KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 16

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE • BAND 16
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
0
DIETZ VERLAG BERLIN
1962
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 16
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DIETZ VERLAG BERLIN 1962
Die deutsche Ausgabe fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten Ausgabe in russischer Sprache
Vorwort
Der sechzehnte Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält die Arbeiten, die von September 1864 bis Juli 1870, von der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (L Internationale) bis zum Beginn des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 geschrieben wurden. Im Zusammenhang mit dem Wiederaufleben bürgerlich-demokratischer Bewegungen in den sechziger Jahren, der Verstärkung des nationalen Befreiungskampfes der unterdrückten Völker, dem politischen Erwachen der Arbeiterklasse und dem Heranreifen eines revolutionären Aufschwungs in einer Reihe europäischer Länder entwickelten die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus eine äußerst breite theoretische und praktische revolutionäre Tätigkeit, um das internationale Proletariat auf neue Klassenschlachten vorzubereiten. Die gewaltige Arbeit zur Vollendung des ersten Bandes des ökonomischen Hauptwerkes des wissenschaftlichen Kommunismus, des „Kapitals", verband Marx in dieser Zeit mit unermüdlicher, rastloser Tätigkeit bei der Leitung der Internationalen Arbeiterassoziation, die, wie Engels einmal schrieb, die Krönung seiner gesamten parteipolitischen Tätigkeit war. Die theoretische Arbeit Engels', der an dem Wirken der Internationale lebhaften Anteil nahm und Marx ständig bei der Leitung dieser internationalen Organisation des Proletariats half, hatte eine Reihe aktueller historischer und militärischer Probleme sowie die nationale und die Bauernfrage zum Gegenstand. Seit 1869 widmete sich Engels besonders dem Studium der Geschichte Irlands, um die internationalistische Haltung des Proletariats in der irischen Frage, die zu dieser Zeit eine besondere Zuspitzung erfuhr und große politische Bedeutung gewann, wissenschaftlich zu begründen. Marx' und Engels' Tätigkeit in diesen Jahren ist ein hervorragendes Beispiel der für den wissenschaftlichen Kommunismus charakteristischen
Verbindung der revolutionären Theorie mit der revolutionären Politik und der Praxis des Klassenkampfes. Die vielseitige wissenschaftliche und politische Tätigkeit von Marx und Engels spiegelt sich in den Arbeiten wider, die in den vorliegenden Band aufgenommen wurden. Der größte Teil davon ist eng mit ihrem ^X^irken in der Internationale verknüpft, mit ihrem Kampf um eine proletarische Partei. Mehrere der in diesem Bande veröffentlichten Materialien sind Marx' Hauptwerk, dem „Kapital", gewidmet. Nach dem Erscheinen des Werks „Zur Kritik der Politischen Oekonomie" im Jahre 1859 setzte Marx mit einigen Unterbrechungen seine ökonomischen Untersuchungen fort. Das umfangreiche Manuskript aus den Jahren 1861 bis 1863 ist ein erster systematischer, wenn auch noch konzeptartiger und unvollendeter Entwurf aller Teile des von Marx geplanten Werks. Im weiteren Verlauf der Arbeit zog Marx mit der ihm eigenen außerordentlichen wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit immer neues Material heran, präzisierte Plan und Aufbau der Arbeit, schrieb neue Kapitel und arbeitete schon fertige mehrmals um. In den Jahren 1863 bis 1865 erarbeitete Marx eine neue Manuskriptfassung der drei Bände des „Kapitals". Als Marx im Januar 1866 daranging, den ersten Band endgültig zum Druck vorzubereiten, begann er, wie er Engels schrieb, „das Kind nach soviel Geburtswehn glattzulecken". Die Arbeit am „Kapital" erforderte von Marx eine gewaltige Anspannung der Kräfte, zumal er daneben viel Zeit der Internationalen Arbeiterassoziation widmete und schwere materielle Not und Krankheiten zu überwinden hatte. Im April 1867 brachte Marx das fertige Manuskript des ersten Bandes zu dem Verleger nach Hamburg. Am 16. August 1867 beendete Marx die Korrektur des letzten Bogens. Die Veröffentlichung des ersten Bandes des „Kapitals" war von größter historischer Bedeutung für den Befreiungskampf des Proletariats, für die Entwicklung seiner revolutionären Theorie - des wissenschaftlichen Kommunismus. „Solange es Kapitalisten und Arbeiter" in der Welt gibt", schrieb Engels, „ist kein Buch erschienen, welches für die Arbeiter von solcher Wichtigkeit wäre wie das vorliegende." (Siehe vorl. Band, S.235.) Die ökonomische Lehre von Marx, deren Grundlage in Werken wie „Das Elend der Philosophie", „Lohnarbeit und Kapital", „Manifest der Kommunistischen Partei" und „Zur Kritik der Politischen Oekonomie" gelegt wurde, erhielt im „Kapital" ihren entwickeltsten, geschlossensten und klassischsten Ausdruck.
Die von Marx geschaffene ökonomische Lehre bewirkte einen grundlegenden Umschwung, eine wahre Revolution in der politischen Ökonomie. Nur ein Ideologe des Proletariats - einer Klasse, die frei ist von der Beschränktheit und den eigennützigen Vorurteilen der Ausbeuterklassen konnte die Gesetze der kapitalistischen Gesellschaft erforschen und den wissenschaftlichen Nachweis für die Unvermeidbarkeit ihres Untergangs sowie des Triumphs einer höheren Gesellschaftsordnung, des Kommunismus, erbringen. Im „Kapital" erhielt der wissenschaftliche Kommunismus seine tiefste und allseitige Begründung. Dieses unsterbliche Werk bedeutete einen gewaltigen Schritt in der Weiterentwicklung aller Bestandteile des Marxismus - der politischen Ökonomie, der Philosophie, der Lehre von der sozialistischen Revolution und von der Diktatur des Proletariats. Das „Kapital" wurde zu einer mächtigen und unbesiegbaren theoretischen Waffe des Proletariats im Kampf gegen die kapitalistische Sklaverei. An den ersten Band des „Kapitals" von Marx knüpft eine Reihe von Arbeiten der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus an, die in den vorliegenden Band aufgenommen wurden: „Lohn, Preis und Profit" von Marx, der von Engels angefertigte „Konspekt über ,Das Kapital' von Karl Marx, Erster Band", die Rezensionen, welche Engels nach dem Erscheinen des „Kapitals" schrieb u.a. Marx' „Lohn, Preis und Profit" zählt zu den wichtigsten Werken der marxistischen politischen Ökonomie. Hierin legte Marx zwei Jähre vor dem Erscheinen des ersten Bandes des „Kapitals" in gedrängter und populärer Form die Grundlagen seiner ökonomischen Lehre dar. Gleichzeitig ist diese Arbeit ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Schlußfolgerungen der revolutionären Theorie zur Bestimmung der praktischen Aufgaben der Arbeiterbewegung genutzt werden. Diese Arbeit, ein Vortrag, den Marx im Zentralrat der Internationale hielt, richtete sich unmittelbar gegen die fehlerhaften Anschauungen Westons, eines Mitglieds der Internationale, versetzte aber gleichzeitig auch den Proudhonisten einen Schlag und ebenfalls den Lassalleanern, die im Geiste des Lassalleschen Dogmas vom „ehernen Lohngesetz" dem ökonomischen Kampf der Arbeiter und den Gewerkschaften ablehnend gegenüberstanden. Marx wendet sich in seinem Vortrag entschieden gegen diese reaktionäre Propaganda der Passivität und Unterwerfung der Proletarier unter das Kapital. Nachdem Marx das ökonomische Wesen des Arbeitslohns und des Mehrwerts enthüllt hat, beweist er, daß das Kapital nach maximalem Profit dürstet und daß die Arbeiter, wenn sie auf ihren Widerstand gegen die Gewalttaten des Kapitals verzichten, „zu einer Unterschieds-.
losen Masse ruinierter armer Teufel" degradiert werden, „denen keine Erlösung mehr hilft" (siehe vorl. Band, S. 151). Ausgehend von seiner ökonomischen Lehre begründet Marx in dieser Arbeit theoretisch die Rolle und Bedeutung des ökonomischen Kampfes der Arbeiter und betont, daß dieser Kampf dem Endziel des Proletariats - der Vernichtung des Systems der Lohnarbeit - untergeordnet werden muß. „Lohn, Preis und Profit" hat große Bedeutung für das richtige Verständnis der Marxschen Theorie der Verelendung des Proletariats. Marx beweist hierin, daß es die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise ist, den Lohn zu senken, den Preis der Arbeitskraft bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken, d.h. bis zu dem Wert der Existenzmittel, die für den Arbeiter und seine Familie zum Leben absolut unentbehrlich sind. Diese Tendenz ist jedoch keineswegs schicksalhaft und unaufhörlich, sie stößt auf den Widerstand und die entschiedenen Abwehraktionen der Arbeiter. je nach den verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen, je nach den verschiedenen Phasen des industriellen Zyklus tritt in den verschiedenen Ländern diese Tendenz stärker oder schwächer zutage. Im Band werden mehrere Rezensionen veröffentlicht, die Engels für die demokratische, bürgerliche und proletarische Presse anläßlich des Erscheinens des ersten Bandes des „Kapitals" schrieb, um dem Totschweigen dieses genialen Werkes durch die bürgerliche Wissenschaft und Presse ein Ende zu setzen und um das „Kapital" unter den Massen zu popularisieren. In den für die bürgerliche Presse anonym geschriebenen Rezensionen kritisiert Engels das Buch scheinbar ..vom bürgerlichen Standpunkt", um durch dieses „Kriegsmittel", wie Marx es nannte, die bürgerlichen Ökonomen zu zwingen, sich über das Buch zu äußern. Der von Engels angefertigte „Konspekt über ,Das Kapital' von Karl Marx, Erster Band" schließt mit dem dreizehnten Kapitel „Maschinerie und große Industrie" (nach der ersten Ausgabe mit dem 4. Abschnitt des vierten Kapitels). Er hilft, die schwierigsten Probleme des „Kapitals", besonders die Wert- und die Mehrwerttheorie, zu verstehen. In dem Artikel „Plagiarismus" entlarvt Marx die lassalleanischen Vulgarisatoren seiner ökonomischen Lehre, die dem „Kapital" einzelne Stellen fast wörtlich entlehnten, sie überdies noch entstellten und den Namen des Autors nicht nannten. Marx' Artikel „Mein Plagiat an F. Bastiat" setzt sich mit den - später noch oft wiederholten - Versuchen bürgerlicher Wissenschaftler auseinander, bestimmte Leitsätze des „Kapitals" Vorgängern oder Zeitgenossen
von Marx zuzuschreiben, um damit die weltgeschichtliche Bedeutung dieses Werkes herabzusetzen. Den Hauptinhalt des sechzehnten Bandes bilden Artikel und Dokumente von Marx und Engels, die ihre Tätigkeit in der Internationale widerspiegeln. Aus der historischen Situation, die um die Mitte der sechziger Jahre heranreifte, ergaben sich günstige Voraussetzungen zur Verwirklichung der großen Idee der Einheit und kämpferischen Solidarität des internationalen Proletariats, die Marx und Engels unermüdlich propagierten. Die Weltwirtschaftskrise der Jahre 1857/1858 und die ihr folgenden Streikkämpife in verschiedenen Ländern Europas führten den Arbeitern deutlich die Notwendigkeit brüderlicher Solidarität der verschiedenen nationalen Abteilungen des internationalen Proletariats im Kampf gegen das Kapital vor Augen. Mit dem Anwachsen der ökonomischen Kämpfe wuchs auch die politische Aktivität des Proletariats. Der neue Aufschwung der bürgerlich-demokratischen Bewegungen in Deutschland und Italien; das Heranreifen der Krise des Zweiten Kaiserreichs in Frankreich; der-selbstlose Kampf der englischen Arbeiter gegen die Pläne der herrschenden Klassen Englands, eine Intervention in die USA zur Unterstützung der sklavenhaltenden Südstaaten zu organisieren; der Kampf in England für eine Wahlrechtsreform; der polnische Aufstand von 1863/64, der im europäischen Proletariat die vollsten Sympathien fand - all das förderte die Einbeziehung der breiten Arbeitermassen in den politischen Kampf und verstärkte den Drang nach koordinierten Aktionen der Proletarier der verschiedenen Länder. Der Erfolg der Internationalen Arbeiterassoziation lag nicht allein in der damaligen historischen Situation begründet, sondern vor allem darin, daß Karl Marx an der Spitze dieser Organisation stand. Unter allen Beteiligten an der internationalen Arbeiterversammlung in St. Martin's Hall in London vom 28. September 1864, die den Grundstein der Internationale legte, war Marx der einzige, „der sich klar war über das, was zu geschehen hatte und was zu gründen war, das war der Mann, der schon 1848 den Ruf in die Welt geschleudert: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" (Engels.) Marx war der eigentliche Organisator, der Führer und die Seele der Internationale. Er verfaßte ihre programmatischen Dokumente und eine große Anzahl von Aufrufen, Erklärungen, Resolutionen, Berichten und anderen Dokumenten, die die wichtigsten Marksteine der ruhmvollen Geschichte der Internationale darstellen. Marx war faktisch das Haupt des Generalrats,
des führenden Organs der Internationale und des Kampfstabs der internationalen Arbeiterbewegung. Gestützt auf Engels' Hilfe, lenkte Marx persönlich und - wenn es ihm nicht möglich war, selbst teilzunehmen - durch seine Kampfgenossen die Tätigkeit der Konferenzen und Kongresse der Internationalen Arbeiterassoziation verfaßte die wie lösten Beschlüsse der Kongresse und führte den Kampf um den Sieg der ideologischen und orgaix.: : • - JL.*.- •_• D mSai m ISCIICII i niiiLipicii uca icvüiuiiüiitucii JL luicicuiais in uci iincinationale. Bei der Gründung der Internationale mußte Marx die verschiedenen Kampfbedingungen des Proletariats, die ungleichen Entwicklungsstufen und das unterschiedliche theoretische Niveau der Arbeiterbewegung in den verschiedenen Ländern berücksichtigen. Er sah die vorrangige Aufgabe der Internationale darin, durch die Vereinigung der verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung in einen einzigen großen Strom die Lösung des Proletariats von der kleinbürgerlichen Demokratie, die Bildung wirklich selbständiger Arbeiterorganisationen und die Schaffung der Aktionsgemeinschaft der verschiedenen Abteilungen des internationalen Proletariats voranzutreiben. Marx errichtete die Internationale auf der breiten Grundlage der verschiedenartigen Arbeiterorganisationen jener Zeit und verfolgte das Ziel, gestützt auf die praktischen Erfahrungen der Arbeitermassen, diese zur Erkenntnis ihrer revolutionären Aufgaben zu bringen, sie Schritt für Schritt zu einem einheitlichen theoretischen Programm zu führen und auf diese Weise den Sozialismus mit der Arbeiterbewegung zu vereinigen. Diese biegsame und konsequent revolutionäre Taktik von Marx zeigte sich schon sehr deutlich, als er die ersten programmatischen Dokumente der Internationale ausarbeitete. In einem Brief an Engels vom 4. November 1864, worin Marx die Schwierigkeiten schilderte, auf die er beim Verfassen der Inauguraladresse und der Provisorischen Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation stieß, schrieb er: „Es war sehr schwierig, die Sache so zu halten, daß unsre Ansicht in einer Form erschien, die sie dem jetzigen C* J A„U . .„„„«.„LI- R R„ ijiaiiupuiiKi uci m ucnci ucvvcgung attcpiauic [aiuiciuiiuaij iiiaCuic . . . j-hS bedarf Zeit, bis die wiedererwachte Bewegung die alte Kühnheit der Sprache erlaubt. Nötig fortiter in re, suaviter in modo [stark in der Sache» gemäßigt in der Form]." In der Inauguraladresse gelangt Marx auf der Grundlage einer konkreten Analyse der ökonomischen Entwicklung sowie der Veränderung in der Lage der Arbeiter während der Jahre 1848 bis 1864 zu der außerordentlich wichtigen Schlußfolgerung, daß, „auf der gegenwärtigen falschen Grundlage, jede frische Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit dahin
streben muß, die sozialen Kontraste zu vertiefen und den sozialen Gegensatz zuzuspitzen" (siehe vorl. Band, S. 9). Anhand zweier großer Siege der Arbeiterklasse - der Durchsetzung der Zehnstundenbill in England und der Entwicklung der Kooperativbewegung - beweist Marx, daß die ohne Kapitalisten betriebene kooperative Produktion „der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel" bedürfe, um die Arbeiterklasse befreien zu können. Das werden die herrschenden Klassen aber unter Ausnutzung ihrer politischen Macht zu verhindern suchen. „Politische Macht zu erobern ist daher jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen". (Siehe vorl. Band, S. 12.) Ferner begründet Marx, daß die Schaffung einer proletarischen Partei sowie der brüderliche Bund zwischen den Arbeitern der verschiedenen Länder notwendige Bedingungen für die Befreiung des Proletariats sind. Gestützt auf die praktische Erfahrungen der Arbeiter, untermauert Marx die Schlußfolgerungen von der weltgeschichtlichen Mission des Proletariats, der Notwendigkeit des Kampfes für die proletarische Revolution und von der Errichtung der Diktatur der Arbeiterklasse, die im „Manifest der Kommunistischen Partei" theoretisch begründet worden war. Im einleitenden Teil der Provisorischen Statuten formulierte Marx die Losung, die nach den Worten Lenins das Grundprinzip der Internationale war: „Die Emanzipation der Arbeiterklasse muß durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden." (Siehe vorl. Band, S. 14.) In dieser denkbar knappen Formulierung, die zum Kampfruf der Arbeiter aller Länder wurde, ist der bedeutende Gedanke ausgedrückt, daß das Proletariat die fortschrittlichste und konsequenteste revolutionäre Klasse ist, die dem Kapitalismus unversöhnlich gegenübersteht, eine Klasse, deren politische und ideologische Selbständigkeit die notwendige und wichtigste Vorbedingung ihrer Befreiung ist. Bei der Ausarbeitung der Provisorischen Statuten beachtete Marx sorgfältig die historisch entstandenen Formen der Arbeiterbewegung in den verschiedenen Ländern. Die Internationale stellte sich nicht den schon existierenden Arbeiterorganisationen entgegen, sondern strebte danach, sich auf sie zu stützen und ihre Tätigkeit auf ein einheitliches, gemeinsames Ziel zu lenken. Diese geschmeidige organisatorische Struktur entsprach ihrer Aufgabe, „die gesamte streitbare Arbeiterschaft Europas und Amerikas zu einem großen Heereskörper zu verschmelzen" (Engels). Die „Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen", die Marx anläßlich des für 1866 nach Genf einberufenen Kongresses der Internationale schrieb, sind eine Konkretisierung
und Weiterentwicklung der ersten programmatischen Dokumente der Internationale. Marx begrenzte sie auf die Fragen, die aufs unmittelbarste die Interessen der Arbeiter berühren, und verband sie mit dem Endziel des Kampfes des Proletariats. Er hielt sich hier an das im „Manifest der Kommumstischen Partei" aufgestellte taktische Grundprinzip, nämlich in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung zu vertreten. AI„ r;-"" J— u :„L IM • j rua caic uci uiiuauigaucn uci iiiiciiiaiiuna&c uc^Civ.iliicLC iviai a Iii ucii „Instruktionen" die Vereinigung der Aktionen der Arbeiter verschiedener Länder in ihrem ökonomischen Kampf gegen das Kapital. Welche Bedeutung Marx der Hilfe der Internationale für den ökonomischen Kampf der Arbeiter, der sich besonders im Zusammenhang mit der Krise von 1866 verstärkte, sowie der wachsenden internationalen Solidarität des Proletariats in diesem Kampf beimaß, zeigen auch die von ihm verfaßten Aufrufe und Artikel „Warnung", „Die belgischen Metzeleien", „Die Aussperrung der Bauarbeiter in Genf" und der von Engels auf Marx' Bitte verfaßte „Bericht über die Knappschaftsvereine der Bergarbeiter in den Kohlenwerken Sachsens". Von dieser Seite der Tätigkeit der Internationale zeugt auch umfangreiches Tatsachenmaterial in dem von Marx geschriebenen „Vierten jährlichen Bericht des Generalrats der Internationalen Ar« beiterassoziation" und im „Bericht des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation an den IV. allgemeinen Kongreß in Basel". Die ständige materielle und moralische Unterstützung, die die Internationale den streikenden und ausgesperrten Arbeitern erwies, erhöhte ihre Autorität und förderte die Ausdehnung ihres Einflusses unter den Arbeitern der verschiedenen Länder. Besondere Beachtung schenkte Marx in den „Instruktionen" dem Kampf für die Beschränkung des Arbeitstages, die er als eine notwendige Bedingung für die Wiederherstellung der physischen Kraft der Arbeiterklasse, für ihre geistige Entwicklung und gesellschaftliche und politische Tätigkeit betrachtet. Er verteidigt diese überaus bedeutsame Forderung gc\fYöV» nr»om/IäVo ^oflfnoV omov «opo^tIo**» vg^n uiv i x VUU.ÜV1110unu unuCi v uCgnvi viiiva gvoui&uwuvii Jk/Coviu dii" kung des Arbeitstages und erläutert die Bedeutung dieser Forderung auch in anderen von ihm später verfaßten Dokumenten (siehe „Resolutionsentwurf über die Beschränkung des Arbeitstages, dem Brüsseler Kongreß vom Generalrat vorgeschlagen" und „Aufzeichnung einer Rede von Karl Marx über die Verkürzung der Arbeitszeit", S. 317 und 554/555 des vorl. Bandes). Die in den „Instruktionen" erhobene Forderung nach einem achtstündigen Arbeitstag wurde eine der wichtigsten Kampflosungen des Proletariats in allen kapitalistischen Ländern.
Eine wesentliche Aufgabe der Arbeiter sah Marx auch darin, für den Schutz der Arbeit der Kinder und Jugendlichen und für die Erziehung der Arbeiterkinder Sorge zu tragen, da „die Zukunft" ihrer „Klasse und damit die Zukunft der Menschheit völlig von der Erziehung der heranwachsenden Arbeitergeneration abhängt" (siehe vorl. Band, S. 194). Die harmonische Verbindung produktiver Arbeit der Kinder oder Jugendlichen mit ihrer geistigen und körperlichen Erziehung und polytechnischen Ausbildung war, wie Marx feststellte, eines der wichtigsten Mittel des geistigen Aufstiegs der Arbeiterklasse. Über Erziehung und Bildung hielt Marx auch einige Reden im Generalrat (die Aufzeichnung von zwei dieser Reden siehe vorl. Band, S. 562-564). Im Abschnitt der „Instruktionen" über die Kooperativarbeit weist Marx entgegen den Proudhonisten und anderen kleinbürgerlichen Reformern nach, daß die Kooperativbewegung von sich aus die kapitalistische Gesellschaft nicht umgestalten kann und daß grundlegende Änderungen der Gesellschaftsordnung „nur verwirklicht werden können durch den Übergang der organisierten Gewalt der Gesellschaft, d.h. der Staatsmacht, aus den Händen der Kapitalisten und Grundbesitzer in die Hände der Produzenten selbst" (siehe vorl. Band, S. 196). Große Bedeutung haben in den „Instruktionen" die Abschnitte über die Gewerkschaften, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In Fortführung der von ihm schon im „Elend der Philosophie" formulierten und in „Lohn, Preis und Profit" weiterentwickelten Gedanken stellt Marx fest, daß die Gewerkschaften nicht nur notwendig sind für „den Guerillakrieg zwischen Kapital und Arbeit", sondern auch als Organisationszentren der Arbeiterklasse für den Kampf zur Vernichtung des Systems der Lohnarbeit überhaupt.Zu der auf Grundlage der „Instruktionen" angenommenen Resolution des Genfer Kongresses über die Gewerkschaften und den ökonomischen Kampf schrieb Lenin: „Die Resolution dieses Kongresses zeigte genau die Bedeutung des ökonomischen Kampfes auf, wobei sie die Sozialisten und die Arbeiter einerseits vor einer Übertreibung seiner Bedeutung (die zu jener Zeit bei den englischen Arbeitern zu bemerken war), anderseits vor einer Unterschätzung seiner Bedeutung warnte (die sich bei den Franzosen und bei den Deutschen, besonders bei den Lassalleanern, bemerkbar machte) ... Die Überzeugung, daß der einheitliche Klassenkampf notwendigerweise den politischen und den ökonomischen Kampf in sich vereinigen muß, ist der internationalen Sozialdemokratie in Fleisch und Blut übergegangen." (W. I. Lenin, Werke, Band 4, Berlin 1955, S. 169/170.)
Im Gegensatz zu den Proudhonisten und anderen Gegnern des politischen Kampfes sind in den „Instruktionen" zwei konkrete politische Aufgaben gestellt: Der Kampf für die Wiederherstellung Polens auf demokratischer Grundlage und der Kampf gegen Raubkriege und ihre Werk2cus[6 die stehenden Flccrc, Die „Instruktionen" von Marx waren ein konkretes Aktionsprogramm J— T—I- 1- J__ _..£ J 17— . . Gei Iiilci liänOiiaic, u<u> aui ueu piaMisuicn u laiu uugcu ua niDciicibewegung beruhte. Marx, Engels und ihre Anhänger mußten die Grundprinzipien der Internationale gegen die verschiedenen sozialistischen oder halbsozialistischen Sekten verteidigen, die ihre Dogmen der Internationale aufzuzwingen suchten. Obwohl bereits die Revolutionen von 1848/49 den vielfältigen Formen des kleinbürgerlichen Sozialismus einen vernichtenden Schlag versetzt hatten, begünstigten das Vergessen der Traditionen der Revolutionsjahre, die Einbeziehung neuer Massen in die Arbeiterbewegung sowie der ständige Einfluß des kleinbürgerlichen Milieus besonders in den Ländern, wo die Kleinproduktion noch überwog, eine zeitweilige Belebung verschiedenster Sekten. In dem Maße, wie sich die wirkliche Arbeiterbewegung entwickelte, wurden diese Sekten immer reaktionärer. Eine Reihe von Artikeln und Dokumenten im vorliegenden Band richtet sich gegen die proudhonistischen Ideen, die in Frankreich und Belgien bedeutenden Einfluß hatten. Im Artikel „Über P.-J.Proudhon" zog Marx gleichsam das Fazit der im „Elend der Philosophie" und in anderen seiner Arbeiten geübten Kritik der philosophischen, ökonomischen und politischen Anschauungen Proudhons und enthüllte die ganze Haltlosigkeit des Proudhonismus. Auf die praktischen Projekte Proudhons eingehend, die eine „Lösung der sozialen Frage" bringen sollten, unterzog Marx Proudhons Idee des „zinslosen Kredits" und der darauf basierten „Volksbank" einer vernichtenden Kritik. Er nannte diese Idee, die von den Schülern Proudhons verstärkt angepriesen wurde, „eine durchaus spießbürgerliche Phantasie . In einer zusammenfassenden Einschätzung charakterisiert Marx Proudhon als einen typischen Ideologen der Kleinbourgeoisie. Im Gegensatz zu den Proudhonisten, die jede politische Aktion der Arbeiterklasse ablehnten und die Interessen der Proletarier auf einqn Kreis „reiner Arbeiterfragen" beschränken wollten, sah Marx die Aufgabe der Sektionen der Internationale in den verschiedenen Ländern darin, „nicht allein als Mittelpunkt für die Organisation der Arbeiterklasse zu dienen, sondern auch alle politischen Bewegungen, welche unser Endziel, die öh.0"
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nomische Emanzipation der Arbeiterklasse, zu verwirklichen streben, in ihren verschiedenen Ländern zu unterstützen" (siehe vorl. Band, S. 422). Marx strebte danach, die Arbeiterklasse zu befähigen, die ehrenvolle Rolle einer Avantgarde in der allgemeindemokratischen Bewegung zu spielen und als selbständige politische Kraft auf dem nationalen und internationalen Schauplatz aufzutreten. Anschauliche Beispiele für diese Politik von Marx sind die von ihm verfaßten Adressen der Internationalen Arbeiterassoziation an die Präsidenten der USA Abraham Lincoln und Andrew Johnson. In diesen Adressen hob Marx die gewaltige Bedeutung des Krieges gegen die Sklaverei in Amerika für das Schicksal des internationalen Proletariats hervor. Marx und Engels, die sich für die Unterstützung jeder fortschrittlichen, demokratischen Bewegung einsetzten, lehrten das Proletariat und seine Vorkämpfer in der Internationale, eine wahrhaft internationalistische Haltung zum Befreiungskampf der unterdrückten Völker einzunehmen. Sie traten sowohl dem Nationalismus der Anhänger Mazzinis in Italien und der Lassalleaner in Deutschland entgegen wie auch der Ignorierung der nationalen Frage durch die Proudhonisten und ganz besonders deren negativen Haltung zum Unabhängigkeitskampf des polnischen Volkes. Unter den konkreten historischen Bedingungen der vierziger bis sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts maßen Marx und Engels der Schaffung eines unabhängigen demokratischen Polens, das ein Verbündeter der europäischen Demokratie im Kampf gegen den reaktionären Einfluß des Zarismus gewesen wäre, besondere Bedeutung bei. „Solange die Volksmassen Rußlands und der meisten slawischen Länder noch in tiefem Schlaf lagen, solange es in diesen Ländern \eine selbständigen demokratischen Massenbewegungen gab, solange hatte die Befreiungsbewegung der Schiachtschitzen in Polen, vom Standpunkt nicht nur der gesamtrussischen, nicht nur der gesamtslawischen, sondern auch der gesamteuropäischen Demokratie aus gesehen, gewaltige, erstrangige Bedeutung." (W. I.Lenin, Werke, Band 20, Berlin 1961, S. 437.) Die in diesem Band veröffentlichte Notiz „Berichtigung" und die „Rede auf dem Polenmeeting in London am 22. Januar 1867" zeugen von Marx* Haltung in der polnischen Frage; diese Haltung bringt Marx in der dem Meeting vorgeschlagenen Resolution kurz und bündig zum Ausdruck: „Ohne Unabhängigkeit Polens kann keine Freiheit in Europa etabliert werden." (Siehe vorl. Band, S. 200.) In der gegen die Proudhonisten gerichteten Artikelserie „Was hat die Arbeiterklasse mit Polen zu tun?" begründete Engels die unversöhnliche
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Haltung der Arbeiterklasse zur Politik der nationalen Unterdrückung und hob hervor, daß das Proletariat in der ersten Reihe der Kämpfer für die Befreiung der unterdrückten Völker stehen müsse. Gleichzeitig warnte Engels vor der Gefahr, daß reaktionäre Kräfte die nationale Bewegung besonders der kleinen Völker ausnutzten. Er enthüllte in seinen Artikeln das wahre Wesen des bonapartistischen „Nationalitätsprinzips", das von den Machthabern des Zweiten Kaiserreichs, vom russischen Zarismus und den herrschenden Kreisen anderer Länder benutzt wurde, um den nationalen Kampf der unterdrückten Völker den Interessen der reaktionären Mächte unterzuordnen. Der Kampf des polnischen Volkes um Freiheit und Unabhängigkeit war, wie die Begründer des Marxismus lehrten, Bestandteil des Kampfes für eine revolutionäre, demokratische Umgestaltung Europas, die für den Emanzipationskampf des Proletariats günstigere Bedingungen schaffen würde. Einige der in diesem Band aufgenommenen Dokumente (wie die „Resolutionen des Generalrats über den Konflikt in der Pariser Sektion", „Resolution des Generalrats zum Auftreten Felix Pyats", die „Proklamation des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation über die Verfolgungen der Mitglieder der französischen Sektion" u.a.) zeugen davon, daß Marx an der Führung der französischen Arbeiter, die der Internationale angehörten, unmittelbaren Anteil hatte. Marx verurteilte ganz entschieden die linken Phrasen und die Abenteurertaktik der kleinbürgerlichen Demokraten vom Schlage eines Felix Pyat; gleichzeitig war er bestrebt, die französischen Arbeiter von dem Einfluß der reformistischen Ideen Proudhons loszureißen und in den allgemeindemokratischen Kampf gegen das Zweite Kaiserreich einzubeziehen. Breiten Raum nehmen im vorliegenden Band Artikel und Dokumente über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung ein. In diesem Lande drängten in den sechziger Jahren die von der Revolution 1848/49 nicht gelösten Fragen, vor allem die Einigung Deutschlands, erneut mit Macht ihrer Lösung entgegen. Im Gegensatz zu Lassalle, der dafür eintrat, Preußen bei der Einigung Deutschlands von oben zu unterstützen, kämpften Marx und Engels ebenso wie in den Jahren 1848 und 1849 für eine Einigung Deutschlands von unten, auf revolutionärem Wege. Die wichtigste Voraussetzung für eine Einigung auf revolutionär-demokratischem Wege sahen Marx und Engels in der Organisiertheit, Geschlossenheit und politischen Bewußtheit der fortschrittlichsten Klasse Deutschlands - des Proletariats. Der 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein aber konnte, obwohl er zur Loslösung der Arbeiter vom Einfluß der bürgerlichen
Fortschrittsspartei beitrug, nicht die dem deutschen Proletariat von der Geschichte gestellten Aufgaben lösen. Lassalle, der diesen Verein leitete, begann mit der Bismarck-Regierung zu paktieren. Zwar kannten Marx und Engels nicht alle Tatsachen über die Beziehungen Lassalles zu Bismarck (deren Briefwechsel wurde erst 1928 veröffentlicht), doch sie erkannten sehr klar, daß Lassalle mit dem „eisernen Kanzler" liebäugelte. Nach Lassalles Tod erfuhren Marx und Engels, daß er Bismarck als Gegenleistung für dessen Versprechen, das allgemeine Wahlrecht einzuführen, seinerseits versprochen hatte, daß der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein Preußen bei der Annexion Schleswig-Holsteins unterstützen werde. Marx und Engels bewerteten das als einen Verrat an den Interessen der Arbeiterklasse. Nach Lassalles Tod unternahmen die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus ernste Anstrengungen, um die Folgen der zutiefst falschen und schädlichen Taktik Lassalles zu überwinden und den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein auf den richtigen, revolutionären Weg zu lenken. Da Marx und Engels zu dieser Zeit über keine anderen Möglichkeiten verfügten, den Lassalleanismus zu kritisieren und ihre eigenen Anschauungen in Deutschland zu propagieren, erklärten sie sich bereit zu einer Mitarbeit am „Social-Demokrat", einer Zeitung, die Schweitzer zu gründen beabsichtigte. Hierzu bewog sie auch die Tatsache, daß in dem ihnen übersandten Prospekt der Zeitung „Lassalle... weder mit Wort noch Namen" figurierte (siehe vorl. Band, S.86), sowie der Umstand, daß ihr alter Kampfgenosse Wilhelm Liebknecht, ein ehemaliges Mitglied des Bundes der Kommunisten, als inoffizieller Redakteur an der Zeitung mitwirken sollte. Marx schickte an den „Social-Demokrat" den oben erwähnten Artikel über Proudhon, in dem, wie er Engels schrieb, einige der bitteren Hiebe, die er Proudhon versetzte, auch für Lassalle bestimmt waren. Marx meinte hierbei die Stelle seines Artikels, wo er vom wissenschaftlichen Scharlatanismus und von der politischen Akkomodation als vom Standpunkt des Kleinbürgers untrennbaren Erscheinungen spricht. Engels seinerseits hob in einem Kommentar zu dem altdänischen Volkslied „Herr Tidmann", das er dem „Social-Demokrat" übersandte, die gewaltige revolutionäre Bedeutung des Kampfes der Bauernschaft gegen die Grundherren hervor. Engels wandte sich damit gegen die Lassalleaner, die von der lassalleschen Theorie der „einen reaktionären Masse" ausgingen und die revolutionäre Rolle der Bauernschaft verneinten. Als sich Marx und Engels davon überzeugt hatten, daß der Redakteur des „Social-Demokrat", Schweitzer, ungeachtet aller ihrer Warnungen den
II Marx/Engels, Werke, Bd. 16
Spuren Lassalles folgte und die Zeitung auf den Weg des Paktierens mit der Junkerregierung Bismarcks leitete, erklärten Marx und Engels öffentlich ihren Bruch mit der Zeitung. In einer Erklärung, die im vorliegenden Band veröffentlicht wird, charakterisierten sie den Lassalleanismus als „königlich preußischen Regierungssozialismus" (siehe vorl. Band, S. 79). Mit der politischen Haltung der Lassalleaner setzt sich auch Engels* Schrift „Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei" kritisch auseinander. Hierin wird eine gründliche Analyse der Verteilung der Klassenkräfte in Deutschland gegeben und die Stellung der politischen Parteien im Verfassungskonflikt untersucht, der zwischen der preußischen Regierung und der liberalen Bourgeoisie über die Frage einer Heeresreorganisation entstanden war. Von den militärischen und politischen Bedingungen ausgehend, unterwirft Engels das Regierungsprojekt für eine Heeresreorganisation einer gründlichen und allseitigen Kritik. Bei der Analyse der Haltung der Fortschrittspartei im Verfassungskonflikt geißelt Engels die feige und schwankende Politik der bürgerlichen Opposition, die aus Angst vor dem Volke bereit ist, mit den Kräften der Reaktion einen Kompromiß einzugehen. Ausführlich begründet Engels die Taktik der Arbeiterklasse unter den Bedingungen der im Lande entstandenen revolutionären Situation. Engels beweist, wie falsch alle Hoffnungen sind, daß die BismarckRegierung den Arbeitern Zugeständnisse machen werde. Er entlarvt die soziale Demagogie der Bismarck-Regierung, wobei er auf die Erfahrungen Frankreichs, auf die analoge Politik des Bonapartismus, insbesondere auf die Ergebnisse des von Louis Bonaparte eingeführten allgemeinen Wahlrechts hinweist. Engels warnt dadurch die Arbeiter vor der lassalleschen Idealisierung des allgemeinen Wahlrechts, die das allgemeine Wahlrecht zum Allheilmittel erhebt, das unter beliebigen Umständen das Proletariat von der politischen Unterdrückung und ökonomischen Ausbeutung befreien könne. Die Hauptaufgabe des deutschen Proletariats bestand nach Engels darin, eine wirklich selbständige Arbeiterpartei zu gründen, die frei ist von jedem bürgerlich-liberalen Einfluß und erst recht von dem noch schädlicheren Einfluß der preußischen Reaktion. Die Politik der Arbeiterpartei im Verfassungskonflikt sollte darin bestehen, die bürgerliche Fortschrittspartei im Kampf um allgemeines Wahlrecht und politische Freiheiten zu unterstützen, gleichzeitig aber jede ihrer Inkonsequenzen und Schwächen schonungslos zu geißeln und der Reaktion auf ihre heuchlerischen Lockungen zu antworten: „Mit dem Speere soll man Gabe empfangen, Spitze gegen Spitze." (Siehe vorl. Band, S. 78.)
Vorwort XiX
Der Kampf von Marx und Engels gegen den Lassalleanismus ebnete den Weg für das Eindringen der Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus und für die Ausweitung des Einflusses der Internationale in Deutschland. Zum Erfolg dieses Kampfes trug auch der Umstand bei, daß sich die Arbeiter anhand der praktischen Erfahrungen der Arbeiterbewegung in Deutschland und anderen Ländern von der Haltlosigkeit der lassalleschen Dogmen überzeugten. In Marx' Brief „An den Präsidenten und Vorstand des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" und in Engels' Artikeln „Zur Auflösung des Lassalleanischen Arbeitervereins" wird mit Befriedigung vermerkt, daß das Leben selbst, der Druck der Arbeiter den Verein gezwungen hat, Fragen aufzugreifen, „welche in der Tat die Ausgangspunkte aller ernsten Arbeiterbewegung bilden müssen" (siehe vorl. Band, S. 316): Agitation für volle politische Freiheit, Regelung des Arbeitstages und internationale Zusammenarbeit der Arbeiterklasse. Das Wirken August Bebels und Wilhelm Liebknechts bei der Gründung einer wahrhaft proletarischen Partei in Deutschland erfuhr von Marx und Engels die größte Aufmerksamkeit, Sympathie und Unterstützung. Im Unterschied zu den Lassalleanern bezogen Bebel und Liebknecht in der politischen Grundfrage Deutschlands trotz einiger - von Marx und Engels kritisierter - Fehler eine richtige revolutionäre Stellung. „Lassalle und die Lassalleaner, die die schwachen Chancen des proletarischen und demokratischen Weges sahen, waren schwankend in ihrer Taktik und paßten sich der Hegemonie des Junkers Bismarck an. Ihre Fehler liefen darauf hinaus, die Arbeiterpartei auf eine bonapartistisch-staatssozialistische Bahn zu lenken. Bebel und Liebknecht hingegen traten konsequent für den demokratischen und proletarischen Weg ein und kämpften gegen die geringsten Zugeständnisse an das Preußentum, an die Bismarcksche Politik, an den Nationalismus." (W. I.Lenin, Werke, 4. Ausgabe, Band 19, S. 265 russ.) In einer „Erklärung an den Deutschen Bildungsverein für Arbeiter in London" spricht Marx mit Hochschätzung von der Bedeutung des Nürnberger Kongresses der deutschen Arbeitervereine, der 1868 unter Leitung von Bebel und Liebknecht stattgefunden und sich für den Anschluß an die Internationale ausgesprochen hatte. Gewaltige Bedeutung für die gesamte weitere Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung hatte die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869 in Eisenach. Zwar offenbarte sich bei den Eisenachern noch eine gewisse theoretische Unreife, was besonders bei der Ausarbeitung ihres theoretischen Programms zutage trat, in dem sich zum Teil Einflüsse des Lassalleanismus zeigen. Es gelang ihnen jedoch mit Hilfe von Marx und Engels,
„ein festes Fundament für eine wahrhaft sozialdemokratische Arbeiterpartei zu legen. Und es ging damals eben um das Fundament der Partei" (W.I.Lenin, Werke, 4. Ausgabe, Band 19, S.266 russ.). Die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die sich der Internationalen Arbeiterassoziation anschloß, bedeutete einen großen bieg der Ideen der Internationale in der deutschen Arbeiterbewegung. Verschiedene der im vorliegenden Band veröffentlichten Schriften spiegeln das unentwegte Streben von Marx und Engels wider, zur Festigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei beizutragen und das theoretische Niveau der deutschen Arbeiter durch die Propagierung der Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus zu heben. In dem Artikel „Karl Marx" tritt Engels gegen die Legende auf, wonach Lassalle der Urheber der deutschen Arbeiterbewegung und ein origineller Denker sei. Engels erinnert an die revolutionären Traditionen von 1848/49, an die wichtigsten Momente der Geschichte des Bundes der Kommunisten und betont, daß Lassalle „einen Vorgänger hatte und einen intellektuellen Vorgesetzten, dessen Dasein er freilich verschwieg, während er seine Schriften vulgarisierte, und dieser intellektuelle Vorgesetzte heißt Karl Marx" (siehe vorl. Band, S. 362). In dieser kurzen, aber inhaltsreichen Marx-Biographie charakterisiert Engels die Entwicklung der Marxschen Ideen, schätzt dessen bedeutendste theoretische Arbeiten, seine parteipolitische Tätigkeit und schließlich seine führende Rolle in der Internationale ein, „ dieser in... der Arbeiterbewegung epochemachenden Gesellschaft" (siehe vorl. Band S. 366). Um die revolutionären Traditionen von 1848/49 wachzurufen und die deutschen Arbeiter mit den wichtigsten Werken des wissenschaftlichen Kommunismus vertraut zu machen, bereiteten Marx und Engels die Neuausgabe zweier ihrer Werke vor - des „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" und des „Deutschen Bauernkriegs". Im Vorwort zur Zweiten Ausgabe des „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" beschäftigt sich Marx nochmals mit dem Wesen des Bonapartismus, wobei er sich gegen jeden Versuch wendet, die konkrete Klassenanalyse der historischen Ereignisse durch oberflächliche historische Analogien zu ersetzen. Marx' Bemerkungen zu dieser Frage richteten sich vor allem auch gegen die falschen Anschauungen einiger Führer der deutschen Sozialdemokratie, die unkritisch die damals landläufige Phrase vom sogenannten Cäsarismus übernommen hatten» In der Vorbemerkung zum Zweiten Abdruck des „Deutschen Bauernkriegs" analysiert Engels die Veränderungen im ökonomischen und politischen Leben Deutschlands seit 1848 sowie die Rolle der verschiedenen
Klassen und Parteien in Deutschland während dieser Periode. Bei der Einschätzung der Ergebnisse des Preußisch-Österreichischen Krieges von 1866, dessen Verlauf er in den „Betrachtungen über den Krieg in Deutschland" (siehe vorl. Band, S. 167-189) schilderte, charakterisiert Engels äußerst prägnant die Haltung der preußischen Bourgeoisie und enthüllt die Ursachen ihrer Feigheit und Bereitschaft zu Kompromissen mit der Reaktion. Er untersucht die während der letzten zwanzig Jahre vor sich gegangenen Veränderungen in der deutschen Arbeiterbewegung sowie die Zukunft dieser Bewegung und weist darauf hin, daß das Wichtigste die Frage nach den Bundesgenossen des Proletariats sei. Die Arbeiterklasse müsse um die Führung der Bauernmassen kämpfen. Die überaus bedeutende theoretische und politische Schlußfolgerung von der Notwendigkeit des Bündnisses des Proletariats mit der Bauernschaft, die anhand der Erfahrung der Revolution 1848/49 in Marx' „Klassenkämpfen in Frankreich" und im „Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" sowie in Engels* Arbeit „Der deutsche Bauernkrieg" formuliert worden war, wurde hier weiterentwickelt und konkretisiert. Engels zeigt, daß man an die Bauernschaft differenziert herangehen muß, und untersucht, welche Bauernschichten zu Verbündeten im revolutionären Kampf des Proletariats werden können und weshalb dies möglich ist. Engels hob die große Bedeutung des Beschlusses des Baseler Kongresses der Internationale über das Grundeigentum hervor und half damit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, deren Führung in gewissem Maße die Bedeutung dieses so wichtigen Beschlusses für Deutschland unterschätzte, eine politisch richtige Linie festzulegen. Die Resolution des Baseler Kongresses über die Notwendigkeit, das Privateigentum an Grund und Boden zu beseitigen und in gesellschaftliches Eigentum zu verwandeln, hatte gewaltige theoretische und politische Bedeutung für die gesamte Internationale. Diese Resolution, an deren Vorbereitung Marx selbst unmittelbar Anteil nahm (siehe die „Aufzeichnung zweier Reden von Karl Marx über das Grundeigentum" im vorl. Band, S. 558/559), zeugte von dem ideologischen Sieg des Marxismus über die Verteidiger des Privateigentums, die Proudhonisten, zeugte von dem Sieg des Sozialismus über den kleinbürgerlichen Reformismus. Von den ersten Tagen der Internationalen Arbeiterassoziation an scheute Marx keine Mühe, um das englische Proletariat in Gestalt seiner mächtigsten Organisationen, der Trade-Unions, in die Assoziation einzubeziehen (siehe die „Resolutionsentwürfe über die Aufnahmebedingungen für Arbeiterorganisationen in die Internationale Arbeiterassoziation"
im vorl. Band, S. 17). In dem Artikel „Die Verbindungen der Internationalen Arbeiterassoziation mit den englischen Arbeiterorganisationen" vom Oktober 1868 schreibt Marx: „... es existiert keine irgendwie bedeutende Bewegungspartei des britischen Proletariats, die nicht direkt, durch ihre eigenen Führer, im Schöße des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation vertreten wäre." (Siehe vorl. Band, S.332.) Marx hoffte, daß es unter dem ideologischen Einnuß der Internationale, der durch die eigenen Erfahrungen der Arbeiterklasse noch verstärkt wurde, gelingen werde, die Zunftbeschränktheit der Trade-Unions, die Begrenztheit ihrer Kampfziele, die sich nur auf die Verteidigung der unmittelbaren ökonomischen Interessen der Arbeiter beschränkten, sowie ihre ablehnende Haltung zum politischen Kampf der Arbeiterklasse, durch die das englische Proletariat politisch zu einem Anhängsel der Liberalen Partei geworden war, zu überwinden. Marx strebte danach, die englischen Arbeiter von der Vormundschaft der liberalen Bourgeoisie zu befreien, die opportunistischen Führer der Trade-Unions zu isolieren und damit dem englischen Proletariat zu helfen, sich als selbständige gesellschaftliche und politische Kraft zu formieren. Die Kampagne für eine neue Wahlreform, die sich zu dieser Zeit in England entwickelte, trug fördernd zur Lösung dieser Aufgaben bei. Auf Initiative von Marx unternahm die Internationale energische Schritte zur Gründung einer Reformliga, die das führende und organisierende Zentrum der englischen Arbeiter im Kampf für das allgemeine Wahlrecht werden sollte. Marx war der Auffassung, daß das allgemeine Wahlrecht in England, wo das Proletariat die Mehrheit der Bevölkerung bildete und der Militärklüngel sowie die Bürokratie noch keine so bedeutende Rolle spielten, von dem revolutionären Proletariat als Hebel zu seiner Befreiung ausgenutzt werden könnte - im Unterschied zu Frankreich und Deutschland, wo die bäuerliche Bevölkerung überwog und bürgerlich-demokratische Freiheiten fehlten. Die von dem Ausmaß der Wahlrechtsreform-Bewegung erschreckten opportunistischen Führer der Trade-Unions taten alles, um die Bewegung einzuengen, ihre Losungen in engbegrenztem Rahmen zu halten und einen Kompromiß mit der Regierung zu erreichen. Verschiedene der im vorliegenden Band veröffentlichten Materialien („Beschluß des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation bezüglich des ,Beehive' "u.a.) zeugen von Marx' entschiedenem Kampf gegen das in den wichtigsten Fragen zum Ausdruck kommende Versöhnlertum der Führer der Trade-Unions, jener Vertreter der „Arbeiteraristokratie", die mit einem Teil der Überprofite großgezogen wurde, welche die Bourgeoisie infolge des englischen Industrie
und Kolonialmonopols erzielen konnte. Die Kompromißpölitik der opportunistischen Führer der Trade-Unions war die Hauptursache dafür, daß diese machtvolle Bewegung mit einer unzulänglichen Wahlreform endete, bei der die Mehrheit der werktätigen Bevölkerung Englands ohne politische Rechte blieb. Eine ernste Ursache für den geringen Erfolg des Kampfes um die Wahlrechtsreform sah Marx in der Weigerung der Reformliga, den nationalen Befreiungskampf des irischen Volkes zu unterstützen. Das vertiefte die für die Arbeiterbewegung so unheilvolle Spaltung zwischen den irischen und englischen Arbeitern. Der stürmische Aufschwung des revolutionären Unabhängigkeitskampfes des irischen Volkes veranlaßte Marx, sich intensiv mit der irischen Frage zu beschäftigen, der er große theoretische und politische Bedeutung beimaß. Marx analysierte das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen in England selbst sowie die revolutionären Möglichkeiten der irischen Befreiungsbewegung und änderte auf dieser Grundlage seine frühere Anschauung in der irischen Frage. Wenn Marx früher den Standpunkt vertrat, daß Irland seine Freiheit durch die Arbeiterbewegung der unterdrückenden englischen Nation erhalten werde, so kam er jetzt zu dem Schluß, daß die nationale Befreiung Irlands und revolutionär-demokratische Veränderungen in der Agrarstruktur der „Grünen Insel" eine „Forbedingung für die Emanzipation der englischen Arbeiterklasse" sein muß (siehe vorl. Band, S. 389). Indem Marx die Forderung begründete, Irland die nationale Unabhängigkeit einschließlich des Rechts auf völlige Trennung von England zu gewähren - eine Forderung, die zur Losung der englischen Arbeiterbewegung werden sollte -, trug er in bedeutendem Maße zur Weiterentwicklung der Prinzipien der proletarischen Nationalitätenpolitik bei. Anhand der Erfahrung mit Irland entwickelt Marx seine Gedanken zur nationalen und kolonialen Frage weiter und gelangt zu der bedeutsamen Schlußfolgerung, daß es notwendig sei, die nationale Befreiungsbewegung in dieser ersten englischen Kolonie mit dem Kampf des Proletariats um den Sozialismus in der Metropole zu verbinden. Entsprechend diesem theoretischen Grundsatz erzog Marx die englischen Arbeiter und ihre Führer im Generalrat im Sinne einer entschiedenen und aktiven Unterstützung der irischen Befreiungsbewegung. Gleichzeitig entlarvte er die opportunistische Haltung der vom bürgerlichen Chauvinismus infizierten Führer der englischen Trade-Unions. Marx war Seele und Inspirator der Kampagnen, Meetings und Diskussionen zur Verteidigung und Unterstützung des kämpfenden Irlands, er war Initiator und Verfasser der Resolutionen zur irischen Frage.
Marx trat entschieden für die Verteidigung der von der englischen Regierung grausam verfolgten irischen kleinbürgerlichen Revolutionäre, der Fenier, ein, obwohl er deren Verschwörertaktik kritisierte. Die von ihm verfaßte Resolution des Generalrats „Die eingekerkerten Fenier in Manchester und die Internationale Arbeiterassoziation" vom 20. November 1867 bewertete das über vier Fenier verhängte Todesurteil als einen politischen Racheakt der englischen Regierung und entlarvte die Genchtsfälschungen, auf deren Grundlage das Urteil gefällt worden war. Den „Resolutionsentwurf des Generalrats über das Verhalten der britischen Regierung in der irischen Amnestiefrage" vom 16. November 1869 schlug Marx in der von ihm eröffneten Diskussion zur irischen Frage vor, während der er zweimal das Wort ergriff (siehe vorl. Band, S. 570-574). In dieser Resolution entlarvte er die heuchlerische und volksfeindliche Politik der liberalen Regierung und wies nach, daß sich diese Politik ungeachtet der demagogischen Versprechungen und kümmerlichen Reformen der Gladstone-Regierung dem Wesen nach in nichts von der Kolonialpolitik der Konservativen unterschied. Marx' Artikel „Die englische Regierung und die eingekerkerten Fenier" sowie die Artikel zur irischen Frage, die Marx' Tochter Jenny mit seiner Unterstützung für die französische Zeitung „La Marseillaise" schrieb, enthüllten vor der europäischen Öffentlichkeit, wie grausam die herrschenden Klassen Englands mit den Teilnehmern der irischen nationalen Befreiungsbewegung abrechneten, welch barbarische Behandlung den eingekerkerten Feniern in den Gefängnissen des von Gladstone regierten „menschenfreundlichen" Englands widerfuhr. In den Dokumenten der Internationale „Der Generalrat an den Föderalrat der romanischen Schweiz" vom Januar 1870 und „Konfidentielle Mitteilung" vom März 1870 begründet Marx die internationale Bedeutung der irischen Frage, wobei er hervorhebt, wie wichtig die Lösung des irischen Problems für die Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung sei, vor allem für einen erfolgreichen Kampf des englischen Proletariats. Er weist darauf hin, daß zu den Grundlagen der ökonomischen Macht der herrschenden Klassen Englands die koloniale Ausbeutung Irlands zählt. Irland sei „das Bollwerk des englischen Landlordismus" (siehe vorl. Band, S. 387). In diesen Dokumenten, worin Marx sehr ausführlich auf den Standpunkt der Internationale in der irischen Frage einging, schrieb er: „Ihre erste Aufgabe ist es, die soziale Revolution in England zu beschleunigen. Zu diesem Zwecke muß man den entscheidenden Schlag in Irland führen."(Siehe vorl. Band, S. 389.) Marx rief die Arbeiterklasse der unterdrückenden Nation zu entschiedenem Kampf gegen jede nationale Unterdrückung auf. Eine
der Hauptursachen für die Schwäche der englischen Arbeiterbewegung, trotz ihrer Organisiertheit, war, wie Marx nachwies, die nationale Zwietracht zwischen den englischen und irischen Arbeitern, die von der englischen Bourgeoisie auf jede Weise geschürt wurde. Die Unterdrückung Irlands und der anderen Kolonien, betonte Marx, sei ein ungeheures Hindernis für die fortschrittliche Entwicklung Englands selbst. „Das Volk, das ein anderes Volk unterjocht, schmiedet seine eigenen Ketten" - so formulierte Marx das wichtigste Prinzip des proletarischen Internationalismus. (Siehe vorl. Band, S.389.) Im Abschnitt „Aus dem handschriftlichen Nachlaß" werden erstmals Marx' Handschriften „Entwurf einer nicht gehaltenen Rede zur irischen Frage" vom November 1867 und „Entwurf eines Vortrages zur irischen Frage, gehalten im Deutschen Bildungsverein für Arbeiter in London am 16. Dezember 1867" sowie die Handschrift einer unvollendeten Arbeit von Engels über „Die Geschichte Irlands" und einige von ihm stammende Fragmente zum gleichen Thema veröffentlicht. Diese Handschriften zeugen deutlich davon, daß die Begründer des Marxismus ihre Schlußfolgerungen in der irischen Frage auf der Grundlage eines allseitigen Studiums der Geschichte Irlands und der englisch-irischen Beziehungen zogen. In dem „Entwurf einer nicht gehaltenen Rede zur irischen Frage" gibt Marx eine tiefgründige Analyse der sozialökonomischen Prozesse in Irland und zeichnet ein Bild der entsetzlichen Leiden der Volksmassen in der ersten englischen Kolonie. Auf der Grundlage dieser Analyse charakterisiert Marx in klassischer Weise die Bewegung der Fenier, die eine neue Etappe des nationalen Befreiungskampfes der Iren bildete. In dem „Entwurf eines Vortrages zur irischen Frage", der auf dem obigen Entwurf aufbaute, charakterisiert Marx die wichtigsten geschichtlichen Etappen der kolonialen Versklavung Irlands durch England. Er zeigt, welch verderbliche Ergebnisse die englische Herrschaft für das irische Volk hatte, wie die Keime der irischen Industrie in einem stetigen Prozeß vernichtet wurden und sich das Land in ein landwirtschaftliches Anhängsel der Metropole verwandelte. In beiden Entwürfen setzt sich Marx mit der Kolonialpolitik der herrschenden Klassen Englands und den Methoden ihrer Wirtschaftsführung in den unterdrückten Ländern auseinander und enthüllt anschaulich und eindringlich die räuberische Natur der Umwälzung der irischen Agrarverhältnisse. Diese Umwälzung geschah, wie Marx nachweist, im Interesse der englischen Großgrundbesitzer und führte zur Enteignung der irischen Bauern, zu ihrer massenhaften Vertreibung von Grund und Boden.
Die im vorliegenden Band veröffentlichte Handschrift „Die Geschichte Irlands" widerspiegelt Engels' Arbeit an einem von ihm geplanten Buche, das die Geschichte Irlands von den ältesten Zeiten bis 1870 umfassen sollte. Nach den uns überlieferten Auszügen und Fragmenten beabsichtigte Engels, in diesem Buch ein umfassendes Bild von der Unterjochung Irlands durch die englischen Kolonisatoren und dem jahrhundertelangen Kampf des \//\11^0|0 rtOM OAirtO T T-»^ i-öV ol^oW III 1irt/3 rtirti -3-* Jnvt 1 1 iduiiCii V OiitCo gCgun duiiiu wiiiui ut uurkui guuuit ujiiu giCiuil^Ciug ucil bürgerlichen Apologeten der englischen Kolonialherrschaft, den Verteidigern der reaktionären Rassen- und Kolonialideen einen Schlag zu versetzen. Im Kapitel „Naturbedingungen" wendet sich Engels entschieden gegen die Versuche englischer Geographen, Ökonomen und Historiker, das geographische Milieu zum bestimmenden Faktor der Geschichte zu erheben und mit Hilfe pseudowissenschaftlicher geographischer Argumente zu beweisen, daß England berufen sei, Irland zu unterwerfen. (Siehe vorl. Band, S. 462.) Engels gibt eine ausführliche Beschreibung des Klimas und der Bodenverhältnisse in Irland, um damit die lügnerischen Vorwände bürgerlicher Schriftsteller zu entlarven, die die Vertreibung der irischen Bauern von Grund und Boden damit zu rechtfertigen suchten, daß „Irland durch sein Klima verurteilt sei, nicht Irländer mit Brot, sondern Engländer mit Fleisch und Butter zu versorgen" (siehe vorl. Band, S.476). Im Kapitel „Altirland" tritt Engels dem unkritischen Herangehen an die Frühperioden der irischen Geschichte und ihrer nationalistischen Ausschmückung entgegen, richtet aber gleichzeitig den Hauptstoß seiner Kritik gegen die chauvinistischen Versuche englischer bürgerlicher Historiker (Goldwyn Smith u.a.), die alten Iren als ein rückständiges Volk darzustellen, das nicht fähig gewesen sei, eine eigene Kultur und Zivilisation zu schaffen, diese vielmehr nur von den eingewanderten Normannen und Engländern entlehnt hätte. In seiner Arbeit und den dazugehörigen Fragmenten weist Engels nach, daß die Geschichte des alten Irlands von der Eigenständigkeit und Begabung des irischen Volkes zeugt. Die geschichtliche Vergangenheit dieses Landes kennt, wie Engels hervorhebt, viele heroische Episoden des Kampfes gegen die fremdländischen Eroberer. Bei der Kritik an Arbeiten englischer bürgerlicher Historiker über Irland deckt Engels einige Grundzüge der bürgerlichen Geschichtsschreibung überhaupt auf. Er entlarvt den bürgerlichen Objektivismus und betont, daß die vielberufene „Objektivität" nur eine Maskierung ist, mit der bürgerliche Geschichtsschreiber den apologetischen Charakter ihrer Schriften verdecken wollen. Diese Historiker seien im Interesse der Bourgeoisie bereit, die geschichtliche Wirk
lichkeit zu verfälschen und die Geschichtswissenschaft in eine vorteilhaft zu verkaufende Ware zu verwandeln. Große Bedeutung haben Engels' Schlußfolgerungen über den Charakter der sogenannten normannischen Eroberung einer Reihe europäischerLänder in der Periode des frühen Mittelalters. Engels widerlegt die reaktionären Normannentheorien, wonach die Normannen die Gründer vieler europäischer Staaten waren, und zeigt die wahren Folgen der normannischen Einfälle in Irland und andere Länder. Er kennzeichnet diese Einfälle als „Raubzüge" und weist nach, daß deren Vorteil für die geschichtliche Entwicklung „verschwindend klein sei gegen die ungeheuren und selbst für Skandinavien fruchtlosen Störungen, die sie angerichtet" (siehe vorl. Band, S. 493). Bei der Abrechnung mit der grausamen englischen Kolonialpolitik in Irland entwickelt Engels den Gedanken, daß diese gewalttätige Assimilationspolitik zum Untergang verurteilt ist. Er zeigt, daß es den herrschenden Klassen Englands nicht gelungen sei und trotz aller Anstrengungen auch niemals gelingen werde, die nationalen Traditionen des irischen Volkes auszumerzen und es mit der englischen Herrschaft zu versöhnen. Engels' Arbeit ist von heißem Mitgefühl für das unterdrückte Volk und vom Haß gegen das kapitalistische Kolonialsystem durchdrungen. Sie bildet eine Ergänzung zu dem Auftreten von Marx in der irischen Frage und ist ein Beispiel für die Verteidigung der proletarischen Prinzipien in der nationalen Frage. „Die Politik von Marx und Engels in der irischen Frage hat ein höchst bedeutsames Beispiel, das bis auf den heutigen Tag gewaltige praktische Bedeutung bewahrt hat, dafür gegeben, wie sich das Proletariat der unterdrückenden Nationen zu nationalen Bewegungen zu verhalten hat..." (W. I. Lenin, Werke, Band 20, Berlin 1961, S. 447.) Die wahrhaft proletarische, internationalistische Haltung von Marx und Engels in der irischen Frage rief den erbitterten Widerstand der chauvinistisch gesinnten Führer der Trade-Unions wie auch des neuen Gegners des Marxismus - des Bakunismus - hervor. Verschiedene der im vorliegenden Band veröffentlichten Artikel und Dokumente spiegeln den unversöhnlichen Kampf von Marx und Engels sowohl gegen Bakunins theoretische Anschauungen als auch gegen seine desorganisierende Wühlarbeit in der Internationale wider. Das von Marx verfaßte Dokument „Die Internationale Arbeiterassoziation und die Allianz der sozialistischen Demokratie" enthüllt die Absicht Bakunins und seiner Anhänger, die Allianz der sozialistischen Demokratie als besondere internationale Organisation mit ihrem Programm, ihrem orga
nisatorischen Aufbau und ihren leitenden Organen in die Internationale Arbeiterassoziation zu bringen, um, gestützt auf diese Organisation, von der Internationale Besitz zu ergreifen und sie dem anarchistischen Einfluß der Allianz zu unterwerfen. Im Brief des Generalrats an das Zentralbüro der Allianz der sozialistischen Demokratie vom 9. März 1869 richtet sich die Kritik gegen den Hauptpunkt des Programms der Bakunisten - gegen die Forderung nach der „politischen, ökonomischen und sozialen Gleichmachang der Klassen". Marx wies darauf hin, daß diese Forderung ihrem eigentlichen Wesen nach auf die bürgerliche Predigt der „Harmonie von Arbeit und Kapital" hinauslaufe, und schrieb: „Nicht die Gleichmachung der Klassen - ein logischer Widersinn, unmöglich zu realisieren -, sondern vielmehr die Abschaffung der Klassen, dieses wahre Geheimnis der proletarischen Bewegung, bildet das große Ziel der Internationalen Arbeiterassoziation." (Siehe vorl. Band, S. 349.) Nachdem die Aufnahme der Allianz zu den von den Bakunisten gestellten Bedingungen abgelehnt worden war, erklärten diese sich bereit, ihre Organisation aufzulösen; ihre Mitglieder sollten den örtlichen Sektionen der Internationale beitreten. In Wirklichkeit aber ließen Bakunin und seine Anhänger die Allianz als Geheimorganisation weiterbestehen, um mit ihr den Kampf gegen den Generalrat und seinen leitenden Kopf Marx zu führen. Diesen Kampf beabsichtigten die Bakunisten schon auf dem bevorstehenden Kongreß der Internationale in Basel zu entfachen, in dessen Tagesordnung auf ihr Drängen ein Punkt über die Abschaffung des Erbrechts aufgenommen wurde. In dem aus Marx' Feder stammenden Bericht des Generalrats über das Erbrecht wird festgestellt, daß die von Bakunin bei Saint-Simon entlehnte These von der Abschaffung des Erbrechts als Ausgangspunkt einer sozialen Umgestaltung „falsch in der Theorie und reaktionär in der Praxis" sei (siehe vorl. Band, S. 368). Marx stellt die Frage des Erbrechts auf den konkreten historischen Boden und weist nach, daß das Erbrecht von der bestehenden Gesellschaftsordnung abhängt und sich mit den Veränderungen dieser Ordnung ändert. „Wie jede andere bürgerliche Gesetzgebung", schreibt Marx, „sind die Erbschaftsgesetze nicht die Ursache, sondern die Wirkung, die juristische Folge der bestehenden ökonomischen Organisation der Gesellschaft, die auf das Privateigentum in den Mitteln der Produktion begründet ist, d.h. Land, Rohmaterial, Maschinen usw... Worum es sich hier dreht, ist die Ursache und nicht die Wirkung, die ökonomische Grundlage, nicht der juristische Überbau." (Siehe vorl. Band, S. 367.) Marx zeigt,
daß die Forderung nach Abschaffung des Erbrechts nicht nur theoretisch unhaltbar, sondern auch in politischer Beziehung schädlich ist, da sie das Proletariat von seinen wirklichen Aufgaben nur ablenken kann und seine Bundesgenossen, die Bauern, von ihm abstoßen würde. Anstatt den Anfang einer sozialen Revolution würde diese bakunistische Forderung deren Ende bedeuten. Auf dem Baseler Kongreß scheiterte der Versuch der Bakunisten, die Führung in der Internationale an sich zu reißen. Dies war das Signal für einen offenen und pausenlosen Krieg der Bakunisten gegen den Generalrat und alle Sektionen der Internationale, die die Ansichten Bakunins, besonders die von ihm gepredigte völlige Enthaltung von der politischen Tätigkeit, ablehnten. Zentrum der Wühlarbeit der Bakunisten wurde die Schweiz, wo es ihnen zeitweilig gelang, das Organ des Romanischen Föderalkomitees „L'figalite" in ihr Werkzeug zu verwandeln. In dem obenerwähnten Zirkular „Konfidentielle Mitteilung" legt Marx die gesamte Geschichte der Beziehungen zwischen der Internationale und der Allianz dar. Marx untersucht die Fragen, die den Bakunisten als Anlaß für die Angriffe gegen den Generalrat dienten, und gibt dabei eine tiefschürfende theoretische Begründung der Politik des führenden Organs der Internationale, besonders in der irischen Frage. Marx entlarvt die desorganisierende, doppelzüngige Haltung Bakunins und weist nach, daß Bakunin die Allianz, die er offiziell für aufgelöst erklärt hatte, als Geheimorganisation weiterbestehen ließ. Im Kampf gegen die Bakunisten - diese typischen Vertreter des kleinbürgerlichen Rebellentums - fand Marx bei der russischen Sektion der Internationale Unterstützung, die im Frühjahr 1870 von russischen politischen Emigranten, Schülern N.G.Tschernyschewskis und N.A.Dobroljubows in Genf, gebildet worden war. Die russische Sektion schickte Marx ihr Programm und ihre Statuten sowie einen Brief, in dem sie ihn bat, ihre Vertretung im Generalrat zu übernehmen. Marx zeigte besonderes Interesse an der revolutionären Bewegung in Rußland, da sich diese gegen den gemeinsamen Feind der europäischen Demokratie, den russischen Zarismus, richtete. Als er der russischen Sektion mitteilte, daß er bereit sei, sie im Generalrat zu vertreten, schrieb er: „Arbeiten wie die von Flerowski und von Eurem Lehrer Tschernyschewski machen Rußland wahrhaft Ehre und beweisen, daß Euer Land ebenfalls beginnt, an der allgemeinen Bewegung unseres Jahrhunderts teilzunehmen." (Siehe vorl. Band, S. 408.) In der Tätigkeit der russischen Sektion sah W.I.Lenin einen Versuch, „die progressivste und hervorragendste Erscheinung im »europäischen
Leben', die Internationale, nach Rußland zu verpflanzen" (W.I.Lenin, Werke, Band 1, Berlin 1961, S.280). Obwohl die Mitglieder der russischen Sektion ihrer Weltanschauung nach im allgemeinen Anhänger des kleinbürgerlichen Sozialismus waren, war es ihr großes historisches Verdienst, daß sie der Propaganda Bakunins gegen den politischen Kampf sowie seiner rebellenhaft-anarchistischen Taktik entgegentraten. Die Forderung, sich des politischen Kampfes zu enthalten, war die Hauptforderung, um die die Bakunisten damals alle antimarxistischen Strömungen in der Internationale zu vereinigen suchten. Deshalb schlug Marx vor, in die Tagesordnung des ordentlichen Kongresses der Internationale, der im Sommer 1870 in Mainz zusammentreten sollte, folgenden Punkt aufzunehmen: „Über den Zusammenhang zwischen der politischen Aktion und der sozialen Bewegung der Arbeiterklasse." (Siehe vorl. Band, S. 435.) Der Kongreß konnte jedoch nicht stattfinden, da im Juli 1870 der DeutschFranzösische Krieg ausbrach. Marx' und Engels' Tätigkeit zur Gründung und Festigung der Internationale - der ersten internationalen revolutionären Massenorganisation des Proletariats in der Geschichte, die nach den Worten Lenins „den Grundstein zum internationalen proletarischen Kampf für den Sozialismus" legte (W.I.Lenin, Werke, Band 29, Berlin 1961, S.296) - hatte weltgeschichtliche Bedeutung. Diese Tätigkeit bildete eine überaus wichtige Etappe im Kampf der Begründer des Marxismus für die proletarische Partei, für die Verbreitung der großen Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus. Wie die Materialien des vorliegenden Bandes zeigen, erobert die revolutionäre Lehre von Marx und Engels schon in den ersten Jahren der Internationalen Arbeiterassoziation feste Positionen in der Arbeiterbewegung, erringt der Marxismus bedeutende Siege über die verschiedenen dem Proletariat fremden und feindlichen Strömungen. Die sich im vorliegenden Band widerspiegelnde Periode der Internationale, der gesamte Verlauf und die Ergebnisse des Kampfes der verschiedenen Strömungen in der Arbeiterbewegung während dieser Periode bereiteten den Boden für den unausbleiblichen Triumph der marxistischen Lehre vor - der mächtigen ideologischen Waffe des Proletariats in seinem Kampf für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft...
In den Beilagen zu diesem Band werden Dokumente veröffentlicht, an deren Ausarbeitung oder Redigierung Marx beteiligt war, protokollarische Aufzeichnungen von Reden auf Generalratssitzungen und Zeitungs
berichte über Reden, die wegen der Kürze und Unvollkommenheit der Aufzeichnung nicht in den Haupttext des Bandes aufgenommen werden konnten. In die Beilagen sind ferner Artikel aufgenommen worden, die von Marx' Frau und seiner Tochter Jenny unter seiner direkten Mitwirkung geschrieben wurden. Alle diese Dokumente sind außerordentlich wichtig, um ein klares Bild von Marx' Tätigkeit bei der Führung der Internationale zu vermitteln... Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU
Von den insgesamt 111 im vorliegenden Band veröffentlichten Arbeiten werden neben den fünf im Vorwort zur russischen Ausgabe dieses Bandes genannten Manuskripten aus dem handschriftlichen Nachlaß noch 42 Artikel von Marx und Engels zum erstenmal in deutscher Sprache veröffentlicht. Weitere zwei Artikel werden in deutscher Sprache erstmals in authentischer Form veröffentlicht. 28 der von Marx und Engels in deutscher Sprache verfaßten Artikel werden seit ihrer Erstveröffentlichung zu Lebzeiten von Marx und Engels erstmals wieder in der Originalsprache zugänglich gemacht. Der Text des vorliegenden Bandes wurde anhand der Originale oder Photokopien überprüft. Bei jeder Arbeit ist die für den Abdruck oder die Übersetzung herangezogene Quelle vermerkt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden ebenfalls überprüft, soweit die Quellen zur Verfügung standen. Längere Zitate werden zur leichteren Übersicht in kleinerem Druck gebracht. Fremdsprachige Zitate und im Text vorkommende fremdsprachige Wörter sind in Fußnoten übersetzt. In den deutschsprachigen Texten sind Rechtschreibung und Zeichensetzung, soweit vertretbar, modernisiert; der Lautstand der Wörter wurde nicht verändert. Alle in eckigen Klammern stehenden Titel, Wörter und Wortteile stammen von der Redaktion; offensichtliche Druck- oder Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert. In Zweifelsfällen wird in Fußnoten die Schreibweise des Originals angeführt. Fußnoten von Marx und Engels sind durch Sternchen gekennzeichnet, Fußnoten der Redaktion durch eine durchgehende Linie vom Text abgetrennt und durch Ziffern kenntlich gemacht.
Zur Erläuterung ist der Band mit Anmerkungen versehen, auf die im Text durch hochgestellte Zahlen in eckigen Klammern hingewiesen wird; außerdem sind ein Literaturverzeichnis, Daten über das Leben und die Tätigkeit von Marx und Engels, ein Personen Verzeichnis, ein Verzeichnis der literarischen und mythologischen Namen, eine Liste der geographischen. Namen sowie eine Erklärung der Fremdwörter beigefügt.
Institut für Marxismus-Leninismus heim ZK der SED
KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS
September 1864-Juli 1870

AND
PRO VI S I ON AL RULES
OF THE
WOBKING MEN'S
INTERNATIONAL ASSOCIATION,
ESTABLISHED SEPTEMBER 28, 1864,
AT A PUBLIC MEETING HELD AT ST. MARTIN'S
HALL, LONG ACRE, LONDON.
PRICE ONE PENNY.
PRINTED AT THE "BEE-HIVE" NEWSPAPER OFFICE,
10, BOLT COURT, FLEET STREET.
18S4.
Titelblatt der Erstausgabe der Inauguraladresse und der Provisorischen Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation

Karl Marx
Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, gegründet am 28. September 1864 in öffentlicher Versammlung in St. Martin's Hall, Long Acre, in London
[„Der Social-Demokrat" Nr. 2 und 3 vom 21. und 30. Dezember 1864]
Arbeiter! Es ist Tatsache, daß das Elend der arbeitenden Massen nicht abgenommen hat während der Periode 1848-1864, und dennoch steht diese Periode mit ihrem Fortschritt von Industrie und Handel beispiellos da in den Annalen der Geschichte. Im Jahre 1850 weissagte eins der bestunterrichteten Organe der englischen Mittelklasse: Steigt Englands Ein- und Ausfuhr um 50%, so fällt der englische Pauperismus auf Null. Nun wohl! Am 7. April 1864 hat der Schatzkanzler Gladstone seine parlamentarische Audienz1 durch den Nachweis entzückt, daß Großbritanniens Gesamtaus- und -einfuhr 1863 nicht weniger als 443 955 000 Pfd.St. betrug! „Eine erstaunliche Summe, ungefähr dreimal so groß als die Summe des britischen Gesamthandels in der kaum verschwundenen Epoche von 1843!" Trotz alledem war er beredt über „Armut", „Denkt", rief er, „an die, welche am Abgrund des Elends schweben!", an „nicht gestiegene Löhne", an „das Menschenleben, in neun Fällen von zehn ein bloßer Kampf um die Existenz!"[2] Er sprach nicht von dem Volk von Irland, mehr und mehr ersetzt durch Maschinerie im Norden und durch Schafweiden im Süden, obgleich selbst die Schafe in jenem unglücklichen Lande abnehmen - es ist wahr, nicht ganz so rasch als die Menschen. Er wiederholte nicht, was die Repräsentanten der 10 000 Vornehmen soeben verraten hatten in einem plötzlichen Schreckanfall. Während der Höhe der Garrot-Panik[3] ernannte nämlich das Haus der Lords eine Untersuchungskommission über Deportation und Strafarbeit. Ihr Bericht steht in dem umfangreichen Blaubuch
1 gemeint: Auditorium
von 1863[4] und beweist durch offizielle Zahlen und Tatsachen, daß der Auswurf des Verbrechens, daß die Galeerensklaven Englands und Schottlands viel weniger abgeplackt und viel besser genährt werden als die Ackerbauer Englands und Schottlands. Aber das war nicht alles. Als der Amerikanische Bürgerkrieg die Fabrikarbeiter von Lancashire und Cheshire auf das Pflaster warf, entsandte dasselbe Haus der Lords einen Arzt in jene Manufakturdistrikte mit dem Auftrag, zu untersuchen, welcher kleinste Betrag von Kohlen- und Stickstoff, eingegeben in der wohlfeilsten und ordinärsten Form, durchschnittlich grade ausreiche, um „Hungerkrankheiten abzuwehren'' („to avert starvation diseases"). Dr.Smith, der ärztliche Bevollmächtigte, fand aus, daß eine wöchentliche Portion von 28 000 Gran Kohlen- und 1330 Gran Stickstoff einen Durchschnittserwachsenen genau über dem Niveau der Hungerkrankheiten halten werde und daß dieser Dosis ungefähr die spärliche Nahrung entsprach, wozu der Druck äußerster Not die Baumwollenarbeiter heruntergebracht hatte.* Aber nun merkt auf! Derselbe gelehrte Doktor wurde später wieder durch den Medizinalbeamten des Geheimen Rats (Privy Council) beauftragt mit der Untersuchung über den Ernährungsstand des ärmeren Teils der Arbeiterklasse. Die Ergebnisse seiner Forschung sind einverleibt in den „Sechsten Bericht über den Zustand der öffentlichen Gesundheit", veröffentlicht im Lauf des gegenwärtigen Jahres auf Befehl des Parlaments. Was entdeckte der Doktor? Daß Seidenweber, Nähterinnen, Handschuhmacher, Strumpfwirker und andre Arbeiter jahraus, jahrein im Durchschnitt nicht einmal jene Notration der unbeschäftigten Baumwollarbeiter erhalten, nicht einmal jenen Betrag von Kohle und Stickstoff, der „grade hinreichi zur Äb~ Wehr von Hungerkrankheiten ".
„Außerdem", wir zitieren den offiziellen Bericht, „außerdem zeigte sich in bezug auf die untersuchten Familien der Ackerbaubevölkerung, daß mehr als 1/5 weniger als das veranschlagte Minimum von kohlenhaltiger Nahrung, mehr als 1/3 weniger als das veranschlagte Minimum von stickstoffhaltiger Nahrung erhält und daß in die durchschnittliche Lokalnahrung der drei Grafschaften Berkshire, Oxfordshire und Somerset
* Wir brauchen den Leser wohl kaum darauf hinzuweisen, daß, abgesehen von den Elementen des Wassers und gewissen anorganischen Stoffen, Kohle und Stickstoff den Rohstoff der menschlichen Nahrung bilden. Um allerdings den menschlichen Organismus zu ernähren, müssen ihm diese einfachen chemischen Bestandteile in Form von pflanzlichen oder tierischen Stoffen zugeführt werden. Kartoffeln z.B. enthalten in der Hauptsache Kohlenstoff, während Weizenbrot kohlen- und stickstoffhaltige Substanzen in der geeigneten Proportion enthält. [Anmerkung von Marx zur englischen Ausgabe von 1864.]
shire ein unzureichendes Maß stickstoffhaltiger Lebensmittel eingeht. Man muß erwägen", fügt der offizielle Bericht hinzu, „daß Mangel an Nahrung nur sehr widerstrebend ertragen wird und daß große Dürftigkeit der Diät in der Regel nur kommt, nachdem Entbehrungen aller Art vorhergingen. Reinlichkeit selbst wird vorher kostspielig und mühevoll, und werden aus Selbstachtung noch Versuche gemacht, um sie aufrechtzuhalten, so stellt jeder solcher Versuch eine zusätzliche Hungerqual vor... Das sind peinliche Betrachtungen, namentlich wenn man sich erinnert, daß die Armut, wovon hier die Rede, nicht die verdiente Armut des Müßiggangs ist; es ist in allen Fällen die Armut von Arbeiterbevölkerungen. Ja die Arbeit, die die armselige Nahrungsration erhält, ist tatsächlich meist über alles Maß verlängert." Der „Bericht" enthüllt die sonderbare und sicher unerwartete Tatsache, daß „von den vier Abteilungen des Vereinigten Königreichs" - England, Wales, Schottland und Irland - „die Ackerbaubevölkerung Englands", der reichsten Abteilung, „bei weitem die schlechtgenährteste ist"; daß aber selbst die elenden Ackerbautaglöhner von Berkshire, Oxfordshire und Somersetshire besser genährt sind als große Massen der geschickten Handwerker von London. Dies sind offizielle Aufstellungen, auf Parlamentsbefehl veröffentlicht im Jahre 1864, während des Tausendjährigen Reichs des Freihandels, zu einer Zeit, wo der britische Schatzkanzler das Haus der Gemeinen belehrt, daß „die Durchschnittslage des britischen Arbeiters sich in einem Maß verbessert hat, wovon wir wissen, daß es außerordentlich und beispiellos in der Geschichte aller Länder und aller Epochen dasteht". Mißtönend knarrt zwischen diese offiziellen Glückwünschungen das dürre Wort des offiziellen Gesundheitsberichtes: „Die öffentliche Gesundheit eines Landes bedeutet die Gesundheit seiner Masse, und wie können die Massen gesund sein, wenn sie bis auf ihre untersten Schichten herab nicht wenigstens erträglich gedeihen?" Geblendet von der Fortschrittsstatistik des Nationalreichtums, die vor seinen Augen tanzt, ruft der Schatzkanzler in wilder Ekstase: „Von 1842 bis 1852 wuchs das steuerbare Landeseinkommen um 6 Prozent; in den acht Jahren von 1853 bis 1861 ist es, ausgehend von der Basis von 1853, um 20 Prozent gewachsen. Die Tatsache ist bis zum Unglaublichen erstaunlich! Dieser berauschende Zuwachs von Reichtum und Macht", fügt Herr Gladstone hinzu, „ist ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt^ Wenn ihr wissen wollt, unter welchen Bedingungen gebrochener Gesundheit, befleckter Moral und geistigen Ruins jener „berauschende
Zuwachs von Reichtum und Macht, ganz und gar beschränkt auf diebesitzenden Klassen produziert wurde und produziert wird durch die arbeitenden Klassen, betrachtet die Schilderung der Arbeitslokale von Druckern, Schneidern und Kleidermacherinnen in dem letzten „Bericht über den öffentlichen Gesundheitszustand"! Vergleicht den „Bericht der Kommission von 1863 über die Beschäftigung von Kindern", wo ihr unter anderm lest: „Die Töpfer als eine Klasse, Männer und Weiber, repräsentieren eine entartete Bevölkerung, physisch und geistig entartet"; „die ungesunden Kinder werden ihrerseits ungesunde Eltern, eine fortschreitende Verschlechterung der Race ist unvermeidlich", und dennoch „ist die Entartung (degenerescence) der Bevölkerung der Töpferdistrikte verlangsamt durch die beständige Rekrutierung aus den benachbarten Landdistrikten und die Zwischenheiraten mit gesundern Racen!" Werft einen Blick auf das von Herrn Tremenheere redigierte Blaubuch über die „Beschwerden der Bäckergesellen"[6]! Und wer schaudert nicht vor dem Paradoxon, eingetragen in die Berichte der Fabrikinspektoren und beleuchtet durch die Tabellen der General-Registratur, dem Paradoxon, daß zur Zeit, wo ihre Nahrungsration sie kaum über dem Niveau der Hungerkrankheit hielt, die Gesundheit der Arbeiter von Lancashire sich verbesserte infolge ihres zeitweiligen Ausschlusses aus der Baumwollfabrik durch die Baumwollnot und daß die Sterblichkeit der Fabrikkinder abnahm, weil es ihren Müttern jetzt endlich freistand, ihnen statt der Opiummixtur die Brust zu reichen. Kehrt die Medaille wieder um! Die Einkommen- und Eigentumssteuer listen, am 20. Juli 1864 dem Hause der Gemeinen vorgelegt, zeigen, daß die Personen mit jährlichen Einkommen von 50 000 Pfd.St. und über 50 000Pfd.St. sich vom 5. April 1862 bis zum 5. April 1863 durch ein Dutzend und eins rekrutiert hatten, indem ihre Anzahl in diesem einen Jahr von 67 auf 80 stieg. Dieselben Listen enthüllen die Tatsache, daß ungefähr dreitausend Personen ein jährliches Einkommen von ungefähr 25 Millionen Pfd.St. unter sich teilen, mehr als das Gesamteinkommen, welches der Gesamtmasse der Ackerbauarbeiter von England und Wales jährlich zugemessen wird! Öffnet den Zensus von 1861 und ihr findet, daß die Zahl der männlichen Grundeigentümer von England und Wales von 16 934 im Jahr 1851 herabgesunken war zu 15 066 im Jahre 1861, so daß die Konzentration des Grundeigentums in 10 Jahren um 11 Prozent wuchs. Wenn die Konzentration des Landes in wenigen Händen gleichmäßig fortschreitet, wird sich die Grund- und Bodenfrage (the land question) ganz merkwürdig ver
einfachen, wie zur Zeit des Römischen Kaiserreichs, als Nero grinste über die Entdeckung, daß die halbe Provinz von Afrika 6 Gentlemen angehörte. Wir haben so lange verweilt bei diesen „bis zum Unglaublichen erstaunlichen Tatsachen", weil England das Europa der Industrie und des Handels anführt und in der Tat auf dem Weltmarkt repräsentiert. Vor wenigen Monaten beglückwünschte einer der verbannten Söhne Louis-Philippes den englischen Ackerbauarbeiter öffentlich wegen des Vorzugs seiner Lage über die seiner minder blühenden Genossen jenseits des Kanals. In der Tat, mit veränderten Lokalfarben und in verjüngtem Maßstab wiederholen sich die englischen Tatsachen in allen industriellen und fortgeschrittenen Ländern des Kontinents. Seit 1848 in ihnen allen unerhörte Entwicklung der Industrie und ungeahnte Ausdehnung der Aus- und Einfuhr. In ihnen allen ein wahrhaft „berauschender Zuwachs von Reichtum und Macht", „ganz und gar beschränkt auf die besitzenden Klassen". In allen, wie in England, Steigen des Reallohns, d.h. der mit dem Geldlohn beschaffbaren Lebensmittel, für eine Minderheit der Arbeiterklasse, während in den meisten Fällen das Steigen des Geldlohns keinen wirklichen Zuwachs von Komfort anzeigte, so wenig, als etwa der Insasse eines Londoner Armenoder Waisenhauses im geringsten besser daran war, weil seine ersten Lebensmittel im Jahre 1861 der Verwaltung 9 Pfd. St. 15 sh. 8 d. kosteten anstatt der 7 Pfd. St. 7 sh. 4 d. des Jahres 18521. Überall die Massen der Arbeiterklasse tiefer sinkend in demselben Verhältnisse wenigstens, als die Klassen über ihnen in der gesellschaftlichen Waagschale aufschnellten. Und so ist es jetzt in allen Ländern Europas eine Wahrheit, erwiesen für jeden vorurteilsfreien Geist und nur geleugnet durch die interessiert klugen Prediger eines Narrenparadieses, daß keine Entwicklung der Maschinerie, keine chemische Entdeckung, keine Anwendung der Wissenschaft auf die Produktion, keine Verbesserung der Kommunikationsmittel, keine neuen Kolonien, keine Auswanderung, keine Eröffnung von Märkten, kein Freihandel, noch alle diese Dinge zusammengenommen das Elend der arbeitenden Massen beseitigen können, sondern daß vielmehr umgekehrt, auf der gegenwärtigen falschen Grundlage, jede frische Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit dahin streben muß, die sozialen Kontraste zu vertiefen und den sozialen Gegensatz zuzuspitzen. Während dieser „berauschenden Epoche" ökonomischen Fortschritts hob sich der Hungertod beinahe zum Range einer Institution in der Hauptstadt des Britischen Reichs. In den Annalen des Weltmarkts ist dieselbe Epoche gekennzeichnet durch die raschere Wieder
1 Im „Social-Demokrat" irrtümlich: 1851
kehr, den erweiterten Umfang und die tödlichere Wirkung der gesellschaftlichen Pest, die man industrielle und kommerzielle Krise heißt. Nach dem Fehlschlag der Revolutionen von 1848 wurden auf dem Kontinent alle Parteiorganisationen und Parteijournale der arbeitenden Klasse von der eisernen Hand der Gewalt unterdrückt, die fortgeschrittensten Söhne der Arbeit flohen in Verzweiflung nach der transatlantischen Republik, und der kurzlebige Traum der Emanzipation zerrann vor einer Epoche von fieberhaftem Industrialismus, moralischem Marasmus und politischer Reaktion. Die Niederlagen der kontinentalen Arbeiterklassen, wozu die diplomatische Einmischung des britischen Kabinetts, damals wie jetzt im brüderlichen Bund mit dem Kabinett von St. Petersburg, nicht wenig beitrug, verbreitete ihre ansteckende Wirkung bald diesseits des Kanals.-Während der Untergang der kontinentalen Arbeiterbewegung die britische Arbeiterklasse entmannte und ihren Glauben in ihrer eignen Sache brach, stellte er das bereits etwas erschütterte Vertrauen der Landlords und der Geldlords wieder her. Bereits öffentlich angekündigte Konzessionen wurden mit absichtlicher Insolenz zurückgezogen. Die Entdeckung neuer Goldlande führte kurz darauf zu einem ungeheuren Exodus, der unersetzliche Lücken in den Reihen des britischen Proletariats hinter sich ließ. Andre seiner früher tätigsten Glieder, durch den Köder größerer Beschäftigung und augenblicklicher Lohnerhöhung bestochen, „trugen den bestehenden Verhältnissen Rechnung". Alle Versuche, die Chartistenbewegung aufrechtzuerhalten oder neu zu gestalten, scheiterten vollständig, alle Preßorgane der Arbeiterklasse starben, eins nach dem andern, an der Apathie der Masse, und in der Tat, nie zuvor schien die englische Arbeiterklasse so ausgesöhnt mit einem Zustand politischer Nichtigkeit. Hatte daher zwischen den britischen und den kontinentalen Arbeiterklassen keine Gemeinsamkeit der Aktion existiert, so existierte jetzt jedenfalls eine Gemeinsamkeit der Niederlage. Und dennoch war die Periode von 1848 bis 1864 nicht ohne ihre Lichtseite. Hier seien nur zwei große Ereignisse erwähnt. Nach einem dreißigjährigen Kampf, der mit bewundrungswürdiger Ausdauer geführt ward, gelang es der englischen Arbeiterklasse durch Benutzung eines augenblicklichen Zwiespalts zwischen Landlords und Geldlords, die Zehnstundenbill durchzusetzen.[7] Die großen physischen, moralischen und geistigen Vorteile, die den Fabrikarbeitern aus dieser Maßregel erwuchsen und die man in den Berichten der Fabrikinspektoren halbjährig verzeichnet findet, sind jetzt von allen Seiten anerkannt. Die meisten kontinentalen Regierungen nehmen das englische Fabrikgesetz in mehr
oder minder veränderter Form an, und in England selbst wird seine Wirkungssphäre jährlich vom Parlament ausgedehnt. Aber von der praktischen Wichtigkeit abgesehen, hatte der Erfolg dieser Arbeitermaßregel eine andre große Bedeutung. Die Mittelklasse hatte durch die notorischsten Organe ihrer Wissenschaft, durch Dr.Ure, Professor Senior und andre Weisen von diesem Schlag, vorhergesagt und nach Herzenslust demonstriert, daß jede gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit die Totenglocke der englischen Industrie läuten müsse, einer Industrie» die vampirmäßig Menschenblut saugen müsse, vor allem Kinderblut. In alten Zeiten war der Kindermord ein mysteriöser Ritus der Religion des Moloch, aber er ward nur bei besonders feierlichen Gelegenheiten praktiziert, vielleicht einmal im Jahr, und zudem hatte Moloch keine besondere Liebhaberei für die Kinder der Armen. Der Kampf über die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit wütete um so heftiger, je mehr er, abgesehen von aufgeschreckter Habsucht, in der Tat die große Streitfrage traf, die Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von Nachfrage und Zufuhr, welche die politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche die politische Ökonomie der Arbeiterklasse bildet. Die Zehnstundenbill war daher nicht bloß eine große praktische Errungenschaft, sie war der Sieg eines Prinzips. Zum erstenmal erlag die politische Ökonomie der Mittelklasse in hellem Tageslicht vor der politischen Ökonomie der Arbeiterklasse. Ein noch größerer Sieg der politischen Ökonomie der Arbeit über die politische Ökonomie des Kapitals1 stand bevor. Wir sprechen von der Kooperativbewegung, namentlich den Kooperativfabriken, diesem Werk2 weniger kühnen „Hände" (hands). Der Wert dieser großen Experimente kann nicht überschätzt werden. Durch die Tat, statt durch Argumente, bewiesen sie, daß Produktion auf großer Stufenleiter und im Einklang mit dem Fortschritt moderner Wissenschaft vorgehen kann ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters), die eine Klasse von „Händen" anwendet; daß, um Früchte zu tragen, die Mittel der Arbeit nicht monopolisiert zu werden brauchen als Mittel der Herrschaft über und Mittel der Ausbeutung gegen den Arbeiter selbst, und daß wie Sklavenarbeit, wie Leibeigenenarbeit so Lohnarbeit nur eine vorübergehende und untergeordnete gesellschaftliche Form ist, bestimmt zu verschwinden
1 Im englischen Text der Inauguraladresse: des Besitzes - 2 im englischen Text: diesem ohne jede Beihilfe errichteten Werk
vor der assoziierten Arbeit, die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet. In England wurde der Samen des Ko~ Operativsystems von Robert Owen ausgestreut; die auf dem Kontinent versuchten Arbeiterexperimente waren in der Tat der nächste praktische Ausgang der Theorien, die 1848 nicht erfunden, wohl aber laut proklamiert wurden. Zur selben Zeit bewies die Erfahrung der Periode von 1848 bis 1864 unzweifelhaft, was die intelligentesten Führer der Arbeiterklasse in den Jahren 1851 und 1852 gegenüber der Kooperativbewegung in England bereits geltend machten, daß, wie ausgezeichnet im Prinzip und wie nützlich in der Praxis, kooperative Arbeit, wenn beschränkt auf den engen Kreis gelegentlicher Versuche vereinzelter Arbeiter, unfähig ist, das Wachstum des Monopols in geometrischer Progression aufzuhalten, die Massen zu befreien, ja die Wucht ihres Elends auch nur merklich zu erleichtern. Es ist vielleicht gerade dies der Grund, warum plausible Lords, bürgerlichphilanthropische Salbader und ein paar trockne politische Ökonomen jetzt mit demselben Kooperativsystem schöntun, das sie früher in seinem Keim zu ersticken versucht hatten, das sie verhöhnt hatten als die Utopie des Träumers und verdammt hatten als die Ketzerei des Sozialisten. Um die arbeitenden Massen zu befreien, bedarf das Kooperativsystem der Entwicklung auf nationaler Stufenleiter und der Förderung durch nationale Mittel. Aber die Herren von Grund und Boden und die Herren vom Kapital werden ihre politischen Privilegien stets gebrauchen zur Verteidigung und zur Verewigung ihrer ökonomischen Monopole. Statt die Emanzipation der Arbeit zu fördern, werden sie fortfahren, ihr jedes mögliche Hindernis in den Weg zu legen. Lord Palmerston sprach aus ihrer Seele, als er in der letzten Parlamentssitzung den Verteidigern der Rechte der irischen Pächter höhnend zuschrie: „Das Haus der Gemeinen ist ein Haus von Grundeigentümern!"[83 Politische Macht zu erobern ist daher jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen. Sie scheinen dies begriffen zu haben, denn in England, Frankreich, Deutschland und Italien zeigt sich ein gleichzeitiges Wiederaufleben und finden gleichzeitige Versuche zur Reorganisation der Arbeiterpartei statt. Ein Element des Erfolges besitzt sie, die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet. Die vergangene Erfahrung hat gezeigt, wie Mißachtung des Bandes der Brüderlichkeit, welches die Arbeiter der verschiedenen Länder verbinden und sie anfeuern sollte, in allen ihren Kämpfen für Emanzipation fest beieinanderzustehen, stets gezüchtigt wird durch die gemeinschaft
liehe Vereitlung ihrer zusammenhangslosen Versuche. Es war dies Bewußtsein, das die Arbeiter verschiedener Länder, versammelt am 28. September 1864 in dem öffentlichen Meeting zu St.Martin's Hall, London, anspornte zur Stiftung der Internationalen Assoziation. Eine andere Uberzeugung beseelte jenes Meeting. Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit National vor urteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet? Nicht die Weisheit der herrschenden Klassen, sondern der heroische Widerstand der englischen Arbeiterklasse gegen ihre verbrecherische Torheit bewahrte den Westen Europas vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei.[9] Der schamlose Beifall, die Scheinsympathie oder idiotische Gleichgültigkeit, womit die höheren Klassen Europas dem Meuchelmord des heroischen Polen und der Erbeutung der Bergveste des Kaukasus durch Rußland zusahen; die ungeheueren und ohne Widerstand erlaubten Ubergriffe dieser barbarischen Macht, deren Kopf zu St. Petersburg und deren Hand in jedem Kabinett von Europa, haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen. Der Kampf für solch eine auswärtige Politik ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Geschrieben zwischen dem 21. und 27. Oktober 1864.
Karl Marx
Provisorische Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation1101
In Erwägung, daß die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muß; daß der Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse kein Kampf für Klassenvorrechte und Monopole ist, sondern für gleiche Rechte und Pflichten und für die Vernichtung aller Klassenherrschaft; daß die ökonomische Unterwerfung des Arbeiters unter den Aneigner der Arbeitsmittel, d.h. der Lebensquellen, der Knechtschaft in allen ihren Formen zugrunde liegt ~ allem gesellschaftlichen Elend, aller geistigen Verkümmerung und politischen Abhängigkeit; daß die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse daher der große Endzweck ist, dem jede politische Bewegung, als Mittel, unterzuordnen ist; daß alle auf dieses Ziel gerichteten Versuche bisher gescheitert sind aus Mangel an Einigung unter den mannigfachen Arbeitszweigen jedes Landes und an der Abwesenheit eines brüderlichen Bundes unter den Arbeiterklassen der verschiedenen Länder; daß die Emanzipation der Arbeiterklasse weder eine lokale, noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe ist, welche alle Länder umfaßt, in denen die moderne Gesellschaft besteht, und deren Lösung vom praktischen und theoretischen Zusammenwirken der fortgeschrittensten Länder abhängt; daß die gegenwärtig sich erneuernde Bewegung der Arbeiterklasse in den industriellsten Ländern Europas, während sie neue Hoffnungen wachruft, zugleich feierliche Warnung erteilt gegen einen Rückfall in die alten Irrtümer und zur sofortigen Zusammenfassung der noch zusammenhangslosen Bewegungen drängt; aus diesen Gründen haben die unterzeichneten Mitglieder des Komitees, welches am 28. September 1864 auf der öffentlichen Versammlung in St.Martin's Hall, London, gewählt wurde, die notwendigen Schritte zur Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation getan»
Sie erklären, daß diese Internationale Assoziation und alle Gesellschaften und Individuen, die sich ihr anschließen, Wahrheit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit anerkennen als die Regel ihres Verhaltens zueinander und zu allen Menschen, ohne Rücksicht auf Farbe, Glauben oder Nationalität. Sie erachten es als die Pflicht eines jeden Menschen, die Rechte eines Menschen und Bürgers nicht bloß für sich selbst, sondern für jedermann, der seine Pflicht tut, zu fordern. Keine Rechte ohne Pflichten, keine Pflichten ohne Rechte/111 Und in diesem Geist haben sie nachfolgende Provisorische Statuten der Internationalen Assoziation verfaßt: 1. Die gegenwärtige Assoziation ist gegründet zur Herstellung eines Mittelpunktes der Verbindung und des Zusammenwirkens zwischen den in verschiedenen Ländern bestehenden Arbeitergesellschaften, welche dasselbe Ziel verfolgen, nämlich: den Schutz, den Fortschritt und die vollständige Emanzipation der Arbeiterklasse. 2. Der Name der Gesellschaft ist: Internationale Arbeiter-Assoziation. 3. Im Jahre 1865 wird ein allgemeiner Arbeiterkongreß in Belgien stattfinden. Er wird bestehen aus den Repräsentanten aller Arbeitergesellschaften, die sich in der Zwischenzeit der Internationalen Assoziation angeschlossen haben. Der Kongreß wird vor Europa die gemeinsamen Bestrebungen der Arbeiterklasse verkünden, die definitiven Statuten der Internationalen Assoziation festsetzen, die für ihr erfolgreiches Wirken notwendigen Mittel beraten und den Zentralrat der Assoziation ernennen/123 Der allgemeine Kongreß soll sich jährlich einmal versammeln. 4. Der Zentralrat hat seinen Sitz in London und wird gebildet aus Arbeitern, angehörig den verschiedenen, in der Internationalen Assoziation repräsentierten Ländern. Er besetzt aus seiner Mitte die zur Geschäftsführung nötigen Stellen, wie die des Präsidenten, Schatzmeisters, Generalsekretärs, der korrespondierenden Sekretäre für die verschiedenen Länder usw. 5. Auf seinen jährlichen Zusammenkünften erhält der Kongreß einen öffentlichen Bericht über die Jahresarbeit des Zentralrats. Der vom Kongreß jährlich neu ernannte Zentralrat ist ermächtigt, sich neue Mitglieder beizufügen. In dringenden Fällen kann er den Kongreß vor dem regelmäßigen jährlichen Termin berufen. 6. Der Zentralrat wirkt als internationale Agentur zwischen den verschiedenen zusammenwirkenden Gesellschaften, so daß die Arbeiter eines Landes fortwährend unterrichtet bleiben über die Bewegungen ihrer Klasse in allen anderen Ländern; daß eine Untersuchung über den sozialen Zustand der verschiedenen Länder Europas gleichzeitig und unter gemein
samer Leitung stattfindet; daß Fragen von allgemeinem Interesse, angeregt von einer Gesellschaft, von allen andern aufgenommen werden; und daß im Fall der Notwendigkeit sofortiger praktischer Schritte, wie z.B. bei internationalen Zwisten, die verbündeten Gesellschaften sich gleichzeitig und gleichförmig betätigen können. Bei jeder passenden Gelegenheit ergreift der Zentralrat die Initiative der den verschiedenen nationalen oder lokalen Gesellschaften zu unterbreitenden Vorlagen. 7. Da einerseits der Erfolg der Arbeiterbewegung in j'edem Lande nur gesichert werden kann durch die Macht der Einigung und Kombination, während andrerseits die Wirksamkeit des internationalen Zentralrats wesentlich dadurch bedingt ist, daß er mit wenigen nationalen Zentren der Arbeitergesellschaften verhandelt, statt mit einer großen Anzahl kleiner und zusammenhangsloser lokaler Gesellschaften, - so sollen die Mitglieder der Internationalen Assoziation all ihre Kräfte aufbieten zur Vereinigung der zerstreuten Arbeitergesellschaften ihrer betreffenden Länder in nationale Körper, repräsentiert durch nationale Zentralorgane. Es versteht sich von selbst, daß die Anwendung dieses Artikels von den Sondergesetzen jedes Landes abhängt und daß, abgesehen von gesetzlichen Hindernissen, keine unabhängige lokale Gesellschaft von direkter Korrespondenz mit dem Londoner Zentralrat ausgeschlossen ist. 8. Bis zur Zusammenkunft des ersten Kongresses wird sich das am 28. September 1864 gewählte Komitee als Provisorischer Zentralrat betätigen, Verbindungen zwischen den Arbeitergesellschaften verschiedener Länder zu knüpfen trachten, Mitglieder im Vereinigten Königreich werben, die vorbereitenden Schritte tun zur Einberufung des Kongresses und die Hauptfragen, die diesem Kongreß vorgelegt werden sollen, mit den nationalen und lokalen Gesellschaften besprechen. 9. Bei Veränderung des Wohnsitzes von einem Land zum andern erhält jedes Mitglied der Internationalen Assoziation die brüderliche Unterstützung der mitverbündeten Arbeiter. 10. Obgleich vereinigt zu einem ewigen Bund brüderlichen Zusammenwirkens, behalten die Arbeitergesellschaften, welche sich der Internationalen Assoziation anschließen, ihre bestehende Organisation unversehrt.
Geschrieben zwischen dem 21. und 27. Oktober 1864. Nach: „Address and provisional rules of the Working Men's International Association...", London 1864. Aus dem Englischen.
Karl Marx
[Resolutionsentwürfe über die Aufnahmebedingungen für Arbeiterorganisationen in die Internationale Arbeiterassoziation1131]
I
Arbeiterorganisationen werden eingeladen, der Assoziation geschlossen beizutreten, wobei die Höhe ihres Beitrags ihren Mitteln und ihrem Ermessen überlassen bleibt.
II
Gesellschaften, die der Assoziation beitreten, erhalten das Recht, einen Vertreter in den Zentralrat zu wählen, wobei der Rat sich das Recht vorbehält, diese Vertreter anzunehmen oder abzulehnen.1
Nach dem Protokollbuch. Aus dem Englischen.
1 In „The Bee-Hive Newspaper" lautet die zweite Resolution: „Gesellschaften in London, die der Assoziation beitreten, erhalten das Recht, einen Vertreter in den Zentralrat zu wählen, wobei der Rat sich das Recht vorbehält, diese Vertreter anzunehmen oder abzulehnen. Gesellschaften in den Provinzen, die beitreten möchten, wird das Recht gewährt, ein korrespondierendes Mitglied der Assoziation zu wählen."
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
Karl Marx
An Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika1141
[„Der Social-Demokrat" Nr. 3 vom 30. Dezember 1864]
Sir. wir wünschen dem amerikanischen Volk Glück zu Ihrer mit großer Majorität erfolgten Wiederwahl! Wenn Widerstand gegen die Macht der Sklavenhalter die maßvolle Losung Ihrer ersten Wahl war, so ist Tod der Sklaverei! der triumphierende Schlachtruf Ihrer Wiederwahl. Vom Anfang des amerikanischen Titanenkampfs an fühlten die Arbeiter Europas instinktmäßig, daß an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing. Der Kampf um die Territorien, welcher die furchtbar gewaltige Epopöe eröffnete, hatte er nicht zu entscheiden, ob der jungfräuliche Boden unermeßlicher Landstrecken der Arbeit des Einwanderers vermählt oder durch den Fuß des Sklaventreibers befleckt werden sollte? Als die Oligarchie der 300 000 Sklavenhalter zum erstenmal in den Annalen der Welt das Wort Sklaverei auf das Banner der bewaffneten Rebellion zu schreiben wagte; als auf dem selbigen Boden, dem kaum ein Jahrhundert vorher zuerst der Gedanke einer großen demokratischen Republik entsprungen war, von dem die erste Erklärung der Menschenrechte [15i ausging und der erste Anstoß zu der europäischen Revolution des 18.Jahrhunderts gegeben wurde; als auf diesem selbigen Boden die Kontrerevolution mit systematischer Gründlichkeit sich rühmte, „die zur Zeit des Aufbaues der alten Verfassung herrschenden Ideen" umzustoßen, und „die Sklaverei als eine heilsame Einrichtung - ja als die einzige Lösung des großen Problems der Beziehungen der Arbeit zum Kapital hinstellte" und zynisch das Eigentumsrecht auf den Menschen als den „Eckstein des neuen Gebäudes"[16] proklamierte; da begriffen die Arbeiter Europas sofort, selbst noch ehe sie durch die fanatische Parteinahme der oberen Klassen
An Abraham Lincoln 19
für den Konföderiertenadel[17] gewarnt worden, daß die Rebellion der Sklavenhalter die Sturmglocke zu einem allgemeinen Kreuzzug des Eigentums gegen die Arbeit läuten würde und daß für die Männer der Arbeit außer ihren Hoffnungen auf die Zukunft auch ihre vergangnen Eroberungen in diesem Riesenkampfe jenseits des Ozeans auf dem Spiele standen. Überall trugen sie darum geduldig die Leiden, welche die Baumwollenkrisis[18] ihnen auferlegte, widersetzten sich voll Begeisterung der Intervention zugunsten der Sklaverei, welche die höheren und „gebildeten" Klassen mit solchem Eifer herbeizuführen suchten, und entrichteten aus den meisten Teilen Europas ihre Blutsteuer für die gute Sache. Solange die Arbeiter, die wahren Träger der politischen Macht im Norden, es erlaubten, daß die Sklaverei ihre eigene Republik besudelte; solange sie es dem Neger gegenüber, der ohne seine Zustimmung einen Herrn hatte und verkauft wurde, als das höchste Vorrecht des weißen Arbeiters rühmten, daß er selbst sich verkaufen und seinen Herrn wählen könne - solange waren sie unfähig, die wahre Freiheit der Arbeit zu erringen oder ihre europäischen Brüder in ihrem Befreiungskampfe zu unterstützen. Dieses Hindernis des Fortschritts ist von dem roten Meere des Bürgerkrieges hinweggeschwemmt worden. Die Arbeiter Europas sind von der Überzeugung durchdrungen, daß, wie der amerikanische Unabhängigkeitskrieg eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Mittelklasse einweihte, so der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird. Sie betrachten es als ein Wahrzeichen der kommenden Epoche, daß Abraham Lincoln, dem starksinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die Erlösung einer geknechteten Race und für die Umgestaltung der sozialen Welt hindurchzuführen. Unterzeichnet im Namen der Internationalen Arbeiterassoziation vom Zentralrat:
Le Lubez, korrespondierender Sekretär für Frankreich; F. Rybczinsky (Polen); EmileHoltorp (Polen); ]. B. Bocquet; H.Jung, korrespondierender Sekretär für die Schweiz; Morisot; George W.Wheeler; J.Denoual; P.Bordage; Le Roux; Tallandier; Jourdain; Dupont; R. Gray; D. Lama; C.Setacci; F.Solustri; P. Aldovrandi; D. G. Bagnagatti; G. P. Fontana, korrespondierender Sekretär für Italien;G. Lake; J. Buckley; G. Howell; J.Osborne; J. D. Stainsby; J.Grossmith; G.Eccarius; Friedrich Leßner; Wol0; K.Kaub; HeinrichBolleter;Ludwig Otto; N.P.Hansen (Dänemark);
CarlPfaender; Georg Lochner; Peter Petersen; Karl Marx, korrespondierender Sekretär für Deutschland; A. Dick; L. Wolf; J. Whitlock; J.Carter; W.Morgan; William Dell; John Weston;Peter Fox; Robert Shaw; John M.Longmaid; Robert Henry Side; William C. Worley; Blockmoor; R.Hartwell; W.Pidgeon; B.Lucraft; J.Nieass
/-( n t n .. • i i n . ij.üager, rrasiaent aes nats William R. Cremer, ehrenamtlicher Generalsekretär
Geschrieben zwischen dem 22. und 29. November 1864.
Karl Marx
[Brief an den Redakteur des „Beobachters"1191]
[„Der Beobachter" Nr.282 vom 3. Dezember 1864] 28. November 1864 1, Modena Villas, Maitland Park, Häver stock Hill, London
Herr Redakteur! Ich ersuche Sie, inliegende Zusendung, betreffend Herrn Karl Blind1, aufzunehmen. Ich habe dieselbe Erklärung unter derselben Form - als Brief an den „Beobachter" zu Stuttgart - einigen preußischen Zeitungen zur Veröffentlichung mitgeteilt und werde ditto einen Abdruck desselben in einem hiesigen deutschen Blatt veranstalten, so daß die Verantwortlichkeit mir ausschließlich zufällt. Ihr ganz ergebenster K.Marx
1 Siehe den folgenden Artikel
Karl Marx
[Briet an den Redakteur des „Beobachters" zu Stuttgart1201]
[„Nordstern" Nr.287 vom 10. Dezember 1864] An den Redakteur des „Beobachters" zu Stuttgart Mein Herr! DurcK seinen Bradforder Strohmann» den Dr. Bronner, hat Herr Karl Blind Ihnen einen Schreibebrief von, für und über Herrn Karl Blind zugehen lassen, wo mitten zwischen andre Kuriositäten folgende Stelle einschlüpft: „Auf jenen alten", auf das Flugblatt „Zur Warnung" gegen Vogt bezüglichen, „durch allseitige Erklärungen abgemachten Streit, den die Redaktion wieder hervorgezogen hat, will ich dabei nicht zurückkommen" Er „will nicht zurückkommen"! Welche Großmut! Zum Beweis, daß die wichtigtuende Eitelkeit des Herrn Karl Blind dann und wann den Herrn Karl Blind über die Schranken der reinen Komik hinaustreibt, erwähnen Sie meiner Schrift gegen Vogt1. Aus der Blindschen Antwort müssen Sie und Ihre Leser den Schluß ziehen, daß die in jener Schrift gegen Herrn Karl Blind erhobenen Anklagen „durch allseitige Erklärungen" abgemacht sind. In Wahrheit hat der sonst so schreibselige Herr Karl Blind seit der Erscheinung meiner Schrift, also während vier Jahren, niemals gewagt, mit einem einzigen Sterbenswort, viel weniger mit „allseitigen Erklärungen" auf den alten Streit zurückzukommen. Herr Karl Blind hat sich vielmehr dabei beruhigt, als „infamer Lügner" (s. pag.66, 67 meiner Schrift2) gebrandmarkt dazustehn. Herr Karl Blind hatte öffentlich und wiederholt erklärt, er wisse nicht, durch wen das Flugblatt gegen Vogt in die Welt geschleudert worden sei, er habe gar keinen
1 Siehe Band 14 unserer Ausgabe 2 ebenda S. 485/486
Anteil an der Sache usw. Außerdem veröffentlichte Herr Karl Blind ein Zeugnis des Buchdruckers Fidelio Hollinger, flankiert durch ein anderes Zeugnis des Setzers Wiehe, dahin lautend, daß das Flugblatt weder in Hollingers Druckerei gedruckt sei, noch von Herrn Karl Blind herrühre. In meiner Schrift gegen Vogt findet man nun die Affidavits (Aussagen an Eidesstatt) des Setzers Vögele und des Wiehe selbst vor dem Polizeigericht in Bow Street, London, durch welche bewiesen ist, daß derselbe Herr Karl Blind das Manuskript des Flugblattes schrieb, es bei Hollinger drucken ließ, den Probebogen eigenhändig korrigierte, zur Widerlegung dieser Tatsachen ein falsches Zeugnis schmiedete, für dieses falsche Zeugnis unter Vorhaltungen von Geldversprechungen auf seiten Hollingers, künftigen Dankes von seiner eigenen Seite die Unterschrift des Setzers Wiehe sich erschlich und endlich dies selbstgeschmiedete falsche Schriftstück mit der von ihm selbst erschlichenen Unterschrift als sittlich entrüsteten Beweis meiner „böslichen Erfindung" in die Augsburger „Allgemeine"[21] und andere deutsche Zeitungen expedierte. Am Pranger so ausgestellt, schwieg Herr Karl Blind. Warum? Weil er (siehe pag.69 meiner Schrift1) die von mir veröffentlichten Affidavits nur durch Gegenaffidavits entkräften konnte, sich jedoch „im bedenklichen Gerichtsbann von England befand", wo „mit der Felonie nicht zu spaßen ist". In dem erwähnten Schreibebriefe an Ihr Blatt finden sich auch abenteuerliche Mitteilungen über Herrn Karl Blinds amerikanische Emsigkeit. Zur Aufklärung über diesen Punkt erlauben Sie mir einen Auszug aus einem vor einigen Tagen hier eingetroffenen Brief J.Weydemeyers mitzuteilen. J.Weydemeyer, wie Sie sich erinnern werden, redigierte früher zusammen mit O.Lüning die „N[eue] Deutsche Zeitung"f22] zu Frankfurt und war stets einer der tüchtigsten Vorkämpfer der deutschen Arbeiterpartei. Kurz nach Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs trat er in die Reihen der Föderalisten. Von Fremont nach St. Louis beschieden, diente er erst als Kapitän im dortigen Ingenieurkorps, dann als Oberstleutenant in einem Artillerieregiment und erhält, als Missouri jüngst aufs neue von feindlicher Invasion bedroht war, plötzlich den Auftrag zur Organisierung des 417. Missouri-Freiwilligenregiments, an dessen Spitze er jetzt als Oberst steht. Weydemeyer schreibt von St. Louis, der Hauptstadt Missouris, wo sein Regiment kantoniert ist, wie folgt: „Beiliegend findest Du einen Ausschnitt aus einer hiesigen Zeitung, der ,Westlichen Post, worin der literarische Freibeuter Karl Blind sich einmal wieder gewaltig
1 Siehe Band 14 unserer Ausgabe, St 488/489
spreizt auf Kosten deutscher Republikaner. Für hier ist es zwar ziemlich gleichgültig, in welcher Weise er Lassalles Bestrebungen und Agitationen entstellt; wer des Letzten Schriften gelesen, weiß, was er von Blinds Harlekinaden zu halten; wer sich die Mühe nicht gegeben, mit jener Agitation etwas bekannter zu werden, mag gläubig die Weisheit und ,Gesinnungstüchtigkeit' des großen Badensers, Verschwörers par excellence und des Mitglieds aller geheimen Gesellschaften und zukünftigen provisorischen Regierungen bewundern; an seinem Urteil ist nichts gelegen. Auch haben die Leute im Äugenblick hier andere Dinge zu tun, als sich mit Blindschen Protesten zu befassen. Aber es wäre doch gewiß zweckmäßig, dem gespreizten Gecken zu Hause einmal tüchtig auf die Finger zu klopfen, und deshalb schicke ich Dir den Artikel, der nur ein Probestückchen ähnlicher früherer Leistungen ist." Der von J.Weydemeyer übersandte Ausschnitt aus der „Westlichen Post"[23] ist überschrieben: „Ein republikanischer Protest, London, 17. Sept. 1864", und ist die amerikanische Ausgabe des „Republikanischen Protestes", den derselbe unvermeidliche HerrKarlBlinJunter demselben Titel gleichzeitig in die „Neue Frankfurter Zeitung"und dann mit der gewohnten betriebsamen Ameisenemsigkeit als Wiederabdruck aus der „N. Frankfurter Zeitung" in den Londoner „Hermann"[251 beförderte. Eine Vergleichung der beiden Ausgaben des Blindschen Machwerks würde zeigen, wie derselbe Herr Karl Blind, der zu Frankfurt und London mit biedermännisch-republikanisch-katonischer Leichenbittermiene protestiert, gleichzeitig in dem abgelegenen St. Louis der bösartigsten Albernheit und gemeinsten Frechheit frei den Zügel schießen läßt. Eine Vergleichung der zwei Ausgaben des Protestes, wozu hier nicht der Platz, würde außerdem einen neuen drolligen Beitrag gewähren zur Fabrikationsmethode der Schreibebriefe, Zirkulare, Flugblätter, Proteste, Vorbehalte, Abwehren, Aufrufe, Zurufe und andrer dergleichen kopfschüttelnd feierlicher Blindscher Staatsrezepte, denen ebensowenig zu entlaufen ist als den Pillen des Herrn Holloway oder dem Malzextrakt des Herrn Hoff. Es liegt mir durchaus fern, einen Mann wie Lassalle und die wirkliche Tendenz seiner Agitation einem grotesken Clown1, hinter dem nichts steht als sein eigener Schatten, verständlich machen zu wollen. Ich bin im Gegenteil überzeugt, daß Herr Karl Blind nur seinen von Natur und Äsop ihm auferlegten Beruf erfüllt, wenn er nach dem toten Löwen tritt[26J.
London, den 28. November 1864
Karl Marx
* In der Handschrift; einem grotesken Mazzini-Scapin
Karl Marx
Ober P.-J. Proudhon[27] [Brief an J. B. v. Schweitzer]
[„Der Social-Demokrat" Nr. 16, 17 und 18 vom 13. und 5. Februar 1865] London, 24. Januar 1865
. Sehr geehrter Herr! Ich erhielt gestern einen Brief, worin Sie von mir ausführliche Beurteilung Proudhons verlangen. Zeitmangel erlaubt mir nicht, Ihren Wunsch zu befriedigen. Zudem habe ich \eine seiner Schriften hier zur Hand. Um Ihnen jedoch meinen guten Willen zu zeigen, werfe ich rasch eine kurze Skizze hin. Sie können dann nachholen, zusetzen, auslassen, kurz und gut, damit machen, was Ihnen gutdünkt.1 Proudhons erster Versuche erinnere ich mich nicht mehr. Seine Schularbeit über die „Langue universelle"'[283 zeigt, wie ungeniert er sich an Probleme wagte, zu deren Lösung ihm noch die ersten Vorkenntnisse fehlten. Sein erstes Werk „Quest-ce que la propriete?"2 ist unbedingt sein bestes Werk. Es ist epochemachend, wenn nicht durch neuen Inhalt, so doch durch die neue und kecke Art, Altes zu sagen. In den Werken der ihm bekannten französischen Sozialisten und Kommunisten war natürlich die „propriete" nicht nur mannigfach kritisiert, sondern auch utopistisch „aufgehoben" worden. Proudhon verhält sich in jener Schrift zu Saint-Simon und Fourier ungefähr wie sich Feuerbach zu Hegel verhält. Verglichen mit Hegel ist Feuerbach durchaus arm. Dennoch war er epochemachend nach Hegel, weil er den Ton legte auf gewisse, dem christlichen Bewußtsein unangenehme und für den Fortschritt der Kritik wichtige Punkte, die Hegel in einem mystischen Clair-obscur gelassen hatte.
1 Die Redaktion des „Social-Demokrat" setzte hier folgende Fußnote: „Wir hielten es für das beste, das Schreiben unverändert zu geben." -2 „Was ist das Eigentum?"
Wenn ich mich so ausdrücken darf, herrscht in jener Schrift Proudhons noch starke Muskulatur des Stils. Und ich halte den Stil derselben für ihr Hauptverdienst. Man sieht, daß selbst da, wo nur Altes reproduziert wird, Proudhon selbständig findet; daß das, was er sagt, ihm selbst neu war und als neu gilt. Herausfordernder Trotz, der das ökonomische „Allerheiligste" antastet, geistreiche Paradoxie, womit der gemeine Bürger verstand gefoppt wird, zerreißendes Urteil, bittre Ironie, dann und wann durchschauend ein tiefes und wahres Gefühl der Empörung über die Infamie des Bestehenden, revolutionärer Ernst - durch alles das elektrisierte „Quest-ce que la propriete?" und gab einen großen Anstoß bei seinem ersten Erscheinen. In einer streng wissenschaftlichen Geschichte der politischen Ökonomie wäre dieselbe Schrift kaum erwähnenswert. Aber solche Sensationalschriften spielen in den Wissenschaften ebensogut ihre Rolle wie in der Romanliteratur. Man nehme z.B. Malthus Schrift über „Population1. In ihrer ersten Ausgabe ist sie nichts als ein „sensational pamphlet", dazu Plagiat von Anfang zu Ende. Und doch, wieviel Anstoß gab dies Pasquill auf das Menschengeschlechtl Läge Proudhons Schrift vor mir, so wäre an einigen Beispielen seine erste Manier leicht nachzuweisen. In den Paragraphen, die er selbst für die wichtigsten hielt, ahmt er Kants Behandlung der Antinomien nach - es war dies der einzige deutsche Philosoph, den er damals aus Übersetzungen kannte - und läßt den starken Eindruck zurück, daß ihm, wie Kant, die Lösung der Antinomien für etwas gilt, das „jenseits" des menschlichen Verstandes fällt, d.h. worüber sein eigner Verstand im unklaren bleibt. Trotz aller scheinbaren Himmelsstürmerei findet man aber schon in „Qu'est-ce que la propriete?" den Widerspruch, daß Proudhon einerseits die Gesellschaft vom Standpunkt und mit den Augen eines französischen Parzellenbauern (später petit bourgeois1) kritisiert, andererseits den von den Sozialisten ihm überlieferten Maßstab anlegt. Das Ungenügende der Schrift war schon in ihrem Titel angedeutet. Die Frage war so falsch gestellt, daß sie nicht richtig beantwortet werden konnte. Die antiken „Eigentumsverhältnisse" waren untergegangen in den feudalen, die feudalen in den „bürgerlichen". Die Geschichte selbst hatte so ihre Kritik an den vergangnen Eigentumsverhältnissen ausgeübt. Das, worum es sich für Proudhon eigentlich handelte, war das bestehende modern-bürgerliche Eigentum. Auf die Frage, was dies sei, konnte nur geantwortet werden durch eine kritische Analyse der „politischen Ökonomie",
1 Kleinbürgers
die das Ganze jener Eigentumsverhältnisse, nicht in ihrem juristischen Ausdruck als Willensverhältnisse, sondern in ihrer realen Gestalt, d.h. als Produktionsverhältnisse, umfaßte. Indem Proudhon aber die Gesamtheit dieser ökonomischen Verhältnisse in die allgemeine juristische Vorstellung „das Eigentum", „la propriete1, verflocht, konnte er auch nicht über die Antwort hinauskommen, die Brissot mit denselben Worten in einer ähnlichen Schrift schon vor 1789 gegeben hatte: „La propriete c'est le vol."1 Im besten Fall kommt dabei nur heraus, daß die bürgerlich-juristischen Vorstellungen von „Diebstahl" auch auf des Bürgers eignen „redlichen" Erwerb passen. Andererseits verwickelte sich Proudhon, da der „Diebstahl" als gewaltsame Verletzung des Eigentums das Eigentum voraussetzt, in allerlei ihm selbst unklare Hirngespinste über das wahre bürgerliche Eigentum. Während meines Aufenthalts in Paris, 1844, trat ich zu Proudhon in persönliche Beziehung. Ich erwähne das hier, weil ich zu einem gewissen Grad mit schuld bin an seiner „Sophistication", wie die Engländer die Fälschung eines Handelsartikels nennen. Während langer, oft übernächtiger Debatten infizierte ich ihn zu seinem großen Schaden mit Hegelianismus, den er doch bei seiner Unkenntnis der deutschen Sprache nicht ordentlich studieren konnte. Was ich begann, setzte nach meiner Ausweisung aus Paris Herr Karl Grün fort. Der hatte als Lehrer der deutschen Philosophie noch den Vorzug vor mir, daß er selbst nichts davon verstand. Kurz vor Erscheinen seines zweiten bedeutenden Werkes „Philosophie de la misere etc." kündigte mir Proudhon dieses selbst in einem sehr ausführlichen Brief an, worin u.a. die Worte unterlaufen: „J'attends votre ferule critique."2 Indes fiel diese bald in einer Weise auf ihn (in meiner Schrift „Misere de la philosophie etc.", Paris 18473), die unserer Freundschaft für immer ein Ende machte. Aus dem hier Gesagten ersehen Sie, daß Proudhons „Philosophie de la misere ou Systeme des contradictions economiques" eigentlich erst die Antwort enthielt auf die Frage: „Quest-ce que la propriete?" Er hatte in der Tat erst nach dem Erscheinen dieser Schrift seine ökonomischen Studien begonnen; er hatte entdeckt, daß die von ihm aufgeworfene Frage nicht beantwortet werden konnte mit einer Invektive, sondern nur durch Analyse der modernen „politischen Ökonomie". Er versuchte zugleich, das System der ökonomischen Kategorien dialektisch darzustellen. An die Stelle der unlösbaren
1 „Eigentum ist Diebstahl," - 2 „Ich erwarte Ihre strenge Kritik" - 3 siehe Band 4 unserer Ausgab^
„Antinomien" Kants sollte der Hegeische „ Widerspruch" als Entwicklungsmittel treten. Zur Beurteilung seines zweibändigen, dickleibigen Werkes muß ich Sie auf meine Gegenschrift verweisen. Ich zeigte darin u.a., wie wenig er in aas Geheimnis der wissenschaftlichen Dialektik eingedrungen; wie er andererseits die Illusionen der spekulativen Philosophie teilt, indem er die ökonomischen Kategorien, statt als theoretische Ausdrücke historischer, einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktion entsprechender Produktionsverhältnisse zu begreifen, sie in präexistierende, ewige Ideen verfaselt, und wie er auf diesem Umwege wieder auf dem Standpunkt der bürgerlichen Ökonomie ankommt.* Ich zeige weiter noch, wie durchaus mangelhaft und teilweise selbst schülerhaft seine Bekanntschaft mit der „politischen Ökonomie", deren Kritik er unternahm, und wie er mit den Utopisten auf eine sogenannte „Wissenschaft" Jagd macht, wodurch eine Formel für die „Lösung der sozialen Frage" a priori herausspintisieirt werden soll, statt die Wissenschaft aus der kritischen Erkenntnis der geschichtlichen Bewegung zu schöpfen, einer Bewegung, die selbst die materiellen Bedingungen der Emanzipation produziere. Namentlich aber wird gezeigt, wie Proudhon über die Grundlage des Ganzen, den Tauschwert, im unklaren, falschen und halben bleibt, ja die utopistische Auslegung der Ricardoschen Werttheorie für die Grundlage einer neuen Wissenschaft versieht. Über seinen allgemeinen Standpunkt urteile ich zusammenfassend wie folgt: „Jedes ökonomische Verhältnis hat eine gute und eine schlechte Seite; das ist der einzige Punkt, in dem Herr Proudhon sich nicht selbst ins Gesicht schlägt. Die gute Seite sieht er von den Ökonomen hervorgehoben, die schlechte von den Sozialisten angeklagt. Er entlehnt den Ökonomen die Notwendigkeit der ewigen Verhältnisse; er entlehnt den Sozialisten die Illusion, in dem Elend nur das Elend zu erblicken (statt darin die revolutionäre, zerstörende Seite zu erblicken, welche die alte Gesellschaft umstürzen
* „Wenn die Ökonomen sagen, daß die gegenwärtigen Verhältnisse - die Verhältnisse der bürgerlichen Produktion - natürliche sind, so geben sie damit zu verstehen, daß es Verhältnisse sind, in denen die Erzeugung des Reichtums und die Entwicklung der Produktivkräfte sich gemäß den Naturgesetzen vollziehen. Somit sind diese Verhältnisse selbst von dem Einfluß der Zeit unabhängige Naturgesetze. Es sind ewige Gesetze, welche stets die Gesellschaft zu regieren haben. Somit hat es eine Geschichte gegeben, aber es gibt keine mehr." (p. 1131 meiner Schrift.)f29J
1 Siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 139
wird)1. Er ist mit beiden einverstanden, wobei er sich auf die Autorität der Wissenschaft zu stützen sucht. Die Wissenschaft reduziert sich für ihn auf den zwerghaften Umfang einer wissenschaftlichen Formel; er ist der Mann auf der Jagd nach Formeln. Demgemäß schmeichelt sich Herr Proudhon, die Kritik sowohl der politischen Ökonomie als des Kommunismus gegeben zu haben - er steht tief unter beiden. Unter den Ökonomen, weil er als Philosoph, der eine magische Formel bei der Hand hat, sich erlassen zu können glaubt, in die rein ökonomischen Details einzugehen; unter den Sozialisten, weil er weder genügend Mut noch genügend Einsicht besitzt, sich, und wäre es nur spekulativ, über den Bourgeoishorizont zu erheben... Er will als Mann der Wissenschaft über Bourgeois und Proletariern schweben; er ist nur der Kleinbürger, der beständig zwischen dem Kapital und der Arbeit, zwischen der politischen Ökonomie und dem Kommunismus hin- und hergeworfen wird."* Hart, wie das vorstehende Urteil klingt, muß ich noch heute jedes Wort desselben unterschreiben. Zugleich aber bedenke man, daß zur Zeit, wo ich Proudhons Buch für den Kodex des Sozialismus des petit bourgeois erklärte und dies theoretisch nachwies, Proudhon noch als Ultra-Erzrevolutionär von politischen Ökonomisten und von Sozialisten zugleich verketzert ward. Deshalb habe ich später auch nie eingestimmt in das Geschrei über seinen „Verrat" an der Revolution. Es war nicht seine Schuld, wenn er, von andern wie von sich selbst ursprünglich mißverstanden, unberechtigte Hoffnungen nicht erfüllt hat. In der „Philosophie de la misere" springen alle Mängel der Proudhonschen Darstellungsweise im Kontrast zu „Quest-ce que la proprieteP" sehr ungünstig hervor. Der Stil ist oft, was die Franzosen ampouW nennen. Hochtrabend spekulatives Kauderwelsch, deutsch-philosophisch sein sollend, tritt regelrecht ein, wo ihm die gallische Verstandesschärfe ausgeht. Ein marktschreierischer, selbstlobhudelnder, ein renommistischer Ton, namentlich das stets so unerquickliche Gesalbader von und falsches Gepränge mit „Wissenschaft", gellt einem fortwährend ins Ohr. Statt der wirklichen Wärme, welche die erste Schrift durchleuchtet, wird sich hier an gewissen Stellen systematisch in eine fliegende Hitze hineindeklamiert. Dazu das unbeholfen-widrige Gelehrttun des Autodidakten, dessen natur
*l.c. p. 119,120.2
1 Die in Klammern gesetzten Worte fügte Marx im vorliegenden Artikel hinzu Band 4 unserer Ausgabe, S. 143/144 - 3 schwülstig - 2 siehe
wüchsiger Stolz auf originelles Selbstdenken bereits gebrochen ist und der nun als Parvenü der Wissenschaft mit dem, was er nicht ist und nicht hat, sich spreizen zu müssen wähnt. Dann die Gesinnung des Kleinbürgers, der etwa einen Mann wie Cabet, respektabel wegen seiner praktischen Stellung zum französischen Proletariat lS0\ unanständig brutal - weder scharf noch tief, noch selbst richtig - angreift, dagegen z.B. einem Dunoyer (allerdings „Staatsrat") gegenüber artig tut, obgleich die ganze Bedeutung jenes Dunoyer in dem komischen Ernst bestand, womit er drei dicke, unerträglich langweilige Bände hindurch den Rigorismus predigte, den Helvetius so charakterisiert: „On veut que les malheureux soient parfaits." (Man verlangt, daß die Unglücklichen vollkommen sein sollen.) Die Februarrevolution kam Proudhon in der Tat sehr ungelegen, da er just einige Wochen zuvor unwiderleglich bewiesen hatte, daß „die Ära der Revolutionen" für immer vorüber sei. Sein Auftreten in der Nationalversammlung, sowenig Einsicht in die vorliegenden Verhältnisse es bewies, verdient alles Lob.[31] Nach der Juni-Insurrektion war es ein Akt großen Mutes. Es hatte außerdem die günstige Folge, daß Herr Thiers in seiner Gegenrede gegen Proudhons Vorschläge, die dann als besondere Schrift veröffentlicht ward, ganz Europa bewies, auf welchem Kleinkinderkatechismus-Piedestal dieser geistige Pfeiler der französischen Bourgeoisie stand. Herrn Thiers gegenüber schwoll Proudhon in der Tat zu einem vorsündflutlichen Kolosse auf. Proudhons Entdeckung des „credit gratuit"1 und die auf ihn basierte „ Vol^sbank" (banque du peuple) waren seine letzten ökonomischen „Taten". In meiner Schrift „Zur Kritik der Polnischen Oekonomie", Heft 1, Berlin 1859 (p. 59-64)2, findet man den Beweis, daß die theoretische Grundlage seiner Ansicht aus einer Verkennung der ersten Elemente der bürgerlichen „politischen Ökonomie", nämlich des Verhältnisses der Waren zum (Jeld, entspringt, während der praktische Uberbau bloße Reproduktion viel älterer und weit besser ausgearbeiteter Pläne war. Daß das Kreditwesen, ganz wie es z.B. im Anfang des 18. und später wieder des 19. Jahrhunderts in England dazu diente, das Vermögen von einer Klasse auf die andere zu übertragen, unter bestimmten ökonomischen und politischen Umständen zur Beschleunigung der Emanzipation der arbeitenden Klasse dienen kann, unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, ist selbstverständlich. Aber das zinstragende Kapital als die Hauptform des Kapitals betrachten, aber eine besondere Anwendung des Kreditwesens, angebliche Abschaffung des
1 „zinslosen Kredits" -2 siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.64-69
Zinses, zur Basis der Gesellschaftsumgestaltung machen wollen, ist eine durchaus spießbürgerliche Phantasie. Man findet diese Phantasie daher in der Tat auch des weiteren ausgepatscht bereits bei den ökonomischen Wortführern der englischen Kleinbürgerschaft des siebzehnten Jahrhunderts. Proudhons Polemik mit Bastiat (1850), bezüglich des zinstragenden Kapitalst32], steht tief unter der „Philosophie de la misere". Er bringt es fertig, selbst von Bastiat geschlagen zu werden, und bricht in burleskes Gepolter aus, wo sein Gegner ihm Gewalt antut. Vor wenigen Jahren schrieb Proudhon eine Preisschrift - ich glaube von der Lausanner Regierung veranlaßt - über die „Steuern". Hier erlischt auch die letzte Spur von Genialität. Es bleibt nichts als der petit bourgois tout pur1. Was Proudhons politische und philosophische Schriften angeht, so zeigt sich in allen derselbe widerspruchsvolle, zwieschlächtige Charakter wie in den ökonomischen Arbeiten. Dabei haben sie nur lokal-französischen Wert. Seine Angriffe gegen Religion, Kirche usw. besitzen jedoch ein großes lokales Verdienst zu einer Zeit, wo die französischen Sozialisten es passend hielten, dem bürgerlichen Voltairianismus des 18. und der deutschen Gottlosigkeit des 19. Jahrhunderts durch Religiosität überlegen zu sein. Wenn Peter der Große die russische Barbarei durch Barbarei niederschlug, so tat Proudhon sein Bestes, das französische Phrasenwesen durch die Phrase niederzuwerfen. Als nicht nur schlechte Schriften, sondern als Gemeinheiten, jedoch dem kleinbürgerlichen Standpunkt entsprechende Gemeinheiten, sind zu bezeichnen seine Schrift über den „Coup d'etat", worin er mit L. Bonaparte kokettiert, ihn in der Tat den französischen Arbeitern mundgerecht zu machen strebt, und seine letzte Schrift gegen Po/enf33], worin er dem Zaren zur Ehre kretinartigen Zynismus treibt. Man hat Proudhon oft mit Rousseau verglichen. Nichts kann falscher sein. Eher hat er Ähnlichkeit mit Nic[olas] Linguet, dessen „Theorie des loix civiles" übrigens ein sehr geniales Buch ist. Proudhon neigte von Natur zur Dialektik. Da er aber nie die wirklich wissenschaftliche Dialektik begriff, brachte er es nur zur Sophistik. In der Tat hing das mit seinem kleinbürgerlichen Standpunkt zusammen. Der Kleinbürger ist wie der Geschichtsschreiber Raumer zusammengesetzt aus einerseits und andrerseits. So in seinen ökonomischen Interessen, und daher in seiner Politik, seinen religiösen, wissenschaftlichen und künst
1 Kleinbürger reinsten Wassers
lerischen Anschauungen. So in seiner Moral, so in everything1. Er ist der lebendige Widerspruch. Ist er dabei, wie Proudhon, ein geistreicher Mann, so wird er bald mit seinen eigenen Widersprüchen spielen lernen und sie je nach Umständen zu auffallenden, geräuschvollen, manchmal skandalösen, manchmal brillanten Paradoxen ausarbeiten. Wissenschaftlicher Scharlatanismus und politische Akkommodation sind von solchem Standpunkt unzertrennlich. Es bleibt nur noch ein treibendes Motiv, die Eitelkeit des Subjekts, und es fragt sich, wie bei allen Eiteln, nur noch um den Erfolg des Augenblicks, um das Aufsehn des Tages. So erlischt notwendig der einfache sittliche Takt, der einen Rousseau z.B. selbst jedem Scheinkompromiß mit den bestehenden Gewalten stets fernhielt. Vielleicht wird die Nachwelt die jüngste Phase des Franzosentums dadurch charakterisieren, daß Louis Bonaparte sein Napoleon war und Proudhon sein Rousseau-Voltaire. Sie müssen nun selbst die Verantwortlichkeit dafür übernehmen, daß Sie, so bald nach dem Tode des Mannes, die Rolle des Totenrichters mir aufgebürdet. Ihr ganz ergebener Karl Marx
1 in allem
Friedrich Engels
Herr Tidmann Altdänisches Volkslied1341
[„Der Social-Demokrat" Nr. 18 vom 5. Februar 1865] Früh am Morgen, da ward es Tag, Herr Tidmann kleidet' sich vor dem Bett, Und er zog an sein Hemd so schön. Das loben alle die Süderleut. Er zog an sein Hemd so schön, Sein seidner Rock war herrlich und grün, Bockslederne Stiefel schnürt' er ans Bein. Das loben alle die Süderleut. Bockslederne Stiefel schnürt' er ans Bein, Vergoldete Sporen schnallte er drein, So zog er hin zum Süderharder Thing. Das loben alle die Süderleut. So zog er hin zum Süderharder Thing, Die Steuer verlangt' er von jedem Edeling; Sieben Scheffel Roggen von jedes Mannes Pflug. Das loben alle die Süderleut. Sieben Scheffel Roggen von jedes Mannes Pflug, Das vierte Schwein aus dem Mastungswald Auf da stund der alte Mann. Das loben alle die Süderleut. Auf da stund der alte Mann: „Keiner von uns das geben kann, Und ehe die Steuer zahlen wir" Das loben alle die Süderleut.
3 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
„Und ehe die Steuer zahlen wir, Bleibt jeder Mann am Thinge hier Ihr Süderharder Bauern steht zusammen im Ring!" Das loben alle die Süderleut. „Ihr Süderharder Bauern steht zusammen im Ring, Herr Tidmann darf lebend nicht kommen vom Thing!" Den ersten Schlag der alte Mann schlug. Das loben alle die Süder leut. Den ersten Schlag der alte Mann schlug, Herrn Tidmann nieder zu Boden er schlug, Da liegt Herr Tidmann, von ihm rinnt das Blut. Das loben alle die Süder leut. Da liegt Herr Tidmann, von ihm rinnt das Blut, Doch frei geht der Pflug im schwarzen Grund, Frei gehn die Schweine im Mastungswald. Das loben alle die Süderleut.
Dies Stück mittelalterlichen Bauernkriegs spielt in der Süderharde (Harde ist Gerichtsbezirk) nördlich von Aarhus in Jütland. Auf dem Thing, der Gerichts Versammlung des Bezirks, wurden außer den gerichtlichen auch Steuer- und Verwaltungssachen erledigt, und wie mit dem Aufkommen des Adels dieser den Edelingen, d.h. den freien Bauern gegenübertrat, zeigt das Lied ebensowohl wie die Art und Weise, wie die Bauern der Adelsarroganz ein Ziel zu setzen wußten. In einem Lande wie Deutschland, wo die besitzende Klasse ebensoviel Feudaladel wie Bourgeoisie und das Proletariat ebensoviel oder mehr Ackerbau-Proletarier als industrielle Arbeiter enthält, wird das kräftige alte Bauernlied grade am Platze sein.
FtieuTich Engels
Geschrieben um den 27. Januar 1865.
Karl Marx / Friedrich Engels
An die Redaktion des „Social-Demokrat"
Erklärungl35] Nr. 16 Ihres Blatts verdächtigt Herr M.Heß von Paris aus die ihm ganz und gar unbekannten französischen Mitglieder des Londoner Zentralkomitees der Internationalen Arbeiterassoziation mit den Worten: „Es ist in der Tat nicht abzusehn, was es verschlägt, wenn sich auch einige Freunde des Palais-Royal [36] in der Londoner Gesellschaft befänden, da sie eine öffentliche ist usw." In früherer Nummer, bei Beplauderung des Blatts „U Association"[37], insinuierte derselbe Herr M.H. Ahnliches gegen die Pariser Freunde des Londoner Komitees. Wir erklären seine Insinuationen für abgeschmackte Verleumdung. Im übrigen freut es uns, durch diesen Zwischenfall unsre Überzeugung bestätigt zu sehn, daß das Pariser Proletariat dem Bonapartismus in beiden Gestalten, der Tuileriengestalt[38] und der Gestalt des Palais-Royal, nach wie vor unversöhnlich gegenübersteht und keinen Augenblick mit dem Plan umging, seine historische (oder sollen wir sagen statt „seine historische Ehre" „sein historisches Erstgeburtsrecht als Träger der Revolution"?) Ehre für ein Gericht Linsen zu verkaufen. Wir empfehlen den deutschen Arbeitern dies Muster.
London und Manchester
Geschrieben am 6. Februar 1865. Nach dem handschriftlichen Entwurf.

FRIEDRICH ENGELS
Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei1391
Geschrieben Ende Januar bis 11. Februar 1865. Nach der Erstausgabe von 1865.
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<$am5ur$. Otto g&eifjitex. 1865.
Titelblatt der Erstausgabe von Friedrich Engels' Broschüre „Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei"

Die Debatte über die Militärfrage ist bisher lediglich zwischen der Regierung und Feudalpartei auf der einen und der liberalen und radikalen Bourgeoisie auf der anderen Seite geführt worden. Jetzt, wo die Krisis herannaht, ist es an der Zeit, daß auch die Arbeiterpartei sich ausspricht. In der Kritik der militärischen Tatsachen, um die es sich handelt, können wir nur von den vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen ausgehen. Wir können der preußischen Regierung nicht zumuten, anders zu handeln als vom preußischen Standpunkt aus, solange die jetzigen Verhältnisse in Deutschland und Europa bestehen. Ebensowenig muten wir der Bourgeoisopposition zu, von einem andern als von dem Standpunkt ihrer eigenen Bourgeoisinteressen auszugehen. Die Partei der Arbeiter, die in allen Fragen zwischen Reaktion und Bürgertum außerhalb des eigentlichen Konflikts steht, hat den Vorteil, solche Fragen ganz kaltblütig und unparteiisch behandeln zu können. Sie allein kann sie wissenschaftlich behandeln, historisch, als ob sie schon vergangen, anatomisch, als ob sie schon Kadaver wären.
I
Wie es mit der preußischen Armee nach dem früheren System aussah, darüber können nach den Mobilmachungsversuchen von 1850 und 1859[40] keine zwei Meinungen sein. Die absolute Monarchie war seit 1815 durch die öffentliche Zusage gebunden: keine neuen Steuern zu erheben und keine Anleihen auszuschreiben ohne vorherige Genehmigung der künftigen Landesvertretung. Diese Zusage zu brechen, war unmöglich; keine Anleihe ohne solche Genehmigung versprach den geringsten Erfolg. Die Steuern waren aber im ganzen so eingerichtet, daß bei steigendem Landesreichtum ihr Ertrag keineswegs in demselben Verhältnis stieg. Der Absolutismus war arm, sehr arm, und die außerordentlichen Ausgaben infolge der Stürme von 1830141] waren hinreichend, ihn zur äußersten Sparsamkeit zu nötigen. Daher die Einführung der zweijährigen Dienstzeit, daher ein Ersparnissystem in allen Zweigen der Armeeverwaltung, das die für eine Mobilmachung bereitzuhaltenden Ausrüstungsgegenstände nach Quantität und Qualität auf das allerniedrigste Niveau reduzierte. Trotzdem sollte Preußens Stellung als Großmacht behauptet werden; hierzu bedurfte man, für den Beginn eines Kriegs, einer möglichst starken ersten Feldarmee und schlug daher die Landwehr1423 ersten Aufgebots dazu. Man sorgte also dafür, daß gleich beim ersten drohenden Kriegsfall eine Mobilmachung nötig wurde und daß mit dieser das ganze Gebäude zusammenbrach. Der Fall trat 1850 ein und endete mit dem vollständigsten Fiasko Preußens. 1850 kam man bloß dahin, die materiellen Mängel des Systems kennenzulernen; die ganze Sache war vorüber, ehe die moralischen Blößen hervortreten konnten. Die von den Kammern bewilligten Fonds wurden benutzt, um den materiellen Mängeln soweit möglich abzuhelfen. Soweit möglich; denn es wird unter allen Umständen unmöglich sein, das Material derart
bereitzuhalten, daß in 14 Tagen die eingezogenen Reserven und nach 14 Tagen das ganze erste Aufgebot der Landwehr schlagfertig ausgerüstet sein kann. Man vergesse nicht, daß die Linie höchstens 3 Jahrgänge, Reserve und erstes Aufgebot aber zusammen 9 Jahrgänge zählten, also für 3 schlagfertige Liniensoldaten in 4 Wochen mindestens 7 Eingezogene auszurüsten waren. Nun kam der italienische Krieg von 1859 und damit eine neue allgemeine Mobilmachung. Auch hier traten noch materielle Mängel genug hervor, sie traten aber weit zurück gegen die moralischen Blößen des Systems, welche jetzt erst, bei der längeren Dauer des mobilen Standes, aufgedeckt wurden. Die Landwehr war vernachlässigt worden, das ist unleugbar; die Cadres ihrer Bataillone existierten großenteils nicht und mußten erst geschaffen werden; unter den bestehenden Offizieren waren viele für den Felddienst untauglich. Aber selbst wenn dies alles anders gewesen wäre, so blieb doch immer die Tatsache, daß die Offiziere ihren Leuten nicht anders als ganz fremd sein konnten, fremd namentlich nach der Seite ihrer militärischen Befähigung, und daß diese militärische Befähigung bei den meisten zu gering war, als daß Bataillone mit solchen Offizieren mit Vertrauen gegen erprobte Truppen gesandt werden konnten. Wenn die Landwehroffiziere sich im dänischen Krieg[431 sehr gut geschlagen haben, so vergesse man nicht, daß es ein großer Unterschied ist, ob ein Bataillon 4/5 Linien- und 1/5 Landwehroffiziere besitzt oder umgekehrt. Dazu kam aber ein entscheidender Punkt. Es stellte sich sofort heraus, was man hätte vorherwissen können: daß man mit der Landwehr zwar schlagen, namentlich zur Verteidigung des eignen Landes schlagen, aber unter keinen Umständen demonstrieren kann. Die Landwehr ist eine so defensive Institution, daß mit ihr eine Offensive selbst erst infolge einer zurückgeschlagenen Invasion möglich ist, wie 1814 und 1815. Ein aus meist verheirateten Leuten von 26 bis 32 Jahren bestehendes Aufgebot läßt sich nicht monatelang an den Grenzen müßig aufstellen, während täglich die Briefe von Hause einlaufen, daß Frau und Kinder darben; denn auch die Unterstützungen für die Familien der Einberufenen zeigten sich als über alle Begriffe ungenügend. Dazu kam noch, daß die Leute nicht wußten, gegen wen sie sich schlagen sollten, gegen Franzosen oder Östreicher - und keiner von beiden hatte damals Preußen etwas zuleide getan. Und mit solchen durch monatelanges Müßigstehen demoralisierten Truppen sollte man festorganisierte und kriegsgewohnte Armeen angreifen? Daß eine Änderung eintreten mußte, ist klar. Preußen mußte unter den gegebenen Verhältnissen eine festere Organisation der ersten Feldarmee haben. Wie ist diese hergestellt worden?
Man ließ die einberufenen 36 Landwehrregimenter der Infanterie einstweilen bestehen und verwandelte sie allmählich in neue Linienregimenter. Nach und nach wurde auch die Kavallerie und Artillerie so weit vermehrt, daß sie diesem stärkeren Stand der Fußtruppen entsprachen, und endlich wurde die Festungsartillerie von der Feldartillerie getrennt, welches letztere jedenfalls eine Verbesserung war, namentlich für Preußen. Mit einem Wort, die Infanterie wurde verdoppelt, die Kavallerie und Artillerie ungefähr um die Hälfte erhöht. - Um diesen verstärkten Armeebestand aufrechtzuerhalten, wurde vorgeschlagen, die Dienstzeit in der Linie von 5 auf 7 Jahre auszudehnen - 3 Jahre bei den Fahnen (bei der Infanterie), 4 in der Reserve -, dagegen die Verpflichtung zum zweiten Aufgebot der Landwehr um 4 Jahre abzukürzen und endlich die jährliche Rekrutierung von der bisherigen Zahl von 40 000 auf 63 000 zu erhöhen. Die Landwehr wurde inzwischen ganz vernachlässigt. Die Vermehrung der Bataillone, Schwadronen und Batterien, wie sie hiermit festgesetzt war, entsprach fast genau der Vermehrung der Bevölkerung Preußens von 10 Millionen 1815 auf 18 Millionen 1861; da Preußens Reichtum inzwischen rascher gewachsen ist als seine Bevölkerung, und da die andern europäischen Großstaaten ihre Heere seit 1815 in weit größerem Maße verstärkt haben, so war eine solche Vermehrung der Cadres sicher nicht zu hoch gegriffen. Dabei erschwerte der Vorschlag von allen Lasten des Dienstpflichtigen nur die der jüngsten Altersklassen, die Reservepflicht, erleichterte dagegen die Landwehrpflicht in den ältesten Jahresklassen im doppelten Verhältnis und hob tatsächlich das zweite Aufgebot fast ganz auf, indem nun das erste Aufgebot so ziemlich die früher dem zweiten angewiesene Stellung erhielt. Dagegen ließ sich wider den Entwurf einwenden: Die allgemeine Wehrpflicht - beiläufig die einzige demokratische Institution, welche in Preußen, wenn auch nur auf dem Papier, besteht - ist ein so enormer Fortschritt gegen alle bisherigen militärischen Einrichtungen, daß, wo sie einmal, wenn auch nur in unvollkommener Durchführung, bestanden hat, sie auf die Dauer nicht wieder abgeschafft werden kann. Es gibt nur zwei klar bestimmte Grundlagen für unsere heutigen Heere: entweder Werbung - und diese ist veraltet und nur in Ausnahmsfällen wie England möglich - oder allgemeine Wehrpflicht. Alle Konskriptionen und Auslosungen1441 sind eben nur sehr unvollkommene Formen der letzteren. Der Grundgedanke des preußischen Gesetzes von 1814: daß jeder Staatsbürger, der körperlich dazu fähig, auch verpflichtet ist, während seiner waffenfähigen Jahre persönlich die Waffen zur Verteidigung des Landes zu
führen - dieser Grundgedanke steht hoch über dem Prinzip des Stellvertreterkaufs aller Konskriptionsländer und wird nach fünfzigjährigem Bestehen sicher nicht den sehnsüchtigen Wünschen der Bourgeoisie nach Einführung des „Menschenfleisch-Handels", wie die Franzosen sagen, zum Opfer fallen. Ist aber die preußische Wehrverfassung einmal auf allgemeine Dienstpflicht, ohne Stellvertretung, begründet, so kann sie nur dadurch in ihrem eignen Geist und wohltätig fortgebildet werden, daß ihr Grundprinzip immer mehr verwirklicht wird. Sehen wir, wie es damit steht. 1815 auf 10 Millionen Einwohner 40 000 Ausgehobene, macht 4 aufs Tausend. 1861 auf 18 Millionen 63 000 Ausgehobene, macht 31/2 aufs Tausend. Also ein Rückschritt, wenn auch ein Fortschritt gegenüber dem Stand der Dinge bis 1859, wo bloß 22/9 aufs Tausend ausgehoben wurden. Um nur den Prozentsatz von 1815 wieder zu erreichen, müßten 72 000 Mann ausgehoben werden. (Wir werden sehen, daß allerdings jedes Jahr ungefähr diese Zahl oder mehr in das Heer eintritt.) Aber ist die kriegerische Stärke des preußischen Volkes mit einer jährlichen Rekrutierung von 4 aufs Tausend der Bevölkerung erschöpft? Die Darmstädter „Allgemeine Militär-Zeitung"[45] hat wiederholte Male aus den Statistiken der deutschen Mittelstaaten nachgewiesen, daß in Deutschland vollkommen die Hälfte der zur Rekrutierung kommenden jungen Leute diensttauglich ist. Nun betrug die Anzahl der im Jahre 1861 zur Rekrutierung kommenden jungen Männer, nach der „Zeitschrift des preuß. statistischen Bureaus"[46] (März 1864) - 227 005. Dies gäbe jährlich 113 500 diensttaugliche Rekruten. Wir wollen von diesen 6500als unabkömmlich oder moralisch unfähig streichen, so bleiben immer noch 107 000 übrig. Warum dienen von diesen nur 63 000 oder höchstens 72 000 bis 75 000 Mann ? Der Kriegsminister von Roon teilte in der Session 1863 der Militärkommission des Abgeordnetenhauses folgende Aufstellung mit über die Aushebung von 1861:
Gesamtzahl der Bevölkerung (Zählung von 1858) 17 758 823 Zwanzigjährige Militärpflichtige, Klasse 1861 217 438 Aus früheren Jahren übernommene Militärpflichtige, über die noch nicht endgültig entschieden 348 364 565 802 Davon sind: 1. Unermittelt geblieben 55 770 2. In andere Kreise gezogen und dort gestellungspflichtig geworden 82 216
3. Ohne Entschuldigung ausgeblieben 10 960 4. Als dreijährige Freiwillige eingetreten 5 025 5. Zum einjährigen Freiwilligendienst berechtigt ... 14 811 6. Als Theologen zurückgestellt oder befreit 1 638 7. Seedienstpflichtig 299 8. Als moralisch unfähig gestrichen 596 9. Augenfällig unbrauchbar von der Bezirkskommission entlassen 2 489 10. Dauernd unbrauchbar von der Bezirkskommission entlassen 15238 11. Zur Ersatzreserve übergetreten: a) Unter 5 Fuß nach dreimaliger Konkurrenz ... 8 998 b) Unter 5 Fuß 1 Zoll 3 Linien nach dreimaliger Konkurrenz 9 553 c) Zeitig unbrauchbar nach dreimaliger Konkurrenz 46 761 d) Wegen häusl. Verhältn. nach dreimaliger Konkurrenz 4213 e) Disponibel nach fünfmaliger Konkurrenz .... 291 69 816 12. Zum Train designiert, außer den zum Train Ausgehobenen 6 774 13. Auf ein Jahr zurückgestellt: a) Zeitig unbrauchbar 219136 b) Wegen häusl. Verhältnisse 10 013 c) Wegen Ehrenstrafen und Untersuchung ...... 1 087 230236 495868 Bleiben zur Aushebung Wirklich ausgehoben Bleiben disponibel 69 934 59459 10 475
So unvollkommen diese Statistik ist, so unklar sie alles dadurch macht, daß in jeder Position von 1 bis 13 die Leute der Altersklasse 1861 mit den aus den beiden früheren Altersklassen verfügbar gebliebenen Leuten zusammengeworfen werden, so enthält sie doch einige sehr kostbare Eingeständnisse. Es wurden eingestellt als Rekruten 59 459 Mann. Als dreijährige Freiwillige traten ein 5025. Zum einjährigen Dienst waren berechtigt 14811; da man es bekanntlich mit der Tauglichkeit der einjährigen Freiwilligen gar
nicht so genau nimmt, weil sie nichts kosten, so dürfen wir annehmen, daß mindestens die Hälfte, also 7400, wirklich eintraten. Dies ist sehr gering gerechnet; die Klasse von Leuten, die zum einjährigen Dienst qualifizieren, besteht ohnehin meistens aus tauglichen Leuten; solche, die von vornherein unbrauchbar sind, geben sich gar nicht erst die Mühe zu qualifizieren. Doch nehmen wir 7400 an. Danach traten in die Armee ein im Jahre 1861 zusammen 71 884 Mann. Sehen wir weiter. Als Theologen wurden zurückgestellt oder befreit 1638 Mann. Warum die Herren Theologen nicht dienen sollen, ist nicht abzusehen. Im Gegenteil, ein Jahr Armeedienst, Leben in der freien Luft und Berührung mit der Außenwelt kann ihnen nur nutzen. Stellen wir sie also flott ein; 113 der Gesamtzahl aufs laufende Jahr, davon 3/4 untauglich, macht immer 139 Mann, welche mitzunehmen sind. Es wurden entlassen 18 551 Mann, weil sie das Maß nicht hatten. Wohlgemerkt, nicht des Dienstes überhaupt, sondern „zur Reserve entlassen". Im Kriegsfall sollen sie also doch Dienst tun. Nur der Paradedienst des Friedens soll ihnen erlassen bleiben, dazu sind sie nicht ansehnlich genug. Man gesteht also zu, daß diese kleinen Leute ganz gut zum Dienst brauchbar sind, und will sie selbst für den Notfall benutzen. Daß diese kleinen Leute ganz gute Soldaten sein können, beweist die französische Armee, in der Leute bis zu 4 Fuß 8 Zoll herab dienen. Wir schlagen sie also unbedingt zu den militärischen Ressourcen des Landes. Die obige Zahl schließt bloß diejenigen ein, welche definitiv nach dreimaliger Konkurrenz wegen Körperkürze zurückgewiesen wurden; es ist also eine Zahl, die sich jährlich wiederholt. Wir streichen die Hälfte als aus andern Rücksichten unbrauchbar, es bleiben uns also 9275 kleine Kerle, welche ein gewandter Offizier sicher bald in prächtige Soldaten umarbeiten würde. Ferner finden wir zum Train designiert, außer den zum Train ausgehobenen Leuten, 6774. Der Train gehört aber auch zur Armee, und es ist nicht abzusehen, weswegen diese Leute nicht die kurze sechsmonatliche Dienstzeit beim Train mitmachen sollen, was sowohl für sie wie für den Train besser wäre. Wir haben also: Wirklich in Dienst getretene Leute Theologen Taugliche Leute, die das Maß nicht haben Zum Train designierte Leute 71884 139 9275 6 774 Zusammen 88 072 Mann,
welche nach dem eigenen Eingeständnis der von Roonschen Statistik jedes Jahr in die Armee eintreten könnten, wenn man mit der allgemeinen Wehrpflicht Ernst machte.
Nehmen wir nun die Unbrauchbaren vor, Es werden auf ein Jahr zurückgestellt als zeitig unbrauchbar 219 136 Mann Nach dreimaliger Konkurrenz als ditto in die Reserve verwiesen 46 761 „ Als dauernd unbrauchbar gestrichen nur 17 727 „ Zusammen 283 624 Mann,
so daß die wegen wirklicher körperlicher Gebrechen dauernd untauglichen Leute noch nicht 7% der sämtlichen, wegen Untauglichkeit vom Dienst ausgeschlossenen Mannschaft, noch nicht 4% der gesamten, jährlich vor die Ersatzkommissionen kommenden Leute bilden. Beinahe 17% der zeitig Untauglichen werden jährlich, nach dreimaliger Konkurrenz, in die Reserve verwiesen. Es sind also 23jährige Leute, Leute in einem Alter, wo die Körperkonstitution bereits anfängt, sich zu setzen. Wir werden sicher nicht zu hoch greifen, wenn wir annehmen, daß von diesen ein Drittel nach erreichtem 25. Lebensjahre zumDienst ganz brauchbar ist, macht 15 587 Mann. Das Mindeste, was man von diesen Leuten erwarten kann, ist, daß sie zwei Jahre lang jedes Jahr bei der Infanterie drei Monate Dienst tun, um wenigstens die Rekrutenschule durchzumachen. Dies käme gleich einer Vermehrung der Friedensarmee um 3897 Mann. Nun ist aber das ganze medizinische Prüfungswesen der Rekruten in Preußen in eine eigentümliche Bahn gelenkt worden. Man hatte immer mehr Rekruten, als man einstellen konnte, und man wollte doch den Schein der allgemeinen Wehrpflicht beibehalten. Was war bequemer, als sich die besten Leute in der gewünschten Zahl auszusuchen und den Rest unter irgendwelchem Vorwande für untauglich zu erklären? Unter diesen Verhältnissen, welche, wohlgemerkt, seit 1815 in Preußen bestanden haben und noch bestehen, hat der Begriff der Untauglichkeit dort eine ganz abnorme Ausdehnung erhalten, wie dies am besten bewiesen ist durch die Vergleichung mit den deutschen Mittelstaaten. In diesen, wo die Konskription und Auslosung besteht, lag kein Grund vor, mehr Leute für untauglich zu erklären, als wirklich untauglich waren. Die Verhältnisse sind dieselben wie in Preußen; in einzelnen Staaten, Sachsen z.B., noch schlechter, weil dort der Prozentsatz der industriellen Bevölkerung größer ist. Nun ist wie gesagt
in der „Allg. Mil.-Ztg." aber und abermals nachgewiesen worden, daß in den Mittelstaaten eine Volle Hälfte der zur Gestellung kommenden Leute brauchbar ist, und das muß in Preußen auch der Fall sein. Sobald ein ernsthafter Krieg ausbricht, wird die Vorstellung von der Diensttauglichkeit in Preußen eine plötzliche Revolution erleben, und man wird dann, zu seinem Schaden zu spät, erfahren, wie viel brauchbare Kräfte man sich hat entgehen lassen. Nun aber kommt das Wunderbarste. Unter den 565 802 Dienstpflichtigen, über die zu entscheiden ist, sind: Unermittelt geblieben 55 770 Mann In andere Kreise gezogen oder dort gestellungspflichtig geworden 82 216 „ Ohne Entschuldigung ausgeblieben 10 960 „ Zusammen 148 946 Mann. Also trotz der gerühmten preußischen Kontrolle - und wer je in Preußen militärpflichtig war, weiß, was es damit zu sagen hat ~ verschwinden volle 27% der Dienstpflichtigen in jedem Jahr? Wie ist das möglich? Und wo bleiben die 82 216 Mann, welche aus der Liste gestrichen werden, weil sie „in andere Kreise gezogen oder dort gestellungspflichtig geworden" sind? Braucht man heutzutage bloß von Berlin nach Potsdam zu ziehen, um von der Dienstpflicht freizukommen? Wir wollen annehmen, daß hier - Homer schlummert ja bisweilen - die Herren Beamten in ihrer Statistik einfach einen Bock geschossen haben, nämlich daß diese 82 216 Mann unter der Gesamtsumme von 565 802 zweimal figurieren: erstens in ihrem Heimatkreise und zweitens in dem Kreise, wohin sie ausgewandert sind. Es wäre sehr zu wünschen, daß dies festgestellt würde, wozu die Militärkommission der Kammer die beste Gelegenheit hat, denn eine Reduktion der wirklichen Militärpflichtigen auf 483 586 würde alle Prozentsätze bedeutend ändern. Nehmen wir indes an, daß dem so ist, so bleiben immer noch 66 730 Mann, welche jährlich verschwinden und verdunsten, ohne daß die preußische Kontrolle und Polizei sie unter den Helm bringen kann. Das sind beinahe 14% der Dienstpflichtigen. Hieraus folgt, daß die ganze Erschwerung der Freizügigkeit, welche unter dem Vorwand der Militärpflichtskontrolle in Preußen herrscht, vollständig überflüssig ist. Die wirkliche Auswanderung aus Preußen ist notorisch sehr gering und steht in gar keinem Verhältnis zu der Zahl der verdunsteten Rekruten. Diese beinahe 67 000 Mann wandern auch gar nicht alle aus. Der größte Teil bleibt entweder ganz im Inlande öder geht nur auf kurze Zeit ins Ausland. Überhaupt sind alle
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
Präventivmaßregeln gegen Entziehung von der Militärpflicht unnütz und treiben höchstens zur Auswanderung an. Die Masse der jungen Leute kann ohnehin nicht auswandern. Man lasse nur die Leute richtig und ohne Gnade nachdienen, die sich der Einstellung entzogen haben, so braucht man den ganzen Plunder von Plackerei und Schreiberei nicht und bekommt mehr Rekruten als vorher. Wir wollen übrigens, um ganz sicher zu gehen, nur dasjenige als erwiesen annehmen, was aus Herrn von Roons eigner Statistik hervorgeht: nämlich daß, die einjährigen Freiwilligen ungerechnet, 85 000 junge Leute jährlich eingestellt werden können. Nun ist der Stand der jetzigen Friedensarmee ungefähr 210 000 Mann. Bei zweijähriger Dienstzeit geben 85 000 Mann jährlich zusammen 170 000 Mann, wozu Offiziere, Unteroffiziere und Kapitulanten, 25 000 bis 35 000 Mann, kommen, macht zusammen 195 000 bis 205 000 Mann, mit den einjährigen Freiwilligen 202 000 bis 212 000 Mann. Mit zweijähriger Dienstzeit der Infanterie und Fußartillerie (von der Kavallerie sprechen wir später) können also selbst nach der eigenen Statistik der Regierung sämtliche Cadres der reorganisierten Armee auf den vollen Friedensstand gebracht werden. Bei wirklicher Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht würde man, bei zweijähriger Dienstzeit, höchstwahrscheinlich 30 000 Mann mehr haben; man könnte also, um doch die Zahl von 200 000 bis 210 000 Mann nicht zu überschreiten, einen Teil der Leute schon nach 1 bis 1±/2 Jahr entlassen. Eine solche frühere Entlassung als Prämie für Diensteifer würde der ganzen Armee mehr nützen als sechs Monate längere Dienstzeit. Der Kriegsfuß würde sich wie folgt stellen: 4 Jahrgänge des Reorganisationsplans ergeben ä 63 000 Mann 252 000 Reservisten. 3 Jahrgänge ä 85 000 ergeben 255 000 Reservisten. Also sicher ebenso günstig wie der Reorganisationsplan. (Da es sich hier nur um das Verhältnis handelt, macht es nichts aus, daß wir von den Abgängen der Reservealtersklassen hier ganz absehen.) Hier liegt der schwache Punkt des Reorganisationsplans. Unter dem Schein, auf die ursprüngliche allgemeine Wehrpflicht zurückzugreifen, welche allerdings ohne eine Landwehr als große Armeereserve nicht bestehen kann, macht er vielmehr eine Schwenkung nach dem französischöstreichischen Cadresystem[47] hin und bringt dadurch eine Unsicherheit in die preußische Wehrverfassung, die von den schlimmsten Folgen sein muß. Man kann nicht beide Systeme vermischen, man kann nicht die Vorteile beider zugleich haben. Es ist unleugbar und nie bestritten worden, daß ein Cadresystem mit langer Dienst- und Präsenzzeit der Armee für den
Anfang des Kriegs große Vorteile gewährt. Die Leute kennen sich besser; selbst die Beurlaubten, denen der Urlaub meist nur auf kürzere Zeit auf einmal zugemessen wird, sehen sich während der ganzen Urlaubszeit als Soldaten an und sind stets auf dem Sprunge, zu den Fahnen einberufen zu werden - was die preußischen Reservisten sicher nicht sind; die Bataillone haben dadurch unbedingt mehr Halt, wenn sie zum ersten Mal ins Feuer kommen. Dagegen ist einzuwenden, daß, wenn man hierauf am meisten sieht, man ebensogut das englische System der zehnjährigen Dienstzeit bei den Fahnen annehmen kann; daß den Franzosen ihre algerischen Feldzüge, die Kriege in der Krim und in Italien1485 sicher weit mehr genützt haben als die lange Dienstzeit; und daß man endlich, bei diesem System, nur einen Teil des waffenfähigen Materials ausbilden kann, also lange nicht alle Kräfte der Nation in Tätigkeit bringt. Außerdem gewöhnt sich der deutsche Soldat erfahrungsmäßig sehr leicht ans Feuer, und drei tüchtige, mit mindestens wechselndem Glück durchgeführte Gefechte bringen ein sonst gutes Bataillon schon so weit, wie ein ganzes Jahr Extradienstzeit. Für einen Staat wie Preußen ist das Cadresystem eine Unmöglichkeit. Mit dem Cadresystem brächte Preußen es auf eine Armee von höchstens 300 000 bis 400 000 Mann, bei einem Friedensstande von 200 000 Mann. Soviel aber hat es, um als Großmacht sich zu halten, schon für die erste Feldarmee zum Ausrücken nötig, d.h. es bedarf, mit Festungsbesatzungen, Ersatzmannschaften usw., für jeden ernsthaften Krieg 500 000 bis 600 000 Mann. Wenn die 18 Millionen Preußen im Krieg ein annähernd ebenso zahlreiches Heer aufstellen sollen wie die 35 Millionen Franzosen, 34 Millionen Ostreicher und 60 Millionen Russen, so kann das nur durch allgemeine Dienstpflicht, kurze, aber angestrengte Dienstzeit und verhältnismäßig lange Landwehrverpflichtung geschehen. Man wird bei diesem System immer von der Schlagfertigkeit und selbst von der Schlagtüchtigkeit der Truppe im ersten Augenblicke des Kriegs etwas zu opfern haben; Staat und Politik werden einen neutralen, defensiven Charakter erhalten; man wird sich aber auch erinnern dürfen, daß die übermütige Offensive des Cadresystems von Jena nach Tilsit und die bescheidne Defensive des Landwehrsystems mit allgemeiner Dienstpflicht von der Katzbach nach Paris1491 geführt hat. Also: Entweder Konskription und Stellvertretung mit 7- bis 8jähriger Dienstzeit, wovon etwa die Hälfte bei den Fahnen, und dann keine spätere Landwehrverpflichtung; oder aber allgemeine Dienstpflicht 5-, höchstens öjähriger Dienstzeit, wovon 2 bei den Fahnen, und dann Landwehr Verpflichtung in preußischer oder schweizerischer Artt50]. Aber daß die Masse des Volks erst die Last des Konskriptionssystems und nachher noch die des Landwehr
systems tragen soll, das kann keine europäische Nation mitmachen, nicht einmal die Türken, die doch in ihrer kriegerischen Barbarei im Ertragen noch das meiste leisten. Viele ausgebildete Leute bei kurzer Dienstzeit und langer Verpflichtung, oder wenige bei langer Dienstzeit und kurzer Verpflichtung - das ist die Frage; aber man muß entweder das eine oder das andre wählen. William Napier, der den englischen Soldaten natürlich für den ersten der Welt erklärt, sagt in seiner „Geschichte des Halbinselkriegs", daß der englische Infanterist nach dreijähriger Dienstzeit nach allen Seiten vollständig ausgebildet sei. Nun muß man wissen, daß die Elemente, aus denen sich die englische Armee zu Anfang dieses Jahrhunderts zusammensetzte, die niedrigsten waren, aus denen überhaupt ein Heer gebildet werden kann. Die heutige englische Armee ist aus viel bessern Elementen gebildet, und auch diese sind noch unendlich schlechter in moralischer und intellektueller Beziehung als die Elemente der preußischen Armee. Und was die englischen Offiziere mit jenem Lumpengesindel in drei Jahren fertigbrachten, das sollte man in Preußen mit dem so äußerst bildsamen, teilweise schon so gebildeten, von vornherein moralisch geschulten Rekrutenrohstoff nicht in 2 Jahren machen können? Allerdings muß der Soldat jetzt mehr lernen. Aber das ist nie ernstlich gegen die zweijährige Dienstzeit eingewandt worden. Man hat sich stets auf die Anerziehung des wahren Soldatengeistes gestützt, der erst im dritten Dienstjahr herauskomme. Dies ist, wenn die Herren ehrlich heraussprechen und wenn wir von der oben zugegebenen größeren Tüchtigkeit der Bataillone absehn wollen, weit mehr ein politisches als ein militärisches Motiv. Der wahre Soldatengeist soll sich am inneren Düppel[51] mehr bewähren als am äußeren. Wir haben nie gesehen, daß der einzelne preußische Soldat im dritten Dienstjahre etwas mehr gelernt hat als sich langweilen, den Rekruten Schnäpse auspressen und über seine Vorgesetzten schlechte Witze reißen. Wenn die meisten unsrer Offiziere nur ein Jahr als Gemeine oder Unteroffiziere gedient hätten, so könnte ihnen dies unmöglich entgangen sein. - Der „wahre Soldatengeist", soweit er politischer Natur ist, geht erfahrungsmäßig und sehr rasch zum Teufel, und zwar auf Nimmer wiederkehren. Der militärische bleibt, auch nach 2 Dienstjahren. Zwei Jahre Dienstzeit reichen also bei unsern Soldaten vollständig hin, sie für den Infanteriedienst auszubilden. Seitdem die Feldartillerie von der Festungsartillerie getrennt ist, gilt von der Fußartillerie dasselbe; einzelne Schwierigkeiten, welche sich hier zeigen mögen, werden sich heben lassen, sei es durch noch größere Teilung der Arbeit, sei es durch die ohnehin
wünschenswerte Vereinfachung des Feldartillerie-Materials. Eine größere Einstellung von Kapitulanten würde ebenfalls keine Schwierigkeiten finden; aber diese Klasse von Leuten ist ja grade in der preußischen Armee gar nicht gern gesehen, sofern sie sich nicht zu Unteroffizieren eignen - welch ein Zeugnis gegen die lange Dienstzeit! Nur bei der Festungsartillerie und mit ihrem so sehr mannigfaltigen Material und beim Genie mit seinen vielseitigen Arbeitszweigen, die doch nie ganz getrennt werden können, werden intelligente Kapitulanten wertvoll, aber auch selten sein. Die reitende Artillerie wird die Dienstzeit der Kavallerie nötig haben. Was die Kavallerie betrifft, so braucht eine geborene Reiterei nur kurze, eine erzogene dagegen unbedingt lange Dienstzeit. Wir haben wenig geborene Reiterei und brauchen daher die vierjährige Dienstzeit des Reorganisationsplanes sicher. Die Reiterei hat zu ihrer einzigen wahren Kampfform den geschlossenen Angriff mit der blanken Waffe, zu dessen Durchführung der höchste Mut und das vollste Vertrauen der Leute aufeinander gehört. Die Leute müssen also wissen, daß sie sich aufeinander und auf ihre Führer verlassen können. Dazu gehört lange Dienstzeit. Aber ohne Vertrauen des Reiters auf sein Pferd taugt die Kavallerie auch nichts; der Mann muß eben reiten können, und um diese Sicherheit in der Beherrschung des Pferdes - d.h. so ziemlich jedes Pferdes, das ihm zugeteilt wird erlangen zu können, dazu gehört auch lange Dienstzeit. In dieser Waffe sind Kapitulanten unbedingt wünschenswert, je echtere Landsknechte, desto besser, solange sie nur Spaß am Handwerk haben. Man wird uns von oppositioneller Seite vorwerfen, das heiße eine Reiterei von lauter Mietlingen schaffen, die zu jedem Staatsstreich die Hand bieten würde. Wir antworten: mag sein. Aber die Kavallerie wird unter bestehenden Verhältnissen immer reaktionär sein (man vergleiche die badischen Dragoner 1849[52]), grade wie die Artillerie immer liberal sein wird. Das liegt in der Natur der Sache. Ein paar Kapitulanten mehr oder weniger ändern daran nichts. Und beim Barrikadenkampf ist Kavallerie doch nicht zu gebrauchen; der Barrikadenkampf in großen Städten, namentlich die Haltung der Infanterie und Artillerie dabei, entscheidet aber heutzutage das Schicksal aller Staatsstreiche. Nun gibt es aber, außer der Vermehrung der Kapitulanten, noch andere Mittel, die Schlagfähigkeit und den inneren Zusammenhang einer Armee mit kurzer Dienstzeit zu heben. Hierzu gehören u.a. Übungslager, wie der Kriegsminister von Roon sie selbst als ein Ausgleichungsmittel der kürzeren Dienstzeit bezeichnet hat. Ferner ein rationeller Betrieb der Ausbildung, und in dieser Beziehung ist in Preußen noch sehr viel zu tun. Der ganze
Aberglaube, daß bei kurzer Dienstzeit die übertriebene Präzision des Parademarsches, das „stramme" Exerzieren und das lächerlich hohe Aufheben der Beine - „frei aus dem Hüftgelenk" ein Loch in die Natur stoßen nötig seien, um die kurze Dienstzeit aufzuwiegen, dieser ganze Aberglaube beruht auf lauter Übertreibung. Man hat sich das in der preußischen Armee so lange vorgeredet, bis es zuletzt zu einem unzweifelbaren Axiom geworden ist. Was hat es für einen Vorteil, wenn die Leute bei den Gewehrgriffen das Gewehr mit einer Vehemenz gegen die Schulter schlagen, daß sie beinahe umfallen, und doch ein höchst unmilitärisches Schüttern durch die ganze Front geht, wie man es bei keiner andern Armee sieht? Endlich ist als ein Äquivalent der verkürzten Dienstzeit - und als das wesentlichste - anzusehn eine bessere körperliche Erziehung der Jugend. Nur muß man dann auch zusehen, daß wirklich etwas geschieht. Man hat zwar in allen Dorfschulen Barren und Reck aufgestellt, aber damit können unsere armen Schullehrer noch wenig anfangen. Man setze in jeden Kreis mindestens einen ausgedienten Unteroffizier hin, der sich zum Turnlehrer qualifiziert, und gebe ihm die Leitung des Unterrichts im Turnen; man sorge dafür, daß mit der Zeit der Schuljugend das Marschieren in Reih und Glied, die Bewegungen eines Zugs und einer Kompanie, die Vertrautheit mit den betreffenden Kommandos beigebracht werden. In 6 bis 8 Jahren wird man reichlich dafür bezahlt werden und - mehr und stärkere Rekruten haben. Bei der obigen Kritik des Reorganisationsplans haben wir uns, wie gesagt, lediglich an die tatsächlich vorliegenden politischen und militärischen Verhältnisse gehalten. Zu diesen gehört die Voraussetzung, daß unter den jetzigen Umständen die gesetzliche Feststellung der zweijährigen Dienstzeit für die Infanterie und Fußartillerie die höchste zu erreichende Verkürzung der Dienstzeit war. Wir sind sogar der Meinung, daß ein Staat wie Preußen den größten Bock begehen würde - sei an der Regierung welche Partei da wolle -, wenn er die normale Dienstzeit augenblicklich noch mehr verkürzte. Solange man die französische Armee auf der einen, die russische auf der andern Seite hat und die Möglichkeit eines kombinierten Angriffs beider zu gleicher Zeit, braucht man Truppen, die die ersten Elemente der Kriegsschule nicht erst vor dem Feind zu lernen haben. Wir nehmen daher keinerlei Rücksicht auf die Phantasien von einem Milizheer mit sozusagen gar keiner Dienstzeit; wie man sich die Sache vorstellt, ist sie heute für ein Land von 18 Millionen Einwohnern und sehr exponierten Grenzen unmöglich und selbst für andere Verhältnisse nicht in dieser Weise möglieh.
Nach allem Vorhergegangenen: Waren die Grundzüge des Reorganisationsplans für ein Abgeordnetenhaus annehmbar, das sich auf den preußischen Standpunkt stellt? Wir sagen, aus militärischen und politischen Gründen: Die Vermehrung der Cadres in der durchgeführten Weise, die Verstärkung der Friedensarmee auf 180 000 bis 200 000 Mann, die Zurückschiebung der Landwehr ersten Aufgebots in die große Armeereserve oder zweite Feldarmee resp. Festungsbesatzung, war annehmbar auf die Bedingung hin, daß die allgemeine Dienstpflicht streng durchgeführt, daß die Dienstzeit auf zwei Jahre hei der Fahne, drei in der Reserve und bis zum 36. Jahr in der Landwehr gesetzlich festgesetzt und endlich, daß die Cadres der Landwehr ersten Aufgebots wiederhergestellt wurden. Waren diese Bedingungen zu erlangen? Nur wenige, die den Debatten gefolgt sind, werden leugnen, daß dies unter der „Neuen Ära"[53] und selbst vielleicht noch später möglich war. Wie benahm sich nun die bürgerliche Opposition?
II
Die preußische Bourgeoisie, die als der entwickeltste Teil der ganzen deutschen Bourgeoisie hier ein Recht hat, diese mit zu repräsentieren, fristet ihre politische Existenz durch einen Mangel an Mut, der in der Geschichte, selbst dieser wenig couragierten Klasse, seinesgleichen nicht findet und nur durch die gleichzeitigen auswärtigen Ereignisse einigermaßen entschuldigt wird. Im März und April 1848 hatte sie das Heft in der Hand; aber kaum begannen die ersten selbständigen Regungen der Arbeiterklasse, als die Bourgeoisie sofort Angst bekam und sich unter den Schutz derselben Bürokratie und desselben Feudaladels zurückflüchtete, die sie eben noch mit Hülfe der Arbeiter besiegt hatte. Die Periode Manteuffel[54J war die unvermeidliche Folge. Endlich kam - ohne Zutun der bürgerlichen Opposition - die „Neue Ära". Der unverhoffte Glücksfall verdrehte den Bürgern die Köpfe. Sie vergaßen ganz die Stellung, die sie sich durch ihre wiederholten Verfassungsrevisionen, ihre Unterwerfung unter die Bürokratie und die Feudalen (bis zur Wiederherstellung der feudalen Provinzial- und Kreisstände[55]), ihr fortwährendes Zurückweichen von Position zu Position selbst gemacht hatten. Sie glaubten jetzt, wieder das Heft in der Hand zu haben, und vergaßen ganz, daß sie selbst alle die ihnen feindlichen Mächte wiederhergestellt hatten, die, seitdem erstarkt, ganz wie vor 1848 die wirkliche Staatsgewalt in Besitz hielten. Da kam die Armeereorganisation wie eine brennende Bombe zwischen sie gefahren. Die Bourgeoisie hat nur zwei Wege, sich politische Macht zu verschaffen. Da sie eine Armee von Offizieren ohne Soldaten ist und sich diese Soldaten nur aus den Arbeitern schaffen kann, so muß sie entweder sich die Allianz der Arbeiter sicherstellen oder sie muß den ihr nach oben gegenüberstehenden Mächten, namentlich dem Königtum, die politische Macht stückweise abkaufen. Die Geschichte der englischen und französischen Bourgeoisie zeigt, daß kein anderer Weg existiert.
Nun hatte die preußische Bourgeoisie - und zwar ohne allen Grund alle Lust verloren, eine aufrichtige Allianz mit den Arbeitern zu schließen. Im Jahre 1848 war die, damals noch in den Anfängen der Entwickelung und Organisation begriffene, deutsche Arbeiterpartei bereit, für sehr billige Bedingungen die Arbeit für die Bourgeoisie zu tun, aber diese fürchtete die geringste selbständige Regung des Proletariats mehr als den Feudaladel und die Bürokratie. Die um den Preis der Knechtschaft erkaufte Ruhe schien ihr wünschenswerter als selbst die bloße Aussicht des Kampfes mit der Freiheit.1561 Seitdem war dieser heilige Schrecken vor den Arbeitern bei den Bürgern traditionell geworden, bis endlich Herr Schulze-Delitzsch seine Sparbüchsenagitation begann1571. Sie sollte den Arbeitern beweisen, daß sie kein größeres Glück haben könnten, als zeitlebens, und selbst in ihren Nachkommen, von der Bourgeoisie industriell ausgebeutet zu werden; ja daß sie selbst zu dieser Ausbeutung beitragen müßten, indem sie durch allerhand industrielle Vereine sich selbst einen Nebenverdienst und damit den Kapitalisten die Möglichkeit zur Herabsetzung des Arbeitslohns verschafften. Obwohl nun die industrielle Bourgeoisie sicher neben den Kavallerielieutenants die ungebildetste Klasse deutscher Nation ist, so war doch bei einem geistig so entwickelten Volk wie dem deutschen eine solche Agitation von vornherein ohne alle Aussicht auf dauernden Erfolg. Die einsichtigeren Köpfe der Bourgeoisie selbst mußten begreifen, daß daraus nichts werden konnte, und die Allianz mit den Arbeitern fiel abermals durch. Blieb das Feilschen mit der Regierung um politische Macht, wofür bares Geld - aus der Volkstasche natürlich - bezahlt wurde. Die wirkliche Macht der Bourgeoisie im Staate bestand nur in dem, noch dazu sehr verklausulierten - Steuerbewilligungsrecht. Hier also mußte der Hebel angesetzt werden, und eine Klasse, die sich so vortrefflich aufs Abdingen verstand, mußte hier sicher im Vorteil sein. Aber nein. Die preußische bürgerliche Opposition - ganz im Gegensatz namentlich zu dem klassischen Bürgertum Englands im 17. und 18. Jahrhundert - verstand die Sache dahin: daß sie Macht erfeilsche, ohne Geld dafür zu zahlen. Vom rein bürgerlichen Standpunkt aus und unter voller Berücksichtigung der Verhältnisse, unter denen die Armeereorganisation vorgebracht wurde, was war da die richtige Politik der bürgerlichen Opposition? Sie mußte es wissen, wenn sie ihre Kräfte kannte, daß sie, die eben noch aus der Manteuffelschen Erniedrigung - und wahrlich ohne ihr eigenes Zutun emporgehoben worden war, sicher nicht die Macht hatte, die faktische Durchführung des Planes zu hindern, die ja auch ins Werk gesetzt wurde.
Sie mußte wissen, daß mit jeder fruchtlos hingegangenen Session die neue, faktisch bestehende Einrichtung schwerer zu beseitigen war; daß also die Regierung von Jahr zu Jahr weniger bieten würde, um die Zustimmung der Kammer zu erlangen. Sie mußte wissen, daß sie noch lange nicht soweit war, Minister ein- und absetzen zu können, daß also, je länger der Konflikt dauerte, je weniger zu Kompromissen geneigte Minister sie sich gegenüber haben würde. Sie mußte endlich wissen, daß es vor allem ihr eignes Interesse war, die Sache nicht auf die Spitze zu treiben. Denn ein ernstlicher Konflikt mit der Regierung mußte, bei dem Entwicklungsstande der deutschen Arbeiter, notwendig eine unabhängige Arbeiterbewegung ins Leben rufen und ihr damit wieder für den äußersten Fall das Dilemma vorführen: entweder eine Allianz mit den Arbeitern, aber diesmal unter weit ungünstigeren Bedingungen als 1848, oder aber auf die Knie vor der Regierung und: pater, peccavi! Die liberale und fortschrittliche Bourgeoisie1581 mußte demnach die Armeereorganisation mitsamt der davon unzertrennlichen Erhöhung des Friedensstandes einer unbefangenen sachlichen Prüfung unterwerfen, wobei sie wahrscheinlich zu ungefähr denselben Resultaten gekommen wäre wie wir. Sie durfte dabei nicht vergessen, daß sie die vorläufige Einführung der Neuerung doch nicht hindern und ihre schließliche Feststellung nur verzögern konnte, solange der Plan so viel richtige und brauchbare Elemente enthielt. Sie mußte also vor allen Dingen sich hüten, von vornherein in eine direkt feindliche Stellung gegen die Reorganisation zu kommen; sie mußte im Gegenteil diese Reorganisation und die dafür zu bewilligenden Gelder benutzen, um sich dafür von der „Neuen Ära" möglichst viel Äquivalente zu kaufen, um die 9 oder 10 Millionen neue Steuern in möglichst viel politische Gewalt für sich selbst umzusetzen. Und was war da nicht alles noch zu tun! Da war die ganze Manteuffelsche Gesetzgebung über die Presse und das Vereinsrecht; da war die ganze, aus der absoluten Monarchie unverändert übernommene Polizei- und Beamtengewalt; die Beseitigung der Gerichte durch Kompetenzkonflikte; die Provinzial- und Kreisstände; vor allem die unter Manteuffel herrschende Auslegung der Verfassung, gegenüber welcher eine neue konstitutionelle Praxis festzustellen war; die Verkümmerung der städtischen Selbstregierung durch die Bürokratie; und noch hundert andere Dinge, die jede andere Bourgeoisie in gleicher Lage gern mit einer Steuervermehrung von 1/2 Taler pro Kopf erkauft hätte und die alle zu haben waren, wenn man einigermaßen geschickt verfuhr. Aber die bürgerliche Opposition dachte anders. Was die Preß-. Vereins- und Versammlungsfreiheit anging, so hatten Manteuffels
Gesetze gerade dasjenige Maß festgestellt, worin die Bürger sich behaglich fühlten. Sie konnten ungehindert gelind gegen die Regierung demonstrieren; jede Vermehrung der Freiheit brachte ihnen weniger Vorteil als den Arbeitern, und ehe die Bourgeoisie den Arbeitern Freiheit zu einer selbständigen. Bewegung gab, ließ sie sich lieber etwas mehr Zwang von seiten der Regierung antun. Ebenso war es mit der Beschränkung der Polizei- und Beamtengewalt. Die Bourgeoisie glaubte, durch das Ministerium der „Neuen Ära" die Bürokratie sich schon unterworfen zu haben, und sah es gern, daß diese Bürokratie freie Hand gegen die Arbeiter behielt. Sie vergaß ganz, daß die Bürokratie weit stärker und lebenskräftiger war als irgendein bürgerfreundliches Ministerium. Und dann bildete sie sich ein, daß mit dem Fall Manteuffels das Tausendjährige Reich der Bürger eingetreten sei und daß es sich nur noch darum handle, die reife Ernte der bürgerlichen Alleinherrschaft einzuheimsen, ohne einen Pfennig dafür zu zahlen. Aber die vielen zu bewilligenden Gelder, nachdem schon die paar Jahre seit 1848 soviel Geld gekostet, die Staatsschuld so vermehrt und die Steuern so erhöht hatten! - Meine Herren, Sie sind die Deputierten des jüngsten konstitutionellen Staats der Welt, und Sie wissen nicht, daß der Konstitutionalismus die teuerste Regierungsform der Welt ist? fast noch teurer als der Bonapartismus, der - apres moi le deluge1 - die alten Schulden durch immer neue deckt und so in zehn Jahren die Ressourcen eines Jahrhunderts diskontiert? Die goldenen Zeiten des gefesselten Absolutismus, die Ihnen noch immer vorschweben, kommen nie wieder. Aber die Verfassungsklauseln wegen Forterhebung einmal bewilligter Steuern ? - Jedermann weiß, wie verschämt die „Neue Ära" im Geldfordern war. Dadurch daß man, für wohlverbriefte Gegenkonzessionen, die Ausgaben für die Reorganisation ins Ordinarium setzte, dadurch war noch wenig vergeben. Es handelte sich um die Bewilligung neuer Steuern, wodurch diese Ausgaben zu decken waren. Hier konnte man knausern, und dazu konnte man sich kein besseres Ministerium wünschen als das der Neuen Ära. Man behielt doch das Heft noch in der Hand, soweit man es vorher besaß, und man hatte sich neue Machtmittel auf andern Gebieten erobert. Aber die Stärkung der Reaktion, wenn man ihr Hauptwerkzeug, die Armee, verdoppelte? - Dies ist ein Gebiet, wo die Fortschrittsbürger mit sich selbst in die unauflöslichsten Konflikte geraten. Sie verlangen von Preußen, es soll die Rolle des deutschen Piemont spielen. Dazu gehört eine starke schlagfertige Armee. Sie haben ein Ministerium der Neuen Ära, das
1 nach mir die Sündflut
im stillen dieselben Ansichten hegt, das beste Ministerium, das sie, unter den Umständen, haben können. Sie verweigern diesem Ministerium die verstärkte Armee. - Sie führen tagtäglich, von Morgen bis Abend, Preußens Ruhm,Preußens Größe, Preußens Machtentwickelung auf der Zunge; aber sie verweigern Preußen eine Armee Verstärkung, die nur im richtigen Ver« hältnis zu derjenigen steht, welche die übrigen Großmächte seit 1814 bei sich eingeführt haben. - Weshalb das alles? Weil sie fürchten, diese Verstärkung werde nur der Reaktion zugute kommen, werde den heruntergekommenen Offiziersadel heben und überhaupt der feudalen und bürokratisch-absolutistischen Partei die Macht geben, mit einem Staatsstreich den ganzen Konstitutionalismus zu begraben. Zugegeben, daß die Fortschrittsbürger recht hatten, die Reaktion nicht zu stärken, und daß die Armee der sicherste Hinterhalt der Reaktion war. Aber gab es denn je eine bessere Gelegenheit, die Armee unter die Kontrolle der Kammer zu bringen, als grade diese Reorganisation, vorgeschlagen von dem bürgerfreundlichsten Ministerium, das Preußen in ruhigen Zeiten je erlebt hatte? Sobald man sich bereit erklärte, die Armee Verstärkung unter gewissen Bedingungen zu bewilligen, war es da nicht grade möglich, über die Kadettenhäuser, die Adelsbevorzugung und alle anderen Klagepunkte ins reine zu kommen und Garantien zu erlangen, welche dem Offizierkorps einen mehr bürgerlichen Charakter gaben? Die „Neue Ära" war sich nur über eins klar: daß die Armee Verstärkung durchgesetzt werden müsse. Die Umwege, auf denen sie die Reorganisation ins Leben schmuggelte, bewiesen am besten ihr böses Gewissen und ihre Furcht vor den Abgeordneten. Hier mußte mit beiden Händen zugegriffen werden; eine solche Chance für die Bourgeoisie war in hundert Jahren nicht wieder zu erwarten. Was ließ sich nicht alles im Detail aus diesem Ministerium herausschlagen, wenn die Fortschrittsbürger die Sache nicht knauserig, sondern als große Spekulanten auffaßten! Und nun gar die praktischen Folgen der Reorganisation auf das Offizierkorps selbst! Es mußten Offiziere für die doppelte Anzahl Bataillone gefunden werden. Die Kadettenhäuser reichten bei weitem nicht mehr aus. Man war so liberal wie noch nie vorher in Friedenszeiten; man offerierte die Lieutenantsstellen gradezu als Prämien an Studenten, Auskultatoren und alle gebildeten jungen Leute. Wer die preußische Armee nach der Reorganisation wiedersah, kannte das Offizier korps nicht mehr. Wir sprechen nicht von Hörensagen, sondern von eigener Anschauung. Der spezifische Lieutenantsdialekt war in den Hintergrund gedrängt, die jüngeren Offiziere sprachen ihre natürliche Muttersprache, sie gehörten keineswegs einer
geschlossenen Kaste an, sondern repräsentierten mehr als je seit 1815 alle gebildeten Klassen und alle Provinzen des Staats. Hier war also die Position durch die Notwendigkeit der Ereignisse schon gewonnen; es handelte sich nur noch darum, sie zu behaupten und auszunutzen. Statt dessen wurde alles das von den Fortschrittsbürgern ignoriert und fortgeredet, als ob alle diese Offiziere adlige Kadetten seien. Und doch waren seit 1815 nie mehr bürgerliche Offiziere in Preußen als grade jetzt. Beiläufig gesagt, schreiben wir das flotte Auftreten der preußischen Offiziere vor dem Feind im schleswig-holsteinischen Kriege hauptsächlich dieser Infusion frischen Blutes zu. Die alte Klasse Subalternoffiziere allein hätte nicht gewagt, so oft auf eigene Verantwortung zu handeln. In dieser Beziehung hat die Regierung recht, wenn sie der Reorganisation einen wesentlichen Einfluß auf die „Eleganz" der Erfolge zuschreibt; in welcher anderen Hinsicht die Reorganisation den Dänen furchtbar war, ist für uns nicht ersichtlich. Endlich der Hauptpunkt: die Erleichterung eines Staatsstreichs durch die Verstärkung der Friedensarmee? - Es ist ganz richtig, daß Armeen die Werkzeuge sind, womit man Staatsstreiche macht, und daß also jede Armeeverstärkung auch die Durchführbarkeit eines Staatsstreichs vermehrt. Aber die für einen Großstaat erforderliche Armeestärke richtet sich nicht nach der größeren oder geringeren Aussicht auf Staatsstreiche, sondern nach der Größe der Armeen der anderen Großstaaten. Hat man A gesagt, so muß man auch B sagen. Nimmt man ein Mandat als preußischer Abgeordneter an, schreibt man Preußens Größe und europäische Machtstellung auf seine Fahne, so muß man auch zustimmen, daß die Mittel hergestellt werden, ohne welche von Preußens Größe und Machtstellung keine Rede sein kann. Können diese Mittel nicht hergestellt werden, ohne Staatsstreiche zu erleichtern, desto schlimmer für die Herren Fortschrittsmänner. Hätten Sie sich nicht 1848 so lächerlich feig und ungeschickt benommen, die Periode der Staatsstreiche wäre wahrscheinlich längst vorbei. Unter den obwaltenden Umständen aber bleibt ihnen nichts übrig, als die Armeeverstärkung in der einen oder andern Form schließlich doch anzuerkennen und ihre Bedenken wegen Staatsstreichen für sich zu behalten. Indes hat die Sache doch noch andere Seiten. Erstens war es immer geratener, mit einem Ministerium der „Neuen Ära" über die Bewilligung dieses Staatsstreichinstruments zu verhandeln als mit einem Ministerium Bismarck. Zweitens macht selbstredend jeder weitere Schritt zur wirklichen Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht die preußische Armee ungeschickter zum Werkzeug für Staatsstreiche. Sobald unter der ganzen
Volksmasse das Verlangen nach Selbstregierung und die Notwendigkeit des Kampfes gegen alle widerstrebenden Elemente einmal durchgedrungen war, mußten auch die 20- und 21jährigen jungen Leute von der Bewegung erfaßt sein, und selbst unter feudalen und absolutistischen Offizieren mußte ein Staatsstreich immer schwerer mit ihnen durchzuführen sein, je weiter die politische Bildung im Lande fortschreitet, je mißliebiger wird die Stimmung der eingestellten Rekruten werden. Selbst der jetzige Kampf zwischen Regierung und Bourgeoisie muß davon bereits Beweise geliefert haben. Drittens ist die zweijährige Dienstzeit ein hinreichendes Gegengewicht gegen die Vermehrung der Armee. In demselben Maße wie die Armeeverstärkung für die Regierung die materiellen Mittel zu Gewaltstreichen vermehrt, in demselben Maß verringert die zweijährige Dienstzeit die moralischen Mittel dazu. Im dritten Dienst jähr mag das ewige Einpauken absolutistischer Lehren und die Gewohnheit des Gehorchens momentan und für die Dauer des Dienstes bei den Soldaten etwas fruchten. Im dritten Dienstjahr, wo der einzelne Soldat fast nichts Militärisches mehr zu lernen hat, nähert sich unser allgemeiner Wehrpflichtiger schon einigermaßen dem auf lange Jahre eingestellten Soldaten des französisch-östreichischen Systems. Er bekommt etwas vom Berufssoldaten und ist als solcher in allen Fällen weit leichter zu verwenden als der jüngere Soldat. Die Entfernung der Leute im dritten Dienstjahre würde die Einstellung von 60 000 bis 80 000 Mann mehr sicher aufwiegen, wenn man vom Staatsstreichgesichtspunkte ausgeht. Nun aber kommt noch ein anderer und der entscheidende Punkt dazu. Wir wollen nicht leugnen, daß Verhältnisse eintreten könnten - dazu kennen wir unsere Bourgeoisie zu gut -, unter denen selbst ohne Mobilisierung, mit dem einfachen Friedensstand der Armee, ein Staatsstreich dennoch möglich wäre. Das ist aber nicht wahrscheinlich. Um einen großen Coup zu machen, wird man fast immer mobilmachen müssen. Und da tritt die Wendung ein. Die preußische Friedensarmee mag unter Umständen ein reines Werkzeug in den Händen der Regierung zur Verwendung im Innern werden; die preußische Kriegsarmee sicher nie. Wer je Gelegenheit hatte, ein Bataillon erst auf Friedensfuß und dann auf Kriegsfuß zu sehen, kennt den ungeheuren Unterschied in der ganzen Haltung der Leute, im Charakter der ganzen Masse. Die Leute, die als halbe Knaben in die Armee eingetreten waren, kommen jetzt als Männer wieder zu ihr zurück; sie bringen einen Vorrat von Selbstachtung, Selbstvertrauen, Sicherheit und Charakter mit, der dem ganzen Bataillon zugute kommt. Das Verhältnis der Leute zu den Offizieren, der Offiziere zu den Leuten wird gleich ein anderes. Das
Bataillon gewinnt militärisch ganz bedeutend, aber politisch wird es - für absolutistische Zwecke - völlig unzuverlässig. Das konnte man noch beim Einmarsch in Schleswig sehen, wo zum großen Erstaunen der englischen Zeitungskorrespondenten die preußischen Soldaten überall an den politischen Demonstrationen offen teilnahmen und ihre durchaus nicht orthodoxen Gesinnungen ungescheut aussprachen. Und dies Resultat - die politische Verderbnis der mobilen Armee für absolutistische Zwecke - verdanken wir hauptsächlich der Manteuffelschen Zeit und der „neuesten" Ära. Im Jahre 1848 war es noch ganz anders. Das ist eben eine der besten Seiten an der preußischen Wehrverfassung, vor wie nach der Reorganisation: daß mit dieser Wehrverfassung Preußen weder einen unpopulären Krieg führen noch einen Staatsstreich machen kann, der Dauer verspricht. Denn selbst wenn die Friedensarmee sich zu einem kleinen Staatsstreich gebrauchen ließe, so würde doch die erste Mobilmachung und die erste Kriegsgefahr genügen, um die ganzen „Errungenschaften" wieder in Frage zu stellen. Ohne die Ratifikation der Kriegsarmee wären die Heldentaten der Friedensarmee beim „innern Düppel" von nur kurzer Bedeutung; und diese Ratifikation wird je länger, je schwerer zu erlangen sein. Reaktionäre Blätter haben gegenüber den Kammern die „Armee" für die wahre Volksvertretung erklärt. Sie meinten damit natürlich nur die Offiziere. Wenn es je dahin käme, daß die Herren von der „Kreuz-Zeitung"t59] einen Staatsstreich machten, wozu sie die mobile Armee nötig haben, sie würden ihr blaues Wunder erleben an dieser Volksvertretung, darauf können sie sich verlassen. Darin aber liegt am Ende auch nicht die Hauptgarantie gegen den Staatsstreich. Die liegt darin: daß keine Regierung durch einen Staatsstreich eine Kammer zusammenbringen kann, die ihr neue Steuern und Anleihen bewilligt; und daß, selbst wenn sie eine dazu willige Kammer fertigbrächte, kein Bankier in Europa ihr auf solche Kammerbeschlüsse hin Kredit geben würde. In den meisten europäischen Staaten wäre das anders. Aber Preußen steht nun einmal seit den Versprechungen von 1815 und den vielen vergeblichen Manövern bis 1848, Geld zu bekommen, in dem Rufe, daß man ihm ohne rechtsgültigen und unantastbaren Kammerbeschluß keinen Pfennig borgen darf. Selbst Herr'Raphael von Er langer, der doch den amerikanischen Konföderiertentl7] geborgt hat, würde einer preußischen Staatsstreichregierung schwerlich bares Geld anvertrauen. Das hat Preußen einzig und allein der Borniertheit des Absolutismus zu verdanken. Hierin liegt die Stärke der Bourgeoisie: daß die Regierung, wenn sie in Geldnot kommt - und das muß sie früher oder später sicher genötigt ist,
selbst sich an die Bourgeoisie um Geld zu wenden, und diesmal nicht an die politische Repräsentation der Bourgeoisie, die am Ende weiß, daß sie zum Bezahlen da ist, sondern an die hohe Finanz, die an der Regierung ein gutes Geschäft machen will, die die Kreditfähigkeit einer Regierung an demselben Maßstabe mißt wie die jedes Privatmannes und der es total gleichgültig ist, ob der preußische Staat viel oder wenig Soldaten braucht. Diese Herren V 1 . • VITT 11 1 • II . IT. 1 1 1 diskontieren nur wecnsei mit arei unterscnrircen, una wenn neoen aer Regierung nur das Herrenhaus, ohne das Abgeordnetenhaus, darauf unterschrieben hat oder ein Abgeordnetenhaus von Strohmännern, so sehen sie das für Wechselreiterei an und danken für das Geschäft. Hier hört die Militärfrage auf, und die Verfassungsfrage fängt an. Einerlei durch welche Fehler und Verwickelungen, die bürgerliche Opposition ist jetzt einmal in die Stellung gedrängt: Sie muß die Militär frage durchfechten, oder sie verliert den Rest von politischer Macht, den sie noch besitzt. Die Regierung hat bereits ihr ganzes Budgetbewilligungsrecht in Frage gestellt. Wenn nun die Regierung früher oder später doch ihren Frieden mit der Kammer machen muß, ist es da nicht die beste Politik, einfach auszuharren, bis dieser Zeitpunkt eintritt? Nachdem der Konflikt einmal so weit getrieben - unbedingt ja. Ob mit dieser Regierung auf annehmbaren Grundlagen ein Abkommen zu schließen, ist mehr als zweifelhaft. Die Bourgeoisie hat sich durch Überschätzung ihrer eigenen Kräfte in die Lage versetzt, daß sie an dieser MiÜtärfrage erproben muß, ob sie im Staate das entscheidende Moment oder gar nichts ist. Siegt sie, so erobert sie zugleich die Macht, Minister ab- und einzusetzen, wie das englische Unterhaus sie besitzt. Unterliegt sie, so kommt sie auf verfassungsmäßigem Wege nie mehr zu irgendwelcher Bedeutung. Aber der kennt unsre deutschen Bürger schlecht, der der Ansicht wäre, daß eine solche Ausdauer zu erwarten steht. Die Courage der Bourgeoisie in politischen Dingen steht immer in genauem Verhältnis zu der Wichtigkeit, die sie in dem gegebenen Land in der bürgerlichen Gesellschaft einnimmt. In Deutschland ist die soziale Macht der Bourgeoisie weit geringer als in England und selbst in Frankreich; sie hat sich weder mit der alten Aristokratie alliiert wie in England, noch diese mit Hülfe der Bauern und Arbeiter vernichtet wie in Frankreich. Die Feudalaristokratie ist in Deutschland noch immer eine Macht, eine der Bourgeoisie feindliche und obendrein mit den Regierungen verbündete Macht. Die Fabrikindustrie, die Basis aller sozialen Macht der modernen Bourgeoisie, ist in Deutschland weit weniger entwickelt als in Frankreich und England, so enorm auch ihre Fortschritte seit 1848 sind. Die kolossalen Kapitalansammlungen in einzelnen
Ständen, die in England und selbst Frankreich häufig vorkommen, sind in Deutschland seltener. Daher kommt der kleinbürgerliche Charakter unserer ganzen Bourgeoisie. Die Verhältnisse, in denen sie lebt, die Gesichtskreise, die sie sich bilden kann, sind kleinlicher Art; was Wunder, daß ihre ganze Denkweise ebenso kleinlich ist! Woher soll da der Mut kommen, eine Sache bis aufs Äußerste durchzufechten? Die preußische Bourgeoisie weiß sehr gut, in welcher Abhängigkeit sie, für ihre eigene industrielle Tätigkeit, von der Regierung steht. Konzessionen1601 und Verwaltungskontrolle drücken wie ein Alp auf sie. Bei jeder neuen Unternehmung kann die Regierung ihr Schwierigkeiten in den Weg legen. Und nun gar auf dem politischen Gebiet! Während des Konflikts über die Militärfrage kann die Bourgeoiskammer nur verneinend auftreten, sie ist rein auf die Defensive verwieset; indessen geht die Regierung angreifend vor, interpretiert die Verfassung auf ihre Weise, maßregelt die liberalen Beamten, annulliert die liberalen städtischen Wahlen, setzt alle Hebel der bürokratischen Gewalt in Bewegung, um den Bürgern ihren Untertanenstandpunkt klarzumachen, nimmt tatsächlich eine Position nach der andern und erobert sich so eine Stellung, wie sie selbst Manteuffel nicht hatte. Inzwischen geht das budgetlose Geldausgeben und Steuererheben seinen ruhigen Gang, und die Armeereorganisation gewinnt mit jedem Jahr ihres Bestehens neue Stärke. Kurz, der in Aussicht stehende endliche Sieg der Bourgeoisie erhält von Jahr zu Jahr einen revolutionäreren Charakter, und die täglich sich mehrenden Detailsiege der Regierung auf allen Gebieten erhalten mehr und mehr die Gestalt vollendeter Tatsachen. Dazu kommt eine von Bourgeoisie wie Regierung vollständig unabhängige Arbeiterbewegung, die die Bourgeoisie zwingt, entweder den Arbeitern sehr fatale Konzessionen zu machen oder gefaßt zu sein, im entscheidenden Augenblick ohne die Arbeiter agieren zu müssen. Sollte die preußische Bourgeoisie unter diesen Umständen den Mut haben, auszuharren bis aufs Äußerste? Sie müßte sich seit 1848 wunderbar verbessert haben - in ihrem eignen Sinn und die Kompromißsehnsucht, die sich in der Fortschrittspartei seit Eröffnung dieser Session tagtäglich ausseufzt, spricht nicht dafür. Wir fürchten, die Bourgeoisie wird auch diesmal keinen Anstand nehmen, sich selbst zu verraten.
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
III
„Welches ist nun die Stellung der Arbeiterpartei zu dieser Armeereorganisation und zu dem daraus entstandenen Konflikt zwischen Regierung und bürgerlicher Opposition?" Die arbeitende Klasse gebraucht zur vollen Entfaltung ihrer politischen Tätigkeit ein weit größeres Feld, als es die Einzelstaaten des heutigen zersplitterten Deutschlands darbieten. Die Vielstaaterei wird für das Proletariat ein Bewegungshindernis sein, aber nie eine berechtigte Existenz, ein Gegenstand des ernsthaften Denkens. Das deutsche Proletariat wird nie sich mit Reichs Verfassungen, preußischen Spitzen, Trias1611 und dergleichen befassen, außer um damit aufzuräumen; die Frage, wieviel Soldaten der preußische Staat braucht, um als Großmacht fortzuvegetieren, ist ihm gleichgültig. Ob die Militärlast durch die Reorganisation sich etwas vermehrt oder nicht, wird der Arbeiterklasse, als Klasse, wenig ausmachen. Dagegen ist es ihr durchaus nicht gleichgültig, ob die allgemeine Wehrpflicht vollständig durchgeführt wird oder nicht. Je mehr Arbeiter in den Waffen geübt werden, desto besser. Die allgemeine Wehrpflicht ist die notwendige und natürliche Ergänzung des allgemeinen Stimmrechts; sie setzt die Stimmenden in den Stand, ihre Beschlüsse gegen alle Staatsstreichversuche mit den Waffen in der Hand durchzusetzen. Die mehr und mehr konsequente Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht ist der einzige Punkt, der die Arbeiterklasse Deutschlands an der preußischen Armeereorganisation interessiert. Wichtiger ist die Frage: Wie sich die Arbeiterpartei zu stellen hat bei dem daraus entstandenen Konflikt zwischen Regierung und Kammer? Der moderne Arbeiter, der Proletarier, ist ein Produkt der großen industriellen Revolution, welche namentlich in den letzten hundert Jahren in allen zivilisierten Ländern die ganze Produktionsweise, zuerst der Industrie und nachher auch des Ackerbaus, total umgewälzt hat und infolge deren
an der Produktion nur noch zwei Klassen beteiligt sind: die der Kapitalisten, welche sich im Besitz der Arbeitshülfsmittel, der Rohmaterialien und der Lebensmittel befinden, und die der Arbeiter, welche weder Arbeitshülfsmittel noch Rohmaterialien, noch Lebensmittel besitzen, sondern sich diese letzteren mit ihrer Arbeit von den Kapitalisten erst kaufen müssen. Der moderne Proletarier hat also direkt nur mit einer Gesellschaftsklasse zu tun, die ihm feindlich gegenübersteht, ihn ausbeutet: mit der Klasse der Kapitalisten, der Bourgeois. In Ländern, wo diese industrielle Revolution vollständig durchgeführt ist, wie in England, hat der Arbeiter wirklich auch nur mit Kapitalisten zu tun, denn auch auf dem Lande ist der große Gutspächter nichts als ein Kapitalist; der Aristokrat, der nur die Grundrente seiner Besitzungen verzehrt, hat mit dem Arbeiter absolut keine gesellschaftlichen Berührungspunkte. Anders in Ländern, wo diese industrielle Revolution erst in der Durchführung begriffen ist, wie in Deutschland. Hier sind aus den früheren feudalen und nachfeudalen Zuständen noch eine Menge gesellschaftlicher Elemente haftengeblieben, welche, um uns so auszudrücken, das gesellschaftliche Mittel (medium) trüben, dem sozialen Zustand Deutschlands jenen einfachen, klaren, klassischen Charakter nehmen, der den Entwicklungsstand Englands auszeichnet. Wir finden hier in einer sich täglich mehr modernisierenden Atmosphäre und unter ganz modernen Kapitalisten und Arbeitern die wunderbarsten vorsündflutlichen Fossilien lebendig umherwandeln: Feudalherren, Patrimonialgerichte, Krautjunker, Stockprügel, Regierungsräte, Landräte, Innungen, Kompetenzkonflikte, Verwaltungsstrafmacht usw. Und wir finden, daß im Kampf um die politische Macht alle diese lebenden Fossilien sich zusammenscharen gegen die Bourgeoisie, die, durch ihren Besitz die mächtigste Klasse der neuen Epoche, im Namen der neuen Epoche ihnen die politische Herrschaft abverlangt. Außer der Bourgeoisie und dem Proletariat produziert diemoderne große Industrie noch eine Art Zwischenklasse zwischen beiden, das Kleinbürgertum. Dies besteht teils aus den Resten des früheren halbmittelalterlichen Pfahlbürgertums, teils aus etwas emporgekommenen Arbeitern. Es findet seine Stellung weniger in der Produktion als in der Verteilung der Waren; der Detailhandel ist sein Hauptfach. Während das alte Pfahlbürgertum die stabilste, ist das moderne Kleinbürgertum die am meisten wechselnde Klasse der Gesellschaft; der Bankerott ist bei ihm eine Institution geworden. Es nimmt teil durch seinen kleinen Kapitalbesitz an der Lebenslage der Bourgeoisie, durch die Unsicherheit seiner Existenz an der des Proletariats. Widerspruchsvoll wie sein gesellschaftliches Dasein ist seine
politische Stellung; im allgemeinen jedoch ist die „reine Demokratie" sein korrektester Ausdruck. Sein politischer Beruf ist der, die Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen die Reste der alten Gesellschaft und namentlich gegen ihre eigene Schwäche und Feigheit voranzutreiben und diejenigen Freiheiten erkämpfen zu helfen - Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit, allgemeines Wahlrecht, lokale Selbstregierung -, ohne welche, trotz ihrer bürgerlichen Natur, eine schüchterne Bourgeoisie wohl fertig werden kann, ohne welche die Arbeiter aber nie ihre Emanzipation erobern können. Im Laufe des Kampfes zwischen den Resten der alten, vorsündflutlichen Gesellschaft und der Bourgeoisie kommt überall irgendeinmal der Moment, wo beide Kämpfenden sich an das Proletariat wenden und seine Unterstützung nachsuchen. Dieser Moment fällt gewöhnlich mit demjenigen zusammen, in dem die Arbeiterklasse selbst anfängt, sich zu regen. Die feudalen und bürokratischen Repräsentanten der untergehenden Gesellschaft rufen den Arbeitern zu, mit ihnen auf die Aussauger, die Kapitalisten, die einzigen Feinde des Arbeiters, loszuschlagen; die Bourgeois weisen die Arbeiter darauf hin, daß sie beide zusammen die neue Gesellschaftsepoche repräsentieren und daher jedenfalls der untergehenden alten Gesellschaftsform gegenüber gleiches Interesse haben. Um diese Zeit kommt dann die Arbeiterklasse allmählich zum Bewußtsein, daß sie eine eigene Klasse mit eigenen Interessen und mit einer eigenen unabhängigen Zukunft ist; und damit kommt die Frage, die nacheinander in England, in Frankreich und in Deutschland sich aufgedrängt hat: Wie hat sich die Arbeiterpartei gegenüber den Kämpfenden zu stellen? Dies wird vor allem davon abhängen, was die Arbeiterpartei, d.h. derjenige Teil der arbeitenden Klasse, welcher zum Bewußtsein der gemeinsamen Interessen der Klasse gekommen ist, im Interesse der Klasse für Ziele erstrebt? Soweit bekannt, stellen die avanciertesten Arbeiter in Deutschland die Forderung: Emanzipation der Arbeiter von den Kapitalisten durch Übertragung von Staatskapital an assoziierte Arbeiter, zum Betrieb der Produktion für gemeinsame Rechnung und ohne Kapitalisten; und als Mittel zur Durchsetzung dieses Zwecks: Eroberung der politischen Macht durch das allgemeine, direkte Wahlrecht.1621 Soviel ist nun klar: Weder die feudal-bürokratische Partei, die man kurzweg die Reaktion zu nennen pflegt, noch die liberal-radikale Bourgeoispartei wird geneigt sein, diese Forderungen freiwillig zuzugestehen. Nun wird aber das Proletariat eine Macht von dem Augenblick an, wo sich eine
selbständige Arbeiterpartei bildet, und mit einer Macht muß man rechnen. Beide feindliche Parteien wissen das und werden also im gegebenen Augenblicke geneigt sein, den Arbeitern scheinbare oder wirkliche Konzessionen zu machen. Auf welcher Seite können die Arbeiter die größten Zugeständnisse erwirken ? Der reaktionären Partei ist bereits die Existenz von Bourgeois und Proletariern ein Dorn im Auge. Ihre Macht beruht darauf, daß die moderne gesellschaftliche Entwickelung wieder totgemacht oder wenigstens gehemmt werde. Sonst verwandeln sich allmählich alle besitzenden Klassen in Kapitalisten, alle unterdrückten Klassen in Proletarier, und damit verschwindet die reaktionäre Partei von selbst. Die Reaktion will, wenn sie konsequent ist, allerdings das Proletariat aufheben, aber nicht dadurch, daß sie zur Assoziation fortschreitet, sondern indem sie die modernen Proletarier wieder in Zunftgesellen und ganz oder halb leibeigene bäuerliche Hintersassen zurückverwandelt. Ist unsern Proletariern mit einer solchen Verwandlung gedient? Wünschen sie sich wieder unter die väterliche Zucht des Zunftmeisters und des „gnädigen Herrn" zurück, wenn so etwas möglich wäre? Sicherlich nicht. Es ist ja gerade erst die Lostrennung der arbeitenden Klasse von all dem früheren Scheinbesitz und den Scheinprivilegien, die Herstellung des nackten Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit, die überhaupt die Existenz einer einzigen großen Arbeiterklasse mit gemeinsamen Interessen, einer Arbeiterbewegung, einer Arbeiterpartei möglich gemacht hat. Und dazu ist eine solche Zurückschraubung der Geschichte eine reine Unmöglichkeit. Die Dampfmaschinen, die mechanischen Spinn- und Webstühle, die Dampfpflüge und Dreschmaschinen, die Eisenbahnen und elektrischen Telegraphen und die Dampfpressen der Gegenwart lassen keinen solchen absurden Rückschritt zu, im Gegenteil, sie vernichten allmählich und unerbittlich alle Reste feudaler und zünftiger Zustände und lösen alle von früher überkommenen kleinen gesellschaftlichen Gegensätze auf in den einen weltgeschichtlichen Gegensatz von Kapital und Arbeit. Dagegen hat die Bourgeoisie gar keine andere geschichtliche Stellung, als die erwähnten riesenhaften Produktivkräfte und Verkehrsmittel der modernen Gesellschaft nach allen Seiten hin zu vermehren und aufs höchste zu steigern, durch ihre Kreditassoziationen auch die Produktionsmittel, welche aus früheren Zeiten mit überliefert sind, namentlich den Grundbesitz, sich in die Hände zu spielen, alle Produktionszweige mit modernen Hülfsmitteln zu betreiben, alle Reste feudaler Produktionen und feudaler Verhältnisse zu vernichten und so die ganze Gesellschaft zurückzuführen
auf den einfachen Gegensatz einer Klasse von Kapitalisten und einer Klasse von besitzlosen Arbeitern. In demselben Maße, wie diese Vereinfachung der gesellschaftlichen Klassengegensätze stattfindet, wächst die Macht der Bourgeoisie, aber in noch größerem Maße wächst auch die Macht, das Klassenbewußtsein, die Siegesfähigkeit des Proletariats; nur durch diese Machtvergrößerung der Bourgeoisie bringt es das Proletariat allmählich dahin, die Majorität, die überwiegende Majorität im Staate zu werden, wie es dies in England bereits ist, aber noch keineswegs in Deutschland, wo Bauern aller Art auf dem Lande und kleine Meister, Kleinkrämer usw. in den Städten ihm noch die Stange halten. Also: Jeder Sieg der Reaktion hemmt die gesellschaftliche Entwickelung, entfernt unfehlbar den Zeitpunkt, wo die Arbeiter siegen können. Jeder Sieg der Bourgeoisie über die Reaktion dagegen ist nach einer Seite hin zugleich ein Sieg der Arbeiter, trägt zum endlichen Sturz der Kapitalistenherrschaft bei, rückt den Zeitpunkt näher heran, wo die Arbeiter über die Bourgeoisie siegen werden. Man nehme die Stellung der deutschen Arbeiterpartei 1848 und jetzt. Es gibt in Deutschland noch Veteranen genug, die an den ersten Anfängen der Gründung einer deutschen Arbeiterpartei vor 1848 mitgewirkt, die nach der Revolution an ihrem Ausbau halfen, solange die Zeitverhältnisse es erlaubten. Sie alle wissen, welche Mühe es kostete, selbst in jenen aufgeregten Zeiten eine Arbeiterbewegung zustande zu bringen, sie im Gange zu halten, reaktionär-zunftmäßige Elemente zu entfernen, und wie die ganze Sache nach ein paar Jahren wieder einschlief. Wenn jetzt eine Arbeiterbewegung sozusagen von selbst entstanden ist, woher kommt das? Daher, weil seit 1848 die große Bourgeoisindustrie in Deutschland unerhörte Fortschritte gemacht, weil sie eine Masse kleiner Meister und sonstiger Zwischenleute zwischen dem Arbeiter und dem Kapitalisten vernichtet, eine Masse Arbeiter in direkten Gegensatz zum Kapitalisten gestellt, kurz, ein bedeutendes Proletariat da geschaffen hat, wo es früher nicht oder nur in geringem Maße bestand. Eine Arbeiterpartei und Arbeiterbewegung ist durch diese industrielle Entwickelung eine Notwendigkeit geworden. Damit ist nicht gesagt, daß nicht Momente eintreten können, wo es der Reaktion geraten erscheint, den Arbeitern Konzessionen zu machen. Aber diese Konzessionen sind stets ganz eigener Art. Sie sind nie politischer Natur. Die feudal-bürokratische Reaktion wird weder das Stimmrecht ausdehnen noch die Presse, das Vereins- und Versammlungsrecht befreien, noch die Macht der Bürokratie beschränken. Die Konzessionen, die sie macht, sind stets direkt gegen die Bourgeoisie gerichtet und derart, daß
sie die politische Macht der Arbeiter durchaus nicht vermehren. So wurde in England das Zehnstundengesetz für die Fabrikarbeiter gegen den Willen der Fabrikanten durchgeführt. So wäre von der Regierung in Preußen die genaue Einhaltung der Vorschriften über die Arbeitszeit in den Fabriken welche jetzt nur auf dem Papier bestehen ferner das Koalitionsrecht der Arbeiter1631 usw. zu fordern und möglicherweise zu erlangen. Aber es ist bei allen diesen Konzessionen von seiten der Reaktion [feststehend, daß sie erlangt werden ohne irgendeinen Gegendienst von seiten der Arbeiter, und mit Recht, denn indem die Reaktion den Bourgeois das Leben sauer macht, hat sie schon ihren Zweck erreicht, und die Arbeiter sind ihr keinen Dank schuldig, danken ihr auch nie. Nun gibt es noch eine Art von Reaktion, welche in letzter Zeit großen Erfolg gehabt hat und bei gewissen Leuten sehr in Mode kommt; es ist die Art, welche man heutzutage Bonapartismus nennt. Der Bonapartismus ist die notwendige Staatsform in einem Lande, wo die Arbeiterklasse, auf einer hohen Stufe ihrer Entwicklung in den Städten, aber an Zahl überwogen von den kleinen Bauern auf dem Lande, in einem großen revolutionären Kampf von der Kapitalistenklasse, dem Kleinbürgertum und der Armee besiegt worden ist. Als in Frankreich in dem Riesenkampfe vom Juni 1848 die Pariser Arbeiter besiegt waren, hatte sich zugleich die Bourgeoisie an diesem Siege vollständig erschöpft. Sie war sich bewußt, keinen zweiten solchen Sieg ertragen zu können. Sie herrschte noch dem Namen nach, aber sie war zu schwach zur Herrschaft. An die Spitze trat die Armee, der eigentliche Sieger, gestützt auf die Klasse, aus der sie sich vorzugsweise rekrutierte, die kleinen Bauern, welche Ruhe haben wollten vor den Städtekrawallern. Die Form dieser Herrschaft war selbstredend der militärische Despotismus, ihr natürlicher Chef der angestammte Erbe desselben, Louis Bonaparte. Gegenüber den Arbeitern wie den Kapitalisten zeichnet sich der Bonapartismus dadurch aus, daß er sie verhindert, aufeinander loszuschlagen. Das heißt, er schützt die Bourgeoisie vor gewaltsamen Angriffen der Arbeiter, begünstigt ein kleines friedliches Plänkelgefecht zwischen beiden Klassen und entzieht im übrigen den einen wie den andern jede Spur politischer Macht. Kein Vereinsrecht, kein Versammlungsrecht, keine Preßfreiheit; ein allgemeines Wahlrecht unter solchem bürokratischen Druck, daß Oppositionswahlen fast unmöglich sind; eine Polizeiwirtschaft, wie sie selbst in dem polizierten Frankreich bisher unerhört war. Daneben wird ein Teil der Bourgeoisie wie der Arbeiter direkt gekauft; der eine durch kolossale Kreditschwindeleien, wodurch das Geld der kleinen Kapitalisten in
die Tasche der großen gelockt wird; der andere durch kolossale Staatsbauten, die neben dem natürlichen, selbständigen Proletariat ein künstliches, imperialistisches, von der Regierung abhängiges Proletariat in den großen Städten konzentrieren. Endlich wird dem Nationalstolz geschmeichelt durch scheinbar heroische Kriege, die aber stets mit hoher obrigkeitlicher Erlaubnis Europas gegen den jeweiligen allgemeinen Sündenbock geführt werden und nur unter solchen Bedingungen, daß der Sieg von vornherein gesichert ist. Das Höchste, was unter einer solchen Regierung für die Arbeiter wie für die Bourgeoisie herauskommt, ist, daß sie sich vom Kampfe ausruhen, daß die Industrie sich - unter sonst günstigen Umständen - stark entwickelt, daß also die Elemente eines neuen und heftigeren Kampfes sich ausbilden und daß dieser Kampf ausbricht, sobald das Bedürfnis eines solchen Ruhepunktes nicht mehr existiert. Es wäre die höchste Höhe der Torheit, mehr zu erwarten für die Arbeiter von einer Regierung, die gerade bloß dazu existiert, die Arbeiter gegenüber der Bourgeoisie im Zaume zu halten. Kommen wir nun auf den uns speziell vorliegenden Fall. Was kann die Reaktion in Preußen der Arbeiterpartei bieten? Kann diese Reaktion der Arbeiterklasse einen wirklichen Anteil an der politischen Macht bieten? - Unbedingt nein. Erstens ist es in der neueren Geschichte, weder Englands noch Frankreichs, je vorgekommen, daß eine reaktionäre Regierung dies getan hätte. Zweitens handelt es sich in dem gegenwärtigen Kampf in Preußen ja gerade darum, ob die Regierung alle wirkliche Macht in sich vereinigen oder sie mit dem Parlament teilen soll. Und die Regierung wird wahrlich nicht alle Mittel aufbieten, der Bourgeoisie die Macht zu entreißen, bloß um diese Macht nachher dem Proletariat zu schenken! Die Feudalaristokratie und die Bürokratie können ihre wirkliche Macht in Preußen behalten auch ohne parlamentarische Vertretung. Ihre traditionelle Stellung am Hof, in der Armee, im Beamtentum garantiert ihnen diese Macht. Sie dürfen sogar keine besondere Vertretung wünschen, denn Adels- und Beamtenkammern, wie Manteuffel sie hatte, sind heutzutage auf die Dauer in Preußen doch unmöglich. Sie wünschen daher auch die ganze Kammerwirtschaft zum Teufel. Dagegen können Bourgeoisie und Arbeiter eine wirkliche geregelte politische Macht nur durch parlamentarische Vertretung ausüben; und diese parlamentarische Vertretung ist nur dann etwas wert, wenn sie mitzureden und mitzubeschließen hat, mit andern Worten, wenn sie „den Knopf auf dem Beutel" halten kann. Das ist ia aber gerade, was Bismarck
eingestandenermaßen verhindern will. Wir fragen: Ist es das Interesse der Arbeiter, daß dies Parlament aller Macht beraubt werde, dies Parlament, in das sie selbst durch Erringung des allgemeinen, direkten Wahlrechts einzutreten und worin sie einst die Majorität zu bilden hoffen? Ist es ihr Interesse, alle Hebel der Agitation in Bewegung zu setzen, um in eine Versammlung zu kommen, die schließlich doch nichts zu sagen hat? Sicherlich nicht. Wenn nun aber die Regierung das bestehende Wahlgesetz umstieße und das allgemeine, direkte Wahlrecht oktroyierte? Ja, wenn! Wenn die Regierung einen solchen bonapartistischen Streich machte und die Arbeiter gingen darauf ein, so hätten sie ja damit schon von vornherein der Regierung das Recht zuerkannt, durch eine neue Oktroyierung, sobald es ihr beliebte, das allgemeine, direkte Wahlrecht auch wieder aufzuheben, und was wäre da das ganze allgemeine, direkte Wahlrecht wert? Wenn die Regierung das allgemeine, direkte Wahlrecht oktroyierte, so würde sie es von vornherein so verklausulieren, daß es eben kein allgemeines, direktes Wahlrecht mehr wäre. Und was selbst das allgemeine, direkte Wahlrecht angeht, so braucht man nur nach Frankreich zu gehen, um sich zu überzeugen, welche zahmen Wahlen man damit zustande bringen kann, sobald man eine zahlreiche stupide Landbevölkerung, eine wohlorganisierte Bürokratie, eine gut gemaßregelte Presse, durch Polizei hinreichend niedergehaltene Vereine und gar keine politischen Versammlungen hat. Wieviel Vertreter der Arbeiter bringt denn das allgemeine, direkte Stimmrecht in die französische Kammer? Und doch hat das französische Proletariat vor dem deutschen eine weit größere Konzentration und eine längere Erfahrung im Kampf und in der Organisation voraus. Dies bringt uns noch auf einen andern Punkt. In Deutschland ist die Landbevölkerung doppelt so stark wie die Städtebevölkerung, d.h. es leben 2/3 vom Ackerbau, 1/3 von der Industrie. Und da der große Grundbesitz in Deutschland die Regel und der kleine Parzellenbauer die Ausnahme ist, so heißt das mit andern Worten: daß, wenn 1/3 der Arbeiter unter dem Kommando des Kapitalisten stehn, so stehn 2/3 unter dem Kommando des Feudalherrn. Die Leute, welche in einem fort über die Kapitalisten herfallen, aber gegen die Feudalen kein Wörtchen des Zorns haben, mögen sich dies zu Gemüte führen. Die Feudalen beuten in Deutschland doppelt soviel Arbeiter aus wie die Bourgeois; sie sind in Deutschland ganz ebenso direkte Gegner der Arbeiter wie die Kapitalisten. Das ist aber noch lange nicht alles. Die patriarchalische Wirtschaft auf den alten Feudal
gütern bringt eine angestammte Abhängigkeit des ländlichen Tagelöhners oder Häuslers von seinem „gnädigen Herrn" zuwege, die dem Ackerbauproletarier den Eintritt in die Bewegung der städtischen Arbeiter sehr erschwert. Die Pfaffen, die systematische Verdummung auf dem Lande, der schlechte Schulunterricht, die Abgeschlossenheit der Leute von aller Welt tun den Rest. Das Ackerbauproletariat ist derjenige Teil der Arbeiterklasse, dem seine eignen Interessen, seine eigne gesellschaftliche Stellung am schwersten und am letzten klarwerden, mit andern Worten, derjenige Teil, der am längsten ein bewußtloses Werkzeug in der Hand der ihn ausbeutenden, bevorzugten Klasse bleibt. Und welche Klasse ist dies? In Deutschland nicht die Bourgeoisie, sondern der Feudaladel. Nun hat selbst in Frankreich, wo doch fast nur freie grundbesitzende Bauern existieren, wo der Feudaladel aller politischen Macht längst beraubt ist, das allgemeine Stimmrecht die Arbeiter nicht in die Kammer gebracht, sondern sie fast ganz davon ausgeschlossen. Was würde das Resultat des allgemeinen Stimmrechts in Deutschland sein, wo der Feudaladel noch eine wirkliche soziale und politische Macht ist und wo zwei Ackerbautagelöhner auf einen industriellen Arbeiter kommen? Die Bekämpfung der feudalen und bürokratischen Reaktion - denn beide sind bei uns jetzt untrennbar - ist in Deutschland gleichbedeutend mit dem Kampf für geistige und politische Emanzipation des Landproletariats - und solange das Landproletariat nicht in die Bewegung mit hineingerissen wird, solange kann und wird das städtische Proletariat in Deutschland nicht das geringste ausrichten, solange ist das allgemeine, direkte Wahlrecht für das Proletariat keine Waffe, sondern ein FallstrickVielleicht wird diese sehr offenherzige, aber nötige Auseinandersetzung die Feudalen ermutigen, für das allgemeine, direkte Wahlrecht aufzutreten. Um so besser. Oder sollte die Regierung nur deswegen die Presse, das Vereinsrecht, das Versammlungsrecht der bürgerlichen Opposition gegenüber verkümmern (wenn überhaupt an den jetzigen Zuständen noch viel zu verkümmern ist), um den Arbeitern ein Geschenk mit einer freien Presse, freiem Vereins- und Versammlungsrecht zu machen? In der Tat, geht nicht die Arbeiterbewegung ruhig und ungestört ihren Gang? Da liegt ja gerade der Hase im Pfeffer. Die Regierung Weiß, und die Bourgeoisie weiß auch, daß die ganze jetzige deutsche Arbeiterbewegung nur geduldet ist, nur so lange lebt, wie es der Regierung beliebt. Solange der Regierung damit gedient ist, daß diese Bewegung besteht, daß der bürgerlichen Opposition neue, unabhängige Gegner erwachsen, solange wird sie
diese Bewegung dulden. Von dem Augenblick an, wo diese Bewegung die Arbeiter zu einer selbständigen Macht entwickelt, wo sie dadurch der Regierung gefährlich wird, hört die Sache sofort auf. Die Art und Weise, wie den Fortschrittlern die Agitation in Presse, Vereinen und Versammlungen gelegt worden ist, möge den Arbeitern zur Warnung dienen. Dieselben Gesetze, Verordnungen und Maßregeln, welche da in Anwendung gebracht worden sind, können jeden Tag gegen sie angewandt werden und ihrer Agitation den Garaus machen; sie werden es, sobald diese Agitation gefährlich wird. Es ist von der höchsten Wichtigkeit, daß die Arbeiter in diesem Punkte klarsehen, daß sie nicht derselben Täuschung verfallen wie die Bourgeoisie unter der Neuen Ära, wo sie ebenfalls nur geduldet war, aber bereits im Sattel zu sein glaubte. Und wenn jemand sich einbilden sollte, die jetzige Regierung würde die Presse, das Vereinsrecht und Versammlungsrecht von den jetzigen Fesseln befreien, so gehörte er eben zu den Leuten, mit denen nicht mehr zu sprechen ist. Und ohne Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht ist keine Arbeiterbewegung möglich. Die bestehende Regierung in Preußen ist nicht so einfältig, daß sie sich selbst den Hals abschneiden sollte. Und wenn es dahin käme, daß die Reaktion dem deutschen Proletariat einige politische Scheinkonzessionen hinwerfen sollte, um es damit zu ködern - dann wird hoffentlich das deutsche Proletariat antworten mit den stolzen Worten des alten Hildebrandsliedes[64]: ' _ „Mit gerü scal man geba infähan, ort widar orte." Mit dem Speere soll man Gabe empfangen, Spitze gegen Spitze. Was die sozialen Konzessionen betrifft, die die Reaktion den Arbeitern machen könnte - Verkürzung der Arbeitszeit in den Fabriken, bessere Handhabung der Fabrikgesetze, Koalitionsrecht usw. -, so beweist die Erfahrung aller Länder, daß die Reaktion solche Anträge stellt, ohne daß die Arbeiter ihr das geringste als Entgelt zu bieten haben. Die Reaktion hat die Arbeiter nötig, die Arbeiter aber nicht die Reaktion. Solange die Arbeiter also in ihrer eignen selbständigen Agitation auf diesen Punkten bestehen, so können sie darauf rechnen, daß der Moment eintreten wird, wo reaktionäre Elemente dieselben Forderungen aufstellen, bloß um die Bourgeoisie zu schikanieren; und damit gewinnen die Arbeiter Erfolge gegenüber der Bourgeoisie, ohne der Reaktion irgendwelchen Dank schuldig zu sein. Wenn aber die Arbeiterpartei von der Reaktion nichts zu erwarten hat als kleine Konzessionen, die ihr ohnehin zufließen, ohne daß sie darum betteln zu gehen braucht - was hat sie dann von der bürgerlichen Opposition zu erwarten?
Wir haben gesehen, daß Bourgeoisie und Proletariat beides Kinder einer neuen Epoche sind, daß sie beide in ihrer gesellschaftlichen Tätigkeit darauf hinarbeiten, die Reste des aus früherer Zeit überkommenen Gerümpels zu beseitigen. Sie haben zwar unter sich einen sehr ernsten Kampf auszumachen, aber dieser Kampt kann erst ausgefochten werden, wenn sie einander allein gegenüberstehen. Erst dadurch, daß der alte Plunder über Bord fliegt, wird „klar Schiff zum Gefecht" gemacht - nur daß diesmal das Gefecht nicht zwischen zwei Schiffen, sondern am Bord des einen Schiffs zwischen Offizieren und Mannschaft geschlagen wird. Die Bourgeoisie kann ihre politische Herrschaft nicht erkämpfen, diese politische Herrschaft nicht in einer Verfassung und in Gesetzen ausdrükken, ohne gleichzeitig dem Proletariat Waffen in die Hand zu geben. Gegenüber den alten, durch Geburt unterschiedenen Ständen muß sie die Menschenrechte, gegenüber dem Zunftwesen die Handels- undGewerbefreiheit, gegenüber der bürokratischen Bevormundung die Freiheit und die Selbstregierung auf ihre Fahne schreiben. Konsequenter weise muß sie also das allgemeine, direkte Wahlrecht, Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit und Aufhebung aller Ausnahmsgesetze gegen einzelne Klassen der Bevölkerung verlangen. Dies ist aber auch alles, was das Proletariat von ihr zu verlangen braucht. Es kann nicht fordern, daß die Bourgeoisie aufhöre, Bourgeoisie zu sein, aber wohl, daß sie ihre eigenen Prinzipien konsequent durchführe. Damit bekommt das Proletariat aber auch alle die Waffen in die Hand, deren es zu seinem endlichen Siege bedarf. Mit der Preßfreiheit, dem Versammlungs- und Vereinsrechte erobert es sich das allgemeine Stimmrecht, mit dem allgemeinen, direkten Stimmrecht, in Vereinigung mit den obigen Agitationsmitteln, alles übrige. Es ist also das Interesse der Arbeiter, die Bourgeoisie in ihrem Kampfe gegen alle reaktionären Elemente zu unterstützen, solange sie sich selbst treu bleibt. Jede Eroberung, die die Bourgeoisie der Reaktion abzwingt, kommt, unter dieser Bedingung, der Arbeiterklasse schließlich zugut. Diesen richtigen Instinkt haben die deutschen Arbeiter auch gehabt. Sie haben, mit vollem Recht, in allen deutschen Staaten überall für die radikalsten Kandidaten gestimmt, die Aussicht zum Durchkommen hatten. Aber wenn nun die Bourgeoisie sich selbst untreu wird, ihre eigenen Klasseninteressen und die daraus folgenden Prinzipien verrät? Dann bleiben den Arbeitern zwei Wege übrig! Entweder die Bourgeoisie gegen ihren Willen voranzutreiben, sie soweit möglich zu zwingen, das Wahlrecht auszudehnen, die Presse, die Vereine und Versammlungen zu befreien und damit dem Proletariat ein Gebiet zu
schaffen, auf dem es sich frei bewegen und sich organisieren kann. Dies haben die englischen Arbeiter seit der Reformbill von 1832, die französischen Arbeiter seit der Julirevolution 1830 getan und gerade durch und mit dieser Bewegung, deren nächste Ziele rein bürgerlicher Natur waren, ihre eigene Entwicklung und Organisation mehr als durch irgendein anderes Mittel gefördert. Dieser Fall wird immer eintreten, denn die Bourgeoisie, bei ihrem Mangel an politischem Mut, wird sich von Zeit zu Zeit überall untreu. Oder aber, die Arbeiter ziehen sich ganz von der bürgerlichen Bewegung zurück und überlassen die Bourgeoisie ihrem Schicksale. Dieser Fall trat in England, Frankreich und Deutschland nach dem Scheitern der europäischen Arbeiterbewegung von 1848 bis 1850 ein. Er ist nur möglich nach gewaltsamen und momentanen fruchtlosen Anstrengungen, nach denen die Klasse Ruhe bedarf. Im gesunden Zustand der Arbeiterklasse ist er unmöglich; er käme ja einer vollständigen politischen Abdankung gleich, und deren ist eine ihrer Natur nach mutige Klasse, eine Klasse, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hat, auf die Dauer unfähig. Selbst in dem äußersten Fall, daß die Bourgeoisie, aus Furcht vor den Arbeitern, sich unter der Schürze der Reaktion verkriechen und an die Macht der ihr feindlichen Elemente um Schutz gegen die Arbeiter appellieren sollte - selbst dann wird der Arbeiterpartei nichts übrigbleiben, als die von den Bürgern verratene Agitation für bürgerliche Freiheit, Preßfreiheit, Versammlungs- und Vereinsrecht trotz der Bürger fortzuführen. Ohne diese Freiheiten kann sie selbst sich nicht frei bewegen; sie kämpft in diesem Kampf für ihr eigenes Lebenselement» für die Luft, die sie zum Atmen nötig hat. Es versteht sich von selbst, daß in allen diesen Fällen die Arbeiterpartei nicht als der bloße Schwanz der Bourgeoisie, sondern als eine durchaus von ihr unterschiedene, selbständige Partei auftreten wird. Sie wird der Bourgeoisie bei jeder Gelegenheit ins Gedächtnis rufen, daß die Klasseninteressen der Arbeiter denen der Kapitalisten direkt entgegengesetzt und daß die Arbeiter sich dessen bewußt sind. Sie wird ihre eigene Organisation gegenüber der Parteiorganisation der Bourgeoisie festhalten und fortbilden und mit der letzteren nur unterhandeln wie eine Macht mit der andern. Auf diese Weise wird sie sich eine achtunggebietende Stellung sichern, die einzelnen Arbeiter über ihre Klasseninteressen aufklären und bei dem nächsten revolutionären Sturm - und diese Stürme sind ja jetzt von so regelmäßiger Wiederkehr wie die Handelskrisen und Äquinoktialstürme - zum Handeln bereit sein.
Daraus folgt die Politik der Arbeiterpartei in dem preußischen Verfassungskonflikt von selbst: die Arbeiterpartei vor allem organisiert erhalten, soweit es die jetzigen Zustände zulassen; die Fortschrittspartei vorantreiben zum wirklichen Fortschreiten, soweit das möglich; sie nötigen, ihr eigenes Programm radikaler zu machen und daran zu halten; jede ihrer Inkonsequenzen und Schwächen unnachsichtlich züchtigen und lächerlich machen; die eigentliche Militärfrage gehen lassen, wie sie geht, in dem Bewußtsein, daß die Arbeiterpartei auch einmal ihre eigene, deutsche „Armeereorganisation" machen wird; der Reaktion aber auf ihre heuchlerischen Lockungen antworten: „Mit dem Speere soll man Gabe empfangen, Spitze gegen Spitze."
Karl Marx / Friedrich Engels
Erklärung[65]
[„Der Social-Demokrat" Nr. 29 vom 3. März 1865] An die Redaktion des „Social-Demokrat" Die Unterzeichneten versprachen ihre Mitarbeit am „Social-Demokrat" und gestatteten ihre Nennung als Mitarbeiter unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß das Blatt im Geist des ihnen mitgeteilten kurzen Programms redigiert werde. Sie verkannten keinen Augenblick die schwierige Stellung des „Social-Demokrat" und machten daher keine für den Meridian von Berlin unpassenden Ansprüche. Sie forderten aber wiederholt, daß dem Ministerium und der feudal-absolutistischen Partei gegenüber eine wenigstens ebenso kühne Sprache geführt werde wie gegenüber den Fortschrittlern. Die von dem „Social-Demokrat" befolgte Taktik schließt ihre weitere Beteiligung an demselben aus. Die Ansicht der Unterzeichneten vom königlich preußischen Regierungssozialismus und von der richtigen Stellung der Arbeiterpartei zu solchem Blendwerk findet sich bereits ausführlich entwickelt in Nr. 73 der „Deutschen-Brüsseler-Ztg." vom 12. September 18471, in Antwort auf Nr.206 des damals in Köln erscheinenden „Rheinischen Beobachters"[66], worin die Allianz des „Proletariats" mit der „Regierung" gegen die „liberale Bourgeoisie" vorgeschlagen war. Jedes Wort unserer damaligen Erklärung unterschreiben wir noch heute. London und Manchester, 23. Februar 1865
Friedrich Engels Karl Marx
1 Siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 191-203
Friedrich Engels
[Notiz über „Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei"1671]
[ „Berliner Reform" Nr.53 vom 3. März 1865] In diesen Tagen wird bei Otto Meißner in Hamburg (Preis 6 Sgr.) eine Broschüre von Friedr. Engels erscheinen, des Titels: „Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei"; im Gegensatz zu der neuesten, „sozialdemokratischen" Parteitaktik1 stellt sich dieselbe wiederum auf den Standpunkt, den die literarischen Vertreter des Proletariats von 1846-1851 einnahmen, und sie entwickelt diesen Standpunkt sowohl der Reaktion wie der fortschrittlichen Bourgeoisie gegenüber an der jetzt gerade vorliegenden Militär- und Budgetfrage.
Geschrieben am 27. Februar 1865.
1 fm Text, den Engels am 27. Februar 1865 Siebel übersandte, wird diese Taktik wie folgt charakterisiert: „die bismarckophile Richtung, die die neueste .Sozialdemokratie' genommen, machte es außerdem den Leuten von der .Neuen Rheinischen Zeitung't68] unmöglich, an den Organen dieser ,Sozialdemokratie' mitzuarbeiten." Diese Variante enthält auch der Wortlaut der Notiz in der „Düsseldorfer Zeitung".


Karl Marx
[Ursprünglicher Resolutionsentwurf über den Konflikt in der Pariser Sektion1691]
1. Der Londoner Zentralrat bestätigt die gegenwärtige Leitung der Pariser Sektion, die aus den Bürgern Tolain, Fribourg und Limousin besteht, und spricht diesen gleichzeitig seinen Dank für ihre eifrige Tätigkeit aus. 2. Die Aufnahme des Bürgers Pierre Vingard in die Leitung der Pariser Sektion wird für wünschenswert erachtet.1701 3. Der Londoner Zentralrat dankt dem Bürger Lefort für die Teilnahme an der Gründung der Internationalen Assoziation und spricht den aufrichtigen Wunsch aus für seine Zusammenarbeit mit der Leitung der Pariser Sektion als komme de conseil1; gleichzeitig hält sich der Rat nicht für berechtigt, den Bürger Lefort in irgendeiner offiziellen Eigenschaft der Leitung der Pariser Sektion aufzudrängen. 4. Der Bürger Victor Schily wird zum Vertreter des Londoner Zentralrats in Paris ernannt. In dieser Eigenschaft hat er nur gemeinsam mit der Leitung der Pariser Sektion zu handeln. Er wird jenes droit de surveillance2 ausüben, das die Pariser Sektion auf Grund der gegenwärtigen politischen Situation selbst für richtig gehalten hat, als notwendiges Attribut des Zentralrats anzuerkennen.
Geschrieben am 4. März 1865. Nach der Handschrift. Aus dem Englischen.
1 Berater - 2 Aufsichtsrecht
6 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
Karl Marx
[Resolutionen des Zentralrats über den Konflikt in der Pariser Sektion1711]
I. Resolution. In Anbetracht dessen, daß der Bürger Tolain zu wiederholten Malen seinen Rücktritt angeboten und der Zentralrat es ebensooft abgelehnt hat, diesen anzunehmen, stellt es der genannte Rat jetzt dem Bürger Tolain und der Pariser Leitung anheim, in Erwägung zu ziehen, ob dieser Rücktritt unter den gegenwärtigen Umständen zweckmäßig ist oder nicht. Der Zentralrat bestätigt im voraus jeden Beschluß der Leitung zu dieser Frage, wie er auch ausfallen möge.1721 II. Resolution..In Berücksichtigung der Wünsche einer Versammlung von 32 Mitgliedern der Internationalen Arbeiterassoziation, die am 24. Februar in Paris stattfand, und den Prinzipien der Souveränität und Selbstverwaltung des Volkes gemäß, hebt der Zentralrat seinen Beschluß über die Ernennung eines offiziellen Verteidigers für die französische Presse auf. Gleichzeitig benutzt der Rat die Gelegenheit, um dem Bürger Lefort seine Hochachtung auszudrücken, als einem der Gründer der Internationalen Arbeiterassoziation im besonderen und einem bewährten öffentlichen Charakter im allgemeinen[73]; ferner protestiert der Rat gegen den Grundsatz, dem er nicht zustimmen kann, daß nur ein ouvrier1 als Funktionär in unserer Assoziation zugelassen werden soll1741. III. Resolution. Der Rat beschließt, die gegenwärtige Leitung unter Hinzuziehung des Bürgers Vingard zu bestätigen. IV. Resolution. Der Zentralrat richtet an die Pariser Leitung das ernste Ersuchen, mit den Bürgern Lefort und Beluze zu einer Verständigung zu kommen, in der Weise, daß ihnen und der von ihnen vertretenen Arbeitergruppe eine Vertretung von drei Mitgliedern in der Leitung eingeräumt wird; wobei der Rat lediglich einem Wunsche Ausdruck gibt, doch weder befugt ist noch die Absicht hat, etwas zu diktieren.
1 Arbeiter
Über den Konflikt in der Pariser Sektion 83
V. [Resolution]. Nachdem die Pariser Leitung ihre Bereitschaft zum Ausdruck gebracht hat, eine direkte Vertretung des Zentralrats anzuerkennen, ernennt der Rat den Bürger Schily zu seinem Vertreter in der genannten Leitung.
Privatinstruktion an Schily n Falls es zu keiner Verständigung kommt, erklärt der Rat die Gruppe Lefort, nachdem sie ihre Mitgliedskarten in Empfang genommen hat, für berechtigt, gemäß unseren Statuten (siehe § 7)1 eine lokale Zweiggesellschaft zu bilden." Dies soll, aber vertraulich, den Fribourg und Co. in terrorem2 mitgeteilt werden, um sie zu den notwendigen Zugeständnissen zu veranlassen, vorausgesetzt, daß Lefort und Beluze (der Direktor der Banque du Peuple[75]) ihre Gruppe ernsthaft zum Beitritt veranlassen.
Nach der Handschrift. Aus dem Englischen.
1 Siehe vorl. Band, S.l 6 - 2 als Drohung
Karl Marx
[Rezension der Broschüre „Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei" von Friedrich Engels]
[„Hermann" vom 18. März 1865] Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei. Von Friedrich Engels. (Hamburg, Otto Meißner) Diese sehr bedeutende Broschüre zerfällt in drei Abschnitte. In dem ersten unterwirft der Verfasser die preußische Armeereorganisation einer militärisch-wissenschaftlichen Kritik. Den Hauptfehler findet er darin, daß der Reorganisationsplan „unter dem Schein, auf die ursprüngliche allgemeine Wehrpflicht zurückzugreifen, welche ohne eine Landwehr als große Armeereserve nicht bestehen kann, vielmehr eine Schwenkung nach dem französisch-östreichischen Cadresystem macht"1. Der zweite Abschnitt kritisiert in scharfen Zügen die Behandlung der Militärfrage durch die bürgerliche Opposition. Der Verfasser kommt zu dem Schlüsse: „Einerlei durch welche Fehler und Verwicklungen, die bürgerliche Opposition ist jetzt einmal in die Stellung gedrängt: Sie muß die Militärfrage durchfechten, oder sie verliert den Rest von politischer Macht, den sie noch besitzt... Sollte die preußische Bourgeoisie den Mut haben, auszuharren bis aufs Äußerste? Sie müßte sich seit 1848 wunderbar verbessert haben, und die Kompromißsehnsucht, die sich in der Fortschrittspartei seit Eröffnung dieser Session tagtäglich ausseufzt, spricht nicht dafür."2 In dem dritten Abschnitt untersucht der Verfasser die Stellung „der Arbeiterpartei zu dieser Armeereorganisation" und dem „daraus entstandenen Verfassungskonflikt". Seine Antwort ist zusammengefaßt in den folgenden Sätzen:
1 Siehe vorl. Band, S. 50 - 2 ebenda, S. 64/65
„Die mehr und mehr konsequente Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht ist der einzige Punkt, der die Arbeiterklasse Deutschlands an der preußischen Armeereorganisation interessiert."1 Die Politik, welche die Arbeiterklasse in dem Verfassungskonflikt zu [ver]folgen hat, ist, „die Arbeiterpartei vor allem organisiert erhalten, so gut es die jetzigen 'Zustände zulassen; die Fortschrittspartei vorantreiben zum wirklichen Fortschreiten, soweit es möglich; der Reaktion aber auf ihre heuchlerischen Lockungen antworten: ,Mit dem Speere soll man Gabe empfangen, Spitze gegen Spitze'"2.
Geschrieben um den 13. März 1865.
1 Siehe vorl. Band, S. 66 — 2 ebenda, S. 78
Karl Marx
Erklärung [über die Ursachen des Bruchs mit dem „Social-Demokrat"]1763
[„Berliner Reform" Nr.67 vom 19. März 1865] Seinem Nachwort zur Austrittserklärung der Herren Rüstow und Herwegh (Nr.31 des „Social-Demokrat") einverleibt Herr v. Schweitzer einen von London in die „Nfeue]Frankj[urter] Z[ei]t[un]g" spedierten Artikel zum Beweis, „wie inkonsequent und innerlich haltlos das Verfahren der Herren Marx und Engels ist". Er versucht Fälschung der Tatsachen. Daher folgendes Tatsächliche. Am /1. November 1864 kündigte Herr v. Schweitzer die Stiftung des „Social-Demokrat", Organ des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, mir schriftlich an und sagte bei dieser Gelegenheit u.a.:
„Wir haben uns an etwa 6-8 bewährte Mitglieder der Partei oder derselben wenigstens nahestehende Männer gewandt, um sie für die Mitarbeiterschaft zu gewinnen, und es steht ziemlich außer Zweifel, daß diese Herren zusagen werden. Allein für ungleich wichtiger halten wir es, daß Sie, der Begründer der deutschen Arbeiterpartei" (diese Worte sind von Herrn v. Schweitzer selbst unterstrichen) „und ihr erster Verfechter, uns Ihre Mitwirkung angedeihen lassen. Wir hegen die Hoffnung, daß Sie einem Verein, der, wenn auch nur indirekt, auf Ihre eigene Wirksamkdt zurückzuführen ist, nach dem großen Verluste, der ihn betroffen, in seinem schweren Kampfe zur Seite stehen werden." Diesem Einladungsschreiben lag ein Prospektus bei, „als Manuskript gedruckt". Statt daß in diesem Prospektus, wie Herr v. Schweitzer jetzt der „N.Frankf. Ztg." nachlügt, „Lassalles Worte als die maßgebenden standen" oder „Lassalles Namen auf die Fahne geschrieben" war, figurierte Lassalle hier weder mit Wort noch Namen. Der Prospektus enthielt nur drei Punkte: „Solidarität der Völkerinteressen", „das ganze gewaltige Deutschland - ein freier Volksstaat» Abschaffung der Kapitalherrschaft". Mit
ausdrücklicher Berufung auf diesen Prospektus sagten Engels und ich die Mitarbeit zu. Am 19.November 1864 schrieb mir Herr v. Schweitzer:
„Sollten Sie in betreff der Ausgabe des Prospektus noch etwas zu bemerken haben, so müßte dies umgehend geschehen." Ich bemerkte nichts. Herr v. Schweitzer frug ferner an, ob
„wir" (die Redaktion) „hier und da einen Artikel von Ihnen erwarten dürfen und ob es uns zugleich erlaubt, dies unsern Lesern anzukündigen".
Engels und ich verlangten, vorher die Gesellschaft zu kennen, worin wir öffentlich figurieren sollten. Herr v. Schweitzer zählte sie nun auf, hinzuschreibend:
„Wenn Sie an einem oder dem andern dieser Herren Anstoß nehmen sollten, so wird sich das hoffentlich durch die Erwägung erledigen, daß ja zwischen den Mitarbeitern eines Blattes keine gar strenge Solidarität besteht." Am 28.November schrieb Herr v. Schweitzer:
„Ihre und Engels' Zusage hat in der Partei, soweit dieselbe überhaupt eingeweiht ist, die freudigste Sensation hervorgerufen." Die zwei ersten Probenummern enthielten schon mancherlei Bedenkliches. Ich remonstrierte. Und unter anderm sprach ich meine Entrüstung darüber aus, daß aus einem Privatbriefe, den ich auf die Nachricht von Lassalles Tod der Gräfin Hatzfeldt schrieb, ein paar Trostworte herausgerissen, ohne meine Namensunterschrift veröffentlicht und schamlos dazu mißbraucht worden seien, eine servile Lobhudelei Lassalles „ein- und auszuläuten". Er antwortete am 30.Dezember:
„Sehr geehrter Herr! Haben Sie Geduld mit uns - die Sache wird schon nach und nach besser gehen, unsere Position ist sehr schwierig. Gut Ding will Weile haben, und so hoffe ich, daß Sie sich beruhigen und eine Zeitlang zusehen."
Dies schon am 30.Dezember 1864, als nur noch die ersten Probenummern in meiner Hand! Anfangs Januar 1865, nach Konfiskation einer der ersten Nummern des „Social-Demokrat", beglückwünschte ich Herrn v. Schweitzer zu diesem Ereignis, hinzufügend, er müsse offen mit dem Ministerium brechen.
Auf die Nachricht von Proudhons Tod bat er um einen Artikel über Proudhon. Ich entsprach seinem Wunsch mit umgehender Post, ergriff jedoch diese Gelegenheit, um jetzt in seinem eigenen Blatt „selbst jeden Scheinkompromiß mit der bestehenden Gewalt" als Verletzung „des einfachen sittlichen Taktes" und Proudhons Kokettieren mit L.Bonaparte nach dem Staatsstreich als eine „Gemeinheit" zu charakterisieren.1 Gleichzeitig sandte ihm Engels die Ubersetzung eines alt dänischen Bauernliedes2, um in einer Randglosse die Notwendigkeit des Kampfes wider das Krautjunkertum den Lesern des „Social-Demokrat" ans Herz zu legen. Während desselben Monats Januar jedoch hatte ich von neuem gegen Herrn v. Schweitzers „Taktik" zu protestieren.1773 Er antwortete am 4.Februar:
„Unsere Taktik betreffend, bitte ich Sie zu bedenken, wie schwierig unsere Stellung ist. Wir müssen durchaus erst zu erstarken suchen usw." Ende Januar veranlaßte eine Insinuation der Pariser Korrespondenz des „Social-Demokrat" Engels und mich zu einer Erklärung, worin es u.a. hieß, wir freuten uns, unsere Ansicht bestätigt zu finden, daß „das Pariser Proletariat dem Bonapartismus in beiderlei Gestalt - der Gestalt der Tuilerien und derjenigen des Palais-Royal - nach wie vor unversöhnlich gegenübersteht und keinen Augenblick daran gedacht hat, sein historisches Erstgeburtsrecht als Vorkämpfer der Revolution um ein Gericht Linsen zu verschachern". Die Erklärung schloß mit den Worten: „Wir empfehlen den deutschen Arbeitern dies Muster."3 Der Pariser Korrespondent hatte unterdessen in Nr.21 des „SocialDemokrat" seine frühere Angabe berichtigt und entzog unserer Erklärung so den unmittelbaren Vorwand. Wir nahmen daher Herrn v. Schweitzers Druckverweigerung hin. Zugleich aber schrieb ich ihm, „wir würden anderswo unsere Ansicht über das Verhältnis der Arbeiter zur preußischen] Regierung ausführlich aussprechen". Endlich machte ich einen letzten Versuch, ihm an einem praktischen Beispiel, der Koalitionsfrage, die Erbärmlichkeit seiner „Taktik", war sie anders redlich gemeint, klarzumachen.[78 3 Er erwiderte am 15.Februar: „Wenn Sie mir, wie im letzten Schreiben, über theoretische (!) Fragen Aufklärung geben wollen, so würde ich solche Belehrung von Ihrer Seite dankbar entgegennehmen. Was aber die praktischen Fragen momentaner Taktik betrifft, so bitte ich Sie zu bedenken, daß, um diese Dinge zu beurteilen, man im Mittelpunkt der Bewegung stehen muß.
1 Siehe vorl. Band, S. 31/32 - 2 siehe vorl. Band, S. 33/34 - 3 siehe vorl. Band, S. 35
Sie tun uns daher unrecht, wenn Sie irgendwo und irgendwie Ihre Unzufriedenheit mit unserer Taktik aussprechen. Dies dürften Sie nur dann tun, wenn Sie die Verhältnisse genau kennten. Auch vergessen Sie nicht, daß der Allgemeine Arbeiterverein ein konsolidierter Körper ist und bis zu einem gewissen Grade an seine Traditionen gebunden bleibt. Die Dinge in concreto schleppen eben immer irgendein Fußgewicht mit sich herum." Auf dies Schweitzersche Ultimatum antwortete Engels' und meine öffentliche Austrittserklärung.1
London, 15. März 1865
Karl Marx
1 Siehe vorl. Band, S.79
Karl Marx
[Erklärung an die Redaktion der „Berliner Reform"1793]
[„Berliner Reform" Nr. 78 vom 1. April 1865] An die Redaktion der „Berliner Reform" Aus den hierhin mir nachgeschickten Nr. 68 der „Reform" und Nr.37 des „Social-Demokrat" ersehe ich, daß Herr v. Schweitzer verlegen und verlogen Versuche macht, um sich aus selbstbereiteten „holden Hindernissen" [80] herauszuwinden. Habeat sibi!1 Ich erlaube ihm jedoch nicht, meine Erklärung vom 15.März2, worin ich ihn einfach sich selbst schildern lasse, in eine Erklärung über Lassalle zu verdrehen. Die ungefähr 15 Jahre umfassende und in meinem Besitz befindliche Korrespondenz Lassalles mit mir entzieht es ganz und gar der Macht der Schweitzer und Konsorten, unser persönliches Verhältnis zu entstellen oder die Motive meiner neutralen Haltung zur Lassalleschen Agitation zu verdächtigen. Was andererseits das Verhältnis der theoretischen Arbeiten Lassalles zu den meinigen betrifft, so ist das Sache wissenschaftlicher Kritik. Zur Erörterung über den einen oder den andern Punkt bietet sich später vielleicht die Gelegenheit. Unter allen Umständen aber verbietet mir die Pietät, derartiges zum Gegenstand der Zeitungspolemik mit Sykophanten zu machen.
Zalt-Bommel, 28. März 1865
Karl Marx
1 Meinetwegen! - 2 siehe vorl. Band, S. 86-89
Karl Marx
Der „Präsident der Menschheit"1813
[„Berliner Reform" Nr.88 vom 13. April 1865] Bei meiner Rückkehr von Holland nach London präsentiert mir der „Social-Demokrat" in Nr.39 einen von Herrn Bernh. Becker eigenhändig gebackenen Asafötida-Kuchen, größtenteils aus Vogtschen Verleumdungskrumen zusammengesetzt. Die gerichtlich dokumentierte Widerlegung der Vogtschen Lügenmärchen findetm an in meiner Schrift „Herr Vogt", London 18601. Ganz wider seine Gewohnheit jedoch begnügt sich Herrn Bernhard Becker, der „Präsident der Menschheit", diesmal nicht bloß mit der Abschreiberei. Zum ersten Mal in seinem Leben versucht er, auch etwas Eigenes zu geben. „Ja, Marx", sagt der „Präsident der Menschheit", „versetzte durch Dronke für 1000 Tlr. ein Manuskript, welches der preußische Polizeikommissar Stieber, der in London unter den Flüchtlingen herumspionierte, auslöste." Und dreimal im Lauf seines selbstmündlichen Präsidialvortrages kehrt unser Bernhard Becker mit stets wachsender Heiterkeit zurück zu dieser „Tatsache". Seite 124 meines „Herrn Vogt" sage ich in einer Note2: „Ich selbst hatte Bangya mit seinem damaligen Freunde, dem jetzigen General Türr, 1850 in London kennengelernt. Den Verdacht, den mir seine Mogeleien mit allen möglichen Parteien - Orleanisten, Bonapartisten usw. - und sein Umgang mit Polizisten jeder »Nationalität* einflößten, schlug er einfach nieder durch Vorzeigung eines ihm von Kossuth eigenhändig ausgefertigten Patents, worin er, früher schon provisorischer Polizeipräsident zu Komorn unter Klapka, zum Polizeipräsidenten in partibusf83J bestallt war. Geheimer Polizeichef im Dienste der Revolution, mußte er sich natür
1 Siehe Band 14 unserer Ausgabe - 2 ebenda S. 574/575
lieh die Zugänge zur Polizei im Dienste der Regierungen ,offen'halten. Im Laufe des Sommers 1852 entdeckte ich, daß er ein Manuskript, das ich ihm zur Besorgung an einen Buchhändler in Berlin anvertraut, unterschlagen und einer deutschen Regierung in die Hände gespielt hatte.t83J Nachdem ich über diesen Vorfall und andere mir längst auffällige Eigentümlichkeiten des Mannes an einen Ungarn" (Szemere) „zu Paris geschrieben und durch die Intervention einer dritten, genau unterrichteten Person das Mysterium Bangya völlig gelöst worden war, sandte ich eine öffentliche Denunziation, unterzeichnet mit meinem Namen, Anfang 1853 der ,NewYorker Criminal-Zeitung' zu [84V Der „Präsident der Menschheit" hat offenbar die ausführliche, von mir vor 13 Jahren in der „New-Yorker Criminal-Zeitung" veröffentlichte Denunziation Bangyas, der damals noch zu London hauste, nicht gelesen. Er hätte sonst wohl seine Dichtung dem Tatbestande etwas näher angeschmiegt. So überläßt er sich ganz dem Spiel seiner holden Phantasie, und was lag der näher als die angenehme Ideenassoziation von London und Versetzen? Doch stehe ich dafür, daß Bernhard Becker niemals seine Manuskripte versetzt hat. Der „Präsident der Menschheit" geruhte ferner hinzuzufügen, „daß Marx beim Entstehen des Wiener .Botschafters', des offiziösen Organs der österreichischen Regierung, mich" (eben denselbigen Bernhard Becker) „als Korrespondenten für denselben gewinnen wollte, indem er mir den offiziösen Charakter des auftauchenden Blattes, das, wie er sagte, ihm zugeschickt worden war, verschwieg und im Gegenteil betonte, daß ich ganz rote1 Artikel hineinliefern dürfe". Herr Bernhard Becker, der damals noch nicht „Präsident der Menschheit" war, auch die unverbrüchliche Gewohnheit besaß, „ganz blasse Artikel" in den Londoner „Hermann" zu kritzeln, überraschte mich (ich hatte ihn vorher nur ein- oder zweimal zufällig gesehen), kurz bevor er sich aus sicheren Gründen still aus London wegstahl, eines schönen Abends mit einem leibhaftigen Besuche in meinem Hause. Er winselte mir kläglich sein Mißgeschick vor und fragte an, ob ich ihm Korrespondenzen zur Hilfe aus bitterer Not verschaffen könne? Ich erwiderte, Herr Kolatschek habe vor einigen Tagen Herrn S. Borkheim, politischen Flüchtling und Kaufmann in der City, die Gründung eines neuen, angeblich „sehr liberalen" Wiener Blattes angezeigt, ihm Probenummern zugeschickt und ihn ersucht, einen Londoner Korrespondenten zu werben. Auf Bernhard Beckers heißen Wunsch versprach ich, mich für ihn an Herrn Borkheim, der Flüchtlingen
1 In der „Berliner Reform" irrtümlich: rohe
stets gern gefällig ist, in dieser Angelegenheit zu wenden. Bernhard Becker schrieb auch, soviel ich mich erinnere, einen oder mehrere Probeartikel nach Wien. Und sein fehlgeschlagener Versuch, Korrespondent des „Botschafters" zu werden, beweist meine Allianz mit der österreichischen Kanzlei! Herr Bernhard Becker glaubt offenbar, daß, weil die Gräfin Hatzfeldt ihm ein Amt, der Herrgott ihm auch den dazu nötigen Verstand gegeben hat! „Systematisch", erzählt Bernhard Becker weiter, „bearbeitet Liebknecht nun die Gräfin Hatzfeldt, an welche auch Marx Telegramme und Briefe schickt, um sie gegen den Verein aufzureizen." Herr Bernhard Becker wähnt, ich nehme die ihm testamentarisch überkommene Wichtigkeitt85J ganz so „systematisch" ernsthaft wie er selbst! Meine Briefe an die Gräfin Hatzfeldt nach dem Tode Lassalles bestanden aus einem Kondolenzschreiben, aus Antworten auf verschiedene, mir wegen der beabsichtigten Lassalle-Broschüre gestellte Fragen und aus Erörterungen über eine mir abverlangte und in der Tat erfolgte Abwehr wider einen Verleumder Lassalles1. Zur Vermeidung von Mißverständnissen hielt ich es jedoch für zweckmäßig, die Gräfin in einem Brief vom 22. Dezember 1864 zu erinnern, daß ich mit Lassalles Politik nicht übereinstimmte. Damit schloß unsere Korrespondenz, worin keine Silbe über den Verein.t86] Die Gräfin hatte mich u.a. ersucht, ihr umgehend zu schreiben, ob die Zugabe gewisser Porträts zur beabsichtigten Broschüre mir passend schiene. Ich antwortete durch Telegraph: Nein! Dies eine Telegramm setzt Herr Bernhard Becker, der ein ebenso großer Grammatiker wie Dichter und Denker ist, in den Plural. Er erzählt, ich habe mich auch später an einer wider ihn ins Werk gesetzten Agitation beteiligt. Der einzige Schritt meinerseits in dieser allwichtigen Angelegenheit war dieser: Man hatte mir aus Berlin geschrieben, Bernhard Becker werde von gewisser Seite her verfolgt, weil er den „Social-Demokrat" und den Verein nicht zur Agitation für die Einverleibung Schleswig-Holsteins in Preußen mißbrauchen lassen wollet87 5 Man hatte mich gleichzeitig ersucht, Herrn Klings in Solingen, auf den man mir wegen früherer Verbindung einen gewissen Einfluß zuschrieb, und Herrn Philipp Becker in Genf diese „Intrige" zur Warnung mitzuteilen. Ich tat beides, das eine durch einen Barmer Freund2, das andere durch meinen Freund Schily in Paris, der befangen wie ich war in dem Wahne, es sei dem „Präsidenten der Menschheit" etwas Menschliches passiert und er
1 Siehe vorl. Band, S. 22-24 - 2 Karl Siebel
habe sich wirklich einmal anständig aufgeführt. Er verdreht jetzt natürlich den Tatbestand ins gerade Gegenteil - als Dialektiker. Der „Präsident der Menschheit" ist aber nicht nur groß als Dichter, Denker, Grammatiker und Dialektiker. Er ist obendrein Patholog reinsten Wassers. Meine anderthalbjährige Karbunkelkrankheit, die zufällig noch 6 Monate nach Lassalles Tod fortdauerte, diese blutrote Krankheit erklärt er aus „blassem Neide über Lassalles Größe". „Aber", fügt er emphatisch hinzu, „er wagte es nicht, gegen Lassalle aufzutreten, denn er wußte recht wohl, der würde ihn mit seiner Riesenkeule gleich dem BastiatSchulze mausetot geschlagen haben." Nun preist Lassalle gerade in dieser seiner letzten Schrift über „BastiatSchulze" meine „Kritik der Politischen] Oekonomie", Berlin 18591, über Gebühr, nennt sie „epochemachend", ein „Meisterwerk" und stellt sie mit den Werken A.Smiths und Ricardos in gleiche Linie. Hieraus schließt Herr Bernhard Becker mit dem ihm eigentümlichen Denkvermögen, daß Lassalle mich gleich Schulze-Bastiat totmachen könnte. Lassalle hatte übrigens auch ganz andere Vorstellungen von dem, was ich „wage". Als ich ihm bei einer hier nicht zu erörternden Gelegenheit schrieb, Engels und ich würden aus Gründen, die ich aufzählte, zu einem öffentlichen Angriff auf ihn gezwungen sein[88], antwortete er ausführlich in einem in diesem Augenblick vor mir hegenden Briefe, worin er erst seine Gegengründe aufstellt und dann mit der Wendung abschließt: „Bedenket das alles, bevor ihr laut und öffentlich sprecht. Auch die Teilung und Spaltung unserer würde für unsere ohnehin nicht große spezielle Partei ein beklagenswertes Ereignis sein!" Herr Bernhard Becker findet einen vollkommenen Widerspruch darin, daß ich von einer internationalen Winkelassoziation[8S], worin er, Bernhard Becker, figuriert haben soll, nichts wissen wollte, während ich mich doch mit großem Eifer an der vergangenen September von den Chefs der Londoner Trades Union gestifteten Internationalen Assoziation beteiligte. Die Unterscheidungsgabe des Herrn Bernhard Becker hält offenbar seinem Schlußvermögen die Stange. Seine Assoziation, rühmt er, brachte es zu einer Blüte von ganzen „400 Mann", während unsere Assoziation so unbescheiden ist, schon jetzt in England allein zehntausend Mitglieder zu zählen. Es ist in der Tat unerlaubt, daß sich so etwas gewissermaßen hinter dem Rücken des „Präsidenten der Menschheit" zutrage.
1 Siehe Band 13 unserer Ausgabe
Alles in allem erwogen und namentlich den nur ganz kurz von mir angedeuteten Fähigkeitenschwarm des Herrn Bernhard Becker, findet man seine Beschwerde kaum gerechtfertigt, daß man einem Manne wie ihm zuviel auf einmal habe aufbürden wollen; daß man ihm nicht nur die Autokratieverrichtung als sein Hauptfach, sondern „nebenbei" auch das kleinere Amt aufoktroyiert: „Eier und Butter fürs Haus zu kaufen."t90] Doch scheint eine bessere Hausordnung unter seinen zwieschlächtigen Funktionen zulaßbar. In Zukunft mache man es zu seinem Hauptgeschäft, „Eier und Butter fürs Haus zu kaufen", und lasse ihn dahingegen nur ganz „nebenbei" die Menschheit verpräsidieren. London, 8. April 1865 Karl Marx
Karl Marx
Berichtigung1911 [An den Redakteur des „Weißen Adlers"]
Nachdem die in Nr.30 Ihres Blattes erwähnten zwei Anträge der Herrn Beales und Leverson auf dem Londoner Polenmeeting vom I.März angenommen worden waren, stellte Herr Peter Fox (Engländer) im Namen der Internationalen Arbeiterassoziation den Antrag, „daß ein integrales und unabhängiges Polen eine unentbehrliche Bedingung eines demokratischen Europas ist und daß, solange diese Bedingung unerfüllt bleibt, revolutionäre Triumphe auf dem Kontinent nur kurzlebige Vorspiele verlängerter Perioden der Herrschaft der Konterrevolution sein können". Nach einer kurzen historischen Skizze der Übel, die Europa infolge des Verlusts der Freiheit Polens befielen, und der Eroberungspolitik Rußlands wies Herr P. Fox nach, daß die Haltung der liberalen Partei in dieser Frage nicht zusammenfalle mit der der demokratischen Gesellschaft, in deren Namen er spreche. Das Motto des konservativen Europas sei: Ein geknechtetes Europa mit einem geknechteten Polen als Basis. Das Motto der Internationalen Arbeiterassoziation sei dagegen: Ein freies Europa, gestützt auf ein freies und unabhängiges Polen. Herr Eccarius (deutscher Arbeiter, Vizepräsident der Internationalen Arbeiterassoziation) unterstützte den Antrag und setzte ausführlich Preußens Teilnahme an den verschiednen Teilungen Polens auseinander. Er schloß mit den Worten: „Der Untergang der preußischen Monarchie ist die Conditio sine qua [non] für Deutschlands Herstellung und Polens Wiederherstellung." Herr Le Lubez, französisches Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation, sprach ebenfalls für den Antrag, der einstimmig und unter anhaltendem Beifallsruf des Meetings angenommen ward. Die „Daily News"C92] und ein paar andre „liberale" Londoner Tagesblätter unterdrückten diesen Teil des Berichts aus Ärger über den Triumph
der Internationalen Arbeiterassoziation, ohne deren Mitwirkung, nebenbei bemerkt, das Polenmeeting zu St.Martin's Hall überhaupt nicht stattgefunden hätte. Ich ersuche Sie im Namen der Internationalen Arbeiterassoziation um Aufnahme dieser Berichtigung.
London etc.
H. Jung, korrespondierender Sekretär der Int. Arbeiterass. für die Schweiz
Geschrieben am 13. April 1865. Nach der Handschrift.
7 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
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Karl Marx
Adresse der Internationalen Arbeiterassoziation an Präsident Johnson1931
[„The Bee-Hive Newspaper" Nr. 188 vom 20. Mai! 865] An Andrew Johnson, Präsident der Vereinigten Staaten.
Sir, der Dämon der „eigentümlichen Einrichtung"[943, für deren Herrschaft sich der Süden in Waffen erhob, konnte seinen Anbetern nicht erlauben, ehrenvoll in offenem Felde zu unterliegen. Was mit Verrat begonnen hatte, mußte notwendigerweise mit Niedertracht enden. Wie Philipps IL Krieg für die Inquisition einen Gerard hervorbrachte, so Jefferson Davis* Rebellion der Sklavenhalter einen Booth. Es ist nicht an uns, nach Worten der Trauer und des Entsetzens zu suchen, wo das Herz zweier Welten vor Erregung erbebt. Selbst die Syke» phanten, die Jahr für Jahr und Tag für Tag eine Sisyphusarbeit leisteten, um Abraham Lincoln und die große Republik, an deren Spitze er stand, moralisch zu meucheln, stehen jetzt entsetzt vor diesem allgemeinen Ausbruch des Volksempfindens und wetteifern miteinander, rhetorische Blumen auf sein offenes Grab zu streuen. Sie sind jetzt endlich darauf gekommen, daß er ein Mann war, den der Mißerfolg nicht niederschlagen, den der Erfolg nicht berauschen konnte, der unerschütterlich seinem großen Ziele entgegendrängte, ohne es je durch blinde Hast aufs Spiel zu setzen, bedächtig seine Schritte fördernd, ohne je einen zurück zu tun, nie fortgerissen von der Flut der Volksgunst, nie entmutigt durch die Abkühlung der Volksbewegung, der Akte der Strenge durch die Wärme eines liebevollen Herzens mildert, düstere Auftritte der Leidenschaft durch das Lächeln des Humors erhellt und sein titanisches Werk ebenso einfach und bescheiden verrichtet, wie Herrscher von Gottes Gnaden kleine Dinge mit prahlerischem Glanz und Aufwand zu tun pflegen; mit einem Worte, er war einer der seltenen Männer, denen es gelingt, groß zu werden, ohne daß sie aufhören, gut zu sein. So groß war in der Tat die Bescheidenheit dieses großen und
guten Mannes, daß die Welt erst dann entdeckte, er sei ein Held gewesen, nachdem er als Märtyrer gefallen. Neben einem solchen Führer als das zweite Opfer der höllischen Dämonen der Sklaverei auserwählt zu werden, war eine Ehre, der Herr Seward würdig war. War er nicht zu einer Zeit allgemeiner Unschlüssigkeit so scharfblickend, den „unabwendbaren Konflikt"[95] weise vorauszusehen und so unerschrocken ihn vorauszusagen? Erwies er sich nicht in den düstersten Stunden dieses Konflikts treu der Pflicht des Römers, niemals an der Republik und ihren Sternen zu verzweifeln ? Wir hoffen aus vollem Herzen, daß er und sein Sohn viel schneller als nach „neunzigTagen"[96] der Gesundheit, der öffentlichen Tätigkeit und den wohlverdienten Ehren wiedergegeben werden. Nach einem schrecklichen Bürgerkrieg, der, wenn wir seine kolossale Ausdehnung und seinen weiten Schauplatz in Betracht ziehen, im Vergleich zu den Hundertjährigen, Dreißigjährigen und dreiundzwanzigjährigen Kriegen1-97-1 der Alten Welt kaum neunzig Tage gedauert zu haben scheint, ist Ihnen, Sir, die Aufgabe zugefallen, durch das Gesetz auszurotten, was das Schwert gefällt, die schwere Arbeit des politischen Umbaus und der sozialen Wiedergeburt zu leiten. Das tiefe Bewußtsein Ihrer großen Mission wird Sie vor jedem Nachgeben gegenüber Ihren strengen Pflichten bewahren. Sie werden niemals vergessen, daß das amerikanische Volk zu Beginn der neuen Ära der Emanzipation der Arbeit die Verantwortung der Führung zwei Männern der Arbeit übertrug - der eine Abraham Lincoln, der andere Andrew Johnson. Unterzeichnet in London am 13. Mai 1865 im Namen der Internationalen Arbeiterassoziation vom Zentralrat: Karl Kaub; EdtüinCoulson; F.Leßner; CarlPfaender; N.P.Hansen; Karl Schapper; William Dell; Georg Lochner; Georg Eccarius; John Osborne; P.Petersen; A. Jan\s; H.Klimosch; John Weston; H.Bolleter; B.Lucraft; J.Buckfey; Peter Fox; N.Salvatella; George Howell; Bordage; A.Valltier; Robert Shaw; J.Longmaid; W.Morgan; G.W.Wheeler; J.D.Nieass; W. Worley; D.Stainsby; F. de Lassassie; J.Carter; EmileHoltorp, Sekretär für Polen; Karl Marx, Sekretär für Deutschland; H.Jung, Sekretär für die Schweiz; E.Dupont, Sekretär für Frankreich; J.Whitlock, Finanzsekretär; G.Odger, Präsident; W.R.Cremer, ehrenamtlicher Generalsekretär
Geschrieben zwischen dem 2. und 9. Mai 1865. Aus dem Englischen.

KARL MARX
Lohn, Preis und Profit"81
Geschrieben Ende Mai bis 27. Juni 1865. Nach dem Manuskript des Vorträgs. Aus dem Englischen.
f Einleitendes]
Bürger! Bevor ich auf unsern Gegenstand eingehe, erlaubt mir einige Vorbemerkungen. Gegenwärtig herrscht auf dem Kontinent eine wahre Epidemie von Streiks, und allgemein wird nach einer Lohnsteigerung gerufen. Die Frage wird auf unserm Kongreß zur Sprache kommen.1 Ihr als Leiter der Internationalen Assoziation müßt einen festen Standpunkt in dieser überragenden Frage haben. Ich für meinen Teil habe es daher für meine Pflicht gehalten, ausführlich auf die Sache einzugehn - selbst auf die Gefahr hin, eure Geduld auf eine harte Probe zu stellen. Eine Vorbemerkung noch mit Bezug auf Bürger Weston. Nicht nur hat er vor euch Anschauungen entwickelt, die, wie er weiß, in der Arbeiterklasse äußerst unpopulär sind; er hat diese Anschauungen auch öffentlich vertreten, wie er glaubt - im Interesse der Arbeiterklasse. Eine solche Bekundung moralischen Muts müssen wir alle hochachten. Trotz des unverblümten Stils meiner Ausführungen wird er hoffentlich am Schluß derselben finden, daß ich mit dem übereinstimme, was mir als der eigentliche Grundgedanke seiner Sätze erscheint, die ich jedoch in ihrer gegenwärtigen Form nicht umhin kann, für theoretisch falsch und praktisch gefährlich zu halten. Ich komme nun ohne Umschweife zur Sache.
1. [Produktion und Löhne]
Bürger Westons Beweisführung beruhte wesentlich auf zwei Voraussetzungen: 1. daß der Betrag der nationalen Produktion ein unveränderliches Ding ist oder, wie die Mathematiker sagen würden, eine konstante Menge oder Größe;
1 Siehe vorl. Band, S. 509
2. daß der Betrag des Reallohns, d.h. des Lohns, gemessen durch das Warenquantum, das mit ihm gekauft werden kann, ein unveränderlicher Betrag, eine konstante Größe ist. Nun, das Irrtümliche seiner ersten Behauptung springt in die Augen. Ihr werdet finden, daß Wert und Masse der Produktion von Jahr zu Jahr zunehmen, daß die Produktivkraft der nationalen Arbeit größer wird und daß die zur Zirkulation dieser gesteigerten Produktion notwendige Geldmenge fortwährend wechselt. Was am Ende des Jahres und für verschiedne miteinander verglichene Jahre gilt, das gilt auch für jeden Durchschnittstag im Jahr. Die Menge oder Größe der nationalen Produktion wechselt fortwährend. Sie ist keine konstante, sondern eine variable Größe, und ganz abgesehn von den Veränderungen des Bevölkerungsstandes kann das nicht anders sein wegen des fortwährenden Wechsels in der Akkumulation des Kapitals und der Produktivkraft der Arbeit. Unleugbar, fände heute eine Steigerung der allgemeinen Lohnrate statt, so würde diese Steigerung, welches immer ihre schließlichen Folgen, an sich nicht unmittelbar den Betrag der Produktion ändern. Sie würde zunächst einmal vom jetzigen Stand der Dinge ausgehn. War aber die nationale Produktion vor der Lohnsteigerung variabel und nicht fix, so wird sie auch nach der Lohnsteigerung fortfahren, variabel und nicht fix zu sein. Gesetzt aber, der Betrag der nationalen Produktion sei konstant statt variabel. Selbst dann bliebe, was unser Freund Weston für einen Vernunftschluß hält, eine bloße Behauptung. Habe ich eine gegebne Zahl, sage 8, so hindern die absoluten Grenzen dieser Zahl ihre Bestandteile keineswegs, ihre relativen Grenzen zu ändern. Machte der Profit 6 aus und der Arbeitslohn 2, so könnte der Arbeitslohn auf 6 steigen und der Profit auf 2 fallen, und doch bliebe der Gesamtbetrag 8. So würde der fixe Betrag der Produktion keineswegs beweisen, daß der Betrag des Arbeitslohns fix sei. Wie beweist nun aber unser Freund Weston diese Fixität? Einfach indem er sie behauptet. Aber selbst seine Behauptung zugegeben, ergibt sich aus ihr zweierlei, während er nur eins sieht. Ist der Lohnbetrag eine konstante Größe, so kann er weder vermehrt noch vermindert werden. Wenn daher die Arbeiter töricht handeln mögen, indem sie eine vorübergehende Lohnsteigerung erzwingen, so handeln die Kapitalisten nicht minder töricht, indem sie eine vorübergehende Lohnsenkung erzwingen. Unser Freund Weston leugnet nicht, daß die Arbeiter unter gewissen Umständen eine Steigerung des Arbeitslohns durchsetzen können, da aber sein Betrag von Natur fixiert sein soll, müsse ein Rückschlag erfolgen. Andrerseits weiß er auch, daß die
Kapitalisten eine Lohnsenkung erzwingen können und daß sie dies in der Tat fortwährend versuchen. Nach dem Prinzip des konstanten Arbeitslohns müßte in dem einen Fall so gut wie in dem andern ein Rückschlag erfolgen. Wenn daher die Arbeiter sich dem Versuch oder der Durchführung einer Lohnsenkung widersetzten, täten sie ganz recht. Sie würden also richtig handeln, indem sie eine Lohnsteigerung erzwingen, weil jede Abwehraktion gegen eine Herabsetzung des Lohns eine Aktion für eine Lohnsteigerung ist. Nach Bürger Westons eignem Prinzip vom konstanten Arbeitslohn sollten sich die Arbeiter daher unter gewissen Umständen zusammentun und für eine Lohnsteigerung kämpfen. Wenn er die Schlußfolgerung ablehnt, muß er die Voraussetzung preisgeben, woraus sie sich ergibt. Statt zu sagen, der Betrag des Arbeitslohns sei ein konstantes Quantum, müßte er sagen, daß, obgleich er weder steigen könne noch müsse, er vielmehr fallen könne und müsse, sobald es dem Kapital gefällt, ihn herabzusetzen. Beliebt es dem Kapitalisten, euch Kartoffeln an Stelle von Fleisch und Hafer an Stelle von Weizen essen zu lassen, so müßt ihr seinen Willen als Gesetz der politischen Ökonomie hinnehmen und euch ihm unterwerfen. Ist in einem Lande, z.B. den Vereinigten Staaten, die Lohnrate höher als in einem andern, z.B. England, so habt ihr euch diesen Unterschied in der Lohnrate aus einem Unterschied im Willen des amerikanischen und des englischen Kapitalisten zu erklären, eine Methode, die das Studium nicht nur der ökonomischen, sondern auch aller andern Erscheinungen zweifellos sehr vereinfachen würde. Aber selbst dann wäre die Frage erlaubt, warum denn der Wille des amerikanischen Kapitalisten von dem des englischen verschieden ist. Und um auf diese Frage zu antworten, müßt ihr über den Bereich des Willens hinausgehen. Ein Pfaffe kann mir weismachen wollen, Gottes.Wille sei in Frankreich eines und in England etwas andres. Wenn ich von ihm verlangte, mir diesen Willenszwiespalt zu erklären, könnte er die Stirn haben, mir zu antworten, es sei Gottes Wille, in Frankreich einen Willen zu haben und in England einen andern. Aber unser Freund Weston ist sicher der letzte, eine so vollständige Preisgabe alles vernünftigen Denkens als Argument geltend zu machen. Sicher ist es der Wille des Kapitalisten, zu nehmen, was zu nehmen ist. Uns kommt es darauf an, nicht über seinen Willen zu fabeln, sondern seine Macht zu untersuchen, die Schranken dieser Macht und den Charakter dieser Schranken»
2. [Produktion, Lohn, Profit] Der uns von Bürger Weston gehaltene Vortrag hätte in einer Nußschale Raum finden können. Alle seine Ausführungen liefen auf folgendes hinaus: Wenn die Arbeiterklasse die Klasse der Kapitalisten zwingt, 5 sh. statt 4 in Gestalt von Geldlohn zu zahlen, so würde der Kapitalist dafür in Gestalt von Waren einen Wert von 4 statt 5 sh. zurückgeben. Die Arbeiterklasse würde das mit 5 sh. zu bezahlen haben, was sie vor der Lohnsteigerung für 4 sh. kaufte. Aber warum ist dies der Fall? Warum gibt der Kapitalist im Austausch für 5sh. nur einen Wert von 4 sh. zurück? Weil der Lohnbetrag fix ist. Warum ist er aber zu einem Warenwert von 4 sh. fixiert? Warum nicht zu 3 oder 2 sh. oder einer beliebigen andern Summe? Ist die Grenze des Lohnbetrags durch ein ökonomisches Gesetz bestimmt, das gleich unabhängig ist vom Willen des Kapitalisten wie vom Willen des Arbeiters, so hätte Bürger Weston zunächst einmal dies Gesetz aussprechen und nachweisen müssen. Er wäre dann aber auch den Beweis schuldig gewesen, daß der in jedem gegebnen Zeitpunkt faktisch gezahlte Lohnbetrag immer exakt dem notwendigen Lohnbetrag entspricht und niemals davon abweicht. Andrerseits, beruht die gegebne Grenze des Lohnbetrags auf dem bloßen Willen des Kapitalisten oder den Grenzen seiner Habgier, so ist sie willkürlich. Sie ist aller Notwendigkeit bar. Sie kann durch den Willen des Kapitalisten und kann daher auch gegen seinen Willen geändert werden. Bürger Weston illustrierte euch seine Theorie damit, daß, wenn eine Schüssel ein bestimmtes Quantum Suppe zur Speisung einer bestimmten Anzahl von Personen enthalte, ein Breiterwerden der Löffel kein Größerwerden des Quantums Suppe bewirke. Er muß mir schon gestatten, diese Illustration recht ausgelöffelt zu finden. Sie erinnerte mich einigermaßen an das Gleichnis, zu dem Menenius Agrippa seine Zuflucht nahm. Als die römischen Plebejer gegen die römischen Patrizier in den Streik traten, erzählte ihnen der Patrizier Agrippa, daß der patrizische Wanst die plebejischen Glieder des Staatskörpers mit Nahrung versehe. Agrippa blieb den Beweis schuldig, wie jemand die Glieder eines Mannes mit Nahrung versieht, indem er den Wanst eines andern füllt. Bürger Weston für sein Teil hat vergessen, daß die Schüssel, woraus die Arbeiter essen, mit dem ganzen Produkt der nationalen Arbeit gefüllt ist und daß, wenn irgend etwas die Arbeiter hindert, mehr aus der Schüssel herauszuholen, es weder die Enge der Schüssel noch die Dürftigkeit ihres Inhalts ist, sondern einzig und allem die Kleinheit ihrer Löffel.
Durch welchen Kunstgriff ist der Kapitalist imstande, für 5 Shilling einen 4-Shilling-Wert zurückzugeben? Durch die Erhöhung des Preises der von ihm verkauften Ware. Hängt denn nun aber das Steigen, ja überhaupt der Wechsel der Warenpreise, hängen etwa die Warenpreise selbst vom bloßen Willen des Kapitalisten ab? Oder sind nicht vielmehr bestimmte Umstände erforderlich, um diesen Willen wirksam zu machen? Wenn nicht, so werden die Auf- und Abbewegungen, die unaufhörlichen Fluktuationen der Marktpreise zu einem unlösbaren Rätsel. Sobald wir unterstellen, daß keinerlei Wechsel stattgefunden, weder in der Produktivkraft der Arbeit noch im Umfang des Kapitals und der angewandten Arbeit, noch im Wert des Geldes, worin die Werte der Produkte geschätzt werden, sondern nur ein Wechsel in der Lohnrate, wie könnte diese Lohnsteigerung die Warenpreise beeinflussen? Doch nur, indem sie das bestehende Verhältnis zwischen der Nachfrage nach diesen Waren und ihrem Angebot beeinflußt. Es ist sehr richtig, daß die Arbeiterklasse, als Ganzes betrachtet, ihr Einkommen in Lehensmitteln verausgabt und verausgaben muß. Eine allgemeine Steigerung der Lohnrate würde daher eine Zunahme der Nachfrage nach Lebensmitteln und folglich eine Steigerung ihrer Marktpreise hervorrufen. Die Kapitalisten, die diese Lebensmittel produzieren, würden für den gestiegnen Lohn mit steigenden Marktpreisen für ihre Waren entschädigt. Wie aber die andern Kapitalisten, die nicht Lebensmittel produzieren? Und ihr müßt nicht glauben, daß das eine Handvoll ist. Wenn ihr bedenkt, daß 2/3 des nationalen Produkts von 1/5 der Bevölkerung - oder sogar nur von einem Siebtel, wie kürzlich ein Mitglied des Unterhauses erklärte - konsumiert werden, so begreift ihr, welch bedeutender Teil des nationalen Produkts in Gestalt von Luxusartikeln produziert oder gegen Luxusartikel ausgetauscht und welche Unmenge selbst von den Lebensmitteln auf Lakaien, Pferde, Katzen usw. verschwendet werden muß, eine Verschwendung, von der wir aus Erfahrung wissen, daß ihr mit steigenden Lebensmittelpreisen immer bedeutende Einschränkungen auferlegt werden. Wie wäre nun die Stellung der Kapitalisten, die nicht Lebensmittel produzieren? Für das der allgemeinen Lohnsteigerung geschuldete Fallen der Profitrate könnten sie sich nicht durch eine Steigerung des Preises ihrer Waren schadlos halten, weil die Nachfrage nach diesen Waren nicht gewachsen wäre. Ihr Einkommen wäre geschmälert; und von diesem geschmälerten Einkommen hätten sie mehr zu zahlen für die gleiche Menge im Preise gestiegner Lebensmittel. Aber das wäre noch nicht alles. Da ihr Einkommen vermindert, würden sie weniger auf Luxusartikel zu veraus
gaben haben, und so würde ihre wechselseitige Nachfrage für ihre respektiven Waren abnehmen. Infolge dieser Abnahme würden die Preise ihrer Waren fallen. Daher würde in diesen Industriezweigen die Profitrate fallen, und zwar nicht bloß im einfachen Verhältnis zu der allgemeinen Steigerung der Lohnrate, sondern im kombinierten Verhältnis zu der allgemeinen Lohnsteigerung, der Preissteigerung der Lebensmittel und dem Preisfall der Luxusartikel. Welche Folgen hätte diese Differenz in den Profitraten für die in den verschiednen Industriezweigen angewandten Kapitalien? Nun, dieselben, die gewöhnlich stattfinden, wenn aus irgendeinem Grund die Durchschnittsprofitrate in den verschiednen Produktionssphären sich ändert. Kapital und Arbeit würden von den weniger gewinnbringenden nach den mehr gewinnbringenden Produktionszweigen abfließen; und dieser Abfluß würde so lange fortdauern, bis das Angebot in der einen Abteilung der Industrie im Verhältnis zu der gewachsenen Nachfrage gestiegen und in den andern Abteilungen entsprechend der verminderten Nachfrage gesunken wäre. Sobald diese Änderung eingetreten, wäre die allgemeine Profitrate in den verschiednen Zweigen wieder ausgeglichen. Da der ganze Umschwung ursprünglich herrührte von einem bloßen Wechsel im Verhältnis der Nachfrage nach und dem Angebot von verschiednen Waren, so würde mit dem Aufhören der Ursache die Wirkung aufhören, und die Preise würden auf ihr vorheriges Niveau und ins Gleichgewicht zurückkehren. Das Fallen der Profitrate, statt auf einige Industriezweige beschränkt zu bleiben, wäre infolge der Lohnsteigerung allgemein geworden. Entsprechend unsrer Unterstellung hätte eine Änderung weder in der Produktivkraft der Arbeit stattgefunden noch im Gesamtbetrag der Produktion, wohl aber hätte dieser gegebne Betrag der Produktion seine Form geändert. Ein größerer Teil des Produkts existierte in Gestalt von Lebensmitteln, ein kleinerer in Gestalt von Luxusartikeln, oder, was dasselbe, ein geringerer Teil würde für ausländische Luxusartikel eingetauscht und in seiner ursprünglichen Form verzehrt, oder, was wieder auf dasselbe hinauskommt, ein größerer Teil des heimischen Produkts würde für ausländische Lebensmittel statt für Luxusartikel eingetauscht. Die allgemeine Steigerung der Lohnrate würde daher nach einer vorübergehenden Störung in den Marktpreisen nur ein allgemeines Sinken der Profitrate zur Folge haben, ohne daß die Warenpreise auf die Dauer verändert wären. Wollte man mir einwenden, ich hätte in dieser Beweisführung angenommen, daß der ganze zuschüssige Arbeitslohn auf Lebensmittel verausgabt werde, so antworte ich, daß ich die günstigste Annahme für die
Ansicht des Bürgers Weston unterstellt habe. Würde der zuschüssige Arbeitslohn auf Artikel verausgabt, die früher nicht in den Konsum der Arbeiter eingingen, so bedürfte der reale Zuwachs ihrer Kaufkraft keines Beweises. Da diese Zunahme der Kaufkraft sich jedoch nur aus einer Erhöhung des Arbeitslohns herleitet, so muß sie exakt der Abnahme der Kaufkraft der Kapitalisten entsprechen. Die Gesamtnachfrage nach Waren würde daher nicht Atnehmen, wohl aber wäre in den Bestandteilen dieser Nachfrage eine Wechselseitige Änderung eingetreten. Die zunehmende Nachfrage auf der einen Seite würde wettgemacht von der abnehmenden Nachfrage auf der andern Seite. Indem so die Gesamtnachfrage unverändert bliebe, könnte keinerlei Veränderung in den Marktpreisen der Waren stattfinden. Ihr seid also vor dies Dilemma gestellt: Entweder wird der zuschüssige Arbeitslohn gleichmäßig auf alle Konsumtionsartikel verausgabt - dann muß die Ausdehnung der Nachfrage auf seiten der Arbeiterklasse aufgewogen werden durch die Einschränkung der Nachfrage auf seiten der Kapitalistenklasse -, oder der zuschüssige Arbeitslohn wird nur auf einige Artikel verausgabt, deren Marktpreise vorübergehend steigen werden. Dann wird das nachfolgende Steigen der Profitrate in den einen und das nachfolgende Fallen der Profitrate in den andern Industriezweigen einen Wechsel in der Distribution von Kapital und Arbeit hervorrufen, so lange bis das Angebot entsprechend der gestiegnen Nachfrage in der einen Abteilung der Industrie gesteigert und entsprechend der verminderten Nachfrage in den andern gesenkt wird. Unter der einen Voraussetzung wird keine Änderung in den Warenpreisen eintreten. Unter der andern Voraussetzung werden die Tauschwerte der Waren nach einigen Schwankungen der Marktpreise auf das frühere Niveau zurückkehren. Unter beiden Voraussetzungen wird das allgemeine Steigen der Lohnrate in letzter Instanz zu nichts andrem führen als zu einem allgemeinen Fallen der Profitrate. Um eure Einbildungskraft anzuregen, ersuchte euch Bürger Weston, die Schwierigkeiten zu bedenken, die eine allgemeine Steigerung der englischen Landarbeiterlöhne von 9 auf 18 sh. hervorrufen würde. Bedenkt, rief er, die ungeheure Steigerung der Nachfrage nach Lebensmitteln und die nachfolgende furchtbare Steigerung ihrer Preise! Nun wißt ihr ja alle, daß der Durchschnittslohn der amerikanischen Landarbeiter sich auf mehr als das Doppelte von dem der englischen beläuft, obgleich die Preise landwirtschaftlicher Produkte in den Vereinigten Staaten niedriger sind als im Vereinigten Königreich, obgleich in den Vereinigten Staaten das gesamte Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit das gleiche ist wie in England und
obgleich der jährliche Betrag der Produktion in den Vereinigten Staaten viel geringer ist als in England. Warum läutet unser Freund dann die Sturmglocke? Einfach, um uns von der wirklichen Frage abzubringen. Eine plötzliche Lohnsteigerung von 9 auf 18 sh. wäre eine plötzliche Steigerung von 100%. Nun, wir debattieren ja gar nicht die Frage, ob die allgemeine Lohnrate in England plötzlich um 100% erhöht werden könnte. Wir haben überhaupt nichts zu tun mit der Größe der Steigerung? weiche in jedem praktischen Fall von den gegebnen Umständen abhängen und ihnen angepaßt sein muß. Wir haben nur zu untersuchen, wie eine allgemeine Steigerung der Lohnrate wirkt, selbst wenn sie sich nur auf 1 Prozent beläuft. Ich lasse die von Freund Weston erfundene Steigerung von 100% auf sich beruhen und mache euch auf die wirkliche Lohnsteigerung aufmerksam, die in Großbritannien von 1849 bis 1859 stattfand. Euch allen ist die Zehnstundenbill bekannt, oder vielmehr die Zehneinhalbstundenbill, die seit 1848 in Kraft ist. Dies war eine der größten ökonomischen Veränderungen, die unter unsern Augen vorgegangen. Es war das eine plötzliche und unfreiwillige Lohnsteigerung nicht etwa in einigen lokalen Geschäftszweigen, sondern in den führenden Industriezweigen, durch die England den Weltmarkt beherrscht. Sie brachte eine Lohnsteigerung unter ausnehmend ungünstigen Umständen. Dr. Ure, Professor Senior und all die andern offiziellen ökonomischen Wortführer der Bourgeoisie bewiesen - und ich muß sagen, mit viel durchschlagenderen Gründen als Freund Weston -, daß sie die Totenglocke der englischen Industrie läuten werde. Sie bewiesen, daß sie nicht bloß auf eine gewöhnliche Lohnsteigerung hinauslaufe, sondern auf eine durch die Abnahme des Quantums der angewandten Arbeit veranlaßte und darauf gegründete Lohnsteigerung. Sie behaupteten, daß die 12. Stunde, die man dem Kapitalisten wegnehmen wolle, gerade die einzige Stunde sei, woraus er seinen Profit herleite. Sie drohten mit Abnahme der Akkumulation, Steigerung der Preise, Verlust der Märkte, Schrumpfung der Produktion, daher entspringendem Rückschlag auf die Löhne und schließlichem Ruin. In der Tat erklärten sie Maximilien Robespierres Gesetze über das Maximumt99] für eine Lappalie im Vergleich damit; und in gewissem Sinn hatten sie recht. Schön, was war das Resultat? Steigerung des Geldlohns der Fabrikarbeiter trotz der Verkürzung des Arbeitstags, große Zunahme der Zahl der beschäftigten Fabrikarbeiter, anhaltendes Fallen der Preise ihrer Produkte, wunderbare Entwicklung der Produktivkraft ihrer Arbeit, unerhört fortschreitende Ausdehnung der Märkte für ihre Waren. Zu Manchester,
18611 auf der Tagung der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft, hörte ich selber Herrn Newman eingestehn, daß er, Dr. Ure, Senior und alle andren offiziellen Leuchten der ökonomischen Wissenschaft sich geirrt hätten, während der Instinkt des Volks recht behalten habe. Ich nenne Herrn W. Newman[100] - nicht Professor Francis Newman -, weil er eine hervorragende Stellung in der ökonomischen Wissenschaft einnimmt als Mitarbeiter und Herausgeber von Herrn Thomas Tookes „History ofPrices", diesem prächtigen Werk, das die Geschichte der Preise von 1793 bis 1856 verfolgt. Wenn Freund Westons fixe Idee von einem fixen Lohnbetrag, einem fixen Betrag der Produktion, einem fixen Grad der Produktivkraft der Arbeit, einem fixen und immerwährenden Willen der Kapitalisten und alle seine übrige Fixität und Finalität richtig wären, so wären Professor Seniors traurige Voraussagen richtig gewesen, und unrecht hätte Robert Owen gehabt, der bereits 1816 eine allgemeine Beschränkung des Arbeitstags für den ersten vorbereitenden Schritt zur Befreiung der Arbeiterklasse erklärte und sie, dem landläufigen Vorurteil praktisch zum Trotz, auf eigne Faust in seiner Baumwollspinnerei zu New Lanark durchführte. Während eben derselben Periode, in der die Einführung der Zehnstundenbill und die nachfolgende Lohnsteigerung vor sich ging, erfolgte in Großbritannien aus Gründen, die aufzuzählen hier nicht der Ort ist, eine allgemeine Steigerung der Landarbeiterlöhne. Obgleich es für meinen unmittelbaren Zweck nicht erheischt ist, werde ich dennoch, um bei euch keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, einige Vorbemerkungen machen. Wenn ein Mann erst 2 sh. Wochenlohn erhält und sein Lohn dann auf 4 sh. steigt, so ist die Lohnrate um 100% gestiegen. Als Steigerung der Lohnrate ausgedrückt scheint dies eine großartige Sache, obgleich der faktische Lohnbetrag, 4 sh. die Woche, noch immer ein miserabel niedriger, ein Hungerlohn wäre. Ihr müßt euch daher von den groß klingenden Prozentzahlen der Rate des Arbeitslohns nicht beirren lassen. Ihr müßt immer fragen: Was war der ursprüngliche Betrag? Ferner werdet ihr verstehen, daß, wenn 10 Mann je 2 sh. die Woche, 5 Mann je 5 sh. und 5 Mann je 11 sh. wöchentlich erhielten, die 20 Mann zusammen 100 sh. oder 5 Pfd.St. wöchentlich erhalten würden. Wenn nun eine sage zwanzigprozentige Steigerung der Gesamtsumme ihres Wochenlohns stattfände, so gäbe das eine Zunahme von 5 auf 6 Pfd.St. Zögen wir den Durchschnitt, so könnten wir sagen, daß die allgemeine Lohnrate um
1 Im Manuskript irrtümlich: 1860
20% gestiegen wäre, obgleich in Wirklichkeit der Arbeitslohn der 10 Mann unverändert geblieben, der der einen Gruppe von 5 Mann nur von 5 auf 6 sh. per Mann und der der anderen von 5 Mann von insgesamt 55 auf 70 sh. gestiegen wäre. Eine Hälfte der Leute hätte ihre Lage überhaupt nicht verbessert, 1jl in kaum merklichem Grade, und nur hätte sie wirklich verbessert. Indes, im Durchschnitt gerechnet, hätte der Gesamtlohnbetrag jener 20 Mann um 20% zugenommen, und soweit das Gesamtkapital in Betracht kommt, das sie beschäftigt, und die Preise der Waren, die sie produzieren, würde es genau dasselbe sein, als hätten sie alle gleichmäßig an der durchschnittlichen Lohnsteigerung teilgenommen. Was nun den Fall mit der Landarbeit angeht, für die der Lohnstandard in den verschiednen Grafschaften Englands und Schottlands sehr verschieden ist, so wirkte sieh die Steigerung sehr ungleich auf ihn aus. Endlich waren während der Periode, in der jene Lohnsteigerung stattfand, entgegenwirkende Einflüsse am Werk, wie z.B. die durch den Russischen Kriegfl01] hervorgerufenen neuen Steuern, die massenhafte Zerstörung der Wohnhäuser der Landarbeiter[1021 usw. Nachdem ich soviel vorausgeschickt, komme ich nun zu der Feststellung, daß von 1849 bis 1859 die Durchschnittsrate der Landarbeiterlöhne Großbritanniens eine Steigerung von ungefähr 40% erfuhr. Ich könnte weitläufige Einzelheiten zum Beweis meiner Behauptung anführen, aber für vorliegenden Zweck betrachte ich es als ausreichend, auf den gewissenhaften und kritischen Vortrag hinzuweisen, den der verstorbne Herr John C.Morton 1860 über „The Forces used in Agriculture" in der London'er Society of Arts[103] hielt. Herr Morton führt statistische Angaben aus Quittungen und andern authentischen Schriftstücken an, die er in ^schottischen und 35 englischen Grafschaften bei ungefähr 100 dort ansässigen Pächtern gesammelt. Gemäß Freund Westons Absicht, und wenn man damit die gleichzeitige Steigerung des Arbeitslohns der Fabrikarbeiter in Zusammenhang bringt, hätten die Preise der landwirtschaftlichen Produkte während der Periode von 1849 bis 1859 gewaltig steigen müssen. Was aber geschah faktisch? Trotz des Russischen Kriegs und der aufeinanderfolgenden ungünstigen Ernten von 1854 bis 1856 fiel der Durchschnittspreis des Weizens - der das wichtigste landwirtschaftliche Produkt Englands ist - von ungefähr 3 Pfd.St. per Quarter in den Jahren 1838 bis 1848 auf ungefähr 2 Pfd.St. 10 sh. per Quarter für die Jahre 1849 bis 1859. Das macht eine Abnahme des Weizenpreises von mehr als 16% in derselben Zeit, wo die Steigerung der Landarbeiterlöhne im Durchschnitt 40% betrug. Während derselben.
Periode, wenn wir ihr Ende mit ihrem Beginn, 1859 mit 1849 vergleichen, nahm der offizielle Pauperismus von 934 419 auf 860 470 ab, was eine Differenz von 73 949 ausmacht. Ich gestehe, das ist eine sehr kleine Abnahme, die überdies in den folgenden Jahren wieder verlorenging, aber immerhin eine Abnahme. Es kann gesagt werden, daß infolge der Abschaffung der Korngesetzetl04] die Einfuhr von ausländischem Korn in der Periode von 1849 bis 1859 sich mehr als verdoppelt hat, verglichen mit der Periode von 1838 bis 1848. Was folgt aber daraus? Von Bürger Westons Standpunkt würde man erwartet haben, daß diese plötzliche, gewaltige und anhaltend zunehmende Nachfrage auf den ausländischen Märkten die Preise der landwirtschaftlichen Produkte dort furchtbar hinaufgeschraubt haben müßte, da die Wirkung einer vergrößerten Nachfrage die gleiche bleibt, ob sie nun vom Ausland oder vom Inland kommt. Was geschah faktisch? Mit Ausnahme einiger Jahre schlechter Ernten bildete das ruinöse Fallen des Kornpreises in dieser ganzen Periode das stehende Thema, worüber in Frankreich deklamiert wurde; die Amerikaner sahen sich immer und immer wieder genötigt, ihr überschüssiges Produkt zu verbrennen; und wenn wir Herrn Urquhart glauben sollen, so schürte Rußland den Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, weil seine landwirtschaftliche Ausfuhr auf den Kornmärkten Europas durch die Konkurrenz der Yankees geschmälert wurde. Auf ihre abstrafte Form reduziert, käme Bürger Westons Behauptung auf folgendes hinaus: Jede Steigerung der Nachfrage geht immer auf Basis eines gegebnen Betrags der Produktion vor sich. Sie kann daher nie das Angebot der nachgefragten Artikel vergrößern, sondern nur ihre Geldpreise erhöhn. Nun lehrt aber die einfachste Beobachtung, daß eine vergrößerte Nachfrage in einigen Fällen die Marktpreise der Waren durchaus unverändert läßt, in andern Fällen ein vorübergehendes Steigen der Marktpreise bewirkt, begleitet von vergrößertem Angebot und wiederum von einem Rückgang der Preise auf ihr ursprüngliches Niveau, ja, vielfach sogar darunter. Ob die Steigerung der Nachfrage aus zuschüssigem Arbeitslohn oder einer andern Ursache entspringt, ändert nichts an den Bedingungen des Problems. Von Bürger Westons Standpunkt war die allgemeine Erscheinung ebenso schwer zu erklären wie die unter den Ausnahmeumständen einer Lohnsteigerung eintretende Erscheinung. Seine Beweisführung stand daher in keinerlei Zusammenhang mit dem Gegenstand, den wir behandeln. Sie war nur der Ausdruck seiner Hilflosigkeit gegenüber den Gesetzen, wodurch eine Zunahme der Nachfrage, statt eine schließliche Steigerung der Marktpreise hervorzurufen, vielmehr eine Zunahme des Angebots herbeiführt.
8 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
3. [Löhne und Geldumlauf] Am zweiten Tag der Debatte kleidete Freund Weston seine alte Behauptung in neue Formen. Er sagte: Infolge eines allgemeinen Steigens der Geldlöhne sind mehr Zirkulationsmittel zur Zahlung desselben Arbeitslohns erforderlich. Da der Geldumlauf fix ist, wie sollen mit diesen fixen Zirkulationsmitteln die erhöhten Geldlöhne bezahlt werden können? Erst ergab sich die Schwierigkeit aus dem fixen Warenquantum, das dem Arbeiter trotz seines vermehrten Geldlohns zukomme; jetzt wird sie trotz des fixen Warenquantums aus dem erhöhten Geldlohn hergeleitet. Lehnt ihr sein ursprüngliches Dogma ab, so verschwinden natürlich seine dadurch verursachten Schwierigkeiten. Indes werde ich nachweisen, daß diese Frage des Geldumlaufs durchaus nichts mit unserm Gegenstand zu tun hat. In eurem Land ist der Mechanismus der Zahlungen viel vollkommener als in irgendeinem andern Land Europas. Dank der Größe und Konzentration des Banksystems sind viel weniger Zirkulationsmittel erforderlich zur Zirkulierung desselben Wertbetrags und zur Vollziehung derselben oder einer größeren Anzahl von Geschäften. Soweit der Arbeitslohn in Betracht kommt, gibt ihn z.B. der englische Fabrikarbeiter allwöchentlich bei dem Krämer aus, der ihn jede Woche dem Bankier zuschickt, der ihn seinerseits jede Woche wieder dem Fabrikanten zukommen läßt, der ihn wieder an seine Arbeiter zahlt usw. Vermöge dieser Einrichtung kann der Jahreslohn eines Arbeiters sage von 52 Pfd. St . mit einem einzigen Sovereign bezahlt werden, der allwöchentlich denselben Zirkel beschreibt. In England ist dieser Mechanismus sogar weniger vollkommen als in Schottland, und er ist nicht an allen Orten gleich vollkommen; und daher finden wir z.B., daß in einigen Ackerbaudistrikten im Vergleich zu den Fabrikdistrikten viel mehr Zirkulationsmittel erforderlich sind, um einen viel kleineren Wertbetrag zu zirkulieren. Wenn ihr den Kanal überquert, so werdet ihr finden, daß dort der Geldlohn viel niedriger ist als in England, daß er aber in Deutschland, Italien, der Schweiz und Frankreich vermittels einer viel größeren Menge Zirkulationsmittel zirkuliert wird. Derselbe Sovereign wird vom Bankier nicht so rasch aufgefangen oder zum industriellen Kapitalisten zurückgebracht; und daher bedarf es statt eines Sovereigns, der 52Pfd.St. im Jahr zirkuliert, vielleicht dreier Sovereigns, um einen Jahreslohn in Höhe von 25 Pfd.St. zu zirkulieren. Vergleicht ihr somit die Länder des Kontinents mit England, so werdet ihr sofort einsehen, daß niedriger Geld
lohn viel mehr Zirkulationsmittel zu seinem Umlauf erheischen kann als hoher Geldlohn und daß dies in Wirklichkeit eine rein technische Angelegenheit ist, die unserm Gegenstand gänzlich fernliegt. Gemäß den genausten Berechnungen, die mir bekannt sind, dürfte das jährliche Einkommen der Arbeiterklasse dieses Landes auf 250 Millionen Pfd.St. zu schätzen sein. Diese gewaltige Summe wird mit ungefähr 3 Millionen Pfd.St. zirkuliert. Unterstellt, es fände eine Lohnsteigerung von 50% statt. Dann wären statt 3 Millionen Pfd.St. Zirkulationsmittel 41/«Millionen Pfd.St. erforderlich. Da ein sehr bedeutender Teil der täglichen Ausgaben des Arbeiters mit Silber- und Kupfermünze, d.h. mit bloßen Wertzeichen, bestritten wird, deren Wertverhältnis zum Gold durch Gesetz konventionell festgestellt ist, ebenso wie das von nicht einlösbarem Papiergeld, so würde eine fünfzigprozentige Steigerung des Geldlohns im schlimmsten Fall eine zusätzliche Zirkulation von Sovereigns zum Betrag von sage einer Million erheischen. Eine Million, die jetzt in Form von Barren oder gemünztem Gold in den Kellern der Bank von England oder von Privatbanken ruht, würde in Umlauf gebracht. Aber selbst die unbedeutenden Ausgaben, die aus der zusätzlichen Prägung oder dem zusätzlichen Verschleiß jener Million erwachsen, könnten und würden tatsächlich gespart werden, wenn infolge zuschüssiger Nachfrage nach Zirkulationsmitteln irgendwelche Reibungen entstehen sollten. Ihr alle wißt, daß die Zirkulationsmittel dieses Landes in zwei große Abteilungen zerfallen. Eine Sorte, die in Banknoten verschiednen Nennwerts geliefert wird, dient in den Umsätzen zwischen Geschäftsleuten und bei größeren Zahlungen von Konsumenten an Geschäftsleute, während im Kleinhandel eine andre Sorte Zirkulationsmittel umläuft, das Metallgeld. Obgleich voneinander unterschieden, vertritt jede der beiden Sorten Zirkulationsmittel die Stelle der andern. So läuft Goldmünze zu einem sehr bedeutenden Betrag selbst bei größeren Zahlungen um, wo es sich bei den zu zahlenden Summen um Uberschüsse unter 5 Pfd. St. über runde Summen handelt. Würden morgen 4- oder 3- oder 2-Pfd.-St.-Noten ausgegeben werden, so würden die Goldmünzen, die diese Kanäle der Zirkulation füllen, sofort aus ihnen vertrieben werden und in diejenigen Kanäle strömen, wo sie infolge der Zunahme des Geldlohns benötigt wären. So würde die zuschüssige Million, durch eine fünfzigprozentige Lohnerhöhung erheischt, geliefert werden, ohne daß ein einziger Sovereign zugesetzt zu werden brauchte. Dieselbe Wirkung könnte ohne eine einzige zusätzliche Banknote hervorgebracht werden vermittels vermehrter Zirkulation von Wechseln, wie dies in Lancashire sehr lange Zeit der Fall war.
Wenn ein allgemeines Steigen der Lohnrate - z.B. von 100%, wie Bürger Weston es bei den Landarbeiterlöhnen annahm - eine große Steigerung der Lebensmittelpreise hervorriefe und - gemäß seiner Ansicht einen nicht beschaffbaren Betrag zuschüssiger Zirkulationsmittel erheischte, so müßte ein allgemeines Fallen des Arbeitslohns dieselbe Wirkung auf gleicher Stufenleiter in umgekehrter Richtung hervorbringen. Schön! Ihr alle wißt, daß die Jahre 1858 "bis 1860 die prosperierendsten für die Baumwollindustrie waren und daß namentlich das Jahr 1860 in dieser Beziehung in den Annalen des Gewerbes einzig dasteht, während zu derselben Zeit auch alle andern Industriezweige eine hohe Blüte erlebten. Die Löhne der Baumwollarbeiter und aller andern mit deren Geschäftszweig verknüpften Arbeiter standen 1860 höher als je zuvor. Die amerikanische Krise kam, und diese gesamten Löhne wurden plötzlich ungefähr auf ihres frühern Betrags herabgesetzt. In umgekehrter Richtung wäre dies eine Steigerung auf 400% gewesen. Steigt der Arbeitslohn von 5 auf 20, so sagen wir, daß er um 300 Prozent gestiegen sei; fällt er von 20 auf 5, so sagen wir, er sei um 75% gefallen; aber der Betrag, um den er in dem einen Fall steigt und in dem andern fällt, wäre derselbe, nämlich 15 sh. Es war dies nun ein plötzlicher, beispielloser Wechsel in der Lohnrate, der zugleich eine Arbeiterzahl in Mitleidenschaft zog, die um die Hälfte die Zahl der Landarbeiter überstieg, wenn nicht nur sämtliche direkt in der Baumwollindustrie beschäftigten, sondern auch indirekt von ihr abhängigen Arbeiter mitgerechnet werden. Fiel nun etwa der Weizenpreis? Er stieg von einem Jahresdurchschnitt von 47 sh. 8 d. per Quarter während der drei Jahre 1858-1860 auf einen Jahresdurchschnitt von 55 sh. 10 d. per Quarter während der drei Jahre 1861-1863. Was nun die Zirkulationsmittel angeht, so hatte die Münze 1861 8 673 232 Pfd. St. gegenüber 3 378 102 Pfd. St. im Jahre 1860 geprägt. Das heißt, 1861 war für 5 295 130 Pfd. St. mehr geprägt worden als 1860. Allerdings waren 1861 um 1 319 000 Pfd.St. weniger Banknoten im Umlauf als 1860. Zieht das ab. Bleibt für das Jahr 1861 im Vergleich mit dem Prosperitätsjahr 1860 immer noch ein Uberschuß an Zirkulationsmitteln zum Betrag von 3 976 130 Pfd.St. oder ungefähr 4 Millionen Pfd.St.; aber der Gold vor rat der Bank von England hatte gleichzeitig abgenommen, wenn nicht genau, so doch annähernd im gleichen Verhältnis. Vergleicht das Jahr 1862 mit 1842. Abgesehn von der gewaltigen Zunahme in Wert und Menge der in Zirkulation gesetzten Waren betrug das zu regulären Bedingungen auf Aktien, Anleihen etc. für die Eisenbahnen in England und Wales eingezahlte Kapital 1862 allein 320 Millionen Pfd. St.,
eine Summe, die 1842 märchenhaft erschienen wäre. Dennoch Waren die Gesamtquanta des 1862 und 1842 umlaufenden Geldes so ziemlich gleich; und überhaupt werdet ihr finden, daß angesichts einer enormen Wertsteigerung nicht nur von Waren, sondern allgemein aller Geldumsätze das umlaufende Geld die Tendenz hat, in wachsendem Maß abzunehmen. Von Freund Westons Standpunkt aus ist dies ein unlösbares Rätsel. Wäre er etwas tiefer in die Sache eingedrungen, so hätte er gefunden, daß - ganz abgesehn vom Arbeitslohn und ihn als fix unterstellend - Wert und Masse der Waren, die zirkuliert werden sollen, und überhaupt der Betrag der Geldumsätze täglich schwanken; daß die Menge der ausgegebnen Banknoten täglich schwankt; daß der Betrag der Zahlungen, die ohne Dazwischenkunft des Geldes mit Hilfe von Wechseln, Schecks, Buchkrediten, Verrechnungsbanken beglichen werden, täglich schwankt; daß, soweit Bargeld als Zirkulationsmittel erheischt, das Verhältnis zwischen zirkulierender Münze einerseits und andrerseits den Münzen und Barren, die in Reserve gehalten werden oder in den Kellern der Banken ruhn, täglich schwankt; daß die Menge ungemünzten Edelmetalls, das von der nationalen Zirkulation absorbiert, und die Menge, die für die internationale Zirkulation ins Ausland geschickt wird, täglich schwanken. Er hätte gefunden, daß sein Dogma von den fixen Zirkulationsmitteln ein ungeheurer Irrtum ist, unvereinbar mit der tagtäglichen Bewegung. Er würde die Gesetze untersucht haben, die es ermöglichen, daß der Geldumlaufsich Umständen anpaßt, die sich so ununterbrochen ändern, statt sein Mißverständnis betreffs der Gesetze des Geldumlaufs in ein Argument gegen eine Lohnsteigerung zu verwandeln.
4. [Angebot und Nachfrage]
Unser Freund Weston hält sich an das lateinische Sprichwort, daß „repetitio est mater studiorum", d.h. daß die Wiederholung die Mutter des Studiums ist, und demzufolge wiederholte er sein ursprüngliches Dogma unter der neuen Form, daß die Kontraktion des Geldumlaufs, die aus einer Lohnerhöhung resultieren soll, eine Abnahme des Kapitals hervorrufen würde etc. Nachdem seine Geldumlaufsmarotte abgetan, halte ich es für ganz zwecklos, von den imaginären Folgen Notiz zu nehmen, die seiner Einbildung nach aus seinen imaginären Zirkulationsmißgeschicken entstehn. Ich will nunmehr sein Dogma, das immer ein und dasselbe ist, in wieviel verschiednen Gestalten es auch wiederholt wird, auf seinen einfachsten theoretischen Ausdruck reduzieren.
Die unkritische Art, worin er seinen Gegenstand behandelt hat, wird aus einer einzigen Bemerkung klar. Er spricht sich gegen eine Lohnsteigerung oder gegen hohen Arbeitslohn als Resultat einer solchen Steigerung aus. Nun frage ich ihn: Was ist hoher und was ist niedriger Arbeitslohn? Warum bedeuten z. B. 5 sh. einen niedrigen und 20 sh. einen hohen Wochenlohn? Wenn 5 verglichen mit 20 niedrig ist, so ist 20 noch niedriger ver1*1 OHA XVT ' 11 * \ T 1 "1 1 Tt glichen mit ZUL». Wenn jemanct, aer eine vonesung uDer aas inermometer zu halten hat, damit anfinge, über hohe und niedrige Grade zu deklamieren, so würde er keinerlei Kenntnisse vermitteln. Er müßte mir zunächst einmal sagen, wie der Gefrierpunkt gefunden wird und wie der Siedepunkt, und wie diese Festpunkte durch Naturgesetze bestimmt werden, nicht durch die Laune der Verkäufer oder Hersteller von Thermometern. Mit Bezug auf Arbeitslohn und Profit hat Bürger Weston es nun nicht nur unterlassen, solche Festpunkte aus ökonomischen Gesetzen abzuleiten, er hat es nicht einmal für nötig befunden, sich danach umzusehn. Er gab sich damit zufrieden, die landläufigen Vulgärausdrücke „niedrig" und „hoch" als eindeutige Ausdrücke hinzunehmen, obgleich es in die Augen springt, daß Arbeitslöhne nur hoch oder niedrig genannt werden können, wenn man sie mit einem Standard vergleicht, woran ihre Größen zu messen wären. Er wird nicht imstande sein, mir zu erklären, warum ein bestimmter Geldbetrag für eine bestimmte Arbeitsmenge gegeben wird. Sollte er mir antworten, „dies wurde durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmt", so würde ich ihn zunächst einmal fragen, durch welches Gesetz denn Angebot und Nachfrage selbst reguliert werden. Und dieser Einwand würde ihn sofort außer Gefecht setzen. Die Beziehungen zwischen Angebot und Nachfrage von Arbeit erfahren fortwährend Veränderungen und mit ihnen auch die Marktpreise der Arbeit. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, so erhöht sich der Arbeitslohn; wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt, so sinkt der Arbeitslohn, obgleich es unter diesen Umständen notwendig werden könnte, den wirklichen Stand von Nachfrage und Zufuhr durch einen Streik z.B. oder in andrer Weise zu ermitteln. Erkennt ihr aber Angebot und Nachfrage als das den Arbeitslohn regelnde Gesetz an, so wäre es ebenso kindisch wie zwecklos, gegen eine Lohnsteigerung zu wettern, weil eine periodische Lohnsteigerung gemäß dem obersten Gesetz, auf das ihr euch beruft, ebenso notwendig und gesetzmäßig ist wie ein periodisches Fallen des Arbeitslohns. Wenn ihr dagegen Angebot und Nachfrage nicht als das den Arbeitslohn regelnde Gesetz anerkennt, so frage ich nochmals, warum ein bestimmter Geldbetrag für eine bestimmte Arbeitsmenge gegeben wird?
Um aber die Sache umfassender zu betrachten: Ihr wärt sehr auf dem Holzweg, falls ihr glaubtet, daß der Wert der Arbeit oder jeder beliebigen andern Ware in letzter Instanz durch Angebot und Nachfrage festgestellt werde. Angebot und Nachfrage regeln nichts als die vorübergehenden Fluktuationen der Marktpreise. Sie werden euch erklären, warum der Marktpreis einer Ware über ihren Wert steigt oder unter ihn fällt, aber sie können nie über diesen Wert selbst Aufschluß geben. Unterstellt, daß Angebot und Nachfrage sich die Waage halten oder, wie die Ökonomen das nennen, einander decken. Nun, im selben Augenblick, wo diese entgegengesetzten Kräfte gleich werden, heben sie einander auf und wirken nicht mehr in der einen oder der andern Richtung. In dem Augenblick, wo Angebot und Nachfrage einander die Waage halten und daher zu wirken aufhören, fällt der Marktpreis einer Ware mit ihrem wirklichen Wert, mit dem Normalpreis zusammen, um den ihre Marktpreise oszillieren. Bei Untersuchung der Natur dieses Werts haben wir daher mit den vorübergehenden Einwirkungen von Angebot und Nachfrage auf die Marktpreise nichts mehr zu schaffen. Das gleiche gilt vom Arbeitslohn wie von den Preisen aller andern Waren.
5. [Löhne und Preise]
Auf ihren einfachsten theoretischen Ausdruck reduziert, lösen sich alle Argumente unsres Freundes in das einzige Dogma auf: „Die Warenpreise werden bestimmt oder geregelt durch die Arbeitslöhne." Ich könnte mich auf die praktische Beobachtung berufen, um Zeugnis abzulegen gegen diesen längst überholten und widerlegten Trugschluß. Ich könnte darauf hinweisen, daß die englischen Fabrikarbeiter, Bergleute, Schiffbauer usw., deren Arbeit relativ hoch bezahlt wird, durch die Wohlfeilheit ihres Produkts alle andern Nationen ausstechen, während z.B. den englischen Landarbeiter, dessen Arbeit relativ niedrig bezahlt wird, wegen der Teuerkeit seines Produkts fast jede andre Nation aussticht. Durch Vergleichung zwischen Artikeln ein und desselben Landes und zwischen Waren verschiedner Länder könnte ich - von einigen mehr scheinbaren als wirklichen Ausnahmen abgesehn - nachweisen, daß im Durchschnitt hochbezahlte Arbeit Waren mit niedrigem Preis und niedrig bezahlte Arbeit Waren mit hohem Preis produziert. Dies wäre natürlich kein Beweis dafür, daß der hohe Preis der Arbeit in dem einen und ihr niedriger Preis in dem andern Fall die respektiven Ursachen so diametral entgegengesetzter Wirkungen sind, wohl aber wäre dies jedenfalls ein Beweis, daß
die Preise der Waren nicht von den Preisen der Arbeit bestimmt werden. Indes ist es ganz überflüssig für uns, diese empirische Methode anzuwenden. Es könnte vielleicht bestritten werden, daß Bürger Weston das Dogma aufgestellt hat: „Die Warenpreise werden bestimmt oder geregelt durch die ArbeitslöhneEr hat es in der Tat niemals ausgesprochen. Er sagte vielmehr, daß Profit und Rente ebenfalls Bestandteile der Warenpreise bilden, weil es die Warenpreise seien, woraus nicht bloß die Löhne des Arbeiters, sondern auch die Profite des Kapitalisten und die Renten des Grundeigentümers bezahlt werden müssen. Wie stellt er sich aber die Preisbildung vor? Zunächst durch den Arbeitslohn. Sodann wird ein zuschüssiger Prozentsatz zugunsten des Kapitalisten und ein weitrer zugunsten des Grundeigentümers daraufgeschlagen. Unterstellt, der Lohn für die in der Produktion einer Ware angewandte Arbeit sei 10. Wäre die Profitrate 100%, so würde der Kapitalist auf den vorgeschossenen Arbeitslohn 10 aufschlagen, und wenn die Rentrate ebenfalls 100% auf den Arbeitslohn betrüge, so würden weitere 10 aufgeschlagen, und der Gesamtpreis der Ware beliefe sich auf 30. Eine solche Bestimmung der Preise wäre aber einfach ihre Bestimmung durch den Arbeitslohn. Stiege im obigen Fall der Arbeitslohn auf 20, so der Preis der Ware auf 60 usw. Demzufolge haben alle überholten ökonomischen Schriftsteller, die dem Dogma, daß der Arbeitslohn die Preise reguliere, Anerkennung verschaffen wollten, es damit zu beweisen gesucht, daß sie Profit und Rente als bloße prozentuale Aufschläge auf den Arbeitslohn behandelten. Keiner von ihnen war natürlich imstande, die Grenzen dieser Prozentsätze auf irgendein ökonomisches Gesetz zu reduzieren. Sie scheinen vielmehr gedacht zu haben, die Profite würden durch Tradition, Gewohnheit, den Willen des Kapitalisten oder nach irgendeiner andern gleicherweise willkürlichen und unerklärlichen Methode festgesetzt. Wenn sie versichern, die Konkurrenz unter den Kapitalisten setze sie fest, so sagen sie gar nichts. Zweifellos ist es diese Konkurrenz, wodurch die verschiednen Profitraten in den verschiednen Geschäftszweigen ausgeglichen oder auf ein Durchschnittsniveau reduziert werden, aber nie kann sie dies Niveau selbst oder die allgemeine Profitrate bestimmen. Was ist gemeint, wenn man sagt, daß die Warenpreise durch den Arbeitslohn bestimmt seien? Da Arbeitslohn nur ein andrer Name für den Preis der Arbeit, so ist damit gemeint, daß die Preise der Waren durch den Preis der Arbeit reguliert werden. Da „Preis" Tauschwert ist - und wo ich von Wert spreche, ist immer von Tauschwert die Rede also Tauschwert in Geld ausgedrückt, so läuft der Satz darauf hinaus, daß „der Wert der
Waren bestimmt wird durch den Wert der Arbeit" oder daß „der Wert der Arbeit der allgemeine Wertmesser istu. Wie aber wird dann der „Wert der Arbeit" selbst bestimmt? Hier kommen wir an einen toten Punkt. An einen toten Punkt natürlich nur, wenn wir logisch zu folgern versuchen. Die Prediger jener Doktrin machen mit logischen Skrupeln allerdings kurzen Prozeß. Unser Freund Weston zum Beispiel. Erst erklärte er uns, daß der Arbeitslohn den Warenpreis bestimme und daß folglich mit dem Steigen des Arbeitslohns die Preise steigen müßten. Dann machte er eine Wendung, um uns weiszumachen, eine Lohnsteigerung sei zu nichts gut, weil die Warenpreise gestiegen wären und weil die Löhne in der Tat durch die Preise der Waren, worauf sie verausgabt, gemessen würden. Somit beginnen wir mit der Behauptung, daß der Wert der Arbeit den Wert der Waren bestimme, und enden mit der Behauptung, daß der Wert der Waren den Wert der Arbeit bestimme. So drehen wir uns in einem höchst fehlerhaften Kreislauf und kommen überhaupt zu keinem Schluß. Alles in allem ist es klar, daß, wenn man den Wert einer Ware, sage von Arbeit, Korn oder jeder andern Ware, zum allgemeinen Maß und Regulator des Werts macht, man die Schwierigkeit bloß von sich abschiebt, da man einen Wert durch einen andern bestimmt, der seinerseits wieder der Bestimmung bedarf. Auf seinen abstraktesten Ausdruck gebracht, läuft das Dogma, daß „der Arbeitslohn die Warenpreise bestimmt", darauf hinaus, daß „Wert durch Wert bestimmt ist", und diese Tautologie bedeutet, daß wir in Wirklichkeit überhaupt nichts über den Wert wissen. Halten wir uns an diese Prämisse, so wird alles Räsonieren über die allgemeinen Gesetze der politischen Ökonomie zu leerem Geschwätz. Es war daher das große Verdienst Ricardos, daß er in seinem 1817 veröffentlichten Werk „On the Principles of Political Economy" den alten landläufigen und abgedroschnen Trugschluß, wonach „der Arbeitslohn die Preise bestimmt", von Grund aus zunichte machte, einen Trugschluß, den Adam Smith und seine französischen Vorgänger in den wirklich wissenschaftlichen Partien ihrer Untersuchungen aufgegeben hatten, den sie aber in den mehr exoterischen und verflachenden Kapiteln dennoch wieder aufnahmen.
6. [Wert und Arbeit]
Bürger, ich bin jetzt an einen Punkt gelangt, wo ich auf die wirkliche Entwicklung der Frage eingehn muß. Ich kann nicht versprechen, daß ich
dies in sehr zufriedenstellender Weise tun werde, weil ich sonst gezwungen wäre, das ganze Gebiet der politischen Ökonomie durchzunehmen. Ich kann, wie die Franzosen sagen würden, bloß „effleurer la question", die Hauptpunkte berühren. Die erste Frage, die wir stellen müssen, ist die: Was ist der Wert einer Ware? Wie wird er bestimmt? Auf den ersten Blick möchte es scheinen, daß der Wert einer Ware etwas ganz Relatives und ohne die Betrachtung der einen Ware in ihren Beziehungen zu allen andern Waren gar nicht zu Bestimmendes ist. In der Tat, wenn wir vom Wert, vom Tauschwert einer Ware sprechen, meinen wir die quantitativen Proportionen, worin sie sich mit allen andern Waren austauscht. Aber dann erhebt sich die Frage: Wie werden die Proportionen reguliert, in denen Waren sich miteinander austauschen? Wir wissen aus Erfahrung, daß diese Proportionen unendlich mannigfaltig sind. Nehmen wir eine einzelne Ware, z.B. Weizen, so finden wir, daß ein Quarter Weizen sich in fast unzähligen Variationen von Proportionen mit den verschiedensten Waren austauscht. Indes, da sein Wert stets derselbe bleibt, ob in Seide, Gold oder irgendeiner andern Ware ausgedrückt, so muß er etwas von diesen verschiednen Proportionen des Austausches mit verschiednen Artikeln Unterschiedliches und Unabhängiges sein. Es muß möglich sein, diese mannigfachen Gleichsetzungen mit mannigfachen Waren in einer davon sehr verschiednen Form auszudrücken. Sage ich ferner, daß ein Quarter Weizen sich in bestimmter Proportion mit Eisen austauscht oder daß der Wert eines Quarters Weizen in einer bestimmten Menge Eisen ausgedrückt wird, so sage ich, daß der Weizen wert und sein Äquivalent in Eisen irgendeinem Dritten gleich sind, das weder Weizen noch Eisen ist, weil ich ja unterstelle, daß beide dieselbe Größe in zwei verschiednen Gestalten ausdrücken. Jedes der beiden, der Weizen und das Eisen, muß daher unabhängig vom andern reduzier bar sein auf dies Dritte, das ihr gemeinsames Maß ist. Ein ganz einfaches geometrisches Beispiel veranschauliche dies. Wie verfahren wir, wenn wir die Flächeninhalte von Dreiecken aller erdenklichen Form und Größe oder von Dreiecken mit Rechtecken oder andern gradlinigen Figuren vergleichen? Wir reduzieren den Flächeninhalt jedes beliebigen Dreiecks auf einen von seiner sichtbaren Form ganz verschiednen Ausdruck. Nachdem wir aus der Natur des Dreiecks gefunden, daß sein Flächeninhalt gleich ist dem halben Produkt aus seiner Grundlinie und seiner Höhe, können wir nunmehr die verschiednen Flächeninhalte aller Arten von Dreiecken und aller erdenklichen gradlinigen Figuren mitein
ander vergleichen, weil sie alle in eine bestimmte Anzahl von Dreiecken zerlegt werden können. Dieselbe Verfahrungsweise muß bei den Werten der Waren stattfinden. Wir müssen imstande sein, sie alle auf einen allen gemeinsamen Ausdruck zu reduzieren und sie nur durch die Proportionen zu unterscheiden, worin sie eben jenes und zwar identische Maß enthalten. Da die Tauschwerte der Waren nur gesellschaftliche Funktionen dieser Dinge sind und gar nichts zu tun haben mit ihren natürlichen Qualitäten, so fragt es sich zunächst: Was ist die gemeinsame gesellschaftliche Substanz aller Waren? Es ist die Arbeit. Um eine Ware zu produzieren, muß eine bestimmte Menge Arbeit auf sie verwendet oder in ihr aufgearbeitet werden. Dabei sage ich nicht bloß Arbeit, sondern gesellschaftliche Arbeit. Wer einen Artikel für seinen eignen unmittelbaren Gebrauch produziert, um ihn selbst zu konsumieren, schafft zwar ein Produkt, aber keine Ware. Als selbstwirtschaftender Produzent hat er nichts mit der Gesellschaft zu tun. Aber um eine Ware zu produzieren, muß der von ihm produzierte Artikel nicht nur irgendein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen, sondern seine Arbeit selbst muß Bestandteil und Bruchteil der von der Gesellschaft verausgabten Gesamtarbeitssumme bilden. Seine Arbeit muß unter die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft subsumiert sein. Sie ist nichts ohne die andern Teilarbeiten, und es ist erheischt, daß sie für ihr Teil diese ergänzt. Wenn wir Waren als Werte betrachten, so betrachten wir sie ausschließlich unter dem einzigen Gesichtspunkt der in ihnen vergegenständlichten, dargestellten oder, wenn es beliebt, kristallisierten gesellschaftlichen Arbeit. In dieser Hinsicht können sie sich nur unterscheiden durch die in ihnen repräsentierten größeren oder kleineren Arbeitsquanta, wie z.B. in einem seidnen Schnupftuch eine größere Arbeitsmenge aufgearbeitet sein mag als in einem Ziegelstein. Wie aber mißt man Arbeitsquanta? Nach der Dauer der Arbeitszeit, indem man die Arbeit nach Stunde, Tag etc. mißt. Um dieses Maß anzuwenden, reduziert man natürlich alle Arbeitsarten auf durchschnittliche oder einfache Arbeit als ihre Einheit. Wir kommen daher zu folgendem Schluß. Eine Ware hat Wert, weil sie Kristallisation gesellschaftlicher Arbeit ist. Die Größe ihres Werts oder ihr relativer Wert hängt ab von der größeren oder geringeren Menge dieser in ihr enthaltnen gesellschaftlichen Substanz; d.h. von der zu ihrer Produktion notwendigen relativen Arbeitsmasse. Die relativen Werte der Waren Werden daher bestimmt durch die respektiven in ihnen aufgearbeiteten, vergegenständlichten, dargestellten Quanta oder Mengen von Arbeit. Die korrelativen Warenquanta, die in derselben Arbeitszeit produziert werden können,
sind gleich. Oder der Wert einer Ware verhält sich zum Wert einer andern Ware wie das Quantum der in der einen Ware dargestellten Arbeit zu dem Quantum der in der andern Ware dargestellten Arbeit. Ich habe den Verdacht, daß viele von euch fragen werden: Besteht denn in der Tat ein so großer oder überhaupt irgendein Unterschied zwischen der Bestimmung der Werte der Waren durch den Arbeitslohn und ihrer Bestimmung durch die relativen Arbeitsquanta, die zu ihrer Produktion notwendig? Ihr müßt indes gewahr geworden sein, daß das Entgelt für die Arbeit und das Quantum der Arbeit ganz verschiedenartige Dinge sind. Angenommen z.B., in einem Quarter Weizen und einer Unze Gold seien gleiche Arbeitsquanta dargestellt. Ich greife auf das Beispiel zurück, weil Benjamin Franklin es in seinem ersten Essay benutzt hat, der 17291 unter dem Titel „A Modest Inquiry into the Nature and Necessity of a Paper Currency" veröffentlicht wurde und worin er als einer der ersten der wahren Natur des Werts auf die Spur kam. Schön. Wir unterstellen nun, daß ein Quarter Weizen und eine Unze Gold gleiche Werte oder Äquivalente sind, weil sie Kristallisationen gleicher Mengen von Durchschnittsarbeit soundso vieler jeweils in ihnen dargestellter Arbeitstage oder -wochen sind. Nehmen wir nun dadurch, daß wir die relativen Werte von Gold und Korn bestimmen, in irgendeiner Weise Bezug auf die Arbeitslöhne des Landarbeiters und des Bergarbeiters? Nicht im geringsten. Wir lassen es ganz unbestimmt, wie ihre Tages- oder Wochenarbeit bezahlt, ja ob überhaupt Lohnarbeit angewandt worden ist. Geschah dies, so kann der Arbeitslohn sehr ungleichgewesen sein. Der Arbeiter, dessen Arbeit in dem Quarter Weizen vergegenständlicht ist, mag bloß 2 Bushel, der im Bergbau beschäftigte Arbeiter mag die eine Hälfte der Unze Gold erhalten haben. Oder, ihre Arbeitslöhne als gleich unterstellt, es können diese in allen erdenklichen Proportionen abweichen von den Werten der von ihnen produzierten Waren. Sie können sich auf die Hälfte, ein Drittel, ein Viertel, ein Fünftel oder jeden andern aliquoten Teil des einen Quarters Korn oder der einen Unze Gold belaufen. Ihre Arbeitslöhne können natürlich die Werte der von ihnen produzierten Waren nicht überschreiten, nicht größer sein, wohl aber können sie in jedem möglichen Grad geringer sein. Ihre Arbeitslöhne werden ihre Grenze haben an den Werten der Produkte, aber die Werte ihrer Produkte werden nicht ihre Grenze haben an ihren Arbeitslöhnen. Was indes die Hauptsache: die Werte, die relativen Werte von Korn und Gold z.B., sind ohne jede Rücksicht auf den Wert der angewandten Arbeit, d.h. den
1 Im Manuskript irrtümlich: 1721
Arbeitslohn, festgesetzt worden. Die Bestimmung der Werte der Waren durch die in ihnen dargestellten relativen Arbeitsquanta ist daher etwas durchaus Verschiedenes von der tautologischen Manier, die Werte der Waren durch den Wert der Arbeit oder den Arbeitslohn zu bestimmen. Dieser Punkt wird indes im Fortgang unserer Untersuchung noch näher beleuchtet werden. Bei Berechnung des Tauschwerts einer Ware müssen wir zu dem Quantum der zuletzt auf sie angewandten Arbeit noch das früher in dem Rohstoff der Ware aufgearbeitete Arbeitsquantum hinzufügen, ferner die Arbeit, die auf Geräte, Werkzeuge, Maschinerie und Baulichkeiten verwendet worden, die bei dieser Arbeit mitwirken. Zum Beispiel ist der Wert einer bestimmten Menge Baumwollgarn die Kristallisation des Arbeitsquantums, das der Baumwolle während des Spinnprozesses zugesetzt worden, des Arbeitsquantums, das früher in der Baumwolle selbst vergegenständlicht worden, des Arbeitsquantums, vergegenständlicht in Kohle, Öl und andern verbrauchten Hilfsstoffen, des Arbeitsquantums, dargestellt in der Dampfmaschine, den Spindeln, den Fabrikgebäuden usw. Die Produktionsinstrumente im eigentlichen Sinn, wie Werkzeuge, Maschinerie, Baulichkeiten, dienen für eine längere oder kürzere Periode immer aufs neue während wiederholter Produktionsprozesse. Würden sie auf einmal verbraucht wie der Rohstoff, so würde ihr ganzer Wert auf einmal auf die Waren übertragen, bei deren Produktion sie mitwirken. Da aber eine Spindel z.B. nur nach und nach verbraucht wird, so wird auf Grund der Durchschnittszeit, die sie dauert, und ihrer allmählichen Abnutzung oder ihres durchschnittlichen Verschleißes während einer bestimmten Periode, sage eines Tages, eine Durchschnittsberechnung angestellt. Auf diese Weise berechnen wir, wieviel vom Wert der Spindel auf das täglich gesponnene Garn übertragen wird und wieviel daher von der Gesamtmenge der z.B. in einem Pfund Garn vergegenständlichten Arbeit auf die früher in der Spindel vergegenständlichte Arbeit kommt. Für unsern gegenwärtigen Zweck ist es nicht notwendig, länger bei diesem Punkt zu verweilen. Es könnte scheinen, daß, wenn der Wert einer Ware bestimmt ist durch das auf ihre Produktion verwendete Arbeitsquantum, je fauler oder ungeschickter ein Mann, desto wertvoller seine Ware, weil die Zeit desto größer, die zur Verfertigung der Ware erheischt. Dies wäre jedoch ein bedauerlicher Irrtum. Ihr werdet euch erinnern, daß ich das Wort „gesellschaftliche Arbeit" gebrauchte, und diese Qualifizierung „gesellschaftlich" schließt viele Momente in sich. Sagen wir, der Wert einer Ware werde bestimmt durch das in ihr aufgearbeitete oder kristallisierte Arbeitsquantum, so meinen wir das Arbeitsquantum, notwendig zu ihrer Produktion in einem gegebnen Gesell
schaftszustand, unter bestimmten gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen der Produktion, mit einer gegebnen gesellschaftlichen Durchschnittsintensität und Durchschnittsgeschicklichkeit der angewandten Arbeit. Als in England der Dampfwebstuhl mit dem Handwebstuhl zu konkurrieren begann, ward nur halb soviel Arbeitszeit erforderlich wie früher, um eine gegebne Menge Garn in eine Elle Baumwollgewebe oder Tuch zu verwandeln. Der arme Handweber arbeitete jetzt 17 oder i8 Stunden täglich statt 9 oder 10 Stunden früher. Aber das Produkt seiner zwanzigstündigen Arbeit repräsentierte jetzt nur noch 10 Stunden gesellschaftliche Arbeit oder 10 Stunden Arbeit, gesellschaftlich notwendig, um eine bestimmte Menge Garn in Textilstoffe zu verwandeln. Das Produkt seiner 20 Stunden hatte daher nicht mehr Wert als das Produkt seiner frühern 10 Stunden. Wenn nun das Quantum der in den Waren vergegenständlichten gesellschaftlich notwendigen Arbeit ihre Tauschwerte reguliert, so muß jede Zunahme des zur Produktion einer Ware erforderlichen Arbeitsquantums ebenso ihren Wert vergrößern, wie jede Abnahme ihn vermindern muß. Blieben die zur Produktion der respektiven Waren notwendigen respektiven Arbeitsquanta konstant, so wären ihre relativen Werte ebenfalls konstant. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das zur Produktion einer Ware notwendige Arbeitsquantum wechselt ständig mit dem Wechsel in der Produktivkraft der angewandten Arbeit. Je größer die Produktivkraft der Arbeit, desto mehr Produkt wird in gegebner Arbeitszeit verfertigt, und je geringer die Produktivkraft der Arbeit, desto weniger. Ergibt sich z.B. durch das Wachstum der Bevölkerung die Notwendigkeit, minder fruchtbaren Boden in Bebauung zu nehmen, so könnte dieselbe Menge Produkt nur erzielt werden, wenn eine größere Menge Arbeit verausgabt würde, und der Wert des landwirtschaftlichen Produkts würde folglich steigen. Andrerseits, wenn ein einzelner Spinner mit modernen Produktionsmitteln in einem Arbeitstag eine vieltausendmal größere Menge Baumwolle in Garn verwandelt, als er in derselben Zeit mit dem Spinnrad hätte verspinnen können, so ist es klar, daß jedes einzelne Pfund Baumwolle vieltausendmal weniger Spinnarbeit aufsaugen wird als vorher und folglich der durch das Spinnen jedem einzelnen Pfund Baumwolle zugesetzte Wert tausendmal kleiner sein wird als vorher. Der Wert des Garns wird entsprechend sinken. Abgesehn von den Unterschieden in den natürlichen Energien und den erworbnen Arbeitsgeschicken verschiedner Völker muß die Produktivkraft der Arbeit in der Häuptsache abhängen: 1. von den Nafurbedingungen der Arbeit, wie Fruchtbarkeit des Bodens, Ergiebigkeit der Minen usw.
2. von der fortschreitenden Vervollkommnung der gesellschaftlichen Kräfte der Arbeit, wie sie sich herleiten aus Produktion auf großer Stufenleiter, Konzentration des Kapitals und Kombination der Arbeit, Teilung der Arbeit, Maschinerie, verbesserten Methoden, Anwendung chemischer und andrer natürlicher Kräfte, Zusammendrängung von Zeit und Raum durch Kommunikations- und Transportmittel und aus jeder andern Einrichtung, wodurch die Wissenschaft Naturkräfte in den Dienst der Arbeit zwingt und wodurch der gesellschaftliche oder kooperierte Charakter der Arbeit zur Entwicklung gelangt. Je größer die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die auf eine gegebne Menge Produkt verwendete Arbeit; desto kleiner also der Wert des Produkts. Je geringer die Produktivkraft der Arbeit, desto größer die auf dieselbe Menge Produkt verwendete Arbeit; desto größer also sein Wert. Als allgemeines Gesetz können wir daher aufstellen: Die Werte der Waren sind direkt proportional der auf ihre Produktion angewandten Arbeitszeiten und umgekehrt proportional der Produktivkraft der angewandten Arbeit. Nachdem ich bis jetzt nur vom Wert gesprochen, werde ich noch einige Worte hinzufügen über den Preis, der eine eigentümliche Form ist, die der Wert annimmt. Preis ist an sich nichts als der Geldausdruck des Werts. Hierzulande z.B. werden die Werte aller Waren in Goldpreisen, auf dem Kontinent dagegen hauptsächlich in Silberpreisen ausgedrückt. Der Wert von Gold oder Silber wie der aller andern Waren wird reguliert von dem zu ihrer Erlangung notwendigen Arbeitsquantum. Eine bestimmte Menge eurer einheimischen Produkte, worin ein bestimmter Betrag eurer nationalen Arbeit kristallisiert ist, tauscht ihr aus gegen das Produkt der Gold und Silber produzierenden Länder, in welchem ein bestimmtes Quantum ihrer Arbeit kristallisiert ist. Es ist in dieser Weise, faktisch durch Tauschhandel, daß ihr lernt, die Werte aller Waren, d. h. die respektiven auf sie verwendeten Arbeitsquanta, in Gold und Silber auszudrücken. Den Geldausdruck des Werts etwas näher betrachtet, oder, was dasselbe, die Verwandlung des Werts in Preis, werdet ihr finden, daß dies ein Verfahren ist, wodurch ihr den Werten aller Waren eine unabhängige und homogene Form verleiht oder sie als Quanta gleicher gesellschaftlicher Arbeit ausdrückt. Soweit der Preis nichts ist als der Geldausdruck des Werts, hat ihn Adam Smith den „natürlichen Preis", haben ihn die französischen Physiokraten den „prix necessaire"1 genannt.
1 „notwendigen Preis"
Welche Beziehung besteht nun zwischen Werten und Marktpreisen oder zwischen natürlichen Preisen und Marktpreisen? Ihr alle wißt, daß der Marktpreis für alle Waren derselben Art derselbe ist, wie verschieden immer die Bedingungen der Produktion für die einzelnen Produzenten sein mögen. Die Marktpreise drücken nur die unter den Durchschnittsbedingungen der Produktion für die Versorgung des Markts mit einer bestimmten Masse eines bestimmten Artikels notwendige Durchschnittsmenge gesellschaftlicher Arbeit aus. Er wird aus der Gesamtheit aller Waren einer bestimmten Gattung errechnet. Soweit fällt der Marktpreis einer Ware mit ihrem Wert zusammen. Andrerseits hängen die Schwankungen der Marktpreise bald über, bald unter den Wert oder natürlichen Preis ab von den Fluktuationen des Angebots und der Nachfrage. Abweichungen der Marktpreise von den Werten erfolgen also ständig, aber, sagt Adam Smith:
„Der natürliche Preis ist also gewissermaßen das Zentrum, zu dem die Preise aller Waren beständig gravitieren. Verschiedene Zufälle können sie mitunter hoch darüber erheben und manchmal darunter herabdrücken. Welches aber immer die Umstände sein mögen, die sie hindern, in diesem Zentrum der Ruhe und Beharrung zum Stillstand zu kommen, sie streben ihm beständig zu." f105J
Ich kann jetzt nicht näher auf diesen Punkt eingehn. Es genügt zu sagen, daß, wenn Angebot und Nachfrage einander die Waage halten, die Marktpreise der Waren ihren natürlichen Preisen entsprechen werden, d.h. ihren durch die respektiven zu ihrer Produktion erheischten Arbeitsquanta bestimmten Werten. Aber Angebot und Nachfrage müssen einander ständig auszugleichen streben, obgleich dies nur dadurch geschieht, daß eine Fluktuation durch eine andre, eine Zunahme durch eine Abnahme aufgehoben wird und umgekehrt. Wenn ihr, statt nur die täglichen Fluktuationen zu betrachten, die Bewegung der Marktpreise für längere Perioden analysiert, wie dies z.B. Tooke in seiner „History ofPrices" getan, so werdet ihr finden, daß die Fluktuationen der Marktpreise, ihre Abweichungen von den Werten, ihre Auf- und Abbewegungen einander ausgleichen und aufheben, so daß, abgesehn von der Wirkung von Monopolen und einigen andern Modifikationen, die ich hier übergehn muß, alle Gattungen von Waren im Durchschnitt zu ihren respektiven Werten oder natürlichen Preisen verkauft werden. Die Durchschnittsperioden, während welcher die Fluktuationen der Marktpreise einander aufheben, sind für verschiedne Warensorten verschieden, weil es mit der einen Sorte leichter gelingt als mit der andern, das Angebot der Nachfrage anzupassen.
Wenn nun, allgemeiner gesprochen und mit Einschluß etwas längerer Perioden, alle Gattungen von Waren zu ihren respektiven Werten verkauft werden, so ist es Unsinn zu unterstellen, daß die ständigen und in verschiednen Geschäftszweigen üblichen Profite - nicht etwa der Profit in einzelnen Fällen - aus einem Aufschlag auf die Preise der Waren entspringen oder daraus, daß sie zu einem Preis weit über ihrem Wert verkauft werden. Die Absurdität dieser Vorstellung springt in die Augen, sobald sie verallgemeinert wird. Was einer als Verkäufer ständig gewönne, würde er als Käufer ebenso ständig verlieren. Es würde zu nichts führen, wollte man sagen, daß es Menschen gibt, die Käufer sind, ohne Verkäufer zu sein, oder Konsumenten, ohne Produzenten zu sein. Was diese Leute den Produzenten zahlen, müssen sie zunächst umsonst von ihnen erhalten. Wenn einer erst euer Geld nimmt und es dann dadurch zurückgibt, daß er eure Waren kauft, so werdet ihr euch nie dadurch bereichern, daß ihr eure Waren diesem selben Mann zu teuer verkauft. Ein derartiger Umsatz könnte einen Verlust verringern, würde aber niemals dazu verhelfen, einen Gewinn zu realisieren. Um daher die allgemeine Natur des Profits zu erklären, müßt ihr von dem Grundsatz ausgehn, daß im Durchschnitt Waren zu ihren wirklichen Werten verkauft werden und daß Profite sich herleiten aus dem Verkauf der Waren zu ihren Werten, d.h. im Verhältnis zu dem in ihnen vergegenständlichten Arbeitsquantum. Könnt ihr den Profit nicht unter dieser Voraussetzung erklären, so könnt ihr ihn überhaupt nicht erklären. Dies scheint paradox und der alltäglichen Beobachtung widersprechend. Es ist ebenso paradox, daß die Erde um die Sonne kreist und daß Wasser aus zwei äußerst leicht entflammenden Gasen besteht. Wissenschaftliche Wahrheit ist immer paradox vom Standpunkt der alltäglichen Erfahrung, die nur den täuschenden Schein der Dinge wahrnimmt.
7. Die Arbeitskraft
Nachdem wir nun, soweit es in so flüchtiger Weise möglich war, die Natur des Werts, des Werts jeder beliebigen Ware analysiert haben, müssen wir unsre Aufmerksamkeit dem spezifischen Wert der Arbeit zuwenden. Und hier muß ich euch wieder mit einem scheinbaren Paradoxon überraschen. Ihr alle seid fest überzeugt, daß, was ihr täglich verkauft, eure Arbeit sei; daß daher die Arbeit einen Preis habe und daß, da der Preis einer Ware bloß der Geldausdruck ihres Werts, es sicherlich so etwas wie den
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
Wert der Arbeit geben müsse. Indes existiert nichts von der Art, was im gewöhnlichen Sinn des Wortes Wert der Arbeit genannt wird. Wir haben gesehn, daß die in einer Ware kristallisierte Menge notwendiger Arbeit ihren Wert konstituiert. Wie können wir nun, indem wir diesen Wertbegriff anwenden, sage den Wert eines zehnstündigen Arbeitstags bestimmen? Wieviel Arbeit enthält dieser Arbeitstag? Zehnstündige Arbeit. Vom Wert eines zehnstündigen Arbeitstags auszusagen, daß er zehnstündiger Arbeit oder dem darin enthaltnen Arbeitsquantum gleich sei, wäre ein tautologischer und überdies unsinniger Ausdruck. Nachdem wir einmal den richtigen, aber versteckten Sinn des Ausdrucks „Wert der Arbeit" gefunden, werden wir natürlich imstande sein, diese irrationale und anscheinend unmögliche Anwendung des Begriffs Wert richtig zu deuten, ebenso wie wir imstande sein werden, die scheinbare oder bloß phänomenale Bewegung der Himmelskörper zu erkennen, nachdem wir einmal ihre wirkliche Bewegung erkannt. Was der Arbeiter verkauft, ist nicht direkt seine Arbeit, sondern seine Arbeitskraft, über die er dem Kapitalisten vorübergehend die Verfügung überläßt. Dies ist so sehr der Fall, daß - ich weiß nicht, ob durch englisches Gesetz, jedenfalls aber durch einige Gesetze auf dem Kontinent - die maximale Zeitdauer, wofür ein Mann seine Arbeitskraft verkaufen darf, festgestellt ist. Wäre es ihm erlaubt, das für jeden beliebigen Zeitraum zu tun, so wäre ohne weiteres die Sklaverei wiederhergestellt. Wenn solch ein Verkauf sich z.B. auf seine ganze Lebensdauer erstreckte, so würde er dadurch auf einen Schlag zum lebenslänglichen Sklaven seines Lohnherrn gemacht. Einer der ältesten Ökonomen und originellsten Philosophen Englands Thomas Hobbes - hat in seinem „Leoiathan" schon vorahnend auf diesen von allen seinen Nachfolgern übersehenen Punkt hingewiesen. & sagt:
„Der Wert1 eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis: das heißt soviel, als für die Benutzung seiner Kraft gegeben würde." Von dieser Basis ausgehend, werden wir imstande sein, den Wert der Arbeit wie den aller andern Waren zu bestimmen. Bevor wir jedoch dies tun, könnten wir fragen, woher die sonderbare Erscheinung kommt, daß wir auf dem Markt eine Gruppe Käufer finden, die Besitzer von Boden, Maschinerie, Rohstoff und Lebensmitteln sind, die alle, abgesehn von Boden in seinem rohen Zustand, Produkte der Arbeit sind, und auf der andern Seite eine Gruppe Verkäufer, die nichts zu ver
1 Im Manuskript: value or worlh
kaufen haben außer ihre Arbeitskraft, ihre werktätigen Arme und Hirne. Daß die eine Gruppe ständig kauft, um Profit zu machen und sich zu bereichern, während die andre ständig verkauft, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Die Untersuchung dieser Frage wäre eine Untersuchung über das, was die Ökonomen „Vorgängige oder ursprüngliche Akkumulation" nennen, was aber ursprüngliche Expropriation genannt werden sollte. Wir würden finden, daß diese sogenannte ursprüngliche Akkumulation nichts andres bedeutet als eine Reihe historischer Prozesse, die in einer Auflösung der ursprünglichen Einheit zwischen dem Arbeitenden und seinen Arbeitsmitteln resultieren. Solch eine Untersuchung fällt jedoch außerhalb des Rahmens meines jetzigen Themas. Sobald einmal die Trennung zwischen dem Mann der Arbeit und den Mitteln der Arbeit vollzogen, wird sich dieser Zustand erhalten und auf ständig wachsender Stufenleiter reproduzieren, bis eine neue und gründliche Umwälzung der Produktionsweise ihn wieder umstürzt und die ursprüngliche Einheit in neuer historischer Form wiederherstellt. Was ist nun also der Wert der Arbeitskraft? Wie der jeder andern Ware ist der Wert bestimmt durch das zu ihrer Produktion notwendige Arbeitsquantum. Die Arbeitskraft eines Menschen existiert nur in seiner lebendigen Leiblichkeit. Eine gewisse Menge Lebensmittel muß ein Mensch konsumieren, um aufzuwachsen und sich am Leben zu erhalten. Der Mensch unterliegt jedoch, wie die Maschine, der Abnutzung und muß durch einen andern Menschen ersetzt werden. Außer der zu seiner eignen Erhaltung erheischten Lebensmittel bedarf er einer andern Lebensmittelmenge, um eine gewisse Zahl Kinder aufzuziehn, die ihn auf dem Arbeitsmarkt zu ersetzen und das Geschlecht der Arbeiter zu verewigen haben. Mehr noch, um seine Arbeitskraft zu entwickeln und ein gegebnes Geschick zu erwerben, muß eine weitere Menge von Werten verausgabt werden. Für unsern Zweck genügt es, nur Durchschnitts&rheit in Betreicht zu ziehn, deren Erziehungs- und Ausbildungskosten verschwindend geringe Größen sind. Dennoch muß ich diese Gelegenheit zu der Feststellung benutzen, daß, genauso wie die Produktionskosten für Arbeitskräfte verschiedner Qualität nun einmal verschieden sind, auch die Werte der in verschiednen Geschäftszweigen beschäftigten Arbeitskräfte verschieden sein müssen. Der Ruf nach Gleichheit der Löhne beruht daher auf einem Irrtum, ist ein unerfüllbarer törichter Wunsch. Er ist die Frucht jenes falschen und platten Radikalismus, der die Voraussetzungen annimmt, die Schlußfolgerungen aber umgehn möchte. Auf Basis des Lohnsystems wird der Wert der Arbeitskraft in derselben Weise festgesetzt wie der jeder
andern Ware; und da verschiedne Arten Arbeitskraft verschiedne Werte haben oder verschiedne Arbeitsquanta zu ihrer Produktion erheischen, so müssen sie auf dem Arbeitsmarkt verschiedne Preise erzielen. Nach gleicher oder gar gerechter Entlohnung auf Basis des Lohnsystems rufen, ist dasselbe, wie auf Basis des Systems der Sklaverei nach Freiheit zu rufen. Was ihr für recht oder gerecht erachtet, steht nicht in Frage. Die Frage ist: Was ist bei einem gegebnen Produktionssystem notwendig und unvermeidlich? Nach dem Dargelegten dürfte es klar sein, daß der Wert der Arbeitskraft bestimmt ist durch den Wert der Lebensmittel, die zur Produktion, Entwicklung, Erhaltung und Verewigung der Arbeitskraft erheischt sind.
8. Die Produktion des Mehrwerts
Unterstellt nun, daß die Produktion der Durchschnittsmenge täglicher Lebensmittel für einen Arbeitenden 6 Stunden Durchschnittsarbeit erheischt. Unterstellt überdies auch, 6 Stunden Durchschnittsarbeit seien in einem Goldquantum gleich 3 sh. vergegenständlicht. Dann wären 3 sh. der Preis oder Gel dausdruck des Tageswerts der Arbeitskraft jenes Mannes. Arbeitete er täglich 6 Stunden, so würde er täglich einen Wert produzieren, der ausreicht, um die Durchschnittsmenge seiner täglichen Lebensmittel zu kaufen oder sich selbst als Arbeitenden am Leben zu erhalten. Aber unser Mann ist ein Lohnarbeiter. Er muß daher seine Arbeitskraft einem Kapitalisten verkaufen. Verkauft er sie zu 3 sh. per Tag oder 18 sh. die Woche, so verkauft er sie zu ihrem Wert. Unterstellt, er sei ein Spinner. Wenn er 6 Stunden täglich arbeitet, wird er der Baumwolle einen Wert von 3 sh. täglich zusetzen. Dieser von ihm täglich zugesetzte Wert wäre exakt ein Äquivalent für den Arbeitslohn oder Preis seiner Arbeitskraft, den er täglich empfängt. Aber in diesem Fall käme dem Kapitalisten keinerlei Mehrwert oder Mehrprodukt zu. Hier kommen wir also an den springenden n i . runKi. Durch Kauf der Arbeitskraft des Arbeiters und Bezahlung ihres Werts hat der Kapitalist, wie jeder andre Käufer, das Recht erworben, die gekaufte Ware zu konsumieren oder zu nutzen. Man konsumiert oder nutzt die Arbeitskraft eines Mannes, indem man ihn arbeiten läßt, wie man eine Maschine konsumiert oder nutzt, indem man sie laufen läßt. Durch Bezahlung des Tages- oder Wochenwerts der Arbeitskraft des Arbeiters hat der Kapitalist daher das Recht erworben, diese Arbeitskraft während des ganzen Tags oder der ganzen Woche zu nutzen oder arbeiten zu lassen. Der
Arbeitstag oder die Arbeitswoche hat natürlich bestimmte Grenzen, die wir aber erst später betrachten werden. Für den Augenblick möchte ich eure Aufmerksamkeit auf einen entscheidenden Punkt lenken. Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch das zu ihrer Erhaltung oder Reproduktion notwendige Arbeitsquantum, aber die Nutzung dieser Arbeitskraft ist nur begrenzt durch die aktiven Energien und die Körperkraft des Arbeiters. Der Tages- oder WochenuJerf der Arbeitskraft ist durchaus verschieden von der täglichen oder wöchentlichen Betätigung dieser Kraft, genauso wie das Futter, dessen ein Pferd bedarf, durchaus verschieden ist von der Zeit, die es den Reiter tragen kann. Das Arbeitsquantum, wodurch der Wert der Arbeitskraft des Arbeiters begrenzt ist, bildet keineswegs eine Grenze für das Arbeitsquantum, das seine Arbeitskraft zu verrichten vermag. Nehmen wir das Beispiel unsres Spinners. Wir haben gesehn, daß er, um seine Arbeitskraft täglich zu reproduzieren, täglich einen Wert von 3 sh. reproduzieren muß, was er dadurch tut, daß er täglich 6 Stunden arbeitet. Dies hindert ihn jedoch nicht, 10 oder 12 oder mehr Stunden am Tag arbeiten zu können. Durch die Bezahlung des Tages- oder WochenuJerfs der Arbeitskraft des Spinners hat nun aber der Kapitalist das Recht erworben, diese Arbeitskraft während des ganzen Tags oder der ganzen Woche zu nutzen. Er wird ihn daher zwingen, sage 12 Stunden täglich zu arbeiten. Uber die zum Ersatz seines Arbeitslohns oder des Werts seiner Arbeitskraft erheischten 6 Stunden hinaus wird er daher noch 6 Stunden zu arbeiten haben, die ich Stunden der Mehrarbeit nennen will, welche Mehrarbeit sich vergegenständlichen wird in einem Mehrwert und einem Mehrprodukt. Wenn unser Spinner z.B. durch seine täglich sechsstündige Arbeit der Baumwolle einen Wert von 3 sh. zusetzt, einen Wert, der exakt ein Äquivalent für seinen Arbeitslohn bildet, so wird er der Baumwolle in 12 Stunden einen Wert von 6 sh. zusetzen und ein entsprechendes Mehr an Garn produzieren. Da er seine Arbeitskraft dem Kapitalisten verkauft hat, so gehört der ganze von ihm geschaffne Wert oder sein ganzes Produkt dem Kapitalisten, dem zeitweiligen Eigentümer seiner Arbeitskraft. Indem der Kapitalist 3 sh. vorschießt, realisiert er also einen Wert von 6 sh., weil ihm für den von ihm vorgeschossenen Wert, worin 6 Arbeitsstunden kristallisiert sind, ein Wert zurückerstattet wird, worin 12 Arbeitsstunden kristallisiert sind. Durch tägliche Wiederholung desselben Prozesses wird der Kapitalist täglich 3 sh. vorschießen und täglich 6 sh. einstecken, wovon eine Hälfte wieder auf Zahlung des Arbeitslohns geht und die andre Hälfte den Mehrwert bildet, für den der Kapitalist kein Äquivalent zahlt. Es ist diese Art Aus
tausch zwischen Kapital und Arbeit, worauf die kapitalistische Produktionsweise oder das Lohnsystem beruht und die ständig in der Reproduktion des Arbeiters als Arbeiter und des Kapitalisten als Kapitalist resultieren muß. Die Rate des Mehrwerts wird, wenn alle andern Umstände gleichbleiben, abhängen von der Proportion zwischen dem zur Reproduktion des Werts der Arbeitskraft notwendigen Teil des Arbeitstags und der für den Kapitalisten verrichteten mehrarbeitszeii oder Mehrarbeit. Sie wird daher abhängen von dem Verhältnis, worin der Arbeitstag über die Zeitspanne hinaus verlängert ist, in der der Arbeiter durch seine Arbeit nur den Wert seiner Arbeitskraft reproduzieren oder seinen Arbeitslohn ersetzen würde.
9. Der Wert der Arbeit
Wir müssen nun zurückkommen auf den Ausdruck „Wert oder Preis der Arbeit Wir haben gesehn, daß er in der Tat nichts ist als die Bezeichnung für den Wert der Arbeitskraft, gemessen an den zu ihrer Erhaltung notwendigen Warenwerten. Da der Arbeiter aber seinen Arbeitslohn erst nach Verrichtung der Arbeit erhält und außerdem weiß, daß, was er dem Kapitalisten tatsächlich gibt, seine Arbeit ist, so erscheint ihm der Wert oder Preis seiner Arbeitskraft notwendigerweise als Preis oder Wert seiner Arbeit selbst. Ist der Preis seiner Arbeitskraft gleich 3 sh., worin 6 Arbeitsstunden vergegenständlicht, und arbeitet er 12 Stunden, so betrachtet er diese 3 sh. notwendigerweise als den Wert oder Preis von 12 Arbeitsstunden, obgleich diese 12 Arbeitsstunden sich in einem Wert von 6 sh. vergegenständlichen. Hieraus folgt zweierlei: Erstens. Der Wert oder Preis der Arbeitskraft nimmt das Aussehn des Preises oder Werts der Arbeit selbst an, obgleich, genau gesprochen, Wert und Preis der Arbeit sinnlose Bezeichnungen sind. Zweitens. Obgleich nur ein Teil des Tagewerks des Arbeiters aus bezahlter, der andre dagegen aus unbezahlter Arbeit besteht und gerade diese unbezahlte oder Mehrarbeit den Fonds konstituiert, woraus der Mehrwert oder Profit sich bildet, hat es den Anschein, als ob die ganze Arbeit aus bezahlter Arbeit bestünde. Dieser täuschende Schein ist das unterscheidende Merkmal der Lohnarbeit gegenüber andern historischen Formen der Arbeit. Auf Basis des Lohnsystems erscheint auch die unbezahlte Arbeit als bezahlt. Beim Sklaven umgekehrt erscheint auch der bezahlte Teil seiner Arbeit als unbezahlt.
Natürlich muß der Sklave, um zu arbeiten, leben, und ein Teil seines Arbeitstags geht drauf auf Ersatz des zu seiner eignen Erhaltung verbrauchten Werts. Da aber zwischen ihm und seinem Herrn kein Handel abgeschlossen wird und zwischen beiden Parteien keine Verkaufs- und Kaufakte vor sich gehn, so erscheint alle seine Arbeit als Gratisarbeit. Nehmt andrerseits den Fronbauern, wie er noch gestern, möchte ich sagen, im ganzen Osten Europas existierte. Dieser Bauer arbeitete z.B. 3 Tage für sich auf seinem eignen oder dem ihm zugewiesnen Felde, und die drei folgenden Tage verrichtete er zwangsweise Gratisarbeit auf dem herrschaftlichen Gut. Hier waren also der bezahlte und der unbezahlte Teil der Arbeit sichtbar getrennt, zeitlich und räumlich getrennt; und unsre Liberalen schäumten über vor moralischer Entrüstung angesichts der widersinnigen Idee, einen Menschen umsonst arbeiten zu lassen. Faktisch jedoch bleibt es sich gleich, ob einer 3 Tage in der Woche für sich auf seinem eignen Felde und 3 Tage umsonst auf dem herrschaftlichen Gut, oder ob er 6 Stunden täglich in der Fabrik oder Werkstatt für sich und 6 Stunden für den Lohnherrn arbeitet, obgleich in letzterem Fall der bezahlte und der unbezahlte Teil seiner Arbeit unentwirrbar miteinander vermengt sind, so daß die Natur der ganzen Transaktion durch die Daziüischenkunft eines Kontrakts und die am Ende der Woche erfolgende Zahlung völlig verschleiert wird. Die Gratisarbeit erscheint in dem einen Fall als freiwillige Gabe und in dem andern als Frondienst. Das ist der ganze Unterschied. * Wo ich also das Wort „ Wert der Arbeit" gebrauche, werde ich es nur als landläufigen Vulgärausdruck für „ Wert der Arbeitskraft" gebrauchen.
10. Profit wird gemacht durch Verkauf einer Ware zu ihrem Wert
Unterstellt, eine Durchschnittsarbeitsstunde sei vergegenständlicht in einem Wert gleich 6 d. oder 12 Durchschnittsarbeitsstunden in 6 sh. Unterstellt ferner, der Wert der Arbeit sei 3 sh. oder das Produkt sechsstündiger Arbeit. Wenn nun in Rohstoff, Maschinerie usw., die bei der Produktion einer Ware aufgebraucht wurden, 24 Durchschnittsarbeitsstunden vergegenständlicht wären, so würde sich ihr Wert auf 12 sh. belaufen. Setze darüber hinaus der vom Kapitalisten beschäftigte Arbeiter diesen Produktionsmitteln 12 Arbeitsstunden zu, so wären diese 12 Stunden vergegenständlicht in einem zusätzlichen Wert von 6 sh. Der Gesamt
wert des Produkts beliefe sich daher auf 36 Stunden vergegenständlichter Arbeit und wäre gleich 18 sh. Da aber der Wert der Arbeit oder der dem Arbeiter bezahlte Arbeitslohn nur 3 sh. betrüge, so würde der Kapitalist für die von dem Arbeiter geleisteten, in dem Wert der Ware vergegenständlichten 6 Stunden Mehrarbeit kein Äquivalent gezahlt haben. Verkaufte der Kapitalist diese Ware zu ihrem Wert von 18 sh., so würde er daher einen Wert von 3 sh. realisieren, für den er kein Äquivalent gezahlt hat. Diese 3 sh. würden den Mehrwert oder Profit konstituieren, den er einsteckt. Der Kapitalist würde folglich den Profit von 3 sh. nicht dadurch realisieren, daß er die Ware zu einem Preis über ihrem Wert, sondern dadurch, daß er sie zu ihrem wirklichen Weri verkauft. Der Wert einer Ware ist bestimmt durch das in ihr enthaltne Gesamtarbeitsquantum. Aber ein Teil dieses Arbeitsquantums ist in einem Wert vergegenständlicht, wofür in Form des Arbeitslohns ein Äquivalent bezahlt, ein Teil jedoch in einem Wert, wofür Äquivalent bezahlt worden ist. Ein Teil der in der Ware enthaltnen Arbeit ist bezahlte Arbeit; ein Teil ist unbezahlte Arbeit. Verkauft daher der Kapitalist die Ware zu ihrem Wert, d.h. als Kristallisation des auf sie verwendeten Gesamtarbeitsquantums, so muß er sie notwendigerweise mit Profit verkaufen. Er verkauft nicht nur, was ihm ein Äquivalent gekostet, er verkauft vielmehr auch, was ihm nichts gekostet, obgleich es die Arbeit seines Arbeiters gekostet hat. Die Kosten der Ware für den Kapitalisten und ihre wirklichen Kosten sind zweierlei Dinge. Ich wiederhole daher, daß normale und durchschnittliche Profite gemacht werden durch Verkauf der Waren nicht über, sondern zu ihren wirklichen Werten.
11. Die verschiednen Teile, in die der Mehrwert zerfällt
Den Mehrwert oder den Teil des Gesamtwerts der Ware, worin die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit des Arbeiters vergegenständlicht ist, nenne ich Profit. Es ist nicht die Gesamtsumme dieses Profits, die der industrielle Kapitalist einsteckt. Das Bodenmonopol setzt den Grundeigentümer in den Stand, einen Teil dieses Mehrwerts unter dem Namen Rente an sich zu ziehn, sei es, daß der Boden für Agrikultur oder Baulichkeiten oder Eisenbahnen, sei es, daß er für irgendeinen andern produktiven Zweck benutzt wird. Andrerseits, gerade die Tatsache, daß der Besitz der Arbeitsmittel den industriellen Kapitalisten befähigt, einen Mehrwert zu produzieren, oder, was auf dasselbe hinausläuft, sich eine bestimmte Menge:
unbezahlter Arbeit anzueignen, befähigt den Eigentümer der Arbeitsmittel, die er ganz oder teilweise dem industriellen Kapitalisten leiht - befähigt, in einem Wort, den geldverleihenden Kapitalisten, einen andern Teil dieses Mehrwerts unter dem Namen Zins für sich in Anspruch zu nehmen, so daß dem industriellen Kapitalisten als solchem nur verbleibt, was man industriellen oder kommerziellen Profit nennt. Welche Gesetze diese Teilung der Gesamtmenge des Mehrwerts unter die drei Menschenkategorien regulieren, ist eine Frage, die unserm Gegenstand gänzlich fernliegt. Soviel resultiert indes aus dem bisher Entwikkelten. Rente, Zins und industrieller Profit sind bloß verschiedne Namen für verschiedne Teile des Mehrwerts der Ware oder der in ihr vergegenständlichten unbezahlten Arbeit und leiten sich in gleicher Weise aus dieser Quelle und nur aus ihr her. Sie leiten sich nicht aus dem Boden als solchem her oder aus dem Kapital als solchem, sondern Boden und Kapital setzen ihre Eigentümer in den Stand, ihre respektiven Anteile an dem von dem industriellen Kapitalisten aus seinem Arbeiter herausgepreßten Mehrwert zu erlangen. Für den Arbeiter selbst ist es eine Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung, ob jener Mehrwert, der das Resultat seiner Mehrarbeit oder unbezahlten Arbeit ist, ganz von dem industriellen Kapitalisten eingesteckt wird oder ob letzterer Teile davon unter den Namen Rente und Zins an dritte Personen weiterzuzahlen hat. Unterstellt, daß der industrielle Kapitalist nur sein eignes Kapital anwendet und sein eigner Grundeigentümer ist. In diesem Fall wanderte der ganze Mehrwert in seine Tasche. Es ist der industrielle Kapitalist, der unmittelbar Mehrwert aus dem Arbeiter herauspreßt, welchen Teil auch immer er schließlich zu behalten imstande ist. Um dies Verhältnis zwischen industriellem Kapitalisten und Lohnarbeiter dreht sich daher das ganze Lohnsystem und das ganze gegenwärtige Produktionssystem. Einige Bürger, die an unsrer Debatte teilnahmen, taten daher unrecht, als sie versuchten, die Dinge zu beschönigen und dies grundlegende Verhältnis zwischen industriellem Kapitalisten und Arbeiter als eine zweitrangige Frage zu behandeln, obgleich sie recht hatten mit der Feststellung, daß unter gegebnen Umständen ein Steigen der Preise in sehr ungleichen Graden den industriellen Kapitalisten, den Grundeigentümer, den Geldkapitalisten und, wenn es beliebt, den Steuereinnehmer berührt* Aus dem bisher Entwickelten folgt nun noch etwas andres. Der Teil des Werts der Ware, der nur den Wert der Rohstoffe, der Maschinerie, kurz den Wert der verbrauchten Produktionsmittel repräsentiert, bildet überhaupt ^em Einkommen, sondern ersetzt nur Kapital. Aber
abgesehn hiervon ist es falsch, daß der andre Teil des Werts der Ware, der Einkommen bildet oder in Form von Arbeitslohn, Profit, Rente, Zins verausgabt werden kann, sich aus dem Wert des Arbeitslohns, dem Wert der Rente, dem Wert des Profits usw. konstituiert. Wir wollen zunächst einmal den Arbeitslohn aus dem Spiel lassen und nur den industriellen Profit Zins und Rente behandeln. Eben sahen wir, daß der in der Ware enthaltne Mehr\YU„ —— ^ U/C f (•) «JUOl VJ.V1 X CHI Uli VO TT lO) VYV1111 Ultl/CAUItKC L/C(.(. TC1 gCgCHOiailUllLlU) sich auflöst in verschiedne Teile mit drei verschiednen Namen. Aber es hieße die Wahrheit in ihr Gegenteil verkehren, wollte man sagen, daß ihr Wert sich aus den selbständigen Werten dieser drei Bestandteile zusammensetzt oder sich durch deren Zusammenzählung bildet. Wenn eine Arbeitsstunde sich vergegenständlicht in einem Wert von wenn der Arbeitstag des Arbeiters 12 Stunden ausmacht, wenn die Hälfte dieser Zeit aus unbezahlter Arbeit besteht, wird diese Mehrarbeit der Ware einen Mehrwert von 3 sh, zusetzen, d.h. einen Wert, für den kein Äquivalent gezahlt worden ist. Dieser Mehrwert von 3 sh. konstituiert den ganzen Fonds, den sich der industrielle Kapitalist mit dem Grundeigentümer und dem Geldverleiher, in welchen Proportionen immer, teilen kann. Der Wert dieser 3 sh. konstituiert die Grenze des Werts, den sie unter sich zu verteilen haben. Es ist aber nicht der industrielle Kapitalist, der dem Wert der Ware einen willkürlichen Wert zum Zwecke seines Profits zusetzt, dem ein weitrer Wert für den Grundeigentümer angereiht wird usw., so daß die Zusammenzählung dieser drei willkürlich festgestellten Werte den Gesamtwert konstituierte. Ihr seht daher das Trügliche der landläufigen Vorstellung, die die Spaltung eines gegebnen Werts in drei Teile mit der Bildung dieses Werts durch Zusammenzählung dreier selbständiger Werte verwechselt, indem sie so den Gesamtwert, woraus Rente, Profit und Zins sich herleiten, in eine willkürliche Größe verwandelt. Wenn der von einem Kapitalisten realisierte Gesamtprofit gleich 100 Pfd.St. ist, so nennen wir diese Summe, als absolute Größe betrachtet, die Menge des Profits, Berechnen wir aber das Verhältnis, worin diese 100 Pfd. St. zu dem vorgeschossenen Kapital stehn, so nennen wir diese relative Größe die Rate des Profits. Es ist augenscheinlich, daß diese Profitrate auf zweierlei Art ausgedrückt werden kann. Unterstellt, 100 Pfd. St. seien in Arbeitslohn vorgeschossenes Kapital. Wenn der erzeugte Mehrwert ebenfalls 100 Pfd.St. beträgt - was uns anzeigen würde, daß der halbe Arbeitstag des Arbeiters aus unbezahlter Arbeit besteht - und wir diesen Profit an dem in Arbeitslohn vorgeschossenen Kapital messen, so würden wir sagen, daß die Profitrate sich auf 100%
beliefe, weil der vorgeschossene Wert 100 und der realisierte Wert 200 wäre. Wenn wir andrerseits nicht bloß das in Arbeitslohn vorgeschossene Kapital betrachten, sondern das vorgeschossene Gesamtkapital, sage z.B. 500 Pfd.St., wovon 400 Pfd.St. den Wert der Rohstoffe, Maschinerie usw. repräsentierten, so würden wir sagen, daß die Profitrate sich nur auf 20% beliefe, weil der Profit von 100 nicht mehr wäre als der fünfte Teil des vorgeschossenen Gesczmfkapitals. Die erste Ausdrucksform der Profitrate ist die einzige, die euch das wirkliche Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit anzeigt, den wirklichen Grad der Exploitation (ihr müßt mir dies französische Wort gestatten) der Arbeit. Die andre Ausdrucksform ist die allgemein übliche, und in der Tat ist sie für bestimmte Zwecke geeignet. Jedenfalls ist sie sehr nützlich zur Verschleierung des Grads, worin der Kapitalist Gratisarbeit aus dem Arbeiter herauspreßt. In den Bemerkungen, die ich noch zu machen habe, werde ich das Wort Profit für die Gesamtmenge des von dem Kapitalisten herausgepreßten Mehrwerts anwenden ohne jede Rücksicht auf die Teilung dieses Mehrwerts zwischen den verschiednen Personen, und wo ich das Wort Profitrate anwende, werde ich stets den Profit am Wert des in Arbeitslohn vorgeschossenen Kapitals messen.
12. Das allgemeine Verhältnis zwischen Profiten, Arbeitslöhnen und Preisen
Zieht man von dem Wert einer Ware jenen Wert ab, der Ersatz ist für den in ihr enthaltenen Wert der Rohstoffe und andern Produktionsmittel, d.h. den Wert der in ihr enthaltnen vergangnen Arbeit, so löst sich der Rest ihres Werts in das Arbeitsquantum auf, das ihr der zuletzt beschäftigte Arbeiter zugesetzt hat. Wenn dieser Arbeiter 12 Stunden täglich arbeitet, wenn sich 12 Stunden Durchschnittsarbeit in einer Goldmenge gleich 6 sh. kristallisieren, so wird dieser zugesetzte Wert von 6 sh. der einzige Wert sein, den seine Arbeit geschaffen hat. Dieser gegebne, durch seine Arbeitszeit bestimmte Wert ist der einzige Fonds, wovon beide, er und der Kapitalist, ihre respektiven Anteile oder Dividenden ziehn können, der einzige Wert, der in Arbeitslohn und Profit geteilt werden kann. Es ist klar, daß dieser Wert selbst nicht geändert wird durch die variablen Proportionen, worin er zwischen den beiden Parteien geteilt werden mag. Es würde hieran
auch nichts geändert, wenn statt eines einzigen Arbeiters die gesamte Arbeiterbevölkerung unterstellt wird, 12 Millionen Arbeitstage z.B. an Stelle eines einzigen. Da Kapitalist und Arbeiter nur diesen begrenzten Wert zu teilen haben,, d.h. den durch die Gesamtarbeit des Arbeiters gemessenen Wert, so erhält der eine desto mehr, je weniger dem andern zufällt, und umgekehrt. Sobald ein Quantum gegeben ist, wird der eine Teil davon zunehmen, wie, umgekehrt, der andre abnimmt. Wenn der Arbeitslohn sich ändert, wird der Profit sich in entgegengesetzter Richtung ändern. Wenn der Arbeitslohn fällt, so steigt der Profit; und wenn der Arbeitslohn steigt, so fällt der Profit.. Würde der Arbeiter nach unsrer frühern Unterstellung 3 sh. gleich der Hälfte des von ihm erzeugten Werts erhalten oder sein ganzer Arbeitstage zur Hälfte aus bezahlter, zur Hälfte aus unbezahlter Arbeit bestehn, so würde die Profitrate 100% ausmachen, weil der Kapitalist ebenfalls 3 slu erhielte. Würde der Arbeiter nur 2 sh. erhalten oder nur 1/3 des ganzen Tags für sich arbeiten, so erhielte der Kapitalist 4sh., und die Profitrate wäre 200%. Würde der Arbeiter 4 sh. erhalten, so erhielte der Kapitalist nur 2, und die Profitrate würde auf 50% sinken, aber alle diese Veränderungen werden nicht den Wert der Ware berühren. Eine allgemeine Lohnsteigerung würde daher auf eine Senkung der allgemeinen Profitrate hinauslaufen, ohne jedoch die Werte zu beeinflussen. Aber obgleich die Werte der Waren, die in letzter Instanz ihre Marktpreise regulieren müssen, ausschließlich bestimmt sind durch die Gesamtquanta der in ihnen dargestellten Arbeit und nicht durch die Teilung dieses Quantums in bezahlte und unbezahlte Arbeit, so folgt daraus keineswegs, daß die Werte der einzelnen Waren oder Warenmengen, die z.B. in 12 Stunden produziert worden sind, konstant bleiben. Die in gegebner Arbeitszeit oder mit gegebnem Arbeitsquantum erzeugte Zahl oder Masse von Waren hängt ab von der Produktivkraft der angewandten Arbeit und nicht von ihrer Dauer oder Länge. Mit dem einen Grad der Produktivkraft der Spinnarbeit z.B. mag ein Arbeitstag von 12 Stunden 12 Pfund Garn produzieren, mit einem geringeren Grad nur 2 Pfund. Wenn nun zwölfstündige Durchschnittsarbeit sich in dem einen Fall in einem Wert von 6 sh. vergegenständlichte, so würden die 12 Pfund Garn 6 sh. kosten, in dem andern Fall die 2 Pfund Garn ebenfalls 6 sh. Ein Pfund Garn würde daher in dem einen Fall 6 d., in dem andern 3 sh. kosten. Diese Differenz des Preises würde resultieren aus der Differenz in den Produktivkräften der angewandten Arbeit. Mit der größeren Produktivkraft würde in 1 Pfund Garn 1 Arbeitsstunde vergegenständlicht, mit der geringeren dagegen
6 Arbeitsstunden. Der Preis von 1 Pfund Garn betrüge in dem einen Fall nur 6 d., obgleich der Arbeitslohn relativ hoch und die Profitrate niedrig wäre; er betrüge in dem andern Fall 3 sh., obgleich der Arbeitslohn niedrig und die Profitrate hoch wäre. Das wäre der Fall, weil der Preis des Pfundes Garn reguliert wird durch das Gesamtquantum der in ihm aufgearbeiteten Arbeit und nicht durch die proportioneile Teilung dieses Gesamtquantums in bezahlte und unbezahlte Arbeit. Die von mir vorhin erwähnte Tatsache, daß hochbezahlte Arbeit wohlfeile und niedrig bezahlte Arbeit teure Waren produzieren kann, verliert daher ihren paradoxen Schein. Sie ist nur der Ausdruck des allgemeinen Gesetzes, daß der Wert einer Ware reguliert wird durch das in ihr aufgearbeitete Arbeitsquantum, daß aber das in ihr aufgearbeitete Arbeitsquantum ganz abhängt von der Produktivkraft der angewandten Arbeit und daher mit jedem Wechsel in der Produktivität der Arbeit wechseln wird.
13. Die hauptsächlichsten Versuche, den Arbeitslohn zu heben oder seinem Sinken entgegenzuwirken
Laßt uns nun nacheinander die Hauptfälle betrachten, worin eine Steigerung des Arbeitslohns versucht oder seiner Herabsetzung entgegengewirkt wird. 1. Wir haben gesehn, daß der Wert der Arbeitskraft, oder in landläufigerer Redeweise: der Wert der Arbeit, bestimmt ist durch den Wert der Lebensmittel oder das zu ihrer Produktion erheischte Arbeitsquantum. Wenn nun in einem gegebnen Land der Durchschnittswert der täglichen Lebensmittel eines Arbeiters 6 Arbeitsstunden repräsentierte, die sich in 3 sh. ausdrückten, so würde der Arbeiter 6 Stunden täglich zu arbeiten haben, um ein Äquivalent für seinen täglichen Lebensunterhalt zu produzieren. Wäre der ganze Arbeitstag 12 Stunden, so würde der Kapitalist ihm den Wert seiner Arbeit bezahlen, indem er ihm 3 sh. zahlte. Der halbe Arbeitstag bestünde aus unbezahlter Arbeit und die Profitrate beliefe sich auf 100%. Unterstellt jedoch nun, daß infolge einer Verminderung der Produktivität mehr Arbeit erforderlich würde, um sage dieselbe Menge landwirtschaftlicher Produkte zu produzieren, so daß der Durchschnittspreis der täglichen Lebensmittel von 3 auf 4 sh. stiege. In diesem Fall würde der Wert der Arbeit um oder 331/3% steigen. Acht Stunden des Arbeitstags wären erheischt, um ein Äquivalent für den täglichen Lebensunterhalt des Arbeiters entsprechend seinem alten Lebensstandard zu produzieren. Die Mehrarbeit würde daher
von 6 auf 4 Stunden und die Profitrate von 100 auf 50% sinken. Bestünde aber der Arbeiter auf einer Steigerung des Arbeitslohns, so würde er bloß darauf bestehn, den gestiegnen Wert seiner Arbeit zu erhalten, genau wie jeder andre Verkäufer einer Ware, der, sobald die Kosten seiner Ware gestiegen, den Versuch macht, ihren gestiegnen Wert bezahlt zu bekommen. Stiege der Arbeitslohn gar nicht oder nicht genügend, um die erhöhten Werte der Lebensmittel zu kompensieren, so würde der Preis der Arbeit unter den Wert der Arbeit sinken und der Lebensstandard des Arbeiters würde sich verschlechtern. Aber es könnte ein Wechsel auch in umgekehrter Richtung eintreten. Infolge der vermehrten Produktivität der Arbeit könnte dieselbe Durchschnittsmenge der täglichen Lebensmittel von 3 auf 2 sh. sinken, oder es waren bloß 4 statt 6 Stunden des Arbeitstags erforderlich zur Reproduktion eines Äquivalents für den Wert der täglichen Lebensmittel. Der Arbeiter würde nun befähigt, mit 2 sh. ebensoviel Lebensmittel zu kaufen, wie früher mit 3 sh. In der Tat wäre der Wert der Arbeit gesunken, aber dieser verminderte Wert würde dieselbe Lebensmittelmenge kommandieren wie früher. Dann würde der Profit von 3 auf 4sh. steigen und die Profitrate von 100 auf 200%. Obgleich der absolute Lebensstandard des Arbeiters derselbe geblieben wäre, wäre sein relativer Arbeitslohn und damit seine relative gesellschaftliche Stellung, verglichen mit der des Kapitalisten, niedriger geworden. Sollte der Arbeiter dieser Herabsetzung des relativen Arbeitslohns widerstreben, so wäre das bloß ein Versuch, sich einen gewissen Anteil an der Vermehrung der Produktivkraft seiner eignen Arbeit zu sichern und seine frühere relative Stellung auf der gesellschaftlichen Stufenleiter zu behaupten. So reduzierten die englischen Fabriklords nach Abschaffung der Korngesetze, und unter offensichtlicher Verletzung der während der Anli-Korngesetz-Agitation feierlichst gegebnen Versprechungen, den Arbeitslohn allgemein um 10%. Der Widerstand der Arbeiter ward anfangs überwunden, aber infolge von Umständen, auf die ich jetzt nicht eingehn kann, wurden die verlornen 10% nachträglich wiedererlangt. 2. Der Wert der Lebensmittel, und darum der Wert der Arbeit, könnte derselbe bleiben, aber sein Geldpreis könnte infolge eines vorhergehenden Wechsels im Wert des Geldes eine Änderung erfahren. Nach Entdeckung ergiebigerer Minen usw. brauchte z.B. die Produktion von zwei Unzen Gold nicht mehr Arbeit zu kosten als früher die von einer Unze. Der Wert des Goldes hätte sich dann um die Hälfte oder 50% vermindert. Da nun die Werte aller andern Waren, in ihren frühern Geldpreisen ausgedrückt, verdoppelt wären, so auch der Wert der Arbeit. Zwölf
Arbeitsstunden, früher in 6 sh. ausgedrückt, würden sich nun in 12 sh. ausdrücken. Bliebe der Lohn des Arbeiters, statt auf 6 sh. zu steigen, 3 sh., so wäre der Geldpreis seiner Arbeit bloß gleich dem halben Wert seiner Arbeit, und sein Lebensstandard würde sich furchtbar verschlechtern. Dies fände in größerem oder geringerem Grad auch dann statt, wenn sein Arbeitslohn zwar stiege, aber nicht im Verhältnis zum Sinken des Goldwerts. In diesem Fall hätte sich nichts geändert, weder die Produktivkraft der Arbeit noch Angebot und Nachfrage, noch die Werte. Es hätte sich nichts geändert außer den Geldnamen jener Werte. Wird gesagt, daß der Arbeiter in diesem Fall nicht auf einer proportionellen Lohnsteigerung bestehen solle, so heißt das, er solle sich damit zufriedengeben, mit Namen statt mit Sachen bezahlt zu werden. Alle bisherige Geschichte beweist, daß, wann immer eine solche Entwertung des Geldes vor sich geht, die Kapitalisten sich diese Gelegenheit, den Arbeiter übers Ohr zu hauen, nicht entgehen lassen. Eine sehr zahlreiche Schule politischer Ökonomen versichert, daß infolge der Entdeckung neuer Goldfelder, der besseren Ausbeute der Silberminen und der wohlfeileren Quecksilberzufuhr der Wert der edlen Metalle wieder gesunken sei. Dies würde erklären, warum auf dem Kontinent allgemein und gleichzeitig Versuche unternommen werden, eine Steigerung der Löhne durchzusetzen. 3. Wir haben bis jetzt die Grenzen des Arbeitstags als gegeben unterstellt. An sich hat aber der Arbeitstag keine konstanten Grenzen. Die Tendenz des Kapitals geht ständig dahin, ihn bis auf die äußerste physisch mögliche Länge auszudehnen, weil in gleichem Maße die Mehrarbeit und folglich der daraus resultierende Profit vermehrt wird. Je erfolgreicher das Kapital in der Verlängerung des Arbeitstags ist, desto größer ist die Menge fremder Arbeit, die es sich aneignen wird. Während des 17. und selbst in den ersten beiden Dritteln des 18. Jahrhunderts war ein zehnstündiger Arbeitstag Normalarbeitstag in ganz England. Während des Antijakobinerkriegs[1061, der in Wirklichkeit ein von den britischen Baronen geführter Krieg gegen die britischen Arbeitermeissen war, feierte das Kapital seine Orgien und verlängerte den Arbeitstag von 10 auf 12, 14, 18 Stunden. Malthus, den ihr keineswegs weinerlicher Sentimentalität verdächtigen werdet, veröffentlichte um 1815 ein Pamphlet, worin er erklärte, daß, wenn dieser Zustand fortdaure, das Leben der Nation unmittelbar an seiner Wurzel angegriffen würde. Einige Jahre vor der allgemeinen Einführung der neuerfundenen Maschinerie, um 1765, erschien in England ein Pamphlet unter dem Titel: „An Essay on Trade"iim]. Der anonyme Verfasser, ein geschworner Feind der arbeitenden Klassen, deklamiert über die Not
wendigkeit, die Grenzen des Arbeitstags auszudehnen. Unter andern Mitteln zu diesem Zweck schlägt er Arbeitshäuser vor, die, wie er sagt, „Häuser des Schreckens" sein müßten. Und was ist die Dauer des Arbeitstags, die er für diese „Häuser des Schreckens" vorschreibt? Ziüölf Stunden, genau dieselbe Zeit, die 1832 von Kapitalisten, politischen Ökonomen und Ministern nicht nur als existierende, sondern als notwendige Arbeitszeit eines Kindes „r^v 10 T-l l.lK-t J- T108] uuici it* jaiucu ciMaiL WUIUC.~ Indem der Arbeiter seine Arbeitskraft verkauft, und unter dem gegenwärtigen System muß er das tun, überläßt er dem Kapitalisten die Konsumtion dieser Kraft, aber innerhalb gewisser rationeller Grenzen. Er verkauft seine Arbeitskraft, um sie, abgesehn von ihrem, natürlichen Verschleiß, zu erhalten, nicht aber um sie zu zerstören. Indem er seine Arbeitskraft zu ihrem Tages- oder Wochenwert verkauft, gilt es als selbstverständlich, daß diese Arbeitskraft in einem Tag oder einer Woche nicht einem zweitägigen oder zweiwöchigen Verschleiß ausgesetzt werde. Nehmt eine Maschine, die 1000 Pfd. St. wert ist. Wird sie in 10 Jahren verbraucht, so setzt sie dem Wert der Waren, an deren Produktion sie mitwirkt, jährlich 100 Pfd. St. zu. Würde sie in 5 Jahren verbraucht, so setzte sie jährlich 200 Pfd. St. zu, oder der Wert ihres Jahresverschleißes steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Zeitdauer, worin sie konsumiert wird. Aber dies unterscheidet den Arbeiter von der Maschine. Die Maschinerie wird nicht ganz im selben Verhältnis, wie sie genutzt wird, altes Eisen. Der Mensch dagegen wird in stärkerem Verhältnis zerrüttet, als aus der bloß numerischen Zusammenrechnung der geleisteten Arbeit ersichtlich sein würde. Bei ihren Versuchen, den Arbeitstag auf seine frühern rationellen Ausmaße zurückzuführen oder, wo sie die gesetzliche Festsetzung eines Normalarbeitstags nicht erzwingen können, die Überarbeit durch Steigerung des Lohns zu zügeln, eine Steigerung nicht nur in Proportion zu der verlangten Überzeit, sondern in größerer Proportion, erfüllen die Arbeiter bloß eine Pflicht gegen sieh selbst und ihren Nachwuchs. Sie weisen bloß das Kapital mit seinen tyrannischen Übergriffen in seine Schranken zurück. Zeit ist der Raum zu menschlicher Entwicklung. Ein Mensch, der nicht über freie Zeit verfügt, dessen ganze Lebenszeit - abgesehn von rein physischen Unterbrechungen durch Schlaf, Mahlzeiten usw. — von seiner Arbeit für den Kapitalisten verschlungen wird, ist weniger als ein Lasttier. Er ist eine bloße Maschine zur Produktion von fremdem Reichtum, körperlich gebrochen und geistig verroht. Dennoch zeigt die ganze Geschichte der modernen Industrie, daß das Kapital, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird,
ohne Gnade und Barmherzigkeit darauf aus ist, die ganze Arbeiterklasse in diesen Zustand äußerster Degradation zu stürzen. Bei Verlängerung des Arbeitstags mag der Kapitalist höhern Arbeitslohn zahlen und dennoch den Wert der Arbeit senken, falls die Lohnsteigerung nicht der herausgepreßten größeren Arbeitsmenge und so herbeigeführten rascheren Zerrüttung der Arbeitskraft entspricht. Dies kann auch in andrer Weise geschehn. Eure Bourgeoisstatistiker werden euch z.B. erklären, daß der Durchschnittslohn der Fabrikarbeiterfamilien in Lancashire gestiegen sei. Sie vergessen, daß statt der Arbeit des Mannes, des Haupts der Familie, jetzt sein Weib und vielleicht drei oder vier Kinder unter die Juggernauträder[109J des Kapitals geschleudert sind und daß die Steigerung ihres Gesamtarbeitslohns der Gesamtmehrarbeit, die aus der Familie herausgepreßt worden, durchaus nicht entspricht. Selbst bei gegebnen Grenzen des Arbeitstags, wie sie jetzt in allen den Fabrikgesetzen unterworfnen Industriezweigen existieren, kann eine Lohnsteigerung notwendig werden, schon um den alten Normaluhr/ der Arbeit aufrechtzuerhalten. Durch Erhöhung der Intensität der Arbeit mag ein Mann dazu gebracht werden, in einer Stunde soviel Lebenskraft zu verausgaben wie früher in zwei. Dies ist in den Geschäftszweigen, die der Fabrikgesetzgebung unterworfen wurden, bis zu gewissem Grade geschehn durch beschleunigten Lauf der Maschinerie und Vermehrung der Zahl der Arbeitsmaschinen, die ein einzelner nun zu überwachen hat. Wenn die Zunahme der Arbeitsintensität oder der in einer Stunde verausgabten Arbeitsmasse der Verkürzung des Arbeitstags einigermaßen angemessen ist, so wird der Arbeiter noch im Vorteil sein. Wird diese Grenze überschritten, so verliert er in der einen Form, was er in der andern gewonnen, und 10 Arbeitsstunden können dann ebenso ruinierend werden wie früher 12 Stunden. Tritt der Arbeiter dieser Tendenz des Kapitals entgegen, indem er für eine der steigenden Arbeitsintensität entsprechende Lohnsteigerung kämpft, so widersetzt er sich nur der Entwertung seiner Arbeit und der Schwächung seines Nachwuchses. 4. Ihr alle wißt, daß die kapitalistische Produktion aus Gründen, die ich jetzt nicht auseinanderzusetzen brauche, sich in bestimmten periodischen Zyklen bewegt. Sie macht nacheinander den Zustand der Stille, wachsenden Belebung, Prosperität, Überproduktion, Krise und Stagnation durch. Die Marktpreise der Waren und die Marktraten des Profits folgen diesen Phasen, bald unter ihren Durchschnitt sinkend, bald sich darüber erhebend. Wenn ihr den ganzen Zyklus betrachtet, werdet ihr finden, daß die eine Abweichung des Marktpreises durch die andre aufgehoben wird
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und daß, den Durchschnitt des Zyklus genommen, die Marktpreise der Waren durch ihre Werte reguliert werden. Schön! Während der Phase sinkender Marktpreise, ebenso wie während der Phasen der Krise und der Stagnation, ist der Arbeiter, falls er nicht überhaupt aufs Pflaster geworfen wird, einer Herabsetzung des Arbeitslohns gewärtig. Um nicht der Geprellte zu sein, muß er, selbst während eines solchen Sinkens der Markt-'x J J .-^i l «. : __i_i 11 picise, HUI ucin napuaiiSLeu uai uuci umiKLeu, in weicnern proportioneuen Ausmaß eine Lohnsenkung notwendig geworden sei. Wenn er nicht bereits während der Prosperitätsphase, solange Extraprofite gemacht werden, für eine Lohnsteigerung kämpfte, so käme er im Durchschnitt eines industriellen Zyklus nicht einmal zu seinem Durchschnittslohn oder dem Wert seiner Arbeit. Es ist der Gipfel des Widersinns, zu verlangen, er solle, während sein Arbeitslohn notwendigerweise durch die ungünstigen Phasen des Zyklus beeinträchtigt wird, darauf verzichten, sich während der Prosperitätsphase schadlos zu halten. Allgemein ausgedrückt: Die Werte aller Waren werden nur realisiert durch Ausgleichung der ständig wechselnden Marktpreise, die aus den ständigen Fluktuationen von Nachfrage und Zufuhr entspringen. Auf Basis des gegenwärtigen Systems ist die Arbeit bloß eine Ware wie die andern. Sie muß daher dieselben Fluktuationen durchmachen, um einen ihrem Wert entsprechenden Durchschnittspreis zu erzielen. Es wäre absurd, sie einerseits als Ware zu behandeln und andrerseits zu verlangen, sie solle von den die Warenpreise regelnden Gesetzen ausgenommen werden. Der Sklave erhält eine ständige und fixe Menge zum Lebensunterhalt; der Lohnarbeiter erhält sie nicht. Er muß versuchen, sich in dem einen Fall eine Lohnsteigerung zu sichern, schon um in dem andern wenigstens für die Lohnsenkung entschädigt zu sein. Wollte er sich damit bescheiden, den Willen, die Machtsprüche des Kapitalisten als ein dauerndes ökonomisches Gesetz über sich ergehn zu lassen, so würde ihm alles Elend des Sklaven ohne die gesicherte Existenz des Sklaven zuteil. ^ Tn alLan Rollen /lin ATrtüi" Rötra^ktunr» iir»fAf"7rtrtör» koka — J • uilvii JL unvii) vixv iv.il uin^i j^vLitt^.iituiig iiauv/ uiiu iic machen 99 vom Hundert aus -, habt ihr gesehn, daß ein Ringen um Lohnsteigerung nur als Nachspiel vorhergehender Veränderungen vor sich geht und das notwendige Ergebnis ist von vorhergehenden Veränderungen im Umfang der Produktion, der Produktivkraft der Arbeit, des Werts der Arbeit, des Werts des Geldes, der Dauer oder der Intensität der ausgepreßten Arbeit, der Fluktuationen der Marktpreise, abhängend von den Fluktuationen von Nachfrage und Zufuhr und übereinstimmend mit den verschiednen Phasen des industriellen Zyklus - kurz, als Abwehraktion der
Arbeit gegen die vorhergehende Aktion des Kapitals. Indem ihr das Ringen um eine Lohnsteigerung unabhängig von allen diesen Umständen nehmt, indem ihr nur auf die Lohnänderungen achtet und alle andern Veränderungen, aus denen sie hervorgehn, außer acht laßt, geht ihr von einer falschen Voraussetzung aus, urn zu falschen Schlußfolgerungen zu kommen.
14. Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit und seine Resultate
1. Nachdem wir gezeigt, daß der periodische Widerstand der Arbeiter gegen eine Lohnherabsetzung und ihre periodisch sich wiederholenden Versuche, eine Lohnsteigerung durchzusetzen, untrennbar sind vom Lohnsystem und eine gebieterische Folge eben der Tatsache sind, daß die Arbeit in die Kategorie der Waren versetzt und daher den Gesetzen unterworfen ist, die die allgemeine Bewegung der Preise regulieren; nachdem wir ferner gezeigt, daß eine allgemeine Lohnsteigerung ein Fallen der allgemeinen Profitrate zur Folge haben, nicht aber die Durchschnittspreise der Waren oder ihre Werte beeinflussen würde, erhebt sich nun schließlich die Frage, inwiefern in diesem unaufhörlichen Ringen zwischen Kapital und Arbeit letztere Aussicht auf Erfolg hat. Ich könnte mit einer Verallgemeinerung antworten und sagen, daß wie bei allen andern Waren so auch bei der Arbeit ihr Marktpreis sich auf die Dauer ihrem Wert anpassen wird; daß daher der Arbeiter, was er auch tun möge, trotz aller Auf- und Abbewegungen, im Durchschnitt nur den Wert seiner Arbeit erhielte, der sich in den Wert seiner Arbeitskraft auflöst, bestimmt durch den Wert der zu ihrer Erhaltung und Reproduktion erheischten Lebensmittel, deren Wert in letzter Instanz reguliert wird durch das zu ihrer Produktion erforderliche Arbeitsquantum. Allein es gibt gewisse eigentümliche Merkmale, die den Wert der Arbeitskraft oder den Wert der Arbeit vor dem Wert aller andern Waren auszeichnen. Der Wert der Arbeitskraft wird aus zwei Elementen gebildet einem rein physischen und einem historischen oder gesellschaftlichen. Seine äußerste Grenze ist durch das physische Element bestimmt, d.h. um sich zu erhalten und zu reproduzieren, um ihre physische Existenz auf die Dauer sicherzustellen, muß die Arbeiterklasse die zum Leben und zur Fortpflanzung absolut unentbehrlichen Lebensmittel erhalten. Der Wert dieser unentbehrlichen Lebensmittel bildet daher die äußerste Grenze des Werts der Arbeit. Andrerseits ist die Länge des Arbeitstags ebenfalls durch
äußerste, obgleich sehr elastische Schranken begrenzt. Ihre äußerste Grenze ist gegeben mit der Körperkraft des Arbeiters. Wenn die tägliche Erschöpfung seiner Lebenskraft einen bestimmten Grad überschreitet, kann sie nicht immer wieder aufs neue, tagaus, tagein, angespannt werden. Indes ist, wie gesagt, diese Grenze sehr elastisch. Eine rasche Folge schwächlicher und kurzlebiger Generationen wird den Arbeitsmarkt ebensogut mit Zufuhr versorgen wie eine Keihe robuster und langlebiger Generationen. Außer durch dies rein physische Element ist der Wert der Arbeit in jedem Land bestimmt durch einen traditionellen Lebensstandard. Er betrifft nicht das rein physische Leben, sondern die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse, entspringend aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in die die Menschen gestellt sind und unter denen sie aufwachsen. Der englische Lebensstandard kann auf den irischen Standard herabgedrückt werden; der Lebensstandard eines deutschen Bauern auf den eines livländischen. Welche bedeutende Rolle in dieser Beziehung historische Tradition und gesellschaftliche Gewohnheit spielen, könnt ihr aus Herrn Thorntons Werk von der „Overpopulation" ersehn, wo er nachweist, daß der Durchschnittslohn in verschiednen Ackerbaudistrikten Englands noch heutigentags mehr oder weniger bedeutende Unterschiede aufweist je nach den mehr oder minder günstigen Umständen, unter denen die Distrikte aus dem Zustand der Hörigkeit herausgekommen sind. Dies historische oder gesellschaftliche Element, das in den Wert der Arbeit eingeht, kann gestärkt oder geschwächt, ja ganz ausgelöscht werden, so daß nichts übrigbleibt als die physische Grenze. Während der Zeit des Antijakobinerkriegs- unternommen, wie der alte George Rose, dieser unverbesserliche Nutznießer der Steuern und Sinekuren, zu sagen pflegte, um die Tröstungen unsrer heiligen Religion vor den Ubergriffen der französischen Ungläubigen zu schützen - drückten die ehrenwerten englischen Pächter, die in einer unsrer frühern Zusammenkünfte so zart angefaßt worden sind, die Löhne der Landarbeiter selbst unter jenes rein physische Minimum, ließen aber den für die physische Fortdauer des Geschlechts notwendigen Rest vermittels der Armengesetze1110J aufbringen. Dies war eine glorreiche Manier, den Lohnarbeiter in einen Sklaven und Shakespeares stolzen Freisassen in einen Pauper zu verwandeln. Vergleicht ihr die Standardlöhne oder Werte der Arbeit in verschiednen Ländern und vergleicht ihr sie in verschiednen Geschichtsepochen desselben Landes, so werdet ihr finden, daß der Wert der Arbeit selber keine fixe, sondern eine variable Größe ist, selbst die Werte aller andern Waren als gleichbleibend unterstellt.
Ein ähnlicher Vergleich würde zeigen, daß nicht bloß die Marktraten des Profits, sondern auch seine Durchschnittsraten sich ändern. Was aber die Profite angeht, so gibt es kein Gesetz, das ihr Minimum bestimmte. Wir können nicht sagen, was die äußerste Grenze ihrer Abnahme sei. Und warum können wir diese Grenze nicht feststellen? Weil wir, obgleich wir das Minimum der Arbeitslöhne feststellen können, nicht ihr Maximum feststellen können. Wir können nur sagen, daß mit gegebnen Grenzen des Arbeitstags das Maximum des Profits dem physischen Minimum des Arbeitslohns entspricht; und daß mit gegebnem Arbeitslohn das Maximum des Profits einer solchen Verlängerung des Arbeitstags entspricht, wie sie mit den Körperkräften des Arbeiters verträglich ist. Das Maximum des Profits ist daher begrenzt durch das physische Minimum des Arbeitslohns und das physische Maximum des Arbeitstags. Es ist klar, daß zwischen den beiden Grenzen dieser Maximalprofitrate eine unendliche Stufenleiter von Variationen möglich ist. Die Fixierung ihres faktischen Grads erfolgt nur durch das unaufhörliche Ringen zwischen Kapital und Arbeit, indem der Kapitalist ständig danach strebt, den Arbeitslohn auf sein physisches Minimum zu reduzieren und den Arbeitstag bis zu seinem physischen Maximum auszudehnen, während der Arbeiter ständig in der entgegengesetzten Richtung drückt. Die Frage löst sich auf in die Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden. 2. Was die Beschränkung des Arbeitstags angeht, in England wie in allen andern Ländern, so ist sie nie anders als durch legislative Einmischung erfolgt. Ohne den ständigen Druck der Arbeiter von außen hätte diese Einmischung nie stattgefunden. Jedenfalls aber war das Resultat nicht durch private Vereinbarung zwischen Arbeitern und Kapitalisten zu erreichen. Eben diese Notwendigkeit allgemeiner politischer Aktion liefert den Beweis, daß in seiner rein ökonomischen Aktion das Kapital der stärkere Teil ist. Was die Grenzen des Werts der Arbeit angeht, so hängt seine faktische Festsetzung immer von Angebot und Nachfrage ab, ich meine die Nachfrage nach Arbeit von Seiten des Kapitals und das Angebot von Arbeit durch die Arbeiter. In Kolonialländern begünstigt das Gesetz von Angebot und Nachfrage den Arbeiter. Daher der relativ hohe Lohnstandard in den Vereinigten Staaten. Das Kapital kann dort sein Äußerstes versuchen. Es kann nicht verhindern, daß der Arbeitsmarkt ständig entvölkert wird durch die ständige Verwandlung von Lohnarbeitern in unabhängige, selbstwirtschaftende Bauern. Die Tätigkeit eines Lohnarbeiters ist für einen sehr großen Teil des amerikanischen Volks nur eine Probezeit, die sie sicher sind,
über kurz oder lang durchlaufen zu haben.[111] Um diesem Stand der Dinge in den Kolonien abzuhelfen, machte sich die väterliche britische Regierung eine Zeitlang das zu eigen, was die moderne Kolonisationstheorie genannt wird, die darin besteht, den Preis des Kolonialbodens künstlich hochzuschrauben, um die allzu rasche Verwandlung des Lohnarbeiters in den unabhängigen Bauern zu verhindern. Aber wenden wir uns nun den alten zivilisierten Ländern zu, in denen das Kapital den ganzen Produktionsprozeß beherrscht. Nehmt z.B. das Steigen der Landarbeiterlöhne in England von 1849 bis 1859. Was war seine Folge? Weder konnten die Pächter, wie unser Freund Weston ihnen geraten haben würde, den Wert des Weizens noch auch nur seine Marktpreise erhöhn. Sie hatten sich vielmehr mit ihrem Fallen abzufinden. Aber während dieser 11 Jahre führten sie allerlei Maschinerie ein, wandten wissenschaftlichere Methoden an, verwandelten einen Teil des Ackerlandes in Viehweide, erweiterten den Umfang der Pachtungen und damit die Stufenleiter der Produktion, und da sie durch diese und andre Prozeduren die Nachfrage nach Arbeit verringerten, indem sie deren Produktivkraft steigerten, machten sie die ländliche Bevölkerung wieder relativ überflüssig. Das ist in altbesiedelten Ländern allgemein die Methode, wie eine raschere oder langsamere Reaktion des Kapitals auf eine Lohnsteigerung vor sich geht. Ricardo hat richtig bemerkt, daß die Maschinerie ständig mit der Arbeit konkurriert und oft nur eingeführt werden kann, wenn der Preis der Arbeit eine bestimmte Höhe erreicht hat, doch ist die Anwendung von Maschinerie bloß eine der vielen Methoden, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern. Genau dieselbe Entwicklung, die die ungelernte Arbeit relativ überflüssig macht, vereinfacht andrerseits die gelernte Arbeit und entwertet sie. Das gleiche Gesetz findet sich noch in andrer Form. Mit der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wird die Akkumulation des Kapitals beschleunigt, selbst trotz einer relativ hohen Lohnrate. Hieraus könnte man schließen, wie A. Smith, zu dessen Zeit die moderne Industrie noch in den Kinderschuhen steckte, wirklich schloß, daß diese beschleunigte Akkumulation des Kapitals die Waagschale zugunsten des Arbeiters neigen müßte, indem sie ihm eine wachsende Nachfrage nach seiner Arbeit sichert. Von demselben Standpunkt haben viele jetzt lebende Schriftsteller sich darüber gewundert, daß, da das englische Kapital in den letzten zwanzig Jahren soviel rascher als die englische Bevölkerung gewachsen ist, der Arbeitslohn nicht bedeutender gestiegen sei. Allein gleichzeitig mit dem Fortschritt der Akkumulation findet eine fortschreitende Veränderung in der Zusammen
Setzung des Kapitals statt. Der Teil des Gesamtkapitals, der aus fixem Kapital - Maschinerie, Rohstoffen, Produktionsmitteln in allen erdenklichen Formen - besteht, nimmt stärker zu, verglichen mit dem andern Teil des Kapitals, der in Arbeitslohn oder im Ankauf von Arbeit ausgelegt wird. Dies Gesetz ist mehr oder weniger präzis festgestellt worden von Barton, Ricardo, Sismondi, Professor Richard Jones, Professor Ramsay, Cherbuliez u.a. Wenn das Verhältnis dieser beiden Elemente des Kapitals ursprünglich 1:1 war, so wird es im Fortschritt der Industrie 5:1 usw. werden. Wenn von einem Gesamtkapital von 600 in Instrumenten, Rohstoffen usw. 300 und 300 in Arbeitslohn ausgelegt ist, so braucht das Gesamtkapital nur verdoppelt zu werden, um eine Nachfrage nach 600 Arbeitern statt nach 300 zu schaffen. Bei einem Kapital von 600, von dem 500 in Maschinerie, Materialien usw. und nur 100 in Arbeitslohn ausgelegt sind, muß dasselbe Kapital von 600 auf 3600 anwachsen, um eine Nachfrage nach 600 Arbeitern wie im vorigen Fall zu schaffen. Im Fortschritt der Industrie hält daher die Nachfrage nach Arbeit nicht Schritt mit der Akkumulation des Kapitals. Sie wird zwar noch wachsen, aber in ständig abnehmender Proportion, verglichen mit der Vergrößerung des Kapitals. Diese wenigen Andeutungen werden genügen, um zu zeigen, daß die ganze Entwicklung der modernen Industrie die Waagschale immer mehr zugunsten des Kapitalisten und gegen den Arbeiter neigen muß und daß es folglich die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion ist, den durchschnittlichen Lohnstandard nicht zu heben, sondern zu senken oder den Wert der Arbeit mehr oder weniger bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken. Da nun die Tendenz der Dinge in diesem System solcher Natur ist, besagt das etwa, daß die Arbeiterklasse auf ihren Widerstand gegen die Gewalttaten des Kapitals verzichten und ihre Versuche aufgeben soll, die gelegentlichen Chancen zur vorübergehenden Besserung ihrer Lage auf die bestmögliche Weise auszunutzen? Täte sie das, sie würde degradiert werden zu einer unterschiedslosen Masse ruinierter armer Teufel, denen keine Erlösung mehr hilft. Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, daß in 99 Fällen von 100 ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des gegebnen Werts der Arbeit sind und daß die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen. Würden sie in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweiger
lieh der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen. Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: „Ein gerechter Tagelolm für ein gerechtes Tagewerk!", sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: „Nieder mit dem Lohnsystem!"' Nach dieser sehr langen und, wie ich fürchte, ermüdenden Auseinandersetzung, auf die ich mich einlassen mußte, um dem zur Debatte stehenden Gegenstand einigermaßen gerecht zu werden, möchte ich mit dem Vorschlag schließen, folgende Beschlüsse anzunehmen: 1. Eine allgemeine Steigerung der Lohnrate würde auf ein Fallen der allgemeinen Profitrate hinauslaufen, ohne jedoch, allgemein gesprochen, die Warenpreise zu beeinflussen. 2. Die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion geht dahin, den durchschnittlichen Lohnstandard nicht zu heben, sondern zu senken. 3. Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.
THE COMMONWEALTH: HQIRVRtD ro« TttAflSIUUlolt * B£OTlL SATPRDAV, MARCH 81. I»M.
Friedrich Engels
Was hat die Arbeiterklasse mit Polen zu tun ?fl1,21
I
[„The Commonwealth" Nr. 159 vom 24. März 1866] An den Redakteur der „Commonwealth"
Sir, wo immer die Arbeiterklasse in politischen Bewegungen selbständig aufgetreten ist, läßt sich ihre Außenpolitik von Anfang an in den wenigen Worten ausdrücken: Wiederherstellung Polens. Das galt für die Chartistenbewegung, so lange sie existierte; das galt für die französischen Arbeiter schon lange vor 1848 wie auch im denkwürdigen Jahr 1848, als sie am 15.Mai zur Nationalversammlung zogen mit dem Ruf: „Vive laPologne!"Es lebe Polen![113] Das galt für Deutschland, als 1848 und 1849 die Organe der Arbeiterklasse Krieg mit Rußland forderten zur Wiederherstellung Polens.Das gilt auch für heute; bis auf eine Ausnahme - über die wir noch sprechen werden - proklamieren die Arbeiter Europas einstimmig die Wiederherstellung Polens als einen wesentlichen Bestandteil ihres politischen Programms, als umfassendsten Ausdruck ihrer Außenpolitik. Auch die Bourgeoisie hat „Sympathien" für Polen gehabt und hat sie noch; diese Sympathien haben sie jedoch nicht gehindert, die Polen 1831,1846 und 1863 im Stich zu lassen, ja, haben sie nicht einmal gehindert, während sie mit Worten für Polen eintraten, den ärgsten Feind Polens, Leuten wie Lord Palmerston, die faktisch Rußland unterstützten, freie Hand zu lassen. Anders die Arbeiterklasse. Sie will Einmischung und keine Nichteinmischung; sie will Krieg mit Rußland, solange Rußland Polen nicht in Ruhe läßt; und sie hat das bewiesen, sooft die Polen sich gegen ihre Unterdrücker erhoben. Erst kürzlich hat die Internationale Arbeiterassoziation diesem allumfassenden instinktiven Gefühl der Klasse, als deren Repräsentant sie auftritt, noch stärkeren Ausdruck verliehen, indem sie auf ihr
Banner schrieb: „Widerstand gegen russische Übergriffe in Europa- Wiederherstellung Polens !"[115] Dieses Programm der Außenpolitik der Arbeiter West- und Mitteleuropas hat die einmütige Zustimmung der Klasse gefunden, an die es gerichtet war, bis auf eine Ausnahme, wie wir schon sagten. Unter den Arbeitern Frankreichs gibt es eine kleine Minderheit von Anhängern der Schule des seligen P.-J. Proudhon. Diese Schule unterscheidet sich in toto von der Mehrzahl der fortgeschrittenen und denkenden Arbeiter, sie erklärt diese für unwissende Narren und vertritt in den meisten Fragen Meinungen, die den ihrigen völlig entgegengesetzt sind. Das bestätigt sich auch in ihrer Außenpolitik. Die Proudhonisten, die über das unterdrückte Polen zu Gericht sitzen, fällen dasselbe Urteil über dieses Land wie die StalybridgeJury: „Geschieht ihm recht." Sie bewundern Rußland als das große Land der Zukunft, als die fortschrittlichste Nation auf Erden, neben dem ein so armseliges Land wie die Vereinigten Staaten nicht wert ist, genannt zu werden. Sie haben den Rat der Internationalen Arbeiterassoziation beschuldigt, er wende das bonapartistische Nationalitätsprinzip an und erkläre das großmütige russische Volk für außerhalb der Grenzen des zivilisierten Europas stehend; das sei eine schwere Sünde gegen die Prinzipien der allgemeinen Demokratie und der Brüderlichkeit aller Nationen. So sehen ihre Anschuldigungen aus.[116] Wenn man von ihrer demokratischen Phraseologie absieht, wird sofort offenbar, daß sie in Wort und Schrift wiederholen, was die extremen Tories aller Länder über Polen und Rußland zu sagen haben. Derartige Anschuldigungen verdienten keine Widerlegung; da sie aber von einem Teil der Arbeiterklasse stammen, mag dieser auch noch so klein sein, halten wir es für angebracht, noch einmal die russisch-polnische Frage zu untersuchen und das zu begründen, was hinfort als die Außenpolitik der vereinigten Arbeiter Europas bezeichnet werden kann. Doch warum nennen wir, wenn von Polen die Rede ist, Rußland immer allein? Haben nicht zwei deutsche Mächte, Österreich und Preußen, an dem Raub teilgenommen? Halten sie nicht gleichfalls Teile von Polen in Knechtschaft, und trachten sie nicht im Bunde mit Rußland danach, jede nationale polnische Bewegung zu unterdrücken? Es ist nachgerade bekannt, wie sehr sich Österreich gewunden hat, um sich aus dem polnischen Geschäft herauszuhalten, und wie lange es sich den Teilungsplänen Rußlands und Preußens widersetzte. Polen war ein natürlicher Verbündeter Österreichs gegen Rußland. Als Rußland dann zu einer furchtbaren Macht wurde, konnte nichts mehr im Interesse Österreichs liegen, als Polen zwischen sich und dem aufstrebenden Kaiser
reich am Leben zu erhalten. Erst als Österreich sah, daß Polens Schicksal besiegelt war, daß die anderen beiden Mächte, mit oder ohne Österreich, entschlossen waren, es zu vernichten, erst dann schloß Österreich sich ihnen aus Gründen der Selbsterhaltung an, um bei der Aufteilung des Territoriums nicht leer auszugehen. Doch schon 1815 trat es für die Wiederherstellung eines unabhängigen Polen ein; 1831 und 1863 war es bereit, für dieses Ziel in den Krieg zu ziehen und auf seinen Anteil an Polen zu verzichten, vorausgesetzt, daß England und Frankreich sich dazu verstünden, Österreich zu unterstützen. Während des Krimkriegs war es nicht anders. Dies alles soll nicht die allgemeine Politik der österreichischen Regierung rechtfertigen. Österreich hat oft genug bewiesen, daß die Unterdrückung einer schwächeren Nation zu den Gewohnheiten seiner Herrscher zählt. Doch im Falle Polens war der Selbsterhaltungstrieb stärker als die Gier nach neuen Gebieten oder die Gewohnheiten der Regierung. Deshalb scheidet Österreich zunächst aus unseren Betrachtungen aus. Was Preußen anbelangt, so ist sein Anteil an Polen zu geringfügig, um ins Gewicht zu fallen. Sein Freund und Verbündeter Rußland hat es fertiggebracht, Preußen um neun Zehntel dessen zu erleichtern, was es bei den drei Teilungen erhalten hatte. Das wenige aber, was ihm geblieben ist, lastet auf ihm wie ein Alpdruck. Es hat Preußen vor den Triumphwagen Rußlands gespannt; es hat seine Regierung in den Stand gesetzt, selbst 1863 und 1864 unangefochten Gesetzes Verletzungen, Verstöße gegen die persönliche Freiheit, das Versammlungsrecht und die Preßfreiheit in Preußisch-Polen zu praktizieren und bald darauf auch im ganzen übrigen Lande; es hat die ganze liberale Bewegung der Bourgeoisie entstellt, die aus Furcht, ein paar Quadratmeilen Land an der Ostgrenze zu riskieren, der Regierung erlaubte, die Polen außerhalb des Gesetzes zu stellen. Vor allen anderen Arbeitern haben die Arbeiter nicht nur Preußens, sondern ganz Deutschlands ein besonderes Interesse an der Wiederherstellung Polens, und sie haben in jeder revolutionären Bewegung bewiesen, daß sie sich dessen bewußt sind. Wiederherstellung Polens heißt für sie Befreiung ihres eigenen Landes von russischer Knechtschaft. Und deshalb, meinen wir, scheidet auch Preußen aus unseren Betrachtungen aus. Wenn die Arbeiterklasse Rußlands (vorausgesetzt, daß es in diesem Lande etwas derartiges in dem Sinne gibt, was man in Westeuropa darunter versteht) ein politisches Programm aufstellen wird und dieses Programm die Befreiung Polens enthält - dann, aber erst dann, wird auch Rußland als Nation aus unseren Betrachtungen ausscheiden, und allein die zaristische Regierung wird weiter unter Anklage stehen.
II
[„The Commonwealth" Nr. 160 vom 3I.März 1866] An den Redakteur der „Commonwealth"
Sir, es wird behauptet, die Unabhängigkeit Polens zu fordern bedeute, das „Nationalitätsprinzip" anzuerkennen, und das Nationalitätsprinzip sei eine bonapartistische Erfindung, die ausgeheckt wurde, um den napoleonischen Despotismus in Frankreich zu stützen. Was ist nun dieses „Nationalitätsprinzip"? Durch die Verträge von 1815 wurden die Grenzen der verschiedenen europäischen Staaten allein nach dem Belieben der Diplomatie gezogen und hauptsächlich nach dem Belieben der damals stärksten Kontinentalmacht - Rußlands. Man trug weder den Wünschen und Interessen noch den nationalen Unterschieden der Bevölkerung Rechnung. Auf diese Weise wurde Polen geteilt, Deutschland geteilt, Italien geteilt, ganz zu schweigen von den vielen kleineren Nationalitäten, die Südosteuropa bewohnen und von denen zu jener Zeit nur wenige etwas wußten. Infolgedessen war für Polen, Deutschland und Italien der allererste Schritt jeder politischen Bewegung das Streben nach Wiederherstellung der nationalen Einheit, ohne die nationales Leben nur ein Schatten war. Und als nach der Niederschlagung der revolutionären Versuche in Italien und Spanien 1821-1823 und wiederum nach der Julirevolution von 1830 in Frankreich die radikalen Politiker des größeren Teils des zivilisierten Europa miteinander in Verbindung traten und versuchten, eine Art gemeinsames Programm auszuarbeiten, wurde die Befreiung und Einigung der unterdrückten und zerrissenen Nationen ihre gemeinsame Losung.11171 So war es auch 1848, als die Zahl der unterdrückten Nationen um eine Nation vermehrt wurde, nämlich Ungarn. Es konnte wirklich nicht zwei Meinungen geben über das Recht jeder der großen nationalen Gebilde Europas, in allen inneren Angelegenheiten, unabhängig von ihren Nachbarn, selbst zu bestimmen, solange dies nicht die Freiheit der andern beeinträchtigte. Dieses Recht war in der Tat eine der grundlegenden Bedingungen der inneren Freiheit für alle. Wie könnte z.B. Deutschland nach Freiheit und Einheit streben, wenn es zur selben Zeit Österreich beistünde, Italien entweder direkt oder durch seine Vasallen in Knechtschaft zu halten? Ist doch die völlige Zerschlagung der österreichischen Monarchie die erste Bedingung der Einigung Deutschlands!
Dieses Recht der großen nationalen Gebilde Europas auf politische Unabhängigkeit, anerkannt von der europäischen Demokratie, mußte natürlich die gleiche Anerkennung insbesondere von seiten der Arbeiterklasse finden. Das bedeutete in der Tat nichts anderes als die Anerkennung des gleichen Rechts auf eigene nationale Existenz für andere große, zweifellos lebensfähige Nationen, das die Arbeiter jedes einzelnen Landes für sich beanspruchten. Doch diese Anerkennung und die Sympathie mit den nationalen Bestrebungen beschränkten sich auf die großen und genau definierten historischen Nationen Europas; das waren Italien, Polen, Deutschland und Ungarn. Frankreich, Spanien, England, Skandinavien, die weder geteilt waren noch unter ausländischer Kontrolle standen, waren nur indirekt an der Sache interessiert; und was Rußland betrifft, so kann man seiner nur Erwähnung tun als dem Besitzer einer ungeheuren Menge gestohlenen Eigentums, das es am Tag der Abrechnung wieder herausrücken muß. Nach dem Coup d'etat von 1851 mußte Louis-Napoleon, der Kaiser „von Gottes Gnaden und durch den Willen des Volkes" einen demokratisierten und volkstümlich klingenden Namen für seine Außenpolitik finden. Was konnte besser sein, als auf sein Panier das „Nationalitätsprinzip" zu schreiben? Jede Nationalität der Schiedsrichter ihres eigenen Schicksals; jeder abgetrennte Teil einer Nationalität berechtigt, sich seinem großen Mutter lande anzuschließen - was hätte liberaler sein können? Nur beachte man - nicht von Nationen mehr war jetzt die Rede, sondern von Nationalitäten. Eis gibt kein Land in Europa, in dem es nicht verschiedene Nationalitäten unter einer Regierung gäbe. Die Hochland-Gälen und die Waliser unterscheiden sich zweifellos der Nationalität nach von den Engländern, doch niemandem fiele ein, diese Reste längst verschwundener Völker oder gar die keltischen Bewohner der Bretagne in Frankreich - als Nationen zu bezeichnen. Überdies stimmt keine Staatsgrenze mit der natürlichen Grenze der Nationalität, mit der Sprachgrenze, überein. Es gibt viele Menschen außerhalb Frankreichs, deren Muttersprache Französisch ist, ebenso wie es außerhalb Deutschlands viele Menschen deutscher Zunge gibt; und aller Wahrscheinlichkeit nach wird das auch immer so bleiben. Es ist ein natürliches Resultat der verworrenen und allmählichen historischen Entwicklung Europas während der letzten tausend Jahre, daß sich fast jede größere Nation von einigen Randteilen ihres Körpers trennen mußte, die sich vom nationalen Leben losgelöst haben und meistenteils dem nationalen Leben eines anderen Volkes anschlössen; und dies so gründlich, daß sie
kein Bedürfnis haben, sich ihrem Hauptstamm wieder anzuschließen. Die Deutschen in der Schweiz und im Elsaß verlangen nicht danach, mit Deutschland wiedervereint zu werden, und ebensowenig wünschen die Franzosen in Belgien und in der Schweiz, Frankreich politisch angegliedert zu werden. Und schließlich ist es von nicht geringem Vorteil, daß die verschiedenen Nationen, wie sie sich politisch konstituiert haben, zumeist einige fremdländische Elemente in sich aufgenommen haben, die Verbindungsglieder zu ihren Nachbarn bilden und Abwechslung in die sonst zu monotone Gleichartigkeit des nationalen Charakters bringen. Hier sehen wir nun den Unterschied zwischen dem „Nationalitätsprinzip" und dem alten Grundsatz der Demokratie und der Arbeiterklasse über das Recht der großen europäischen Nationen auf selbständige und unabhängige Existenz. Das „Nationalitätsprinzip" läßt die große Frage des Rechts auf nationale Existenz für die historischen Völker Europas völlig unberührt; und wenn es sie berührt, so nur, um sie zu verwirren. Das Nationalitätsprinzip wirft zwei Arten von Fragen auf: erstens Fragen nach den Grenzen zwischen diesen großen historischen Völkern und zweitens Fragen des Rechts der zahlreichen kleinen Überbleibsel jener Völker auf unabhängige nationale Existenz, die, nachdem sie längere oder kürzere Zeit auf dem Schauplatz der Geschichte aufgetreten sind, schließlich als Bestandteile in diese oder jene mächtigere Nation eingingen, welche vermöge ihrer größeren Lebenskraft imstande war, größere Hindernisse zu überwinden. Die europäische Bedeutung eines Volkes, seine Lebenskraft bedeuten nichts vom Standpunkt des Nationalitätsprinzips; für dieses Prinzip bedeuten die Rumänen in der Walachei, die niemals eine Geschichte hatten noch die hierzu erforderliche Energie, ebensoviel wie die Italiener mit ihrer zweitausendjährigen Geschichte und ungeschwächten nationalen Lebenskraft; die Waliser und die Bewohner der Insel Man hätten, wenn sie es wünschten, das gleiche Recht auf unabhängige politische Existenz wie die Engländer, so absurd das auch erscheinen mag.1-1181 Das Ganze ist eine Absurdität, in ein volkstümliches Gewand gekleidet, um einfältigen Leuten Sand in die Augen zu streuen, die man als bequeme Phrase benutzen oder beiseite werfen kann, wenn dies die Umstände erfordern. So einfältig diese Erfindung ist, bedurfte es doch eines klügeren Kopfes als den Louis-Napoleons, um sie zu ersinnen. Das Nationalitätsprinzip ist nicht etwa eine bonapartistische Erfindung zur Wiedergeburt Polens, sondern lediglich eine russische Erfindung, die ausgeheckt wurde, um Polen zu vernichten. Rußland hat den größeren Teil des alten Polens unter dem Vorwand des Nationalitätsprinzips verschluckt, wie wir noch sehen werden. Schon
über hundert Jahre existiert diese Idee, deren sich Rußland jetzt ständig bedient. Was anderes ist Panslawismus als die Anwendung des Nationalitätsprinzips durch Rußland in russischem Interesse auf die serbischen, kroatischen, ruthenischen[119], slowakischen, tschechischen und anderen Überreste früherer Völker in der Türkei, in Ungarn und Deutschland? Selbst im gegenwärtigen Augenblick läßt die russische Regierung Agenten unter den Lappen im nördlichen Norwegen und in Schweden umherreisen, um unter diesen nomadisierenden Wilden den Gedanken einer „großen finnischen Nationalität" zu propagieren, die im äußersten Norden Europas, selbstverständlich unter russischem Protektorat, wiederhergestellt werden soll. Der „Verzweiflungsschrei" der unterdrückten Lappländer ertönt sehr laut in den russischen Zeitungen, doch nicht diese unterdrückten Nomaden stoßen ihn aus, sondern die russischen Agenten. Es ist wahrlich eine fürchterliche Unterdrückung, diese armen Lappländer zu zwingen, die zivilisierte norwegische oder schwedische Sprache zu erlernen, statt sie auf ihre eigene barbarische Halbeskimo-Mundart zu beschränken! Das Nationalitätsprinzip konnte in der Tat nur in Osteuropa erfunden werden, über das sich tausend Jahre hindurch wieder und wieder die Flut der asiatischen Invasion ergoß, die am Ufer jene Häuflein vermengter Trümmer von Nationen zurückließ, die selbst heute noch der Ethnologe kaum entwirren kann, und wo der Türke, der finnische Magyar, der Rumäne, der Jude und etwa ein Dutzend slawischer Stämme in grenzenlosem Durcheinander vermengt sind. Das war der Boden, auf dem man das Nationalitätsprinzip entwickeln konnte, und wie es Rußland entwickelt hat, werden wir bald am Beispiel Polens sehen.
III
[„The Commonwealth" Nr. 165 vom 5. Mai 1866J Die Anwendung der Nationalitätsdoktrin auf Polen Polen wird, wie fast alle europäischen Länder, von Menschen verschiedener Nationalitäten bewohnt. Die Masse der Bevölkerung, ihren Kern, bilden zweifellos die eigentlichen Polen, die polnisch sprechen. Doch seit 1390 schon war das eigentliche Polen mit dem Großherzogtum Litauen vereinigt[120], das bis zur letzten Teilung von 1794 einen integrierenden Teil der Polnischen Republik bildete. Dieses Großherzogtum Litauen war von den verschiedensten Stämmen bewohnt. Die nördlichen baltischen Pro»
vinzen an der Ostsee waren im Besitz der eigentlichen Litauer, eines Volkes, <las eine andere Sprache als seine slawischen Nachbarn sprach. Diese Litauer waren zu einem großen Teil von deutschen Einwanderern unterworfen worden, die sich wiederum nur mit Mühe gegen die litauischen Großherzöge verteidigten. Weiter südlich und östlich des jetzigen Königreichs Polen saßen die Weißrussen, die eine Sprache sprechen, die ein Mittelding zwischen Polnisch und Kussisch ist, dabei aber dem letzteren näher steht; und die südlichen Provinzen schließlich waren von den sogenannten Kleinrussen bewohnt, von deren Sprache die meisten Autoritäten heute sagen, daß sie sich völlig vom Großrussischen unterscheide (der Sprache, die wir gewöhnlich Russisch nennen). Leute, die da sagen, <lie Wiederherstellung Polens fordern heiße, sich auf das Nationalitätsprinzip berufen, beweisen daher nur, daß sie nicht wissen, was sie reden, denn die Wiederherstellung Polens bedeutet die Wiedererrichtung eines aus wenigstens vier verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzten Staates. Doch was war mit Rußland, als durch die Union mit Litauen der alte polnische Staat gebildet wurde? Iis wand sich unter dem Joch des mongolischen Eroberers, den 150 Jahre zuvor die Polen und Deutschen vereint nach Osten hinter den Dnepr zurückgejagt hatten. Ein langer Kampf war nötig, bis die Großfürsten von Moskau das mongolische Joch, endlich abgeschüttelt hatten und darangingen, die vielen verschiedenen Fürstentümer Großrußlands ii» einem Staat zu vereinigen. Aber dieser Erfolg scheint ihren Ehrgeiz nur angestachelt zu haben. Konstantinopel war kaum an die Türken gefallen, als der Großfürst von Moskau den doppelköpfigen Adler der byzantinischen Kaiser in sein Wappenschild einsetzte und damit seine Ansprüche als deren Nachfolger und künftiger Rächer geltend machte. Seitdem haben die Russen bekanntlich das Ziel verfolgt, Zargrad, die Stadt des Zaren, wie sie Konstantinopel in ihrer Sprache nennen, zu erobern. Dann reizten die reichen Ebenen Kleinrußlands ihre Annexionslust; aber -die Polen waren schon immer ein tapferes und damals auch starkes Volk, das sich nicht nur zu behaupten verstand, sondern auch Vergeltung zu üben wußte: Anfang des siebzehnten Jahrhunderts hielten sie sogar Moskau einige Jahre lang besetzt11211. Die allmähliche Demoralisierung der herrschenden Aristokratie, der Mangel an Kraft, eine Bourgeoisie zu entwickeln, und die ständigen, das Land verwüstenden Kriege, brachen schließlich Polens Macht. Ein Land, das beharrlich an der feudalen Gesellschaftsordnung festhielt, während alle seine Nachbarn vorwärtsschritten, eine Bourgeoisie bildeten, Handel und Industrie entwickelten und große Städte schufen - ein solches Land
war zum Untergang verurteilt. Die Aristokratie führte Polen wahrlich in den Untergang, in den völligen Untergang; und nachdem die Aristokraten dies getan hatten, hüben sie an, dies einander vorzuwerfen und sich und ihr Land an die Ausländer zu verkaufen. Die polnische Geschichte von 1700-1772 ist nichts als eine Chronik russischer Usurpation der Herrschaft in Polen, die durch die Bestechlichkeit des Adels ermöglicht wurde. Russische Soldaten hielten das Land fast ständig besetzt, und die polnischen Könige gerieten, wollten sie selbst auch keine Verräter sein, mehr und mehr in die Gewalt des russischen Botschafters. Dieses Spiel verlief so erfolgreich und wurde so lange fortgesetzt, daß nicht ein einziger Protest in Europa laut wurde, als Polen schließlich vernichtet war, und sich nur alles darob verwunderte, wie Rußland so edelmütig sein konnte, Osterreich und Preußen einen derart großen Teil des Gebietes abzutreten. Besonders interessant ist die Art und Weise, wie diese Teilung vorgenommen wurde. Es gab zu jener Zeit bereits eine aufgeklärte „öffentliche Meinung" in Europa. Wenn auch noch nicht die „Times"[122] mit der Fabrikation dieses Artikels begonnen hatte, so gab es doch jene Art der öffentlichen Meinung, die sich unter dem gewaltigen Einfluß von Diderot, Voltaire, Rousseau und den anderen französischen Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts gebildet hatte. Rußland wußte stets, wie wichtig es ist, die öffentliche Meinung möglichst auf seiner Seite zu haben, und es verfehlte nicht, sich diese dienstbar zu machen. Der Hof Katharinas II. wurde zum Stabsquartier der aufgeklärten Männer jener Tage, besonders der Franzosen; die Kaiserin und ihr Hof bekannten sich zu den höchsten Prinzipien der Aufklärung, und es gelang ihr, die öffentliche Meinung so trefflich zu täuschen, daß Voltaire und viele andere das Lob der „Semiramis des Nordens" sangen und Rußland als das fortgeschrittenste Land der Welt priesen, als die Heimat liberaler Prinzipien, den Verfechter religiöser Toleranz. Religiöse Toleranz - hier war das fehlende Wort, womit man Polen den Garaus machen konnte. Polen ist in religiösen Dingen stets äußerst liberal gewesen; davon zeugt, daß die Juden dort Asyl fanden, als sie in allen anderen Teilen Europas verfolgt wurden. Der größte Teil der Bevölkerung in den östlichen Provinzen gehörte dem griechisch-orthodoxen Glauben an, während die eigentlichen Polen römisch-katholisch waren. Ein erheblicher Teil dieser Griechisch-Orthodoxen war im sechzehnten Jahrhundert gezwungen worden, das Supremat des Papstes anzuerkennen; man nannte sie unierte Griechen; doch viele von ihnen hielten in jeder Beziehung an ihrem alten griechisch-orthodoxen Glauben fest. In der Hauptsache waren
11 Marx,/Engels, Werke, Bd. 16
das die Leibeigenen, während ihre adligen Herren fast alle römisch-katholisch waren; der Nationalität nach waren die Leibeigenen Kleinrussen4 Diese russische Regierung nun, die zu Hause keine andere Religion als die griechisch-orthodoxe duldete und Abtrünnigkeit als Verbrechen bestrafte; die fremde Nationen eroberte und links und rechts fremde Provinzen annektierte; die zu jener Zeit dabei war, die Ketten des russischen Leibeigenen noch fester anzuziehen - diese selbe russische Regierung fiel bald im Namen der religiösen Toleranz über Polen her, weil angeblich Polen die Griechisch-Orthodoxen unterdrückte; im Namen des Nationalitätsprinzips, weil die Bewohner dieser östlichen Provinzen Kleinrussen waren und daher Großrui31and einverleibt werden mußten; und im Namen des Rechts der Revolution, indem sie die Leibeigenen gegen ihre Herren bewaffnete. Rußland kennt keine Skrupel bei der Wahl seiner Mittel. Man sagt, daß der Krieg Klasse gegen Klasse etwas äußerst revolutionäres sei; Rußland brach in Polen einen solchen Krieg schon vor ungefähr 100 Jahren vom Zaun, und es war ein schönes Muster von Klassenkrieg, als russische Soldaten und kleinrussische Leibeigene gemeinsam darangingen, die Schlösser der polnischen Adligen niederzubrennen, nur um die russische Annexion vorzubereiten; sobald diese vollbracht war, führten dieselben russischen Soldaten die Leibeigenen unter das Joch ihrer Herren zurück. Das alles geschah im Namen der religiösen Toleranz, weil das Nationalitätsprinzip damals in Westeuropa noch nicht in Mode war. Doch es wurde den kleinrussischen Bauern schon damals vor Augen geführt und hat seitdem in polnischen Angelegenheiten eine bedeutende Rolle gespielt. Erstes und vorrangiges Bestreben Rußlands ist die Einigung aller russischen Stämme unter dem Zaren, der sich selbst Herrscher aller Reußen (Samodergetz vseckh Rossyiskikh) nennt, wobei es auch Weiß- und Kleinrußland einbezieht. Um zu beweisen, daß seine Bestrebungen nicht darüber hinausgehen, achtete es sehr genau darauf, während der drei Teilungen nur weißund kleinrussische Provinzen zu annektieren, und überließ seinen Komplizen das von den Polen bewohnte Gebiet, ja sogar einen Teil Kleinrußlands (Ostgalizien). Doch wie stehen die Dinge jetzt? Der größte Teil der 1793 und 1794 von Österreich und Preußen annektierten Provinzen befindet sich jetzt unter russischer Herrschaft und trägt die Bezeichnung Königreich Polen, und von Zeit zu Zeit erwachen unter den Polen Hoffnungen, daß sie sich nur der russischen Oberhoheit zu unterwerfen und alle Ansprüche auf die alten litauischen Provinzen aufzugeben hätten, um eine Wiedervereinigung aller anderen polnischen Provinzen und eine Wiederherstellung Polens mit dem russischen Kaiser als König erwarten
zu können. Und sollten Preußen und Österreich unter den jetzigen kritischen Umständen ins Handgemenge geraten, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß dieser Krieg in letzter Instanz nicht um die Annexion SchleswigHolsteins durch Preußen oder Venedigs durch Italien gehen wird, sondern eher um die Annexion eines österreichischen Teils, doch mindestens eines Teils von Preußisch-Polen durch Rußland. Soviel zum Nationalitätsprinzip in polnischen Angelegenheiten.
Friedrich Engels
Geschrieben Ende Januar bis 6. April 1866. Aus dem Englischen.
Karl Marx
Warnung"231
[„Oberrheinischer Courier" Nr.113vom15.Mai 1866] Vor einiger Zeit bildeten die Londoner Schneidergeseilen eine allgemeine Assoziation1124]  zur Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Londoner Schneidermeister, die großenteils große Kapitalisten sind. Es galt nicht nur die Löhne ins Gleichgewicht mit den gestiegenen Preisen der Lebensmittel zu setzen, sondern auch der ausnahmsweise brutalen Behandlung der Arbeiter in diesem Gewerbszweig ein Ende zu machen. Die Meister suchten diese Kombination durch Werbung von Schneidergesellen namentlich in Belgien, Frankreich und der Schweiz zu brechen. Die Sekretäre des Zentralrats der Internationalen Arbeiterassoziation veröffentlichten darauf in den belgischen, französischen und Schweizer Zeitungen eine Warnung, deren Erfolg vollständig war.[125) Das Manöver der Londoner Meister wurde vereitelt; sie mußten die Waffen strecken und die gerechten Ansprüche ihrer Arbeiter befriedigen. In England geschlagen, versuchen die Meister jetzt von Schottland aus eine Reaktion herbeizuführen. Infolge der Londoner Ereignisse waren sie nämlich genötigt, auch in Edinburgh zunächst eine Lohnerhöhung von 15% zu bewilligen. Unter der Hand jedoch sandten sie Agenten nach Deutschland, um, namentlich im Hannoverschen und Mecklenburgischen, Schneidergesellen zur Importation nach Edinburgh zu werben. Die erste Verschiffung dieser Art hat bereits stattgefunden. Der Zweck dieser Importation ist derselbe, wie der der Importation von indischen1 Coolies (Kulis) nach Jamaika - Verewigung der Sklaverei. Gelänge es den Meistern von Edinburgh vermittelst deutscher Einfuhr ihre bereits gemachten Zugeständnisse zu brechen, so wäre ein Rückschlag auf England unvermeidlich. Niemand würde schwerer darunter büßen, als die deutschen Arbeiter selbst,
1 In der Handschrift: asiatischen
die zahlreicher in Großbritannien vertreten sind als die Arbeiter aller andern kontinentalen Nationen. Die Neuimportierten aber, völlig hilflos im fremden Lande, würden bald zu einer Pariastellung herabsinken. Es ist außerdem ein Ehrenpunkt für die deutschen Arbeiter, dem Ausland zu beweisen, daß sie, gleich ihren Brüdern in Frankreich, Belgien und der Schweiz, das gemeinsame Interesse ihrer Klasse zu vertreten wissen und sich nicht zu willenlosen Landsknechten des Kapitals in seinem Kampfe gegen die Arbeit hergeben. Im Auftrage des Zentralrats1 der Internationalen Arbeiterassoziation London, den 4.Mai 1866 Karl Marx
Die deutschen Schneidergesellen, die näheren Aufschluß über die britischen Verhältnisse wünschen, sind ersucht, ihre Briefe an das deutsche Zweigkomitee der Londoner Schneiderassoziation zu richten unter der Adresse: Albert F.Haufe, Crown Public House, Hedden Court, Regent Street, London.
1 In der Handschrift: Generalrats

FRIEDRICHENGELS
Betrachtungen über den Krieg in Deutschland"261
Geschrieben zwischen dem 19. Juni und 5. Juli 1866. Die Artikel erschienen in „The Manchester Guardian" I in Nr.6190 vom 20.Juni 1866 II in Nr.6194 vom 25.Juni 1866 III in Nr.6197 vom 28.Juni 1866 IV in Nr .6201 vom 3.Juli 1866 V in Nr.6204 vom 6 Juli 1866 Aus dem Englischen;
I
Die nachfolgenden Betrachtungen haben das Ziel, die gegenwärtigen Kriegsereignisse unparteilich und vom rein militärischen Standpunkt einzuschätzen und, soweit dies möglich, ihren vermutlichen Einfluß auf die weiteren Operationen zu untersuchen. Der Raum, in dem die ersten entscheidenden Schläge geführt werden müssen, ist das Grenzgebiet zwischen Sachsen und Böhmen. Der Krieg in Italien kann kaum zu entscheidenden Ergebnissen führen, solange das Festungsviereckfl27] nicht genommen ist, und das dürfte eine ziemlich langwierige Operation werden. Es ist möglich, daß sich ein nicht geringer Teil der Kriegshandlungen in Westdeutschland abspielen wird, aber nach der Stärke der dort eingesetzten Kräfte zu urteilen, werden die Ergebnisse dieser Operationen im Vergleich zu den Ereignissen an der böhmischen Grenze nur untergeordnete Bedeutung haben. Wir werden deshalb unsere Aufmerksamkeit zunächst ausschließlich auf dieses Gebiet richten. Um die Stärke der kämpfenden Armeen zu beurteilen, genügt es für unsere Zwecke, wenn wir nur die Infanterie in Betracht ziehen, wobei wir aber berücksichtigen, daß die österreichische Kavallerie sich zahlenmäßig zur preußischen wie drei zu zwei verhält. Das Verhältnis der Artillerie zur Infanterie ist bei beiden Armeen annähernd das gleiche - es kommen etwa 3 Geschütze auf 1000 Mann. Die preußische Infanterie besteht aus 253 Linienbataillonen, 83x/2 Ersatzbataillonen und 116 Bataillonen der Landwehr1 (ersten Aufgebots, das die Männer von 27 bis 32 Jahren umfaßt)1421. Die Ersatzbataillone und die Landwehr bilden hierbei die Festungsgarnisonen und sind außerdem für den Einsatz gegen die deutschen Kleinstaaten vorgesehen, während die Linientruppen in und um Sachsen konzentriert sind zum Kampf gegen die
1 Landwehr: im „Manchester Guardian" hier und auch weiterhin deutsch
österreichische Nordarmee. Nach Abzug von etwa 15 Bataillonen, die Schleswig-Holstein besetzt halten, und weiteren 15 Bataillonen, die bisher die Garnisonen von Rastatt, Mainz und Frankfurt bildeten und jetzt bei Wetzlar konzentriert sind, bleiben etwa 220 Bataillone für die Hauptarmee. Zusammen mit der Kavallerie und Artillerie und den Teilen der Landwehr, die aus den umliegenden Festungen abgezogen werden können, wird diese Armee etwa 300 000 Mann stark sein, die in neun Armeekorps formiert sind. Die österreichische Nordarmee umfaßt sieben Armeekorps, von denen jedes wesentlich stärker als ein preußisches Korps ist. Wir wissen im Augenblick sehr wenig über ihre Zusammensetzung und Organisation, doch wir haben allen Grund anzunehmen, daß sie eine Armee von 320 000 bis 350 000 Mann aufstellen. Die zahlenmäßige Überlegenheit scheint daher den Österreichern gesichert zu sein. Die preußische Armee wird unter dem Oberbefehl des Königs1 stehen, d.h. eines Paradesoldaten von bestenfalls sehr mittelmäßigen Fähigkeiten und schwachem, aber oft halsstarrigem Charakter. Er wird erstens umgeben sein vom Generalstab der Armee unter General Moltke, einem ausgezeichneten Offizier; zweitens von seinem „Geheimen Militärkabinett", das aus Günstlingen des Königs besteht, und drittens von anderen Generalen zur Disposition, die er in seine Suite berufen kann. Man kann kein besseres System erfinden, um die Niederlage einer Armee bereits in der Organisation ihres Hauptquartiers zu beschließen. Hier kommt es von vornherein zur natürlichen Rivalität zwischen Armeestab und königlichem Kabinett; beide kämpfen um den vorherrschenden Einfluß und werden ihren eigenen Operationsplan zusammenbrauen und verfechten. Schon das allein würde jede Einheitlichkeit des Ziels und ein konsequentes Handeln nahezu unmöglich machen. Aber dann kommen die endlosen Kriegsräte, die unter solchen Umständen unvermeidlich sind und in neun von zehn Fällen mit der Annahme einer halben Maßnahme enden - dem Schlimmsten, was es im Krieg geben kann. In solchen Fällen widersprechen gewöhnlich die Befehle von heute denen von gestern, und wenn sich die Lage kompliziert oder wenn etwas schief zu gehen droht, so werden überhaupt keine Befehle gegeben, und die Dinge nehmen ihren Lauf. „Ordre, eontre-ordre, desordre" 2pflegte Napoleon zu sagen. Niemand ist verantwortlich, weil der unverantwortliche König alle Verantwortung auf sich nimmt, und deshalb tut niemand etwas ohne ausdrücklichen Befehl. Der Feldzug von 1806 wurde in
1 Wilhelm I. - 2 „Befehl, Gegenbefehl, Verwirrung"
ähnlicher: Weise vom Vater des jetzigen Königs1 geführt; das Ergebnis waren die Niederlagen von Jena und Auerstedt und die Vernichtung der gesamten preußischen Armee innerhalb von drei Wochen1491. Es besteht kein Grund anzunehmen, daß der jetzige König mehr Courage hat als sein Vater; und wenn er in Graf Bismarck einen Mann gefunden hat, dem er in politischer Hinsicht ohne Bedenken folgen kann, so gibt es in der Armee keinen Mann in entsprechend gehobener Stellung, der in ähnlicher Weise die ausschließliche Führung auf militärischem Gebiet übernehmen könnte. Die österreichische Armee steht unter dem alleinigen Befehl von General Benedek, einem erfahrenen Offizier, der zumindest weiß, was er will. Die Überlegenheit der obersten Führung ist entschieden auf seiten der Österreicher. Die preußischen Truppen sind in zwei „Armeen" aufgeteilt: die erste, unter Prinz Friedrich Karl, besteht aus dem 1., 2., 3., 4., 7. und 8.Korps; die zweite, unter dem Kronprinzen2, besteht aus dem 5., und 6. Korps. Die Garde, die die allgemeine Reserve bildet, wird wahrscheinlich der ersten Armee angegliedert werden. Nun verletzt diese Teilung nicht allein die Einheit des Kommandos, sondern führt auch sehr oft dazu, daß die beiden Armeen auf zwei verschiedenen Linien operieren, daß sie ihre Bewegungen koordinieren müssen und ihre beiderseitigen Berührungspunkte in Reichweite des Feindes legen; mit anderen Worten, sie hält die Armeen getrennt, während diese sich soviel wie möglich zusammenhalten müßten. Genauso und unter sehr ähnlichen Umständen handelten die Preußen 1806 und die Österreicher 1859[128]; beide wurden geschlagen. Was die beiden Befehlshaber anbelangt, so ist der Kronprinz als Soldat eine Unbekannte Größe, und Prinz Friedrich Karl erwies sich im dänischen Krieg[ 43J zweifellos nicht als großer Feldherr. Die österreichische Armee kennt keine solche Unterteilung; die Befehlshaber der Armeekorps unterstehen unmittelbar General Benedek. Die Österreicher sind daher ihren Gegnern auch im Hinblick auf die Organisation der Armee überlegen. Die preußischen Soldaten, besonders die Reservisten und die Landwehrmänner, mit denen man die Lücken in den Linientruppen auffüllen mußte (lind solche Lücken gibt es viele), ziehen gegen ihren Willen in den Krieg; die Österreicher dagegen haben schon lange einen Krieg gegen Preußen herbeigewünscht und erwarten mit Ungeduld den Marschbefehl. Deshalb sind ihre Truppen auch in moralischer Hinsicht überlegen.
1 Friedrich Wilhelm III. - 2 Friedrich Wilhelm
Preußen hat seit fünfzig Jahren keinen großen Krieg geführt; seine Armee ist alles in allem eine Friedensarmee mit der Pedanterie und Schablonenmäßigkeit, die allen Friedensarmeen eigen sind. Zweifellos ist in der letzten Zeit, besonders seit 1859, viel getan worden, um davon loszukommen; doch die seit vierzig Jahren herrschenden Gewohnheiten sind nicht so leicht auszurotten, und gerade auf den wichtigsten Posten - unter den Stabsoffizieren - gibt es noch viele unfähige und pedantische Leute. Die Österreicher sind von diesem Übel durch den Krieg von 1859 gründlich kuriert worden und haben sich ihre teuer erkaufte Erfahrung bestens zunutze gemacht. Zweifellos sind die Österreicher den Preußen auch in den organisatorischen Details, an militärischem Wissen und an Kampferfahrung überlegen. Abgesehen von den Russen sind die preußischen Truppen die einzigen, deren übliche Kampfformation die tiefe geschlossene Kolonne ist. Man stelle sich die acht Kompanien eines englischen Bataillons in einer Vierteldistanz-Kolonne vor, deren Front nicht von einer, sondern von zwei Kompanien gebildet wird, so daß vier Reihen zu je zwei Kompanien die Kolonne bilden - und man hat die „preußische Angriffskolonne". Ein besseres Ziel für gezogene Feuerwaffen kann man sich nicht vorstellen, und da gezogene Geschütze eine Granate in diese Kolonne auf 2000 Yard Entfernung schießen können, ist es für eine solche Formation nahezu unmöglich, den Feind überhaupt zu erreichen. Man lasse nur eine einzige Granate inmitten dieser Masse explodieren und sehe dann, ob dieses Bataillon an dem Tage noch zu irgend etwas fähig ist. Die Österreicher haben die lose offene Kolonne der Franzosen übernommen, die kaum noch als Kolonne bezeichnet werden kann; sie gleicht eher zwei oder drei Linien, die in einem Abstand von 20 oder 30 Yard aufeinander folgen, und ist dem Artilleriefeuer kaum mehr ausgesetzt als eine deployierte Linie. Der Vorteil der taktischen Formation ist also ebenfalls auf seiten der Österreicher. Allen diesen Vorteilen haben die Preußen nur zwei Dinge entgegenzusetzen. Ihre Intendantur ist entschieden besser, und deshalb werden ihre Truppen besser verpflegt werden. Die österreichische Intendantur ist, wie die gesamte österreichische Administration, ein einziges Nest von Korruption und Unterschlagung und kaum besser als die russische Intendantur. Wir hören, daß sogar jetzt die Truppen schlecht und unregelmäßig verpflegt werden; im Felde und in den Festungen wird es noch schlimmer sein. So kann die österreichische Administration den Festungen des Festungsvierecks gefährlicher werden als die italienische Artillerie.
Der zweite Vorteil der Preußen ist ihre überlegene Bewaffnung. Aber obgleich ihre gezogene Artillerie entschieden besser ist als die der Österreicher, wird das im offenen Felde keine große Rolle spielen. Die Reichweite, Flugbahn und Genauigkeit der preußischen und österreichischen Gewehre werden annähernd gleich sein, doch die Preußen haben Hinterlader und können ein stetiges, gutgezieltes Feuer aus ihren Reihen mindestens viermal in der Minute abgeben. Die große Überlegenheit dieser Waffe hat sich im dänischen Krieg gezeigt, und zweifellos werden die Österreicher das noch weitaus stärker zu spüren bekommen. Wenn sie, wie ihnen Benedek befohlen haben soll, nicht viel Zeit mit Feuern verlieren, sondern sofort zum Bajonettangriff übergehen, werden sie ungeheure Verluste haben. Im dänischen Krieg betrugen die Verluste der Preußen nie mehr als ein Viertel, manchmal nur ein Zehntel der Verluste der Dänen; und wie ein Militärkorrespondent der „Times" kürzlich sehr richtig bemerkte, wurden die Dänen auf dem Kampffeld fast überall von einem zahlenmäßig unterlegenen Gegner geschlagen. Doch trotz des Zündnadelgewehrs ist die Überlegenheit nicht auf seiten der Preußen. Und wenn sie nicht in der ersten großen Schlacht durch die überlegene Führung, Organisation, taktische Gliederung und Moral der Österreicher und nicht zuletzt durch ihre eigenen Befehlshaber geschlagen werden wollen, dann müssen sie allerdings aus anderem Holz geschnitzt sein als eine Armee, die 50 Jahre im Frieden gelebt hat.
II
Die Öffentlichkeit wird allmählich ungeduldig wegen der offenkundigen Untätigkeit der beiden großen Armeen an der böhmischen Grenze. Für diese Verzögerung gibt es jedoch viele Ursachen. Sowohl die Österreicher als auch die Preußen sind sich völlig im klaren über die Bedeutung des bevorstehenden Zusammenstoßes, der den Ausgang des ganzen Feldzuges entscheiden kann. Beide werfen eilig alle irgendwie verfügbaren Truppen an die Front; die Österreicher setzen ihre neuen Formationen ein (die vierten und fünften Bataillone der Infanterieregimenter), die Preußen die Teile der Landwehr, die ursprünglich nur für den Besatzungsdienst vorgesehen waren. Gleichzeitig scheint man auf beiden Seiten zu versuchen, die feindliche Armee auszumanövrieren und den Feldzug unter den günstigsten strategischen Bedingungen zu beginnen. Um das zu verstehen, müssen wir einen
Blick auf die Karte werfen und das Gebiet, in dem diese Armeen stehen, näher betrachten. In Anbetracht dessen, daß Berlin und Wien die normalen Rückzugspunkte der beiden Armeen sind und deshalb die Österreicher Berlin und die Preußen Wien zu erobern suchen werden, gibt es drei Marschlinien, auf denen diese operieren können. Eine große Armee braucht ein beträchtliches Gebiet wegen der Ressourcen, von denen sie auf dem Marsch leben muß; und um schnell vorwärts zu kommen, muß sie in mehreren Kolonnen auf entsprechend vielen Parallelstraßen marschieren; die Breite ihrer Front wird sich daher vergrößern und kann, sagen wir, zwischen 60 und 16 [engl.] Meilen schwanken, je nach der Nähe des Heindes und der Entfernung zwischen den Straßen. Das muß mit in Rechnung gestellt werden. Die erste Marschlinie würde am linken Ufer der Elbe und Moldau über Leipzig und Prag führen. Es ist klar, daß auf dieser Marschlinie beide kriegführende Seiten den Fluß zweimal überschreiten müßten, das zweite Mal unmittelbar vor dem Feind. Versuchte eine der beiden Armeen, auf dieser Linie den Feind an der Flanke zu umgehen, so könnte dieser, wenn er auf dem kürzeren, weil direkteren Weg marschiert, den Umgehungskräften immer noch an der Flußlinie zuvorkommen; gelänge es ihr, diese Kräfte zurückzuschlagen, so könnte sie direkt auf die feindliche Hauptstadt marschieren. Diese Marschlinie ist für beide Seiten gleichermaßen unvorteilhaft und kommt deshalb nicht in Betracht. Die zweite Marschlinie verläuft am rechten Ufer der Elbe zwischen der Elbe und den Sudeten, die Schlesien von Böhmen und Mähren trennen. Sie führt fast in gerader Linie von Berlin nach Wien; durch das Gebiet, das jetzt zwischen beiden Armeen liegt, verläuft die Eisenbahnlinie von Löbau nach Pardubitz. Diese Eisenbahnlinie führt durch den Teil Böhmens, der im Süden und Westen durch die Elbe und im Nordosten durch die Berge begrenzt wird. In diesem Gebiet gibt es viele gute Straßen, und wenn die beiden Armeen direkt aufeinander losmarschierten, würde der Zusammenstoß hier erfolgen. Die dritte Marschlinie führt über Breslau und von dort über die Sudeten. Dieser Gebirgszug hat an der mährischen Grenze nur geringe Höhe und wird dort von verschiedenen guten Straßen durchschnitten; er wird aber im Riesengebirge, der Grenze Böhmens, höher und steiler. Hier gibt es nur wenige Gebirgsstraßen; tatsächlich wird der ganze Nordostteil des Gebirgszugs zwischen Trautenau und Reichenberg, d.h. auf einer Strecke von 40 Meilen, von keiner einzigen Straße durchquert, die militärisch von Bedeutung ist. Die einzige Straße, die es dort gibt, führt von Hirschberg in
das Isertal und endet an der österreichischen Grenze. Daraus folgt, daß diese ganze Barriere von vierzig Meilen Länge unpassierbar ist, zumindest für eine große Armee mit ihrem zahllosen Troß, und daß bei einem Vormarsch auf oder über Breslau die Berge im Südwesten des Riesengebirges überschritten werden müssen. Wie steht es nun mit den beiden Armeen hinsichtlich ihrer Kommunikationen, wenn es auf dieser Marschlinie zu Kampfhandlungen kommt? Wenn die Preußen von Breslau aus genau in südlicher Richtung vorgehen, entblößen sie ihre Kommunikationen mit Berlin. Wenn die Österreicher so stark sind, daß ihnen ihr Sieg als fast absolut sicher erscheint, könnten sie die Preußen bis zu dem befestigten Lager von Olmütz vorrücken lassen, das diese aufhalten würde, während sie selbst auf Berlin marschieren könnten, da sie gewiß sein können, jede vorübergehend unterbrochene Kommunikation durch einen entscheidenden Sieg wiederherzustellen; oder sie könnten die einzelnen preußischen Kolonnen angreifen, wenn sie von den Bergen herabsteigen, und diese bei erfolgreichem Verlauf des Kampfes auf Glogau und Posen zurückwerfen, wodurch sich Berlin und der größere Teil der preußischen Gebiete in ihrer Gewalt befänden. Folglich wäre ein Vormarsch über Breslau für die Preußen nur bei großer zahlenmäßiger Überlegenheit ratsam. Die Österreicher befinden sich in einer völlig anderen Lage. Sie haben den Vorteil, daß der größere Teil der Monarchie südöstlich Breslaus liegt, das heißt auf der direkten Verlängerung einer Linie, die von Berlin nach Breslau führt. Da sie das Nordufer der Donau bei Wien befestigt haben, um die Hauptstadt vor einem Überraschungsangriff zu schützen, können sie vorübergehend und selbst für längere Zeit ihre direkten Kommunikationen mit Wien opfern und Verstärkung an Mannschaften sowie Vorräte aus Ungarn erhalten. Deshalb können sie gleichermaßen gefahrlos in Richtung Löbau und in Richtung Breslau operieren, nördlich oder südlich der Berge; sie haben eine weit größere Manövrierfreiheit als ihr Gegner. Für die Preußen gibt es aber noch andere Gründe, vorsichtig zu sein. Die Entfernung von der Nordgrenze Böhmens nach Berlin beträgt nicht viel mehr als die Hälfte der Entfernung von dieser Grenze nach Wien; Berlin ist dadurch viel stärker exponiert. Wien ist durch die Donau geschützt, hinter der eine geschlagene Armee Schutz finden kann, außerdem durch die Befestigungen, die nördlich von diesem Fluß errichtet sind, und durch das befestigte Lager von Olmütz, das die Preußen nicht unbemerkt und ungestraft passieren könnten, wenn die Hauptkräfte der österreichischen Armee nach einer Niederlage dort Stellung bezögen. Berlin besitzt keinerlei
Schutz außer der Feldarmee. Es ist klar., daß die Preußen unter diesen und den in unserem ersten Artikel ausführlich dargelegten Umständen nur eine defensive Rolle spielen können. Osterreich wiederum zwingen geradezu dieselben Umstände und außerdem eine dringende politische Notwendigkeit, offensiv zu operieren. Ein einziger Sieg kann ihm große Erfolge bringen, während eine Niederlage seine Widerstandskraft nicht brechen würde. Der strategische Plan des Feldzugs ist in seinen Grundzügen notwendigerweise sehr einfach. Welcher von beiden auch immer zuerst angreift, er hat nur diese Alternative: entweder ein Scheinangriff nordwestlich des Riesengebirges und der richtige Angriff südöstlich davon oder umgekehrt. Die vierzig Meilen lange Barriere ist der entscheidende Teil des Kriegsschauplatzes; um ihn herum müssen die Armeen operieren. Wir werden bald von Kämpfen an ihren beiden äußersten Punkten hören, und nach einigen Tagen wird die Richtung des tatsächlichen Angriffs klarwerden und damit vermutlich auch das Schicksal des ersten Feldzuges. Wir neigen jedoch zu der Ansicht, daß für zwei derart schwer bewegliche Armeen, die hier einander gegenüberstehen, der direkteste Weg auch der sicherste ist und daß die Schwierigkeit und Gefährlichkeit, so große Truppenkörper in getrennten Kolonnen auf verschiedenen Straßen durch schwieriges bergiges Gelände zu führen, die beiden feindlichen Armeen fast mit Sicherheit auf die Linie Löbau-Pardubitz führen werden. Bis jetzt haben folgende Truppenbewegungen stattgefunden: Die Preußen zogen in der ersten Juniwoche ihre sächsische Armee entlang der sächsischen Grenze von Zeitz bis Görlitz und ihre schlesische Armee von Hirschberg bis zur Neiße zusammen. Bis zum 10.Juni näherten sich diese Armeen einander; ihr rechter Flügel stand an der Elbe bei Torgau und ihr äußerster linker Flügel bei Waldenburg. Vom 12. bis zum 16. Juni dehnte die schlesische Armee, die jetzt aus dem 1., 5. und 6.Korps und der Garde besteht, erneut ihre Front nach Osten aus, diesmal bis nach Ratibor, d.h. bis in die äußerste südöstliche Ecke Schlesiens. Das sieht nach einem Täuschungsmanöver aus, besonders die Schaustellung der Garde, die gewöhnlich bei der Hauptarmee bleibt. Wenn es aber mehr als ein Täuschungsmanöver sein sollte, und wenn keine Maßnahmen ergriffen worden sind, um diese vier Korps sofort und schnellstmöglich nach Görlitz zurückzuführen, dann ist diese Konzentration von mehr als 120 000 Mann in einem entlegenen Winkel ein offensichtlicher Fehler; sie können von allen Rückzugswegen abgeschnitten werden und zweifellos jede Verbindung mit dem übrigen Teil der Armee verlieren.
Von den Österreichern wissen wir nicht viel mehr als die Tatsache, daß sie um Olmütz konzentriert wurden. Der Korrespondent der „Times", der sich in ihrem Lager befindet, teilt mit, daß ihr sechstes Korps in Stärke von 40 000 Mann am 19. Juni von Weißkirchen in Olmütz ankam, was von einem Vorrücken nach Westen zeugt. Er fügt hinzu, daß das Hauptquartier am 2I.Juni nach Trübau an der Grenze zwischen Mähren und Böhmen verlegt werden sollte. Diese Verlegung würde in dieselbe Richtung weisen, sähe sie nicht sehr nach einer Ente aus, die nach London geschickt wurde, damit sie dem preußischen Hauptquartier von dort telegraphisch mitgeteilt werde, um es irrezuführen. Ein General, der wie Benedek mit solcher Verschwiegenheit zu Werke geht und eine derartige Abneigung gegen Zeitungskorrespondenten hat, wird ihnen wahrscheinlich nicht am 19. Juni mitteilen, wo sich sein Hauptquartier am 21 .Juni befinden wird, wenn er nicht seine Gründe dafür hat. Zum Schluß sei es uns gestattet, noch einen Blick auf die Operationen in Nordwestdeutschland zu werfen. Die Preußen hatten hier mehr Truppen als ursprünglich bekannt war. Sie verfügten über 15 Bataillone in Holstein, 12 in Minden und 18 in Wetzlar. Durch schnelle konzentrische Bewegungen, bei denen die Truppen eine ganz unerwartete Fähigkeit für Eilmärsche bewiesen, besetzten sie innerhalb von zwei Tagen das ganze Gebiet nördlich der Linie von Koblenz nach Eisenach und alle Kommunikationslinien zwischen den Ost- und Westprovinzen des Königreiches. Die etwa 7000 Mann starken hessischen Truppen konnten entkommen, den 10 000 oder 12 000 Hannoveranern aber wurde die direkte Rückzugslinie nach Frankfurt abgeschnitten, und bereits am 17. Juni erreichte der Rest des 7. preußischen Armeekorps, 12 Bataillone, zusammen mit den beiden Coburger Bataillonen Eisenach von der Elbe her. Folglich scheinen die Hannoveraner von allen Seiten eingeschlossen zu sein und könnten nur durch ein Wunder an Dummheit seitens der Preußen entkommen. Sobald sich ihr Schicksal entschieden hat, wird eine Streitmacht von 50 preußischen Bataillonen gegen die Bundesarmee zur Verfügung stehen, welche Prinz Alexander von Darmstadt bei Frankfurt aufstellt. Die Bundesarmee wird aus etwa 23 000 Württembergern, 10 000 Darmstädtern, 6000 Nassauern, 13 000 Badensern (die jetzt erst mobilisiert werden) und 7000 Hessen sowie aus 12 000 Österreichern bestehen, die jetzt von Salzburg her im Anmarsch sind; das ergibt insgesamt etwa 65 000 Mann, die möglicherweise noch durch 10 000 bis 20 000 Bayern verstärkt werden. Es wird berichtet, daß etwa 60 000 Mann bei Frankfurt schon zusammengezogen sind; Prinz Alexander soll einen Vorstoß gewagt und am 22. Juni Hessen wieder
12 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
besetzt haben. Das hat jedoch keine weitere Bedeutung. Die Preußen werden nicht eher gegen ihn vorgehen, bis sie genügend Kräfte konzentriert haben; und wenn sie erst über 70 000 Mann aller Waffengattungen und eine überlegene Bewaffnung verfügen, sollten sie mit dieser zusammengewürfelten Armee kurzen Prozeß machen.
Die erste große Schlacht ist nicht in Böhmen geschlagen worden, sondern in Italien, und das Festungsviereck hat den Italienern aufs neue eine Lektion in Strategie erteilt. Die Stärke dieser berühmten Stellung liegt wie bei allen befestigten Stellungen, die einigermaßen bedeutend sind, nicht so sehr in der großen Defensivkraft ihrer vier Festungen, sondern vielmehr darin, daß deren Position in einem Gebiet, welches militärisch gesehen spezifische Merkmale besitzt, den Angreifer fast immer verleitet und oft auch zwingt, seine Kräfte zu teilen und an zwei verschiedenen Punkten anzugreifen, während der Verteidiger seine vereinten Kräfte gegen einen dieser Angreifer werfen, ihn mit zahlenmäßig überlegenen Kräften vernichten und sich dann gegen den anderen wenden kann. Die italienische Armee hat diesen Fehler begangen. Während der König mit elf Divisionen am Mincio stand, befand sich Cialdini mit fünf Divisionen am unteren Po bei Ponte Lagoscuro und Polesella. Line italienische Division besteht aus 17 Bataillonen zu je 700 Mann; folglich hätte Viktor Emanuel mit Kavallerie und Artillerie mindestens 120 000 bis 125 000 Mann und Cialdini ungefähr halb soviel. Während der König am 23. Juni den Mincio überquerte, sollte Cialdini den unteren Po überschreiten und im Rücken der Osterreicher operieren; doch bis jetzt sind noch keine zuverlässigen Nachrichten eingegangen, ob das letztere Manöver durchgeführt worden ist. Auf jeden Fall werden die 60 000 Mann, deren Gegenwart letzten Sonntag bei Custozza den Ausschlag hätte geben können und wahrscheinlich auch gegeben hätte1129-1, kaum einen Vorteil erzielt haben, der die Niederlage in einer großen Schlacht aufwiegen könnte. Der Gardasee liegt zwischen zwei Ausläufern der Alpen, die südlich von ihm zwei Höhenzüge bilden, zwischen denen sich der Mincio seinen Weg zu den Lagunen von Mantua bahnt. Beide Höhenzüge bilden starke militärische Positionen; von ihren südlichen Abhängen kann man die Lombardische Ebene übersehen und in Reichweite der Geschütze beherrschen. Diese Höhenzüge sind in der Kriegsgeschichte wohlbekannt. Der westliche Höhenzug zwischen Peschiera und Lonato war der Schauplatz der
Schlachten von Castiglione und Lonato im Jahre 1796 und der Schlacht bei Solferino im Jahre 1859[1301; der östliche zwischen Peschiera und Verona war 1848 drei Tage lang umkämpft11311, und auch die Schlacht am vergangenen Sonntag entwickelte sich um das gleiche Gebiet. Der östliche Höhenzug fällt auf der einen Seite zum Mincio ab und geht bei Valeggio in die Ebene über; die andere Seite fällt in einem langen Bogen nach Südosten zur Etsch ab, die sie bei Bussolengo erreicht. Sie wird von Norden nach Süden durch eine tiefe Schlucht in zwei annähernd gleiche Abschnitte geteilt, durch die das Flüßchen Tione fließt. Eine vom Mincio heranrückende Streitmacht muß also zuerst den Ubergang über den Fluß erzwingen und wird gleich darauf durch diese Schlucht von neuem aufgehalten werden. Am Rande des Abhangs zur Ebene und östlich der Schlucht liegen folgende Dörfer: am weitesten südlich Custozza, weiter nördlich Sommacampagna, Sona und Santa Giustina. Die Eisenbahnlinie von Peschiera nach Verona verläuft zwischen den Bergen bei Sommacampagna und kreuzt die Straße bei Sona. Nachdem die Piemontesen 1848 Peschiera genommen hatten, schlössen sie Mantua ein und dehnten die Frontlinie ihrer Armee von dort bis nach Rivoli am Gardasee aus, wobei deren Zentrum die erwähnten Berge besetzte. Am 23. Juli rückte Radetzky von Verona aus mit sieben Brigaden vor, durchbrach diese übermäßig ausgedehnte Linie im Zentrum und besetzte nun seinerseits die Berge. Am 24. und 25. versuchten die Piemontesen die Position zurückzuerobern, wurden jedoch am 25. entscheidend geschlagen und zogen sich sofort über Mailand hinter den Tessin zurück. Diese erste Schlacht von Custozza entschied den Feldzug von 1848. Die Telegramme des italienischen Hauptquartiers über die Schlacht vom vergangenen Sonntag sind ziemlich widersprüchlich; doch wenn wir die Telegramme der anderen Seite noch zu Rate ziehen, erhalten wir eine ziemlich klare Vorstellung von den Umständen, unter denen die Schlacht geschlagen wurde. Viktor Emanuel wollte sein 1. Korps (General Durando, vier Divisionen oder 68 Bataillone) eine Position zwischen Peschiera und Verona beziehen lassen, um eine eventuelle Belagerung von Peschiera zu decken. Diese Position mußte natürlich Sona und Sommacampagna sein. Das 2. Korps (General Cucchiari, drei Divisionen oder 51 Bataillone) und das 3. Korps (General Deila Rocca, in gleicher Stärke wie das zweite) sollten beide gleichzeitig den Mincio überschreiten, um die Operationen des 1. Korps zu decken. Das 1. Korps muß den Fluß in der Nähe oder südlich von Salionze überschritten haben und sofort in Richtung auf die Berge
vorgegangen sein; das 2. scheint bei Valeggio und das 3. bei Goito den Fluß überquert zu haben und in der Ebene vorgerückt zu sein. Das geschah am Sonnabend, dem 23. Juli. Die österreichische Brigade Pulz, die die Vorhut am Mincio bildete, zog sich langsam auf Verona zurück; doch am Sonntag, dem Jahrestag von Solferino, debouchierte die gesamte österreichische Armee aus Verona und rückte gegen den Feind. Sie scheint noch rechtzeitig eingetroffen zu sein, um die Berge von Sona und Sommacampagna sowie den Ostrand der Tioneschlucht vor den Italienern zu besetzen. Der Kampf dürfte dann hauptsächlich um den Durchgang durch die Schlucht entbrannt sein. Die beiden Korps in der Ebene, die am südlichsten Ende vorrückten, konnten gemeinsam mit dem 1. italienischen Korps operieren, das die Berge besetzt hatte, und so fiel Custozza in ihre Hände. Allmählich rückten die Italiener in der Ebene immer weiter auf Verona vor, um die Österreicher an der Flanke und im Rücken anzugreifen; diese schickten ihnen Truppen entgegen. Folglich haben sich die Frontlinien der beiden Armeen, die ursprünglich nach Osten bzw. nach Westen gerichtet waren, um einen Viertelkreis gedreht; die Österreicher stehen jetzt mit der Front nach Süden gerichtet und die Italiener nach Norden. Doch da die Berge von Custozza;aus nach Nordosten zurücktreten, konnte sich diese Flankenbewegung des 2. und 3. Korps der Italiener nicht sofort auf die Position ihres I.Korps auf den Höhen auswirken, weil sie nicht ohne Gefahr für die flankierenden Truppen selbst weit genug ausgedehnt werden konnte. Deshalb scheinen die Österreicher gegen das 2. und 3.Korps nur so viele Truppen eingesetzt zu haben, um ihren ersten Ansturm brechen zu können, während sie jeden verfügbaren Mann gegen das 1. Korps warfen und dieses dank zahlenmäßiger Überlegenheit zerschlugen. Sie hatten vollen Erfolg; das 1. Korps wurde nach erbittertem Kampf zurückgeworfen, und schließlich erstürmten die Österreicher Custozza. Dadurch muß der rechte Flügel der Italiener, der ost- und nordostwärts über Custozza hinaus vorrückte, ernsthaft gefährdet gewesen sein; so kam es zu einem neuen Kampf um das Dorf, bei dem anscheinend die verlorene Verbindung wiederhergestellt und der österreichische Vormarsch von Custozza her aufgehalten worden ist. Doch der Ort blieb in ihren Händen, und die Italiener mußten sich noch in derselben Nacht über den Mincio zurückziehen. Diese Skizze der Schlacht soll keine historische Schilderung sein, für die uns bisher noch viele nötige Einzelheiten fehlen; sie ist lediglich ein Versuch, an Hand der Karte und mit etwas militärischem Verständnis die verschiedenen Telegramme über die Schlacht miteinander in Einklang zu
^bringen. Und waren die Telegramme nur einigermaßen richtig und vollständig, dann sind wir dessen gewiß, daß sich das allgemeine Bild der Schlacht nicht sehr von dem unterscheiden wird, das wir gezeichnet haben. Die Österreicher verloren etwa 600 Gefangene, die Italiener etwa 2000 und einige Geschütze. Das zeigt, daß die Schlacht eine Niederlage, aber keine Katastrophe gewesen ist. Die Kräfte müssen einander ziemlich ebenbürtig gewesen sein, obgleich die Österreicher sehr wahrscheinlich weniger Truppen auf dem Kampfplatz hatten als ihre Gegner. Die Italiener haben allen Grund sich zu gratulieren, daß sie nicht in den Mincio getrieben wurden. Die Position des I.Korps, das zwischen diesem Fluß und der Schlucht auf einem Landstreifen von zwei bis vier Meilen Breite lag und einen überlegenen Feind vor sich hatte, war erheblich gefährdet. Es war zweifellos ein Fehler, die Hauptkräfte in die Ebene zu schicken, während die beherrschenden Höhen, die entscheidenden Punkte, vernachlässigt wurden. Den größten Fehler aber beging man, wie oben bereits erwähnt, als man die Armee teilte, Cialdini mit 60 000 Mann am unteren Po ließ und nur mit dem Rest angriff. Cialdini hätte zu einem Sieg vor Verona beitragen und dann nach dem Rückmarsch zum unteren Po viel leichter über den Fluß setzen können, wenn es wirklich notwendig war, dieses kombinierte Manöver um jeden Preis durchzuführen. Im Augenblick scheint er noch auf dem gleichen Fleck zu stehen wie schon am ersten Tage und wird nun wohl auf stärkere Kräfte treffen als bisher. Die Italiener sollten mittlerweile erkannt haben, daß ihnen ein äußerst hartnäckiger Gegner gegenübersteht. Bei Solferino hielt Benedek mit 26 000 Österreichern die gesamte, doppelt so starke piemontesische Armee einen ganzen Tag lang in Schach, bis er infolge der Niederlage, welche das andere Korps gegen die Franzosen erlitten hatte, den Befehl zum Rückzug erhielt. Die damalige piemontesische Armee war bedeutend besser als die jetzige italienische Armee; sie war besser ausgebildet, war homogener und verfügte über bessere Offiziere. Die jetzige Armee wurde erst vor kurzem aufgestellt und leidet natürlich an all den Mängeln, mit denen eine solche Armee behaftet ist. Die jetzige österreichische Armee hingegen übertrifft bei weitem die Armee von 1859. Nationale Begeisterung ist eine vortreffliche und fördernde Sache, doch wenn sie nicht mit Disziplin und Organisiertheit gepaart ist, kann niemand eine Schlacht damit gewinnen. Selbst Garibaldis „Tausend" waren nicht einfach ein Haufe von Enthusiasten; es waren ausgebildete Leute, welche 1859 gelernt hatten, Befehlen zu gehorchen und dem Feuer standzuhalten. Es bleibt zu hoffen, daß der Stab der italienischen Armee in seinem eigenen
Interesse sich unüberlegter Operationen enthalten wird gegen eine Armee, die, wenn auch zahlenmäßig unterlegen, der italienischen Armee im wesentlichen überlegen ist und außerdem eine der stärksten Positionen in Europa behauptet.
IV
Gesetzt, einem jungen preußischen Fähnrich oder Kornett würde bei der Leutnantsprüfung die Frage gestellt, was der sicherste Plan für den Einfall einer preußischen Armee in Böhmen wäre? Gesetzt, unser junger Offizier würde antworten: „Das beste wäre, die Truppen in zwei etwa gleich starke Armeen zu teilen und die eine nach Osten um das Riesengebirge, die andere nach Westen zu schicken, so daß sie sich in Gitschin vereinigten." Was würde der prüfende Offizier dazu sagen? Er würde den jungen Herrn informieren, daß dieser Plan gegen die beiden wichtigsten Gesetze der Strategie verstoße: erstens, seine Truppen nie so zu teilen, daß sie einander nicht unterstützen können, sondern sie näher beisammenzuhalten; und zweitens, im Falle eines Vormarsches auf verschiedenen Straßen die Vereinigung der verschiedenen Kolonnen an einem Punkt zu vollziehen, der nicht in Reichweite des Feindes liegt; daß deshalb der vorgeschlagene Plan der denkbar schlechteste sei; daß er überhaupt nur dann in Betracht gezogen werden könnte, wenn Böhmen von feindlichen Truppen völlig frei sei; und daß somit ein Offizier, der einen solchen Feldzugsplan vorschlägt, nicht einmal ein Leutnantspatent verdiene. Doch gerade das ist der Plan, den der weise und gelehrte Stab der preußischen Armee angenommen hat. Es ist fast unglaublich, aber es ist wahr. Den Fehler, den die Italiener bei Custozza büßen mußten, haben nun die Preußen erneut begangen, und dies unter Umständen, die ihn zehnmal schlimmer machen. Die Italiener wußten wenigstens, daß sie mit zehn Divisionen dem Feind zahlenmäßig überlegen sein würden. Die Preußen mußten wissen, daß ihre neun Korps, wenn sie zusammengehalten werden, Benedeks acht Korps zahlenmäßig bestenfalls gleichkommen könnten und daß sie durch Teilung ihrer Truppen die beiden Armeen dem fast sicheren Schicksal aussetzten, durch zahlenmäßig überlegene Kräfte nacheinander geschlagen zu werden. Wäre König Wilhelm nicht selbst Oberbefehlshaber, so wäre es völlig unerklärlich, wie ein derartiger Plan von einem Stab unzweifelhaft fähiger Offiziere, aus denen sich der preußische Generalstab zusammensetzt, jemals erwogen, geschweige denn beschlossen werden konnte . Doch niemand konnte auch nur vermuten, daß sich die Verhängnis
vollen Folgen einer Situation, in der Könige und Prinzen den Oberbefehl haben, so schnell und so nachdrücklich einstellen würden. Die Preußen führen jetzt in Böhmen einen Kampf auf Leben und Tod. Wenn die Vereinigung der beiden Armeen in oder bei Gitschin verhindert wird, wenn jede der beiden geschlagen ist, sich aus Böhmen zurückziehen und sich beim Rückzug noch weiter von der anderen entfernen muß, dann kann man den Feldzug im wesentlichen als beendet ansehen. Benedek kann dann die Armee des Kronprinzen während ihres Rückzugs auf Breslau unbeachtet lassen und mit allen seinen Streitkräften die Armee Prinz Friedrich Karls verfolgen, die kaum ihrer völligen Vernichtung entgehen dürfte. Die Frage ist, ob es gelang, diese Vereinigung zu verhindern. Bis jetzt haben wir keine Nachrichten über Ereignisse, die nach Freitagabend, dem 29. Juni, stattfanden. Die Preußen, die am 28. Juni von General Edelsheim aus Gitschin (der Ort heißt in Böhmen Jicm) hinausgeworfen wurden, behaupten, die Stadt am 29. wieder erstürmt zu haben, und das ist die letzte Information, die wir besitzen. Die Vereinigung war noch nicht erfolgt; zu diesem Zeitpunkt waren mindestens vier österreichische und ein Teil des sächsischen Armeekorps gegen ungefähr fünf oder sechs preußische Korps eingesetzt. Die Österreicher traten den einzelnen Kolonnen der Armee des Kronprinzen, als diese auf der böhmischen Seite der Höhen ins Tal hinabstiegen, an für sie günstigen Punkten entgegen, wo sich das Tal erweitert und sie dadurch den preußischen Kolonnen in breiterer Front gegenübertreten und versuchen konnten, diese daran zu hindern, zu deployieren, während die Preußen dort, wo dies möglich, Truppen durch die Seitentäler schickten, um ihre Gegner in Flanke und Rücken zu fassen. Das ist im Gebirgskrieg gewöhnlich so und erklärt die große Zahl von Gefangenen, die unter solchen Umständen stets gemacht werden. Unterdessen scheinen die Armeen Prinz Friedrich Karls und Herwarth von Bittenfelds die Pässe fast ohne feindlichen Widerstand passiert zu haben; die ersten Zusammenstöße fanden an der Iserlinie statt, d.h. fast auf halbem Wege zwischen den Ausgangspunkten der beiden Armeen. Es wäre ein hoffnungsloser Versuch, die äußerst widersprüchlichen und oft völlig unglaubwürdigen Telegramme, die in den letzten drei oder vier Tagen eingegangen sind, zu entwirren oder in Einklang miteinander zu bringen. Der Kampf verlief für beide Seiten mit wechselndem Erfolg; je nachdem neue Kräfte anrückten, neigte sich der Sieg der einen oder der anderen Seite zu. Bis Freitag jedoch scheint das Ergebnis des Kampfes im ganzen
zugunsten der Preußen ausgefallen zu sein. Haben sie sich in Gitschin behauptet, so ist zweifellos die Vereinigung am Sonnabend oder Sonntag vollzogen worden, und dann wäre für sie die größte Gefahr vorbei. Der entscheidende Kampf um die Vereinigung wurde wahrscheinlich mit konzentrierten Truppenmassen von beiden Seiten ausgelochten und wird den weiteren Verlauf des Feldzugs zumindest für die nächste Zeit entschieden haben. Haben die JPreußen gesiegt, so sind sie mit einem Male aus all ihren selbst verschuldeten Schwierigkeiten heraus; sie hätten aber dieselben, ja noch größere Vorteile erreichen können, ohne sich solchen unnötigen Gefahren auszusetzen. Der Kampf scheint sehr heftig gewesen zu sein. Die „schwarz-gelbe" Brigade, die in Schleswig den Königsberg bei Oberselk einen Tag vor der Räumung des Danewerks erstürmte, eröffnete den Kampf gegen die Preußen. Sie wird nach den Aufschlägen und Kragen der beiden Regimenter, aus denen sie besteht, schwarz-gelbe genannt und galt seit jeher als eine der besten Brigaden im Heer. Sie wurde jedoch vom Zündnadelgewehr geschlagen, und über 500 Mann vom Regiment Martini wurden nach fünfmaligem, vergeblichem Angriff auf die preußischen Linien gefangengenommen. Bei einem folgenden Engagement wurde die Fahne des 3. Bataillons des Regiments Deutschmeister erobert. Dieses Regiment, das ausschließlich in Wien rekrutiert worden war, gilt als das beste der ganzen Armee. Die besten Truppen sind demnach bereits eingesetzt worden. Die Preußen müssen sich für eine langjährige Friedensarmee glänzend geschlagen haben. Vom Augenblick der tatsächlichen Kriegserklärung an zog ein völlig anderer Geist in die Armee ein, der hauptsächlich der Verjagung der kleinen Potentaten im Nordwesten Deutschlands11321 geschuldet war. Das ließ die Truppen glauben — gleichgültig, ob zu Recht oder Unrecht, wir konstatieren nur die Tatsache -, daß sie diesmal für die Einigung Deutschlands in den Kampf ziehen sollten, und die bis dahin mürrischen und verdrießlichen Männer der Reserve und der Landwehr überschritten nun die österreichische Grenze mit lautem Hurra. Darauf ist es hauptsächlich zurückzuführen, daß sie so gut kämpften; den größten Teil aller ihrer Erfolge muß man jedoch ihren Hinterladern zuschreiben; und wenn sie überhaupt aus den Schwierigkeiten herauskommen, in die ihre Generale sie so leichtfertig gebracht haben, so werden sie das dem Zündnadelgewehr zu verdanken haben. Die Berichte von der gewaltigen Überlegenheit dieser Waffe gegenüber den Vorderladern sind wiederum einmütig. Ein gefangener Sergeant vom Regiment Martini sagte zu dem Korrespondenten der „Kölnischen Zeitung""331;
„Zwar was man nur von braven Soldaten verlangen kann, haben wir gewiß getan, aber gegen dieses Schnellfeuer kann keiner ankommen." Wenn die Österreicher geschlagen wurden, so wird für das Ergebnis nicht so sehr General Benedek oder General Ramming wie General „Ramrod"1 zu tadeln sein. Im Nordwesten haben sich die Hannoveraner ergeben, nachdem ihnen durch einen scharfen Angriff der Vorhut General Manteuffels unter General Flies ihre Lage bewußt geworden war. Dadurch werden 59 preußische Bataillone für den Einsatz gegen die Bundestruppen frei. Es war übrigens höchste Zeit, daß das geschah, ehe Bayern seine Kriegsrüstung abgeschlossen hatte, da sonst weit stärkere Kräfte zur Niederwerfung Südwestdeutschlands erforderlich wären. Bayern ist bekanntlich immer langsam und im Rückstand mit seinen militärischen Vorkehrungen, doch wenn es sie abgeschlossen hat, kann es 60 000 bis 80 000 gute Soldaten ins Feld führen. Wir werden nun vielleicht bald von einer schnellen Konzentration der Preußen am Main und aktiven Operationen gegen Prinz Alexander von Hessen-Darmstadt und seine Armee hören.
V
Der Feldzug, den die Preußen mit einem groben strategischen Schnitzer begannen, ist von ihnen seitdem mit so gewaltiger taktischer Energie fortgesetzt worden, daß er in genau acht Tagen zum siegreichen Ende geführt wurde. Wir schrieben in unserem letzten Artikel, daß der preußische Plan eines Einfalls in Böhmen mit zwei durch das Riesengebirge getrennten Armeen nur dann gerechtfertigt werden könnte, wenn Böhmen von feindlichen Truppen frei sei. General Benedeks geheimnisvoller Plan scheint hauptsächlich darin bestanden zu haben, gerade solch eine Lage zu schaffen. Es scheinen nur zwei österreichische Armeekorps - das 1. (Clam-Gallas) und das 6. (Ramming) - in der Nordwestecke Böhmens gestanden zu haben, wo — wie wir dies von Anfang an erwarteten - die entscheidenden Aktionen erfolgen mußten. Wenn damit beabsichtigt war, die Preußen in eine Falle zu locken, dann ist das Benedek so gut gelungen, daß er selbst in die Falle ging. Dennoch, der preußische Vormarsch in zwei Kolonnen, die durch etwa vierzig bis fünfzig Meilen unpassierbaren Geländes getrennt sind,
1 „Ladestock" (bei Vorderladern)
zu einem Vereinigungspunkt, der zwei volle Tagemärsehe von den Ausgangspunkten entfernt und im Bereich der feindlichen Linien liegt - dieser Vormarsch bleibt auf jeden Fall und unter allen Umständen ein höchst gefährliches Manöver, das mit einer vollständigen Niederlage hätte enden können, wären nicht Benedeks sonderbare Langsamkeit, die unerwartete Stoßkraft der preußischen Truppen und die Hinterlader gewesen. Der Vormarsch Prinz Friedrich Karls erfolgte mit drei Korps (dem 3., 4. und 2., das letzte als Reserve) über Reichenberg, nördlich einer schwer passierbaren Bergkette, an deren Südseite General Herwarth mit eineinhalb Korps (dem 8. und einer Division des 7.) vorrückte. Zur gleichen Zeit stand der Kronprinz mit dem 1., 5. und 6. Korps und der Garde in den Bergen bei Glatz. Die Armee war also in drei Heersäulen geteilt - 45 000 Mann auf dem rechten Flügel, 90 000 Mann im Zentrum und 120 000 Mann auf dem linken Flügel -, wobei keine dieser Heersäulen die anderen unterstützen konnte, zumindest nicht für einige Tage. Wenn überhaupt jemals, so bot sich hier einem General, der über mindestens die gleiche Zahl Soldaten verfügte, die Gelegenheit, seinen Gegner einzeln zu schlagen. Aber man scheint nichts dergleichen unternommen zu haben. Am 26. Juni hatte Prinz Friedrich Karl den ersten ernsten Zusammenstoß bei Turnau mit einer Brigade des 1. Korps, durch den er die Verbindung mit Herwarth herstellte; am 97 ^ m Aar 1 a¥-r¥ava Miin/-lion(rvät7 tirölii'on/l rlu arcfo Armee des Kronprinzen, das 5. Korps, über Nachod hinaus vorrückte und das 6. österreichische Korps (Ramming) entscheidend schlug; am 28., dem einzigen etwas unglücklichen Tag für die Preußen, nahm die Vorhut Prinz Friedrich Karls Gitschin, wurde jedoch durch die Kavallerie General Edesheims wieder hinausgeworfen, während das 1. Korps der Armee des Kronprinzen bei Trautenau durch das 10. österreichische Korps unter Gablenz aufgehalten wurde und dabei einige Verluste erlitt; es wurde erst durch den Vormarsch der Garde in Richtung Eipel, auf einer zwischen dem 1. und 5. preußischen Korps liegenden Straße, entsetzt. Am 29. stürmte Prinz Friedrich Karl Gitschin, und die Armee des Kronprinzen vernichtete das 6., 8. und 10. österreichische Korps vollständig. Am 30. wurde ein neuer Versuch Benedeks, mit dem 1. Korps und der sächsischen Armee Gitschin wieder zuerobern, glänzend zurückgeschlagen, wonach die beiden preußischen Armeen die Vereinigung vollzogen. Die Österreicher erlitten Verluste in einer Stärke von mindestens eineinhalb Korps, während die der Preußen weniger als ein Viertel davon betragen. Wir sehen also, daß die Österreicher am 27. Juni nur über zwei Armeekorps zu je etwa 33 000 Mann verfügten, am 28. über drei, am 29. über vier
und, wenn die Angaben eines preußischen Telegramms stimmen, über den Teil eines fünften Korps (des 4. Korps); und erst am 30. konnte das sächsische Armeekorps zur Unterstützung anrücken. So fehlten denn während dieser ganzen Zeit zwei, wenn nicht drei Korps auf dem Kampffeld, während die Preußen in Böhmen ihre gesamten Kräfte konzentrierten. Bis zum Abend des 29. Juni war tatsächlich die Masse der österreichischen Truppen auf dem Kriegsschauplatz zahlenmäßig kaum stärker als jede der beiden preußischen Armeen, und da sie nacheinander in den Kampf geführt wurden und die Verstärkungen erst nach der Niederlage der bereits eingesetzten Truppen eintrafen, war das Ergebnis verheerend. Das 3. Armeekorps (Erzherzog Ernst), das bei Custozza kämpfte, soll unmittelbar nach jener Schlacht mit der Eisenbahn nach Norden geschickt worden sein und wird in einigen Berichten mit bei den Truppen erwähnt, die unter dem Befehl Benedeks operierten. Aber dieses Korps, mit dem die Armee einschließlich der Sachsen auf insgesamt neun Korps anwachsen würde, konnte nicht mehr rechtzeitig anrücken, um noch in die Kämpfe der letzten Juni tage einzugreifen. Was für Fehler auch im Operationsplan der Preußen gelegen haben mögen, durch ihre Schnelligkeit und entschiedenen Aktionen haben sie diese wieder wettgemacht. Man kann an den Operationen keiner ihrer beiden Armeen etwas aussetzen. Kurz, scharf und entschieden waren alle ihre Schläge und hatten vollen Erfolg. Diese Energie erschlaffte auch nach der Vereinigung der beiden Armeen nicht; sie marschierten weiter vorwärts, und bereits am 3. Juli traf die gesamte preußische Armee auf Benedeks vereinigte Kräfte und versetzte diesen einen letzten vernichtenden Schlag.11343 Es ist kaum anzunehmen, daß Benedek diese Schlacht aus eigenem Willen annahm. Zweifellos zwang ihn die schnelle Verfolgung durch die Preußen, sich mit seiner ganzen Armee in einer starken Position zu halten, um seine Truppen neu zu formieren und dem Train seiner zurückgehenden Armee einen Tag Vorsprung zu geben, wobei er nicht erwartete, daß er tagsüber mit ganzer Kraft angegriffen werde, und darauf hoffte, sich während der Nacht zurückziehen zu können. Ein Mann in seiner Lage mit vier vollständig geschlagenen Korps und nach solch ungeheuren Verlusten würde niemals eine sofortige Entscheidungsschlacht anstreben, wenn er die Möglichkeit eines sicheren Rückzuges hatte. Doch die Preußen scheinen ihn zum Kampf gezwungen zu haben; das Ergebnis war die vollständige Niederlage der Österreicher, die jetzt, falls der Waffenstillstand noch nicht abgeschlossen ist, versuchen werden, unter äußerst ungünstigen Bedingungen auf Olmütz oder Wien zurückzugehen, denn die geringste Bewegung
der Preußen zur Umgehung des österreichischen rechten Flügels müßte zahlreiche österreichische Abteilungen von der direkten Marschlinie abschneiden und in die Glatzer Berge treiben, wo sie gefangengenommen würden. Die „Nordarmee", noch vor zehn Tagen in Europa ein ausgezeichnetes Heer, hat aufgehört zu bestehen. Zweifellos hat daran das Zündnadelgewehr mit seinem Schnellfeuer einen großen Anteil gehabt. Ohne dieses Gewehr wäre es wohl kaum zur Vereinigung der beiden preußischen Armeen gekommen; und ganz gewiß konnte dieser gewaltige und schnelle Erfolg nicht ohne solch eine überlegene Feuerkraft erzielt werden, neigt doch die österreichische Armee im allgemeinen weniger zur Panik als die meisten europäischen Armeen. Doch für den Erfolg waren noch ändere Umstände ausschlaggebend. Wir haben bereits die ausgezeichnete Verfassung und die entschiedenen Aktionen der beiden preußischen Armeen vom Augenblick ihres Einmarsches in Böhmen an erwähnt. Wir können hinzufügen, daß sie in diesem Feldzug auch vom System der Kolonne abgingen und ihre Truppen hauptsächlich in deployierter Linie vorrücken ließen, um so jedes Gewehr einsetzen und die Soldaten vor dem Artilleriefeuer schützen zu können. Man muß anerkennen, daß die Bewegungen auf dem Marsch wie auch vor dem Feinde mit einer Ordnung und Genauigkeit ausgeführt wurden, die niemand hätte erwarten können von einer Armee und Führung, an denen der Rost von fünfzig Friedensjahren saß. Und schließlich mußte die ganze Welt über das entschlossene Vorgehen dieser jungen Truppen bei ausnahmslos jedem Gefecht überrascht sein. Es ist leicht gesagt, daß es die Hinterlader taten, doch sie gehen nicht von selbst los, es bedarf tapferer Herzen und starker Arme, um sie zu führen. Die Preußen fochten sehr oft gegen eine Übermacht und waren fast überall der angreifende Teil. Die Österreicher hatten daher die Wahl des Terrains. Und beim Angriff auf starke Stellungen und befestigte Städte schwinden die Vorteile der Hinterlader beinahe völlig; da hat das Bajonett die Arbeit zu verrichten, und davon gab es eine ganze Menge zu tun. Die Kavallerie ging überdies mit derselben Entschlossenheit vor, und bei ihr sind kalter Stahl und Schnelligkeit der Pferde die einzigen Waffen beim Angriff. Die französischen Zeitungsenten, wonach die preußische Kavallerie ihre Gegner zuerst mit Karabinerfeuer (aus Hinterladern oder anderen Waffen) überschüttete und sich erst dann mit dem Säbel auf sie stürzte, konnten nur dort entstehen, wo die Kavallerie sehr oft zu diesem Trick Zuflucht genommen hat und dafür stets bestraft worden ist, indem sie durch den überlegenen Ansturm des Angreifers niedergeworfen wurde. Es ist nicht verfehlt zu sagen, daß die preußische Armee in einer einzigen
Woche die beste Position eroberte, die sie je innehatte. Sie kann sich jetzt sicher fühlen, jedem anderen Gegner überlegen zu sein. Es gibt in der Geschichte keinen Feldzug, wo ein gleichermaßen hervorragender Erfolg in ebenso kurzer Zeit und ohne irgendeine bemerkenswerte Schlappe erzielt worden ist, außer der Schlacht bei Jena, in der die gesamte damalige preußische Armee vernichtet wurde, und der Schlacht bei Waterloo, wenn wir hierbei von der Niederlage bei Ligny absehen^1355
THE INTERNATIONAL COURIER ENGLISH PART Published cvery Wednesday.
«att: M I». NQTAMTEMAMAML LONDON, FEBRUARTF FL.I KT OVJ
Karl Marx
Instruktionen für die Delegierten des Provisorischen Zentralrats zu den einzelnen Fragen11363
[„The International Courier" Nr.6-7 und 8-10 vom 20. Februar und 13. März 1867] 1. Organisation der Internationalen Assoziation
Im ganzen genommen empfiehlt der Provisorische Zentralrat den Plan der Organisation, wie er in den Provisorischen Statuten vorgezeichnet ist. Zweijährige Erfahrung hat seine Richtigkeit und die Möglichkeit seiner An... j £ .„ T j „i c„i i r-:- r tr*_T. j wciiuuug aui uic vci suucuciicu I-KUIUCI , uiiuc uvilaucn iui uic i_iluu61i. UEI Aktion, bewiesen. Für nächstes Jahr empfehlen wir London als Sitz des Zentralrats, da die Lage auf dem Kontinent ungünstig für einen Wechsel ist. Die Mitglieder des Zentralrats, wie sich von selbst versteht, werden vom Kongreß gewählt (nach Art. 5 der Provisorischen Statuten); der Zentralrat ist ermächtigt, sich neue Mitglieder beizufügen. Der Generalsekretär soll vom Kongreß auf ein Jahr gewählt werden und der einzige bezahlte Beamte der Assoziation sein. Wir schlagen vor, ihm 2 Pfd. St. die Woche zu zahlen.1 Der einheitliche jährliche Beitrag soll für jedes einzelne Mitglied der Assoziation einen halben Penny (vielleicht auch einen Penny) betragen. Der Preis für die Mitgliedskarten (Bücher) ist extra zu entrichten. Während wir die Mitglieder der Assoziation aufrufen, Gesellschaften der gegenseitigen Hilfe zu bilden und eine internationale Verbindung zwischen ihnen herzustellen, überlassen wir die Initiative in dieser Frage
1 Im „Courrier international" ist hier folgender Absatz eingefügt: „Das Ständige Komitee, das in Wirklichkeit die Exekutive des Zentralrats darstellt, wird vom Kongreß gewählt; die Funktion jedes seiner Mitglieder wird jedoch vom Zentralrat bestimmt."
(etablissement des societes de secours mutuels. Appui moral et materiel accorde aux orphelins de l'association1) den Schweizern, die dies ursprünglich auf der Konferenz im September vorigen Jahres vorschlugen.
2. Internationale Vereinigung der Anstrengungen im Kampf zwischen Arbeit und Kapital mit Hilfe der Assoziation
(a) Vom allgemeinen Standpunkt umfaßt diese Frage die ganze Tätigkeit der Internationalen Assoziation, deren Ziel es ist, die bisher zerstreuten Anstrengungen der Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern für die Emanzipation zu vereinigen und zu verallgemeinern. (b) Eine der besonderen Funktionen, die unsere Assoziation bis jetzt mit Erfolg ausgeübt hat, ist der Widerstand gegen die Intrigen der Kapitalisten, die stets bereit sind, bei Arbeitseinstellungen und Aussperrungen die Arbeiter fremder Länder als Werkzeuge gegen die Arbeiter ihrer eigenen Länder zu mißbrauchen. Es ist eine der großen Aufgaben der Assoziation, zu erreichen, daß die Arbeiter der verschiedenen Länder sich nicht nur als Brüder und Kameraden der Emanzipationsarmee fühlen, sondern auch als solche handeln. (c) Ein großes „internationales Werk", das wir vorschlagen, ist die statistische Untersuchung der Lage der arbeitenden Klasse aller Länder, unternommen von der Arbeiterklasse selbst. Um erfolgreich zu wirken, muß man das Material kennen, worauf man wirken will. Durch die Initiative eines so großen Werks beweisen die Arbeiter zudem ihre Fähigkeit, ihr Geschick in die eigenen Hände zu nehmen. Wir schlagen daher vor: An jedem Ort, wo ein Zweig unserer Gesellschaft besteht, wird das Werk sofort begonnen und Material über die verschiedenen Punkte des angeführten Untersuchungsplanes gesammelt. Der Kongreß ladet alle Arbeiter Europas und der Vereinigten Staaten Amerikas ein, für die Zusammentragung der Elemente einer Statistik der Arbeiterklasse mitzuwirken und ihre Berichte nebst Beweismaterial dem Zentralrat einzusenden. Der Zentralrat hat sie in einen Gesamtbericht zu verarbeiten, dem er das Beweismaterial als Anhang zufügt. Dieser Bericht nebst Anhang ist dem nächsten Jahreskongreß vorzulegen und nach dessen Genehmigung auf Kosten der Assoziation zu drucken.
1 Gründung von Gesellschaften der gegenseitigen Hilfe. Moralische und materielle Unterstützung für Waisen von Mitgliedern der Assoziation
Allgemeines Untersuchungschema, welches, wie sich Von selbst versteht, je nach Umständen zu verändern und zu ergänzen ist 1. Gewerk, Name. 2. Alter und Geschlecht der Arbeiter. 3. Zahl der beschäftigten Arbeiter. 4. Löhne: (a) Lehrlinge und Gehilfen; (b) Tagelohn oder Stücklohn; von Zwischenunternehmern gezahlte Löhne. Wöchentlicher und jährlicher Durchschnitt. 5. (a) Arbeitsstunden in Fabriken, (b) Arbeitsstunden bei kleinen Meistern und in der Hausarbeit, falls das Gewerbe in diesen verschiedenen Weisen betrieben wird. (c) Nacht- und Tagesarbeit. 6. Mahlzeitstunden und Behandlung. 7. Beschaffenheit der Werkstätten und der Arbeit: Überfüllung, mangelhafte Ventilation, Mangel an Tageslicht, Gasbeleuchtung, Reinlichkeit etc. 8. Art der Beschäftigung. 9. Wirkung der Arbeit auf den Körperzustand. 10. Moralitätszustand. Erziehung. 11. Charakter des Geschäfts: ob mehr oder weniger gleichförmig für das ganze Jahr oder an gewisse Jahreszeiten gebunden, ob großen Schwankungen ausgesetzt, ob fremder Konkurrenz unterworfen, ob hauptsächlich für ^An innövnr» A^ÖV onpTAraVfinr/ar» TV/TQVI^4- ovk/si+nn/l [137] UCll ilill^l^ll VUUl UUO TTUJ, llgVIJl XTiUint. Ul UVUWl^ ^rl^o
3. Beschränkung des Arbeitstages
Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstages für eine Vorbedingung, ohne welche alle anderen Bestrebungen nach Verbesserung und Emanzipation scheitern müssen. Sie ist erheischt, um die Gesundheit und körperliche Energie der Arbeiterklasse, d.h. der großen Masse einer jeden Nation, wiederherzustellen und ihr die Möglichkeit geistiger Entwicklung, gesellschaftlichen Verkehrs und sozialer und politischer Tätigkeit zu sichern. Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als gesetzliche Schranke des Arbeitstages vor. Diese Beschränkung wird bereits allgemein verlangt von den Arbeitern der Vereinigten Staaten Amerikas11381, und der Beschluß des Kongresses wird sie zur allgemeinen Forderung der Arbeiterklasse der gesamten Welt erheben. Zur Information der Mitglieder auf dem Kontinent, deren Erfahrungen auf dem Gebiete der Fabrikgesetzgebung relativ gering sind, fügen wir
hinzu, daß alle gesetzlichen Beschränkungen mißlingen und vom Kapital durchbrochen werden, wenn nicht die Tageszeit bestimmt wird, in die die 8 Arbeitsstunden zu fallen haben. Die Länge dieser Zeit sollte bestimmt sein durch die 8 Arbeitsstunden und die zusätzlichen Pausen für Mahlzeiten. Wenn z.B. die verschiedenen Unterbrechungen für Mahlzeiten eine Stunde betragen, so muß die gesetzlich festgelegte Tageszeit auf 9 Stunden festgesetzt werden, sage von 7 Uhr morgens bis 4 Uhr abends oder von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr abends etc. Nachtarbeit ist nur ausnahmsweise zu gestatten in Gewerben oder Gewerbszweigen, die vom Gesetz genau bezeichnet sind. Die Tendenz muß dahin gehen, jede Nachtarbeit abzuschaffen. Dieser Paragraph bezieht sich nur auf erwachsene Personen, Männer und Frauen; letztere sind jedoch aufs strengste von jeglicher Nachtarbeit auszuschließen, ebenso von jeder Arbeit, die für den empfindlicheren weiblichen Organismus schädlich ist oder den Körper giftigen oder anderen schädlichen Einwirkungen aussetzt. Unter erwachsenen Personen verstehen wir alle, die das 18. Lebensjahr erreicht oder überschritten haben.
4. Arbeit von Jugendlichen und Kindern (beiderlei Geschlechts)
Wir betrachten die Tendenz der modernen Industrie, Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts zur Mitwirkung an dem großen Werk der gesellschaftlichen Produktion heranzuziehen, als eine fortschrittliche, gesunde und berechtigte Tendenz, obgleich die Art und Weise, auf welche diese Tendenz unter der Kapitalherrschaft verwirklicht wird, eine abscheuliche ist. In einem rationellen Zustand der Gesellschaft sollte jedes Kind vom 9. Jahre an ein produktiver Arbeiter werden, ebenso wie kein arbeitsfähiger Erwachsener von dem allgemeinen Naturgesetz ausgenommen sein sollte, nämlich zu arbeiten, um essen zu können, und zu arbeiten nicht bloß mit dem Hirn, sondern auch mit den Händen. Für den Augenblick haben wir uns jedoch nur mit den Kindern und jungen Personen der Arbeiterklasse zu befassen. Aus physischen Gründen halten wir es für notwendig, daß die Kinder und jungen Personen beiderlei Geschlechts in drei Gruppen eingeteilt werden, die unterschiedlich behandelt werden müssen. Die erste Gruppe soll das Alter von 9 bis 12 Jahren umfassen, die zweite das von 13 bis 15 Jahren und die dritte das von 16 und 17 Jahren. Wir schlagen vor, daß die Beschäftigung der ersten Gruppe in irgendeiner Werkstätte oder mit häus
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
licher Arbeit gesetzlich auf zwei Stunden beschränkt wird, die der zweiten auf vier und die der dritten auf sechs Stunden. Für die dritte Gruppe muß eine Unterbrechung von wenigstens einer Stunde für Mahlzeiten oder Erholung gegeben werden. Es wäre wünschenswert, mit dem Elementarunterricht vor dem Alter von 9 Jahren zu beginnen; doch wir beschäftigen uns hier nur mit dem unerläßlichsten Gegengift gegen die Tendenzen eines gesellschaftlichen Systems, das den Arbeiter herabwürdigt zu einem bloßen Instrument für die Akkumulation von Kapital und die Eltern durch ihre Not zu Sklavenhaltern, zu Verkäufern ihrer eigenen Kinder macht. Das Recht der Kinder und Jugendlichen muß geschützt werden. Sie sind nicht imstande, für sich selbst zu handeln. Es ist deshalb die Pflicht der Gesellschaft, für sie einzutreten. Wenn die Bourgeoisie und Aristokratie ihre Pflichten gegenüber ihren Abkömmlingen vernachlässigen, so ist es ihre eigene Schuld. Das Kind, das die Vorrechte dieser Klassen genießt, ist verurteilt, auch unter ihren Vorurteilen zu leiden. Mit der Arbeiterklasse steht es ganz anders. Der einzelne Arbeiter ist nicht frei in seinen Handlungen. In zu vielen Fällen ist er sogar zu unwissend, die wahren Interessen seines Kindes oder die normalen Bedingungen der menschlichen Entwicklung zu verstehen. Der aufgeklärtere Teil der 1,1 u u t j„n t^i i ^TDeiterKlasse DcgiciiL jcuui.ii 3UU gm, uau «-UC £-.UK.L«llL seiner ruasse una damit die Zukunft der Menschheit völlig von der Erziehung der heranwachsenden Arbeitergeneration abhängt. Er weiß, daß vor allem andern die Kinder und jugendlichen Arbeiter vor den verderblichen Folgen des gegenwärtigen Systems bewahrt werden müssen. Das kann nur erreicht werden durch die Verwandlung gesellschaftlicher Einsicht in gesellschaftliche Gewalt, und unter den gegebenen Umständen kann das nur durch allgemeine Gesetze geschehen, durchgesetzt durch die Staatsgewalt. Bei der Durchsetzung solcher Gesetze stärkt die Arbeiterklasse keineswegs die Macht der Regierung. Im Gegenteil, sie verwandelt jene Macht, die jetzt gegen sie gebraucht wird, in ihre eigenen Diener. Sie erreicht durch einen allgemeinen Gesetzesakt, was sie durch eine Vielzahl isolierter individueller Anstrengungen vergeblich erstreben würde. Von diesem Standpunkt ausgehend, erklären wir, daß es weder Eltern noch Unternehmern gestattet werden darf, die Arbeit von jungen Personen anzuwenden, es sei denn, sie ist mit Erziehung verbunden. Unter Erziehung verstehen wir drei Dinge: Erstens: Geistige Erziehung.
Zweitens: Körperliche Erziehung, wie sie in den gymnastischen Schulen und durch militärische Übungen gegeben wird. Drittens: Polytechnische Ausbildung, die die allgemeinen Prinzipien aller Produktionsprozesse vermittelt und gleichzeitig das Kind und die junge Person einweiht in den praktischen Gebrauch und die Handhabung der elementaren Instrumente aller Arbeitszweige. Der Einteilung der jugendlichen Arbeiter sollte ein stufenweise fortschreitender Kursus der geistigen, gymnastischen und polytechnischen Ausbildung angepaßt sein. Die Kosten für die polytechnischen Schulen sollten teilweise durch den Verkauf ihrer Produkte gedeckt werden. Die Verbindung von bezahlter produktiver Arbeit, geistiger Erziehung, körperlicher Übung und polytechnischer Ausbildung wird die Arbeiterklasse weit über das Niveau der Aristokratie und Bourgeoisie erheben. Es ist selbstverständlich, daß die Beschäftigung aller Personen vom 9. bis (einschließlich) 17. Jahre des Nachts und in allen gesundheitsschädlichen Gewerben durch Gesetze streng verboten werden muß.
5. Kooperativarbeit
Es ist Aufgabe der Internationalen Arbeiterassoziation, die spontanen Bewegungen der Arbeiterklasse zu vereinigen und zu verallgemeinern, doch nicht, ihnen irgendein doktrinäres System zu diktieren oder aufzudrängen. Der Kongreß sollte deshalb kein besonderes System der Kooperation verkünden, sondern sich auf die Darlegung einiger allgemeiner Prinzipien beschränken. (a) Wir anerkennen die Kooperativbewegung als eine der Triebkräfte zur Umwandlung der gegenwärtigen Gesellschaft, die auf Klassengegensätzen beruht. Ihr großes Verdienst besteht darin, praktisch zu zeigen, daß das bestehende despotische und Armut hervorbringende System der Unterjochung der Arbeit unter das Kapital verdrängt werden kann durch das republikanische und segensreiche System der Assoziation von freien und gleichen Produzenten. (b) Aber das Kooperativsystem, beschränkt auf die zwerghaften Formen, die einzelne Lohnsklaven durch ihre privaten Anstrengungen entwickeln können, ist niemals imstande, die kapitalistische Gesellschaft umzugestalten. Um die gesellschaftliche Produktion in ein umfassendes und harmonisches System freier Kooperativarbeit zu verwandeln, bedarf es allgemeiner gesellschaftlicher Veränderungen, Veränderungen der allgemeinen Bedingungen
der Gesellschaft, die nur verwirklicht werden können durch den Übergang der organisierten Gewalt der Gesellschaft, d.h. der Staatsmacht, aus den Händen der Kapitalisten und Grundbesitzer in die Hände der Produzenten selbst. (c) Wir empfehlen den Arbeitern, sich eher mit Produktivgenossenschaften als mit Konsumgenossenschaften zu befassen. Die letzteren be„»i Jru A----L- 1 i! «i c * v i umcii nui uic wueiiiaciie ucs iieuiigen uKuiiuiiuscucii oysiems, die erstem greifen es in seinen Grundfesten an. (d) Wir empfehlen allen Kooperativgesellschaften, einen Teil ihres Gesamteinkommens in einen Fonds zu verwandeln zur Propagierung ihrer Prinzipien durch Wort und Tat, mit anderen Worten, durch Förderung der Errichtung von neuen Produktivgenossenschaften sowie durch Verbreitung ihrer Lehren. (e) Um zu verhindern, daß Kooperativgesellschaften zu gewöhnlichen bürgerlichen Aktiengesellschaften (societes par actions) entarten, sollten alle Arbeiter, die in ihnen beschäftigt sind, ob Aktieninhaber oder nicht, gleiche Anteile vom Gewinn erhalten. Wir sind willens zuzugeben, daß die Aktieninhaber als eine nur zeitweilige Maßnahme Zinsen zu einem niedrigen Prozentsatz erhalten.
6. Gewerksgenossenschaften' Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
(a) Ihre Vergangenheit. Das Kapital ist konzentrierte gesellschaftliche Macht, während der Arbeiter nur über seine Arbeitskraft verfügt. Der Kontrakt zwischen Kapital und Arbeit kann deshalb niemals auf gerechten Bedingungen beruhen, gerecht nicht einmal im Sinne einer Gesellschaft, die das Eigentum an den materiellen Mitteln des Lebens und der Arbeit der lebendigen Produktivkraft gegenüberstellt. Die einzige gesellschaftliche Macht der Arbeiter ist ihre Zahl. Die Macht der Zahl wird jedoch durch Uneinigkeit gebrochen. Die Uneinigkeit der Arbeiter wird erzeugt und erhalten durch ihre unvermeidliche Konkurrenz untereinander. Gewerksgenossenschaften entstanden ursprünglich durch die spontanen Versuche der Arbeiter, diese Konkurrenz zu beseitigen oder wenigstens einzuschränken, um Kontraktbedingungen zu erzwingen, die sie wenigstens über die Stellung bloßer Sklaven erheben würden. Das unmittelbare Ziel der Gewerksgenossenschaften beschränkte sich daher auf die Erfor
dernisse des Tages, auf Mittel zur Abwehr der ständigen Übergriffe des Kapitals, mit einem Wort, auf Fragen des Lohns und der Arbeitszeit. Diese Tätigkeit der Gewerksgenossenschaften ist nicht nur rechtmäßig, sie ist notwendig. Man kann ihrer nicht entraten, solange die heutige Produktionsweise besteht. Im Gegenteil, sie muß verallgemeinert werden durch die Gründung und Zusammenfassung von Gewerksgenossenschaften in allen Ländern. Auf der anderen Seite sind die Gewerksgenossenschaften, ohne daß sie sich dessen bewußt wurden, zu Organisationszentren der Arbeiterklasse geworden, wie es die mittelalterlichen Munizipalitäten und Gemeinden für das Bürgertum waren. Wenn die Gewerksgenossenschaften notwendig sind für den Guerillakrieg zwischen Kapital und Arbeit, so sind sie noch weit wichtiger als organisierte Kraft zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalherrschaft selbst. (b) Ihre Gegenwart. Die Gewerksgenossenschaften haben sich bisher zu ausschließlich mit dem lokalen und unmittelbaren Kampf gegen das Kapital beschäftigt und haben noch nicht völlig begriffen, welche Kraft sie im Kampf gegen das System der Lohnsklaverei selbst darstellen. Sie haben sich deshalb zu fern von allgemeinen sozialen und politischen Bewegungen gehalten. In letzter Zeit scheinen sie jedoch zum Bewußtsein ihrer großen historischen. Mission zu erwachen, wie man schließen kann z.B. aus ihrer Beteiligung an der jüngsten politischen Bewegung in England11391, aus der höheren Auffassung ihrer Funktion in den Vereinigten Staatent1401 und auch aus folgendem Beschluß der großen Konferenz der Delegierten der Trade-Unions, die kürzlich in Sheffield stattfand:
„Diese Konferenz würdigt voll und ganz die Anstrengungen der Internationalen Assoziation, die Arbeiter aller Länder in einem gemeinsamen Bruderbund zu vereinen, und empfiehlt den verschiedenen, hier vertretenen Gesellschaften eindringlich, in diese Assoziation einzutreten, in der Überzeugung, daß sie notwendig ist für den Fortschritt und das Gedeihen der ganzen Arbeiterschaft." t141] (c) Ihre Zukunft. Abgesehen von ihren ursprünglichen Zwecken müssen sie jetzt lernen, bewußt als organisierende Zentren der Arbeiterklasse zu handeln, im großen Interesse ihrer vollständigen Emanzipation. Sie müssen jede soziale und politische Bewegung unterstützen, die diese Richtung einschlägt. Wenn sie sich selbst als Vorkämpfer und Vertreter der ganzen Arbeiterklasse betrachten und danach handeln, muß es ihnen gelingen, die Außenstehenden in ihre Reihen zu ziehen. Sie müssen sich sorgfältig um die Interessen der
am schlechtesten bezahlten Gewerbe kümmern, z.B. der Landarbeiter, die durch besonders ungünstige Umstände ohnmächtig sind1. Sie müssen die ganze Welt zur Uberzeugung bringen, daß ihre Bestrebungen, weit entfernt, begrenzte und selbstsüchtige zu sein, auf die Emanzipation der unterdrückten Millionen gerichtet sind.
7. Direkte und indirekte Steuern
(a) Keine Änderung der Form der Besteuerung kann zu einer wesentlichen Veränderung in den Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital führen. (b) Wenn man nichtsdestoweniger zwischen zwei Steuersystemen zu wählen hat, empfehlen wir die völlige Abschaffung der indirekten Steuern und ihre allgemeine Ersetzung durch direkte Steuern; weil indirekte Steuern die Warenpreise erhöhen, schlagen die Händler auf diese Preise nicht nur den Betrag der indirekten Steuer auf, sondern auch die Zinsen und den Profit auf das von ihnen vorgeschossene Kapital; weil indirekte Steuern dem einzelnen verbergen, was er an den Staat zahlt, während eine direkte Steuer unverhüllt und einfach ist und auch vom Ungebildetsten verstanden werden kann. Die direkte Steuer regt deshalb jeden dazu an3 die Regierung zu kontrolli€ jede Tendenz zur Selbstverwaltung zerstört.
8. Internationaler Kredit
Die Initiative dazu soll man den Franzosen überlassen.
9. Die polnische Frage2
1 YA7*» I
(a) Warum greifen die Arbeiter Europas diese Frage auf? Erstens, weil die Schreiber und Agitatoren der Bourgeoisie übereingekommen sind, sie totzuschweigen, obgleich sie alle Arten von Nationalitäten auf dem Kontinent in Schutz nehmen, selbst Irland. Woher dieses Stillschweigen? Weil
1 Im „Courrier international": außerstande sind zu organisiertem Widerstand - 2 im „Courrier international": Die Notwendigkeit der Beseitigung des russischen Einflusses in Europa durch Verwirklichung des Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung und die Wiederherstellung Polens auf demokratischer und sozialer Grundlage
sowohl Aristokraten als auch Bourgeois die finstere asiatische Macht im Hintergrund als eine letzte Zuflucht gegen das Vorschreiten der Arbeiterklasse betrachten. Diese Macht kann nur wirklich gebrochen werden durch die Wiederherstellung Polens auf demokratischer Grundlage. (b) Bei der gegenwärtigen veränderten Lage in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland, ist es mehr denn je nötig, ein demokratisches Polen zu haben. Ohne dieses wird Deutschland zum Vorposten der Heiligen Allianz werden, mit ihm ein Verbündeter des republikanischen Frankreichs. Die Arbeiterbewegung wird ständig gestört, gehemmt und verzögert werden, solange diese große europäische Frage ungelöst bleibt. (c) Es ist speziell die Pflicht der deutschen Arbeiterklasse, die Initiative in dieser Frage zu ergreifen, weil Deutschland ein Mitschuldiger an den Teilungen Polens ist.
10. Die Armeen1
(a) Der verderbliche Einfluß von großen stehenden Heeren auf die Produktion ist auf bürgerlichen Kongressen aller Arten, auf Friedenskongressen, ökonomischen Kongressen, statistischen Kongressen, philanthropischen Kongressen und soziologischen Kongressen, zur Genüge dargelegt worden. Wir halten es daher für überflüssig, uns über diesen Punkt zu verbreiten. (b) Wir schlagen allgemeine Volksbewaffnung und allgemeine Ausbildung im Waffengebrauch vor. (c) Wir stimmen, als einer vorübergehenden Notwendigkeit, kleinen stehenden Heeren zu, die als Schulen für Offiziere der Miliz dienen; jeder männliche Bürger soll auf kurze Zeit in diesen Armeen dienen.
11. Die religiöse Frage2
Die Initiative dazu soll man den Franzosen überlassen.
Geschrieben Ende August 1866. Aus dem Englischen.
1 Im „Courrier international": Stehende Heere und ihre Beziehungen zur .Produktion - 2 im „Courrier international": Religiöse Ideen; ihr Einfluß auf die soziale, politische und intellektuelle Entwicklung
Karl Marx
[Rede auf dem Polenmeeting in London am 22. Januar 18671'421]
[„Glos Wolny" Nr. 130 vom 10. Februar 1867]
Meine Damen und Herren!1 Vor mehr als dreißig Jahren brach in Frankreich eine Revolution aus. Das war ein von der St. Petersburger Vorsehung nicht vorausgesehenes Ereignis, hatte diese doch kurz zuvor erst einen Geheimvertrag mit Karl X. abgeschlossen, um die Verwaltung und geographische Ordnung Europas zu verbessern. Nach Eingang dieser Nachricht, die alle Pläne durchkreuzte, rief Zar Nikolaus die Offiziere seiner Garde zusammen und hielt eine kurze kriegerische Ansprache an sie, die mit den Worten endete: Zu Pferd, meine Herren! Das war keine leere Drohung. Paskewitsch wurde nach Berlin geschickt, um dort den Plan für den Einfall in Frankreich vorzubereiten. Innerhalb weniger Monate war alles bereit. Die Preußen sollten sich am Rhein konzentrieren, die polnische Armee sollte in Preußen einmarschieren, und die Moskowitertl43] sollten ihnen folgen. Aber dann „wandte sich die Vorhut gegen die Hauptarmee", wie Lafayette in der französischen Deputiertenkammer sagte. Der Aufstand in Warschau rettete Europa vor einem zweiten Antijakobinerkrieg. Achtzehn Jahre später erfolgte ein neuer revolutionärer Vulkanausbruch oder vielmehr ein Erdbeben, das den ganzen Kontinent erschütterte. Selbst Deutschland begann sich zu rühren, obwohl es von Rußland seit dem sogenannten Unabhängigkeitskriege ständig an der mütterlichen Leine gehalten wurde. Noch erstaunlicher aber ist, daß von allen deutschen Städten Wien als erste den Versuch unternahm, Barrikaden zu errichten, und das
1 „Glos Wolny" schickt der Rede von Marx folgende Worte voraus: „Zu Beginn unterbreitete Dr. Marx, ein Deutscher, eine kurze, doch äußerst bedeutungsvolle Resolution: .Ohne Unabhängigkeit Polens kann keine Freiheit in Europa etabliert werden.'"
mit Erfolg. Diesmal, und wohl zum erstenmal in der Geschichte, verlor Rußland die Fassung. Zar Nikolaus wandte sich nicht mehr an die Garde, sondern veröffentlichte ein Manifest an sein Volk, worin er beklagte, daß die französische Pest sogar Deutschland angesteckt habe, daß sie sich den Grenzen des Kaiserreichs nähere und daß die Revolution in ihrem Wahnsinn ihre Fieberblicke auf die Heilige Rus richte. Kein Wunder! rief er. Ist doch dieses gleiche Deutschland seit Jahren der Hort des Unglaubens. Das Krebsgeschwür einer schändlichen Philosophie hat die lebenskräftigen Teile dieses dem Scheine nach so gesunden Volkes befallen. Und er beendete seinen Aufruf mit folgendem Appell an die Deutschen: „Gott ist mit uns! Bedenkt das wohl, ihr Heiden, und unterwerft euch, denn Gott ist mit uns!" Kurz darauf ließ er durch seinen treuen Diener Nesselrode den Deutschen eine weitere Botschaft zukommen, die von Zärtlichkeit für dieses heidnische Volk triefte.tl44] Weshalb diese Wendung? Nun, die Berliner hatten nicht allein eine Revolution gemacht, sondern auch die Wiederherstellung Polens proklamiert, und die preußischen Polen, von der Begeisterung des Volkes geblendet, begannen, in Posen Militärlager zu errichten. Daher die Schmeicheleien des Zaren. Wieder war es das polnische Volk, der unsterbliche Ritter Europas, das den Mongolen zum Rückzug gezwungen hatte! Erst nach dem Verrat der Deutschen, besonders der Frankfurter Nationalversammlung, an den Polen, kam Rußland wieder zu Atem und sammelte genügend Kraft, um der Revolution von 1848 in ihrem letzten Zufluchtsort, in Ungarn, einen Schlag zu versetzen. Und selbst dort war der letzte Ritter, der sich ihm entgegenstellte, ein Pole - General Bern. Es gibt heute noch genügend naive Menschen, die glauben, daß sich alles geändert habe, daß Polen aufgehört habe, „eine notwendige Nation" zu sein, wie es ein französischer Schriftsteller ausdrückte, ja, daß Polen nur noch eine sentimentale Erinnerung sei. Sie wissen aber, daß weder Gefühle noch Erinnerungen an der Börse gehandelt werden. Als in England die letzten russischen Ukase über die Aufhebung des Königreichs Polen bekannt wurden, riet das Organ der führenden Geldsäcke den Polen, Moskowiter zu werdentl45J. Warum sollten sie auch nicht, und sei es nur, um die Auszahlung der Zinsen für die sechs Millionen Pfd. St. zu sichern, die die englischen Kapitalisten dem Zaren gerade erst bewilligt hatten! Soll Rußland schlimmstenfalls doch Konstantinopel nehmen, schrieb die „Times", wenn es England nur erlaubt, sich Ägyptens zu bemächtigen und den Weg
zu seinem großen indischen Markt zu sichern! Mit anderen Worten: Möge England Rußland doch Konstantinopel überlassen, wenn es nur von Rußland die Erlaubnis erhalte, Frankreich Ägypten streitig zu machen. Der Moskowit, schreibt die „Times", nimmt gern Anleihen bei England auf und zahlt gut. Er liebt englisches Geld. Er liebt es in der Tat. Wie sehr er jedoch die Engländer selbst liebt, schildert Ihnen am besten die „Gazette de Moscou"[14ßJ vom Dezember 1851: „Nein, das perfide Albion muß endlich an die Reihe kommen, und in einiger Zeit werden wir mit diesem Volk einen Vertrag nur noch in Kalkutta abschließen." Ich frage Sie, was hat sich geändert? Ist die Gefahr von Seiten Rußlands geringer geworden? Nein. Nur die Verblendung der herrschenden Klassen in Europa hat den Gipfel erreicht. Vor allem hat sich in Rußlands Politik, wie sein offizieller Historiker Karamsin eingesteht, nichts geändert. Ihre Methoden, ihre Taktik, ihre Manöver können sich ändern, doch der Leitstern dieser Politik - die Weltherrschaft - ist unveränderlich. Nur eine durchtriebene Regierung, die über eine Masse von Barbaren herrscht, kann in der heutigen Zeit einen solchen Plan aushecken. Pozzo di Borgo, der größte russische Diplomat der Neuzeit, schrieb Alexander I. während des Wiener Kongresses, Polen sei das wichtigste Werkzeug zur Ausführung der russischen Absichten auf die Weltherrschaft: es ist aber zugleich ein unüberwindliches Hindernis, solange der Pole nicht, ermüdet von dem nicht endenden Verrat Europas, zu einer furchtbaren Peitsche in der Hand des Moskowiters wird. Nun, ohne von der Stimmung des polnischen Volkes zu sprechen, frage ich: Ist etwas geschehen, das Rußlands Pläne durchkreuzt oder seine Handlungen paralysiert hätte? Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß seine Eroberungen in Asien ständig Fortschritte machen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß der sogenannte englisch-französische Krieg gegen Rußland diesem die Bergfestungen des Kaukasus ausgeliefert hat, ihm die Herrschaft über das Schwarze Meer und die Seerechte gebracht hat, die Katharina II., Paul und Alexander I. England vergeblich zu entreißen versucht hatten. Eisenbahnen vereinigen und konzentrieren seine über ein weites Gebiet zerstreuten Kräfte. Seine materiellen Ressourcen in Kongreßpolen11473, das sein befestigtes Lager in Europa bildet, haben sich kolossal vermehrt. Die Festungen Warschau, Modlin, Iwangorod, von Napoleon I. ausgewählte Punkte, beherrschen den ganzen Lauf der Weichsel und bilden eine furchtbare Angriffsbasis gegen Norden, Westen und Süden. Die panslawistische Propaganda macht in dem gleichen Maße Fortschritte, wie Osterreich und
die Türkei geschwächt werden. Und was die panslawistische Propaganda bedeutet, konnten Sie 1848/49 sehen, als Ungarn überfallen, Wien verheert und Italien zermalmt wurde von den Slawen, die unter den Fahnen von Jellachich, Windischgrätz und Radetzky kämpften. Und damit nicht genug, haben Englands Verbrechen an Irland Rußland einen neuen mächtigen Verbündeten jenseits des Atlantik geschaffen. Peter I. sagte einmal, daß, um die Welt zu erobern, den Moskowitern nichts fehle als Seelen.1 Den belebenden Geist, den Moskau braucht, wird es erst nach dem Verschlingen der Polen empfangen. Was werden dann Sie in die Waagschale zu werfen haben? Auf diese Frage antwortet man von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Die einen sagen, daß Rußland durch die Bauernbefreiung nun zur Familie der zivilisierten Völker gehöre. Die deutsche Macht, kürzlich in den Händen der Preußen konzentriert, könne, so behaupten die anderen, allen asiatischen Angriffen trotzen. Einige andere, Radikalere, setzen ihre Hoffnung auf die inneren sozialen Umgestaltungen Westeuropas.2 Was nun das erstere betrifft, d.h. die Befreiung der leibeigenen Bauern in Rußland, so hat diese die oberste Regierungsgewalt von den Hindernissen befreit, die der Adel ihrer zentralisierenden Tätigkeit in den Weg legen konnte. Sie schuf ein weites Feld für die Rekrutierung ihrer Armee, löste das Gemeineigentum der russischen Bauern auf, trennte sie und festigte ihren Glauben an Väterchen Zar. Sie hat sie nicht von der asiatischen Barbarei frei gemacht, denn Zivilisation bildet sich in Jahrhunderten heraus. Jeder Versuch, das moralische Niveau der Bauern zu heben, gilt als Verbrechen und wird bestraft. Ich erinnere Sie nur an die offiziellen Verfolgungen der Mäßigkeitsvereine, die den Moskowiter von dem zu erretten trachteten, was Feuerbach die materielle Substanz seiner Religion nennt, d.h. vom Branntwein. Was immer man von der Bauernbefreiung für die
1 In „Le Socialisme" lautet dieser Satz: „Der Plan der russischen Politik bleibt unveränderlich; ihre Aktionsmittel sind seit 1848 beträchtlich gewachsen, nur eines blieb bis jetzt außerhalb ihrer Reichweite, und Peter der Große berührte diesen schwachen Punkt, als er sagte, daß, um die Welt zu erobern, den Moskowitern nichts fehle als Seelen." — 2 in „Le Socialisme" lautet der Schluß dieses Absatzes: „Ein kontinentaler Europäer wird mir vielleicht antworten, daß Rußland durch die Befreiung der Leibeigenen nun zur Familie der zivilisierten Völker gehöre, daß die deutsche Macht, kürzlich in den Händen der Preußen konzentriert, allen asiatischen Angriffen trotzen könne und daß schließlich die soziale Revolution in Westeuropa der Gefahr .internationaler Konflikte' ein Ende bereiten werde. Ein Engländer aber, der nur die .Times' liest, könnte mir erwidern, daß im schlimmsten Falle, wenn Rußland Konstantinopel erobere, England Ägypten annektieren und sich so den Weg zu seinem großen indischen Markt sichern werde."
Zukunft erwarten mag, vorläufig ist jedenfalls deutlich, daß sie die verfügbaren Kräfte des Zaren vergrößert hat. Kommen wir zu Preußen. Einst Vasall Polens, ist es unter dem Schutz Rußlands und durch die Teilung Polens zu einer Macht ersten Ranges geworden. Verlöre es morgen seine polnische Beute, so würde es in Deutschland aufgehen, statt dieses zu verschlucken. Um sich als gesonderte Macht in Deutschland behaupten zu können, muß es sich auf den Moskowiter stützen. Die jüngste Ausdehnung seiner Herrschaft hat diese Bande nicht etwa gelockert, sondern unlösbar gemacht und den Antagonismus gegen Frankreich und Österreich verstärkt. Gleichzeitig ist Rußland der Pfeiler, auf dem die unumschränkte Herrschaft der Hohenzollerndynastie und ihrer feudalen Vasallen ruht. Es ist ihr Schild gegen den Unwillen des Volkes. Preußen ist also kein Wall gegen Rußland, sondern dessen Werkzeug, das bestimmt ist für den Einfall in Frankreich und für die Eroberung Deutschlands. Und die soziale Revolution - was bedeutet sie anderes als Klassenkampf? Es ist möglich, daß der Kampf zwischen den Arbeitern und Kapitalisten weniger grausam und blutig sein wird als einst der Kampf zwischen den Feudalherren und den Kapitalisten in England und Frankreich. Wir wollen es hoffen. Jedenfalls aber wird eine solche soziale Krise, wenngleich sie die Energien der Völker des Westens steigern kann, wie jeder innere Konflikt auch eine Aggression von außen hervorrufen. Sie wird Rußland erneut jene Rolle spielen lassen, die es während des Antijakobinerkrieges und seit der Heiligen Allianz gespielt hat - die Rolle eines von der Vorsehung auserwählten Retters der Ordnung. Es wird alle privilegierten Klassen Europas für seine Reihen anwerben. Bereits während der Februarrevolution war es nicht allein der Graf Montalembert, der sein Ohr an die Erde legte, um zu hören, ob sich der Hufschlag der Kosakenpferde nähere[148]. Nicht allein die preußischen Krautjunker in den repräsentativen Körperschaften Deutschlands proklamierten den Zaren zum „Vater und Beschützer". An allen europäischen Börsen stiegen die Kurse bei jedem russischen Sieg und fielen bei jeder russischen Niederlage. So steht vor Europa nur eine Alternative: Entweder wird die asiatische Barbarei unter Führung der Moskowiter wie eine Lawine über Europa hereinbrechen, oder Europa muß Polen wiederherstellen und schützt sich so durch einen Wall von zwanzig Millionen Helden vor Asien, um Zeit zu gewinnen für die Vollendung seiner sozialen Umgestaltung. Geschrieben um den 22. Januar 1867. Aus dem Polnischen.
Karl Marx
[Berichtigung11491]
Ich ersuche die löbliche Redaktion der „Zeitung für Norddeutschland" um Aufnahme folgender Berichtigung.
Hochachtungsvoll Karl Marx
An die Redaktion der „Zeitung für Norddeutschland" Es scheint mir, daß die wahrscheinlich durch Versehen in Nr. 5522 Ihrer Zeitung geratene Notiz: „Der in London lebende Dr. Marx ... scheint dazu ausersehen zu sein, den Kontinent zu bereisen, um für die Angelegenheit" („die nächste Insurrektion" Polens) „Propaganda zu machen." ein, ich weiß nicht für welche „Angelegenheit", ausgehecktes Polizeifabrikat zu sein scheint.
London, 18. Februar 1867
Karl Marx
Nach der handschriftlichen Kopie von Ludwig Kugelmann.
Karl Marx
[Resolutionsentwurf über die Stellung der Internationalen Arbeiterassoziation zum Kongreß der Friedens- und Freiheitsliga11501]
Die Delegierten des Rats sollen angewiesen werden, nicht offiziell am Friedenskongreß teilzunehmen und auf dem Kongreß der Arbeiterassoziation jedem Antrag entgegenzutreten, der eine offizielle Teilnahme anstrebt.
Nach dem Protokollbuch. Aus dem Englischen.
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital'* für die „Zukunft"11511]
K. Marx. Das Kapital. Erster Band. Hamburg, Meißner, 1867. 784 Seiten, 8° Es ist eine für jeden Deutschen betrübende Tatsache, daß wir, das Volk der Denker, auf dem Gebiete der politischen Ökonomie bisher so wenig geleistet haben. Unsre Berühmtheiten auf diesem Fach sind günstigstenfalls Kompilatoren wie Rau und Roscher, und wo etwas Originelles geliefert wird, da haben wir Schutzzöllner wie List (der übrigens einen Franzosen abgeschrieben haben soll[152]) oder Sozialisten wie Rodbertus und Marx. Unsre korrekte politische Ökonomie scheint es sich wirklich zur Aufgabe gestellt zu haben, jeden, der es mit der ökonomischen Wissenschaft ernstlich meint, dem Sozialismus in die Arme zu treiben. Haben wir es doch erlebt, daß die ganze offizielle Ökonomie es gewagt hat, einem Lassalle gegenüber das altbekannte und anerkannte Gesetz über die Bestimmung des Arbeitslohnes zu verleugnen, und daß es einem Lassalle überlassen blieb, Leute wie Ricardo gegen Schulze-Delitzsch u.a. in Schutz zu nehmen! Es ist leider wahr, nicht einmal mit Lassalle konnten sie wissenschaftlich fertig werden und mußten - welche Anerkennung auch immer ihre praktischen Bestrebungen verdienen mochten - den Vorwurf auf sich sitzen lassen, ihre ganze Wissenschaft bestehe in der Verwässerung der alle Gegensätze und Schwierigkeiten vertuschenden Harmonien eines Bastiat. Bastiat als Autorität und Ricardo verleugnet - das ist unsre offizielle Ökonomie heutzutage in Deutschland! Aber freilich, wie soll es anders sein? Die Ökonomie ist leider bei uns ein Feld, für das sich niemand wissenschaftlich interessiert, sie ist entweder ein Stück Brotstudium fürs kameralistische Examen oder ein möglichst oberflächlich zu erlernendes Hülfsmittel für die politische Agitation. Ob unsre staatliche Zersplitterung, unsre leider noch so wenig entwickelte Industrie oder unsre, in dieser Branche der Wissenschaft herkömmliche Abhängigkeit vom Ausland daran schuld sind?
Unter diesen Umständen ist es immer erfreulich, ein Buch in die Hand zu bekommen wie das obige, worin der Verfasser, während er die jetzt kursierende verwässerte oder, wie er sie recht treffend nennt, „Vulgärökonomie" mit Entrüstung auf ihre klassischen Vorbilder bis Ricardo und Sismondi zurückverweist, sich auch den Klassikern gegenüber zwar kritisch verhält, aber doch stets den Gang streng wissenschaftlicher Untersuchung beizubehalten strebt. Die früheren Schriften von Marx, namentlich die im Jahre 1859 bei Duncker in Berlin erschienene über das Geldwesen11531, zeichneten sich schon durch einen streng wissenschaftlichen Geist ebensosehr aus wie durch rücksichtslose Kritik, und unsres Wissens hat unsre ganze offizielle Ökonomie bisher nichts dagegen vorgebracht. Wenn sie aber schon mit der damaligen Schrift nicht fertig wurde, wie wird es ihr jetzt bei diesen 49 Bogen über das Kapital ergehen? Man verstehe uns recht. Wir sagen nicht, daß sich gegen die Deduktionen dieses Buches nichts einwenden ließe, daß Marx seine Beweise vollständig erbracht habe; wir sagen bloß: Wir glauben nicht, daß sich unter unsern sämtlichen Ökonomen einer finden werde, der imstande ist, sie zu widerlegen. Die Untersuchungen, die in diesem Buche geführt werden, sind von der höchsten wissenschaftlichen Feinheit. Wir berufen uns vor allem auf die künstlerische, dialektische Anlage des Ganzen, auf die Weise, wie in dem Begriff der Ware bereits das Geld als an sich existierend dargestellt, wie aus dem Geld das Kapital entwickelt wird. Wir bekennen, daß wir die neu eingeführte Kategorie des Mehrwerts für einen Fortschritt halten; daß wir nicht einsehen, was sich dagegen sagen läßt, wenn behauptet wird, nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft erscheine als Ware auf dem Markte; daß wir die Berichtigung zum Ricardoschen Gesetz über die Rate des Profits (daß statt Profit gesetzt werden müsse: Mehrwert) für ganz in der Ordnung ansehen. Wir müssen gestehen, daß der historische Sinn, der durch das ganze Buch geht und der es dem Verfasser verbietet, die ökonomischen Gesetze für ewige Wahrheiten, für etwas anderes anzusehen als die Formulierung der Existenzbedingungen gewisser vorübergehender Gesellschaftszustände, uns sehr angesprochen hat; daß die Gelehrsamkeit und der Scharfsinn, mit dem hierbei die verschiedenen geschichtlichen Gesellschaftszustände und ihre Existenzbedingungen dargestellt sind, auf Seiten unsrer offiziellen Ökonomen leider vergebens gesucht werden dürften. Gntersuchungen wie die über die ökonomischen Bedingungen und Gesetze der Sklaverei, der verschiedenen Formen der Leibeigenschaft und Hörigkeit und über die Entstehung >der freien Arbeiter sind unsern Fachökonomen bisher ganz fremd geblieben.',Wir möchten ebenfalls gerne die Meinung dieser Herren über
die uns hier gegebenen Entwicklungen über Kooperation, Teilung der Arbeit und Manufaktur, Maschinerie und große Industrie in ihren historischen und ökonomischen Zusammenhängen und Wirkungen hören, sie können hier jedenfalls manches Neue lernen. Und was werden sie namentlich zu der allen hergebrachten Theorien der freien Konkurrenz ins Gesicht schlagenden und nichtsdestoweniger hier aus offiziellem Material nachgewiesenen Tatsache sagen, daß in England, im Vaterland der freien Konkurrenz, jetzt fast kein Arbeitszweig mehr besteht, dem nicht durch Staatseingriffe die tägliche Arbeitszeit streng vorgeschrieben ist und dem nicht der Fabrikinspektor aufpaßt? Und daß dennoch, im Maß wie die Arbeitszeit beschränkt wird, nicht nur die einzelnen Industriezweige sich heben, sondern auch der einzelne Arbeiter in der kürzeren Zeit mehr Pror dukt liefert als früher in der längeren? Es ist leider nicht zu leugnen, daß der besonders herbe Ton, den der Verfasser gegen die offiziellen deutschen Ökonomen anschlägt, nicht ungerechtfertigtist. Sie alle gehören mehr oder weniger zur „Vulgärökonomie", sie haben der Popularität des Tages zuliebe ihre Wissenschaft prostituiert und deren klassische Koryphäen verleugnet. Sie sprechen von „Harmonien" und treiben sich in den banalsten Widersprüchen herum. Möge die harte Lektion, die ihnen dies Buch erteilt, dazu dienen, sie aus ihrer Lethargie zu wecken, ihnen in Erinnerung zu bringen, daß die Ökonomie nicht bloß eine nährende Kuh ist, die uns mit Butter versorgt, sondern eine Wissenschaft, die einen ernsten und eifrigen Kultus verlangt.
Geschrieben am 12. Oktober 1867. Nach der Handschrift.
14 Marx/Engels, Werke, Bd, 16
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital" für die „Rheinische Zeitung"llMJ]
Karl Marx. Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. I. Band. Der Produktionsprozeß des Kapitals. Hamburg, 0. Meißner, 1867 Das allgemeine Stimmrecht hat unsern bisherigen parlamentarischen Parteien eine neue, die sozialdemokratische, hinzugefügt. Bei den letzten Wahlen zum Norddeutschen Reichstag hat sie in den meisten großen Städten, in allen Fabrikbezirken ihre eignen Kandidaten aufgestellt und sechs oder acht Abgeordnete durchgesetzt. Verglichen mit den vorletzten Wahlen hat sie bedeutend größere Stärke entwickelt, und man darf daher annehmen, daß sie, vorderhand wenigstens noch, im Wachsen ist. Es wäre Torheit, wollte man die Existenz, die Tätigkeit und die Doktrinen einer solchen Partei noch länger mit vornehmem Stillschweigen behandeln in einem Lande, wo das allgemeine Stimmrecht die letzte Entscheidung in die Hände der zahlreichsten und ärmsten Klassen gelegt hat. So sehr nun auch die sozialdemokratischen wenigen Parlamentler unter sich zerfallen und zerfahren sein mögen, so ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß alle Fraktionen dieser Partei das vorliegende Buch als ihre theoretische Bibel, als die Rüstkammer begrüßen werden, woraus sie ihre wesentlichsten Argumente schöpfen. Schon aus diesem Grunde verdient es besondre Aufmerksamkeit. Aber auch seinem eignen Inhalte nach ist es geeignet, Aufsehen zu erregen. Wenn Lassalles Hauptargumentation - und Lassalle war in der politischen Ökonomie nur ein Schüler von Marx - sich darauf beschränkte, das sogenannte Ricardosche Gesetz über den Arbeitslohn immer und immer zu wiederholen - so haben wir hier ein Werk vor uns, welches mit unleugbar seltner Gelehrsamkeit das ganze Verhältnis von Kapital und Arbeit in seinem Zusammenhange mit der ganzen ökonomischen Wissenschaft behandelt, welches sich zum letzten Endzweck setzt, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen", und dabei, nach offenbar aufrichtigen und mit unverkennbarer Sachkennt
nis geführten Untersuchungen, zu dem Resultat kommt, daß die ganze „kapitalistische Produktionsweise" aufgehoben werden muß. Wir möchten aber ferner noch besonders darauf aufmerksam machen, daß, abgesehen von den Schlußfolgerungen des Werks, der Verfasser im Verlauf desselben eine ganze Reihe von Hauptpunkten der Ökonomie in einem ganz neuen Lichte darstellt und hier, in rein wissenschaftlichen Fragen, zu Resultaten kommt, welche von der bisherigen gangbaren Ökonomie sehr abweichen und welche die Schulökonomen ernstlich werden kritisieren und wissenschaftlich widerlegen müssen, wenn sie nicht ihre bisherige Doktrin scheitern sehen wollen. Im Interesse der Wissenschaft ist zu wünschen, daß sich die Polemik grade über diese Punkte in den Fachschriften recht bald entspinne. Marx beginnt mit der Darstellung des Verhältnisses von Ware und Geld, woraus das Wesentlichste schon vor längerer Zeit in einer besondern Schrift veröffentlicht wardtl55]. Er geht dann zum Kapital über, und hier kommen wir alsbald zum springenden Punkt des ganzen Werks. Was ist Kapital? Geld, welches sich in Ware verwandelt, um sich aus der Ware in mehr Geld zurückzuverwandeln, als die ursprüngliche Summe betrug. Indem ich für 100 Taler Baumwolle kaufe und diese für 110 Taler verkaufe, bewähre ich meine 100 Taler als Kapital, sich selbst verwertenden Wert. Nun entsteht die Frage, woher kommen die 10 Taler, die ich bei diesem Prozeß verdiene, wie geht es zu, daß aus 100 Talern durch zweimaligen einfachen Austausch 110 Taler werden? Die Ökonomie setzt nämlich voraus, daß bei allen Austauschen gleicher Wert gegen gleichen Wert ausgetauscht wird. Marx geht nun alle möglichen Fälle durch (Preisschwankungen der Waren usw.), um zu beweisen, daß unter den von der Ökonomie gegebenen Voraussetzungen die Bildung von 10 Talern Mehrwert aus 100 ursprünglichen Talern unmöglich ist. Dennoch findet dieser Prozeß täglich statt, und die Ökonomen sind uns die Erklärung dafür schuldig geblieben. Diese Erklärung gibt Marx wie folgt: Das Rätsel ist nur zu lösen, wenn wir eine Ware ganz eigner Art auf dem Markte finden, eine Ware, deren Gebrauchswert darin besteht, Tauschwert zu erzeugen. Diese Ware existiert — sie ist die Arbeitskraft. Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft auf dem Markt und läßt sie für sich arbeiten, um ihr Produkt wieder zu verkaufen. Wir haben also vor allen Dingen die Arbeitskraft zu untersuchen. Was ist der Wert der Arbeitskraft? Nach dem bekannten Gesetz: der Wert derjenigen Lebensmittel, welche notwendig sind, den Arbeiter in der in einem gegebenen Lande und einer gegebnen Epoche historisch festgestellten Weise zu erhalten und fortzupflanzen. Wir nehmen an, der Arbeiter bekommt seine Arbeitskraft zu ihrem vollen Wert bezahlt. Wir nehmen
ferner an, dieser Wert repräsentiere sich in einer Arbeit von sechs Stunden täglich oder einem halben Arbeitstage. Der Kapitalist aber behauptet, die Arbeitskraft für einen ganzen Arbeitstag gekauft zu haben, und läßt den Arbeiter 12 oder mehr Stunden arbeiten. Er hat also bei zwölf stündiger Arbeit das Produkt von sechs Arbeitsstunden erworben, ohne es bezahlt zu haben. Daraus folgert Marx: Aller Mehrwert - wie er sich auch verteile, als Gewinn des Kapitalisten, Grundrente, Steuer etc. - ist unbezahlte Arbeit. Aus dem Interesse des Fabrikanten, möglichst viel unbezahlte Arbeit an jedem Tage herauszuschlagen und aus dem entgegengesetzten Interesse des Arbeiters entsteht der Kampf um die Länge des Arbeitstags. In einer sehr lesenswerten Illustration, die ungefähr hundert Seiten füllt, schildert Marx den Hergang dieses Kampfs in der englischen großen Industrie, welcher trotz des Protestes der freihändlerischen Fabrikanten im letzten Frühjahr damit geendigt hat, daß nicht nur alle Fabrikindustrie, sondern auch aller Kleinbetrieb und selbst alle häusliche Industrie unter die Schranken des Fabrikgesetzes gestellt worden ist, wonach die tägliche Arbeitszeit von Frauen und Kindern unter 18 Jahren - und damit indirekt auch die der Männer - in den bedeutendsten Industriezweigen auf höchstens IOV2 Stunden festgesetzt ist[156]. Er erklärt auch zugleich, warum die englische Industrie hierdurch nicht gelitten, sondern im Gegenteil gewonnen hat: indem die Arbeit jedes einzelnen an Intensität mehr gewann, als sie an Zeitdauer verkürzt wurde. Der Mehrwert kann aber auch noch auf eine andre Weise erhöht werden als durch die Verlängerung der Arbeitszeit über die zur Erzeugung der notwendigen Lebensmittel oder ihres Werts erforderliche Zeit hinaus. In einem gegebnen Arbeitstage, sagen wir von 12 Stunden, stecken nach vorheriger Annahme 6 Stunden notwendiger und 6 Stunden zur Produktion von Mehrwert verwandter Arbeit. Gelingt es nun, durch irgendein Mittel die notwendige Arbeitszeit auf 5 Stunden herabzudrücken, so bleiben 7 Stunden, während deren Mehrwert produziert wird. Dies kann erreicht werden durch Verkürzung der für die Produktion der notwendigen Lebensmittel erforderlichen Arbeitszeit, mit andern Worten, durch Verwohlfeilerung der Lebensmittel, und dies wieder nur durch Verbesserungen in der Produktion. Marx gibt bei diesem Punkte wieder eine ausführliche Illustration, indem er die drei Haupthebel untersucht resp. schildert, wodurch diese Verbesserungen zustande gebracht werden: 1. die Kooperation, oder die Vervielfachung der Kräfte, welche aus dem gleichzeitigen und planmäßigen Zusammenwirken vieler entsteht, 2. die Teilung der Arbeit, wie sie in der Periode der eigentlichen Manufaktur (also bis etwa 1770) zur
Ausbildung kam, endlich 3. die Maschinerie, mit deren Hilfe seit jener Zeit die große Industrie sich entwickelte. Auch diese Schilderungen sind von großem Interesse und zeigen eine erstaunliche Sachkenntnis bis ins technologische Detail hinein.. .1 Wir können nicht auf die weiteren Einzelheiten der Untersuchungen über Mehrwert und Arbeitslohn eingehen, wir bemerken nur zur Vermeidung von Mißverständnissen, daß, wie Marx durch eine Menge von Zitaten beweist, auch der Schulökonomie die Tatsache nicht fremd ist, daß der Arbeitslohn geringer ist als das ganze Produkt der Arbeit. Es ist zu hoffen, daß dies Buch den Herren von der Schule Gelegenheit bieten wird, uns über diesen allerdings befremdlichen Punkt nähere Aufklärung zu geben. Sehr zu rühmen ist, daß alle tatsächlichen Belege, die Marx anführt, aus den besten Quellen, meist offiziellen Parlamentsberichten, genommen sind. Bei dieser Gelegenheit unterstützen wir den in der Vorrede indirekt gemachten Antrag des Verfassers: auch in Deutschland durch Regierungskommissäre - die aber keine voreingenommenen Bürokraten sein dürfen - die Arbeiterverhältnisse in den verschiednen Industrien gründlich untersuchen zu lassen und die Berichte dem Reichstag und dem Publikum vorzulegen. Der erste Band schließt mit der Abhandlung der Akkumulation des Kapitals. Über diesen Punkt ist schon öfter geschrieben worden, obwohl wir gestehen müssen, daß auch hier manches Neue gegeben und das Alte von neuen Seiten beleuchtet wird. Das eigentümlichste ist der versuchte Nachweis, daß neben der Konzentration und Akkumulation des Kapitals und Schritt haltend mit ihr die Akkumulation einer überzähligen Arbeiterbevölkerung vor sich geht und daß beide zuletzt eine soziale Umwälzung einerseits notwendig, andrerseits möglich machen. Was der Leser auch von den sozialistischen Ansichten des Verfassers halten mag, so glauben wir ihm doch im Vorstehenden gezeigt zu haben, daß er es hier mit einer Schrift zu tun hat, welche hoch über der landläufigen sozialdemokratischen Tagesliteratur steht. Wir fügen hinzu, daß, die etwas stark dialektischen Sachen auf den ersten 40 Seiten ausgenommen, das Buch trotz aller wissenschaftlichen Strenge dennoch sehr leicht faßlich und durch die sarkastische, nach keiner Seite hin schonende Schreibart des Verfassers selbst interessant abgefaßt ist.
Geschrieben am 12. Oktober 1867. Nach der Handschrift.
1 Hier schließt die Seite der Handschrift ab; die folgende Seite, auf der offenbar Mehrwert und Arbeitslohn analysiert wurden, fehlt.
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapita!" für die „Elberfelder Zeitung"11571 ]
[„Elberfelder Zeitung" Nr.3G2 vom 2. November 1867] Karl Marx über das Kapital (Hamburg, Verlag von Otto Meißner, I. Band, 1867) Fünfzig Bogen gelehrter Abhandlung, um uns zu beweisen, daß das gesamte Kapital unserer Bankiers, Kaufleute, Fabrikanten und großen Grundbesitzer nichts weiter ist als angesammelte und unbezahlte Arbeit der Arbeiterklasse! Wir erinnern uns, daß im Jahre 1849 die „Neue Rheinische Zeitung", im Namen der schlesischen Bauern, die Forderung einer, „schlesischen Milliarde" aufstellte.1158' Tausend Millionen Taler, so wurde behauptet, sei der Betrag, der bei der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Feudaldienste allein den schlesischen Bauern unrechtmäßig entzogen und in die Tasche der großen Grundbesitzer geflossen sei, und dieser Betrag wurde zurückgefordert. Aber die Herren von der weiland „Neuen Rheinischen Zeitung" sind wie die selige Sibylle mit ihren Büchern; je weniger man ihnen bietet, desto mehr fordern sie. Was sind tausend Millionen Taler gegen diese kolossale Rückforderung, die jetzt im Namen der gesamten Arbeiterklasse gemacht wird - denn so müssen wir es doch wohl verstehen! Ist das sämtliche angesammelte Kapital der besitzenden Klassen weiter nichts als „unbezahlte Arbeit", so scheint ja direkt daraus zu folgen, daß diese Arbeit nachträglich bezahlt, das heißt das gesamte fragliche Kapital an die Arbeit übertragen wird. Es würde sich da freilich zunächst noch darum handeln, wer dann eigentlich befugt wäre, es in Empfang zu nehmen. Doch Spaß beiseite! So radikal-sozialistisch das vorliegende Buch auch zu Werke geht, so derb und schonungslos es auch nach allen Seiten gegen Leute auftritt, die sonst für Autoritäten gelten, so müssen wir doch gestehen, daß es eine äußerst gelehrte und auf strengste Wissenschaftlichkeit
Anspruch machende Arbeit ist. Es ist schon häufig davon in der Presse die Rede gewesen, daß Marx die Resultate seiner langjährigen Studien in einer Kritik der gesamten bisherigen Nationalökonomie zusammenfassen und damit den sozialistischen Bestrebungen die wissenschaftliche Unterlage geben wolle, die ihnen bisher weder Fourier noch Proudhon, noch auch Lassalle zu geben vermochte. Diese Arbeit ist in der Presse schon lange und oft angekündigt worden. 1859 erschien bei Duncker in Berlin ein „erstes Heft"[159], welches sich aber nur über Materien verbreitete, die kein unmittelbar praktisches Interesse hatten, und welches daher auch wenig Aufsehen erregte. Die folgenden Hefte erschienen nicht, und die neue sozialistische Wissenschaft schien ihre Geburtswehen nicht überleben zu sollen. Wie viele Witze sind nicht über diese neue Offenbarung gemacht worden, die so oft angekündigt wurde und doch nie und nimmer in die Welt treten zu wollen schien! Nun gut, hier endlich ist der „erste Bahd" - fünfzig Druckbogen wie gesagt -, und niemand kann ihm nachsagen, daß er nicht des Neuen, Kühnen, Verwegenen genug und übergenug enthält und daß dasselbe nicht in durchaus wissenschaftlicher Form vorgetragen wird. Marx appelliert mit seinen ungewohnten Sätzen dieses Mal nicht an die Massen, sondern an die Männer der Wissenschaft. An diesen ist es, die hier in ihren Grundlagen angefochtenen Gesetze ihrer ökonomischen Theorie zu verteidigen, den Beweis zu liefern, daß das Kapital zwar aufgesammelte Arbeit, aber nicht aufgesammelte unbezahlte Arbeit ist. Lassalle war ein praktischer Agitator, und es mochte genügen, ihm in der praktischen Agitation, in der Tagespresse, in Versammlungen gegenüberzutreten. Hier aber handelt es sich um eine systematische, wissenschaftliche Theorie, und hier kann die Tagespresse nicht mitentscheiden, hier kann nur die Wissenschaft das letzte Wort sprechen. Es ist zu hoffen, daß Leute wie Roscher, Rau, Max Wirth usw. diese Gelegenheit ergreifen, um das Recht der bisher allgemein anerkannten politischen Ökonomie gegen diesen neuen und sicher nicht verächtlichen Angriff zu verteidigen. Die sozialdemokratische Saat ist unter der jüngeren Generation und der Arbeiterbevölkerung an gar manchen Orten aufgegangen - sie wird durch dies Buch ohnehin neue Nahrung genug finden.
Geschrieben am 22. Oktober 1867.
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital" für die „Düsseldorfer Zeitung"11601]
[„Düsseldorfer Zeitung" Nr.316 vom 17. November 1867]
Karl Marx. Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Erster Band. Hamburg, Meißner, 1867 Dies Buch wird manchen Leser sehr enttäuschen. Seit Jahren ist, von gewisser Seite, auf sein Erscheinen hingewiesen worden. Hier sollte die wahre sozialistische Geheimlehre und Panazee endlich enthüllt werden, und mancher mag sich vorgestellt haben, als er es endlich angekündigt sah, daß er hier nun erfahren werde, wie es denn eigentlich im kommunistischen Tausendjährigen Reich aussehen werde. Wer sich auf dies Vergnüget gespitzt hat, der hat sich gründlich geirrt. Er erfährt hier allerdings, wie die Dinge nicht sein sollen, und zwar wird ihm dies mit einer sehr deutlichen Derbheit und auf 784 Seiten auseinandergesetzt, und wer Augen hat zu sehen, der sieht hier die Forderung einer sozialen Revolution klar genug gestellt. Hier handelt es sich nicht um Arbeiterassoziationen mit Staatskapital wie bei weiland Lassalle, hier handelt es sich um die Abschaffung des Kapitals überhaupt. Marx ist und bleibt derselbe Revolutionär, der er immer gewesen, und in einer wissenschaftlichen Schrift war er wohl der Letzte, der seine Ansichten in dieser Beziehung verhüllt hätte. Aber was dann nach der sozialen Umwälzung werden soll - darüber gibt er uns nur sehr dunkle Andeutungen. Wir erfahren, daß die große Industrie „die Widersprüche und Antagonismen der kapitalistischen Form des Produktionsprozesses, daher gleichzeitig die Bildungsmomente einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft reift", und ferner, daß die Aufhebung der kapitalistischen
Form der Produktion „das individuelle Eigentum wiederherstellt, aber auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära, der Kooperation freier Arbeiter und ihrem Gemeineigentum an der Erde und an den durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln"11611. Hiermit müssen wir uns begnügen, und nach dem Vorliegenden zu schließen wird auch wohl der zweite und dritte in Aussicht gestellte Band dieses Werks uns wenig über diesen interessanten Punkt bieten. Für diesmal werden wir uns eben mit der „Kritik der politischen Oekonomie" begnügen müssen, und da geraten wir auf ein allerdings sehr weitläufiges Feld. Wir können hier natürlich nicht auf die wissenschaftliche Erwägung der in diesem voluminösen Buche angestellten ausführlichen Deduktionen eingehen, wir können nicht einmal die darin aufgestellten Hauptsätze in kurzem wiedergeben. Die mehr oder weniger bekannten Grundlehren der sozialistischen Theorie reduzieren sich alle darauf, daß der Arbeiter in der heutigen Gesellschaft nicht den vollen Wert seines Arbeitsprodukts vergütet erhält. Dieser Satz bildet auch den roten Faden des vorliegenden Werks, nur daß er weit schärfer präzisiert, konsequenter in allen seinen Folgerungen verfolgt und enger mit den Hauptsätzen der Nationalökonomie verwoben oder direkter in Gegensatz zu ihnen gestellt ist als bisher. Dieser Teil der Schrift unterscheidet sich durch seinen Versuch strenger Wissenschaftlichkeit sehr vorteilhaft von allen uns bekannten früheren derartigen Schriften, und man sieht, daß es dem Verfasser nicht nur mit seiner Theorie, sondern auch mit der Wissenschaft überhaupt Ernst ist. Was uns in diesem Buch besonders aufgefallen, ist dies: daß der Verfasser die Sätze der Nationalökonomie nicht, wie gewöhnlich geschieht, als ewig gültige Wahrheiten, sondern als Resultate bestimmter geschichtlicher Entwicklungen auffaßt. Während selbst die Naturwissenschaft sich mehr und mehr in eine geschichtliche Wissenschaft verwandelt - man vergleiche Laplaces astronomische Theorie, die gesamte Geologie und die Schriften Darwins war die Nationalökonomie bisher eine ebenso abstrakte, allgemeingültige Wissenschaft wie die Mathematik. Was auch das Schicksal der sonstigen Behauptungen dieses Buchs sein mag, wir halten es für ein bleibendes Verdienst von Marx, daß er dieser bornierten Vorstellung ein Ende gemacht hat. Es wird nach dieser Schrift nicht mehr möglich sein, z.B. Sklavenarbeit, Fronarbeit und freie Lohnarbeit ökonomisch über einen Kamm zu-scheren oder Gesetze, welche für die heutige, durch freie Konkurrenz bestimmte große Industrie gültig sind, ohne weiteres auf die Zustände des Altertums oder die Zünfte des Mittelalters anzuwenden oder, wenn diese modernen Gesetze auf alte Zustände nicht passen, dann
einfach die alten Zustände für ketzerisch zu erklären. Von allen Nationen haben die Deutschen den meisten, ja fast allein historischen Sinn, und so ist es ganz in der Ordnung, daß es wieder ein Deutscher ist, der auch im Bereich der Nationalökonomie die historischen Zusammenhänge nachweist.
Geschrieben zwischen dem 3. und 8. November 1867.
Karl Marx
Die eingekerkerten Fenier in Manchester und die Internationale Arbeiterassoziation"623
Auf einer Sondersitzung des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation, die am Mittwochabend in dessen Büro, 16, Castle Street East, W., stattfand, wurde nachfolgende Denkschrift angenommen: „Denkschrift des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. An den Sehr Ehrenwerten Gathorne-Hardy, Minister Ihrer Majestät. Die Unterzeichneten, Vertreter von Arbeiterassoziationen aus allen Teilen Europas, erklären hiermit: Daß die Hinrichtung der irischen Gefangenen, die in Manchester zum Tode verurteilt wurden, den moralischen Einfluß Englands auf dem europäischen Kontinent bedeutend verschlechtern wird. Die Hinrichtung der vier Gefangenen gründet sich auf die gleiche Zeugenaussage und das gleiche Urteil, wodurch die erstere durch die Begnadigung Maguires offiziell für falsch und letztere für fehlerhaft erklärt wurden, und wird nicht den Stempel eines gerichtlichen Aktes, sondern eines politischen Racheaktes tragen. Auch wenn das Urteil der Manchester-Jury und die Zeugenaussage, auf die es sich stützt, von der britischen Regierung nicht selbst befleckt worden wären, hätte letztere jetzt zwischen der blutigen Praxis des alten Europas und der hochherzigen Humanität der jungen transatlantischen Republik[163] zu "wählen. Die Milderung des Urteils, um welche wir bitten, wird nicht nur ein Akt der Gerechtigkeit, sondern auch ein Akt politischer Weisheit sein. Im Auftrag des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation:
John Weston, Vorsitzender R. Shaw, Sekretär für Amerika Eugene Dupont, Sekretär für Frankreich
20. November 1867
Nach der handschriftlichen Kopie von Jenny Marx. Aus dem Englischen.
Karl Marx, Sekretär für Deutschland Hermann Jung, Sekretär für die Schweiz P. Lajargue, Sekretär für Spanien Zabicki, Sekretär für Polen Derkinderen, Sekretär für Holland Besson, Sekretär für Belgien G. Eccarius, Generalsekretär"
Karl Marx
Plagiarismus11641
„Social~Demokrat" vom 29. November. Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Debatte über den Arbeitstag V. Hofstetten (Eigentümer des „Social-Demokrat") spricht:
1. „Die Arbeitskraft ist heutzutage eine Ware. Der Kaufpreis" (soll heißen: der Wert) „einer Sache" (sollte heißen: Ware) „ist bestimmt durch die Arbeitszeit, die zu ihrer Herstellung nötig ist. Der Arbeiter muß nun eine bestimmte Anzahl Stunden arbeiten, um den Wert, den er für seine Arbeitskraft erhalten hat, wieder zu erzeugen: das ist der notwendige Teil des Arbeitstages, aber keineswegs der Arbeitstag selber. Um diesen herzustellen, muß" (warum?) „ein unbestimmter Teil hinzukommen; trotzdem er unbestimmt ist, hat er doch seine nötigen Grenzen."
[„Die Zukunft" Nr.291 vom 12. Dezember 1867J
Karl Marx: „Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie", 1867. Abschnitt: „Der Arbeitstag"
1. „Wir gingen von der Voraussetzung aus, daß die Arbeitskraft zu ihrem Werte gekauft und verkauft wird. Ihr Wert, wie der jeder andern Ware, wird bestimmt durch die zu ihrer Produktion nötige Arbeitszeit. Erheischt also die DurchschnittssummedertäglichenLebensmittel des Arbeiters zu ihrer Produktion 6 Stunden täglich, so muß er im Durchschnitt 6 Stunden per Tag arbeiten, um seine Arbeitskraft täglich zu produzieren oder den in ihrem Verkauf erhaltenen Wert zu
2. „Die eine" (Grenze), „die Maximalgrenze, beruht in der physischen Möglichkeit" (wie kann eine Grenze in einer Möglichkeit beruhen!), „eine wie lange Zeit der Mensch überhaupt imstande ist zu arbeiten, da er zur Fristung seiner Existenz doch auch schlafen, ruhen, sich kleiden und sich reinigen muß. Die Minimalgrenze ist gegeben in den Anforderungen, welche der zeitweise Kulturzustand einer Epoche abgibt. Je nach diesem Zustande und der bestehenden Gesetzgebung ist auch die Zeitdauer des Arbeitstages und der Mehrarbeit verschieden. Danach hat man 8. 12. 16, ja sogar einen 18stündigen Arbeitstag."
reproduzieren. Der notwendige Teil seines Arbeitstages beträgt dann 6 Stunden und ist daher, unter sonst gleichbleibenden Umständen,» eine gegebene Uröße. Aber damit ist: die Größe des Arbeitstages selbst noch, nicht gegeben ... Einer seiner Teile ist zwar bestimmt durch die zur beständigen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine Gesamtgröße wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit ... Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fließende Größe ist, kann er andererseits nur innerhalb gewisser Schranken variieren." (p.198, 199.)1 2. „Seine" (des Arbeitstags) „Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir die Mehrarbeit = 0, so erhalten wir einer Minimalschranke, den Teil des Tages nämlich, den der Arbeiter notwendig zu seiner Erhaltung arbeiten muß. Auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise kann die notwendige Arbeit aber immer nur einen Teil seines Arbeitstages, bilden, der Arbeitstag sich also nie auf dies Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er kann über eine gewisse Grenze nicht verlängert werden. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während?
des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben, und das Maß dieser Kraftverausgabung bildet ein Maß für seine physisch mögliche Arbeitszeit. So kann ein Pferd tagaus, tagein nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Teils des Tages muß die Kraft ruhen, schlafen, während eines anderen Teils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reinigen, kleiden usw. Außer dieser einen physischen Schranke stößt die Verlängerung des Arbeitstages auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind... Beide Schranken " (die physische undmoralischeMaximalschranke) „sind aber sehr elastischer Natur underlauben den größten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12,14,16,18 usw:Stunden."(p. 199.)1 Herr v. Hofstetten macht Blödsinn aus dem von ihm plagiierten Passus. Zum Beispiel läßt er die Maximalschranke des Arbeitstages durch rein physische und seine Minimalschranke durch moralische Grenzen bestimmen, nachdem er vorher selbst nachgeplappert hat, daß der notwendige Teil des Arbeitstages, also seine absolute Minimalschranke, durch die zur Erhaltung der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit bestimmt ist! 3. „Die Erfahrung in England hat 3. Uber die Intensifikation der Argezeigt, daß bei einem kürzeren Arbeits- beit und Erzielung gleicher oder grötag dieselbe Mehrarbeit erzielt wird, in- ßerer „Mehrarbeit" mit der zwangsdem alsdann die Arbeit viel intensiver be- gesetzlichen Verkürzung des Arbeitstrieben wird." tags in England cf. p.401 bis 4092.
1 Siehe Band 23 unserer Ausgabe, S.246, 247 - 2 ebenda, S. 433 - 440
4. „Die Bestrebung der Kapitalisten geht also dahin, einen möglichst langen Arbeitstag zu bezwecken." (Welcher Unsinn! Eine Bestrebung zu erzwecken!) „Aber der Arbeiter besitzt als einzige Ware nur seine Arbeitskraft, und ist in derselben ein gewisser Punkt überschritten" (was beißt das: ein Punkt ist in der Arbeitskraft überschritten?), „so muß er sagen, ich bin abgenutzt (!), ich bin gemordet." (Bravo!) (Nachdem er bereits gernordet ist, soll er das noch hinterdrein sagen!) „Daher" (weil er das sagen muß!) „muß das Maß der Arbeit im Interesse des Arbeiters fixiert werden, damit diese Ware, die Arbeitskraft, möglichst lange erhalten bleibt und ausgenutzt werden kann. Damit verlangt er nur sein gutes Recht." (Eben beklagte er sich, daß er abgenutzt sei, und verlangt es nun als sein gutes Recht, ausgenutzt zu werden!)
5. „In England ist dieses Maß" (des Arbeitstags) „gesetzlich auf 10 Stunden festgesetzt (!), und es bestehen Fabrikinspektoren daselbst, die dem Ministerium über die Beobachtung dieses Gesetzes berichten. In vielen Ländern bestehen auch Gesetze zur Beschränkung der Kinderarbeit: in Osterreich, in der Schweiz, in Amerika, und in Belgien (!) werden ähnliche Gesetze vorbereitet (!). In Preußen hat man auch die gleichen Gesetze, aber da stehen sie nur auf dem Papiere und sind niemals ausgeführt worden. In Amerika ist nach Beendigung des
4. „Der Kapitalist behauptet daher nur sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lange als möglich und womöglich aus einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andererseits schließt die spezifische M , . 1 1 f. VUT iNatur aer verKauiten wäre eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet daher nur sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will... Ich will" (sagt er) „mein einziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten... Die Benutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung derselben sind ganz verschiedene Dinge ... Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo Du dreitägige verbrauchst. Das ist wider unsern Vertrag und das Gesetz des Warenaustauschs. Ich verlange also einen Arbeitstag von normaler Länge etc." (p.202, 201 -)1 5. „Der jetzt regulierende Faktory Act von 1850" (nicht in England, sondern in besonderen, von Marx namhaft gemachten Industriezweigen des Ver. Königreichs) „erlaubt für den durchschnittlichen Wochentag 10 Stunden ... Es sind eigene Wächter des Gesetzes bestellt, die dem Ministerium des Innern direkt untergeordneten Fabrikinspektoren, deren Berichte halbjährig von Parlaments wegen veröffentlicht werden." (p.207.)2
Krieges, welcher die Emanzipation der Sklaven zur Folge hatte, sogar der achtstündige Arbeitstag verlangt. Auch der »Internationale Arbeiterkongreß' schlug 1866 einen 8stündigen vor."
... Wirkliche, nicht vorbereitete Beschränkungen des Arbeitstags für Minderjährige in einigen Staaten von Nordamerika (p.244)1, Beschränkung des Arbeitstags überhaupt in Frankreich (p.251)2, für Kinder in einigen Kantonen der Schweiz (p.251)3, in Österreich (p.252)4, in Belgien nichts dergleichen. (p. I.e.) Lobenswert wären die Verordnungen der Herren v. d. Heydt und Man teuffei etc., wenn sie ausgeführt würden. (I.e.) „In den Ver. Staaten blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete ... Aber aus dem Tod der Sklaverei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstundenagitation. Gleichzeitig beschloß der ,Internationale Arbei~ terkongreß': ...,Wir schlagen 8Arbeitsstunden als legale Schranke des Arbeitstags vor.'" (p.279, 280.)5 In derselben Weise wie Herr v. Hofstetten verballhornt der ihm nachfolgende Redner, Herr Geib aus Hamburg, die von Marx gegebene Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung. Beide Herren verschweigen gleich sorgsam die Quelle ihrer Weisheit.
Geschrieben am 6. Dezember 1867.
1 Siehe Band 23 unserer Ausgabe, S. 287 - 2 ebenda, S. 293 - 3 ebenda, S. 293 - 4 ebenda, S. 293 -5 ebenda, S. 318, 319
15 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital" für den ,,Beobachter"11651]
Karl Marx. Das Kapital. Kritik der politischen Oekpnomie. Erster Band. Hamburg, Meißner, 1867 Was man auch von der Tendenz des vorliegenden Buchs denken möge, so glauben wir sagen zu dürfen, daß es zu denjenigen Leistungen gehört, welche dem deutschen Geist Ehre machen. Es ist bezeichnend, daß der Verfasser zwar ein Preuße ist, aber ein Rheinpreuße, welche noch bis vor kurzem sich gern als „Mußpreußen" bezeichneten, und ferner ein Preuße, welcher die letzten Jahrzehnte fern von Preußen, im Exil zugebracht hat. Preußen selbst hat längst aufgehört, das Land irgendwelcher wissenschaftlichen Initiative zu sein, speziell im historischen, politischen oder sozialen Fach wäre eine solche dort unmöglich. Man kann von ihm vielmehr sagen, daß es den russischen, nicht den deutschen Geist repräsentiert. Was nun das Buch selbst angeht, so muß man sehr wohl unterscheiden zwischen zwei sehr disparaten Teilen darin: zwischen erstens den gediegenen positiven Entwicklungen darin und zweitens den tendenziellen Schlußfolgerungen, die der Verfasser daraus zieht. Die ersteren sind großenteils eine direkte Bereicherung der Wissenschaft. Der Verfasser behandelt darin die ökonomischen Verhältnisse in einer ganz neuen, materialistischen, naturhistorischen Methode. So die Darstellung des Geldwesens und der ausführliche, sehr sachkundige Nachweis, wie die verschiedenen sukzessiven Formen der industriellen Produktion, hier die Kooperation, die Teilung der Arbeit und mit ihr die Manufaktur im engeren Sinne, und endlich die Maschinerie, die große Industrie und die ihr entsprechenden gesellschaftlichen Kombinationen und Verhältnisse sich auseinander naturwüchsig entwickeln. Was nun die Tendenz des Verfassers angeht, so können wir auch darin wieder eine doppelte Richtung unterscheiden. Soweit er sich bemüht nachzuweisen, daß die jetzige Gesellschaft, ökonomisch betrachtet, mit einer
Rezension des „Kapitals" für den „Beobachter" 227
andern, höheren Gesellschaftsform schwanger gehe, insoweit bestrebter sich, nur denselben allmählichen Umwälzungsprozeß auf dem sozialen Gebiet als Gesetz hinzustellen, den Darwin naturgeschichtlich nachgewiesen hat. Eine solche allmähliche Veränderung hat ja auch bisher in den gesellschaftlichen Verhältnissen vom Altertum durch das Mittelalter bis jetzt stattgefunden, und es ist unsres Wissens noch nie von irgendwelcher wissenschaftlichen Seite ernsthaft behauptet worden, daß Adam Smith und Ricardo in Beziehung auf die künftige Weiterentwicklung der heutigen Gesellschaft das letzte Wort gesagt hätten. Im Gegenteil, die liberale Lehre vom Fortschritt schließt auch den Fortschritt auf sozialem Gebiet ein, und es gehört zu den anmaßlichen Paradoxen der sog. Sozialisten, zu tun, als wenn sie den gesellschaftlichen Fortschritt allein gepachtet hätten. Den gewöhnlichen Sozialisten gegenüber ist es als Verdienst von Marx anzuerkennen, daß er auch da einen Fortschritt nachweist, wo die extrem einseitige Entwicklung der gegenwärtigen Zustände von unmittelbar abschreckenden Folgen begleitet ist. So überall bei der Darstellung der sich aus dem Fabriksystem im Großen ergebenden Extreme von Reichtum und Armut usw. Gerade durch diese kritische Auffassung des Gegenstandes hat der Verfasser - sicher gegen seinen Willen - die stärksten Argumente gegen allen Sozialismus vom Fach geliefert. Ganz anders ist es mit der Tendenz, mit den subjektiven Schlußfolgerungen des Verfassers beschaffen, mit der Art und Weise, wie er sich und andern das Endresultat des jetzigen sozialen Entwicklungsprozesses darstellt. Diese haben mit dem, was wir den positiven Teil des Buchs nennen, gar nichts zu schaffen; ja, wenn der Raum es erlaubte, darauf einzugehn, so könnte vielleicht gezeigt werden, daß diese seine subjektiven Grillen durch seine eigene objektive Entwicklung selbst widerlegt werden. Wenn Lassalles ganzer Sozialismus darin bestand, auf die Kapitalisten zu schimpfen und den preußischen Krautjunkern zu schmeicheln, so finden wir hier das grade Gegenteil. Herr Marx weist die geschichtliche Notwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, wie er die jetzige soziale Phase nennt, ausdrücklich nach und ebensosehr die Uberflüssigkeit des bloß konsumierenden grundbesitzenden Junkertums ^ Wenn Lassalle große Rosinen im Kopf hatte von dem Beruf Bismarcks zur Einführung des sozialistischen Tausendjährigen Reichs, so desavouiert Herr Marx seinen mißratenen Schüler laut genug. Nicht nur, daß er ausdrücklich erklärt hat, er habe mit allem „königl. preußischen Regierungssozialismus" nichts zu schaffen, er sagt auch Seite 762 ff. gradezu, das jetzt in Frankreich und Preußen herrschende System werde in kurzer Frist die Herrschaft der
russischen Knute über Europa zur Folge haben, wenn ihm nicht in Zeiten Einhalt getan werde. Wir bemerken schließlich, daß wir in obigem nur auf die Hauptzüge des starken Bandes Rücksicht nehmen konnten; beim einzelnen wäre noch manches zu bemerken, was wir aber hier übergehen müssen. Dazu sind ja auch Fachzeitschriften genug da, die sicher auf diese jedenfalls sehr bemerkenswerte Erscheinung eingehen werden.
Geschrieben am 12./13. Dezember 1867. Nach der Handschrift.
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital" für das „Gewerbeblatt aus Württemberg' 'n66] 1
[„Gewerbeblatt aus Württemberg" Nr. 306 vom 27. Dezember 1867] Karl Marx. Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Erster Band. Hamburg, Meißner, 1867 Wenn wir auf das obige Werk Rücksicht nehmen, so geschieht es sicher nicht wegen der spezifisch sozialistischen Tendenz, die der Verfasser schon in der Vorrede offen zur Schau trägt. Es geschieht, weil dasselbe, abgesehen von der Tendenz, wissenschaftliche Entwicklungen und tatsächliches Material enthält, welche alle Beachtung verdienen. Wir werden auch auf den wissenschaftlichen Teil hier nicht eingehen, da dies unsern Zwecken ferner liegt, und beschränken uns daher lediglich auf das Tatsächliche. Wir glauben nicht, daß irgendein Werk - in deutscher oder in fremder Sprache - existiert, in dem die analytischen Grundzüge der neueren Industriegeschichte vom Mittelalter bis auf den heutigen Tag in so klarer und vollständiger Zusammenfassung gegeben sind, wie auf pag. 302-4951 des vorliegenden Buchs in den drei Kapiteln: Kooperation, Manufaktur und große Industrie. Jede einzelne Seite des industriellen Fortschritts ist hier an ihrer Stelle nach Verdienst hervorgehoben, und wenn auch die spezifische Tendenz hier und da durchbricht, so muß man dem Verfasser doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er die Tatsachen nirgends nach seiner Theorie modelt, sondern im Gegenteil seine Theorie als Resultat der Tatsachen darzustellen sucht. Diese Tatsachen hat er stets aus den besten und, was den neuesten Stand betrifft, aus Quellen entnommen, die ebenso authentisch wie in Deutschland zur Zeit unbekannt sind: den englischen
Parlamentsberichten. Deutsche Geschäftsleute, welche ihre Industrie nicht bloß vom alltäglichen Erwerbsstandpunkt betrachten, sondern sie als ein wesentliches Glied in der ganzen großen modernen Industrieentwicklung aller Länder ansehen und sich daher auch für das interessieren, was nicht unmittelbar zu ihrer Branche gehört, werden hier eine reiche Queiie der Belehrung finden und uns dafür danken, sie hierauf aufmerksam gemacht zu haben. Hat die Zeit ja doch längst aufgehört, wo jeder Geschäftszweig einzeln und still für sich bestand, und hängen sie doch jetzt alle voneinander und von den Fortschritten ab, die in entfernten Ländern wie in nächster Nähe gemacht werden, und von den wechselnden Konjunkturen des Weltmarkts. Und wenn, wie dies wohl möglich, die neuen Zollvereinsverträge [167] demnächst eine Beschränkung des bisherigen Zollschutzes im Gefolge haben dürften, so tritt die Forderung allen unsern Fabrikanten nahe, sich mit der Geschichte der neuen Industrie im allgemeinen bekanntzumachen, damit sie aus ihr im voraus lernen, wie sie sich am besten bei solchen Veränderungen zu verhalten haben. Die höhere Bildung, welche uns Deutsche bisher, trotz der politischen Zersplitterung, immer wieder gerettet hat, würde auch in diesem Falle die beste Waffe sein, welche wir gegen den grobmateriellen Engländer anzuwenden hätten. Dies führt uns auf einen andern Punkt. Bei der neuen Zollvereinsgesetzgebung dürfte der Augenblick bald eintreten, wo eine gleiche Regelung der Arbeitszeit in den vereinsländischen Fabriken von den Fabrikanten selbst gefordert wird. Es wäre augenscheinlich unbillig, wenn in einem Staat die Arbeitszeit, namentlich von Kindern und Frauen, ganz im Belieben des Fabrikanten stände, während sie in einem andern Staate wesentlichen Beschränkungen unterliegt. Eine Verständigung über gemeinsame Bestimmungen in dieser Beziehung wird schwerlich zu umgehen sein, und um so weniger, wenn wirklich Erniedrigungen der Schutzzölle eintreten sollten. In dieser Hinsicht aber haben wir in Deutschland nur höchst ungenügende, ja sozusagen gar keine Erfahrungen und sind ganz auf die Lehren angewiesen, die wir aus der Gesetzgebung anderer Länder, namentlich Englands, und aus deren Früchten ziehen können. Und hier hat der Verfasser der deutschen Industrie dadurch einen großen Dienst geleistet, daß er die Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung und ihrer Resultate in der ausführlichsten Weise nach den offiziellen Dokumenten gegeben hat. (Vergl. pag. 207-281 und 399-4961 und später stellenweise.) Diese ganze Seite der englischen Industriegeschichte ist in Deutschland so gut wie unbekannt,
und man wird sich wundern, zu erfahren, daß, nachdem ein Parlamentsakt vom laufenden Jahre nicht weniger als iVaMill. Arbeiter unter Regierungskontrolle gestellt hat, jetzt nicht nur fast alle industrielle, sondern auch die meiste häusliche und ein Teil der Ackerbauarbeit in England der Aufsicht der Beamten und einer direkten oder indirekten Zeitbeschränkung unterworfen ist. Wir fordern unsere Fabrikanten auf, sich durch die Tendenz des Buchs nicht abhalten zu lassen und namentlich diesen Teil desselben ernsthaft zu studieren; dieselbe Frage wird auch ihnen über kurz oder lang sicher einmal gestellt werden!
Geschrieben am 12./13. Dezember 1867.
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital" für die „Neue Badische Landeszeitung"lI68]]
[„Neue Badische Landeszeitung" Nr.20 vom 2I.Januar 1868]
Karl Marx. Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Erster Band. Hamburg, Meißner, 1867 Wir müssen es andern überlassen, sich mit dem theoretischen und streng wissenschaftlichen Teil dieses Werkes zu befassen und die neue Anschauung, die der Verfasser von der Entstehung des Kapitals gibt, zu kritisieren. Wir können aber nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, daß derselbe uns hier gleichzeitig eine große Masse des schätzbarsten geschichtlichen und statistischen Materials bietet, welches fast ohne Ausnahme aus den offiziellen, dem englischen Parlament vorgelegten Kommissionsberichten geschöpft ist. Nicht mit Unrecht betont er die Wichtigkeit solcher Untersuchskommissionen zur Erforschung der innern sozialen Zustände eines Landes. Sie sind - wenn anders die richtigen Leute gefunden werdendas beste Mittel für ein Volk, sich selbst kennenzulernen; und Herr Marx mag wohl nicht unrecht haben, wenn er sagt, daß ähnliche Untersuchungen, in Deutschland angestellt, zu Resultaten führen würden, über die wir selbst erschrecken müßten. Wußte doch vor denselben kein Engländer, wie es unter der ärmeren Klasse seines Landes aussah! Es versteht sich übrigens, daß ohne solche Untersuchungen alle Sozialgesetzgebung, wie man jetzt in Bayern sagt, mit halber Sachkenntnis und oft ganz im Dunkeln abgemacht werden wird. Die sog. „Erhebungen" und „Ermittlungen" deutscher Behörden haben nicht entfernt denselben Wert. Wir kennen die bürokratische Schablone zu gut: man schickt Formulare herum und ist froh, wenn sie irgendwie ausgefüllt zurückkommen, die Information, auf welche hin die Ausfüllung geschieht, wird nur zu oft gerade
bei denen gesucht, deren Interesse es ist, daß die Wahrheit vertuscht werde. Man halte dagegen die Untersuchungen englischer Kommissionen, z.B. über die Arbeitsverhältnisse in einzelnen Geschäftszweigen. Da werden nicht nur die Fabrikanten und Meister, sondern auch die Arbeiter bis zu den kleinen Mädchen herab, nicht nur diese, sondern auch Ärzte, Friedensrichter, Geistliche, Schullehrer und jeder überhaupt vernommen, der in irgendeiner Weise über den Gegenstand Auskunft geben kann. Da wird jede Frage und jede Antwort stenographiert und wörtlich abgedruckt und dem ganzen Material der darauf begründete Kommissionsbericht mit seinen Schlußfolgerungen und Anträgen beigegeben. Der Bericht und sein Material weist also gleichzeitig im einzelnen nach, ob und wie die Kommissäre ihre Pflicht erfüllt haben, und erschwert jede Parteilichkeit einzelner bedeutend. Das Nähere sowie eine unzählige Menge von Beispielen kann man im obigen Buche selbst nachlesen. Wir wollen hier nur den einen Punkt hervorheben, daß in England mit der Ausdehnung der Handelsund Gewerbefreiheit gleichen Schritt hält die Ausdehnung der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit für Kinder und Frauen und damit die Stellung fast aller Industrien unter die Aufsicht der Regierung. Herr Marx gibt uns eine ausführliche geschichtliche Darstellung dieser Entwicklung, wie zuerst die Spinnereien und Webereien seit 1833 in dieser Weise auf 12 Stunden tägliche Arbeitszeit beschränkt wurden; wie nach einem langen Kampf zwischen Fabrikanten und Arbeitern endlich die Arbeitszeit auf 101/2 Stunden - 61/2 Stunden für Kinder - festgesetzt und nun von 1850 an ein Industriezweig nach dem andern diesem Fabrikgesetz unterworfen wurde. Zuerst die Kattundruckereien (1845 schon), dann 1860 die Färbereien und Bleichereien, 1861 die Spitzen-und Strumpfwarenfabriken, 1863 die Töpfereien, Tapetenfabriken usw. und endlich 1867 fast alle übrigen irgend bedeutenden Industriezweige. Von der Bedeutung dieses letzten Aktes von 1867 mag man sich eine Vorstellung machen, wenn man erfährt, daß derselbe die Arbeit von nicht minder als anderthalb Millionen Weibern und Kindern unter den Schutz und die Kontrolle des Gesetzes stellt. Wir haben diesen Punkt besonders hervorgehoben, weil es in dieser Beziehung bei uns in Deutschland im ganzen leider schlecht genug bestellt ist, und wir müssen es dem Verfasser Dank wissen, daß er ihn so ausführlich behandelt und zum ersten Mal dem deutschen Publikum zugänglich gemacht hat. Dieser Ansicht wird jeder Menschenfreund sein, was er auch von den theoretischen Sätzen des Herrn Marx halten mag. Auf anderweitiges schätzbares Material aus der Geschichte der Industrie und des Ackerbaues einzugehen, erlaubt uns der Raum nicht, wir sind
aber der Ansicht, daß jeder, der sich für Nationalökonomie, Industrie, Arbeiterverhältnisse, Kulturgeschichte und Sozialgesetzgebung interessiert, welchen Standpunkt er auch einnehmen mag, dies Buch nicht ungelesen lassen darf.
Geschrieben in der ersten
e
No. 12. fietpjig. »en 21. OTötj. 1868.
Friedrich Engels
[Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital" für das „Demokratische Wochenblatt"[,69]]
[„Demokratisches Wochenblatt" Nr. 12 vom 21. März 1868] „Das Kapital" von Marx* I Solange es Kapitalisten und Arbeiter in der Welt gibt, ist kein Buch erschienen, welches für die Arbeiter von solcher Wichtigkeit wäre, wie das vorliegende. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit, die Angel, um die sich unser ganzes heutiges Gesellschaftssystem dreht, ist hier zum ersten Mal wissenschaftlich entwickelt, und das mit einer Gründlichkeit und Schärfe, wie sie nur einem Deutschen möglich war. Wertvoll wie die Schriften eines Owen, Saint-Simon, Fourier sind und bleiben werden - erst einem Deutschen war es vorbehalten, die Höhe zu erklimmen, von der aus das ganze Gebiet der modernen sozialen Verhältnisse klar und übersichtlich daliegt, wie die niederen Berglandschaften vor dem Zuschauer, der auf der höchsten Kuppe steht. Die bisherige politische Ökonomie lehrt uns, daß die Arbeit die Quelle alles Reichtums und das Maß aller Werte ist, so daß zwei Gegenstände, deren Erzeugung dieselbe Arbeitszeit gekostet hat, auch denselben Wert besitzen und, da durchschnittlich nur gleiche Werte unter sich austauschbar sind, auch gegeneinander ausgetauscht werden müssen. Gleichzeitig lehrt sie aber, daß eine Art aufgespeicherter Arbeit existiert, welche sie Kapital nennt; daß dies Kapital durch die in ihm enthaltenen Hülfsquellen
* Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Von Karl Marx. Erster Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals. Hamburg, O. Meißner, 1867.
die Produktivität der lebendigen Arbeit ins Hundert- und Tausendfache steigert und dafür eine gewisse Vergütung in Anspruch nimmt, welche man Profit oder Gewinn nennt. Wie wir alle wissen, stellt sich dies in der Wirklichkeit so, daß die Profite der aufgespeicherten, toten Arbeit immer massenhafter, die Kapitalien der Kapitalisten immer kolossaler werden, während der Lohn der lebendigen Arbeit immer geringer, die Masse der bloß von Arbeitslohn lebenden Arbeiter immer zahlreicher und ärmer wird. Wie ist dieser Widerspruch zu lösen? Wie kann ein Profit für den Kapitalisten übrigbleiben, wenn der Arbeiter den vollen Wert der Arbeit ersetzt erhält, den er seinem Produkt zusetzt? Und da nur gleiche Werte ausgetauscht werden, so sollte dies doch der Fall sein. Andererseits, wie können gleiche Werte ausgetauscht werden, wie kann der Arbeiter den vollen Wert seines Produkts erhalten, wenn, wie von vielen Ökonomen zugegeben wird, dieses Produkt zwischen ihm und dem Kapitalisten geteilt wird? Die bisherige Ökonomie steht vor diesem Widerspruch ratlos da, schreibt oder stottert verlegene, nichtssagende Redensarten. Selbst die bisherigen sozialistischen Kritiker der Ökonomie sind nicht imstande gewesen, mehr zu tun, als den Widerspruch hervorzuheben; gelöst hat ihn keiner, bis Marx jetzt endlich den Entstehungsprozeß dieses Profits bis auf seine Geburtsstätte verfolgt und damit alles klargemacht hat. Bei der Lntwickelung des Kapitals geht Marx von der einfachen, notorisch vorliegenden Tatsache aus, daß die Kapitalisten ihr Kapital durch Austausch verwerten: Sie kaufen Ware für ihr Geld und verkaufen sie nachher für mehr Geld, als sie ihnen gekostet hat. Zum Beispiel ein Kapitalist kauft Baumwolle für 1000 Taler und verkauft sie wieder zu 1100 Taler, „verdient" also 100 Taler. Diesen Uberschuß von 100 Talern über das ursprüngliche Kapital nennt Marx Mehrwert. Woraus entsteht dieser Mehrwert? Nach der Annahme der Ökonomen werden nur gleiche Werte ausgetauscht, und dies ist auf dem Gebiet der abstrakten Theorie auch richtig. Der Einkauf von Baumwolle und ihr Wiederverkauf kann also ebensowenig einen Mehrwert liefern wie der Austausch von einem Silbertaler gegen dreißig Silbergroschen und der Wiedereintausch der Scheidemünze gegen den Silbertaler, wobei man nicht reicher und nicht ärmer wird. Der Mehrwert kann aber ebensowenig daraus entstehen, daß die Verkäufer die Waren über ihren Wert verkaufen oder die Käufer sie unter ihrem Wert kaufen, weil jeder der Reihe nach bald Käufer, bald Verkäufer ist und sich dies also wieder ausgliche. Ebensowenig kann es daher kommen, daß die Käufer und Verkäufer sich gegenseitig übervorteilen, denn dies würde keinen
neuen oder Mehrwert schaffen, sondern nur das vorhandene Kapital anders zwischen den Kapitalisten verteilen. Trotzdem daß der Kapitalist die Waren zu ihrem Wert kauft und zu ihrem Wert verkauft, zieht er mehr Wert heraus, als er hineinwarf. Wie geht dies zu? Der Kapitalist findet unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen auf dem Warenmarkt eine Ware, welche die eigentümliche Beschaffenheit hat, daß ihr Verbrauch eine Quelle von neuem Wert, Schöpfung neuen Wertes ist, und diese Ware ist - die Arbeitskraft. Was ist der Wert der Arbeitskraft? Der Wert jeder Ware wird gemessen durch die zu ihrer Herstellung erforderliche Arbeit. Die Arbeitskraft existiert in der Gestalt des lebendigen Arbeiters, der zu seiner Existenz sowie zur Erhaltung seiner Familie, welche die Fortdauer der Arbeitskraft auch nach seinem Tode sichert, einer bestimmten Summe von Lebensmitteln bedarf. Die zur Hervorbringung dieser Lebensmittel nötige Arbeitszeit stellt also den Wert der Arbeitskraft dar. Der Kapitalist zahlt ihn wöchentlich und kauft dafür den Gebrauch der Wochenarbeit des Arbeiters. Soweit werden die Herren Ökonomen so ziemlich mit uns über den Wert der Arbeitskraft einverstanden sein. Der Kapitalist stellt seinen Arbeiter nun an die Arbeit. In einer bestimmten Zeit wird der Arbeiter soviel Arbeit geliefert haben, als in seinem Wochenlohn repräsentiert war. Gesetzt, der Wochenlohn eines Arbeiters repräsentierte drei Arbeitstage, so hat der Arbeiter, der montags anfängt, am Mittwochabend dem Kapitalisten den vollen Wert des gezahlten Lohnes ersetzt. Hört er dann aber auf zu arbeiten? Keineswegs. Der Kapitalist hat seine Wochenaxheit gekauft, und der Arbeiter muß die drei letzten Wochentage auch noch arbeiten. Diese Mehrarbeit des Arbeiters, über die zur Ersetzung seines Lohnes nötige Zeit hinaus, ist die Quelle des Mehrwerts, des Profits, der stets wachsenden Anschwellung des Kapitals. Man sage nicht, es sei eine willkürliche Annahme, daß der Arbeiter in drei Tagen den Lohn wieder herausarbeite, den er erhalten hat, und die übrigen drei Tage für den Kapitalisten arbeite. Ob er gerade drei Tage braucht, um den Lohn zu ersetzen, oder zwei oder vier, ist allerdings hier ganz gleichgültig und wechselt auch nach den Umständen; aber die Hauptsache ist die, daß der Kapitalist neben der Arbeit, die er bezahlt, auch noch Arbeit herausschlägt, die er nicht bezahlt, und das ist keine willkürliche Annahme, denn an dem Tage, wo der Kapitalist auf die Dauer nur noch soviel Arbeit aus dem Arbeiter herausbekäme, wie er ihm im Lohn bezahlt, an dem Tage würde er seine Werkstatt zuschließen, da ihm eben sein ganzer Profit in die Brüche ginge.
Hier haben wir die Lösung aller jener Widersprüche. Die Entstehung des Mehrwerts (wovon der Profit des Kapitalisten einen bedeutenden Teil bildet) ist nun ganz klar und natürlich. Der Wert der Arbeitskraft wird gezahlt, aber dieser Wert ist weit geringer als derjenige, welchen der Kapitalist aus der Arbeitskraft herauszuschlagen versteht, und die Differenz, die unbezahlte Arbeit, macht gerade den Anteil des Kapitalisten, oder, genauer gesprochen, der Kapitalistenklasse aus. Denn selbst der Profit, den im obigen Beispiel der Baumwollhändler aus seiner Baumwolle herausschlug, muß, wenn die Baumwollpreise nicht gestiegen waren, aus unbezahlter Arbeit bestehen. Der Händler muß an einen Baumwollfabrikanten verkauft haben, der außer jenen 100 Talern noch einen Gewinn für sich aus seinem Fabrikat herausschlagen kann, der also die eingesteckte unbezahlte Arbeit mit ihm teilt. Diese unbezahlte Arbeit ist es überhaupt, welche alle nichtarbeitenden Mitglieder der Gesellschaft erhält. Aus ihr werden die Staats- und Gemeindesteuern, soweit sie die Kapitalistenklasse treffen, die Grundrenten der Grundbesitzer usw. gezahlt. Auf ihr beruht der ganze bestehende gesellschaftliche Zustand. Andererseits wäre es abgeschmackt, anzunehmen, daß die unbezahlte Arbeit erst entstanden sei unter gegenwärtigen Verhältnissen, wo die Produktion von Kapitalisten einerseits und von Lohnarbeitern andererseits betrieben wird. Im Gegenteil. Die unterdrückte Klasse hat zu allen Zeiten unbezahlte Arbeit leisten müssen. Während der ganzen langen Zeit, wo die Sklaverei die herrschende Form der Arbeitsorganisation war, haben die Sklaven weit mehr arbeiten müssen, als ihnen in der Form von Lebensmitteln ersetzt wurde. Unter der Herrschaft der Leibeigenschaft und bis zur Abschaffung der bäuerlichen Fronarbeiter war dasselbe der Fall; hier tritt sogar der Unterschied handgreiflich zutage zwischen der Zeit, die der Bauer arbeitet für seinen eignen Lebensunterhalt und der Mehrarbeit für den Gutsherrn, weil eben die letztere von der ersteren getrennt vollzogen wird. Die Form ist jetzt verändert, aber die Sache ist geblieben, und solange „ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung nötigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für die Eigner der Produktionsmittel zu produzieren" (Marx, S.202)1.
[„Demokratisches Wochenblatt" Nr. 13 vom 28. März 1868]
II
Im vorigen Artikel sahen wir, daß jeder Arbeiter, der vom Kapitalisten beschäftigt wird, zweifache Arbeit verrichtet. Während eines Teils seiner Arbeitszeit ersetzt er den ihm vom Kapitalisten vorgeschossenen Lohn, und diesen Teil der Arbeit nennt Marx die notwendige Arbeit. Nachher aber hat er noch weiter fortzuarbeiten und produziert während dieser Zeit den Mehrwert für den Kapitalisten, wovon der Profit einen bedeutenden Teil ausmacht. Dieser Teil der Arbeit heißt die Mehrarbeit. Wir nehmen an, der Arbeiter arbeite drei Tage der Woche zur Ersetzung seines Lohns und drei Tage zur Produktion von Mehrwert für den Kapitalisten. Anders ausgedrückt heißt dies, er arbeitet, bei täglich zwölfstündiger Arbeit, sechs Stunden täglich für seinen Lohn und sechs Stunden zur Erzeugung von Mehrwert. Aus der Woche kann man nur sechs, selbst mit Hinzuziehung des Sonntags nur sieben Tage schlagen, aber aus jedem einzelnen Tage kann man sechs, acht, zehn, zwölf, fünfzehn und selbst mehr Arbeitsstunden schlagen. Der Arbeiter hat dem Kapitalisten für seinen Taglohn einen Arbeitstag verkauft. Aber, was ist ein Arbeitstag? Acht Stunden oder achtzehn? Der Kapitalist hat ein Interesse daran, daß der Arbeitstag so lang wie möglich gemacht werde. Je länger er ist, desto mehr Mehrwert erzeugt er. Der Arbeiter hat das richtige Gefühl, daß jede Stunde Arbeit, die er über die Ersetzung des Arbeitslohns hinaus arbeitet, ihm unrechtmäßig entzogen wird; er hat an seinem eignen Körper durchzumachen, was es heißt, überlange Zeit zu arbeiten. Der Kapitalist kämpft für seinen Profit, der Arbeiter für seine Gesundheit, für ein paar Stunden täglicher Ruhe, um außer Arbeiten, Schlafen und Essen sich auch noch sonst als Mensch betätigen zu können. Beiläufig bemerkt, hängt es gar nicht vom guten Willen der einzelnen Kapitalisten ab, ob sie sich in diesen Kampf einlassen wollen oder nicht, da die Konkurrenz selbst den philanthropischsten unter ihnen zwingt, sich seinen Kollegen anzuschließen und so lange Arbeitszeit zur Regel zu machen wie diese. Der Kampf um die Feststellung des Arbeitstags dauert vom ersten geschichtlichen Auftreten freier Arbeiter bis auf den heutigen Tag. In verschiedenen Gewerben herrschen verschiedene herkömmliche Arbeitstage; aber in der Wirklichkeit werden sie selten eingehalten. Nur da, wo das Gesetz den Arbeitstag feststellt und seine Einhaltung überwacht, nur da kann
man wirklich sagen, daß ein Normalarbeitstag besteht. Und dies ist bis jetzt fast nur der Fall in den Fabrikdistrikten Englands. Hier ist der zehnstündige Arbeitstag (101/2 Stunden an fünf Tagen, 71/2 am Samstag) für alle Frauen und für Knaben von 13 bis 18 Jahren festgestellt, und da die Männer nicht ohne jene arbeiten können, so fallen auch sie unter den zehnstündigen Arbeitstag. Dies Gesetz haben die englischen Fabrikarbeiter durch jahrelange Ausdauer, durch den zähesten, hartnäckigsten Kampf mit den Fabrikanten, durch die Preßfreiheit, das Koalitions- und Versammlungsrecht sowie durch geschickte Benutzung der Spaltungen in der herrschenden Klasse selbst erobert. Es ist das Palladium der Arbeiter Englands geworden, es ist nach und nach auf alle großen Industriezweige und im vorigen Jahre fast auf alle Gewerbe ausgedehnt worden, wenigstens auf alle, in denen Frauen und Kinder beschäftigt werden. Uber die Geschichte dieser gesetzlichen Regelung des Arbeitstags in England enthält das vorliegende Werk ein höchst ausführliches Material. Der nächste „Norddeutsche Reichstag" wird auch eine Gewerbeordnung zu beraten haben und damit die Regelung der Fabrikarbeit. Wir erwarten, daß keiner der Abgeordneten, die von deutschen Arbeitern durchgesetzt worden sind, an die Beratung dieses Gesetzes geht, ohne sich vorher mit dem Marx sehen Buch vollkommen vertraut gemacht zu haben. Es ist da vieles durchzusetzen. Die Spaltungen in den herrschenden Klassen sind den Arbeitern günstiger, als sie je in England waren, weil das allgemeine Stimmrecht die herrschenden Klassen zwingt, um die Gunst der Arbeiter zu buhlen. Vier oder fünf Vertreter des Proletariats sind unter diesen Umständen eine Macht, wenn sie ihre Stellung zu benutzen wissen, wenn sie vor allen Dingen wissen, um was es sich handelt, was die Bürger nicht wissen. Und dazu gibt ihnen Marx' Buch alles Material fertig an die Hand. Wir übergehen eine Reihe weiterer sehr schöner Untersuchungen von mehr theoretischem Interesse und kommen nur noch auf das Schlußkapitel, das von der Akkumulation oder Anhäufung des Kapitals handelt. Hier wird zuerst nachgewiesen, daß die kapitalistische, d.h. durch Kapitalisten einerseits und Lohnarbeiter andererseits bewirkte Produktionsmethode nicht nur dem Kapitalisten sein Kapital stets neu produziert, sondern daß sie auch gleichzeitig die Armut der Arbeiter immer wieder produziert; so daß dafür gesorgt ist, daß stets aufs neue auf der einen Seite Kapitalisten bestehen, welche die Eigentümer aller Lebensmittel, aller Rohprodukte und aller Arbeitsinstrumente sind, und auf der andern Seite die große Masse der Arbeiter, welche gezwungen ist, ihre Arbeitskraft diesen Kapitalisten für ein Quantum Lebensmittel zu verkaufen, das im besten Falle eben hin
reicht, sie in arbeitsfähigem Zustande zu erhalten und ein neues Geschlecht arbeitsfähiger Proletarier heranzuziehen. Das Kapital aber reproduziert sich nicht bloß: es wird fortwährend vermehrt und vergrößert - damit seine Macht über die eigentumslose Klasse von Arbeitern. Und wie es selbst in stets größerem Maßstabe reproduziert wird, so reproduziert die moderne kapitalistische Produktionsweise ebenfalls in stets größerem Maßstabe, in stets wachsender Zahl die Klasse besitzloser Arbeiter. „Die Akkumulation des Kapitals reproduziert das Kapitalverhältnis auf erweiterter Stufenleiter, mehr Kapitalisten oder größere Kapitalisten auf diesem Pol, mehr Lohnarbeiter auf jenem... Akkumulation des Kapitals ist also Vermehrung des Proletariats." (p.600.)1 Da aber durch den Fortschritt der Maschinerie, durch verbesserten Ackerbau etc. stets weniger Arbeiter benötigt werden, um ein gleiches Quantum Produkte hervorzubringen, da diese Vervollkommnung, d.h. diese überzähligmachung von Arbeitern rascher wächst als selbst das wachsende Kapital, was wird aus dieser stets zunehmenden Zahl von Arbeitern? Sie bilden eine industrielle Reservearmee, welche während schlechter oder mittelmäßiger Geschäftszeiten unter dem Wert ihrer Arbeit bezahlt und unregelmäßig beschäftigt wird oder der öffentlichen Armenpflege anheimfällt, die aber der Kapitalistenklasse zu Zeiten besonders lebhaften Geschäfts unentbehrlich ist, wie dies in England handgreiflich vorliegt, - die aber unter allen Umständen dazu dient, die Widerstandskraft der regelmäßig beschäftigten Arbeiter zu brechen und ihre Löhne niedrig zu halten. „Je größer der gesellschaftliche Reichtum ..., desto größer die relative Surpluspopulation" (überzählige Bevölkerung) „oder industrielle Reservearmee. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven" (regelmäßig beschäftigten) „Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte" (ständige) „Surpluspopulation oder die Arbeiterschichten, deren Elend im umgekehrten Verhältnis steht zu ihrer Arbeitsqual. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation." (p.631.)2 Dies sind, streng wissenschaftlich nachgewiesen - und die offiziellen Ökonomen hüten sich wohl, auch nur den Versuch einer Widerlegung zu machen -, einige der Hauptgesetze des modernen, kapitalistischen gesellschaftlichen Systems. Aber ist damit alles gesagt? Keineswegs. Ebenso scharf wie Marx die schlimmen Seiten der kapitalistischen Produktion hervorhebt, ebenso klar weist er nach, daß diese gesellschaftliche Form not
1 Siehe Band 23 unserer Ausgabe, S. 642 - 2 ebenda, S. 674
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 16
wendig war, um die Produktivkräfte der Gesellschaft auf einen Höhegrad zu entwickeln, der eine gleiche menschenwürdige Entwicklung für alle Glieder der Gesellschaft möglich machen wird. Dazu waren alle früheren Gesellschaftsformen zu arm. Erst die kapitalistische Produktion schafft die Reichtümer und die Produktionskräfte, welche dazu nötig sind, aber sie schafft auch gleichzeitig in den massenhaften und unterdrückten Arbeitern die Gesellschaftsklasse, die mehr und mehr gezwungen wird, die Benutzung dieser Reichtümer und Produktivkräfte für die ganze Gesellschaft - statt wie heute für eine monopolistische Klasse - in Anspruch zu nehmen.
Geschrieben zwischen dem 2. und 13. März 1868.

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