwindelstatuten der französischen Credits mobiliers genauso fix und fertig wie die Deutschen von 1831 die politischen Verfassungen Frankreichs erhalten hatten[72]. So konnte ein Franzose des siebzehnten Jahrhunderts mit Erstaunen sehen, wie der Hof Ludwigs XIV. auf der anderen Seite des Rheins hundertfach großartiger wiedererstand; und so waren die Franzosen des letzten Jahrzehnts überrascht, in Deutschland zweiundsechzig Nationalversammlungen zu sehen, wo sie mit soviel Mühe eine zustande gebracht hatten. Deutschland ist bei alledem kein Land der Dezentralisation, nur ist die Zentralisation selbst dezentralisiert, so daß statt einem sehr viele Zentren existieren. Solch ein Land war daher recht geeignet, in kürzester Frist und in
jeder Richtung die ihm vom Credit mobiiier beigebrachten Machenschaften zu entwickeln, genauso wie Pariser Moden in Deutschland sich eher ausbreiten als in Frankreich. Das ist die unmittelbare Ursache dafür, daß die Panik zuerst und am weitesten verbreitet in Deutschland ausgebrochen ist. In einem künftigen Artikel werden wir die Geschichte der Panik selbst sowie ihre unmittelbaren Ursachen darlegen.
Aus dem Englischen.
Karl Marx [Die Ursachen der Geldkrise in Europa]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4843 vom 27. Oktober 1856, Leitartikel] Die Geldkrise in Deutschland, die etwa Mitte September dieses Jahres begann, erreichte am 26. September ihren Höhepunkt und ließ von da an allmählich nach, wie die Geldpanik in England von 1847, die erstmalig Ende April auftrat und nach dem 4.Mai, wo sie ihren Höhepunkt erreicht hatte, allmählich abebbte. Damals legten die Verluste, die einige führende Handelshäuser in London wegen Zahlungsaufschub während der Panik erlitten, den unmittelbaren Grundstein für den vollständigen Bankrott, in den sie einige Monate später hineingezogen wurden. In Deutschland wird man bald von ähnlichen Ergebnissen erfahren, da der Panik nicht der Mangel an Umlaufmitteln zugrunde lag, sondern eine Disproportion zwischen dem disponiblen Kapital und der ungeheuren Anzahl der damals bestehenden industriellen, kommerziellen und spekulativen Unternehmen. Die Erhöhung des Diskontosatzes durch die verschiedenen Regierungs-, Aktien- und Privatbanken war das Mittel, mit dem die Panik vorübergehend eingedämmt wurde; einige erhöhten ihren Diskontosatz auf 6 Prozent, andere sogar auf 9 Prozent. Durch diese Erhöhung des Diskontosatzes wurde der Abfluß von Edelmetallen gestoppt, die Einfuhr ausländischer Produkte gelähmt, ausländisches Kapital mit dem Köder hoher Zinsen angelockt, und Außenstände wurden eingefordert. Der französische Credit mobiiier, der einen Monat vorher seine vertraglich festgelegten Raten auf die deutschen Elisenbahnen in Gefälligkeitswechseln bezahlt hatte, mußte bar bezahlen, und überhaupt sah sich Frankreich gezwungen, die damalige Importbilanz für Getreide und Nahrungsmittel mit klingender Münze abzutragen. Somit schlug die Geldpanik in Deutschland auf Frankreich zurück, wo sie sofort einen bedrohlicheren Aspekt annahm. Die den Spuren der deutschen Banken folgende Bank von
Frankreich erhöhte ihren Diskontosatz auf 6 Prozent, ein Vorgehen, das am 30. September dazu führte, daß sie sich mit der Bitte um eine Anleihe von mehr als einer Million Pfd. St. an die Bank von England wandte. Infolgedessen erhöhte die Bank von England am 1 .Oktober ihren Diskontosatz auf 5 Prozent, ohne selbst auf das übliche Donnerstags-^parlor"1 zu warten, ein seit der Geldpanik von 1847 noch nicht dagewesener Fall. Ungeachtet dieser Zinserhöhung floß weiterhin Gold in Höhe von 40000 Pfd. St. pro Tag aus den Gewölben der Threadneedle Street[73], während die Bank von Frankreich sich täglich von etwa 6000000 Francs in gemünztem Geld trennen mußte, wobei die Münze nur 3000000 ausgab, davon nur etwa 120000 Francs in Silber. Um dem Einfluß der Bank von Frankreich auf den Metallvorrat der Bank von England zu begegnen, erhöhte diese etwa eine Woche später erneut ihren Diskont auf 6 Prozent für Wechsel von 60 Tagen und auf 7 Prozent für langfristigere Wechsel. Die Bank von Frankreich gab als Antwort auf diese Höflichkeit am 6. Oktober einen neuen Ukas heraus, wonach sie sich weigerte, Wechsel von mehr als 60 Tagen zu diskontieren, und erklärte, daß sie nicht mehr als 40 Prozent auf fundiertes Vermögen und 20 Prozent auf Eisenbahnaktien vorschieße und nur für einen Monat. Trotz dieser Maßnahmen konnte die Bank von England jedoch den Edelrhetallabflüß nach Frankreich ebensowenig aufhalten, wie die Bank von Frankreich die Panik in Paris eindämmen oder den Strom von Metallgeld nach anderen Teilen des Kontinents einschränken konnte. Ein Beweis für die Heftigkeit der Panik in Frankreich ist das Fallen der Aktien des Credit mobilier von 1680 Francs (Notierung vom 29.Sept.) auf 1465 Francs (6.Okt.), d.h. um 215 Francs innerhalb von acht Tagen, und selbst bei äußersten Anstrengungen war es unmöglich gewesen, davon mehr als 15 Francs bis zum 9. Oktober zurückzugewinnen. Es ist unnötig zu erwähnen, daß die Staatspapiere auch entsprechend fielen. Nach den hochtrabenden Versicherungen des Herrn Isaac Pereire, des großen Gründers des Credit mobilier, daß das französische Kapital besonderen kosmopolitischen Charakter besäße, gibt es kaum etwas Lächerlicheres als die Klagelieder der Franzosen über das Abwandern ihres Kapitals nach Deutschland. Inmitten dieser ganzen Verwirrung braute der große Zaubermeister Frankreichs, Napoleon III., seih Allheilmittel zusammen. Er verbot der Presse, von der Finanzkrise zu berichten; er gab den Geldwechslern durch Gendarmen zu verstehen, daß es ratsam wäre, die Anzeige des Agios auf Silber aus ihren Schaufenstern zu entfernen; und schließlich ließ er von seinem eigenen Finanzminister am 7.Oktober in
1 Direlctorenzimmer (bei Geschäftshäusern und Banken) hier: Direktorenkonferenz
seinem „Möniteur" einen an ihn selbst gerichteten Bericht veröffentlichen, in dem behauptet wird, daß alles in Ordnung und nur die Einschätzung der Dinge durch das Volk falsch sei. Unglücklicherweise platzt zwei Tage später der Gouverneur der Bank von Frankreich mit folgenden charakteristischen Angaben in seinem Monatsbericht heraus: Okt. Sept. (in frs.) (in frs.) Bargeld in der Kasse .. 77 062 910 113 126 401 Bargeld in den Filialen 89 407 036 122 676 090 diskontierte Wechsel 271 955 426 221 308 498 Wechsel in den Fiiialbanken 239 623 602 217 829 320 Agio auf Gold und Silber 2 128 594 1 496 313
Mit anderen Worten, das verfügbare Bargeld hatte sich in einem Monat um 69332 545 Francs verringert, die diskontierten Wechsel waren um 72441210 Francs angestiegen * während das Agio beim Kauf von Gold oder Silber die Zahlen für September um 632 281 Francs überschreitet. Leider ist es auch Tatsache, daß das Horten von Edelmetallen bei den Franzosen unerhört um sich greift, und daß die Gerüchte über eine Einstellung der Barzahlungen an der Bank täglich Boden gewinnen. Es erweist sich, daß die Einmischung Napoleons in die Angelegenheiten des Geldmarktes ebenso wirksam ist wie etwa seine Einwirkung auf die Fiuten der Loire in den überschwemmten Bezirken1741. Die gegenwärtige Krise in Europa wird durch die Tatsache kompliziert, daß ein Edelmetallabfluß - der übliche Vorbote kommerzieller Erschütterungen - mit einer Entwertung des Goldes im Vergleich zu Silber verknüpft ist. Unabhängig von jedem anderen kommerziellen und industriellen Faktor müßte diese Entwertung solche Länder, in denen eine Doppelwährung existiert und Gold wie Silber in einem durch Gesetz festgelegten, doch durch ökonomische Tatsachen als falsch erwiesenen Verhältnis in Zahlung genommen v/erden muß, veranlassen,.ihr Silber nach jenen Märkten Zu exportieren, wo Gold der Wertmaßstab ist und der offizielle Silberpreis nicht von seinem Marktpreis abweicht. Da die Lage Englands und Frankreichs entsprechend ist, muß natürlich Silber von Frankreich nach England und Gold von England nach Frankreich fließen, bis dessen Silberwährung durch eine Goldwährung ersetzt wird. Einerseits ist klar, daß iein solches Ersetzen des üblichen Umlaufmittels von zeitweiligen Schwierigkeiten begleitet sein muß, daß man diesen Schwierigkeiten jedoch dadurch begegnen kann, indem man entweder die Goldwährung einführt und Silber aus dem Umlauf nimmt, wie
es auch geschehen ist, oder das Gold außer Kurs setzt und Silber zur alleinigen Währung erklärt, wie in Holland 1851 und in jüngerer Zeit in Belgien. Andererseits ist offensichtlich, daß, wenn kein anderer Faktor wirksam wäre als eine Entwertung von Gold im Vergleich zu Silber, der allgemeine Silberabfluß aus ganz Europa und Amerika sich selber neutralisiert und paralysiert hätte, weil die plötzliche Freisetzung einer solchen Menge Silber und seine Herausnahme aus dem Umlauf ohne ein besonderes Ersatzreservoir seinen Preis im Vergleich zu Gold herabsetzen müßte, da der Marktpreis jeder Ware vorübergehend durch das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bestimmt wird und erst in einem Durchschnitt von Jahren durch die Produktionskosten. Die Außerkurssetzung des Goldes in den holländischen und belgischen Banken konnte nur einen sehr geringen Einfluß auf den Wert des Silbers ausüben, da dies das hauptsächliche Tauschmittel in diesen Ländern gewesen war, und deshalb trug die Änderung eher juristischen als ökonomischen Charakter. Übrigens kann zugestanden werden, daß diese Änderungen einen kleinen Markt für das Silberangebot geöffnet und dadurch in geringem Maße die Schwierigkeiten gemindert haben. In den letzten vier oder fünf Monaten ist das Metallgeld in der österreichischen Nationalbank tatsächlich von 20000000 Dollar auf 43000000 Dollar gestiegen; diese ganze Summe wird in den Bankgewölben gehortet, da Österreich die Barzahlung noch nicht wieder aufgenommen hat. Der größte Teil dieser Zunahme von 23000000 Dollar ist aus Paris und Deutschland für vom Credit mobilier gekaufte Eisenbahnen abgezogen worden. Das ist bestimmt eine der Ursachen für den kürzlichen Abfluß von Silber, doch wäre es falsch, wollte man auf diesen Umstand schauen, als sei er in hohem Grade für die letzten Erscheinungen auf dem Geldmarkt verantwortlich. Man darf nicht vergessen, daß von 1848 bis 1855 durch die Produktion Kaliforniens und Australiens einhundertfünf Millionen Pfd.St. in Gold auf die Geldmärkte der Welt geworfen worden sind, ungeachtet der Ausbeute Rußlands und der anderen alten Liefer quellen. Die optimistischeren Freihändler nehmen an, daß von diesen einhundertfünf Millionen zweiundfünfzig Millionen für die neuzeitliche Ausdehnung des Handels erforderlich waren, und zwar als Umlaufmittel, als Bankreserven, als Goldbarren für den Ausgleich von Zahlungsbilanzen und die Korrektur des Wechselkurses zwischen verschiedenen Ländern, oder als Luxusartikel. Von den anderen dreiundfünfzig Millionen nehmen sie an - und wir glauben, sie irren sich ziemlich -, daß diese Millionen nur einen gleichen Betrag an Silber ersetzt haben, das früher in Amerika und Frankreich in Gebrauch war - zehn Millionen in Amerika und dreiundvierzig Millionen in Frankreich. Wie diese Verschiebung vor sich
gegangen ist, kann man aus dem amtlichen Zollbericht über die Bewegung von Gold und Silber in Frankreich während des Jahres 1855 ersehen:
Goldimport 1855 Silberimport 1855 Barren 11 045 268 Pfd. St. Barren ....... 1 717 459 Pfd. St, Münzen 4306 887 „ „ Münzen 3 121 250 „ „ Insgesamt .. , 15 352 155 Pfd. St. Insgesamt 4 838 709 Pfd. St.
Goldexport 1855 Silberexport 1855 Barren 203 544 Pfd. St. Barren 3 067 229 Pfd. St. Münzen 6 306 060 „ „ Münzen . 9 783 345 „ „ Insgesamt 6 509 604 Pfd. St. Insgesamt 12 850 574 Pfd. St.
Importsaldo, Gold .. 8 842 551 Pfd. St, Exportsaldo, Silber . 8 011 865 Pfd. St.
Niemand kann also behaupten, daß die Freisetzung eines so großen Betrages an Silber (dreiundfünfzig Millionen Pfd. St.) durch die Verschiebung in der Geldzirkulation Frankreichs und Amerikas, oder durch das Horten der Bank von Osterreich, oder durch beides genügend erklärt wird. Es ist zu Recht festgestellt worden, daß die italienischen und levantinischen Händler Silber vor anderem Geld sichtlich bevorzugten, da Silber im Unterschied zu Gold keine Entwertung drohte; daß die Araber große Mengen an Silber erworben und gehortet haben; und schließlich, daß die französischen Getreidehändler, um ihre Einkäufe am Schwarzen und Asowschen Meer zu bezahlen, es vorzogen, aus Frankreich, wo das alte Verhältnis des Silbers zu Gold aufrechterhalten wird, Silber abzuziehen und nicht Gold, dessen Verhältnis zu Silber sich im Süden Rußlands geändert hat. Wenn wir alle diese Ursachen für den Abfluß des Silbers zusammenfassen, können wir die Summe des dadurch erfolgten Abflusses auf nicht mehr als fünfzehn oder sechzehn Millionen Pfd. St. schätzen. Höchst unsinnigerweise führen die Wirtschaftsfachleute in der englischen Presse den Abzug des Silbers infolge des Orientalischen Krieges als eine weitere besondere Ursache für diesen Abfluß an, obgleich sie ihn mit in die allgemeine Einschätzung der durch die gestiegenen
Pfd.St. in Gold einbezogen haben. Sie können natürlich dem Silber nicht das zuschreiben, was sie schon dem Gold zugeschrieben haben. Folglich ist außer all diesen speziellen Einflüssen noch eine größere Kraft am Werk, durch die der Silberabfluß zu erklären ist, und das ist der Handel nach China und Indien, der, merkwürdig genug, auch das Hauptmerkmal der großen Krise von 1847 bildete. Wir werden auf diesen Gegenstand zurückkommen, da es
wichtig ist, die ökonomischen Vorläufer der drohenden Krise in Europa zu studieren. Soviel werden unsere Leser verstehen: was auch immer die zeitweilige Ursache der Geldpanik und des als ihr unmittelbarer Anlaß erscheinenden Edelmetallabflusses sein mag, in .Europa waren alle Elemente des kommerziellen und industriellen Rückschlages herangereift. Und in Frankreich waren sie verstärkt worden durch den Mißerfolg in der Seidenernte, die Ausfälle in der Weinlese, durch die riesigen Getreideimporte, erheischt infolge der partiellen Mißernte von 1855 und der Überschwemmungen von 1856, und schließlich durch den großen Mangel an Wohnhäusern, den in Paris die ökonomischen Machenschaften des Herrn Bonaparte hervorgerufen haben. Uns scheint die bloße Durchsicht des Finanzmanifestes von Herrn Magne, das wir am Sonnabend veröffentlichten, hinreichend den Verdacht zu rechtfertigen, daß trotz des jetzt zusammentretenden zweiten Pariser Kongresses und trotz der Neapelfrage1751 der dritte Napoleon guten Grund haben dürfte, sich zu beglückwünschen, wenn das Jahr 1857 nicht mit schlimmeren Vorzeichen über Frankreich hereinbricht als sie vor einem Jahrzehnt das Jahr 1647 begleiteten.
Geschrieben um den 14. Oktober 1856. Aus dem Englischen.
Karl Marx [Die Geldkrise in Europa Aus der Geschichte der Geldzirkulation]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4848 vom I.November 1856, Leitartikel] Dem letzten Ausweis der Bank von Frankreich haben wir entnommen, daß ihre Metallreserve die niedrige Summe von etwa dreißig Millionen Dollar erreicht hatte, nachdem sie allein im vorigen Monat um fünfundzwanzig Prozent zurückgegangen war.1 Wenn dieser Abfluß anhalten sollte, würden die Reserven der Bank bis Ende des Jahres erschöpft sein und die Bargeldzahlungen eingestellt werden. Um dieser äußersten Gefahr vorzubeugen, sind zwei Maßnahmen ergriffen worden. Einerseits soll die Polizei verhindern, daß Silber für den Export geschmolzen wird, und andererseits hat die Bank von Frankreich beschlossen, ihre Metallreserve unter großen Opfern zu verdoppeln, indem sie mit den Herren Rothschild einen Vertrag über die Lieferung von sechs Millionen Pfd. St. abschließt. Das bedeutet, daß die Bank, um ihr Golddefizit wettzumachen, die Disproportion zwischen den Preisen, zu denen sie Gold einerseits kauft und andererseits verkauft, noch weiter vergrößert. Auf Grund dieses Vertrages wurden am 11.Oktober 50000 Pfd. St. in Gold und am B.Oktober 40000 Pfd. St. von der Bank von England abgehoben, und die „Asia", die gestern hier eintraf, bringt Nachrichten über eine weitere Entnahme von mehr als einer halben Million. Infolgedessen herrschte in London allgemein die Befürchtung, daß die Bank von England durch Erhöhung ihres Diskontosatzes die Schraube wieder anziehen würde, um zu verhüten, daß ihr eigener Fonds nach Frankreich abwandert. Als Vorbereitung dazu hat die Bank jetzt abgelehnt, Darlehen auf alle Arten von Staatspapieren außer Schatzwechsein zu geben.
J Siehe vorl. Band, S. 60
Doch all das Gold, das die Bank von Frankreich in ihre Schatzkammern zu ziehen vermag, wird genau so schnell entweichen wie es hineinfließt - teils als Bezahlung von Auslandsschulden zum Ausgleich der Handelsbilanz, teils, weil es in das Innere Frankreichs abgezogen wird, um das aus dem Umlauf verschwindende Silber zu ersetzen, dessen Hortung natürlich mit der zunehmenden Heftigkeit der Krise Schritt hält, und schließlich für den Bedarf der gewaltigen, in den letzten drei bis vier Jahren errichteten Industrieunternehmen. Die großen Eisenbahngesellschaften zum Beispiel, die zur Fortsetzung ihrer Arbeiten und der Auszahlung ihrer Dividenden und Bonusse mit der Ausgabe neuer Anleihen rechneten, die jetzt unmöglich geworden sind, unternehmen verzweifelte Versuche, das Loch in ihren Kassen zu füllen. So benötigt die Westbahn Frankreichs sechzig Millionen Francs, die Ostbahn vierundzwanzig, die Nordbahn dreißig, die Mittelmeerbahn zwanzig, die Orleans-Bahn vierzig, und so weiter. Man schätzt, daß sich die Gesamtsumme, die alle Eisenbahngesellschaften zusammen brauchen, auf dreihundert Millionen beläuft. Bonaparte, der sich geschmeichelt hatte, die Politik dadurch verdrängt zu haben, daß er das allgemeine Spiel mit dem Gelde aufbrachte, ist nun eifrig bemüht, durch allerlei politische Fragen die Aufmerksamkeit vom Geldmarkt abzulenken, wie durch die Neapelfrage, die Donaufrage, die Bessarabienfrage und die Frage des neuen Pariser Kongresses[76]; doch alles vergeblich. Nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa ist völlig davon überzeugt, daß das Schicksal dessen, was die bonapartistische Dynastie genannt wird, sowie der gegenwärtige Zustand der europäischen Gesellschaft von dem Ausgang der kommerziellen Krise abhängen, von der Paris jetzt den Anfang zu erleben scheint. Wie wir bereits festgestellt haben, gab die plötzliche Erhöhung des Silberpreises im Verhältnis zu Gold den ersten Anlaß zum Ausbruch der Krise.1 Diese Erhöhung kann - ungeachtet der immensen Goldgewinnung in Kalifornien und Australien - nur durch den ständig zunehmenden Silberabfluß aus der westlichen Welt nach Asien und besonders nach Indien und China erklärt werden. Seit Beginn des siebzehnten Jahrhunderts hat Asien, insbesondere China und Indien, niemals aufgehört, einen bedeutenden Einfluß auf die Edelmetallmärkte Europas und Amerikas auszuüben. Da Silber das einzige Austauschmittel in diesen östlichen Ländern ist, wurde der Schatz, mit dem Spanisch-Amerika Europa überschwemmte, teilweise durch den Handel mit dem Osten abgezogen, und der Silberimport aus Amerika nach Europa wurde durch den Silberexport von Europa nach Asien ausgeglichen.
1 Siehe vorl. Band, S. 60-63 5 Marx/Engels Werke, Bd. 12
Freilich fand gleichzeitig ein Goldexport aus Asien nach Europa statt, doch wenn man die von 1840 bis 1850 aus dem Uralgebirge erfolgten Lieferungen außer acht läßt, so war dieser Export zu unbedeutend, um fühlbare Ergebnisse zu haben. Die Silberzirkulation zwischen Asien und dem Westen hatte natürlich ihre aufeinanderfolgenden Perioden von Ebbe und Flut, die von den Schwankungen der Handelsbilanz abhingen. Insgesamt kann man jedoch drei allgemein gekennzeichnete Epochen in der Geschichte dieser weltweiten Bewegung unterscheiden - die erste Epoche beginnt mit dem siebzehnten Jahrhundert und endet etwa 1830, die zweite erstreckt sich von 1831 bis 1848 und die letzte von 1849 bis zur Gegenwart. In der ersten Epoche stieg der Silberexport nach Asien allgemein an; in der zweiten Epoche ließ der Strom nach, bis schließlich eine Gegenströmung einsetzte und Asien erstmalig einen Teil der Schätze, die es fast zweieinhalb Jahrhunderte aufgesogen hatte, nach Europa zurückströmen ließ; in der dritten Epoche, die sich noch in der Aufstiegsphase befindet, hat sich das Blatt wieder gewendet, und die Absorption von Silber durch Asien geht in einem noch nie dagewesenen Ausmaß vor sich. In früheren Zeiten, nach der Entdeckung des Silbers in Amerika, und selbst nach der Gründung des portugiesischen Dominiums in Indien, war der Silberexport aus Europa nach Asien kaum wahrnehmbar. Größere Mengen dieses Metalls wurden gebraucht, als zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts die Holländer, und später auch die Briten, ihren Handel mit Ostasien ausdehnten, besonders aber seit der rapiden Zunahme des Teeverbrauchs in England während des achtzehnten Jahrhunderts, weil die englischen Zahlungen für den chinesischen Tee fast ausschließlich in Silber erfolgten. Im letzten Teil des achtzehnten Jahrhunderts hatte der Silberabfluß aus Europa nach Ostasien einen solchen Umfang angenommen, daß er einen bedeutenden Teil des aus Amerika importierten Silbers absorbierte. Außerdem hatte bereits ein direkter Export aus Amerika nach Asien begonnen, wenn er im großen und ganzen auch auf die von den mexikanischen Acapulco-Flotten nach den Philippinen transportierte Menge beschränkt war. Diese Absorption von Silber durch Asien wurde in den ersten dreißig Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in Europa um so fühlbarer, als die amerikanischen Lieferungen auf Grund der in den spanischen Kolonien ausgebrochenen Revolutionen^71 von über vierzig Millionen Dollar im Jahre 1800 auf weniger als zwanzig Millionen im Jahre 1829 zurückgingen. Andererseits vervierfachte sich von 1796 bis 1825 das aus den Vereinigten Staaten nach Asien verschiffte Silber, während nach 1809 nicht nur Mexiko, sondern
auch Brasilien, Chile und Peru begannen, wenn auch in geringerem Umfang, Silber unmittelbar nach Ostasien zu exportieren. Der Überschuß des aus Europa nach Indien und China importierten Silbers über das von dort exportierte Gold betrug von 1811 bis 1822 mehr als dreißig Millionen Pfd. St. Eine große Veränderung trat während der Epoche ein, die mit 1831 beginnt. Die Ostindische Kompanie war nicht nur gezwungen worden, ihr Monopol auf den Handel zwischen Europa und ihrem östlichen Herrschaftsbereich abzutreten, sondern war auch mit Ausnahme ihrer indisch-chinesischen Monopole als Handelsunternehmen völlig aufgelöst worden.1781 Da der Ostindienhandel somit dem privaten Unternehmergeist überlassen wurde, begann der Export britischer Fertigwaren nach Indien den Import indischer Rohstoffe nach Großbritannien weit zu übersteigen. Deshalb änderte sich die Handelsbilanz immer entschiedener zugunsten Europas, und folglich sank der Silberexport nach Asien rapide ab. Jedes Hindernis, dem der britische Handel auf den anderen Märkten der Welt begegnete, begann jetzt durch seine neue Expansion in Asien kompensiert zu werden. Wenn die kommerzielle Erschütterung von 1825 bereits zu einem Ansteigen britischer Exporte nach Indien geführt hatte, wurde ihnen ein weitaus mächtigerer Auftrieb durch die englisch-amerikanische Krise von 1836 gegeben, während 1847 die britische Krise ihre charakteristischen Züge sogar von dem überzogenen Handel nach Indien und anderen Teilen Asiens erhielt. Die Exporte nach Asien, die 1697 kaum den zweiundfünfzigsten Teil aller britischen Exporte erreicht hatten, betrugen 1822 etwa ein Vierzehntel, 1830 etwa ein Neuntel und 1842 mehr als ein Fünftel. Solange nur Indien und der westliche Teil Asiens von dieser ökonomischen Veränderung betroffen wurden, ließ der Silberabfluß aus Europa nach Asien nach, hörte jedoch nicht auf, und noch weniger wich er einem Rückfluß aus Asien nach Europa. Eine solche entschiedene Wendung erfuhr der Metallumlauf erst, als die englische Menschenfreundlichkeit China einen regulären Opiumhandel aufgezwungen, durch das Feuer der Kanonen die chinesische Mauer umgelegt und das Reich des Himmels gewaltsam für den Verkehr mit der profanen Welt geöffnet hatte. Indem man auf diese Weise an seiner indischen Grenze das Silber abzapfte, wurde China an seiner pazifischen Küste von den Industrieerzeugnissen Englands und Amerikas überschwemmt. So geschah es auch, daß 1842, erstmalig in den Annalen des modernen Handels, große Silberladungen tatsächlich von Asien nach Europa gingen. Dieser völlige Umschwung in der Zirkulation zwischen Asien und dem Westen erwies sich jedoch als nur von kurzer Dauer. Eine gewaltige und zunehmende Gegenwirkung setzte 1849 ein. Wie China den Gezeitenwechsel 5*
in der ersten und zweiten Epoche herbeigeführt hatte, so führte ihn China auch in der dritten herbei. Der chinesische Aufstandt79J gebot nicht nur dem Opiumhandel mit Indien Einhalt, sondern setzte auch dem Kauf ausländischer Industrieerzeugnisse ein Ende, da die Chinesen auf Bezahlung in Silber bestanden und sich des beliebten Mittels orientalischer Ökonomen in Zeiten politischer und sozialer Erschütterung - der Hortung - bedienten. Der Uberschuß chinesischer Lxporte über Importe ist durch die letzten mißratenen Seidenernten in Europa beträchtlich erhöht worden. Nach den Berichten des Herrn Robertson, des britischen Konsuls in Schanghai, ist der Tee-Export aus China in den letzten zehn Jahren um etwa dreiundsechzig Prozent und der von Seide um zweihundertachtzehn Prozent gestiegen, während der Import von Industrieerzeugnissen um Sechsundsechzig Prozent gesunken ist. Er schätzt die durchschnittliche Jahresbilanz des aus allen Teilen der Welt importierten Silbers um 5580000Pfd. St. höher ein als die vor zehn Jahren. Es folgen die genauen Zahlen der Entwicklung chinesischer Exporte und Importe in der Periode von 1849 bis 1856, wobei jedes Jahr mit dem 30. Juni abschließt:
Te&-Exporte Nach Großbritannien und Irland Nach den Vereinigten Staaten Ibs. Iba. 1849 47 242 000 ..18 072 000 1855 86 509 000 31 515 000 1856...... .91 035 000 40 246 000
Seide Nach Großbritannien und Irland Nach Frankreich lbs. Ballen 1849... 17 228 1855 ... v... 51 486 1856 50 489 6 458
Realwert der Exporte von China nach Großbritannien im Jahre 1855 8 746 000 Pfd. St. Realwert der Exporte von China nach den Vereinigten Staaten im Jahre 1855 2 500 000 „ „ Insgesamt 11 246 000 Pfd. St. Abzüglich 20% für Fracht und Kosten 2 249200 „ „ zugunsten Chinas 8 996 800 Pfd. St.
Importe Industrieerzeugnisse aus England 1852 2 503 000 Pfd. St. Industrieerzeugnisse aus England 1855 — .. 1 000 000 „ „ Industrieerzeugnisse aus England 1856 1277000 „ „ Opium und Baumwolle aus Indien 1853 3 830 000 „ „ Opium und Baumwolle aus Indien 1855. — 3 306000 „ „ Opium und Baumwolle aus Indien 1856 3 284000 „ „ Gesamtwert der Importe 1855 4 306 000 Pfd. St. Bilanz zugunsten Chinas 1855 rund 4 690 000 „ „ Wert der chinesischen Exporte nach Indien 1855 1 000 000 „ „ Gesamtbilanz zugunsten Chinas aus allen Teilen der Welt (1855) rund .. 5 690 000 Pfd. St.
Dieser Abfluß von Silber aus Europa nach Asien auf das Konto Chinas wird verstärkt durch den besonderen Abfluß nach Indien, der in den letzten Jahren dadurch entstanden ist, daß die Handelsbilanz sich gegen Europa gekehrt hat, wie aus folgender Tabelle entnommen werden kann:
Britische Importe aus Indien 1856 14 578 000 Pfd. St. Abzüglich 3 000 000Pfd. St. für Remittierungen der Ostindischen Kompanie 3 000 000 w „ Gesamtimporte 11 578 000 Pfd. St. Indische Importe aus Britannien 8 927 000 „ „ Bilanz zugunsten Indiens ......... .... 2 651 000 Pfd. St.
Bis 1825, als eine Verfügung über die ausschließliche Silberwährung erlassen wurde, war Gold ein gesetzliches Zahlungsmittel in Indien. Da Gold einige Jahre später auf den Handelsmärkten höher als Silber bewertet wurde, erklärte die Ostindische Kompanie ihre Bereitschaft, es in Zahlungen an die Regierung anzunehmen. Doch nach den Entdeckungen von Gold in Australien kehrte die Gesellschaft, die eine Abwertung des Goldes ebenso fürchtete wie die holländische Regierung, und nicht das geringste Gefallen an der Aussicht fand, Gold zu erhalten und in Silber zu zahlen, plötzlich zu dem ausschließlichen Silberstandard von 1825 zurück. Dadurch erhielt die Notwendigkeit, die Bilanzschuld an Indien in Silber zu zahlen, höchste Bedeutung, und in Indien entstand eine enorme Nachfrage nach diesem Metall. Da deshalb der Silberpreis im Vergleich zu Gold in Indien rascher als in Europa stieg, fanden es die britischen Kaufleute einträglich, Silber zu Spekulationszwecken nach Indien zu exportieren, wobei sie als Gegenwert indische Rohprodukte nehmen und damit den indischen Exporten einen
weiteren Anreiz geben. Insgesamt wurde allein aus Southampton von 1848 bis 1855 Silber in Höhe von einundzwanzig Millionen Pfd. St. exportiert, dazu eine sehr große Menge aus den Mittelmeerhäfen; man rechnet, daß im laufenden Jahr zehn Millionen von Southampton nach dem Osten gegangen sind. Nach diesen Veränderungen im Indienhandel und dem Charakter der chinesischen Revolution zu urteilen, kann man nicht erwarten, daß der Abfluß von Silber nach Asien schnell zu Ende gehen wird. Es ist also keine vorschnelle Meinung, daß diese chinesische Revolution dazu bestimmt ist, einen weit größeren Einfluß auf Europa auszuüben als alle russischen Kriege, italienischen Manifeste1801 und Geheimgesellschaften dieses Kontinents.
Geschrieben um den 17. Oktober 1856, Aus dem Englischen.
Karl Marx [Der Englisch-Persische Krieg]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4904 vom 7. Januar 1857, Leitartikel] Die Kriegserklärung Englands oder vielmehr der Ostindischen Kompanie an Persien1811 ist die Wiederholung einer jener listigen und rücksichtslosen Tricks der englischen Diplomatie in Asien, durch die England seine Besitzungen auf diesem Kontinent" erweitert hat. Sobald die Kompanie einen habgierigen Blick auf die Besitzungen eines beliebigen unabhängigen Herrschers oder auf ein Gebiet wirft, dessen politische und kommerzielle Hilfsquellen oder dessen Gold und Edelsteine begehrt werden, wird das Opfer beschuldigt, irgendeinen angenommenen oder wirklichen Vertrag verletzt, ein imaginäres Versprechen gebrochen, eine Einschränkungsbestimmung überschritten oder irgendeinen nicht greifbaren Frevel begangen zu haben» und dann wird der Krieg erklärt, und das ewige Unrecht, die stete Gewalt, versinnbildlicht in der Fabel vom Wolf und dem Lamm, wird wieder blutigrot in die englische Geschichte eingetragen. England hat viele Jahre hindurch nach einer Position im Persischen Golf und vor allem nach dem Besitz der Insel Charak getrachtet, die im nördlichen Teil jenes Gewässers gelegen ist. Der berühmte Sir John Malcolm, mehrmals Gesandter in Persien, ließ sich über den Wert jener Insel für England aus und stellte fest, daß sie zu einer der blühendsten Niederlassungen Asiens gemacht werden könnte, da sie in der Nähe von Buschir, Bender Rig, Bassorah, Grien Barberia und EI Katif liege. Demzufolge sind die Insel und Buschir schon in Englands Besitz. Sir John bewertete sie als Mittelpunkt für den Handel der Türkei, Arabiens undPersiens. Das Klima ist ausgezeichnet, und sie hat alle Voraussetzungen, um ein blühender Fleck zu werden. Der Gesandte unterbreitete vor mehr als fünfunddreißig Jahren dem damaligen Generalgouverneur, Lord Minto, seine Beobachtungen, und beide versuchten, den Plan auszuführen. Sir John erhielt in der Tat das Kommando über eine
Expedition zur Einnahme der Insel und war schon aufgebrochen, als er Befehl erhielt, nach Kalkutta zurückzukehren, und Sir Harford Jones wurde in diplomatischer Mission nach Persien geschickt. Während der ersten Belagerung Herats durch Persien 1837/1838 nahm England unter dem gleichen Vorwand wie jetzt - d. h. zur Verteidigung der Afghanen, mit denen es ständig in tödlichem Streit liegt - Charak in Besitz, würde aber durch Umstände, durch die Einmischung Rußlands, gezwungen, seine Beute aufzugeben. Der kürzlich wiederholte und erfolgreiche Angriff Persiens auf Herat bot England eine Gelegenheit, den Schah des Vertrauensbruchs zu beschuldigen und die Insel als Eröffnung der Feindseligkeiten zu nehmen. So hat England ein halbes Jahrhundert ständig, aber sehen mit Erfolg, danach gestrebt, sein Übergewicht im Kabinett der persischen Schahs herzustellen. Diese sind offenbar ihren schmeichelnden Feinden gewachsen und entziehen sich solch verräterischer Umarmung. Abgesehen davon, daß die Perser die englische Handlungsweise in Indien vor Augen haben, denken sie sehr wahrscheinlich an die Warnung, die Feth Ali Schah 1805 erhalten hatte:
„Mißtraue dem Rat einer Nation habgieriger Kaufleute, die in Indien mit dem Leben und den Kronen der Herrscher Geschäfte machen." Set a thief to catch a thief.1 In Teheran, der Hauptstadt Persiens, ist der englische Einfluß sehr gering, denn ungeachtet der dortigen russischen Intrigen, nimmt Frankreich einen prominenten Platz ein, und Persien mag von den drei Flibustiern die britischen am meisten fürchten. Augenblicklich ist eine Gesandtschaft von Persien aus auf dem Weg nach Paris oder hat es schon erreicht, und dort wird höchstwahrscheinlich die persische Komplikation Gegenstand diplomatischer Dispute sein. Frankreich steht in der Tat der Besetzung der Insel im Persischen Golf nicht gleichgültig gegenüber. Das Problem wird durch die Tatsache verschärft, daß Frankreich irgendeine schon begrabene Urkunde wieder ausgegraben hat, wonach ihm Charak schon zweimal von den persischen Schahs zugesprochen worden ist - einmal, weit zurückliegend, 1708 unter Ludwig XIV. und dann 1808 -, bei beiden Gelegenheiten unter bestimmten Bedingungen, das ist wahr, aber in Formulierungen, die genügen, um irgendwelche Rechte bzw. Ansprüche des jetzigen Imitators jener Herrscher, die genügend anti-englisch eingestellt waren, zu begründen. In einer kürzlichen Antwort an das „ Journal des Debats " tritt die Londoner „Times" im Namen Englands jeden Anspruch auf die Führung in euro
1 Setz einen Dieb an, um einen Dieb zu fangen.
päischen Angelegenheiten an Frankreich ab, reserviert aber für die englische Nation die unbestrittene Führung der Angelegenheiten Asiens und Amerikas, in die sich keine andere europäische Macht einmischen soll. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob Louis Bonaparte diese Teilung der Welt akzeptieren wird. Jedenfalls hat die französische Diplomatie in Teheran während der letzten Mißverständnisse England nicht von Herzen unterstützt, und die französische Presse, die die gallischen Ansprüche auf Charak wieder ausgräbt und erörtert, scheint anzuzeigen, daß England es nicht leicht haben wird, Persieri anzugreifen und zu zerstückeln.
Geschrieben am 30. Oktober 1856. Aus dem Englischen.
Karl Marx [Die Wirtschaftskrise in Frankreich]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4866 vom 22. November 1856, Leitartikel] In der Finanzwelt Europas gibt es keinerlei Anzeichen der Beruhigung. Aus der Post, die mit der „Niagara" eingetroffen ist, erfahren wir, daß der Edelmetallabfluß aus London nach dem Kontinent stärker denn je ist, und daß ein Vorschlag, den Diskontosatz noch mehr zu erhöhen, auf einer Direktorenversammlung der Bank von England mit einer Mehrheit von nur einer Stimme abgelehnt worden ist. Es ist unnötig zu sagen, daß die Ursache der Krise immer noch in Frankreich liegt, und die letzte Nummer des „Economist"[82]. die uns erreicht hat. schildert die Lage in durchweg düsteren Farben. „Das Fehlen jeder Besserung", schreibt die Zeitschrift, „ist im Prinzip eine Verschlechterung, und überdies ist leider keine ständige Verbesserung vorauszusehen. Der Unterschied zwischen dem gegenwärtigen Monat und dem entsprechenden des vergangenen Jahres ist fast in jeder Beziehung sehr betrüblich, und dabei war das Land vergangenen Oktober in einen schrecklichen Krieg verwickelt, dessen Ende sehr fern zu sein schien." Durch diese Klage bewogen, haben wir uns die Mühe gemacht, den Stand der Pariser Börse vom Oktober dem Stand des vorangegangenen Monats gegenüberzustellen, und das Ergebnis unserer Untersuchung kann man aus folgender Tabelle ersehen:
30. Sept. 31. Okt. gestiegen gefallen Dreiprozentige Rente 67 frs. 50 cts. 66 frs. 70 cts. - 80 cts. Viereinhalbprozentige Rente.. 90 „ 91 „ 1 fr. Bank von Frankreich 4010 „ 3850 „ - 160 frs. Credit foncier 600 „ 585 „ - 15 „ Credit mobiiier 1552 „ 1372 B - 180 „
Orleans-Bahn 1267 frs. 1241 frs. - 26 frs. Nordbahn 950 „ 941 „ - 9 „ Ostbahn 877 „ 865 „ - 12 „ Paris-Lyon-Bahn 1265 „ 1267 „ 2 frs. Mittelmeerbahn 1750 „ 1652 „ - 98 „ Grand-Central-Bahn ........ 610 „ 603 „ 7 „ In der Zeit vom September bis 31. Oktober fielen die Aktien verschiedener Gesellschaften folgendermaßen: Gas Paris Compagnie 30 frs. Union des Gaz. 35 „ Lits Militaires 27V8 „ Docks Louis-Napoleon ...'..• 8x/a » Compagnie generale maritime 40 „ Palais de 1* Industrie 5 „ Compagnie generale des Omnibus . . 35 „ Messageries Imperiales Serv. marit. 50 „ Man kann sich nichts Geistreicheres vorstellen als die Art, in der die bonapartistischen Blätter von Paris sich bemühen, dieses ständige Absinken der Kurse an der Börse zu erklären. Nehmen wir als Beispiel das Blatt des Herrn Girardin, die „Presse". „Die Spekulation", schreibt diese Zeitung, „wall noch immer nicht von ihren Vorstellungen ablassen, daß die Kurse fallen. Die standigen Schwankungen des Credit mobilier lassen ihre Aktien als so gefährlich erscheinen, daß viele Spekulanten es nicht wagen, sie anzurühren, und isich auf ein Geschäft mit den .primes'1 beschränken, um die Verlustmöglichkeiten von vornherein zu begrenzen." Die strengen Maßnahmen, welche die Bank von Frankreich ergriffen hat, um die Einstellung von Barzahlungen zu verhindern oder zumindest zu verzögern, haben sich ernsthaft auf die Klassen der Industrie und des Handels auszuwirken begonnen. Es tobt jetzt faktisch ein regelrechter Krieg zwischen den bona fide2 Handels- und Industrieunternehmen, den auf Spekulationsbasis bereits betriebenen Aktiengesellschaften und den neuerdings ausgeheckten Gründungsvorhaben; sie kämpfen alle darum, das leihbare Geldkapital des Landes an sich zu reißen. Das unvermeidliche Ergebnis eines solchen Kampfes mußte ein Steigen der Zinsen, ein Sinken der Profite in allen Zweigen der Industrie und eine Entwertung aller Arten von Wertpapieren sein, selbst wenn es keine Bank von Frankreich und keinen Edelmetallabfluß gäbe. Daß sich dieser Druck auf das disponible Kapital Frank
1 .Prämien' - 2 soliden
reichs, abgesehen von allen auswärtigen Einflüssen, verstärken muß, beweist ein Blick auf die Entwicklung des französischen Eisenbahnnetzes zur Genüge. Die Fakten, die wir jetzt unseren Lesern unterbreiten, stammen aus dem „Journal des Chemins de Fer"[83], das, wie die übrige Presse dieses Landes, nur das veröffentlichen darf, was die bonapartistische Regierung gestattet. Im ganzen sind Lizenzen für eine Eisenbahnstrecke von 5584 Meilen erteilt worden, von denen nur 2884 Meilen fertiggestellt und betriebsfähig sind. Folglich verbleiben noch 2700 Meilen, die jetzt oder demnächst gebaut werden sollen. Das ist noch nicht alles. Die Regierung baut Eisenbahnlinien in den Pyrenäen und hat den Bau neuer Linien zwischen Toulouse und Bayonne, Agen undTarbes sowie zwischen Mont-de-Marsan und Trabestans angeordnet, Linien, die sich auf mehr als 900 Meilen erstrecken. Frankreich baut jetzt in der Tat sogar eine größere Zahl von Eisenbahnlinien, als es bereits besitzt. Man schätzt die für das alte Eisenbahnnetz ausgegebene Summe auf 300000000 Dollar; aber damals erstreckte sich ihr Bau auf eine längere Periode - eine Periode, die den Anfang und das Ende von drei Regierungen erlebte -, während die jetzt genehmigten Linien alle spätestens in sechs Jahren fertiggestellt sein und in der kritischsten Phase des Handelszyklus ihren Betrieb aufnehmen sollen. Die in Geldschwierigkeiten geratenen Gesellschaften drängen unablässig die Regierung um Erlaubnis, sich Geld durch neue Emissionen von Aktien und Obligationen zu beschaffen. Die Regierung, die begreift, daß dies eine Genehmigung zur weiteren Entwertung der auf dem Markt befindlichen Wertpapiere und damit vermehrte Störungen an der Börse bedeuten würde, wagt nicht nachzugeben. Andererseits muß das Geld beschafft werden; die Einstellung der Arbeiten würde nicht nur Bankrott, sondern Revolution bedeuten. Während so die Forderung nach Kapital für die Gründung und Erhaltung neuer Unternehmen im Inland ständig wächst, nimmt die Absorption des französischen Kapitals durch ausländische Pläne keineswegs ab. Es ist keine Neuigkeit, daß französische Kapitalisten in Spanien, Italien, Osterreich und Deutschland große Verpflichtungen zu erfüllen haben, und daß der Credit mobiiier gerade jetzt eifrig dabei ist, sie in neue Verpflichtungen zu verwickeln. Spanien trägt gegenwärtig besonders zu den Schwierigkeiten in Frankreich bei, da dort die Silberknappheit einen derartigen Grad erreicht hat, daß die Fabrikanten von Barcelona die größte Schwierigkeit darin sehen, ihren Arbeitern die Löhne zu zahlen. Was den Credit mobiiier angeht, so haben wir schon darauf hingewiesen1,
1 Siehe vorl. Band, S. 32-33
daß die Tendenz dieser Institution keineswegs ihrem Namen entspricht. Seine Tendenz ist, Kapital zu fixieren und nicht mobil zu machen. Was er mobil macht, sind nur einzig und allein die Besitztitel. Die Aktien der von ihm gegründeten Gesellschaften sind in der Tat außerordentlich beweglich, das Kapital jedoch, das sie repräsentieren, ist fest angelegt. Das ganze Geheimnis des Credit mobilier ist, Kapital in Industrieunternehmen zu locken, wo es gebunden wird, um auf den Verkauf der Aktien zu spekulieren, die als Repräsentant dieses Kapitals geschaffen sind. Solange es den Managern des Credit mobilier gelingt, Agio auf die erste Emission neuer Aktien zu erlangen, können sie es sich natürlich leisten, die allgemeine Anspannung des Geldmarktes, das endgültige Schicksal der Aktienbesitzer und die Schwierigkeiten der arbeitenden Gesellschaften mit stoischer Gleichgültigkeit zu betrachten. Das erklärt die merkwürdige Erscheinung, daß, während die Aktien des Credit mobilier an der Börse ständig fallen, sich seine Tätigkeit über ganz Europa ständig ausdehnt. Neben der allgemeinen angespannten Lage auf dem Geldmarkt gibt es andere Ursachen, die auf die französische Industrie einwirken. Eine große Anzahl von Spinnereien in Lyon sind wegen der Knappheit und des hohen Preises der Rohseide stillgelegt. Ähnliche Ursachen lähmen die Geschäfte in Mulhouse und in Rouen. Dort hat der hohe Baumwollpreis zwangsläufig den Preis der Garne in die Höhe getrieben, während die Gewebe schwer verkäuflich und die Fabrikanten nicht imstande sind, ihre alten Preise zu halten. Die Folgen sind vermehrte Not und Unzufriedenheit unter den Arbeitern besonders in Lyon und in Südfrankreich, wo eine derartige Erbitterung herrscht, daß man sie nur mit der vergleichen kann, die die Krise von 1847 begleitet hat. Von der Börse, den Eisenbahnen, dem Handel und der Industrie wenden wir uns nun der französischen Landwirtschaft zu. Die kürzlich veröffentlichten Zollberichte Frankreichs enthüllen die Tatsache, daß die letzte Mißernte weit schwerer war, als es der „Moniteur" zugegeben hatte. Gegenüber 270146 Quintais Korn im September 1855 wurden im September 1856 963616 Quintais eingeführt, was eine Differenz von 693470 Quintais gegenüber der Menge ausmacht, die im September 1855, bekanntlich ein schlechtes Erntejahr, eingeführt wurde. Es wäre jedoch ein Fehler, die Ursachen, die offenbar bei der Umwandlung Frankreichs aus einem Getreideexportland in ein Getreideimportland wirksam sind, allein in den Überschwemmungen, der schlechten Witterung und anderen Naturereignissen zu sehen. Die Landwirtschaft, die in Frankreich nie hoch entwickelt war, hat sich unter dem gegenwärtigen Regime unbestreitbar rückentwickelt. Einerseits sehen wir
die Steuern ständig steigen, andererseits die Zahl der Arbeitskräfte abnehmen - große Mengen von Arbeitern werden zeitweilig durch den Krieg und ständig durch die Eisenbahn- und andere öffentliche Arbeiten vom Land abgezogen -, dazu kommt die zunehmende Abwanderung von Kapital aus landwirtschaftlichen Vorhaben in Spekulationsgeschäfte. Was Napoleons Demokratisierung des Kredits genannt wurde, war in der Tat nur die Verallgemeinerung der Börsenspekulation. Was der Credit mobiiier für die oberen Klassen war, das waren die kaiserlichen Subskriptionsanleihen für die Bauernschaft. Sie brachten die Börse in ihre Hütten, räumten ihre privaten Ersparnisse aus und rafften die kleinen Kapitalien weg, die man vorher in die Verbesserung der Landwirtschaft gesteckt hatte. Der Mißstand in der Landwirtschaft Frankreichs ist also ebensosehr eine Auswirkung des gegenwärtigen politischen Systems, wie er Naturkatastrophen entspringt. Wenn die kleine Bauernschaft weniger unter den niedrigen Preisen leidet als die großen Pächter Englands, so leiden sie andererseits unter der Teuerung der Lebensmittel, die für jene oft eine Profitquelle bedeutet. Daher ihre Unzufriedenheit, die sich in Brandstiftungen äußert, welche bejammernswert häufig sind, obwohl die französischen Zeitungen kraft kaiserlichen Befehls nichts darüber berichten. Wenn die Bauern nach der Februarrevolution erbost waren bei dem Gedanken, daß ihnen die neue Steuer von 45 Centimes auferlegt war, um die Nationalwerkstätten in Paris aufrechtzuerhalten1841, so ist es die jetzige Bauernschaft noch viel mehr bei der Gewißheit, daß ihre erschöpften Mittel mit Steuern belegt werden, damit die Pariser Brot unter dem Selbstkostenpreis erhalten können. Wenn man außerdem noch bedenkt, daß gerade Napoleon der Auserwählte der Bauern war, so wirft die gegenwärtige revolutionäre Stimmung dieser Klasse ein neues Licht auf die Chancen der bonapartistischen Dynastie. Zu welch erbärmlichen Ausflüchten sie schon getrieben wird, um die drohenden Forderungen des landwirtschaftlichen Ellends zu beschwichtigen und abzuwehren, kann man aus der Sprache der Präfekten in ihren Rundschreiben über die „Ermunterung" zur Wohltätigkeit ersehen. Der Präfekt von Sartne z. B. schreibt seinen Unterpräfekten folgendes:
„Sie werden gefälligst mit allem Eifer und Vertrauen die Aufgabe übernehmen, die eine der vornehmsten der Verwaltung ist, nämlich Mittel zur Unterstützung und Beschäftigung jener Bürger zu finden, die das eine oder andere benötigen, wobei Sie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe beitragen werden. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß Sie die Quellen der Wohltätigkeit versiegt finden, oder daß die privaten Geldbörsen durch die Opfer erschöpft sind, so groß sie auch in den vorangegangenen Jahren gewesen sein mögen. Grundbesitzer und Pächter haben in der letzten Zeit
beträchtliche Gewinne erzielt, und da sie besonders an der Sicherheit des Landes interessiert sind, werden sie verstehen, daß das Geben für sie sowohl einen Vorteil als auch eine Pflicht bedeutet." Wenn wir all den obengenannten Ursachen der Unzufriedenheit den Mangel an Wohnungen und Lebensmitteln in Paris, den Druck auf den Einzelhandel der Hauptstadt, die Streiks in den verschiedenen Zweigen der Pariser Industrie hinzufügen, wird man verstehen, warum die unterdrückte Pressefreiheit plötzlich in aufrührerischen Plakaten von den Mauern der Gebäude hervorbricht. In einem privaten Brief, den wir von einem vertrauenswürdigen Korrespondenten in Paris erhalten haben, wird gemeldet, daß in der Zeit vom 1. bis zum 12. Oktober nicht weniger als neunhundert Verhaftungen vorgenommen wurden. Einige Ursachen dieser Verhaftungen sind bemerkenswert, da sie ein auffallendes Zeichen der Unruhe und der Besorgnis der Regierung sind. In einem Fall wurde ein Mann, der, wie es heißt, „Geschäfte an der Börse macht", verhaftet, weil er gesagt hatte, „er sähe im Krimkrieg nichts anderes als viele getötete Menschen und viel hinausgeworfenes Geld"; ein anderer, ein Handelsmann, weil er behauptet hatte, daß „das Geschäft so krank sei wie die Regierung"; ein dritter, weil bei ihm ein Lied über David d'Angers und die Studenten gefunden wurde[85J; ein vierter, ein Regierungsbeamter, weil er ein Flugblatt über die Finanzkrise veröffentlicht hatte; ein Schneider, weil er angefragt hatte, ob einige seiner Freunde, wie er gehört hätte, verhaftet worden wären; schließlich ein Arbeiter, weil er sich mit einem Landsmann, einem Gendarmen, über den hohen Preis der Lebensmittel unterhalten und der Gendarm die Bemerkungen des Arbeiters als regierungsfeindlich ausgelegt hatte. Angesichts all dieser Tatsachen erscheint es kaum möglich, daß der französische Handel und die französische Industrie einen Zusammenbruch vermeiden können, der mehr oder weniger ernste politische Ereignisse nach sich ziehen und die Stabilität des Kredits und des Geschäfts nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika in einem höchst katastrophalen Ausmaß treffen würde. Die auf diesen Abgrund zustürzende Bewegung kann durch die gigantische Spekulation mit russischen Eisenbahnlinien, in die sich jetzt der Credit mobilier gemeinsam mit vielen führenden Bankhäusern Europas eingelassen hat, nur beschleunigt werden.
Geschrieben um den 7. November 1856. Aus dem Englischen.
k^vl M«
[Die Krise in Europa]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4878 vom 6. Dezember 1856, Leitartikel] Die Nachrichten, welche die zwei in dieser Woche eingetroffenen Dampfer aus Europa mitgebracht haben, scheinen offenbar den endgültigen Zusammenbruch der Spekulation und des Börsenspiels zu verschieben, dem die Menschen auf beiden Seiten des Ozearts instinktiv wie in furchtsamer Erwartung eines unvermeidlichen Schicksals entgegensehen. Dieser Zusammenbruch ist trotz der Verzögerung gewiß; in der Tat kündigt der chronische Charakter, den die gegenwärtige Finanzkrise angenommen hat, nur einen heftigeren und unheilvolleren Ausgang dieser Krise an. Je länger die Krise andauert, um so schlimmer wird die Abrechnung. Europa befindet sich augenblicklich in der Lage eines Menschen am Rande des Bankrotts, der gezwungen ist, zugleich alle Unternehmungen weiter zu betreiben, die ihn ruiniert haben, und zu allen möglichen verzweifelten Mitteln zu greifen, mit denen er den letzten furchtbaren Krach aufzuschieben und zu verhindern hofft. Eis ergehen neue calls1 zur Zahlung auf das Kapital von Gesellschaften, die in der Mehrzahl nur auf dem Papier existieren. Große Summen Bargeld werden in Spekulationen investiert, aus denen sie niemals zurückgezogen werden können, während der hohe Zinsfuß - gegenwärtig sieben Prozent bei der Bank von England - gleichsam ein strenger Künder des kommenden Gerichts ist. Es ist auch beim größten Erfolg der finanziellen Schliche, die man jetzt versucht, unmöglich, daß die zahllosen Börsenspekulationen auf dem Kontinent noch viel weiter getrieben werden. Allein in Rheinpreußen bestehen zweiundsiebzig neue Bergwerksgesellschaften mit einem Aktienkapital von
1 Aufforderungen einer Gesellschaft an ihre Aktionäre, die Raten auf noch nicht voll bezahlte Aktien einzuzahlen
79797333 Talern. Gerade jetzt stößt der österreichische Credit mobiiier, oder vielmehr der französische Credit mobiiier in Österreich, auf größte Schwierigkeiten bei dem Versuch, die Zahlung der zweiten Rate auf seine Aktien zu erlangen, da sie durch die Maßnahmen der österreichischen Regierung zur Wiederaufnahme von Barzahlungen paralysiert ist. Das an das kaiserliche Schatzamt zu zahlende Kaufgeld für Eisenbahnen und Bergwerke soll laut Kontrakt in hartem Gelde eingezahlt werden, was einen Abfluß aus den Ressourcen des Credit mobiiier von über 1000000 Dollar monatlich bis Februar 1858 zur Folge hat. Andererseits werden die Geldschwierigkeiten von den Eisenbahnunternehmungen in Frankreich als so stark empfunden, daß sich die Grand-Central-Bahn gezwungen sah, fünfhundert Beamte und fünfzehntausend Arbeiter auf der Mulhouse-Strecke zu entlassen, und die Eisenbahngesellschaft Lyon-Genf ihre Geschäfte einschränken oder gar unterbrechen mußte. Die „Independance Beige"t86] ist in Frankreich zweimal beschlagnahmt worden, weil sie dieseTatsachen ausplauderte. Im Zusammenhang mit dieser Reizbarkeit der französischen Regierung bei jeglicher Enthüllung der wahren Lage des französischen Handels und der französischen Industrie sind folgende Worte interessant, die dem Munde des Herrn Petit, des Vertreters des Generalprokurators, bei der kürzlichen Eröffnung der Session der Pariser Gerichte entschlüpft sind: „Prüfen Sie die Statistik, und Sie werden einiges Interessante über die gegenwärtigen Tendenzen im Handel erfahren. Die Zahl der Bankrotte steigt von Jahr zu Jahr; 1851 waren es 2305; 1852 - 2478; 1853 - 2671 und 1854 - 3691. Dieses Ansteigen zeigt sich sowohl bei den betrügerischen als auch bei den einfachen Bankrotten. Die ersteren sind seit 1851 um 66 Prozent und die letzteren um 100 Prozent gestiegen. Die Betrügereien hinsichtlich der Art, der Qualität und der Quantität der verkauften Waren sowie die Anwendung falscher Maße und Gewichte haben in erschreckendem Ausmaß zugenommen. 1851 lagen 1717 solcher Fälle vor; 1852 - 3763; 1853 - 7074 und 1854-7831." Zwar versichert uns die britische Presse, und das angesichts dieser Erscheinungen auf dem Kontinent, daß das Schlimmste der Krise vorüber sei, doch wir suchen vergeblich nach einem schlüssigen Beweis hierfür. Wir finden ihn nicht in der Erhöhung des Diskonts auf sieben Prozent durch die Bank von England; auch nicht im letzten Bericht der Bank von Frankreich, der nicht nur nachweisbar erkennen läßt, daß er zurechtgemacht worden ist, sondern sogar klar genug zeigt, daß die Bank trotz strengster Einschränkung der Anleihen, der Darlehen, der Diskontierungen und der Emission von Banknoten nicht imstande gewesen ist, den Abfluß der Edelmetalle zu hemmen oder ohne das Goldagio auszukommen. Aber wie dem auch sein mag
6 Marx/Engels: Werke, Bd. 12
gewiß ist, daß die französische Regierung keineswegs die optimistischen Ansichten teilt, die sie sorgfältig im In- und Ausland zu verbreiten trachtet. In Paris ist bekannt, daß der Kaiser während der letzten sechs Wochen auch vor den erstaunlichsten Geldopfern nicht zurückschreckt, um die Rente über 66 Prozent zu halten, da es bei ihm nicht bloß zur Überzeugung, sondern zu einem festen Aberglauben geworden ist, daß das Fallen unter 66 Prozent dem Reich die Totenglocken läuten werde. Offenbar unterscheidet sich das Französische Kaiserreich hierin vom Römischen - das eine befürchtete den Tod vom Vormarsch der Barbaren, das andere befürchtet ihn vom Rückzug der Börsenjobber.1871
Geschrieben um den 21. November 1856. Aus dem Englischen.
Karl Marx Der Seehandel Österreichs
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4906 vom 9. Januar 1857] Man kann sagen, daß der Seehandel Österreichs zu der Zeit beginnt, wo Venedig und seine Besitzungen an der adriatischen Küste dem Reich einverleibt werden; das geschah zuerst im Frieden von Campo Formio, und der Frieden von Luneville1881 bestärkte Österreich in seinem Besitz. Napoleon ist demnach der eigentliche Begründer dieses österreichischen Handelszweiges. Zwar hat er, als er der Vorteile gewahr wurde, die Österreich darauserwuchsen, diese Konzessionen im Vertrag von Preßburg und dann im Wiener Frieden 1809t89] aufgehoben. Aber Österreich, einmal auf die richtige Fährte gelenkt, benützte 1815 die günstige Gelegenheit, seine Vorherrschaft über das Adriatische Meer durch einen Vertrag[90] wiederzugewinnen. Der Mittelpunkt dieses Handels ist Triest; wie sehr es allen anderen österreichischen Häfen, und zwar schon seit längerer Zeit, überlegen ist, geht aus folgender Tabelle hervor: Häfen Fiume Triest Venedig Andere GesamtHäfen summe
(in Florin) 1838 Import...... 200000 32200000 9000000 8000000 49400000 Export ...... 1 700 000 14 400 000 5 300 000 2 000 000 23 400 000 1841 Import 200 000 22 300 000 8 500 000 5 300 000 36 300 000 Export 1 600 000 11 200 000 3 100 000 1 900 000 17 800 000 1842 Import 200 000 24 900 000 11 500 000 5 100 000 41 700 000 Export 1 300 000 11 900 000 3 400 000 2 600 000 19 200 000 1839 verhielten sich die Importe Venedigs zu denen Triests wie 1 zu 2,84, ihr Exportverhältnis war 1 zu 3,8. Im gleichen Jahr stand die Anzahl der jeden der beiden Häfen anlaufenden Schiffe im Verhältnis von 1 zu 4. Gegen
wärtig ist das Übergewicht Triests so bedeutend, daß es alle übrigen Häfen Österreichs, Venedig eingeschlossen, weit in den Schatten stellt. Aber wenn Triest Venedig im Adriatischen Meer verdrängt hat, so wird diese Tatsache weder durch die besondere Gunst der österreichischen Regierung, noch durch die unaufhörlichen Anstrengungen des Osterreichischen Lloyd1813 erklärt. Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts eine unbekannte Bucht an felsiger Küste, von wenigen Fischern bewohnt, hatte sich Triest 1814, als die französischen Streitkräfte Istrien räumten, zu einem Handelshafen mit 23000 Einwohnern entwickelt, dessen Handel 1815 dreimal so groß war als der Venedigs. 1832, ein Jahr vor der Gründung des Österreichischen Lloyd, betrug die Einwohnerzahl über 50000, und zu einer Zeit, als vermutlich der Einfluß des Lloyd noch kaum ins Gewicht fallen konnte, belegte Triest im türkischen Handel den zweiten Platz, nach England, und im ägyptischen Handel den ersten Platz. Das beweisen die folgenden Ziffern für die Importe und Exporte von Smyrna in der Zeit von 1853 bis 1839:
[Import] [Export] Piaster Piaster England 126313 146 44618 032 Triest 93 500 456 52 477 756 Vereinigte Staaten 57 329 165 46 608 320 Die folgenden Ziffern, die die Importe und Exporte Ägyptens für 1837 angeben, sind in dieser Hinsicht ebenso aufschlußreich: [Import] [Export] frs. frs. Triest 13 858 000 14 532 000 Türkei < 12 661 000 12 150 000 Frankreich 10 702 000 11 703 000 England und Malta 15 158 000 5 404 000 Wie kam es nun, daß gerade Triest und nicht Venedig zur Wiege der wieder aufblühenden Schiffahrt in der Adria wurde? Venedig war eine Stadt der Erinnerungen; Triest hatte gleich den Vereinigten Staaten den Vorzug, überhaupt keine Vergangenheit zu besitzen. Von einer bunten Gesellschaft aus italienischen, deutschen, englischen, französischen, griechischen, armenischen und jüdischen Händlern und Spekulanten errichtet, war es nicht wie die Lagunenstadt mit Traditionen belastet. Während sich beispielsweise der venezianische Getreidehandel noch während des achtzehnten Jahrhunderts an seine alten Verbindungen klammerte, verband Triest sein Geschick mit
dem aufsteigenden Stern Odessas, und so gelang es ihm, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts seinen Rivalen gänzlich aus dem Getreidehandel des Mittelländischen Meeres zu verdrängen. Der vernichtende Schlag, den die alten Handelsrepubliken Italiens am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts infolge der Umsegelung Afrikas erlitten, wiederholte sich im kleinen in Gestalt der Kontinentalsperre Napoleons. Die letzten Reste venezianischen Handels wurden vernichtet. An jeder Möglichkeit verzweifelnd, man könne in diesen sterbenden Seehandel noch mit Gewinn Kapital investieren, übertrugen die Kapitalisten Venedigs naturgemäß ihr Kapital auf die gegenüberliegende Küste der Adria, wo zur gleichen Zeit der Triester Handel zu Lande eine Steigerung aufs Doppelte in Aussicht stellte. So förderte Venedig selbst die Größe Triests - ein Schicksal, das allen Seemächten gemeinsam ist. So legte Holland den Grundstein zu der Größe Englands; und so stärkte England die Macht der Vereinigten Staaten. Einmal mit dem Österreichischen Reich vereint, hatte Triest eine natürliche Position inne, die sich sehr von der unterschied, die Venedig je eingenommen hatte. Triest bildete das natürliche Tor der weiten und unerschöpflichen Gebiete seines Hinterlandes, während Venedig niemals etwas anderes gewesen war als ein isolierter, entfernt liegender Hafen des Adriatischen Meeres, der sich des Güterverkehrs der Welt bemächtigte, und diese Machtstellung auf die Rückständigkeit einer Welt stützte, die sich ihrer eigenen Hilfsquellen nicht bewußt war. Das Gedeihen Triests kennt daher keine Grenzen, außer daß es von der Entwicklung der Produktivkräfte und Verkehrsmittel in dem gewaltigen Komplex von Ländern abhängig ist, die jetzt unter österreichischer Herrschaft stehen. Ein anderer Vorteil Triests ist seine Nähe zur Ostküste des Adriatischen Meeres, die zugleich die Grundlage für einen den Venezianern fast gänzlich unbekannten Küstenhandel bildet; hier ist auch die natürliche Schule jener kühnen Rasse von Seeleuten, die sich Venedig niemals ganz zunutze machen konnte. Wie der Niedergang Venedigs Schritt hielt mit dem Aufstieg des Ottomanischen Reiches, so vermehrten sich die Möglichkeiten Triests mit der zunehmenden Überlegenheit Österreichs über die Türkei. Selbst in seinen besten Zeiten war der Handel Venedigs durch die Teilung des Orienthandels behindert, die ganz und gar auf politischen Ursachen beruhte. Einerseits gab es den Donauhandelsweg, der mit der venezianischen Schiffahrt kaum etwas zu tun hatte; andererseits monopolisierten die Genuesen unter dem Schutz der griechischen Herrscher beinahe den ganzen Handel mit Konstantinopel und dem Schwarzen Meer, während Venedig unter dem Schutz der katholischen Könige den Handel Moreas, Cyperns, Ägyptens, Kleinasiens etc. monopolisierte. Erst Triest hat
diese beiden großen Wege des Levantehandels mit dem Donauhandel vereinigt. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts fand sich Venedig sozusagen geographisch beiseite geschoben. Die Vorzüge seiner Nachbarschaft zu Konstantinopel und Alexandria, den damaligen Zentren des asiatischen Handels, wurden durch die Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung eingebüßt, die den Schwerpunkt dieses Handels zuerst nach Lissabon, dann nach Holland, endlich nach England verlegte. Die privilegierte Stellung, die Venedig verloren, wird zu unserer Zeit wahrscheinlich Triest zurückerobern, sobald der Suez-Kanal den Isthmus durchsticht. Die Triester Handelskammer hat sich nicht nur mit der französischen Kompagnie für den Suez-Kanal assoziiert, sie hat auch Agenten zur Erforschung des Roten Meeres und der Küsten des Indischen Ozeans ausgesandt, um die in jenen Gegenden beabsichtigten Handelsoperationen zu fördern. Ist der Isthmus erst einmal durchbrochen, dann wird Triest notwendigerweise ganz Osteuropa mit indischen Waren versorgen; es wird dem Wendekreis des Krebses wie Gibraltar gleich nahe sein, und eine Fahrt von 5600 Meilen wird seine Schiffe zur Sunda-Straße bringen. Haben wir nun den Umfang und die Aussichten des Triester Handels erörtert, so soll noch eine Tabelle folgen, die die Handelsbewegung dieses Hafens während der letzten zehn Jahre darstellt:
1846 . 1847.
Schiffe Tonnage Schiffe Tonnage 16 782 985 514 1851 ... 24101 1 408 802 17 321 1 007 330 1852 , .. 27 931 1 556 652 17812 926815 1853 29 317 1 675 886 20 553 1 269 258 1854 .. 26 556 1 730910 21 124 1 323 796 1855 ,. 21081 1 489 197 Wenn man den Durchschnitt der ersten drei Jahre dieser Periode mit dem der letzten drei Jahre vergleicht (973220 mit 1632000), so wird man finden, daß die Zunahme innerhalb eines so kurzen Zeitraumes 68 von 100 beträgt. Marseille weist bei weitem nicht die gleiche Schnelligkeit des Wachstums auf. Der Aufschwung Triests beruht überdies auf um so festerer Grundlage, als er von dem vermehrten Handelsverkehr sowohl mit österreichischen, als auch mit ausländischen Häfen herrührt. Der nationale Handel stieg zum Beispiel von 1846 bis 1848 durchschnittlich auf 416709 Tonnen im Jahr, von 1853 bis 1855 hatte er sich auf 854753 Tonnen im Jahresdurchschnitt erhöht, das ist mehr als das Doppelte. Während der Jahre 1850 bis einschließlich 1855 betrug der Tonnengehalt der österreichischen Schiffe, die in Triest an- und ausliefen, 6206316, der der ausländischen 2981928 Tonnen. Der Handel mit
Griechenland, Ägypten, der Levante und dem Schwarzen Meer war während der gleichen Periode durchschnittlich von 257741 auf 496394 Tonnen jährlich gestiegen. Trotz alledem sind gegenwärtig der Handel und die Schiffahrt Triests noch weit von dem Punkt entfernt, wo Handel und Verkehr eine Sache gewöhnlicher lang geübter Praxis und die automatische Folge voll entfalteter Ressourcen werden. Man werfe nur einen Blick auf die ökonomische Lage des Österreichischen Reiches, auf die ungenügende Entwicklung der inländischen Verkehrswege, auf den großen Teil seiner Bevölkerung, der sich noch in Schafpelze kleidet und keinerlei höhere Bedürfnisse kennt. In dem Maße, wie Österreich seine Verkehrswege wenigstens auf den Stand bringt, der dem in den deutschen Staaten gleicht, wird auch der Handel Triests schnell und kraftvoll ins Innere des Reiches vordringen. Die Vollendung der Eisenbahnstrecke von Triest nach Wien, mit einer Zweiglinie von Cilli nach Pest, wird eine Revolution im österreichischen Handel erzeugen, aus der niemand größere Vorteile ziehen wird als Triest. Diese Bahn wird sicherlich mit einem Warenumschlag beginnen, der größer ist als der von Marseille; aber den Umfang, den er annehmen kann, vermag man sich erst vorzustellen, wenn man bedenkt, daß die Länder, für deren Seehandel das Adriatische Meer der einzige Ausgang ist, eine Bevölkerung von 30966000 Einwohnern besitzen, soviel wie Frankreich 1821, und daß der Triester Hafen ein Gebiet auspumpen wird, das 60398000 Hektar umfaßt, also um sieben Millionen Hektar mehr als Frankreich. Triest ist also dazu bestimmt, in nächster Zukunft die Bedeutung zu erlangen, die Marseille, Bordeaux, Nantes und Le Havre zusammengenommen für Frankreich besitzen.
Geschrieben Ende November 1856, Aus dem Englischen.
i ni . is.ar i marx Der Seehandel Österreichs
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5082 vom 4. August 1857] In einem früheren Artikel1 haben wir die natürlichen Bedingungen dargestellt, die zur Wiederbelebung des Adriahandels in Triest geführt haben. Die Entwicklung dieses Handels ist größtenteils den Bemühungen des österreichischen Lloyd1911 zu verdanken, einer Gesellschaft, die von Engländern gegründet wurde, aber seit 1836 in der Hand Triester Kapitalisten ist. Zu Anfang besaß der Lloyd nur einen Dampfer, der einmal wöchentlich zwischen Triest und Venedig verkehrte. Diese Verbindung wurde bald zu einer täglichen ausgestaltet. Nach und nach rissen die Dampfer des Lloyd den Handel von Rovigno, Fiume, Firano, Zara und Ragusa an der istrischen und der dalmatinischen Küste an sich. Als nächstes wurde die Romagna in den Verkehr einbezogen, dann kamen Albanien, Epirus und Griechenland an die Reihe. Die Dampfer hatten das Adriatische Meer noch nicht verlassen, als der Archipel, Saloniki, Smyrna, Beirut, Ptolemais und Alexandria sich um Aufnahme in das Verkehrsnetz bewarben, das der Lloyd plante. Schließlich drangen seine Schiffe ins Schwarze Meer und nahmen unmittelbar vor den Augen Rußlands und der Türkei die Linien in Besitz, die Konstantinopel mit Sinope, Trapezunt, Varna, Braila und Galatz verbinden. So rückt eine Gesellschaft, die nur für die österreichische Küstenschiffahrt im Adriatischen Meer gegründet worden ist, immer weiter ins Mittelländische Meer vor und wartet, nachdem sie sich das Schwarze Meer gesichert, offensichtlich nur auf den Durchstich des Isthmus von Suez, um in das Rote Meer und den Indischen Ozean vorzudringen. Das Kapital des Lloyd, ursprünglich auf 1 000000 Florin festgesetzt, ist durch wiederholte Emissionen neuer Aktien und durch Anleihen auf
1 Siehe vorl. Band, S. 83-87
13000000 Florin gestiegen. Kapitalbewegung und Geschäfte der Gesellschaft seit 1836 werden im letzten Direktorenbericht folgendermaßen sichtbar: 1836/37 1853/54 Kapital 1 000 000 fl. 8 000 000 fl. Zahl der Dampfer 7 47 Pferdekräfte 630 7 990 Tonnengehalt 1 944 23 665 Wert der Dampfer 798 824 fl. 8 010 000 fl. Zahl der Fahrten 87 1 465 Zurückgelegte Meilen 43 652 776 415 Zahl der Reisenden 7 967 331688 Beförderte Edelmetalle 3 934 269 fl. 59 523 125 fl. Briefe und Depeschen 35 205 748 930 Stückgüter 5 752 565 508 Gesamtausgaben 232 267 fl. 3 611 156 fl. In siebzehn Jahren betrugen die Gesamtausgaben der Gesellschaft (einschließlich Dividenden) 25 147 403 fl. Die Gesamteinnahmen 26 032 452" Folglich bleibt eine Reserve von 885 049 fl.
Wie aus der angeführten Tabelle hervorgeht, ist der Lloyd eine Handelsunternehmung von großer Bedeutung und hat, wohin immer auch seine Schiffe vorgedrungen sind, das Wachstum von Industrie und Handel außerordentlich gefördert. Man hat den Wert des österreichischen Quintais auf 300 fl. und das Gepäck eines jeden Passagiers auf 10 fl. veranschlagt und danach berechnet, daß der Lloyd von 1836 bis 1853 transportiert hat:
An Waren 1 255 219 200 Florin An Gepäck 84 847 930 „ An Münzgeld und Edelmetallbarren 461113 767 „ Insgesamt 1 801 180 897 Florin
„Es ist gewiß", sagt ein französischer Autor, „daß die stille, aber beharrliche Tätigkeit dieser Gesellschaft von Kaufleuten für die Angelegenheiten der Levante auf Jahre hinaus zumindest ebenso bedeutsam und um vieles ehrenhafter gewesen ist als die Tätigkeit der österreichischen Diplomatie." Die Wiederbelebung des Handels und die Entwicklung der Dampfschifffahrt im Adriatischen Meer muß über kurz oder lang eine adriatische Flotte ins Leben rufen, die seit dem Niedergapig Venedigs nicht mehr bestand.
Napoleon wollte, ganz seiner Mentalität entsprechend, diese Flotte schaffen, ohne erst auf die Wiederherstellung des Seehandels zu warten - ein Experiment, das er gleichzeitig in Antwerpen und in Venedig anstellte. War es ihm gelungen, Armeen zu sammeln, ohne daß ein Volk hinter ihnen stand, so zweifelte er auch nicht an seiner Macht, Kriegsflotten aufzubauen ohne eine Handelsmarine als Grundlage. Aber abgesehen von den Unmöglichkeiten, die einem solchen Plan notwendigerweise anhaften, stieß Napoleon auf völlig unerwartete Schwierigkeiten lokalen Charakters. Nachdem er seine fähigsten Ingenieure nach Venedig gesandt, die Befestigungen der Stadt vervollständigt, das schwimmende materiel1 instand gesetzt, die Werften zur früheren Aktivität wiedererweckt hatte, stellte sich plötzlich heraus, daß durch den technischen Fortschritt in Seekrieg und Seefahrt Venedigs Hafen zu der gleichen Bedeutungslosigkeit verurteilt war, zu der die neuen Handelswege seinen Handel und Schiffsverkehr verdammt hatten. Es erwies sich, daß der Hafen Venedigs, wie vortrefflich er sich auch für die alten Galeeren eignen mochte, nicht die erforderliche Tiefe für moderne Linienschiffe hatte, und daß sogar Fregatten nicht einlaufen konnten, ohne ihre Geschütze auszuladen, es sei dann, daß Südwind und Springflut zusammenfielen. Nun ist es für moderne Kriegshäfen eine Lebensfrage, daß sie jederzeit Schiffen Einfahrt gewähren und tief und geräumig genug sind, eine ganze Flotte aufzunehmen, sei es zum Angriff oder zur Verteidigung. Bonaparte sah außerdem ein, daß er noch einen anderen Fehler begangen hatte. Mit, den Verträgen von Campo Formio und Lunevillef88] hatte er Venedig von der Ostküste des Adriatischen Meeres abgeschnitten und es so der Seeleute beraubt, die es zur Bemannung seiner Schiffe brauchte. Von der Mündung des Isonzo bis Ravenna suchte er vergeblich nach einer seetüchtigen Bevölkerung, da die Gondoliere Venedigs und die Fischer der Lagunen (ein furchtsamer und schmächtiger Menschenschlag) gar nicht vermögen, irgendeinen tüchtigen Matrosen zu stellen. Napoleon erkannte jetzt, was die Venezianer bereits im zehnten Jahrhundert entdeckt hatten, daß die Herrschaft über das Adriatische Meer nur dem Besitzer seiner Ostküsten gehören kann. Er begriff, daß seine Verträge von Campo Formio und Luneville kolossale Mißgriffe waren, da sie Österreich die seetüchtige Bevölkerung des Adriatischen Meeres auslieferten, und ihm selbst nur den Namen eines verfallenen Hafens (magni nominis umbram2) übrigließen. Um seine früheren Schnitzer wiedergutzumachen, eignete er sich in den folgenden Verträgen von Preßburg und Wien[89] Istrien und Dalmatien an.
1 Inventar - 2 den Schatten eines großen Namens
Strabon wies schon vor langer Zeit darauf hin, daß die gegenüberliegende Küste Illyriens an ausgezeichneten Häfen überreich ist, während an der adriatischen Küste Italiens Buchten und Häfen völlig fehlen; und während der Bürgerkriege in Rom sehen wir, wie Pompejus an den Küsten von Epirus und Illyrien mühelos große Flotten aufstellen kann, während es Cäsar auf der italienischen Seite nur nach beispielloser Anstrengung gelingt, eine kleine Zahl von Booten zusammenzubringen, um seine Truppen in Abteilungen überzusetzen. Mit ihren tiefen Einschnitten, ihren wilden Felseninseln, ihren an jedem Ort lauernden Sandbänken, ihren vortrefflichen Schlupfhäfen ist die Küste Illyriens und Dalmatiens eine erstklassige natürliche Schule für tüchtige Seeleute - Matrosen mit kraftvollen Gliedern und furchtlosen Herzen, abgehärtet in den Stürmen, die fast täglich das Adriatische Meer aufwühlen. Die Bora1, der große Störenfried dieses Meeres, erhebt sich stets ohne das kleinste Warnungszeichen; mit der Gewalt eines Tornados überfällt sie die Seeleute und gestattet nur dem Kühnsten, auf Deck zu bleiben. Manchmal tobt sie wochenlang und am heftigsten zwischen der Bucht von Cattaro und dem Südende von Istrien. Der Dalmatiner aber ist von Kindheit sm gewöhnt, ihr zu trotzen, er wird hart unter ihrem Atem und verachtet die armseligen Winde anderer Meere. So tun sich Luft, Land und See zusammen, um den robusten und nüchternen Seefahrer dieser Küste zu zeugen. Sismondi hat bemerkt, daß die Seidenweberei so zu den lombardischen Bauern gehört wie das Seidenspinnen zum Seidenwurm. So gehört das Leben auf dem Meere ebenso zum Dalmatiner wie zum Seevogel. Piraterie ist das Thema ihrer Volkslieder wie der Landraub das Thema der alten teutonischen Dichtung. Der Dalmatiner pflegt noch immer das Andenken an die wilden Heldentaten der Uskoken[923, die anderthalb Jahrhunderte lang die regulären Truppen Venedigs und der Türkei in Schach hielten und deren Kriegszügen erst der Vertrag zwischen Österreich und der Türkei 1617 ein Ende setzte, während die Uskoken sich bis dahin einer gehörigen Protektion des Kaisers erfreut hatten. Die Geschichte der Uskoken kann man nur mit der Geschichte der Kosaken am Dnepr vergleichen - die einen wurden aus der Türkei, die anderen aus Polen vertrieben; jene verbreiteten Furcht und Schrecken über das Adriatische, diese über das Schwarze Meer; die ersteren wurden anfangs von Österreich heimlich unterstützt und dann vernichtet, und die letzteren von Rußland. Die dalmatinischen Matrosen in dem Mittelmeergeschwader des Admirals ßmerian erregten die Bewunderung Napoleons. Zweifellos besitzt also die Ostküste des Adriatischen Meeres die Menschenreserven, um
1 stürmischer kalter Fallwind an der dalmatinischen Küste
eine erstklassige Flotte zu bemannen. Das einzige, was ihnen fehlt, ist Disziplin. Durch eine Zählung im Jahre 1813 stellte Napoleon fest, daß 43 500 Seeleute an dieser Küste wohnen: In Triest 12 000 In Fiume 6 000 In Zara 9 500 InSpalato 5 000 In Ragusa 8 500 In Cattaro 2 500 Insgesamt 43 500 Heute müssen es mindestens 55000 sein. Nachdem die Mannschaft gefunden war, suchte Napoleon nach den Häfen für eine adriatische Flotte. Die illyrischen Provinzen wurden definitiv durch den Wiener Frieden 1809 erworben, aber französische Truppen hielten sie schon seit der Schlacht bei Austerlitz besetzt und Napoleon benützte die Vorteile, die der Kriegszustand ihm bot, um die großen Arbeiten vorzubereiten, die im Frieden ausgeführt werden sollten. 1806 wurde Herr BeautempsBeaupre, von mehreren Ingenieuren und Hydrographen der französischen Flotte unterstützt, zur Besichtigung der Küsten nach Istrien und Dalmatien geschickt, um den geeignetsten Ort für die in der Adria geplante Flottenbasis ausfindig zu machen. Die ganze Küste wurde erforscht, und die Aufmerksamkeit der Ingenieure fiel schließlich auf den Hafen Pola, der ander Südspitze der Halbinsel Istrien liegt. Die Venezianer, die sich dagegen sträubten, ihre Seemacht anderwärts als in Venedig zu stationieren, hatten Pola nicht nur vernachlässigt, sondern auch eifrig das Gerücht verbreitet, daß angeblich eine Sandbank Pola für Kriegsschiffe unzugänglich mache. Herr Beaupre stellte jedoch fest, daß eine solche Sandbank nicht existiere, und Pola alle Bedingungen eitles modernen Kriegshafens erfülle. Zu verschiedenen Zeiten hatte es als Stützpunkt der Seestreitkräfte des Adriatischen Meeres gedient. Es war der Mittelpunkt der Seekampfhandlungen der Römer während der illyrischen und pannonischen Kriegszüge und wurde unter dem Kömischen Reich ständige Flottenstation. Zu verschiedenen Zeiten ist es von den Genuesen, den Venezianern und zuletzt von den Uskoken besetzt gewesen. Tief und geräumig in jeder Richtung, wird der Hafen von Pola vom Meere her durch Inseln geschützt, und im Rücken durch Felsen, die die Stellung beherrschen. Sein einziger Nachteil besteht in seinem ungesunden Klima und den Fiebern, welche aber, wie Herr Beautemps-Beaupre versichert, bei einer systematischen Entwässerung verschwinden werden, einer Kanalisation, die bisher nicht angelegt worden ist.
Die Österreicher haben sich mit dem Gedanken, eine Seemacht zu werden, nur sehr langsam vertraut gemacht. Bis vor ganz kurzer Zeit war in ihren eigenen Augen die Marine nur eine Unterabteilung des Heeres. Ein Oberst in der Armee kam an Rang einem Linienkapitän gleich, ein Oberstleutnant einem Fregattenkapitän, ein Major einem Korvettenkapitän; und die gleiche Stellung in der Rangliste schien den Österreichern auch die gleiche Stellung in der Marine und im Heer zu garantieren. Galt es einen Seekadetten zu ernennen, so hielten sie es für das ratsamste, ihn zuvor zu einem Husarenfähnrich auszubilden. Die Rekruten wurden für die Flotte auf dieselbe Weise ausgehoben wie für das Heer, mit dem einzigen Unterschied, daß die Provinzen Istrien und Dalmatien ausschließlich für den Seedienst bestimmt waren. Die Dienstzeit war gleich, acht Jahre zu Land wie zur See. Die Trennung von Armee und Flotte ist, wie jeder neuzeitliche Fortschritt in Österreich, das Ergebnis der Revolution von 1848. Trotz der Erfahrungen, die Napoleon gemacht hatte, blieb Venedig bis 1848 das einzige Arsenal Österreichs. Venedigs Mängel berührten Österreich nicht, weil es faktisch überhaupt keine moderne Flotte hatte. Seine Seemacht bestand aus nur 6 Fregatten, 5 Korvetten, 7 Briggs, 6 Schaluppen, 16 Dampfern und 36 armierten Booten - insgesamt 850 Geschütze. Um die italienische Revolution zu bestrafen, verlegte Österreich die Marineakademie, das Observatorium, das hydrographische Institut, das schwimmende Inventar und den Artilleriepark von Venedig nach Triest. Die Werften und die Speicher blieben in Venedig; und so wurde das Marinewesen aus Bürokratenrache in zwei Teile geschnitten. Anstatt Venedig zu bestrafen, beraubte man beide Teile ihrer Leistungsfähigkeit. Allmählich entdeckte die österreichische Regierung, daß, so glänzend Triest sich auch als Handelshafen eignen möge, es doch für einen Flottenstützpunkt ungeeignet sei. Sie mußte sich endlich an die Lehre erinnern, die Napoleon im Adriatischen Meer erhalten hatte, und Pola zum Zentrum der Marineverwalturig machen. Ganz nach österreichischer Gewohnheit sind die ersten Jahre nach der Verlegung der Admiralität nach Pola dazu verwendet worden, Kasernen statt Werften zu bauen. Das Verteidigungssystem besteht in einem Kreuzfeuer, das von den Inseln auf den Hafeneingang gerichtet wird, und in einer Kette von Maximilians-Türmen, die Schiffe daran hindern sollen, Bomben in den Hafen zu werfen. Außer den strategischen Vorteilen besitzt Pola auch die für einen guten Hafen unentbehrliche Bedingung, nämlich in der Lage zu sein, eine starke'Flotte zu versorgen. Istrien hat Eichen wie Neapel; Krain, Kärnten und Steiermark sind unerschöpflich reich an Fichten, die schon den Hauptartikel der Triester Ausfuhr bilden; Steiermark besitzt große Eisen vorkommen; für die Ausfuhr
des Hanfs von Ancona ist Pola der bequemste Ort; Kohle wird bis jetzt noch aus England eingeführt, aber in den dalmatinischen Gruben bei Sebenico beginnt man Kohle besserer Qualität zu fördern, und wenn die Eisenbahnstrecke Triest-Wien eröffnet ist, kann vom Semmering her beste Qualität kommen. Die Produkte Istriens, auf kalkigem Boden wachsend, vertragen lange Transporte. 01 ist reichlich vorhanden, ungarisches Getreide ganz in der Nähe, Schweine liefert das Donautal in ungeheuren Massen. Diese Schweine werden jetzt nach Galatz und Hamburg befördert, aber die Eisenbahn wird sie nach Triest und Pola bringen. Bei all diesen ausgezeichneten Bedingungen für die Erneuerung einer Seemacht im Adriatischen Meer gibt es nur ein Hindernis - Osterreich selbst. Könnte Osterreich bei seiner jetzigen Organisation und unter seiner gegenwärtigen Regierung eine starke Handels- und Seemacht im Adriatischen Meer gründen, so würde es mit allen Traditionen der Geschichte brechen, die seit jeher Macht zur See mit Freiheit verbunden hat. Aber die Traditionen über den Haufen werfen hieße andererseits, Österreich selbst über den Haufen werfen.
Geschrieben Ende November 1856. Aus dem Englischen.
Karl Marx Das göttliche Recht der Hohenzollern
[„The People's Paper" Nr. 241 vom 13. Dezember 1856] Augenblicklich ist Europa nur mit einer großen Frage beschäftigt - der Neuenburger[753. Das ist zumindest die Meinung der preußischen Zeitungen. Zwar umfaßt das Fürstentum Neuenburg zusammen mit der Grafschaft Valangin, mathematisch ausgedrückt, bloß den bescheidenen Raum von vierzehn Quadratmeilen. Aber die royalistischen Philosophen in Berlin behaupten, nicht die Quantität, sondern die Qualität entscheide über Größe oder Kleinheit der Dinge und präge ihnen den Stempel des Erhabenen oder des Lächerlichen auf. Für sie verkörpert die Neuenburger Frage die ewige Streitfrage zwischen Revolution und göttlichem Recht, und dieser Gegensatz werde durch geographische Dimensionen ebensowenig beeinflußt wie das Gravitationsgesetz durch den'Unterschied zwischen der Sonne und einem Tennisball. Wir wollen einmal untersuchen, worin das von der Hohenzollerndynastie geltend gemachte göttliche Recht besteht. Sie beruft sich in dem vorliegenden Falle auf ein vom 24.Mai 1852 datiertes Protokoll aus London, in dem die Bevollmächtigten von Frankreich, Großbritannien und Rußland „die Rechte anerkannten, die dem König von Preußen über das Fürstentum Neuenburg und die Grafschaft Valangin zustehen, gemäß dem Wortlaut der Artikel dreiundzwanzig und sechsundsiebzig des Wiener Vertrags, und die von 1815 bis 1848 gleichzeitig neben jenen bestanden, die Artikel fünfundsiebzig desselben Vertrags der Schweiz übertrug". # Durch diese „diplomatische Intervention" wird das göttliche Recht des Königs von Preußen auf Neuenburg nur insofern anerkannt, als es im Wiener Vertrag festgelegt wurde. Der Wiener Vertrag verweist uns wiederum auf die Rechte, die Preußen 1707 erwarb. Wie lag aber 1707 der Fall? Das Fürstentum Neuenburg und die Grafschaft Valangin, die im Mittel
alter zum Königreich Burgund gehörten, wurden nach der Niederlage Karls des Kühnen[93] Verbündete der Schweizer Eidgenossenschaft und blieben es unter der unmittelbaren Protektion Berns auch während aller späteren Veränderungen, die mit ihren feudalen „Süzeränen" vorgingen, bis der Wiener Vertrag den Verbündeten in ein Mitglied der Schweizer Eidgenossenschaft verwandelte. Zuerst wurde die Suzeränität über Neuenburg an das Haus Chalons-Oranien, dann durch das Eingreifen der Schweiz an das Haus Longueville und endlich nach dem Erlöschen dieses Hauses an die Schwester des Fürsten1, die verwitwete Herzogin von Nemours, übertragen. Als diese die Herrschaft antreten wollte, erhob Wilhelm III., König von England und Herzog von Nassau-Oranien, Protest dagegen und übertrug seine Rechte auf Neuenburg und Valangin seinem Vetter Friedrich I. von Preußen; allerdings hatte diese Abmachung zu Lebzeiten Wilhelms III. keinerlei Auswirkungen. Erst beim Tode der Herzogin Marie von Nemours trat Friedrich I. mit seinen Ansprüchen hervor; da aber noch vierzehn andere Kandidaten auf dem Plan erschienen, stellte er klugerweise das Urteil über die Ansprüche seiner Rivalen in das Ermessen der Stände von Neuenburg und Valangin, nicht ohne sich vorher der Richter durch Bestechung versichert zu haben. Durch Bestechung also wurde der König von Preußen Fürst von Neuenburg und Graf von Valangin. Die französische Revolution annullierte diese Titel, der Wiener Vertrag stellte sie wieder her, und die Revolution von 1848 entzog sie ihm erneut. Dem revolutionären Recht des Volkes stellte der preußische König nun das göttliche Recht der Hohenzollem entgegen, das für ihn offenbar auf das göttliche Recht zur Bestechung hinausläuft. Alle feudalen Konflikte zeichnen sich durch Kleinlichkeit aus. Dennoch muß man hierbei große Unterschiede beachten. Die Geschichtsforscher werden sich immer gern mit den zahllosen kleinen Kämpfen, Intrigen und Verrätereien beschäftigen, durch welche es den französischen Königen gelang, mit ihren Feudalvasallen fertig zu werden, denn man kann daran die Entstehungsgeschichte einer großen Nation studieren. Dagegen ist es höchst langweilig und eintönig, zu verfolgen, wie ein Vasall es zuwege brachte, eine größere oder kleinere Portion selbständigen Eigentums zu seinem Privatgebrauch aus dem Deutschen Reich herauszuschneiden; es sei denn, das Zusammentreffen außerordentlicher Umstände belebt das Bild, wie es zum Beispiel bei der Geschichte Österreichs der Fall ist. Dort sehen wir ein und denselben Fürsten als gewähltes Oberhaupt eines Reiches und gleichzeitig als erblichen Vasallen einer Provinz desselben Reiches, der im Interesse seiner
1 In der „New-York Daily Tribüne" Nr. 4906 vom 9. Januar 1857: des letzten Fürsten
Provinz gegen das Reich intrigiert; wir sehen diese Intrigen gelingen, denn sein Vordringen im Süden scheint die traditionellen Konflikte zwischen dem Deutschen Reich und Italien zu erneuern, während sein Vordringen im Osten offenbar den erbittertsten Kampf der deutschen und slawischen Stämme sowie den Widerstand des christlichen Europas gegen den mohammedanischen Orient fortsetzt; schließlich erreicht seine Hausmacht durch schlau eingefädelte Familienverbindungen eine solche Größe, daß sie nicht nur zeitweise das ganze Reich zu verschlingen droht, wobei sie es mit einem künstlichen Glänze umgibt, sondern auch die Welt in dem Grab einer Universalmonarchie zu begraben scheint. In den Annalen der Geschichte der Markgrafschaft Brandenburg finden wir nun derartige kolossale Züge durchaus nicht vor. Mutet uns die Geschichte ihres Rivalen wie ein diabolisches Epos an, so erscheint daneben die brandenburgische Historie wie eine schmutzige Familienchronik. Selbst dort, wo man ähnliche oder gar gleiche Interessen zu finden hofft, besteht ein auffallender Unterschied. Die ursprüngliche Bedeutung der beiden Marken - Brandenburg und Österreich1 - rührt daher, daß sie vorgeschobene Posten Deutschlands gegen die benachbarten Slawen bildeten, sei es für die Defensive oder für die Offensive. Aber auch von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet fehlt es der brandenburgischen Geschichte an Farbe, Leben und dramatischer Bewegung; sie ist gleichsam untergegangen in kleinlichen Kämpfen mit unbekannten slawischen Stämmen, die über einen verhältnismäßig kleinen Landstrich zwischen Elbe und Oder zerstreut waren und von denen keiner je historische Bedeutung gewann. Die Markgrafschaft Brandenburg hat keinen historisch bedeutsamen Slawenstamm unterworfen oder germanisiert; es ist ihr nicht einmal gelungen, ihre Arme bis zur angrenzenden Wendischen See2 auszustrecken. Pommern, wonach die Markgrafen von Brandenburg schon seit dem zwölften Jahrhundert trachteten, war 1815 noch nicht völlig dem Königreich Preußen einverleibt1941, und als die brandenburgischen Kurfürsten es bruchstückweise sich anzueignen begannen, hatte es längst aufgehört, ein slawischer Staat zu sein. Die Umgestaltung der südlichen und südöstlichen Küstenstriche der Ostsee, teils bewirkt durch den kaufmännischen Unternehmungsgeist deutscher Bürger, teils durch das Schwert der Deutschritter, gehört der Geschichte Deutschlands Und Polens an und nicht der Brandenburgs, das nur dort zu ernten kam, wo es nicht gesät hatte. Man kann ohne fehlzugehen behaupten, daß unter den unzähligen Lesern, die eine gewisse Vorstellung von den klassischen Namen Achilles, Cicero,
1 hieß ursprünglich Ostmark - 2 Ostsee 7 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
Nestor und Hektor erlangt haben, nur sehr wenige sind, die jemals vermutet hätten, daß der sandige Boden der Mark Brandenburg nicht nur Kartoffeln und Schafe zu unserer Zeit hervorbringt, sondern einst gesegnet war mit dem Überfluß von nicht weniger als vier Kurfürsten, die auf die Namen Albrecht Achilles, Johann Cicero, Joachim I. Nestor und Joachim II. Hektor hörten. Dieselbe goldene Mittelmäßigkeit, die dazu beitrug, daß das Kurfürstentum Brandenburg so langsam zu dem heranreifte, was man höflich eine europäische Macht nennt, bewahrte seine hausbackene Geschichte vor einer allzu indiskreten näheren Bekanntschaft mit der öffentlichen Meinung. Preußische Staatsmänner und Geschichtsschreiber haben, auf diese Tatsache rechnend, sich aufs äußerste bemüht, der Weit die Ansicht beizubringen, daß Preußen der Militärstaat par excellence sei, woraus hervorgehe, daß das göttliche Recht der Hohenzollern das Recht des Schwertes, das Recht der Eroberung sei. Nichts irriger als das. Man kann im Gegenteil behaupten, daß, genau genommen, von allen Provinzen, die die Hohenzollern jetzt besitzen, nur eine von ihnen erobert worden ist - Schlesien; und diese Tatsache steht in den Annalen der Geschichte ihres Hauses so einzig da, daß sie Friedrich II. den Beinamen des Einzigen: einbrachte. Nun umfaßt die preußische Monarchie 5062 geographische Quadratmeilen; davon entfallen auf die Provinz Brandenburg in ihrem jetzigen Umfang nicht mehr als 730 und auf Schlesien nicht mehr als 741. Wie gelangte sie also zu Preußen mit 1178, zu Posen mit 536, zu Pommern mit 567, zu Sachsen1 mit 460, zu Westphalen mit 366, zur Rheinprovinz mit 479 Quadratmeilen? Durch das göttliche Recht der Bestechung, des offenen Kaufes, des kleinlichen Diebstahls, der Erbschleicherei und durch verräterische Teilungsverträge. Zu Beginn des fünfzehnten Jahrhundefts gehörte die Markgrafschaft Brandenburg zum Hause Luxemburg, dessen damaliges Oberhaupt, Sigismund, gleichzeitig das kaiserliche Zepter über Deutschland schwang. Stets in Geldnöten und von seinen Gläubigern hart bedrängt, fand Sigismund in Friedrich, Burggrafen von Nürnberg, der dem Hause der Hohenzollern entstammte, einen gefälligen und entgegenkommenden Freund. Gleichsam als Unterpfand für die dem Kaiser geliehenen diversen Summen wurde Friedrich 1411 als Oberster Verweser von Brandenburg eingesetzt. Gleich einem schlauen Wucherer, der einmal in den vorläufigen Besitz der Güter eines Verschwenders gelangt ist, fuhr er fort, Sigismund immer tiefer in neue Schulden zu verwickeln, bis 1415, als bei der endgültigen Abrechnung zwischen Schuldner und Gläubiger Friedrich mit dem erblichen Kurfürstentum
1 ehemalige Provinz Sachsen
von Brandenburg belehnt wurde. Damit kein Zweifel über die Natur dieses Vertrags herrsche, versah man ihn mit zwei Klauseln: In der einen blieb dem Hause Luxemburg das Recht vorbehalten, das Kurfürstentum für 400000 Goldgulden zurückzukaufen, und die andere verpflichtete Friedrich und seine Erben, dem Hause Luxemburg bei jeder neuen Kaiserwahl ihre Stimme zu geben; die erste Klausel stempelte den Vertrag zu einem Tauschhandel, die zweite zu einer Bestechungsaffäre. Um in den vollen Besitz des Kurfürstentums zu gelangen, brauchte der habgierige Freund Sigismunds nur noch eins — sich der Rückkaufsklausel zu entledigen. So lauerte er auf einen günstigen Augenblick, und als Sigismund auf dem Konzil von Konstanz1951 wieder einmal mit den Kosten der kaiserlichen Repräsentation in Konflikt geriet, eilte Friedrich aus der Mark nach der Schweizer Grenze und erkaufte mit dem Inhalt seiner Börse die Streichung der fatalen Klausel. Dies waren also die Mittel und Wege des göttlichen Rechts, womit die noch jetzt herrschende HohenzoIIerndynastie ihren Besitz des Kurfürstentums Brandenburg begründet. So entstand die preußische Monarchie. Friedrichs nächster Nachfolger, ein Schwächling, genannt „der Eiserne", weil er sich mit Vorliebe im eisernen Harnisch zu zeigen pflegte, kaufte dem deutschen Ritterorden für 100000 Göldgulden die Neumark ab, so wie sein Vater dem Kaiser die Altmark und die Kurfürstenwürde abgekauft hatte. Von nun an bürgerte sich die Methode des Ankaufs überschuldeter Landesteile bei den hohenzollernschen Kurfürsten ein, und wurde für sie so selbstverständlich, wie einst für den römischen Senat die Intervention. Wir wollen uns mit den langweiligen Einzelheiten dieser schmutzigen Geschäfte nun nicht weiter befassen und zur Reformationszeit übergehen. Man darf sich durchaus nicht einbilden, daß, weil die Reformation sich als die Hauptstütze der Hohenzollern erwies, die Hohenzollern auch die Hauptstütze der Reformation bildeten. Ganz im Gegenteil. Friedrich I., der Begründer der Dynastie, begann seine Regierung damit, daß er die Heere Sigismunds gegen die Hussiten[96] führte, die ihn zum Lohn für seine Mühen gründlich durchprügelten. Joachim I. Nestor, von 1499 bis 1535, behandelte die deutsche Reformation als ob sie taboritisch wäre1971. Er verfolgte sie bis zu seinem Tod. Joachim II. Hektor war zwar ein Anhänger des Luthertums, weigerte sich aber, das Schwert zur Verteidigung des neuen Glaubens zu ziehen, und dies in dem Augenblick, wo der neue Glaube der Übermacht Karls V. zu erliegen schien. Er weigerte sich nicht nur, an dem bewaffneten Widerstand des Schmalkaldischen Bundest98] teilzunehmen, sondern bot dem Kaiser seine geheimen Dienste an. Die deutsche Reformation fand, also bei den Hohenzollern zur Zeit ihres Entstehens offene Feindseligkeit, zur Zeit
ihrer ersten Kämpfe falsche Neutralität und während ihres schrecklichen Abschlusses durch den Dreißigjährigen Krieg1"1 schwächlichen Wankelmut, feige Untätigkeit und niedrige Treulosigkeit. Es ist bekannt, daß der Kurfürst Georg Wilhelm der Befreierarmee Gustav Adolfs den Weg versperren wollte, so daß ihn dieser mit Fußtritten und Schlägen ins protestantische Lager treiben mußte, aus dem er sich nachher durch einen Separatfrieden mit Österreich wieder herauszustehlen versuchte.^001 Aber wenn die Hohenzollern auch nicht die Ritter der deutschen Reformation waren, so waren sie doch sicherlich ihre Kassierer. Ihr Widerwille, für die Sache der Reformation zu kämpfen, wurde nur durch ihre Begierde wettgemacht, im Namen der Reformation zu plündern. Für sie war die Reformation bloß der religiöse Vorwand zur Säkularisation, so daß der beste Teil ihrer Erwerbungen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert auf eine einzige große Quelle zurückgeführt werden kann: Kirchenraub, eine ziemlich sonderbare Erscheinungsweise des göttlichen Rechts. In der Entstehungsgeschichte der hohenzollernschen Monarchie stehen drei Ereignisse im Vordergrund: die Erwerbung des Kurfürstentums Brandenburg, die Angliederung des Herzogtums Preußen und endlich die Erhebung des Herzogtums zu einem Königreich. Wir haben gesehen, auf welche Weise das Kurfürstentum erworben wurde. Das Herzogtum Preußen wurde durch drei Maßnahmen erworben. Erstens durch Säkularisation, dann durch Heiratsgeschäfte ziemlich zweideutigen Charakters - der Kurfürst Joachim Friedrich heiratete nämlich die jüngere Tochter und sein Sohn Johann Sigismund die ältere Tochter des verrückten Herzogs Albrecht von Preußen, der keine Söhne hatte - und endlich durch Bestechung, und zwar wurde mit der rechten Hand der Hof des polnischen Königs und mit der linken der Reichstag der polnischen Republik bestochen. Diese Bestechungsaffären waren so verwickelt, daß sie sich über eine ganze Reihe von Jahren erstreckten. Zur Verwandlung des Herzogtums Preußen in ein Königreich wurde eine ähnliche Methode angewandt. Um den Königstitel zu erlangen, brauchte Kurfürst Friedrich III., nachmaliger König Friedrich I., die Zustimmung des deutschen Kaisers. Um diese Zustimmung zu erlangen, gegen die sich das katholische Gewissen des Kaisers sträubte, bestach Friedrich den Jesuiten Wolf, Beichtvater Leopolds I., und gab bei dem Handel noch 30000 Brandenburger Landeskinder drauf, dazu bestimmt, im Österreich-spanischen Erbfolgekrieg11011 hingeschlachtet zu werden .Der hohenzollernsche Kurfürst griff auf die alte germanische Institution der Verwendung lebender Wesen als Geld zurück, nur daß die alten Deutschen mit Rindvieh zahlten und er mit Menschen. So wurde das hohenzollernsche Königtum von Gottes Gnaden gegründet.
Vom Beginn des achtzehnten Jahrhunderts an verbesserten die Hohenzollern mit der Zunahme ihrer Macht ihre Vergrößerungsmethoden, indem sie der Bestechung und dem Schacher noch Teilungsverträge mit Rußland hinzufügten gegen Staaten, die sie zwar nicht zu Fall gebracht hatten, über die sie aber herfielen, nachdem sie gefallen waren. So sehen wir sie zusammen mit Peter dem Großen bei der Teilung der schwedischen Besitztümer, mit Katharina II. bei der Teilung Polens und mit Alexander I. bei der Teilung Deutschlands.'1021 Jene also, die sich den Ansprüchen Preußens auf Neuenburg mit dem Hinweis darauf widersetzen, daß die Hohenzollern Neuenburg durch Bestechung erworben haben, begehen einen traurigen Fehler, denn sie vergessen, daß die Hohenzollern auch Brandenburg, Preußen und die Königswürde nur durch Bestechung erlangt haben. Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß sie Neuenburg mit demselben göttlichen Rechte besitzen wie ihre anderen Staaten, und sie können auf den einen nicht verzichten, ohne die anderen preiszugeben.
Geschrieben um den 2. Dezember 1856. Verglichen mit der „New-York Daily Tribüne" Nr. 4906 vom 9. Januar 1857. Aus dem Englischen.
Karl Marx [Der englisch-chinesische Konflikt]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4918 vom 23. Januar 1857, Leitartikel] Die Post der „America", die uns gestern früh erreicht hat, bringt verschiedene Unterlagen über die britischen Auseinandersetzungen mit den chinesischen Behörden in Kanton und die kriegerischen Operationen des Admirals Seymour.[103] Unserer Meinung nach muß sich für jeden Unparteiischen nach sorgfältigem Studium der offiziellen Korrespondenz zwischen den britischen Behörden in Hongkong und den chinesischen Behörden in Kanton die Schlußfolgerung ergeben, daß die Briten bei dem ganzen Vorgang im Unrecht sind. Diese behaupten, Ursache der Auseinandersetzungen sei das Vorgehen gewisser chinesischer Offiziere, die, statt sich an den britischen Konsul zu wenden, einige chinesische Verbrecher gewaltsam von einer Lorcha1, die im Kanton-Fluß lag, fortgeschafft und die britische Flagge, die am Mast wehte, eingezogen haben. „In Wahrheit gibt es jedoch", wie die Londoner „Times" schreibt, „strittige Fragen, so zum Beispiel, ob die Lorcha... die britische Flagge geführt habe und ob der Konsul zu den Schritten, die er unternommen, völlig berechtigt gewesen sei." Die damit zugegebene Fragwürdigkeit des Falles wird unterstrichen, wenn man bedenkt, daß der Konsul darauf besteht, eine Bestimmung des Vertrags11041, die sich nur auf britische Schiffe bezieht, auf diese Lorcha anzuwenden, wobei hinreichend erwiesen ist, daß die Lorcha keinesfalls ein britisches Schiff im eigentlichen Sinne war. Damit aber unsere Leser den ganzen Fall überblicken können, werden wir nun das Wichtigste aus der offiziellen Korrespondenz wiedergeben. Als erstes eine vom 21.Oktober datierte Mitteilung des Herrn Parkes, des britischen Konsuls in Kanton, an den Generalgouvemeur Yeh:
1 kleiner Segler europäischer Bauart mit chinesischer Takelung
„Ohne sich zuvor auch nur irgendwie an den britischen Konsul zu wenden, begab sich am Morgen des 8. dieses Monats eine starke Abteilung chinesischer Offiziere und Soldaten in Uniform an Bord der britischen Lorcha ,Arrow', die inmitten der vor der Stadt ankernden Schiffe lag. Trotz des Einwandes des Kapitäns der Lorcha, eines Engländers, nahmen sie zwölf Chinesen aus der vierzehnköpfigen Mannschaft fest, banden sie, führten sie fort und zogen die Flagge des Schiffes ein. Ich habe Ew. Exzellenz noch am gleichen Tage alle Einzelheiten dieser öffentlichen Beleidigung der britischen Flagge und der groben Verletzung des Artikels neun des Zusatzvertrags berichtet und Sie ersucht, Genugtuung für die Beleidigung zu geben und dafür zu sorgen, daß die Bestimmungen des Vertrags in diesem Fall genau eingehalten werden. Aber Ew. Exzellenz haben unter befremdender Mißachtung sowohl des Rechts als auch der Vertragspflichten weder eine Entschädigung noch eine Entschuldigung für die erlittene Unbill angeboten; und dadurch, daß Sie die festgenommenen Leute in Gewahrsam behalten, bekünden Sie Ihr Einverständnis mit diesem Vertragsbruch und lassen die Regierung Ihrer Majestät ohne Gewähr, daß ähnliche Übergriffe sich nicht wiederholen werden." Anscheinend waren die Chinesen an Bord der Lorcha von den chinesischen Offizieren festgenommen worden, weil diese erfahren hatten, daß ein Teil der Mannschaft an einem Piratenüberfall auf ein chinesisches Handelsschiff beteiligt gewesen war. Der britische Konsul bezichtigt den chinesischen Generalgouverneur, die Mannschaft festgenommen, die britische Flagge eingezogen, die Abgabe einer Entschuldigung verweigert und die festgenommenen Leute in Gewahrsam behalten zu haben. Der chinesische Gouverneur versichert in einem Brief an Admiral Seymour, da er festgestellt habe, daß neun der Gefangenen unschuldig seien, habe er am 10. Oktober einen Offizier beauftragt, sie wieder an Bord ihres Schiffes zu bringen, Konsul Parkes hätte sich jedoch geweigert, sie zu empfangen. In bezug auf die Lorcha selbst stellt er fest, daß sie, als die an Bord befindlichen Chinesen festgenommen wurden, als chinesisches Schiff galt, und mit Recht, denn ein Chinese hatte sie gebaut, und sie gehörte einem Chinesen, der sich in betrügerischer Weise eine britische Flagge verschafft hatte, indem er sein Schiff in das britische Kolonialregister hatte eintragen lassen - eine Methode, die bei chinesischen Schmugglern üblich zu sein scheint. Was die Beleidigung der Flagge betrifft, so bemerkt der Gouverneur:
„Bisher war es eine feststehende Regel, daß die Lorchas der Nation Ew. Exzellenz ihre Flagge einziehen, wenn sie vor Anker gehen, und sie wieder hissen, wenn sie auslaufen. Es ist hinlänglich bewiesen, daß keine Flagge wehte, als die Gefangenen an Bord der Lorcha festgenommen werden sollten. Wie konnte denn da eine Flagge niedergeholt werden? Doch Konsul Parkes verlangt in einer Depesche nach der andern, daß diese Beleidigung der Flagge gesühnt werde."
Aus dem Gesagten folgert der chinesische Gouverneur, daß keinerlei Vertragsbruch begangen worden sei. Dessenungeachtet fordert der britische Bevollmächtigte1 am 12. Oktober nicht nur die Übergabe der gesamten verhafteten Mannschaft, sondern auch eine Entschuldigung. Der Gouverneur antwortet folgendermaßen: „Am frühen Morgen des 22. Oktobers schrieb ich an Konsul Parkes, und zur selben Zeit übersandte ich ihm zwölf Leute, nämlich Leong Mingtai und Leong Kee-foo, die auf Grund der von mir eingeleiteten Untersuchungen für schuldig befunden wurden, und den Zeugen Woo Ayu zusammen mit den neun schon vorher angebotenen Leuten. Aber Herr Konsul Parkes war weder geneigt, die zwölf Gefangenen noch meinen Brief entgegenzunehmen." Parkes hätte nunmehr seine ganzen zwölf Mann zurückbekommen können, zusammen mit einem Brief, der höchstwahrscheinlich eine Eintschuldigung enthielt, einem Brief, den er aber nicht öffnete. Am Abend desselben Tages fragte Gouverneur Yeh wieder an, warum die von ihm angebotenen Gefangenen nicht angenommen würden und warum er keine Antwort auf seinen Brief erhielte. Dieser Schritt wurde nicht beachtet, hingegen wurde am 24. das Feuer auf die Forts eröffnet und mehrere eingenommen; und erst am 1 .November erklärte Admiral Seymour dem Gouverneur in einem Schreiben das scheinbar unbegreifliche Verhalten des Konsul Parkes. Die Leute, so sagt er, waren zwar dem Konsul zurückgegeben , aber «nicht offiziell auf ihr Schiff zurückgebracht, auch die geforderte Entschuldigung für die Verletzung der Konsulargerichtsbarkeit war nicht abgegeben worden". Der ganze Fall reduziert sich also auf eine Sophisterei, nämlich daß eine Anzahl Männer - darunter drei überführte Verbrecher - nicht mit allen Ehren zurückgebracht worden seien. Darauf antwortete der Gouverneur von Kanton zunächst, daß die zwölf Mann tatsächlich dem Konsul übergeben worden seien und daß es überhaupt „keine Weigerung, die Leute auf ihr Schiff zurückzubringen", gegeben habe. Was dieser britische Konsul eigentlich wollte, erfuhr der chinesische Gouverneur erst, als die Stadt sechs Tage lang bombardiert worden war. Zu der Entschuldigung erklärt Gouverneur Yeh, daß eine solche nicht gegeben werden könne, da kein Vergehen begangen worden sei. Wir zitieren seine Worte: „Zur Zeit der Verhaftung hat mein Beauftragter keine ausländische Flagge gesehen, und da sich bei der Vernehmung der Gefangenen durch den hiermit beauftragten Beamten überdies herausstellte, daß die Lorcha in keiner Beziehung ein ausländisches Schiff war, behaupte ich nach wie vor, daß hier kein Fehler begangen worden ist."
1 John Bowring
In der Tat hat dieser Chinese die ganze Frage durch die Kraft seiner Dialektik so trefflich gelöst - und ein anderer Anklagepunkt ist nicht vorhanden daß Admiral Seymour schließlich nichts anderes übrigbleibt, als folgende Erklärung abzugeben: „Ich muß jede weitere Auseinandersetzung über das Für und Wider im Fall der Lorcha ,Arrow' entschieden ablehnen. Ich bin völlig von dem Tatbestand überzeugt, wie ihn Herr Konsul Parkes Ew. Exzellenz dargestellt hat." Nachdem er aber die Forts eingenommen, die Stadtmauern durchbrochen und Kanton sechs Tage lang bombardiert hat, entdeckt der Admiral plötzlich einen ganz neuen Grund für seine Maßnahmen; denn seinem Schreiben vom 30. Oktober an den chinesischen Gouverneur entnehmen wir folgendes: „Es liegt jetzt an Ew. Exzellenz, durch sofortige Beratung mit mir einem Zustand ein Ende zu machen, der schon jetzt nicht wenig Unheil mit sich bringt, der aber, wenn er nicht behoben wird, fast unvermeidlich zu einer Katastrophe größten Ausmaßes führen kann." Der chinesische Gouverneur antwortet, daß er nach der Konvention von ] g49 [105] jjejn R^ht habe, um eine solche Beratung nachzusuchen, und fährt fort: „Was den Einlaß in die Stadt betrifft, so muß ich feststellen, daß Seine Exzellenz, der Bevollmächtigte Bonham, im April 1849 in den hiesigen Faktoreien eine Verfügung veröffentlicht hat, wonach es Ausländern verboten ist, die Stadt zu betreten. Diese Verfügung erschien damals in den Zeitungen, und ich nehme an, daß Ew. Exzellenz sie gelesen haben. Hinzu kommt, daß das Verbot, Ausländer in die Stadt einzulassen, auf Grund der einmütigen Willensäußerung der gesamten Bevölkerung von Kwangtung erfolgt ist. Man kann sich vorstellen, wie wenig erbaut die Bevölkerung von der Erstürmung der Forts und der Zerstörung ihrer Wohnungen gewesen ist; und da ich Befürchtungen hege wegen des Unheils, das den Beamten und Bürgern der Nation Ew. Exzellenz hieraus erwachsen könnte, so kann ich nichts Besseres vorschlagen, als die Politik des Bevollmächtigten Bonham als den einzig korrekten Weg beizubehalten. Was die von Ew. Exzellenz vorgeschlagene Beratung betrifft, so habe ich bereits vor einigen Tagen Tseang, dem Präfekten von Leetschoufu, Vollmacht erteilt." Admiral Seymour kommt jetzt mit der Sprache heraus und erklärt, daß ihn die Konvention des Herrn Bonham nicht interessiere. „Die Antwort Ew. Exzellenz verweist mich auf die Verfügung des britischen Bevollmächtigten aus dem Jahre 1849, wonach Ausländern das Betreten von Kanton verboten ist. Ich muß Sie nun daran erinnern, daß, obgleich wir in der Tat guten Grund haben, uns über die chinesische Regierung zu beklagen, weil sie ihr im Jahre 1847 gegebenes Versprechen gebrochen hat, Ausländer nach Ablauf von zwei Jahren in Kanton zuzulassen, meine jetzige Forderung in keiner Weise mit den früheren Verhandlungen
über dasselbe Thema in Zusammenhang steht. Auch fordere ich Zulassung für niemand außer für die ausländischen Beamten, und dies nur aus den oben angeführten einfachen und zureichenden Gründen. Auf meinen Vorschlag, mit Ew. Exzellenz personlich zu verhandeln, erweisen Sie mir die Ehre zu bemerken, daß Sie vor einigen Teigen einen Präfekten entsandt haben, Ich bin daher gezwungen, den ganzen Brief Ew. Exzellenz als im höchsten Maße unbefriedigend zu betrachten, und habe nur hinzuzufügen, daß ich, falls ich nicht umgehend eine ausdrückliche Versicherung Ihrer Zustimmung zu meinem Vorschlag erhalte, die Angriffsoperationen sogleich wieder aufnehmen werde." Gouverneur Yeh entgegnet, indem er abermals auf die Einzelheiten der Konvention von 1849 eingeht: „Im Jahre 1848 wurde eine lange polemische Korrespondenz über das Thema zwischen meinem Vorgänger Seu und dem britischen Bevollmächtigten, Herrn Bonham, geführt, und Herr Bonham, der einsah, daß eine Unterredung in der Stadt keineswegs in Frage kam, richtete im April 1849 an Seu einen Brief, in dem es heißt: ,Es ist mir zur Zeit unmöglich, weitere Diskussionen mit Ew. Exzellenz über dieses Thema zu führen.' Er erließ ferner eine Verfügung in den Faktoreien, die auch in den Zeitungen veröffentlicht wurde, wonach es keinem Ausländer gestattet war, die Stadt zu betreten; hiervon setzte er die britische Regierung in Kenntnis. Es gab weder einen Chinesen noch irgendeinen Ausländer, der nicht gewußt hätte, daß diese Frage niemals wieder diskutiert werden sollte." Des Argumentierens überdrüssig, erzwingt sich der britische Ädmiral hierauf den Weg in die Stadt Kanton zur Residenz des Gouverneurs und zerstört gleichzeitig die kaiserliche Flotte auf dem Fluß. So lassen sich zwei Akte in diesem diplomatischen und militärischen Drama deutlich unterscheiden: Der erste leitete das Bombardement von Kanton ein unter dem Vorwand, der chinesische Gouverneur hätte den Vertrag von 1842 gebrochen, und der zweite setzte das Bombardement in größerem Maßstab fort unter dem Vorwand, der Gouverneur hielte sich hartnäckig an die Konvention von 1849. Zuerst wird Kanton bombardiert, weil es einen Vertrag bricht, und dann wird es bombardiert, weil es einen Vertrag einhält. Überdies wird nicht einmal behauptet, daß im ersten Fall keine Wiedergutmachung erfolgt, sondern nur, daß sie nicht in der vorgeschriebenen Form erfolgt sei. Die Ansicht, die die Londoner „Times" über den Fall vertritt, würde nicht einmal General William Walker aus Nikaragua11061 in Mißkredit bringen. „Durch diesen Ausbruch der Feindseligkeiten", schreibt das Blatt, „sind die bestehenden Verträge annulliert, und es steht uns frei, unsere Beziehungen mit dem Chinesischen Reich so zu gestalten, wie es uns beliebt... Die letzten Vorgänge in Kanton legen uns nahe, daß wir jenes Recht des freien Zugangs in das Land und in die
für uns offenen Häfen erzwingen sollten, das im Vertrag von 1842 ausbedungen worden war. Wir wollen uns nicht noch einmal sagen lassen, daß unsere Vertreter beim chinesischen Generalgouverneur nicht in Audienz empfangen werden, weil wir auf die Durchführung des Artikels, der Ausländern gestattet, den Bereich unserer Faktoreien zu überschreiten, verzichteten." Mit anderen Worten, „wir" haben Feindseligkeiten eröffnet, um einen bestehenden Vertrag zu brechen und einen Anspruch durchzusetzen, auf den „wir " in einer besonderen Konvention verzichtet haben. Wir freuen uns jedoch, mitteilen zu können , daß ein anderes prominentes Organ der britischen öffentlichen Meinung sich in einem humaneren und schicklicheren Tone äußert. „Es ist", schreibt die „Daily News"!107], „eine ungeheuerliche Tatsache, daß wir, um den gekränkten Stolz eines britischen Beamten zu rächen und die Torheit eines asiatischen Gouverneurs zu bestrafen, unsere Stärke zu dem schändlichen Werk mißbrauchen, Feuer und Schwert, Verwüstung und Tod in die friedlichen Heime harmloser Menschen zu tragen, an deren Küsten wir ursprünglich als Eindringlinge landeten. Wie dieses Bombardement der Stadt Kanton auch ausgehen mag, die Tat ist schlecht und gemein - eine rücksichtslose Und mutwillige Vergeudung von Menschenleben, geopfert für eine falsche Etikette und eine verfehlte Politik." Es ist noch die Frage, ob die zivilisierten Nationen der Welt diese Art, ein friedliches Land ohne vorherige Kriegserklärung wegen angeblicher Übertretung eines ausgeklügelten Kodex der diplomatischen Etikette zu überfallen, billigen werden. Wenn andere Mächte den ersten chinesischen Krieg trotz seines infamen Vorwandes nachsichtig beurteilten, weil er die Erschließimg des Handels mit China in Aussicht stellte11081, ist es dann nicht wahrscheinlich, daß der zweite Krieg diesen Handel auf unbestimmte Zeit behindern wird? Sein erstes Ergebnis muß unweigerlich die Abtrennung Kantons von den Tee-Anbaugebieten sein, die sich noch zum größten Teil in den Händen der Kaiserlichen befinden11091 - ein Umstand, der lediglich den russischen Überland-Teehändlern zum Vorteil gereichen wird.11101
Geschrieben am 7. Januar 1857. Aus dem Englischen.
Friedrich Engels [Kriegführung im Gebirge einst und jetzt11111]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4921 vom 27. Januar 1857, Leitartikel! Die vor kurzem entstandene und noch nicht völlig beseitigte Möglichkeit eines Einfalls in die Schweiz1751 hat verständlicherweise das öffentliche Interesse nicht nur für die Verteidigungskräfte der Gebirgsrepublik, sondern auch für die Kriegführung im Gebirge überhaupt wieder aufleben lassen. Man neigt im allgemeinen dazu, die Schweiz für uneinnehmbar zu halten und eine Invasionsarmee mit jenen römischen Gladiatoren zu vergleichen, deren „Ave, Caesar, morituri te salutant"1 so berühmt geworden ist. Wir erinnern uns an Sempach uncTMorgarten, an Murten und Grandson[112], und es heißt, daß es für eine fremde Armee recht leicht sein soll, in die Schweiz einzudringen, daß es aber, wie der Narr des Albrecht von Österreich sagte, schwer sein werde, wieder herauszukommen. Selbst Militärfachleute werden ein Dutzend Namen von Gebirgspässen und Defileen nennen können, wo eine Handvoll Leute leicht und erfolgreich einigen Tausend der besten Soldaten Widerstand leisten kann. Diese traditionelle Uneinnehmbarkeit der sogenannten Bergfestung Schweiz datiert aus der Zeit der Kriege mit Österreich und Burgund im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Damals war die Hauptkraft der Eindringlinge die gepanzerte Kavallerie der Ritter; ihre Stärke lag in dem unwiderstehlichen Ansturm auf Heere, die keine Feuerwaffen besaßen. Aber dieser Ansturm war in einem Lande wie der Schweiz unmöglich, wo Kavallerie selbst jetzt nutzlos ist, außer der ganz leichten, wenn sie in kleiner Zahl eingesetzt wird. Um wieviel nutzloser waren es die Ritter des vierzehnten Jahrhunderts, behindert durch fast einen Zentner Eisen. Sie mußten
1 „Sei gegrüßt, Cäsar! Die dem Tode Geweihten begrüßen Dich"
xV^^4*«®-. —, ^ . . -f. cj^s^,
^C^i&vZ&iZ^ .
c&Lfs-"*. e^Ca^p^e.
i^Bl' iHr« i if A^t^ ^vteu yBfttf Jtf1^* W^C^ . • ^^•»»t o ^ -^ s *
Erste Seite des Manuskripts „Kriegführung im Gebirge einst und jetzt" von Friedrich Engels

absitzen und zu Fuß kämpfen; dadurch ging ihr letzter Rest an Beweglichkeit verloren; die Angreifer wurden in die Defensive gezwungen und konnten sich, wenn sie in einem Gebirgspaß abgefaßt wurden, nicht einmal gegen Keulen und Stöcke verteidigen. Während der Burgunderkriege hatte die Infanterie, mit Piken bewaffnet, innerhalb der Armee an Bedeutung gewonnen, auch waren bereits Feuerwaffen eingesetzt worden, aber noch war die Infanterie durch die schwere Schutzausrüstung behindert, die Kanonen waren schwer und Handfeuerwaffen plump und relativ nutzlos. Die ganze Ausrüstung war den Truppen immer noch so hinderlich, daß diese für einen Gebirgskrieg völlig untauglich wurden, besonders zu einer Zeit, wo man kaum davon reden kann, daß Straßen existiert haben. Die Folge war, daß diese wenig beweglichen Armeen steckenblieben, sobald sie in schwierigem Gelände in Kämpfe verwickelt wurden, während die leichtbewaffneten Schweizer Bauern in der Lage waren, offensiv zu kämpfen, den Gegner zu überlisten, zu umzingeln und schließlich zu schlagen. Nach den Burgunderkriegen wurde die Schweiz drei Jahrhunderte lang niemals ernsthaft angegriffen. Die Überlieferung von der Unbesiegbarkeit der Schweizer wurde eine ehrwürdige Tradition, bis die Französische Revolution, ein Ereignis, das so viele ehrwürdige Traditionen zerschlug, auch diese zerstörte - wenigstens bei denjenigen, welche die Kriegsgeschichte kennen. Die Zeiten hatten sich geändert. Die gepanzerte Kavallerie und die schwerfälligen Pikeniere gehörten der Vergangenheit an, die Taktik war dutzendmal revolutioniert worden; die wichtigste Eigenschaft der Armeen wurde ihre Beweglichkeit; die Lineartaktik von Marlborough, Eugen und Friedrich dem Großen wurde durch die Kolonnen und die Schützenlinien der Revolutionsarmeen über den Haufen geworfen, und seit dem Tag, da General Bonaparte 1796 den Col di Cadibona passierte und sich zwischen die getrennten österreichischen und sardinischen Kolonnen warf, sie frontal schlug, während er ihnen gleichzeitig den Rückzug in die engen Täler der Seealpen abschnitt und den größten Teil seiner Gegner gefangennahm - seit diesem Tag datiert ein neuer wissenschaftlicher Zweig, die Kriegführung im Gebirge, die der Uneinnehmbarkeit der Schweiz ein Ende bereitet hat. Während der Periode der Lineartaktik, die der modernen Kriegführung unmittelbar vorausging, wurde jedes schwierige Terrain von beiden Seiten sorgsam vermieden. Je ebener das Gelände, desto besser schien es als Schlachtfeld geeignet, wenn es nur einige Hindernisse bot, um einen oder beide Flügel zu decken. Doch mit den französischen Revolutionsarmeen begann ein anderes System. In jeder Defensivstellung wurde nach einem Hindernis vor der Front, das den Schützenketten und ebenso den Reserven Deckung bot, sorg
fältig Ausschau gehalten. Überhaupt wurde schwieriges Terrain von den Franzosen vorgezogen; ihre Truppen waren viel beweglicher, und ihre Formierung in geöffneter Ordnung und in Kolonnen erlaubte nicht1 nur schnelle Bewegungen in jede Richtung, sondern gab ihnen sogar die Möglichkeit, unebenes Gelände zu ihrem Vorteil auszunutzen, während ihre Gegner zur gleichen Zeit in solchem Gelände völlig hilflos waren. In der Tat, der Ausdruck „ungangbares Gelände" wurde aus der militärischen Terminologie nahezu ausradiert. Die Schweizer bekamen das 1798 zu spüren, als vier französische Divisionen trotz des hartnäckigen Widerstandes eines Teiles der Bevölkerung und der dreimaligen Erhebung der alten Waldkantone sich zu Herren des Landes machten, das in den folgenden drei Jahren zu einem der wichtigsten Schauplätze des Krieges zwischen der französischen Republik und der Koalition wurde1113'1. Wie wenig die Franzosen die unzugänglichen Berge und engen Schluchten der Schweiz fürchteten, zeigten sie schon im März 1798, als Massena geradeswegs auf Graubünden zu marschierte, den rauhesten und gebirgsreichsten Kanton, der damals von den Österreichern besetzt war. Diese hielten das obere Rheintal. In konzentrisch angesetzten Kolonnen marschierten Massenas Truppen über Gebirgspässe, die für Pferde kaum passierbar waren, in das Tal, besetzten alle Ausgänge und zwangen die Österreicher, nach kurzem Widerstand die Waffen zu strecken. Die Österreicher machten sich diese Lektion sehr bald zunutze; unter Hotze, einem General, der im Gebirgskrieg bedeutende Fertigkeit erlangt hatte, nahmen sie den Kampf wieder auf, wiederholten das gleiche Manöver und trieben die Franzosen hinaus. Darauf folgte der Rückzug Massenas auf die Defensivstellung bei Zürich, wo er Korsakows Russen schlug; dann Suworows Einfall in die Schweiz über den St. Gotthard, sein folgenschwerer Rückzug, und schließlich ein weiterer Angriff der Franzosen durch Graubünden nach Tirol, wo Macdonald im tiefsten Winter drei Gebirgskämme überschritt, die damals selbst im Gänsemarsch kaum für passierbar galten. Die sich daran anschließenden bedeutenden napoleonischen Feldzüge wurden in den großen Flußbecken der Donau und des Po ausgefochteri, weil die großartigen strategischen Konzeptionen, auf denen sie fußten, alle darauf gerichtet waren, die feindliche Armee von dem Zentrum ihrer Ressourcen abzuschneiden, die Armee zu vernichten und dann das Zentrum selbst zu besetzen; sie bedingten deshalb ein weniger behindertes Terrain und die Konzentration von Massen für entscheidende Schlachten, die in alpinen Gebieten nicht möglich sind. Die Geschichte der
1 Hier endet das handschriftliche Fragment
Kriegsereignisse von dem ersten Alpenfeldzug Napoleons 1796, seinem Marsch über die Julischen Alpen nach Wien 1797 bis 1801 beweist jedoch, daß die Gebirgskämme und Täler der Alpen ihren Schrecken für moderne Armeen völlig verloren haben; auch habeiji die Alpen seither bis 1815 weder Frankreich noch der Koalition irgendwelche nennenswerten Defensivstellungen geboten. , Wenn man durch eine jener Schluchten geht, welche sich längs der Straßen erstrecken, die vom Nordhang zum Südhang der Alpen führen, findet man an jeder Wegbiegung die denkbar stärksten Verteidigungspositionen. Nehmen wir zum Beispiel die bekannte Viamala. Es gibt keinen Offizier, der uns nicht erklären wird, daß er diesen Engpaß mit einem Bataillon gegen einen Feind halten könne, wenn er sicher wäre, nicht umgangen zu werden. Aber gerade darum handelt es sich. Es gibt auch im höchsten Kamm der Alpen keinen Gebirgspaß, der nicht umgangen werden kann. Napoleons Maxime für den Gebirgskrieg war:
„Wo eine Ziege passieren kann, kann auch ein Mann passieren; wo ein Mann passieren kann, kann es auch ein Bataillon; wo ein Bataillon passieren kann, kann es auch eine Armee." AuchSuworow mußte danach handeln, als er im Reußtal fest eingeschlossen war und seine Armee auf Hirtenpfaden führen mußte, wo nur jeweils ein Mann passieren konnte, während ihm Lecourbe, der beste französische^ General im Gebirgskrieg, auf den Fersen folgte. Die Stärke von Verteidigungsstellungen - die frontal anzugreifen oft glatter Wahnsinn wäre - wird mehr als aufgewogen durch die Tatsache, daß der Feind leicht umgangen werden kann. Alle Wege zu sichern, durch die eine Stellung umgangen werden kann, würde für die Verteidiger eine solche Zersplitterung der Kräfte bedeuten, daß eine sofortige Niederlage sicher wäre. Die Wege können bestenfalls nur beobachtet werden, und bei der Abwehr des Umgehungsmanövers muß man sich auf den klugen Einsatz der Reserven sowie auf die Entschlußkraft und das rasche Handeln der Befehlshaber einzelner Detachements verlassen; und trotzdem, wenn von drei oder vier Umgehungskolonnen nur eine erfolgreich ist, dann ist die sich verteidigende Seite in der gleichen schlechten Lage, als ob alle erfolgreich gewesen wären. Deshalb ist, vom strategischen Standpunkt aus gesehep, der Angriff im Gebirgskrieg der Verteidigung entschieden überlegen. Auch vom rein taktischen Gesichtspunkt aus betrachtet ergibt sich dasselbe Bild. Die Verteidigungsstellungen werden immer enge Gebirgsschluchten sein, die von starken Kolonnen im Tal besetzt sind und von Schützen auf
8 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
den Höhen gedeckt werden. Diese Stellungen können entweder von der Front her durch Gruppen von Schützen umgangen werden, die an den Hängen des Tales hinaufsteigen und die Scharfschützen der Verteidiger umgehen, oder durch Abteilungen, die auf dem Gebirgskamm, wo das möglich ist, bzw. durch ein parallellaufendes Tal marschieren, wobei diese Truppen irgendeinen Paß ausnutzen, um in die Flanke oder in den Rücken der Defensivstellung zu fallen. In all diesen Fällen haben die Truppen, die den Feind umgehen, den Vorteil, daß sie die Lage beherrschen; sie besetzen das höherliegende Gelände und übersehen das von ihren Gegnern besetzte Tal. Sie können Felsbrocken und Bäume auf die Verteidiger hinabwälzen; denn heutzutage ist keine Kolonne so unklug, eine tiefe Schlucht, zu besetzen, ehe sie nicht deren Hänge gelichtet hat, so daß sich diese zuerst für die Verteidigung günstige Maßnahme jetzt gegen die Verteidiger selbst wendet. Ein anderer Nachteil der Verteidigung liegt darin, daß der Nutzen der Feuerwaffen, auf die sie sich hauptsächlich stützt, in gebirgigem Gelände sehr gering ist. Die Artillerie ist entweder fast ohne Nutzen, oder sie geht dort, wo sie ernstlich eingesetzt wird, bei einem Rückzug gewöhnlich verloren. Die sogenannte Gebirgsartillerie, leichte Haubitzen, die auf den Rücken von Mauleseln transportiert werden, ist kaum von Nutzen, wie die Erfahrung der Franzosen in Algerien[114 ] vollauf beweist. Was die Musketen und Büchsen anbetrifft, so beraubt die sich in solchem Gelände überall bietende Deckung die Verteidiger eines großen Vorteils - nämlich den, vor ihrer Stellung ein ungedecktes Gelände zu haben, das der Feind unter Feuer passieren muß. Wir kommen daher auf taktischem ebenso wie auf strategischem Gebiet zu der Schlußfolgerung des Erzherzogs Karl von Österreich, eines der besten Generale im Gebirgskrieg und eines erstklassigen Schriftstellers auf diesem Gebiet, daß bei dieser Art Kriegführung der Angriff der Verteidigung weit überlegen ist. Ist es also völlig zwecklos, ein gebirgiges Land zu verteidigen? Natürlich nicht. Daraus folgt nur, daß die Verteidigung nicht ausschließlich passiv sein darf, daß sie ihre Stärke in der Beweglichkeit suchen muß und daß sie, wenn immer sich Gelegenheit bietet, offensiv kämpfen muß. In alpinen Ländern kann es kaum zu Schlachten kommen; der ganze Krieg ist eine fortlaufende Kette von kleinen Kämpfen, von Versuchen der Angreifer, einen Keil in die eine oder andere Stelle der feindlichen Position hineinzutreiben und dann nachzudrängen. Beide Armeen sind notwendigerweise zersplittert; beide müssen sich bei jedem Schritt einem für den andern vorteilhaften Angriff aussetzen; beide müssen sich einer Reihe von Zufällen anvertrauen. Der einzige Vorteil, den die sich verteidigende Armee wahrnehmen kann, besteht darin, die schwachen Stellen des Feindes zu suchen und sich selbst zwischen
seine getrennten Kolonnen zu werfen. In einem solchen Falle würde eine starke Verteidigungsstellung, auf die sich eine völlig passive Verteidigung ausschließlich stützt, für den Feind zu einer einzigen Falle werden, in die er gelockt werden kann, um ihn dann wie einen Stier bei den Hörnern zu packen. Zur gleichen Zeit werden sich die größten Bemühungen der Verteidiger gegen die Umgehungskolonnen der Angreifer richten, von denen jede selbst umgangen und in dieselbe aussichtslose Lage gebracht werden kann, in die sie die Verteidiger bringen wollte. Es leuchtet jedoch ohne weiteres ein, daß eine solche aktive Verteidigung energische, erfahrene und geschickte Generale voraussetzt, gut disziplinierte, leichtbewegliche Truppen und vor allen Dingen sehr tüchtige und zuverlässige Führer der Brigaden, Bataillone und sogar Kompanien; denn in diesem Falle hängt alles vom schnellen, umsichtigen Handeln der Detachements ab. Es gibt noch eine andere Form des Defensivkrieges im Gebirge, die in neuester Zeit berühmt geworden ist; das ist die einer nationalen Insurrektion und der Partisanenkrieg, der, zumindest in Europa, unbedingt ein gebirgiges Land erfordert. Wir haben dafür vier Beispiele: den Tiroler Aufstand, den spanischen Guerillakrieg gegen Napoleon, die Insurrektion der karlistischen Basken11151 und den Krieg der kaukasischen Stämme gegen Rußland[116]. Obwohl den Eindringlingen große Schwierigkeiten bereitet worden sind, hat sich keiner der Kämpfe, allein gesehe^als erfolgreich erwiesen. Der Tiroler Aufstand war nur so lange zu fürchten, wie er 1809 durch den Kampf regulärer österreichischer Truppen gestützt wurde. Obwohl die spanischen Guerillas den gewaltigen Vorteil eines sehr ausgedehnten Landes hatten, konnten sie hauptsächlich dank der englisch-portugiesischen Armee ihren Widerstand so lange fortsetzen, denn gegen diese mußten die Franzosen stets ihre Hauptanstrengungen richten. Die lange Dauer des Karlistenkrieges erklärt sich durch den heruntergekommenen Zustand, in den die spanische reguläre Armee damals geraten war, und durch die ständigen Verhandlungen zwischen den Generalen der Karlisten und der Christinos1 und kann deshalb nicht als ein angemessenes Beispiel gelten. Schließlich war im Kampf der Kaukasier, der tapfersten aller Bergbewohner, der relative Erfolg ihrer offensiven Taktik zuzuschreiben, die sie bei der Verteidigung ihres Landes vorwiegend anwandten. Wo immer die Russen - sie und die Briten sind von allen Truppen für den Gebirgskrieg am wenigsten geeignet - die Kaukasier angriffen, wurden letztere gewöhnlich geschlagen, ihre Dörfer zerstört und ihre Gebirgspässe durch russische befestigte Punkte gesichert. Die Stärke der
1 Anhänger Maria Christinas
Kaukasier lag jedoch in fortgesetzten Ausfällen von ihren Bergen in die Ebenen, in Überfällen auf russische Standorte oder Vorposten, in schnellen Streifzügen weit im Rücken der vorgeschobenen russischen Linie, in Angriffen aus dem Hinterhalt auf russische Kolonnen, die sich auf dem Marsch befanden, Mit anderen Worten, sie waren leichter und beweglicher als die Russen und machten sich diesen Vorteil zunutze. Bei jedem der Beispiele also, selbst bei vorübergehend erfolgreichen Insurrektionen der Bergbewohner, ist der Erfolg immer durch offensive Aktionen erzielt worden. Darin unterscheiden sich diese Beispiele völlig von den Schweizer Insurrektionen der Jahre 1798 und 1799, wo wir sehen, wie die Aufständischen einige scheinbar starke Verteidigungsstellungen beziehen und die Franzosen erwarten, die die Schweizer in jedem Falle zusammenschlagen.
Geschrieben um den 10. Januar 1857. Aus dem Englischen.
Karl Marx Der Krieg gegen Persien1,171
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4937 vom 14. Februar 1857, Leitartikel] Um die Politik und das Ziel des Krieges zu verstehen, den unlängst die Briten gegen Persien unternommen haben und der nach den letzten Berichten so energisch betrieben worden ist, daß er zur Unterwerfung des Schahs geführt hat, muß man eine kurze Rückschau auf die Angelegenheiten Persiens halten. Die persische Dynastie, die 1502 von Ismail, der sich für einen Nachkommen der alten persischen Könige hielt, begründet worden war, erfuhr um 1720, nachdem sie mehr als zwei Jahrhunderte die Macht und Würde eines großen Staates gewahrt hatte, eine schwere Erschütterung durch die Rebellion der in den östlichen Provinzen lebenden Afghanen. Die Afghanen drangen in Westpersien ein, und zwei afghanischen Fürsten gelang es, sich für einige Jahre auf dem persischen Thron zu halten. Sie wurden jedoch schnell durch den berühmten Nadir hinausgetrieben, der zuerst in der Eigenschaft eines Generals des persischen Prätendenten tätig war. Nachher übernahm er selbst die Krone und bezwang nicht nur die rebellischen Afghanen, sondern trug auch durch seinen berühmten Einfall in Indien viel zu jener Desorganisation des niedergehenden Mogulreiches bei, die dem Aufstieg der britischen Macht in Indien den Weg öffnete. Inmitten der Anarchie, die in Persien dem Tode Nadir Schahs im Jahre 1747 folgte, entstand unter der Herrschaft Achmed Durranix'ein unabhängiges afghanisches Königreich, das die Fürstentümer Herat, Kabul, Kandahar, Peschawar und alle die Territorien umfaßte, die später im Besitz der Sikhs[118] waren. Dieses Königreich, nur oberflächlich zusammengefügt, brach nach dem Tode seines Begründers zusammen und löste sich wieder in seine Bestandteile auf, in die unabhängigen afghanischen Stämme mit ihren beson
deren Häuptlingen, entzweit durch endlose Fehden und nur ausnahmsweise vereint durch den allgemeinen Drück eines Zusammenstoßes mit Persien. Dieser politische Antagonismus zwischen den Afghanen und Persern, der auf der Verschiedenheit der Abstammung beruht, mit historischen Reminiszenzen vermischt ist und durch Grenzstreitigkeiten und gegenseitige Gebietsansprüche aufrechterhalten wird, ist auch gleichsam durch einen religiösen Antagonismus sanktioniert, denn die Afghanen sind Mohammedaner der Sunna-Sekte, d.h., des orthodoxen mohammedanischen Glaubens, während Persien das Bollwerk der ketzerischen Schiiten bildet. Trotz dieses heftigen und allgemeinen Antagonismus gab es einen Berührungspunkt zwischen den Persern und Afghanen - ihre gemeinsame Feindschaft gegenüber Rußland. Zum ersten Mal fiel Rußland unter Peter dem Großen in Persien ein, doch ohne viel Erfolg. Alexander I. war erfolgreicher und raubte Persien durch den Frieden von Gulistantll9] zwölf Provinzen, die größtenteils südlich des Kaukasus lagen. Nikolaus entriß Persien durch den Krieg 1826/1827, der mit dem Frieden von Turkmanschai[1201 endete, einige weitere Gebiete und schloß es von der Schiffahrt an seinen eigenen Küsten am Kaspischen Meer aus. Die Erinnerung an frühere Plünderungen, das Erleiden der gegenwärtigen Einschränkungen und die Furcht vor künftigen Übergriffen trafen gleichermaßen zusammen, um Persien in eine tödliche Opposition gegen Rußland zu treiben. Die Afghanen ihrerseits, obwohl sie niemals in wirkliche Kämpfe mit Rußland verwickelt waren, pflegten es als den ewigen Feind ihrer Religion und als einen Riesen anzusehen, der Asien eines Tages verschlucken konnte. Weil sie Rußland als ihren natürlichen Feind ansahen, wurden beide Völker, die Perser und die Afghanen, dazu bewegt, England als ihren natürlichen Verbündeten zu betrachten. Um daher seine Vorherrschaft zu behaupten, brauchte England nur den wohltätigen Vermittler zwischen Persien und Afghanistan zu spielen und sich als entschiedener Gegner russischer Übergriffe zu erweisen. Eine Gebärde der Freundschaft auf der einen Seite und die Androhung von Widerstand auf der anderen weiter war nichts nötig. Man kann jedoch nicht sagen, daß die Vorzüge dieser Position sehr erfolgreich ausgenützt worden sind. Anläßlich der Wahl eines Erben für den Schah von Persien ließen sich die Engländer 1834 dazu bewegen, zugunsten des von Rußland vorgeschlagenen Fürsten mitzuwirken und diesen Fürsten im nächsten Jahr bei der bewaffneten Verteidigung seines Anspruchs gegen seinen Rivalen mit Geld und der aktiven Beihilfe britischer Offiziere zu unterstützen.[121] Die nach Persien geschickten englischen Botschafter wurden zwar beauftragt, die persische Regierung davor zu warnen, sich in einen Krieg
Erste Seite des Manuskripts „Der Krieg gegen Persien" von Karl Marx

gegen die Afghanen treiben zu lassen, der nur zu einer Vergeudung von Mitteln führen würde; aber als diese Gesandten ernsthaft um die Befugnis ersuchten, einen angedrohten Krieg dieser Art zu verhindern, wurden sie durch das Ministerium im Heimatland an einen Paragraphen eines alten Vertrages von 1814 erinnert, nach dem die Engländer im Falle eines Krieges zwischen Persien und den Afghanen nicht einschreiten sollten, es sei denn, daß um ihre Vermittlung nachgesucht würde. Die britischen Gesandten und die britischen Indienbehörden waren der Meinung, dieser Krieg sei von Rußland geplant und diese Macht strebe danach, die Ausdehnung des persischen Herrschaftsbereichs nach Osten als Mittel zur Öffnung einer Straße auszunutzen, über die gelegentlich eine russische Armee nach Indien marschieren könnte. Diese Vorstellungen scheinen jedoch wenig oder gar keinen Eindruck auf Lord Palmerston gemacht zu haben, der damals an der Spitze des Ministeriums für Auswärtiges stand, und im September 1837 drang eine persische Armee in Afghanistan ein. Verschiedene kleine Erfolge brachten sie bis nach Herat; vor dieser Stadt bezog sie ein Lager und begann unter der persönlichen Leitung des Grafen Simonitsch, des russischen Botschafters am persischen Hof, die Belagerungsoperationen. Während des Fortschritts dieser kriegerischen Handlungen sah sich McNeil, der britische Botschafter, durch widersprüchliche Instruktionen in seiner Tätigkeit gelähmt. Einerseits schärfte ihm Lord Palmerston ein, „sich davor zu hüten, die Beziehungen Persiens zu Herat zu einem Gegenstand der Diskussion zu machen", da England mit dem, was zwischen Persien und Herat ist, nichts zu tun hätte. Andererseits erwartete Lord Auckland, der Generalgouverneur Indiens, von ihm, daß er dem Schah ausreden sollte, seine Operationen weiterzutreiben. Sofort bei Beginn der Expedition hatte Herr Ellis die britischen Offiziere, die in der persischen Armee dienten, abberufen, aber Palmerston ließ sie wiedereinsetzen. Als dann der Generalgouverneur von Indien wiederum McNeil instruierte, die britischen Offiziere abzuziehen, machte Palmerston diese Entscheidung von neuem rückgängig. Am 8. März 1838 begab sich McNeil zum persischen Lager und bot seine Vermittlung an, nicht im Namen Englands, sondern Indiens. Gegen Ende Mai 1838, als die Belagerung schon etwa neun Monate gedauert hatte, schickte Palmerston eine drohende Depesche an den persischen Hof, in der er die Herat-Angelegenheit erstmalig zum Gegenstand einer Beschwerde machte und zum ersten Mal „Persiens Verbindung mit Rußland" tadelte. Gleichzeitig gab die Indien-Regierung einer Kriegsexpedition den Befehl, zum Persischen Golf zu segeln und die Insel Charak in Besitz zu nehmen - dieselbe Insel, die kurz vorher von den Engländern besetzt worden
war. Zu einer noch späteren Zeit zog sich der englische Gesandte von Teheran nach Erzerum zurück, und dem nach England geschickten persischen Botschafter wurde der Zutritt verweigert. In der Zwischenzeit hatte Herat trotz einer sehr langwierigen Blockade ausgehalten, die persischen Sturmangriffe wurden zurückgeschlagen, und am 15. August 1838 war der Schah gezwungen, die Belagerung aufzuheben und sich in Eilmärschen aus Afghanistan zurückzuziehen. jetzt hätte man annehmen dürfen, daß die Uperationen der Engländer beendet werden könnten, doch weit davon entfernt nahmen die Dinge eine höchst ungewöhnliche Wendung. Nicht damit zufrieden, die Versuche Persiens zur Besitzergreifung eines Teils von Afghanistan zurückzuweisen, die angeblich auf Betreiben und im Interesse Rußlands erfolgten, versuchten es die Engländer, selber das ganze Land zu besetzen. Daher der berühmte Afghanische Krieg11225, dessen schließliches Ergebnis für die Engländer so verheerend war und dessen wirkliche Urheberschaft noch immer ein großes Geheimnis bleibt. Der gegenwärtige Krieg gegen Persien ist aus einem Anlaß geführt worden, sehr ähnlich dem, welcher dem Afghanischen Krieg vorausging, nämlich aus Anlaß eines Angriffs der Perser auf Herat, der im jetzigen Falle zur Einnahme dieser Stadt geführt hat. Ein erstaunlicher Umstand ist jedoch, daß die Engländer jetzt als die Verbündeten und Verteidiger desselben Dost Muhammad Chan handeln, den sie im afghanischen Streitfall so erfolglos zu entthronen versuchten. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Krieg so außerordentliche und unerwartete Folgen haben wird wie jene, die den früheren begleiteten.
Geschrieben um den 27. Januar 1857, Aus dem Englischen.
Friedrich Engels [Perspektiven des Englisch-Persischen Krieges]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 494) vom 19. Februar 1857, Leitartikel] Der Besitz Herats, eines afghanischen Fürstentums1811, das aber jüngst von den Persern besetzt wurde, ist die Frage, die die Engländer, welche im Namen der Ostindischen Kompanie auftreten, veranlaßt hat, den wichtigsten persischen Hafen am Persischen Golf, Buschir, zu besetzen. Die politische Bedeutung Herats ergibt sich aus der Tatsache, daß es das strategische Zentrum des gesamten Landes ist, das zwischen demPersischen Golf, dem Kaspischen Meer und dem Jaxartes im Westen und Norden und dem Indus im Osten liegt, so daß im Falle eines großen Kampfes zwischen England und Rußland um die Vorherrschaft in Asien - eines Kampfes, zu dessen jähem Ausbruch die englische Invasion in Persien führen kann -, Herat das Hauptziel der Auseinandersetzung und wahrscheinlich den Schauplatz der ersten großen militärischen Operationen bilden wird. Daß die Herat zugeschriebene Bedeutung nicht unbegründet ist, muß jedem offenbar sein, der seine geographische Lage versteht. Das Innere Persiens wird durch eine Hochebene gebildet, die von allen Seiten von Gebirgsketten umgeben ist, welche den Gewässern, die in die Ebene herniederfließen, keinen Abfluß gestatten. Diese Gewässer sind nicht bedeutend genug, einen oder mehrere zentrale Seen zu bilden; sie verlieren sich entweder in weiten Morästen oder Versickern allmählich in dem trockenen Sand der großen Wüste, die den weitaus größeren Teil der persischen Hochebene ausfüllt und eine fast unüberwindliche Barriere zwischen West- und Nordostpersien bildet. Die Nordgrenze dieser Wüste wird, durch die Berge von Khorassan gebildet, die sich fast genau in östlicher Richtung von der Südostecke des Kaspischen Meeres aus erstrecken und das Verbindungsglied
zwischen dem Elburs und dem Hindulcusch bilden; und gerade dort, wo diese Berge einen Ausläufer nach Süden schicken, der die Persische Wüste von den besser bewässerten Gebieten Afghanistans abteilt, liegt Herat, umgeben und versorgt durch ein Tal von beträchtlichem Ausmaß und üppiger Fruchtbarkeit. Nördlich der Khorassari-Berge finden wir eine Wüste, ähnlich der an ihrem Südfuße. Auch hier verlieren sich mächtige Flüsse, wie der Murgab im Sande. Doch der Oxus und der Jaxartes sind so mächtig, daß sie ihn durchqueren und in ihrem unteren Verlauf ausgedehnte Täler bilden, die kultiviert werden können. Jenseits des Jaxartes nimmt die Wüste allmählich den Charakter der Steppen Südrußlands an, in denen sie sich schließlich gänzlich verliert. So haben wir drei ausgeprägte Gebiete einer relativen Zivilisation, die sich zwischen dem Kaspischen Meer und Britisch-Indien erstrecken. Erstens die Städte Westpersiens: Schiras, Schuster, Teheran und Isfahan; zweitens die afghanischen Städte: Kabul, Ghasni und Kandahar; drittens die Städte von Turan: Chiwa, Buchara, Balch und Samarkand. Zwischen all diesen besteht ein beachtlicher Verkehr, und das Zentrum dieses ganzen Verkehrs ist notwendigerweise Herat. Die Straßen, die vom Kaspischen Meer zum Indus und vom Persischen Golf zum Oxus führen, treffen sämtlich in dieser Stadt zusammen. Herat liegt auf halbem Wege zwischen Kabul und Teheran, zwischen Schiras und Balch. Die Kette der Oasen, welche die große Karawanenstraße quer durch die Persische Wüste über Yezd und Kohistan markiert, führt in gerader Linie auf Herat zu, und andererseits ist die einzige Straße, die von Westen nach Osten über Zentralasien führt und die Wüste umgeht, die über die Khorassan-Berge und durch Herat. Somit ist Herat ein Punkt, der in den Händen einer starken Macht zur Beherrschung sowohl Irans als auch Turans - sowohl Persiens als auch Transoxoniens - benutzt werden kann. Er gibt seinem Besitzer im allerhöchsten Grade alle Vorteile einer zentralen Position, von der aus strahlenförmig Angriffe nach allen Richtungen mit größerer Leichtigkeit und Aussicht auf Erfolg gemacht werden können als von irgendeiner anderen Stadt in Iran oder in Turan. Zugleich sind die Schwierigkeiten der Verbindung zwischen je zwei der Städte Astrabad, Chiwa, Buchara, Balch, Kabul und Kandahar so groß, daß ein vereinter Angriff auf Herat, selbst von ihnen allen, nur geringe Aussicht auf Erfolg hätte. Die verschiedenen Kolonnen hätten, wenn sie auf Herat marschierten, kaum eine Möglichkeit der Verbindung miteinander und könnten durch einen tüchtigen General in Herat nacheinander überfallen und geschlagen werden. Immerhin hätten in einem solchen Falle aus Kandahar, Kabul und Balch kommende Kolonnen sicher mehr Aussichten als ein Angriff, der konzentrisch von den Ausgangspunkten
Astrabad, Chiwa und Buchara erfolgen würde, denn der Angriff von Afghanistan her würde vom Gebirge herab in die Ebene vorgetragen und die Wüste völlig umgehen, während bei einem Angriff vom Kaspischen Meer und vom Arax her nur eine Kolonne (die von Astrabad) die Wüste umgehen würde, während alle anderen sie zu passieren hätten und dadurch gänzlich ihre Kommunikationen miteinander verlören. Die drei Zentren der Zivilisation, die ihren gemeinsamen Mittelpunkt in Herat haben, bilden drei unterschiedliche Staatengruppen. Im Westen liegt Persien, das durch den Vertrag von Turkmanschai in einen Vasallen Rußlands verwandelt worden ist. Im Osten liegen die Staaten von Afghanistan und Belutschistan, deren bedeutendste Gemeinwesen, Kabul und Kandahar, man einstweilen den Vasallenstaaten des anglo-indischen Reiches gleichstellen kann. Im Norden liegen die Chanate von Turan, Chiwa und Buchara, Staaten, die nominell neutral sind, doch im Falle eines Konflikts sich nahezu mit Gewißheit der siegenden Partei anschließen werden. Die gegenwärtige Abhängigkeit Persiens von Rußland und Afghanistans von den Engländern ist dadurch bewiesen, daß die Russen schon Truppen nach Persien und die Engländer Truppen nach Kabul geschickt haben. Die Russen besitzen die gesamten westlichen und östlichen Ufer des Kaspischen Meeres. Baku und Astrachan , die 350 bzw. 750 Meilen von Astrabad entfernt liegen, bieten zwei vorzügliche Plätze für die Errichtung von Magazinen und die Konzentration von Reserven. Da die russische Flotte das Kaspische Meer beherrscht, können die notwendigen Vorräte und Verstärkungen mit großer Leichtigkeit nach Astrabad geschafft werden. Die Orte an der Ostküste des Kaspischen Meeres, wo die Straßen nach dem Aralsee ihren Ausgang nehmen, werden von russischen Forts beherrscht. Weiter nach Norden und Osten war die Kette russischer Forts, welche die Grenzlinie der Uralkosaken bezeichnen, schon 1847 vom Uralfluß bis zu den Flüssen Emba und Turgai, etwa 150 bis 200 Meilen in das Gebiet der tributpflichtigen Kirgisen-Horden, und in Richtung auf den Aralsee vorgeschoben worden. Seitdem sind tatsächlich Forts an den Ufern dieses Sees errichtet worden, der ebenso wie der Fluß Jaxartes in diesem Augenblick von russischen Dampfern durchpflügt wird. Es hat sogar Gerüchte über eine Besetzung Chiwas durch russische Truppen gegeben, diese Gerüchte sind aber zumindest voreilig. Der Operationsverlauf, dem die Russen bei jedem ernsthaften Angriff auf Zentral- oder Südasien folgen müssen, ist durch die Natur vorgezeiclyiet. Ein Marsch über Land vom Kaukasus aus um die Südwestecke des Kaspischen Meeres würde auf große Hindernisse in Gestalt der Berge Nordpersiens stoßen, und die Invasionsarmee müßte über 1100 Meilen zurücklegen, ehe
ihr Hauptziel, Herat, erreicht wäre. Ein Landmarsch von Orenburg in Richtung Herat hätte nicht nur die Wüste zu passieren, in der Perowski auf seinem Feldzug nach Chiwa seine Armee einbüßte1123 sondern zwei weitere Wüsten, die ebenso ungastlich sind. Die Entfernung von Orenburg nach Herat beträgt in der Luftlinie 1500 Meilen, und Orenburg ist der nächstgelegene Platz, den die Russen als Operationsbasis nehmen könnten, wenn sie aus dieser Richtung vorrückten. Nun sind sowohl Russisch-Armenien als auch Orenburg Gebiete, die vom Zentrum der russischen Macht fast ganz abgeschnitten sind, das erste durch den Kaukasus, das zweite durch die Steppen. In einem der beiden das Material und die Menschen zu konzentrieren, die für die Eroberung Zentralasiens benötigt werden, steht gänzlich außer Frage. Es bleibt nur eine Linie übrig - die über das Kaspische Meer, mit Astrachan und Baku als Basen, mit Astrabad an der südöstlichen Küste des Kaspischen Meeres als Beobachtungspunkt und mit einer Marschlänge von nur 500 Meilen bis Herat. Und diese Linie verbindet alle Vorteile, die sich Rußland wünschen kann. Astrachan ist für die Wolga das, was New Orleans für den Mississippi. An der Mündung des größten Flusses Rußlands gelegen, dessen oberes Bassin tatsächlich Großrußland, das Zentrum des Reiches, bildet, besitzt Astrachan jede Möglichkeit zur Weiterleitung von Soldaten und Vorräten, um eine große Expedition zu organisieren. Die gegenüberliegende Küste des Kaspischen Meeres bei Astrabad kann in vier Tagen mit Dampfern, in acht Tagen mit Segelschiffen erreicht werden. Das Kaspische Meer ist unbestritten ein russisches Gewässer, und Astrabad, das jetzt Rußland durch den Schah von Persien zur Verfügung gestellt worden ist, liegt am Ausgangspunkt jener einzigen Straße vom Westen nach Herat, die völlig die Wüste meidet, da sie durch die Khorassan-Berge verläuft. Dementsprechend handelt die russische Regierung. Die Hauptkolonne, die dazu bestimmt ist, im Falle weiterer Komplikationen gegen Herat vorzugehen, konzentriert sich in Astrabad. Dann gibt es zwei Flankenkolonnen, deren Zusammenwirken mit der Hauptgruppe im Grunde aber problematisch ist und die daher jeweils ein selbständiges Ziel haben. Die leichte Kolonne, die sich in Tabris konzentriert, soll die Westgrenze Persiens gegen feindliche Bewegungen der Türken schützen und schließlich auf Hametdan und Schuster marschieren, wo sie die Hauptstadt Teheran sowohl gegen die Türkei als auch gegen die im Golf von Persien bei Buschir landenden englischen Truppen sichert. Die linke Kolonne, die von Orenburg abmarschiert und sehr wahrscheinlich Verstärkungen erhalten soll, die von Astrachan an die Westküste des Kaspischen Meeres gesandt werden, wird die Aufgabe haben, das Aralgebiet zu sichern, auf Chiwa, Buchara und Samarkand zu marschieren,
um sich entweder der Passivität oder der Unterstützung dieser Staaten zu versichern, und, wenn möglich, durch einen Marsch den Oxus aufwärts bis Balch die Flanke und die Nachhut der Engländer in Kabul oder bei Herat zu bedrohen. Wir wissen, daß alle diese Kolonnen bereits auf dem Marsch sind, und daß die zentrale und die-sieeht@ Kolonne sich schon in Astrabad und Tabris befinden. Von dem Vorrücken der rechten Kolonne werden wir wahrscheinlich eine Zeitlang nichts hören. Die Opierationsbasis der Engländer ist das Gebiet des oberen Indus, und ihre Magazine müssen in Peschawar eingerichtet werden. Von hier haben sie bereits eine Kolonne in Richtung auf Kabul in Marsch gesetzt; diese Stadt ist in der Luftlinie vierhundert Meilen von Herat entfernt. In einem ernsthaften Krieg aber müßten sie außer Kabul, Ghasni und Kandahar auch die Bergforts erobern, die die afghanischen Pässe bewachen. Hierin werden ihnen kaum mehr Schwierigkeiten begegnen als den Russen bei der Einnahme Astrabads, denn dem Anschein nach unterstützten sie die Afghanen gegen einen persischen Einfall. Der Marsch von Kabul nach Herat wird keine unüberwindlichen Schwierigkeiten aufweisen. Besondere Flankenkolonnen werden nicht benötigt werden, denn keine der russischen Flankenkolonnen wird imstande sein, heranzukommen, und falls die Orenburger Kolonne nach einigen Feldzügen von Buchara her in Richtung Balch hervorbrechen sollte, würde sich eine starke Reserve in Kabul bald bewähren. Die Engländer haben den Vorteil, daß ihre Operationslinie verhältnismäßig kurz ist, denn obwohl Herat genau auf halbem Wege zwischen Kalkutta und Moskau liegt, ist die englische Basis am Zusammenfluß des Kabul und des Indus doch nur 600 Meilen von Herat entfernt, während die russische Basis in Astrachan 1250 Meilen entfernt ist. Die Engländer in Kabul haben in bezug auf Herat vor den Russen in Astrabad einen Vorsprung von hundert Meilen, und soweit das Gelände bekannt ist, marschieren sie durch einen besser kultivierten und mehr bevölkerten Bezirk und auf besseren Straßen als die Russen in Khorassan vorfinden können. Was die beiden Armeen angeht, so ist die der Engländer in bezug auf das Ertragen des Klimas zweifellos die bessere. Ihre europäischen Regimenter würden ohne Frage mit der gleichen unerschütterlichen Standhaftigkeit kämpfen wie ihre Kameraden bei Inkerman, und die Sepoy-Infanterie11241 darf man auf keinen Fall geringschätzen. Sir Charles Napier, der sie in vielen Schlachten erlebte, hatte die höchste Meinung von ihnen, und er war, jeder Zoll, Soldat und General. Die reguläre indische Kavallerie ist nicht viel wert, aber die Irregulären sind ausgezeichnet und unter ihren europäischen Offizieren entschieden den Kosaken vorzuziehen.
Jede weitere Spekulation über die Aussichten eines solchen Krieges ist natürlich völlig nutzlos. Es gibt keine Möglichkeit, die Kräfte zu schätzen, die auf der einen oder der anderen Seite in Bewegung gesetzt werden können. Es ist nicht möglich, all die Zufälle vorherzusehen, die eintreten können, wenn sich so wichtige Geschehnisse ereignen, wie sie jetzt heranzunahen scheinen. Eines nur ist sicher, daß die Armeen, die den Kampf in Herat, dem Angelpunkt, entscheiden, wegen der gewaltigen Entfernungen, die jede der Parteien zurückzulegen hat, verhältnismäßig klein sein werden. Ein gut Teil wird auch von diplomatischen Intrigen und Bestechungen an den Höfen der verschiedenen Potentaten abhängen, die sich um Herat gruppieren. Es ist fast sicher, daß die Russen in diesen Dingen am besten abschneiden. Ihre Diplomatie ist besser und orientalischer; sie verstehen es, mit dem Geld freigiebig zu sein, wenn es erforderlich ist, und vor allem haben sie einen Freund im Lager des Feindes. Die britische Expedition in den Persischen Golf ist nur ein Ablenkungsmanöver, das einen bedeutenden Teil der persischen Armee auf sich zu ziehen vermag, jedoch in seinen direkten Resultaten nur wenig erreichen kann. Selbst wenn die jetzt in Buschir befindlichen 5000 Mann verdreifacht würden, könnten sie im äußersten Fall nur bis Schiras marschieren und dort Halt machen. Aber diese Expedition soll auch nicht mehr tun. Wenn sie der persischen Regierung eine Vorstellung von der Verwundbarkeit des Landes von der Seeseite her gibt, wird sie ihr Ziel erreicht haben- Es wäre unsinnig, mehr zu erwarten. Die Linie, auf der das Schicksal von ganz Iran und Turan wirklich entschieden werden muß, führt von Astrabad nach Peschawar, und der entscheidende Punkt auf dieser Linie ist Herat.
Geschrieben Ende Januar/Anfang Februar 1857. Aus dem Englischen.
Karl Marx Das neue englische Budget11251
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4956 vom 9. März 18571 London, 20. Februar 1857 Die Schauspieler der Finanzbühne haben durch Sir George Lewis, den gegenwärtigen Schatzkanzler, einen schweren Schock erlitten. Bei Sir Robert Peel war die Verlesung des Finanzberichts zu einer Art religiösen Handlung geworden, die mit all den Feierlichkeiten der Staatsetikette zu vollziehen war und durch großartige Leistungen rhetorischer Überzeugungskraft die höhere Weihe erhielt und niemals weniger als fünf Stunden dauern durfte. Herr Disraeli imitierte Sir Roberts zeremonielles Verhalten gegenüber der nationalen Geldbörse, und Herr Gladstone übertrieb es fast. Sir George Lewis wagte es nicht, die Tradition zu verletzen. So hielt er eine vierstündige Rede, brabbelnd, schleppend und um den Kern herumgehend, bis er plötzlich von schallendem Gelächter unterbrochen wurde, in das einige Dutzend ehrenwerte Abgeordnete ausbrachen, die zu ihren Hüten griffen und aus dem Hause stürzten. „Es tut mir leid", rief der unglückliche Schauspieler aus, „daß ich meine Rede vor einer zahlenmäßig verringerten Zuhörerschaft fortsetzen muß, doch ich muß denen, die bleiben, erklären, welches die Wirkung der vorgeschlagenen Änderungen sein würde." Als Sir George Lewis noch zu den Weisen der „Edinburgh Review"1126 • gehörte, war er mehr wegen der Schwerfälligkeit seiner Argumentation als wegen gediegener Beweisführung oder Lebhaftigkeit der Diktion bekannt. Seine persönlichen Unzulänglichkeiten sind sicherlich zu einem großen Teil der Grund für sein Scheitern vor dem Parlament. Doch gab es auch noch andere Umstände, die völlig außerhalb seiner Macht lagen, und die sogar einen regelrechten parlamentarischen Preisredner aus dem Konzept gebracht hätten. Nach Sir William Clays indiskreten Feststellungen vor seinen Wäh
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
lern in Hull hatte sich Lord Palmerston ursprünglich zu einer Fortführung der Kriegsbesteuerung in der Friedenszeit entschlossen, als ihn der drohende Antrag auf die Einkommensteuer, der in der Sitzung des Unterhauses von Herrn Disraeli bekanntgegeben und von Herrn Gladstone unterstützt wurde, sofort zwang, zum Rückzug zu blasen und seine finanzielle Taktik plötzlich zu ändern. Daher mußte der arme Sir George Lewis in kürzester Frist alle seine Voranschläge, all seine Zahlen, seinen gesamten Plan ändern, während seine Rede, die für ein Kriegsbudget ausgearbeitet war, nun quasi für ein Friedensbudget aufgetischt werden mußte, ein quid pro quo1, das unterhaltsam hätte sein können, wenn es nicht einschläfernd gewesen wäre. Das ist aber noch nicht alles. Die Budgets von Sir Robert Peel während seiner Amtszeit von 1841 bis 1846 gewannen ein außerordentliches Interesse wegen des erbitterten Kampfes, der damals zwischen den Freihändlern11271 und den Protektionisten2, zwischen Profit und Rente, Stadt und Land tobte. Das Budget von Herrn Disraeli wurde als Kuriosität angesehen, da es die Wiederbelebung oder auch die endgültige Abdankung der Schutzzöllpolitik in sich schloß; und Herrn Gladstones Budget wurde eine übertriebene Bedeutung beigemessen, weil es den triumphierenden Freihandel in den Staatsfinanzen verankerte - wenigstens für eine siebenjährige Periode. Die sozialen Konflikte, die sich in diesen Budgets widerspiegelten, verliehen ihnen ein positives Interesse, während das Budget von Sir George Lewis am Anfang nur das negative Interesse für sich beanspruchen konnte, den gemeinsamen Angriffspunkt für die Feinde des Kabinetts zu bilden. Das Budget von Sir G.Lewis kann, soweit es seine ursprünglich vorgesehenen Einnahmen betrifft, in sehr wenigen Worten zusammengefaßt werden. Lewis streicht die neun zusätzlichen Pence der für den Krieg auferlegten Einkommensteuer und reduziert sie somit von 1 sh. 4 d. je Pfund Einkommen auf 7d., in welchem Verhältnis sie bis 1860 bestehen soll. Andererseits sollen die ganze Kriegssteuer auf Spirituosen und ein Teil der Kriegssteuer auf Zucker und Tee beibehalten werden. Das ist alles. Die Einkommensteuer des laufenden Finanzjahres bringt einschließlich der zusätzlichen 9 d. der Kriegsbesteuerung eine Einnahme von mehr als 16 000 000 Pfd.St., die von den verschiedenen Klassen der Gesellschaft auf etwa folgende Weise erhoben werden: Tabelle A - Grundbesitz \ . 8 000 000Pfd.St. Tabelle B - Farmer 1 000 000 „ „
1 Auswechseln-2 in der Handschrift folgt hier: zwischen dem Industriekapitalisten und dem Landeigentümer
Tabelle C - Staatspapiere 2 000 000 Pfd. St. Tabelle D - Gewerbe und freie Berufe ... 4 000 000 „ „ Tabelle E - Gehälter und Löhne ........ 1 000 000 „ , Insgesamt 16000000Pfd.St. Aus dieser tabellarischen Aufstellung geht offensichtlich hervor, daß die Einkommensteuer ausschließlich auf den oberen und mittleren Klassen lastet; in der Tat, mehr als zwei Drittel davon werden aus den Einkommen der Aristokratie und der Großbourgeoisie aufgebracht. Doch teils durch die anderen Kriegssteuern, teils durch die hohen Lebensmittelpreise und den ansteigenden Diskontosatz belastet, sind die unteren Schichten der englischen Bourgeoisie durch die Einkommensteuer ernstlich gezwickt worden, und daher sehnen sie sich höchst ungeduldig danach, sie abzuwerfen. Dennoch hätte das Geschrei, das sie erhoben, kaum in der Presse und gewiß nicht im Unterhaus ein Echo gefunden, wenn die Aristokratie und die Großbourgeoisie nicht die Führung der Agitation übernommen hätten, damit begierig die Gelegenheit ergreifend, ihre engstirnige Selbstsucht unter der allgemeinen Maske der Philanthropie zu verbergen und eine Abgabe loszuwerden, deren Last sie nicht auf die Schultern der Massen abwälzen können. Während in Frankreich zur Zeit der Republique honnete et moderee1 die Auferlegung einer Einkommensteuer dadurch abgewehrt wurde, daß man sie als eingeschmuggelten Sozialismus stempelte, wird die Abschaffung derselben Steuer in England jetzt dadurch versucht, daß man Mitgefühl mit den Leiden des Volkes vorgibt. Das Spiel ist sehr schlau betrieben worden. Bei Wiederherstellung des Friedens11281 richteten die Sprecher der Kleinbourgeoisie ihren Angriff nicht auf die Einkommensteuer selbst, sondern nur auf ihren Kriegszüschlag und auf ihre ungleiche Verteilung. Die oberen Klassen taten so, als teilten sie die Klage des Volkes, aber lediglich, um ihre ursprüngliche Bedeutung zu verdrehen und einen Ruf nach verminderter Besteuerung kleiner Einkommen in einen Ruf nach Aufhebung der Besteuerung großer Einkommen umzuwandeln. In der Hitze des Kampfes und in ungeduldiger Erwartung unverzüglicher Erleichterung wurde sich die Kleinböurgeoisie weder des falschen Spiels bewußt, das mit ihr betrieben wurde, noch kümmerte sie sich um Bedingungen, die die Unterstützung mächtiger Verbündeter sichern könnten. Was die Arbeiterklasse angeht, die keine Presseorgane und keine Stimme in den gewählten Körperschaften besitzt, so standen ihre Forderungen ganz außer Frage. Die Basis von Sir Robert Peels Freihandelsmaßnahmen war bekanntlich
1 biederen und gemäßigten Republik
die Einkommensteuer. Man wird ohne Mühe verstehen, daß eine direkte Besteuerung der finanzielle Ausdruck des Freihandels ist. Wenn Freihandel überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet er die Beseitigung von Zöllen, Akzisen und allen Abgaben, die unmittelbar in die Produktion und den Austausch eingreifen. Wenn nun die Steuern nicht durch Zölle und Akzisen aufgebracht werden sollen, dann müssen sie direkt von dem Besitz und dem Einkommen erhoben werden. Bei einem bestimmten Steueraufkommen kann keine Verringerung einer Art der Besteuerung eintreten, ohne daß es zu einer entsprechenden Erhöhung der anderen kommt. Sie müssen in umgekehrtem Verhältnis steigen und fallen. Wenn also die englische Öffentlichkeit den größeren Teil der direkten Besteuerung abschaffen will, muß sie bereit sein, höhere Steuern auf Verbrauchsgüter und Rohstoffe zu legen - mit einem Wort, auf das Freihandelssystem zu verzichten. So ist tatsächlich auf dem europäischen Kontinent die gegenwärtige Entwicklung interpretiert worden. Ein belgisches Blatt schreibt, daß „auf einer Versammlung, die in Gent abgehalten wurde, um über Freihandels- oder Schutzzollpolitik zu diskutieren, einer der Sprecher die neuerliche Opposition in England gegen die Einkommensteuer als Beweis für einen Umschwung der nationalen Meinung zugunsten der Schutzzollpolitik anführte". So äußern die Finanzreformer von Liverpool in einer ihrer kürzlichen Adressen die Befürchtung, daß Großbritannien zu den Grundsätzen der Restriktion zurückkehren würde. „Wir können", sagen sie, „kaum an die Möglichkeit einer solch offenen Bekundung nationaler Verblendung glauben; doch jeder denkende Mensch von normaler Geisteskraft muß erkennen, daß die gegenwärtigen Bemühungen auf dieses Ziel und auf nichts anderes hinauslaufen." Da der Freihandel, und folglich auch die direkte Besteuerung, in Großbritannien offensive Waffen in den Händen des industriellen Kapitalisten gegen den aristokratischen Großgrundbesitzer sind, zeugt ihr gemeinsamer Kreuzzug gegen die Einkommensteuer in ökonomischer Hinsicht von derselben Tatsache, die durch das Koalitionskabinett[129J politisch demonstriert wurde - von der Mattheit der britischen Bourgeoisie und ihrer Sehnsucht nach Kompromissen mit den Oligarchen, um Zugeständnissen an die Proletarier vorzubeugen. Indem er die Segel vor der Liga gegen die Einkommensteuer strich, zeigte Sir George Lewis sofort die Kehrseite der Medaille. Keine Aufhebung des Papierzolls, keine Abschaffung der Feuerversicherungssteuer, keine Herab
setzung der Weinzölle, sondern im Gegenteil Erhöhung der Einfuhrzölle auf Tee und Zucker. Nach Herrn Gladstones Projekt1 sollte der Zoll auf Tee2 von 1 sh. 6 d. je Pfund zunächst auf 1 sh. 3 d., dann auf 1 sh., und der Zuckerzoll von einem Pfd.St. je Zentner zunächst auf 15 sh., dann auf 13 sh. 4 d.3 reduziert werden. Dies bezieht sich nur auf Raffinadezucker. Weißzucker sollte von 17sh. 6 d. nacheinander auf 13 sh. 2 d. und 11 sh. 8 d., gelber Zucker von 15 sh. auf 11 sh. 8 d. und 10 sh. 6 d., brauner Zucker von 13 sh. 9 d. auf 10 sh. 7 d. und 9 sh. 6 d., Melasse von 5 sh. 4 d. auf 3 sh. 9 d. reduziert werden. Der Krieg verzögerte die Ausführung dieses Projekts, aber nach dem 1855 erlassenen Gesetz sollte es nacheinander 1857 und 1858 ausgeführt werden. Sir G.Lewis, der am 19.April 1855 den Teezoll von 1 sh. 6 d. auf 1 sh. 9 d. je Pfund erhöht hatte, schlägt vor, dessen Reduzierung im Laufe von vier Jahren durchzuführen, indem man ihn 1857/1858 auf 1 sh. 7 d., 1858/1859 auf 1 sh. 5 d., 1859/1860 auf 1 sh. 3 d. und schließlich auf 1 sh. vermindert. Er schlägt vor, mit dem Zuckerzoll auf ähnliche Weise zu verfahren. Es ist bekannt, daß das Zuckerangebot unter den Stand der Nachfrage gefallen ist, und daß sich seine Vorräte auf den Weltmärkten verringert haben; in London z.B. befinden sich gegenwärtig nur 43700 t gegenüber 73400 t vor zwei Jahren. Daher steigen natürlich die Preise für Zucker. In bezug auf Tee ist es Palmerstons chinesischer Expedition gelungen, eine künstliche Begrenzung des Angebots und folglich ein Ansteigen der Preise zu erzeugen. Nun gibt es keinen Ökonomen, der Ihnen nicht sagen wird, daß jede Reduzierung der Zölle in Zeiten von Mangel und steigenden Preisen plötzlich und durchschlagend sein muß, wenn sie nicht nur dem Importeur, sondern auch dem Durchschnitts Verbraucher nützen soll. Umgekehrt behauptet Sir G.Lewis, daß Zollreduzierungen bei steigenden Preisen um so sicherer dem Nutzen des Verbrauchers dienen, je weniger sie spürbar sind. Diese Behauptung befindet sich auf der gleichen Ebene wie seine seltsame Doktrin, daß Postgebühren eine direkte Steuer sind und daß Kompliziertheit den mildernden Zug der Besteuerung ausmacht. Wird die Verringerung der Einkommensteuer durch eine Erhöhung der Zölle auf Tee und Zucker ausgeglichen - diese sind beim britischen Volk allgemeine Lebensnotwendigkeiten so heißt das offensichtlich, daß die Steuern der Reichen vermindert werden, indem man die Steuern der Armen erhöht. Solch eine Überlegung hätte indessen die Abstimmung im Unterhaus nicht beeinträchtigt. Aber da sind die Teehändler, die ausgedehnte
1 In der Handschrift folgt hier: das das Jahr 1853 betrifft - 2 in der Handschrift folgt hier: im Jahre 1857 - 3 in der Handschrift folgt hier: im Jahre 1858
Verträge und Abmachungen eingegangen sind, wie sie sagen, in dem ausdrücklichen Glauben an die Erklärung, die Sir George Lewis am 19. April 1856 im Unterhaus abgegeben hat, eine Erklärung, die ihnen am 11.November 1856 durch das Zollamt noch einmal gegeben wurde, des Inhalts, daß „der Zoll auf Tee am 6. April 1857 auf 1 sh. 3 d. reduziert werden würde". Da habt ihr sie, auf ihre Verpflichtung und die Budgetmoral pochend. Und da ist Herr Gladstone, der froh ist, sich an Palmerston rächen zu können, der völlig treulos die Peeliten hinauswarf, nachdem er sie dazu benutzt hatte, um zuerst die Derby-Regierung, dann Russell und schließlich ihren eigenen Patriarchen, den alten Aberdeen, zu stürzen.t1301 Außerdem mußte natürlich Herr Gladstone als Verfasser des Finanzprojekts von 1853 sein eigenes Standardbudget gegen Sir G. Lewis' respektlose Uberschreitungen verteidigen. Demgemäß kündigte er an, er würde folgende Resolution beantragen:1
„Daß das Haus keiner Erhöhung der Sätze auf Tee und Zucker, wie sie laut der Zollgebührgesetze von 1855 zu zahlen sind, zustimmen wird." Ich habe bisher nur eine Seite des Budgets berührt, seine Einnahmen. Betrachten wir nun die andere Seite des Bilarizbogens - die veranschlagten Ausgaben. Wenn die vorgeschlagenen Mittel urtd Wege der Staatseinkünfte für den gegenwärtigen Stand der offiziellen englischen Gesellschaft charakteristisch sind, so sind die beabsichtigten Ausgaben noch charakteristischer für ihre gegenwärtige Regierung. Palmerston braucht Geld, und zwar viel Geld, nicht nur, um seine Diktatur fest zu begründen, sondern auch, um seiner Lust an Kantoner Bombardements, persischen Kriegen, Neapel-Expeditionen und so weiter zu frönen. Dementsprechend schlägt er ein Friedensbudget vor, das die höchsten Ausgaben seit dem Frieden von 1815 um etwa 8 000 000Pfd.St. übersteigt. Er verlangt 65 474 000Pfd.St., während sich Herr Disraeli mit 55 613 379Pfd.St. und Herr Gladstone mit 56 683 000Pfd. St. zufriedengaben. Natürlich mußte John Bull es voraussehen, daß das Streben nach orientalischem Kriegsruhm sich zur gegebenen Zeit in lästige Rechnungen der Steuereinnehmer auflösen würde. Aber die jährliche Zusatzbesteüerung, die aus dem Krieg herrührt, darf man nicht auf mehr als 3 600 000 Pfd. St. veranschlagen, nämlich: 2 000 000 Pfd.St. für Schatzanweisungen, die im Mai 1857 fällig werden, 1 200 000 Pfd. St. als Zinsen für 26 000 000 Pfd. St. neu fundierter Staats
1 In der Handschrift: Demgemäß kündigte er am Donnerstag, dem 19. Februar, an, daß er am Freitag vor dem Parlament, das laut Beschluß als Ausschuß für Staatseinkünfte tagen wird, folgende Resolution beantragen würde:
schulden und für 8 000 000 Pfd. St. nicht fundierter Staatsschulden; schließlich etwa 400 000 Pfd. St. für den neuen Tilgungsfonds, der den neuen Schulden entspricht. Demnach machen die zusätzlichen Kriegssteuern tatsächlich nicht die Hälfte der zusätzlichen Ausgaben aus, die von Lord Palmerston beansprucht werden. Dafür machen es die Militäretats. Die gesamten Armeeund Marine-Etats von 1830 bis 1840 betrugen im Durchschnitt weniger als 13 000 000 Pfd.St., doch im Budget von Lewis belaufen sie sich auf 20 699 000 Pfd.St. Wenn wir sie mit den gesamten Militäretats der letzten fünf Jahre vor dem Kriege vergleichen, dann finden wir, daß diese 1849 15823537 Pfd. St. erreichten, 1850 - 15320944 Pfd. St.; 1851 - 15565171 Pfd.St.; 1852 -15 771 893 Pfd. St.; 1853/1854 - 17 802 000 Pfd.St., wobei die Etats von 1853/1854 schon in Hinblick auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg festgelegt worden waren. An der orthodoxen Whig-Doktrin festhaltend, daß das Mark des Stammes dazu bestimmt ist, das Futter für die Würmer zu liefern, führt Sir G. Lewis den erhöhten nationalen Reichtum, wie er in den Export- und Importtabellen von 1856 dargestellt wird, als Grund für die erhöhten Regierungsausgaben an. Wenn auch die Schlußfolgerung richtig wäre, müßte die Voraussetzung dennoch falsch bleiben. Es genügt, auf die vielen Tausende notleidender Arbeiter hinzuweisen, die jetzt durch die Straßen Londons ziehen und in Arbeitshäusern11311 Unterstützung suchen; weiterhin auf die allgemeine, sich aus den amtlichen Einnahmestatistiken ergebende Tatsache, daß während des Jahres 1856 der britische Verbrauch an Tee, Zucker und Kaffee beträchtlich zurückgegangen ist, bei einem gleichzeitigen leichten Ansteigen des Verbrauchs an Spirituosen; des weiteren ist hinzuweisen auf die Handelszirkulare des vergangenen Jahres, die, wie selbst Herr Wilson, der jetzige Secretary of the Treasury1, zugegeben hat, eindeutig beweisen, daß die Profite des britischen Handels 1856 in umgekehrtem Verhältnis zu dessen Ausdehnung stehen. Es möchte scheinen, daß die natürliche Taktik eines Oppositionsführers darin bestände, seine Hauptbatterien gegen diese überspannten Ausgaben zu richten. Wenn aber Herr Disraeli das täte und direkt gegen diese aristokratische Verschwendung Front machen sollte, würde er Gefahr laufen, von seinen eigenen Gefolgsleuten den Dolchstoß in den Rücken zu erhalten.2 Er ist daher zu dem höchst raffinierten Manöver3 gezwungen, seinen Antrag gegen dasPalmerston-Budget nicht auf dessen übermäßige Ausgaben für 1857
1 Sekretär des Schatzamtes - 2 in der Handschrift: Wenn aber Herr Disraeli ernstlich gegen die aristokratischen Steuerfresser (tax-eaters) Front machen sollte, würde er das Risiko laufen, von seiner eigenen Partei im Rücken angegriffen zu werden. -3 in der Handschrift: zu dem jämmerlichsten Winkelzug
und 1858-zu basieren, sondern auf sein voraussichtliches Defizit an Einnahmen in den Jahren 1858/1859 und 1859/1860. Auf jeden Fall werden die Unterhausdebatten über das Budget hochinteressant werden; nicht nur, daß das Schicksal der gegenwärtigen Regierung von ihnen abhängt und daß sie das seltsame §cnauspiel einer Koalition Disraeli-Gladstone-Russell gegen Palmerston bieten werden, sondern weil gerade die dialektischen Widersprüche einer finanziellen Upposition, die die Abschaffung der Einkommensteuer verlangt, die Erhöhung der Zucker- und Teezölle verbietet und es nicht wagt, das Übermaß der Ausgaben offen anzugreifen, sich durchaus als etwas Neues erweisen müssen.
Aus dem Englischen.
Karl Marx Parlamentsdebatten über die Feindseligkeiten in China11321
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4962 vom 16. März 1857] London, 27. Februar 1857 Die Resolution des Earls of Derby und die des Herrn Cobden, in denen die Feindseligkeiten in Chiha verurteilt werden, sind laut Meldungen im Parlament eingebracht worden, und zwar die eine am 24.Februar im Oberhaus und die andere am 27. Februar im Unterhaus. Die Debatte im Oberhaus wurde an dem Tage beendet, an dem die im Unterhaus begann. Aus jener ging das Kabinett Palmerston mit der verhältnismäßig schwachen Majorität von 36 Stimmen hervor, was dem Kabinett einen empfindlichen Schlag versetzte. Die Debatte im Unterhaus kann zu seinem Sturz führen. Aber welches Interesse man der Diskussion im Unterhaus auch immer entgegenbringen mag, die Debatte im Oberhaus hat den polemischen Teil der Kontroverse erschöpft, wobei Lord Derby und Lord Lyndhurst mit ihren meisterhaften Reden die Beredsamkeit Herrn Cobdens, Sir E.Bulwers, Lord John Russells und tutti quanti1 schon vorweggenommen haben. Die einzige Autorität in Rechtsfragen auf seiten der Regierung, der Lordkanzler2, bemerkte: „Wenn England keine gesetzlichen Grundlagen bezüglich der ,Arrow" vorzuweisen hat, sind alle Maßnahmen von Anfang bis Ende unberechtigt." I133J Derby und Lyndhurst bewiesen einwandfrei, daß England in Sachen dieser Lorcha überhaupt keine Rechtsgrundlage hatte. Die Linie ihrer Polemik deckt sich so sehr mit der in den Spalten der „Tribüne"3 nach der ersten Veröffentlichung der englischen Depeschen, daß ich sie hier auf einen sehr kleinen Raum zusammendrängen kann.
1 ihresgleichen - 2 Cranworth - 3 siehe vorl. Band, S. 102-107
Worin besteht denn nun die Beschuldigung gegen die chinesische Regierung, die den Vorwand für das Blutbad in Kanton[1341 abgeben soll? In der Verletzung des Artikels 9 des Zusatzvertrages von 1843. Dieser Artikel schreibt vor, daß jeder beliebige chinesische Rechtsbrecher, der sich in der Kolonie Hongkong oder an Bord eines britischen Kriegsschiffs oder eines britischen Handelsschiffs befindet, nicht von den chinesischen Behörden selbst verhaftet werden darf, sondern vom britischen Konsul angefordert und von ihm den einheimischen Behörden ausgeliefert werden muß. Chinesische Piraten wurden im Kanton-Fluß an Bord der Lorcha „Arrow" von chinesischen Offizieren ohne Intervention des britischen Konsuls festgenommen. Es erhebt sich nun die Frage: War die „Arrow" überhaupt ein britisches Schiff? Sie war, wie Lord Derby beweist, „von Chinesen gebaut, von Chinesen gekapert, von Chinesen verkauft, von Chinesen gekauft und bemannt und in chinesischem Besitz". Wie wurde nun das chinesische Fahrzeug in ein britisches Handelsschiff verwandelt? Indem man in Hongkong einen britischen Registerbrief oder eine Segellizenz erwarb. Die Rechtsgültigkeit dieses Registerbriefs stützt sich auf eine im März 1855 erlassene Verfügung der örtlichen Gesetzgebung von Hongkong. Diese Verfügung verletzte nicht nur den zwischen England und China bestehenden Vertrag, sondern hob sogar das englische Recht auf. Sie war daher null und nichtig. Einen gewissen Anstrich englischen Rechts hätte sie höchstens dyrch die Handelsschiffahrtsakte erhalten können, die jedoch erst zwei Monate nach Erlaß der Verfügung angenommen wurde. Und selbst mit den gesetzlichen Bestimmungen dieser Akte war sie niemals in Einklang gebracht worden. Die Verfügung, auf Grund deren die Lorcha „Arrow" ihren Registerbrief erhalten hatte, war also lediglich ein Fetzen Papier. Doch selbst diesem wertlosen Stück Papier zufolge hatte die „Arrow" diesen Schutz verwirkt, weil sie .die vorgeschriebenen Bestimmungen verletzt hatte und die Lizenz abgelaufen war. Dieser Punkt wird sogar von Sir J.Bowring1 zugegeben. Aber - so wird behauptet - ganz gleich, ob die „Arrow" ein englisches Schiff war oder nicht, auf jeden Fall habe sie die englische Flagge gehißt, und diese Flagge sei beleidigt worden. Erstens2, wenn die Flagge gehißt war, so war das ungesetzlich. Aber war sie überhaupt gehißt? In diesem Punkt weichen die englischen und chinesischen Erklärungen stärk voneinander ab.
1 In der Handschrift folgt hier: der dem Konsul Parkes geschrieben hat, daß die „Arrow" keinen rechtlichen Anspruch auf britischen Schutz hatte - 2 in der Handschrift: Aber erstens hatte sie kein .Recht, die englische Flagge zu hissen, wie Sir J. Bowring selbst in seinem Brief an Konsul Parkes, mit dem Datum Hongkong, 11. Oktober, zugegeben hat
Die Erklärungen der Chinesen sind jedoch durch beglaubigte Aussagen des Kapitäns und der Mannschaft der portugiesischen Lorcha Nr. 83, die von den Konsuln beigebracht wurden, bestätigt worden. Mit Bezug auf diese Aussagen stellt „The Friend of China"[1351 vom 13. November fest: „ In Kanton ist es jetzt stadtbekannt, daß die britische Flagge sechs Tage vor der Festnahme an Bord der Lorcha nicht gehißt war." Damit wird außer dem Rechtsgrund nun auch der Ehrenpunkt hinfällig.1 Lord Derby war so taktvoll, sich in seiner Rede der gewohnten Witzelei völlig zu enthalten und so seiner Beweisführung einen streng juristischen Charakter zu geben. Er brauchte sich jedoch durchaus nicht anzustrengen, um seine Rede mit tiefer Ironie zu erfüllen. Der Earl of Derby, das Haupt des englischen Erbadels, plädiert gegen den ehemaligen Doktor und jetzigen Sir John Bowring, den Lieblingsjünger Benthams; er plädiert für Menschlichkeit gegen den professionellen Menschenfreund; er verteidigt die wahren Interessen der Nationen gegen den geschworenen Utilitarier, der auf dem I-Tüpfelchen diplomatischer Etikette besteht; er appelliert an die „vox populi vox dei" 2 gegen den Mann der Theorie vom „größten Nutzen für die größte Zahl"11361; der Nachfahre der Eroberer predigt Frieden, wo ein Mitglied der Friedensgesellschaft11371 „Feuer und Tod" predigt; ein Derby brandmarkt die Taten der britischen Flotte als „erbärmliches Vorgehen" und als „unrühmliche Operationen", wo ein Bowring ihr gratuliert zu den feigen Gewalttätigkeiten, die auf keinerlei Widerstand stießen, zu „ihren glänzenden Errungenschaften, zu ihrem unvergleichlichen Heldentum und ihrer hervorragenden Verbindung von militärischem Können und Tapferkeit". Diese Kontraste wirkten um so stärker satirisch, je weniger der Earl of Derby sich ihrer bewußt zu sein schien. Er hatte jene große historische Ironie auf seiner Seite, die nicht dem Witz einzelner, sondern der Komik geschichtlicher Situationen entspringt. In seiner ganzen Geschichte hat das englische Parlament wohl noch niemals einen derartigen intellektuellen Sieg eines Aristokraten über einen Parvenü zu verzeichnen gehabt. Lord Derby erklärte zu Beginn, daß er „sich auf Angaben und Dokumente stützen müsse, die ausschließlich von jener Seite stammten, deren Verhalten er gerade einer Kritik unterziehen wolle", und daß er willens sei, „seine Anklage auf diesen Dokumenten aufzubauen". Nun ist mit Recht bemerkt worden, daß die Dokumente, die der Öffentlichkeit von der Regierung vorgelegt worden sind, es dieser gestattet hätten, die ganze Verantwortung auf
1 Hier endet das handschriftliche Fragment des Marxschen Rohentwurfs - 2 „Volkes Stimme [als] Gottes Stimme"
ihre Untergebenen zu schieben. Dies trifft in solchem Maße zu, daß die Angriffe der parlamentarischen Gegner der Regierung ausschließlich gegen Bowring und Konsorten gerichtet waren und sogar von der englischen Regierung hätten gebilligt werden können, ohne deren Position im geringsten zu gefährden. Ich zitiere Lord Derby: „ Ich möchte über Dr. Bowring nichts Unehrerbietiges sagen. Er mag ein Mann von hoher Bildung sein; doch was die Erlaubnis zum Betreten von Kanton betrifft, so scheint er mir förmlich von einer fixen Idee besessen." („Hört, hört!" und Lachen.) „ Ich glaube, er träumt sogar von seinem Einzug in Kanton. Ich glaube, daran denkt er als erstes am Morgen, als letztes am Abend und, wenn er gerade wach ist, auch mitten in der Nacht." (Lachen.) „ Ich glaube* ihm wäre kein Opfer zu groß, jede Unterbrechung des Handels würde er verschmerzen, kein Blutvergießen würde er bedauern, wenn dem die gewaltigen Vorteile entgegenstünden, die dem Ereignis entwachsen würden, daß es Sir J. Bowring gelänge, offiziell im Yamun1 von Kanton empfangen zu werden." (Gelächter.) Als nächster sprach Lord Lyndhurst: „Sir J.Bowring, der ein hervorragender Philanthrop und dazu Gesandter ist" (Gelächter), „gibt selbst zu, daß der Registerbrief ungültig ist und daß die Lorcha nicht berechtigt war, die englische Flagge zu hissen. Beachten Sie, was er dazu sagt: ,Das Schiff hatte keinen rechtlichen Schutz, aber das wissen die Chinesen nicht. Um Gottes willen, verraten Sie es ihnen nicht.'" („Hört, hört!") „Er beharrt auch darauf, denn sinngemäß sagt er: Wir wissen, daß die Chinesen sich keiner Vertragsverletzung schuldig gemacht haben; aber wir werden es ihnen nicht sagen. Wir werden auf Entschädigung und auf Rückgabe der Leute, die sie festgenommen haben, unter Einhaltung einer bestimmten Form bestehen. Zu welchem Mittel soll man greifen, wenn die Leute nicht dieser Form entsprechend zurückgegeben werden? Ganz einfach: man kapert eine Dschunke, eine Kriegsdschunke. Und wenn das nicht genügt, dann werden mehr gekapert, bis wir sie auf die Knie gezwungen haben, obwohl wir wissen, daß das Recht auf ihrer Seite und die Gerechtigkeit nicht auf unserer Seite ist." („Hört, hört!")... „Hat es je ein abscheulicheres, schamloseres Verhalten gegeben, hat je ein Staatsmann im Dienste der britischen Regierung - ich sage nicht betrügerischere, aber was dem in unserem Lande gleichkommt-lügenhäftereVorwände vorgebracht?" („Hört, hört!")... „Es ist höchst merkürdig, daß Sir J.Bowring sich einbildete, er hätte das Recht, Krieg zu erklären. Ich kann verstehen, daß ein Mann in einer solchen Position die Macht haben muß, defensive Operationen durchzuführen, aber offensive Operationen aus einem solchen Grunde - unter solchen Vorwänden - durchzuführen, gehört zu den üngewöhnliehsten Vorfällen, die dieWeltgeschichte aufzuweisen hat... Aus den Dokumenten, die uns gestern vorgelegt worden sind, geht ganz klar hervor, daß Sir J.Bowring von dem Augenblick an, da er auf den Posten berufen wurde, den er jetzt innehat,
1 Amtssitz
seinen Ehrgeiz darein setzte, das zuwege zu bringen, was seinen Vorgängern gänzlich mißlungen war, nämlich seinen Einzug in den Mauern Kantons zu halten... Nur auf die Ausführung seines Plans bedacht, sich Einlaß in Kanton zu verschaffen," hat er das Land ohne jeden triftigen Grund in den Krieg gestürzt; und mit welchem Ergebnis? Eigentum britischer Staatsangehöriger, das sich auf die riesige Summe von 1 500 000 Dollar beläuft, ist jetzt in der Stadt Kanton konfisziert; darüber hinaus sind unsere Faktoreien bis auf den Grund niedergebrannt, und alles das dank der verderblichen Politik eines der verderbtesten aller Männer. ,Doch der Mensch, der stolze Mensch, In kleine, kurze Majestät gekleidet, Vergessend, was am mind'sten zu bezweifeln, Sein gläsern Wesen - gleich dem zorn'gen Affen, Spielt solchen Wahnsinn gaukelnd vor dem Himmel, Daß Engel weinen.' t138l" Und schließlich Lord Grey: „Wenn Ihre Lordschaften die Dokumente einsehen wollen, so werden Sie feststellen, daß der Gouverneur Yeh, als Sir John Boving um eine Unterredung mit ihm nachsuchte, bereit war, sich mit ihm zu treffen; daß er aber zu diesem Zweck das Haus des Kaufmanns Houqua, außerhalb der Stadt bestimmte... Sir John Bowrings Würde verlangte, daß er den Bevollmächtigten an keinem andren Ort als in seiner offiziellen Residenz aufsuchte... Ich erwarte, wenn schon nichts anderes, so zumindest ein positives Resultat von der Annahme der Resolution, nämlich die sofortige Abberufung Sir J. Bowrings." Eine ähnliche Behandlung wurde Sir J.Bowring im Unterhaus zuteil, und Cobden eröffnete seine Rede sogar mit einer feierlichen Absage an seine „zwanzigjährige Freundschaft" mit Sir J.Bowring. Die wörtlichen Auszüge aus den Reden der Lords Derby, Lyndhurst und Grey beweisen, daß Lord Palmerstons Regierung, um den Angriff zu parieren, Sir J.Bowring nur fallenzulassen brauchte, anstatt sich mit diesem „hervorragenden Philanthropen" zu identifizieren. Daß sie so glimpflich davongekommen war, verdankte sie weder der Nachsicht noch der Taktik ihrer Gegner, sondern ausschließlich den Dokumenten, die^dem Parlament vorlagen. Das wird augenscheinlich sowohl bei flüchtiger Durchsicht der Dokumente selbst als auch aus den Debatten, denen sie als Grundlage dienten. Kann es irgendeinen Zweifel an Sir J.Bowrings „fixer Idee" in bezug auf seinen Einzug in Kanton geben? Ist es nicht bewiesen, daß dieses Individuum, wie die Londoner „Times" sich ausdrückt, „einen Kurs gänzlich nach eigenem Ermessen eingeschlagen hat, ohne den Rat seiner Vorgesetzten in der Heimat einzuholen und ohne sich nach deren Politik zu richten"?
Warum sollte nun Lord Palmerston zu einem Zeitpunkt, wo seine Regierung wankt, wo ihm alle möglichen Schwierigkeiten im Wege stehen — Finanzschwierigkeiten, Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem persischen Krieg, Schwierigkeiten wegen der Geheimverträge, der Wahlreform11391, der Koalition -, wo er sich darüber im klaren ist, daß die Augen des Hauses „ernster, doch weniger bewundernd denn je auf ihn gerichtet sind", warum sollte er ausgerechnet diesen Zeitpunkt wählen, um zum ersten Mal in seinem politischen Leben einem anderen Menschen und noch dazu einem Untergebenen unwandelbare Treue zu bezeugen, auf die Gefahr hin, seine eigene Position nicht nur zu verschlechtern, sondern sie völlig zu untergraben? Warum sollte er seinen nagelneuen Enthusiasmus so weit treiben, daß er sich selbst als Sühneopfer für die Sünden eines Dr. Bowring darbringt? Selbstverständlich hält kein vernünftiger Mensch den edlen Viscount solcher romantischen Abirrungen für fähig. Die politische Linie, die er in diesem chinesischen Konflikt bezogen hat, liefert den schlüssigen Beweis für die Unzulänglichkeit der Dokumente, die er dem Parlament vorgelegt hat. Neben den veröffentlichten Dokumenten müssen noch Geheimdokumente und geheime Instruktionen vorhanden sein, die beweisen dürften, daß, wenn Dr. Bowring tatsächlich von der „fixen Idee" besessen war, in Kanton einzuziehen, hinter ihm das kühl berechnende Oberhaupt von Whitehall11401 stand, das dessen fixe Idee schürte und sie für seine eigenen Zwecke aus dem Zustand latenter Wärme in den verzehrenden Feuers verwandelte.
Aus dem Englischen.
Karl Marx Eine Niederlage des Kabinetts Palmerston
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4970 vom 25. März 1857] London, 6. März 1857 Die Debatte über China, die vier Nächte hindurch getobt hatte, fand schließlich ihren Niederschlag in einem Mißtrauensvotum des Unterhauses gegen das Kabinett Palmerston. Palmerston beantwortet das Mißtrauen mit einer „Strafauflösung". Er bestraft die Abgeordneten, indem er sie nach Hause schickt. Die ungeheure Erregung, die in der letzten Nacht der Debatte sowohl innerhalb des Parlamentsgebäudes herrschte als auch Unter den Massen, die sich in den anliegenden Straßen versammelt hatten, war nicht nur darauf zurückzuführen, daß hier schwerwiegende Interessen auf dem Spiel standen, sondern mehr noch auf den Charakter der Partei, über die hier Gericht gehalten, wurde. Palmerstons Regierungsweise war nicht die eines gewöhnlichen Kabinetts. Sie entsprach einer Diktatur. Seit Beginn des Krieges mit Rußland hatte das Parlament seine konstitutionellen Funktionen fast aufgegeben; und auch nach Friedensschluß hatte es nie gewagt, sie wieder geltend zu machen. Durch einen allmählichen und kaum wahrnehmbaren Niedergang war es auf die Position eines Corps legislatif[39] abgesunken, das sich von der echten, bonapartistischen Ausgabe nur durch Vorspiegelung falscher Tatsachen und hochtrabende Ansprüche unterschied. Schon die Bildung des Koalitionskabinetts[129] war ein Ausdruck der Tatsache, daß die alten Parteien, von deren Reibungen das Funktionieren der Parlamentsmaschinerie abhängt, nicht mehr vorhanden waren. Der Krieg trug dazu bei, daß diese Ohnmacht der Parteien, wie sie zuerst mit dem Koalitionskabinett zum Ausdruck kam, sich in der Allmacht eines einzelnen Mannes verkörperte, der während eines halben Jahrhunderts politischer Tätigkeit nie einer Partei angehört, aber sich immer aller Parteien bedient hatte. Wäre der Krieg mit /
Rußland nicht dazwischengekommen, so hätte schon allein der Verfall der alten offiziellen Parteien zu einer Umbildung geführt. Durch die Gewährung politischer Rechte zumindest für einen kleinen Teil jener Volksmassen, die noch immer kein Wahlrecht und keine politische Vertretung besitzen, wäre frisches Blut und damit neues Leben in das Parlament gekommen. Der Krieg setzte diesem natürlichen Prozeß ein jähes Ende. Der Krieg bewirkte, daß die Neutralisierung der alten parlamentärischen Widersprüche nicht den Massen zugute kam, sondern ausschließlich einem einzelnen Manne Vorteil brachte. An Stelle der politischen Emanzipation des britischen Volkes bekamen wir die Diktatur Palmerstons. Der Krieg war die mächtige Triebkraft, die dieses Resultat hervorbrachte, und Krieg war das einzige Mittel, es zu festigen. Der Krieg war daher zu einer unerläßlichen Voraussetzung der Diktatur Palmerstons geworden. Der Krieg mit Rußland war im britischen Volk populärer als der Pariser Friede. Warum nutzte dann aber der britische Achilles, unter dessen Auspizien sich die schmähliche Niederlage am Redan und die Übergabe von Kars[1411 ereigneten, diese Gelegenheit nicht aus? Offensichtlich, weil eine andere Möglichkeit nicht in seiner Macht lag. Daher sein Pariser Vertrag, den er unter Hinweis auf die Unstimmigkeiten mit den Vereinigten Staaten11421 verteidigte, daher seine Expedition nach Neapel, seine scheinbaren Zänkereien mit Bonaparte, sein Einfall in Persien und seine Metzeleien in China.!1431 Durch die Annahme eines Mißtrauensvotums gegen Palmerston entzog ihm das Unterhaus die Mittel zur Aufrechterhaltung seiner usurpierten Macht. Diese Abstimmung war daher nicht irgendeine parlamentarische Abstimmung, sondern eine Rebellion, ein gewaltsamer Versuch zur Wiedererlangung der verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments. Dieses Gefühl beherrschte das Haus, und welche besonderen Gründe die verschiedenen Fraktionen der heterogenen Mehrheit, die aus Anhängern Derbys, Peels, Russells, aus Manchester-Leuten11271 Und aus sogenannten Unabhängigen bestand, auch bewegt haben mögen - alle versicherten aus ehrlicher Überzeugung, daß keine gewöhnliche Verschwörung gegen das Kabinett sie in der gleichen Lobbyf1441 vereinigt hat. Darin aber bestand die Quintessenz der Verteidigung Palmerstons. Die Schwäche seiner Position verdeckte er mit einem argumentum ad misericordiam1, indem er sich als Opfer einer prinzipienlosen Verschwörung hinstellte. Diese Verteidigung, die typisch für Old-Bailey-Sträf linge[1451 ist, hätte kaum treffender zurückgewiesen werden können als durch die Rede Disraelis:
1 Appeli an die Barmherzigkeit
„Wenn es einen Menschen gibt", sagte er, „der keine Koalition ertragen kann, so ist es der Premierminister. Und doch ist gerade er der Prototyp politischer Koalitionen ohne ausgesprochene Prinzipien. Sehen Sie sich doch an, wie seine Regierung zusammengesetzt ist! Erst im vergangenen Jahr unterstützten alle Mitglieder seines Kabinetts in diesem Hause eine Gesetzesvorlage, die, glaube ich, von einem ehemaligen Kollegen eingebracht worden war. Sie wurde im anderen Hause von einem Mitglied der Regierung abgelehnt, das zur Entschuldigung seiner augenscheinlichen Inkonsequenz kühn erklärte, der Premierminister habe von ihm bei seinem Amtsantritt keinerlei bindende Stellungnahme zu irgendeinem Problem verlangt." (Gelächter.) „Der edle Lord aber ist in Unruhe versetzt und empört über diese prinzipienlose Vereinigung! Der edle Lord kann Koalitionen nicht ertragen! Der edle Lord hat nur mit jenen zusammengewirkt, in deren Kreis er politisch groß gezogen worden ist." (Beifallsrufe und Gelächter.) „Dieser kleine Herkules" (zeigt auf Lord Palmerston) „hat bei den Whigs in der Wiege gelegen, und wie folgerichtig ist doch sein politisches Leben gewesen!" (Erneutes Gelächter.) „Rückblickend auf das letzte halbe Jahrhundert, in dessen Verlauf er sich zu nahezu jedem Grundsatz bekannte und sich mit nahezu jeder Partei liierte, hat der edle Lord heute abend seine warnende Stimme gegen Koalitionen erhoben, da er fürchtet, eine Mehrheit des Unterhauses, darunter einige der hervorragendsten Mitglieder des Hauses - ehemalige Kollegen des edlen Lords -, könnte eine Politik gegenüber China mißbilligen, die mit Gewalttätigkeit begonnen hat und, wenn fortgesetzt, im Verderben enden wird. Dies, Sir, ist die Position des edlen Lords. Und was hat der edle Lord uns zur Verteidigung dieser Politik zu sagen gehabt? Hat er auch nur einen einzigen Grundsatz aufgestellt, nach dem sich unsere Beziehungen mit China richten sollten? Hat er auch nur eine einzige politische Maxime geprägt, die uns in dieser Zeit der Gefahr und Verwirrung leiten könnte? Im Gegenteil, er hat die Schwäche und Haltlosigkeit seiner Position dadurch bemäntelt, daß er sagte - man höre er sei das Opfer einer Verschwörung. Er brachte es nicht fertig, sein Verhalten in standhafter, eines Staatsmannes würdiger Weise zu verteidigen. Er wiederholte kleinliche Bemerkungen aus dem Verlauf der Debatte, die ich wahrlich schon für erledigt und abgetan gehalten hatte, und dann stellte er sich plötzlich hin und sagte, das Ganze wäre eine Verschwörung! An Mehrheiten gewöhnt, die ohne die Verkündung eines einzigen Grundsatzes zustande kamen, die vielmehr das Ergebnis einer zufälligen Lage waren und der Tatsache entstammten, daß der edle Lord seinen Platz auf der Regierungsbank hat, ohne zu irgendeiner außen- oder innenpolitischen Frage Stellung nehmen zu müssen, die dem Lande am Herzen liegen oder die öffentliche Meinung der Nation beeinflussen könnte, wird der edle Lord schließlich feststellen müssen, daß die Zeit gekommen ist, wo er, um ein Staatsmann zu sein, eine Politik haben müßte; und daß es nicht angeht, sich in dem gleichen Augenblick bei dem Lande zu beklagen, er sei das Opfer einer Verschwörung, wo die ständigen Mißgriffe seines Kabinetts aufgedeckt werden und alle, die gewöhnt sind, die Meinung des Hauses zu beeinflussen, das Kabinett gemeinsam verurteilen." Es wäre jedoch völlig falsch, anzunehmen, die Debatten wären interessant
10 Marx/Engels. Werke, Bd. 12
gewesen, weil solche brennenden Interessen damit verknüpft waren. Nacht für Nacht wurde debattiert, und noch immer war keine Abstimmung erfolgt. Die Stimmen der Gladiatoren gingen während der Schlacht größtenteils im Gemurmel und Getöse der privaten Konversation unter. Nacht für Nacht redeten die placemen1146' die Zeit tot, um weitere vierundzwanzig Stunden für Intrigen und Wühlarbeit zu gewinnen. In der ersten Nacht hielt Cobden eine kluge Rede. Dasselbe taten Bulwer und Lord john Russell; aber der Attorney-General1 hatte sicherlich recht, als er ihnen sagte, „er könne auch nicht für einen Augenblick ihre Überlegungen oder ihre Argumente zu diesem Thema mit den Argumenten vergleichen, die an anderer Stelle vorgebracht worden wären". Die zweite Nacht wurde durch die gewichtigen Plädoyers der Rechtsvertreter beider Seiten, des Lord-Advokaten2, des Herrn Whiteside, und des Attorney-General, in Anspruch genommen. Zwar machte Sir James Graham den Versuch, die Debatte zu beleben, es gelang ihm aber nicht. Als dieser Mann, der im Grunde genommen die Ermordung der Bandieras[147] verschuldet hat, scheinheilig ausrief, „er habe mit dem unschuldig vergossenen Blut nichts zu tun", war ein halbunterdrücktes, ironisches Lachen das Echo auf sein Pathos. Die dritte Nacht war noch langweiliger. Da redete zunächst Sir F. Thesiger, der Attorney-General in spe3, er antwortete dem AttorneyGeneral in re4, dann redete Serjeant5 Shee; er versuchte Sir F. Thesiger eine Antwort zu geben. Dem folgte die bäurische Beredsamkeit des Sir John Pakington. Dann sprach der von Kars her bekannte General Williams, den das Haus nur wenige Minuten schweigend anhörte, um ihn nach diesen wenigen Minuten spontan fallenzulassen in der klaren Erkenntnis, daß er nicht der Mann war, für den es ihn gehalten hatte. Schließlich sprach Sir Sidney Herbert. Dieser elegante Zögling Peelscher Staatskunst hielt eine Rede, die wirklich ausgefeilt, pointiert und voller Antithesen war, aber eher die Argumente der placemen verhöhnte, als neue, eigne Argumente vorzubringen. In der letzten Nacht aber erhob sich die Debatte auf eine Höhe, die dem Unterhause angemessen ist. Roebuck, Gladstone, Palmerston und Disraeli waren, jeder auf seine Weise, großartig. Die Schwierigkeit bestand darin, von dem nur vorgeschobenen Gegenstand der Debatte, Sir J.Bowring, wegzukommen und die Anklage gegen Lord Palmerston selbst zu richten, indem man ihn persönlich für das „Blutbad unter den Unschuldigen" verantwortlich macht. Daß wurde schließlich
1 Kronanwalt (Bethell, Staatsanwalt für Schottland) - 2 Moncreiff - 3 in Zukunft - 4 im Amt - 5 hoher Anwalt des gemeine Rechts
erreicht. Da die bevorstehenden Parlamentswahlen in England sich hauptsächlich um diesen Punkt drehen werden, dürfte es nicht schaden, wenn die Ergebnisse der Diskussion auf einen möglichst kleinen Raum zusammengedrängt werden. Einen Tag nach der Niederlage des Kabinetts und einen Tag, bevor es die Auflösung des Unterhauses bekanntgab, verstieg sich die Londoner „Times" zu folgenden Behauptungen: „Die Nation wird wohl kaum wissen, welche Frage nun eigentlich beantwortet werden soll. Hat das Kabinett des Lords Palmerston das Vertrauen des Volkes infolge verschiedener Maßnahmen eingebüßt, die am anderen Ende der Welt durchgeführt wurden, sechs Wochen, bevor man hier überhaupt etwas darüber erfuhr, und zwar von Staatsbeamten, die von einer früheren Regierung eingesetzt worden waren? Erst zu Weihnachten erfuhren die Minister von der Angelegenheit, bis dahin wußten sie darüber genausowenig wie jeder andere. Wahrlich, hätte sich die Geschichte auf dem Monde abgespielt, oder wäre sie ein Märchen aus .Tausendundeiner Nacht gewesen, so könnte das jetzige Kabinett-nicht weniger damit zu tun haben... Soll die Regierung des Lords Palmerston verurteilt und abgesetzt werden wegen einer Tat, die sie niemals begangen hat und auch nicht begehen konnte, wegen einer Tat, von der sie nicht eher erfuhr als alle anderen und die noch dazu von Leuten begangen worden war, die sie nicht ernannt und mit denen sie bis jetzt keinerlei Verbindung aufnehmen konnte?" Dieser unverschämten Rodomontade einer Zeitung, die das Blutbad von Kanton unentwegt als eine hervorragende Leistung der Palmerstonschen Diplomatie gerechtfertigt hat, können wir einige Tatsachen entgegenhalten, die während einer ausgedehnten Debatte mühsam ans Licht gezogen und nicht ein einziges Mal von Palmerston oder seinen Untergebenen widerlegt worden sind. Als Lord Palmerston 1847 an der Spitze des Ministerium des Auswärtigen stand, war seine erste Depesche über den Zutritt in Kanton; der den britischen Hongkong-Behörden zu gewähren sei, in drohendem Ton gehalten. Sein Ubereifer wurde jedoch von seinem Kollegen Earl Grey, dem damaligen Kolonialminister, gedämpft, der ein kategorisches Verbot an die Flottenkommandeure sowohl in Hongkong als auch in Ceylon erließ, worin er ihnen befahl, unter keinen Umständen offensive Handlungen gegen die Chinesen ohne ausdrückliche Ermächtigung aus England zuzulassen. Am 18. August 1849, kurz vor seiner Entlassung aus dem Kabinett Russell, sandte Lord Palmerston jedoch folgende Depesche an den britischen Bevollmächtigten in Hongkong: „Die hohen Beamten in Kanton und die Regierung in Peking sollten sich keiner Täuschung hingeben... Die Nachsicht, die die britische Regierung bisher geübt hat, entspringt nicht dem Gefühl der Schwäche, sondern dem Bewußtsein überlegene? Stärke... Die britische Regierung weiß sehr gut, daß die britischen Streitkräfte, falles die Situation erfordern sollte, imstande wären, die StadtKanton zu zerstören, ohne eine in»
Stein auf dem anderen zu lassen, und damit den Einwohnern dieser Stadt eine exemplarische Bestrafung aufzuerlegen." So kündigte sich das Bombardement von Kanton, das 1856 unter Lord Palmerston als Premierminister erfolgte, schon 1849 in dem letzten Schreiben an, das Lord Palmerston als Außenminister des Kabinetts Russell nach Hongkong gesandt hatte. In der dazwischenliegenden Zeit hatten es alle Regierungen abgelehnt, eine Lockerung des Verbots zu gestatten, wonach es den britischen Vertretern in Hongkong untersagt war, auf ihre Zulassung in Kanton zu dringen. So tat es Earl of Granville im Kabinett Russell, so Earl of Malmesbury im Kabinett Derby und so der Duke of Newcastle im Kabinett Aberdeen. Schließlich wurde 1852 Dr. Bowring, der bis dahin Konsul in Hongkong war, zum Bevollmächtigten ernannt. Seine Ernennung erfolgte, wie Herr Gladstone erklärt, durch Lord Clarendon, ein Werkzeug Palmerstons, ohne Kenntnis oder Zustimmung des Kabinetts Aberdeen. Als Bowring zum ersten Mal die Frage aufwarf, die jetzt zur Debatte steht, erklärte ihm Clarendon in einer Depesche vom 5. Juli 1854, er wäre zwar im Recht, sollte aber warten, bis Seestreitkräfte für sein Vorhaben verfügbarwären. England befand sich damals im Krieg mit Rußland. Als sich die Angelegenheit mit der „Arrow"1 ereignete, hatte Bowring gerade vom Friedensschluß gehört, und tatsächlich wurden Seestreitkräfte zu ihm entsandt. Daraufhin wurde der Streit mit Yeh vom Zaune gebrochen. Nachdem Clarendon einen Bericht über die Ereignisse empfangen hatte, teilte er Bowring am 10.Januar mit: „Die Regierung Ihrer Majestät ist völlig mit der Handlungsweise einverstanden, zu der Sir M.Seymour und Sie sich entschlossen haben." Die in diesen wenigen Worten enthaltene Billigung war von keinerlei weiteren Instruktion begleitet. Im Gegenteil, Herr Hammond, der an den Sekretär der Admiralität schrieb, war von Lord Clarendon beauftragt, Admiral Seymour die Bewunderung der Regierung auszusprechen über „die Mäßigung, mit der er vorgegangen war. und über die Achtung, die er dem Leben und Eigentum der Chinesen gezollt hatte". Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, daß das Blutbad in China von Lord Palmerston selbst geplant war. Unter welcher Flagge er jetzt die Wähler des Vereinigten Königreiches um sich zu sammeln hofft, ist eine Frage, die ich vielleicht in einer weiteren Korrespondenz beantworten darf, da diese bereits das übliche Maß überschritten hat. Aus dem Englischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 137-142 und 173-178
Karl Marx Die bevorstehenden Wahlen in England1,481
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4975 vom 31. März 18571 London, 13. März 1857 „Stand between two churchmen, good my Lord; For on that ground I'H make a holy descant."f149J Palmerston befolgt den Rat, den Buckingbam Riebard III. gegeben bat, nicht genau. Er steht zwischen dem Geistlichen auf der einen und dem Opiumschmuggler auf der anderen Seite. Während die Bischöfe der Low Church[150], die dieser erfahrene Betrüger dem Earl von Shaftesbury, seinem Verwandten, zu ernennen gestattete, seine „Redlichkeit" bezeugen, bezeugen die Opiumschmuggler, die Händler des „süßen Gifts für des Zeitalters Gaurn"11511, seinen treuen Dienst am „Eigennutz, dem Nebenhang der Welt"[152]. Burke, der Schotte, war stolz auf die Londoner „Wiederbeleber" [153]. Ebenso stolz ist Palmerston auf die Liverpooler „Vergifter". Diese glattgesichtigen Herren sind die würdigen Vertreter einer Stadt, deren Größe sich direkt auf den Sklavenhandel zurückführen läßt. Liverpool, das ansonsten nicht wegen poetischer Erzeugnisse berühmt ist, kann zumindest das originelle Verdienst für sich in Anspruch nehmen, daß es die Poesie mit Oden an den Sklavenhandel bereichert hat. Während Pindar seine Hymne auf die olympischen Sieger mit dem berühmten „Das Fürnehmst? ist Wasser" (Ariston men hudor)[154] beginnt, dürfte daher wohl von einem modernen Liverpooler Pindar erwartet werden, daß er seine Hymne auf die Preisfechter der Downing Street[155] mit der geistreicheren Einleitung beginnt: „Das Fürnehmst'ist Opium." Hand in Hand mit den heiligen Bischöfen und den unheiligen Opiumschmugglern gehen die großen Teehändler, die größtenteils direkt oder indirekt am Opiumhandel beteiligt und daher daran interessiert sind, die gegenwärtigen Verträge mit China umzustoßen. Sie werden außerdem von ihren
ureigenen Beweggründen getrieben. Da sie sich im vergangenen Jahr an enorme Spekulationen mit Tee herangewagt haben, wird die Verlängerung der Feindseligkeiten sofort die Preise ihrer riesigen Vorräte in die Höhe treiben und es ihnen ermöglichen, die großen Zahlungen an ihre Gläubiger in Kanton hinauszuzögern. So wird der Krieg ihnen gestatten, gleichzeitig ihre britischen Käufer und ihre chinesischen Verkäufer zu betrügen und damit ihre Vorstellungen von „nationalem Ruhm" und „kommerziellen Interessen" zu verwirklichen. Im allgemeinen sind die britischen Fabrikanten mit den Lehren dieses Liverpooler Katechismus nicht einverstanden wegen des gleichen erhabenen Prinzips, das den Mann aus Manchester, der niedrige Baumwollpreise begehrt, in Gegensatz bringt zum Herrn aus Liverpool, der hohe Preise begehrt. Während des ersten Englisch-Chinesischen Kriegs, der sich von 1839 bis 1842 hinzog, hatten sich die britischen Fabrikanten falsche Hoffnungen auf eine außerordentliche Ausdehnung des Exports gemacht. Sie hatten die Baumwollstoffe, die die Bewohner des Himmlischen Reiches1 tragen sollten, schon Yard für Yard ausgemessen. Die Erfahrung brach das Vorhängeschloß auf, das die Palmerstonschen Politiker vor ihren Geist gehängt hatten. Von 1854 bis 1857 betrugen die britischen Manufaktur-Exporte nach China nicht mehr als durchschnittlich 1 250 000 Pfd. St., ein Betrag, der oft in den Jahren vor dem ersten Krieg mit China erreicht worden war. „Tatsächlich", so erklärte Herr Cobden, der Sprecher der britischen Fabrikanten, im Unterhaus, „haben wir" (das Vereinigte Königreich) „seit 1842 unseren Exporten nach China überhaupt nichts hinzugefügt, zumindest soweit es unsere Manufakturen betrifft. Wir haben unseren Teeverbrauch erhöht; das ist alles." Daher sind die britischen Fabrikanten imstande, sich klarere Ansichten über die China-Politik zu bilden als die britischen Bischöfe, Opiumschmuggler und Teehändler. Wenn wir über die Steuerfresser und Stellenjäger, die an den Röcken jeder Regierung hängen, und über die dummen Kaffeehauspatrioten hinweggehen, welche glauben, daß unter Pam's2 Führung „die Nation sich aufraffen würde", so haben wir in der Tat alle bona fide3 Anhänger von Palmerston aufgezählt. Wir dürfen jedoch die Londoner „Times" und den „Punch", den Großkophta11561 der britischen Presse und ihren Clown, nicht vergessen, die beide mit der jetzigen Regierung durch goldene und offizielle Bande fest verknüpft sind und demzufolge mit gekünstelter Begeisterung den Helden des Kantoner Blutbades herausstreichen. Aber dann sollte beachtet werden, daß die Abstimmung im Unterhaus nicht nur eine Rebellion gegen Palmerston, sondern auch gegen die
1 China —2 Palmerstons - 3 getreuen
„Times" anzeigte. Die bevorstehenden Wahlen haben daher nicht nur zu entscheiden, ob Palmerston alle Macht des Staates an sich reißen soll, sondern auch, ob die „Times" das Monopol für die Fabrikation der öffentlichen Meinung e*rlangen soll. Unter welcher Losung wird nun Palmerston seinen Aufruf zu den Wahlen für das Unterhaus erlassen? Unter dem der Ausdehnung des Handels mit China? Aber er hat doch gerade den Hafen, von dem dieser Handel abhing, zerstört. Er hat diesen Handel für eine mehr oder weniger lange Zeit vom Meer aufs Land, von den fünf Häfen nach Sibirien, von England nach Rußland verlegt. Im Vereinigten Königreich hat er den Zoll für Tee erhöht - die größte Schranke gegen die Ausbreitung des Chinahandels. Unter der Losung der Sicherheit des britischen Handelsspekulanten? Das Blaubuch „Korrespondenz über Beleidigungen in China"[15,J, das das Kabinett selbst auf den Tisch des Unterhauses gelegt hat, beweist jedoch, daß in den vergangenen sieben Jahren nur sechs Fälle von Beleidigungen vorgekommen sind, wovon bei zweien die Engländer die Angreifer waren, während in den vier anderen Fällen sich die chinesischen Behörden zur vollsten Zufriedenheit der britischen Behörden bemühten, die Schuldigen zu bestrafen. Wenn also das Vermögen und das Leben der britischen Kaufleute in Hongkong, Singapur usw. gegenwärtig gefährdet ist, so sind ihre Leiden von Palmerston selbst heraufbeschworen. Aber wie steht's mit der Ehre der britischen Flagge! Palmerston hat sie für 50 Pfd. St. pro Stück an die Schmuggler von Hongkong verkauft und sie mit dem „Riesenblutbad hilfloser britischer Kunden" befleckt. Gleichwohl sind diese Argumente von der Ausdehnung des Handels, der Sicherheit der britischen Spekulanten und der Ehre der britischen Flagge die einzigen, mit denen die Weisen der Regierung bis jetzt ihre Wähler angesprochen haben. Sie halten sich klugerweise davor zurück, irgendeinen Punkt der Innenpolitik zu berühren, da das Schlagwort „Keine Reform" und „Mehr Steuern" nichts ausrichten würde. Ein Mitglied des Palmerston-Kabinetts, Lord Mulgrave, der Household Treasurer1, erzählt seinen Wählern, daß er „keine politischen Theorien vorzulegen habe". Ein anderer, Bob Lowe, verhöhnt in seiner Ansprache in Kidderminster die geheime Wahl, die Ausdehnung des Wahlrechts und ähnlichen „Humbug". Ein dritter, Herr Labouchere, derselbe geriebene Bursche, der die Bombardierung von Kanton mit der Begründung verteidigte, daß, wenn das Unterhaus sie als Unrecht brandmarken sollte, das englische Volk darauf gefaßt sein müßte, eine Rechnung von etwa 5 000 000 Pfd. St. an die ausländischen
1 Schatzmeister des königlichen Haushaltes
Kaufleute zu zahlen, deren Besitz in Kanton zerstört worden war - derselbe Labouchere ignoriert in seiner Ansprache an seine Wähler in Taunton die Politik völlig und stützt seine Forderungen einfach auf die großen Taten von Bowring, Parkes- und Seymour. Die Bemerkung eines britischen Provinzblattes, daß Palmerston nicht nur „keine gute Losung für die Wahlbühne, sondern überhaupt keine Losung" habe, ist also völlig richtig. Doch sein Fall ist keineswegs hoffnungslos. Seit der Abstimmung des Unterhauses haben sich die Umstände völlig gewandelt. Das örtliche Verbrechen an Kanton hat zu einem allgemeinen Krieg mit China geführt. Da bleibt nur noch die Frage: Wer soll den Krieg fortführen? Ist der Mann, der behauptet, daß dieser Krieg gerecht sei, nicht besser imstande, ihn kraftvoll voranzutreiben, als seine Gegner, die in die Wahl hineingehen, indem sie ihn verurteilen? Wird Palmerston während seines Interregnums nicht die Dinge so in Unordnung bringen, daß er der unersetzliche Mann bleibt? Wird dann nicht die bloße Tatsache, daß eine Wahlschlacht stattfindet, die Frage zu seinen Gunsten entscheiden? Für den größeren Teil der britischen Wahlkörperschaften, so wie sie jetzt zusammengesetzt sind, bedeutet eine Wahlschlacht eine Schlacht zwischen Whigs und Tories. Da er nun der tatsächliche Kopf der Whigs ist, da sein Sturz die Tories zur Macht bringen würde, wird da nicht der größere Teil der sogenannten Liberalen für Palmerston stimmen, damit Derby durchfällt? Das sind die wahren Erwägungen, von denen sich die Anhänger des Kabinetts leiten lassen. Wenn ihre Rechnung stimmt, würde Palmerstons Diktatur, bisher schweigend geduldet, offen proklamiert. Die neue Parlamentsmehrheit würde ihre Existenz dem ausdrücklichen Bekenntnis zum passiven Gehorsam gegenüber dem Minister verdanken. Dem Appell Palmerstons vom Parlament an das Volk könnte dann zu gegebener Zeit ein coup d'etat folgen, so wie er dem Appell Bonapartes von der Assemblee nationale1 an die Nation folgte.11583 Die gleichen Leute könnten dann zu ihrem Leidwesen erfahren, daß Palmerston ein ehemaliger Amtsbruder des Castlereagh-Sidmouth-Kabinetts ist, das die Presse mundtot machte, öffentliche Versammlungen unterdrückte, die HabeasCörpus-Akte aufhob, der Regierung die Vollmacht gab, nach Belieben einzukerkern und auszuweisen und die schließlich das Volk von Manchester niedermetzeln ließ, weil es gegen die Korngesetze protestierte^1591
Aus dem Englischen.
1 Nationalversammlung
Karl Marx [Rußlands Handel mit China]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4981 vom 7. April 1857, Leitartikel] In Hinsicht auf den Handel und Verkehr mit China, deren Ausweitung Lord Palmerston und Louis-Napoleon gewaltsam inAngriff genommen haben, hat augenscheinlich die Position, die Rußland einnimmt, nicht wenig Neid erweckt. Gewiß, es ist sehr wohl möglich, daß Rußland, ohne auch nur eine Kopeke zu verausgaben oder militärische Machtmittel zu gebrauchen, zu guter Letzt, und zwar infolge des gegenwärtigen Konfliktes mit China, mehr erreichen wird, als jede der beiden kriegführenden Nationen. Die Beziehungen Rußlands zum chinesischen Kaiserreich sind überhaupt von besonderer Art. Während den Engländern und uns selbst1 - denn an den gegenwärtigen Feindseligkeiten sind die Franzosen eigentlich nur nebenbei beteiligt, da sie tatsächlich keinen Handel mit China treiben - das Privileg des unmittelbaren Verkehrs nicht einmal mit dem Kaiserlichen Statthalter von Kanton zugestanden wird, genießen die Russen den Vorzug, eine Botschaft in Peking zu unterhalten. Allerdings soll dieser Vorteil nur dadurch erkauft sein, daß Rußland sich darein gefügt habe, am Himmlischen Hofe unter die tributpflichtigen Vasallenstaaten des Chinesischen Reiches gerechnet zu werden. Immerhin wird es dadurch der russischen Diplomatie möglich, sich wie in Europa auch in China einen festen Einfluß zu sichern, der keineswegs auf rein diplomatische Tätigkeit beschränkt ist. Die Russen sind vom Seehandel mit China ausgeschlossen und daher an den früheren oder gegenwärtigen Streitigkeiten über diesen Gegenstand weder beteiligt noch in sie verwickelt; auch entgehen sie jener Abneigung, die die Chinesen seit undenklichen Zeiten allen Ausländern entgegen
1 den Amerikanern
gebracht haben, die sich ihren Küsten nähern und die sie - nicht ganz ohne Grund - mit den verwegenen Piraten verwechseln, von denen anscheinend seit je die Küsten Chinas unsicher gemacht worden sind. Doch werden die Russen für diesen Ausschluß vom Seehandel dadurch entschädigt, daß sie sich eines Inland- und Uberlandhandels erfreuen, der speziell ihnen vorbehalten ist, und wobei es unwahrscheinlich ist, daß irgendwer auf diesem Gebiet konkurrieren könnte. Dieser Handel, der 1768 unter der Regierung Katharinas II. vertraglich geregelt worden ist, hat seinen hauptsächlichen, wenn nicht gar einzigen Umschlagplatz in Kiachta, das an der Grenze zwischen Südsibirien und der Chinesischen Tatarei, an einem Zufluß des BaikalSees, etwa hundert Meilen südlich von Irkutsk liegt. Dieser Handel, der sich auf einer Art Jahrmarkt abspielt, wird von zwölf Agenten besorgt sechs Russen und sechs Chinesen -, die in Kiachta zusammenkommen und die Maße festsetzen - der Handel erfolgt ausschließlich durch Tausch -, nach denen die von jeder Seite angebotenen Waren ausgetauscht werden sollen. Die wichtigsten Handelsartikel sind auf chinesischer Seite Tee und auf russischer Seite Baumwoll- und Wollstoffe. In den letzten Jahren hat dieser Handel anscheinend erheblich zugenommen. Vor zehn bis zwölf Jahren wurden den Russen in Kiachta im Durchschnitt nicht mehr als vierzigtausend Kisten Tee verkauft; 1852 waren es jedoch einhundertundfünfundsiebzigtausend Kisten, wobei der größere Teil von jener vorzüglichen Qualität war, die dem kontinentalen Verbraucher als Karawanentee wohlbekannt ist, im Gegensatz zu der schlechteren Sorte, die auf dem Seewege eingeführt wird. Weiter verkauften die Chinesen geringere Mengen Zucker, Baumwolle, Rohseide und Seidenwaren, aber alles in sehr beschränktem Umfang. Die Russen bezahlten zu ungefähr entsprechenden Mengen in Baumwoll- und Wollwaren, zusätzlich kleiner Mengen Juchtenleder, Metallwaren, Pelze und sogar Opium. Der Gesamtwert der gekauften und verkauften Waren - die in den veröffentlichten Berichten anscheinend zu äußerst billigen Preisen eingesetzt sind - erreichte die hohe Summe von über fünfzehn Millionen Dollar. Infolge der inneren Unruhen in China11601 und der Tatsache, daß die Straße aus den Teeprovinzen von Banden plündernder Rebellen besetzt war, sank 1853 die nach Kiachta beförderte Teemenge auf fünfzigtausend Kisten, und der Gesamtwert des Handelsgeschäfts betrug in diesem Jahr nicht mehr als etwa sechs Millionen Dollar. In den beiden folgenden Jahren jedoch belebte sich dieser Handel wieder, und 1855 wurden nicht weniger als einhundertundzwölftausend Kisten Tee zum Jahrmarkt nach Kiachta gebracht. Durch diesen größer werdenden Handel ist Kiachta, das im russischen Grenzgebiet liegt, von einem bloßen Fort und Marktflecken zu einer an
sehnlichen Stadt angewachsen. Es ist zur Hauptstadt dieses Teils der Grenzregion erklärt worden und soll dadurch ausgezeichnet werden, daß es einen Militärkommandanten und einen Zivilgouverneur bekommt. Gleichzeitig ist kürzlich eine direkte und regelmäßige Postverbindung zur Übermittlung offizieller Depeschen zwischen Kiachta und dem etwa neunhundert Meilen davon entfernten Peking hergestellt worden. Klar ist, daß Europa seinen gesamten Bedarf an Tee auf diesem Wege decken könnte, falls die gegenwärtigen Feindseligkeiten zum Erliegen des Seehandels führen sollten. Man gibt sogar zu verstehen, Rußland könne selbst bei unbehindertem Seehandel, sobald sein Eisenbahnnetz ausgebaut sei, zu einem mächtigen Konkurrenten der seefahrenden Nationen in der Versorgung der europäischen Märkte mit Tee werden. Diese Eisenbahnlinien werden eine direkte Verbindung zwischen den Häfen von Kronstadt und Libau und der alten Stadt Nishni-Nowgorod im Innern Rußlands herstellen, dem Wohnsitz der Kaufleute, die den Handel mit Kiachta betreiben. Die Versorgung Europas mit Tee auf diesem Überlandwege ist jedenfalls wahrscheinlicher, als wenn unsere projektierte Pazifikbahn zu diesem Zweck verwendet wird. Auch Seide, der andere Hauptausfuhrartikel Chinas, nimmt, verglichen mit ihrem Wert, so wenig Platz ein, daß ihr Transport zu Lande keineswegs unmöglich ist, während der China-Handel den russischen Fertigwaren einen Markt eröffnet, wie sie ihn sonst nirgends finden können. Wir können jedoch beobachten, daß die Bemühungen Rußlands keineswegs auf die Erweiterung dieses Inlandhandels beschränkt sind. Schon vor einigen Jahren nahm es die Ufer des Amur in Besitz, das Ursprungsland des jetzt in China herrschenden Geschlechts. Seine Bemühungen in dieser Richtung erfuhren während des letzten Krieges eine gewisse Einschränkung und Unterbrechung, werden jedoch zweifellos wieder aufgenommen und energisch weitergeführt werden. Rußland ist im Besitz der Kurilen und der benachbarten Küsten von Kamtschatka. Es unterhält bereits eine Flotte in jenen Gewässern und wird zweifellos jede sich bietende Gelegenheit benutzen, ebenfalls am Seehandel mit China teilzuhaben. Dies ist jedoch von geringer Bedeutung für Rußland, verglichen mit der Ausdehnung jenes Überlandhandels, dessen Monopol es besitzt.
Geschrieben um den 18. März 1857. Aus dem Englischen.
iv/r rvm i lviaiA Die englischen Wahlen
[„New-York Daily-Tribune" Nr. 4980 vom 6. April 1857] London, 20.März 1857 Der künftige Historiker, der die Geschichte Europas von 1848 bis 1858 schreiben sollte, wird von der Ähnlichkeit der Appelle überrascht sein, die Bonaparte 1851 an Frankreich und Palmerston 1857 an das Vereinigte Königreich richteten. Beide gaben sich den Anschein, als appellierten sie vom Parlament aus an die Nation, von der arglistigen Parteikoalition aus an die arglose Meinung der Öffentlichkeit. Beide traten mit ähnlichen Argumenten auf. Wenn Bonaparte Frankreich vor einer sozialen Krise retten wollte, so will Palmerston England vor einer internationalen Krise retten. Wie Be parte muß auch Palmerston die Notwendigkeit einer starken Exekutiv* das leere Gerede und die aufdringliche Einmischung der legislativ ,.ait rechtfertigen. Bonaparte wandte sich zugleich an die Konservativen und die Revolutionäre[161]; an jene als Feind der Aristokraten, an diese als Feind der bürgerlichen Usurpation. Und hat Palmerston nicht jede despotische Regierung beschimpft? Kann er irgendeinem Liberalen verhaßt sein? Hat er andererseits nicht jede Revolution verraten? Muß er nicht der Auserwählte der Konservativen sein? Er widersetzte sich jeder Reform, und da sollten die Konservativen nicht zu ihm stehen? Er hält die Tories von den Ämtern fern, und da sollten ihn die liberalen Stellenjäger verlassen? Bonaparte trägt einen Namen, der für den Ausländer furchtgebietend ist und mit französischem Ruhm identifiziert wird. Und trifft auf Palmerston nicht dasselbe zu hinsichtlich des Vereinigten Königreichs? Wenigstens hat er bis auf einige geringe Unterbrechungen seit 1830, seit den Tagen der Reform[1621 in England, d. h. seit den Anfängen seiner modernen Geschichte, das Ministerium des Auswärtigen innegehabt. Demzufolge hat die internationale Stellung Englands, so „furchtgebietend" oder „ruhmvoll" sie in ausländischen Augen
auch hier und da erscheinen mag, ihren Mittelpunkt in der Person des Lords Palmerston. Mit einem Streich fegte Bonaparte alle offiziellen großen Männer Frankreichs beiseite; und werden die Russell, Graham, Gladstone, die Roebuck, Cobden, Disraeli lind tutti quanti1 nicht von Palmerston „kurz und klein geschlagen"? Bonaparte hielt auf kein Prinzip, er kannte kein Hindernis, aber er versprach, dem Land das zu geben, was es brauchte: einen Mann. Desgleichen Palmerston. Er ist ein Mann. Seine schlimmsten Feinde wagen ihm nicht vorzuwerfen, daß er ein Prinzip darstellt. War das Regime der Assemblee legislative2 nicht das Regime einer Koalition aus Legitimisten und Orleanistentl63], denen ein paar bürgerliche Republikaner beigemischt waren? Schon ihre Koalition bewies die Auflösung der Parteien, die sie repräsentierten, während die alten Parteitraditionen ihnen nicht gestatteten, sich in irgendeiner anderen als einer negativen Einheit zu verschmelzen. Solch eine negative Einheit ist zum Handeln untauglich; ihre Taten können nur negativ sein, sie kann die Entwicklung nur aufhalten; daher die Macht Bonapartes. Trifft das gleiche nicht auf Palmerston zu? War das Parlament, das seit 1852 getagt hat, nicht ein Koalitionsparlament? Und wurde es nicht daher von Anfang an in einem Koalitionskabinett verkörpert? Als die Assemblee nationale3 von Bonaparte gewaltsam geschlossen wurde, hatte sie keine arbeitsfähige Mehrheit mehr. Genau so erging es auch dem Unterhaus, als Palmerston seine endgültige Auflösung bekanntgab. Doch hier endet der Vergleich. Bonaparte machte seinen coup d'etat, bevor er an die Nation appellierte. Durch konstitutionelle Fesseln eingeschränkt, muß Palmerston an die Nation appellieren, bevor er einen coup d'etat versucht. Es ist nicht zu leugnen, daß in dieser Beziehung alle Vorteile auf Seiten Bonapartes sind. Die Gemetzel in Paris, die Dragonaden in den Provinzen, der allgemeine Belagerungszustand, die Proskriptionen und Deportationen en masse, das Bajonett, das hinter der Wahlurne aufgepflanzt war, und die Kanone, die davor stand, verliehen den Argumenten der bonapartistischen Presse (der einzigen, die von der Sündflut des Dezember nicht hinweggespült worden war) eine finstere Beredsamkeit, deren Überzeugungskraft auch nicht durch ihre seichte Sophistik, ihre abscheuliche Logik und ihre ekelerregende, schwülstige Speichelleckerei zerstört werden konnte. Umgekehrt wird Palmerstons Sache um so schwächer, je mehr sich seine Spießgesellen aufblasen. Obwohl er ein so großer Diplomat ist, hat er vergessen, seinen Sklaven zu sagen, sie sollten sich des Rezepts des Blinden bewußt sein, der den Lahmen führen wollte, er hat vergessen, ihnen Talleyrands „pas de
1 ihresgleichen - 2 gesetzgebenden Versammlung - 3 Nationalversammlung
zele"1 einzuprägen. Und tatsächlich - sie haben ihre Rolle zu gut gespielt. Mein lese zum Beispiel den folgenden Dithyrambus, den eine Zeitung der Hauptstadt von sich gab: „Palmerston auf ewig! Diesen Ruf hoffen wir von jeder Wahlrednerbühne erschallen zu hören... Die ergebenste Gefolgschaftstreue zu Lord Palmerston ist der erste Grundsatz, auf den man im Glaubensbekenntnis eines jeden Kandidaten bestehen muß... Es ist unumgänglich, daß liberale Kandidaten gezwungen sein werden zuzugeben, daß Lord Palmerston als Premierminister eine politische Notwendigkeit der Stunde ist. Es ist notwendig, daß er als der Mann der Zeit anerkannt wird, nicht nur als der kommende Mann, sondern als der Mann, der gekommen ist, nicht nur als der Mann für die Krise, sondern als der Mann und zwar der einzig lebende Mann für jene Verwicklungen, die offensichtlich unserem Lande bevorstehen... Er ist das Idol der Stunde, der Liebling des Volkes, die aufsteigende wie die aufgegangene Sonne." Kein Wunder, daß sich John Bull demgegenüber widerstrebend verhält und daß eine Reaktion gegen das Palmerston-Fieber eingesetzt hat. Palmerstons Person ist zu einem politischen Prinzip erklärt worden; so ist es kein Wunder, daß seine Gegner es zu einem politischen Prinzip gemacht haben, seine Person Unter die Lupe zu nehmen. In der Tat finden wir, daß Palmerston wie durch Zauberei für all die gefallenen Größen des parlamentarischen Englands die Wiederauferstehung von den Toten zuwege gebracht hat. Bewiesen wird diese Behauptung durch das Schauspiel, das Lord John Russells (des Whigs) Erscheinen vor den in der London Tavern2 versammelten Wählern der Hauptstadt bot, durch die Vorstellung, die Sir James Graham, der Peelanhänger, seiner Wählerschaft aus Carlisle gab, und schließlich durch die Aufführung Richard Cobdens, des Repräsentanten der Manchesterschule[164], vor der Versammlung in der überfüllten Free-Trade-Hall zu Manchester. Palmerston hat nicht wie Herkules gehandelt. Er hat keinen Riesen getötet, indem er ihn hoch in die Luft hob[165], sondern er hat Zwergen neue Kraft gegeben, indem er sie auf die Erde zurückwarf. Wenn jemand im Ansehen der Öffentlichkeit gesunken war, so war es gewiß Lord John Russell, der Vater aller legislativen Mißgeburten, der Held des Nützlichkeitsprinzips, der Unterhändler von Wien[166], der Mann, in dessen Hand alles auf fatale Weise in Nichts zusammenschrumpfte. Nun betrachte man sein triumphales Erscheinen vor den Londoner Wählern. Woher dieser Wechsel? Er ergab sich einfach aus den Umständen, in die ihn Palmerston versetzt hatte. Ich, sagte Russell, bin der Vater der Test- und der Korporationsakte, der Bill über die Parlamentsreform, der Reform der Gemeindebehörden, de
1 „nicht allzu eifrig" -2 Restaurant in London
Regelung der Frage des Kirchenzehnts, einiger liberaler Gesetze über die Dissenter[167] und anderer Gesetze hinsichtlich Irlands. Mit einem Wort, in mir verkörpert sich der Gehalt alles dessen, was jemals in der WhigPolitik progressiv war. Wollen Sie mich einem Mann opfern, der den Whiggismus ohne dessen volkstümliche Elemente repräsentiert, der den Whiggismus nicht als politische Partei, sondern nur als eine Gruppe von Stellenjägern vertritt? Und dann verwandelte er ausgerechnet seine Mängel in seinen Vorteil. Ich bin stets ein Gegner der geheimen Wahl gewesen. Erwarten Sie jetzt von mir, weil ich von Palmerston geächtet bin, daß ich mich erniedrige, indem ich meine Überzeugungen widerrufe und mich zu radikalen Reformen verpflichte? Nein, schrien seine Zuhörer. Lord John sollte in diesem Augenblick nicht zur Unterstützung der geheimen Wahl verpflichtet werden. Es ist ein Zeichen von Größe in diesem kleinen Mann, wenn er unter den gegenwärtigen Umständen sich zu schrittweisen Reformen bekennt. Dreimal hoch und noch einmal hoch für John Russell ohne die geheime Wahl! Und dann warf er das ausschlaggebende Gewicht in die Waagschale, als er seine Zuhörer fragte, ob sie zulassen wollten, daß sich ein kleiner Klüngel von Opiumhändlern auf Geheiß Palmerstons zu einer Wahlkörperschaft zusammenschließt, um ihre von der Regierung ausgeheckten Beschlüsse den freien Wählern der Hauptstadt aufzuzwingen und ihn selbst, Lord John Russell, ihren Freund seit 16 Jahren, auf Geheiß Palmerstons zu ächten! Nein, nein, schrien die Zuhörer, nieder mit dem Klüngel! Lord John Russell lebe hoch! Und es ist nun wahrscheinlich, daß er nicht nur wiedergewählt wird, sondern auch, daß er in London die meisten Stimmen erhält. Der Fall des Sir James Graham ist noch kurioser. Wenn Lord John Russell sich lächerlich gemacht hatte, so hat sich Graham als verächtlich erwiesen. Aber, sagte er zu seiner Wählerschaft in Carlisle, soll ich ausgelöscht werden wie eine Kerze, die bis zum Boden niedergebrannt ist, oder soll ich mich davonschleichen wie ein Hund, der von der Rennbahn gejagt wird, weil ich einmal in meinem Leben gewissenhaft handelte und eher meine politische Stellung aufs Spiel setzte, als mich dem Diktat eines Mannes zu beugen? Sie haben mich trotz all meiner Schändlichkeiten als Ihren Repräsentanten wiedergewählt. Wollen Sie mich für eine einzige gute Tat, die ich vollbracht habe, entlassen? Gewiß nicht, ertönte es von den Wählern aus Carlisle zurück. Im Gegensatz zu Russell und Graham mußte Herr Cobden in Manchester nicht seinen eigenen Wählern gegenüberstehen, sondern den Wählern von Bright und Gibson. Er sprach nicht für sich selbst, sondern für die Manchesterschule. Seine Position wurde durch diesen Umstand verstärkt. Der
palmerstonsche Kampfruf war in Manchester noch falscher als in irgendeinem anderen Ort. Die Interessen der industriellen Kapitalisten unterschieden sich wesentlich von denen der opiumschmuggelnden Kaufleute Londons und Liverpools. Die Opposition, die in Manchester Bright und Gibson entgegengestellt wurde, beruhte nicht auf den materiellen Interessen der dortigen Gesellschaft, wobei der für Palmerston erhobene Ruf allen Traditionen dieser Gesellschaft zuwiderlief. Dieser Ruf entsprang aus zwei Quellen - aus der zu hohen Preisen verkauften Presse, die versuchte, sich für die Abschaffung der Zeitungsstempelsteuer und die Reduzierung der Anzeigensteuer[168] zu rächen, und von jenem Teil reicher und snobistischer Fabrikanten, die aus Eifersucht über die politische Bedeutsamkeit Brights versuchen, die bourgeois gentilhommes1 zu spielen, und die glauben, es wäre modern und bon ton2, sich eher unter dem aristokratischen Banner Palmerstons als unter dem gemäßigten Programm Brights zu sammeln/Dieser eigentümliche Charakter der Palmerston-Clique in Manchester befähigte Cobden, zum ersten Mal seit der Agitation der Anti-Korngesetz-Ligat1691 wieder die Position eines plebejischen Führers einzunehmen und wieder die arbeitenden Klassen unter seine Banner zu rufen. Meisterhaft nutzte er diesen Umstand. Die hohen Töne, die er bei seinem Angriff auf Palmerston anstimmte, mögen aus folgendem Auszug beurteilt werden:
„Nun ist hiermit ein großes Problem verknüpft, das, glaube ich, die Menschen unseres Landes sich sehr zu Herzen nehmen sollten. Wollt ihr, daß die Mitglieder des Unterhauses eure Interessen wahrnehmen und über die Ausgaben wachen" („ja, ja") „und euch davor behüten, daß ihr in nutzlose und teure Kriege geratet?" („Ja.") „Nun, ihr geht aber nicht auf die rechte Weise ans Werk, wenn sich das, was ich aus euren Zeitungen erfahre, im Lauf der Wahlen verwirklicht, denn man sagt mir, daß jene Mitglieder, die sich in dieser wachsamen Sorge um eure Interessen vereinigten und die über die Frage dieses Krieges nach dem uns vorliegenden Beweismaterial abstimmten, sämtlich geächtet, ins Privatleben zurückgeschickt werden sollen, und daß ihr euch anschickt, andereLeute zu entsenden" („nein, nem"), „umwas zu tun? um eure Interessen zu verfolgen? Nein! Um die niedrige schmutzige Arbeit des gegenwärtigen Ministers zu verrichten." (Laute Beifallsrufe.) „Ihr gedenkt also tatsächlich, Lord Palmerston zum despotischen Herrscher dieses Landes zumachen." („Nein, nein.") „Nun gut, wenn das Parlament ihm aber nicht Einhalt gebietet, wenn in dem Augenblick, da das Parlament ihm wirklich Einhalt gebietet, er das Parlament auflöst, und wenn ihr, anstatt dahin Männer zu entsenden, die so unabhängig sind, daß sie ihre und eure Rechte behaupten, bloße Kreaturen seines Willens schickt, was ist das anderes , als ihn mit der
1 Bürger als Edelleute (nach dem Schauspiel von Moliere „Der Bürger als Edelmann") 8 guter Ton
Macht eines Despoten auszustatten? Ja, laßt mich euch nur sagen, daß es ein Despotismus der ungeschicktesten, teuersten Art ist, und zugleich der verantwortungsloseste auf dem Antlitz der Erde, weil ihr den Minister mit dem falschen Schein einer repräsentativen Regierungsform umgebt. Ihr könnt nicht an ihn heran, solange er ein Parlament hat, hinter dessen Schild er sich decken kann, und wenn ihr in euren Wahlen nicht eure Pflicht tut, indem ihr ins Unterhaus Männer entsendet, die den jetzigen Minister wachsam beobachten werden, dann, sage ich, werdet ihr in einer noch schlimmeren Lage sein, weil man über euch in einer noch verantwortungsloseren Weise als unter-dem König von Preußen oder dem Kaiser der Franzosen regieren wird." (Laute Hochrufe.)"70! Man wird jetzt verstehen, warum Palmerston die Wahlen eilends vorantreibt. Er kann nur durch Überraschung siegen, und die Zeit macht die Überraschung zunichte.
Aus dem Englischen.
Karl Marx [Englische Greueltaten in China]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4984 vom 10. April 1857, Leitartikel] Als vor einigen Jahren im Parlament das entsetzliche Foltersystem in Indien aufgedeckt wurde, stellte Sir James Hogg, einer der Direktoren der Höchst Ehrenwerten Ostindischen Kompanie, die kühne Behauptung auf, daß die vorgebrachten Anschuldigungen unbegründet seien. Spätere Untersuchungen bewiesen jedoch, daß sie auf Tatsachen beruhen, die den Direktoren hätten wohlbekannt sein müssen, und Sir James blieb nichts anderes übrig, als entweder „vorsätzliche Unkenntnis" oder „strafbare Kenntnis" hinsichtlich der furchtbaren Anklage gegen die Kompanie zuzugeben. Lord Palmerston, der jetzige englische Premierminister, und Earl of Clarendon, der Minister für Auswärtige Angelegenheiten, scheinen sich gerade jetzt in einer ähnlichen, wenig beneidenswerten Lage zu befinden. Auf dem kürzlich stattgefundenen Bankett des Oberbürgermeisters von London machte der Premierminister in seiner Rede den Versuch, die an den Chinesen begangenen Greueltaten zu rechtfertigen: „Hätte die Regierung in diesem Falle ein Vorgehen gebilligt, das nicht zu rechtfertigen war, würde sie unzweifelhaft einen Weg beschritten haben, der die Mißbilligung des Parlaments und des Landes verdient hätte. Wir aber waren, umgekehrt, davon überzeugt, daß dieses Vorgehen notwendig und unvermeidlich war. Uns dünkte, daß unserem Lande ein großes Unrecht zugefügt worden war. Uns dünkte, daß unsere Landsleute auf einem weit entfernten Teil des Erdballs einer Folge von Beleidigungen, Gewalttätigkeiten und Greueltaten ausgesetzt gewesen waren, die nicht mit Stillschweigen übergangen werden konnten." (Beifallsrufe.) „Uns dünkte, daß die vertraglichen Rechte unseres Landes verletzt worden waren und daß die mit der Verteidigung unserer Interessen in jenem Teil der Welt beauftragten Männer nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet waren, diese Gewalttätigkeiten zu ahnden, soweit die Macht, die sie in Händen hielten, sie dazu in den Stand setzte. Uns dünkte, wir würden das
Vertrauen, das die Bürger unseres Landes in uns gesetzt hatten, enttauscht haben, hätten wir das Vorgehen nicht gebilligt, das wir für richtig hielten und das unter den gleichen Umständen zu wiederholen wir für unsere Pflicht halten würden." (Beifallsrufe.)!«0] Mögen sich auch das englische Volk und die weite Welt von solchen gefälligen Erklärungen noch so sehr täuschen lassen, seine Lördschaft selbst hält sie sicherlich nicht für wahr, und tut er es dennoch, so offenbart er damit eine vorsätzliche Unkenntnis, die fast ebenso unentschuldbar ist wie ^strafbare Kenntnis". Seit der erste Bericht über englische Feindseligkeiten in China hier eintraf, haben die englischen Regierungsblätter und ein Teil der amerikanischen Presse die Chinesen fortgesetzt mit unzähligen Beschuldigungen überhäuft: summarische Anklagen wegen Verletzung von Vertragsverpflichtungen, Beleidigungen der englischen Flagge, Demütigung der in ihrem Lande lebenden Ausländer und dergleichen. Jedoch ist weder eine einzige klar umrissene Anklage vorgebracht, noch eine einzige Tatsache zur Bekräftigung dieser Beschuldigungen angeführt worden, mit Ausnahme des Falles der Lorcha „Arrow"1, und in diesem Falle hat man den Sachverhalt durch parlamentarische Redekunst so falsch dargestellt und beschönigt, daß jeder irregeführt werden muß, der sich ernsthaft bemüht, das Für und Wider dieser Frage zu begreifen. Die Lorcha „Arrow" war ein kleines chinesisches Schiff mit chinesischer Besatzung, das aber im Dienste einiger Engländer stand. Die Lorcha hatte eine befristete Lizenz erhalten, die englische Flagge zu führen, eine Lizenz, die noch vor der angeblichen „Beleidigung" erloschen war. Das Schiff soll zum Salzschmuggel verwendet worden sein. An Bord befanden sich einige recht üble Gestalten - chinesische Piraten und Schmuggler -, die als alte Verbrecher von den Behörden schon lange gesucht wurden. Wahrend das Schiff mit beschlagenen Segeln bei Kanton vor Anker lag, ohne irgendeine Flagge zu führen, erfuhr die Polizei von der Anwesenheit dieser Verbrecher an Bord und verhaftete sie; genau das gleiche hätte sich hier ereignet, wenn unserer Hafenpolizei bekannt geworden wäre, daß sich Flußdiebe und Schmuggler auf einem einheimischen oder ausländischen Fahrzeug in der Nähe verborgen hielten. Da aber diese Verhaftung die Geschäfte der Eigentümer störte, ging der Kapitän zum britischen Konsul und beschwerte sich. Der junge, erst kürzlich ernannte Konsul, der, wie wir erfahren, ein Mensch von aufbrausender und reizbarer Gemütsart ist» stürzt in propria persona2 an Bord, gerat in einen aufgeregten Wortwechsel mit den Polizisten, die ledig
1 Siehe vorl. Band, S. 102-107 und 137-142 - 2 in eigener Person
Ii*
lieh ihrer Pflicht nachgekommen sind, und erreicht folglich gar nichts. Von dort stürzt er zurück zum Konsulat, verlangt in einem Schreiben an den Generalgouverneur der Provinz Kwangtung kategorisch Wiedergutmachung und Entschuldigung und schickt eine Mitteilung an Sir John Bowring und Admiral Seymour in Hongkong, worin er darlegt, daß er und die Flagge seines Landes in unerträglicher Weise beleidigt worden seien, und in recht eindeutigen Worten zu verstehen gibt, daß nun der so lange erwartete Augenblick für eine militärische Demonstration gegen Kanton gekommen sei. Gouverneur Yeh antwortet höflich und ruhig auf die anmaßenden Forderungen des aufgeregten jungen britischen Konsuls. Er teilt den Grund für die Verhaftung mit und bedauert, wenn es in dieser Angelegenheit zu Mißverständnissen gekommen sein sollte. Gleichzeitig bestreitet er entschieden die leiseste Absicht, die britische Flagge zu beleidigen, und schickt die Leute zurück, die er, obwohl rechtmäßig verhaftet, nicht um den Preis eines so ernsten Mißverständnisses weiter in Haft behalten wolle. Aber das genügt Herrn Konsul Parkes nicht: Entweder erhalte er eine offizielle Entschuldigung und eine Wiedergutmachung in aller Form, oder Gouverneur Yeh müsse die Folgen tragen. Alsdann erscheint Admiral Seymour mit der britischen Flotte, und nun beginnt eine andere Korrespondenz: rechthaberisch und drohend von Seiten des Admirais, kühl, ruhig und höflich von Seiten des chinesischen Beamten. Admiral Seymour verlangt eine persönliche Unterredung in der Stadt Kanton. Gouverneur Yeh erklärt, dies stehe im Widerspruch zu allen bisherigen Gepflogenheiten, und Sir George Bonham hätte eingewilligt, daß eine solche Forderung nicht erhoben werden sollte. Notfalls würde er bereitwillig einer Unterredung zustimmen, die, wie üblich, außerhalb der Stadtmauern stattfinden oder den Wünschen des Admirais in jeder anderen Weise entsprechen sollte, sofern sie nicht chinesischen Gepflogenheiten und althergebrachter Etikette zuwiderliefen. Dies aber paßt dem kriegslüsternen Repräsentanten der britischen Macht im Osten nicht. Aus den hier kurz angeführten Gründen ist dieser in höchstem Grade ungerechte Krieg angezettelt worden; diese Feststellung wird durch die offiziellen Berichte, die jetzt dem englischen Volk vorliegen, vollauf bestätigt. Die harmlosen, friedlich ihrer Beschäftigung nachgehenden Bürger Kantons wurden niedergemetzelt, ihre Wohnstätten dem Erdboden gleichgemacht und die Gebote der Menschlichkeit mit Füßen getreten unter dem fadenscheinigen Vorwand, daß „Leben und Eigentum englischer Bürger durch das aggressive Vorgehen der Chinesen gefährdet sind"! Die britische Regierung und das britische Volk, zumindest der Teil, der sich veranlaßt gefühlt hat, sich mit der Frage zu beschäftigen, wissen, wie falsch und hohl
solche Beschuldigungen sind. Ein Versuch ist gemacht worden, die Untersuchung von der Hauptfrage abzulenken und im Volk die Vorstellung zu er- wecken, eine lange Folge von Beleidigungen vor dem Zwischenfall mit der Lorcha „Arrow" bilde allein schon einen ausreichenden casus belli1. Aber diese summarischen Behauptungen entbehren jeder Grundlage. Jedem Übergriff, über den sich die Engländer beschweren, halten die Chinesen mindestens neunundneunzig Übergriffe entgegen, über die sie Klage zu führen haben. Wie still ist doch die englische Presse zu den schändlichen Vertragsbrüchen, wie sie täglich von Ausländern begangen werden, die unter britischem Schutz in China leben. Wir hören nichts über den ungesetzlichen Opiumhandel, der Jahr für Jahr auf Kosten von Menschenleben und Moral die Kassen des britischen Schatzamtes füllt. Wir hören nichts über die ständigen Bestechungen untergeordneter Beamter, wodurch die chinesische Regierung um ihre rechtmäßigen Einkünfte aus der Wareneinfuhr und -ausfuhr betrogen wird. Wir hören nichts über die oft genug mit dem Tode endenden Quälereien, begangen an den irregeleiteten und versklavten Auswanderern, die in die schlimmste Sklaverei an den Küsten von Peru und in kubanische Knechtschaft verkauft werden. Wir hören nichts über die Einschüchterungsmethoden, die oft gegen die schüchternen Chinesen angewandt, oder über die Laster, die von Ausländern über die offenen Häfen eingeschleppt werden. Wir hören von alledem und vielen anderen Dingen nichts, weil erstens die meisten Menschen außerhalb Chinas sich wenig um die sozialen und moralischen Verhältnisse jenes Landes kümmern und weil zweitens Politik und Klugheit gebieten, keine Fragen auf zuwerfen, wenn keine finanziellen Vorteile dabei herausspringen. So schluckt das englische Volk, dessen Horizont nicht weiter reicht als bis zum Krämerladen, wo es seinen Tee kauft, bereitwillig alle Verdrehungen, die das Kabinett und die Presse ihm vorzusetzen belieben. Inzwischen ist in China der schwelende Haß, der sich während des Opiumkrieges gegen die Engländer entzündete, zu einer solchen Flamme der Feindseligkeit emporgelodert, daß höchstwahrscheinlich keinerlei Friedens- und Freundschaftserklärungen ihn löschen können.11711
Geschrieben um den 22. März 1857. Aus dem Englischen..
1 Grund zum Kriege
Karl Marx Ein Verräter im Tscherkessengebiet
[„The Free Press" Nr. 34 vom I.April 1857] Folgender Brief ist dem „Pester Lloyd"[172) entnommen.
„Tscherkessisches Hauptquartier, Tuapse, den 26. Febr. Durch das britische Dampfboot „Kangaroo" werden Sie diesen Brief erhalten, der wahrscheinlich die erste Nachricht von einem Ereignis nach Europa bringen wird, das sehr großen Einfluß auf das zukünftige Schicksal der Tscherkessenvölker haben dürfte. Es ist ihnen bekannt, daß Mechmed Bey (Bangya), dem ich zugeteilt bin, den Wünschen der Häupter und Abgesandten der TscherkesSenstamme entsprochen und den Posten eines Oberkommandierenden übernommen hat. Montag, den 23. Februar landeten wir in Tuapse, wo sich unser Hauptquartier befindet. Vor unserer Abfahrt nahm Mechmed Bey einige hundert hervorragende Miiitärausbiider für die verschiedenen Waffengattungen in Dienst, die uns hierher begleiteten. Mechmed Bey ist bereits feierlich zum Oberbefehlshaber der tscherkessischen Streitkräfte ernannt worden. Die Fürsten, Adligen und Deputierten des Volkes haben auf den Koran geschworen, ihm zu gehorchen, und eine Deputation des tscherkessischen Landtages hat heute die Fahne des Propheten überführt, die das Symbol der höchsten Macht darstellt. Die Begeisterung war sehr groß, als der neue Kommandierende der geheiligten Standarte Treue schwor. (Die Fahne selbst ist grün. Auf ihr befindet sich ein weißes Schwert mit dem Halbmond und dem Stern.) Die Erregung ist groß, und die Tscherkessen sind entschlossen, ihre völlige Unabhängigkeit zu erlangen oder im Kampfe darum unterzugehen. Es wird erwartet, daß bis zum Monat Mai 150 000 Mann (?) im Felde stehen werden. Mechmed Bey hat mir gerade gesagt: .Rußland wird bald eine Möglichkeit haben, sich selbst davon zu überzeugen, daß ein neuer Geist vorherrscht. Ich kenne die Materialien, die mir zur Verfügung gestellt sind (Mechmed Bey stand während des letzten Krieges bei den Tscherkessen), und ich bin der Meinung, daß ein Volk, welches ohne militärische Organisation dreißig Jahre lang seinem Feinde Widerstand leisten konnte, wenn es richtig organisiert wird, imstande sein wird, seine völlige Unabhängigkeit zu erreichen/' Sie können im kommenden Frühling einige wichtige Nachrichten aus diesen Bergen erwarten. Sie werden von mir über die Geschehnisse so frühzeitig informiert werden, wie es unsere Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung zulassen!"
Bangya war ein ungarischer Anführer, zuerst Kossuth ergeben und hernach Szemere; er war in den Jahren 1851 und 1852 Emigrant in England, wurde von den Preußen und der französischen Regierung als Spion beschäftigt und muß natürlich im Einvernehmen mit deren gemeinsamem Herrn stehen: Jetzt geht er unter Englands Schirm ins Tscherkessengebiet, wo ein neuer Geist vorherrschen soll. Der alte Geist war gegen Rußland, der neue müßte für Rußland sein - Tscherkessien soll eine Unabhängigkeit erlangen, die es niemals verloren hat, und um das Ganze zu krönen, wird ein Parlament erfunden, das noch zu schaffen ist.
Geschrieben um den 25. März 1857. Aus dem Englischen.
Karl Marx Die Niederlage von Cobden, Bright und Gibson
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4990 vom 17. April 1857] London, den 31. März 1857 „Die Masse der Kandidaten bekundete ihre Absicht, Lord Palmerston allgemeine Unterstützung zu gewähren; damit begründeten sie ihren Anspruch, als Vertreter der öffentlichen Meinung wieder ins Parlament einzuziehen... Palmerston wird das Haus nicht als Führer der Konservativen, der Whigs, der Peeliten oder einer radikalen Partei betreten, sondern als der Führer des englischen Volkes, als der große Schöpfer und Leiter einer nationalen Partei." Das sind Worte aus der „Morning Post"[173], dem Leiborgan des Lords Palmerston. Palmerston als Diktator, das neue Parlament als sein Corps legislatif1391 - das ist ihre Bedeutung, welche die Wahlbulletins zu bestätigen scheinen. Was die „öffentliche Meinung" anbetrifft, von der die „Post" spricht, so ist mit Recht gesagt worden, daß Palmerston die Hälfte davon selbst fabriziert und daß er sich über die andere Hälfte lustig macht. Die völlige Niederlage der Manchesterschule[164] - Bright und Milner Gibson in Manchester, Cobden in Huddersfield, Sir E. Armitage in Salford, Fox in Oldham und Miall in Rochdale erhielten keine Sitze - ist das große Ereignis der Wahlschlacht. Besonders der Wahlausgang in Manchester11741 setzte jedermann in Erstaunen, sogar die Palmerston-Regierung. Mit wie wenig Nachdruck sie die Aussichten auf einen Sieg in dieser Gegend genutzt hatte, kann man daraus ersehen, daß sie den Wahlkampf sehr unbeständig und zögernd führte. Zuerst drohte Palmerston nach Kenntnisnahme von einigen Wahlreden in Manchester, selbst nach Cottonopolis1 zu gehen, um seine Gegner „auf ihrem eigenen Misthaufen" herauszufordern. Nach reiflicher Überlegung wich er jedoch zurück. Dann erschien Bob Lowe, ein Handlanger
1 Baumwollstadt (Manchester)
der Regierung. Nachdem er von einer Sippschaft der großen Fabrikbesitzer aufgefordert worden war, für Manchester zu kandidieren, und nachdem er Zusicherungen erhalten hatte, daß er im Falle einer Niederlage eine Summe von 2000 Pfd. St. bekäme, die ihm den Ankauf eines der faulen Wahlflecken in der Grafschaft ermöglichen würde, nahm er das Angebot öffentlich an und gestattete einem Wahlkomitee, die Agitation in seinem Namen zu führen. Dann kam die große Rede des Herrn Cobden in Manchester.11751 Palmerston befahl daraufhin Lowe, zurückzutreten, was er auch tat. Nach weiterer Überlegung indessen schien der Versuch in Manchester so bar aller Erfolgsaussichten, daß die „Times" die Weisung bekam, die Rolle des Fuchses aus der Fabel zu spielen11761. Bob Lowe mußte einen Leitartikel schreiben, in dem er auf der Wiederwahl von Bright & Co. bestand und Manchester vor der Schande warnte, seine alten Vertreter zu verstoßen. Als der Telegraph entgegen all diesen Befürchtungen die Nachricht von Cobdens Niederlage in die Downing Street11551 brachte, daß Bright und Gibson niedergestimmt Worden sind, und dies noch mit überwältigender Mehrheit, da kann man sich das wonnige Entzücken und das tolle Triumphgeschrei im Regierungslager vorstellen. Was Palmerston selbst anbelangt, so dachte er vielleicht, er sei für seine eigenen Zwecke zu erfolgreich gewesen, denn er war sich dessen klar bewußt, wie es der alte Gauner immer ist, daß man, um sogar einen Riesen zu lähmen, diesen nur in das Unterhaus bekommen muß, während man zur Beschleunigung des Zusammenbruchs des Hauses selbst - seiner Basis, der privilegierten Wahlkreise, und seines Überbaus, der ministeriellen Usurpation - nur seine bedeutenden Mitglieder ausschließen und auf die Straße werfen muß, wobei man so der enterbten Masse außerhalb der Tore der „britischen Verfassung" namhafte Anführer gibt. Die Niederlage der Manchesterschule in ihren eigenen Festungen durch die Mehrheit ihrer eigenen Armee trägt alle Erscheinungen eines persönlichen Triumphs auf Seiten Palmerstons, nicht nur, weil Cobden und Gibson den Mißtrauensantrag einbrachten, der ihn aus dem Kabinett treiben sollte und den Vorwand für die Auflösung des Parlaments lieferte. Ein tödlicher Gegensatz der Prinzipien und Stellungen scheint sich in den Personen von Palmerston auf der einen und Bright, Cobden & Co. auf der anderen Seite zu verkörpern. Palmerston - der Trompeter des nationalen Ruhms, sie Organe der industriellen Interessen; er, der diplomatische Graf, vereinigt in seiner Person alle Usurpationen der britischen Oligarchie; sie, die ParvenuDemagogen, repräsentieren die ganze Vitalität der britischen Bourgeoisie; er zieht seine Kraft aus dem Verfall der Parteien, sie verdanken ihre Kraft dem Kampf der Klassen. Er ist die letzte skrupellose Verkörperung des alten
Torysmus gegen die Führer der nunmehr entschlafenen Anti-KorngesetzLiga11691. So erscheint also die Niederlage von Cobden, Bright & Co. als persönlicher Triumph Palmerstons, um so mehr, als ihre siegreichen Gegner auf der Wahlbühne an und für sich keinerlei Bedeutung besitzen. So ist zum Beispiel der Gegner von Bright, Sir john Potter, nur als der dickste Mann von Manchester bekannt. Er hätte den Namen eines Sir John Falstaff11771 von Manchester verdient, wenn sein geringer Verstand und seine große Börse ihn nicht vor einem Vergleich mit diesem unsterblichen Ritter bewahren würden. A. Turner, der Gegner Milner Gibsons, stützte seine persönlichen Ansprüche auf die Tatsache, daß er ein einfacher Mann sei, der niemals die Gefühle seiner Mitbürger durch unangenehmes Anmaßen von Geist und Glanz verletzen würde. Herr Ackroyd schließlich, der Gegner Cobdens, beschuldigte den letzteren, ein Mann des Britischen Reiches zu sein, während er (Ackroyd) niemals mehr war und sein würde als ein einfacher Mann aus Hüddersfield. Alle rühmten sich dessen, daß sie keine Männer von Talent, sondern von Charakter wären, was sie gewiß davor bewahren würde, in den Fehler ihrer Vorgänger zu verfallen „gegen alle Regierungen zu opponieren" und, wie Milner Gibson, alle lukrativen Ämter theoretischen Grillen zu opfern. Entgegen allem Anschein bot der Appell Palmerstons gegen Cobden & Co. zwar nicht die Ursache, aber doch den Vorwand zur Explosion des brennbaren Materials, das sich seit langer Zeit rings um die Manchesterschule gesammelt hatte. Da Manchester den Kern der Partei bildet und Bright als ihr wahrer Held anerkannt wird, so wird es genügen, seine Niederlage zu betrachten, um den gleichzeitigen Mißerfolgseiner Waffenkameraden in anderen Industrieorten zu erklären. Da gab es vorerst die alten Whigs und Tories von Manchester, die darauf brannten, sich für ihre politische Nichtigkeit seit den Tagen der Anti-Korngesetz-Liga zu rächen. Die Wahlen von 1852, bei denen Bright mit nur 100 Stimmen Mehrheit siegte, hatten bereits gezeigt, daß ihre zahlenmäßige Stärke keineswegs zu verachten war. Da sie selbstverständlich nicht imstande waren, unter ihrem eigenen Banner zu siegen, bildeten sie eine mächtige Verstärkung für jedes von der Bright-Armee abfallendes Korps. Dann kamen in zweiter Linie die Anführer der teuren Presse mit ihrem eingefleischten Groll und ihrem finsteren Haß gegen die parlamentarischen Paten der Pennypresse11781. Herr Garnett, der Herausgeber des „Manchester Guardian"[1791 brachte Himmel und Erde gegen Bright auf und war unermüdlich dabei, die schäbigen Motive der Anti-Bright-Koalition in ein mehr oder weniger anständiges Gewand zu kleiden - ein Versuch, der durch die Unpopularität, die Bright und Cobden zur Zeit des russischen Krieges erworben hatten[180], erleichtert wurde. Zu jener Zeit konnten sie es tatsachlich nicht
wagen, auf einer öffentlichen Versammlung in Manchester aufzutreten, sondern mußten sich bei geschlossenen Teegesellschaften in den Newall-Säleti verbergen, dem alten Treffpunkt der Anti-Korngesetz-Liga. Von der liberalen Bourgeoisie, den Fabrikherren und den großen Handelsfirmen, stimmte eine überwältigende Mehrheit gegen Bright; vom Kleinbürgertum und der Krämerschaft, dieser zahlreichen Minorität, die überall im Vereinigten Königreich an den Hacken der „natürlichen Vorgesetzten" klebt, standen nur die Quäker und die Iren wie ein Mann für Bright; Woher wohl dieser Abfall der liberalen Bourgeoisie? Er erklärt sich größtenteils aus der Ungeduld der reichen „Männer von Manchester", solche „Gentlemen" zu werden, wie ihre Rivalen in Liverpool. Wenn sie die Überlegenheit eines so talentierten Mannes wie Bright ertragen hatten, solange er das unentbehrliche Werkzeug ihrer Klasseninteressen war, so hielten sie nun die Gelegenheit für gekommen, dem neidischen Scherbengericht wohlhabender Mittelmäßigkeit zu fröhnen. Sie rebellierten jedoch nicht nur gegen seine persönliche Überlegenheit, sondern mehr noch gegen die verjährten Ansprüche des Rumpfes der AntiKorngesetz-Liga, der auf Manchester nahezu ebenso lastete wie einst das Rumpfparlament[181J auf dem britischen Commonwealth gelastet hatte. Dieser Rumpf der Liga versammelte sich in bestimmten Zeitabständen unter dem Vorsitz des Herrn Wilson, dieses „ehrwürdigen Inventarstücks", eines ehemaligen Stärkehändlers von Beruf; ihn unterstützten in diesen Versammlungen Herr Robinson, der ehrenamtliche Sekretär der Liga und andere Männer ohne gesellschaftlichen Rang oder persönliche Bedeutung, die von den Wogen einer sturmgepeitschten Periode an die Oberfläche geworfen worden waren, und die sich hartnäckig weigerten, abzutreten, die aber wahrlich keinerlei Grund für ihr verlängertes Dasein auf der politischen Bühne aufweisen konnten außer der abgenutzten Tradition der Vergangenheit und der konventionellen Lüge der Gegenwart, daß sie Manchester vertreten, wann immer Bright es auch wünschen mag. Einer der Führer der Rebellion, Herr Entwistle, erklärte rundheraus von der Wahltribüne:
„Es geht nicht um die Frage des chinesischen, russischen oder irgendeines anderen Krieges. Es geht darum, ob Manchester sich noch länger dem Diktat der Überreste der Partei fügen soll, die sich in den Newall-Sälen trifft." Indem sie den Rumpf der Anti-Korngesetz-Liga, der wie ein Alp auf ihnen lastete, begruben, merkten die Fabrikherren von Manchester, die sich in der falschen Hoffnung wiegten, die Tore ihres Jakobinerklubs zu schließen, natürlich nicht, daß sie damit das Haupthindernis für eine neue revolutionäre Bewegung hinwegfegten.
Der wirkliche Sinn der Wahlen in Manchester wurde jedoch von einem betrunkenen Gegner Brights verraten, der während der Abstimmung furchtbar brüllte: „Wir wollen keine Innenpolitik; wir wollen Außenpolitik!" Mit anderen Worten: Weg mit den Fragen der Reform und des Klassenkampfes! Schließlich bildet die Bourgeoisie die Mehrheit der Wähler, und das ist alles, was wir brauchen. Das Schlagwort gegen die Aristokratie ist langweilig, nutzlos geworden und rührt nur die Arbeiter auf. Wir haben die Freiheit des Handels erlangt und fühlen uns außerordentlich wohl, besonders seitdem die Kriegs-Einkommensteuer gesenkt wurde. Trotz alledem lieben wir einen Lord innigst. „Wir wollen keine Innenpolitik; wir wollen Außenpolitik." Einigen wir uns alle auf der Grundlage, auf der wir alle gleich sind, auf der nationalen Grundlage. Laßt uns alle Engländer sein, wahre John Bulls unter der Führung des wahrhaft britischen Ministers, Lord Palmerston.11821 Das wahre Geheimnis der Wahlen in Manchester ist also der Verzicht auf die revolutionäre Führerschaft seitens der Fabrikherren, die sie während der Agitation der Anti-Korngesetz-Liga usurpiert hatten.
Aus dem Englischen.
Friedrich Engels [Der neue englische Feldzug in China]
{„New-York Daily Tribüne" .Nr. 4990 vom 17. April 1857, Leitartikel] Sollte der Konflikt, den die Engländer mit den Chinesen angefangen haben, auf die Spitze getrieben werden, so kann man erwarten, daß er in einer neuen Expedition zu Lande und zur See enden wird, ähnlich jener von 1841/1842, der der Opiumkonflikt zugrunde gelegen hat[183]. Der bequeme Erfolg der Engländer bei jener Gelegenheit, als sie eine ungeheure Summe Silber von den Chinesen erpreßten, ist geeignet, ein neues Experiment der gleichen Art einem Volke zu empfehlen, das, trotz all seines Horrors vor unserem Hang zur Freibeuterei, immer noch und in nicht geringem Maße, ebenso wie wir, an dem alten plündernden Seeräubergeist festhält, der unsere gemeinsamen Vorfahren des 16. und 17. Jahrhunderts so Auszeichnete. Doch bemerkenswerte Änderungen in der Lage der Dinge in China, die seit jenem erfolgreichen Raubzug im Namen des Opiumhandels geschehen sind, lassen es sehr zweifelhaft erscheinen, ob eine ähnliche Expedition in der heutigen Zeit von einem auch nur annähernd gleichen Resultat begleitet sein wird. Die neue Expedition würde ohne Zweifel wie diejenige der Jahre 1841/1842 von der Insel Hongkong ausgehen. Jene Expedition bestand aus einer Flotte von zwei Vierundsiebzigern11841, acht Fregatten, einer großen Anzahl von Schar luppen und Kriegsbriggs, zwölf Dampfschiffen und vierzig Transportschiffen, mit einer Streitmacht an Bord, welche sich inklusive der Seesoldaten auf fünfz ehntausend Mann belief. Die neue Expedition würde schwerlich mit einer kleineren Streitmacht gewagt werden; tatsächlich scheinen einige der Erwägungen, die wir jetzt darlegen wollen, auf eine Politik hinzuweisen, die Expedition viel größer zu machen. Die Expedition der Jahre 1841/1842, die von Hongkong am 2 I.August 1841 abfuhr, nahm zuerst Amoy und dann am 1 .Oktober die Insel Tschouschan in
Besitz, die sie zur Basis ihrer zukünftigen Operationen machte. Das Ziel dieser Operationen war, in den großen Zentralfluß Yangtse-kiang einzudringen und ungefähr zweihundert Meilen von seiner Mündung ab bis zur Stadt Nanking hinaufzufahren. Der Fluß Yangtse-kiang teilt China in zwei völlig unterschiedliche Teile - den Norden und den Süden. Ungefähr vierzig Meilen unterhalb Nanking gelangt der Kaiser-Kanal, der für den Handel den Verbindungsweg zwischen den nördlichen und den südlichen Provinzen bildet, in den großen Fluß und kreuzt ihn. Die Theorie des Feldzuges war, daß die Besitznahme dieses wichtigen Verbindungsweges für Peking verhängnisvoll sein und den Kaiser zwingen würde, sogleich Frieden zu schließen. Am 13. Juni 1842 erschienen die englischen Streitkräfte unter Sir Henry Pottinger vor Wusung an der Mündung des kleinen Flusses gleichen Namens. Dieser Fluß kommt von Süden und fließt in die Mündung des Yangtse-kiang kurz vor dessen Eintritt in das Gelbe Meer. Die Mündung des Wusung bildet den Hafen von Schanghai, das etwas flußaufwärts liegt. Die Ufer des Wusung waren mit Batterien bedeckt, die alle ohne Schwierigkeit gestürmt und genommen wurden. Eine Kolonne der Invasionskräfte marschierte dann auf Schanghai, das sich ohne den Versuch eines Widerstandes ergab. Doch, obwohl man bis jetzt wenig Widerstand von den friedlichen und zaghaften Be wohnern der Ufer des Yangtse-kiang erfahren hatte, die nach einem langen Frieden von nahezu zweihundert Jahren jetzt ihre erste Kriegserfahrung machten, stellte sich jedoch die Flußmündung selbst und der Zugang zu ihr von der See aus als sehr schwierig heraus. Die breite Mündung des Yangtsekiang fließt zwischen Ufern in das Meer, die halb mit Schlamm bedeckt und kaum sichtbar sind, so daß das Meer viele Seemeilen weit von schmutzigem Gelb ist, woher auch sein Name stammt. Schiffe, die beabsichtigen, in den Yangtse-kiang zu fahren, müssen sich vorsichtig dem südlichen Ufer entlang bewegen, wobei sie das Senkblei dauernd in Bewegung halten müssen, um die veränderlichen Sandbänke zu meiden, durch welche die Einfahrt behindert ist. Diese Sandbänke ziehen sich die Flußmündung hinauf bis zum oberen Ende der großen Insel Tschungming, welche in ihrer Mitte liegt und sie in zwei Arme teilt. Oberhalb dieser Insel, die ungefähr dreißig Meilen lang ist, beginnen die Ufer sich über dem Wasser zu zeigen, doch wird das Strombett sehr gewunden. Die Flut macht sich bis nach Tschinkiang-fu bemerkbar, ungefähr auf halbem Weg bis Nanking, wo das, was in der Tat bisher eine Flußmündung oder ein Seearm gewesen ist, erstmals für hinauffahrende Schiffe den Charakter eines Flusses annimmt. Ehe die englische Flotte diesen Abschnitt erreicht hatte, traf sie auf einige ernsthafte Schwierigkeiten. Sie brauchte fünfzehn Tage, um ab ihrem Ankerplatz beiTschouschan
ERSTER UND ZWEITER OPIUMKRIEG GEGEN CHINA 1839-18^2 UND 1856-1858

die Entfernung von achtzig Meilen zu bewältigen. In der Nähe der Insel Tschungming liefen einige der größeren Schiffe auf Grund, kamen aber mit Hilfe der steigenden Flut wieder los. Nachdem sie diese Schwierigkeiten überwunden und sich der Stadt Tschinkiang genähert hatten,fanden die Engländer reichliche Beweise dafür,daß es den tatarisch-chinesischen Soldaten, wie unzureichend auch ihre militärischen Kenntnisse sein mochten, weder an Mut noch an Kampfgeist fehlte. Diese tatarischen Soldaten, nur fünfzehnhundert an der Zahl, fochten mit äußerster Verzweiflung und wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. Als ob sie den Ausgang geahnt hätten, erwürgten oder ertränkten sie, ehe sie in den Kampf gingen, alle ihre Frauen und Kinder, deren Leichen in großer Anzahl hinterher aus den Brunnen gezogen wurden, in die sie geworfen worden waren. Als der Oberkommandierende sah, daß der Kampf verloren war, setzte er sein Haus in Brand und kam in den Flammen um. Die Engländer verloren bei dem Angriff einhundertfünfundachtzig Mann, ein Verlust, den sie durch die fürchterlichsten Exzesse bei der Plünderung der Stadt rächten. Der Krieg war von den Engländern durchweg im Geiste brutalster Grausamkeiten geführt worden, der ein geeignetes Gegenstück zu dem Geist schmuggelnder Habgier war, welchem er entsprungen. Wären die Eindringlinge überall auf einen ähnlichen Widerstand gestoßen, niemals hätten sie Nanking erreicht. Aber das war nicht der Fall. Die Stadt Gwatschou, auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, unterwarf sich und zahlte ein Lösegeld von drei Millionen Dollar, das die englischen Freibeuter natürlich mit außerordentlicher Befriedigung einsteckten. Mehr stromaufwärts hatte das Flußbett eine Tiefe von dreißig Faden, und so weit es den Tiefgang betraf, wurde die Schiffahrt leicht; aber an einigen Stellen lief die Strömung mit großer Schnelligkeit, mit nicht weniger' als sechs oder sieben Meilen in der Stunde. Es gab jedoch nichts, was die Linienschiffe daran hindern konnte,, nach Nanking zu fahren, unter dessen Mauern die Engländer schließlich am 9. August Anker warfen. Die so erzeugte Wirkung entsprach genau den Erwartungen. Der in Furcht versetzte Kaiser unterschrieb den Vertrag vom 29. August[1851, dessen angebliche Verletzung jetzt zum Anlaß neuer Forderungen genommen wird, die einen neuen Krieg androhen. Dieser neue Krieg wird wahrscheinlich, wenn er ausbrechen sollte, nach dem Beispiel des vorigen geführt werden. Aber es gibt verschiedene Gründe, daß die Engländer kein ähnlich leichter Erfolg erwarten dürfte. Die Erfahrung jenes Krieges ist an den Chinesen nicht spurlos vorübergegangen. Bei den kürzlichen militärischen Operationen auf dem Kanton-Fluß zeigten sie eine derart größere Fertigkeit in der Kanonade und der Kunst der Ver
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
teidigung, daß der Verdacht entstand, sie hätten Europäer in ihren Reihen. In allen praktischen Dingen - und der Krieg ist höchst praktischer Natur übertreffen die Chinesen alle Orientalen bei weitem, und zweifellos werden die Engländer in ihnen gelehrige Schüler in militärischen Dingen finden. Wiederum ist es wahrscheinlich, daß die Engländer beim Hinauffahren des Yangtse-lriang, wenn sie es erneut versuchen sollten, künstlichen Hindernissen solcher Art begegnen werden, wie sie ihnen bei früheren Gelegenheiten wahrscheinlich nicht begegnet sind. Doch - und das ist die wichtigste aller Erwägungen - jede Annahme ist verfehlt, die damit rechnet, daß die erneute Besetzung von Nanking den kaiserlichen Hof zu Peking auch nur entfernt in den gleichen Schrecken und Alarm versetzen würde, den sie beim »ersten Mal hervorrief. Nanking ist, ebenso wie große Teile der umliegenden Bezirke, seit geraumer Zeit in den Besitz der Aufständischen gelangt; einer oder mehrere ihrer Führer machen diese Stadt zu ihrem Hauptquartier.t1861 Unter diesen Umständen dürfte ihre Besetzung durch die Engländer dem Kaiser eher angenehm sein als unangenehm. Die Engländer würden ihmeinen guten Dienst erweisen, wenn sie die Rebellen aus einer Stadt hinaustrieben, die nach ihrer Eroberung besetzt zu halten sich als ziemlich schwierig, lästig und gefährlich herausstellen könnte, und die, wie die jüngste Erfahrung gezeigt hat, eine feindliche Macht besetzt halten kann, ohne daß dies unmittelbar verhängnisvolle Folgen für Peking oder die kaiserliche Macht hat.
Geschrieben Anfang April 1857. Aus dem Englischen.
Karl Marx Das Ergebnis der Wahlen
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4994 vom 22. April 1857] London, 7, April 1857 Die Wahlen sind zu Ende. Ihr deutlichstes Ergebnis ist der Sieg Palmerstons, eine bedeutende Veränderung in der personellen Zusammensetzung des Hauses, die etwa ein Viertel seiner früheren Mitglieder betrifft, und ein beispielloser Verlust an geistigem Niveau. Jedoch die Berechnungen der englischen Zeitungen hinsichtlich der zahlenmäßigen Stärke der Regierungsmehrheit,ihre Zänkereien und Streitereien über diese Berechnungen und noch mehr ihre Versuche, die neugewählten Mitglieder nach überholten Begriffen zu klassifizieren, sind allesamt barer Unsinn. Während zum Beispiel die „Morning Post" über eine Regierungsmehrheit von 80 Stimmen frohlockt, veranschlagt das Disraeli-Blatt „Press"[187] den Verlust an eigenen Leuten auf vier in den Städten und auf ungefähr 20 in den Grafschaften. Laut Meinung der Londoner „Times" habe der Ausschluß der Peeliten und der Manchesterleute11641 sowie der berufsmäßigen Schutzzollpolitiker das Parlament wieder auf seinen status quo ante1 gebracht und es seinen legitimen Eigentümern, den vorsündflutlichen Parteien der Whigs und Tories, zurückgegeben. Die „Times" möchte der Welt gern einreden, daß „das britische Volk wieder auf den Stand zurückgekehrt sei, auf dem es vor etwa dreißig Jahren war". Das Disraeli-Blatt „Press" ist nahe daran, sich der Meinung der „Times" anzuschließen. Dieser optimistische Glaube, mit dem die Oligarchie versuchen mag, sich zu trösten, ist indessen nicht unsinniger als der Glaube der Pseudo-Radikalen wie zum Beispiel vom „Examiner"[188]. „Ein Reformparlament", schreibt das Blatt, „ist die Antwort auf Lord Palmerstons Appell." Er hat einen Haufen Lakaien haben wollen, und das erfeuchtete Land, das soll
1 früheren Zustand
heißen, eine kleine Minderheit privilegierter Wähler, erwidert seine Höflichkeit, indem es ihm eine Schar Volkstribunen schickt. Während sie brüllen „Es lebe Palmerston!", spielen sie lediglich dem schlauen Viscount einen Streich! Falls das neue Parlament eine große Bewegung einleitet, wird das sicherlich nicht seine Schuld sein, und Großbritannien wird wie Sindbad der Seefahrer merken, daß es schwieriger ist, den alten Mann abzuwerfen, als sich ihn auf die Schultern zu laden.[189] Vergleicht man das neue Haus mit seinen Vorgängern, dann scheint es angebracht, mit den alten parlamentarischen Gruppen zu beginnen, die im Verlauf des Wahlkampfs völlig verschwunden sind: der Fraktion der Peeliten und der Manchester schule. Im Gegensatz zu den Whigs, den Tories und der Manchesterschule vertrat die Fraktion der Peeliten nicht eine Klasse oder Teile einer Klasse. Sie waren eine reine Parlamentsclique, die wohl außerhalb der Mauern beider Häuser Freunde aufzählen konnte, aber niemals imstande war, eine Armee aufzubringen. Überbleibsel einer ehemaligen Regierung; von den Tories entfremdet durch den Verrat ihres verstorbenen Chefs an den Korngesetzen; voller Widerwillen, sich in den Reihen der Whigs aufzulösen, wegen der Erinnerung an alte Fehden und wegen der von ihnen selbst gehegten und in einem gewissen Grad von der Öffentlichkeit geteilten Überzeugung, daß sich das Verwaltungstalent des Landes in ihnen konzentriere; durch ihre aristokratischen Verbindungen gehindert, sich mit der Manchesterschule zu einem Ganzen zu vereinigen; in der Gewißheit, die Parlamentsdebatten vermöge der rhetorischen Befähigung einiger ihrer Mitglieder beeinflussen zu können, war dieser anmaßende Kern von Leuten, die sich selbst als Staatsmänner betitelten, so schwankend und unsicher, daß er unmöglich zu klassifizieren war, und repräsentierte in der Form einer besonderen Parlamentspartei die durch Peels Freihandelsgesetzgebung bewirkte Zersetzung aller parlamentarischen Parteien. Dieses Prinzip der Auflösung, dem sie ihren Ursprung verdankten, vollendeten sie, indem sie zum Sturz der Derby-Regierung beitrugen und indem sie der Kombination von Parteien, die als das Koalitionskabinett oder das Kabinett aller Talente[129] bekannt ist, ihren nominellen Führer1 gaben. Als dem sichtbaren Niederschlag des parlamentarischen Auflösungsprozesses fiel ihrer Truppe die Ehre zu, die Fahne zu hissen, unter welcher der gemeinschaftliche Selbstmord der alten Parteien vollzogen werden sollte. Während sie sich somit für einen Augenblick eine überragende Position sicherten, zerstörten sie zugleich den einzigen Grund für ihre Existenz
1 Aberdeen
als gesonderte Körperschaft. Die zusammengefaßte Kraft der vereinigten Parteien endete notwendigerweise in ihrer allgemeinen Impotenz und ihrem gemeinsamen Kniefall vor einem einzelnen. Die Peeliten hielten die Leiter, die Palmerston hinaufstieg. Nachdem sie schon 1852 die Hälfte ihrer Truppen auf dem Schlachtfeld der Wahlen verloren hatten, haben die Wahlen von 1857 ihren gesamten Mannschaftsbestand hinweggefegt. Beide Phillimore, Lord Hervey, Sir G.Clark, Sir Stafford Northcote, Lord W.Powlett, A. Gordon, Sutton, Harcourt, Lushington, Smythe, der von der Ostindischen Kompanie her bekannte Sir J.W.Hogg, Roundell Palmer und schließlich Herr Cardwell sind allesamt von der Bildfläche verschwunden. Dem letztgenannten Herrn war bei Palmerstons Amtsantritt als Premierminister das Amt des Schatzkanzlers angetragen worden, was er jedoch auf den Rat von Gladstone, Graham & Co. hin abgelehnt hatte. Doch in der Hoffnung, Gladstone den Wind aus den Segeln zu nehmen, fiel er in der Sterbesitzung des jetzt begrabenen Unterhauses von seinen Freunden ab und wählte bei der Abstimmung über das Budget gemeinsam mit Palmerston. Schließlich wechselte er während der Kantondebatte aus Besorgnis, das Blatt könne sich wenden, wiederum die Fronten, kehrte zum Kreis der Peeliten zurück und unterzeichnete Herrn Cobdens Mißtrauensvotum. Dieser Ehrenmann ist somit ein echtes Muster jener merkwürdigen Vereinigung von moralischer Empfindsamkeit mit skrupelloser Postenjägerei, die für die Clique der Peeliten bezeichnend ist. Da jetzt die ganze Mannschaft der Peeliten überrannt ist, bleiben nur ihre drei Generale übrig, Herr Gladstone, Sir James Graham und Herr Herbert, drei Einheiten, die unfähig sind, eine Dreieinigkeit zu bilden, so sehr sind sie einander durch Herkunft und Neigung entgegengesetzt; Sir James Graham begann sein öffentliches Leben als Radikaler, Herr Gladstone als extremer Tory und Herr Herbert als einer, der undefinierbar ist. Eine Enthüllung, die Herr Herbert seinen Wählern aus Süd-Wilts auf der Rednertribüne gemacht hat, ist bezeichnend für die Art, in der Palmerston die Peeliten erledigte. Nichts hatte die Peeliten so unpopulär gemacht wie die Kriegführung gegen Rußland und vor allem die Schonung Odessas[190], die man damit erklärte, Herr Herbert sei ein Neffe des Fürsten Woronzow. Bei der Verbreitung der giftigen Verleumdung standen an erster Stelle Palmerstons Helfershelfer wie die „Morning Post", die „Sun" und der „Morning Advertiser"[191]. Herr Herbert erzählte nun seinen Wählern, daß er in Wirklichkeit einen Befehl zum Angriff auf Odessa unterzeichnet hätte, und daß nach seinem Rücktritt Lord Palmerston den Befehl erlassen habenden Ort zu schonen. Das liegt auf derselben Ebene wie Lord John Russells Enthüllung
auf der Wahlversammlung in der Londoner City. Bekanntlich fiel er infolge seiner Gesandtschaftstätigkeit in Wien durch.11661 Der bierselige „Morning Advertiser", das Blatt der Schankwirte und Palmerstons Organ für den Pöbel - er besitzt Organe aller Art und für jeden Geschmack, vom eleganten Salon bis zur Schankstube verlor während des Wahlgetümmels fast seine ehrwürdige Stimme in dem Geschrei über Russells großen Wiener Verrat. Aufgestachelt durch diese unverschämte Taktik, fand Russell endlich den Mut, der Welt zu berichten, daß Lord Clarendon ihm die Erlaubnis verweigert hätte, die Instruktionen zu veröffentlichen, die von Palmerston selbst verfaßt und in seiner eigenen Handschrift geschrieben waren und eben jene Wiener Politik diktierten, wegen der er (Russell) einst seine Popularität verloren hatte. Ein griechischer Philosoph sagte einmal, seine Landsleute, die Dichter, hätten über die hellenischen Götter schlimmere Geschichten erfunden, als sie irgend jemand von seinem tödlichsten Feind zu erzählen wage. Das moderne Frankreich und das moderne England erheben zu ihren Göttern Bonapartes und Palmerstons, für die es keiner Dichter bedarf, sie schwarz zu malen. Aus dem Gesagten geht hervor, daß die wenigen Generale der Peeliten, die ihre Armee überlebt haben, im Parlament nicht mehr in ihrer korporativen, sondern nur in ihrer individuellen Qualifikation wiedererscheinen werden. Als Einzelperson kann Herr Gladstone, nunmehr von der Obstruktion einer Koterie befreit, von Leidenschaft entbrannt, und als zweifellos größter Redner im neuen Haus, eine glänzendere Rolle spielen als je zuvor. Wie es manchmal bei heftigen Zusammenstößen vorkommt, hat jeder der beiden, Gladstone und Disraeli, während ihres langwährenden parlamentarischen Zweikampfes gelegentlich seine eigene Waffe fallengelassen, um die seines Gegners zu ergreifen. Zu einem gewissen Grade hat sich Gladstone Disraelis polemischer Schärfe bedient, während Disraeli Gladstones salbungsvolles Pathos benutzte, wobei Disraeli bei diesem Wechsel schwerlich der Gewinner war. Wenn wir von den Peeliten Abschied nehmen, möchten wir noch auf die Satire der Geschichte hinweisen: Indem sie die Geburt jener Fraktion in die Zeit legt, in der die alten parlamentarischen Parteien durch die Anti-Korngesetz-Liga zersetzt werden, legt sie ihren Tod in die gleiche Zeit, in der die; Manchesterschule im Parlament erlischt.
Aus dem Englischen»
Karl Marx Die Lage der Fabrikarbeiter
[„New-Yorlc Daily Tribüne" Nr. 4994 vom 22. April 1857J London, 7. April 1857 Die Berichte der Fabrikinspektoren, die kürzlich für das am 31 .Oktober 1856 endende Halbjahr herausgegeben worden sindtl92], stellen einen wertvollen Beitrag zur sozialen Anatomie des Vereinigten Königreiches dar. Sie werden in einem nicht unbeträchtlichen Maße helfen, die reaktionäre Haltung zu erklären, die die Fabrikherren während der gegenwärtigen Parlaments wählen einnehmen. In der Sitzungsperiode von 1856 wurde ein Fabrikgesetz durch das Parlament geschmuggelt, wodurch die „radikalen" Fabrikherren erstens das Gesetz in bezug auf die Schutzeinrichtungen bei Getrieben und Maschinen änderten und zweitens das Prinzip des Schiedsigerichts für Streitigkeiten zwischen Fabrikherren und Arbeitern einführten. Das eine Gesetz hatte den Zweck, für besseren Schutz der Glieder und des Lebens der Fabrikarbeiter zu sorgen, das andere, diesen Schutz den gemeinen Billigkeitsgerichten168J zu übertragen. In Wirklichkeit aber beabsichtigte das letztere, den Fabrikarbeiter um sein Recht und das erstere, ihn um seine Glieder zu prellen. Ich zitiere aus dem zusammengefaßten Bericht der Inspektoren: , i „Nach dem neuen Statut werden Personen, deren gewöhnliche Beschäftigung sie nahe an Maschinengetriebe bringt und die folglich mit den Gefahren, denen sie durch ihre Beschäftigung ausgesetzt sind, und auch mit der Notwendigkeit der Vorsicht wohlvertraut sind, von dem Gesetz geschützt; dagegen wird denjenigen der Schutz entzogen, die zwecks Ausführung besonderer Aufträge gezwungen sein können, ihre gewöhnliche Beschäftigung aufzugeben und sich an Stellen zu begeben, deren Gefahren sie sich nicht bewußt sind und gegen die sie sich wegen ihrer Unwissenheit nicht schützen können; aber sie bedürfen, wie es scheint, gerade deshalb des besonderen Schutzes der Gesetzgebung."
Die Schiedsgerichtsklausel schreibt nun vor, daß man die Schiedsrichter aus einem Personenkreis auswählen soll, der „in der Konstruktion der Maschinenart", durch die körperlicher Schaden zugefügt worden ist, Erfahrung hat. Mit einem Wort, es werden Ingenieure und Maschinenbauer mit dem Monopol des Schiedsspruchs betraut.
„Uns scheint", sagen die Inspektoren, „man müßte Ingenieure und Maschinenbauer als ungeeignet für die Rolle von Fabrik-Schiedsrichtern ansehen, auf Grund ihrer Geschäftsbeziehung zu den Fabrikbesitzern, die ihre Kunden sind." Unter solchen Bedingungen braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß die Anzahl der Unfälle, die von Maschinen herrühren, wie Tod, Amputationen von Händen, Armen, Beinen oder Füßen, Glieder- und Knochenbrüche, Kopf- und Gesichtsverletzungen, Risse, Quetschungen etc., sich während der sechs Monate bis zum 3I.Oktober 1856 auf die erschütternde Zahl von 1919 beläuft. Zwanzig Todesfälle, durch Maschinen verursacht, werden in dem industriellen Bulletin für ein Halbjahr verzeichnet - ungefähr das Zehnfache von dem, was die britische Marine bei ihrem glorreichen Kantoner Massaker verlpr[193]. Da die Fabrikbesitzer, weit davon entfernt, den Schutz des Lebensfund der Glieder ihrer Arbeiter anzustreben, nur darauf bedacht sind, der'Zahlung für die in ihrem Dienst verlorenen Arme und Beine zu entgehen und die Kosten für den Verschleiß ihrer lebendige!. Maschinen von ihren Schultern abzuwälzen, braucht es uns nicht wunderzunehmen, daß, laut offiziellen Berichten, „Mehrarbeit unter Verletzung des Fabrikgesetzes im Steigen begriffen ist". Mehrarbeit bedeutet in der Terminologie dieses Gesetzes die Beschäftigung von jungen Menschen über die pro Tag gesetzlich gestattete Arbeitszeit hinaus. Dies wird auf verschiedene Weise gemacht: Indem die Arbeit vor sechs Uhr morgens beginnt, indem sie nicht um sechs Uhr abends aufhört und indem man die Zeiten kürzt, die das Gesetz für die Mahlzeiten der Arbeitsleute festgelegt hat. Es gibt drei Zeiten am Tage, an denen die Dampfmaschine angelassen wird; d. h. wenn die Arbeit morgens beginnt und wenn sie nach den zwei Mahlzeiten, dem Frühstück und dem Mittagessen, wieder aufgenommen wird; es gibt auch drei Zeiten, an denen sie stehenbleibt, nämlich zu Beginn jeder Mahlzeit und abends, wenn die Arbeit endet. Somit gibt es sechsmal die Möglichkeit, fünf Minuten zu stehlen, das ist eine halbe Stunde pro Tag. Fünf Minuten tägliche Mehrarbeit mit Wochen multipliziert, ergibt im Jahr zweieinhalb Produktionstage; doch die betrügerische Mehrarbeit übersteigt dieses Ergebnis bei weitem. Ich zitiere Herrn Leonard Horner, den Fabrikinspektor von Lancashire:
„Der Profit, der durch solch ungesetzliche Mehrarbeit erzielt werden kann, scheint für die Fabrikherren eine zu große Versuchung darzustellen, um ihr widerstehen zu können. Sie rechnen damit, daß man sie nicht ertappen wird; und wenn sie die geringe Strafe und die Kosten sehen, welche diejenigen, die überführt worden sind, zu zahlen hatten, so stellen sie fest, daß sie auch für den Fall, daß man sie entdeckt, noch einen beträchtlichen Gewinn haben werden." Außer den vom Fabrikgesetz festgesetzten geringen Strafen haben die Fabrikbesitzer auch gut dafür gesorgt, daß ihnen die größten Erleichterungen zur Umgehung der Vorschriften dieses Gesetzes gewährt werden; und wie die Inspektoren einmütig erklären, „hindern sie fast unüberwindliche Schwierigkeiten daran, der ungesetzlichen Arbeit wirksam Einhalt zu gebieten ". Übereinstimmend brandmarken sie die vorsätzlichen Betrügereien, die von Personen mit großem Vermögen begangen werden, die gemeinen Kniffe, zu denen diese Personen Zuflucht nehmen, um der Entdeckung zu entgehen, und die niedrigen Intrigen, die sie gegen die Inspektoren und Unterinspektoren, welche mit dem Schutz des Fabriksklaven beauftragt sind, aushecken. Wenn eine Klage wegen Mehrarbeit vorgebracht wird, müssen die Inspektoren, Unterinspektoren oder ihre Konstabier bereit sein zu schwören, daß die Menschen zu ungesetzlichen Zeiten beschäftigt worden sind. Nehmen wir einmal an, sie erscheinen nach 6 Uhr abends. Die Produktionsmaschinen werden sofort abgestellt, und obwohl die Leute zu keinem anderen Zweck dagewesen sein konnten, als diese zu bedienen, kann wegen des Wortlauts des Gesetzes die Klage nicht aufrechterhalten werden. Die Arbeiter werden dann in großer Eile aus der Fabrik geschickt, wobei oft mehr als eine Tür ihr schnelles Verschwinden erleichtert. In manchen Fällen wurde das Gas ausgelöscht, als die Unterinspektoren den Raum betraten, wodurch man sie plötzlich im Dunkeln zwischen komplizierten Maschinen stehen ließ. An jenen Orten, die wegen Mehrarbeit berüchtigt geworden sind, gibt es ein ausgeklügeltes Verfahren, den Fabriken über das Herannahen eines Inspektors Bescheid zu geben, indem man Angestellte an Eisenbahnstationen und in Gaststätten für diesen Zweck verwendet. Sind diese Vampire, die sich mit dem Lebensblut der jungen Generation von Arbeitern ihres eigenen Landes mästen, nicht die passenden Gefährten der britischen Opiumschmuggler und die natürlichen Anhänger der „wahrhaft britischen Minister"[182]? Die Berichte der Fabrikinspektoren beweisen zweifellos, daß die Schändlichkeit des britischen Fabriksystems gleichermaßen mit seinem Wachstum wächst; daß die Gesetze, die erlassen sind, um die grausame Habgier der Fabrikherren zu zügeln, Lug und Trug sind, da sie so abgefaßt sind, daß
sie selbst ihr angebliches Ziel vereiteln und die Männer entwaffnen, welche mit ihrer Ausführung betraut sind; daß der Gegensatz zwischen den Fabrikherren und den Arbeitern sich schnell dem Punkt eines wirklichen sozialen Krieges nähert; daß die Zahl der Kinder unter 13 Jahren, die von diesem System geschluckt werden, in einigen, und die der Frauen in allen Zweigen steigt; daß, obwohl die gleiche Anzahl Arbeiter im Verhältnis zur Pferdekraft beschäftigt wird wie zu früheren Zeiten, weniger Arbeiter im Verhältnis zu den Maschinen beschäftigt werden; daß die Dampfmaschine durch bessere Ausnutzung der Kraft imstande ist, eine größere Masse von Maschinen zu bewegen als vor zehii Jahren; daß eine gesteigerte Arbeitsmenge jetzt durch gesteigerte Maschinengeschwindigkeit und andere Tricks verrichtet wird und daß die Fabrikherren rasch ihre Taschen füllen. Die in den Berichten angeführten interessanten statistischen Fakten verdienen mit Recht weitere Beachtung. Es wird also sofort verständlich sein, daß die industriellen Sklavenhalter von Lancashire eine Außenpolitik brauchen, welche die Aufmerksamkeit von den innenpolitischen Problemen abzulenken imstande ist.
Aus dem Englischen.
187
Karl Marx Das englische Fabriksystem
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 4999 vom 28. April 18571 London, 10. April 1857 Die Berichte der Fabrikinspektoren des Vereinigten Königreichs für 1856 enthalten detaillierte Aufstellungen zur Fabrikstatistik, Wie Anzahl der Fabriken, der angewandten Pferdekraft, der Maschinen und der beschäftigten Personen. Ahnliche Aufstellungen wurden vom Unterhaus 1835, 1838 und 1850 angefordert; die Informationen hierfür wurden aus den von den Fabrikbesitzern ausgefüllten Fragebogen gesammelt. Auf diese Weise böt sich reichliches Material für Vergleiche mit den verschiedenen Perioden des Fabriksystems, welches nach dem Gesetz nur die Fabriken umfaßt, in denen zur Herstellung von Textilien Dampf- oder Wasserkraft angewandt wird. Das charakteristischste Merkmal der sozialen Geschichte des Vereinigten Königreichs während der vergangenen sechs Jahre findet man zweifellos in der schnellen Ausdehnung dieses Systems. Die Anzahl der Fabriken beträgt nach den Daten der letzten drei Berichte: 1838 1850 1856 Baumwollfabriken 1819 1932 2210 Wollfabriken 1322 1497 1505 Kammgarnfabriken 416 501 525 Flachsfabriken 392 393 417 Seidenfabriken 268 277 460 Insgesamt 4217 4600 5117
Der durchschnittliche Zuwachs von Fabriken, der von 1838 bis 1850 pro Jahr 32 betragen hatte, stieg von 1850 bis 1856 um fast das Dreifache und erreichte 86 jährlich. In der folgenden Übersicht wird eine Analyse des Gesamtwachstums in jeder Periode gegeben:
Gesamtzuwachs von 1838 bis 1850 Gesamtzuwachs von 1850 bis 1856 Prozent - Prozent Baumwollfabriken 6 Baumwollfabriken 14,2 Wollfabriken 13 Wollfabriken 0,5 Kammgarnfabriken 20 Kammgarnfabriken 4,7 Flachsfabriken 6,1 O'lfl'l // A oeiuemaoriRen oo,u Aus dieser Tabelle ersieht man, daß der Zuwachs in der ersten Periode auf die Baumwoll-, Woll- und Kammgarnindustrie beschränkt war, während er in der letzten Periode auch Flachs- und Seidenfabriken umfaßt. Die Proportionen, in denen die verschiedenen Zweige am Gesamtzuwachs teilhaben, differieren in den beiden Perioden ebenfalls. Von 1838 bis 1850 fand der Hauptzuwachs im Kammgarn- und Wollgewerbe statt, wobei das letztere in der Zeit von 1850 bis 1856 beinahe einen Stillstand aufweist und das erstere auf eine viermal geringere Wachstumsgeschwindigkeit zurückfällt. Andererseits stehen Baumwolle und Seide während der letzten Periode an der Spitze der Bewegung, wobei die Seidenindustrie im relativen und die Baumwollindustrie im absoluten Zuwachs den ersten Platz einnimmt. Die von diesem Wachstum der Industrie betroffenen Gebiete wechselten beträchtlich, wobei eine gewisse Verlagerung von einem Teil des Landes zum anderen stattfand. Hand in Hand mit dem allgemeinen Wachstum vollzieht sich ein örtlicher Rückgang, was in vielen Grafschaften und Städten bis zum völligen Verschwinden von früher bestehenden Fabriken geführt hat. Das allgemeine Gesetz, welches diese Veränderungen sowohl des Verfalls als auch des Wachstums regelt, ist das gleiche, das die. moderne Industrie in allen ihren Zweigen durchdringt - das Gesetz der Konzentration. So haben Lancashire und die angrenzenden Teile von Yorkshire, die den Hauptsitz der Baumwollindustrie bilden, das Gewerbe aus anderen Teilen des Königreichs an sich gezogen. Die Anzahl der Baumwollfabriken in Lancashire und Yorkshire, die von 1838 bis 1856 um 411 gestiegen ist, hat sich in den Grafschaften Lanark (Glasgow), Renfrew (Paisley) und Antrim um 52 verringert. So konzentriert sich auch das Wollgewerbe in Yorkshire; während dort 200 Wollfabriken hinzukommen, finden wir in Cornwall, Devon, Gloucester, Monmouth, Somerset, Wilts, Wales und Clackmannan eine entsprechende Verringerung um 82 vor. Die Kammgarnindustrie ist fast ausschließlich auf Yorkshire beschränkt; in dieser Grafschaft ist ein Zuwachs von 107 Fabriken zu verzeichnen. Das Flachsgewerbe ist jetzt in Irland stärker als in jedem anderen Teil des Vereinigten Königreichs; aber den Zuwachs von 59 Flachsfabriken in Antrim, Armagh, Down und Tyrone begleitet
eine Abnahme in Yorkshire von 31, in Devonshire, Dorsetshire und Gloucestershire von 8 und in Fifeshire von 14 Fabriken. Dem Zuwachs von 76 Seidenfabriken in Cheshire, Derbyshire, Nottingham und Gloucestershire steht eine Abnahme von 13 in Somersetshire gegenüber. In manchen Fällen wird der Niedergang des einen Industriezweiges durch das Wachstum eines anderen aufgewogen, so daß die industriellen Verlagerungen lediglich als eine bestimmtere Herausarbeitung des Prinzips der Arbeitsteilung in großem Maßstabe erscheinen. Im ganzen aber ist dies nicht der Fall - da der Fortschritt des Systems eher dazu neigt, eine Teilung zwischen den Industrieund Agrargebieten herbeizuführen. In England werden z. B. die südlichen Grafschaften Wilts, Dorset, Somerset und Gloucester rapide von ihren Fabriken entblößt, während die nördlichen Grafschaften Lancashire, Yorkshire, Warwick, Nottingham ihr Industriemonopol stärken. Bei der Gesamtzunahme an Fabriken im Vereinigten Königreich in der Zeit von 1838 bis 1856, welche die Zahl 900 erreicht, beansprucht Lancashire allein 360, Yorkshire 344, Warwick 71 und Nottingham 46, wobei die Zunahme in den zwei letztgenannten Grafschaften durch die Einführung verbesserter Maschinerie in zwei besonderen Gewerben verursacht worden ist - durch die Anwendung von Dampfkraft bei der Strickmaschine in Nottingham und beim Bandweben in Coventry. Von der Zunahme der Anzahl der Fabriken muß man die Zunahme der angewandten Pferdestärken unterscheiden, da diese nicht nur von der Einrichtung neuer Spinnereien, sondern auch von der Aufstellung leistungsfähigerer Maschinen in den alten abhängt, davon, daß die Wasserkraft durch die Dampfmaschine ersetzt, dem Wasserrad die Dampfkraft hinzugefügt wird und von ähnlichen anderen Verbesserungen. Die folgende Tabelle enthält einen Vergleich der nominellen Antriebskräfte in den Fabriken in den Jahren 1838, 1850 und 1856:
Die in den Fabriken des Vereinigten Königreichs angewandten Antriebskräfte (in Pferdestärken) 1838 Dampfkraft Wasserkraft Insgesamt Baumwollfabriken 46826 12 977 59 803 Wollfabriken 11 525 9 092 20 617 Kammgarnfabriken 5 863 1 313 7 176 Flachsfabriken 7 412 3 677 11 089 Seidenfabriken 2 457 927 '3384 Insgesamt 74 083 27 986 102 069
r,,- ,, . . . 1850 ^ Dampfkraft Wasserkraft Insgesamt Baumwollfabriken................... 71 005 11 550 82 555 Wollfabriken............. 13 455 8 689 22 144 Kammgarnfabriken......... 9 890 1 625 11 515 Flachsfabriken............;......... 10 905 3 387 14 292 Seidenfabriken 2 858 853 3 711 Insgesamt.............. 108 113 26 104 134 217
1856 Dampfkraft Wasserkraft Insgesamt Baumwollfabriken 88001 9 131 79 132 Wollfabriken 17 490 8411 25 901 Kammgarnfabriken 13 473 1 431 14 904 Flachsfabriken........... 14 387 3935 18 322 Seidenfabriken 4 360 816 5 176 Insgesamt:..................... 137 711 23 724 161 435
So groß zweifellos auch die aus den Zahlen ersichtliche Zunahme an Antriebskräften ist - 59 366 Pferdestärken in der Zeit von 1838 bis 1856 - so fällt sie nichtsdestoweniger viel geringer aus, als die tatsächlich für industrielle Zwecke zusätzlich verfügbaren und in Bewegung befindlichen Kräfte. Die in der Aufstellung angegebenen Zahlen beziehen sich alle bloß auf die nominelle Kraft der Dampfmaschinen und Wasserräder und nicht auf die Kraft, die wirklich angewandt wird oder angewandt werden kann. Die moderne Dampfmaschine von 100 Pferdestärken kann eine viel größere Kraft als früher entwickeln, infolge der Verbesserungen ihrer Einrichtung, des vergrößerten Fassungsvermögens und der verbesserten Konstruktion der Dampfkessel usw., und daher kann ihre nominelle Kraft nur als Index betrachtet werden, nach dem ihr wirkliches Leistungsvermögen errechnet werden kann. Herr Nasmyth, ein Zivilingenieur, faßt nach einer Erklärung des Wesens der letzten Verbesserungen an der Dampfmaschine, durch die die gleiche Maschine mit vermindertem Brennstoffverbrauch mehr Arbeit verrichten kann, die Resultate folgendermaßen zusammen:
„Von der Gewichtseinheit einer Dampfmaschine erhalten wir jetzt durchschnittlich mindestens 50 Prozent mehr Arbeit, und in vielen Fällen liefern dieselben Dampfmaschinen, die in den Tagen, wo die Geschwindigkeit auf 220 Fuß pro Minute beschränkt war, 50 Pferdestärken lieferten, heute über 100."[194J
Wenn man die Zunahme der Pferdestärken mit der der Fabriken vergleicht, so wird die Konzentration der Wollindustrie in einigen wenigen Händen augenscheinlich. Obwohl es 1856 nur acht Wollfabriken mehr gab als 1850, hat sich die in ihnen angewandte Kraft in der gleichen Zeit um 3757 Pferdestärken erhöht. Die gleiche Tendenz zur Konzentration wirkt offensichtlich in den Baumwoll-, Kammgarn- und Flachsspinnereien. Während sich die Anzahl der Spindeln im Vereinigten Königreich 1850 und 1856 auf 25 638 716 bzw. 33 503 580 belief, war die durchschnittliche Anzahl der Spindeln in jeder Fabrik wie folgt: 1850 1856 Baumwollfabriken 14000 17000 Kammgarnfabriken 2200 3400 Flachsfabriken. 2 700 3 700 In den Webereien scheint allerdings eher die Tendenz einer Ausdehnung des Gewerbes auf viele Besitzer vorzuherrschen als seine Konzentration auf wenige, wobei 1856 die Gesamtzahl der Webstühle 369 205 war gegenüber 301 445 im Jahre 1850, während die durchschnittliche Zahl der von jedem Fabrikanten angewandten Webstühle 1856 geringer ist als im Jahre 1850. Diese scheinbare Abweichung von der allgemeinen Tendenz des britischen Fabriksystems erklärt sich jedoch leicht durch die Tatsache, daß in der Weberei die Einführung des Fabriksystems verhältnismäßig jungen Datums und das Handwebstuhlsystem noch nicht ganz verdrängt worden ist. 1836 wurde die Dampfkraft fast ausschließlich für Baumwollwebstühle angewandt oder für mit Baumwolle gemischte Gewebe; einige Jahre später jedoch gab es ein schnelles Ansteigen der Anzahl der Maschinenwebstühle für alle Gewebe, ob Wolle, Kammgarn, Flachs oder Seide, und diese ständige Zunahme hält bis in die heutige Zeit än. Folgende Aufstellung zeigt die Zunahme an Maschinenwebstühlen seit 1836: 1836 1850 1856 Baumwollfabriken...... 108 751 249 627 298 847 Wollfabriken 2 150 9 439 14 453 Kammgarnfabriken.... 2 969 32617 38956 Seidenfabriken 1 714 6 092 9 260 Flachsfabriken 209 3 670 7 689 Insgesamt. 115 793 301 445 369 205 Die Zunahme an Baumwollwebstühlen entspringt aus der Ausdehnungdieses Industriezweiges, nicht aus der Anwendung von Dampfkraft bei Artikeln, die bisher ausschließlieh handgewebt wurden; bei anderen Geweben
hingegen wird jetzt die Dampfkraft beim Teppich-, Band- und Leinenwebstuhl angewandt, wo sie bisher wenig genutzt worden ist. Die Anwendung von Dampf kraft zum Wollekämmen, die sich seit der Einführung der Kämmmaschine, besonders der Listerschen, sehr verbreitet hat, hatte auch zur Folge, daß eine große Anzahl von Menschen arbeitslos geworden ist. Das Ausmaß der gestiegenen Produktivkraft zeigt sich klar, wenn man die Exportstatistiken vergleicht. 1850 waren 1932 Baumwollfabriken in Betrieb, wobei der Durchschnittswert der Baumwollwaren und Garne, die in den drei Jahren bis zum 5. Januar 1850 exportiert wurden, rund 24 600 000 Pfd. St. betrug. Wenn die 2210 Baumwollfabriken, die im Jahre 1856 in Betrieb waren, nur im gleichen Verhältnis Waren oder Garn produziert hätten wie die Fabriken im Jahre 1850, so würde der Wert des Exports 28 000 000 Pfd. St. betragen. Der Durchschnittswert dieser Exporte belief sich jedoch in den drei Jahren bis zum 31. Dezember 1855 auf ungefähr 31 000 000 Pfd. St. Ähnlich steht es mit den Woll- und Kammgarnfabriken. Wir sehen also: Während sich die Anzahl der Maschinen, die durch jede Pferdestärke in Gang gesetzt werden, sich beträchtlich vermehrt hat, ist die Anzahl der pro Pferdestärke beschäftigten Personen unverändert geblieben, nämlich 4 Personen im Durchschnitt. Das ersieht man aus folgender Tabelle:
Gesamtzahl der beschäftigten Personen 1838 185Q 1856 Baumwollfabriken.....: 259104 330924 379 213 Wollfabriken ......... 54 808 74443 79091 Kammgarnfabriken.... 31 628 79 737 87 794 Flachsfabriken.. 43 557 68 434 80262 Seidenfabriken ........ 34 303 42 544 56 137 Insgesamt 423 400 596082 682 497 Die Gesamtzahl der arbeitenden Bevölkerung von 682 497 erscheint in der Tat klein, wenn man bedenkt, daß allein die Zahl der Handweber und ihrer Familien 1838 etwa 800 000 Personen betrug» Die folgende Tabelle zeigt das prozentuale Verhältnis der verschiedenen Kategorien von beschäftigten Arbeitskräften: Kinder unter junge Männer Frauen über Männer über 13 Jahren zwischen 13 und 13 Jahre 18 Jahre 18 Jahren
1838 5,9 16,1 55,2 22,8 1850 6,1 11,5 55,9 26,5 1856 6,6 10,6 57,0 25,8
In der Zeit von 1838 bis 1850 hat die Zahl der beschäftigten Kinder zugenommen, aber nicht im Verhältnis zur allgemeinen Zunahme. Die Zunahme der Anzahl der Kinder ist in den Jahren Von 1850 bis 1856 sehr beträchtlich, und beläuft sich somit auf 10 761, wovon 9655 Kinder vom Baumwollgewerbe absorbiert worden sind. Es mag noch erwähnt werden, daß das menschenfreundliche Gesetz von 1844 gestattet, Kinder von 8 Jahren in Fabriken zu beschäftigen, während es vorher gesetzwidrig war, Kinder unter 9 Jahren zu beschäftigen^951.
Aus dem Englischen.
Friedrich Engels Die Reformen in der russischen Armee11961
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5006 vom 6. Mai 1857, Leitartikel] Als der jüngst vergangene Krieg in Europa ausbrach, wiesen eine große Anzahl von Militärs nicht ohne ein gewisses Gefühl der Ehrfurcht auf die wunderbare Organisation der russischen Armee hin. Während man in Frankreich und England Brigaden, Divisionen und Armeekorps aus Elementen formieren mußte, die bis dahin ohne jede Verbindung untereinander gewesen* während Kommandeure für die Führung von Truppenteilen ernannt werden mußten, welche sie vorher nie gesehen hatten, und Stäbe aus Offizieren zu bilden waren, die aus allen Ecken des Landes kamen - war in Rußland die riesige Kriegsmaschine in all ihren Untergliederungen schon jahrelang zuvor vollkommen fertig aufgestellt worden; jedes Regiment hatte seinen unveränderlichen Platz in der Organisation des Ganzen; jeder Truppenteil, von der Kompanie bis zum Armeekorps, hatte seinen festen Kommandeur und jede Division von einiger Bedeutung ihren regulären Stab. Es hieß, daß die Maschine tatsächlich in funktionsfähigem Zustand sei; sie warte nur auf das Kommandowort, auf das Anlassen des Dampfes, um sich mit größter Leichtigkeit zu bewegen; jeder Zahn, jedes Rad, jede Schraube, jede Riemenscheibe, jeder Riemen, jedes Ventil und jeder Hebel befinde sich an seinem Platz, tue seine Arbeit und nichts weiter. Das jedenfalls, sagte man uns, würden wir sehen. Leider aber sahen wir etwas ganz anderes. Die Armeekorps waren kaum jemals vollständig, da ganze Divisionen und noch öfter Brigaden nach entfernten Kriegsschauplätzen detachiert waren, während die hauptsächlichen Korps zur Auffüllung mit anderen Truppen vermengt wurden. Es erwies sich, daß das Bemühen, soweit wie möglich die Elemente eines jeden Korps, einer jeden Division und Brigade zusammenzuhalten, die Bewegungen der Armee auf dem Marsch nicht weniger hemmte, als das strenge
Reglement, das für die Schlachtordnung festgelegt war; und schließlich waren da die peinlich genauen Unterteilungen im Kommando mit all den befehlshabenden Korps-, Divisions- und Brigadegeneralen und ihren entsprechenden Stäben, die alle ihren Truppen wohlvertraut, gut miteinander bekannt und in ihren eigenen Ämtern und Pflichten gut zu Hause waren - all dies stellte sich als eine einzige ungeheure Verschwörung heraus, um die Regierung um ihre Gelder und den Soldaten um seine Rationen, seine Kleidung und sein Wohlergehen zu beschwindeln. Wenn diese Tatsachen noch einer offiziellen Bestätigung bedurften, so hat die russische Regierung sie eben gegeben. Die neue Organisation der russischen Armee ist in erster Linie und hauptsächlich auf die Zerstörung dieser Brutstätten der im großen betriebenen Unterschlagungen, der untergeordneten Stäbe und Hauptquartiere, gerichtet. Die Stäbe der Armeekorps wie der Brigaden werden abgeschafft. Ja, sogar die Bezeichnung Brigade verschwindet aus der russischen Armee. Alle sechs Linienkorps werden unter das Kommando eines einzigen Mannes gestellt, des Fürsten M.D.Gortschakow I., des ehemaligen Befehlshabers auf der Krim. Jedes Korps hat zwar einen kommandierenden General; aber da er keinen Stab hat - d. h. keine Mittel zur tatsächlichen Durchführung der Einzelheiten dieses Kommandos -, ist er im besten Falle nur der Inspekteur seines Korps, gleichsam eine Art Kontrolleur der fünf unter ihm stehenden Divisionsgenerale. In Wirklichkeit sind die Generale der dreißig Divisionen (achtzehn Infanterie-, sechs Kavallerie- und sechs Artilleriedivisionen), die die sogenannte „erste Armee" bilden, unmittelbar vom Oberbefehlshaber abhängig; und in jeder Division sind wieder die Obersten der vier Infanterie- oder Kavallerieregimenter und die Batteriechefs unmittelbar vom Divisionsgeneral abhängig. Die Brigadegenerale, durch diese neue Einteilung völlig überflüssig, sind dem Stab des Divisionsgenerals als seine Stellvertreter und-Helfer im Kommando zugeteilt. Der Grund für dies alles ist deutlich genug. Auf Fürst Gortschakow kann sich der Zar verlassen, und Gortschakow seinerseits kann sich bis zu einem gewissen Grade auf die Offiziere seines persönlichen Stabes verlassen. Bei der bürokratischen Genauigkeit und den hierarchischen Abstufungen des früheren Systems endete der direkte Einfluß des Oberbefehlshabers bei den Korpsführern. Diese und ihre Stäbe hatten die Befehle an die Divisionen zu übermitteln, deren Stäbe sie wiederum an die Brigaden übergaben, von deren Stäben sie die Regimentsobersten erreichten, die auf ihre tatsächliche Ausführung achteten. Dies war nichts anderes als ein gut organisiertes System für Betrug, Unterschleif und Diebstahl; und je besser der Armeedienst selbst organisiert war, um so organi13*
sierter und erfolgreicher war die Plünderung der Staatskasse. Das zeigte sich während des Krieges beim Marsch des ersten, zweiten und dritten Armeekorps aus Polen nach dem Süden; und nur um diesem Übelstand abzuhelfen, hat die russische Regierung alle Korpskommandeure bloß dem Namen nach bestehen lassen und die Brigadekommandeure gänzlich abgeschafft. Es gibt jetzt nur noch zwei vermittelnde Rangstufen zwischen dem Oberbefehlshaber und den Kompanieoffizieren, nämlich den Divisionsgeneral und den Oberst; und es gibt nur noch einen Stab, den der Division, der zu Zwecken des Unterschleifs ausgenutzt werden kann. Wenn es der Regierung gelingen sollte, aus den Divisionsstäben die Gewohnheit des Plünderns auszumerzen, kann sie mit Recht erwarten, daß sie diese Gewohnheit nach und nach auch aus den Regimentsstäben verbannt. So wird die gesamte Organisation der Armee umgestürzt, indem man aus der Kette zwei Glieder herausnimmt; die Notwendigkeit dessen wird sich gewiß in Kriegszeiten erweisen. Die russische Regierung erkennt allerdings, daß weder die Korpsführer noch die Brigadegenerale vollständig aus ihrer Militärhierarchie ausgeschlossen werden können. Der Korpsführer wird beibehalten, aber als eine reine Puppe, während der Brigadegeneral ganz von seinem Kommando abgelöst und zu einem bloßen Anhängsel des Divisionskommandeursgemacht wird. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Befehlsgewalt dieser Offiziere während des Friedens aufgehoben wird, während sie zur Verwendung bereitgehalten werden, sobald ein Krieg ausbricht. In, der Tat sind in der einzigen Armee, die noch dem Feind gegenübersteht - in der kaukasischen -, die Brigaden bestehen geblieben. Bedarf es noch anderer Beweise, daß die Abschaffung der Brigaden im übrigen Teil der Armee nur ein Versuch ist, die Brigadeführer und ihre Stäbe unschädlich zu machen, solange der Frieden währt? Eine andere wichtige Änderung ist die Auflösung des großen Dragonerkorps, das aus zehn Regimentern zu je acht Schwadronen bestand und sowohl für Infanterie- wie für Kavalleriedienst ausgebildet war. Diesem Korps war es zugedacht, eine hervorragende Rolle in allen großen Schlachten zu spielen. Wenn der entscheidende Augenblick gekommen war, sollte es mit der Schnelligkeit der Kavallerie auf eine wichtige Stellung in der Flanke oder in der Nachhut des Feindes stoßen, absitzen, sich in sechzehn Infanteriebataillone verwandeln und, unterstützt von ihrer schweren bespannten Artillerie, die Stellung halten. Während des ganzen letzten Krieges trat dieses Korps nicht in Erscheinung, und die totale Unfähigkeit dieser hybriden Truppen zur aktiven Kriegführung scheint allerorts erkannt worden zu sein. Die Folge ist die Umwandlung dieser amphibienartigen, berittenen Fuß
Soldaten in reguläre Kavallerie und ihre Aufteilung, in zwölf Regimentern zu je acht Schwadronen, auf die sechs Armeekorps der „ersten Armee". Damit sind die beiden großen Schöpfungen, mit deren Hilfe Zar Nikolaus sich seinen Platz unter den größten Militärorganisatoren seiner Zeit zu verschaffen gehofft, innerhalb weniger Jahre nach seinem Tod verschwunden. Neben anderen Veränderungen wollen wir die Aufstellung eines zweiten Schützenbataillons für jedes Armeekorps und die Bildung von zwei neuen Infanterieregimentern in der kaukasischen Armee erwähnen. Durch die erste Neuerung ist dem großen Mangel an leichter Kavallerie bis zu einem gewissen Grade abgeholfen. Die zweite zeigt, daß Rußland entschlossen ist, den kaukasischen Konflikt so schnell wie möglich zu beenden. Aus demselben Grunde werden die Reservebrigaden der kaukasischen Korps noch zusammengehalten. Es ist daher wahrscheinlich, daß man jetzt bereits in jenem Gebiet einen Feldzug von einiger Wichtigkeit eröffnet hat.
Geschrieben am 16. April 1857. Aus dem Englischen.
Karl Marx Die britischen Finanzaffären
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5015 vom 16. Mai 1857] London, I.Mai 1857 Die Untersuchung der Geheimnisse der Royal British Bank durch das Konkursgericht geht wohl zu Ende, und eine vollkommenere Enthüllung der Rücksichtslosigkeit, der Heuchelei, der Betrügereien und Schändlichkeiten, die sich hinter der vergoldeten Fassade einer ehrbaren Gesellschaft verbergen, ist vielleicht seit der Zeit, da Hudson, der Eisenbahnkönig, zu Fall kam, nicht dagewesen. Einer der Ehrenmänner, die schließlich an den Pranger der öffentlichen Meinung gestellt wurden, ist Herr Humphrey Brown, ehemals Mitglied des Parlaments für Tewkesbury, der in „Dod's Parliamentary Companion for 1855" geschildert wird „als ein Kaufmann", ein „tätiger Förderer der Eisenbahnen", ein „bekannter Eisenbahnstatistiker und Verkehrsfachmann", ein „Förderer von Freihandelsprinzipien im wahrsten Sinne" und ein „Liberaler obendrein". Unmittelbar nach dem Bankrott der Royal British Bank wurde bekannt, daß diese einflußreiche Persönlichkeit seinen Direktorposten dazu benutzt hatte, die Bank um einige 70 000 Pfd. St, zu beschwindeln, was ihn jedoch nicht hinderte, weiterhin seine üblichen Staatsfunktionen auszuüben. Humphrey Brown fuhr ruhig fort, im Unterhaus und auf den Richterstühlen der „Great Unpaid"[197] zu erscheinen. Er gab sogar seinem hohen Gefühl sozialer Verantwortung öffentlichen Ausdruck, indem er als Friedensrichter einer Grafschaft die schwerste gesetzlich zulässige Strafe über einen armen Fuhrmann verhängte, der von ungefähr eine geringe Menge Kartoffeln veruntreut hatte, wobei er dem Angeklagten eine salbungsvolle Predigt über die Abscheulichkeit eines Vertrauensbruches hielt. Ein Blatt aus Tewkesbury hielt sich für berechtigt, bei dieser Gelegenheit jene Absonderlichkeit der britischen Institutionen zu mißbilligen, welche die großen Diebe zu Richtern über die kleinen macht.
Darauf drohte Herr Brown nicht nur, den unglücklichen Journalisten vor Gericht zu bringen, sondern auch der guten Stadt Tewkesbury auf immer den Rücken zu kehren, sollten ihre Einwohner es unterlassen, das Verbrechen gekränkter Unschuld durch einen feierlichen Akt der Reue zu büßen. Danach fand eine feierliche Prozession statt, die dem „Opfer einer gewissenlosen Verschwörung" ein Ehrengeschenk überreichte, das seine künstlerischen Mängel durch metallene Schwere aufwog, wenn man nach den Schilderungen geht, die zu dieser Zeit in den Zeitungen standen. Herr Brown hielt der Menge von seinem Balkon aus eine Rede, steckte das Ehrengeschenk ein, erklärte, nur der Eid, der ihn zur Verschwiegenheit in bezug auf die Affären der British Bank verpflichte, würde verhindern, daß seine Unschuld so klar erstrahle wie die Sonne am Mittag, und er schloß seine Rede, indem er sich als einen Menschen bezeichnete, gegen den mehr gesündigt würde als er selbst sündige. Bei den letzten Parlamentswahlen trat er erneut als Kandidat seines gemütlichen Wahlkreises in Erscheinung, aber das Kabinett, als dessen wackerer Parteigänger er sich immer erwiesen hatte, war so undankbar, ihn fallenzulassen. Am 29. April fühlte sich dieser pompöse Ehrenmann schließlich vom Joch des Eides befreit, der bisher seine Lippen versiegelt und ihn dazu verurteilt hatte, die Schande schmachvoller Verleumdung zu ertragen, und der beauftragte Richter des Konkursgerichts diente ihm als Beichtvater. Für Aktiengesellschaften gilt es als allgemeine Regel, daß ihre Direktoren einen gewissen Teil ihrer Aktien besitzen sollen. Herr Brown kehrte die übliche Ordnung der Dinge um und wurde zuerst Direktor und dann Aktienbesitzer; doch als er die Aktien im Besitz hatte, ersparte er es sich, sie zu bezahlen. Er gelangte in ihren Besitz durch folgende sehr einfache Methode: Herr Cameron, der flüchtige Geschäftsführer der British Bank, händigte ihm zwanzig Aktien in Höhe von 1000 Pfd. St. aus, während er (Brown) Herrn Cameron einen Schuldschein über den Betrag von 1000 Pfd. St. übergab, wobei er sich hütete, jemals einen einzigen Shilling darauf zu bezahlen. Nachdem er im Februar 1853 Direktor geworden war, begann er im März seine Bankoperationen. Er deponierte bei der Bank die bescheidene Summe von 18 Pfd. St. 14 sh. und entlieh darauf an eben demselben Tage gegen einen Handwechsel den Betrag von 2000 Pfd. St.; damit bewies er zugleich, daß er kein Neuling in der Leitung von Aktiengesellschaften war. Tatsächlich beehrte er mit seiner direktorialen Geschäftsführung, sowohl vor als auch nach seiner Verbindung mit der Royal British Bank, die privilegierte Australische Import- und Raffinerie-Kompanie, die Gesellschaft für wasserdichte Patentziegel und Fliesen und für gewöhnliche Ziegel und Fliesen, die Wandle
Wasserwerksgesellschaft, eine Grundstücksgesellschaft, eine Werftgesellschaft, mit einem Wort, Gesellschäften für alle vier Elemente. Auf die Frage von Herrn Linldater, dem Anwalt der Zessionare, was denn aus all diesen Gesellschaften geworden wäre, antwortete Brown treffend: „Sie sind inzwischen eingegangen." Sein Konto bei der British Bank, das er mit einem Guthaben von 18 Pfd. St. 14 sh. eröffnete, endete mit einer Schuld von 77 000 Pfd. St. Alle diese Darlehen wurden durch Herrn Cameron vergeben, ohne daß die Zustimmung der „anderen Direktoren eingeholt worden wäre". „Der geschäftsführende Beamte der Gesellschaft", sagt Herr Brown, „ist nun mal derjenige, durch den alle Geschäfte erledigt werden. Das war das übliche Verfahren dieser Bank und", wie er beiehrend hinzufügt, „es ist ein sehr gesundes Verfahren." it98i Offenbar spielte das ganze Unternehmen - Gouverneure, Direktoren, Geschäftsführer, Anwälte und Buchhalter - nach einem vorbedachten Plan einander in die Hände, und jeder gab sich den Anschein,, als wüßte er nichts von dem Anteil der Beute, der jedem Partner zufiel. Ja, fast möchte Herr Brown andeuten, daß er als Direktor der Bank sich kaum seiner eigenen Handlungen als ihr Kunde bewußt war. Was die Kunden angeht, die nicht zum leitenden Personal gehörten, so scheint Herr Brown noch während seines Verhörs unter dem schmerzlichen Eindruck zu leiden, daß einige von ihnen es wagten, sich die Privilegien der Direktoren anzumaßen. So sagt er von einem gewissen Herrn Oliver: „Ich möchte ohne Bedenken sagen, daß Oliver die Bank um 20 000Pfd.St. beschwindelt hat. Das ist ein sehr harter Ausdruck, aber ich zweifle nicht daran, daß er berechtigt ist. Er war ein Schwindler." Auf Herrn Linklaters Frage: „Was waren Sie denn?" entgegnet er gelassen: „Unglücklicherweise ein Direktor, der ungenügend informiert ist.44" Alle seine Antworten erfolgen in derselben ruhigen Art. Zum Beispiel gibt das lächerliche Mißverhältnis seiner Einlagen zu seinen erhaltenen Wechselkrediten Gelegenheit zu dem folgenden seltsamen Dialog zwischen ihm und Herrn Linklater: Herr Linklater: „Gehörte es nicht zu den üblichen Geschäftsbedingungen der Bank, daß niemand ein Diskontkonto haben sollte, der nicht auch ein Girokonto hatte, und daß auf dem Girokonto immer ein Saldo von einem Viertel der auf Ihrem Diskont laufenden Wechsel beibehalten werden sollte?" Herr Brown: „Das ist richtig, es war das Schottische System, wie man mir sagte." Herr Linldater: „Und Sie selbst übernahmen dieses System nicht?" Herr Brown: „Nein, es war nicht zuverlässig." Immer wenn Herr Brown sich herabließ, der Bank Sicherheiten anzubieten, bestanden sie aus Schuldscheinen oder aus Schiffen, wobei er gleich
zeitig große Sorge trug, sie bei anderen Leuten zu verpfänden; überhaupt verfügte er recht freizügig über die Sicherheiten, was der Richter unverblümt höchst „betrügerische Transaktionen" nannte. Im Grunde genommen hatte Herr Brown am I.März 1856 sein Konto bei der Bank geschlossen, besser gesagt, das Direktorium hatte beschlossen, ihm nicht weiter die Aufblähung seiner Schulden zu gestatten. Doch bemerken wir, daß er am 7. Juni wieder 1020 Pfd. St. heraüsbekommt. Auf Herrn Linklaters Frage, „durch welchen Hokuspokus er diese Sache zuwege gebracht hätte", antwortet er kaltblütig: „Das war nicht schwierig". Dem folgenden Brief, den er an seinen Busenfreund, Herrn Cameron, gerichtet hat, kann man seine gemeine Ansicht über den Entrüstungssturm entnehmen, den die Enthüllungen über die Royal British Bank in der öffentlichen Presse erzeugt haben: „Little Smith Street, Westminster, 5. Okt. 1856 Geehrter Herr Cameron! Da ich nicht weiß, wo Sie sich zur Zeit aufhalten, nutze ich die Gelegenheit, Ihnen über ein Mitglied Ihrer Familie diesen Brief zu schicken. Da sich schlechte Nachrichten schnell verbreiten, nehme ich an, daß Ihnen die Schmähungen nicht fremd geblieben sind, mit denen wir in allen Zeitungen, den großen wie den kleinen, überhäuft werden und wovon Sie und ich den Löwenanteil abbekommen. Ich habe einigen Grund zu glauben, daß die äußerst heftigen Artikel in der ,Times* von einem oder zwei unserer Gesellschafter angestiftet worden sind, und zwar mit Hilfe des Buchhalters. Ich bin völlig in Unkenntnis darüber, was vor sich geht, abgesehen von den öffentlichen Berichten, aus deren Lektüre ich beinahe schließen muß, daß noch nie zuvor jemand einer Bank irgendwelches Geld schuldete und daß alle früheren Anzeigen irrtümlich erstattet wurden und daß die ganze Wut der .Times' eigens dazu aufgespart wurde, uns persönlich zu kränken... Ich bin mit keinem der anderen Direktoren zusammengekommen, seit die Bank ihre Tätigkeit einstellte, was recht stümperhaft geschah. Ihr ergebener Humphrey Brown" Als ob „noch nie zuvor jemand einer Bank irgendwelches Geld schuldete" 1 Herr Brown betrachtet offenbar die ganze moralische Entrüstung, die sich gegen ihn und seine Kompagnons richtet, als bloße konventionelle Heuchelei. „Dieb ist alles!" Dies sagt Timon11991, und dasselbe sagt Herr Brown und scheint in tiefster Seele davon überzeugt, daß jedes Mitglied der sogenannten ehrbaren Gesellschaft dasselbe sagt. Es kommt nur darauf an, kein kleiner Dieb zu sein.
Aus dem Englischen,
Karl Marx Der Credit mobiiier12001 I
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5027 vom 30. Mai 1857, Leitartikel] Die Bulletins der Großen Armee1 werden im jetzigen Französischen Kaiserreich durch die Berichte des Credit mobiiier ersetzt. Auf der letzten Generalversammlung der Aktionäre am 28. April präsentierte Herr Isaac Pereire im Namen des Direktoriums einen Bericht, der die summarische Geschichte dieser bemerkenswerten bonapartistischen Institution für 1856 umfassen soll. Aus diesem hochtrabenden Dokument, worin sein Verfasser in einer ihm eigentümlichen Manier finanzielle Berechnungen mit theoretischen Leitsätzen, Zahlen mit Gefühlen und Börsenspekulation mit spekulativer Philosophie vermischt, treten bei aufmerksamer Untersuchung Zeichen des Niedergangs zutage, die die apologetische Tünche über dem Ganzen eher enthüllen als verdecken. In der Tat wird die Öffentlichkeit weiterhin durch die Profite des Credit mobiiier geblendet. Auf die Aktien, deren Kurs ursprünglich auf 500 Francs festgesetzt war, wurden für 1856 25 Francs als Zinsen und 90 Francs als Dividende ausgezahlt, insgesamt also 115 Francs, eine Summe, die genau 23 Prozent vom Gesellschaftsfonds repräsentiert. Um jedoch zu sicheren Schlußfolgerungen zu gelangen, vergleiche man den Credit mobiiier nicht mit gewöhnlichen kommerziellen Unternehmungen, sondern mit ihm selbst, und dann werden wir sehen, daß sein Profit während eines einzigen Jahres fast um die Hälfte gesunken ist. Man muß zwei Elemente in den Reineinkünften der Gesellschaft unterscheiden - das eine fix, das andere variabel das eine durch Statut festgesetzt, das andere abhängig von der kommerziellen Entwicklung der Gesellschaft - das eine unter der Rubrik Zinsen, das andere unter der Rubrik Dividenden. Die Zinsen von 25 Francs, oder 5 Prozent
1 Armee Napoleons I.
per Aktie, bilden daher einen festen Posten in den Abrechnungen der Gesellschaft, während der wirkliche Prüfstein ihres Fortschritts die ausgeschriebene Dividende ist. Und wir sehen jetzt, daß die Dividende von 178 Francs 70 Centimes im Jahre 1855 auf 90 Francs im Jahre 1856 zusammengeschrumpft ist, eine Entwicklung, die man wohl kaum eine ansteigende nennen kann. Wenn man berücksichtigt, daß die kleineren Fische unter den Aktionären ihre Aktien im Durchschnitt zu 1500 Francs gekauft haben, dann wird die wirkliche Dividende, die sie 1856 erhielten, kaum 7 Prozent übersteigen. Herr Isaac Pereire meint, „es wäre überflüssig, sich die Mühe zu machen und auf die Ursachen des Unterschiedes hinzuweisen, der zwischen der Dividende von 1856 und derjenigen von 1855 besteht". Immerhin läßt er sich zu der Andeutung herab, daß die Profite von 1855 „einen Ausnahme-Charakter" trügen. Schon wahr, aber der Credit mobiiier kann ja nur dadurch, daß er den Ausnahme-Charakter seines Profits aufrechterhält, Anspruch auf irgendwelchen Charakter erheben. Der AusnahmeCharakter seines Profits rührt von dem enormen Mißverhältnis zwischen seinem Kapital und seinen Operationen her. Dieses Mißverhältnis ist nicht etwa nur vorübergehend, sondern bildet in Wirklichkeit das organische Gesetz seines Daseins. Der Credit mobiiier gibt vor, weder Bank- noch Industriegesellschaft zu sein, sondern vielmehr der Repräsentant - wenn möglich im nationalen Maßstab - von anderen Bank- und Industriegesellschaften. Die Originalität seiner Konzeption beruht auf diesem repräsentativen Amt. Seine Operationen sollen daher nicht durch sein eigenes Kapital und den üblichen, daraus abgeleiteten Kredit bestimmt werden, sondern allein durch das große Ausmaß der Interessen, die er in Wirklichkeit repräsentiert oder zu repräsentieren versucht. Wenn das Mißverhältnis zwischen seinem Kapital und seinen Operationen verschwände und folglich auch sein „Ausnahme-Profit", dann würde der Credit mobiiier nicht zu einem gewöhnlichen Bankhaus zusammenschrumpfen, sondern elendiglich zusammenbrechen. Will er die gewaltigen Operationen durchführen, in die er sich infolge des ganzen Wesens seiner Organisation verwickelt sieht, muß er sich darauf verlassen, daß neue Pläne auf immer größerer Stufenleiter erfolgreich verwirklicht werden. Bei einer solchen Institution ist jede Stagnation und noch mehr jeder Rückgang das Symptom eines unvermeidlichen Niedergangs. Nehmen wir selbst den Bericht von 1856. Darin finden wir einerseits das bescheidene Kapital von 60 000 000 Francs und andererseits Operationen, welche die gewaltige Summe von über 6 000 000 000 Francs umfassen. Herr Pereire selbst umreißt diese Operationen wie folgt:
„Unsere Zeichnung auf die letzte Anleihe wurde nicht nur intakt gehalten, sondern erhöhte sich auf den Betrag von 40 000 000 frs. durch Käufe, welche die Einzahlungen der Zeichner erleichtern sollten. Der Umsatz in unserer Kasse belief sich auf die Summe von 3 085 195 176 frs. 39 cts. Der Umsatz unseres Kontokrorents mit der Bank betrug . 1 216 686 271 frs. 33 cts. Derjenige unseres Kontokrorents erreichte die Höhe von . 2 739 111 029 frs. 98 cts. Unsere Gesellschaft hat Einzahlungen auf 1 455 264 Aktien und Bons erhalten, die zusammengenommen die Summe erbracht haben von 160 976 590 frs. 98 cts. Sie hat sowohl für ihre eigene Rechnung als auch für diejenige der Gesellschaften, deren Bankgeschäfte sie besorgt, 3 754 921 Kupons bezahlt, die einen Betrag ergeben von 64 259 723 frs. 68 cts. Der Umsatz unserer Effektenkasse hat sich auf 4 986 304 Aktien oder Bons erstreckt." Herr Pereire leugnet nicht, daß sich die Rolle, die der Credit mobilier 1856 spielte, um einiges von jener unterschied, die er zuvor gespielt hatte. Während der ersten drei Jahre seiner Existenz hatte er „bedeutende Unternehmungen in Frankreich zu eröffnen", „die Schöpfungen großer Geschäftsvorhaben zu systematisieren" und sich folglich als unerschöpflich zu erweisen bei der Überschwemmung der Effektenbörse mit neuen Wertpapieren; Indessen trat 1856 eine plötzliche Änderung ein. Da „der Friede der sozialen Tätigkeit eine neue Ära aufgetan hatte", drohte die Spekulation über das Ziel hinauszuschießen. Ausschließlich darauf bedacht, das öffentliche Wohl zu fördern, hielten es die gewissenhaften Ehrenmänner des Credit mobilier, die Pereire, Fould und Morny, unter diesen veränderten Umständen für ihre „gebieterische Pflicht", zu zügeln, wo sie zuvor angespornt, zu mäßigen, wo sie gedrängt hatten, und „Zurückhaltung" zu beobachten, wo „Kühnheit" zuvor als „intelligente Klugheit" gegolten hatte. Da ganz Frankreich in Bewegung kam, beschloß der Credit mobilier aus Gewissensgründen, auf der Stelle zu treten. Wahr ist aber auch, daß dieser tugendhafte Entschluß in gewissem Maße vorweggenommen wurde durch eine im „Moniteur" vom 9.Marz 1856 veröffentlichte Notiz, welche „das Maß andeutete, das die Regierung der Ausgabe neuer Wertpapiere vorzuzeichnen wünschte". Selbst „wenn" die Neigungen des Credit mobilier sämtlich in anderer Richtung gelegen hätten, „so wäre doch diese Bekanntmachung", sagt Herr Pereire, „besonders für uns ein Befehl gewesen; sie war ein erzwungenes Halt, das der Schöpfung neuer Unternehmungen Einhalt tun mußte". Dieses erzwungene Halt erklärt wohl ausreichend die selbstauferlegte Pflicht zur Mäßigung. Just in dem Moment, da der Credit mobilier sich so in seinem Lauf durch
ein Regierüngshalfter gezügelt sah, geschah es unglücklicherweise, daß die prinzipienlose Konkurrenz eifrig danach zu streben begann, seine Wirkungssphäre einzuschränken und seine Ressourcen zu schmälern. Während die Notiz im „Moniteur" vom 9. März 1856 unmittelbar gegen die sogenannten anonymen Gesellschaften gerichtet war - deren Gründung und Tätigkeit in Frankreich gesetzlich der Billigung und Kontrolle durch die Regierung unterworfen sind, und auf deren Errichtung der Credit mobiiier durch seine Statuten beschränkt ist-, fand die französische Spekulation nun ein stärkeres Ventil unter der Form von „societes en commandite"1, die nicht der Billigung durch die Regierung und fast keiner Kontrolle unterliegen. Somit änderte die Spekulation bloß ihre Wege, und das gehemmte Wachstum der anonymen Gesellschaften wurde mehr als aufgewogen von der üppigen Ernte an societes en commandite. Anstatt die Spekulation zu verhindern, hatte Napoleon III. mit all seiner „erhabenen Weisheit", wie Herr Pereire sich ausdrückt, nur einen großen Teil davon der Kontrolle seiner Lieblingsanstalt entzogen. Während der ersten neun Monate des Jahres 1856, als ganz Frankreich berauscht war von der Spekulation und als der Credit mobiiier eigentlich die Sahne davon hätte abschöpfen sollen, war also jene treu ergebene Gesellschaft durch ein bloßes Mißverständnis seitens der „erhabenen Weisheit" dazu verurteilt, in „einem beschränktem Maße" tätig zu sein und untertänigst „das offizielle Zeichen zur Wiederbelebung der Tätigkeit abzuwarten". Sie wartete noch immer auf das offizielle Zeichen und „einen Übergang zu besseren Zeiten", als ein Ereignis eintrat, das sogar völlig außerhalb der Macht der „erhabenen Weisheit" Napoleons selbst lag. Doch werden wir dieses Ereignis an einem anderen Tage behandeln.
II
[„New-York Daily Tribüne" Nr.5028 vom I.Juni 1857, Leitartikel] Die Finanzkrise, die im September 1856 gleichzeitig auf dem europäischen Kontinent und in England ausbrach, traf den Credit mobiiier, wie Herr Pereire sagt, in der Haltung „der wachsamen Schildwache von Finanz und Kredit" an, die „einen ausgedehnteren Gesichtskreis" hat als andere Leute „auf den verschiedenen Sprossen der Stufenleiter", „die in der Lage
1 „Kommanditgesellschaften"
ist, Bestürzung so gut wie Überreiztheit zu vermeiden", die ihreNungeteilte Sorge dem erhabenen Ziel „der Erhaltung der nationalen Arbeit und des nationalen Kredits" zuwendet, die unbekümmert ist „um eigennützige oder eifersüchtige Kritik", die über „heftige oder vorbedachte Angriffe" lächelt und turmhoch über vulgären „Verdrehungen" steht. In diesem kritischen Moment zeigte sich die Bank von Frankreich anscheinend ziemlich widerspenstig gegenüber den Korderungen, die der Credit mobilier in seinem ungeteilten Eifer für das öffentliche Wohlergehen ihr aufzudrängen sich veranlaßt fühlte. Man gibt uns daher zu verstehen, daß
. „die Krise ihre Heftigkeit und ihr Ungestüm den Maßnahmen verdanke, welche die Bank von Frankreich unter der Herrschaft der sie regierenden Verfassung ergriff", und daß „diese Institution durch den Mangel an jeder bindenden Verpflichtung und allen harmonischen Kombinationen noch höchst unvollkommen ist". Während die Bank von Frankreich es einerseits ablehnte, dem Credit mobilier zu helfen, weigerte sie sich andererseits, von ihm unterstützt zu werden. Mit der ihm eigenen Kühnheit in der Erfassung der Lage sah der Credit mobilier in einer Finanzkrise die passende Zeit für große Finanzmanipulationen. Im Augenblick allgemeiner Verwirrung kann mein eine Festung im Sturm nehmen, die man durch reguläre Manöver jahrelang nicht bezwingen konnte. Folglich erbot sich der Credit mobilier, unter Mitwirkung verschiedener ausländischer Firmen, die Renten oder Staatsschuldverschreibungen, die sich im Besitz der Bank von Frankreich befanden, zu kaufen, um dieses Institut in die Lage zu versetzen, „seinen Metallvorrat in wirksamer Weise zu vermehren und seine Darlehen auf Renten und Eisenbahnaktien fortzusetzen". Als der Credit mobilier dieses selbstlose und philanthropische Angebot machte, war sein Portefeuille mit Renten in Höhe von etwa 5 475 000 Francs und mit Eisenbahnaktien in Höhe von 115 000 000 Francs belastet, während die Bank von Frankreich zur gleichen Zeit etwa 50 000 000 Francs an Renten besaß. Mit anderen Worten, der Betrag von Eisenbahnaktien, den der Credit mobilier besaß, überstieg den Betrag an Renten, der sich im Besitz der Bank von Frankreich befand, um mehr als das Doppelte. Wenn die Bank von Frankreich ihre Renten auf den Markt würfe, um ihren Metallvorrat zu verstärken, dann drückte sie nicht nur die Renten herab, sondern noch mehr alle anderen Wertpapiere und besonders die Eisenbahnaktien. Tatsächlich lief der Vorschlag daher auf eine Aufforderung an die Bank hinaus, sie möge ihre Renten vom Markt fernhalten, um Platz für die Eisenbahnaktien zu lassen, die sich im Portefeuille des Credit mobilier befanden. Außerdem hätte die Bank dann, wie Herr Pereire sagt, einen Vor
wand dafür gehabt, ihre Darlehen auf Eisenbahnaktien einzustellen. Damit wäre sie insgeheim dem Credit mobiiier zu Hilfe gekommen, während sie vor der Öffentlichkeit dieser hochherzigen Institution hörig gewesen wäre und es den Anschein gehabt hätte, als wäre sie durch ihre Unterstützung gerettet worden. Doch die Bank roch Lunte und zeigte der „wachsamen Schildwache" die kalte Schulter. Ebenso fest entschlossen, Frankreich vor der Finanzkrise zu retten, wie sein Schirmherr, es vor dem Sozialismus zu retten, machte der Credit mobiiier einen zweiten Vorschlag, der nicht an die Bank von Frankreich, sondern an die Privatbankiers von Paris gerichtet war. Er erbot sich großmütig,
„für die Bedürfnisse aller französischen Eisenbahngesellschaften zu sorgen, indem bis zum Betrag von 300 000 000 Francs auf die Anleihen gezeichnet würde, die sie für 1857 zu emittieren hätten, wobei er erklärte, daß er bereit sei, sich selbst bis zum Betrag von 200 000 000 Francs an diesen Anleihen zu beteiligen, wenn die übrigen 100 000 000 von den anderen Bankhäusern gezeichnet würden"., Eine solche Zeichnung mußte mit Sicherheit ein plötzliches Ansteigen der Kurse für Eisenbahnaktien und -bons herbeiführen, gerade für jenen Artikel, dessen hauptsächlicher Besitzer der Credit mobiiier war. Überdies hätte dieser mit einem einzigen kühnen Streich sich zum großen Besitzer aller französischen Eisenbahnen und all die großen Pariser Bankiers in gewisser Weise zu seinen unfreiwilligen Partnern gemacht. Doch der Plan schlug fehl. Gezwungen, „jedem Gedanken an eine gemeinsame Maßnahme zu entsagen", war der Credit mobiiier auf sich selbst angewiesen. Die stolze Überzeugung, „das bloße Faktum der von ihm gemachten Vorschläge habe ohne Zweifel nicht wenig dazu beigetragen, die Geister zu beruhigen", tröstete ihn nicht wenig über die Tendenz der Krise hinweg, „den Gewinn, auf den die Gesellschaft rechnen zu können glaubte, in fühlbarer Weise zu verringern". Ganz abgesehen von all diesen verdrießlichen Ereignissen klagt der Credit mobiiier darüber, daß er bis jetzt daran gehindert worden wäre, seinen Trumpf auszuspielen, nämlich die Emission von 6000Ö0 000 Francs an Schuldscheinen, einem eigens von ihm erfundenen Papiergeld, das erst nach sehr langer Frist verfällt und nicht auf dem Kapital der Gesellschaft, sondern auf den Wertpapieren basiert, gegen die es eingetauscht werden würde.
„Die Hilfsquellen", sagt Herr Pereire, „die uns aus der Emission unserer Schuldscheine zugeflossen wären, hätten es uns erlaubt, solche Wertpapiere zu erwerben, die noch nicht ihre endgültige Anlage gefunden hatten, und die der Industrie gewährte Unterstützung gewaltig auszudehnen."
1855 war der Credit mobilier gerade im Begriff, 240 000 000 Francs an solchen Obligationen zu emittieren - eine Emission, zu der er nach seinen Statuten ermächtigt ist -, als die „erhabene Weisheit" der Tuilerien der Operation ein Ende setzte. Eine solche Ausgabe von Kreditgeld nennt der Credit mobilier Vermehrung seines Kapitals; gewöhnliche Leute würden es eher eine Vermehrung seiner Schulden nennen. Das erzwungene Halt also, das dem Credit mobilier im März 1856 von der Regierung geboten wurde, die Konkurrenz der societes en commandite, die Finanzkrise und die nicht erfolgte Ausgabe seines eigenen Papiergeldes - alle diese Umstände erklären zur Genüge den Fall seiner Dividenden. In allen früheren Berichten dieses großen Schwindeluriternehmens ist das Ersetzen der privaten Industrie durch industrielle Aktiengesellschaften als die Besonderheit und Neuheit des Credit mobilier ausposaunt worden. In diesem letzten Bericht wird man vergebens die leiseste Anspielung auf diesen Gegenstand suchen. Von den 60 000 000 Francs, die das Kapital der Gesellschaft bilden, waren 40 000 000 während des Jahres 1856 in Staatspapieren angelegt; und von den Summen, die der Kredit ihr in die Hand gab, wurde der weitaus größere Teil für „Prolongationen" auf Renten und Eisenbahnaktien an den Abrechnungstagen der Börse verwandt; solche Operationen sind 1856 mit französischen Renten in Höhe von 421 500 000 Francs und mit Eisenbahn- und anderen Aktien in Höhe von 281 000 000 Francs durchgeführt worden. Gegenwärtig bedeuten diese Prolongationen nichts anderes als Gelddarlehen an Börsenspekulanten, um sie in die Lage zu versetzen, ihre Operationen fortzuführen, und um den fiktiven Kapitalien der Börse ein solides Aussehen zu geben. Auf dieser Operation, die einen großen Teil des nationalen Kapitals aus produktiver Tätigkeit in unproduktive Spekulation lenkt, gründet der Credit mobilier hauptsächlich seinen Anspruch auf die Dankbarkeit der Nation. Louis-Napoleon erhält in der Tat eine gewaltige Unterstützung von den Herren Pereire & Co. Sie verleihen nicht nur den kaiserlichen Fonds fiktiven Wert, sondern pflegen, üben, fördern und propagieren auch unablässig jenen Geist der Spekulation, der das Lebensprinzip des jetzigen Kaiserreiches bildet. Selbst bei flüchtigster Betrachtung der Operationen, die Herr Pereire so selbstgefällig aufzählt, wird klar, daß die Spekulationsmanöver des Credit mobilier notwendig mit betrügerischen Transaktionen verquickt sind. Einerseits borgt die Gesellschaft in ihrer öffentlichen Funktion als Schirmherr der Börse Geld vom Publikum und leiht es spekulierenden Gesellschaften und Einzelpersonen, um die Preise der französischen Aktien und Wertpapiere zu stützen. Andererseits spekuliert sie als privates Unternehmen beständig in eigener Sache auf die Kursschwan
kungen eben derselben Wertpapiere - auf ihr Fallen wie auf ihr Steigen. Um diese gegenteiligen Absichten dem äußeren Schein nach in Einklang zu bringen, muß man zu Betrug und Schwindel greifen. Wie alle professionellen Spekulanten ist Louis-Napoleon in der Konzeption seiner coups ebenso kühn, wie er langsam und vorsichtig in ihrer Ausführung ist. So hat er zweimal den Credit mobiiier in seinem skrupellosen Lauf gezügelt - zuerst im Jahre 1855, als er ihm die Ausgabe seiner Obligationen untersagte, und abermals im Jahre 1856, als seine Warnung im „Moniteur" dem Credit mobiiier ein erzwungenes Halt auferlegte. Doch während er hemmt, drängt die Gesellschaft weiter. Gibt man ihr freie Bahn, wird sie sich ganz unzweifelhaft den Hals brechen. Plagt Bonaparte sie weiterhin mit seinen Ermahnungen zur Mäßigung, so wird sie aufhören, sie selbst zu sein. Nach dem Bericht des Herrn Pereire hat es indes den Anschein, als seien die „erhabene Weisheit" und die „intelligente Klugheit" endlich zu einem Kompromiß gelangt. Sollte der schon diskreditierte Credit mobiiier nicht mit der gefährlichen Vollmacht betraut werden, eigenes Papiergeld zu emittieren, dann müssen ihm die Mittel, ohne die er nicht weiter existieren kann, unter dem ehrbaren Mantel der Bank von Frankreich gereicht werden. Das ist eines der geheimen Ziele des neuen Bankgesetzes, das jetzt den „gelehrten Hunden und Affen" des Corps legislatif[39] vorgelegt wird.
„Wir nehmen keinen Anstand", sagt Herr Pereire, „es laut zu erklären, doch umsonst würde man anderswo als bei der Bank von Frankreich nach den Mitteln wirksamer Hilfe suchen mittels Darlehen an den öffentlichen Kredit, an große Unternehmungen, an Handel und Industrie" -mit anderen Worten, an den Credit mobiiier.
Geschrieben am 12. und 15. Mai 1857. Aus dem Englischen.
Friedrich Engels Persien - China12011
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5032 vom 5. Juni 1857] London, 22. Mai 1857 Die Engländer haben soeben einen asiatischen Krieg beendet, um einen neuen zu beginnen.[202] Der Widerstand, den die Perser geleistet, und der, den die Chinesen bisher der britischen Invasion entgegengesetzt haben, bilden einen Gegensatz, der unsere Aufmerksamkeit verdient. In Persien wurde der asiatischen Barbarei das europäische System der Militärorganisation aufgepfropft; in China bekämpft die verrottende Halbzivilisation des ältesten Staates der Welt die Europäer mit eigenen Mitteln. Persien hat eine beispiellose Niederlage erlitten, während das zerrüttete, nahezu halb zerfallene China eine Methode des Widerstandes gefunden hat, die, wenn sie fortgesetzt wird, eine Wiederholung der Triumphmärsche des ersten Englisch-Chinesischen Kriegs unmöglich machen wird. Persien befand sich in einem Zustand, ähnlich dem der Türkei während des Krieges von 1828/1829 gegen Rußland[203]. Englische, französische und russische Offiziere hatten sich abwechselnd an der Organisation der persischen Armee versucht. Ein System hatte das andere abgelöst, und eines nach dem anderen scheiterte an der Eifersucht, den Intrigen, der Ignoranz, der Habgier und der Korruption der Orientalen, aus denen europäische Offiziere und Soldaten gemacht werden sollten. Die neue reguläre Armee hatte niemals Gelegenheit gehabt, ihre Organisation und Stärke im Felde zu erproben. Ihre wenigen Heldentaten beschränkten sich auf einige Kampagnen gegen Kurden, Turkmenen und Afghanen, wobei sie als eine Art Kern oder Reserve der zahlenmäßig starken irregulären Kavallerie Persiens diente. Die letztere hatte den Hauptanteil an den wirklichen Kämpfen. Die regulären Truppen brauchten den Feind im allgemeinen nur durch die demonstrative Wirkung ihrer dem Schein nach furchtgebietenden Schlachtordnung zu beeindrucken. Schließlich brach der Krieg mit England aus.
Die Engländer griffen Buschir an und stießen auf tapferen, wenn auch erfolglosen Widerstand. Aber die Soldaten, die bei Buschir kämpften, gehörten nicht zur regulären Truppe. Sie setzten sich aus den irregulären Aufgeboten der persischen und arabischen Küstenbewohner zusammen. Die regulären Truppen sammelten sich gerade erst etwa sechzig Meilen entfernt in den Bergen. Endlich rückten sie vor. Die englisch-indische Armee begegnete ihnen auf halbem Wege, und obwohl den Persern der Einsatz ihrer Artillerie alle Ehre machte und sie ihre Karrees nach den anerkannten Prinzipien formierten, so schlug doch eine einzige Attacke eines einzigen indischen Kavallerieregiments die ganze persische Armee, Garde- und Linientruppen, aus dem Felde. Um aber zu erfahren, wie diese indische reguläre Kavallerie in ihrem eigenen Heer eingeschätzt wird, brauchen wir nur in Captain Nolans Buch über dieses Thema nachzulesen. Nach Meinung der englisch-indischen Offiziere ist sie völlig untauglich und der englisch-indischen irregulären Kavallerie weit unterlegen. Captain Nolan kann kein einziges Gefecht anführen, das sie ehrenvoll bestanden hätte. Und doch waren das dieselben Soldaten, die, ihrer sechshundert, zehntausend Perser vor sich hertrieben! Der Schrecken, der sich unter den persischen regulären Truppen verbreitete, war derart, daß sie sich - nur die Artillerie ausgenommen - niemals wieder zum Kampf stellten. Bei Mohammerah hielten sie sich weit vom Schuß, überließen es der Artillerie, die Batterien zu verteidigen, und zogen sich zurück, sobald diese zum Schweigen gebracht worden waren; und als die Briten bei einer Erkundung dreihundert Füsiliere und fünfzig irreguläre Reiter landeten, marschierte die gesamte persische Streitmacht ab, den Eindringlingen Sieger kann man sie nicht nennen - Bagage, Proviant und Geschütz überlassend. All das jedoch stempelt weder die Perser zu einer Nation von Feiglingen, noch beweist es, daß die Einführung europäischer Taktik bei den Orientalen unmöglich ist. Die Russisch-Türkischen Kriege von 1806 bis 1812[204] und 1828/1829 liefern dafür eine Fülle von Beispielen. Den Hauptwiderstand gegen die Russen leisteten die irregulären Aufgebote, und zwar sowohl die aus den befestigten Städten wie die aus den Bergprovinzen. Wo immer die regulären Truppen sich im freien Felde zeigten, wurden sie von den Russen überrannt und liefen sehr oft beim ersten Schuß davon, während eine einzige Kompanie von irregulären Arnauten12051 den russischen Belagerungsoperationen in einer Bergschlucht bei Varna wochenlang erfolgreichen Widerstand entgegensetzte/Doch während des letzten Krieges hat die reguläre türkische Armee die Russen in jedem einzelnen Gefecht von Oltenitza und Cetate bis Kars und Ingur geschlagen.[206]
Tatsächlich ist die Einführung der europäischen Militärorganisation bei Barbaren Völkern bei weitem nicht vollendet, wenn man die neue Armee nach europäischem Muster gegliedert, ausgerüstet und einexerziert hat. Das ist nur der erste Schritt dazu. Auch die Einführung irgendeines europäischen Militärgesetzbüchs wird nicht ausreichen; es wird die europäische Disziplin genausowenig gewährleisten, wie ein europäisches Exerzierreglement an sich die europäische Strategie und Taktik hervorzubringen vermag. Das wichtigste und zugleich das schwierigste ist die Schaffung eines nach dem modernen europäischen System ausgebildeten und von den alten nationalen Vorurteilen und Reminiszenzen in Militärdingen völlig freien Offiziers- und Unteroffizierskorps, das imstande wäre, die neuen Formationen mit Leben zu erfüllen. Das erfordert eine lange Zeit und wird sicher auf die hartnäckigste Opposition von Seiten orientalischer Ignoranz, Ungeduld und Voreingenommenheit und auf jenen den östlichen Höfen eigenen Wechsel von Glück und Gunst stoßen. Ein Sultan oder Schah ist nur zu gern bereit, anzunehmen, seine Armee sei den höchsten Anforderungen gewachsen, sobald die Soldaten den Parademarsch beherrschen, schwenken, aufmarschieren und Marschkolonnen bilden können, ohne dabei in hoffnungslose Unordnung zu geraten. Und was die Militärschulen angeht, so reifen ihre Früchte so langsam, daß bei der Unbeständigkeit der östlichen Regierungen kaum etwas dabei herauskommen kann. Selbst in der Türkei ist der Bestand an ausgebildeten Offizieren nur gering, und die türkische Armee hätte im letzten Krieg nichts zuwege bringen können ohne die große Zahl der Renegaten12071 und ohne die europäischen Offiziere in ihren Reihen. Die einzige Waffe, die überall eine Ausnahme bildet, ist die Artillerie. Hier sind die Orientalen in so großer Verlegenheit und so hilflos, daß sie die Leitung gänzlich ihren europäischen Instrukteuren überlassen müssen. Dies hat zur Folge, daß sowohl in der Türkei als auch in Persien die Artillerie der Infanterie und Kavallerie weit überlegen war. Daß unter solchen Umständen die englisch-indische Armee, die älteste aller nach europäischem Muster organisierten östlichen Armeen, die einzige, die nicht einer östlichen, sondern einer ausschließlich europäischen Regierung untersteht und fast gänzlich von europäischen Offizieren befehligt wird - daß diese Armee, unterstützt von einer starken Reserve britischer Truppen und einer mächtigen Flotte, die persischen regulären Truppen leicht auseinanderjagen kann, ist nur natürlich. Je vollständiger die Niederlage war, um so heilsamer wird sie für die Perser sein. Sie werden nun, wie die Türken vor ihnen, einsehen, daß europäische Aufmachung und europäischer Paradedrill allein keine Zauberkraft haben, und in zwanzig Jahren werden die Perser
vielleicht ebenso ehrenvoll abschneiden wie die Türken mit ihren jüngsten Siegen. Die Truppen, die Buschir und Mohammerah erobert haben, werden, wie verlautet, sofort nach China geschickt. Dort werden sie einen anderen Gegner vorfinden. Keine Nachahmung europäischer Evolutionen, sondern die regellose Schlachtordnung asiatischer Massen wird ihnen dort entgegentreten. Mit diesen werden sie zweifellos leicht fertig werden; was aber, wenn die Chinesen einen Volkskrieg gegen sie entfachen und wenn die Barbaren skrupellos genug wären, die einzigen Waffen zu benutzen, die sie zu führen verstehen? Offenbar herrscht jetzt unter den Chinesen ein anderer Geist als in dem Krieg von 1840-1842. Damals war das Volk ruhig; es überließ den Kämpf gegen die Eindringlinge den kaiserlichen Soldaten und unterwarf sich nach einer Niederlage mit östlichem Fatalismus der Macht des Feindes. Aber jetzt beteiligt sich, zumindest in den Südprovinzen, auf die der Kampf bisher beschränkt blieb, die Masse des Volkes aktiv, ja, sogar fanatisch am Kampf gegen die Ausländer. Sie vergiften massenhaft und mit kaltblütiger Berechnung das Brot der europäischen Kolonie Hongkong. (Einige Laibe sind Liebig zur Analyse übersandt worden. Er stellte große Mengen Arsen fest, gleichmäßig in den Broten verteilt, was beweist, daß es bereits mit in den Teig geknetet worden war. Die Dosis war jedoch so stark, daß sie als Brechmittel gewirkt haben muß und dadurch die Giftwirkung aufhob.) Mit verborgenen Waffen gehen sie anBord von Handelsschiffen, und auf der Fahrt bringen sie die Mannschaft und die europäischen Passagiere um und bemächtigen sich des Schiffes. Sie entführen und töten jeden Ausländer, dessen sie habhaft werden können. Selbst die Kulis, die in fremde Länder auswandern, meutern, wie auf Verabredung, an Bord eines jeden Auswandererschiffes, kämpfen um dessen Besitz und gehen lieber mit dem Schiff unter oder kommen in dessen Flammen um, als daß sie sich ergeben. Sogar außerhalb Chinas konspirieren die chinesischen Ansiedler, die bisher unterwürfigsten und demütigsten Untertanen, und erheben sich plötzlich in nächtlichen Aufständen, wie in Sarawak, oder werden, wie in Singapur, nur mit aller Gewalt und höchster Wachsamkeit niedergehalten. Zu diesem allgemeinen Aufruhr aller Chinesen gegen alle Ausländer hat die Piratenpolitik der britischen Regierung geführt. Sie hat ihn zu einem Vernichtungskrieg gestempelt. Was soll eine Armee gegen ein Volk unternehmen, das zu solchen Mitteln der Kriegführung greift? Wo und wie weit soll sie in das Land des Feindes Vordringen, wie soll sie sich dort behaupten? Zivilisationskrämer, die Brandbomben auf eine schutzlose Stadt werfen und dem Mord noch die Vergewaltigung hinzufügen, mögen die Methode feige, barbarisch und grausam
nennen; aber was kümmert das die Chinesen, wenn sie ihnen nur Erfolg bringt. Da die Briten sie als Barbaren behandeln, dürfen sie ihnen auch nicht das Recht absprechen, alle Vorteile ihres Barbarentums auszunutzen. Wenn ihre Entführungen, Überfälle und nächtlichen Gemetzel nach unserer Auffassung als feige zu bezeichnen sind, dann sollten die Zivilisationskrämer nicht vergessen, daß, nach ihrem eigenen Zeugnis, die Chinesen sich mit den gewöhnlichen Mitteln ihrer Kriegführung gegen europäische Zerstörungsmittel nicht behaupten können. Kurz, anstatt über die schrecklichen Grausamkeiten der Chinesen zu moralisieren, wie es die ritterliche englische Presse tut, täten wir besser daran, anzuerkennen, daß es sich hier um einen Krieg pro aris et focis* handelt, um einen Volkskrieg zur Erhaltung der chinesischen Nation mit all ihrer anmaßenden Voreingenommenheit, ihrer Dummheit, ihrer gelehrten Ignoranz und, wenn man will, ihrem pedantischen Barbarentum, aber dennoch um einen Volkskrieg. Und in einem Volkskrieg können die Mittel, die von der aufständischen Nation angewandt werden, weder nach den allgemein anerkannten Regeln der regulären Kriegführung gewertet werden, noch nach irgendeinem anderen abstrakten Maßstab, sondern allein nach dem Grad der Zivilisation, den die aufständische Nation erreicht hat. Die Engländer befinden sich diesmal in einer schwierigen Lage. Bisher scheint der nationale Fanatismus der Chinesen nicht über jene Südprovinzen hinauszugehen, die sich dem großen Aufstand1791 nicht angeschlossen haben. Soll der Krieg auf diese Provinzen beschränkt werden? Dann würde er sicherlich zu keinem Resultat führen, da kein lebenswichtiges Gebiet des Reiches gefährdet wäre. Indessen würde der Krieg sehr ^©fährlich für die Engländer werden, wenn der Fanatismus die Bevölkerung der inneren Gebiete erfaßte. Wenn auch die Briten Kanton vollständig zerstörten und Überfälle auf alle möglichen Punkte der Küsten ausführten, so würden doch sämtliche Truppen, die sie aufbieten könnten, nicht ausreichen, die beiden Provinzen Kwangtung und Kwangsi zu erobern und zu halten. Was können sie unter diesen Umständen noch tun? Das Land nördlich von Kanton bis hinauf nach Schanghai und Nanking ist in den Händen der chinesischen Aufständischen, und es wäre unklug, diese zu reizen; nördlich von Nanking aber ist Peking der einzige Punkt, den anzugreifen sich lohnen würde, um einen entscheidenden Erfolg zu erzielen. Doch wo ist die Armee, die in der Lage wäre, eine befestigte Operationsbasis mit Besatzungstruppen an der Küste zu errichten, alle Hindernisse auf dem Vormarsch zu überwinden, Abteilungen
1 für Haus und Herd
zurückzulassen, um die Kommunikationen mit der Küste zu sichern, und die, hundert Meilen von ihrem Landungsplatz entfernt, in einigermaßen furchtgebietender Stärke vor den Mauern einer Stadt von der Größe Londons erscheinen könnte? Andererseits würde eine erfolgreiche militärische Demonstration gegen die Hauptstadt die Existenz des Chinesischen Reiches bis in die Grundfesten erschüttern, den Sturz der Mandschu-Dynastie beschleunigen und nicht dem britischen, sondern dem russischen Vormarsch den Weg ebnen. Der neue Englisch-Chinesische Krieg bringt so viele Komplikationen mit sich, daß es völlig unmöglich ist, vorauszusehen, welche Wendung er nehmen könnte. Für einige Monate wird der Truppenmangel und für eine noch längere Zeit der Mangel an Entschlossenheit die Briten mehr oder weniger zur Untätigkeit verurteilen, ausgenommen vielleicht an einigen unwichtigen Punkten, zu denen unter den gegebenen Umständen auch Kanton gehören könnte. Eines ist gewiß, bald wird die Todesstunde des alten Chinas schlagen. Schon hat der Bürgerkrieg den Süden des Kaiserreichs vom Norden getrennt, und der Rebellenkönig scheint in Nanking vor den Kaiserlichen so sicher zu sein (wenn auch nicht vor den Intrigen der eigenen Anhänger) wie der Kaiser des Himmels in Peking vor den Rebellen. Kanton führt noch immer eine Art selbständigen Krieg gegen die Engländer und alle Ausländer überhaupt; und während die britischen und französischen Flotten und Truppen nach Hongkong strömen, verlegen die Kosaken der sibirischen Grenzgebiete ihre Stanizen langsam aber stetig von den Daurischen Bergen an die Ufer des Amur, und die russischen Marinetruppen umgeben die ausgezeichneten Häfen der Mandschurei mit Befestigungen. Gerade der Fanatismus der Südchinesen in ihrem Kampf gegen die Ausländer scheint das Wissen um die tödliche Gefahr auszudrücken, die dem alten China droht, und in nicht allzu ferner Zeit werden wir Zeugen vom Todeskampf des ältesten Kaiserreiches der Welt und vom Anbruch einer neuen Ära für ganz Asien sein.
Aus dem Englischen.
Karl Marx Interessante Enthüllungen
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5038 vom 12. Juni 1857] London, 26. Mai 1857 O'Donnells Rede vom 18. Mai im spanischen Senat enthält höchst merkwürdige Enthüllungen über die geheime Geschichte des zeitgenössischen Spaniens. Nachdem sein Verrat an Espartero und sein coup d'etat Narväez den Weg gebahnt haben1, versuchen die Polacos12081 nun ihrerseits, diesen loszuwerden. Zu diesem Zweck schickte man am 18.Mai, während der Senatsdebatten über die Adresse an die Königin, General Calonge vor, der selber 1843 Teilnehmer am Militärputsch1441 der Anhänger Christinas und beim Ausbruch der Revolution 1854 Generalkapitänt823 von Pamplona gewesen, damit er eine Reihe Änderungen zu dem Paragraphen beantragt, der eine allgemeine Amnestie empfiehlt. Heftig griff er die militärischen Aufstände im allgemeinen und den militärischen Aufstand von 1854 im besonderen an und verlangte, „daß die Politik der Versöhnung nicht so weit gehen sollte, durch Gewährung absoluter Straffreiheit unverbesserliche Unruhestifter zu ermutigen". Dieser Streich, von den Freunden des Sartorius ausgeheckt, war sowohl gegen O'Donnell als auch gegen den Herzog von Valencia (Narväez) gerichtet. Die Polacos hatten tatsächlich erfahren, daß O'Donnell die erste Gelegenheit ergreifen würde, um Narväez als seinen geheimen Mittäter bei dem Aufstand des Gardelagers[64] anzuzeigen. Folglich wurde O'Donnell eine solche Gelegenheit durch General Calonge geboten. Um die drohende Explosion abzuwenden, wagte Narväez ein verzweifeltes Manöver» Er, der Mann der Ordnung, rechtfertigte die Revolution von 1854, die, wie er sagte, „von dem erhabensten Patriotismus beseelt und durch die Exzesse der vorher-;, gehenden Kabinette provoziert war". So trat Narväez, das Regierungsober
1 Siehe vorl. Band, S. 37-48
haupt, im Senat als advocatus diaboli1, als Verteidiger der Revolution und des militärischen Aufstands auf, in dem gleichen Augenblick, als Herr de Nocedal, der Innenminister, den Cortes ein drakonisches Pressegesetz vorschlug. Aber vergeblich. Während der folgenden Sitzung des Senats am 18.Mai mußte Narväez, während er von den Polacos gezwungen wurde, seine Mißbilligung „früherer Kabinette" zu widerrufen, sich gleichzeitig unter O'Donnells indiskreten Enthüllungen winden, deren Wahrheit er selbst zugab, indem er sich beklagte, daß „O'Donnell private und vertrauliche Unterhaltungen preisgegeben hätte", und indem er fragte, „welches Vertrauen man nun in die Freundschaft setzen könne"! In den Augen des Hofes ist Narväez nun ein überführter Rebell, und er wird binnen kurzem Bravo Murillo und Sartorius weichen müssen, den sicheren Vorläufern einer neuen Revolution. Das folgende ist eine wörtliche Übersetzung von O'Donnells Rede: „O'Donnell: Ich kann in dieser eminent politischen Diskussion nach den wichtigen Ereignissen, die seit der letzten Sitzung des Senats eingetreten sind, nicht länger schweigen. Die Rolle, die ich in diesen Ereignissen gespielt habe, zwingt mich zum Reden. Als Führer des Gardelageraufstandes, als Verfasser des Programms von Manzanares, als Kriegsminister im Kabinett des Herzogs von Vittoria, zwei Jahre danach unter feierlichen Umständen von der Krone dazu berufen, die Krone und die gefährdete Gesellschaft zu retten, glücklich genug, dieses Ziel zu erreichen, ohne nach dem Kampf gezwungen zu sein, einen Tropfen Blut zu vergießen oder ein einziges Verbannungsurteil auszusprechen, hätte ich mich ohnehin verpflichtet gefühlt, an der im Gange befindlichen Diskussion teilzunehmen. Doch es wäre ein Verbrechen, das Schweigen zu wahren nach den Beschuldigungen, die General Calonge gegen mich und die würdigen Generale gerichtet hat, die zwei Jahre hindurch mit mir verbunden waren und in den Tagen der Krise halfen, die Gesellschaft und die Krone zu retten. General Calonge hat den Aufstand des Gardelagers als Rebellion bezeichnet. Aus welchem Grunde? Hat er so schnell all die Ereignisse vergessen, die ihm vorausgingen und zur gegebenen Zeit das Land in eine Revolution gestürzt hätten, die nicht hätte unterdrückt werden können? Ich danke dem Ministerpräsidenten für die Energie, mit der er die Beschuldigung des Generals Calonge zurückgewiesen hat. Es trifft zu, daß er mit solchem Handeln die Energie eines Mannes gezeigt hat, der seine eigene Sache verteidigt.", (Große Sensation.) „Da ich gezwungen bin, Einzelheiten zu erörtern, die zur Rechtfertigung dieser Tatsache unerläßlich sind, und da ich vor allem wünsche, aus diesen Debatten alles auszuschließen, was irgendwie ein persönliches Aussehen haben könnte, wäre ich dankbar, wenn der Präsident des Kabinetts geneigt wäre, die folgenden Fragen zu beantworten: Ist es wahr, daß der Herzog von Valencia seit 1852 durch enge Bande mit den Generalen von Vicalvaro vereint war? Ist es wahr, daß er
1 Anwalt des Teufels
seit der Schließung des Senats nach der Abstimmung der 105 über all ihre Unternehmungen informiert war? Ist es wahr, daß er die Absicht hegte, sich ihnen zur Ausführung ihrer Pläne anzuschließen? Ist es wahr, daß er, wenngleich verhindert, dies zu tun, aus Motiven, die ich achte, später nichtsdestoweniger einen seiner Adjutanten schickte, um uns zu unserem Sieg zu gratulieren? Narväez: Nach den Worten, die der Graf von Lucena an mich gerichtet hat, muß ich erklären, daß ich an all dem, was er plante und später ausführte, in der Form, in der er es plante und ausführte, keinerlei Anteil hatte, welcher Art auch immer unsere früheren Beziehungen gewesen sein mochten. O'Donnell: Der Präsident des Kabinetts hat in der Weise geantwortet, die er für die passendste hielt. Es wäre mir lieb gewesen, nicht genötigt zu sein, weitere Erklärungen zu geben, da man mich aber dazu drängt, werde ich sie geben. Jeder weiß, daß im Jahre 1852 in der Politik die tiefste Stille herrschte. Zum Unglück für die Regierung und das Land begann man damals zum ersten Male das Wort ,Verfassungsreform' zu flüstern. Die Herren des Senats werden sich der Erregung erinnern, die durch die Furcht vor einem coup d'etat hervorgerufen wurde. Sie werden nicht die zahlreichen Zusammenkünfte vergessen haben, die damals zwischen politischen Persönlichkeiten stattfanden und in denen eine Denkschrift an die Königin beschlossen wurde. Diese Adresse erhielt viele Unterschriften, sie wurde aber nicht übergeben. Die Cortes wurden einberufen, und nach einigen Tagen veröffentlichte die ,Gaceta' die Pläne, welche in eben dieser Kammer eine solche Wirkung hervorriefen, daß die Regierung bei der Wahl des Präsidenten1 eine ernste Niederlage erlitt. Die Cortes wurden dann aufgelöst. Darauf versammelten sich die bedeutendsten Männer der Moderado-Parteit48!, um gegen diese Maßnahme zu protestieren, wobei der Herzog von Valencia zum Präsidenten der Zusammenkunft ernannt wurde. Aus Furcht, die Regierung könnte diese Zusammenkünfte unterbinden, wurde ein Komitee eingesetzt, zu dessen Vorsitzenden wiederum der Herzog von Valencia gewählt wurde, und in dem die Herren Mon, Pidal und andere bedeutende Persönlichkeiten die aktivsten Mitglieder waren. Außer dem Protest wurde in diesem Komitee die Gesetzlichkeit der Neuwahlen erörtert. Zwei oder drei Tage nach der Abfahrt des Herzogs von Valencia nach Bayonne trat das Kabinett Bravo Murillo zurück. Der Graf d'Alcoy wurde Nachfolger Bravo Murillos. Die Opposition blieb dieselbe, und als die Cortes zusammentraten, wurde ein vom Herzog von Valencia entworfenes Manifest dem Senat übergeben. Der Senat verwarf es, aber danach wurde deutlich sichtbar, daß die Opposition bereits mächtige Ausmaße annahm. Dem Kabinett des Grafen d'Alcoy folgte das des Generals Lersundi, dann wurde das Ministerium des Grafen von San Luis eingesetzt. Ich bedauere es, gezwungen zu sein, auf gewisse Einzelheiten einzugehen, aber der Augenblick ist gekommen, wo ich von meinen eigenen politischen Beziehungen mit jenen sprechen muß, die sich mir im Gärdelager anschlössen. Ich empfing - und alle von uns empfingen - vor der Rückkehr des Herzogs von Valencia nach Spanien einen seiner Vertrauten, mit dem er eine lange Unterhaltung gehabt hatte und dem er, die beklagenswerte Situation bedauernd, in
1 Martmez de la Rosa - Präsident der zweiten Kammer der Cortes
die das Land gebracht war, und Befürchtungen über die Gefahren äuße/nd, die dem Thron und der Verfassung drohten, gesagt hatte, es bliebe nur ein Ausweg: der Appell an die Gewalt." (Große Erregung.) „Das Ministerium Sartorius genehmigte die Rückkehr des Herzogs von Valencia nach Spanien. Er ging zuerst nach Madrid und zog sich dann nach Aranjuez zurück. Dort hatten wir eine Besprechung mit ihm. Er teilte uns seine patriotischen Gefühle mit, die ich zu bewundern bereit bin, obwohl ich das Kabinett, dessen Vorsitz er gegenwärtig innehat, nicht unterstützen kann. Er erklärte uns, daß die Situation die Anwendung von Gewalt unvermeidlich mache, daß er aus besonderen Beweggründen nicht als erster auftreten könne, daß aber das zweite Schwert, das gezogen wird, sein eigenes sein würde, und er fügte hinzu, daß bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge die Erhebung zweier Kavallerieregimenter ausreichen würde, um die Revolution zu entscheiden. Diese Erklärung wurde uns in der kategorischsten Weise gegeben. Die Gortes wurden eröffnet. Völlig davon überzeugt, daß alle legalen Mittel vergeblich sein würden, zog sich der Herzog von Valencia, anstatt in den Senat zu gehen und die Führung der Opposition zu übernehmen, nach Loja zurück. Jeder weiß, was dann in den Cortes geschah; alle erinnern sich der berühmten Abstimmung der 105. Dessenungeachtet hielt es die Regierung nicht für angemessen, abzudanken. Die Cortes wurden verabschiedet, und dann begann ein Regime unerhörter Verfolgungen. Die Generale, die gegen das Kabinett gestimmt hatten, die hervorragendsten Politiker, die Journalisten der Opposition wurden ins Exil geschickt; wesentliche Veränderungen in jeder Richtung wurden angekündigt, die Zwangsanleihe wurde verkündet, mit einem Wort, die Regierung stellte sich selbst außerhalb des Gesetzes. Nun frage ich Sie, wagen Sie zu behaupten, daß es in diesem Lande, wo alle Parteien, falls sie in Opposition stehen, schon immer konspirierten, jemals eine Revolution gegeben hat, die legitimer gewesen wäre als die von 1854? Was mich betrifft, so verließ ich die bescheidene Wohnung, in der ich mich sechs Monate lang versteckt gehalten hatte. Ich verließ sie zu Pferde, begleitet von einigen Generalen und einigen Regimentern, mit dem Ziel, eine Regierung zu stürzen, die so schändlich eine Verfassung mit Füßen trat, die ich als General und Senatsmitglied zu verteidigen geschworen hatte. Wir kamen in Vicalvaro an, wo zu meinem großen Bedauern der Kampf entbrannt war. Es gab weder Sieger noch Besiegte. Auf beiden Seiten kämpften die Soldaten hervorragend. Die Garnison mußte nach Madrid zurückkehren, während wir in Vicalvaro blieben. Am nächsten Tag, wie es mit dem Herzog von Valencia vereinbart war, marschierten wir durch Aranjuez in Richtung Andalusien. In der Provinz Jaen hielt sich General Serrano auf, der uns seine Unterstützung zugesagt hatte. Wir kamen in Manzanares an, wo er zu uns stieß und erklärte, daß alle, die versprochen hätten, ihm zu folgen, davongelaufen wären, und daß er allein käme, um unser Los zu teilen. Eben zu dieser Zeit veröffentlichte ich ein Manifest, und da ich nicht gewohnt bin, meine eigenen Taten zu verleugnen, werde ich erzählen, weis in diesem Augenblick vorbereitet wurde. Durch Emissäre wurde ich über alle Madrider Ereignisse informiert. Alle bedeutenden Männer der Moderado-Partei hatten Anteil an der Bewegung. Nur geschah das, was gewöhnlich geschieht: daß man beim Planen einer Sache mit dem Zulauf einer großen Zahl von Leuten rechnen kann, von denen die eifrigsten verschwinden, wenn die Stunde des
Handelns schlägt. Man sagte mir, es wäre nicht wahrscheinlich, daß wir vom Volk unterstützt würden, dem das Ministerium einzureden versuchte, daß die Bewegung aus rein persönlichen Streitereien entstanden wäre und jedes festen politischen Grundsatzes entbehre. Dies war der Beweggrund zur Veröffentlichung des Manifests von Manzanares, das zwei wichtige Punkte enthielt: Verfassungsreform, wie ich sie später in meiner Eigenschaft als Präsident des Kabinetts Ihrer Majestät vorschlug, und die Nationalmiliz, nicht wie sie tatsächlich organisiert wurde, sondern wie ich sie gestalten wollte, zu einem wirklichen Element der Ordnung. Wir verließen Manzanares und schrieben dem Herzog von Valencia einen von mir und vier anderen Generalen unterzeichneten Brief, in dem wir erklärten, wenn er sich zur Verfügung stellte, würden wir ihn zu unserem Oberbefehlshaber ernennen. Der Herzog schickte uns einen Adjutanten mit der Botschaft, daß er krank geworden wäre und scharf beobachtet würde. Man hat gesagt, wir wären entschlossen gewesen, nach Portugal zu fliehen. Das ist falsch. Wir hatten im Gegenteil beschlossen, uns in die Sierra Morena zurückzuziehen, unsere Kavallerie bei Barrios aufzustellen, alle mit Proviant beladenen Wagen aufzuhalten und die erste Gelegenheit zu benutzen, uns vor Madrid zu zeigen, als uns plötzlich die Nachricht vom Sturz des Kabinetts Sartorius und vom Appell der Königin an den Herzog von Victoria übermittelt wurde. Von diesem Augenblick an war meiner Mission ein Ende gesetzt. General San Miguel, der Minister per interim1, sandte mir die Weisung, nach Madrid zurückzukehren. Ich gehorchte mit dem festen Entschluß, nicht in das Kabinett einzutreten. Hatte doch die Krone den Herzog von Vittoria entfernt, zu dem ich alle Beziehungen seit 1840 abgebrochen hatte. Dieselben Männer, die mich später beschuldigten, in sein Kabinett eingetreten zu sein, kamen noch in der Nacht meiner Ankunft in Madrid zu mir und beschworen mich, das Amt des Kriegsministers anzunehmen als das einzige Mittel, die Ordnung und die Gesellschaft zu retten. Alle diese Männer gehörten zur ModeradoPartei. Ich ging zum Herzog von Victoria, und an diesem Punkt meines Berichts müßte ich sehr verlegen sein, wenn sein eigenes Manifest mir nicht die Berechtigung gäbe, böswillige Anschuldigungen von mir zu weisen. Espartero umarmte mich herzlich und sagte, daß die Zeit gekommen wäre, alle Zwietracht zwischen Spaniern zu begraben, daß es unmöglich geworden sei, mit einer einzigen Partei zu regieren, und daß es sein fester Entschluß sei, sich an alle Männer von Einfluß und Sittlichkeit zu wenden. Ich beobachtete die Situation in Madrid. Die Barrikaden standen noch, die Garnison war nur sehr klein, aber das Volk, das stets verständig war, flößte mir großes Vertrauen ein. Mein zweites Zusammentreffen mit Espartero war ziemlich kühl; er bot mir das Portefeuille für auswärtige Angelegenheiten und für die Kolonien an. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich bei Eintritt in das Kabinett jeden anderen Posten außer dem des Kriegsministers ablehnen würde. Darauf sagte er mir, daß ich von allen der geeignetste Mann wäre, die Funktionen des Generalkapitäns von Kuba auszuführen. Ich entgegnete ihm, daß es nicht mein Wunsch wäre, nach Havanna zurückzukehren, da ich in dieser
1 einstweilig, provisorisch
Eigenschaft dort bereits gedient hätte, und daß ich mich eher ins Privatleben zurückziehen würde; doch ersuchte ich ihn dringend, sofort ein Ministerium zu bilden und die Nation nicht länger den Gefahren eines provisorischen Zustands preiszugeben. Kurz danach forderte mich General Salanza, der ursprünglich ernannte Kriegsminister, im Namen Esparteros auf, das Amt des Kriegsministers anzunehmen, und am selben Abend wurde ich zusammen mit meinen Kollegen vereidigt. Es gab für mich nur zwei Wege: entweder die Revolution sich selbst zu überlassen, bis ihre eigenen Exzesse eine Reaktion herbeiführten, oder sie in ihrem Lauf aufzuhalten. Jene Rolle war die leichtere; meine Ehre und das Interesse des Landes ließen mich die zweite Rolle übernehmen. Ich bereue es nicht. Unsere erste Diskussion betraf die Verfassunggebenden Cortes. Herr Collado, der unter uns weilt, kennt alle unsere Auseinandersetzungen über diesen Punkt. Unsere Bemühungen wurden vereitelt. Das Dekret über die Einberufung der Cortes wurde unterzeichnet. Die allgemeinen Wahlen erfolgten nicht, wie Herr Pidal sagte, unter Druck der Regierung, sondern bei unbegrenzter Freiheit. Dite Mehrheit der Abgeordneten bestand aus Männern, die aufrichtig das Wohl des Landes wünschten. Bei einer entschlossenen Regierung wäre die Verfassung in vier Monaten eingeführt worden. Aber Esparteros sprichwörtliche Charakterschwäche - nicht als Militär, sondern als Politiker - machten jedes Handeln der Regierung unmöglich. Ich blieb nicht deshalb Mitglied des Ministeriums, weil ich meine Kollegen verraten wollte, wie der Herzog von Vittoria irrtümlich annimmt. Ich hielt aus denselben Beweggründen an meinem Posten fest, aus denen ich auf ihn reflektiert hatte: Ich blieb, um das Überfluten der Revolution zu verhindern." Nach einer sehr ungeschickten Verteidigung seines coup d'etat beendete O'Donnell seine Rede mit der Erklärung, daß er das Kabinett des Marschalls Narväez nicht unterstützen könnte, „seit es seine Absicht verkündet hatte, eine politische Linie zu befolgen, die sich nicht in Ubereinstimmung mit repräsentativer Regierungsweise befindet".
Aus dem Englischen.
Karl Marx [Das neue Gesetz über die Bank von Frankreich]
[„New-York Daily Tribüne" .Nr. 5045 vom 20. Juni 1857, Leitartikel] Das neue Gesetz über die Bank von Frankreich'2095 und der Rücktritt des Grafen d'Argout, des Gouverneurs der Bank, sind ziemlich bemerkenswerte Ereignisse in der Finanzgeschichte des gegenwärtigen Kaiserreichs. Von Louis-Philippe 1833 an die Spitze der französischen Bankokratie gestellt, zeichnete sich Herr d'Argout durch die Beharrlichkeit aus, mit der er 23 Jahre lang an seinem Amt festhielt, und durch die umsichtige Klugheit, mit der er die Stürme von 1848 und 1851 überstand. Die Revolution von 1848 war nicht nur gegen Louis-Philippe gerichtet, sondern noch mehr gegen die Hautefinance1, die ihren Mittelpunkt in der Bank von Frankreich hatte. Diese Institution und an ihrer Spitze diese unpopuläre Figur schienen daher naturgemäß die ersten Ziele für einen revolutionären Angriff zu sein. Graf d'Argout unterschätzte die unmittelbaren Aussichten des Augenblicks und hielt sich für stark genug, die Bourgeoisie durch eine künstliche Verschärfung der finanziellen Krise zu einer Gegenrevolution treiben zu können. Zu diesem Zweck unterband er plötzlich die Gewährung von Krediten, auf denen die kommerzielle Tätigkeit in Paris zu beruhen pflegte; doch die ungeheure Gefahr, die er auf diese Weise absichtlich heraufbeschworen, schlug, anstatt die provisorische Regierung zu erschüttern, auf die Bank selbst zurück. An Stelle der zuversichtlich erwarteten Gegenrevolution kam es zu einem ungewöhnlichen Ansturm auf die Bank. Wenn d'Argout die Kräfte des Volkes falsch eingeschätzt hatte, so beurteilte er schärfer die Möglichkeiten der Regierung. Nicht nur nötigte er sie, den Noten der Bank Zwangskurs zu geben und demütig unter den ungünstigsten Bedingungen eine Anleihe bei
1 Hochfinanz
eben demselben Unternehmen aufzunehmen, das gerade von ihr vor nicht wiedergutzumachendem Ruin bewahrt worden war, er benutzte auch die Gelegenheit, die Profitquellen der Bank zu vermehren, indem er ihr das Privileg verschaffte, Noten von niedrigerem Nennwert auszugeben, und ihr Monopol auszudehnen, indem er die Emissionsbanken in der Provinz vernichtete. Vor 1847 hatte die niedrigste Banknote, die durch die Bank von Frankreich ausgegeben wurde, einen Wert von 500 Francs; 1848 wurde sie ermächtigt, Noten im Wert von 200 und 100 Francs auszugeben. An die Stelle der Provinzbanken, die des bisher genossenen Privilegs, Noten auszugeben, beraubt waren, traten neue Zweigstellen der Bank von Frankreich. Infolge dieser Veränderungen erreichte ihr gesamter Geldumlauf, der Ende 1847 nur 48 000 000 Dollar betragen hatte, Ende 1855 die Summe von 122 445 000 Dollar; ihre Bruttogeschäfte, die 1847 noch nicht 375 000 000 Dollar umfaßt hatten, waren bereits 1855 auf 940 600 000 Dollar gestiegen, wovon 549 000 000 Dollar aus der Geschäftstätigkeit der Zweigstellen herrührten; und ihre Aktien, die vor der Revolution gewöhnlich zu etwa 2000 Francs notiert wurden, werden jetzt für 4500 Francs verkauft. Vor 1848 war die Bank von Frankreich eher eine Pariser als eine französische Institution. Die neuen Privilegien, die ihr von der Revolutionsregierung ververliehen wurden, verwandelten sie in ein privates Unternehmen ganz Frankreichs. So wurde das Monopol der Finanzaristokratie, das die Februarrevolution zu brechen suchte, dank der geschickten Geschäftsführung d'Argouts gerade vermittels dieser Revolution selbst erweitert, gestärkt und reorganisiert. Die zweite große Katastrophe, der d'Argout begegnen mußte, war der coup d'etat, dessen Erfolg in der Hauptsache davon abhing, daß gewaltsam die Schatzkammern der Bank, die seiner Obhut anvertraut waren, geöffnet wurden. Der geschmeidige Gouverneur drückte nicht nur bei Bonapartes Einbruchsdiebstahl ein Auge zu, er trug auch viel dazu bei, die Befürchtungen der kommerziellen Welt zu besänftigen, indem er in einem Augenblick auf seinem Posten ausharrte, als das Ausscheiden aller achtbaren oder achtbar sein wollenden Leute aus der Verwaltung ernsthaft drohte, den Usurpator zu kompromittieren. Als Belohnung für diese guten Dienste erklärte sich Bonaparte bereit, keinen Vorteil aus der Klausel in der letzten Neufassung der Banklizenz von 1840 zu ziehen, nach der die Satzungen 1855 hätten revidiert werden können. Wie sein Freund, der verstorbene Marschall Soult, bewies d'Argout niemals Treue gegenüber etwas anderem als Position und Gehalt. Daß sein Rücktritt als Gouverneur der Bank von Frankreich in diesem Augenblick erfolgt, kann nur mit demselben Grunde
erklärt werden, der nach volkstümlichem Glauben die Ratten veranlaßt, das sinkende Schiff zu verlassen. Die Geschichte des neuen Bankgesetzes kennzeichnete es als eines jener dunkelsten Geschäfte, die die Zeit des gegenwärtigen Kaiserreichs charakterisieren. Wahrend der Finanzkrise, die Ende 1856 in Europa ausbrach, wurde die Veränderung des bestehenden Bankgesetzes zuerst unter dem plausiblen Vorwand erörtert, daß die gewaltigen Transaktionen der Bank auf zu geringem Kapital basierten. Uber sechs Monate wurden in Gegenwart Napoleons III. Geheimkonferenzen zwischen den Vertretern der Bank einerseits und den Großfinanziers von Paris, den Ministern und dem Staatsrat andererseits durchgeführt. Doch wurde der jetzige Gesetzentwurf dem Corps legislatif[39] erst am Vorabend seiner endgültigen Auflösung vorgelegt. Bei den Vorbesprechungen in den bureaux[210] wurde er heftig angegriffen; der zur Prüfung des Gesetzentwurfes ernannte Ausschuß riß ihn buchstäblich in Fetzen, man drohte sogar, den Entwurf gänzlich abzulehnen. Doch Bonaparte kannte seine Kreaturen. Er gab ihnen durch einen Wink zu verstehen, daß der Entschluß der Regierung feststände, und daß sie sich entscheiden müßten, entweder das Gesetz anzunehmen oder bei den kommenden Wahlen aus ihren Pfründen entfernt zu werden. Um ihnen zu helfen, die letzten Reste ihres Schamgefühls loszuwerden, wurde die Erörterung des Gesetzes auf de n letzten A ucr Sitzungsperiode versoiou/en, Mit einigen unbedeutenden Veränderungen wurde es dann natürlich angenommen. Welch einen Charakter muß ein Gesetz haben, das so v.eler Winkelzüge bedurfte, um in einer Körperschaft, wie es das Corps legislatif ist, durchzukommen? In der Tat, selbst zur Zeit Louis-Philippes, als die Bank von Frankreich und die Rothschilds offenkundig das Recht hatten, gegen alle ihnen unbequemen Gesetzentwürfe ein Veto einzulegen, hätte kein Minister vorzuschlagen gewagt, daß sich ihnen der Staat völlig ergibt. Die Regierung verzichtet auf das Recht, das noch in der Lizenz von 1846 garantiert ist, das neue Bankgesetz vor dem Ablauf der Geltungsdauer zu ändern. Die Privilegien der Bank, die noch zehn Jahre in Kraft sind, werden großzügig auf einen weiteren Zeitraum von dreißig Jahren verlängert. Es wird der Bank gestattet, den Nennwert ihrer Banknoten auf 50 Francs zu senken; die Bedeutung dieser Klausel wird voll verständlich, wenn wir berücksichtigen, daß 1848 die Einführung von 200- und 10O-Francs-Noten die Bank in die Lage versetzte, etwa 30 000 000 Dollar in Gold und Silber durch ihr eigenes Papiergeld zu ersetzen. Von den enormen Gewinnen, die der Bank mit Sicherheit aus dieser Veränderung zufließen, ist nicht der geringste Anteil der Nation vorbehalten, die im Gegenteil der Bank den Kredit bezahlen muß, der der letzteren im
Namen Frankreichs erteilt worden ist. Das Privileg, Zweigbanken in den Departements, in denen noch keine bestehen, zu errichten, verleiht man der Bank von Frankreich nicht als Konzession der Regierung an die Bank, sondern im Gegenteil, als Konzession der Bank an die Regierung. Die Erlaubnis, ihrer Kundschaft mehr als die gesetzlichen 6 Prozent Zinsen zu berechnen, ist durch keine andere Verpflichtung eingeschränkt als die, daß die so erzielten Gewinne dem Kapital der Bank und nicht ihren Jahresdividenden zuzuschlagen sind. Die Herabsetzung des Zinssatzes auf ihrem Kontokorrent beim Schatzamt von vier auf drei Prozent wird mehr als wettgemacht durch den Wegfall jener Klausel im Gesetz von 1840, nach der die Bank bei einem Kontostand von weniger als 80 000 000 [frs.] überhaupt keine Zinsen verlangen durfte, wobei übrigens der durchschnittliche Stand dieser Konten 82 000 000 [frs.] betrug. Nicht weniger wichtig ist schließlich, daß die neuerdings emittierten 91 250 Aktien mit dem Nominalwert von 1000 Francs ausschließlich den Besitzern der 91 250 tatsächlich existierenden Aktien zugeschrieben werden; und während die Bankaktien an der Börse jetzt zum Kurs von 4500 Francs gehandelt werden, sollen diese neuen Aktien zum Kurs von 1100 Francs an die alten Aktionäre ausgegeben werden. Dieses Gesetz, das auf Kosten des Staates voll und ganz zum Vorteil der Bankokratie zugeschnitten ist, bietet den schlüssigsten Beweis für die Geldschwierigkeiten, in die sich die bonapartistische Regierung bereits getrieben sieht. Als Ausgleich für alle Konzessionen erhält diese Regierung die Summe von 20 000 000 Dollar, die die Bank in dreiprozentigen rentes1 anlegen muß, die zu diesem Zweck zu schaffen sind und deren Mindestpreis auf 75 Francs festgelegt ist. Die ganze Transaktion scheint stark die auf dem europäischen Kontinent verbreitete Vorstellung zu unterstützen, daß Bonaparte bereits eine beträchtliche Summe aus den Schatzkammern der Bank entnommen hat und nun ängstlich bemüht ist, seine betrügerischen Transaktionen in ein mehr oder weniger respektables Gewand zu kleiden.
Geschrieben am 2. Juni 1857. Aus dem Englischen.
1 Staatsrenten 15 Marx/Engels, Werke, Bd. 12
Karl Marx Der persische Vertrag
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5048 vom 24. Juni 1857] London, J2.Juni 1857 Als vor einiger Zeit an Lord Palmerston in seinem eigenen Unterhaus eine Anfrage bezüglich des persischen Krieges gerichtet wurde, antwortete er höhnisch: „Sobald der Frieden ratifiziert est, darf das Haus seine Meinung zum Krieg äußern." Nun ist dem Haus der in Paris am 4.März 1857 unterzeichnete und in Bagdad am 2.Mai 1857 ratifizierte Friedensvertrag vorgelegt worden. Er besteht aus fünfzehn Artikeln, von denen acht mit dem für Friedensverträge üblichen Ballast beladen sind. Artikel V legt fest, daß sich die persischen Truppen aus dem Territorium und aus der Stadt Herat sowie aus allen anderen Teilen Afghanistans innerhalb von drei Monaten nach dem Tage des Austauschs der Ratifizierungsurkunden des Vertrages zurückzuziehen haben. In Art. XIV verpflichtet sich die britische Regierung, sobald die obengenannte Bedingung erfüllt ist, „die britischen Truppen unverzüglich aus allen Häfen, Orten und Inseln, die zu Persien gehören, zurückzuziehen".12111 Dabei sollte mein jedoch daran denken, daß der persische Gesandte Ferukh Chan, noch bevor Buschir erobert worden war, in den langen Verhandlungen mit Lord Stratford de Redcliffe in Konstantinopel von sich aus vorgeschlagen hatte, die persischen Truppen aus Herat zurückzuziehen. Der einzige neue Vorteil, der England aus dieser Übereinkunft erwächst, beschränkt sich daher auf das Privileg, daß seine Truppen während der ungesundesten Jahreszeit an den verseuchtesten Ort des persischen Reiches gekettet sind. Die schrecklichen Verheerungen, welche die Sonne, die Sümpfe und die See in den Sommermonaten sogar unter der eingeborenen Bevölkerung Buschirs und Mohammerahs anrichten, sind von alten und modernen Schriftstellern beschrieben worden; doch warum auf sie verweisen, wenn erst vor wenigen Wochen ein sehr kompetenter Kenner und dazu noch PalmerstonAnhänger, Sir Henry Rawlinson, öffentlich erklärt hat, daß die englisch
indischen Truppen sicherlich den Schrecken des Klimas erliegen werden. Die Londoner „Times" lenkte sofort, als sie die Nachricht vom Sieg bei Mohammerah erhielt, die Aufmerksamkeit darauf, daß es trotz des Friedensvertrages notwendig sei, nach Schiras vorzurücken, um die Truppen zu retten. Auch die Selbstmorde, sowohl der des britischen Admirals als auch der des Generals, jener beiden, die an der Spitze der Expedition standen, waren auf ihre ernste Besorgnis um das mutmaßliche Schicksal der Truppen zurückzuführen, mit denen sie, laut Regierungsbefehl, nicht überMohammerah hinaus vorstoßen sollten. So kann man mit Sicherheit einer Wiederholung der Krimkatastrophe im kleineren Maßstab entgegensehen, einer Katastrophe, die diesmal weder durch die Erfordernisse des Krieges, noch durch grobe Fehler der Regierung hervorgerufen wird, sondern durch einen Vertrag, der mit dem Schwert des Siegers geschrieben wurde. In den obengenannten Artikeln des Vertrages kommt ein Satz vor, der, wenn es Palmerston paßt, zu „einem kleinen Zankapfel" werden kann. Laut Art. XIV sollen die „britischen Truppen aus allen Häfen, Orten und Inseln, die zu Persien gehören, zurückgezogen werden". Nun ist es aber eine Streitfrage, ob die Stadt Mohammerah zu Persien gehört oder nicht. Die Türken haben ihren Anspruch auf diesen Ort niemals widerrufen, der, im Delta des Euphrat gelegen, ihr einziger immer zugänglicher Hafen an diesem Fluß war, da der Hafen von Bassorah in bestimmten Jahreszeiten für Schiffe mit großer Tonnage zu seicht ist. Auf diese Weise kann Palmerston, wenn es ihm gefällt, Mohammerah unter dem Vorwand halten, daß es nicht zu Persien „gehört" und daß er auf die endgültige Regelung der Grenzfrage zwischen der Türkei und Persien wartet. Art. VI besagt, daß Persien einverstanden ist, „allen Ansprüchen auf die Oberhoheit über das Territorium und die Stadt Herat sowie über die Länder Afghanistans zu entsagen; sich jeglicher Einmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans zu enthalten"; die „Unabhängigkeit Herats und ganz Afghanistans anzuerkennen und für immer alle Versuche aufzugeben, die Unabhängigkeit dieser Staaten zu verletzen"; sich im Falle von Differenzen mit Herat und Afghanistan „zur Beilegung derselben der freundschaftlichen Vermittlung der britischen Regierung zu bedienen und nicht zu den Waffen zu greifen, es sei denn, daß diese freundschaftliche Vermittlung zu keinem Ergebnis führt". Die britische Regierung ihrerseits verpflichtet sich, „jederzeit ihren Einfluß auf die Staaten Afghanistans geltend zu machen, um jeglicher Ursache eines Argwohns, den sie erregen könnten, vorzubeugen" und „ihr bestes zu tun, um Differenzen in einer für Persien gerechten und ehrenvollen Weise zu schlichten".
Wenn man nun diesen Artikel seines Kanzleistils entkleidet, so bedeutet er weiter nichts als die Anerkennung der Unabhängigkeit Herats durch Persien, eine Konzession, zu der sich Ferukh Chan bei den Verhandlungen in Konstantinopel bereit erklärt hatte. Zwar ist die britische Regierung kraft dieses Artikels offiziell dazu bestimmt, sich in die Beziehungen zwischen Persien und Afghanistan einzumischen, aber diese Rolle hat sie seit Beginn des Jahrhunderts immer gespielt. Ob sie imstande sein wird, sie weiter zu spielen oder nicht, ist keine Frage des Rechts, sondern der Macht. Falls der Schah übrigens am Hofe von Teheran einen Hugo Grotius beherbergen sollte, so wird dieser ihn darauf aufmerksam machen, daß jede Vereinbarung, durch die ein unabhängiger Staat einer fremden Regierung das Recht erteilt, sich in seine internationalen Beziehungen einzumischen, nach dem jus gentium1 null und nichtig ist, und dies trifft besonders auf die Vereinbarung mit England zu, da sie Afghanistan, eine rein poetische Bezeichnung für verschiedene Stämme und Staaten, wie ein wirkliches Land behandelt. Das Land Afghanistan existiert im diplomatischen Sinne genau so wenig wie das Land Panslawien. Art. VII, der bestimmt, daß im Falle einer Verletzung der persischen Grenze durch die afghanischen Staaten „die persische Regierung das Recht haben soll, militärische Maßnahmen zur Niederwerfung und Bestrafung der Angreifer zu ergreifen", aber „daß sie sich auf ihr eigenes Territorium zurückziehen muß, sobald sie ihr Ziel erreicht hat", ist nur eine wörtliche Wiederholung jener Klausel des Vertrags von 1853, die den unmittelbaren Vorwand zur Buschir-Expedition bot. Gemäß Art. IX gestattet Persien die Einsetzung britischer Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularvertreter und akkreditiert sie, wobei diese die Privilegien der meistbegünstigten Nation genießen. Durch Art. XII jedoch gibt die britische Regierung „das Recht auf, künftig einen persischen Untertanen unter Schutz zu nehmen, der nicht tatsächlich im Dienst der britischen Mission oder der britischen Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularvertreter steht". Da Ferukh Chan der Errichtung britischer Konsulate in Persien schon vor Beginn des Krieges zugestimmt hatte, enthält der gegenwärtige Vertrag nur noch den Zusatz, daß England auf sein Recht verzichtet, persische Untertanen unter seine Schirmherrschaft zu stellen, ein Recht, das als einer der offiziellen Anlässe zum Krieg[81] gedient hatte. Österreich, Frankreich und
1 Völkerrecht
andere Staaten haben die Errichtung ihrer Konsulate in Persien durchgesetzt, ohne zu räuberischen Expeditionen Zuflucht zu nehmen. Schließlich nötigt der Vertrag dem Hof von Teheran die Wiederzulassung des Herrn Murray auf und schreibt ihm vor, sich bei diesem Gentleman dafür zu entschuldigen, daß er in einem Brief des Schahs an Sadir Azim1 als „dummer, ignoranter und verrückter Mensch", als „Einfaltspinsel" und als der Verfasser eines „groben, unsinnigen und ekelhaften Dokuments" bezeichnet wird. Die Entschuldigung bei Herrn Murray wurde seinerzeit von Ferukh Chan ebenfalls angeboten, aber damals von der britischen Regierung zurückgewiesen, die auf der Absetzung Sadir Azims bestand und den feierlichen Einzug des Herrn Murray in Teheran „unter den Klängen von Hörnern, Flöten, Harfen, Posaunen, Zimbeln, Zithern und ähnlicher Arten von Musik" forderte. Da Herr Murray, als er Generalkonsul in Ägypten war, persönliche Geschenke von Herrn Barrot entgegengenommen hatte, da er bei seiner ersten Ankunft in Buschir den Tabak, der ihm damals im Namen des Schahs geschenkt worden war, auf den Basar zum Verkauf geschickt und den fahrenden Ritter einer persischen Dame von zweifelhafter Tugend gespielt hatte, versäumte es Herr Murray, den Orientalen eine allzu hohe Meinung von britischer Lauterkeit oder Würde einzuflößen. Seine erzwungene Wiederzulassung zum persischen Hof muß daher als ein ziemlich fragwürdiger Erfolg angesehen werden. Im ganzen gesehen enthält der Vertrag außer den Angeboten, die Ferukh Chan vor Ausbruch des Krieges gemacht hat, Vereinbarungen, die nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben, geschweige denn die verausgabten Gelder und das vergossene Blut. Das eindeutige Ergebnis der persischen Expedition kann in folgendem zusammengefaßt werden: Haß, den Großbritannien sich in ganz Zentralasien zugezogen hat; die Unzufriedenheit Indiens, verstärkt durch die Entsendung indischer Truppen und die neuen, dem indischen Schatzamt auferlegten Lasten; die fast unvermeidliche Wiederkehr einer neuen Krimkatastrophe; die Anerkennung der offiziellen Vermittlung Bonapartes zwischen England und den asiatischen Staaten; und schließlich Rußlands Aneignung zweier Landstreifen von großer Bedeutung - des einen am Kaspischen Meer, des anderen an der nördlichen Küstengrenze Persiens.
Geschrieben am 12. Juni 1857. Aus dem Englischen.
1 den amtierenden persischen Premierminister
Karl Marx Der Aufstand in der indischen Armee11961
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5065 vom 15. Juli 1857, Leitartikel] Das römische divide et impera1 war die Grundregel, mit der Großbritannien es ungefähr hundertundfünfzig Jahre lang zuwege brachte, die Macht über sein indisches Reich aufrechtzuerhalten. Die Feindschaft unter den verschiedenen Völkerschaften, Stämmen, Kasten, Bekenntnissen und Herrschaftsgebieten, deren Gesamtheit jene geographische Einheit bildet, die man Indien nennt, blieb stets die Existenzgrundlage der britischen Herrschaft, In späterer Zeit haben die Bedingungen dieser Herrschaft allerdings eine Änderung erfahren. Mit der Eroberung von Sind und des Pandschab{212} hatte das englisch-indische Reich nicht nur seine natürlichen Grenzen erreicht, sondern es hatte auch die letzten Reste der unabhängigen indischen Staaten niedergetreten. Alle kriegerischen einheimischen Stämme waren unterworfen, alle ernsthaften inneren Konflikte waren beendet, und die kürzliche Einverleibung Audhst213] hat zur Genüge bewiesen, daß die Überbleibsel der sogenannten unabhängigen indischen Fürstentümer nur geduldet existieren. Hieraus ergab sich eine große Veränderung in der Position der Ostindischen Kompanie. Sie griff jetzt nicht mehr einen Teil Indiens mit Hilfe eines anderen Teils an, sondern stand an der Spitze des Landes, und ganz Indien lag zu ihren Füßen. Nicht länger erobernd, war sie der Eroberer geworden. Die ihr zur Verfügung stehenden Armeen sollten nicht mehr ihren Herrschaftsbereich ausdehnen, sondern nur behaupten. Aus Soldaten waren sie zu Polizisten geworden; 200000000 Eingeborene werden von einer Eingeborenenarmee von 200 000 Mann, deren Offiziere Engländer sind, gezügelt, während diese Eingeborenenarmee ihrerseits von einer englischen Armee in Schach gehalten wird, die nur 40 000 Mann zählt. Auf den ersten Blick ist zu erkennen, daß der Gehorsam
1 teile und herrsehe
des indischen Volkes auf der Treue der Eingeborenenarmee beruht, mit deren Aufstellung die britischen Machthaber gleichzeitig das erste allgemeine Widerstandszentrum schufen, ein Zentrum, wie es das indische Volk nie zuvor besessen hatte. Wie weit man sich auf diese Eingeborenenarmee verlassen kann, das beweisen ganz deutlich ihre kürzlichen Meutereien, die unmittelbar dann ausbrachen, als der Krieg gegen Persien die Präsidentschaft12141 Bengalen fast völlig aller europäischen Soldaten entblößt hatte. Meutereien in der indischen Armee hatte es auch Vorher gegeben, doch diese Revolte12151 ist durch eigentümliche und verhängnisvolle Züge gekennzeichnet. Es ist das erste Mal, daß Sepoy-Regimenter ihre europäischen Offiziere umbrachten, daß Mohammedaner und Hindus ihre gegenseitigen Antipathien aufgaben und sich gegen ihre gemeinsamen Herren zusammenschlössen, daß „Unruhen, die bei den Hindus ausbrachen, tatsächlich damit endeten, daß in Delhi ein mohammedanischer Kaiser auf den Thron gesetzt wurde", daß die Meuterei nicht auf wenige Gebiete beschränkt blieb und daß zuguter letzt die Revolte in der englisch-indischen Armee zu einer Zeit ausbrach, als die großen asiatischen Völker von einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der englischen Herrschaft erfaßt waren, denn der Aufstand der bengalischen Armee stand ohne Zweifel in engem Zusammenhang mit dem Krieg in Persien und China. Der Grund für die Unzufriedenheit, die sich vor vier Monaten in der bengalischen Armee auszubreiten begann, soll die Befürchtung der Eingeborenen sein, daß sich die Regierung in ihre Religion einmischen wolle. Die Ausgabe von Patronen, deren Papphülsen, wie es hieß, mit Rindertalg und Schweinefett bestrichen waren, weshalb das obligatorische Einbeißen der Hülsen1-2161 von den Eingeborenen als Verletzung ihrer religiösen Gebräuche angesehen wurde, gab das Signal zu den örtlichen Unruhen. Am 22. Januar brach infolge Brandstiftung ein Feuer in den Kantonnements unweit von Kalkutta aus. Am 25. Februar meuterte das 19.Eingeborenenregiment in Berhampur, wo die Soldaten die an sie ausgeteilten Patronen zurückwiesen. Am 31 .März wurde dieses Regiment aufgelöst; Ende März ließ das inBarrackpur stationierte 34. Sepoy-Regiment zu, daß einer seiner Soldaten sich mit geladener Muskete auf dem Exerzierplatz vor der Front aufstellte, und, nachdem er seine Kameraden zur Meuterei aufgerufen hatte, wurde er nicht daran gehindert, den Adjutanten und den Feldwebel seines Regiments anzugreifen und zu verwunden. Während des Handgemenges, das nun folgte, sahen Hunderte von Sepoys untätig zu, während andere an dem Kampf teilnahmen und die Offiziere mit ihren Gewehrkolben angriffen. Darauf wurde dieses Regiment ebenfalls aufgelöst. Der Monat April war durch Brandstiftungen in mehreren Kantonnements der bengalischen Armee bei Allaha
bad, Agra, Ambala, durch eine Meuterei des 3. leichten Kavallerieregiments in Mirat und durch ähnliche Ausbrüche der Unzufriedenheit in den Armeen von Madras und Bombay gekennzeichnet. Anfang Mai bereitete sich eine Erneute in Lakhnau, der Hauptstadt von Audh, vor, die jedoch durch das schnelle Eingreifen von Sir H.Lawrence verhindert wurde. Am 9.Mai wurden die Meuterer des 3. leichten Kavallerieregiments von Mirat abgeführt, um die verschieden langen Gefängnisstrafen anzutreten, zu denen sie verurteilt worden waren. Am Abend des folgenden Tages versammelten sich die Soldaten des 3. Kavallerieregiments zusammen mit den zwei Eingeborenenregimentern, dem 11. und dem 20., auf dem Exerzierplatz, töteten die Offiziere, die sich bemühten, sie zu beruhigen, setzten die Kantonnements in Brand und erschlugen alle Engländer, deren sie habhaft werden konnten. Obgleich die britischen Einheiten der Brigade ein Infanterie- und ein Kavallerieregiment und eine überlegene Abteilung reitender und Fußartillerie zusammenbrachten, war es den Engländern nicht möglich, sich vor Einbruch der Dunkelheit in Marsch zu setzen. Sie fügten den Meuterern nur wenig Schaden zu und ließen sie ins offene Feld entkommen und das etwa vierzig Meilen von Mirat entfernte Delhi besetzen. Dort stieß die Eingeborenengarnison zu ihnen, die aus dem 38., 54. und dem 74. Infanterieregiment und einer Kompanie der Eingeborenenartillerie bestand. Die britischen Offiziere wurden angegriffen, alle Engländer, die den Rebellen in die Hände fielen, ermordet und der Erbe des verstorbenen Moguls von Delhi[217] zum König von Indien ausgerufen. Von den Truppen, die man zur Unterstützung nach Mirat sandte, wo die Ordnung wiederhergestellt worden war, ermordeten die am 15. Mai dort eingetroffenen sechs Kompanien eingeborener Sappeure und Minierer ihren Kommandeur, Major Frazer, und verließen sofort die Stadt, von Abteilungen der reitenden Artillerie und mehreren Abteilungen des 6. Dragoner-Garderegiments verfolgt. Fünfzig oder sechzig Meuterer wurden erschossen, den übrigen gelang es jedoch, nach Delhi zu entkommen. In Firospur im Pandschab meuterten das 57. und 45. Regiment der Eingeboreneninfanterie, die Meuterei wurde jedoch niedergeschlagen. Private Briefe aus Lahor berichten, daß sich alle Eingeborenentruppen in offenem Aufruhr befinden. Am 19. Mai unternahmen die in Kalkutta stationierten Sepoys den erfolglosen Versuch, Fort William[21S] in ihren Besitz zu bringen. Drei aus Buschir in Bombay eingetroffene Regimenter wurden unverzüglich nach Kalkutta in Marsch gesetzt. Wenn man sich diese Ereignisse vor Augen hält, ist man bestürzt über das Verhalten des britischen Befehlshabers in Mirat: sein spätes Eintreffen auf dem Schlachtfeld ist noch nicht einmal so unbegreiflich wie die lässige
Art und Weise, in der er die Meuterer verfolgte. Da Delhi auf dem rechten und Mirat auf dem linken Ufer des Dschamna liegt - und die beiden Ufer bei Delhi nur durch eine einzige Brücke verbunden sind -, wäre nichts leichter gewesen, als den Fliehenden den Rückzug abzuschneiden. Unterdessen ist in allen Bezirken, die vom Aufruhr erfaßt sind, das Kriegsrecht verkündet worden; Truppenverbände, die hauptsächlich aus Eingeborenen bestehen,rücken konzentrisch vom Norden, Osten und Süden gegen Delhi vor; die benachbarten Fürsten sollen sich für die Engländer erklärt haben; Briefe sind nach Ceylon geschickt worden, um die auf dem Wege nach China befindlichen Truppen unter Lord Elgin und General Ashburnham aufzuhalten; und schließlich sollen in etwa vierzehn Tagen 14 000 britische Soldaten von England nach Indien entsandt werden. Welche Hindernisse das Klima Indiens zu dieser Jahreszeit und der völlige Mangel an Transportmitteln den Bewegungen der britischen Truppen auch immer entgegenstellen mögen, die Rebellen zu Delhi werden sehr wahrscheinlich ohne längeren Widerstand unterliegen. Doch selbst dann ist dies nur der Prolog zu einer höchst furchtbaren Tragödie, die sich noch abspielen, wird.
Geschrieben am 30. Juni 1857. Aus dem Englischen.
Kafl Marx Die Lage in Europa[2191 [Die Finanzlage Frankreichs]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 5075 vom 27. Juli 1857, Leitartikel] Die einschläfernde Trägheit, die seit der Beendigung des Orientalischen Krieges1 die Physiognomie Europas bestimmt hatte, weicht jetzt sehr schnell einem lebhaften und sogar fieberhaften Aussehen. Da ist Großbritannien mit seiner sich in der Perspektive abzeichnenden Reformbewegung und seinen Schwierigkeiten in Indien. Die Londoner „Times" erzählt zwar der Welt, daß außer denen, die Freunde in Indien haben, „die britische Öffentlichkeit im ganzen die Ankunft der nächsten Nachrichten aus Indien mit ebenso viel Interesse erwartet, wie wir einen überfälligen Dampfer aus Australien oder das Resultat eines Aufstands in Madrid erwarten würden". Am selben Tag jedoch läßt dieselbe „Times" in ihrem Finanzartikel die Maske stolzer Gleichgültigkeit fallen und verrät die wirklichen Gefühle John Bulls in folgender Weise: „Eine anhaltende Depression auf dem Aktienmarkt, wie die jetzt herrschende, ist angesichts der ununterbrochenen Zunahme der Edelmetallvorräte in den Banken und der Aussicht auf eine gute Ernte fast ohne Beispiel. Die Beunruhigung hinsichtlich Indiens überschattet alle anderen Betrachtungen, und wenn morgen irgendeine ernste Nachricht eintreffen sollte, würde sie höchstwahrscheinlich eine Panik hervorrufen." Über den Ablauf der Ereignisse in Indien zu spekulieren, würde gerade jetzt nutzlos sein, wo man mit jeder Post authentische Nachrichten erwarten kann. Es ist aber offensichtlich, daß im Falle eines ernsthaften revolutionären Ausbruchs auf dem europäischen Kontinent England sich unfähig erweisen würde, die hochmütige Position wiedereinzunehmen, die es 1848 und 1849
1 Krimkrieges
innehatte, da es durch den Krieg in China und die Revolten in Indien von seinen Soldaten und Schiffen entblößt ist. Andererseits kann England es sich nicht leisten, abseits zu bleiben, weil der Orientalische Krieg und das Bündnis mit Napoleon es jüngst an die kontinentale Politik geschmiedet haben, und das zur selben Zeit, da der völlige Zerfall seiner traditionellen politischen Parteien und der wachsende Antagonismus zwischen den Klassen des Landes, die ihm den Reichtum einbringen, sein soziales Gefüge mehr denn je krampfartigen Störungen aussetzen. Als 1848/1849 seine Macht wie ein Alpdruck auf der europäischen Revolution lastete, hatte England zuerst ein wenig Angst vor dieser Revolution, dann vertrieb es sich durch ihren Anblick seine angeborene Langeweile, dann verriet es sie ein wenig, dann kokettierte es ein wenig mit ihr, und schließlich machte es sich ernsthaft daran, Geld aus ihr zu schlagen. Man kann sogar sagen, daß sein industrielles Wohlergehen, das durch die Handelskrise von 1846/1847 recht derb angeschlagen worden war, bis zu einem gewissen Grade mit Hilfe der Revolution von 1848 wiederhergestellt wurde. Indessen wird die Revolution auf dem Kontinent für England weder ein Schauspiel sein, an dem es sich ergötzt, noch ein Unglück, mit dem es spekuliert, sondern eine ernsthafte Prüfung, die es bestehen muß. Wenn wir den Ärmelkanal überqueren, sehen wir, daß die Oberfläche der Gesellschaft unter der Wirkung der unterirdischen Brände bebt und schwankt. Die Pariser Wahlen sind sogar weniger die Vorboten als der wirkliche Beginn einer neuen Revolution. Es entspricht völlig der historischen Vergangenheit Frankreichs, daß Cavaignac der Opposition gegen Napoleon Banner und Namen leihen mußte, so wie Odilon Barrot seinerzeit den Angriff gegen Louis-Philippe eingeleitet hatte. Wie Odilon Barrot ist auch Cavaignac in den Augen des Volkes nur ein Vorwand, wenn auch beide für die Bourgeoisie ernsthafte Begriffe sind. Der Name, unter dem eine Revolution begonnen wird, ist niemals der, den das Banner am Tage des Triumphs trägt. Um überhaupt Aussichten auf Erfolg zu haben, müssen revolutionäre Bewegungen in der modernen Gesellschaft anfangs ihre Fahne von jenen Elementen des Volks ausleihen, die, obwohl in Opposition gegen die bestehende Regierung, sich völlig in Harmonie mit der bestehenden Gesellschaftsordnung befinden. Mit einem Wort, Revolutionen müssen ihre Eintrittskarten zur offiziellen Bühne von den herrschenden Klassen selbst empfangen. Die Pariser Wahlen, die Pariser Verhaftungen und die Pariser Verfolgungen können in ihrem wahren Licht nur dann beurteilt werden, wenn man den Zustand der Pariser Börse berücksichtigt, deren heftige Bewegungen der Wahlagitation vorausgingen und sie auch überdauerten. Sogar während der letzten drei Monate des Jahres 1856, als ganz Europa in den Wehen einer
Finanzkrise lag, erlebte die Pariser Börse keine so gewaltige und anhaltende Entwertung aller Wertpapiere, wie dies während des ganzen vergangenen Juni und Anfang Juli der Fall war. Außerdem spielte sich der Vorgang jetzt nicht in sprunghaftem Fallen und Steigen ab, sondern alles fiel in einer ganz methodischen Weise und entsprach den üblichen h aügesetzen erst in den letzten jähen Stürzen. Die Aktien des Credit mobilier[32], die Anfang Juni auf etwa 1300 frs. standen, waren am 26. auf 1162 frs., am 3. Juli auf 1095 frs., am 4. auf 975 frs. und am 7. auf 890 frs. gesunken. Die Aktien der Bank von Frankreich, die Anfang Juni mit über 4000 frs. notiert wurden, waren trotz der neuen Monopolrechte und Privilegien, die der Bank verliehen worden waren, am 26. Juni auf 3065 frs. und am 3. Juli auf 2890 frs. gefallen, und am 9. Juli brachten sie nicht mehr als 2900 frs. Die dreiprozentigen Renten, die Aktien der Haupt-Eisenbahnen, wie der Nord-, Lyon- und der Mittelmeerbahn, der Linien der Grande Fusion, und die Aktien aller anderen Aktiengesellschaften haben in entsprechendem Verhältnis an dieser langen Abwärtsbewegung teilgenommen. Das neue Bankgesetz1, das die verzweifelte Situation der bonapartistischen Staatskasse offenbart, hat zugleich das Vertrauen der öffentlichkeit in die Bankverwaltung selbst erschüttert. Während der letzte Bericht des Credit mobilier die innere Hohlheit dieser Institution und die große Ausdehnung der mit ihr verknüpften Interessen enthüllte, informierte er auch die öffentlichkeit darüber, daß sich zwischen ihren Direktoren und dem Kaiser ein Kampf abspielte und daß man einen finanziellen coup d'etat erwog. Um seinen drückendsten Verpflichtungen nachzukommen, hat sich der Credit mobilier tatsächlich genötigt gesehen, etwa zwanzig Millionen an Wertpapieren aus seinem Portefeuille auf den Markt zu werfen. Zur gleichen Zeit mußten die Eisenbahnen und andere Aktiengesellschaften, um ihre Dividenden zahlen zu können und um die Mittel für die Fortsetzung oder den Beginn der übernommenen Arbeiten zu bekommen, ebenfalls Wertpapiere verkaufen, neue Einzahlungen auf ihre alten Aktien fordern oder durch Herausgabe neuer Aktien Kapital beschaffen. Daher die langandauernde Depression auf dem französischen Aktienmarkt, die weit davon entfernt ist, das Ergebnis rein zufälliger Umstände zu sein, und die bei jedem folgenden Abrechnungstermin in verschlimmerter Form wiederkehren wird. Die alarmierenden Symptome der gegenwärtigen Krankheit können aus der Tatsache abgeleitet werden, daß Emile Pereire, der große finanzielle Wunderdoktor des Zweiten Kaiserreichs, auf den Plan getreten ist und Louis
* Siehe vorl. Band, S. 222-225
Napoleon einen Bericht vorgelegt hat, in dem er als Motto die Worte anführt, die jener 1850 in einer Adresse an den Generalrat für Landwirtschaft und Handel aussprach: „Vertrauenswilligkeit, vergessen wir das nie, ist die moralische Seite der materiellen Interessen - der Geist, der den Körper beseelt -; sie erhöht durch Vertrauen den Wert aller Erzeugnisse um das Zehnfache." Herr Pereire fährt dann in einer unseren Lesern schon vertrauten Weise fort, das Absinken der Wertpapiere des Landes um 980 000 000 frs. innerhalb der letzten fünf Monate zu erklären. Er schließt seine Klagelieder mit den fatalen Worten: „Das Budget der Furcht gleicht nahezu dem Budget Frankreichs." Wenn Frankreich, wie Herr Pereire behauptet, außer den 200 000 000 Dollar, die es in Form von Steuern zur Stützung des Kaiserreichs zahlen muß, noch einmal so viel bezahlen muß aus Angst, es zu verlieren, dann sind die Tage dieser kostspieligen Institution, die seinerzeit unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt akzeptiert wurde, Geld zu sparen, in der Tat gezählt. Wenn die finanziellen Störungen des Kaiserreichs seine politischen Schwierigkeiten heraufbeschworen haben, so werden die letzteren ihrerseits gewiß auf die ersteren zurückwirken. Eben dieser Zustand des französischen Kaiserreichs ist es, der den kürzlichen Ausbrüchen in Spanien und Italien12201 wie auch den schwebenden skandinavischen Verwicklungen ihre wahre Bedeutung verleiht.
Geschrieben am 10. Juli 1857. Aus dem Englischen.

Comentarios

Entradas populares