segunda parte tomo 21

Vorwort [zur zweiten, durchgesehenen Auflage „Zur Wohnungsfrage"]
Die nachfolgende Schrift1 ist der Wiederabdruck dreier Artikel, die ich 1872 in den Leipziger „Volksstaat"1290 ] schrieb. Damals ergoß sich grade der französische Milliardenregen1291' über Deutschland; Staatsschulden wurden abgezahlt, Festungen und Kasernen gebaut, die Bestände von Waffen und Militäreffekten erneuert; das disponible Kapital nicht minder als die zirkulierende Geldmenge wurden plötzlich enorm vermehrt, und das alles grade zu einer Zeit, wo Deutschland nicht nur als „einiges Reich", sondern auch als großes Industrieland auf der Weltbühne auftrat. Die Milliarden gaben der jungen Großindustrie einen mächtigen Aufschwung; sie vor allem waren es, die die kurze, illusionsreiche Periode der Prosperität nach dem Krieg, und gleich darauf, 1873/1874, den großen Krach zuwege brachten, durch welchen Deutschland sich als weltmarktfähiges Industrieland bewährte; Die Zeit, worin ein altes Kulturland einen solchen, obendrein durch so günstige Umstände beschleunigten Übergang von der Manufaktur und dem Kleinbetrieb zur großen Industrie macht, ist auch vorwiegend die Zeit der „Wohnungsnot". Einerseits werden Massen ländlicher Arbeiter plötzlich in die großen Städte gezogen, die sich zu industriellen Mittelpunkten entwickeln; andrerseits entspricht die Bauanlage dieser älteren Städte nicht mehr den Bedingungen der neuen Großindustrie und des ihr entsprechenden Verkehrs; Straßen werden erweitert und neu durchgebrochen, Eisenbahnen mitten durchgeführt. In demselben Augenblick, wo Arbeiter haufenweis zuströmen, werden die Arbeiterwohnungen massenweis eingerissen. Daher die plötzliche Wohnungsnot der Arbeiter und des auf Arbeiterkundschaft angewiesenen Kleinhandels und Kleingewerbs. In Städten, die von vornherein als Industriezentren entstanden, ist diese Wohnungsnot so
gut wie unbekannt. So in Manchester, Leeds, Bradford, Barmen-Elberfeld. Dagegen in London, Paris, Berlin, Wien hat sie ihrerzeit akute Form angenommen und besteht meist chronisch fort. Es war also grade diese akute Wohnungsnot, dies Symptom der sich in Deutschland vollziehenden industriellen Revolution, die damals die Presse mit Abhandlungen über die „Wohnungsfrage" füllte und den Anlaß bot zu allerhand sozialer Quacksalberei. Eine Reihe solcher Artikel verlief sich auch in den „Volksstaat". Der anonyme Verfasser, der sich später als Herr Dr. med. A.Mülberger aus Württemberg zu erkennen gab, hielt die Gelegenheit für günstig, den deutschen Arbeitern an dieser Frage die Wunderwirkungen der Proudhonschen sozialen Universalmedizin einleuchtend zu machen.'2921 Als ich der Redaktion meine Verwunderung über die Aufnahme dieser sonderbaren Artikel zu erkennen gab, wurde ich aufgefordert, zu antworten, was ich auch tat. (S. Erster Abschnitt: „Wie Proudhon die Wohnungsfrage löst".) An diese Reihe von Artikeln knüpfte ich bald darauf eine zweite, worin an der Hand einer Schrift von Dr. Emil Sax die philanthropisch-bürgerliche Auffassung der Frage untersucht wurde. (Zweiter Abschnitt: „Wie die Bourgeoisie die Wohnungsfrage löst".) Nach längerer Pause beehrte mich sodann Herr Dr.Mülberger mit einer Antwort auf meine Artikel '2931, die mich zu einer Erwiderung zwang (Dritter Abschnitt: „Nachtrag über Proudhon und die Wohnungsfrage"), womit denn sowohl die Polemik wie meine spezielle Beschäftigung mit dieser Frage zum Abschluß kam. Dies die Entstehungsgeschichte dieser drei Reihen von Artikeln, die ebenfalls als Sonderabdruck in Broschürenform erschienen. Wenn jetzt ein neuer Abdruck nötig wird, so verdanke ich dies zweifellos wiederum der wohlwollenden Fürsorge der deutschen Reichsregierung, die den Absatz durch ein Verbot wie immer mächtig förderte und der ich hiermit meinen Dank ergebenst ausspreche. Für den neuen Abdruck habe ich den Text revidiert, einzelne Zusätze und Anmerkungen eingefügt und einen kleinen ökonomischen Irrtum im ersten Abschnitt berichtigt1, da mein Gegner Dr.Mülberger ihn leider nicht herausgefunden hat. Bei dieser Durchsicht kommt mir so recht zum Bewußtsein, welche Riesenfortschritte die internationale Arbeiterbewegung in den letzten vierzehn Jahren gemacht. Damals war es noch eine Tatsache, daß „die romanisch redenden Arbeiter seit zwanzig Jahren keine andre Geistesnahrung hatten als die Werke Proudhons"2 und allenfalls die weitere Vereinseitigung
1 Siehe Band 18 unserer Ausgabe, S.230 - 2 ebenda, S.232
des Proudhonismus durch den Vater des „Anarchismus", Bakunin, der in Proudhon „unser aller Meister", notre maitre a nous tous, sah. Waren auch die Proudhonisten in Frankreich nur eine kleine Sekte unter den Arbeitern, so waren sie doch die einzigen, die ein bestimmt formuliertes Programm hatten und die unter der Kommune die Führung auf ökonomischem Gebiet übernehmen konnten. In Belgien herrschte der Proudhonismus unter den wallonischen Arbeitern unbestritten, und in Spanien und Italien war, mit sehr vereinzelten Ausnahmen, in der Arbeiterbewegung alles, was nicht anarchistisch war, entschieden proudhonistisch. Und heute? In Frankreich ist Proudhon unter den Arbeitern vollständig abgetan und hat nur noch Anhänger unter den radikalen Bourgeois und Kleinbürgern, die sich als Proudhonisten auch „Sozialisten" nennen, aber von den sozialistischen Arbeitern aufs heftigste bekämpft werden. In Belgien haben die Flamländer die Wallonen von der Leitung der Bewegung verdrängt, den Proudhonismus abgesetzt und die Bewegung mächtig gehoben. In Spanien wie in Italien hat sich die anarchistische Hochflut der siebziger Jahre verlaufen und die Reste des Proudhonismus mit weggeschwemmt; wenn in Italien die neue Partei noch in der Klärung und Bildung begriffen ist, so hat sich in Spanien der kleine Kern, der als Nueva Federacion Madrilana treu zum Generalrat der Internationale hielt, zu einer kräftigen Partei entwickeltt29dl, die - wie aus der republikanischen Presse selbst zu ersehn - den Einfluß der bürgerlichen Republikaner auf die Arbeiter weit wirksamer zerstört, als ihre lärmvollen anarchistischen Vorgänger dies je gekonnt. An die Stelle der vergessenen Werke Proudhons sind bei den romanischen Arbeitern „Das Kapital", das „Kommunistische Manifest"1 und eine Reihe anderer Schriften der Marxschen Schule getreten, und die Hauptforderung von Marx: Besitzergreifung sämtlicher Produktionsmittel, namens der Gesellschaft, durch das zur politischen Alleinherrschaft emporgestiegene Proletariat, ist heute die Forderung der gesamten revolutionären Arbeiterklasse auch in den romanischen Ländern.
Wenn hiernach der Proudhonismus bei den Arbeitern auch der romanischen Länder endgültig verdrängt ist, wenn er nur noch - seiner eigentlichen Bestimmung entsprechend - französischen, spanischen, italienischen und belgischen bürgerlichen Radikalen als Ausdruck ihrer bürgerlichen und kleinbürgerlichen Gelüste dient, warum dann heute noch auf ihn zurückkommen? Warum aufs neue einen verstorbenen Gegner bekämpfen durch Wiederabdruck dieser Artikel?
Erstens weil diese Artikel sich nicht auf bloße Polemik gegen Proudhon und seinen deutschen Vertreter beschränken. Infolge der Teilung der Arbeit, die zwischen Marx und mir bestand, fiel es mir zu, unsere Ansichten in der periodischen Presse, also namentlich im Kampf mit gegnerischen Ansichten, zu vertreten, damit Marx für die Ausarbeitung seines großen Hauptwerks Zeit behielt. Ich kam dadurch in die Lage, unsere Anschauungsweise meist in polemischer Form, im Gegensatz zu anderen Anschauungsweisen, darzustellen. So auch hier. Die Abschnitte I und III enthalten nicht nur eine Kritik der Proudhonschen Auffassung der Frage, sondern auch die Darstellung unsrer eignen Auffassung. Zweitens aber hat Proudhon in der Geschichte der europäischen Arbeiterbewegung eine viel zu bedeutende Rolle gespielt, als daß er so ohne weiteres der Vergessenheit verfallen könnte. Theoretisch abgetan, praktisch beiseite geschoben, behält er sein historisches Interesse. Wer sich einigermaßen eingehend mit dem modernen Sozialismus beschäftigt, der muß auch die „überwundnen Standpunkte" der Bewegung kennenlernen. Marx* „Elend der Philosophie"1 erschien mehrere Jahre, ehe Proudhon seine praktischen Vorschläge der Gesellschaftsreform aufstellte; Marx konnte hier nur die Proudhonsche Tauschbank im Keim entdecken und kritisieren. Seine Schrift wird also nach dieser Seite durch die vorliegende ergänzt, leider unvollkommen genug. Marx würde das alles viel besser und schlagender abgemacht haben. Endlich aber ist der Bourgeois- und kleinbürgerliche Sozialismus in Deutschland bis auf diese Stunde stark vertreten. Und zwar einerseits durch Kathedersozialisten und Menschenfreunde aller Art, bei denen der Wunsch, die Arbeiter in Eigentümer ihrer Wohnung zu verwandeln, noch immer eine große Rolle spielt, denen gegenüber also meine Arbeit noch immer am Platze ist. Andererseits aber in der sozialdemokratischen Partei selbst, bis in die Reichstagsfraktion hinein, findet ein gewisser kleinbürgerlicher Sozialismus seine Vertretung. Und zwar in der Weise, daß man zwar die Grundanschauungen des modernen Sozialismus und die Forderung der Verwandlung aller Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum als berechtigt anerkennt, aber ihre Verwirklichung nur in entfernter, praktisch unabsehbarer Zeit für möglich erklärt. Damit ist man denn für die Gegenwart auf bloßes soziales Flickwerk angewiesen und kann je nach Umständen selbst mit den reaktionärsten Bestrebungen zur sogenannten „Hebung der arbeitenden Klasse" sympathisieren. Das Bestehen einer solchen Richtung ist
ganz unvermeidlich in Deutschland, dem Land des Spießbürgertums par excellence, und zu einer Zeit, wo die industrielle Entwicklung dies alteingewurzelte Spießbürgertum gewaltsam und massenweise entwurzelt. Es ist auch für die Bewegung ganz ungefährlich bei dem wunderbar gesunden Sinn unserer Arbeiter, der sich gerade in den letzten acht Jahren des Kampfs gegen Sozialistengesetz, Polizei und Richter so glänzend bewährt hat. Aber es ist nötig, daß man sich darüber klarwerde, daß eine solche Richtung besteht. Und wenn, wie dies notwendig und sogar wünschenswert ist, diese Richtung später einmal festere Form und bestimmtere Umrisse annimmt, dann wird sie zur Formulierung ihres Programms auf ihre Vorgänger zurückgehn müssen, und dabei wird auch Proudhon schwerlich übergangen werden. Der Kern sowohl der großbürgerlichen wie der kleinbürgerlichen Lösung der „Wohnungsfrage" ist das Eigentum des Arbeiters an seiner Wohnung. Dies ist aber ein Punkt, der durch die industrielle Entwicklung Deutschlands in den letzten zwanzig Jahren eine ganz eigentümliche Beleuchtung erhalten hat. In keinem andern Land existieren so viel Lohnarbeiter, die Eigentümer nicht nur ihrer Wohnung, sondern auch noch eines Gartens oder Feldes sind; daneben noch zahlreiche andere, die Haus und Garten oder Feld als Pächter, mit tatsächlich ziemlich gesichertem Besitz innehaben. Die ländliche Hausindustrie, betrieben im Verein mit Gartenbau oder kleiner Ackerwirtschaft, bildet die breite Grundlage der jungen Großindustrie Deutschlands; im Westen sind die Arbeiter vorwiegend Eigentümer, im Osten vorwiegend Pächter ihrer Heimstätten. Diese Verbindung der Hausindustrie mit Garten- und Feldbau, und daher mit gesicherter Wohnung, finden wir nicht nur überall, wo Handweberei noch ankämpft gegen den mechanischen Webstuhl: am Niederrhein und in Westfalen, im sächsischen Erzgebirge und in Schlesien; wir finden sie überall, wo Hausindustrie irgendeiner Art sich als ländliches Gewerbe eingedrängt hat, z.B. im Thüringer Wald und in der Rhön. Bei Gelegenheit der Tabaksmonopol-Verhandlungen stellte sich heraus, wie sehr auch schon die Zigarrenmacherei als ländliche Hausarbeit betrieben wird; und wo irgendein Notstand unter den Kleinbauern eintritt, wie vor einigen Jahren in der Eifel[29äl, da erhebt die bürgerliche Presse sofort den Ruf nach Einführung einer passenden Hausindustrie als dem einzigen Hülfsmittel. In der Tat drängt sowohl die wachsende Notlage der deutschen Parzellenbauern wie die allgemeine Lage der deutschen Industrie zu einer immer weitern Ausdehnung der ländlichen Hausindustrie. Es ist dies eine Erscheinung, die Deutschland eigentümlich ist. Etwas Ähnliches finden wir in
Frankreich nur ganz ausnahmsweise, z.B. in den Gegenden der Seidenzucht; in England, wo es keine Kleinbauern gibt, beruht die ländliche Hausindustrie auf der Arbeit der Frauen und Kinder der Ackerbautaglöhner; nur in Irland sehn wir die Hausindustrie der Kleiderkonfektion, ähnlich wie in Deutschland, von wirklichen Bauernfamilien betrieben. Von Rußland und andern auf dem industriellen Weltmarkt nicht vertretnen Ländern sprechen wir hier natürlich nicht. Somit besteht auf weiten Gebieten Deutschlands heute ein industrieller Zustand, der auf den ersten Blick dem Zustand gleicht, wie er vor Einführung der Maschinerie der allgemein herrschende war. Aber auch nur auf den ersten Blick. Die ländliche, mit Garten- und Feldbau verbundne Hausindustrie der frühern Zeit war, wenigstens in den industriell fortschreitenden Ländern, die Grundlage einer materiell erträglichen und stellenweise behaglichen Lage der arbeitenden Klasse, aber auch ihrer geistigen und politischen Nullität. Das Handprodukt und seine Kosten bestimmten den Marktpreis, und bei der gegen heute verschwindend geringen Produktivität der Arbeit wuchsen die Absatzmärkte in der Regel rascher als das Angebot. Dies gilt, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, für England und teilweise für Frankreich, und namentlich für die Textilindustrie. In dem damals eben erst aus der Verwüstung des Dreißigjährigen Kriegs und unter den ungünstigsten Umständen sich wieder emporarbeitenden Deutschland sah es allerdings ganz anders aus; die einzige Hausindustrie, die hier für den Weltmarkt arbeitete, die Leinenweberei, wurde durch Steuern und Feudallasten so gedrückt, daß sie den webenden Bauer nicht über das sehr niedrige Niveau der übrigen Bauerschaft erhob. Aber immerhin hatte damals der ländliche Industriearbeiter eine gewisse Sicherheit der Existenz. Mit der Einführung der Maschinerie änderte sich das alles. Der Preis wurde nun bestimmt durch das Maschinenprodukt, und der Lohn des hausindustriellen Arbeiters fiel mit diesem Preise. Aber der Arbeiter mußte ihn nehmen oder andre Arbeit suchen, und das konnte er nicht, ohne Proletarier zu werden, d.h. ohne sein Häuschen, Gärtchen und Feldchen - eigen oder gepachtet - aufzugeben. Und das wollte er nur im seltensten Fall. So wurde der Garten- und Feldbau der alten ländlichen Handweber die Ursache, kraft deren der Kampf des Handwebstuhls gegen den mechanischen Webstuhl sich überall so sehr in die Länge zog und in Deutschland noch nicht ausgefochten ist. In diesem Kampf zeigte es sich zum ersten Mal, namentlich in England, daß derselbe Umstand, der früher einen verhältnismäßigen Wohlstand der Arbeiter begründet hatte - der Besitz des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln - jetzt für sie ein Hindernis und ein Unglück
geworden war. In der Industrie schlug der mechanische Webstuhl seinen Handwebstuhl, im Landbau schlug die große Agrikultur seinen Kleinbetrieb aus dem Felde. Aber während auf beiden Produktionsgebieten die vereinigte Arbeit vieler und die Anwendung der Maschinerie und der Wissenschaft gesellschaftliche Regel wurden, fesselten ihn sein Häuschen, Gärtchen, Feldchen und sein Webstuhl an die veraltete Methode der Einzelproduktion und der Handarbeit. Der Besitz von Haus und Garten war jetzt weit weniger wert als die vogelfreie Beweglichkeit. Kein Fabrikarbeiter hätte getauscht mit dem langsam aber sicher verhungernden ländlichen Handweber. Deutschland erschien spät auf dem Weltmarkt; unsre große Industrie datiert von den vierziger Jahren, erhielt ihren ersten Aufschwung durch die Revolution von 1848 und konnte sich erst voll entfalten, als die Revolutionen von 1866 und 1870 ihr wenigstens die schlimmsten politischen Hindernisse aus dem Wege geräumt. Aber sie fand den Weltmarkt großenteils besetzt. Die Massenartikel lieferte England, die geschmackvollen Luxusartikel Frankreich. Die einen konnte Deutschland nicht im Preise, die andern nicht in der Qualität schlagen. So blieb nichts übrig, als zunächst, dem Geleise der bisherigen deutschen Produktion entsprechend, sich in den Weltmarkt einzuschieben mit Artikeln, die für die Engländer zu kleinlich, für die Franzosen zu schäbig waren. Die beliebte deutsche Praxis der Prellerei, zuerst gute Muster zu schicken und nachher schlechte Ware, strafte sich allerdings auf dem Weltmarkt bald hart genug und kam in ziemlichen Verfall; andrerseits drängte die Konkurrenz der Überproduktion selbst die soliden Engländer allmählich auf die abschüssige Bahn der Qualitätsverschlechtung und leistete so den Deutschen Vorschub, die auf diesem Feld unerreichbar sind. Und so sind wir denn endlich dahin gekommen, eine große Industrie zu besitzen und eine Rolle auf dem Weltmarkt zu spielen. Aber unsre große Industrie arbeitet fast ausschließlich für den innern Markt (die Eisenindustrie ausgenommen, die weit über den innern Bedarf erzeugt), und unsre massenhafte Ausfuhr setzt sich zusammen aus einer Unsumme kleiner Artikel, zu denen die große Industrie höchstens die nötigen Halbfabrikate liefert, die aber selbst geliefert werden großenteils durch die ländliche Hausindustrie.
Und hier zeigt sich in vollem Glanz der „Segen" des eignen Haus- und Grundbesitzes für den modernen Arbeiter. Nirgends, selbst die irische Hausindustrie kaum ausgenommen, werden so infam niedrige Löhne gezahlt wie in der deutschen Hausindustrie. Was die Familie auf ihrem eignen Gärtchen und Feldchen erarbeitet, das erlaubt die Konkurrenz dem Kapi
talisten vom Preis der Arbeitskraft abzuziehen; die Arbeiter müssen eben jeden Akkordlohn nehmen, weil sie sonst gar nichts erhalten und vom Produkt ihres Landbaus allein nicht leben können; und weil andrerseits eben dieser Landbau und Grundbesitz sie an den Ort fesselt, sie hindert, sich nach andrer Beschäftigung umzusehn. Und hierin liegt der Grund, der Deutschland in einer ganzen Reihe von kleinen Artikeln auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig erhält. Man schlägt den ganzen Kapitalprofit heraus aus einem Abzug vom normalen Arbeitslohn und kann den ganzen Mehrwert dem. Käufer schenken. Das ist das Geheimnis der erstaunlichen Wohlfeilheit der meisten deutschen Ausfuhrartikel. Es ist dieser Umstand, der mehr als irgendein andrer auch auf andern industriellen Gebieten die Arbeitslöhne und die Lebenshaltung der Arbeiter in Deutschland unter dem Stand der westeuropäischen Länder hält. Das Bleigewicht solcher traditionell tief unter dem Wert der Arbeitskraft gehaltnen Arbeitspreise drückt auch die Löhne der städtischen und selbst der großstädtischen Arbeiter unter den Wert der Arbeitskraft hinab, und dies um so mehr, als auch in den Städten die schlechtgelohnte Hausindustrie an die Stelle des alten Handwerks getreten ist und auch hier das allgemeine Niveau des Lohnes herabdrückt. Hier sehn wir es deutlich: Was auf einer früheren geschichtlichen Stufe die Grundlage eines relativen Wohlstands der Arbeiter war: die Verbindung von Landbau und Industrie, der Besitz von Haus und Garten und Feld, die Sicherheit der Wohnung, das wird heute, unter der Herrschaft der großen Industrie, nicht nur die ärgste Fessel für den Arbeiter, sondern das größte Unglück für die ganze Arbeiterklasse, die Grundlage einer beispiellosen Herabdrückung des Arbeitslohns unter seine normale Höhe, und das nicht nur für einzelne Geschäftszweige und Gegenden, sondern für das ganze nationale Gebiet. Kein Wunder, daß die Groß- und Kleinbürgerschaft, die von diesen abnormen Abzügen vom Arbeitslohn lebt und sich bereichert, für ländliche Industrie, für hausbesitzende Arbeiter schwärmt, für alle ländlichen Notstände das einzige Heilmittel sieht in der Einführung neuer Hausindustrien! Das ist die eine Seite der Sache; aber sie hat auch eine Kehrseite. Die Hausindustrie ist die breite Grundlage des deutschen Ausfuhrhandels und damit der ganzen Großindustrie geworden. Damit ist sie über weite Striche von Deutschland verbreitet und dehnt sich täglich mehr aus. Der Ruin des Kleinbauern, unvermeidlich von der Zeit an, wo seine industrielle Hausarbeit für den Selbstgebrauch durch das wohlfeile Konfektions- und Maschinenprodukt, und sein Viehstand, also seine Düngerproduktion, durch
die Zerstörung der Markverfassung, der gemeinen Mark und des Flurzwangs vernichtet wurden - dieser Ruin treibt die dem Wucherer verfallenen Kleinbauern der modernen Hausindustrie gewaltsam zu. Wie in Irland die Bodenrente des Grundbesitzers, können in Deutschland die Zinsen des Hypothekenwucherers gezahlt werden, nicht aus dem Bodenertrag, sondern nur aus dem Arbeitslohn des industriellen Bauern. Mit der Ausdehnung der Hausindustrie aber wird eine Bauerngegend nach der andern in die industrielle Bewegung der Gegenwart hineingerissen. Es ist diese Revolutionierung der Landdistrikte durch die Hausindustrie, die die industrielle Revolution in Deutschland über ein weit größeres Gebiet ausbreitet als in England und Frankreich der Fall; es ist die verhältnismäßig niedrige Stufe unsrer Industrie, die ihre Ausdehnung in die Breite um so nötiger macht. Dies erklärt, warum in Deutschland, im Gegensatz zu England und Frankreich, die revolutionäre Arbeiterbewegung eine so gewaltige Verbreitung über den größten Teil des Landes gefunden hat, statt ausschließlich an städtische Zentren gebunden zu sein. Und dies wiederum erklärt den ruhigen, sichern, unaufhaltsamen Fortschritt der Bewegung. In Deutschland leuchtet es von selbst ein, daß eine siegreiche Erhebung in der Hauptstadt und den andern großen Städten erst dann möglich wird, wenn auch die Mehrzahl der kleinen Städte und ein großer Teil der ländlichen Bezirke für den Umschwung reif geworden ist. Wir können, bei einigermaßen normaler Entwicklung, nie in den Fall kommen, Arbeitersiege zu erfechten wie die Pariser von 1848 und 1871, aber eben deshalb auch nicht Niederlagen der revolutionären Hauptstadt durch die reaktionäre Provinz erleiden, wie Paris sie in beiden Fällen erlitt. In Frankreich ging die Bewegung stets von der Hauptstadt aus, in Deutschland von den Bezirken der großen Industrie, der Manufaktur und der Hausindustrie; die Hauptstadt wurde erst später erobert. Daher wird vielleicht auch in Zukunft die Rolle der Initiative den Franzosen vorbehalten bleiben; aber die Entscheidung kann nur in Deutschland ausgekämpft werden.
Nun ist aber diese ländliche Hausindustrie und Manufaktur, die in ihrer Ausdehnung der entscheidende Produktionszweig Deutschlands geworden und die damit das deutsche Bauerntum mehr und mehr revolutioniert, selbst nur die Vorstufe einer weiteren Umwälzung. Wie schon Marx nachgewiesen („Kapital" I., 3. Aufl. S.484-4951), schlägt auch für sie, auf einer gewissen Entwicklungsstufe, die Stunde des Untergangs durch die Maschinerie und den Fabrikbetrieb. Und diese Stunde scheint nahe bevorzustehn. Aber Ver
Dichtung der ländlichen Hausindustrie und Manufaktur durch Maschinerie und Fabrikbetrieb, das heißt in Deutschland Vernichtung der Existenz von Millionen ländlicher Produzenten, Expropriation fast der halben deutschen Kleinbauernschaft, Verwandlung nicht nur der Hausindustrie in Fabrikbetrieb, sondern auch der Bauernwirtschaft in große, kapitalistische Agrikultur und des kleinen Grundbesitzes in große Herrengüter - industrielle und landwirtschaftliche Revolution zugunsten des Kapitals und Großgrundbesitzes auf Kosten der Bauern. Sollte es Deutschland beschieden sein, auch diese Umwandlung noch unter den alten gesellschaftlichen Bedingungen durchzumachen, so wird sie unbedingt den Wendepunkt bilden. Hat bis dahin die Arbeiterklasse keines anderen Landes die Initiative ergriffen, so schlägt dann unbedingt Deutschland los, und die Bauernsöhne des „herrlichen Kriegsheers" helfen tapfer mit. Und jetzt nimmt die bürgerliche und kleinbürgerliche Utopie, die jedem Arbeiter ein eigentümlich besessenes Häuschen geben und ihn damit an seinen Kapitalisten in halbfeudaler Weise fesseln will, eine ganz andre Gestalt an. Als ihre Verwirklichung erscheint die Verwandlung aller kleinen ländlichen Hauseigentümer in industrielle Hausarbeiter; die Vernichtung der alten Abgeschlossenheit und damit der politischen Nullität der Kleinbauern, die in den „sozialen Wirbel" hineingerissen werden; die Ausbreitung der industriellen Revolution über das platte Land, und damit die Umwandlung der stabilsten, konservativsten Klasse der Bevölkerung in eine revolutionäre Pflanzschule, und als Abschluß des ganzen die Expropriation der hausindustriellen Bauern durch die Maschinerie, die sie mit Gewalt in den Aufstand treibt. Wir können den bürgerlich-sozialistischen Philanthropen den Privatgenuß ihres Ideals gern gönnen, solange sie in ihrer öffentlichen Funktion als Kapitalisten fortfahren, es in dieser umgekehrten Weise zu verwirklichen, zu Nutz und Frommen der sozialen Revolution.
London, 10. Januar 1887
Friedrich Engels
Nach: Friedrich Engels, „Zur Wohnungsfrage", zweite, durchgesehene Auflage, Hottingen-Zürich 1887.
Die Arbeiterbewegung in Amerika
[Vorwort zur amerikanischen Ausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse in England"12961]
[„Der Sozialdemokrat" Nr. 24 und 25 vom 10. und 17. Juni 1887] Zehn Monate sind verflossen, seit ich, auf Wunsch der Übersetzerin1, den „Anhang"2 zu diesem Buch schrieb. Während dieser zehn Monate hat sich in der amerikanischen Gesellschaft eine Revolution vollzogen, die in jedem andern Lande mindestens zehn Jahre gebraucht hätte. Im Februar 1886 war die öffentliche Meinung Amerikas einstimmig in diesem einen Punkt: daß in Amerika eine Arbeiterklasse - im europäischen Sinn - überhaupt nicht bestehe*; daß folglich ein Klassenkampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten, wie er die europäische Gesellschaft entzweireißt, in der amerikanischen Republik unmöglich sei; und daß daher der Sozialismus ein von außen eingeführtes Gewächs sei, unfähig, im amerikanischen Boden Wurzel zu fassen. Und doch warf gerade damals der hereinbrechende Klassenkampf bereits seinen Riesenschatten vor sich her in den Streiks der pennsylvanischen Kohlengräber12411 und vieler andern Gewerke, und ganz besonders in den Vorbereitungen - in allen Gegenden des Landes - zur großen Achtstundenbewegung, die für den Monat Mai angesetzt war und
* Eine englische Ausgabe meines 1844 geschriebnen Buchs fand gerade darin ihre Rechtfertigung, daß die industriellen Zustände des heutigen Amerikas den englischen der vierziger Jahre, also den von mir geschilderten, fast genau entsprechen. Wie sehr dies der Fall, bezeugen die Artikel über „The Labor Movement in America" von Edward und Eleanor Marx-Aveling in der Londoner Monatsschrift „Time", März, April, Mai und Juni'29'1. Ich beziehe mich auf diese vortrefflichen Artikel um so lieber, als mir dadurch Gelegenheit geboten wird, gleichzeitig die elenden Verleumdungen über Aveling zurückzuweisen, die die Exekutive der Soz. Arbeiterpartei Amerikas sich nicht entblödet hat in die Welt zu schicken12981. [Anmerkung von Engels zum Separatabdruck-J 1 Florence Kelley-Wischnewetzky - 2 siehe vorl. Band, S. 250-256
im Mai auch wirklich erfolgte[299). Daß ich schon damals diese Anzeichen richtig erkannte, daß ich eine Bewegung der Arbeiterklasse auf nationalem Maßstab voraussah, zeigt mein „Anhang". Was aber niemand voraussehn konnte, das war, daß die Bewegung in so kurzer Zeit mit solch unwiderstehlicher Kraft losbrechen, daß sie um sich greifen werde mit der Schnelligkeit eines Präriebrandes, daß sie schon jetzt die amerikanische Gesellschaft erschüttern werde bis in ihre Grundfesten. Die Tatsache ist da, unangreifbar, unbestreitbar. Welchen Schrecken sie unter den herrschenden Klassen Amerikas verbreitet hat, wurde mir, in erheiternder Weise, offenbar durch amerikanische Journalisten, die mich vorigen Sommer mit ihrem Besuche beehrten; die neue Bewegung hatte sie in einen Zustand hülfloser, jammervoller Angst versetzt. Und doch war damals die Bewegung noch erst im Entstehen, bestand nur erst aus einer Reihe verworrener, scheinbar zusammenhangsloser Zuckungen jener Klasse, die durch die Unterdrückung der Negersklaverei und durch die rasche, industrielle Entwicklung zur untersten Schicht der amerikanischen Gesellschaft geworden war. Aber schon vor Ablauf des Jahres zeigte sich, wie diese fremdartigen sozialen Krampfanfälle mehr und mehr nach einer bestimmten Richtung hin verliefen. Die spontanen, instinktiven Bewegungen dieser ungeheuren Arbeitermassen, ihre Verbreitung über ein ungeheures Landgebiet, der überall gleichzeitige Ausbruch ihrer gemeinsamen Unzufriedenheit mit einer elenden gesellschaftlichen Lage, überall dieselbe und denselben Ursachen geschuldet - alles das brachte diesen Massen die Tatsache zum Bewußtsein, daß sie eine neue, besondere Klasse in der amerikanischen Gesellschaft bildeten, eine Klasse von tatsächlich mehr oder weniger erblichen Lohnarbeitern, Proletariern. Und mit echt amerikanischem Instinkt führte dies Bewußtsein sie sofort zum nächsten Schritt zu ihrer Befreiung: zur Bildung einer politischen Arbeiterpartei mit eignem Programm und mit der Eroberung des Kapitals und des Weißen Hauses13001 als Ziel. Im Mai die Kämpfe um den achtstündigen Arbeitstag, die Unruhen in Chicago, Milwaukee usw., der Versuch der herrschenden Klassen, die aufkeimende Arbeiterbewegung durch rohe Gewalt und brutale Klassenjustiz zu unterdrücken; im November die junge Arbeiterpartei schon organisiert in allen großen Zentren, die Wahlen in New York, Chicago und Milwaukee'3011. Mai und November erinnerten bisher den amerikanischen Bourgeois nur an die Verfallzeiten der Kupons der amerikanischen Staatsschuld; Mai und November werden sie von nun an auch an die Verfalltage erinnern, an denen das amerikanische Proletariat zum erstenmal seine Kupons zur Zahlung präsentierte.
In europäischen Ländern brauchte die Arbeiterklasse Jahre und abermals Jahre, bis sie vollständig begriff, daß sie eine besondere und, unter den bestehenden Umständen, ständige Klasse der modernen Gesellschaft bildet. Und wiederum brauchte sie Jahre, bis dies Klassenbewußtsein sie dahin führte, sich zu einer besondern politischen Partei zusammenzutun, einer Partei, die allen alten, von den verschiedenen Gruppen der herrschenden Klassen gebildeten Parteien unabhängig und feindlich gegenübersteht. Auf dem begünstigteren Boden Amerikas, wo keine feudalen Ruinen den Weg versperren, wo die Geschichte anfängt mit den im 17. Jahrhundert schon herausgearbeiteten Elementen der modernen bürgerlichen Gesellschaft, hat die Arbeiterklasse diese beiden Stufen ihrer Entwicklung in nur zehn Monaten durchgemacht. Trotzdem ist das alles nur der Anfang. Daß die arbeitenden Massen die Gemeinsamkeit ihrer Beschwerden und Interessen fühlen, ihre Solidarität als Klasse gegenüber allen anderen Klassen; daß sie, um diesem Gefühl Ausdruck und Wirksamkeit zu geben, die zu solchem Schritt in jedem freien Lande bereitgehaltene politische Maschinerie in Bewegung setzen - das ist immer nur der erste Schritt. Der nächste Schritt besteht darin, das gemeinsame Heilmittel für diese gemeinsamen Leiden zu finden und in dem Programm der neuen Arbeiterpartei zum Ausdruck zu bringen. Und dieser Schritt - der wichtigste und schwierigste der ganzen Bewegung - ist in Amerika noch zu tun. Eine neue Partei muß ein bestimmtes positives Programm haben, ein Programm, dessen Einzelheiten wechseln mögen mit den Umständen und mit der Entwicklung der Partei selbst, aber immerhin ein Programm, worüber die Partei in jedem gegebenen Augenblick einig ist. Solange dieses Programm noch nicht herausgearbeitet ist, solange wird auch die Partei nur noch als Keim existieren; sie mag lokale Existenz haben; aber keine nationale; sie mag eine Partei sein ihrer Bestimmung nach, aber noch nicht in der Wirklichkeit. Welches aber auch die ursprüngliche Gestalt dieses Programms sein mag, so muß es sich stets fortentwickeln in einer Richtung, die im voraus bestimmt werden kann. Die Ursachen, die zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse eine abgrundtiefe Kluft gerissen haben, sind dieselben in Amerika wie in Europa; die Mittel, diese Kluft auszufüllen, sind gleichfalls überall dieselben. Und daher muß das Programm des amerikanischen Proletariats, je weiter die Bewegung sich entwickelt, um so mehr zusammenfallen mit dem, welches nach sechzig Jahren des Zwistes und der Debatten das allgemein angenommene Programm des europäischen streitbaren
22 Marx/Engels, Werte, Bd. 21
Proletariats geworden ist. Es wird, wie dieses, als schließliches Ziel proklamieren die Eroberung der politischen Herrschaft durch die Arbeiterklasse als Mittel zur direkten Aneignung aller Produktionsmittel - Boden, Eisenbahnen, Bergwerke, Maschinen usw. - durch die Gesellschaft und zur gemeinsamen Benutzung dieser Produktionsmittel durch und für die Gesamtheit. Nun erstrebt in der Tat die neue amerikanische Partei, wie alle und jede politische Partei, kraft der bloßen Tatsache ihrer Bildung, die Eroberung der politischen Herrschaft. Aber sie ist weit entfernt davon, mit sich einig zu sein über das, wozu diese politische Herrschaft gebraucht werden soll. In New York und den andern Großstädten des Ostens hat die Arbeiterklasse sich nach Gewerkschaften organisiert und in jeder Stadt eine mächtige Central Labor Union gebildet. In New York speziell erkor die Central Labor Union vorigen November Henry George zu ihrem Bannerträger; infolgedessen war ihr damaliges Wahlprogramm stark von Henry Georges Ansichten durchtränkt. In den großen Städten des Nordwestens wurde die Wahlschlacht auf Grundlage eines ziemlich unbestimmten Arbeiterprogramms ausgekämpft, worin der Einfluß der Georgeschen Ideen kaum, wenn überhaupt, sichtbar war. Und während in diesen großen Mittelpunkten der Bevölkerung und der Industrie die Bewegung eine entschieden politische Form erhielt, finden wir daneben, über das ganze Land zerstreut, zwei weit verbreitete Arbeiterorganisationen: die Arbeitsritter[302] und die Sozialistische Arbeiterpartei, von denen nur die letztere ein mit dem oben skizzierten, modernen europäischen Standpunkt übereinstimmendes Programm besitzt. Von diesen drei mehr oder weniger bestimmten Formen, in denen die amerikanische Arbeiterbewegung uns gegenübertritt, ist die erste - die von Henry George geführte Bewegung in New York - für den Augenblick von vorwiegend nur lokaler Bedeutung. Unzweifelhaft ist New York bei weitem die wichtigste Stadt des Landes; aber New York ist nicht Paris, und die Vereinigten Staaten sind nicht Frankreich. Und es scheint mir, daß das Programm Henry Georges in seiner jetzigen Gestalt zu knapp ist, um die Grundlage zu bilden für mehr als eine lokale Bewegung, oder, im besten Fall, für mehr als eine kurzlebige Übergangsstufe der allgemeinen Bewegung. Für Henry George ist die Enteignung der Volksmasse vom Grundbesitz die große, allgemeine Ursache der Spaltung des Volks in Reiche und Arme. Das ist aber geschichtlich nicht ganz richtig. Im asiatischen und klassischen Altertum war die herrschende Form der Klassenunterdrückung die Sklaverei, d.h. nicht sowohl die Enteignung der Massen von Grund und Boden, als
vielmehr die Aneignung ihrer Personen durch Dritte. Als beim Verfall der römischen Republik die freien italienischen Bauern von ihren Heimstätten expropriiert wurden, verwandelten sie sich in eine Klasse von „verlumpten Weißen" („poor whites", „white trash"), wie sie in den südlichen Sklavenstaaten der Union vor 1861 bestand; und zwischen Sklaven und verlumpten Freien, zwei zur Selbstbefreiung gleich untüchtigen Klassen, ging die alte Welt in die Brüche. Im Mittelalter war keineswegs die Enteignung der Volksmassen vom Boden, sondern vielmehr ihre Aneignung an den Boden die Grundlage des feudalen Drucks. Der Bauer behielt seine Heimstätte, wurde aber als Leibeigner oder Höriger an sie gefesselt und hatte dem Grundherrn Tribut in Arbeit oder in Produkten zu leisten. Erst bei Anbruch der neuen Zeit, gegen Ende des 15.Jahrhunderts, wurde die Expropriation der Bauern auf großer Stufenleiter durchgeführt, und zwar diesmal unter geschichtlichen Bedingungen, welche die besitzlos gewordenen Bauern allmählich in die moderne Klasse der Lohnarbeiter hinüberführten, in Leute, welche nichts besitzen außer ihrer Arbeitskraft und nur leben können von dem Verkauf dieser Arbeitskraft an andere. Wenn aber die Enteignung von Grund und Boden diese Klasse ins Leben rief, so gehörte die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise, die moderne Großindustrie und die moderne Großackerwirtschaft dazu, sie zu verewigen, zu vermehren und sie in eine besondere Klasse mit besonderen Interessen und einer besonderen geschichtlichen Aufgabe zu verwandeln. Alles dies ist ausführlich dargestellt von Marx. („Kapital", I.Bd. Abschn.VII: „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation."1) Nach Marx liegt die Ursache des gegenwärtigen Klassengegensatzes und der gegenwärtigen Erniedrigung der Arbeiterklasse in ihrer Enteignung von allen Produktionsmitteln, worin der Boden natürlich einbegriffen ist.
Nachdem Henry George einmal die Monopolisierung des Bodens zur einzigen Ursache der Armut und des Elends gemacht hat, findet er begreiflicherweise das Heilmittel darin, daß die Gesellschaft als solche den Boden wieder in Besitz nimmt. Nun verlangen die Sozialisten der Marxschen Schule ebenfalls, daß die Gesellschaft den Boden wieder in Besitz nimmt, und nicht nur den Boden, sondern alle andern Produktionsmittel ebenfalls. Aber selbst wenn wir hiervon absehen, so bleibt noch-ein anderer Unterschied. Was soll mit dem Boden gemacht werden? Die heutigen Sozialisten, soweit Marx sie repräsentiert, verlangen, daß er gemeinsam besessen und gemeinsam für gemeinsame Rechnung bearbeitet werde, und daß
dasselbe mit allen andern gesellschaftlichen Produktionsmitteln, Bergwerken, Eisenbahnen, Fabriken usw. geschehen soll. Henry George dagegen ist damit zufrieden, daß der Boden, ganz wie jetzt, an Einzelne stückweise verpachtet wird, sobald nur die Verpachtung geregelt und die Bodenrente, statt wie jetzt in Privattaschen, in die öffentliche Kasse fließt. Die Forderung der Sozialisten schließt eine vollständige Umwälzung des gesamten heutigen Systems der gesellschaftlichenProduktion ein. Die Forderung Henry Georges dagegen läßt die heutige gesellschaftliche Produktionsweise unberührt und ist auch in der Tat schon vor Jahren von der extremsten Richtung der Ricardianischen bürgerlichen Ökonomen aufgestellt worden. Auch sie verlangten die Konfiskation der Bodenrente durch den Staat. Natürlich wäre es unbillig, anzunehmen, daß Henry George schon ein für allemal sein letztes Wort gesagt hat. Aber ich muß seine Theorie eben nehmen, wie ich sie finde. Die zweite große Abteilung der amerikanischen Bewegung bilden die Arbeitsritter. Und in ihnen scheint sich der augenblickliche Entwicklungsstand der Bewegung am treuesten widerzuspiegeln, wie sie denn auch unzweifelhaft weitaus die zahlreichste der drei Abteilungen bilden. Ein riesenhafter Verein, verbreitet über unermeßliche Landstriche in unzähligen „assemblies", worin alle Schattierungen individueller und lokaler Ansichten innerhalb der Arbeiterklasse vertreten sind; sie alle vereinigt unter dem Dach eines Programms von entsprechender Unbestimmtheit, und zusammengehalten weit weniger durch ihre unausführbare Verfassung, als durch das instinktive Gefühl, daß die bloße Tatsache ihres Sichzusammentuns für ihre gemeinsamen Strebeziele sie zum Rang einer großen Macht im Land erhebt; ein echt amerikanisches Widerspruchsrätsel, das die modernsten Bestrebungen mit dem mittelalterlichen Mummenschanz umkleidet und den demokratischsten und selbst rebellischsten Geist verbirgt hinter einer scheinbaren, aber in Wirklichkeit ohnmächtigen Despotie - das ist das Bild, das die Arbeitsritter einem europäischen Beobachter darbieten. Lassen wir uns aber nicht durch bloß äußerliche Absonderlichkeiten aufhalten, so können wir nicht umhin, in dieser kolossalen Arbeiteranhäufung eine ungeheure Masse schlummernder, potentieller Energie zu sehen, die im Begriff steht, sich langsam aber sicher in lebendige Kraft umzusetzen. Die Arbeitsritter sind die erste von der gesamten amerikanischen Arbeiterklasse geschaffne nationale Organisation. Einerlei was ihr Ursprung und ihre Geschichte, was ihre Mängel und kleinen Verrücktheiten, was ihr Programm und ihre Verfassung - hier sind sie, tatsächlich das Werk der gesamten amerikanischen Klasse der Lohnarbeiter, das einzige nationale Band, das sie zu
sammenhält, das ihre Stärke ihnen selbst nicht minder als ihren Feinden fühlbar macht, das sie mit der stolzen Hoffnung künftiger Siege erfüllt. Und es wäre keineswegs richtig, zu sagen, daß die Arbeitsritter entwicklungsunfähig1 sind. Sie sind fortwährend in vollem Gang der Entwicklung und Umwälzung begriffen, eine wogende, gärende Masse bildsamen Stoffs, der daran arbeitet, die seiner Natur angemessene Form und Gestalt zu finden. Diese Form wird sich finden, so gewiß die historische Entwicklung, ebenso gut wie die der Natur, ihre eignen innewohnenden Gesetze hat. Ob dann die Arbeitsritter ihren jetzigen Namen beibehalten oder nicht, ist gleichgültig. Aber der Beobachter aus der Ferne wird kaum umhin können, in ihnen den Rohstoff zu sehn, aus dem die Zukunft der amerikanischen Arbeiterbewegung, und damit die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft überhaupt, herausgearbeitet werden muß. Die dritte Abteilung ist die Sozialistische Arbeiterpartei. Sie ist eine Partei nur dem Namen nach, denn nirgendwo in Amerika ist sie bis jetzt wirklich imstand gewesen, als politische Partei handelnd aufzutreten. Sie ist zudem bis zu einem gewissen Grad ein ausländisches Element in den Vereinigten Staaten; sie hat bis ganz neuerdings fast ausschließlich aus eingewanderten Deutschen bestanden, die sich ihrer eigenen Sprache bedienen und mit der englischen Landessprache nur wenig vertraut sind. Dafür aber, daß sie von fremder Wurzel kam, kam sie auch bewaffnet mit der Erfahrung, die sie in langjährigem Klassenkampf in Europa erworben, und mit einer Einsicht in die allgemeinen Bedingungen der Emanzipation der Arbeiterklasse, wie sie bei amerikanischen Arbeitern bis jetzt nur ausnahmsweise zu finden ist. Es ist dies ein Glück für das amerikanische Proletariat, das hiemit in den Stand gesetzt wird, den intellektuellen und moralischen Gewinn des vierzigjährigen Kampfs ihrer europäischen Klassengenossen sich anzueignen und zu benutzen und so seinen eigenen Sieg zu beschleunigen. Denn, wie gesagt, darüber kann kein Zweifel sein: das schließliche Programm des amerikanischen Proletariats muß und wird im wesentlichen dasselbe sein wie das jetzt vom gesamten streitbaren Proletariat Europas angenommene, dasselbe wie das der deutsch-amerikanischen Sozialistischen Arbeiterpartei. Damit, und soweit, ist diese Partei berufen zu einem sehr wichtigen Anteil an der Bewegung. Aber um diesen Beruf zu erfüllen, wirdsie auch ihre ausländische Tracht bis auf den letzten Rest abzustreifen haben. Sie muß durch und durch amerikanisch werden. Sie kann nicht verlangen, daß die Amerikaner zu ihr kommen; sie, die eingewanderte Minder
heit, muß zu der ungeheuren Mehrheit der eingeborenen Amerikaner gehn. Und dazu muß sie vor allen Dingen Englisch lernen. Der Verschmelzungsprozeß dieser verschiedenen Elemente der gewaltigen wogenden Masse - Elemente, in Wirklichkeit einander nicht widerstreitend , aber wohl kraft ihrer verschiedenen Ausgangspunkte einander entfremdet -, dieser Prozeß wird einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht ohne mannigfache Reibung abgehen, wie sie sich schon jetzt an verschiedenen Punkten zeigt. So sind die Arbeitsritter in den Städten des Ostens hier und da in lokalem Kampf mit den organisierten Gewerkschaften. Aber eben diese Art Reibung existiert auch innerhalb der Arbeitsritter selbst, in deren Mitte Frieden und Harmonie keineswegs herrscht. Das sind aber keineswegs Anzeichen des Verfalls, worüber die Kapitalisten ein Recht hätten zu jubeln. Es sind vielmehr nur Beweise, daß die zahllosen Scharen von Arbeitern, die jetzt endlich in einer und derselben Gesamtrichtung in Bewegung geraten, bis jetzt weder den angemessenen Ausdruck für ihre gemeinsamen Interessen, noch die geeignetste Organisationsform gefunden haben. Bis jetzt sind sie nur noch die ersten Massenaushebungen des großen Revolutionskriegs, versammelt und ausgerüstet in einzelnen, noch selbständigen Lokalgruppen, alle bestimmt, ein einziges großes Heer zu bilden, aber noch ohne regelmäßige Organisation und gemeinsamen Feldzugsplan. Noch kreuzen sich hie und da die auf einen Sammelpunkt hinmarschierenden Kolonnen; Verwirrung, Zank und Streit, selbst Drohung ernstlichen Zusammenstoßes wird laut. Aber schließlich überwindet die Gemeinsamkeit des Endzieles alle kleinen Schwierigkeiten; es dauert nicht lange, und die verzettelten und lärmenden Bataillone tun sich zusammen zu einer festgegliederten Schlachtlinie voll Waffenglanz und drohendem Schweigen, gedeckt durch verwegene Plänkler in der Front und durch unerschütterliche Reserven im Rücken. Dies Resultat zu erreichen, die Vereinigung dieser verschiedenen unabhängigen Körperschaften zu einer einzigen nationalen Arbeiterarmee mit einem gemeinsamen Programm - und sei dies Programm noch so unreif, solange es nur ein echtes Klassenprogramm von Arbeitern ist -, das ist der nächste große in Amerika zu vollziehende Schritt. Dies Ziel zu erreichen und das Programm zu einem diesem Ziel angemessenen zu machen, dazu kann niemand mehr beitragen als die Sozialistische Arbeiterpartei, wenn sie sich nur entschließt, dieselbe Taktik zu befolgen, die die europäischen Sozialisten befolgten zu der Zeit, als sie nur noch eine geringe Minderheit der Arbeiterldasse ausmachten. Diese Taktik wurde zuerst dargelegt im „Manifest der Kommunistischen Partei" von 1847 in folgenden Worten:
„Die Kommunisten" - das war der Name, den wir damals angenommen, und den wir auch heute noch weit entfernt sind, zurückzuweisen - „die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß einerseits sie in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats zur Geltung bringen; andrerseits dadurch, daß sie in den verschiednen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus... Sie kämpfen also für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung."1 Das ist die Taktik, die der große Begründer des modernen Sozialismus, Karl Marx, und mit ihm ich und die Sozialisten aller Nationen, die mit uns arbeiteten, seit mehr als vierzig Jahren befolgt haben, die uns überall zum Siege geführt und die es bewirkt hat, daß heute die Masse der europäischen Sozialisten, in Deutschland wie in Frankreich, in Belgien und Holland wie in der Schweiz, in Dänemark und Schweden wie in Spanien und Portugal, als eine einzige große Armee unter einer und derselben Fahne kämpfen.
London, 26. Januar 1887
Friedrich Engels
[Brief an das Organisationskomitee des internationalen Festes in Paris13031]
[„Der Sozialdemokrat" Nr. 11 vom 11.März 1887]
Bürger! Wir befinden uns gegenüber einer außerordentlichen Gefahr. Man droht uns mit einem Kriege, in dem diejenigen, die ihn verabscheuen und die lauter gemeinsame Interessen haben, die französischen und deutschen Proletarier, gezwungen sein werden, sich gegenseitig abzuschlachten. Was ist die wirkliche Ursache dieses Standes der Dinge? Der Militarismus, die Einführung des preußischen Militärsystems in allen Großstaaten des Kontinents. Dieses System behauptet, die ganze Nation zur Verteidigung ihres Bodens und ihrer Rechte auszurüsten. Das ist eine Lüge. Das preußische System hat das System der beschränkten Aushebung und des den Reichen zustehenden Loskaufrechtes verdrängt, weil es den Herrschenden alle Hilfsquellen des Landes, Personen wie Sachen, zur Verfügung stellte. Aber es ist ihm nicht gelungen, ein Volksheer zustande zu bringen. Das preußische Heer teilt die dienstpflichtigen Staatsbürger in zwei Kategorien. Die erste wird in die Linie eingereiht, während die zweite sofort in die Reserve oder in die Landwehr eingestellt wird. Diese letztere Kategorie erhält keine oder so gut wie keine militärische Ausbildung; die erstere jedoch hält man 2 oder 3 Jahre unter der Fahne, eine Zeit, die ausreicht, aus ihr eine gehorsame, bis zur Willenlosigkeit eingedrillte Armee zu machen, eine zu Eroberungen im Auslande wie zu gewaltsamer Unterdrückung aller heimischen Volksbewegungen stets bereite Armee. Denn vergessen wir es nicht, alle die Regierungen, welche dieses System angenommen, fürchten das arbeitende Volk daheim weit mehr als die mit ihnen rivalisierenden Regierungen jenseits der Grenzen.
Dank seiner Elastizität ist dieses System einer ungeheuren Ausdehnung fähig. Solange noch ein einziger, nicht in die Armee eingereihter wehrfähiger junger Mann existiert, solange sind auch die disponiblen Hilfsquellen noch nicht erschöpft. Daher dies zügellose Wettrennen um die größte und stärkste Armee. Jede Vermehrung der militärischen Kräfte des einen Leindes zwingt die andern Steiaten, ein gleiches, wenn nicht mehr zu tun. Und alles das kostet ein wahnsinniges Geld. Die Völker werden durch die Last der Militärausgaben zugrunde gerichtet, der Friede wird beinahe noch kostspieliger als der Krieg, so daß schließlich der Krieg, statt als eine schreckliche Geißel, als eine heilsame Krise erscheint, die einer unmöglichen Situation ein Ende macht. Dies der Grund, warum es den Intriganten in den verschiedenen Ländern, die gern im trüben fischen möchten, möglich wurde, den Krieg heraufzubeschwören. Und das Heilmittel? Die Abschaffung des preußischen Systems und die Ersetzung desselben durch ein wirkliches Volksheer, das eine einfache Schule ist, in die jeder Bürger, sobald er fähig ist, die Waffen zu tragen, für die Dauer der zur Erlernung des Soldatenmetiers absolut notwendigen Zeit eingereiht wird; Einstellung der so herangebildeten Leute in stark organisierte örtliche Reservekadres, so daß jede Stadt, jeder Distrikt sein Bateiillon hat, zusammengesetzt aus Leuten, die sich kennen und die, wenn es sein muß, in 24 Stunden vollständig ausgerüstet und marschbereit zusammentreten können. Das bedeutet, daß jeder Wehrfähige sein Gewehr und seine Equipierung bei sich zu Hause hat, wie es in der Schweiz der Fall ist. Das Volk, welches dieses System zuerst einführt, wird seine wirkliche militärische Kraft verdoppeln und dabei gleichzeitig sein Kriegsbudget um die Hälfte vermindern. Es wird schon durch die Tatsache, daß es alle seine Bürger bewaffnet, seine Friedensliebe beweisen. Denn diese Armee, welche eins ist mit der Nation, ist ebensowenig zur Eroberung nach außen geeignet, als sie in der Verteidigung ihres heimischen Bodens besiegbar ist. Und dann, welche Regierung würde es wagen, die politische Freiheit anzutasten, wenn jeder Bürger ein Gewehr und fünfzig scharfe Patronen zu Hause zu liegen hat?
London, 13. Februar 1887
Fr.Engels
Einleitung [zu Sigismund Borkheims Broschüre „Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806 -1807"]B04]
Der Verfasser der nachfolgenden Broschüre, Sigismund Borkheim, war geboren am 29. März 1825 in Glogau. Nachdem er in Berlin 1844 das Gymnasium absolviert, studierte er nacheinander in Breslau, Greifswalde und Berlin. Um seiner Militärpflicht zu genügen, mußte er, zu arm, die Kosten des einjährigen Dienstes zu tragen, 1847 als dreijähriger Freiwilliger bei der Artillerie in Glogau eintreten. Nach der Revolution 1848 nahm er teil an demokratischen Versammlungen und geriet deshalb in kriegsgerichtliche Untersuchung, der er sich durch die Flucht nach Berlin entzog. Hier blieb er, zunächst unverfolgt, in der Bewegung tätig und nahm hervorragenden Anteil am Zeughaussturm[305]. Der ihm infolgedessen drohenden Verhaftung entging er durch neue Flucht nach der Schweiz. Als hier Struve im September 1848 seinen Freischarenzug in den badischen Schwarzwald1306-1 organisierte, schloß Borkheim sich an, wurde gefangengenommen und blieb eingesperrt, bis die badische Revolution vom Mai 184912841 die Gefangenen befreite. Borkheim ging nach Karlsruhe, um der Revolution seine Dienste als Soldat zur Verfügung zu stellen. Als Johann Philipp Becker zum Oberstkommandierenden der gesamten Volkswehr ernannt worden, übertrug er Borkheim die Bildung einer Batterie, wozu die Regierung zunächst aber nur die unbespannten Geschütze stellte. Die Bespannungen waren noch nicht beschafft, als die Bewegung des 6. Juni ausbrach[307J, wodurch die entschiedneren Elemente die schlaffe, teilweise aus direkten Verrätern bestehende provisorische Regierung zu größerer Energie anspornen wollten. Mit Becker hatte auch Borkheim sich an der Demonstration beteiligt, die indes nur den unmittelbaren Erfolg hatte, daß Becker mit allen seinen Freischaren und Volkswehren von Karlsruhe entfernt und auf den Kriegsschauplatz am Nekkar geschickt wurde. Borkheim konnte mit seiner Batterie nicht folgen, bis ihm Pferde für seine Kanonen gestellt. Als er diese endlich erhalten - denn
Herr Brentano, der Leiter der Regierung, hatte jetzt alles Interesse daran, sich die revolutionäre Batterie vom Halse zu schaffen -, hatten die Preußen inzwischen die Pfalz erobert, und der erste Akt der Batterie Borkheim bestand darin, an der Knielinger Brücke Aufstellung zu nehmen, zur Deckung des Übertritts der Pfälzer Armee auf badisches Gebiet. Mit den Pfälzern und den noch im Bereich von Karlsruhe befindlichen badischen Truppen rückte die Batterie Borkheim nunmehr in nördlicher Richtung vor. Sie kam am 21 .Juni bei Blankenloch ins Gefecht und nahm ehrenvollen Anteil am Treffen bei Ubstadt (25. Juni). Bei der Neuorganisation der Armee zur Aufstellung an der Murg wurde Borkheim mit seinen Geschützen der Division Oborski zugeteilt und zeichnete sich in den Kämpfen um Kuppenheim aus. Nach dem Rückzug der Revolutionsarmee auf Schweizer Gebiet ging Borkheim nach Genf. Hier fand er seinen alten Vorgesetzten und Freund J.Ph. Becker sowie einige jüngere Kriegskameraden, die sich in der Misere des Flüchtlingslebens zu einer möglichst heitern Gesellschaft zusammentaten. Ich verlebte im Herbst 1849 auf der Durchreise einige lustige Teige unter ihnen. Es ist dies dieselbe Gesellschaft, die unter dem Namen „Schwefelbande" durch die kolossalen Lügen des Herrn Karl Vogt[308J eine höchst unverdiente postume Berühmtheit erlangt hat. Das Vergnügen sollte indes nicht lange dauern. Im Sommer 1850 erreichte der Arm des gestrengen Bundesrates auch die harmlose „Schwefelbande", und die meisten der fidelen jungen Herren mußten die Schweiz verlassen, da sie zu den auszuweisenden Kategorien der Flüchtlinge gehörten. Borkheim ging nach Paris, später nach Straßburg. Aber auch hier war seines Bleibens nicht. Im Februar 1851 wurde er verhaftet und auf dem Schub nach Calais zur Einschiffung nach England gebracht. Drei Monate lang wurde er so von Ort zu Ort, meist in Ketten, durch 25 verschiedene Gefängnisse geschleppt. Aber überall, wohin er kam, waren die Republikaner im voraus benachrichtigt, gingen dem Schubgefangenen entgegen, sorgten für reichliche Verpflegung, traktierten und bestachen die Gendarmen und Beamten und verschafften Fahrgelegenheit, wo es ging. So kam er endlich nach England. In London fand er freilich eine weit akutere Flüchtlingsmisere vor als in Genf oder selbst in Frankreich, aber auch hier verließ ihn seine Elastizität nicht. Er suchte Beschäftigung, gleichviel welche, und fand sie zunächst in einem Liverpooler Auswanderungsgeschäft, das deutsche Kommis als Dolmetscher brauchte für die zahlreichen, dem glücklich wieder zur Ruhe gebrachten alten Vaterland Lebewohl sagenden deutschen Auswandrer.
Nebenbei sah er sich aber nach andern Geschäftsverbindungen um, und zwar mit solchem Erfolg, daß es ihm nach Ausbruch des Krimkriegs gelang, ein Dampfschiff mit allerlei Waren nach Balaklawa zu befrachten und die Ladung dortiteils an die Armee Verwaltung, teils an die englischen Offiziere zu unerhörten Preisen abzusetzen. Als er zurückkam, war er im Besitz eines Reingewinns von 15 000 Pfd. St. (300 000 Mark). Aber dieser Erfolg stachelte ihn nur zu weiteren Spekulationen an. Er ließ sich auf eine neue Submissionslieferung mit der englischen Regierung ein. Da indes schon Friedensverhandlungen im Gang waren, setzte die Regierung die Bedingung in den Vertrag, daß sie die Abnahme der Waren verweigern könne, falls bei Ankunft die Friedenspräliminarien abgeschlossen. Borkheim ging darauf ein. Als er mit seinem Dampfschiff im Bosporus ankam, war der Friede da. Der Kapitän des nur für die Hinreise gemieteten Schiffs, der nunmehr lohnende Rückfracht in Menge erhalten konnte, verlangte sofortige Ausladung, und da Borkheim nirgendwo im vollgepfropften Hafen Unterkunft für die ihm zur Verfügung gelassene Ladung finden konnte, lud der Kapitän alles an der ersten besten Stelle des Strandes aus. Da saß nun Borkheim mit seinen nutzlosen Kisten, Ballen und Fässern, und mußte hilflos zusehen, wie das damals aus allen Enden der Türkei und ganz Europas am Bosporus zusammengelaufene Gesindel seine Waren plünderte. Als er nach England zurückkam, war er wieder der alte arme Teufel - die fünfzehntausend Pfund waren alle dahin. Nicht aber seine unverwüstliche Elastizität. Er hatte sein Geld verspekuliert, aber Geschäftskenntnisse gewonnen und Bekanntschaften in der Geschäftswelt. Er entdeckte nun auch, daß er eine äußerst feine Weinzunge hatte und wurde erfolgreicher Vertreter verschiedener Exporthäuser von Bordeaux. Daneben aber blieb er soviel er konnte in der politischen Bewegung. Liebknecht kannte er von Karlsruhe und Genf her. Mit Marx kam er durch den Vogtskandalt309J in Verbindung, und dadurch fand ich mich auch wieder mit ihm zusammen. Ohne sich an ein bestimmtes Programm zu binden, hielt Borkheim es stets mit der Partei der extremsten Revolution. Seine vorwiegende politische Beschäftigung war die Bekämpfung des großen Rückhalts der europäischen Reaktion, des russischen Absolutismus. Um die russischen Intrigen zur Unterjochung der Balkanländer und zur indirekten Beherrschung von Westeuropa besser verfolgen zu können, lernte er Russisch und studierte jahrelang die russische Tagespresse und Emigrationsliteratur. Unter anderm übersetzte er die Broschüre Serno-Solowjewitschs: „Unsere Russischen Angelegenheiten"[310), worin die durch Herzen aufgebrachte (und später durch Bakunin fortgeführte) Heuchelei gegeißelt
wurde, derzufolge die russischen Flüchtlinge in Westeuropa über Rußland nicht die ihnen bekannte Wahrheit, sondern eine konventionelle, in ihren nationalen undpanslawistischen Kram passende Legende verbreiteten.Ebenso schrieb er viele Aufsätze über Rußland in die Berliner „Zukunft"[3U], den „Volksstaat" usw. Im Sommer 1876, auf einer Reise in Deutschland, traf ihn in Badenweiler ein Schlagfluß, der ihn für den ganzen Rest seines Lebens auf der ganzen linken Körperhälfte lähmte. Er mußte sein Geschäft aufgeben. Einige Jahre darauf starb seine Frau. Da er brüstleidend war, mußte er nach Hastings übersiedeln, in die milde Seeluft der englischen Südküste. Weder Lähmung noch Krankheit, noch knappe, keineswegs immer gesicherte Existenzmittel konnten seine unverwüstliche geistige Spannkraft brechen. Seine Briefe waren immer von fast übermütiger Heiterkeit, und wenn man ihn besuchte, mußte man ihm lachen helfen. Seine Lieblingslektüre war der Zürcher „Sozialdemokrat". Von einer Lungenentzündung ergriffen, starb er am 16. Dezember 1885.
Die „Mordspatrioten" erschienen gleich nach dem französischen Krieg im „Volksstaat" und bald darauf im Separatabdruck. Sie bewiesen sich als ein höchst wirksames Gegengift gegen den überpatriotischen Siegesrausch, worin das offizielle und bürgerliche Deutschland schwelgte und noch schwelgt. In der Tat gab es kein besseres Ernüchterungsmittel als die Rückerinnerung an die Zeit, wo das jetzt in den Himmel erhobene Preußen vor dem Angriff derselben Franzosen, die man jetzt als Besiegte verachtet, schimpflich und schmählich zusammenbrach. Und dies Mittel mußte um so kräftiger wirken, wenn die Erzählung der fatalen Tatsachen einem Buche entnommen werden konnte, worin ein preußischer General1, obendrein Direktor der allgemeinen Kriegsschule, die Zeit der Schmach nach offiziellen preußischen Aktenstücken - und man muß es anerkennen, unparteiisch und ungeschminkt - geschildert hatte.13121 Eine große Armee, wie jede andre große gesellschaftliche Organisation, ist nie besser, als wenn sie nach einer großen Niederlage in sich geht und Buße tut für ihre vergangenen Sünden. So ging es den Preußen nach Jena, so nochmals nach 1850, wo sie zwar keine große Niederlage erlitten, wo aber doch ihr gänzlicher militärischer Verfall ihnen selbst und der Welt in einer Reihe kleinerer Feldzüge - in Dänemark und in Süddeutschland - und bei der ersten großen Mobilmachung von
1850 handgreiflich klar gemacht, und wo sie selbst einer wirklichen Niederlage nur entgangen waren durch die politische Schmach von Warschau und Olmütz.13131 Sie waren gezwungen, ihre eigene Vergangenheit einer schonungslosen Kritik zu unterwerfen, um das Bessermachen zu lernen. Ihre militärische Literatur, die in Clausewitz einen Stern erster Größe hervorgebracht, seitdem aber unendlich tief gesunken war, hob sich wieder unter dieser Unumgänglichkeit der Selbstprüfung. Und eine der Früchte dieser Selbstprüfung war das Höpfnersche Buch, aus dem Borkheim das Material zu seiner Broschüre nahm. Auch jetzt noch wird es nötig sein, immer wieder an jene Zeit der Überhebung und der Niederlagen, der königlichen Unfähigkeit, der diplomatischen, in ihrer eigenen Doppelzüngigkeit gefangenen preußischen Dummschlauheit, der sich in feigstem Verrat bewährenden Großmäuligkeit des Offiziersadels, des allgemeinen Zusammenbruchs eines dem Volk entfremdeten, auf Lug und Trug begründeten Staatswesens zu erinnern. Der deutsche Spießbürger (wozu auch Adel und Fürsten gehören) ist womöglich noch aufgeblasener und chauvinistischer als damals; die diplomatische Aktion ist bedeutend frecher geworden, aber sie hat noch die alte Doppelzüngigkeit; der Offiziersadel hat sich auf natürlichem wie künstlichem Weg hinreichend vermehrt, um so ziemlich wieder die alte Herrschaft in der Armee auszuüben, und der Staat entfremdet sich mehr und mehr den Interessen der großen Volksmassen, um sich in ein Konsortium von Agrariern, Börsenleuten und Großindustriellen zu verwandeln, zur Ausbeutung des Volks. Allerdings, sollte es wieder zum Kriege kommen, so wird die preußisch-deutsche Armee, schon weil sie allen andern Organisationsvorbild war, bedeutende Vorteile haben vor ihren Gegnern wie vor ihren Verbündeten. Aber nie wieder solche, wie in den letzten zwei Kriegen.1314-1 Die Einheit des Oberbefehls z.B., wie sie damals, dank besonderen Glücksumständen, bestand, und der entsprechende unbedingte Gehorsam der Unterfeldherrn werden schwerlich so wieder zu haben sein. Die geschäftliche Gevatterschaft, die jetzt zwischen dem agrarischen und militärischen Adel bis in die kaiserliche Adjutantur hinein - und den Börsenjobbern herrscht, kann der Verpflegung der Armee im Felde leicht verhängnisvoll werden. Deutschland wird Verbündete haben, aber Deutschland wird seine Verbündeten und diese werden Deutschland bei erster Gelegenheit im Stich lassen. Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen,
wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehn, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse. - Das ist die Aussicht, wenn das auf die Spitze getriebene System der gegenseitigen Überbietung in Kriegsrüstungen endlich seine unvermeidlichen Früchte trägt. Das ist es, meine Herren Fürsten und Staatsmänner, wohin Sie in Ihrer Weisheit das alte Europa gebracht haben. Und wenn Ihnen nichts andres mehr übrigbleibt, als den letzten großen Kriegstanz zu beginnen -, uns kann es recht sein. Der Krieg mag uns vielleicht momentan in den Hintergrund drängen, mag uns manche schon eroberte Position entreißen. Aber wenn Sie die Mächte entfesselt haben, die Sie dann nicht wieder werden bändigen können, so mag es gehn wie es will: am Schluß der Tragödie sind Sie ruiniert und ist der Sieg des Proletariats entweder schon errungen oder doch unvermeidlich.
London, 15. Dezember 1887
Friedrich Engels
Nach: Sigismund Borkheim, „Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806 -1807", Hottingen-Zürich 1888.
Vorrede [zum „Manifest der Kommunistischen Partei" (englische Ausgabe von 1888)]
Das „Manifest"1 wurde als Plattform des Bundes der Kommunisten veröffentlicht, einer anfangs ausschließlich deutschen, später internationalen Arbeiterassoziation, die unter den politischen Verhältnissen des europäischen Kontinents vor 1848 unvermeidlich eine Geheimorganisation war. Auf dem Kongreß des Bundes, der im November 1847 in London stattfand, wurden Marx und Engels beauftragt, die Veröffentlichung eines vollständigen theoretischen und praktischen Parteiprogramms in die Wege zu leiten. In deutscher Sprache abgefaßt, wurde das Manuskript im Januar 1848, wenige Wochen vor der französischen Revolution vom 24. Februar, nach London zum Druck geschickt. Eine französische Übersetzung wurde kurz vor der Juni-Insurrektion von 1848 in Paris herausgebracht. Die erste englische Übersetzung, von Miss Helen Macfarlane besorgt, erschien 1850 in George Julian Harneys „Red Republican"13151 in London. Auch eine dänische und eine polnische Ausgabe wurden veröffentlicht. Die Niederschlagung der Pariser Juni-Insurrektion von 1848 - dieser ersten großen Schlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie - drängte die sozialen und politischen Bestrebungen der Arbeiterklasse Europas zeitweilig wieder in den Hintergrund. Seitdem spielte sich der Kampf um die Vormachtstellung wieder, wie in der Zeit vor der Februarrevolution, allein zwischen verschiedenen Gruppen der besitzenden Klasse ab; die Arbeiterklasse wurde beschränkt auf einen Kampf um politische Ellbogenfreiheit und auf die Position eines äußersten linken Flügels der radikalen Bourgeoisie. Wo selbständige proletarische Bewegungen fortfuhren, Lebenszeichen von sich zu geben, wurden sie erbarmungslos niedergeschlagen. So spürte die preußische Polizei die Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten auf, die damals ihren Sitz in Köln hatte. Die Mitglieder wurden verhaftet und
nach achtzehnmonatiger Haft im Oktober 1852 vor Gericht gestellt. Dieser berühmte „Kölner Kommunistenprozeß" dauerte vom 4.Oktober bis 12.November; sieben von den Gefangenen wurden zu Festungshaft für die Dauer von drei bis sechs Jahren verurteilt. Sofort nach dem Urteilsspruch wurde der Bund durch die noch verbliebenen Mitglieder formell aufgelöst. Was das „Manifest" anbelangt, so schien es von da an verdammt zu sein, der Vergessenheit anheimzufallen. Als die europäische Arbeiterklasse wieder genügend Kraft zu einem neuen Angriff auf die herrschende Klasse gesammelt hatte, entstand die Internationale Arbeiterassoziation. Aber diese Assoziation, die ausdrücklich zu dem Zwecke gegründet wurde, das gesamte kampfgewillte Proletariat Europas und Amerikas zu einer einzigen Körperschaft zusammenzuschweißen, konnte die im „Manifest" niedergelegten Grundsätze nicht sofort proklamieren. Die Internationale mußte ein Programm haben, breit genug, um für die englischen Trade-Unions, für die französischen, belgischen, italienischen und spanischen Anhänger Proudhons und für die Lassalleaner* in Deutschland annehmbar zu sein. Marx, der dieses Programm zur Zufriedenheit aller Parteien abfaßte, hatte volles Vertrauen zur intellektuellen Entwicklung der Arbeiterklasse, einer Entwicklung, wie sie aus der vereinigten Aktion und der gemeinschaftlichen Diskussion notwendig hervorgehn mußte. Die Ereignisse und Wechselfälle im Kampf gegen das Kapital, die Niederlagen noch mehr als die Siege, konnten nicht verfehlen, den Menschen die Unzulänglichkeit ihrer diversen Lieblings-Quacksalbereien zum Bewußtsein zu bringen und den Weg zu vollkommener Einsicht in die wirklichen Voraussetzungen der Emanzipation der Arbeiterklasse zu bahnen. Und Marx hatte recht. Als im Jahre 1874 die Internationale zerfiel, ließ sie die Arbeiter schon in einem ganz anderen Zustand zurück, als sie sie bei ihrer Gründung im Jahre 1864 vorgefunden hatte. Der Proudhonismus in Frankreich, der Lassalleanismus in Deutschland waren am Absterben, und auch die konservativen englischen Trade-Unions näherten sich, obgleich sie in ihrer Mehrheit die Verbindung mit der Internationale schon längst gelöst hatten, allmählich dem Punkt, wo ihr Präsident1 im vergangenen Jahre
* Lassalle persönlich bekannte sich uns gegenüber stets als Schüler von Marx und stand als solcher auf dem Boden des „Manifestes". Jedoch ging er in seiner öffentlichen Agitation in den Jahren 1862-1864 über die Forderung nach Produktivgenossenschaften mit Staatskredit nicht hinaus.
1 Bevan
23 Marx/Engels, Werke, Bd. 21
in Swansea in ihrem Namen erklären konnte: „Der kontinentale Sozialismus hat seine Schrecken für uns verloren."13161 In der Tat: Die Grundsätze des „Manifestes" hatten unter den Arbeitern aller Länder erhebliche Fortschritte gemacht. Auf diese Weise trat das „Manifest" selbst wieder in den Vordergrund. Der deutsche Text war seit 1850 in der Schweiz, in England und in Amerika mehrmals neu gedruckt worden. Im Jahre 1872 wurde es ins Englische übersetzt, und zwar in New York, wo die Übersetzung in „ WoodhuII & Claflin's Weekly"[317] veröffentlicht wurde. Auf Grund dieser englischen Fassung wurde in „Le Socialiste" in New York auch eine französische angefertigt'3181. Seitdem sind in Amerika noch mindestens zwei englische Übersetzungen, mehr oder minder entstellt, herausgebracht worden, von denen eine in England nachgedruckt wurde. Die von Bakunin besorgte erste russische Übersetzung wurde etwa um das Jahr 1863 in der Druckerei von Herzens „Kolokol" in Genf herausgegeben13191, eine zweite, gleichfalls in Genf, von der heldenhaften Vera Sassulitsch, 1882[320]. Eine neue dänische Ausgabe findet sich in der „Socialdemokratisk Bibliotek", Kopenhagen 1885; eine neue französische Übersetzung in „Le Socialiste", Paris 1886. Nach dieser letzteren wurde eine spanische Übersetzung vorbereitet und 1886 in Madrid veröffentlicht.13211 Die Zahl der deutschen Nachdrucke läßt sich nicht genau angeben, im ganzen waren es mindestens zwölf. Eine Übertragung ins Armenische, die vor einigen Monaten in Konstantinopel herauskommen sollte, erblickte nicht das Licht der Welt, weil, wie man mir mitteilte, der Verleger nicht den Mut hatte, ein Buch herauszubringen, auf dem der Name Marx stand, während der Übersetzer es ablehnte, es als sein eigenes Werk zu bezeichnen. Von weiteren Übersetzungen in andere Sprachen habe ich zwar gehört, sie aber nicht zu Gesicht bekommen. So spiegelt die Geschichte des „Manifestes" in hohem Maße die Geschichte der modernen Arbeiterbewegung wider; gegenwärtig ist es zweifellos das weitest verbreitete, internationalste Werk der ganzen sozialistischen Literatur, ein gemeinsames Programm, das von Millionen Arbeitern von Sibirien bis Kalifornien anerkannt wird. Und doch hätten wir es, als es geschrieben wurde, nicht ein sozialistisches Manifest nennen können. Unter Sozialisten verstand man 1847 einerseits die Anhänger der verschiedenen utopischen Systeme: die Owenisten in England, die Fourieristen in Frankreich, die beide bereits zu bloßen, allmählich aussterbenden Sekten zusammengeschrumpft waren; andererseits die mannigfaltigsten sozialen Quacksalber, die mit allerhand Flickwerk, ohne jede Gefahr für Kapital und Profit die gesellschaftlichen Mißstände
PRICE TWOPENCE.
MANIFESTO
OF THB
COMMUNIST PARTY,
By KARL MARX, and FREDERICK ENGELS.
Äuthorized English Translation.
EDITED AND ANNOTATED BY EREDERICK ENGELS. x8B8.
3£<mfroti: WILLIAM REEVES, 185, FLEET STREET, E.C.
Titelblatt der englischen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei" von 1888

aller Art zu beseitigen versprachen - in beiden Fällen Leute, die außerhalb der Arbeiterbewegung standen und eher Unterstützung bei den „gebildeten" Klassen suchten. Derjenige Teil der Arbeiterklasse, der sich von der Unzulänglichkeit bloßer politischer Umwälzungen überzeugt hatte und die Notwendigkeit einer totalen Umgestaltung der Gesellschaft forderte, dieser Teil nannte sich damals kommunistisch. Es war eine noch rohe, unbehauene, rein instinktive Art Kommunismus; aber er traf den Kardinalpunkt und war in der Arbeiterklasse mächtig genug, um den utopischen Kommunismus zu erzeugen, in Frankreich den von Gäbet, in Deutschland den von Weitling. So war denn 1847 Sozialismus eine Bewegung der Mittelklasse, Kommunismus eine Bewegung der Arbeiterklasse. Der Sozialismus war, auf dem Kontinent wenigstens, „salonfähig"; der Kommunismus war das gerade Gegenteil. Und da wir von allem Anfang an der Meinung waren, daß „die Emanzipation der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst sein muß "[822], so konnte kein Zweifel darüber bestehen, welchen der beiden Namen wir wählen mußten. Ja noch mehr, auch seitdem ist es uns nie in den Sinn gekommen, uns von ihm loszusagen. Obgleich das „Manifest" unser beider gemeinsame Arbeit war, so halte ich mich doch für verpflichtet festzustellen, daß der Grundgedanke, der seinen Kern bildet, Marx angehört. Dieser Gedanke besteht darin: daß in jeder geschichtlichen Epoche die vorherrschende wirtschaftliche Produktions- und Austauschweise und die aus ihr mit Notwendigkeit folgende gesellschaftliche Gliederung die Grundlage bildet, auf der die politische und die intellektuelle Geschichte dieser Epoche sich aufbaut und aus der allein sie erklärt werden kann; daß demgemäß die ganze Geschichte der Menschheit (seit Aufhebung der primitiven Gentilordnung mit ihrem Gemeinbesitz an Grund und Boden) eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen ist. Kämpfen zwischen ausbeutenden und ausgebeuteten, herrschenden und unterdrückten Klassen; daß die Geschichte dieser Klassenkämpfe eine Entwicklungsreihe darstellt, in der gegenwärtig eine Stufe erreicht ist, wo die ausgebeutete und unterdrückte Klasse - das Proletariat - ihre Befreiung vom Joch der ausbeutenden und herrschenden Klasse - der Bourgeoisie nicht erreichen kann, ohne zugleich die ganze Gesellschaft ein für allemal von aller Ausbeutung und Unterdrückung, von allen Klassenunterschieden und Klassenkämpfen zu befreien. Diesem Gedanken, der nach meiner Ansicht berufen ist, für die Geschichtswissenschaft denselben Fortschritt zu begründen, den Darwins Theorie für die Naturwissenschaft begründet hat - diesem Gedanken hatten wir beide uns schon mehrere Jahre vor 1845 allmählich genähert. Wieweit
ich selbständig mich in dieser Richtung voranbewegt, zeigt am besten meine „Lage der arbeitenden Klasse in England"*. Als ich aber im Frühjahr 1845 Marx in Brüssel wiedertraf, hatte er ihn fertig ausgearbeitet und legte ihn mir vor in fast ebenso klaren Worten wie die, worin ich ihn oben zusammengefaßt. Aus unserem gemeinsamen Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872 zitiere ich das Folgende: „Wie sehr sich auch die Verhältnisse in den letzten fünfundzwanzig Jahren geändert haben, die in diesem .Manifest' entwickelten allgemeinen Grundsätze behalten im ganzen und großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit. Einzelnes wäre hier und da zu bessern. Die praktische Anwendung dieser Grundsätze, erklärt das ,Manifest' selbst, wird überall und jederzeit von den geschichtlich vorliegenden Umständen abhängen, und wird deshalb durchaus kein besonderes Gewicht auf die am Ende von Abschnitt 11 vorgeschlagenen revolutionären Maßregeln gelegt. Dieser Passus würde heute in vieler Beziehung anders lauten. Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie seit 1848 und der sie begleitenden verbesserten und gewachsenen Organisation1 der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß ,die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann'. (Siehe ,The Civil War in France. Address of the General Council of the International Working-Men's Association', London, Truelove, 1871, p. 15, wo dies weiterentwickelt ist.2) Ferner ist selbstredend, daß die Kritik der sozialistischen Literatur für heute lückenhaft ist, weil sie nur bis 1847 reicht; ebenso daß die Bemerkungen über die Stellung der Kommunisten zu den verschiedenen Oppositionsparteien (Abschnitt IV), wenn in den Grundzügen auch heute noch richtig, doch in ihrer Ausführung heute schon deswegen ver
* „The Condition of the Working Class in England in 1844." By Frederick Engels. Translated by Florence K.Wischnewetzky, New York, Lovell - London, W. Reeves, 1888.
1 (1872) in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation (statt: seit 1848 und der sie begleitenden verbesserten und gewachsenen Organisation) - 2 Karl Marx, „Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation"; siehe Band 17 unserer Ausgabe, S.336
altet sind, weil die politische Lage sich total umgestaltet und die geschichtliche Entwicklung die meisten der dort aufgezählten Parteien aus der Welt geschafft hat. Indes, das .Manifest' ist ein geschichtliches Dokument, an dem zu ändern wir uns nicht mehr das Recht zuschreiben."1 Die vorliegende Übersetzung stammt von Herrn Samuel Moore, dem Übersetzer des größten Teils von Marx' „Kapital". Wir haben sie gemeinsam durchgesehen, und ich habe ein paar Fußnoten zur Erklärung geschichtlicher Anspielungen hinzugefügt.
London, 30. Januar 1888
Friedrich Engels
Nach: Karl Marx and Frederick Engels, „Manifeste of the Communist party", London 1888. Aus dem Englischen.
Schutzzoll und Freihandel*
[Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' „Rede über die Frage des Freihandels"]13231
Gegen Ende 1847 fand ein Freihandelskongreß [324i in Brüssel statt. Es war dies ein strategisches Manöver in der damals geführten Freihandelskampagne der englischen Fabrikanten. Zu Hause siegreich, durch die Abschaffung der Korngesetze 1846[1631, zogen sie nun nach dem Kontinent mit der Forderung, gegen freie Zulassung des kontinentalen Getreides nach England den englischen Industrieprodukten den freien Zutritt zu den kontinentalen Märkten zu gewähren. Auf diesem Kongreß hatte Marx sich in die Rednerliste eingeschrieben; aber wie zu erwarten, ließ sich die Sache so einrichten, daß der Kongreß geschlossen wurde, ehe er zum Wort kam. So war Marx genötigt, das, was er über Freihandel zu sagen hatte, in der Demokratischen Gesellschaft von Brüssel vorzutragen, einem internationalen Verein, dessen Vizepräsident er war.[198] Da die Frage wegen Schutzzoll oder Freihandel in Amerika augenblicklich auf der Tagesordnung steht, hat man eine englische Ausgabe der Marxschen Rede für nützlich gehalten und mich aufgefordert, sie mit ein paar einleitenden Worten zu versehn. „Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabrizieren, unabhängige Arbeiter zu expropriieren, die nationalen Produktionsund Lebensmittel zu kapitalisieren, den Übergang aus der altertümlichen in die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen" (Marx, „Kapital", 1 .Bd., 3. Aufl., S.7831). Das war der Charakter des Schutzzolls bei sei
* Vorrede (übersetzt vom Verfasser) zu der in New York erscheinenden englischen Ausgabe von Marx' Rede über die Frage des Freihandels (deutsch von E.Bernstein und K.Kautsky, Anhang II zu Marx' „Elend der Philosophie", Stuttgart, Dietz, S. 188ff). Da diese Vorrede in erster Linie für ein amerikanisches Publikum berechnet ist, konnte die deutsche Schutzzollpolitik nur nebenher berührt werden. Der Verfasser wird indes wohl bald Gelegenheit finden, die Frage auch speziell mit Beziehung auf Deutschland zu behandeln.
nem Ursprung im siebzehnten Jahrhundert und so blieb er bis tief in das neunzehnte. Das Schutzsystem war damals die normale Politik jedes zivilisierten Landes in Westeuropa. Die einzigen Ausnahmen bildeten die deutschen Kleinstaaten und die Schweizer Kantone, nicht aus Mißfallen am System, sondern aus Verzweiflung an der Möglichkeit, es auf solche kleine Gebiete anzuwenden. Gedeckt durch diesen Zollschutz entstand und entwickelte sich in England im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts das System der modernen großen Industrie, der Produktion durch Maschinerie und Dampfkraft. Und als ob der gewöhnliche Zollschutz nicht hingereicht hätte, wurden die Kriege gegen die Französische Revolution zu Hilfe genommen, um England das Monopol der neuen industriellen Methoden zu sichern. Während mehr als zwanzig Jahren schnitten englische Kriegsschiffe Englands industrielle Nebenbuhler ab von ihren respektiven Kolonialmärkten und öffneten gleichzeitig diese Märkte gewaltsam dem englischen Handel. Die Losreißung der südamerikanischen Kolonien von ihren europäischen Mutterländern, die Eroberung aller bedeutenderen französischen und holländischen Kolonien durch England, die allmähliche Unterjochung Indiens verwandelten alle diese Länder in Kunden für die englische Industrie. England ergänzte so den zu Hause geübten Zollschutz durch den dem Auslande, wo es nur irgend anging, aufgezwungenen Freihandel. Dank dieser glücklichen Mischung beider Systeme befand es sich am Schlüsse des Krieges 1815 im Besitz des tatsächlichen Monopols des Welthandels, wenigstens für edle entscheidenden Industriezweige. Während der folgenden Friedensjahre wurde dies Monopol weiter ausgebildet und befestigt. Der während des Kriegs gewonnene Vorsprung vergrößerte sich von Jahr zu Jahr; mehr und mehr schien England alle seine möglichen Nebenbuhler weit hinter sich zu lassen. Und in der Tat wurde die Ausfuhr von Industrieprodukten in stets wachsenden Mengen eine Lebensfrage für England. Nur zwei Hindernisse schienen im Wege zu stehen: Die Einfuhrverbote und Schutzzölle andrer Länder und die Einfuhrzölle auf Rohstoffe und Nahrungsmittel in England. So kam es, daß die von der klassischen politischen Ökonomie - von den französischen Physiokraten und ihren englischen Nachfolgern Adam Smith und Ricardo - gepredigte Handelsfreiheit im Lande John Bulls populär wurde. Zollschutz im Inland war nutzlos für Fabrikanten, die alle ihre ausländischen Nebenbuhler aus dem Felde schlugen, und deren Existenz geradezu abhing von der fortwährenden Ausdehnung ihrer Ausfuhr. Zollschutz zu Hause war vorteilhaft nur noch für die Produzenten von Nahrungs
mittein und andern Rohstoffen, für den Ackerbau; das hieß im damaligen England für die Empfänger von Grundrente, den grundbesitzenden Adel. Den Fabrikanten dagegen war dieser Zollschutz direkt schädlich. Soweit er Rohstoffe besteuerte, erhöhte er den Preis des daraus gefertigten Industrieprodukts; soweit er Nahrungsmittel besteuerte, erhöhte er den Preis der Arbeit; in beiden Fällen stellte er den britischen Fabrikanten in Nachteil gegenüber dem ausländischen. Da nun die übrigen Länder nach England hauptsächlich Ackerbauprodukte schickten und von England hauptsächlich Industrieprodukte bezogen, so enthielt die Abschaffung der englischen Schutzzölle auf Getreide und Rohprodukte indirekt schon die Aufforderung ans Ausland, nun auch seine Einfuhrzölle auf englische Industrieprodukte abzuschaffen oder doch zu verringern. Nach langem und heftigem Kampf siegten die englischen industriellen Kapitalisten; sie waren damals tatsächlich schon die leitende Klasse der Nation, die Klasse, deren Interessen augenblicklich auch die nationalen Interessen waren. Der grundbesitzende Adel mußte kapitulieren. Die Zölle auf Korn und Rohstoffe wurden abgeschafft. Freihandel war nunmehr das Losungswort. Die nächste Aufgabe der englischen Fabrikanten und ihrer Wortführer, der politischen Ökonomen, war nun, den Glauben an das Freihandelsevangelium überall zu verbreiten und so eine Welt zu schaffen, worin England das große Industriezentrum wäre, und die übrigen Länder nur sein abhängiger Ackerbaubezirk. Das war die Zeit des Brüsseler Kongresses, die Zeit der fraglichen Rede von Marx. Während er anerkennt, daß Schutzzoll noch immer unter gewissen Umständen, z.B. im damaligen Deutschland, den industriellen Kapitalisten vorteilhaft sein kann; während er nachweist, daß der Freihandel keineswegs das angepriesene Allerweltsheilmittel ist für alle Leiden der Arbeiterklasse, und im Gegenteil diese Leiden selbst vergrößern kann, spricht er sich in letzter Instanz und im Prinzip zugunsten des Freihandels aus. Für ihn ist Freihandel der Normalzustand der modernen kapitalistischen Produktion. Nur unter dem Freihandel können die ungeheuren Produktivkräfte des Dampfs, der Elektrizität, der Maschinerie sich vollständig entwickeln; und je rascher diese Entwicklung, desto eher und desto vollständiger werden ihre unvermeidlichen Folgen hervortreten: die Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen, Kapitalisten hier, Lohnarbeiter dort; erblicher Reichtum auf dieser, erbliche Armut auf jener Seite; Überschuß des Angebots über die Nachfrage, Unfähigkeit der Märkte, die stets wachsende Masse der Industrieprodukte aufzusaugen; ein stets wiederholter Kreislauf von Prosperität, Überproduktion, Krisis, Panik, chronischer Stauung und allmählicher Wiederbelebung des
Geschäfts; diese letztere ein Anzeichen nicht dauernder Besserung, sondern bevorstehender erneuter Überproduktion und Krisis; in einem Wort, die gesellschaftlichen Produktivkräfte zu so riesigen Dimensionen heranwachsend, daß ihnen die gesellschaftlichen Institutionen, unter denen sie in Betrieb gesetzt worden, zu unerträglichen Fesseln werden, nur eine mögliche Lösung: eine gesellschaftliche Umgestaltung, die die gesellschaftlichen Produktivkräfte von den Fesseln einer veralteten gesellschaftlichen Ordnung und die wirklichen Produzenten, das heißt die große Volksmasse, von der Lohnsklaverei befreit. Und weil der Freihandel die natürliche und normale Atmosphäre ist für diese historische Entwicklung, das ökonomische Medium, worin die Bedingungen dieser unvermeidlichen Lösung am raschesten ins Leben treten - deswegen und nur deswegen erklärte sich Marx für den Freihandel. Indes schienen die nächsten Jahre nach dem Sieg des Freihandels in England die Erfüllung zu bringen selbst der übertriebensten Erwartungen von der nun folgenden Prosperität. Der britische Handel stieg auf eine fabelhafte Höhe; das industrielle Monopol Englands auf dem Weltmarkt schien fester gegründet als je; neue Hochöfen, neue Fabriken erstanden an allen Enden; neue Industriezweige wuchsen überall empor. Allerdings kam 1857 eine schwere Krisis, aber sie wurde überstanden, und bald war der Vormarsch auf dem ganzen Gebiet des Handels und der Industrie wieder in vollem Gange, bis 1866 eine neue Panik ausbrach, die diesmal in der Tat eine neue Epoche der ökonomischen Weltgeschichte anzuzeigen scheint. Der unerhörte Aufschwung der Industrie und des Handels in England von 1848 bis 1866 war unbedingt großenteils die Folge der Beseitigung der Schutzzölle auf Rohprodukte und Nahrungsmittel. Aber keineswegs allein. Andere gleichzeitige Ereignisse trugen mächtig dazu bei. Die erwähnten Jahre umschließen die Entdeckung und Ausbeutung der kalifornischen und australischen Goldfelder und damit eine enorme Vermehrung der Austauschmittel auf dem Weltmarkt; sie bezeichnen eine allgemeine Umwälzung der Transportmittel für Menschen wie Waren; auf dem Ozean die Verdrängung der Segelschiffe durch Dampfer, und auf dem Lande, so weit die zivilisierte Welt reicht, der Chausseen durch die Eisenbahnen, so daß der Schienenweg jetzt die hauptsächliche, der makadamisierte Weg die untergeordnete Verbindungslinie wird. Kein Wunder, daß unter so günstigen Umständen die mit Dampf getriebene englische Industrie ihre Herrschaft ausdehnte auf Kosten ausländischer, auf Handarbeit beruhender Hausindustrien. Was aber sollten die anderen Länder tun? Sollten sie still
sitzen und es sich demütig gefallen lassen, wenn sie so degradiert wurden zu bloßen ackerbauenden Anhängseln von England, „der Werkstatt der Welt"? Die anderen Länder taten eben nichts der Art. Frankreich hatte seit fast zweihundert Jahren seine Industrie gedeckt hinter einer vollständigen chinesischen Mauer von Schutzzöllen und Einfuhrverboten und hatte in allen Luxus- und Geschmacksartikeln eine Überlegenheit erlangt, die England zu bestreiten nicht einmal versuchte. Die Schweiz, unter vollständigem Freihandel, besaß eine verhältnismäßig bedeutende Industrie, der die englische Konkurrenz nichts anhaben konnte. Deutschland, mit einem weit liberaleren Tarif als der irgendeines anderen großen kontinentalen Landes, entwickelte seine Industrie verhältnismäßig rascher als selbst England. Amerika endlich wurde durch den Bürgerkrieg von 1861 plötzlich auf seine eigenen Hilfsmittel angewiesen, hatte eine plötzliche Nachfrage nach Industrieprodukten aller Art zu befriedigen und konnte dies nur durch Schaffung einer eigenen inländischen Industrie. Die Kriegsnachfrage hörte auf mit dem Krieg; aber die neue Industrie war da und hatte der englischen Konkurrenz die Spitze zu bieten. Und der Krieg hatte in Amerika die Einsicht zur Reife gebracht, daß ein Volk von fünfunddreißig Millionen, mit der Fähigkeit, seine Zahl in längstens vierzig Jahren zu verdoppeln, mit fast unbeschränkten Hilfsquellen aller Art, umgeben von Nachbarn, die auf Jahre hinaus wesentlich ackerbautreibend sein müssen, daß solch' ein Volk „die offenbare Bestimmung"13251 habe, für seine Hauptverbrauchsartikel von fremden Industrien unabhängig zu werden, und zwar im Frieden sowohl wie im Krieg. Und daraufhin führte Amerika den Schutzzoll ein. Vor ungefähr fünfzehn Jahren reiste ich im Eisenbahnwagen mit einem intelligenten Glasgower Geschäftsmann, der ein besonderes Interesse an Eisen nahm. Die Rede kam auf Amerika. Er gab mir die altbekannten Freihandelsredensarten zum besten: Sei es nicht unbegreiflich, daß geriebene Geschäftsleute wie die Amerikaner ihren einheimischen Hüttenbesitzern und Fabrikanten Tribut zahlen, wo sie doch denselben oder gar einen besseren Artikel für den halben Preis von hier aus beziehen können? Und dann folgten Beispiele, wie wahnsinnig hoch die Amerikaner sich selbst besteuerten, um ein paar geldgierige Besitzer von Eisenhütten zu bereichern. „Nun", sagte ich, „die Sache scheint auch eine andere Seite zu haben. Sie wissen, daß in Kohlen, Wasserkraft, Eisen- und andern Erzen, wohlfeilen Nahrungsmitteln, einheimischer Baumwolle und andern Rohstoffen Amerika Hilfsquellen und Vorteile besitzt, worin ihm kein europäisches Land das Wasser reicht; und daß diese Hilfsquellen nur dann vollständig
entwickelt werden können, wenn Amerika ein Industrieland wird. Sie werden ferner zugeben, daß heutzutage ein großes Volk wie die Amerikaner nicht ewig bloß ackerbauend bleiben kann; daß das eine Verurteilung zu ewiger Barbarei und Unterordnung wäre; heutzutage kann kein großes Volk bestehn ohne eigene Industrie. Nun gut. Wenn Amerika ein Industrieland werden muß, und wenn es alle Aussicht hat, hierin seine Nebenbuhler nicht nur zu erreichen, sondern selbst zu schlagen, dann stehn ihm zwei Wege offen: Entweder bei freiem Handel während meinetwegen fünfzig Jahren einen äußerst kostspieligen Konkurrenzkampf zu führen gegen die englische Industrie, die ihr um hundert Jahre voraus ist;'oder aber durch Schutzzölle die englische Konkurrenz auf meinetwegen fünfundzwanzig Jahre auszuschließen mit der fast absoluten Gewißheit, daß am Ende der fünfundzwanzig Jahre die amerikanische Industrie auf dem offenen Weltmarkt ihren Platz behaupten wird. Welcher der beiden Wege ist der wohlfeilste und der kürzeste? Darum handelt es sich. Wenn Sie von Glasgow nach London reisen, so können Sie den gesetzlich vorgeschriebenen Bummelzug (parliamentary train'3261) nehmen; Sie zahlen einen Penny die Meile und fahren zwölf Meilen in der Stunde; aber das fällt Ihnen nicht ein, dazu ist Ihnen Ihre Zeit zu lieb, Sie reisen Expreßzug, zahlen zwei Pence die Meile und machen vierzig Meilen die Stunde. Nun gut, die Amerikaner ziehen vor, ein Expreßbillett zu nehmen, um so viel rascher vorwärts zu kommen." Mein schottischer Freihändler hatte kein Wort der Erwiderung. Da das Protektionssystem ein Kunstmittel ist, Fabrikanten zu fabrizieren, kann es nützlich erscheinen nicht nur einer halbentwickelten Kapitalistenklasse, die noch mit dem Feudalismus ringt. Es kann der aufkommenden Kapitalistenklasse auch vorwärtshelfen in einem Lande, das, wie Amerika, den Feudalismus nie gekannt hat, das aber auf der Entwicklungsstufe steht, wo der Übergang vom Ackerbau zur Industrie eine Notwendigkeit wird. Amerika, in diese Lage gebracht, entschied sich für den Schutzzoll. Seit jener Entscheidung sind die fünfundzwanzig Jahre, von denen ich meinem Reisegefährten sprach, so ziemlich verflossen und wenn ich mich nicht täuschte, so muß der Schutzzoll jetzt in Amerika seine Arbeit so ziemlich getan haben und muß deshalb entbehrlich sein. Das ist auch schon seit einiger Zeit meine Ansicht. Vor zwei Jahren sagte ich einem amerikanischen Schutzzöllner: „Wenn Amerika Freihandel einführt, so bin ich überzeugt, daß es in zehn Jahren England auf dem Weltmarkt schlagen wird." Der Schutzzoll ist im besten Falle eine Schraube ohne Ende und man weiß nie, wann man mit ihm fertig ist. Wenn wir einen Geschäftszweig
schützen, so schädigen wir direkt oder indirekt alle anderen und müssen sie demzufolge ebenfalls schützen. Dadurch schädigen wir aber wieder die zuerst geschützte Industrie und geben ihr Anspruch auf Entschädigung; aber diese Entschädigung wirkt wiederum auf alle anderen Geschäftszweige zurück und berechtigt sie zu neuen Ansprüchen - und so fort ins Unendliche. In dieser Beziehung bietet uns Amerika ein schlagendes Exempel, wie man eine wichtige Industrie durch Zollschutz töten kann. 1856 betrug die Gesamteinfuhr und Ausfuhr der Vereinigten Staaten zur See 641 604 850 Dollar; von diesem Betrage wurden 75,2 Prozent in amerikanischen und nur 24,8 Prozent in ausländischen Schiffen verladen. Damals schon fingen englische ozeanische Dampfer an, amerikanische Segelschiffe zu verdrängen; trotzdem führten 1860 von einem Gesamtseehandel von 762 288 550 Dollar amerikanische Schiffe noch immer 66,5 Proz. Der Bürgerkrieg kam und in seinem Gefolge Zollschutz für den amerikanischen Schiffsbau; und dieser Zollschutz war so erfolgreich, daß er die amerikanische Flagge fast ganz von der hohen See vertrieben hat. 1887 war der gesamte Seehandel der Vereinigten Staaten auf 1 408 502 979 Dollar gestiegen; aber nur noch 13,8 Prozent waren mit amerikanischen Schiffen und 86,2 Prozent mit fremden Schiffen verladen. Der in amerikanischen Schiffen verladene Warenwert betrug 1856 482 268 274 Dollar; 1860 507 247 757 Dollar; 1887 nur noch 194 356 746 Dollar.* Vor vierzig Jahren drohte die amerikanische Flagge der englischen auf dem Ozean den Rang abzulaufen; jetzt ist sie fast verschollen. Der Zollschutz für den Schiffsbau hat Schiffahrt und Schiffsbau ruiniert. Ein anderer Punkt. Verbesserte Produktionsmethoden folgen heutzutage so rasch aufeinander und verändern die Natur ganzer Industriezweige so plötzlich und so vollständig, daß, was gestern noch ein billig ausgleichender Schutztarif war, heute in das Gegenteil umschlägt. Hiefür bietet uns derselbe Bericht des Schatzsekretärs auf S. XIX ebenfalls ein Beispiel:
„Verbesserungen der Wollkämm-Maschinerie haben in den letzten Jahren in den sogenannten Kammgarntuchen solche Veränderungen hervorgerufen, daß diese Tuche das gewöhnliche wollene Streichgarntuch in der Männerkleidung verdrängt haben. Diese Änderung ... hat unsere inländischen Kammgarnwebereien sehr ungünstig getroffen, da der Zoll auf alle Sorten Rohwolle derselbe ist, während der Zoll auf Streichgamtuche bis zum Wert von 80 Cents per Pfund, 35 Cents per Pfund und 35 Prozent auf den Wert beträgt; dagegen beträgt der Zoll auf Kammgarntuch, bis zum Wert von
* Annual Report of the Secretary of the Treasury etc. For the year 1887. XXVIII, XXIX.
80 Cents per Pfund, nur von 10 bis 24 Cents per Pfund und 35 Cents auf den Wert. In einigen Fällen ist der Zoll auf zum Kammgarntuch verwandte Wolle höher als der auf die fertige Ware."
Was also gestern Schutz der heimischen Industrie war, hat sich heute in eine Prämie für den fremden Importeur verwandelt, und wohl mag der Schatzsekretär1 sagen:
„Es ist Grund, zu erwarten, daß die Kammgamweberei im Inland bald aufhören muß, wenn keineÄnderurig im Tarif eintritt."
Aber um den Tarif zu ändern, muß man sich herumschlagen mit den Streichgarnwebern, die von der jetzigen Lage profitieren, muß man eine regelmäßige Kampagne eröffnen, um die Majorität beider Kongreßhäuser, um schließlich die öffentliche Meinung des Landes herumzubringen, und die Frage ist: Zahlt sich das? Das schlimmste beim Zollschutz aber ist, daß man ihn so leicht nicht wieder los wird. So schwierig die Herstellung eines nach allen Seiten billigen Schutztarifs ist, die Rückkehr zum Freihandel ist noch unendlich schwieriger. Die Umstände werden nie wiederkehren, die England erlaubten, den Übergang in ein paar Jahren zu vollziehn. Und selbst da datiert der Kampf von 1823 (Huskisson), hatte die ersten Erfolge 1842 (Peels Tarif)t327) und dauerte noch einige Jahre fort nach Abschaffung der Korngesetze. So wurde der Seidenindustrie (der einzigen, die noch fremde Konkurrenz zu fürchten hatte) zuerst verlängerter Zollschutz für eine Reihe von Jahren gewährt und dann in einer andern, geradezu infamen Form bewilligt: die andern Textilindustrien wurden unter das Fabrikgesetz gestellt, das die Arbeitsstunden für Frauen, jugendliche Arbeiter und Kinder beschränkte'3281; die Seidenindustrie wurde durch beträchtliche Ausnahmen begünstigt, durfte jüngere Kinder anstellen und durfte Kinder und jugendliche Arbeiter längere Zeit arbeiten lassen als die andern Industrien. Das Monopol, das die heuchlerischen Freihändler zugunsten der auswärtigen Konkurrenten abschafften, wurde wieder hergestellt auf Kosten der Gesundheit und des Lebens englischer Arbeiterkinder. Es wird aber nie wieder vorkommen, daß ein Land den Übergang vom Zollschutz zum Freihandel zu einer Zeit machen kann, wo alle oder fast alle Zweige seiner Industrie imstande sind, der fremden Konkurrenz im offenen Markt Trotz zu bieten. Die Notwendigkeit dieses Übergangs wird sich geltend machen, lange bevor ein solcher Zustand nur zu erhoffen ist.
Sie wird sich geltend machen in verschiedenen Geschäftszweigen zu verschiedenen Zeiten; aus den widerstreitenden Interessen dieser Geschäftszweige werden die erbaulichsten Zänkereien und parlamentarischen Intrigen erwachsen. Der Maschinenbauer, der Ingenieur und der Schiffsbauer findet vielleicht, daß der Zollschutz auf Roheisen seine Ware verteuert und ihm dadurch, und nur dadurch, die Ausfuhr verschließt; der Baumwollweber wäre vielleicht imstande, den englischen Kaliko im chinesischen und indischen Markt zu schlagen, erhöhte ihm nicht der Zollschutz für den Spinner den Preis seines Garns usw. Im Augenblick, wo ein nationaler Industriezweig den inneren Markt vollständig erobert hat, in dem Augenblick wird ihm die Ausfuhr unentbehrlich. Unter dem kapitalistischen System muß eine Industrie entweder sich ausdehnen oder zusammenschrumpfen. Sie kann nicht stationär bleiben; Hemmung der Ausdehnung ist beginnender Ruin; der Fortschritt der mechanischen und chemischen Erfindungen setzt fortwährend menschliche Arbeit außer Beschäftigung, während er das Kapital gleichzeitig noch rascher vermehrt und konzentriert; er schafft so in jeder stagnanten Industrie einen Überschuß von Arbeitern sowohl wie von Kapital, einen Überschuß, der nirgends einen Abschluß findet, weil derselbe Prozeß in allen anderen Industriezweigen gleichfalls vorgeht. So wird der Übergang vom inländischen zum Ausfuhrhandel eine Lebensfrage für alle diese Industriezweige; aber da treten ihnen die wohlerworbenen Rechte, die eingewurzelten Interessen anderer entgegen, die einstweilen beim Zollschutz noch mehr Sicherheit oder mehr Profit finden als beim Freihandel. So erfolgt ein langer, hartnäckiger Kampf zwischen Freihändlern und Schutzzöllnern, ein Kampf, worin auf beiden Seiten die Führerschaft bald aus den Händen der unmittelbar Interessierten übergeht in die der Politiker von Profession, der Drahtzieher der überlieferten politischen Parteien, deren Interesse ist, nicht, daß die Frage erledigt wird, sondern daß sie möglichst lange offen bleibt; nach einem endlosen Verlust von Zeit, Kraft und Geld erfolgt dann gewöhnlich eine Reihe von Kompromissen zugunsten bald dieser, bald jener Seite, die im ganzen langsam dem Freihandel zutreibt es sei denn, daß der Zollschutz es inzwischen fertigbringt, sich der Nation absolut unerträglich zu machen, und das ist in Amerika möglich genug.
Von allen Arten Zollschutz ist diejenige die schlimmste, die uns in Deutschland vorgeführt wird. Auch Deutschland spürte bald nach 1815 die Notwendigkeit einer rascheren industriellen Entwicklung. Die erste Bedingung hierfür war die Herstellung des inländischen Marktes durch Beseitigung der zahllosen Zollinien und aparten Fiskalgesetze der Kleinstaaten, kurz, die Bildung eines deutschen Zollvereins13291. Dieser war herstellbar
nur auf Grundlage eines liberalen Tarifs, zugeschnitten mehr auf Steuerzwecke als auf Industrieschutz. Unter keiner anderen Bedingung hätte man die Kleinstaaten zum Eintritt gebracht. So war der neue Zollvereinstarif, wenn auch in geringem Maß einige Industrien schützend, für die Zeit seiner Einführung ein wahres Muster von Freihandel; er blieb dies, obwohl seit 1830 die Mehrzahl der deutschen Fabrikanten den Ruf nach Zollschutz erhoben. Und doch, unter diesem äußerst liberalen Tarif und trotz der unbarmherzigen Erdrückung deutscher, auf Handarbeit beruhender Hausindustrien durch die Konkurrenz der großen englischen Industrie, vollzog sich der Übergang von der Handarbeit zur Maschinerie auch in Deutschland allmählich und ist jetzt fast durchgeführt. Der Übergang Deutschlands vom Ackerbau zur Industrie vollzog sich im selben Maße und wurde seit 1866 noch durch politische Ereignisse gefördert: die Errichtung einer starken Zentralregierung und eines Reichsparlaments, einheitliche Gewerbegesetzgebung sicherstellend; einheitliche Münze, Maß und Gewicht, und endlich die französische Milliardenflut. - So kam es, daß gegen 1874 der deutsche Gesamthandel auf dem Weltmarkt nur noch hinter dem englischen zurückstand*, und Deutschland mehr Dampfkraft in Industrie und Transport im Betrieb hatte als irgendein anderes europäisches Kontinentalland. So war der Beweis geliefert, daß auch jetzt noch, trotz des enormen Vorsprungs der englischen Industrie, ein großes Land sich zu erfolgreicher Konkurrenz mit England im offenen Markt emporarbeiten kann. Da auf einmal wurde die Front verändert: Gerade in dem Augenblick, wo mehr als je der Freihandel eine Notwendigkeit für Deutschland schien, gerade da führte es Schutzzölle ein. Das war zweifellos absurd, aber es läßt sich erklären. Solange Deutschland Korn ausführte, waren sämtliche Grundbesitzer und sämtliche Reeder begeisterte Freihändler. Aber 1874, statt Korn auszuführen, brauchte Deutschland starke Zufuhren vom Ausland. Ungefähr gleichzeitig begann Amerika Europa mit Zufuhren wohlfeilen Korns zu überschwemmen; überall, wohin sie flössen, verringerten sie das Geldeinkommen, das der Boden lieferte, und damit die Bodenrente; von da an erhob der gesamte Grundbesitz in ganz Europa den Ruf nach Zollschutz. Gleichzeitig litt die deutsche Industrie an den Nachwirkungen der heillosen Überproduktion und Überspekulation, die unter dem französischen
* Gesamthandel (Einfuhr und Ausfuhr addiert) 1874 in Millionen Mark: Großbritannien 13 380; Deutschland 9300; Frankreich 6 600; Vereinigte Staaten 4980. (Kolb, „Statistik", 7.Aufl. Leipzig 1875, S.790[3so1.)
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Milliardenregen emporgeschossen war; während England, dessen Industrie seit der Krisis von 1866 eine chronische Stauung noch immer nicht überwunden hatte, alle zugänglichen Märkte überschwemmte mit Waren, unverkäuflich zu Hause und eben deswegen draußen zu Schleuderpreisen weggeschenkt. Obwohl also die deutsche Industrie wesentlich auf die Ausfuhr angewiesen war, sahen die Fabrikanten doch jetzt im Zollschutz ein Mittel, sich den inneren Markt ausschließlich zu sichern. Die Regierung aber war nur zu froh, diesen Umstand benutzen zu können zum Vorteil des grundbesitzenden Adels, indem sie beiden, Grundbesitzern und Industriellen, Schutzzölle gab. 1878 wurde ein hoher Schutztarif eingeführt, sowohl für Ackerbau- wie für Industrieprodukte.13311 Die Folge war, daß seitdem die Ausfuhr deutscher Industrieprodukte geradezu aus der Tasche des heimischen Konsumenten bezahlt wird. Wo nur immer möglich, bildeten die Fabrikanten Kartelle zur Regulierung des Ausfuhrhandels und der Produktion selbst. Die deutsche Eisenproduktion ist in den Händen einiger wenigen großen Firmen, meist Aktiengesellschaften, die zusammen ungefähr viermal soviel Eisen produzieren wie das Land im Durchschnitt braucht. Zur Vermeidung nutzloser gegenseitiger Konkurrenz haben diese Firmen ein Kartell gebildet, das alle ausländischen Submissionen unter sie verteilt und in jedem Fall die Firma bestimmt, die die wirkliche Offerte zu machen hat. Dies Kartell hatte vor einigen Jahren sogar ein Abkommen mit den englischen Hüttenbesitzern geschlossen, das indes in die Brüche gegangen ist. Ebenso haben die westfälischen Kohlengruben, die gegen dreißig Millionen Tonnen jährlich produzieren, ein Kartell gebildet zur Regulierung der Preise der Submissionsofferten und der Produktion selbst. Überhaupt, jeder deutsche Fabrikant sagt euch, daß der einzige Zweck der Schutzzölle ist, ihm zu erlauben, daß er sich im inneren Markt erholt von den Schleuderpreisen, die er im Ausland zu nehmen hat. Das ist aber noch nicht alles. Um den Preis dieses absurden Systems des Industrieschutzes haben die industriellen Kapitalisten einem noch widersinnigeren Monopol zugestimmt, das der Grundbesitz erhalten hat. Nicht nur sind alle Ackerbauprodukte hohen und noch fortwährend erhöhten Eingangszöllen unterworfen, sondern gewisse ländliche Industrien, die die Herren Junker auf ihren Gütern betreiben, werden aus dem öffentlichen Beutel direkt unterstützt. Die Rübenzuckerindustrie ist nicht nur geschützt, sondern erhält außerdem enorme Summen in Gestalt von Exportprämien. Jemand, der das wissen sollte, ist der Meinung, daß, wenn der ausgeführte Zucker sämtlich in die See geschüttet würde, der Fabrikant immer noch an der Exportprämie ein gutes Geschäft machen muß. Desgleichen erhalten
die Kartoffelschnapsbrenner infolge der neuesten Gesetzgebung aus der Tasche des Publikums ein Geschenk von mindestens sechsunddreißig Millionen Mark jährlich. Und da fast jeder große Grundbesitzer im Nordosten Deutschlands entweder Rübenzuckersieder oder Kartoffelschnapsbrenner oder beides ist, kein Wunder, daß die Welt mit ihren Produkten förmlich überschwemmt wird. Diese Politik, verderblich unter allen Umständen, ist dies doppelt in einem Land, dessen Industrie ihren Absatz auf neutralen Märkten hauptsächlich durch die Wohlfeilheit der Arbeit aufrechthält. Der Arbeitslohn wird in Deutschland selbst in den besten Zeiten dem Hungerpunkt ungebührlich nahe gehalten durch den trotz aller Auswanderung raschen Zuwachs der Volkszahl. Aber er muß steigen infolge der Verteuerung aller Lebensmittel, die der Schutzzoll erzwingt. Der deutsche Fabrikant wird dann nicht mehr imstande sein, wie jetzt nur zu oft, sich für die Schleuderpreise seiner Waren durch einen Abzug vom normalen Lohn seiner Arbeiter zu entschädigen: er verliert die Konkurrenzfähigkeit. In Deutschland schlachtet der Schutzzoll die Henne, die die goldnen Eier legt. Auch Frankreich leidet an den Folgen des Zollschutzes. Hier ist das System durch zweihundertjährige unbestrittene Herrschaft fast ein Stück vom Leben der Nation geworden. Trotzdem wird es mehr und mehr ein Hindernis. Die große Industrie bedingt fortwährenden Wechsel in den Methoden der Produktion, aber der Schutzzoll verlegt den Weg. Der Rükken von Seidensamt wird heutzutage aus feinem Baumwollgarn gemacht; der französische Fabrikant muß auf dieses entweder den Zollschutz bezahlen oder sich endlosen bürokratischen Amtsschikanen unterziehen, die die ihm dadurch ermöglichte admission temporaire1 mehr als reichlich aufwiegen, und so kann Krefeld erfolgreich konkurrieren, weil dort der Zollschutz auf feines Baumwollgarn immer noch geringer ist. Die französische Ausfuhr, wie schon gesagt, besteht hauptsächlich aus Luxusartikeln, worin der bis jetzt überlegene französische Geschmack entscheidet; aber die Hauptkonsumenten solcher Artikel sind heutzutage überall unsere modernen kapitalistischen Emporkömmlinge, die weder Bildung noch Geschmack haben, die mit billigen und plumpen deutschen oder englischen Nachahmungen ebensogut bedient sind und die oft genug dergleichen Zeug zu wahnsinnigen Preisen für den echten französischen Artikel einkaufen. Der Markt für die Spezialartikel, die außerhalb Frankreichs nicht gemacht werden können, verengert sich mehr und mehr; die französische Industrie
1 zeitweise Zulassung
ausfuhr hält sich nur knapp aufrecht und muß bald abnehmen; welche neuen Artikel kann Frankreich ausführen zum Ersatz derjenigen, deren Ausfuhr abstirbt? Wenn hier etwas helfen kann, ist es ein verwegener Schritt in der Richtung zum Freihandel hin, der den französischen Fabrikanten aus seiner gewohnten Treibhausatmosphäre in die freie Luft der offenen Konkurrenz stellt. In derTat wäre der französische Gesamthandel schon jetzt zusammengeschrumpft, hätte ihm nicht der schwache und unsichere Schritt zum Freihandel hin, der Cobdenvertrag von 1860[3321, vorangeholfen; dessen Wirkungen sind jetzt so ziemlich erschöpft, und eine stärkere Dosis von diesem Tonikum ist angezeigt. Es ist kaum der Mühe wert, von Rußland zu sprechen. Dort dient der Schutztarif, dessen Zölle in Gold statt im entwerteten Papiergeld des Landes entrichtet werden müssen, vor allen Dingen dazu, der verpauperten Regierung die klingende Münze zu liefern, deren sie im Verkehr mit auswärtigen Gläubigern leider nicht entraten kann. An dem Tage, wo dieser Tarif seine Schutzbestimmung erfüllt und fremde Waren ausnahmslos ausschließt, an dem Tage ist die russische Regierung bankerott. Trotzdem läßt diese selbe Regierung vor den Augen ihrer gläubigen Untertanen die brillante Hoffnung tänzeln, als sollte dieser Tarif Rußland in ein ökonomisch vollständig unabhängiges Land verwandeln, das vom Ausland nichts, aber auch gar nichts mehr braucht, weder Nahrungsmittel noch Rohstoffe noch Werke der Industrie oder Kunst. Die Leute, die an dieses gespenstige, von der ganzen übrigen Welt abgeschlossene Rußland glauben, stehen auf der Stufe jenes preußischen Gardelieutenants, der im Laden einen Globus verlangte, keinen Erd- oder Himmelsglobus, sondern einen Globus von Preußen. Doch zurück zu Amerika. Es sind schon Anzeichen genug da, daß der Zollschutz für die Vereinigten Staaten geleistet hat, was er leisten konnte, und daß es Zeit ist, man gibt ihm den Abschied. Eines dieser Anzeichen ist die Bildung von Kartellen zur Unterstützung der geschützten Industrien in der Ausbeutung ihres Monopols. Nun sind Kartelle (Rings, Trusts) echt amerikanische Einrichtungen, und wo sie natürliche Vorteile ausbeuten, muß man sie sich einstweilen gefallen lassen. Die Verwandlung der pennsylvanischen Steinölproduktion in ein Monopol der Standard Oil Company13331 ist ein Verfahren, das mit den Regeln der kapitalistischen Produktion durchaus im Einklang steht. Wenn aber die Zuckersieder den ihnen durch die Nation bewilligten Schutz gegen auswärtige Konkurrenz verwandeln wollen in ein Monopol gegen den inländischen Konsumenten, das heißt, gegen dieselbe Nation, die den Schutz bewilligt hat, so ist das ein
anderes Ding. Trotzdem haben die großen Zuckersieder ein Kartell gebildet, das nichts andres erstrebt.13341 Und das Zuckerkartell ist nicht das einzige seiner Art. Die Bildung von solchen Kartellen in geschützten Industrien ist das sicherste Zeichen, daß der Zollschutz sich ausgelebt hat und seinen Charakter verändert; daß er den Fabrikanten nicht mehr gegen den fremden Importeur, sondern gegen den heimischen Konsumenten schützt, daß wenigstens in diesem speziellen Industriezweig er Fabrikanten genug, wo nicht zu viele fabriziert hat; daß das durch den Zollschutz diesen Fabrikanten in den Schoß geworfene Geld einfach weggeworfenes Geld ist ganz wie in Deutschland. In Amerika ganz wie anderswo wird der Zollschutz verteidigt mit der Behauptung, daß der Freihandel nur England zugute kommt. Der beste Beweis des Gegenteils ist, daß in England nicht nur die Pächtertmd Grundbesitzer, sondern selbst die Fabrikanten Schutzzöllner werden. Im Sitz der freihändlerischen Manchesterschule1-3351, in Manchester selbst, diskutierte am 1. November 1886 die Handelskammer den Antrag,
„daß, nachdem wir vierzig Jahre umsonst gewartet haben, andere Nationen zur Nachahmung des von England gegebenen freihändlerischen Beispiels zu bewegen, die Kammer die Zeit für gekommen glaubt, diese Lage aufs neue in Erwägung zu ziehen."
Der Antrag wurde allerdings verworfen, aber mit 22 Stimmen gegen 21. Und das geschah in dem Zentrum der Baumwollenindustrie, der einzigen englischen Industrie, deren Überlegenheit im offnen Markt noch unbestritten scheint. Aber freilich, auch in diesem speziellen Industriezweig ist der Erfindungsgeist aus England nach Amerika ausgewandert. Die neuesten Verbesserungen in der Baumwollmaschinerie (Spinnen und Weben) sind fast alle von Amerika gekommen und Manchester hatte sie nur einzuführen. In industriellen Erfindungen aller Art steht Amerika entschieden an der Spitze, während Deutschland den Engländern den zweiten Platz streitig macht. Das Bewußtsein gewinnt Boden in England, daß das englische Industriemonopol unwiederbringlich dahin ist, daß England vergleichsweise immer mehr Terrain verliert, während seine Nebenbuhler vorankommen, und daß es allmählich einer Lage zutreibt, wo es ein Industrieland unter vielen wird sein müssen, statt, wie einst geträumt, die „Werkstatt der Welt". Und um dies hereinbrechende Geschick zurückzudämmen, wird jetzt der Zollschutz, schlecht verhüllt unter dem Schleier des „Fair Trade" und der Kampfzölle, angerufen von den Söhnen derselben Männer, die vor vierzig Jahren kein Heil sahen außer im absoluten Freihandel. Und wenn die englischen Fabrikanten jetzt selbst finden, daß der Freihandel sie ruiniert, und
die Regierung angehn, sie gegen fremde Konkurrenz zu schützen, dann ist unbedingt der Augenblick gekommen, das fernerhin nutzlose Schutzsystem über Bord zu werfen und das sinkende Industriemonopol Englands zu bekämpfen mit seiner eigenen Waffe, dem Freihandel. Indes, wie schon gesagt, man führt den Zollschutz leicht ein, man wird ihn aber sobald nicht wieder los. Indem die Gesetzgebung den Zollschutz annahm, hat sie gewaltige Interessen geschaffen und sich für diese verantwortlich gemacht. Nicht jedes einzelne dieser Interessen, nicht jeder Industriezweig ist gleichmäßig darauf eingerichtet, in einem gegebenen Moment sich der freien Konkurrenz ausgesetzt zu sehen. Während einige keine Schutzbemutterung mehr nötig haben, schleppen andere sich mühsam nach. Dieser Unterschied der Lage wird im Parlament den üblichen Parteiklüngel in Bewegung setzen und ist an sich selbst Sicherheit genug, daß, wenn der Freihandel einmal beschlossene Sache ist, mit den geschützten Industrien fein säuberlich verfahren wird, wie nach 1846 mit der Seidenindustrie in England. Wie die Sache liegt, ist das unvermeidlich und die Freihändler werden sich das gefallen lassen müssen, solange der Übergang nur im Prinzip feststeht. Die Frage über Freihandel und Zollschutz bewegt sich gänzlich innerhalb der Grenzen des heutigen Systems der kapitalistischen Produktion und hat deshalb kein direktes Interesse für Sozialisten, die die Beseitigung dieses Systems verlangen. Sie interessiert sie aber indirekt so weit, als sie dem jetzigen Produktionssystem eine möglichst freie Entfaltung und möglichst rasche Ausdehnung wünschen müssen; denn damit wird es auch seine notwendigen ökonomischen Folgen entfalten: Elend der großen Volksmasse infolge einer Überproduktion, die entweder periodische Krisen oder chronische Stagnation des Verkehrs erzeugt; Spaltung der Gesellschaft in eine kleine Klasse großer Kapitalisten und eine große Klasse tatsächlich erblicher Lohnsklaven, Proletarier, deren Zahl beständig wächst, während sie ebenso beständig durch neue arbeitsparende Maschinerie überzählig gemacht wird; kurz, Verrennung der Gesellschaft in eine Sackgasse, aus der kein Entkommen möglich ist, außer durch eine vollständige Umgestaltung der der Gesellschaft zugrunde liegenden ökonomischen Struktur. Von diesem Standpunkt aus erklärte sich Marx vor vierzig Jahren im Prinzip für den Freihandel als für den geraderen Weg, also denjenigen, der die kapitalistische Gesellschaft am raschesten in diese Sackgasse führen wird. Wenn aber Marx aus diesem Grunde für den Freihandel ist, ist das eben nicht ein Grund für jeden Verteidiger der gegenwärtigen Ordnung, gegen den Freihandel zu sein? Wenn der Freihandel revolutionär sein soll, müssen nicht
alle guten Bürger für den Zollschutz stimmen, der dann notwendigerweise konservativ ist? Wenn heutzutage ein Land den Freihandel annimmt, so wird es das sicher nicht den Sozialisten zu Gefallen tun, sondern weil der Freihandel eine Notwendigkeit für die industriellen Kapitalisten geworden ist. Verwirft es aber den Freihandel und hält fest am Zollschutz, um die Sozialisten um ihre erwartete soziale Katastrophe zu prellen, so ist niemand mehr geprellt als es selbst. Der Schutzzoll ist ein Mittel, Fabrikanten künstlich zu fabrizieren und deswegen ebenfalls ein Mittel, künstlich Lohnarbeiter zu fabrizieren. Züchtet ihr die einen, so züchtet ihr die anderen mit. Der Lohnarbeiter folgt überall in den Fußstapfen des Fabrikanten; er ist wie die schwarze Sorge des Horaz'3361, die hinter dem Reiter sitzt und die er nicht abschütteln kann. Dem Schicksal, mit anderen Worten, den notwendigen Folgen eiirer eigenen Handlungen könnt ihr nun einmal nicht entgehen. Ein Produktionssystem, gegründet auf der Ausbeutung der Lohnarbeit, ein System, worin der Reichtum wächst im Verhältnis zur Zahl der angewandten und ausgebeuteten Arbeiter, solch ein System kann nicht bestehen, ohne die Klasse der Lohnarbeiter zu vermehren und damit einen Klassengegensatz zu steigern, an dem eines Tages das ganze System zugrunde gehen muß. Es ist nun einmal nicht zu ändern: Ihr könnt nicht anders, als das kapitalistische System fortentwickeln, Akkumulation und Zentralisation des Kapitals beschleunigen und gleichzeitig damit die Produktion einer Arbeiterklasse, die außerhalb der offiziellen Gesellschaft steht. Ob ihr den schutzzöllnerischen oder den freihändlerischen Weg einschlagt, wird am Resultat nichts ändern und kaum etwas an der Länge der Frist, die euch bleibt, bis das Resultat eintritt. Denn lange vorher schon wird der Zollschutz eine unerträgliche Fessel geworden sein für jedes Land, das mit Aussicht auf Erfolg eine unabhängige Stellung auf dem Weltmarkt erstrebt.
Geschrieben April bis Anfang Mai 1888. Nach: „Die Neue Zeit", 6. Jahrgang, Heft 7, Juli 1888.
[Der Bergarbeiterstreik an der Ruhr 1889t3371]
Der deutsche Bergarbeiterstreik ist für uns ein bedeutendes Ereignis. Ebenso wie die Bergleute in England in der Chartistenzeit sind auch die Kohlengrubenarbeiter in Deutschland als letzte zur Bewegung gestoßen, und das ist nun ihr erster Start. Die Bewegung begann in den nördlichen westfälischen Kohlenfeldern - ein Bezirk, der jährlich 45 Millionen Tonnen fördert und noch nicht halb entwickelt ist. Augenblicklich wird die Kohle aus einer Tiefe von 500 Yard gefördert. Diese Bergarbeiter - bis jetzt gute Untertanen, patriotisch, gehorsam und religiös, die die besten Soldaten für die Infanterie des 7. Armeekorps stellten (ich kenne sie gut, mein Geburtsort liegt nur 6 oder 7 Meilen südlich von diesen Kohlenfeldern) - sind nun durch die kapitalistische Unterdrückung vollkommen aufgerüttelt worden. Während die Zechen - meistens im Besitz großer Aktiengesellschaften enorme Dividenden auszahlten, wurden die /?eaflöhne der Arbeiter ständig weiter herabgedrückt. Der nominelle wöchentliche Lohn wurde zwar aufrechterhalten, in einigen Fällen sogar scheinbar erhöht, indem man die Arbeiter zwang, erhebliche Überzeit zu arbeiten -, statt einer Achtstundenschicht arbeiteten sie 12 bis 16 Stunden, so daß wöchentlich 9 bis 12 Schichten herauskamen. Überall gab es die als „Genossenschafts"-Läden getarnten truck shops[338). Betrug beim Anschreiben der geförderten Kohle war an der Tagesordnung. Ganze Lorenladungen Kohle wurden nicht angeschrieben, mit der Begründung, es handele sich um schlechte Kohle oder die Lore sei nicht richtig gefüllt. Seit dem vergangenen Winter haben die Arbeiter mehrmals erklärt, daß sie streiken würden, wenn keine Änderung eintrete, aber ohne Erfolg, und schließlich streikten sie, nachdem sie ihre Absicht bekanntgemacht hatten. Die Zechenbesitzer lügen, wenn sie das Gegenteil behaupten. In einer Woche legten 70 000 Bergleute die Arbeit nieder, und die Besitzer mußten den Streik, bezahlen; denn sie zahlten nur einmal im Monat Lohn und hielten stets einen Monatslohn zurück, den sie nun den
Streikenden aushändigen mußten. Die Besitzer wurden somit in ihrem eigenen Netz gefangen. Die Bergarbeiter sandten jene bekannte Delegation zum Kaiser1 - ein prahlerischer, eingebildeter junger Narr -, der sie mit drohenden Worten empfing, wenn sie sich den Sozialdemokraten zuwenden sollten und die Autoritäten schmähten, würde er sie ohne Gnade niederschießen lassen.1-3391 (Das ist tatsächlich schon in Bochum versucht worden, wo ein Sekondeleutnant, ein Bursche von 19 Jahren, seinen Soldaten befahl, auf die Streikenden zu schießen; doch die meisten feuerten in die Luft.) Doch, wie dem auch sei, das ganze Kaiserreich zitterte vor diesen streikenden Arbeitern. Der Militärgouverneur des Bezirks2 begab sich ins Ruhrgebiet, ebenso der Staatssekretär des Innern3, und alles wurde versucht, um die Zechenbesitzer zu bewegen, Konzessionen zu machen. Der Kaiser selbst riet ihnen, ihre Taschen zu öffnen, und erklärte im Ministerrat: „Meine Soldaten sind da, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, aber nicht, um den Zechenbesitzern hohe Profite zu sichern." Durch die Intervention der liberalen Opposition (die im Parlament einen Sitz nach dem anderen verloren hat, weil die Arbeiter zu uns gekommen sind) ist ein Kompromiß zustande gekommen und die Arbeit wurde wieder aufgenommen. Doch im selben Augenblick, als die Arbeiter wieder in den Gruben waren, brachen die Zechenbesitzer ihr Versprechen, einige der Streikführer wurden entlassen (obwohl das Übereinkommen allen ihre alten Arbeitsplätze sicherte), sie weigerten sich, sich wegen der Arbeitszeit mit den Arbeitern zu verständigen. Der Streik drohte wieder auszubrechen. Die Sache ist noch nicht bereinigt, und ich bin sicher, daß die Regierung, die in einer unangenehmen Lage ist, schließlich die Zechenbesitzer veranlassen wird, für einige Zeit nachzugeben. Denn der Streik hat sich zu Kohlenfeld Nr.2 und Nr.3 ausgedehnt. Dieser Bezirk war bis jetzt frei von sozialistischer Beeinflussung, weil jeder Mann, der dort agitieren-wollte, wenn er in die Maschen des Gesetzes geriet, so viele Jahre Gefängnis bekam, wie er anderswo in Deutschland Monate erhalten hätte. Zwar hat die Regierung Konzessionen gemacht, aber ob sie genügen werden, muß man abwarten. Denn die Arbeiter in den sächsischen Kohlenfeldern und in den zwei schlesischen Kohlenfeldern, noch weiter östlich, sind dem Beispiel gefolgt, so daß in den letzten drei Wochen mindestens 120 000 Kumpel in Deutschland gestreikt haben. Auch die belgischen und böhmischen Bergleute sind angesteckt worden, während in Deutschland noch andere Berufe, die im Frühjahr Streiks vorbereiteten, ihre Arbeit verlassen haben.13401 Daher gibt
1 Wilhelm II. - 2 Emil von Albedyll - 3 Emst Ludwig Herrfurth
es keine Zweifel darüber, daß die deutschen Bergleute ihre Brüder im Kampf gegen das Kapital unterstützen, und sie bilden eine prächtige Menschenschar, fast alle haben in der Armee gedient. Sie bilden eine wichtige zusätzliche Kraft in unseren Reihen. Ihr Glauben an den Kaiser und an den Pfarrer ist erschüttert worden, und was auch die Regierung unternehmen mag, keine Regierung kann ihre Wünsche befriedigen, ohne das kapitalistische System zu stürzen - und das kann die deutsche Regierung nicht, noch wird sie es versuchen wollen. Es ist das erste Mal, daß die Regierung vorgegeben hat, eine unparteiische Stellung während eines Streiks in Deutschland einzunehmen. Damit ist nunmehr ihre jungfräuliche Unschuld in dieser Hinsicht für immer dahin und beide, Wilhelm und Bismarck, mußten sich vor den geschlossenen Reihen der 100 000 streikenden Arbeiter beugen. Das allein ist ein wunderbares Resultat.
Geschrieben Ende Mai 1889. Nach: „The Labour Leader", Vol. I, Nr. 5, Juni 1889. Aus dem Englischen.
Die Mandate der Possibilisten1341 ]
Die Anhänger des Pariser Possibilisten-Kongresses wiederholen immer wieder - der unverkennbare Herr Smith Headungley im „Star"t3421, Herr H.Burrows und Frau Besant in Wochenblättern -, daß ihr Kongreß ein wahrhaft repräsentativer war, wohingegen am Marxisten-Kongreß Leute teilnahmen, die nur sich selbst vertraten und aus diesem Grunde es nicht wagten, die Herausforderung der Possibilisten anzunehmen und ihnen ihre Mandate vorzulegen. Die englischen Delegierten zum Marxisten-Kongreß werden zweifellos eine Gelegenheit suchen und finden, die Unwahrheit der gegen sie erhobenen Beschuldigungen nachzuweisen; wir können daher einstweilen diesen Teil des Themas fallenlassen und uns darauf beschränken, zu bemerken, daß die Possibilisten dem Marxisten-Kongreß kaum eine größere Beleidigung zufügen konnten, als von ihm zu verlangen, den Akt der Überprüfung seiner eigenen Mandate, der bereits vor zwei (oder drei?) Tagen abgeschlossen war, zu ignorieren und ihre Mandate einer neuen Prüfung zu unterziehen, während die Possibilisten in ihrer Resolution über diesen Punkt es sorgsam vermieden, sich einer Prüfung ihrer eigenen Mandate durch die Marxisten zu unterziehen. Daß das Obengesagte eine richtige Beurteilung der Angelegenheit darstellt, und daß die Possibilisten weit mehr Grund hatten als die Marxisten, ihre Mandate nur ihren Freunden vorzuweisen, wurde durch die Bemerkungen Dr. Adlers auf dem Marxisten-Kongreß bestätigt, die einige ihm zugegangene Informationen über die „österreichischen" Delegierten der Possibilisten zum Inhalt hatten. Da diese Angelegenheit für die Art und Weise, in welcher die Possibilisten wahrhaft repräsentative Delegierte fabrizierten, charakteristisch ist, verdient sie es, veröffentlicht zu werden. In der Liste der Delegierten der Possibilisten finden wir unter „ Österreich" die folgenden Körperschaften vertreten: - „Gewerkschaft der Wiener Bäcker", „Verband von Oberösterreich und Salzburg", „Verband der Arbeitsleute von Böhmen, Mähren und Schlesien". Dr. Adler, der während
der vergangenen drei Jahre die sozialistische Bewegung in Österreich mit wundervoller Energie, mit viel Takt und Ausdauer reorganisierte und der alle Arbeitervereinigungen Österreichs kennt, erzählte nun dem Kongreß, daß diese verschiedenen Gesellschaften, was für Verdienste sie auch immer haben mögen, einen fatalen Mangel aufweisen: sie existieren nicht. Als es in Paris bekannt wurde, daß der Marxisten-Kongreß am Sonntag zusammengetreten war und daß Delegierte aus Österreich anwesend waren, kamen gleich am Montag zwei Österreicher zum Kongreß und sprachen mit Dr. Adler. Sie erzählten ihm, daß sie Bäcker seien und schon einige Zeit in Paris arbeiteten. Ein ungarischer Bäcker namens Dobosy habe sie als „Delegierte" zu einem Arbeiterkongreß eingeladen; sie wollten wissen, ob es sich um diesen Kongreß handele. Adler befragte sie eingehender und fand heraus, daß sie für den Possibilisten-Kongreß eingeladen worden waren, für den sie Mitgliedskarten hatten. Den Männern, von denen sie eingeladen worden waren, wollten sie gesagt haben, daß sie niemand anders als sich selbst verträten, woraufhin man ihnen entgegnet habe, daß dies nichts ausmache, Österreich sei ein despotisches Land und reguläre Mandate seien daher nicht erforderlich. Sie glaubten nun, daß sich die eigentlichen österreichischen Delegierten auf dem anderen Kongreß befinden. Was rate man ihnen, zu tun? Die österreichischen Delegierten sagten ihnen, daß sie kein Recht hätten, bei irgendeinem Kongreß Delegierte zu spielen. Darauf wurde ein weiteres Gespräch vereinbart. Nach ein oder zwei Tagen kamen sie wieder, nahmen an der Tagung des Marxisten-Kongresses teil und erklärten darauf, daß sie selbst begriffen hätten, daß sie aus dieser falschen Lage herausmüßten, aber wie? Man sagte ihnen, daß sie ihre Mandate zurückgeben sollten. Sie hatten überhaupt keine. Dann gebt eure Mitgliedskarten zurück. Dies versprachen sie zu tun und kehrten dann zurück, um mitzuteilen, daß sie es getan hätten. Dies ist ein Beispiel dafür, was die Possibilisten und ihre englischen Parteigänger „streng repräsentativ" nennen. Und die eindrucksvolle Liste ungarischer Gesellschaften mit Namen, die unter Druckfehlern so gut verborgen sind, daß nur bei wenigen der angebliche Sitz erkennbar ist, und nach Aussage der wirklichen ungarischen Delegierten des Marxisten-Kongresses außerhalb des Wunderlandes possibilistischer Einbildungen ebenfalls nicht existent sind - wie durchsichtig ist doch dieser Betrug. „Soziale Studienzirkel und Verbände Kroatiens, Slawoniens, Dalmatiens, von Triest und Fiume" - dieser pompöse Titel trägt zu offensichtlich den Stempel seines Pariser Ursprungs. Man bedenke, daß hinter all dem nicht einmal die drei Schneider aus der Tooley Street13431 stehen!
Man sagt uns weiterhin, es sei völlig falsch, daß der Possibilisten-Kongreß ein bloßer Trade-Unions-Kongreß war. Herr Herbert Burrows ist über eine derartige Verleumdung ganz ungehalten; mit Ausnahme einiger weniger englischer Trade-Unionisten waren „alle Delegierten "revolutionäre Sozialisten und vertraten als solche ihre entsprechenden Gesellschaften. Um nur ein Beispiel zu geben: was schreibt „El Socialista"[344] aus Madrid (26. Juli) über die spanischen Delegierten der Possibilisten? Daß „sie sagen, daß sie 20 000 Sozialisten vertreten, wo sie doch nur Delegierte von Gesellschaften sind, in welchen sowohl für die Karlistent345] als auch die revolutionären Sozialisten Platz ist" - also völlig unpolitische Klubs oder was man in England Trade-Unions nennt.
Geschrieben Anfang August 1889. Nach: „The Labour Elector", Vol.II, Nr. 32 vom 10. August 1889. Aus dem Englischen.
[Der Streik der Londoner Dockarbeiter13461]
Ich beneide Sie um Ihre Arbeit beim Streik der Dockarbeiter. Es ist die meistversprechende Bewegung, die wir seit Jahren gehabt haben, und ich bin stolz und froh, sie miterlebt zu haben. Wenn nur Marx noch lebte, um das sehen zu können! Wenn diese armen geknechteten Menschen, der Bodensatz des Proletariats, die Elendesten aus allen Berufen, die jeden Morgen vor den Toren der Docks um eine Beschäftigung kämpfen, wenn sie sich zusammenschließen können und durch ihre Entschlossenheit die mächtigen Dockgesellschaften erschrecken, dann brauchen wir wahrhaftig an keiner Gruppe der Arbeiterklasse zu verzweifeln. Das ist der Anfang wirklichen Lebens in East End11661 und wird, wenn erfolgreich, den ganzen Charakter von East End verändern. Dort - angesichts des Mangels an Selbstvertrauen und Organisation bei den armen Teufeln, die im immerwährenden Elend dahinvegetieren - kann man sagen: „lasciate ogni speranza"1... Wenn die Dockarbeiter sich organisieren, werden alle anderen Gruppen folgen ... Es ist eine herrliche Bewegung, und noch einmal: ich beneide alle, die an diesem Werke teilhaben können.
Geschrieben zwischen 20. und 26. August 1889. Nach: „The Labour Elector", Vol.II, Nr.35 vom 3I.August 1889. Aus dem Englischen.
Die Abdankung der Bourgeoisie0481
[„Der Sozialdemokrat" Nr.40 vom 5.0ktober 1889] Von allen nationalen Bourgeoisien hat unleugbar die englische bis jetzt den meisten Klassenverstand - d.h. politischen Verstand - sich bewahrt. Unsere deutsche Bourgeoisie ist dumm und feig; sie hat nicht einmal verstanden, die ihr 1848 durch die Arbeiterklasse erkämpfte politische Herrschaft zu ergreifen und festzuhalten; die Arbeiterklasse muß in Deutschland erst die Reste des Feudalismus und des patriarchalischen Absolutismus wegfegen, die unsere Bourgeoisie längst aus der Welt zu schaffen verpflichtet war. Die französische Bourgeoisie, die geldgierigste und genußsüchtigste von allen, wird durch ihre eigene Geldgier geblendet über ihre eigenen Zukunftsinteressen; sie sieht nur von heute auf morgen, sie stürzt sich profitwütig in die skandalöseste Korruption, erklärt eine Einkommensteuer für sozialistischen Hochverrat, kann keinem Streik anders begegnen als mit Infanteriesalven und bringt es damit fertig, daß in einer Republik mit allgemeinem Stimmrecht den Arbeitern kaum ein anderes Siegesmittel bleibt als die gewaltsame Revolution. Die englische Bourgeoisie ist weder so gierigdumm wie die französische, noch so feig-dumm wie die deutsche. Sie hat während der Zeit ihrer größten Triumphe den Arbeitern fortwährend Konzessionen gemacht; selbst ihr borniertester Teil, die konservative Grundund Finanzaristokratie, scheute sich nicht, den städtischen Arbeitern das Stimmrecht in einem Maß zu übertragen, daß es nur die Schuld dieser Arbeiter selbst war, wenn sie nicht seit 1868 40-50 der ihrigen imParlament hatten. Und seitdem hat die gesamte Bourgeoisie - Konservative und Liberale vereinigt - das erweiterte Stimmrecht auch auf die Landbezirke ausgedehnt, die Größe der Wahlkreise annähernd ausgeglichen und damit der Arbeiterklasse mindestens dreißig weitere Wahlkreise zur Verfügung
gestellt. Während die deutsche Bourgeoisie die Fähigkeit, als herrschende Klasse die Nation zu führen und zu vertreten, nie gehabt hat, während die französische tagtäglich - und eben jetzt wieder in den Wahlen[349] - beweist, daß sie diese Fähigkeit - und sie besaß sie einst in höherem Grad als irgendeine andere Mittelklasse - total verloren hat, bewies die englische Bourgeoisie (worin die sog. Aristokratie aufgegangen und einbegriffen ist) bis zuletzt noch eine gewisse Gabe, ihre Stellung als leitende Klasse wenigstens einigermaßen auszufüllen. Das scheint jetzt aber mehr und mehr anders zu werden. In London ist alles, was mit dem alten Stadtregiment - der Verfassung und Verwaltung der eigentlichen City - zusammenhängt, noch reines Mit-' telalter. Und dazu gehört auch der Hafen von London, der erste Hafen der Welt. Die Besitzer der Ladeplätze (wharfingers), die Ewerführer (lightermen), die Bootsleute (watermen) bilden richtige Zünfte mit ausschließlichen Privilegien und teilweise noch mittelalterlichen Trachten. Diesen altvaterischen Zunftprivilegien ist nun in den letzten siebenzig Jahren das Monopol der Dockgesellschaften als Krone aufgesetzt und damit der ganze große Hafen von London einer kleinen Anzahl privilegierter Korporationen zur rücksichtslosen Ausbeutung überantwortet worden. Und diese ganze privilegierte Mißgeburt wird verewigt und sozusagen unantastbar gemacht durch die endlose Reihe verwickelter und widerspruchsvoller Parlamentsakte, wodurch sie geschaffen und großgezogen wurde, derart, daß dies juristische Labyrinth ihre beste Schutzmauer geworden ist. Während aber gegenüber dem handeltreibenden Publikum diese Korporationen auf ihre mittelalterlichen Vorrechte pochen und London zum kostspieligsten Hafen der Welt machen, haben sich die Mitglieder dieser Gesellschaft in reine Bourgeois verwandelt, die außer ihren Kunden noch ihre Arbeiter in der schnödesten Weise ausbeuten und so die Vorteile der mittelalterlich-zünftigen und der modern-kapitalistischen Gesellschaft gleichzeitig einsacken. Da aber diese Ausbeutung im Rahmen der modern-kapitalistischen Gesellschaft vor sich ging, blieb sie trotz der mittelalterlichen Verkleidung den Gesetzen dieser Gesellschaft unterworfen. Die Großen fraßen die Kleinen auf oder ketteten sie wenigstens an ihren Siegeswagen. Die großen Dockgesellschaften wurden die Herren über die Zünfte der Werftbesitzer, Ewerführer und Bootsleute und damit über den ganzen Londoner Hafen. Sie sahen damit die Aussicht auf grenzenlosen Profit eröffnet. Diese Aussicht blendete sie. Sie warfen Millionen zum Fenster hinaus in törichten Anlagen; und da dieser Gesellschaften mehrere waren, ließen sie sich auf einen gegenseitigen Konkurrenzkrieg ein, der weitere Millionen kostete, neue sinnlose
Bauten hervorrief und die Gesellschaften an den Rand des Bankrotts brachte, bis sie endlich vor etwa zwei Jahren sich einigten. Inzwischen hatte der Londoner Handel seinen Höhepunkt überschritten. Havre, Antwerpen, Hamburg, und seit dem neuen Seekanal Amsterdam, zogen einen wachsenden Anteil des Verkehrs an sich, der früher in London seinen Mittelpunkt gefunden. Liverpool, Hull und Glasgow nahmen ebenfalls ihr Teil. Die neugebauten Docks blieben leer, die Dividenden schrumpften ein und verschwanden teilweise ganz, die Aktien sanken, die Dockdirektoren, eigensinnige, durch die alte gute Zeit verwöhnte, hochmütige Geldprotzen, wußten keinen Rat. Die wirklichen Ursachen des relativen und absoluten Rückgangs des Londoner Hafenverkehrs wollten sie nicht eingestehen. Und diese Ursachen, soweit sie lokaler Natur, sind einzig und allein ihre eigne hochnäsige Verkehrtheit und deren Mutter, ihre privilegierte Stellung, die mittelalterliche, längst überlebte Verfassung der City und des Hafens von London, die von Rechts wegen ins Britische Museum gehört, neben ägyptische Mumien und assyrische steinerne Ungeheuer. Nirgendwo sonst in der Welt würde eine derartige Verrücktheit geduldet werden. In Liverpool, wo ähnliche Zustände in der Bildung begriffen waren, wurden sie im Keim erdrückt und die ganze Hafenverfassung modernisiert. Aber in London leidet der Handel darunter, knurrt, und - läßt es über sich ergehn. Die Bourgeoisie, deren Masse die Kosten dieser Abgeschmacktheiten zu zahlen hat, beugt sich vor dem Monopol - widerwillig zwar, aber sie beugt sich. Sie hat nicht mehr die Energie, den Alp abzuschütteln, der mit der Zeit die Lebensbedingungen von ganz London zu erdrücken droht. Da bricht der Streik der Dockarbeiter aus.13461 Nicht die von den Dockgesellschaften geplünderte Bourgeoisie rebelliert; es sind die von ihnen ausgebeuteten Arbeiter, die Ärmsten der Armen, die unterste Schicht der Proletarier des Ostends, die den Dockmagnaten den Fehdehandschuh hinwerfen. Und da endlich besinnt sich die Bourgeoisie, daß auch sie in den Dockmagnaten einen Feind hat, daß die streikenden Arbeiter nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern indirekt auch im Interesse der Bourgeoisklasse den Kampf aufgenommen haben. Das ist das Geheimnis der Sympathie des Publikums mit dem Streik und der bisher unerhört freigebigen Geldbeiträge aus bürgerlichen Kreisen. Aber dabei blieb's auch. Die Arbeiter gingen ins Feuer unter dem Beifallsruf und Händeklatschen der Bourgeoisie; die Arbeiter fochten den Kampf aus und bewiesen nicht nur, daß die stolzen Dockmagnaten besiegbar waren, sondern wühlten auch durch ihren Kampf und Sieg die gesamte öffentliche Meinung derartig auf,
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daß Dockmonopol und feudale Hafenverfassung jetzt nicht länger zu halten sind und demnächst wohl ins Britische Museum wandern werden. Dies Stück Arbeit hätte die Bourgeoisie längst besorgen sollen. Sie hat es nicht gekonnt oder nicht gewollt. Jetzt haben die Arbeiter es in die Hand genommen und jetzt wird es erledigt. Mit andern Worten, hier hat die Bourgeoisie von ihrer eignen Rolle abgedankt zugunsten der Arbeiter. Nun ein anderes Bild. Aus dem mittelalterlichen Londoner Hafen gehen wir in die modernen Baumwollspinnereien von Lancashire. Hier sind wir augenblicklich in der Periode, wo die Baumwollernte von 1888 erschöpft und die von 1889 noch nicht auf dem Markt angekommen ist, also in der Periode, wo die Spekulation im Rohstoff die besten Aussichten hat. Ein reicher Holländer namens Steenstrand hat mit anderen Spießgesellen einen „Ring" gebildet zum Aufkauf aller verfügbaren Baumwolle und zur entsprechenden Preistreiberei. Die Baumwollspinner können dem nur entgegentreten, indem sie die Konsumtion einschränken, d.h. ihre Fabriken mehrere Tage der Woche oder ganz stillsetzen, bis neue Baumwolle in Sicht ist. Das haben sie denn auch seit sechs Wochen versucht. Aber es will nicht gehen, wie es schon bei früheren Gelegenheiten nie hat gehen wollen. Denn unter den Spinnern sind viele so verschuldet, daß teilweiser oder ganzer Stillstand sie an den Rand des Untergangs bringt. Und andere wünschen sogar, daß die Mehrzahl stillsetze und damit die Garnpreise herauftreibe; sie selbst aber wollen fortarbeiten und von diesen höheren Garnpreisen profitieren. Es hat sich auch schon seit reichlich zehn Jahren herausgestellt, daß es nur ein Mittel gibt, den allgemeinen Stillstand aller Baumwollfabriken - gleichviel für welchen Endzweck - zu erzwingen. Nämlich indem man eine Lohnherabsetzung, sage von 5 Prozent, ins Werk setzt. Dann gibt's einen Streik oder auch einen Fabrikenschluß durch die Fabrikanten selbst, und dann, im Kampf gegen die Arbeiter, herrscht unbedingte Einigkeit unter den Fabrikanten, und selbst diejenigen setzen ihre Maschinen still, die nicht wissen, ob sie je wieder im Stand sein werden, sie in Gang zu setzen. Wie die Dinge liegen, ist heute eine Lohnherabsetzung nicht rätlich. Wie aber ohne sie die allgemeine Schließung der Fabriken durchsetzen, ohne die die Spinner den Spekulanten auf etwa sechs Wochen an Händen und Füßen gebunden ausgeliefert sind? Durch einen Schritt, der in der Geschichte der modernen Industrie einzig dasteht. Die Fabrikanten, durch ihr Zentralkomitee, wenden sich „offiziös" an das Zentralkomitee der Fachvereine der Arbeiter mit der Bitte, die organisierten Arbeiter möchten im gemeinsamen Interesse die widerspenstigen
Fabrikanten zum Stillstand zwingen durch Organisierung von Streiks. Die Herren Fabrikanten, im Eingeständnis ihrer eigenen Unfähigkeit zu geschlossenem Handeln, bitten die früher so gehaßten Gewerkschaften der Arbeiter, doch gütigst Zwang gegen sie selbst, die Fabrikanten, anwenden zu wollen, damit sie, die Fabrikanten, durch die bittre Not endlich dahin gebracht werden, einheitlich, als Klasse im Interesse ihrer eigenen Klasse zu handeln. Durch die Arbeiter gezwungen, denn sie selbst bringen's nicht fertig! Die Arbeiter willigten ein. Und die bloße Drohung der Arbeiter genügte. In 24 Stunden war der „Ring" der Baumwollspekulanten gebrochen. Das beweist, was die Fabrikanten können, und was die Arbeiter. Hier also, in der modernsten aller modernen Großindustrien, erweist sich die Bourgeoisie ebenso unfähig, ihre eigenen Klasseninteressen durchzusetzen wie im mittelalterlichen London. Und noch mehr. Sie gesteht es offen ein, und, indem sie sich an die^ organisierten Arbeiter wendet mit der Bitte, ein wesentliches Klasseninteresse der Fabrikanten gegen die Fabrikanten selbst zu erzwingen, dankt sie nicht nur selbst ab, sondern erkennt in der organisierten Arbeiterklasse ihre zur Herrschaft berufene und befähigte Nachfolgerin. Sie proklamiert es selbst, daß, wenn auch noch jeder einzelne Fabrikant seine eigene Fabrik leiten kann, einzig und allein die organisierten Arbeiter noch imstande sind, die Leitung der gesamten Baumwollindustrie in die Hand zu nehmen. Und das heißt auf deutsch, daß die Fabrikanten keinen anderen Beruf mehr haben als den, die bezahlten Geschäftsführer im Dienst der organisierten Arbeiter zu werden.
F.Engeh
Geschrieben Ende September bis Anfang Oktober 1889.

FRIEDRICHENGELS
Aus dem handschriftlichen Nachlaß

[Über die Assoziation der Zukunft13501]
Die bisherigen - naturwüchsigen oder auch gemachten Assoziationen waren der Sache nach für ökonomische Zwecke, aber diese Zwecke versteckt und vergraben unter ideologischen Nebendingen. Die antike Polis13511, die mittelalterliche Stadt oder Zunft, der Feudalverband des Grundadels, alle hatten ideologische Nebenzwecke, die sie heiligten, und die beim Patrizier-Geschlechterverband und der Zunft nicht minder aus Erinnerungen, Traditionen und Vorbildern der Gentilgesellschaft entsprangen, als die antike Polis. - Erst die kapitalistischen Handelsgesellschaften sind ganz nüchtern und sachlich - aber kommun. Die Assoziation der Zukunft wird die Nüchternheit der letzteren vereinigen mit der Sorge für die gemeinsame gesellschaftliche Wohlfahrt der alten und dadurch ihren Zweck erfüllen.
Geschrieben 1884. Nach der Handschrift.
[Über den Verfall des Feudalismus und das Aufkommen der Bourgeoisie13521]
Während die wüsten Kämpfe des herrschenden Feudaladels das Mittelalter mit ihrem Lärm erfüllten, hatte die stille Arbeit der unterdrückten Klassen in ganz Westeuropa das Feudalsystem untergraben, hatte Zustände geschaffen, in denen für den Feudalherrn immer weniger Platz blieb. Auf dem Lande freilich trieben die adligen Herren noch ihr Wesen, peinigten die Leibeignen, schwelgten von ihrem Schweiß, ritten ihre Saaten nieder, vergewaltigten ihre Weiber und Töchter. Aber ringsherum hatten sich Städte erhoben; in Italien, Südfrankreich, am Rhein altrömische Munizipien, aus ihrer Asche erstanden; anderswo, namentlich im Innern Deutschlands, neue Schöpfungen; immer eingeringt in schirmende Mauern und Gräben, Festungen, weit stärker als die Burgen des Adels, weil bezwingbar nur durch ein großes Heer. Hinter diesen Mauern und Gräben entwickelte sich - zunft-bürgerlich und kleinlich genug - das mittelalterliche Handwerk, sammelten sich die ersten Kapitalien an, entsprang das Bedürfnis des Verkehrs der Städte untereinander und mit der übrigen Welt, und, mit dem Bedürfnis, allmählich auch die Mittel, diesen Verkehr zu schützen. Im fünfzehnten Jahrhundert waren die Städtebürger bereits unentbehrlicher in der Gesellschaft geworden als der Feudaladel. Zwar war der Ackerbau noch immer die Beschäftigung der großen Masse der Bevölkerung und damit der Hauptproduktionszweig. Aber die paar vereinzelten Freibauern, die sich hie und da noch gegen die Anmaßungen des Adels erhalten, be* wiesen hinreichend, daß beim Ackerbau nicht die Bärenhäuterei und die Erpressungen des Adligen die Hauptsache sei, sondern die Arbeit des Bauern. Und dann hatten sich die Bedürfnisse auch des Adels so vermehrt und verändert, daß selbst ihm die Städte unentbehrlich geworden; bezog er doch sein einziges Produktionswerkzeug, seinen Panzer und seine Waffen, aus den Städten! Einheimische Tuche, Möbel und Schmucksachen, italie
rasche Seidenzeuge, Brabanter Spitzen, nordische Pelze, arabische Wohlgerüche, levantische Früchte, indische Gewürze - alles, nur die Seife nicht kaufte er von den Städtern. Ein gewisser Welthandel hatte sich entwickelt; die Italiener befuhren das Mittelmeer und darüber hinaus die atlantischen Küsten bis Flandern, die Hanseaten beherrschten bei aufkommender holländischer und englischer Konkurrenz noch immer Nord- und Ostsee. Zwischen den nördlichen und südlichen Zentren des Seeverkehrs wurde die Verbindung über Land erhalten; die Straßen, auf denen diese Verbindung stattfand, gingen durch Deutschland. Während der Adel immer überflüssiger und der Entwicklung hinderlicher, wurden so die Städtebürger die Klasse, in der die Fortentwicklung der Produktion und des Verkehrs, der Bildung, der sozialen und politischen Institutionen sich verkörpert fand. Alle diese Fortschritte der Produktion und des Austausches waren in der Tat, nach heutigen Begriffen, sehr beschränkter Natur. Die Produktion blieb gebannt in die Form des reinen Zunfthandwerks, behielt also selbst noch einen feudalen Charakter; der Handel blieb innerhalb der europäischen Gewässer und ging nicht über die levantischen Küstenstädte hinaus, in denen er die Produkte des Fernen Ostens eintauschte. Aber kleinlich und beschränkt, wie die Gewerbe und mit ihnen die gewerbtreibenden Bürger blieben, sie reichten hin, die feudale Gesellschaft umzuwälzen, und sie blieben wenigstens in der Bewegung, während der Adel stagnierte. Dabei hatte die Bürgerschaft der Städte eine gewaltige Waffe gegen den Feudalismus - das Geld. In der feudalen Musterwirtschaft des frühen Mittelalters war für das Geld kaum Platz gewesen. Der Feudalherr bezog von seinen Leibeignen alles, was er brauchte; entweder in der Form von Arbeit oder in der von fertigem Produkt; die Weiber spannen und woben den Flachs und die Wolle und machten die Kleider; die Männer bestellten das Feld; die Kinder hüteten das Vieh des Herrn, sammelten ihm Waldfrüchte, Vogelnester, Streu; die ganze Familie hatte außerdem noch Kom, Obst, Eier, Butter, Käse, Geflügel, Jungvieh und was nicht alles noch einzuliefern. Jede Feudalherrschaft genügte sich selbst; sogar die Kriegsleistungen wurden in Produkten eingefordert; Verkehr, Austausch war nicht vorhanden, Geld überflüssig. Europa war auf eine so niedrige Stufe herabgedrückt, hatte so sehr wieder von vorn angefangen, daß das Geld damals weit weniger eine gesellschaftliche als eine bloß politische Funktion hatte: Es diente zum Steuerzahlen und wurde hauptsächlich erworben durch Raub. Alles das war jetzt anders. Geld war wieder allgemeines Austauschmittel geworden, und damit hatte sich seine Masse bedeutend vermehrt; auch der Adel konnte es nicht mehr entbehren, und da er wenig oder nichts zu
verkaufen hatte, daauch das Rauben jetzt nicht ganz so leicht mehr war, mußte er sich entschließen, vom bürgerlichen Wucherer zu borgen. Lange ehe die Ritterburgen von den neuen Geschützen in Bresche gelegt, waren sie schon vom Geld unterminiert; in der Tat, das Schießpulver war sozusagen bloß der Gerichtsvollzieher im Dienst des Geldes. Das Geld war der große politische Gleichmachungshobel der Bürgerschaft. Überall, wo ein persönliches Verhältnis durch ein Geldverhältnis, eine Naturalleistung durch eine Geldleistung verdrängt wurde, da trat ein bürgerliches Verhältnis an die Stelle eines feudalen. Zwar blieb die alte brutale Naturalwirtschaft auf dem Lande in bei weitem den meisten Fällen bestehn; aber schon gab es ganze Distrikte, wo, wie in Holland,in Belgien, am Niederrhein, die Bauern den Herren Geld statt Fronden und Naturalabgaben entrichteten, wo Herren und Untertanen schon den ersten entscheidenden Schritt getan hatten zum Übergang in Grundbesitzer und Pächter, wo also auch auf dem Lande den politischen Einrichtungen des Feudalismus ihre gesellschaftliche Grundlage abhanden kam. Wie sehr die Feudalität am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts schon vom Geld unterhöhlt und innerlich ausgefressen war, tritt schlagend hervor an dem Golddurst, der sich um diese Zeit Westeuropas bemächtigt. Gold suchten die Portugiesen an der afrikanischen Küste, in Indien, im ganzen Fernen Osten; Gold war das Zauberwort, das die Spanier über den Atlantischen Ozean nach Amerika trieb; Gold-war das erste, wonach der Weiße frug, sobald er einen neuentdeckten Strand betrat. Aber dieser Drang, in die Ferne auf Abenteuer auszuziehn, um Gold zu suchen, so sehr er auch im Anfang in feudalen und halbfeudalen Formen sich verwirklicht, war doch in seiner Wurzel schon unverträglich mit dem Feudalismus, dessen Grundlage der Ackerbau und dessen Eroberungszüge wesentlich auf Landerwerb gerichtet waren. Dazu war die Schiffehrt ein entschieden bürgerliches Gewerbe, das seinen antifeudalen Charakter auch allen modernen Kriegsflotten aufgeprägt hat. Im fünfzehnten Jahrhundert war also die Feudalität in ganz Westeuropa in vollem Verfall; überall hatten sich Städte mit antifeudalen Interessen, mit eignem Recht und mit bewaffneter Bürgerschaft in die feudalen Gebiete eingekeilt, hatten die Feudalherren teilweise schon gesellschaftlich, durch das Geld, und hie und da sogar auch politisch in ihre Abhängigkeit gebracht; selbst auf dem Lande, da, wo der Ackerbau durch besonders günstige Verhältnisse sich gehoben, fingen die alten Feudalbande an, unter der Einwirkung des Geldes sich zu lösen; nur in neueroberten Ländern, wie die ostelbischen Deutschlands, oder in sonst zurückgebliebenen, von den
Wegen des Handels abgelegenen Strichen blühte die alte Adelsherrschaft fort. Überall aber hatten sich - in den Städten wie auf dem Land - die Elemente der Bevölkerung gemehrt, die vor allem verlangten, daß das ewige sinnlose Kriegführen aufhöre, jene Fehden der Feudalherren, die den innern Krieg permanent machten, selbst wenn der fremde Feind im Lande war, jener Zustand ununterbrochener, rein zweckloser Verwüstung, der das ganze Mittelalter hindurch gewährt hatte. Selbst noch zu schwach, ihren Willen durchzusetzen, fanden diese Elemente einen starken Rückhalt in der Spitze der ganzen feudalen Ordnung - im Königtum. Und hier ist der Punkt, wo uns die Betrachtung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu der der staatlichen führt, wo wir aus der Ökonomie übertreten in die Politik. Aus dem Völkergewirr des frühesten Mittelalters entwickelten sich nach und nach die neuen Nationalitäten, ein Prozeß, bei dem bekanntlich in den meisten ehemals römischen Provinzen die Besiegten den Sieger, der Bauer und Städter den germanischen Herrn sich assimilierten. Die modernen Nationalitäten sind also ebenfalls das Erzeugnis der unterdrückten Klassen. Wie die Verschmelzung hier, die Grenzscheidung dort vor sich ging, davon gibt uns ein anschauliches Bild die Menkesche Gaukarte des mittleren Lothringens*. Man braucht bloß auf dieser Karte die Grenzscheide romanischer und deutscher Ortsnamen zu verfolgen, um sich zu überzeugen, daß diese für Belgien und Niederlothringen mit der noch vor hundert Jahren bestehenden Sprachgrenze des Französischen und Deutschen in der Hauptsache zusammenfällt. Hie und da findet sich noch ein schmales streitiges Gebiet, wo die beiden Sprachen um den Vorrang kämpfen; im ganzen aber steht fest, was deutsch, was romanisch bleiben soll. Die altniederfränkische und althochdeutsche Form der meisten Ortsnamen der Karte aber beweist, daß sie dem neunten, spätestens zehnten Jahrhundert angehören, daß also die Grenze gegen Ende der karolingschen Zeit schon im wesentlichen gezogen war. Auf der romanischen Seite finden sich nun, besonders in der Nähe der Sprachgrenze, Mischnamen, aus einem deutschen Personennamen und einer romanischen Ortsbezeichnung zusammengesetzt, z.B. westlich der Maas bei Verdun: Eppone curtis, Rotfridi curtis, Ingolini curtis, Teudegisilo-villa, heute Ippecourt, Recourt la Creux, Amblaincourt sur Aire, Thierville. Es waren dies fränkische Herrensitze, kleine deutsche Kolonien auf romanischem Boden, die früher oder später der Romanisierung verfielen. In den Städten und in einzelnen ländlichen Strichen saßen stärkere
* Spruner-Menke, „Hand-Atlas zur Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit", 3. Aufl., Gotha 1874, Karte Nr.32.
deutsche Kolonien, die ihre Sprache noch längere Zeit beibehielten; aus einer solchen ging z.B. Ende des neunten Jahrhunderts noch das „Ludwigslied"13531 hervor; daß aber schon früher ein großer Teil der fränkischen Herren romanisiert war, beweisen die Eidformeln der Könige und Großen von 842, in denen das Romanische schon als Amtssprache Frankreichs auftritt[354]. Die Sprachgruppen einmal abgegrenzt (vorbehaltlich späterer Eroberungs- und Ausrottungskriege, wie sie z.B. gegen die Elbslawen[3551 geführt wurden), war es natürlich, daß sie der Staatenbildung zur gegebenen Grundlage dienten, daß die Nationalitäten anfingen, sich zu Nationen zu entwickeln. Wie mächtig dies Element schon im neunten Jahrhundert war, beweist das rasche Zusammenbrechen des Mischstaats Lotharingien[3561. Zwar blieben das ganze Mittelalter durch Sprachgrenzen und Landesgrenzen weit davon entfernt sich zu decken; aber es war doch jede Nationalität, Italien etwa ausgenommen, durch einen besondern großen Staat in Europa vertreten, und die Tendenz, nationale Staaten herzustellen, die immer klarer und bewußter hervortritt, bildet einen der wesentlichsten Fortschrittshebel des Mittelalters. In jedem dieser mittelalterlichen Staaten bildete nun der König die Spitze der ganzen feudalen Hierarchie, eine Spitze, der die Vasallen nicht entraten konnten und gegen die sie sich zugleich im Stand permanenter Rebellion befanden. Das Grundverhältnis der ganzen feudalen Wirtschaft, Landverleihung gegen Leistung gewisser persönlicher Dienste und Abgaben, lieferte schon in seiner ursprünglichen, einfachsten Gestalt Stoff genug zu Streitigkeiten, besonders wo so viele ein Interesse hatten, Händel zu suchen. Wie nun erst im späteren Mittelalter, wo die Lehnsbeziehungen in allen Ländern unentwirrbare Knäuel von bewilligten, entzogenen, wieder erneuerten, verwirkten, veränderten oder anders bedingten Berechtigungen und Verpflichtungen bildeten? Karl der Kühne z.B. war für einen Teil seiner Länder Lehnsmann des Kaisers, für andre Lehnsmann des Königs von Frankreich; andrerseits war der König von Frankreich, sein Lehnsherr, zugleich für gewisse Gebiete der Lehnsmann Karls des Kühnen, seines eignen Vasallen; wie da Konflikten entgehn? - Daher dieses jahrhundertlange Wechselspiel der Attraktion der Vasallen zum königlichen Zentrum hin, das allein sie gegen außen und gegen einander schützen kann, und die Repulsion vom Zentrum, in die jene Attraktion unaufhörlich und unvermeidlich umschlägt; daher der ununterbrochene Kampf zwischen Königtum und Vasallen, dessen ödes Getöse alles andre übertäubte während jener langen Zeit, wo der Raub die einzige, des freien Mannes würdige
Erwerbsquelle war; daher jene endlose, sich immer neu erzeugende Reihe von Verrat, Meuchelmord, Vergiftung, Heimtücke und aller nur erdenklichen Niederträchtigkeiten, die sich hinter dem poetischen Namen der Ritterlichkeit versteckt und in einem fort von Ehre und Treue redet. Daß in diesem allgemeinen Wirrwarr das Königtum das progressive Element war, liegt auf der Hand. Es vertrat die Ordnung in der Unordnung, die sich bildende Nation gegenüber der Zersplitterung in rebellische Vasallenstaaten. Alle revolutionären Elemente, die sich unter der feudalen Oberfläche bildeten, waren ebenso auf das Königtum angewiesen wie das Königtum auf sie. Die Allianz von Königtum und Bürgertum datiert aus dem zehnten Jahrhundert; oft durch Konflikte unterbrochen, wie denn im ganzen Mittelalter nichts stetig seine Bahn verfolgt, erneuerte sie sich immer fester, immer gewaltiger, bis sie dem Königtum zum endgültigen Sieg verhalf und das Königtum seinen Verbündeten zum Dank unterjochte und ausplünderte. Könige wie Bürger fanden eine mächtige Stütze an dem aufkommenden Stande der Juristen. Mit der Wiederentdeckung des römischen Rechts trat die Teilung der Arbeit ein zwischen den Pfaffen, den Rechtskonsulenten der Feudalzeit, und den nicht geistlichen Rechtsgelehrten. Diese neuen Juristen waren von vornherein wesentlich bürgerlicher Stand; dann aber war auch das von ihnen studierte, vorgetragne und ausgeübte Recht seinem Charakter nach wesentlich antifeudal und in gewisser Beziehung bürgerlich. Das römische Recht ist so sehr der klassische juristische Ausdruck der Lebensverhältnisse und Kollisionen einer Gesellschaft, in der das reine Privateigentum herrscht, daß alle späteren Gesetzgebungen nichts Wesentliches daran zu bessern vermochten. Das bürgerliche Eigentum des Mittelalters war aber noch stark mit feudalen Beschränkungen verquickt, bestand z.B. großenteils in Privilegien; das römische Recht war also insofern auch den bürgerlichen Verhältnissen von damals weit voraus. Die weitere geschichtliche Entwicklung des bürgerlichen Eigentums konnte aber nur darin bestehn, daß es sich, wie auch geschehn, zum reinen Privateigentum fortbildete. Diese Entwicklung mußte aber einen mächtigen Hebel finden im römischen Recht, das alles das schon fertig enthielt, dem die Bürgerschaft des späteren Mittelalters nur noch unbewußt zustrebte. Wenn auch in sehr vielen Einzelfällen das römische Recht den Vorwand bot zu erhöhter Bedrückung der Bauern durch den Adel, z.B. wo die Bauern keine schriftlichen Beweise beibringen konnten für ihre Freiheit von sonst üblichen Lasten, so ändert das an der Sache nichts. Der Adel hätte auch ohne das römische Recht solche Vorwände gefunden und fand sie
täglich. Jedenfalls war es ein gewaltiger Fortschritt, als ein Recht zur Geltung kam, das die Feudalverhältnisse absolut nicht kennt und das das moderne Privateigentum vollständig antizipierte. Wir sahen, wie der Feudaladel anfing, in ökonomischer Beziehung in der Gesellschaft des späteren Mittelalters überflüssig, ja hinderlich zu werden; wie er auch bereits politisch der Entwicklung der Städte und des damals nur in monarchischer Form möglichen nationalen Staats im Wege stand. Trotz alledem hatte ihn der Umstand gehalten, daß er bis dahin das Monopol der Waffenführung hatte, daß ohne ihn keine Kriege geführt, keine Schlachten geschlagen werden konnten. Auch dies sollte sich ändern; der letzte Schritt sollte getan werden, um dem Feudaladel klarzumachen, daß die von ihm beherrschte gesellschaftliche und staatliche Periode zu Ende, daß er in seiner Eigenschaft als Ritter, auch auf dem Schlachtfeld, nicht mehr zu brauchen sei. Die Feudalwirtschaft mit einem selbst feudalen Heer zu bekämpfen, worin die Soldaten durch engere Bande an ihre unmittelbaren Lehnsherrn gebunden waren als an das königliche Armeekommando - das hieß offenbar, sich in einem lasterhaften Zirkel bewegen und nicht vom Fleck kommen. Vom Anfang des vierzehnten Jahrhunderts an streben die Könige danach, sich von diesem Feudalheer zu emanzipieren, ein eignes Heer zu schaffen. Von dieser Zeit an finden wir in den Armeen der Könige einen stets wachsenden Teil geworbner oder gemieteter Truppen. Anfangs meist Fußvolk, aus dem Abhub der Städte und aus weggelaufenen Leibeignen bestehend, Lombarden, Genuesen, Deutsche, Belgier usw., zur Besetzung der Städte und zum Belagerungsdienst gebraucht, in offner Feldschlacht anfangs kaum zu verwenden. Aber schon gegen Ende des Mittelalters finden wir auch Ritter, die sich mit ihren wer weiß wie zusammengebrachten Gefolgschaften in Mietdienst fremder Fürsten begeben und damit den rettungslosen Zusammenbruch des feudalen Kriegswesens bekunden. Gleichzeitig erstand die Grundbedingung eines kriegstüchtigen Fußvolks in den Städten und in den freien Bauern, da, wo solche noch vorhanden oder sich neu gebildet hatten. Bis dahin war die Ritterschaft mit ihren ebenfalls berittenen Gefolgsleuten nicht sowohl der Kern des Heers, als vielmehr das Heer selbst; der Troß der mitlaufenden leibeignen Fußknechte zählte nicht, er schien - im freien Feld - bloß vorhanden zum Ausreißen und zum Plündern. Solange die Blütezeit des Feudalismus währte, bis Ende des dreizehnten Jahrhunderts, schlug und entschied die Reiterei alle Schlachten. Von da an ändert sich die Sache, und zwar an verschiedenen Punkten gleichzeitig. Das allmähliche Verschwinden der Leibeigenschaft in England schuf eine zahlreiche Klasse freier Bauern, Grundbesitzer (yeomen)
oder Pächter, und damit den Rohstoff zu einem neuen Fußvolk, geübt in der Führung des Bogens, der damaligen englischen Nationalwaffe. Die Einführung dieser Bogenschützen, die stets zu Fuß fochten, sie mochten auf dem Marsch beritten sein oder nicht, gab Anlaß zu einer wesentlichen Änderung in der Taktik der englischen Heere. Vom vierzehnten Jahrhundert an ficht die englische Ritterschaft mit Vorliebe zu Fuß, da, wo Terrain oder sonstige Umstände dies angemessen machen. Hinter den Bogenschützen, die den Kampf einleiten und den Feind mürbe machen, harrt die geschlossene Phalanx der abgesessenen Ritterschaft des feindlichen Angriffs oder des geeigneten Moments zum Vor brechen, während nur ein Teil zu Pferde bleibt, um durch Flankenangriffe die Entscheidung zu unterstützen. Die damaligen ununterbrochenen Siege der Engländer in Frankreich13571 beruhen wesentlich auf dieser Wiederherstellung eines defensiven Elements im Heere und sind meist ebensosehr Verteidigungsschlachten mit offensivem Rückstoß wie diejenigen Wellingtons in Spanien und Belgien. Mit der Annahme der neuen Taktik durch die Franzosen - möglich, seit bei ihnen gemietete italienische Armbrustschützen die Stelle der englischen Bogenschützen vertraten - hörte der Siegeslauf der Engländer auf. Ebenfalls zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts hatte das Fußvolk der flandrischen Städte es gewagt - und oft mit Erfolg -, sich der französischen Ritterschaft in offner Feldschlacht entgegenzustellen, und hatte Kaiser Albrecht durch seinen Versuch, die reichsfreien Schweizer Bauern zu verraten an den Erzherzog von Ostreich, der er selbst war, den Anstoß gegeben zur Bildung der ersten modernen Infanterie von europäischem Ruf.13581 In den Triumphen der Schweizer über die Östreicher und namentlich über die Burgunder erlag endgültig die Panzerreiterei - beritten oder abgesessen - dem Fußvolk, das Feudalheer den Anfängen des modernen Heers, der Ritter dem Bürger und freien Bauern. Und die Schweizer, um von vornherein den bürgerlichen Charakter ihrer, der ersten unabhängigen Republik in Europa festzustellen, versilberten sofort ihren Kriegsruhm. Alle politischen Rücksichten verschwanden: die Kantone verwandelten sich in Werbtische, um Söldlinge für den Meistbietenden zusammenzutrommeln. Auch sonstwo, und namentlich in Deutschland, ging die Werbtrommel um; aber der Zynismus einer Regierung, die nur zum Verkauf ihrer Landeskinder dazusein schien, blieb unerreicht, bis in der Zeit der tiefsten nationalen Erniedrigung deutsche Fürsten ihn übertrafen.
Dann wurde im vierzehnten Jahrhundert ebenfalls das Schießpulver und die Artillerie von den Arabern über Spanien nach Europa gebracht. Bis Ende des Mittelalters blieb die Handfeuerwaffe ohne Wichtigkeit, was sich
begreift, da der Bogen des englischen Schützen von Cr£cy ebenso weit und vielleicht sicherer traf - wenn auch nicht mit derselben Wirkung - wie das glatte Gewehr des Infanteristen von Waterloo13691. Das Feldgeschütz war ebenfalls noch in seiner Kindheit; dagegen hatten die schweren Kanonen das freistehende Mauerwerk der Ritterburgen schon vielfach in Bresche gelegt und dem Feudaladel angekündigt, daß mit dem Pulver das Ende seines Reichs besiegelt sei. Die Verbreitung der Buchdruckerkunst, die Wiederbelebung des Studiums der antiken Literatur, die ganze Kulturbewegung, die seit 1450 immer stärker, immer allgemeiner wird - alles das kam dem Bürgertum und Königtum zugunsten im Kampf gegen den Feudalismus. Das Zusammenwirken aller dieser Ursachen, von Jahr zu Jahr gekräftigt durch ihre zunehmende, mehr und mehr in derselben Richtung vorantreibende Wechselwirkung aufeinander, entschied in der letzten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts den Sieg, noch nicht des Bürgertums, wohl aber des Königtums über den Feudalismus. Überall in Europa, bis hinein in die entfernten Nebenländer, die den Feudalzustand nicht durchgemacht, bekam auf einmal die königliche Macht die Überhand. Auf der Pyrenäischen Halbinsel vereinigten sich, zwei der dortigen romanischen Sprachstämme zum Königreich Spanien und unterwarf sich das provenzalisch redende Reich Aragon der kastilischen Schriftsprache13601; der dritte Stamm vereinigte sein Sprachgebiet (mit Ausnahme Galiciens), zum Königreich Portugal, dem iberischen Holland, wandte sich vom Inland ab und bewies durch seine Tätigkeit zur See seine Berechtigung zu gesonderter Existenz. In Frankreich gelang es Ludwig XI. endlich nach dem Untergang des burgundischen Zwischenreichs1-3611 die durch das Königtum repräsentierte nationale Einheit auf dem damals noch sehr beschnittenen französischen Gebiet so weit herzustellen, daß bereits sein Nachfolger1 sich in italienische Händel13621 mischen konnte und daß diese Einheit nur noch einmal - durch die Reformation13631 - auf kurze Zeit in Frage gestellt wurde. England hatte endlich seine quichottischen Eroberungskriege in Frankreich, an denen es auf die Dauer verblutet wäre, aufgegeben; der Feudaladel suchte Ersatz in den Rosenkriegen'3641 und fand mehr, als er gesucht hatte: Er rieb sich gegeneinander auf und brachte das Haus Tudor auf den Thron, dessen Königsmacht die aller seiner Vorgänger und Nachfolger übertraf. Die skandinavischen Länder waren längst geeinigt, Polen ging seit der Vereinigung mit Litauen13651 seiner Glanzperiode mit noch ungeschwächter Königs
macht entgegen, und selbst in Rußland waren Niederwerfung der Teilfürsten und Abschüttlung des tatarischen Jochs Hand in Hand gegangen und von Iwan III. endgültig besiegelt. In ganz Europa gab es nur zwei Länder, in denen das Königtum und die ohne es damals unmögliche nationale Einheit gar nicht oder nur auf dem Papier bestanden: Italien und Deutschland.
Geschrieben Ende 1884. Nach der Handschrift.
26 Marx/Engels, Werke, Bd. 21
Zum „Bauernkrieg"13661
Reformation - Lutheranische und Kalvinistische - Revolution Nr. I der Bourgeoisie, worin Bauernkrieg die kritische Episode. Auflösung des Feudalismus, sowie Entwicklung der Städte, beides dezentralisierend, die absolute Monarchie dadurch gradezu nötig gemacht zum Zusammenhalten der Nationalitäten. Mußte absolut sein eben wegen des zentrifugalen Charakters aller Elemente. Das absolut jedoch nicht im Vulgärsinn zu verstehen: in stetem Kampfe teils mit den Ständen, teils aufständigen Feudalen und Städten; die Stände nirgends abgeschafft; also eher als ständische (noch feudale, verwesend feudale und embryo-bürgerliche) Monarchie zu bezeichnen.
Sieg der Revolution Nr. I, die viel europäischer als die englische und viel rascher europäisch wurde als die französische, in Schweiz, Holland, Schottland, England - gewissermaßen auch in Schweden schon gleich [bei] G[ustav] Wasa, und Dänemark, hier erst, in orthodox-absolutistischer Form, 1660.
I.1 Ursachen in Deutschland. Geschichte von Anfang. Deutschland nach der Heroenzeit der Völkerwanderung kaputt. Erst von Frankreich aus wiederhergestellt, durch Karl den Großen. Damit römische Kaiserreichidee. Erneuert durch Otto. Mehr Nichtdeutsche als Deutsche. Ruin Deutschlands durch diese Politik - des Raubs an den italienischen Städten - unter den Hohenstaufen. Damit die Zersplitterung bekräftigt - excepto casu
1 Der von Engels unter I aufgeführte Text folgt in der Handschrift erst nach dem Text unter II
revolutionis1. Entwicklung vom Interregnum1-3671 bis 15. Jahrhundert. Aufkommen der Städte. Verfall des nie in Deutschland vollkommnen Feudalismus unter dem Druck der Fürsten (der Kaiser als Landesfürst gegen, als .Kaiser für die Reichsritter). Allmähliche Befreiung der Bauern, bis Rückschlag im 15. Jahrhundert. Deutschland materiell auf der Höhe der damaligen Länder. - Entscheidend, daß in Deutschland wegen der provinziellen Zersplitterung und der langen Befreiung von Invasion das Bedürfnis der nationalen Einheit nicht so stark wie in Frankreich (lOOjähriger Krieg), Spanien, das eben von den Mauren rückerobert, Rußland, das eben die Tataren vertrieben, England (Rosenkrieg), und daß auch die Kaiser grade damals so lumpig. II. Mit der Renaissance in ihrer europäischen Gestalt, basiert auf allgemeinem Verfall des Feudalismus und Aufkommen der Städte. Dann absolutistische Nationalmonarchien - überall, nur nicht in Deutschland und Italien. III. Charakter der Reformation als einzig möglichen, populären Ausdruck der allgemeinen Bestrebungen usw.
Geschrieben Ende 1884. Nach der Handschrift.
1 der Revolutionsfall ausgenommen

Die Rolle der Gewalt in der Geschichte13681
Geschrieben Ende Dezember 1887 bis März 1888. Nach der Handschrift. Der Teil, für den die entsprechenden Seiten der Handschrift fehlen, wird nach dem in der „Neuen Zeit", Nr.25, M.Jahrgang, l.Band, 1895-1896, S.772-776, veröffentlichten Text gebracht.
Wenden wir nun unsre Theorie an auf die deutsche Geschichte von heute und ihre Gewaltspraxis von Blut und Eisen. Wir werden daraus klar ersehen, weshalb die Politik von Blut und Eisen zeitweilig Erfolg haben mußte und weshalb sie schließlich zugrunde gehn muß. Der Wiener Kongreß hatte 1815 Europa in einer Weise verteilt und verschachert, die die totale Unfähigkeit der Potentaten und Staatsmänner vor aller Welt klarlegte.13691 Der allgemeine Völkerkrieg gegen Napoleon war der Rückschlag des bei allen Völkern von Napoleon mit Füßen getretenen Nationalgefühls. Zum Dank dafür traten die Fürsten und Diplomaten des Wiener Kongresses dies Nationalgefühl noch schnöder unter die Füße. Die kleinste Dynastie galt mehr als das größte Volk. Deutschland und Italien wurden wieder in Kleinstaaten zersplittert, Polen wurde zum vierten Mal geteilt, Ungarn blieb unterjocht. Und man kann nicht einmal sagen, daß den Völkern Unrecht geschah, warum ließen sie sich's gefallen, und warum hatten sie im russischen Zaren1 ihren Befreier begrüßt? Aber das konnte nicht dauern. Seit dem Ausgang des Mittelalters arbeitet die Geschichte auf die Konstituierung Europas aus großen Nationalstaaten hin. Solche Staaten allein sind die normale politische Verfassung des europäischen herrschenden Bürgertums und sind ebenso unerläßliche Vorbedingung zur Herstellung des harmonischen internationalen Zusammenwirkens der Völker, ohne welches die Herrschaft des Proletariats nicht bestehn kann. Um den internationalen Frieden zu sichern, müssen vorerst alle vermeidlichen nationalen Reibungen beseitigt, muß jedes Volk unabhängig und Herr im eignen Hause sein. Mit der Entwicklung des Handels, des Ackerbaus, der Industrie und damit der sozialen Machtstellung der Bourgeoisie hob sich also überall das Nationalgefühl, verlangten die zersplitterten und unterdrückten Nationen Einheit und Selbständigkeit.
Die Revolution von 1848 war daher überall außerhalb Frankreichs auf Befriedigung ebensosehr der nationalen wie der freiheitlichen Forderungen gerichtet. Aber hinter der im ersten Anlauf siegreichen Bourgeoisie erhob sich überall schon die drohende Gestalt des Proletariats, das den Sieg in Wirklichkeit erkämpft hatte, und trieb die Bourgeoisie in die Arme der eben besiegten Gegner - der monarchischen, bürokratischen, halbfeudalen und militärischen Reaktion, der die Revolution 1849 erlag. In Ungarn, wo dies nicht der Fall war, marschierten die Russen ein und warfen die Revolution nieder. Damit nicht zufrieden, kam der russische Zar1 nach Warschau und saß dort zu Gericht als Schiedsrichter von Europa. Er ernannte den Glücksburger Christian, seine fügsame Kreatur, zum Thronfolger Dänemarks. Er demütigte Preußen, wie es noch nie gedemütigt worden, indem er ihm selbst die schwächsten Gelüste auf Ausbeutung deutscher Einheitsbestrebungen verbot und es zwang, den Bundestag11751 wiederherzustellen und sich Ostreich zu unterwerfen.13131 Das ganze Resultat der Revolution, auf den ersten Blick, schien also zu sein, daß in Ostreich und Preußen nach konstitutioneller Form, aber im alten Geist, regiert wurde und daß der russische Zar Europa mehr beherrschte als je zuvor. In Wirklichkeit aber hatte die Revolution das Bürgertum auch der zerstückelten Länder, und namentlich Deutschlands, mächtig aus dem alten ererbten Schlendrian aufgerüttelt. Es hatte einen, wenn auch bescheidnen, Anteil an der politischen Macht bekommen; und jeder politische Erfolg der Bourgeoisie wird ausgebeutet in einem industriellen Aufschwung. Das „tolle Jahr"[3701, das man glücklich hinter sich hatte, bewies dem Bürgertum handgreiflich, daß es mit der alten Lethargie und Schlafmützigkeit jetzt ein für allemal ein Ende nehmen müsse. Infolge des kalifornischen und australischen Goldregens und andrer Umstände trat eine Ausdehnung der Weltmarktsverbindungen und ein Aufschwung der Geschäfte ein wie noch nie vorher; es galt, hier anzufassen und sich seinen Anteil zu sichern. Die Anfänge großer Industrie, die seit 1830 und namentlich seit 1840 am Rhein, in Sachsen, in Schlesien, in Berlin und in einzelnen Städten des Südens entstanden, wurden jetzt rasch fortgebildet und erweitert, die Hausindustrie der Landbezirke dehnte sich mehr und mehr aus, der Eisenbahnbau wurde beschleunigt, und die bei alledem enorm steigende Auswanderung schuf eine deutsche transatlantische Dampfschiffahrt, die keiner Subvention bedurfte. Mehr als je vorher setzten sich deutsche Kaufleute in allen überseeischen Handelsplätzen fest, vermittelten einen immer größeren Teil des
Welthandels und fingen allmählich an, den Absatz nicht nur englischer, sondern auch deutscher Industrieprodukte zu vermitteln. Dieser sich mächtig hebenden Industrie und dem sich an sie knüpfenden Handel aber mußte die deutsche Kleinstaaterei mit ihren vielfachen verschiednen Handels- und Gewerbegesetzgebungen bald eine unerträgliche Fessel werden. Alle paar Meilen weit ein andres Wechselrecht, andre Bedingungen bei Ausübung eines Gewerbes, überall, aber überall andre Schikanen, bürokratische und fiskalische Fußangeln, ja oft noch Zunftschranken, gegen die nicht einmal eine Konzession half! Und dazu die vielen verschiednen Heimatgesetzgebungen[S711 und Aufenthaltsbeschränkungen, die es den Kapitalisten unmöglich machten, disponible Arbeitskräfte in genügender Zahl auf die Punkte zu werfen, wo Erz, Kohle, Wasserkraft und andre Naturbegünstigung die Anlage von industriellen Unternehmungen gebot! Die Fähigkeit, die massenhafte Arbeitskraft des Vaterlands ungehindert auszubeuten, war die erste Bedingung der industriellen Entwicklung; überall aber, wo der patriotische Fabrikant Arbeiter von allen Enden zusammenzog, stemmte sich Polizei und Armenverwaltung gegen die Niederlassung der Zuzügler. Ein deutsches Reichsbürgerrecht und volle Freizügigkeit für alle Reichsbürger, eine einheitliche Handels- und Gewerbegesetzgebung, das waren nicht mehr patriotische Phantasien überspannter Studenten, das waren jetzt notwendige Lebensbedingungen der Industrie. Dazu in jedem Staat und Stätchen andres Geld, andres Maß und Gewicht, oft genug zweierlei und dreierlei im selben Staat. Und von allen diesen zahllosen Gattungen von Münze, Maß oder Gewicht wurde keine einzige auf dem Weltmarkt anerkannt. Was Wunder also, daß Kaufleute und Fabrikanten, die auf dem Weltmarkt verkehrten oder mit importierten Artikeln zu konkurrieren hatten, zu all den vielen Münzen, Maßen und Gewichten auch noch ausländische anwenden mußten, daß baumwollne Garne nach englischen Pfunden gehaspelt, seidne Zeuge nach Meterlänge angefertigt, Rechnungen fürs Ausland in Pfund Sterling, Dollars, Francs ausgestellt wurden? Und wie sollten große Kreditinstitute zustande kommen auf diesen beschränkten Währungsgebieten, mit Banknoten in Gulden hier, in preußischen Talern dort, daneben Taler Gold, Taler „Neue Zweidrittel", Mark Banco, Mark Kurant, Zwanzigguldenfuß, Vierundzwanzigguldenfuß[372J, bei endlosen Kursberechnungen und Kursschwankungen? Und wenn es gelang, dies alles schließlich zu überwinden, wieviel Kraft war bei allen diesen Reibungen draufgegangen, wieviel Geld und Zeit war verloren! Und man fing endlich auch in Deutschland an zu merken, daß heutzutage Zeit Geld ist.
Auf dem Weltmarkt hatte sich die junge deutsche Industrie zu bewähren, nur durch die Ausfuhr konnte sie groß werden. Dazu gehörte, daß sie in der Fremde den Schutz des Völkerrechts genoß. Der englische, französische, amerikanische Kaufmann konnte im Ausland sich immer noch etwas mehr erlauben als zu Hause. Seine Gesandtschaft trat für ihn ein und im Notfall auch ein paar Kriegsschiffe. Aber der Deutsche! In der Levante konnte wenigstens der Östreicher sich einigermaßen auf seine Gesandtschaft verlassen, sonst half sie ihm auch nicht viel. Wo aber ein preußischer Kaufmann in der Fremde sich bei seinem Gesandten über widerfahrene Unbill beklagte, da hieß es fast immer: „Das geschieht Euch ganz recht, was habt Ihr hier zu suchen, warum bleibt Ihr nicht hübsch zu Hause?" Der Kleinstaatler vollends war überall erst recht rechtlos. Wohin man kam, standen die deutschen Kaufleute unter fremdem, französischem, englischem, amerikanischem Schutz oder hatten sich in der neuen Heimat schleunigst naturalisieren lassen.1 Und selbst wenn ihre Gesandten sich hätten für sie verwenden wollen, was hätte es genützt? Die deutschen Gesandten selbst wurden über See behandelt wie die Schuhputzer. Man sieht hieraus, wie das Verlangen nach einem einheitlichen „Vaterland" einen sehr materiellen Hintergrund besaß. Es war nicht mehr der nebelhafte Drang wartburgsfestlicher Burschenschafter13731, „wo Mut und Kraft in deutschen Seelen flammten", und wo es nach einer französischen Melodie „den Jüngling fortriß mit Sturmeswehn, fürs Vaterland in Kampf und Tod zu gehn"[3741, um die romantische Kaiserherrlichkeit des Mittelalters wiederherzustellen, und wo der sturmeswehende Jüngling auf seine alten Tage ein ganz gemeiner pietistischer und absolutistischer Fürstenknecht wurde. Es war auch nicht mehr der der Erde schon bedeutend nähergekommene Einheitsruf der Advokaten und sonstigen bürgerlichen Ideologen des Hambacher Festes13751, die die Freiheit und Einheit um ihrer selbst willen zu lieben glaubten und gar nicht merkten, daß die Verschweizerung Deutschlands zu einer Kantönlirepublik, auf die das Ideal der am wenigsten Unklaren unter ihnen hinauslief, ebenso unmöglich war wie das hohenstaufische Kaisertum13761 jener Studenten. Nein, es war das aus der unmittelbaren Geschäftsnot hervorbrechende Begehren des praktischen Kaufmanns und Industriellen nach Wegfegung all des historisch überkommenen kleinstaatlichen Plunders, der der freien Entfaltung von Handel und Gewerbe im Wege stand, nach Beseitigung all der überflüssigen Reibung, die der deutsche Geschäftsmann erst zu Hause überwinden mußte,
1 Engels schrieb hier mit Bleistift an den Rand: „Weerth"
wenn er den Weltmarkt betreten wollte, und deren alle seine Konkurrenten überhoben waren. Die deutsche Einheit war eine wirtschaftliche Notwendigkeit geworden. Und die Leute, die sie jetzt forderten, wußten, was sie wollten. Sie waren im Handel und zum Handel auferzogen, verstanden zu handeln und ließen mit sich handeln. Sie wußten, daß man recht hoch fordern, aber auch liberal ablassen muß. Sie sangen von „des Deutschen Vaterland", darin auch Steierland, Tirol und „das Ostreich, an Ehren und an Siegen reich", und:
„Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt"'377' aber sie waren bereit, auf dieses immer größer sein müssende Vaterland1378 ] einen recht beträchtlichen Rabatt für bare Zahlung - 25 bis 30% zu bewilligen. Ihr Einheitsplan war gemacht und sofort praktikabel. Die deutsche Einheit war aber keine bloß deutsche Frage. Seit dem Dreißigjährigen Krieg war keine einzige gemeindeutsche Angelegenheit mehr entschieden worden ohne die sehr fühlbare Einmischung des Auslands.1 Friedrich II. hatte 1740 Schlesien erobert mit Hülfe der Franzosen.13801 Frankreich und Rußland hatten 1803 die Reorganisation des Heiligen Römischen Reichs durch den Reichsdeputationshauptschluß buchstäblich diktiert. Dann hatte Napoleon Deutschland nach seiner Konvenienz eingerichtet. Und endlich, auf dem Wiener Kongreß2, war es aufs neue, hauptsächlich durch Rußland und in zweiter Linie durch England und Frankreich, in sechsunddreißig Staaten mit über zweihundert besondern großen und kleinen Landfetzen zersplittert worden, und die deutschen Dynasten, ganz wie 1802/ 1803 auf dem Regensburger Reichstag13811, hatten dabei redlich mitgeholfen und die Zersplitterung noch ärger gemacht. Zudem waren einzelne Stücke von Deutschland fremden Fürsten überliefert. So war Deutschland nicht nur machtlos und hülflos, in innerem Hader sich aufreibend, politisch, militärisch und selbst industriell zur Nichtigkeit verdammt. Sondern, was noch weit schlimmer, Frankreich und Rußland hatten durch wiederholten Brauch ein Recht erworben auf die Zersplitterung Deutschlands, ganz wie Frankreich und Ostreich ein Recht sich anmaßten, darüber zu wachen, daß Italien zerstückelt blieb. Es war dies angebliche Recht, das der Zar Nikolaus 1850 geltend gemacht hatte, indem er, jede eigenmächtige Verfassungs
1 Engels schrieb hier mit Bleistift an den Rand: „Westfälischer] P16l und Tesch[ener] Friede'3'9}" - 2 Engeis schrieb hier mit Bleistift zwischen die Zeilen: „Deutschland-Polen"
änderung sich gröblichst verbittend, die Wiederherstellung des Bundestags, dieses Ausdrucks der Ohnmacht Deutschlands, erzwang. Die Einheit Deutschlands mußte also erkämpft werden nicht nur gegen die Fürsten und sonstigen inneren Feinde, sondern auch gegen das Ausland. Oder aber - mit Hülfe des Auslands. Und wie stand es damals im Ausland? In Frankreich hatte Louis Bonaparte den Kampf zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse benutzt, um sich mit Hülfe der Bauern in die Präsidentschaft und mit Hülfe der Armee auf den Kaiserthron zu schwingen. Aber ein neuer, von der Armee gemachter Kaiser Napoleon innerhalb der Grenzen des Frankreichs von 1815 - das war ein totgebornes Unding. Das wiedergeborne napoleonische Kaiserreich, das hieß die Ausdehnung Frankreichs bis an den Rhein, die Verwirklichung des erblichen Traums des französischen Chauvinismus. Zunächst aber war der Rhein für Louis Bonaparle nicht zu haben; jeder Versuch in dieser Richtung hätte eine europäische Koalition gegen Frankreich zur Folge gehabt. Dagegen bot sich eine Gelegenheit, die Machtstellung Frankreichs zu heben und der Armee neue Lorbeeren zuzuwenden durch einen im Einklang mit fast ganz Europa geführten Krieg gegen Rußland, das die revolutionäre Periode Westeuropas benutzt hatte, um in aller Stille die Donaufürstentümer zu besetzen und einen neuen türkischen Eroberungskrieg vorzubereiten. England verband sich mit Frankreich, Ostreich war beiden günstig, nur das heroische Preußen küßte die russische Rute, die es gestern noch gezüchtigt, und blieb in russenfreundlicher Neutralität. Aber weder England noch Frankreich wollten eine ernstliche Besiegung des Gegners, und so endete der Krieg in einer sehr gelinden Demütigung Rußlands und in einer russisch-französischen Allianz gegen Ostreich.*
* Der Krimkrieg war eine einzige kolossale Komödie der Irrungen, wo man sich bei jedem neuen Auftritt fragt: Wer soll hier geprellt werden? Aber die Komödie kostete ungezählte Schätze und reichlich eine Million Menschenleben. Kaum war der Kampf im Gang, so marschierte Ostreich in die Donaufürstentümer; die Russen zogen sich vor ihnen zurück. Dadurch war, solange Ostreich neutral blieb, ein Krieg an der russischen Landgrenze gegen die Türkei unmöglich gemacht. Aber Ostreich war für einen Krieg an dieser Grenze als Alliierter zu haben, vorausgesetzt, daß der Krieg ernsthaft geführt wurde, um die Wiederherstellung Polens und die dauernde Zurückschiebung der russischen Westgrenze. Dann hätte auch Preußen mitgemußt, durch das Rußland jetzt noch alle seine Zufuhren bezog; Rußland wäre zu Lande wie zu Wasser blockiert gewesen und mußte rasch erliegen. Aber das war nicht die Absicht der Alliierten. Sie waren im Gegenteil froh, jetzt aller Gefahr eines ernsthaften Kriegs ent
Der Krimkrieg machte Frankreich zur leitenden Macht Europas und den Abenteurer Louis-Napoleon zum größten Mann des Tages, was freilich nicht viel sagen will. Aber der Krimkrieg hatte Frankreich keinen Gebietszuwachs gebracht und trug daher in seinem Schoß einen neuen Krieg, worin Louis-Napoleon seinen wahren Beruf erfüllen sollte als „Mehrer des Reichs"13821. Dieser neue Krieg war schon während des ersten eingefädelt worden, indem Sardinien erlaubt wurde, sich der westmächtlichen Allianz anzuschließen als Satellit des kaiserlichen Frankreichs und speziell als sein Vorposten gegen - Ostreich; er wurde weiter vorbereitet beim Friedensschluß durch das Einverständnis Louis-Napoleons mit Rußland[3831, dem nichts genehmer war als eine Züchtigung Ostreichs. Louis-Napoleon war jetzt der Abgott der europäischen Bourgeoisie. Nicht nur wegen seiner „Gesellschaftsrettung" vom 2. Dezember 1851[384), wo er zwar die politische Herrschaft der Bourgeoisie vernichtet, aber nur um ihre soziale Herrschaft zu retten. Nicht nur weil er gezeigt, wie das allgemeine Stimmrecht unter günstigen Umständen in ein Werkzeug zur Unterdrückung der Massen verwandelbar sei; nicht nur weil unter seiner Herrschaft Industrie und Handel und namentlich Spekulation und Börsenschwindel einen nie gekannten Aufschwung genommen. Sondern vor allem, weil die Bourgeoisie in ihm den ersten „großen Staatsmann" erkannte, der Fleisch von ihrem Fleisch, Bein von ihrem Bein war. Er war Emporkömmling, wie jeder echte Bourgeois auch. „In allen Wassern gewaschen",
hoben zu sein. Palmerston schlug vor, den Kriegsschauplatz nach der Krim zu verlegen - was Rußland wünschte - und Louis-Napoleon ging nur zu gern darauf ein. Der Krieg konnte hier nur noch ein Scheinkrieg bleiben, und so waren alle Hauptbeteiligten zufriedengestellt. Aber der Kaiser Nikolaus setzte sich in den Kopf, hier einen ernstlichen Krieg zu führen und vergaß dabei, daß, was für einen Scheinkrieg sein günstigstes, für einen ernstlichen Krieg sein ungünstigstes Terrain war. Die Stärke Rußlands in der Verteidigung - die ungeheuere Ausdehnung seines dünnbevölkerten, unwegsamen und an Hülfsquellen armen Gebiets - kehrt sich bei jedem russischen Angriffskrieg gegen Rußland selbst, und nirgends mehr als in der Richtung der Krim. Die südrussischen Steppen, die das Grab des Angreifers hätten werden müssen, wurden das Grab der russischen Armeen, die Nikolaus mit brutal-dummer Rücksichtslosigkeit eine nach der anderen - zuletzt mitten im Winter - nach Sewastopol trieb. Und als die letzte, eiligst zusammengeraffte, kaum notdürftig ausgerüstete, elend verpflegte Heersäule an zwei Drittel ihres Bestands auf dem Marsch verloren hatte (ganze Bataillone kamen im Schneesturm um) und der Rest nicht imstande war, die Feinde vom russischen Boden zu vertreiben, da brach der aufgeblasene Hohlkopf Nikolaus jämmerlich zusammen und vergiftete sich. Von da an wurde der Krieg wieder Scheinkrieg und führte bald zum Friedensschluß.
karbonaristischer Verschwörer[385] in Italien, Artillerieoffizier in der Schweiz, verschuldeter vornehmer Lumpazivagabundus und Spezial-Konstabler in England1386aber stets und überall Prätendent, hatte er sich durch eine abenteuerliche Vergangenheit und durch moralische Bloßstellung in allen Ländern zum Kaiser der Franzosen und Leiter der Geschicke Europas vorbereitet, wie der Musterbourgeois, der Amerikaner, durch eine Reihe ehrlicher und betrügerischer Bankerotte sich vorbereitet zum Millionär. Als Kaiser machte er nicht nur die Politik dem kapitalistischen Erwerb und dem Börsenschwindel dienstbar, sondern betrieb auch die Politik selbst ganz nach den Grundsätzen der Fondsbörse und spekulierte auf das „Nationalitätsprinzip" 13871. Die Zersplitterung Deutschlands und Italiens war der bisherigen französischen Politik ein unveräußerliches Grundrecht Frankreichs gewesen; Louis-Napoleon schickte sich sofort an, dies Grundrecht stückweise zu verschachern gegen sogenannte Kompensationen. Er war bereit, Italien und Deutschland zur Beseitigung der Zersplitterung behülflich zu sein, vorausgesetzt, daß Deutschland und Italien jeden Schritt zur nationalen Einigung hin ihm bezahlten mit der Abtretung von Gebiet. Damit wurde nicht nur der französische Chauvinismus befriedigt und das Kaiserreich allmählich auf die Grenzen von 180113881 gebracht, sondern Frankreich auch wieder als die spezifisch aufgeklärte und völkerbefreiende Macht und Louis-Napoleon als der Beschützer der unterdrückten Nationalitäten hingestellt. Und die ganze aufgeklärte und nationalitätsbegeisterte - weil bei der Hinwegräumung aller Geschäftshindernisse vom Weltmarkt lebhaft interessierte - Bourgeoisie jubelte dieser weltbefreienden Aufklärung einstimmig zu. Der Anfang wurde in Italien gemacht.1 Hier herrschte seit 1849 Ostreich unbeschränkt, und Ostreich war damals der allgemeine Sündenbock Europas. Die Magerkeit der Resultate des Krimkriegs wurden nicht der Unentschlossenheit der Westmächte zugeschoben, die nur einen Scheinkrieg gewollt, sondern der unentschiednen Haltung Ostreichs, an der niemand mehr schuld gewesen als die Westmächte selbst. Rußland aber war durch den Vormarsch der Östreicher an den Pruth - den Dank für die russische Hülfe in Ungarn 1849 - so verletzt (obwohl grade dieser Vormarsch Rußland gerettet), daß es jeden Angriff auf Ostreich mit Freuden sah. Preußen zählte nicht mehr und wurde schon auf dem Pariser Friedenskongreß en Canaille behandelt. Und so wurde der Krieg zur Befreiung Italiens „bis zur Adria" mit Rußlands Mitwirkung eingefädelt, im Frühjahr 1859
1 Engels schrieb hier mit Bleistift an den Rand: „Orsini"
unternommen und im Sommer schon am Mincio beendigt. Ostreich war nicht aus Italien hinausgeworfen, Italien war nicht „frei bis zur Adria" und nicht geeinigt, Sardinien hatte Zuwachs erhalten, aber Frankreich hatte Savoyen und Nizza erworben und damit, gegen Italien, die Grenzen von 1801.13891 Aber damit waren die Italiener nicht zufrieden. In Italien herrschte damals noch die eigentliche Manufaktur vor, die große Industrie war noch in den Windeln. Die Arbeiterklasse war noch bei weitem nicht durchgängig expropriiert und proletarisiert; in den Städten besaß sie noch ihre eignen Produktionsmittel, auf dem Lande war die industrielle Arbeit Nebenerwerb kleiner grundbesitzender oder pachtender Bauern. Daher war die Energie der Bourgeoisie noch nicht gebrochen durch den Gegensatz gegen ein modernes klassenbewußtes Proletariat. Und da in Italien die Zersplitterung nur durch die östreichische Fremdherrschaft bestand, unter deren Schutz die Fürsten die Mißregierung bis aufs äußerste getrieben, so stand auch der großgrundbesitzende Adel und die städtische Volksmasse auf Seite der Bourgeoisie als der Vorkämpferin der nationalen Unabhängigkeit. Die Fremdherrschaft aber war 1859, außer in Venetien, abgeschüttelt, ihre fernere Einmischung in Italien durch Frankreich und Rußland unmöglich gemacht, niemand fürchtete sie mehr. Und Italien besaß in Garibaldi einen Helden von antikem Charakter, der Wunder tun konnte und Wunder tat. Mit tausend Freischärlern warf er das ganze Königreich Neapel über den Haufen, einigte Italien tatsächlich, zerriß das künstliche Gewebe bonapartischer Politik. Italien war frei und der Sache nach geeint - aber nicht durch LouisNapoleons Ränke, sondern durch die Revolution. Seit dem italienischen Krieg war die auswärtige Politik des zweiten französischen Kaiserreichs niemandem ein Geheimnis mehr. Die Besieger des großen Napoleon sollten gezüchtigt werden - aber l'un apres l'autre, einer nach dem andern. Rußland und Ostreich hatten ihr Teil erhalten, der nächste an der Reihe war Preußen. Und Preußen war verachteter als je; seine Politik während des italienischen Kriegs war feig und jämmerlich gewesen, ganz wie zur Zeit des Baseler Friedens 179513901. Mit der „Politik der freien Hand"13911 war es dahin gekommen, daß es ganz vereinsamt in Europa stand, daß alle seine großen und kleinen Nachbarn sich auf das Schauspiel freuten, wie Preußen in die Pfanne gehauen werde, daß seine Hand frei war nur noch für dies eine: das linke Rheinufer an Frankreich abzutreten. In der Tat war in den ersten Jahren nach 1859 überall und nirgends mehr als am Rhein selbst die Uberzeugung verbreitet, daß das linke Rheinufer unrettbar Frankreich verfallen sei. Man wünschte es nicht grade, aber
man sah es kommen wie ein unabwendbares Verhängnis, und - geben wir der Wahrheit die Ehre - man fürchtete es auch nicht eben sehr. Bei den Bauern und Kleinbürgern wurden die alten Erinnerungen an die Franzosenzeit, die wirklich die Freiheit gebracht hatte, wieder wach; von der Bourgeoisie war die Finahzaristokratie, besonders in Köln, schon tief in die Mogeleien des Pariser Credit mobilier13921 und andrer bonapartistischen Schwindelkompanien verwickelt und schrie laut nach der Annexion.* Aber der Verlust des linken Rheinufers, das war die Schwächung nicht nur Preußens, sondern auch Deutschlands. Und Deutschland war gespaltner als je. Ostreich und Preußen einander entfremdeter als je durch Preußens Neutralität im italienischen Krieg, das kleine Fürstengezücht halb ängstlich, halb lüstern nach Louis-Napoleon schielend als dem Protektor eines erneuerten Rheinbunds13931-das war die Lage des offiziellen Deutschlands. Und das in einem Moment, wo nur die vereinigten Kräfte der ganzen Nation imstande waren, die Gefahr der Zerstückelung abzuwenden. Wie aber die Kräfte der ganzen Nation einigen? Drei Wege lagen offen, nachdem die fast ausnahmslos nebelhaften Versuche von 1848 gescheitert waren, aber auch eben dadurch manchen Nebel zerstreut hatten. Der erste Weg war der der wirklichen Einigung durch Beseitigung aller Einzelstaaten, also der offen revolutionäre Weg. Dieser Weg hatte soeben in Italien zum Ziel geführt; die savoyische Dynastie hatte sich der Revolution angeschlossen und dadurch die Krone Italiens eingeheimst. Solch kühner Tat aber waren unsre deutschen Savoyer, die Hohenzollern, und selbst ihre verwegensten Cavours a la Bismarck absolut unfähig. Das Volk hätte alles selbst tun müssen - und in einem Krieg um das linke Rheinufer wäre es wohl imstande gewesen, das Nötige zu tun. Der unvermeidliche Rückzug der Preußen über den Rhein, stehender Krieg an den Rheinfestungen, der dann unzweifelhafte Verrat der süddeutschen Fürsten konnten hinreichen, eine nationale Bewegung zu entfachen, vor der die ganze Dynastenwirtschaft zerstob. Und dann war Louis-Napoleon der erste, der den Degen einsteckte. Das zweite Kaiserreich konnte als Gegner nur reaktionäre Staaten gebrauchen, denen gegenüber es als Fortführer der französischen Revolution, als Völkerbefreier erschien. Gegen ein selbst in Revolution begriffenes Volk war es ohnmächtig; ja die siegreiche deutsche Revolution konnte den Anstoß geben zum Sturz des ganzen französischen Kaisertums.
* Daß dies damals die allgemeine Stimmung am Rhein, davon haben Marx und ich uns an Ort und Stelle oft genug überzeugt. Linksrheinische Industrielle frugen mich u.a., wie sich ihre Industrie unter dem französischen Zolltarif befinden werde.
Das war der günstigste Fall; im ungünstigsten, wenn die Dynasten der Bewegung Herr wurden, verlor man zeitweilig das linke Rheinufer an Frankreich, legte den aktiven oder passiven Verrat der Dynasten vor aller Welt bloß und schuf eine Zwangslage, worin Deutschland kein andrer Ausweg blieb als die Revolution, die Verjagung sämtlicher Fürsten, die Herstellung der deutschen einheitlichen Republik. Wie die Dinge lagen, konnte dieser Weg zur Einigung Deutschlands nur betreten werden, wenn Louis-Napoleon den Krieg um die Rheingrenze anfing. Dieser Krieg unterblieb jedoch - aus bald zu erwähnenden Gründen. Damit aber hörte auch die Frage der nationalen Einigung auf, eine unaufschiebbare Lebensfrage zu sein, die gelöst werden mußte von heute auf morgen, bei Strafe des Untergangs. Die Nation konnte einstweilen warten. Der zweite Weg war die Einigung unter der Vorherrschaft Ostreichs. Ostreich hatte 1815 die ihm durch die napoleonischen Kriege aufgedrängte Lage eines kompakten, abgerundeten Staatsgebiets willig beibehalten. Seine vormaligen abgetrennten Besitzungen in Süddeutschland beanspruchte es nicht wieder; es begnügte sich mit der Anfügung alter und neuer Landstriche, die sich geographisch und strategisch an den noch übrigen Kern der Monarchie anpassen ließen. Die durch die Schutzzölle Josephs II. eingeleitete, durch die italienische Polizeiwirtschaft Franz' I. verschärfte, durch die Auflösung des Deutschen Reichs13941 und den Rheinbund auf die Spitze getriebne Scheidung Deutsch-Ostreichs vom übrigen Deutschland blieb auch nach 1815 faktisch in Kraft. Metternich umgab seinen Staat nach der deutschen Seite hin mit einer förmlichen chinesischen Mauer. Die Zölle hielten die stofflichen, die Zensur die geistigen Produkte Deutschlands draußen, die namenlosesten Paßschikanen beschränkten den persönlichen Verkehr auf das notwendigste Minimum. Im Innern sicherte eine selbst in Deutschland einzig dastehende absolutistische Willkür vor jeder, auch der leisesten, politischen Regung. So hatte Ostreich der ganzen bürgerlichliberalen Bewegung Deutschlands absolut ferngestanden. Mit 1848 fiel wenigstens die geistige Scheidewand großenteils hinweg; aber die Ereignisse jenes Jahrs und ihre Folgen waren wenig geeignet, Ostreich dem übrigen Deutschland näherzubringen; im Gegenteil, Ostreich pochte mehr und mehr auf seine unabhängige Großmachtsstellung. Und so kam es, daß, obwohl die östreichischen Soldaten der Bundesfestungen[3951 beliebt und die preußischen verhaßt und verspottet waren, und obwohl Ostreich im ganzen vorwiegend katholischen Süden und Westen noch immer populär und angesehn war, dennoch niemand ernstlich an eine Einigung Deutschlands
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unter östreichischer Vorherrschaft dachte, außer etwa ein paar deutsche kleine und Mittelstaatsfürsten. Es konnte auch gar nicht anders sein. Ostreich hatte es selbst nicht anders gewollt, trotzdem es in der Stille romantische Kaiserträume großzog. Die östreichische Zollgrenze war mit der Zeit die einzige noch übrige materielle Scheidewand innerhalb Deutschlands geblieben und wurde um so schärfer empfunden. Die unabhängige Großmachtspolitik hatte keinen Sinn, wenn sie nicht die Preisgebung deutscher zugunsten spezifisch östreichischer, also italienischer, ungarischer etc. Interessen bedeutete. Wie vor so nach der Revolution blieb Ostreich der reaktionärste, der modernen Strömung am widerwilligsten folgende Staat Deutschlands und dazu - die einzige noch übrige, spezifisch katholische Großmacht. Je mehr die nachmärzliche Regierung13961 die alte Pfaffen- und Jesuitenwirtschaft wiederherzustellen strebte, desto unmöglicher wurde ihr die Hegemonie über ein zu zwei Dritteln protestantisches Land. Und endlich war eine Einigung Deutschlands unter Ostreich nur möglich durch Sprengung Preußens. Sowenig aber diese an sich ein Unglück für Deutschland bedeutet, so wäre doch die Sprengung Preußens durch Ostreich ebenso unheilvoll gewesen, wie die Sprengung Ostreichs durch Preußen sein würde vor dem bevorstehenden Sieg der Revolution in Rußland (nach welchem sie überflüssig wird, weil das dann überflüssig gemachte Ostreich von selbst zerfallen muß). Kurz, die deutsche Einheit unter Ostreichs Fittichen war ein romantischer Traum und erwies sich als solcher, als die deutschen Klein- und Mittelfürsten 1863 in Frankfurt zusammentraten, um Franz Joseph von Ostreich zum deutschen Kaiser auszurufen. Der König von Preußen blieb einfach weg, und die Kaiserkomödie fiel elend ins Wasser.13971 Blieb der dritte Weg: die Einigung unter preußischer Spitze. Und dieser, weil wirklich eingeschlagen, führt uns aus dem Gebiet der Spekulation wieder herab auf den solideren, wenn auch ziemlich unflätigen Boden der praktischen, der „Realpolitik"[398]. Seit Friedrich II. sah Preußen in Deutschland wie in Polen ein bloßes Eroberungsgebiet, von dem man nimmt, was man kriegen kann, von dem es sich aber auch von selbst versteht, daß man es mit andern zu teilen hat. Teilung Deutschlands mit dem Ausland - zunächst mit Frankreich - das war der „deutsche Beruf" Preußens seit 1740. „Je vais, je crois, jouer votre jeu; si Ies as me viennent, nous partagerons" (ich glaube, ich werde Euer Spiel spielen; bekomme ich die Asse, so teilen wir) - das waren Friedrichs Abschiedsworte an den französischen Gesandten1, als er in seinen ersten 1Beaurau
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Seite aus Engels' Handschrift „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte"

Kriegt380J zog. Getreu diesem „deutschen Beruf" verriet Preußen 1795 Deutschland im Baseler Frieden, willigte (Vertrag vom 5. August 1796) gegen Zusicherung von Gebietszuwachs im voraus in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und kassierte bei dem von Rußland und Frankreich diktierten Reichsdeputationshauptschluß den Lohn des Reichsverrats auch wirklich ein.[3991 1805 verriet es seine Bundesgenossen Rußland und Ostreich nochmals, sobald ihm Napoleon Hannover vorhielt - den Köder, worauf es jedesmal anbiß -, verfing sich aber in seiner eignen Dummschlauheit dermaßen, daß es nun doch in Krieg mit Napoleon kam und bei Jena die verdiente Züchtigung erhielt.t4001 Im Nachgefühl dieser Hiebe wollte Friedrich Wilhelm III. selbst nach den Siegen von 1813 und 1814 auf alle westdeutschen Außenposten verzichten, sich auf den Besitz von Nordostdeutschland beschränken, sich, ähnlich wie Ostreich, möglichst aus Deutschland zurückziehn - was ganz Westdeutschland in einen neuen Rheinbund unter russischer oder französischer Schutzherrschaft verwandelt hätte. Der Plan gelang nicht; ganz wider den Willen des Königs wurden ihm Westfalen und die Rheinprovinz aufgezwungen und damit ein neuer „deutscher Beruf". Mit den Annexionen - den Ankauf einzelner winziger Landfetzen ausgenommen - war es jetzt vorderhand vorbei. Im Innern kam allgemach die alte junkerlich-bürokratische Wirtschaft wieder in Flor; die in bittrer Not dem Volk gemachten Verfassungszusagen wurden beharrlich gebrochen. Aber bei alledem kam das Bürgertum auch in Preußen immer mehr auf, denn ohne Industrie und Handel war selbst der hochnäsige preußische Staat jetzt eine Null. Langsam, widerhaarig, in homöopathischen Dosen mußten ökonomische Konzessionen an das Bürgertum gemacht werden. Und nach einer Seite hin boten diese Konzessionen die Aussicht, Preußens „deutschen Beruf" zu unterstützen: indem Preußen, um die fremden Zollgrenzen zwischen seinen beiden Hälften zu beseitigen, die anschließenden deutschen Staaten zur Zolleinigung einlud. So entstand der Zollverein, bis 1830 frommer Wunsch (nur Hessen-Darmstadt war beigetreten), dann aber, bei dem etwas rascheren Tempo der politischen und ökonomischen Bewegung, bald den größten Teil Innerdeutschlands ökonomisch an Preußen annektierend.13291 Die nichtpreußischen Küstenländer blieben bis nach 1848 noch draußen. Der Zollverein war ein großer Erfolg Preußens. Daß er einen Sieg über den östreichischen Einfluß bedeutete, war noch das wenigste. Die Hauptsache war, daß er das ganze Bürgertum der Mittel- und Kleinstaaten auf Seite Preußens stellte. Sachsen ausgenommen, war kein deutscher Staat vor
handen, dessen Industrie sich nur annähernd in dem Maße entwickelt hatte wie die preußische; und das war nicht allein natürlichen und geschichtlichen Vorbedingungen geschuldet, sondern auch dem größeren Zollgebiet und innern Markt. Und je mehr der Zollverein sich ausbreitete und die Kleinstaaten in diesen innern Markt aufnahm, desto mehr gewöhnten sich die angehenden Bourgeois dieser Staaten, nach Preußen zu blicken als ihrer ökonomischen und dereinst auch politischen Vormacht. Und wie die Bourgeois sangen, so pfiffen die Professoren. Was in Berlin die Hegelianer philosophisch konstruierten, daß Preußen an die Spitze Deutschlands zu treten berufen sei, das demonstrierten in Heidelberg die Schüler Schlossers historisch, namentlich Häusser und Gervinus. Dabei war natürlich vorausgesetzt, daß Preußen sein ganzes politisches System andre, die Forderungen der Ideologen der Bourgeoisie erfülle.* Alles dies geschah aber nicht aus besondrer Vorliebe für den preußischen Staat, wie etwa die italienischen Bourgeois Piemont als leitenden Staat akzeptierten, nachdem es sich offen an die Spitze der nationalen und konstitutionellen Bewegung gestellt. Nein, es geschah widerwillig, die Bourgeois nahmen Preußen als das kleinste Übel: weil Ostreich sie von seinem Markt ausschloß und weil Preußen, verglichen mit Ostreich, immer noch einen gewissen bürgerlichen Charakter hatte, schon wegen seiner finanziellen Filzigkeit. Zwei gute Einrichtungen hatte Preußen vor andern Großstaaten voraus: die allgemeine Wehrpflicht und den allgemeinen Schulzwang. Es hatte sie eingeführt in Zeiten verzweifelter Not und hatte sich, in bessern Tagen, damit begnügt, sie durch nachlässige Ausführung und absichtliche Verhunzung ihres unter Umständen gefahrvollen Charakters zu entkleiden. Aber sie bestanden auf dem Papier fort, und damit erhielt sich Preußen die Möglichkeit, die in der Volksmasse schlummernde potentielle Energie eines Tags in einem Grade zu entfalten, der für eine gleiche Volkszahl anderswo unerreichbar blieb. Die Bourgeoisie fand sich in diese beiden Einrichtungen; die persönliche Dienstpflicht der Einjährigen, also der Bourgeoissöhne, war um 1840 leicht und ziemlich wohlfeil durch Bestechung zu umgehn, zumal damals in der Armee selbst nur wenig Wert auf aus kaufmännischen und industriellen Kreisen rekrutierte Landwehroffizieref4011
* Die „Rheinische Zeitung" von 1842 diskutierte von diesem Standpunkt aus die Frage von der preußischen Hegemonie. Gervinus sagte mir schon im Sommer 1843 in Ostende: Preußen muß an die Spitze Deutschlands treten; dazu ist aber dreierlei nötig: Preußen muß eine Verfassung geben, es muß Preßfreiheit geben und es muß eine auswärtige Politik annehmen, die Farbe hat.
gelegt wurde. Und die vom Schulzwang noch übrige, unbestreitbar in Preußen vorhandne, größere Anzahl von Leuten mit einer gewissen Summe Elementarkenntnissen war der Bourgeoisie im höchsten Grad nützlich; sie wurde, mit dem Fortschritt der großen Industrie, schließlich sogar ungenügend.* Die Klagen über die sich in starken Steuern ausdrückenden hohen Kosten beider Einrichtungen1 wurden vornehmlich beim Kleinbürgertum laut; die emporkommende Bourgeoisie rechnete sich heraus, daß die allerdings fatalen, aber unvermeidlichen künftigen Großmachtskosten reichlich durch die gesteigerten Profite aufgewogen würden. Kurz, die deutschen Bourgeois machten sich über die preußische Liebenswürdigkeit keine Illusionen. Wenn seit 1840 die preußische Hegemonie bei ihnen in Ansehn kam, so geschah dies nur, weil und in dem Maß wie die preußische Bourgeoisie, infolge ihrer rascheren ökonomischen Entwicklung, wirtschaftlich und politisch an die Spitze der deutschen Bourgeoisie trat, weil und in dem Maß wie die Rotteck und Welcker des altkonstitutionellen Südens von den Camphausen, Hansemann und Milde des preußischen Nordens, die Advokaten und Professoren von den Kaufleuten und Fabrikanten in den Schatten gestellt wurden. Und in der Tat war in den preußischen Liberalen der letzten Jahre vor 1848, namentlich in den rheinischen, ein ganz anders revolutionärer Hauch zu spüren als in den Kantönli-Liberalen des Südens14031. Damals entstanden die beiden besten politischen Volkslieder seit dem 16. Jahrhundert, das Lied vom Bürgermeister Tschech und das von der Freifrau von Droste-Fischering14041, über deren Frevelhaftigkeit sich heute dieselben Leute im Alter entsetzen, die 1846 flott mitsangen:
Hatte je ein Mensch so'n Pech Wie der Bürgermeister Tschech, Daß er diesen dicken Mann Auf zwei Schritt nicht treffen kann! Aber das sollte alles bald anders werden. Die Februarrevolution kam und die Wiener Märztage und die Berliner Revolution vom 18. März. Die Bourgeoisie hatte gesiegt, ohne ernsthaft zu kämpfen, sie hatte den ernsthaften Kampf, als er kam, gar nicht einmal gewollt. Denn sie, die noch vor
* Noch zurZeit des Kulturkampfe'402' klagten mir rheinische Fabrikanten, sie könnten sonst vortreffliche Arbeiter nicht zu Aufsehern befördern wegen Mangel genügender Schulkenntnisse. Dies sei besonders in den katholischen Gegenden der Fall.
1 Engels schrieb hier an den Rand: „Mittelschulen für die Bourgeoisie"
kurzem mit dem Sozialismus und Kommunismus jener Zeit kokettiert hatte (am Rhein namentlich), merkte jetzt plötzlich, daß sie nicht nur einzelne Arbeiter gezüchtet hatte, sondern eine Arbeiter^/asse, ein zwar noch halb im Traum befangnes, aber doch allmählich erwachendes, seiner innersten Natur nach revolutionäres Proletariat. Und dies Proletariat, das überall den Sieg für die Bourgeoisie erkämpft hatte, stellte, namentlich in Frankreich, bereits Forderungen, die mit dem Bestand der ganzen bürgerlichen Ordnung unvereinbar waren; in Paris kam es zum ersten furchtbaren Kampf zwischen beiden Klassen am 23. Juni 1848; nach viertägiger Schlacht unterlag das Proletariat. Von da an trat die Masse der Bourgeoisie in ganz Europa auf die Seite der Reaktion, verband sich mit den eben erst von ihr mit Hülfe der Arbeiter gestürzten absolutistischen Bürokraten, Feudalen und Pfaffen gegen die Feinde der Gesellschaft, eben dieselben Arbeiter. In Preußen geschah dies in der Form, daß die Bourgeoisie ihre eignen gewählten Vertreter im Stich ließ und ihrer Zersprengung durch die Regierung im November 1848 mit heimlicher oder offner Freude zusah. Das junkerlich-bürokratische Ministerium, das jetzt an die zehn Jahre lang in Preußen sich breitmachte, mußte zwar in konstitutionellen Formen regieren, rächte sich aber dafür durch ein System kleinlicher, bisher selbst in Preußen unerhörter Schikanen und Plackereien, unter dem niemand mehr zu leidenhatte als die Bourgeoisie.[405] Diese aber war bußfertig in sich gegangen, nahm die herabregnenden Hiebe und Tritte demütig hin als Strafe für ihre einstigen revolutionären Gelüste und lernte jetzt allmählich das denken, was sie später aussprach: Hunde sind wir ja doch! Da kam die Regentschaft. Um seine Königstreue zu beweisen, hatte Manteuffel den Thronfolger, jetzigen Kaiser1, gradeso mit Spionen umgeben lassen, wie jetzt Puttkamer die Redaktion des „Sozialdemokrat". Als der Thronfolger Regent wurde, erhielt Manteuffel natürlich sofort einen beseitigenden Fußtritt, und die Neue Ära brach an.[4061 Es war nur ein Dekorationswechsel. Der Prinzregent geruhte, den Bourgeois zu erlauben, wieder liberal zu sein. Die Bourgeois machten mit Vergnügen Gebrauch von dieser Erlaubnis, bildeten sich aber ein, sie hätten jetzt das Heft in der Hand, der preußische Staat müsse nach ihrer Pfeife tanzen. Das war aber keineswegs die Absicht „in maßgebenden Kreisen", wie der Reptilienstil lautet. Die Armeereorganisation sollte der Preis sein, mit dem die liberalen Bourgeois die Neue Ära bezahlten. Die Regierung verlangte damit nur die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht bis zu dem Grad, der um 1816
üblich gewesen. Vom Standpunkt der liberalen Opposition ließ sich dagegen absolut nichts sagen, das nicht ihren eignen Phrasen von Preußens Machtstellung und deutschem Beruf ebenfalls ins Gesicht geschlagen hätte. Die liberale Opposition knüpfte aber an ihre Bewilligung die Bedingung der gesetzlichen zweijährigen Maximaldienstzeit. Dies war an sich ganz rationell, es frug sich aber, ob diese zu erzwingen sei, ob die liberale Bourgeoisie des Landes bereit sei, für diese Bedingung bis zum äußersten, mit Gut und Blut einzustehn. Die Regierung beharrte fest auf drei Dienstjahren, die Kammer auf zwei; der Konflikt brach aus.[4071 Und mit dem Konflikt in der Militärfrage wurde die äußere Politik wieder entscheidend, auch für die innere. Wir haben gesehn, wie Preußen durch seine Haltung im Krimkrieg und im italienischen Krieg sich um den letzten Rest von Achtung gebracht hatte. Diese jämmerliche Politik fand eine teilweise Entschuldigung im schlechten Zustand der Armee. Da man auch schon vor 1848 ohne ständische Bewilligung keine neuen Steuern auflegen oder Anleihen aufnehmen konnte, aber auch keine Stände dazu einberufen wollte, war nie Geld genug für die Armee vorhanden, und diese verkam unter der grenzenlosen Knickerei gänzlich. Der unter Friedrich Wilhelm III. eingerissene Paraden- und Gamaschengeist tat den Rest. Wie hülflos diese Paradearmee sich 1848 auf den dänischen Schlachtfeldern bewies, kann man beim Grafen Waldersee nachlesen. Die Mobilmachung 1850 war ein vollständiges Fiasko; es fehlte an allem, und was vorhanden, war meist untauglich.13131 Dem war nun zwar durch Geldbewilligung von seiten der Kammern abgeholfen; die Armee war aus dem alten Schlendrian aufgerüttelt worden, der Felddienst verdrängte, wenigstens großenteils, den Paradedienst. Aber die Stärke der Armee war noch immer dieselbe wie um 1820, während alle andern Großmächte, namentlich Frankreich, von dem grade jetzt die Gefahr drohte, ihre Heeresmacht bedeutend gesteigert hatten. Und dabei bestand in Preußen allgemeine Wehrpflicht; jeder Preuße war Soldat auf dem Papier, während doch die Bevölkerung von 10x/2 Millionen (1817) auf 173/4 Millionen (1858) gewachsen war und die Rahmen der Armee nicht hinreichten, mehr als ein Drittel der wehrfähigen Leute aufzunehmen und auszubilden. Jetzt verlangte die Regierung eine Verstärkung der Armee, die fast genau dem seit 1817 eingetretenen Bevölkerungszuwachs entsprach. Aber dieselben liberalen Abgeordneten, die in einem fort von der Regierung verlangten, sie solle an die Spitze Deutschlands treten, Deutschlands Machtstellung nach außen wahren, sein Ansehn unter den Nationen wiederherstellen - diese selben Leute knickerten und schacherten und wollten nichts bewilligen, es sei denn
auf Grund der zweijährigen Dienstzeit. Hatten sie denn die Macht, ihren Willen, auf dem sie so hartnäckig bestanden, auch durchzusetzen? Stand denn das Volk oder auch nur die Bourgeoisie hinter ihnen, zum Losschlagen bereit? Im Gegenteil. Die Bourgeoisie jubelte ihren Redekämpfen gegen Bismarck zu, aber in Wirklichkeit organisierte sie eine Bewegung, die, wenn auch unbewußt, so doch tatsächlich gegen die Politik der preußischen Kammermehrheit gerichtet war. Die Eingriffe Dänemarks in die holsteinische Verfassung, die gewaltsamen Dänisierungsversuche in Schleswig entrüsteten den deutschen Bürger.14081 Von den Großmächten geschurigelt zu werden, das war er gewohnt; aber von dem kleinen Dänemark Fußtritte zu erhalten, das entflammte seinen Zorn. Der Nationalverein14091 wurde gebildet; die Bourgeoisie grade der Kleinstaaten bildete seine Stärke. Und der Nationalverein, durch und durch liberal wie er war, verlangte vor allen Dingen nationale Einigung unter Führung Preußens, eines liberalen Preußens womöglich, eines wie immer beschaffnen Preußens im Notfall. Daß endlich einmal vorangemacht, daß die elende Stellung der Deutschen auf dem Weltmarkt als Menschen zweiter Klasse beseitigt, daß Dänemark gezüchtigt, den Großmächten in Schleswig-Holstein die Zähne gezeigt würden, das war es vor allem, was der Nationalverein forderte. Und dabei war jetzt die Forderung der preußischen Spitze von allen den Unklarheiten und Duseleien befreit, die ihr bis 1850 noch angehaftet hatten. Man wußte ganz genau, daß sie die Hinauswerfung Ostreichs aus Deutschland, die tatsächliche Beseitigung der kleinstaatlichen Souveränität bedeute, und daß beides ohne den Bürgerkrieg und ohne Teilung Deutschlands nicht zu haben war. Aber man fürchtete den Bürgerkrieg nicht mehr, und die Teilung zog nur das Fazit aus der östreichischen Zollabsperrung. Die Industrie und der Handel Deutschlands hatten sich zu einer Höhe entwickelt, das Netz deutscher Handelshäuser, das den Weltmarkt umspannte, war so ausgebreitet und so dicht geworden, daß die Kleinstaaterei zu Hause und die Recht- und Schutzlosigkeit im Ausland nicht länger zu ertragen waren. Und während die stärkste politische Organisation, die die deutsche Bourgeoisie je besessen, ihnen dies tatsächliche Mißtrauensvotum gab, feilschten die Berliner Abgeordneten an der Dienstzeit herum! Das war die Lage, als Bismarck sich anschickte, in die äußere Politik tätig einzugreifen. Bismarck ist Louis-Napoleon, übersetzt aus dem französischen abenteuernden Kronprätendenten in den preußischen Krautjunker und deutschen Korpsburschen. Ganz wie Louis-Napoleon ist Bismarck ein Mann
von großem praktischem Verstand und großer Schlauheit, ein geborner und geriebner Geschäftsmann, der unter andern Umständen auf der NewYorker Börse den Vanderbilts und Jay Goulds den Rang streitig gemacht hätte, wie er denn auch sein Privatschäfchen hübsch ins trockene gebracht hat. Mit diesem entwickelten Verstand auf dem Gebiet des praktischen Lebens ist aber häufig eine entsprechende Beschränktheit des Gesichtskreises verknüpft, und hierin übertrifft Bismarck seinen französischen Vorgänger. Denn dieser hatte doch seine „napoleonischen Ideen"14101 während seiner Vagabundenzeit sich selbst herausgearbeitet - sie waren auch darnach -, während Bismarck, wie wir sehn werden, nie auch nur die Spur einer eignen politischen Idee zustande brachte, sondern nur die fertigen Ideen andrer sich zurechtkombinierte. Diese Borniertheit war aber grade sein Glück. Ohne sie hätte er es nie fertiggebracht, die ganze Weltgeschichte vom spezifisch preußischen Gesichtspunkt aus sich vorzustellen; und hatte diese seine stockpreußische Weltanschauung ein Loch, wodurch das Tageslicht hineindrang, so war er irr an seiner ganzen Mission, und es war aus mit seiner Glorie. Freilich, als er seine besondre, ihm von außen vorgeschriebne Mission in seiner Weise erfüllt hatte, da war er dann auch am Ende seines Lateins; wir werden sehn, zu welchen Sprüngen er genötigt war infolge seines absoluten Mangels ein rationellen Ideen und seiner Unfähigkeit, die von ihm selbst geschaffne geschichtliche Lage zu begreifen. Wenn Louis-Napoleon durch seine Vergangenheit sich angewöhnt hatte, in der Wahl seiner Mittel wenig Rücksichten zu beobachten, so lernte Bismarck aus der Geschichte der preußischen Politik, namentlich der des sog. großen Kurfürsten1 und Friedrichs II., darin noch weniger skrupulös zu verfahren, wobei er sich das erhebende Bewußtsein erhalten konnte, er bleibe hierin der vaterländischen Tradition getreu. Sein Geschäftsverstand lehrte ihn, seine Junkergelüste zurückzudrängen, wo es sein mußte; als dies nicht mehr nötig schien, traten sie wieder grell hervor; es war dies freilich ein Zeichen des Niedergangs. Seine politische Methode war die des Korpsburschen; die burlesk-wörtliche Interpretation des Bierkomments, wodurch man sich auf der Korpskneipe aus der Schlinge zieht, wandte er in der Kammer ganz ungeniert auf die preußische Verfassung an; sämtliche Neuerungen, die er in die Diplomatie eingeführt, sind dem Korpsstudententum entlehnt. Wenn aber Louis-Napoleon oft in entscheidenden Momenten unsicher wurde, wie beim Staatsstreich 1851, wo Morny ihm positiv Gewalt antun mußte, damit er das Angefangne auch durchführe, und wie am
1 Friedrich Wilhelm
Vorabend des Kriegs 1870, wo seine Unsicherheit ihm seine ganze Stellung verdarb, so muß man Bismarck nachsagen, daß ihm das nie passiert ist. Den hat seine Willenskraft nie im Stich gelassen; viel eher schlug sie in offne Brutalität um. Und hierin vor allem liegt das Geheimnis seiner Erfolge. Sämtlichen in Deutschland herrschenden Klassen, Junkern wie Bourgeois, ist der letzte Rest von Energie so sehr abhanden gekommen, es ist im „gebildeten" Deutschland so sehr Sitte geworden, keinen Willen zu haben, daß der einzige Mann unter ihnen, der wirklich noch einen Willen hat, eben dadurch zu ihrem größten Mann und zum Tyrannen über sie alle geworden ist, vor dem sie wider beßres Wissen und Gewissen, wie sie selbst es nennen, bereitwillig „über den Stock springen". Allerdings, im „ungebildeten" Deutschland ist man noch nicht so weit; das Arbeitervolk hat gezeigt, daß es einen Willen hat, mit dem auch der starke Wille Bismarcks nicht fertig wird. Eine brillante Laufbahn lag vor unserm altmärkischen Junker, wenn er nur Mut und Verstand hatte zuzugreifen. War nicht Louis-Napoleon der Abgott der Bourgeoisie grade dadurch geworden, daß er ihr Parlament zersprengt, aber ihre Profite erhöht hatte? Und hatte Bismarck nicht dieselben Geschäftstalente, die die Bourgeois so sehr an dem falschen Napoleon bewunderten? Zog es ihn nicht nach seinem Bleichröder wie Louis-Napoleon nach seinem Fould? Lag nicht 1864 in Deutschland ein Widerspruch vor zwischen den Bourgeoisvertretern in der Kammer, die an der Dienstzeit abknickern wollten, und den Bourgeois draußen im Nationalverein, die um jeden Preis nationale Taten wollten, Taten, wozu man Militär braucht? Ein ganz ähnlicher Widerspruch wie der in Frankreich 1851 zwischen den Bourgeois in der Kammer, die die Macht des Präsidenten im Zaum halten, und den Bourgeois draußen, die Ruhe und starke Regierung wollten, Ruhe um jeden Preis - und welchen Widerspruch Louis-Napoleon gelöst hatte, indem er die Parlamentskrakeeler zersprengte und der Masse der Bourgeois Ruhe gab? Lagen die Dinge in Deutschland nicht noch viel sichrer für einen kühnen Griff? War nicht der Reorganisationsplan fix und fertig geliefert von der Bourgeoisie, und verlangte nicht sie selbst laut nach dem energischen preußischen Staatsmann, der ihren Plan ausführen, Ostreich von Deutschland ausschließen, die Kleinstaaten unter Preußens Vorherrschaft einigen sollte? Und wenn man dabei die preußische Verfassung etwas unsanft behandeln, die Ideologen in und außerhalb der Kammer nach Verdienst beiseite schieben mußte, konnte man nicht, wie Louis Bonaparte, sich auf das allgemeine Stimmrecht stützen? Was konnte demokratischer sein als die Einführung des allgemeinen Stimmrechts? Hatte Louis-Napoleon nicht
seine gänzliche Gefahrlosigkeit - bei richtiger Behandlung - dargetan? Und bot nicht grade dies allgemeine Stimmrecht das Mittel, an die großen Volksmassen zu appellieren, ein bißchen mit der neuerstehenden sozialen Bewegung zu kokettieren, wenn die Bourgeoisie sich widerhaarig erwies? Bismarck griff zu. Es galt, den Staatsstreich Louis-Napoleons zu wiederholen, der deutschen Bourgeoisie die wirklichen Machtverhältnisse handgreiflich klarzumachen, ihre liberalen Selbsttäuschungen gewaltsam zu zersprengen, aber ihre mit den preußischen Wünschen zusammenfallenden nationalen Forderungen durchzuführen. Zunächst bot Schleswig-Holstein die Handhabe zum Handeln. Das Terrain der auswärtigen Politik war vorbereitet. Der russische Zar1 war durch die von Bismarck 1863 gegen die insurgierten Polen geleisteten Schergendienste gewonnen'4111; Louis-Napoleon war ebenfalls bearbeitet worden und konnte seine Gleichgültigkeit, wo nicht seine stille Begünstigung der Bismarckschen Pläne durch sein geliebtes „Nationalitätsprinzip" entschuldigen; in England war Palmerston Premierminister, hatte aber den kleinen Lord John Russell nur zu dem Zweck ins auswärtige Amt gesetzt, damit er sich dort recht lächerlich mache. Ostreich aber war Preußens Konkurrent um die Vorherrschaft in Deutschland und durfte sich grade in dieser Angelegenheit um so weniger von Preußen den Rang ablaufen lassen, als es 1850 und 1851 als Büttel des Kaisers Nikolaus in Schleswig-Holstein sich in der Tat noch gemeiner benommen hatte als selbst Preußen.'412' Die Lage war also äußerst günstig. So sehr Bismarck Ostreich haßte, und so gern Ostreich an Preußen hinwiederum sein Mütchen gekühlt hätte, so blieb ihnen beim Tod Friedrichs VII. von Dänemark doch nichts andres übrig, als gemeinsam - unter stillschweigender russischer und französischer Erlaubnis - gegen Dänemark einzuschreiten. Der Erfolg war im voraus gesichert, solange Europa neutral blieb; dies war der Fall, die Herzogtümer wurden erobert und im Frieden abgetreten'413'. Preußen hatte bei diesem Krieg den Nebenzweck gehabt, seine seit 1850 nach neuen Grundsätzen ausgebildete und 1860 reorganisierte und verstärkte Armee vor dem Feind zu versuchen. Sie hatte sich über alles Erwarten gut bewährt, und zwar in den verschiedensten Kriegslagen. Daß das Zündnadelgewehr dem Vorderlader weit überlegen sei und daß man verstehe, es richtig zu gebrauchen, bewies das Gefecht bei Lyngby in Jütland, wo 80 hinter einem Knick postierte Preußen durch ihr Schnellfeuer die dreifache Anzahl Dänen in die Flucht schlugen. Gleichzeitig hatte man
Gelegenheit zu bemerken, wie die Östreicher aus dem italienischen Kriege und der Fechtart der Franzosen nur die Lehre gezogen hatten, das Schießen tauge nichts, der wahre Soldat müsse alsbald mit dem Bajonett den Feind werfen, und schrieb sich das hinter die Ohren, da man sich eine willkommnere feindliche Taktik vor den Mündungen der Hinterlader gar nicht wünschen konnte. Und um die östreicher baldmöglichst instand zu setzen, sich hiervon praktisch zu überzeugen, überantwortete man beim Frieden die Herzogtümer der gemeinsamen Souveränität Ostreichs und Preußens, schuf also eine rein provisorische Lage, die Konflikte über Konflikte erzeugen mußte und es dadurch ganz in Bismarcks Hand legte, wann er einen solchen Konflikt zu seinem großen Streich gegen Ostreich benutzen wollte. Bei der Sitte der preußischen Politik, eine günstige Situation „rücksichtslos bis aufs äußerste auszunutzen", wie Herr von Sybel das nennt, war es selbstverständlich, daß unter dem Vorwand der Befreiung Deutscher von dänischem Druck an 200 000 dänische Nordschleswiger mit an Deutschland annektiert wurden. Wer aber leer ausging, das war der schleswig-holsteinische Thronkandidat der Kleinstaaten und der deutschen Bourgeoisie, der Herzog von Augustenburg. So hatte Bismarck in den Herzogtümern der deutschen Bourgeoisie ihren Willen gegen ihren Willen getan. Er hatte die Dänen vertrieben, hatte dem Ausland Trotz geboten, und das Ausland hatte sich nicht gerührt. Aber die Herzogtümer, kaum befreit, wurden als erobertes Land behandelt, gar nicht um ihren Willen befragt, sondern kurzerhand zwischen Ostreich und Preußen provisorisch geteilt. Preußen war wieder eine Großmacht geworden, war nicht mehr das fünfte Rad am europäischen Wagen; die Erfüllung der nationalen Wünsche der Bourgeoisie war im besten Zuge, aber der gewählte Weg war nicht der liberale der Bourgeoisie. Der preußische Militärkonflikt dauerte also fort, wurde sogar immer unlösbarer. Der zweite Akt der Bismarckschen Haupt- und Staatsaktion mußte eingeleitet werden.
Der dänische Krieg hatte einen Teil der nationalen Wünsche erfüllt. Schleswig-Holstein war „befreit", das Warschauer und Londoner Protokoll, worin die Großmächte Deutschlands Erniedrigung vor Dänemark besiegelt [414), war ihnen zerrissen vor die Füße geworfen, und sie hatten nicht gemuckt. Ostreich und Preußen standen wieder zusammen, die Truppen beider hatten nebeneinander gesiegt, und kein Potentat dachte mehr daran, deutsches Gebiet anzutasten. Louis-Napoleons Rheingelüste, bisher durch anderweitige Beschäftigung - die italienische Revolution, den polnischen
Aufstand, die dänischen Verwicklungen, endlich den Zug nach Mexiko'415'in den Hintergrund gedrängt, hatten jetzt keine Aussicht mehr. Für einen konservativen preußischen Staatsmann war also die Weltlage nach außen hin ganz nach Wunsch. Aber Bismarck war bis 1871 nie, und damals erst recht nicht, konservativ, und die deutsche Bourgeoisie war keineswegs befriedigt. Das deutsche Bürgertum bewegte sich nach wie vor in dem bekannten Widerspruch. Einerseits verlangte es die ausschließliche politische Macht für sich, d.h. für ein aus der liberalen Kammermajorität gewähltes Ministerium; und ein solches Ministerium hätte einen zehnjährigen Kampf mit dem durch die Krone vertretenen alten System zu führen gehabt, bis seine neue Machtstellung definitiv anerkannt war; also zehn Jahre innerer Schwächung. Andrerseits aber forderte es eine revolutionäre Umgestaltung Deutschlands, die nur durch die Gewalt, also nur durch eine tatsächliche Diktatur, durchführbar war. Und dabei hatte das Bürgertum von 1848 an Schlag auf Schlag, in jedem entscheidenden Moment, den Beweis geliefert, daß es auch nicht die Spur der nötigen Energie besaß, um, sei es das eine, sei es das andre, durchzusetzen - geschweige beides. Es gibt in der Politik nur zwei entscheidende Mächte: die organisierte Staatsgewalt, die Armee, und die unorganisierte, elementare Gewalt der Volksmassen. An die Massen zu appellieren, hatte das Bürgertum 1848 verlernt; es fürchtete sie noch mehr als den Absolutismus. Die Armee aber stand keineswegs zu seiner Verfügung. Wohl aber zur Verfügung Bismarcks. Bismarck hatte in dem noch andauernden Verfassungskonflikt die parlamentarischen Forderungen der Bourgeoisie aufs äußerste bekämpft. Aber er brannte vor Begierde, ihre nationalen Forderungen durchzuführen; stimmten sie doch mit den geheimsten Herzenswünschen der preußischen Politik. Wenn er jetzt nochmals der Bourgeoisie gegen ihren Willen den Willen tat, wenn er die Einigung Deutschlands, wie die Bourgeoisie sie formuliert hatte, zur Wahrheit machte, so war der Konflikt von selbst beseitigt, und Bismarck mußte ebenso der Abgott der Bourgeois werden wie sein Vorbild Louis-Napoleon. Die Bourgeoisie lieferte ihm das Ziel, Louis-Napoleon den Weg zum Ziel; die Ausführung allein blieb Bismarcks Werk. Um Preußen an die Spitze Deutschlands zu stellen, mußte man nicht nur Ostreich mit Gewalt aus dem Deutschen Bunde'175' treiben, sondern auch die Kleinstaaten unterwerfen. Ein solcher frischer fröhlicher Krieg'416' Deutscher gegen Deutsche war in der preußischen Politik ja von jeher das Hauptmittel der Gebietserweiterung gewesen; vor so etwas fürchtete sich
kein braver Preuße. Ebensowenig konnte das zweite Hauptmittel irgendwie Bedenken erregen: die Allianz mit dem Auslande gegen Deutsche. Den sentimentalen Alexander von Rußland hatte man in der Tasche. Louis-Napoleon hatte den piemontesischen Beruf Preußens in Deutschland nie verkannt und war ganz bereit, mit Bismarck ein Geschäftchen zu machen. Konnte er, was er brauchte, auf friedlichem Weg erhalten, in der Form von Kompensationen, so zog er das vor. Auch brauchte er ja nicht das ganze linke Rheinufer auf einmal; gab man es ihm stückweise, je einen Streifen für jeden neuen Vorschritt Preußens, so war das weniger auffällig und führte doch zum Ziel. Wog doch in den Augen der französischen Chauvins eine Quadratmeile am Rhein ganz Savoyen und Nizza auf. Mit Louis-Napoleon wurde also verhandelt, seine Erlaubnis zur Vergrößerung Preußens und zu einem Norddeutschen Bund11771 erwirkt. Daß ihm dafür ein Stück deutsches Gebiet am Rhein angeboten worden, ist außer Zweifel1; in den Verhandlungen mit Govone sprach Bismarck von Rheinbayern und Rheinhessen.14171 Er hat dies zwar nachher abgeleugnet. Aber ein Diplomat, namentlich ein preußischer, hat seine eignen Ansichten über die Grenzen, innerhalb deren man berechtigt oder sogar verpflichtet ist, der Wahrheit gelinde Gewalt anzutun. Die Wahrheit ist ja ein Frauenzimmer, hat's also, nach der Junkervorstellung, eigentlich ganz gern. Louis-Napoleon war nicht so dumm, die Vergrößerung Preußens zu gestatten, ohne daß Preußen ihm Kompensation versprach; eher hätte Bleichröder Geld ohne Zinsen ausgeliehen. Aber er kannte seine Preußen nicht genug und wurde schließlich doch geprellt. Kurz und gut, nachdem er sicher gemacht war, verband man sich mit Italien zum „Stoß ins Herz". Der Philister verschiedner^ Länder hat sich über diesen Ausdruck tief entrüstet. Ganz mit Unrecht. A la guerre comme ä la guerre.2 Der Ausdruck beweist bloß, daß Bismarck den deutschen Bürgerkrieg 1866[418' für das erkannte, was er war, nämlich eine Revolution, und daß er bereit war, diese Revolution durchzusetzen mit revolutionären Mitteln. Und das tat er. Sein Verfahren gegenüber dem Bundestag war revolutionär. Statt sich der verfassungsmäßigen Entscheidung der Bundesbehörden zu unterwerfen, warf er ihnen Bundesbruch vor - eine reine Ausrede -, sprengte den Bund, proklamierte eine neue Verfassung mit einem durch das revolutionäre allgemeine Stimmrecht gewählten Reichstag und verjagte schließlich den Bundestag aus Frankfurt.14191 In Oberschlesien richtete er eine ungarische
1 Engels schrieb hier mit Bleistift an den Rand: „Teilung - Mainlinie" (siehe vorl. Band, S. 436)-2 Krieg ist Krieg.
Legion ein unter dem Revolutionsgeneral Klapka und andern Revolutionsoffizieren, deren Mannschaft, ungarische Überläufer und Kriegsgefangene, Krieg führen sollten gegen ihren eignen legitimen Kriegsherrn.1 Nach Eroberung Böhmens erließ Bismarck eine Proklamation „an die Bewohner des glorreichen Königreichs Böhmen"[420], deren Inhalt den Traditionen der Legitimität ebenfalls arg ins Gesicht schlug. Im Frieden nahm er für Preußen die sämtlichen Besitzungen dreier legitimer deutscher Bundesfürsten und einer Freien Stadt weg11761, ohne daß diese Verjagung von Fürsten, die nicht minder „von Gottes Gnaden" waren als der König von Preußen, sein christliches und legitimistisches Gewissen irgendwie beschwerten. Kurz, es war eine vollständige Revolution, mit revolutionären Mitteln durchgeführt. Wir sind natürlich die letzten, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Was wir ihm vorwerfen, ist im Gegenteil, daß er nicht revolutionär genug, daß er nur preußischer Revolutionär von oben war, daß er eine ganze Revolution anfing in einer Stellung, wo er nur eine halbe durchführen konnte, daß er, einmal auf der Bahn der Annexionen, mit vier lumpigen Kleinstaaten zufrieden war. Nun aber kam der kleine Napoleon hinterdrein gehinkt und forderte seinen Lohn. Er hätte während des Kriegs am Rhein nehmen können, was ihm gefiel; nicht nur das Land, auch die Festungen waren entblößt. Er zauderte; er erwartete einen langwierigen, beide Teile ermattenden Krieg und nun kamen diese raschen Schläge, die Niederwerfung Ostreichs binnen acht Tagen. Er forderte zuerst - was Bismarck dem General Govone als mögliches Entschädigungsgebiet bezeichnet - Rheinbayern und Rheinhessen mit Mainz. Das aber konnte Bismarck jetzt nicht mehr geben, selbst wenn er gewollt hätte. Die gewaltigen Erfolge des Kriegs hatten ihm neue Verpflichtungen auferlegt. In dem Augenblick, wo Preußen sich zum Schutz und Schirm Deutschlands aufwarf, konnte es nicht den Schlüssel des Mittelrheins, Mainz, an das Ausland verschachern. Bismarck schlug ab. LouisNapoleon ließ mit sich handeln; er verlangte nur noch Luxemburg, Landau, Saarlouis und das Saarbrücker Kohlenrevier. Aber auch dies konnte Bismarck nicht mehr abtreten, um so weniger, als hier auch preußisches Gebiet beansprucht wurde. Warum hatte Louis-Napoleon nicht selbst zugegriffen, zur rechten Zeit, als die Preußen in Böhmen festsaßen? Genug, aus den Kompensationen für Frankreich wurde nichts. Daß das einen späteren Krieg mit Frankreich bedeutete, wußte Bismarck; aber das war ihm grade recht.
1 Engels schrieb hier mit Bleistift an den Rand: „Eid!"
28 Marx/Engels, Werke. Bd. 21
In den Friedensschlüssen nutztePreußen diesmal die günstige Lage nicht so rücksichtslos aus, als dies sonst, im Glück, seine Gewohnheit war. Und aus guten Gründen. Sachsen und Hessen-Darmstadt wurden in den neuen Norddeutschen Bund gezogen und wurden schon deshalb geschont. Bayern, Württemberg und Baden mußten glimpflich behandelt werden, weil Bismarck die geheimen Schutz- und Trutzbündnisse mit ihnen abzuschließen hatte. Und Ostreich - hatte nicht Bismarck ihm einen Dienst erwiesen, indem er die traditionellen Verwicklungen zerhieb, die es an Deutschland und Italien fesselten? Hatte er ihm nicht erst jetzt die lang erstrebte unabhängige Großmachtstellung verschafft? Hatte er nicht in der Tat besser gewußt als Ostreich selbst, was Ostreich diente, als er es in Böhmen besiegte? Mußte nicht Ostreich bei richtiger Behandlung einsehn, daß die geographische Lage, die gegenseitige Verschränkung beider Länder, das preußisch-geeinte Deutschland zu seinem notwendigen und natürlichen Bundesgenossen machte? So kam es, daß Preußen zum erstenmal seit seinem Bestehn sich mit dem Schimmer der Großmut umgeben konnte, weil es - mit der Wurst nach dem Schinken warf. Nicht nur Ostreich war auf den böhmischen Schlachtfeldern geschlagen die deutsche Bourgeoisie war es auch. Bismarck hatte ihr bewiesen, daß er besser wußte, was ihr frommte, als sie selbst. An eine Fortführung des Konflikts von seiten der Kammer war nicht zu denken. Die liberalen Ansprüche der Bourgeoisie waren auf lange Zeit begraben, aber ihre nationalen Forderungen erfüllten sich von Tag zu Tag mehr. Mit einer ihr selbst verwunderlichen Raschheit und Genauigkeit führte Bismarck ihr nationales Programm aus. Und nachdem er ihr ihre Schlaffheit und Energielosigkeit und damit ihre totale Unfähigkeit zur Durchführung ihres eignen Programms handgreiflich in corpore vili, an ihrem eignen schäbigen Leibe dargetan, spielte er auch ihr gegenüber den Großmütigen und kam bei der nun tatsächlich entwaffneten Kammerum Indemnität ein wegen der verfassungswidrigen Konfliktsregierung. Zu Tränen gerührt, bewilligte sie der nunmehr harmlose Fortschritt.14211 Trotzdem wurde die Bourgeoisie daran erinnert, daß sie bei Königgrätz[422) mit besiegt war. Die norddeutsche Bundesverfassung wurde nach der Schablone der durch den Konflikt authentisch interpretierten preußischen Verfassung zugeschnitten. Steuerverweigerung war verboten. Der Bundeskanzler und seine Minister wurden vom König von Preußen ernannt, unabhängig von jeder parlamentarischen Majorität. Die durch den Konflikt sichergestellte Unabhängigkeit der Armee vom Parlament wurde
auch gegenüber dem Reichstag festgehalten. Dafür aber hatten die Mitglieder dieses Reichstags das erhebende Bewußtsein, daß sie durch allgemeines Stimmrecht gewählt waren. An diese Tatsache wurden sie auch, und zwar in unangenehmer Weise, erinnert durch den Anblick der zwei Sozialisten1, die mitten unter ihnen saßen. Zum erstenmal erschienen sozialistische Abgeordnete, Vertreter des Proletariats, in einer parlamentarischen Körperschaft. Es war ein unheildrohendes Zeichen. Zunächst war das alles nicht von Bedeutung. Es kam jetzt darauf an, die neue Reichseinheit wenigstens des Nordens im Interesse der Bourgeoisie auszubauen und auszubeuten und dadurch auch die süddeutschen Bourgeois in den neuen Bund zu locken. Die Bundesverfassung entzog die ökonomisch wichtigsten Verhältnisse der Gesetzgebung den Einzelstaaten und wies ihre Regelung dem Bunde zu: gemeinsames Bürgerrecht und Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet, Heimatsberechtigung, Gesetzgebung über Gewerbe, Handel, Zölle, Schiffahrt, Münzen, Maß und Gewicht, Eisenbahnen, Wasserstraßen, Post und Telegraphen, Patente, Banken, die ganze auswärtige Politik, Konsulate, Handelsschutz im Ausland, Medizinalpolizei, Strafrecht, Gerichtsverfahren etc. Die meisten dieser Gegenstände wurden nun rasch, und im ganzen in liberaler Weise, durch Gesetze geordnet. Und so wurden denn endlich - endlich! die schlimmsten Auswüchse der Kleinstaaterei beseitigt, diejenigen, die einerseits der kapitalistischen Entwicklung, andrerseits dem preußischen Herrschergelüst am meisten den Weg versperrten. Das war aber keine welthistorische Errungenschaft, wie der jetzt chauvinistisch werdende Bourgeois ausposaunte, sondern eine sehr, sehr späte und unvollkommne Nachahmung dessen, was die Französische Revolution schon siebzig Jahre früher getan, und was alle andern Kulturstaaten längst eingeführt. Statt zu prahlen, hätte man sich schämen sollen, daß das „hochgebildete" Deutschland hiermit zuallerletzt kam. Während dieser ganzen Zeit des Norddeutschen Bundes kam Bismarck der Bourgeoisie auf wirtschaftlichem Gebiet bereitwillig entgegen und zeigte auch in der Behandlung parlamentarischer Machtfragen die eiserne Faust nur im samtnen Handschuh. Es war seine beste Periode; man konnte stellenweise zweifeln an seiner spezifisch preußischen Borniertheit, an seiner Unfähigkeit einzusehn, daß es in der Weltgeschichte noch andre und stärkere Mächte gibt als Armeen und auf sie gestützte Diplomatenschliche. Daß der Friede mit Ostreich den Krieg mit Frankreich im Schöße trug, wußte Bismarck nicht nur, er wollte es auch. Dieser Krieg sollte grade das
1 August Bebel und Wilhelm Liebknecht
Mittel bieten zur Vollendung des ihm von der deutschen Bourgeoisie vorgeschriebenen preußisch-deutschen Reichs.* Die Versuche, das Zollparlament14241 allmählich in einen Reichstag umzuwandeln und so die Südstaaten nach und nach in den Nordbund zu ziehn, scheiterten an dem lauten Ruf der süddeutschen Abgeordneten: Keine Kompetenzerweiterung! Die Stimmung der eben noch auf dem Schlachtfeld besiegten Regierungen war nicht günstiger. Nur ein neuer, handgreiflicher Beweis, daß Preußen, ihnen gegenüber, übermächtig, aber auch mächtig genug sei, sie zu schützen also nur ein neuer, gemeindeutscher Krieg konnte den Moment der Kapitulation rasch herbeiführen. Und dann war die scheidende Mainlinie[4251, nachdem sie im stillen zwischen Bismarck und Louis-Napoleon vorher vereinbart, nach den Siegen doch scheinbar von diesem den Preußen aufgenötigt worden; Einigung mit Süddeutschland war also Verletzung des diesmal den Franzosen förmlich zugestandnen Rechts auf die Zersplitterung Deutschlands, war Kriegsfall. Inzwischen mußte Louis-Napoleon suchen, ob er nicht irgendwo an der deutschen Grenze einen Landfetzen fände, den er als Kompensation für Sadowa einheimse. Bei der Neubildung des Norddeutschen Bundes war Luxemburg ausgeschlossen worden, war also jetzt ein mit Holland in Personalunion befindlicher, aber sonst ganz unabhängiger Staat. Dabei war es ungefähr ebenso französiert wie das Elsaß und hatte entschieden weit mehr Hinneigung zu Frankreich als zu dem positiv gehaßten Preußen. Luxemburg ist ein schlagendes Exempel davon, was die politische Misere Deutschlands seit dem Mittelalter aus den deutsch-französischen Grenzländern gemacht hat, und um so schlagender, als Luxemburg bis 1866 nominell zu Deutschland gehört hat. Bis 1830 aus einer französischen und einer deutschen Hälfte zusammengesetzt, hatte auch der deutsche Teil schon früh den Einfluß der überlegnen französischen Kultur über sich ergehen lassen. Die luxemburgischen deutschen Kaiser14261 waren nach Sprache und Bildung Franzosen. Seit der Einverleibung in die burgundischen Lande
* Schon vor dem östreichischen Krieg interpelliert von einem mittelstaatlichen Minister wegen seiner demagogischen deutschen Politik, antwortete Bismarck diesem, er werde trotz aller Phrasen Ostreich aus Deutschland hinauswerfen und den Bund sprengen. - „Und die Mittelstaaten, glauben Sie, daß die dabei ruhig zusehn werden?"„Ihr Mittelstaaten, Ihr werdet gar nichts tun." - „Und was soll dann aus den Deutschen werden?" - „Dann führe ich sie nach Paris und mache sie dort einig." (Erzählt in Paris vor dem östrfeichischen] Krieg von besagtem Mittelstaatsmann und veröffentlicht während jenes Kriegs im „Manchester Guardian"14231 von seiner Pariser Korrespondentin, Frau Crawford.)
(1440) blieb Luxemburg, wie die übrigen Niederlande, in nur nominellem Verband mit Deutschland; daran änderte auch seine Aufnahme in den Deutschen Bund 1815 nichts. Nach 1830 fiel der französische Teil und noch ein hübscher Streifen des deutschen Teils an Belgien. Aber in dem noch übrigen Deutsch-Luxemburg blieb alles auf französischem Fuß: die Gerichte, die Behörden, die Kammer, alles verhandelte französisch, alle öffentlichen und privaten Aktenstücke, alle Geschäftsbücher wurden französisch abgefaßt, alle Mittelschulen unterrichteten auf Französisch, die gebildete Sprache war und blieb Französisch - natürlich ein Französisch, das unter der Last der hochdeutschen Lautverschiebung ächzte und keuchte. Kurzum, in Luxemburg wurden zwei Sprachen gesprochen: ein rheinfränkischer Volksdialekt und Französisch, aber Hochdeutsch blieb eine fremde Sprache. Die preußische Garnison der Hauptstadt machte das alles eher schlimmer als besser. Das ist beschämend genug für Deutschland, aber es ist wahr. Und diese freiwillige Französierung Luxemburgs stellt auch die ähnlichen Vorgänge im Elsaß und in Deutsch-Lothringen erst in das richtige Licht. Der König von Holland1, souveräner Herzog von Luxemburg, konnte bares Geld sehr gut gebrauchen und ließ sich bereitfinden zum Verkauf des Herzogtums an Louis-Napoleon. Die Luxemburger hätten unbedingt ihre Einverleibung in Frankreich genehmigt - Beweis ihre Haltung im Kriege 1870. Preußen konnte völkerrechtlich nichts einwenden, da es selbst die Ausschließung Luxemburgs aus Deutschland bewirkt hatte. Seine Truppen lagen in der Hauptstadt als Bundesgarnison einer deutschen Bundesfestung; sobald Luxemburg aufhörte, Bundesfestung zu sein, hatten sie dort kein Recht mehr. Warum aber gingen sie nicht heim, warum konnte Bismarck die Annexion nicht zugeben? Einfach, weil jetzt die Widersprüche an den Tag traten, in die er sich verwickelt hatte. Vor 1866 war Deutschland für Preußen noch reines Annexationsgebiet, worin man sich mit dem Ausland teilen mußte. Nach 1866 war Deutschland preußisches Schutzgebiet geworden, das man vor ausländischen Krallen zu verteidigen hatte. Allerdings hatte man, aus preußischen Rücksichten, ganze Stücke Deutschlands aus dem neugegründeten sogenannten Deutschland ausgeschlossen. Aber das Recht der deutschen Nation auf ihr eignes Gesamtgebiet legte jetzt der Krone Preußen die Pflicht auf, die Einverleibung dieser Stücke des alten Bundesgebiets in fremde Staaten zu verhindern, ihnen für die Zukunft den Anschluß an den neuen preußisch-deutschen Staat offenzuhalten. Deshalb hatte Italien an der
1 Wilhelm III.
Tiroler Grenze haltgemacht[427], deshalb durfte jetzt Luxemburg nicht an Louis-Napoleon Übergehn. Eine wirklich revolutionäre Regierung konnte das offen verkündigen. Nicht so der königlich preußische Revolutionär, der es endlich fertiggebracht hatte, Deutschland in einen Metternichschen „geographischen Begriff"14281 zu verwandeln. Er hatte sich völkerrechtlich selbst ins Unrecht gesetzt und konnte sich nur helfen durch Anwendung seiner beliebten Korpskneipeninterpretation auf das Völkerrecht. Wenn er damit nicht gradezu ausgelacht wurde, so kam dies nur daher, daß Louis-Napoleon im Frühjahr 1867 noch keineswegs für einen großen Krieg bereit war. Man einigte sich auf der Londoner Konferenz. Die Preußen räumten Luxemburg; die Festung wurde geschleift, das Herzogtum neutral er klärt.114291 Der Krieg war wieder vertagt. Louis-Napoleon konnte sich dabei nicht beruhigen. Die Machtvergrößerung Preußens war ihm ganz recht, sobald er nur die entsprechenden Kompensationen am Rhein erhielt. Er wollte mit wenigem zufrieden sein; auch davon hatte er noch abgelassen, aber er hatte gar nichts erhalten, war vollständig geprellt. Ein bonapartistisches Kaisertum in Frankreich war aber nur möglich, wenn es die Grenze allmählich gegen den Rhein zu vorschob und wenn Frankreich - in der Wirklichkeit oder doch in der Einbildung Schiedsrichter Europas blieb. Die Grenzverschiebung war mißlungen, die Schiedsrichterstellung war bereits bedroht, die bonapartistische Presse schrie laut nach Revanche für Sadowa - wenn Louis-Napoleon seinen Thron behaupten wollte, mußte er seiner Rolle getreu bleiben und das mit Gewalt holen, was er trotz aller erwiesenen Dienste mit Güte nicht erhielt. Von beiden Seiten also emsige Kriegsvorbereitungen, diplomatische wie militärische. Und zwar ereignete sich folgendes diplomatische Begebnis: Spanien suchte nach einem Thronkandidaten. Im März [1869] hörtBenedetti, der französische Gesandte in Berlin, gerüchtweise von einer Thronbewerbung des Prinzen Leopold von Hohenzollern; erhält Auftrag von Paris, der Sache nachzuforschen. Der Unterstaatssekretär von Thile versichert auf Ehrenwort, die preußische Regierung wisse davon nichts. Auf einem Besuch in Paris erfährt Benedetti die Meinung des Kaisers: „Diese Kandidatur ist wesentlich antinational, das Land wird sie sich nicht gefallen lassen, man muß sie verhüten." Beiläufig bewies hier Louis-Napoleon, daß er schon stark am Herunterkommen war. Was konnte in der Tat eine schönere „Rache für Sadowa" sein, als die Königschaft eines preußischen Prinzen in Spanien, die daraus unvermeidlich folgenden Unannehmlichkeiten, die Verwicklung Preußens in innere spanische Parteiverhältnisse, wohl gar ein Krieg, eine Niederlage
der zwerghaften preußischen Flotte, jedenfalls Preußen vor Europa in eine höchst groteske Lage gebracht? Aber das Schauspiel konnte Louis Bonaparte sich nicht mehr erlauben. Sein Kredit war bereits so weit erschüttert, daß er sich an den traditionellen Standpunkt gebunden hielt, wonach ein deutscher Fürst auf dem spanischen Thron Frankreich zwischen zwei Feuer brächte, also nicht zu dulden sei - ein seit 1830 kindischer Standpunkt. Benedetti suchte also Bismarck auf, um weitere Aufklärungen zu erhalten und ihm den Standpunkt Frankreichs klarzumachen (1 I.Mai 1869). Er erfuhr von Bismarck nichts besonders Bestimmtes. Wohl aber erfuhr Bismarck von ihm, was er wissen wollte: daß die Aufstellung der Kandidatur Leopolds den sofortigen Krieg mit Frankreich bedeute. Hiermit war es in Bismarcks Hand gegeben, den Krieg ausbrechen zu lassen, wann es ihm gefiel. In der Tat taucht die Kandidatur Leopolds im Juli 1870 abermals auf und führt sofort zum Krieg, so sehr auch Louis-Napoleon sich dagegen sträubte. Er sah nicht nur, daß er in eine Falle gegangen war. Er wußte auch, daß es sich um sein Kaisertum handelte, und hatte wenig Vertrauen in die Wahrhaftigkeit seiner bonapartistischen Schwefelbande'308', die ihm versicherte, alles sei bereit, bis auf den letzten Gamaschenknopf, und noch weniger Vertrauen in ihre militärische und administrative Tüchtigkeit. Aber die logischen Konsequenzen seiner eignen Vergangenheit trieben ihn ins Verderben; sein Zaudern selbst beschleunigte seinen Untergang. Bismarck dagegen war nicht nur militärisch vollständig schlagfertig, sondern hatte diesmal das Volk in der Tat hinter sich, das durch alle beiderseitigen diplomatischen Lügen hindurch nur die eine Tatsache sah: hier handle es sich um einen Krieg nicht nur um den Rhein, sondern um die nationale Existenz. Reserven und Landwehr strömten - zum erstenmal seit 1813 - wieder bereitwillig und kampflustig zu den Fahnen. Einerlei, wie das alles so gekommen war, einerlei, welches Stück des zweitausendjährigen nationalen Erbteils Bismarck, auf eigne Faust dem Louis-Napoleon versprochen oder nicht versprochen hatte: Es galt, dem Ausland ein für allemal beizubringen, daß es sich in innere deutsche Dinge nicht zu mischen habe und daß Deutschland nicht berufen sei, den wackligen Thron Louis-Napoleons durch Abtretung deutschen Gebiets zu stützen. Und vor diesem nationalen Aufschwung verschwanden alle Klassenunterschiede, zerflossen alle Rheinbundsgelüste süddeutscher Höfe, alle Restaurationsversuche verjagter Fürsten in nichts. Beide Teile hatten sich um Allianzen beworben. Louis-Napoleon hatte Ostreich und Dänemark sicher, Italien ziemlich sicher. Bismarck hatte Ruß
land. Aber Ostreich war wie immer nicht fertig, konnte nicht vor dem 2. September tätig eingreifen - und am 2. September war Louis-Napoleon Kriegsgefangener der Deutschen, und Rußland hatte Ostreich benachrichtigt, es werde Ostreich angreifen, sobald Ostreich Preußen angreife. In Italien aber rächte sich Louis-Napoleons achselträgerische Politik: Er hatte die nationale Einheit in Gang bringen, aber dabei den Papst vor dieser selben nationalen Einheit schützen wollen; er hatte Rom besetzt gehalten mit Truppen, die er jetzt zu Hause brauchte und die er doch nicht wegziehn konnte, ohne Italien zu verpflichten, daß es Rom und den Papst als Souverän respektiere; was Italien wiederum verhinderte, ihm beizustehn. Dänemark endlich erhielt von Rußland Befehl, sich ruhig zu verhalten. Entscheidender aber als alle diplomatischen Verhandlungen wirkten auf die Lokalisierung des Kriegs die raschen Schläge der deutschen Waffen von Spichern und Wörth14801 bis Sedan[220). Louis-Napoleons Armee erlag in jedem Gefecht und wanderte schließlich zu drei Vierteln kriegsgefangen nach Deutschland. Das war nicht die Schuld der Soldaten, die sich tapfer genug geschlagen hatten, wohl aber der Führer und der Verwaltung. Aber wenn man wie Louis-Napoleon sein Reich errichtet hat mit Hülfe einer Bande von Strolchen, wenn man dies Reich achtzehn Jahre behauptet hat nur, indem man Frankreich dieser selben Bande zur Ausbeutung überließ, wenn man alle entscheidenden Posten im Staat mit Leuten eben dieser Bande und alle untergeordneten Stellen mit ihren Helfershelfern besetzt hat, dann soll man auch keinen Kampf auf Tod und Leben unternehmen, wenn man nicht im Stich gelassen sein will. In weniger als fünf Wochen brach das ganze, vom europäischen Philister jahrelang angestaunte Gebäude des Kaiserreichs zusammen; die Revolution vom 4.September114311 räumte nur noch den Schutt weg; und Bismarck, der in den Krieg gezogen war, um ein kleindeutsches Kaiserreich zu gründen, fand sich eines schönen Morgens als Stifter einer französischen Republik. Nach Bismarcks eigener Proklamation wurde der Krieg geführt nicht gegen das französische Volk, sondern gegen Louis-Napoleon. Mit dessen Sturz fiel also aller Grund zum Kriege weg. Das bildete sich auch die sonst nicht so naive - Regierung des 4. September ein und war sehr verwundert, als Bismarck nun plötzlich den preußischen Junker herauskehrte. Niemand in der Welt hat einen solchen Franzosenhaß wie die preußischen Junker. Denn nicht nur hat der bis dahin steuerfreie Junker während der Züchtigung durch die Franzosen, 1806 bis 1813, die er sich durch seinen Dünkel selbst zugezogen, schwer zu leiden gehabt; die gottlosen Franzosen haben, was noch weit schlimmer, durch ihre frevelhafte Revolution die Köpfe
derart verwirrt, daß die alte Junkerherrlichkeit größtenteils selbst in Altpreußen zu Grabe getragen worden, daß die armen Junker um den noch übrigen Rest dieser Herrlichkeit jahraus, jahrein einen harten Kampf zu führen haben und ein großer Teil von ihnen bereits zu einem schäbigen Schmarotzeradel herabgesunken ist. Dafür mußte Rache genommen werden an Frankreich, und das besorgten die Junkeröffiziere in der Armee unter Bismarcks Leitung. Man hatte sich Listen der französischen Kriegskontributionen in Preußen gemacht und ermaß danach die in Frankreich von den einzelnen Städten und Departements zu erhebenden Brandschatzungen - aber natürlich unter Rücksichtnahme auf den weit größeren Reichtum Frankreichs. Man requirierte Lebensmittel, Fourage, Kleider, Schuhwerk etc. mit zur Schau getragner Rücksichtslosigkeit. Ein Bürgermeister in den Ardennen, der die Lieferung nicht machen zu können erklärte, erhielt ohne weiteres fünfundzwanzig Stockprügel; die Pariser Regierung hat die amtlichen Beweise veröffentlicht. Die Franktireurs, die so genau nach den Vorschriften der preußischen Landsturmordnung von 1813[4S2) handelten, als hätten sie sie expreß studiert, wurden ohne Gnade erschossen, wo man sie nur abfing. Auch die Geschichten von den heimgesandten Pendülen sind wahr, die „Kölnische Zeitung" hat selbst darüber berichtet. Nur waren diese Pendülen nach preußischen Begriffen nicht gestohlen, sondern als herrenloses Gut in den verlassenen Landhäusern um Paris vorgefunden und für die Lieben in der Heimat annektiert. Und so sorgten die Junker unter Bismarcks Leitung dafür, daß trotz der tadellosen Haltung sowohl der Mannschaft wie eines großen Teils der Offiziere der spezifisch preußische Charakter des Kriegs bewahrt und den Franzosen eingebleut, dafür aber auch von diesen die ganze Armee für die kleinlichen Gehässigkeiten der Junker verantwortlich gemacht wurde. Und doch war es diesen Junkern vorbehalten, dem französischen Volk eine Ehrenbezeugung zu erweisen, die in der ganzen bisherigen Geschichte ihresgleichen nicht hat. Als alle Entsatzversuche um Paris gescheitert, alle französischen Armeen zurückgeschlagen, der letzte große Angriffsvorstoß Bourbakis auf die Verbindungslinie der Deutschen gescheitert war, als die gesamte Diplomatie Europas Frankreich seinem Schicksal überließ, ohne einen Finger zu rühren, da mußte das ausgehungerte Paris endlich kapitulieren.[433] Und höher schlugen die Junkerherzen, als sie endlich triumphierend einziehen konnten in das gottlose Nest und volle Rache nehmen an den Pariser Erzrebellen - die volle Rache, die ihnen 1814 von Alexander von Rußland und 1815 von Wellington untersagt worden war; jetzt konnten sie den Herd und die Heimat der Revolution züchtigen nach Herzenslust.
Paris kapitulierte, es zahlte 200 Millionen Brandschatzung; die Forts wurden den Preußen übergeben; die Garnison legte vor den Siegern die Waffen nieder und lieferte ihr Feldgeschütz aus; die Kanonen der Ringmauer wurden ihrer Lafetten beraubt; alle Widerstandsmittel, die dem Staat gehörten, wurden Stück für Stück ausgeliefert - aber die eigentlichen Verteidiger von Paris, die Nationalgärde, das Pariser Volk in Waffen, die blieben unangetastet, denen mutete niemand zu, die Waffen auszuliefern, weder ihre Gewehre noch ihre Kanonen*; und damit es aller Welt kund werde, daß die siegreiche deutsche Armee ehrerbietig haltgemacht vor dem bewaffneten Volk von Paris, zogen die Sieger nicht in Paris ein, sondern waren damit zufrieden, die Champs-Elysees - einen öffentlichen Garten!drei Tage lang besetzt halten zu dürfen, ringsum beschützt, bewacht und eingeschlossen von den Schildwachen der Pariser! Kein deutscher Soldat setzte den Fuß ins Pariser Stadthaus, keiner betrat die Boulevards, und die paar, die ins Louvre eingelassen wurden, um die Kunstschätze zu bewundern, hatten um Erlaubnis bitten müssen, es war Bruch der Kapitulation. Frankreich war niedergeschlagen, Paris war ausgehungert, aber den Respekt hatte sich das Pariser Volk durch seine glorreiche Vergangenheit gesichert, daß kein Sieger wagte, ihm Entwaffnung zuzumuten, keiner den Mut hatte, es zu Hause aufzusuchen und diese Straßen, den Kampfplatz so vieler Revolutionen, durch einen Triumphzug zu entweihen. Es war, als ob der neugebackne deutsche Kaiser1 den Hut abzöge vor den lebendigen Revolutionären von Paris, wie weiland sein Bruder vor den toten Märzkämpfern Berlins14341, und als ob die ganze deutsche Armee hinter ihm stände und präsentierte das Gewehr. Das war aber auch das einzige Opfer, das Bismarck sich auferlegen mußte. Unter dem Vorwand, es gebe keine Regierung in Frankreich, die mit ihm Frieden schließen könne - was grade so wahr und so falsch war am 4. September wie am 28. Januar - hatte er seine Erfolge echt preußisch bis auf den letzten Tropfen ausgenutzt und sich erst nach vollständiger Niederwerfung Frankreichs zum Frieden bereit erklärt. Im Friedensschluß selbst wurde wiederum, auf gut altpreußisch, „die günstige Lage rücksichtslos
* Es waren diese der Nationalgarde, nicht dem Staat gehörigen und eben deshalb nicht an die Preußen ausgelieferten Kanonen, die Thiers am 18. März 1871 den Befehl gab, den Parisern zu stehlen und dadurch den Aufstand veranlaßte, aus dem die Kommune hervorging.
ausgenützt". Nicht nur die unerhörte Summe von fünf Milliarden Kriegsentschädigung erpreßt, sondern auch zwei Provinzen, Elsaß und DeutschLothringen mit Metz und Straßburg, von Frankreich abgerissen und Deutschland einverleibt.14351 Mit dieser Annexion tritt Bismarck zum erstenmal als unabhängiger Politiker auf, der nicht mehr ein ihm von außen vorgeschriebnes Programm in seiner Weise ausführt, sondern die Produkte seines eignen Hirns in die Tat übersetzt; und damit begeht er seinen ersten kolossalen Bock.1 Das Elsaß war von Frankreich der Hauptsache nach im Dreißigjährigen Krieg erobert. Damit hatte Richelieu den soliden Grundsatz Heinrichs IV. verlassen: „Die spanische Sprache möge dem Spanier, die deutsche dem Deutschen gehören; aber wo man französisch spricht, das kommt mir zu"; er stützte sich auf den Grundsatz der natürlichen Rheingrenze, der geschichtlichen Grenze des alten Galliens. Das war Torheit; aber das Deutsche Reich, das die französischen Sprachgebiete von Lothringen und Belgien und sogar der Franche-Comte einschloß, hatte nicht das Recht, Frankreich die Annexion deutschsprechender Länder vorzuwerfen. Und wenn Ludwig XIV. 1681 Straßburg mitten im Frieden, mit Hilfe einer französisch gesinnten Partei in der Stadt, an sich riß[4361, so steht es Preußen schlecht an, sich darüber zu entrüsten, nachdem es 1796 die Freie Reichsstadt Nürnberg, allerdings ohne von einer preußischen Partei gerufen zu sein, genau ebenso vergewaltigte, wenn auch nicht mit Erfolg.*
* Man wirft LudwigXIV. vor, seine Reunionskammern[437' im tiefsten Frieden auf ihm nicht gehörige deutsche Gebiete losgelassen zu haben. So etwas kann auch der boshafteste Neid den Preußen nicht nachsagen. Im Gegenteil. Nachdem sie 1795 durch direkten Bruch der Reichsverfassung Separatfrieden mit Frankreich^390' gemacht und ihre ebenfalls abtrünnigen kleinen Nachbarn hinter der Demarkationslinie zum ersten Norddeutschen Bund um sich versammelt hatten, benutzten sie die bedrängte Lage der im Verein mit Österreich den Krieg nunmehr allein fortführenden süddeutschen Reichsstände zu Annexionsversuchen in Franken. Sie errichteten in Ansbach und Bayreuth (die damals preußisch waren) Reunionskammern nach Ludwigs Muster, erhoben auf eine Reihe benachbarter Gebietsstrecken Ansprüche, denen gegenüber Ludwigs Rechtsvorwände sonnenklar überzeugend waren; und als dann die Deutschen geschlagen zurückwichen und die Franzosen in Franken einrückten, da besetzten die
1 Von hier bis zu den Worten: „Bismarck war am Ziel" (siehe vorl. Band, S. 449) fehlen die entsprechenden Seiten der Handschrift von Engels. Der fehlende Teil wird nach dem in „Die Neue Zeit" veröffentlichten Text gebracht.
Lothringen wurde 1735 im Wiener Frieden von Österreich an Frankreich verschachert14381 und 1766 endgiltig in französischen Besitz genommen. Es hatte seit Jahrhunderten nur nominell zum Deutschen Reiche gehört, seine Herzöge waren in jeder Beziehung Franzosen und fast immer mit Frankreich verbündet gewesen. In den Vogesen bestanden bis zur Französischen Revolution eine Menge kleiner Herrschaften, die gegenüber Deutschland sich als reichsunmittelbare Reichsstände gerierten, gegenüber Frankreich aber dessen Oberhoheit anerkannt hatten; sie zogen Vorteile aus dieser Zwitterstellung, und wenn das Deutsche Reich das duldete, statt die Herren Dynasten zur Rechenschaft zu ziehen, so durfte es sich nicht beklagen, als Frankreich kraft seiner Oberhoheit die Einwohner dieser Gebiete gegen die verjagten Dynasten in Schutz nahm. Im ganzen war dies deutsche Gebiet bis zur Revolution so gut wie gar nicht französiert. Deutsch blieb Schul- und Amtssprache im inneren Verkehr wenigstens des Elsasses. Die französische Regierung begünstigte die deutschen Provinzen, die nach langjähriger Kriegsverwüstung jetzt, von Anfang des achtzehnten Jahrhunderts an, keinen Feind mehr im Lande zu sehen bekamen. Das von ewigen inneren Kriegen zerrissene Deutsche Reich war wahrlich nicht dazu angetan, die Elsässer zur Rückkehr in den Mutterschoß anzulocken; man hatte wenigstens Ruhe und Frieden, man wußte, woran man war, und so fand sich das tonangebende Philisterium in Gottes unerforschlichen Ratschluß. War ihr Schicksal doch nicht beispiellos, standen doch auch die Holsteiner unter fremder dänischer Herrschaft. Da kam die Französische Revolution. Was Elsaß und Lothringen nie gewagt hatten von Deutschland zu hoffen, das wurde ihnen von Frankreich geschenkt. Die feudalen Fesseln wurden gesprengt. Der hörige, fronpflichtige Bauer wurde ein freier Mann, in vielen Fällen freier Eigentümer seines Gehöfts und Feldes. Die Patrizierherrschaft und die Zunftprivilegien in den Städten verschwanden. Der Adel wurde verjagt. Und in den Gebieten der kleinen Fürsten und Herren folgten die Bauern dem Beispiel der Nachbarn,
rettenden Preußen das Nürnberger Gebiet einschließlich der Vorstädte bis an die Stadtmauer und erschlichen von den angstschlotternden Nürnberger Spießbürgern einen Vertrag (2. September 1796), wodurch die Stadt sich der preußischen Herrschaft unterwarf, unter der Bedingung, daß nie - Juden in den Mauern sollten zugelassen werden. Gleich darauf aber rückte Erzherzog Karl wieder vor, schlug die Franzosen bei Würzburg 3. und 4. September 1796, und damit löste sich dieser Versuch, Preußens deutschen Beruf den Nürnbergern einzubleuen, in blauem Dunst auf.
vertrieben Dynasten, Regierungskammern und Adel und erklärten sich für freie französische Bürger. In keinem Teil Frankreichs schloß das Volk sich der Revolution begeisterter an als gerade im deutschredenden. Und als nun gar das Deutsche Reich der Revolution den Krieg erklärte, als die Deutschen nicht nur ihre eigenen Ketten auch jetzt noch gehorsam trugen, sondern obendrein sich dazu gebrauchen ließen, den Franzosen die alte Knechtschaft, den Elsässer Bauern die kaum verjagten Feudalherren wieder aufzuzwingen, da war es aus mit der Deutschheit der Elsässer und Lothringer, da lernten sie die Deutschen hassen und verachten, da wurde in Straßburg die Marseillaise gedichtet, komponiert und zuerst von Elsässern gesungen, da wuchsen die Deutschfranzosen trotz Sprache und Vergangenheit auf Hunderten von Schlachtfeldern, im Kampfe für die Revolution, zusammen zu einem Volke mit den Nationalfranzosen. Hat nicht die große Revolution dasselbe Wunder vollbracht an den Flamländern von Dünkirchen, den Kelten der Bretagne, den Italienern von Korsika? Und wenn wir uns darüber beklagen, daß dies auch Deutschen geschah, haben wir denn unsere ganze Geschichte vergessen, die das möglich machte? Haben wir vergessen, daß das ganze linke Rheinufer, das doch die Revolution nur passiv mitgemacht, französisch gesinnt war, als die Deutschen 1814 dort wieder einrückten, französisch gesinnt blieb bis 1848, wo die Revolution die Deutschen in den Augen der Rheinländer rehabilitierte? Daß Heines Franzosenschwärmerei und selbst sein Bonapartismus nichts war als der Widerhall der allgemeinen Volksstimmung links des Rheins? Beim Einmarsch der Verbündeten 1814 fanden sie gerade im Elsaß und Deutsch-Lothringen die entschiedenste Feindschaft, den heftigsten Widerstand im Volke selbst; denn hier fühlte man die Gefahr, wieder deutsch werden zu müssen. Und doch wurde damals dort noch fast nur deutsch gesprochen. Aber als die Gefahr der Losreißung von Frankreich vorüber, als den deutsch-romantischen Chauvins die Annexionslust gelegt war, da sah man die Notwendigkeit ein, auch sprachlich mehr und mehr mit Frankreich zusammenzuwachsen, und seitdem führte man dieselbe Französierung der Schulen ein, die auch die Luxemburger freiwillig bei sich eingerichtet hatten. Und dennoch ging der Umwandlungsprozeß sehr langsam; erst die jetzige Generation der Bourgeoisie ist wirklich französiert, während Bauern und Arbeiter deutsch sprechen. Es steht ungefähr wie in Luxemburg: Das Schriftdeutsche ist (die Kanzel teilweise ausgenommen) durch das Französische verdrängt, aber der deutsche Volksdialekt hat nur an der Sprachgrenze Boden verloren und wird als gemütliche Sprache weit mehr gebraucht, als dies in den meisten Gegenden Deutschlands der Fall.
Das ist das Land, das Bismarck und die preußischen Junker, unterstützt von der, wie es scheint, von allen deutschen Fragen unzertrennlichen Wiederbelebung einer chauvinistischen Romantik, wieder deutsch zu machen sich unterfingen. Die Heimat der Marseillaise, Straßburg, deutsch machen wollen, das war ein ebensolcher Widersinn wie der, die Heimat Garibaldis, Nizza, französisch zu machen. Aber in Nizza hielt Louis-Napoleon doch den Anstand aufrecht und ließ über die Annexion abstimmen - und das Manöver ging durch. Abgesehen davon, daß die Preußen aus sehr guten Gründen dergleichen revolutionäre Maßregeln verabscheuen - es ist noch nie vorgekommen, daß die Volksmasse irgendwo nach Annexion an Preußen verlangt hätte -, wußte man nur zu gut, daß gerade hier die Bevölkerung einmütiger an Frankreich hing als die Nationalfranzosen selbst. Und so vollzog man den Gewaltstreich einfach kraft der Gewalt. Es war ein Stück Rache an der Französischen Revolution; man riß eines der Stücke ab, die gerade durch die Revolution mit Frankreich in eins geschweißt worden. Militärisch hatte die Annexion allerdings einen Zweck. Durch Metz und Straßburg erhält Deutschland eine Verteidigungsfront von ungeheurer Stärke. Solange Belgien und die Schweiz neutral, kann ein französischer Massenangriff nirgends anders ansetzen als auf dem schmalen Strich zwischen Metz und den Vogesen; und dazu bilden Koblenz, Metz, Straßburg, Mainz das stärkste und größte Festungsviereck der Welt. Aber auch dies Festungsviereck, wie das österreichische in der Lombardei1439', liegt zur Hälfte in Feindesland und bildet dort Zwingburgen zur Niederhaltung der Bevölkerung. Noch mehr: Um es zu vervollständigen, mußte über das deutsche Sprachgebiet hinausgegriffen, mußte eine Viertelmillion Nationalfranzosen mit annektiert werden. Der strategische große Vorteil ist also der einzige Punkt, der die Annexion entschuldigen kann. Aber steht dieser Gewinn in irgendwelchem Verhältnis zu dem Schaden, den man sich dadurch antat? Für den großen moralischen Nachteil, worin das junge Deutsche Reich sich setzte, indem es die brutale Gewalt offen und ungeheuchelt als sein Grundprinzip erklärte - dafür hat der preußische Junker keine Augen. Im Gegenteil, widerhaarige, gewaltsam im Zaum gehaltene Untertanen sind ihm Bedürfnis; sie sind Beweise der vermehrten preußischen Macht; und im Grunde hat er nie andere gehabt. Aber wofür er verpflichtet war, Augen zu haben, das waren die politischen Folgen der Annexion. Und die lagen klar zutage. Noch ehe die Annexion rechtskräftig geworden, rief Marx sie laut in die Welt hinaus in einem Rundschreiben der Internationale: „Die Annexion von Elsaß und Lothringen macht Rußland zum Schiedsrichter
Europas."14401 Und von der Tribüne des Reichstags haben die Sozialdemokraten es oft genug wiederholt, so lange, bis die Wahrheit dieses Ausspruches endlich von Bismarck selbst in seiner Reichstagsrede vom 6. Februar 1888 anerkannt worden ist durch sein Winseln vor dem allmächtigen Zar, dem Gebieter über Krieg und Frieden14411. Es war doch sonnenklar. Indem man von Frankreich zwei seiner fanatisch-patriotischsten Provinzen abriß, trieb man es jedem in die Arme, der ihm deren Rückgabe in Aussicht stellte, machte man sich Frankreich zum ewigen Feind. Bismarck allerdings, der in dieser Beziehung den deutschen Philister würdig und gewissenhaft repräsentiert, verlangt von den Franzosen, sie sollen nicht nur staatsrechtlich, sondern auch moralisch auf ElsaßLothringen verzichten, sie sollen sich noch ordentlich freuen, daß diese beiden Stücke des revolutionären Frankreichs „dem alten Vaterlande wiedergegeben sind", von dem sie platterdings nichts wissen wollen. Das tun aber die Franzosen leider ebensowenig, wie die Deutschen während der napoleonischen Kriege auf das linke Rheinufer moralisch verzichteten, trotzdem auch dieses damals sich keineswegs nach ihnen zurücksehnte. Solange die Elsässer und Lothringer nach Frankreich zurückverlangen, solange wird und muß Frankreich nach ihrer Wiedererlangung streben und sich nach den Mitteln dazu umsehen, also unter anderen auch nach Bundesgenossen. Und der natürliche Bundesgenosse gegen Deutschland ist Rußland. Wenn die beiden größten und stärksten Nationen des westlichen Kontinents sich gegenseitig durch Feindseligkeit neutralisieren, wenn sogar ein ewiger Zankapfel zwischen ihnen liegt und sie zum Kampfe gegeneinander hetzt, so hat den Vorteil davon - nur Rußland, dessen Hände dann um so freier sind; Rußland, das in seinen Eroberungsgelüsten von Deutschland um so weniger gehindert werden kann, je mehr es von Frankreich unbedingte Unterstützung erwarten darf. Und hat nicht Bismarck Frankreich in die Lage versetzt, daß es um Rußlands Allianz betteln, daß es Rußland Konstantinopel gern überlassen muß, wenn Rußland ihm nur seine verlorenen Provinzen zusagt? Und wenn trotzdem der Friede siebzehn Jahre erhalten worden, woher anders kommt das als daher, daß das in Frankreich und Rußland eingeführte Landwehrsystem mindestens sechzehn, ja nach neuester deutscher Verbesserung sogar fünfundzwanzig Jahre braucht, um die volle Zahl eingeübter Mannschaftsjahrgänge zu liefern? Und nachdem die Annexion nun schon siebzehn Jahre lang das die ganze Politik Europas beherrschende Faktum gewesen, ist sie nicht in diesem Augenblick die Grundursache der ganzen, den Weltteil mit Krieg bedrohenden Krise? Nehmt diese eine Tatsache weg, und der Friede ist gesichert!
Der Elsässer Bourgeois mit seinem oberdeutsch ausgesprochenen Französisch, dieser halbschlächtige Geck, der sich französischer gebärdet als irgendein Stockfranzose, derauf Goethe herabsieht und für Racine schwärmt, der dabei das böse Gewissen seiner geheimen Deutschheit doch nicht los wird und eben deshalb über alles Deutsche wegwerfend schwadronieren muß, so daß er nicht einmal zum Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich taugt - dieser Elsässer Bourgeois ist allerdings ein verächtlicher Kerl, sei er nun Mülhauser Fabrikant oder Pariser Journalist. Aber wer hat ihn zu dem gemacht, was er ist, wer anders als die deutsche Geschichte der letzten dreihundert Jahre? Und waren nicht bis noch ganz vor kurzem fast alle Deutschen im Ausland, namentlich die Kaufleute, echte Elsässer, die ihr Deutschtum verleugneten, die fremde Nationalität ihrer neuen Heimat sich mit einer wahren Selbsttierquälerei anquälten und dabei sich freiwillig mindestens ebenso lächerlich machten wie die Elsässer, die doch mehr oder weniger durch die Umstände dazu genötigt sind? In England z.B. war die ganze von 1815 bis 1840 eingewanderte deutsche Kaufmannschaft fast ausnahmslos verengländert, sprach auch unter sich fast nur englisch, und noch heute laufen, auf der Börse von Manchester z.B., diverse alte deutsche Philister herum, die ihr halbes Vermögen hingäben, könnten sie als volle Engländer passieren. Erst seit 1848 ist auch hierin ein Umschwung eingetreten, und seit 1870, wo sogar der Reservelieutenant nach England kommt und Berlin sein Kontingent herschickt, wird die ehemalige Kriecherei verdrängt durch eine preußische Hochnäsigkeit, die uns im Ausland nicht minder lächerlich macht. Und ist etwa den Elsässern die Vereinigung mit Deutschland seit 1871 mundgerechter gemacht worden? Im Gegenteil. Man hat sie unter Diktatur gestellt, während nebenan, in Frankreich, die Republik herrschte. Man hat die pedantisch-zudringliche preußische Landratswirtschaft bei ihnen eingeführt, gegen die die - gesetzlich streng geregelte - Einmischung der verrufenen französischen Präfektenwirtschaft golden ist. Man machte dem letzten Rest von Preßfreiheit, Versammlungs- und Vereinsrecht ein rasches Ende, man löste widerhaarige Stadträte auf und setzte deutsche Bürokraten als Bürgermeister ein. Dagegen aber schmeichelte man den „Notabein", d.h. den durchaus französierten Adeligen und Bourgeois, und schützte sie in ihrer Aussaugung der wenn auch nicht deutschgesinnten, aber doch deutschredenden Bauern und Arbeiter - die das einzige Element bildeten, an das ein Aussöhnungsversuch anknüpfen konnte. Und was hatte man davon? Daß im Februar 1887, als ganz Deutschland sich einschüchtern ließ und die Bismarcksche Kartellmajorität in den Reichstag schickte14421, daß
damals Elsaß-Lothringen lauter entschiedene Franzosen wählte und jeden verwarf, der nur der leisesten deutschen Sympathien verdächtig war. Wenn nun die Elsässer sind, wie sie sind, haben wir ein Recht, uns darüber zu erbosen? Keineswegs. Ihr Widerwille gegen die Annexion ist eine geschichtliche Tatsache, die nicht heruntergerissen, sondern erklärt sein will. Und da müssen wir uns fragen: Wie viele und wie kolossale geschichtliche Sünden mußte Deutschland begehen, bis diese Gesinnung im Elsaß möglich wurde? Und wie muß unser neues Deutsches Reich sich von außen her ausnehmen, wenn nach siebzehn Jahren des Wiederverdeutschungsversuchs die Elsässer uns einstimmig zurufen: verschont uns damit? Haben wir das Recht, uns einzubilden, daß zwei glückliche Feldzüge und siebzehn Jahre Bismarckscher Diktatur genügen, um die sämtlichen Wirkungen einer dreihundertjährigen schmachvollen Geschichte auszulöschen? Bismarck war am Ziel. Sein neues preußisch-deutsches Kaisertum war in Versailles, im Prachtsaal Ludwigs XIV., öffentlich ausgerufen worden. Frankreich lag wehrlos zu seinen Füßen; das trotzige Paris, das er selbst nicht anzutasten gewagt, war von Thiers in den Aufstand der Kommune hineingehetzt und dann von den aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrenden Soldaten der exkaiserlichen Armee zu Boden geschlagen. Der europäische Gesamtphilister staunte Bismarck an, wie er in den fünfziger Jahren dessen Vorbild Louis Bonaparte angestaunt hatte. Deutschland war mit russischer Hülfe die erste Macht in Europa geworden, und alle Macht Deutschlands lag in den Händen des Diktators Bismarck. Jetzt kam es darauf an, was er mit dieser Macht anzufangen wisse. Hatte er bisher die Einheitspläne der Bourgeoisie, wenn auch nicht mit den Mitteln der Bourgeoisie, sondern mit bonapartistischen Mitteln durchgeführt, so war dies Thema jetzt so ziemlich erschöpft, so galt es jetzt, eigne Pläne zu machen, zu zeigen, welche Ideen sein eigner Kopf zu produzieren fähig war. Und das mußte offenbar werden beim innern Ausbau des neuen Reichs. Die deutsche Gesellschaft setzt sich zusammen aus Großgrundbesitzern, Bauern, Bourgeois, Kleinbürgern und Arbeitern, die sich wiederum in drei Hauptklassen gruppieren. Der größere Grundbesitz ist in den Händen einiger weniger Magnaten (namentlich in Schlesien) und einer großen Zahl mittlerer Grundeigentümer, die in den altpreußischen Provinzen östlich der Elbe am dichtesten sitzen. Diese preußischen Junker sind es auch, die die ganze Klasse mehr oder weniger dominieren. Sie sind selbst Landwirte, insofern sie ihre Güter großenteils durch Inspektoren bebauen lassen, und daneben sehr häufig Besitzer von Schnapsbrennereien und Rübenzuckerfabriken. Ihr Grundbesitz
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ist, wo es anging, als Majorat in der Familie festgelegt. Die jüngeren Söhne treten in die Armee oder den staatlichen Zivildienst, so daß sich an diesen grundbesitzenden Kleinadel ein noch kleinerer Offiziers- und Beamtenadel hängt, der obendrein noch durch die starke Adelsfabrikation unter den bürgerlichen höheren Offizieren und Beamten Zuwachs erhält. An der unteren Grenze dieser ganzen adligen Sippschaft bildet sich naturgemäß ein zahlreicher Schmarotzeradel, ein adliges Lumpenproletariat, das vom Schuldenmachen, zweifelhaftem Spiel, Zudringlichkeit, Bettel und politischer Spionage lebt. Die Gesamtheit dieser Gesellschaft bildet das preußische Junkertum und ist eine der Hauptstützen des altpreußischen Staats. Aber der grundbesitzende Kern dieses Junkertums steht selbst auf gar schwachen Füßen. Die Pflicht, standesgemäß zu leben, wird täglich kostspieliger; die Unterstützung der jüngem Söhne bis durch das Lieutenants- und Assessorsstadium, die Unterbringung der Töchter im Ehestand, alles das kostet Geld; und da das alles Pflichten sind, vor deren Erfüllung alle andern Rücksichten schweigen müssen, ist es kein Wunder, daß die Einkünfte nicht reichen, daß Wechsel unterschrieben oder gar Hypotheken aufgenommen werden. Kurzum, die ganze Junkerschaft steht immerdar am Rand des Abgrunds; jeder Unfall, sei es Krieg, Mißernte oder Handelskrise, droht sie hineinzustürzen; und so ist es kein Wunder, daß sie seit reichlich hundert Jahren nur durch Staatshülfe aller Art vom Untergang gerettet worden ist und in Wirklichkeit nur durch Staatshülfe fortbesteht. Diese nur künstlich erhaltene Klasse ist dem Untergang geweiht; keine Staatshülfe kann sie auf die Dauer am Leben erhalten. Aber mit ihr verschwindet auch der alte preußische Staat. Der Bauer ist politisch ein wenig aktives Element. Soweit er selbst Eigentümer, verkommt er mehr und mehr durch die ungünstigen Produktionsbedingungen des der alten gemeinen Mark oder Gemeinweide - ohne die für ihn kein Viehstand möglich - beraubten Parzellenbauern. Soweit er Pächter, steht's noch schlimmer um ihn. Der kleinbäuerliche Betrieb setzt vorwiegend Naturalwirtschaft voraus, an der Geldwirtschaft geht er zugrunde. Daher steigende Verschuldung, massenweise Expropriation durch den Hypothekengläubiger, Zuflucht zur Hausindustrie, um nur nicht ganz von der Scholle vertrieben zu werden. Politisch ist die Bauernschaft meist indifferent oder reaktionär: am Rhein aus altem Preußenhaß ultramontan, in andern Gegenden partikularistisch oder protestantisch-konservativ. Das religiöse Gefühl dient bei dieser Klasse noch als Ausdruck gesellschaftlicher oder politischer Interessen. Die Bourgeoisie haben wir bereits behandelt. Sie war seit 1848 in einem unerhörten ökonomischen Aufschwung begriffen. An der kolossalen Aus
dehnung der Industrie nach der Handelskrise von 1847, bedingt durch die in diese Periode fallende Herstellung einer ozeanischen Dampfschiffahrt, durch die enorme Ausdehnung der Eisenbahnen und durch die Goldschätze Kaliforniens und Australiens, hatte Deutschland wachsenden Anteil genommen. Grade ihr Drang nach Beseitigung der kleinstaatlichen Verkehrshindernisse und nach ebenbürtiger Weltmarktsstellung neben ihren auswärtigen Konkurrenten hatte Bismarcks Revolution in Bewegung gesetzt. Jetzt, wo die französischen Milliarden Deutschland überfluteten, eröffnete sich für die Bourgeoisie eine neue Periode fieberhafter Erwerbstätigkeit, in der sie sich zum erstenmal als große Industrienation bewies durch einen nationaldeutschen Krach1443Sie war damals schon ökonomisch die mächtigste Klasse der Bevölkerung; ihren ökonomischen Interessen mußte der Staat gehorchen; die Revolution von 1848 hatte den Staat in die äußere konstitutionelle Form übergeführt, worin sie auch politisch herrschen und ihre Herrschaft ausbilden konnte. Trotzdem war sie noch weit entfernt von der wirklichen politischen Herrschaft. Im Konflikt war sie gegen Bismarck nicht siegreich gewesen; die Beseitigung des Konflikts durch die Revolutionierung Deutschlands von oben hatte ihr des ferneren beigebracht, daß die Exekutivgewalt einstweilen noch von ihr höchstens in sehr indirekter Weise abhängig sei, daß sie weder Minister absetzen oder aufdringen, noch über die Armee verfügen könne. Dabei war sie feig und schlaff gegenüber einer energischen Exekutivgewalt, aber das waren die Junker auch, und sie hatte mehr Entschuldigung als diese durch ihren direkten ökonomischen Gegensatz zur revolutionären industriellen Arbeiterklasse. Aber sicher war, daß sie das Junkertum allmählich ökonomisch vernichten mußte, daß sie von allen besitzenden Klassen die einzige war, die noch Aussicht auf eine Zukunft besaß. Das Kleinbürgertum bestand erstens aus Resten des mittelalterlichen Handwerks, die in dem lange zurückgebliebnen Deutschland massenhafter vertreten waren als im übrigen Westeuropa, zweitens aus heruntergekommnen Bourgeois, drittens aus bis zum Kleinhandel emporgekommnen Elementen der besitzlosen Bevölkerung. Mit der Ausdehnung der großen Industrie verlor die Existenz der gesamten Kleinbürgerschaft den letzten Rest von Stabilität; Erwerbswechsel und periodischer Bankerott wurden die Regel. Diese früher so stabile Klasse, die die Kerntruppe des deutschen Philisteriums gewesen, sank aus der früheren Zufriedenheit, Zahmheit, Knechts- und Gottseligkeit und Ehrbarkeit hinab in wüste Zerfahrenheit und Mißvergnügen mit dem ihr von Gott beschiednen Geschick. Die Reste des Handwerks schrien nach Wiederherstellung der Zunftprivilegien, von
den andern wurde ein Teil sanft demokratisch-fortschrittlich[444!, ein andrer näherte sich sogar der Sozialdemokratie und schloß sich stellenweise direkt der Arbeiterbewegung an. Endlich die Arbeiter. Von den ländlichen Arbeitern lebten wenigstens die des Ostens noch immer in einer halben Leibeigenschaft und waren nicht zurechnungsfähig. Dagegen hatte unter den städtischen Arbeitern die Sozialdemokratie reißende Fortschritte gemacht und wuchs in dem Maß, wie die große Industrie die Volksmassen proletarisierte und damit den Klassengegensatz zwischen Kapitalisten und Arbeitern auf die Spitze trieb. Waren auch die sozialdemokratischen Arbeiter einstweilen noch in zwei sich bekämpfende Parteien gespalten1446', so war doch seit dem Erscheinen von Marx' „Kapital" der prinzipielle Gegensatz zwischen beiden so gut wie verschwunden. Der Lassalleanismus strikter Observanz, mit der ausschließlichen Forderung von „Produktionsgenossenschaften mit Staatshülfe", schlief allmählich ein und erwies sich mehr und mehr ungeeignet, den Kern einer bonapartistisch-staatssozialistischen Arbeiterpartei abzugeben. Was einzelne Führer in dieser Beziehung verbrochen, wurde von dem gesunden Sinn der Massen wieder gutgemacht. Die Einigung der beiden sozialdemokratischen Richtungen, fast nur noch durch Personenfragen hintangehalten, war in naher Zukunft sicher. Aber schon während der Spaltung und trotz der Spaltung war die Bewegung mächtig genug, um der industriellen Bourgeoisie Schrecken einzujagen und sie in ihrem Kampf gegen die noch von ihr unabhängige Regierung zu lähmen; wie denn die deutsche Bourgeoisie überhaupt seit 1848 das rote Gespenst nicht wieder loswurde. Diese Klassengliederung lag der Parteigliederung im Parlament und den Landtagen zugrunde. Großgrundbesitz und ein Teil der Bauernschaft bildeten die Masse der Konservativen1446'; die industrielle Bourgeoisie lieferte den rechten Flügel des bürgerlichen Liberalismus: die Nationalliberalen1174', während der linke Flügel - die abgeschwächte demokratische oder sog. Fortschrittspartei - von den Kleinbürgern, unterstützt von einem Teil der Bourgeoisie wie der Arbeiter, gestellt wurde. Die Arbeiter endlich hatten ihre selbständige Partei, zu der auch Kleinbürger gehörten, in der Sozialdemokratie. Ein Mann in Bismarcks Stellung und mit Bismarcks Vergangenheit mußte sich bei einiger Einsicht in die Sachlage sagen, daß die Junker, wie sie waren, keine lebensfähige Klasse bildeten, daß von allen besitzenden Klassen nur die Bourgeoisie eine Zukunft beanspruchen konnte und daß daher (abgesehn von der Arbeiterklasse, deren geschichtliche Sendung zu begreifen wir ihm nicht zumuten wollen) sein neues Reich um so sichereren
Bestand versprach, je mehr er es allmählich auf den Übergang in einen modernen Bourgeoisstaat vorbereitete. Muten -wir ihm nichts zu, was ihm unter den Umständen unmöglich war. Ein sofortiger Übergang zur parlamentarischen Regierung mit der entscheidenden Macht im Reichstag (wie im englischen Unterhaus) war weder möglich noch selbst augenblicklich ratsam; die Diktatur Bismarcks in parlamentarischen Formen mußte ihm selbst als zunächst noch notwendig erscheinen; wir nehmen ihm keineswegs übel, daß er sie zunächst bestehn ließ, wir fragen bloß, wozu sie zu gebrauchen war. Und da kann schwerlich ein Zweifel sein, daß die Anbahnung eines der englischen Verfassung entsprechenden Zustands der einzige Weg war, auf dem sich Aussicht bot, dem neuen Reich eine feste Grundlage und eine ruhige innere Entwicklung zu sichern. Indem man den größeren, ohnehin unrettbaren Teil seiner Junkerschaft dem bevorstehenden Untergang überließ, schien es immer noch möglich, aus dem Rest und aus neuen Elementen eine Klasse unabhängiger Großgrundbesitzer sich aufbauen zu lassen, die selbst nur die ornamentale Spitze der Bourgeoisie war; eine Klasse, der die Bourgeoisie, selbst im Vollgenuß ihrer Macht, die staatliche Repräsentation und damit die fettesten Posten und sehr großen Einfluß überlassen mußte. Indem man der Bourgeoisie die politischen Konzessionen, die ihr auf die Dauer doch nicht vorenthalten werden konnten (so mußte man wenigstens vom Standpunkt der besitzenden Klassen urteilen), indem man ihr diese Konzessionen allmählich und selbst in kleinen und seltnen Dosen zukommen ließ, leitete man das neue Reich wenigstens auf die Bahn, worin es den übrigen, ihm politisch weit vorausgeeilten Staaten Westeuropas nachkommen konnte, wo es endlich die letzten Reste des Feudalismus wie der die Bürokratie noch stark beherrschenden Philistertradition abschüttelte, und machte es vor allen Dingen fähig, auf eignen Füßen zu stehn an dem Tage, wo seine keineswegs jugendlichen Gründer das Zeitliche segnen würden. Dabei war das gar nicht einmal schwer. Weder Junker noch Bourgeois hatten auch nur durchschnittliche Energie. Die Junker hatten das seit sechzig Jahren bewiesen, wo der Staat fortwährend ihr eignes Beste durchführte gegen die Opposition dieser Don Quixoten. Die Bourgeoisie, ebenfalls durch lange Vorgeschichte geschmeidig gemacht, hatte den Konflikt noch schwer in den Knochen liegen; seitdem brachen Bismarcks Erfolge ihre Widerstandskraft noch mehr, und den Rest tat die Furcht vor der drohend anwachsenden Arbeiterbewegung. Unter solchen Umständen konnte es dem Mann, der die nationalen Wünsche der Bourgeoisie verwirklicht hatte, nicht schwer werden, in der Verwirklichung ihrer im ganzen schon sehr
bescheidnen politischen Wünsche jedes ihm beliebige Tempo einzuhalten. Nur mußte er sich über das Ziel klar sein. Vom Standpunkt der besitzenden Klassen aus war dies das einzig Rationelle. Vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus zeigt es sich freilich, daß es schon zu spät war zur Errichtung einer dauernden Bourgeoisherrschaft. Die große Industrie, und mit ihr Bourgeoisie und Proletariat, bildeten sich in Deutschland aus zu einer Zeit, wo fast gleichzeitig mit der Bourgeoisie das Proletariat die politische Bühne selbständig betreten konnte, wo also der Kampf beider Klassen schon beginnt, ehe die Bourgeoisie sich die ausschließliche oder vorwiegende politische Macht erobert hat. Aber wenn es auch für eine ruhige und festbegründete Herrschaft der Bourgeoisie in Deutschland zu spät ist, so war es immer noch im Jahr 1870 die beste Politik, im Interesse der besitzenden Klassen überhaupt, auf diese Bourgeoisherrschaft loszusteuern. Denn dadurch allein war es möglich, die massenhaften Überreste aus der Zeit des verfaulenden Feudalismus zu beseitigen, die in Gesetzgebung und Verwaltung fortwucherten; nur so war es möglich, die gesamten Resultate der großen Französischen Revolution allmählich in Deutschland heimisch zu machen, kurz, Deutschland den riesenlangen alten Zopf abzuschneiden und es bewußt und endgiltig auf die Bahn der modernen Entwicklung zu leiten, seine politischen Zustände seinen industriellen Zuständen anzupassen. Kam dann schließlich der unvermeidliche Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, so vollzog er sich mindestens unter normalen Umständen, wo jeder sehn konnte, um was es sich handelte, und nicht in einer Verwirrung, Unklarheit, Interessendurchkreuzung und Ratlosigkeit, wie wir sie 1848 in Deutschland gesehn. Nur mit dem Unterschied, daß diesmal die Ratlosigkeit ausschließlich auf Seiten der Besitzenden sein wird; die Arbeiterklasse weiß, was sie will. Wie die Dinge 1871 in Deutschland lagen, war ein Mann wie Bismarck in der Tat auf eine zwischen den verschiednen Klassen lavierende Politik angewiesen. Und soweit ist ihm nichts vorzuwerfen. Es kommt nur darauf an, auf welches Ziel diese Politik gerichtet war. Ging sie, einerlei in welchem Tempo, aber bewußt und resolut auf die schließliche Bourgeoisherrschaft los, so war sie im Einklang mit der geschichtlichen Entwicklung, soweit sie dies vom Standpunkt der besitzenden Klassen überhaupt sein konnte. Ging sie los auf die Erhaltung des altpreußischen Staats, auf die allmähliche Verpreußung Deutschlands, so war sie reaktionär und zum schließlichen Scheitern verdammt. Ging sie los auf die bloße Erhaltung der Herrschaft Bismarcks, so war sie bonapartistisch und mußte enden wie aller Bonapartismus.
Die nächste Aufgabe war die Reichsverfassung. Als Material lagen vor einerseits die norddeutsche Bundesverfassung, andrerseits die Verträge mit den süddeutschen Staaten14471. Die Faktoren, mit deren Hülfe Bismarck die Reichsverfassung ins Leben zu rufen hatte, waren einerseits die im Bundesrat vertretnen Dynastien'4481, andrerseits das im Reichstag vertretne Volk. Den Ansprüchen der Dynastien war in der norddeutschen Verfassung und den Verträgen eine Grenze gesetzt. Das Volk dagegen hatte Anspruch darauf, daß sein Anteil an der politischen Macht bedeutend vergrößert werde. Es hatte die Unabhängigkeit von fremder Einmischung und die Einigung soweit davon die Rede sein konnte - auf dem Schlachtfeld erkämpft; es war auch in erster Linie berufen zu entscheiden, wozu diese Unabhängigkeit benutzt, wie diese Einigung im einzelnen ausgeführt und verwertet werden sollte. Und selbst wenn das Volk den in der norddeutschen Verfassung und den Verträgen vorliegenden Rechtsboden anerkannte, hinderte das doch keineswegs, daß es in der neuen Verfassung einen größern Machtanteil erhielt als in der bisherigen. Der Reichstag war die einzige Körperschaft, die in Wirklichkeit die neue „Einheit" darstellte. Je" schwerer die Stimme des Reichstags wog, je freier die Reichsverfassung war gegenüber den Landesverfassungen, desto fester mußte sich das neue Reich ineinanderfügen, desto mehr mußte der Bayer, der Sachse, der Preuße aufgehn in dem Deutschen. Für jeden Menschen, der weiter sah als seine Nase, mußte das einleuchtend sein. Aber Bismarcks Meinung war das keineswegs. Im Gegenteil benützte er den nach dem Krieg eingerissenen patriotischen Taumel grade dazu, die Majorität des Reichstags dahin zu bringen, daß sie auf jede, nicht nur Erweiterung, sondern selbst klare Feststellung der Rechte des Volks verzichtete und sich darauf beschränkte, den in der norddeutschen Verfassung und den Verträgen vorliegenden Rechtsboden in der Reichsverfassung einfach wiederzugeben. Alle Versuche der kleinen Parteien, die Freiheitsrechte des Volks darin zum Ausdruck zu bringen, wurden verworfen, selbst der Antrag des katholischen Zentrums auf Einrückung der preußischen Verfassungsartikel, enthaltend die Garantie der Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit sowie der Selbständigkeit der Kirche. Die preußische Verfassung, doppelt und dreifach beschnitten, wie sie war, blieb also immer noch liberaler als die Reichsverfassung. Die Steuern wurden nicht jährlich, sondern ein für allemal „durch Gesetz" bewilligt, so daß Steuerverweigerung durch den Reichstag ausgeschlossen ist. Hiermit war die der außerdeutschen konstitutionellen Welt unbegreifliche preußische Doktrin auf Deutschland angewandt, die Doktrin, daß die Volksvertretung nur das Recht hat, die Ausgaben auf dem Papier zu verweigern, während die Regierung die
Einnahmen in klingender Münze in den Sack steckt. Während aber so der Reichstag der besten Machtmittel beraubt und auf die demütige Stellung der durch die Revisionen von 1849 und 1850, durch die Manteuffelei, durch den Konflikt und durch Sadowa gebrochnen preußischen Kammer herabgedrückt wird, erfreut sich der Bundesrat im wesentlichen aller Machtvollkommenheiten, die der alte Bundestag nominell besaß, und erfreut sich ihrer in Wirklichkeit, denn er ist befreit von den Fesseln, die den Bundestag lahmlegten. Der Bundesrat hat nicht nur in der Gesetzgebung eine entscheidende Stimme neben dem Reichstag, er ist auch höchste Verwaltungsinstanz, insofern er die Ausführungsbestimmungen der Reichsgesetze erläßt, und beschließt außerdem „über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze ... hervortreten", d.h. über Mängel, denen in andern zivilisierten Ländern nur ein neues Gesetz abhelfen kann (Art.7, AI.3, der einer juristischen Konfliktsfalle sehr ähnlich sieht[449)). Sonach hat Bismarck seine Hauptstütze gesucht nicht im Reichstag, der die nationale Einheit, sondern im Bundesrat, der die partikularistische Zersplitterung vertritt. Er hatte nicht den Mut - er, der sich als Vertreter des nationalen Gedankens aufspielte -, wirklich an die Spitze der Nation oder ihrer Vertreter sich zu stellen; die Demokratie sollte ihm dienen, nicht aber er ihr; eher als auf das Volk verließ er sich auf krumme Schleichwege hinter den Kulissen, auf die Fähigkeit, durch diplomatische Mittel, Zuckerbrot und Peitsche, sich im Bundesrat eine wenn auch widerhaarige Majorität zusammenzuklüngeln. Die Kleinlichkeit der Auffassung, die Niedrigkeit des Standpunkts, die sich uns hier offenbart, entspricht ganz dem Charakter des Mannes, wie wir ihn bisher kennengelernt. Dennoch dürfen wir uns wundern, daß seine großen Erfolge ihn nicht wenigstens für einen Augenblick über ihn selbst hinauszuheben vermochten. Der Fall lag aber so, daß es darauf ankam, der ganzen Reichsverfassung einen einzigen festen Drehzapfen zu geben, nämlich den Reichskanzler. Der Bundesrat mußte eine Stellung erhalten, die eine andre verantwortliche Exekutive als die des Reichskanzlers unmöglich machte und dadurch die Zulässigkeit verantwortlicher Reichsminister ausschloß. In der Tat stieß jeder Versuch, die Reichsverwaltung durch Einsetzung eines verantwortlichen Ministeriums zu ordnen, auf unüberwindlichen Widerstand als Eingriff in die Rechte des Bundesrats. Die Verfassung war, wie man bald entdeckte, Bismarck „auf den Leib zugeschnitten". Sie war ein Schritt weiter auf dem Weg zu seiner persönlichen Alleinherrschaft, vermittelst Balancierung der Parteien im Reichstag, der Partikularstaaten im Bundesrat - ein Schritt weiter auf dem Weg des Bonapartismus.
Im übrigen kann man nicht sagen, daß - abgesehn von einzelnen Konzessionen an Bayern und Württemberg - die neue Reichsverfassung einen direkten Rückschritt ausmacht. Das ist aber auch das beste, was man von ihr sagen kann. Die ökonomischen Bedürfnisse der Bourgeoisie waren im wesentlichen befriedigt, ihren politischen Ansprüchen - soweit sie deren noch machte - war derselbe Riegel vorgestreckt wie zur Konfliktszeit. Soweit sie politische Ansprüche noch machte. Denn es ist unleugbar, daß diese Ansprüche in den Händen der Nationalliberalen auf ein sehr bescheidnes Maß zusammengeschrumpft waren und täglich noch mehr zusammenschrumpften. Die Herren, weit entfernt zu verlangen, Bismarck möge ihnen das Zusammenwirken mit ihm erleichtern, waren vielmehr bestrebt, ihm zu Willen zu sein, da wo es ging, und auch schon manchmal, wo es nicht ging oder nicht gehn gesollt. Daß Bismarck sie verachtete, kann ihm kein Mensch verübeln - aber waren denn seine Junker um ein Haar besser und männlicher? Das nächste Gebiet, worauf die Reichseinheit herzustellen blieb, das Geldwesen, wurde geordnet durch die Münz- und Bankgesetze von 1873 bis 1875. Die Einführung der Goldwährung war ein bedeutender Fortschritt; aber nur zaudernd und schwankend wurde sie eingeführt und steht heute noch nicht auf ganz festen Füßen. Das angenommene Geldsystem - der Dritteltaler unter dem Namen Mark als Einheit mit dezimaler Teilung war das gegen Ende der dreißiger Jahre von Soetbeer vorgeschlagne; das tatsächliche Einheitsstück war das goldne Zwanzigmarkstück. Mit einer fast unmerklichen Wertänderung konnte man es absolut gleichwertig machen entweder mit dem englischen Sovereign oder dem goldnen Fünfundzwanzigfrankenstück oder dem amerikanischen goldnen Fünfdollarstück und damit einen Anschluß gewinnen an eines der drei großen Münzsysteme des Weltmarkts. Man zog es vor, ein apartes Münzsystem zu schaffen und damit den Verkehr und die Kursberechnungen unnötig zu erschweren. Die Gesetze über Reichskassenscheine und Banken beschränkten den Papierschwindel der Kleinstaaten und kleinstaatlichen Banken und beobachteten in Erwägung des inzwischen eingetretnen Krachs eine gewisse Ängstlichkeit, wie sie dem auf diesem Gebiete noch unerfahrnen Deutschland wohl anstand. Auch hier waren die ökonomischen Interessen der Bourgeoisie im ganzen entsprechend gewahrt. Endlich kam noch die Vereinbarung einheitlicher Justizgesetze. Der Widerstand der Mittelstaaten gegen Ausdehnung der Reichskompetenz auch auf das materielle bürgerliche Recht wurde überwunden; das bürgerliche Gesetzbuch ist aber noch im Werden, während Strafgesetz, Straf- und
Zivilprozeß, Handelsrecht, Konkursordnung und Gerichtsverfassung einheitlich geregelt sind. Die Beseitigung der buntscheckigen kleinstaatlichen formellen und materiellen Rechtsnormen war an sich schon ein dringendes Bedürfnis der fortschreitenden bürgerlichen Entwicklung, und in dieser Beseitigung besteht auch das Hauptverdienst der neuen Gesetze - weit weniger in ihrem Inhalt. Der englische Jurist fußt auf einer Rechtsgeschichte, die ein gut Stück altgermanischer Freiheit über das Mittelalter hinaus gerettet hat, die den in beiden Revolutionen des 17. Jahrhunderts im Keim erstickten Polizeistaat nicht kennt und in zwei Jahrhunderten stetiger Entwicklung der bürgerlichen Freiheit gipfelt. Der französische Jurist fußt auf der großen Revolution, die nach totaler Vernichtung des Feudalismus und der absolutistischen Polizeiwillkür die ökonomischen Lebensbedingungen der neuhergestellten modernen Gesellschaft in die Sprache juristischer Rechtsnormen übersetzte in ihrem klassischen, von Napoleon proklamierten Gesetzbuch. Dagegen, was ist die historische Unterlage unsrer deutschen Juristen? Nichts als der jahrhundertlange passive, meist durch Schläge von außen vorangetriebne, bis heute noch nicht vollendete Zersetzungsprozeß der Reste des Mittelalters; eine ökonomisch zurückgebliebne Gesellschaft, worin der Feudaljunker und der Zunftmeister als Gespenster umgehn und einen neuen Leib suchen; ein Rechtszustand, in welchen diePolizeiwillkürwenn auch die fürstliche Kabinettsjustiz 1848 verschwunden - noch täglich Loch an Loch reißt. Aus dieser schlechtesten aller schlechten Schulen sind sie hervorgegangen, die Väter der neuen Reichsgesetzbücher, und die Arbeit ist eben danach. Von der rein juristischen Seite abgesehn, kommt die politische Freiheit in diesen Gesetzbüchern schlecht genug weg. Wenn die Schöffengerichte14501 der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum ein Mittel an die Hand geben, bei der Niederhaltung der Arbeiterklasse mitzuwirken, so deckt sich der Staat doch möglichst gegen die Gefahr einer erneuerten bürgerlichen Opposition durch die Beschränkung der Geschwornengerichte. Die politischen Paragraphen des Strafgesetzbuchs sind oft genug von einer Unbestimmtheit und Dehnbarkeit, als wären sie auf das jetzige Reichsgericht, und dieses auf sie, zugeschnitten. Daß die neuen Gesetzbücher ein Fortschritt sind gegenüber dem preußischen Landrecht14511, ist selbstredend - so etwas Schauerliches wie dies Gesetzbuch bringt heutzutage selbst Stoecker nicht mehr fertig, und wenn er sich auch beschneiden ließe. Aber die Provinzen, die bisher das französische Recht gehabt, empfinden den Unterschied der verwaschenen Kopie und des klassischen Originals nur zu sehr. Es war der Abfall der Nationalliberalen von ihrem Programm, der
diese Stärkung der Staatsgewalt auf Kosten der bürgerlichen Freiheit, diesen ersten positiven Rückschritt, möglich machte. Zu erwähnen ist noch das Reichspreßgesetz. Das Strafgesetzbuch hatte das hier in Frage kommende materielle Recht schon im wesentlichen geregelt; die Herstellung gleicher formeller Bestimmungen für das ganze Reich und die Beseitigung der hier und da noch bestehenden Kautionen und Stempel machten also den Hauptinhalt dieses Gesetzes aus und zugleich den einzigen dadurch bewirkten Fortschritt. Damit Preußen sich abermals als Musterstaat bewähre, Wurde dort die sogenannte Selbstverwaltung eingeführt. Es handelte sich darum, die anstößigsten Reste des Feudalismus zu beseitigen und doch, der Sache nach, möglichst alles beim alten zu lassen. Dazu diente die Kreisordnung. Die gutsherrliche Polizeigewalt der Herren Junker war ein Anachronismus geworden. Sie wurde dem Namen nach - als Feudalprivilegium - aufgehoben und der Sache nach wiederhergestellt, indem mein selbständige Gutsbezirke schuf, innerhalb deren der Gutsbesitzer entweder selbst Gutsvorsteher mit den Befugnissen eines ländlichen Gemeindevorstehers ist oder doch diesen Gutsvorsteher ernennt, und indem man zudem die gesamte Polizeigewalt und polizeiliche Gerichtsbarkeit eines Amtsbezirks einem Amtsvorsteher übertrug, der auf dem Lande natürlich fast ausnahmslos ein großer Grundbesitzer war und dadurch auch die Landgemeinden unter seine Fuchtel bekam. Das Feudalvorrecht des einzelnen wurde weggenommen, aber die damit verbundne Machtvollkommenheit wurde der ganzen Klasse gegeben. Durch einen ähnlichen Eskamotierungsprozeß verwandelten sich die englischen Großgrundbesitzer in Friedensrichter und Herren der ländlichen Verwaltung, Polizei und niedern Gerichtsbarkeit und sicherten sich so unter neuem, modernisiertem Titel den Fortgenuß aller wesentlichen, aber in der alten feudalen Form nicht mehr haltbaren Machtposten. Das ist aber auch die einzige Ähnlichkeit zwischen der englischen und der deutschen „Selbstverwaltung". Ich möchte den englischen Minister sehn, der es wagte, im Parlament anzutragen auf die Bestätigung der gewählten Gemeindebeamten und den Ersatz durch staatlich aufgezwungne Stellvertreter im Fall renitenter Wahlen, auf die Einführung von Staatsbeamten mit den Machtbefugnissen der preußischen Landräte, Bezirksregierungen und Oberpräsidenten, auf die in der Kreisordnung vorbehaltne Einmischung der Staatsverwaltung in die innern Angelegenheiten der Gemeinden, Ämter und Kreise, und nun gar auf die in Ländern englischer Zunge und englischen Rechts unerhörte Abschneidung des Rechtswegs, wie sie fast auf jeder Seite der Kreisordnung zu finden ist. Und während sowohl die Kreistage wie die
Provinziallandtage noch immer in altfeudaler Weise zusammengesetzt sind aus Vertretern der drei Stände: Großgrundbesitzer, Städte und Landgemeinden, bringt in England selbst ein hochkonservatives Ministerium eine Bill ein, die die gesamte Grafschaftsverwaltung an Behörden überträgt, gewählt nach fast allgemeinem Stimmrecht[452). Die Vorlage der Kreisordnung für die sechs östlichen Provinzen (1871) war das erste Anzeichen, daß Bismarck nicht daran denke, Preußen in Deutschland aufgehn zu lassen, sondern im Gegenteil die feste Burg des Altpreußentums, eben diese sechs Ostprovinzen, noch mehr zu befestigen. Unter verändertem Namen behielten die Junker alle wesentlichen Machtpositionen, blieben die Heloten Deutschlands, die ländlichen Arbeiter jener Landstriche - Gesinde wie Taglöhner -, in ihrer bisherigen tatsächlichen Leibeigenschaft, zugelassen nur zu zwei öffentlichen Funktionen: Soldat zu werden und den Junkern bei den Reichstagswahlen als Stimmvieh zu die* nen. Der Dienst, den Bismarck hierdurch der revolutionären sozialistischen Partei geleistet hat, ist unbeschreiblich und alles Dankes wert. Was soll man aber sagen zu der Stupidität der Herren Junker, die gegen diese einzig in ihrem Interesse, im Interesse der längeren Erhaltung ihrer Feudalvorrechte, nur unter etwas modernisiertem Namen, ausgearbeitete Kreisordnung mit Händen und Füßen strampelten, wie es verzognen Kindern zukam? Das preußische Herren- oder vielmehr Junkerhaus verwarf zuerst die um ein volles Jahr verschleppte Vorlage und nahm sie erst an, nachdem ein Pairsschub von 24 neuen „Herren" erfolgt war. Die preußischen Junker erwiesen sich damit abermals als kleinliche, verstockte, rettungslose Reaktionäre, unfähig, den Kern einer selbständigen großen Partei mit geschichtlichem Beruf im Leben der Nation zu bilden, wie die englischen Großgrundbesitzer dies in Wirklichkeit tun. Ihren totalen Mangel an Verstand hatten sie damit festgestellt; Bismarck hatte nur noch ihren ebenso totalen Mangel an Charakter vor aller Welt klarzulegen, und ein wenig sachgemäß angewandter Druck verwandelte sie in eine Partei Bismarck sans phrase. Dazu sollte der Kulturkampf[402] dienen. Die Durchführung des preußisch-deutschen Kaiserplans mußte zum Gegenschlag haben die Vereinigung aller auf früherer Sonderentwicklung beruhenden antipreußischen Elemente zu einer Partei. Ein gemeinsames Banner fanden diese buntfarbigen Elemente im Ultramontanismus1453'. Die Rebellion des gesunden Menschenverstands, selbst bei zahllosen orthodoxen Katholiken, gegen das neue Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit einerseits, die Vernichtung des Kirchenstaats und die sogenannte
Gefangenschaft desPapsts in Rom14541 andrerseits zwangen zueinemengeren Zusammenschluß aller streitbaren Kräfte des Katholizismus. So bildete sich schon während des Kriegs - Herbst 1870 - im preußischen Landtag die spezifisch katholische Partei des Zentrums; sie trat in den ersten deutschen Reichstag 1871 mit nur 57 Mann ein, verstärkte sich aber bei jeder Neuwahl, bis sie über 100 kam. Sie war aus sehr verschiedenartigen Elementen zusammengesetzt. In Preußen lag ihre Hauptstärke in den rheinischen Kleinbauern, die sich noch immer als „Mußpreußen" ansahn, weiterhin in den katholischen Großgrundbesitzern und Bauern der westfälischen Bistümer Münster und Paderborn und in den katholischen Schlesiern. Das zweite große Kontingent lieferten die süddeutschen Katholiken, namentlich die Bayern. Die Macht des Zentrums aber lag weit weniger in der katholischen Religion als darin, daß es die Antipathien der Volksmassen gegen das jetzt die Herrschaft über Deutschland beanspruchende spezifische Preußentum vertrat. Diese Antipathien waren in den katholischen Gegenden besonders lebhaft; daneben liefen Sympathien mit dem jetzt aus Deutschland hinausgeworfnen Ostreich. Im Einklang mit diesen beiden populären Strömungen war das Zentrum entschieden partikularistisch und föderalistisch. Dieser wesentlich antipreußische Charakter des Zentrums wurde von den übrigen kleinen Reichstagsfraktionen, die aus lokalen - nicht wie die Sozialdemokraten aus nationalen und allgemeinen - Gründen antipreußisch waren, sofort erkannt. Nicht nur die katholischen Polen und Elsässer, sondern selbst die protestantischen Weifen14551 schlössen sich als Bundesgenossen eng ans Zentrum an. Und obwohl die bürgerlich-liberalen Fraktionen sich nie über den wirklichen Charakter der sog. Ultramontanen klarwurden, verrieten sie doch eine Ahnung vom richtigen Sachverhalt, wenn sie das Zentrum „vaterlandslos" und „reichsfeindlich" titulierten ...1
1 Hier bricht die Handschrift ab
[Entwurf des Vorworts zur Broschüre „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte"]
Die unten folgende Schrift ist ein Sonderabdruck aus meiner Arbeit: „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft" und umfaßt drei Kapitel, die dort den Titel „Gewaltstheorie"1 führen. Sie sind schon früher in russischer Übersetzung besonders erschienen, und zwar als Anhang zur russischen Ausgabe meiner „Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft". In der vorliegenden Ausgabe sind nur die notwendigsten Änderungen und Zusätze gemacht. Aber der Sonderabdruck erfordert einen besondern Zusatz. Wenn ich in deutscher Sprache eine Broschüre herausgebe über „die Rolle der Gewalt in der Geschichte ", so hat der deutsche Leser das Recht, von mir zu verlangen, daß ich meine Ansicht nicht verhehle über die sehr bedeutende Rolle, die die Gewalt in den letzten dreißig Jahren grade in seiner eignen Geschichte gespielt hat. Darum habe ich noch einen vierten Abschnitt angehängt, der natürlich nur die Hauptgesichtspunkte enthält. Vielleicht wird es mir später einmal vergönnt, diesen Gegenstand ausführlicher zu behandeln.
Geschrieben zwischen Ende Dezember 1887 und März 1888. Nach der Handschrift.
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[Gliederung des vierten Kapitels der Broschüre „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte"]
1. 1848 Postulat der Nationalstaaten. Italien, Deutschland, Polen, Ungarn. 2. Bonapartes aufgeklärte Eroberungspolitik: Nation gegen Kompensation. Italien. 3. Hiergegen Armeereorganisation. Konflikt. Bismarck. Politik nicht original. 4. Lage in Deutschland. Einheit: 1. durch Revolution, 2. durch Österreich, 3. durch Preußen (Zollverein). 5. Krieg 1864 und 1866. Revolutionäre Mittel. 6. Bismarcks beste Zeit - bis 1870. 7. Französischer Krieg.* Kaisertum. Annexion von Elsaß-Lothringen. Rußland Schiedsrichter. 8. Bismarck am Ende - wird reaktionär, blödsinnig. Kulturkampf (Zivilehe). Schutzzoll und Agrarierallianz mit Bourgeois. Kolonialschwindel. Bismarckbeleidigung - Sozialistengesetz'4561. - Koalitionsunterdrückung. Sozialreform. - Militarismus wegen Elsaß-Annexion. - Der Junker tritt in den Vordergrund, aus Mangel andrer Ideen.
Geschrieben zwischen Ende Dezember 1887 und März 1888. Nach der Handschrift.
* I.Kriegführung. Kontribution, Franktireurs,Pendüle, Arschprügel. Die Härte der Junkerrache von oben herab. — 2. Sturz des Kaiserreichs. - 3. Hut ab vor Parisl4. Milliarden und Elsaß-Lothringen.
[Gliederung des Schlußteils des vierten Kapitels der Broschüre „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte"]
I. 3 Klassen: zwei lausig, davon eine am Verkommen, die andere am Aufkommen, und Arbeiter, die nur bürgerliches fair play1 wollen. Lavieren also nur zwischen den zwei letzteren richtig - aber nein! Politik: Die Staatsgewalt überhaupt zu stärken und namentlich pekuniär unabhängig zu machen (Eisenbahnverstaatlichung, Monopole), Polizeistaat und landrechtliche Justizprinzipien. „Liberal" und „National", die Doppelnatur von 1848, geht durch auch in Deutschland 1870-1888. Bismarck mußte sich auf den Reichstag und das Volk stützen, und dazu war volle Preß-, Rede-, Vereins- und Versammlungsfreiheit nötig, schon zur Orientierung. II. 1. Ausbau a) ökonomisch - schon schlechtes Münzgesetz Hauptsache, b) Politisch - Wiederherstellung des Polizeistaats und antibürgerliche Justizgesetze (1876), schlechte Kopie der französischen.Landrechtliche Unbestimmtheit. Das Reichsgericht die Vollendung. 1879. 2. Ideenmangel be- a) Kulturkampf. Der katholische Pfaff kein wiesen durch Spielerei Gendarm und Polizist. Jubel der Bourgeoiund Bismarckbeleidigung, sie - Hoffnungslosigkeit - Gang nach Canossa14571. Einzig rationelles Resultat: die Zivilehe! Partei Bismarcks sans phrase.
1 ehrliches, einwandfreies Spiel
Gliederung des Schlußteils des 4. Kapitels von „Die Rolle der Gewalt" 465
3. Schwindel und Krach. Seine Beteiligung. Lausigkeit der konservativen Junker, die ebenso ehrlos wie die Bourgeois. 4. Vollständiger Umschwung [Bismarcks] zum Junker. a) Schutzzoll usw. Koalition von Bourgeois und Junker, Löwenanteil für diese. b) Versuche des Tabakmonopols 1882 verworfen. c) Kolonialschwindel. 5. Soziale Politik h a) Sozialistengesetz und Niedertretung der la Bonaparte. Arbeitervereine und -kassen. b) Sozialreformscheiße. III. 6. Äußere Politik. Kriegsgefahr, Wirkung der Annexionen. Steigerung der Armee. Septennate'458'. Als die Zeit erfüllet, Rückgang auf die Jahrgänge von vor 1870, um die Überlegenheit noch ein paar Jahre zu wahren. IV. Resultat: a) Ein innerer Zustand, der mit dem Tod der paar Leute1 zusammenbricht: kein Kaiserreich ohne Kaiser! Das Proletariat zur Revolution gedrängt, eine Expansion der Sozialdemokratie bei Aufhebung des Sozialistengesetzes, wie noch nie, - das Chaos, b) Ein Friede, schlimmer als Krieg, das Resultat des Ganzen - im besten Fall; oder aber ein Weltkrieg.
Geschrieben zwischen Ende Dezember 1887 und März 1888. Nach der Handschrift.
1 Bismarck und Kaiser Wilhelm I.
30 Marx/Engels, Werke, Bd. 21
[Aus den Reiseeindrücken über Amerika*4591]
Wir stellen uns in der Regel Amerika als eine neue Welt vor - neu nicht nur nach der Zeit ihrer Entdeckung, sondern auch in allen ihren Einrichtungen, weit voraus vor uns altfränkischen schlafmützigen Europäern durch Verachtung alles Ererbten und Altherkömmlichen, eine Welt, von Grund aus neu aufgebaut auf jungfräulichen Boden, durch moderne Menschen allein nach modernen, praktischen, rationellen Grundsätzen. Und die Amerikaner tun das ihrige, uns in dieser Meinung zu bestärken. Sie sehn mit Verachtung herab auf uns als bedenksame, in allerlei überkommnen Vorurteilen befangne, unpraktische Leute, die vor allem Neuen Angst haben, während sie, die am meisten voranstürmende Nation (the most go-ahead nation) jeden neuen Verbesserungsvorschlag einfach auf seinen praktischen Nutzen prüfen und, wenn einmal als gut erkannt, sofort und fast über Nacht einführen. In Amerika sollte aber alles neu, alles rationell, alles praktisch, also alles anders sein als bei uns. Auf dem Dampfer „City of Berlin" kam ich zum ersten Mal mit einer größeren Zahl Amerikaner zusammen. Es waren meist recht nette Leute, Herren und Damen, leichter zugänglich als Engländer, manchmal etwas gradeaus in der Sprache, sonst aber ziemlich wie die besser gekleideten Leute anderswo auch. Was sie allenfalls unterschied, war ein eigentümlich kleinbürgerlicher Habitus - nicht der des zaghaften, unsichern deutschen Kleinbürgers, auch nicht der des englischen; ein Habitus, der eben durch die große Sicherheit, mit der er sich gab, als ob es sich ganz von selbst verstände, sich als eine ererbte Eigenschaft kundgab. Die jüngeren Damen besonders machten den Eindruck einer gewissen Naivetät, wie man sie in Europa nur in kleineren Städten findet; wenn sie zu zweien Arm in Arm oder am Arm eines Manns resolut und fast heftig über das Deck dahinstürmten, hatten sie ganz denselben hüpfenden Gang und hielten ihre vom Wind bedrohten Röckchen mit demselben sittsamen Griff zusammen wie
auch bei uns die Unschuld vom Lande. Sie erinnerten mich zumeist an Schwedinnen - sie waren auch groß und robust wie diese - und ich erwartete jeden Augenblick, sie würden knixen, wie die Schwedinnen tun. Von der körperlichen und geistigen Ungelenkigkeit, die das allgemeine Erbteil der germanischen Race ist, hatten meine amerikanischen Reisegefährten ebenfalls ihr Teil überkommen und keineswegs überwunden. Kurz, mein erster Eindruck von den Amerikanern war keineswegs der der nationalen Überlegenheit über die Europäer, keineswegs der eines ganz neuen, jungen Nationaltypus, sondern im Gegenteil der, daß sie Leute waren, die noch an ererbten kleinbürgerlichen Gewohnheiten festhielten, die in Europa für veraltet gelten, daß wir Europäer in dieser Beziehung ihnen gegenüberstehn wie die Pariser den Provinzialen. Als ich in New York in mein erstes Schlafzimmer trat, was fand ich? Möbel der altfränkischsten Form, die man sich denken kann, Kommoden mit messingnen Ringen oder Bügeln als Griffe an den Schubladen, wie sie anfangs dieses Jahrhunderts Mode waren und in Europa nur noch auf dem Lande vorkommen; daneben neuere Formen nach englischem oder französischem Muster, aber auch diese schon bejahrt genug und meist am unrechten Platz; nichts Neues, seitdem der kolossale Schaukelstuhl, der einen Bogen von 240 Grad beschrieb, wieder außer Mode gekommen. Und so überall, die Stühle, Tische und Schränke sehn meist wie Erbstücke vergangener Geschlechter aus. Die Karren auf den New-Yorker Straßen haben ein so veraltetes Aussehn, daß man auf den ersten Blick meint, kein europäischer Bauerhof habe noch ein solches Modell eines Leiterwagens aufzuweisen. Bei näherer Betrachtung findet man zwar, daß diese Karren sehr verbessert, sehr zweckmäßig eingerichtet, mit vortrefflichen Springfedern versehn und von sehr starkem Holz äußerst leicht gebaut sind, aber bei allen diesen Verbesserungen blieb das altmodische Modell unangetastet. In London gab es noch im Anfang der 40er Jahre Droschken, wo die Leute hinten einstiegen und rechts und links, wie im Omnibus, einander gegenüber saßen; seit 1850 sind sie verschwunden; in Boston dagegen, meines Wissens der einzigen amerikanischen Stadt, wo Droschken in wirklichem Gebrauch sind, florieren diese Rumpelkasten noch heute. Die amerikanischen Gasthöfe von heute, mit ihrer luxuriösen Einrichtung und ihren Hunderten von Zimmern, zeigen in ihrem ganzen american plan1, daß sie herausgewachsen sind aus dem abgelegnen Bauerhof in dünnbevölkerter Gegend, der noch heute gelegentlich dem Reisenden Obdach und Nahrung gegen Vergütung
1 amerikanischen Profil
spendet - ich komme darauf zurück -, und weisen daher Eigentümlichkeiten auf, die uns nicht nur sonderbar, sondern gradezu altfränkisch vorkommen. Und so weiter. Wer aber den Genuß einer Reise haben will, wie man sie in Europa zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs machen mußte, der gehe in eine amerikanische Gebirgsgegend ans Ende der letzten Eisenbahn und fahre mit der Landkutsche weiter hinaus in die Wildnis. Unser vier haben eine solche Tour in den Adirondacks gemacht und selten so gelacht wie auf dem Dach jener Kutsche. Ein alter Rumpelkasten, gegen den die berühmten preußischen Beiwagen von Olims Zeit noch Prachtwagen sind, von einem unbeschreiblichen Modell, mit Sitzen - sie sind danach - für sechs bis neun Personen oben auf Dach und Bock, das war das Gefährt. Und nun die Straße - ich bitte um Entschuldigung, es war keine Straße, auch einen Weg kann man's kaum nennen; zwei tief ausgefahrne Geleise in sandigem Lehm, bergauf, bergab .. .-1
Geschrieben Ende September 1888. Nach der Handschrift.
1 Hier bricht die Handschrift ab
Beilagen
Verzeichnis der Beilagen
A. Friedrich Engels: Vorwort zum „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (vierte Auflage 1891)
B. Aufzeichnungen und Dokumente (September 1883 — Juni 1889)
A. Friedrich Engels: Vorwort zum „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (vierte Auflage 1891)

Vorwort zum „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (vierte Auflage 1891)
Die früheren starken Auflagen dieser Schrift sind seit fast einem halben Jahr vergriffen, und der Verleger1 hat schon seit längerer Zeit die Besorgung einer neuen Auflage von mir gewünscht. Dringendere Arbeiten hielten mich bis jetzt davon ab. Seit dem Erscheinen der ersten Auflage sind sieben Jahre verflossen, in denen die Kenntnis der ursprünglichen Familienformen bedeutende Fortschritte gemacht hat. Es war hier also die nachbessernde und ergänzende Hand fleißig anzuwenden; und zwar um so mehr, als die beabsichtigte Stereotypierung des gegenwärtigen Textes mir fernere Änderungen für einige Zeit unmöglich machen wird2. Ich habe also den ganzen Text einer sorgfältigen Durchsicht unterworfen und eine Reihe von Zusätzen gemacht, wodurch, wie ich hoffe, der heutige Stand der Wissenschaft gebührende Berücksichtigung gefunden hat. Ferner gebe ich im weitren Verlauf dieses Vorworts eine kurze Übersicht über die Entwicklung der Geschichte der Familie von Bachofen bis Morgan; und zwar hauptsächlich deswegen, weil die englische chauvinistisch angehauchte prähistorische Schule noch fortwährend ihr möglichstes tut, die durch Morgans Entdeckungen vollzogne Umwälzung der urgeschichtlichen Anschauungen totzuschweigen, wobei sie jedoch in der Aneignung von Morgans Resultaten sich keineswegs geniert. Auch anderwärts wird diesem englischen Beispiel stellenweise nur zu sehr gefolgt. Meine Arbeit hat verschiedne Übertragungen in fremde Sprachen erfahren. Zuerst italienisch: „L'origine della famiglia, della proprietä privata e dello stato". Versione reveduta dall' autore, di Pasquale Martignetti. Benevento 1885. Dann rumänisch: „Originä familiei, proprietä, ei private $i a statului". Traducere de Joan Nädejde, in der Jassyer Zeitschrift „Contemporanul", September 1885 bis Mai 1886. Ferner dänisch: „Familjens, Privatejendommens og Statens Oprindelse". Dansk af Forfatteren gennem
1 J.H.W.Dietz -2in der „Neuen Zeit" lautet der letzte Teil des Satzes: „als die neue Auflage die heute in der deutschen sozialistischen Literatur übliche, in andren deutschen Büchergebieten noch immer sehr seltne Stärke erhalten soll"
gaaet Udgave, bes0rget af Gerson Trier. Kobenhavn 1888. Eine französische Übersetzung von Henri Rav6, der die gegenwärtige deutsche Ausgabe zugrunde liegt, ist unter der Presse.
Bis zum Anfang der sechziger Jahre kann von einer Geschichte der Familie nicht die Rede sein. Die historische Wissenschaft stand auf diesem Gebiet noch ganz unter dem Einflüsse der fünf Bücher Mosis. Die darin ausführlicher als anderswo geschilderte patriarchalische Familienform wurde nicht nur ohne weiteres als die älteste angenommen, sondern auch nach Abzug der Vielweiberei - mit der heutigen bürgerlichen Familie identifiziert, so daß eigentlich die Familie überhaupt keine geschichtliche Entwicklung durchgemacht hatte; höchstens gab man zu, daß in der Urzeit eine Periode geschlechtlicher Regellosigkeit bestanden haben könne. - Allerdings kannte man außer der Einzelehe auch die orientalische Vielweiberei und die indisch-tibetanische Vielmännerei; aber diese drei Formen ließen sich nicht in eine historische Reihenfolge ordnen und figurierten zusammenhangslos nebeneinander. Daß bei einzelnen Völkern der alten Geschichte sowie bei einigen noch existierenden Wilden die Abstammung nicht vom Vater, sondern von der Mutter gerechnet, also die weibliche Linie als die allein gültige angesehn wurde; daß bei vielen heutigen Völkern die Ehe innerhalb bestimmter größerer, damals nicht näher untersuchter Gruppen verboten ist und daß diese Sitte sich in allen Weltteilen findet - diese Tatsachen waren zwar bekannt, und es wurden immer mehr Beispiele davon gesammelt. Aber man wußte nichts damit anzufangen, und selbst noch in E.B.Tylors „Researches into the Early History of Mankind etc. etc." (1865) figurieren sie als bloße „sonderbare Gebräuche" neben dem bei einigen Wilden geltenden Verbot, brennendes Holz mit einem Eisenwerkzeug zu berühren, und ähnlichen religiösen Schnurrpfeifereien. Die Geschichte der Familie datiert von 1861, vom Erscheinen von Bachofens „Mutterrecht". Hier stellt der Verfasser die folgenden Behauptungen auf: 1. daß die Menschen im Anfang in schrankenlosem Geschlechtsverkehr gelebt, den er, mit einem schiefen Ausdruck, als Hetärismus bezeichnet; 2. daß ein solcher Verkehr jede sichere Vaterschaft ausschließt, daß daher die Abstammung nur in der weiblichen Linie - nach Mutterrecht - gerechnet werden konnte und daß dies ursprünglich bei allen Völkern des Altertums der Fall war; 3. daß infolge hiervon den Frauen, als den Müttern, den einzigen sicher bekannten Eltern der jüngern Generation, ein hoher Grad von Achtung und Ansehn gezollt wurde, der sich nach Bachofens Vorstellung zu einer vollständigen Weiberherrschaft (Gynaikokratie) steigerte; 4. daß der Übergang zur Einzelehe, wo die Frau einem Mann ausschließlich gehörte, eine Verletzung eines uralten Religionsgebots in sich schloß (d.h. tatsäch
lieh eine Verletzung des altherkömmlichen Anrechts der übrigen Männer auf dieselbe Frau), eine Verletzung, die gebüßt oder deren Duldung erkauft werden mußte durch eine zeitlich beschränkte Preisgebung der Frau. Die Beweise für diese Sätze findet Bachofen in zahllosen, mit äußerstem Fleiß zusammengesuchten Stellen der altklassischen Literatur. Die Entwicklung vom „Hetärismus" zur Monogamie und vom Mutterrecht zum Vaterrecht vollzieht sich nach ihm, namentlich bei den Griechen, infolge einer Fortentwicklung der religiösen Vorstellungen, einer Einschiebung neuer Gottheiten, Repräsentanten der neuen Anschauungsweise, in die altüberlieferte Göttergruppe, die Vertreterin der alten Anschauung, so daß die letztere mehr und mehr von der ersteren in den Hintergrund gedrängt wird. Es ist also nicht die Entwicklung der tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen, sondern der religiöse Widerschein dieser Lebensbedingungen in den Köpfen derselben Menschen, der nach Bachofen die geschichtlichen Veränderungen in der gegenseitigen gesellschaftlichen Stellung von _Mann und Weib bewirkt hat. Hiernach stellt Bachofen die „Oresteia" des Äschylos dar als die dramatische Schilderung des Kampfes zwischen dem untergehenden Mutterrecht und dem in der Heroenzeit aufkommenden und siegenden Vaterrecht. Klytämnestra hat, um ihres Buhlen Aigisthos willen, ihren vom Trojanerkrieg heimkehrenden Gatten Agamemnon erschlagen; aber ihr und Agamemnons Sohn Orestes rächt den Mord des Vaters, indem er seine Mutter erschlägt. Dafür verfolgen ihn die Erinnyen, die dämonischen Schützerinnen des Mutterrechts, wonach der Muttermord das schwerste, unsühnbarste Verbrechen. Aber Apollo, der den Orestes durch sein Orakel zu dieser Tat aufgefordert, und Athene, die als Richterin aufgerufen wird - die beiden Götter, die hier die neue, vaterrechtliche Ordnung vertreten -, schützen ihn; Athene hört beide Parteien an. Die ganze Streitfrage faßt sich kurz zusammen in der nun stattfindenden Debatte zwischen Orestes und den Erinnyen. Orest beruft sich darauf, daß Klytämnestra einen doppelten Frevel begangen: indem sie ihren Gatten und damit auch seinen Vater getötet. Warum denn verfolgten die Erinnyen ihn und nicht sie, die weit Schuldigere? Die Antwort ist schlagend:
„Sie war dem Mann, den sie erschlug, nicht blutsverwandt." Der Mord eines nicht blutsverwandten Mannes, selbst wenn er der Gatte der Mörderin, ist sühnbar, geht die Erinnyen nichts an; ihres Amtes ist nur die Verfolgung des Mords unter Blutsverwandten, und da ist, nach Mutterrecht, der schwerste und unsühnbarste der Muttermord. Nun tritt Apollo für Orestes als Verteidiger auf; Athene läßt die Areopagiten - die athenischen Gerichtsschöffen r abstimmen; die Stimmen sind gleich für Freisprechung und Verurteilung; da gibt Athene als Vorsitzerin ihre Stimme für Orestes ab und spricht ihn frei. Das Vaterrecht hat den Sieg errungen über das Mutterrecht, die „Götter jungen Stamms", wie sie von den
Erinnyen selbst bezeichnet werden, siegen über die Erinnyen, und diese lassen sich schließlich auch bereden, im Dienst der neuen Ordnung ein neues Amt zu übernehmen. Diese neue, aber entschieden richtige Deutung der „Oresteia" ist eine der schönsten und besten Stellen im ganzen Buch, aber sie beweist gleichzeitig, daß Bachofen mindestens ebensosehr an die Erinnyen, Apollo und Athene glaubt, wie seinerzeit Äschylos; er glaubt eben, daß sie in der griechischen Heroenzeit das Wunder vollbrachten, das Mutterrecht zu stürzen durch das Vaterrecht. Daß eine solche Auffassung, wo die Religion als der entscheidende Hebel der Weltgeschichte gilt, schließlich auf reinen Mystizismus hinauslaufen muß, ist klar. Es ist daher eine saure und keineswegs immer lohnende Arbeit, sich durch den dicken Quartanten Bachofens durchzuarbeiten. Aber alles das schmälert nicht sein bahnbrechendes Verdienst; er, zuerst, hat die Phrase von einem unbekannten Urzustand mit regellosem Geschlechtsverkehr ersetzt durch den Nachweis, daß die altklassische Literatur uns Spuren in Menge aufzeigt, wonach vor der Einzelehe in der Tat bei Griechen und Asiaten ein Zustand existiert hat, worin nicht nur ein Mann mit mehreren Frauen, sondern eine Frau mit mehreren Männern geschlechtlich verkehrte, ohne gegen die Sitte zu verstoßen; daß diese Sitte nicht verschwand, ohne Spuren zu hinterlassen in einer beschränkten Preisgebung, wodurch die Frauen das Recht auf Einzelehe erkaufen mußten; daß daher die Abstammung ursprünglich nur in weiblicher Linie, von Mutter zu Mutter gerechnet werden konnte; daß diese Alleingültigkeit der weiblichen Linie sich noch lange in die Zeit der Einzelehe mit gesicherter oder doch anerkannter Vaterschaft hinein erhalten hat; und daß diese ursprüngliche Stellung der Mütter, als der einzigen sichern Eltern ihrer Kinder, ihnen und damit den Frauen überhaupt eine höhere gesellschaftliche Stellung sicherte, als sie seitdem je wieder besessen haben. Diese Sätze hat Bachofen zwar nicht in dieser Klarheit ausgesprochen - das verhinderte seine mystische Anschauung. Aber er hat sie bewiesen, und das bedeutete 1861 eine vollständige Revolution. Bachofens dicker Quartant war deutsch geschrieben, d.h. in der Sprache der Nation, die sich damals am wenigsten für die Vorgeschichte der heutigen Familie interessierte. Er blieb daher unbekannt. Sein nächster Nachfolger auf demselben Gebiet trat 1865 auf, ohne von Bachofen je gehört zu haben. Dieser Nachfolger war J.F.McLennan, das grade Gegenteil seines Vorgängers. Statt des genialen Mystikers haben wir hier den ausgetrockneten Juristen; statt der überwuchernden dichterischen Phantasie die plausiblen Kombinationen des plädierenden Advokaten. McLennan findet bei vielen wilden, barbarischen und selbst zivilisierten Völkern alter und neuer Zeit eine Form der Eheschließung, bei der der Bräutigam, allein oder mit seinen Freunden, die Braut ihren Verwandten scheinbar gewaltsam rauben muß.
Diese Sitte muß das Überbleibsel sein einer früheren Sitte, worin die Männer eines Stammes sich ihre Frauen auswärts, von anderen Stämmen, wirklich mit Gewalt raubten. Wie entstand nun diese „Raubehe"? Solange die Männer hinreichend Frauen im eignen Stamm finden konnten, war durchaus kein Anlaß dazu vorhanden. Nun finden wir aber ebenso häufig, daß bei unentwickelten Völkern gewisse Gruppen existieren (die um 1865 noch häufig mit den Stämmen selbst identifiziert wurden), innerhalb deren die Heirat verboten war, so daß die Männer ihre Frauen und die Frauen ihre Männer außerhalb der Gruppe zu nehmen genötigt sind, während bei andern die Sitte besteht, daß die Männer einer gewissen Gruppe genötigt sind, ihre Frauen nur innerhalb ihrer eignen Gruppe zu nehmen. McLennan nennt die ersteren exogam, die zweiten endogam und konstruiert nun ohne weiteres einen starren Gegensatz zwischen exogamen und endogamen „Stämmen". Und obwohl seine eigne Untersuchung der Exogamie ihn mit der Nase darauf stößt, daß dieser Gegensatz in vielen, wo nicht den meisten oder gar allen Fällen nur in seiner Vorstellung besteht, so macht er ihn doch zur Grundlage seiner gesamten Theorie. Exogame Stämme können hiernach ihre Frauen nur von andern Stämmen beziehen; und bei dem der Wildheit entsprechenden permanenten Kriegszustand zwischen Stamm und Stamm habe dies nur geschehen können durch Raub. McLennan fragt nun weiter: Woher diese Sitte der Exogamie? Die Vorstellung der Blutsverwandtschaft und Blutschande könne nichts damit zu tun haben, das seien Dinge, die sich erst viel später entwickelt. Wohl aber die unter Wilden vielverbreitete Sitte, weibliche Kinder gleich nach der Geburt zu töten. Dadurch entstehe ein Überschuß von Männern in jedem einzelnen Stamm, dessen notwendige nächste Folge sei, daß mehrere Männer eine Frau in Gemeinschaft besäßen: Vielmännerei. Die Folge hiervon sei wieder, daß man wußte, wer die Mutter eines Kindes war, nicht aber, wer der Vater, daher: Verwandtschaft gerechnet nur in der weiblichen Linie mit Ausschluß der männlichen - Mutterrecht. Und eine zweite Folge des Mangels an Frauen innerhalb des Stammes - ein Mangel, gemildert, aber nicht beseitigt durch die Vielmännerei - war eben die systematische, gewaltsame Entführung von Frauen fremder Stämme.
„Da Exogamie und Vielmännerei aus einer und derselben Ursache entspringen — dem Mangel der Gleichzahl zwischen beiden Geschlechtern -, müssen wir alle exogamen Racen als ursprünglich der Vielmännerei ergeben ansehn ... Und deshalb müssen wir es für unbestreitbar ansehn, daß unter exogamen Racen das erste Verwandtschaftssystem dasjenige war, welches Blutbande nur auf der Mutterseite kennt." (McLennan, „Studies in Ancient History", 1886. „Primitive Marriage", p. 124.)
Es ist das Verdienst McLennans, auf die allgemeine Verbreitung und große Bedeutung dessen, was er Exogamie nennt, hingewiesen zu haben. Entdeckt hat er die Tatsache der exogamen Gruppen keineswegs, und
verstanden hat er sie erst recht nicht. Von früheren, vereinzelten Notizen bei vielen Beobachtern - eben den Quellen McLennans - abgesehn, hatte Latham („Descriptive Ethnology", 1859) diese Institution bei den indischen Magars genau und richtig beschrieben und gesagt, daß sie allgemein verbreitet sei und in allen Weltteilen vorkomme - eine Stelle, die McLennan selbst anführt. Und unser Morgan hatte sie ebenfalls bereits 1847 in seinen Briefen über die Irokesen (im „American Review") und 1851 in „The League of the Iroquois" bei diesem Volksstamm nachgewiesen und richtig beschrieben, während, wie wir sehn werden, der Advokatenverstand McLennans hier eine weit größere Verwirrung angerichtet hat als Bachofens mystische Phantasie auf dem Gebiet des Mutterrechts. Es ist McLennans ferneres Verdienst, die mutterrechtliche Abstammungsordnung als die ursprüngliche erkannt zu haben, obwohl ihm, wie er später auch anerkennt, Bachofen hier zuvorgekommen war. Aber auch hier ist er nicht im klaren; er spricht stets von „Verwandtschaft nur in weiblicher Linie" (kinship through females only) und wendet diesen für eine frühere Stufe richtigen Ausdruck fortwährend auch auf spätere Entwicklungsstufen an, wo Abstammung und Vererbung zwar noch ausschließlich nach weiblicher Linie gerechnet, aber Verwandtschaft auch nach männlicher Seite anerkannt und ausgedrückt wird. Es ist die Beschränktheit des Juristen, der sich einen festen Rechtsausdruck schafft und diesen unverändert fortanwendet auf Zustände, die ihn inzwischen unanwendbar gemacht. Bei all ihrer Plausibilität, scheint es, kam die Theorie McLennans doch ihrem eignen Verfasser nicht zu fest gegründet vor. Wenigstens fällt ihm selbst auf, es sei „bemerkenswert, daß die Form des" (scheinbaren) „Frauenraubs am ausgeprägtesten und ausdruckvollsten ist grade bei den Völkern, wo männliche Verwandtschaft" (soll heißen Abstammung in männlicher Linie) „herrscht" (S. 140). Und ebenso: „Es ist eine sonderbare Tatsache, daß, soviel wir wissen, der Kindermord nirgendswo systematisch betrieben wird, wo die Exogamie und die älteste Verwandtschaftsform nebeneinander bestehn" (S. 146). Beides Tatsachen, die seiner Erklärungsweise direkt ins Gesicht schlagen, und denen er nur neue, noch verwickeitere Hypothesen entgegenhalten kann. Trotzdem fand seine Theorie in England großen Beifall und Anklang: McLennan galt hier allgemein als Begründer der Geschichte der Familie und als erste Autorität auf diesem Gebiet. Sein Gegensatz von exogamen und endogamen „Stämmen", so sehr man auch einzelne Ausnahmen und Modifikationen konstatierte, blieb doch die anerkannte Grundlage der herrschenden Anschauungsweise und wurde die Scheuklappe, die jeden freien Überblick über das untersuchte Gebiet und damit jeden entschei
denden Fortschritt unmöglich machte. Der in England und nach englischem Vorbild auch anderswo üblich gewordenen Überschätzung McLennans ist es Pflicht, die Tatsache entgegenzuhalten, daß er mit seinem rein mißverständlichen Gegensatz von exogamen und endogamen „Stämmen" mehr Schaden angerichtet, als er durch seine Forschungen genützt hat. Indes kamen schon bald mehr und mehr Tatsachen ans Licht, die in seinen zierlichen Rahmen nicht paßten. McLennan kannte nur drei Formen der Ehe: Vielweiberei, Vielmännerei und Einzelehe. Als aber einmal die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gelenkt, fanden sich mehr und mehr Beweise, daß bei unentwickelten Völkern Eheformen bestanden, worin eine Reihe von Männern eine Reihe von Frauen gemeinsam besaßen; und Lubbock („The origin of Civilisation", 1870) erkannte diese Gruppenehe (Communal marriage) als geschichtliche Tatsache an. Gleich darauf, 1871, trat Morgan mit neuem und in vieler Beziehung entscheidendem Material auf. Er hatte sich überzeugt, daß das bei den Irokesen geltende, eigentümliche Verwandtschaftssystem allen Ureinwohnern der Vereinigten Staaten gemeinsam, also über einen ganzen Kontinent verbreitet sei, obwohl es den Verwandtschaftsgraden, wie sie sich aus dem dort geltenden Ehesystem tatsächlich ergeben, direkt widerspricht. Er bewog nun die amerikanische Bundesregierung, auf Grund von ihm selbst aufgesetzter Fragebogen und Tabellen Auskunft über die Verwandtschaftssysteme der übrigen Völker einzuziehn, und fand aus den Antworten, 1. daß das amerikanisch-indianische Verwandtschaftssystem auch in Asien und in etwas modifizierter Form in Afrika und Australien bei zahlreichen Volksstämmen in Geltung sei, 2. daß es sich vollständig erkläre aus einer in Hawaii und andern australischen Inseln eben im Absterben begriffenen Form der Gruppenehe, und 3. daß aber neben dieser Eheform auf denselben Inseln ein Verwandtschaftssystem in Geltung sei, das sich nur durch eine noch urwüchsigere, jetzt ausgestorbne Form der Gruppenehe erklären lasse. Die gesammelten Nachrichten nebst seinen Schlußfolgerungen daraus veröffentlichte er in seinen „Systems of Consanguinity and Affinity", 1871, und führte damit die Debatte auf ein unendlich umfassenderes Gebiet. Indem er, von den Verwandtschaftssystemen ausgehend, die ihnen entsprechenden Familienformen wiederkonstruierte, eröffnete er einen neuen Forschungsweg und einen weiterreichenden Rückblick in die Vorgeschichte der Menschheit. Erhielt diese Methode Geltung, so war die niedliche Konstruktion McLennans in Dunst aufgelöst. McLennan verteidigte seine Theorie in der Neuauflage von „Primitive Marriage" („Studies in Ancient History", 1876). Während er selbst eine Geschichte der Familie aus lauter Hypothesen äußerst künstlich kombiniert, verlangt er von Lubbock und Morgan nicht nur Beweise für jede ihrer Behauptungen, sondern Beweise von der unanfechtbaren Bündigkeit, wie allein sie in einem schottischen Gerichtshof zugelassen werden. Und das tut
derselbe Mann, der aus dem engen Verhältnis zwischen Mutterbruder und Schwestersohn bei den Deutschen (Tacitus, „Germania", c.20), aus Cäsars Bericht, daß die Briten je zehn oder zwölf ihre Frauen gemeinsam haben, und aus allen anderen Berichten der alten Schriftsteller über Weibergemeinschaft bei Barbaren ohne Zaudern den Schluß zieht, bei allen diesen Völkern habe Vielmännerei geherrscht! Man meint einen Staatsanwalt zu hören, der sich bei Zurechtmachung seines Falls jede Freiheit erlauben kann, der aber vom Verteidiger für jedes Wort den formellsten juristisch gültigen Beweis beansprucht. Die Gruppenehe sei eine pure Einbildung, behauptet er und fällt damit weit hinter Bachofen zurück. Die Verwandtschaftssysteme bei Morgan seien bloße Vorschriften gesellschaftlicher Höflichkeit, bewiesen durch die Tatsache, daß die Indianer auch einen Fremden, Weißen, als Bruder oder Vater einreden. Es ist, als wollte man behaupten, die Bezeichnungen Vater, Mutter, Bruder, Schwester seien bloße sinnlose Anredeformen, weil katholische Geistliche und Äbtissinnen ebenfalls mit Vater und Mutter, Mönche und Nonnen, ja selbst Freimaurer und englische Fachvereinsgenossen in solenner Sitzung als Bruder und Schwester angeredet werden. Kurz, McLennans Verteidigung war elend schwach. Noch aber blieb ein Punkt, wo er nicht gefaßt worden war. Der Gegensatz von exogamen und endogamen „Stämmen", auf dem sein ganzes System beruhte, war nicht nur unerschüttert, er wurde sogar allgemein als Angelpunkt der gesamten Geschichte der Familie anerkannt. Man gab zu, McLennans Versuch, diesen Gegensatz zu erklären, sei ungenügend und widerspreche den von ihm selbst aufgezählten Tatsachen. Aber der Gegensatz selbst, die Existenz zweier einander ausschließender Arten von selbständigen und unabhängigen Stämmen, wovon die eine Art ihre Weiber innerhalb des Stamms nahm, während dies der andern Art absolut verboten war - dies galt als unbestreitbares Evangelium. Man vergleiche z.B. Giraud-Teulons „Origines de la famille" (1874) und selbst noch Lubbocks „Origin of Civilisation" (4. Auf läge, 1882). An diesem Punkt setzt Morgans Hauptwerk an: „ Ancient Society" (1877), das Werk, das der gegenwärtigen Arbeit zugrunde liegt. Was Morgan 1871 nur noch dunkel ahnte, das ist hier mit vollem Bewußtsein entwickelt. Endogamie und Exogamie bilden keinen Gegensatz; exogame „Stämme" sind bis jetzt nirgends nachgewiesen. Aber zur Zeit, wo die Gruppenehe noch herrschte - und sie hat aller Wahrscheinlichkeit nach überall einmal geherrscht -, gliederte sich der Stamm in eine Anzahl von auf Mutterseite blutsverwandten Gruppen, Gentes, innerhalb deren strenges Eheverbot herrschte, so daß die Männer einer Gens ihre Frauen zwar innerhalb des Stammes nehmen konnten und in der Regel nahmen, aber sie außerhalb ihrer Gens nehmen mußten. So daß, wenn die Gens streng exogam, der die Gesamtheit der Gentes umfassende Stamm ebensosehr endogam war.
Damit war der letzte Rest der McLennanschen Künstelei endgültig abgetan. Hiermit aber begnügte sich Morgan nicht. Die Gens der amerikanischen Indianer diente ihm ferner dazu, den zweiten entscheidenden Fortschritt auf dem von ihm untersuchten Gebiet zu machen. In dieser nach Mutterrecht organisierten Gens entdeckte er die Urform, woraus sich die spätere, vaterrechtlich organisierte Gens entwickelt hatte, die Gens, wie wir sie bei den antiken Kulturvölkern finden. Die griechische und römische Gens, allen bisherigen Geschichtsschreibern ein Rätsel, war erklärt aus der indianischen und damit eine neue Grundlage gefunden für die ganze Urgeschichte. Diese Wiederentdeckung der ursprünglichen mutterrechtlichen Gens als der Vorstufe der vaterrechtlichen Gens der Kulturvölker hat für die Urgeschichte dieselbe Bedeutung wie Darwins Entwicklungstheorie für die Biologie und Marx' Mehrwertstheorie für die politische Ökonomie. Sie befähigte Morgan, zum erstenmal eine Geschichte der Familie zu entwerfen, worin wenigstens die klassischen Entwicklungsstufen im ganzen und großen, soweit das heute bekannte Material erlaubt, vorläufig festgestellt sind. Daß hiermit eine neue Epoche der Behandlung der Urgeschichte beginnt, ist vor aller Augen klar. Die mutterrechtliche Gens ist der Angelpunkt geworden, um den sich diese ganze Wissenschaft dreht; seit ihrer Entdeckung weiß man, in welcher Richtung und wonach man zu forschen und wie man das Erforschte zu gruppieren hat. Und dementsprechend werden jetzt auf diesem Gebiet ganz anders rasche Fortschritte gemacht als vor Morgans Buch. Die Entdeckungen Morgans sind jetzt allgemein anerkannt oder vielmehr angeeignet von den Prähistorikern auch in England. Aber fast bei keinem findet sich das offene Zugeständnis, daß es Morgan ist, dem wir diese Revolution der Anschauungen verdanken. In England ist sein Buch soweit wie möglich totgeschwiegen, er selbst mit herablassendem Lob wegen seiner /rüAeren Leistungen abgefertigt worden; an den Einzelheiten seiner Darstellung klaubt man eifrig herum, von seinen wirklich großen Entdekkungen schweigt man hartnäckig. „Ancient Society" ist in der Originalausgabe vergriffen; in Amerika ist für so etwas kein lohnender Absatz; in England wurde das Buch, scheint es, systematisch unterdrückt, und die einzige Ausgabe dieses epochemachenden Werks, die noch im Buchhandel zirkuliert, ist - die deutsche Übersetzung. Woher diese Zurückhaltung, in der es schwer ist, nicht eine Totschweigungs-Verschwörung zu sehen, besonders gegenüber den zahlreichen bloßen Höflichkeitszitaten und andern Beweisen von Kamaraderie, wovon die Schriften unsrer anerkannten Prähistoriker wimmeln? Etwa weil Morgan ein Amerikaner ist und es sehr hart ist für die englischen Prähistoriker, daß sie, trotz alles höchst anerkennenswerten Fleißes im Zusammentragen
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von Material, für die bei der Ordnung und Gruppierung dieses Materials geltenden allgemeinen Gesichtspunkte, kurz für ihre Ideen, angewiesen sind auf zwei geniale Ausländer, auf Bachofen und Morgan? Den Deutschen konnte man sich noch gefallen lassen, aber den Amerikaner? Gegenüber dem Amerikaner wird jeder Engländer patriotisch, wovon ich in den Vereinigten Staaten ergötzliche Beispiele gesehn. Nun kommt aber noch dazu, daß McLennan der sozusagen amtlich ernannte Stifter und Führer der englischen prähistorischen Schule war; daß es gewissermaßen zum prähistorischen guten Ton gehörte, nur mit der höchsten Ehrfurcht von seiner verkünstelten, vom Kindermord durch Vielmännerei und Raubehe zur mutterrechtlichen Familie führenden Geschichtskonstruktion zu reden; daß der geringste Zweifel an der Existenz von einander absolut ausschließenden exogamen und endogamen „Stämmen" für frevelhafte Ketzerei galt; daß also Morgan, indem er alle diese geheiligten Dogmen in Dunst auflöste, eine Art von Sakrileg beging. Und obendrein löste er sie auf in einer Weise, die nur ausgesprochen zu werden brauchte, um sofort einzuleuchten; so daß die bisher zwischen Exogamie und Endogamie ratlos umhertaumelnden McLennan-Verehrer sich fast mit der Faust vor den Kopf schlagen und ausrufen mußten: Wie konnten wir so dumm sein und das nicht schon lange selbst finden! Und wenn das noch nicht der Verbrechen genug waren, um der offiziellen Schule jede andere Behandlung außer kühler Beiseiteschiebung zu verbieten, so machte Morgan das Maß übervoll, indem er nicht nur die Zivilisation, die Gesellschaft der Warenproduktion, die Grundform unserer heutigen Gesellschaft, in einer Weise kritisierte, die an Fourier erinnert, sondern von einer künftigen Umgestaltung dieser Gesellschaft in Worten spricht, die Karl Marx gesagt haben könnte. Es war also wohlverdient, wenn McLennan ihm entrüstet vorwirft, „die historische Methode sei ihm durchaus antipathisch", und wenn Herr Professor Giraud-Teulon in Genf ihm dies noch 1884 bestätigt. Wankte doch derselbe Herr Giraud-Teulon noch 1874 („Origines de la famille") hülflos im Irrgarten der McLennanschen Exogamie herum, aus dem ihn Morgan erst befreien mußte! Auf die übrigen Fortschritte, die die Urgeschichte Morgan verdankt, brauche ich hier nicht einzugehen; im Verlauf meiner Arbeit findet sich das Nötige datüber. Die vierzehn Jahre, die seit dem Erscheinen seines Hauptwerkes verflossen, haben unser Material für die Geschichte der menschlichen Urgesellschaft sehr bereichert; zu den Anthropologen, Reisenden und Prähistorikern von Profession sind die vergleichenden Juristen getreten und haben teils neuen Stoff, teils neue Gesichtspunkte gebracht. Manche Einzelhypothese Morgans ist dadurch schwankend oder selbst hinfällig geworden. Aber nirgendwo hat das neugesammelte Material dazu geführt, seine großen Hauptgesichtspunkte durch andere zu verdrängen. Die von ihm in die Urgeschichte gebrachte Ordnung gilt in ihren Hauptzügen noch
heute. Ja, man kann sagen, sie findet mehr und mehr allgemeine Anerkennung in demselben Maß, worin seine Urheberschaft dieses großen Fortschritts verheimlicht wird.*
London, 16. Juni 1891
Friedrich Engels
Nach: „Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats", vierte Auflage, Stuttgart 1891.
* Auf der Rückreise von New York im September 1888 traf ich einen ehemaligen Kongreßdeputierten für den Wahlbezirk von Rochester, der Lewis Morgan gekannt hatte. Er wußte mir leider nicht viel von ihm zu erzählen. Morgan habe in Rochester als Privatmann gelebt, nur mit seinen Studien beschäftigt. Sein Bruder sei Oberst und in Washington im Kriegsministerium angestellt gewesen; durch Vermittlung dieses Bruders habe er es fertiggebracht, die Regierung für seine Forschungen zu interessieren und mehrere seiner Werke auf öffentliche Kosten herauszugeben; er, der Erzähler, habe sich auch während seiner Kongreßzeit mehrfach dafür verwandt.

B. Aufzeichnungen und Dokumente (September 1883-Juni 1889)

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Aus einem Brief G.A.Lopatins an M.N.OscHanina[460]
London, 20. September [ 1883] ...leb muß Ihnen unbedingt das Ergebnis meines ersten Zusammentreffens mit Engels mitteilen, da ich annehme, daß Ihnen einige seiner Ansichten sehr gefallen werden. Wir haben viel über die russischen Angelegenheiten gesprochen, vor allem darüber, auf welche Weise unsere politische und soziale Erneuerung wahrscheinlich vonstatten gehen wird. Wie auch zu erwarten war, zeigte sich eine völlige Übereinstimmung unserer Ansichten; jeder von uns sprach zwischendurch die Gedanken und Worte des anderen zu Ende. Er ist ebenfalls (wie auch Marx und ich) der Meinung, daß in Rußland die Aufgabe einer revolutionären Partei oder einer Partei der Tat augenblicklich nicht in der Propaganda des neuen sozialistischen Ideals besteht und nicht einmal in dem Bestreben, dieses bei weitem noch nicht ausgearbeitete Ideal mit Hilfe einer aus unseren Genossen gebildeten provisorischen Regierung zu verwirklichen, sondern in der Anspannung aller Kräfte, um 1. den Herrscher1 entweder zu zwingen, einen Semski Sobor2 einzuberufen, oder um 2. durch Einschüchterung des Herrschers und dgl. mehr so starke Unruhen hervorzurufen, daß_ sie auf andere Weise zur Einberufung dieses Sobors oder irgend etwas Ahnlichem führen würden. Er ist ebenso wie ich überzeugt, daß ein derartiger Sobor unweigerlich zu einer radikalen, nicht nur politischen, sondern auch sozialen Umgestaltung führen wird. Er ist überzeugt von der gewaltigen Bedeutung der Wahlperiode, da sie eine unvergleichlich erfolgreichere Propaganda ermöglicht, als sämtliche Bücher und mündliche Aufklärung es vermögen. Seiner Meinung nach ist eine rein liberale Konstitution ohne tiefgehende ökonomische Umgestaltungen unmöglich, so daß er diese Gefahr nicht befürchtet. Er ist überzeugt, daß sich unter den tatsächlichen Lebensbedingungen des Volkes genügend Voraus
1 Alexander III. - 2 Ständeversammlung
Setzungen angesammelt haben, um die Gesellschaft auf neuer Grundlage umzugestalten. Natürlich glaubt er nicht an eine sofortige Verwirklichung des Kommunismus oder irgend etwas Ähnlichem, sondern nur an das, was im Leben und in der Seele des Volkes schon herangereift ist. Er ist überzeugt, daß das Volk in der Lage sein wird, redegewandte Wortführer für seine Nöte und Bestrebungen usw. zu finden. Er ist überzeugt, daß diese Umgestaltung oder Revolution, einmal begonnen, durch keine Kraft aufgehalten werden kann. Wichtig ist deshalb nur eins: die verhängnisvolle Kraft des Stillstands zu zerschlagen, das Volk und die Gesellschaft für einen Augenblick aus dem Zustand der Trägheit und Unbeweglichkeit aufzurütteln, und eine solche Unordnung herbeizuführen, die Regierung und Volk zwingen würde, an die innere Umgestaltung heranzugehen, eine Unordnung, die das ruhige Volksmeer aufwühlen und die Aufmerksamkeit und den Enthusiasmus des ganzen Volkes für eine vollständige gesellschaftliche Umgestaltung hervorrufen würde. Die Ergebnisse werden sich dann von selbst einstellen, und zwar solche, die möglich, wünschenswert und für die gegebene Epoche realisierbar sind. Alles das ist verteufelt kurz, aber ausführlicher kann ich jetzt nicht schreiben. Außerdem wird Ihnen das alles vielleicht nicht ganz gefallen, deshalb beeile ich mich, Ihnen Wort für Wort seine anderen Ansichten wiederzugeben, die für die russische revolutionäre Partei sehr schmeichelhaft sind. Hier sind sie: „Alles hängt jetzt davon ab, was man in nächster Zeit in Petersburg tun wird, auf das jetzt die Augen aller denkenden, weitblickenden und scharfsinnigen Menschen ganz Europas gerichtet sind." „Rußland - das ist das Frankreich des gegenwärtigen Jahrhunderts. Gesetzmäßig und zu Recht kommt ihm die revolutionäre Initiative für eine neue soziale Umgestaltung zu." „... Der Untergang des Zarismus, mit dem das letzte Bollwerk des Monarchismus in Europa zerstört, die ,Aggressivität' Rußlands, der Haß Polens gegen Rußland und vieles andere beseitigt, wird eine völlig andere Mächtekonstellation herbeiführen, Österreich in Stücke zerschmettern und allen Ländern einen mächtigen Anstoß zu inneren Umgestaltungen geben." „... Deutschland wird sich wohl kaum dazu entschließen können, die russischen Wirren zu benutzen, um seine Truppen zur Aufrechterhaltung des Zarismus nach Rußland in Marsch zu setzen. Täte es dies dennoch, um so besser. Das würde das Ende seiner gegenwärtigen Regierung und den Anfang einer neuen Ära bedeuten. Der Anschluß der Ostseeprovinzen an Deutschland ist unsinnig und undurchführbar. Ähnliche Eroberungen entgegengesetzter (?) oder anliegender schmaler Küstenstreifen und Gebietsfetzen und die daraus resultierenden unförmigen Staatsgebilde waren nur im 16. und im 17. Jahrhundert möglich, aber nicht jetzt. Zu alledem ist es für niemanden ein Geheimnis, daß dort die Deutschen eine winzige reak
tionäre Minderheit ausmachen." (Ich füge diesen Punkt für J.P. hinzu angesichts ihrer ultrapatriotischen Ansichten in dieser Frage.) „Sowohl ich als auch Marx finden, daß der Brief des Komitees an Alexander III.ti611 seiner weltklugen Art und seinem ruhigen Ton nach einfach großartig ist. Der Brief beweist, daß es in den Reihen der Revolutionäre Menschen mit Staatsverstand gibt." Ich hoffe, daß dies alles ziemlich schmeichelhaft und angenehm für Sie ist, und wie werden Sie mir diese Zeilen danken? Erinnern Sie sich daran, wie ich sagte, daß selbst Marx nie ein Marxist gewesen war? Engels erzählte, daß während des Kampfes von Brousse, Malon und Co. gegen die anderen Marx einmal lachend gesagt hat: „Ich kann nur eins sagen, daß ich kein Marxist bin! ..."I*62'
Nach: „Osnowy teoretitscheskowo sozialisma i ich priloshenije k Rossii", Genf 1893. Aus dem Russischen.
2 Der Malaufstand von 184914631
[„Le Socialiste" Nr. 13 vom 21. September 1885] Der Maiaufstand von 1849, der die Rheinprovinzen und Süddeutschland erfaßte, war durch die Weigerung der meisten Regierungen der kleinen Staaten hervorgerufen, die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Verfassung anzunehmen. Diese Versammlung hatte niemals über materielle Macht verfügt und, was schlimmer ist, hatte es auch unterlassen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sich diese zu verschaffen; als sie ihre Verfassung auf dem Papier zustande gebracht hatte, verlor sie die letzten Reste ihres moralischen Einflusses. Obwohl ziemlich romantisch, war die Verfassung doch das einzige Banner, unter dem man sich wieder sammeln konnte, um eine neue Bewegung zu versuchen, um so mehr, da man sie nach dem Sieg nicht zu verwirklichen beabsichtigte. Der Aufstand begann am 3.Mai in Dresden; einige Tage später griff er auf die bayrische Pfalz und das Großherzogtum Baden über. Der Großherzog1 hatte schnellstens die Flucht ergriffen, als er gesehen hatte, daß sich die Truppen mit dem Volke verbrüderten.
1 Leopold
Die preußische Regierung, die im November 1848 die revolutionäre Bewegung unterdrückt, Berlin entwaffnet und Preußen in den Belagerungszustand versetzt hatte, machte sich zum Verteidiger der Regierungen der anderen Staaten. Sie entsandte sofort Truppen nach Dresden, die nach viertägigem Kampf den heroischen Widerstand der Aufständischen brachen. Aber um die Pfalz und das Herzogtum Baden zu unterwerfen, bedurfte es einer Armee: um sie zu formieren, mußte Preußen die Landwehr einberufen. In Iserlohn (Westfalen) und in Elberfeld (Rheinpreußen) weigerten sich die Männer loszumarschieren. Man schickte Truppen. Die Städte verbarrikadierten sich und wiesen sie ab. Iserlohn wurde nach zwei Tagen Kampf genommen. Da Elberfeld über keine Mittel zum Widerstand verfügte, beschlossen die Aufständischen, etwa tausend an der Zahl, sich einen Weg durch die sie umzingelnden Truppen zu bahnen und den Süden zu erreichen, wo der Aufstand im vollen Gange war. Sie wurden vollständig zerschlagen, ihr Kommandeur Mirbach gefangengenommen; einer großen Anzahl Aufständischer gelang es jedoch, von den Einwohnern unterstützt, sich nach dem Süden durchzuschlagen. Engels war Adjutant von Mirbach; aber dieser schickte ihn, ehe er seinen Plan durchführte, mit einem Auftrag nach Köln, das in den Händen der preußischen Armee war. In Wirklichkeit wollte Mirbach in seinem Korps keinen bekannten Kommunisten haben, um in den Orten, die er zu durchqueren beabsichtigte, die Bourgeois nicht zu erschrecken. Inzwischen hatte sich der Aufstand auf ganz Süddeutschland verbreitet, aber die Revolutionäre begingen, so wie in Paris 1871, den verhängnisvollen Fehler - nicht anzugreifen. Die Truppen der benachbarten kleinen Staaten waren demoralisiert und suchten nur einen Vorwand, um sich dem Aufstand anzuschließen: sie waren entschlossen, nicht gegen das Volk zu kämpfen. Die Aufständischen hätten die Bevölkerung dieser Staaten zur Erhebung bringen und mitreißen können, wenn sie erklärt hätten, daß sie die von preußischen und österreichischen Truppen umstellte Frankfurter Nationalversammlung befreien wollen. Engels und Marx begaben sich nach der Unterdrückung der „Neuen Rheinischen Zeitung" nach Mannheim, um den Führern der Bewegung vorzuschlagen, auf Frankfurt zu marschieren. Man weigerte sich, sie zu hören. Als Vorwand diente, die Truppen seien durch die Flucht der ehemaligen Offiziere desorganisiert, es fehle an Munition etc. Während die Aufständischen Gewehr bei Fuß blieben, rückten die Preußen, mit den Bayern vereint und durch die Truppen der kleinen Staaten verstärkt, welche die Aufständischen mit mehr Kühnheit hätten gewinnen können, in Gewaltmärschen gegen die aufständischen Gebiete vor. Die 36 000 Mann starke konterrevolutionäre Armee fegte in einer Woche aus der Pfalz die 8000-9000 Aufständischen hinaus, die sie besetzt hielten; es muß gesagt werden, daß die beiden Festungen des Landes in den Händen der
Reaktion geblieben waren. Die revolutionäre Armee setzte sich jetzt nur aus den bewaffneten Kräften Badens zusammen, die etwa 10 000 Mann Linientruppen und 12 000 Freiwillige zählten. Es fanden vier große Gefechte statt, in denen die konterrevolutionären Truppen nur siegen konnten dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit und durch die Verletzung der württembergischen Grenze, was ihnen ermöglichte, die revolutionäre Armee im entscheidenden Augenblick zu umgehen. Nach sechs Wochen Kampf auf offenem Felde waren die Reste der aufständischen Armee gezwungen, sich in die Schweiz zurückzuziehen. Im Verlauf dieses letzten Feldzugs war Engels Adjutant des Obersten Willich, des Kommandeurs eines Korps aus kommunistischen Freischärlern. Er nahm an drei Gefechten und an der letzten Entscheidungsschlacht an der Murg teil. Oberst Willich, der in die Vereinigten Staaten emigrierte, ist als General gestorben, ein Rang, den er sich während des Amerikanischen Bürgerkrieges erworben hatte. • Dieser hartnäckige Widerstand auf offenem Felde, den einige tausend Aufständische, ungenügend organisiert und fast ohne Artillerie, der so gut disziplinierten preußischen Armee leisteten, zeigt, was unsere sozialistischen Freunde jenseits des Rheins an dem Tag zu leisten fähig sein werden, da die Sturmglocke der Revolution in Europa läuten wird.
Geschrieben Mitte November 1885. Aus dem Französischen.
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Juristen-Sozialismus14641
Die Weltanschauung des Mittelalters war wesentlich theologisch. Die Einheit der europäischen Welt, die nach innen tatsächlich nicht bestand, wurde gegen außen, gegen den sarazenischen allgemeinen Feind, hergestellt durch das Christentum. Die Einheit der westeuropäischen Welt, die eine Gruppe von in steter Wechselbeziehung sich entwickelnden Völkern bildete, wurde zusammengefaßt im Katholizismus. Diese theologische Zusammenfassung war nicht nur ideell. Sie bestand wirklich, nicht nur im Papst, ihrem monarchischen Mittelpunkt, sondern vor allem in der feudal und hierarchisch organisierten Kirche, die in jedem Land als Besitzerin von etwa einem Drittel des Bodens eine gewaltige Machtstellung in der feudalen Organisation innehatte. Die Kirche mit ihrem feudalen Grundbesitz war das reale Band zwischen den verschiedenen Ländern, die feudale Organi
sation der Kirche gab der weltlich-feudalen Staatsordnung die religiöse Weihe. Die Geistlichkeit war zudem die einzige gebildete Klasse. Es war also selbstverständlich, daß das Dogma der Kirche Ausgangspunkt und Basis alles Denkens war. Juristerei, Naturwissenschaft, Philosophie, alles wurde darnach erledigt, ob der Inhalt mit den Lehren der Kirche stimmte oder nicht. Aber im Schöße der Feudalität entwickelte sich die Macht des Bürgertums. Eine neue Klasse trat auf gegen die großen Grundbesitzer. Die Städtebürger waren vor allem und ausschließlich Warenproduzenten und Warenhändler, während die feudale Produktionsweise wesentlich auf dem Selbstverbrauch der innerhalb eines beschränkten Kreises erzeugten Produkte - teils durch die Produzenten, teils durch die feudalen Tributerheber - beruhte. Die katholische, auf den Feudalismus zugeschnittene Weltanschauung konnte dieser neuen Klasse und ihren Produktions- und Austauschbedingungen nicht mehr genügen. Dennoch blieb auch sie noch längere Zeit in den Banden der allmächtigen Theologie befangen. Die sämtlichen Reformationen und die sich daran knüpfenden, unter religiöser Firma geführten Kämpfe, vom 13. bis ins 17. Jahrhundert, sind nach ihrer theoretischen Seite nichts als wiederholte Versuche des Bürgertums, der Städteplebejer und der im Anschluß an beide rebellisch gewordenen Bauern, die alte, theologische Weltanschauung den veränderten ökonomischen Bedingungen und der Lebenslage der neuen Klasse anzupassen. Aber es ging nicht. Die religiöse Fahne flatterte zum letzten Mal in England im 17. Jahrhundert, und kaum fünfzig Jahre später trat in Frankreich die neue Weltanschauung ungeschminkt auf, die die klassische der Bourgeoisie werden sollte, die juristische Weltanschauung. Sie war eine Verweltlichung der theologischen. An die Stelle des Dogmas, des göttlichen Rechts trat das menschliche Recht, an die der Kirche der Staat. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die man sich früher, weil von der Kirche sanktioniert, als durch die Kirche und das Dogma geschaffen vorgestellt hatte, stellte man sich jetzt vor als auf das Recht begründet und durch den Staat geschaffen. Weil der Austausch von Waren auf gesellschaftlichem Maßstab und in seiner vollen Ausbildung, namentlich durch Vorschuß- und Kreditgeben, verwickelte gegenseitige Vertragsverhältnisse erzeugt und damit allgemein gültige Regeln erfordert, die nur durch die Gemeinschaft gegeben werden können - staatlich festgesetzte Rechtsnormen -, deshalb bildete man sich ein, daß diese Rechtsnormen nicht aus den ökonomischen Tatsachen entsprängen, sondern aus der formellen Festsetzung durch den Staat. Und weil die Konkurrenz, die Grundverkehrsform freier Warenproduzenten, die größte Gleichmacherin ist, wurde Gleichheit vor dem Gesetz der Hauptschlachtruf der Bourgeoisie. Die Tatsache, daß der Kampf dieser neu aufstrebenden Klasse gegen die Feudalherrn und die sie damals schützende absolute Monarchie, wie jeder
Klassenkampf, ein politischer Kampf, ein Kampf um den Besitz des Staates sein, um Rechtsforderangen geführt werden mußte, trug dazu bei, die juristische Weltanschauung zu befestigen. Aber die Bourgeoisie erzeugte ihren negativen Doppelgänger, das Proletariat, und mit ihm einen neuen Klassenkampf, der schon ausbrach, ehe die Bourgeoisie sich die politische Macht vollständig erobert hatte. Wie ihrerzeit die Bourgeoisie im Kampf gegen den Adel die theologische Weltanschauung noch eine Zeitlang aus Überlieferung mitgeschleppt hatte, so übernahm das Proletariat anfangs vom Gegner die juristische Anschauungsweise und suchte hierin Waffen gegen die Bourgeoisie. Die ersten proletarischen Parteibildungen wie ihre theoretischen Vertreter blieben durchaus auf dem juristischen „Rechtsboden", nur daß sie sich einen anderen Rechtsboden zusammenkonstruierten, als der der Bourgeoisie war. Einerseits wurde die Forderung der Gleichheit dahin ausgedehnt, daß die rechtliche Gleichheit durch die gesellschaftliche zu ergänzen sei; anderseits wurde aus den Sätzen Adam Smiths, daß die Arbeit die Quelle alles Reichtums, das Produkt der Arbeit aber vom Arbeiter geteilt werden müsse mit dem Grundbesitzer und dem Kapitalisten, der Schluß gezogen, daß diese Teilung unrecht sei und entweder abgeschafft oder doch zugunsten der Arbeiter modifiziert werden müsse. Das Gefühl aber, daß diese Belassung der Frage auf dem bloßen juristischen „Rechtsboden" keineswegs eine Beseitigung der durch die bürgerlich-kapitalistische, und namentlich durch die modern-großindustrielle Produktionsweise geschaffenen Übelstände möglich mache, führte schon die bedeutendsten Köpfe unter den früheren Sozialisten - Saint-Simon, Fourier und Owen - dahin, das juristisch-politische Gebiet ganz zu verlassen und allen politischen Kampf für unfruchtbar zu erklären. Beide Auffassungen waren gleich ungenügend, die durch die wirtschaftliche Lage geschaffenen Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse entsprechend auszudrücken und vollständig zusammenzufassen. Die Forderung der Gleichheit nicht minder wie die des vollen Arbeitsertrages verliefen sich in unlösliche Widersprüche, sobald sie juristisch im einzelnen formuliert werden sollten, und ließen den Kern der Sache, die Umgestaltung der Produktionsweise, mehr oder weniger unberührt. Die Zurückweisung des politischen Kampfes durch die großen Utopisten war gleichzeitig eine Zurückweisung des Klassenkampfes, also der einzig möglichen Betätigungsweise der Klasse, in deren Interesse sie auftraten. Beide Anschauungen abstrahierten von dem geschichtlichen Hintergrund, dem sie ihr Dasein verdankten; beide appellierten an das Gefühl; die einen an das Rechtsgefühl, die anderen an das Menschlichkeitsgefühl. Beide kleideten ihre Forderungen in die Form frommer Wünsche, von denen nicht zu sagen war, weshalb sie gerade jetzt durchgeführt werden sollten und nicht tausend Jahre früher oder später.
Die Arbeiterklasse, die durch die Verwandlung der feudalenProduktionsweise in die kapitalistische alles Eigentums ein den Produktionsmitteln entkleidet wurde und durch den Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise stets in diesem erblichen Zustand der Eigentumslosigkeit wieder erzeugt wird, kann in der juristischen Illusion der Bourgeoisie ihre Lebenslage nicht erschöpfend zum Ausdruck bringen. Sie kann diese Lebenslage nur vollständig selbst erkennen, wenn sie die Dinge ohne juristisch gefärbte Brille in ihrer Wirklichkeit anschaut. Hierzu aber verhalf ihr Marx mit seiner materialistischen Geschichtsauffassung, mit dem Nachweis, daß alle juristischen, politischen, philosophischen, religiösen etc. Vorstellungen der Menschen in letzter Instanz aus ihren wirtschaftlichen Lebensbedingungen, aus ihrer Weise zu produzieren und die Produkte auszutauschen, abgeleitet sind. Hiermit war die der Lebens- und Kampfeslage des Proletariats entsprechende Weltanschauung gegeben; der Eigentumslosigkeit der Arbeiter konnte nur die Illusionslosigkeit ihrer Köpfe entsprechen. Und diese proletarische Weltanschauung macht jetzt die Reise um die Welt. Begreiflich dauert der Kampf der beiden Weltanschauungen fort; nicht nur zwischen Proletariat und Bourgeoisie, sondern auch zwischen frei denkenden und noch von alter Tradition beherrschten Arbeitern. Im ganzen wird hier die alte Auffassung verteidigt durch gewöhnliche Politiker mit den landläufigen Argumenten. Nun gibt es aber auch sogenannte wissenschaftliche Juristen, die aus der Juristerei einen eigenen Beruf machen.* Bisher hatten sich diese Herrn zu vornehm gehalten, sich mit der theoretischen Seite der Arbeiterbewegung einzulassen. Wir müssen es also großen Dank wissen, wenn endlich einmal ein wirklicher Professor der Rechte, Herr Dr. Anton Menger, sich herabläßt, die Geschichte des Sozialismus vom „rechtsphilosophischen" Standpunkt „dogmatisch näher zu beleuchten".**
* Vergleiche über diese den Artikel von Fr. Engels über „Ludwig Fenerbach" in der „Neuen Zeit" IV, S.2061: „Bei den Politikern von Profession, bei den Theoretikern des Staatsrechts und den Juristen des Privatrechts geht der Zusammenhang mit den ökonomischen Tatsachen erst recht verloren. Weil in jedem einzelnen Falle die ökonomischen Tatsachen die Form juristischer Motive annehmen müssen, um in Gesetzesform sanktioniert zu werden, und weil dabei auch selbstverständlich Rücksicht zu nehmen ist auf das schon geltende Rechtssystem, deswegen soll nun die juristische Form alles sein und der ökonomische Inhalt nichts. Staatsrecht und Privatrecht werden als selbständige Gebiete behandelt, die ihre unabhängige geschichtliche Entwicklung haben, die in sich selbst einer systematischen Darstellung fähig sind und ihrer bedürfen, durch konsequente Ausrottung aller inneren Widersprüche." ** Dr. Anton Menger, „Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung", Stuttgart, Cotta, 1886, X, S.171.
In der Tat, die Sozialisten sind bisher auf dem Holzweg gewesen. Sie haben gerade das vernachlässigt, worauf es ankam. „Erst wenn die sozialistischen Ideen aus den endlosen volkswirtschaftlichen und philanthropischen Erörterungen ... losgeschält und in nüchterne Rechtsbegriffe verwandelt sind" (S. III), erst wenn die ganze „nationalökonomische Verbrämung" (S.37) beseitigt ist, kann die „juristische Bearbeitung des Sozialismus ...die wichtigste Aufgabe der Rechtsphilosophie unserer Zeit" [S. III] in die Hand genommen werden. Nun handelt es sich in den „sozialistischen Ideen" gerade um volkswirtschaftliche Verhältnisse, vor allem um das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital, und da sind volkswirtschaftliche Erörterungen, so scheint es, doch wohl etwas mehr als bloßeloszuschälende„Verbrämungen". Auch ist die Ökonomie eine sogenannte Wissenschaft und obendrein ein wenig wissenschaftlicher als die Rechtsphilosophie, weil sie sich mit Tatsachen beschäftigt, nicht, wie die letztere, mit bloßen Vorstellungen. Aber das ist dem Juristen von Fach total gleichgültig. Die ökonomischen Untersuchungen stehen ihm auf derselben Stufe, wie die philanthropischen Deklamationen. Fiat justitia, pereat mundus.1 Ferner sind die „nationalökonomischen Verbrämungen" bei Marx und diese liegen unserem Juristen am schwersten im Magen - nicht bloß ökonomische Untersuchungen. Sie sind wesentlich historisch. Sie weisen den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung nach, von der feudalen Produktionsweise des Mittelalters bis auf die heutige entwickelte kapitalistische, den Untergang früherer Klassen und Klassengegensätze und die Bildung neuer Klassen mit neuen Interessengegensätzen, die sich unter anderem auch in neuen Rechtsforderungen äußern. Davon scheint auch unserem Juristen eine leise Ahnung aufzudämmern, wenn er S. 37 entdeckt, daß die heutige „Rechtsphilosophie ... im wesentlichen nichts ist, als ein Abbild des historisch überlieferten Rechtszustandes", die man als „die bürgerliche Rechtsphilosophie bezeichnen" könnte und der sich „in dem Sozialismus eine Rechtsphilosophie der besitzlosen Volksklassen an die Seite gestellt" hat. Aber wenn dem so ist, was ist die Ursache davon? Woher kommen denn die „Bürger" und die „besitzlosen Volksklassen", die jede für sich eine besondere, ihrer Klassenlage entsprechende Rechtsphilosophie besitzen? Aus dem Recht oder aus der ökonomischen Entwicklung? Und sagt uns Marx etwas anderes, als daß die Rechtsanschauungen der einzelnen großen Gesellschaftsklassen sich nach ihrer jedesmaligen Klassenlage richten? Wie kommt Menger unter die Marxisten? Doch das ist nur ein Versehen, eine unfreiwillige Anerkennung der Macht der neuen Theorie, die dem strengen Juristen entschlüpft ist und 1 Dem Gesetz muß entsprochen werden, mag darüber auch die Welt zugrunde gehen.
die wir deshalb auch nur registrieren. Im Gegenteil, wo unser Mann des Rechts auf seinem eigenen Rechtsboden steht, ist er ein Verächter der ökonomischen Geschichte. Das sinkende Römerreich ist sein Lieblingsbeispiel. „Noch nie waren die Produktionsmittel so zentralisiert", erzählt er uns, „wie zu der Zeit, da die Hälfte der afrikanischen Provinz sich im Eigentum von sechs Personen befand ... niemals waren die Leiden der arbeitenden Klassen größer, als in der Zeit, wo fast jeder produktive Arbeiter ein Sklave war. Es fehlte damals auch nicht-namentlich bei den Kirchenvätern - an heftigen Kritiken des bestehenden Gesellschaftszustandes, die sich mit den besten sozialistischen Schriften der Gegenwart messen können, dennoch folgte auf den Sturz des weströmischen Reiches nicht etwa der Sozialismus, sondern - die mittelalterliche Rechtsordnung" (S. 108). Und warum geschah dies? Weil „der Nation nicht ein klares, von aller Überschwenglichkeit freies Bild des künftigen Zustandes vorschwebte".
Herr Menger meint, zur Zeit des sinkenden Römerreiches seien die ökonomischen Vorbedingungen des modernen Sozialismus vorhanden gewesen, nur dessen juristische Formulierung fehlte. Deswegen kam an Stelle des Sozialismus der Feudalismus, und die materialistische Geschichtsauffassung ist ad absurdum geführt! Was die Juristen des sinkenden römischen Reiches so schön in ein System gebracht hatten, das war nicht das feudale, sondern das römische Recht, das Recht einer Gesellschaft von Warenproduzenten. Da nach Herrn Mengers Voraussetzung die juristische Vorstellung die treibende Kraft der Geschichte ist, so stellt er hier an die römischen Juristen die ungeheuerliche Forderung, sie hätten statt des Rechtssystems der bestehenden römischen Gesellschaft das gerade Gegenteil, nämlich „ein klares, von aller Überschwenglichkeit freies Bild" eines phantastischen Gesellschaftszustandes liefern sollen. Das also ist die Mengersche Rechtsphilosophie, angewandt auf das römische Recht! Geradezu horrend ist aber die Behauptung Mengers, daß noch nie die ökonomischen Bedingungen dem Sozialismus so günstig waren, als zur römischen Kaiserzeit. Die Sozialisten, die Menger widerlegen will, sehen die Bürgschaft für den Erfolg des Sozialismus in der Entwicklung der Produktion selbst: Auf der einen Seite wird durch die Entwicklung des maschinellen Großbetriebs in Industrie und Landwirtschaft die Produktion immer mehr zu einer gesellschaftlichen und die Produktivität der Arbeit eine enorme; dies drängt zur Aufhebung der Klassenunterschiede und zur Überführung der Warenproduktion in Privatbetrieben in die direkte Produktion für und durch die Gesellschaft. Auf der anderen Seite erzeugt die moderne Produktionsweise die Klasse, welche in immer steigendem Maße die Macht und das Interesse erhält, diese Entwicklung tatsächlich zu machen, ein freies, arbeitendes Proletariat. Nun vergleiche man damit die Zustände des kaiserlichen Rom, wo von maschineller Großproduktion weder in Industrie noch in Landwirtschaft die Rede war. Allerdings finden wir eine Konzentration des Grundbesitzes,
aber man muß Jurist sein, um das für gleichbedeutend mit der Entwicklung gesellschaftlich betriebener Arbeit in Großbetrieben zu halten. Wenn wir Herrn Menger drei Beispiele von Grundbesitz vorlegen: einen irischen Landlord, der 50 000 Acres besitzt, die von 5000 Pächtern in kleinen Betrieben von durchschnittlich 10 Acres bewirtschaftet werden; einen schottischen Landlord, der 50 000 Acres in Jagdgründe verwandelt hat, und eine amerikanische Riesenfarm von 10 000 Acres, in der in großindustrieller Weise Weizen gebaut wird, so wird er erklären, daß in den beiden ersten Fällen die Konzentration der Produktionsmittel fünfmal soweit vorgeschritten sei, wie in dem letzteren. Die Entwicklung der römischen Landwirtschaft der Kaiserzeit führte auf der einen Seite zur Ausdehnung der Weidewirtschaft über ungeheure Strecken und zur Entvölkerung des Landes, auf der anderen Seite zur Zerschlagung der Güter in kleine Pachten, welche an Kolonen abgegeben wurden, also zu Zwergbetrieben höriger Kleinbauern, der Vorläufer der späteren Leibeigenen, also zu einer Produktionsweise, in der die Produktionsweise des Mittelalters schon im Keim enthalten war. Und unter anderem schon darum, wertester Herr Menger, folgte auf die Römerwelt „die mittelalterliche Rechtsordnung". Wohl gab es zeitweise in einzelnen Provinzen auch landwirtschaftliche Großbetriebe, aber nicht Maschinenproduktion mit freien Arbeitern, sondern Plantagenwirtschaft mit Sklaven, Barbaren der verschiedensten Nationalitäten, die sich oft untereinander nicht verstanden. Diesen gegenüber standen die freien Proletarier, aber nicht arbeitende, sondern Lumpenproletar'ier. Auf der Arbeit der Proletarier beruht heute in immer steigendem Maße die Gesellschaft, sie werden für deren Bestand immer unentbehrlicher; die römischen Lumpenproletarier waren Parasiten, nicht nur ohne Nutzen, sondern sogar von Schaden für die Gesellschaft und daher ohne durchgreifende Macht. Herrn Menger aber erscheinen die Produktionsweise und das Volk noch nie so reif zum Sozialismus gewesen zu sein, als zur Kaiserzeit! Man sieht, welchen Vorteil es hat, wenn man sich von ökonomischen „Verbrämungen" möglichst ferne hält. Die Kirchenväter wollen wir ihm schenken, da er verschweigt, worin deren „Kritiken des bestehenden Gesellschaftszustandes" sich „mit den besten sozialistischen Schriften der Gegenwart messen können". Den Kirchenvätern verdanken wir manche interessante Mitteilung aus der versinkenden römischen Gesellschaft, aber auf eine Kritik derselben ließen sie sich in der Regel nicht ein, sie begnügten sich damit, sie einfach zu verdonnern und zwar in Ausdrücken von einer Heftigkeit, der gegenüber die heftigste Sprache moderner Sozialisten und selbst das Gezeter der Anarchisten zahm erscheint. Meint Herr Menger diese „Überlegenheit"? Mit derselben Verachtung der geschichtlichen Tatsachen, die wir eben bemerkt, sagt Menger auf S. 2, daß die privilegierten Klassen ihr Einkom
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men ohne persönliche Gegenleistung an die Gesellschaft empfangen. Daß die herrschenden Klassen im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung sehr bestimmte soziale Funktionen zu verrichten haben und gerade deswegen zu herrschenden werden, ist ihm also gänzlich unbekannt. Während die Sozialisten die zeitweilige geschichtliche Berechtigung dieser Klassen anerkennen, erklärt Menger hier ihre Aneignung des Mehrprodukts für einen Diebstahl. Da kann es ihn denn nur wundern, wenn er S.I22, 123 findet, daß diese Klassen täglich mehr die Macht verlieren, ihr Recht auf dies Einkommen zu schützen. Daß diese Macht in der Ausübung sozialer Funktionen besteht und mit dem Untergang dieser Funktionen in der weiteren Entwicklung verschwindet, ist diesem großen Denker ein reines Rätsel. Genug. Der Herr Professor gibt sich nun dran, den Sozialismus rechtsphilosophisch zu behandeln, das heißt, ihn auf ein paar kurze Rechtsformeln zurückzuführen, auf sozialistische „Grundrechte", eine neue Ausgabe der Menschenrechte fürs 19. Jahrhundert. Solche Grundrechte haben zwar nur „geringe praktische Wirksamkeit", sind aber „auf dem wissenschaftlichen Gebiet nicht ohne Nutzen" als „Schlagworte" (S. 5, 6).
Also so weit sind wir bereits heruntergekommen, daß wir es nur noch mit Schlagworten zu tun haben. Erst wird der geschichtliche Zusammenhang und Inhalt der gewaltigen Bewegung beseitigt, um einer bloßen „Rechtsphilosophie" Platz zu machen, und dann reduziert sich diese Rechtsphilosophie auf Schlagworte, die eingestandenermaßen praktisch keinen Heller wert sind! Das lohnte in der Tat die Mühe. Der Herr Professor entdeckt nun, daß der ganze Sozialismus sich juristisch auf drei solcher Schlagworte zurückführen läßt, auf drei Grundrechte. Diese sind: 1. das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, 2. das Recht auf die Existenz, 3. das Recht auf Arbeit. Das Recht auf Arbeit ist nur eine provisorische Forderung, „die erste unbeholfene Formel, worin sich die revolutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfassen "(Marx)'4651 und gehört also nicht hierher. Dagegen ist die Forderung der Gleichheit vergessen, die den ganzen französischen revolutionären Sozialismus beherrschte, von Babeuf bis Cabet und Proudhon, die aber Herr Menger schwerlich juristisch wird formulieren können, trotzdem oder vielleicht gerade weil sie die juristischste von allen den erwähnten ist. Bleiben als Quintessenz nur die mageren Sätze 1 und 2, die sich noch dazu widersprechen, was Menger auf S.27 endlich entdeckt, was aber keineswegs verhindert, daß jedes sozialistische System sich darin bewegen muß (S. 6). Es ist aber handgreiflich, daß die Einzwängung der
verschiedensten sozialistischen Doktrinen der verschiedensten Länder und Entwicklungsstufen in diese zwei „Schlagworte" die ganze Darstellung fälschen muß. Die Eigentümlichkeit jeder einzelnen Doktrin, die gerade ihre geschichtliche Bedeutung ausmacht, wird hier nicht nur als nebensächlich beiseite geworfen, sondern, weil vom Schlagwort abweichend und ihm widersprechend, geradezu als einfach falsch verworfen. In der vorliegenden Schrift wird nur Nr. 1, das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, behandelt. Das Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag, d. h. jedes einzelnen Arbeiters auf seinen speziellen Arbeitsertrag ist in dieser Bestimmtheit nur Proudhonsche Lehre. Ganz verschieden davon ist die Forderung, daß die Produktionsmittel und Produkte der arbeitenden Gesamtheit gehören sollen. Diese Forderung ist kommunistisch und geht, wie Menger S.48 entdeckt, über die Forderung Nr. 1 hinaus, was ihn in nicht geringe Verlegenheit setzt. Er muß daher die Kommunisten bald unter Nr. 2 rangieren, bald das Grundrecht Nr. 1 so lange zerren und wenden, bis er sie darunter bringen kann. Dies geschieht S.7. Hier wird vorausgesetzt, daß nach Abschaffung der Warenproduktion diese dennoch fortbesteht. Es scheint Herrn Menger ganz natürlich, daß auch in einer sozialistischen Gesellschaft Tauschwerte, also Waren zum Verkauf produziert werden, und daß die Preise der Arbeit fortbestehen, daß also die Arbeitskraft nach wie vor als Ware verkauft wird. Die einzige Frage, um die es sich ihm dabei handelt, ist die, ob die historisch überlieferten Preise der Arbeit in der sozialistischen Gesellschaft mit einem Aufschlag aufrechterhalten bleiben, oder ob „eine völlig neue Bestimmung der Arbeitspreise" eintreten soll. Letztere würde nach seiner Ansicht die Gesellschaft noch mehr erschüttern als die Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung selbst! Diese Begriffsverwirrung ist begreiflich, da unser Gelehrter S. 94 von einer sozialistischen Werttheorie spricht, sich also nach bekannten Mustern einbildet, die Marxsche Werttheorie solle den Verteilungsmaßstab der künftigen Gesellschaft abgeben. Ja, S.56 wird erzählt, der volle Arbeitsertrag sei gar nichts Bestimmtes, da er nach wenigstens drei verschiedenen Maßstäben berechnet werden könne, und endlich S. 161, 162 erfahren wir, daß er das „natürliche Verteilungsprinzip" und nur möglich sei in einer Gesellschaft mit Gemeineigentum, aber mit Sondernutzung, also einer Gesellschaft, die heute von keinem einzigen Sozialisten als Endziel hingestellt wird! Ein treffliches Grundrecht! Und ein trefflicher Rechtsphilosoph der Arbeiterklasse! Hiermit hat es sich Menger leicht gemacht, die Geschichte des Sozialismus „kritisch" darzustellen. Drei Worte nenn' ich Euch inhaltsschwer, und wenn sie auch nicht gehen von Mund zu Mundet466], so sind sie doch vollständig genügend für das Maturitätsexamen, das hier mit den Sozialisten angestellt wird. Also her, Saint-Simon, her, Proudhon, her, Marx, und wie ihr alle heißt: Schwört ihr auf Nr. 1, oder Nr. 2, oder Nr.3? Herein in
mein Prokrustesbett, und was darüber hinaus reicht, hau' ich ab als nationalökonomische und philanthropische Verbrämungen! Es kommt hier nur darauf an, bei wem sich diese drei dem Sozialismus von Menger aufoktroyierten Grundrechte zuerst vorfinden; wer zuerst eine dieser Formeln aufstellt, der ist der große Mann. Daß es dabei ohne lächerliche Böcke nicht abgeht, trotz des gelehrt tuenden Apparats, ist begreiflich. So glaubt er, daß bei den Saint-Simonisten die oisifs die besitzenden und die travailleurs die arbeitenden Klassen bedeuten (S.67) und zwar im Titel der saint-simonistischen Schrift: „Les oisifs et les travailleurs. - Fermages, loyers, interets, salaires"'4671 (die Müßiggänger und die Arbeiter. - Pacht, Miete, Zins, Lohn), wo ihn schon die Abwesenheit des Profits eines Besseren belehren sollte. Auf derselben Seite zitiert Menger selbst eine entscheidende Stelle aus dem „Globe", dem Organ des Saint-Simonismus, in der neben den Gelehrten und Künstlern die industriels, d.h. die Fabrikanten im Gegensatz zu den oisifs als Wohltäter der Menschheit gepriesen werden, und wo nur die Abschaffung des Tributs an die oisifs verlangt wird, das heißt, an die Rentiers, diejenigen, welche Pacht, Miete, Zins beziehen. Der Profit ist in dieser Aufzählung abermals ausgeschlossen. Der Fabrikant nimmt im saint-simonistischen System eine hervorragende Stellung ein als mächtiger und wohlbezahlter gesellschaftlicher Agent, und Herr Menger täte wohl daran, diese Stellung näher zu studieren, ehe er sie fernerhin rechtsphilosophisch verarbeitet. Auf Seite 73 hören wir, Proudhon habe in den „Contradictions economiques"t4681, „allerdings ziemlich dunkel, eine neue Lösung des sozialen Problems" bei beibehaltener Warenproduktion und Konkurrenz versprochen. Was dem Herrn Professor 1886 noch ziemlich dunkel, hat Marx schon 1847 durchschaut, als etwas Altes nachgewiesen und Proudhon den Bankrott vorhersagen gekonnt, den dieser 1849 erlebte.14691 Doch genug. Alles was wir bisher behandelt, ist ja nur Nebensache für Herrn Menger und auch für sein Publikum. Hätte er nur eine Geschichte des Rechts Nr.l geschrieben, seine Schrift wäre spurlos vorübergegangen. Diese Geschichte ist bloß Vorwand der Schrift, ihr Zweck ist der, Marx herunterzureißen. Und nur, weil sie von Marx handelt, wird sie gelesen. Es geht schon seit langem nicht mehr so leicht, ihn zu kritisieren, seitdem das Verständnis seines Systems in weitere Kreise gedrungen ist und der Kritiker nicht mehr auf die Unwissenheit des Publikums spekulieren kann. Nur eines bleibt noch übrig: Um Marx herunterzusetzen, schiebt man seine Leistungen anderen Sozialisten zu, um die sich kein Mensch kümmert, die vom Schauplatz verschwunden sind, die keine politische und wissenschaftliche Bedeutung mehr haben. Auf diese Weise hofft man, mit dem Begründer der proletarischen Weltanschauung und dieser selbst fertig zu werden. Herr Menger hat es unternommen. Man ist nicht Professor für die Katze. Man will auch etwas leisten.
Die Sache macht sich sehr einfach. Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung gibt dem Grundeigentümer und Kapitalisten ein „Recht" auf einen Teil - den größten - des vom Arbeiter erzeugten Produkts. Grundrecht Nr.l sagt, daß dies Recht ein Unrecht ist und dem Arbeiter der ganze Arbeitsertrag gebühre. Damit ist der ganze Inhalt des Sozialismus erledigt, soweit nicht Grundrecht Nr. 2 in Frage kommt. Wer also zuerst gesagt hat, daß das heutige Recht der Inhaber der Erde und anderer Produktionsmittel auf einen Teil des Arbeitsertrages ein Unrecht ist, der ist der große Mann, der Gründer des „wissenschaftlichen" Sozialismus! Und das waren Godwin, Hall und Thompson. Nach Weglassung sämtlicher endlosen volkswirtschaftlichen Verbrämungen findet Menger bei Marx als juristischen Rückstand nur diese selbe Behauptung. Folglich hat Marx die alten Engländer, namentlich Thompson, abgeschrieben und seine Quelle sorgfältig verschwiegen. Der Beweis ist erbracht. Wir geben jeden Versuch auf, dem verbohrten Juristen begreiflich zu machen, daß Marx nirgends dieForderung des „Rechts auf den vollen Arbeitsertrag" stellt, daß er in seinen theoretischen Schriften überhaupt keine Rechtsforderung irgendeiner Art aufstellt. Selbst unserem Juristen dämmert eine entfernte Ahnung davon auf, wenn er Marx vorwirft, nirgends „eine gründliche Darlegung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag" (S. 98) zu geben. In den theoretischen Untersuchungen von Marx kommt das juristische Recht, das immer nur die ökonomischen Bedingungen einer bestimmten Gesellschaft widerspiegelt, nur in ganz sekundärer Weise in Betracht; dagegen in erster Linie die geschichtliche Berechtigung, die gewisse Zustände, Aneignungsweisen, Gesellschaftsklassen für bestimmte Epochen haben, und deren Untersuchung jeden in erster Linie interessiert, der in der Geschichte einen zusammenhängenden, wenn auch oft durchkreuzten Entwicklungsgang sieht, nicht aber, wie das 18. Jahrhundert, einen bloßen Wust von Torheit und Brutalität. Marx begreift die geschichtliche Unvermeidlichkeit, also Berechtigung der antiken Sklavenhalter, der mittelalterlichen Feudalherren usw., als Hebel der menschlichen Entwicklung für eine beschränkte Geschichtsperiode; er erkennt damit auch die zeitweilige geschichtliche Berechtigung der Ausbeutung, der Aneignung des Arbeitsprodukts durch andere an; er beweist aber auch gleichzeitig, daß diese historische Berechtigung jetzt nicht nur verschwunden ist, sondern daß die Fortdauer der Ausbeutung in irgendwelcher Form, statt die gesellschaftliche Entwicklung zu fördern, sie täglich mehr hemmt und in immer heftigere Kollisionen verwickelt. Und der Versuch Mengers, diese epochemachenden geschichtlichen Untersuchungen in sein schmales, juristisches Prokrustesbett zu zwängen, beweist nur seine eigene totale Unfähigkeit, Dinge zu begreifen, die über den allerengsten juristischen Horizont hinausgehen. Sein Grundrecht Nr. 1 existiert für Marx in dieser Formulierung absolut nicht.
Aber jetzt kommt's! Herr Menger hat bei Thompson das Wort Mehrwert, surplus value, entdeckt. Kein Zweifel, Thompson ist also der Entdecker des Mehrwerts, Marx nur ein elender Plagiator: „Man wird in diesen Ansichten Thompsons sofort den Gedankengang, ja sogar die Ausdrucksweise erkennen, die sich später bei so vielen Sozialisten, namentlich auch bei Marx und Rodbertus wiederfinden" (S. 53). Thompson ist also unleugbar der „hervorragendste Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus "(S. 49). Und worin besteht dieser wissenschaftliche Sozialismus? Die Ansicht, „daß Grundrente und Kapitalgewinn Abzüge sind, welche die Grundund Kapitaleigentümer von dem vollen Arbeitsertrag machen, ist keineswegs dem Sozialismus eigentümlich, da manche Vertreter der bürgerlichen Nationalökonomie, z.B. Adam Smith, von der gleichen Meinung ausgehen. Thompson und seine Nachfolger sind nur insofern originell, daß sie Grundrente und Kapitalgewinn als unrechtmäßige Abzüge betrachten, welche mit dem Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag im Widerspruch stehen" (S. 53, 54). Der wissenschaftliche Sozialismus besteht also nicht darin, eine ökonomische Tatsache zu entdecken, das hatten nach Menger die Ökonomen vor ihm schon besorgt, sondern einfach darin, sie für unrechtmäßig zu erklären. Das ist Herrn Mengers Ansicht davon. Wenn die Sozialisten es sich in der Tat so leicht gemacht hätten, so hätten sie längst einpacken können und Herrn Mengers rechtsphilosophische Blamage wäre ihm erspart worden. Aber so geht es, wenn man eine weltgeschichtliche Bewegung auf juristische Schlagworte reduziert, die man in der Westentasche unterbringen kann. Aber der dem Thompson gestohlene Mehrwert? Damit verhält es sich wie folgt: Thompson untersucht in seiner „Inquiry into the Principles of Distribution of Wealth" etc. Kap. 1, Sekt. 15, „welchen Verhältnisteil ihres Arbeitsprodukts sollen die Arbeiter" („ought", wörtlich „schuldig sein", also „sollen von Rechts wegen") „die Arbeiter bezahlen für den, Kapital genannten, Artikel an die Besitzer desselben, genannt Kapitalisten"? Die Kapitalisten sagen, daß „ohne dies Kapital, ohne Maschinerie, Rohstoffe etc. die bloße Arbeit unproduktiv sein würde, und daß es deshalb nur gerecht ist, daß der Arbeiter für dessen Benützung etwas bezahlt". Und Thompson fährt fort: „Zweifellos muß der Arbeiter für den Gebrauch desselben etwas bezahlen, wenn er so unglücklich ist, es nicht selbst zu besitzen; die Frage ist, wieviel vom Produkt seiner Arbeit für diese Benützung abgezogen werden sollte (ought)" (S. 128 der Pareschen Ausgabe von 1850).
Dies sieht schon gar nicht nach dem „Recht auf den vollen Arbeitsertrag" aus. Im Gegenteil, Thompson findet es ganz in der Ordnung, daß der Arbeiter einen Teil seines Arbeitsertrags für die Benützung des geborgten Kapitals abtritt. Es fragt sich für ihn nur, wieviel? Und da gibt es „zwei
Maßstäbe, den des Arbeiters und den des Kapitalisten". Und was ist der Maßstab des Arbeiters? „Die Zahlung einer Summe, die den Verschleiß des Kapitals ersetzt, seinen Wert, wenn es ganz konsumiert wird, und dazu eine solche zusätzliche Vergütung an seinen Eigentümer und Verwalter (Superintendent), wie sie diesen in gleichem Komfort mit den wirklich arbeitenden (more actively employed) produktiven Arbeitern unterhalten würde!" Das ist nach Thompson die Forderung des Arbeiters, und wer hierin nicht sofort „den Gedankengang, ja sogar die Ausdrucksweise" von „Marx wiederfindet", der fällt bei Herrn Menger im rechtsphilosophischen Examen ohne Barmherzigkeit durch. Aber der Mehrwert, - wo bleibt der Mehrwert? Geduld, lieber Leser, gleich geht's los. „Der Maßstab des Kapitalisten würde der zusätzliche Wert sein, den dieselbe Quantität Arbeit infolge der Benützung von Maschinerie oder anderem Kapital produziert; so daß dieser ganze Mehrwert genossen würde vom Kapitalisten, von wegen seiner überlegenen Intelligenz und Geschicklichkeit, vermöge deren er sein Kapital aufgehäuft und den Arbeitern es oder seinen Gebrauch vorgeschossen hat" (Thompson, S. 128). Diese Stelle, buchstäblich genommen, ist rein unverständlich. Ohne Produktionsmittel ist keine Produktion möglich. Die Produktionsmittel sind aber hier unterstellt in der Form von Kapital, d.h. im Besitz von Kapitalisten. Produziert also der Arbeiter ohne „Benützung der Maschinerie oder anderem Kapital", so versucht er das Unmögliche, produziert eben gar nichts. Produziert er aber mit Benutzung von Kapital, so wäre sein ganzes Produkt das, was hier Mehrwert heißt. Sehen wir also weiter. Und da läßt Thompson denselben Kapitalisten auf S. 130 sagen: „Vor der Erfindung der Maschinerie, vor der Errichtung der Werkstätten und Fabriken, was war da der Betrag des Produkts, den die ununterstützten Kräfte des Arbeiters hervorbrachten? Wie hoch dieser auch immer war, er soll diesen auch fernerhin genießen... aber der Errichter der Gebäude oder der Maschinerie, oder dem, der diese durch freiwilligen Tausch erworben hat, ihm soll der ganze Mehrwert der fabrizierten Waren zufallen als Belohnung", usw.
Thompsons Kapitalist spricht hier nur die alltägliche Illusion des Fabrikanten aus, daß die Arbeitsstunde des mit Hilfe von Maschinerie usw. produzierenden Arbeiters einen größeren Wert produziere als vor der Erfindung der Maschinerie die Arbeitsstunde des einfachen Handarbeiters. Diese Einbildung wird genährt durch den außerordentlichen „Mehrwert", den der Kapitalist einstreicht, der mit einer neuerfundenen und von ihm und vielleicht noch ein paar anderen Kapitalisten monopolisierten Maschine in ein bisher der Handarbeit gehörendes Gebiet einbricht. Der Preis des Handprodukts bestimmt hier den Marktpreis des gesamten Produkts dieses Industriegebiets; das Maschinenprodukt kostet vielleicht nur den vierten
Teil der Arbeit, läßt also dem Fabrikanten einen „Mehrwert" von 300 Prozent seines Kostenpreises. Natürlich macht die Verallgemeinerung der neuen Maschine dieser Art „Mehrwert" bald ein Ende; aber dann sieht der Kapitalist, daß in dem Maß, wie das Maschinenprodukt den Marktpreis bestimmt, und dieser Preis mehr und mehr auf den wirklichen Wert des Maschinenprodukts herabsinkt, der Preis des Handprodukts ebenfalls sinkt und damit unter seinen früheren Wert herabgedrückt wird, daß also die Maschinenarbeit gegenüber der Handarbeit immer noch einen gewissen „Mehrwert" produziert. Diese ganz gewöhnliche Selbsttäuschung legt Thompson hier seinem Fabrikanten in den Mund. Wie wenig er selbst sie aber teilt, sagt er unmittelbar vorher, auf S. 127, ausdrücklich:
„Die Rohstoffe, die Gebäude, der Arbeitslohn, sie alle können ihrem eigenen Wert nichts hinzufügen; der zusätzliche Wert kommt her von der Arbeit allein."
Wobei wir unsere Leser um Entschuldigung bitten, wenn wir zu Nutz und Frommen ausschließlich des Herrn Menger hier noch extra feststellen, daß auch dieser „zusätzliche Wert" Thompsons keineswegs der Marxsche Mehrwert ist, sondern der ganze, dem Rohstoff durch die Arbeit zugesetzte Wert, also die Summe vom Wert der Arbeitskraft und Mehrwert im Marxschen Sinne. Jetzt erst, nach dieser unumgänglichen „volkswirtschaftlichen Verbrämung", können wir die Kühnheit des Herrn Menger vollständig würdigen, mit der er S. 53 sagt:
„Nach der Ansicht Thompsons ... betrachten die Kapitalisten ... jene Differenz zwischen der Lebensnotdurjt des Arbeiters und dem wirklichen Ertrag ihrer durch Maschinen und andere Kapitalaufwendungen produktiver gewordenen Arbeit als einen Mehrwert (surplus value, additional value), der den Grund- und Kapitaleigentümern zuzufallen hat."
Das soll die deutsche „freie" Wiedergabe der von uns oben angeführten Stelle Thompsons S. 128 sein. Bei Thompsons Kapitalisten ist aber einzig die Rede von der Differenz zwischen dem Produkt derselben Arbeitsmenge (the same quantity of labour), je nachdem sie mit Benützung von Kapital und ohne Benützung von Kapital arbeitet, der Differenz zwischen dem Produkt einer gleichen Menge von Handarbeit und Maschinenarbeit. Die „Lebensnotdurft des Arbeiters" kann Herr Menger nur hineinschmuggeln, indem er Thompson direkt fälscht. Konstatieren wir also: Der „Mehrwert" des Thompsonschen Kapitalisten ist nicht der „Mehrwert" oder „zusätzliche Wert" Thompsons; noch viel weniger ist einer der beiden der „Mehrwert" des Herrn Menger; und am allerwenigsten ist einer von allen dreien der „Mehrwert" von Marx. Das geniert Herrn Menger aber nicht im mindesten. Er fährt fort S. 53:
„Grundrente und Kapitalgewinn sind deshalb nichts anderes als Abzüge, welche der Grund- und Kapitaleigentümer vermöge seiner gesetzlichen Machtstellung von dem vollen Arbeitsertrage zum Nachteile des Arbeiters zu machen in der Lage ist" - ein Satz, der seinem ganzen Inhalt nach schon in Adam Smith enthalten ist - und ruft dann triumphierend aus: „Man wird in diesen Ansichten Thompsons sofort den Gedankengang, ja sogar die Ausdrucksweise wiedererkennen, die sich später bei so vielen Sozialisten, namentlich auch bei Marx und Rodbertus wiederfindet." Mit anderen Worten: Herr Menger hat bei Thompson das Wort surplus value (auch additional value), Mehrwert, entdeckt, wobei er nur vermittelst einer direkten Unterschiebung verheimlichen kann, daß surplus value oder additional value bei Thompson in zwei unter sich total verschiedenen Bedeutungen vorkommt, die beide wieder total verschieden sind von dem Sinn, worin Marx das Wort Mehrwert gebraucht.. Das ist der ganze Inhalt seiner gewaltigen Entdecktmg! Welch klägliches Ergebnis gegenüber der pomphaften Ankündigung der Vorrede: „Ich werde in dieser Schrift den Nachweis fähren, daß Marx und Rodbertus ihre wichtigsten sozialistischen Theorien älteren englischen und französischen Theoretikern entlehnt haben, ohne die Quellen ihrer Ansichten zu nennen." Wie traurig hinkt jetzt der Vergleich einher, der diesem Satz vorhergeht: „Wenn jemand dreißig Jahre nach dem Erscheinen von Adam Smiths Werk über den Nationalreichtum die Lehre von der Arbeitsteilung wieder .entdeckt' hätte oder wenn heute ein Schriftsteller die Entwicklungstheorie Darwins als sein geistiges Eigentum vortragen wollte, so würde man ihn für einen Ignoranten oder für einen Scharlatan halten. Nur auf dem Gebiete der Sozialwissenschaft, welche eben einer geschichtlichen Tradition noch fast völlig entbehrt, sind erfolgreiche Versuche dieser Art denkbar."
Wir wollen hier absehen davon, daß Menger immer noch glaubt, Adam Smith habe die Teilung der Arbeit „entdeckt", während schon Petty diesen Punkt achtzig Jahre vor Smith vollständig entwickelt hatte. Das in bezug auf Darwin von Menger Gesagte dreht sich aber jetzt einigermaßen um. Der ionische Philosoph Anaximander stellte bereits im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Ansicht auf, daß der Mensch sich aus einem Fisch entwickelt habe, und wie bekannt, ist dies auch die Ansicht der heutigen evolutionistischen Naturwissenschaft. Wenn nun jemand auftreten wollte und erklären, hier sei bereits der Gedankengang und sogar die Ausdrucksweise Darwins zu erkennen, und Darwin sei nichts als ein Plagiator des Anaximander, habe aber sorgfältig seine Quelle verheimlicht, so würde er in bezug auf Darwin und Anaximander gerade so verfahren, wie Herr Menger in bezug auf Marx und Thompson wirklich verfährt. Der Herr Professor hat recht: „Nur auf dem Gebiete der Sozialwissenschaften" darf man auf jene Unwissenheit rechnen, welche „erfolgreiche Versuche dieser Art denkbar" macht.
Da er aber auf das Wörtchen „Mehrwert" solchen Nachdruck legt, einerlei, welcher Begriff damit verbunden wird, sei dem großen Kenner der sozialistischen und ökonomischen Literatur das Geheimnis verraten, das nicht nur bei Ricardo schon das Wort surplus produce1 vorkommt (im Kapitel über den Arbeitslohn14701), sondern daß auch neben dem von Sismondi gebrauchten mieux-value2 der Ausdruck plus-value für jeden Wertaufschlag, der dem Warenbesitzer nichts kostet, in Frankreich seit Menschengedenken im gewöhnlichen Geschäftsleben gang und gäbe ist. Hiernach dürfte es fraglich erscheinen, ob die von Menger vollzogene Entdeckung der Entdeckung des Mehrwerts durch Thompson oder vielmehr durch den Thompsonschen Kapitalisten auch nur in der Rechtsphilosophie Geltung erhalten wird. Herr Menger ist aber noch lange nicht mit Marx fertig. Man höre: „Es ist charakteristisch, daß Marx und Engels dieses Fundamentalwerk. des englischen Sozialismus" (nämlich Thompson) „seit vierzig Jahren falsch zitieren" (S.50). Nicht genug, daß Marx diese seine geheime Egeria seit vierzig Jahren totschweigt, er muß sie auch noch falsch zitieren! Und nicht nur einmal, sondern seit vierzig Jahren. Und nicht nur Marx, sondern auch Engels! Welcher gehäufte Vorbedacht der Verruchtheit! Armer Lujo Brentano, der Du seit zwanzig Jahren vergeblich auf der Suche bist nach einem einzigen falschen Zitat von Marx und Dir auf dieser Hetzjagd nicht nur selbst die Finger verbrannt, sondern auch Deinen leichtgläubigen Freund SedleyTaylor in Cambridge ins Unglück gebracht hast14711 - hänge Dich, Lujo, daß Du das nicht erfunden hast. Und worin besteht diese horrende, vierzig Jahre lang hartnäckig fortgesetzte und obendrein „charakteristische" Fälschung, die des ferneren durch die böswillige ebenfalls vierzigjährige Mitwirkung von Engels den Charakter eines dolosen Komplotts annimmt?
„... falsch zitieren, indem sie das erste Erscheinen desselben in das Jahr 1827 setzen!" Und das Buch war schon 1824 erschienen! „Charakteristisch" in der Tat - für Herrn Menger. Das ist jedoch bei weitem nicht das einzige - aufgepaßt, Lujo! - nicht das einzige falsche Zitat von Marx und Engels, die das falsche Zitieren gewerbsmäßig - vielleicht auch im Umherziehen? - zu betreiben scheinen. In der „Misere de la philosophie ", die 1847 erschien, hat Marx Hodgskin mit Hopkins verwechselt, und vierzig Jahre nachher (unter vierzig Jahren tun es diese boshaften Menschen nun einmal nicht) verbricht Engels dasselbe in der Vorrede zur deutschen Übersetzung der „Misere".[47a] Bei diesem seinen Feingefühl für Druck- und Schreibfehler ist es in der Tat ein Verlust für die Menschheit, daß der Herr Professor nicht Korrektor in einer Druckerei geworden ist. Doch nein, wir müssen dies Kompliment wieder zurücknehmen. Herr 1 Mehrprodukt - 2 Mehrwert
Menger ist auch zum Korrektor nicht zu gebrauchen, denn auch er schreibt falsch ab, zitiert also falsch. Dies passiert ihm nicht nur mit englischen, sondern auch mit deutschen Titeln. So weist er z.B. auf „Engels' Übersetzung dieser Schrift", nämlich der „Misere", hin. Engels hat laut Titelblatt der Schrift die Übersetzung nicht gemacht. Die Stelle von Marx mit Hopkins zitiert Engels in der betreffenden Vorrede wörtlich, er war also verpflichtet, den Irrtum mitzuzitieren, wenn er Marx nicht falsch zitieren wollte. Aber diese Leute können es einmal Herrn Menger nicht recht machen. Doch genug mit dem Kleinigkeitskram, in dem unser Rechtsphilosoph sich mit solchem Behagen umhertreibt. Es ist „charakteristisch" für den Mann und seine ganze Sorte, daß er, der diese ganze Literatur überhaupt nur aus Marx kennengelernt hat - er zitiert keinen einzigen englischen, nicht schon von Marx zitierten Schriftsteller, außer etwa Hall und weltbekannten Leuten wie Godwin, den Schwiegervater Shelleys -, daß er sich verpflichtet fühlt, nachzuweisen, daß er zwei oder drei Bücher mehr kennt als Marx „vor vierzig Jahren", im Jahre 1847. Wer mit den Titeln allein der von Marx angeführten Werke in der Tasche und mit den jetzigen Hilfsquellen und Bequemlichkeiten des Britischen Museums keine andere Entdeckung in dieser Branche zu machen versteht, als daß Thompsons „Distribution" 1824 erschienen ist und nicht 1827, der braucht mit bibliographischer Gelehrsamkeit wahrhaftig nicht zu renommieren. Was von manchem anderen Sozialreformer unserer Zeit, das gilt auch von Herrn Menger: Große Worte und nichtige - wenn überhaupt welche Taten. Der Nachweis wird versprochen, daß Marx ein Plagiator, und bewiesen, daß ein Wort, der „Mehrwert", schon vor Marx, wenn auch in anderem Sinne gebraucht worden! So geht es auch mit dem juristischen Sozialismus des Herrn Menger. Im Vorwort erklärt Herr Menger, daß er in der „juristischen Bearbeitung des Sozialismus" die „wichtigste Aufgabe der Rechtsphilosophie unserer Zeit" erblicke. „ Ihre richtige Lösung wird wesentlich dazu beitragen, daß sich die unerläßlichen Abänderungen unserer Rechtsordnung im Wege einer friedlichen Reform vollziehen. Erst wenn die sozialistischen Ideen in nüchterne Rechtsbegrifle verwandelt sind, werden die praktischen Staatsmänner zu erkennen imstande sein, wie weit die geltende Rechtsordnung im Interesse der leidenden Volksmasse umzubilden ist."
Er will sich an diese Umwandlung machen durch Darstellung des Sozialismus als eines Rechtssystems. Und worauf läuft diese juristische Bearbeitung des Sozialismus hinaus? In den „Schlußbemerkungen" heißt es:
„Das unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Ausbildung eines Rechtssystems, welches von diesen fundamentalen Rechtsideen" (Grundrecht Nr. 1 und 2) „völlig beherrscht wird, einer fernen Zukunft angehört" (S. 163).
Was im Vorwort als die wichtigste Aufgabe „unserer Zeit" erscheint, wird zum Schluß einer „fernen Zukunft" zugeschoben. „Die notwendigen Änderungen" (der geltenden Rechtsordnung) „werden im Wege einer langen historischen Entwicklung erfolgen, ähnlich wie unsere heutige Gesellschaftsordnung das Feudalsystem im Laufe der Jahrhunderte so zersetzt und zerstört hat, bis es schließlich nur eines Anstoßes bedurfte, um dasselbe Vollständig zu beseitigen" (S.164). Sehr schön gesagt, aber wo bleibt da die Rechtsphilosophie, wenn die „historische Entwicklung" der Gesellschaft die notwendigen Änderungen bewirkt? In der Vorrede sind es die Juristen, welche der gesellschaftlichen Entwicklung ihren Weg vorschreiben; jetzt, wo der Jurist daran ist, beim Worte genommen zu werden, verliert er die Courage und stammelt etwas von historischer Entwicklung, die alles von selbst macht. „Strebt nun aber unsere soziale Entwicklung der Verwirklichung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag oder des Rechts auf Arbeit entgegen?" Herr Menger erklärt, das nicht zu wissen. So schnöde gibt er jetzt seine sozialistischen „Grundrechte" preis. Aber wenn diese Grundrechte nicht imstande sind, einen Hund vom Ofen zu locken, wenn sie nicht die soziale Entwicklung bestimmen und verwirklichen, sondern durch sie bestimmt und verwirklicht werden, wozu dann diese Mühe, den ganzen Sozialismus auf die Grundrechte zu reduzieren ? Wozu die Mühe, den Sozialismus seiner ökonomischen und historischen „Verbrämungen" zu entkleiden, wenn wir hinterdrein erfahren müssen, daß die „Verbrämungen" seinen wirklichen Inhalt ausmachen ? Warum uns erst zum Schlüsse mitteilen, daß die ganze Untersuchung gar keinen Zweck hat, da man das Ziel der sozialistischen Bewegung nicht durch die Verwandlung der sozialistischen Ideen in nüchterne Rechtsbegriffe, sondern nur durch das Studium der sozialen Entwicklung und ihrer treibenden Ursachen erkennen kann? Herrn Mengers Weisheit läuft schließlich darauf hinaus, daß er erklärt, welche Richtung die soziale Entwicklung nehmen werde, könne er nicht sagen, aber eines sei sicher, man solle „die Gebrechen unserer heutigen sozialen Ordnung nicht künstlich steigern" (S. 166), und er empfiehlt zur Ermöglichung der weiteren Erhaltung dieser „Gebrechen" den - Freihandel und die Vermeidung weiteren Schuldenmachens seitens des Staats und der Gemeinden! Diese Ratschläge sind das ganze greifbare Resultat der mit so viel Lärm und Selbstanpreisung auftretenden Rechtsphilosophie von Menger! Schade, daß uns der Herr Professor nicht das Geheimnis verrät, wie die modernen Staaten und Kommunen ohne die „Kontrahierung von Staats- und Kommunalschulden" fertig werden sollen. Sollte er dies Geheimnis besitzen, so möge er es ja nicht für sich behalten. Es würde ihm den Weg „nach oben" in den Ministersessel noch schneller bahnen, als seine „rechtsphilosophischen" Leistungen bewirken können.
Welche Aufnahme immer diese an „maßgebender Stelle" finden mögen, auf jeden Fall glauben wir versichern zu dürfen, daß die Sozialisten der Gegenwart und Zukunft Herrn Menger seine gesamten Grundrechte schenken oder auf jeden Versuch verzichten, ihm diesen seinen „vollen Arbeitsertrag" streitig zu machen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die Sozialisten darauf verzichten, bestimmte Rechtsforderungen zu stellen. Eine aktive sozialistische Partei ist ohne solche unmöglich, wie überhaupt jede politische Partei. Die aus den gemeinsamen Interessen einer Klasse hervorgehenden Ansprüche können nur dadurch verwirklicht werden, daß diese Klasse die politische Macht erobert und ihren Ansprüchen allgemeine Geltung in Form von Gesetzen verschafft. Jede kämpfende Klasse muß also ihre Ansprüche in der Gestalt von Rechtsforderungen in einem Programm formulieren. Aber die Ansprüche jeder Klasse wechseln im Laufe der gesellschaftlichen und politischen Umgestaltungen, sie sind in jedem Lande verschieden, je nach seinen Eigentümlichkeiten und dem Höhegrad seiner sozialen Entwicklung. Daher sind denn auch die Rechtsforderungen der einzelnen Parteien, bei aller Übereinstimmung im Endziele, nicht zu jeder Zeit und bei jedem Volk völlig die gleichen. Sie sind ein wandelbares Element und werden von Zeit zu Zeit revidiert, wie man das bei den sozialistischen Parteien der verschiedenen Länder beobachten kann. Bei solchen Revisionen sind es die tatsächlichen Verhältnisse, die in Rechnung gezogen werden; dagegen ist es noch keiner der bestehenden sozialistischen Parteien eingefallen, aus ihrem Programm eine neue Rechtsphilosophie zu machen, und es dürfte ihr auch in der Zukunft nicht einfallen. Wenigstens, was Herr Menger auf diesem Gebiete fertiggebracht hat, vermag nur abschreckend zu wirken. Das ist die einzige brauchbare Seite an seinem Schriftchen.
Geschrieben November bis Anfang Dezember 1886. Nach: „Die Neue Zeit", Heft 2, Jahrgang 1887.
4
Korrekturen von Friedrich Engels zum Programm der Sozialistischen Föderation in Nordengland[473]
Proletarier aller Länder — vereinigt euch!
Sozialistische Föderation Nordenglands (Gegründet in Northumberland, Mai 1887)
PRINZIPIEN1
Die Sozialistische Föderation Nordenglands ist gegründet worden, um die Volksmassen zu erziehen und zu organisieren, damit sie die ökonomische Emanzipation der Arbeit erreichen. Während die Sozialistische Föderation voll und ganz Anteil nimmt an jeder Bestrebung der Lohnarbeiter, unter dem bestehenden System bessere Lebensbedingungen zu erlangen und sie darin unterstützt, strebt sie danach, die Klasse der Kapitalisten und Grundeigentümer sowie die Klasse der Lohnarbeiter zu beseitigen und (die Arbeiter der ganzen Gesellschaft) alle Mitglieder der Gesellschaft zu einem genossenschaftlichen Gemeinwesen zu vereinen. Eine Unternehmerklasse, die alle Mittel zur Erlangung und Schaffung von Reichtum monopolisiert, und eine Klasse von Lohnarbeitern, die gezwungen ist, (in erster Linie) für den Profit dieser Unternehmer zu arbeiten, das ist ein System der Tyrannei und Sklaverei. Der Antagonismus dieser beiden Klassen (führt zu) äußert sich in wilder Konkurrenz - um Beschäftigung unter den Arbeitern und um Märkte unter den Kapitalisten. Das (gibt Anlaß zu Klassenhaß und Klassenkampfe spaltet die Nation zu ihrem eigenen Schaden, teilt sie in zwei feindliche Lager und zerstört wirkliche Unabhängigkeit, Freiheit und Glück. Das gegenwärtige System bringt den Müßiggängern Wohlstand und Luxus, den Arbeitern aber Mühe und Armut, und für alle Erniedrigung; es ist seinem Wesen nach ungerecht und sollte beseitigt werden. Und es kann beseitigt werden, jetzt, da die Arbeitsproduktivität so gestiegen ist, daß keine Ausdehnung der Märkte ihren Warenüberschuß aufnehmen kann, so daß gerade der Überfluß an Lebens- und Genußmitteln zur Ursache der
1 Die von Engels im Programm gestrichenen Wörter stehen in spitzen Klammern; die Einfügungen von Engels sind fett gedruckt
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Stagnation des Handels, der Arbeitslosigkeit und folglich des Elends von Millionen Werktätigen wird. Unser Ziel ist es, ein sozialistisches System zu errichten, das allen gesunde und nützliche Arbeit, allen ausreichenden Wohlstand und ausreichende Freizeit, und allen wahre und vollste Freiheit geben wird. Alle sind aufgerufen, der Sozialistischen Föderation in dieser großen Sache zu helfen. Die sich uns anschließen, sollen Wahrheit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit als die Grundlage ihres Verhaltens zueinander und zu allen Menschen anerkennen. Sie sollen den Grundsatz anerkennen: Keine Rechte ohne Pflichten, keine Pflichten ohne Rechte.
Nach dem Programm mit den handschriftlichen Korrekturen von Engels. Geschrieben zwischen 14. und 23. Juni 1887. Aus dem Englischen.
5
Interview der „New Yorker Volkszeitung" mit Friedrich Engels14741
[„New Yorker Volkszeitung" Nr. 226 vom 20. September 1888] Frage: Ist der Sozialismus in England im Fortschreiten begriffen, d.h. akzeptieren die englischen Arbeiterorganisationen mehr als früher die sozialistische Kritik der wirtschaftlichen Entwicklung und streben sie - in nennenswertem Umfange - die sozialistischen „Endziele" an? Engels: Ich bin mit den Fortschritten des Sozialismus und der Arbeiterbewegung in England ganz zufrieden; diese Fortschritte bestehen aber hauptsächlich in der Entwicklung des proletarischen Bewußtseins der Massen. Die offiziellen Arbeiterorganisationen, Trade-Unions, die stellenweise reaktionär zu werden drohten, müssen nachhinken wie der österreichische Landsturm. Frage: Wie steht es in dieser Beziehung in Irland? Gibt es dort - außer der nationalen Frage - irgend etwas, was im sozialistischen Sinne Hoffnungen erwecken könnte? Engels: Von Irland ist eine reine sozialistische Bewegung auf längere Zeit nicht zu erwarten. Die Leute wollen erst kleine grundbesitzende Bauern werden, und wenn sie das sind, kommt erst die Hypothek und
ruiniert sie nochmals. Inzwischen ist das kein Grund, daß wir ihnen nicht helfen sollten, sich von den Landlords zu befreien, d.h. aus einem halbfeudalen in einen kapitalistischen Zustand überzugehen. Frage: Wie stellen sich die englischen Arbeiter zur irischen Bewegung? Engels: Die Massen für die Irländer. Die Organisationen, wie die Aristokratie der Arbeiter überhaupt, gehen mit Gladstone und den liberalen Bourgeois und gehen nicht weiter als diese. Frage: Wie denken Sie über Rußland? D.h., inwiefern haben Sie Ihre Ansicht modifiziert - die Sie und Marx vor etwa 6 Jahren bei meiner1 damaligen Anwesenheit in London äußerten -, wonach infolge der nihilistischterroristischen Erfolge jener Zeit der Anstoß zu einer europäisch-revolutionären Bewegung wahrscheinlich von Rußland ausgehen würde?[475] Engels: Bin im ganzen noch der Ansicht, daß eine Revolution oder selbst nur die Berufung irgendwelcher Nationalversammlung in Rußland die ganze Gestalt der europäischen politischen Lage umwälzen würde. Aber dies ist heute nicht mehr die nächstliegende Möglichkeit. Dafür haben wir einen anderen Wilhelm2. Auf die Frage, wie er wohl die heutige europäische Lage charakterisieren würde, entgegnete Engels: Ich habe seit sieben Wochen keine europäische Zeitung in der Hand gehabt, bin also nicht imstande, irgend etwas, was da drüben vorgeht, zu charakterisieren. Damit schloß die Unterredung.
Der Internationale Arbeiterkongreß von 1889 „Eine Antwort an die Justice"14761
[„Der Sozialdemokrat" Nr. 13 und 14 vom 30. März und 6. April 1889] In ihrer Nummer vom 16. März 1889 greift die „Justice", das „Organ der Sozialdemokratie", in Hinblick auf den obigen Kongreß die Haltung der, wie sie sich ausdrückt, „offiziellen deutschen Sozialdemokraten" (was das für Leute auch immer sein mögen) im allgemeinen und des „offiziellen Organs der deutschen Sozialdemokratie" - womit der Londoner „Sozialdemokrat" gemeint ist - im besonderen an. Der „Sozialdemokrat" hat aufgehört, „offizielles" Organ zu sein, seit ein Erkenntnis des deutschen Reichsgerichtes es unsern deutschen Genossen
1 F.T.Cuno, Vertreter der „New Yorker Volkszeitung" - 2 Wilhelm II.
unmöglich gemacht hat, ein solches zu haben, ohne als Mitglieder einer „geheimen Verbindung" bestraft zu werden.[477-1 Von diesem Augenblick an nennt sich das Blatt nicht etwa nur „das Organ der Sozialdemokratie", sondern schlechtweg - und das will es auch nur sein - ein „Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge". Trotzdem ist der „Sozialdemokrat" stolz darauf, das volle Vertrauen der deutschen Sozialdemokratie zu genießen, einer Partei, deren Stärke in den 770 000 Stimmen, die sie bei den Wahlen von 1887 aufbrachte, nur teilweise zum Ausdruck gekommen. „Justice" sagt, sie bemerke, „daß deutsche Sozialdemokraten nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Amerika die Propaganda unserer Sache dadurch stören, daß sie ihre Zeitungen in einer Sprache drucken, die nicht einer von zehntausend um sie herum verstehen kann. Und das, obwohl sie, jedenfalls in den Vereinigten Staaten, gezwungen sind, Englisch zu lernen. Dies nicht genug, beschränken sie sich sogar peinlichst auf ihre eigenen nationalen Klubs." Dieser Vorwurf ist gradezu unerhört. Nach der „Justice" sollen also Deutsche, die im Auslande leben, ihre Sprache, das einzige Mittel der Propaganda unter ihren Landsleuten, aufgeben und bloße Anhängsel der Bewegung werden, die in dem betreffenden Lande zufällig existiert, wie immer dieselbe auch beschaffen ist. Der „Sozialdemokrat" ist ein deutsches Blatt, geschrieben für Angehörige der deutschen Zunge. Neun Zehntel seiner Auflage gehen direkt nach Deutschland. Er erscheint zufällig in England, weil ein Zwangsgesetz,, schlimmer als das von England Irland gegenüber angewendete, sein Erscheinen im Auslande nötig macht und weil der schweizerische Bundesrat unter dem Drucke Bismarcks seinen ganzen Stab aus der Schweiz ausgewiesen hat. Die „Londoner Freie Presse"t4781 ist ein Lokalblatt in deutscher Sprache. Sie besteht jetzt seit mehr als drei Jahren, was genügend beweist, daß. sie einem Bedürfnis entspricht. Übrigens sei es ihr überlassen, selbst für sich das Wort zu nehmen. Das mögen auch die Deutschamerikaner tun. Um aber die von „Justice" gegen sie geschleuderten Anklagen zu kennzeichnen, sei hier festgestellt, daß die Sozialistische Arbeiterpartei von Amerika12981, obwohl von Hause aus nur und auch jetzt noch zumeist aus Deutschen bestehend, zahlreiche nichtdeutsche Sektionen hat: anglo-amerikanische, slawische, skandinavische etc., daß sie neben vielen deutschen Blättern, die sich entweder vollständig oder doch nahezu decken, ein englisches Organ, den „Workmen's Advocate"t4791 veröffentlicht und dessen noch erhebliches Defizit (s. New Yorker „Sozialist" vom 2. März 1889, Bericht der National-Exekutive) deckt, daß sie aus ihren Mitteln die Kosten für einen Agitator für die angloamerikanischen Arbeiter - Professor Garside - beschafft und daß sie in Amerika sich vorwerfen lassen muß, nur ein Haufen fremder Eindringlinge
33 Marx/Engels, Werke, Bd. 21
zu sein, die sich in amerikanische Verhältnisse einmischen, die sie nichts angehen und die sie nicht verstehen. Und das sagt man ihnen nach, ganz unbekümmert darum, daß die Deutschamerikaner entweder amerikanische Bürger sind oder es zu werden und in Amerika zu verbleiben gedenken. Würden die Deutschen in England, die fast alle sich hier nur zeitweise aufhalten, die ihnen von der „Justice" erteilten Weisungen befolgen, englische Blätter für englische Leser herausgeben, sich an der öffentlichen Agitation unter Engländern aktiv beteiligen, sich in die englische Politik einmischen, allen Pflichten von Engländern nachkommen und alle Rechte von Engländern verlangen, derselbe Vorwurf würde ihnen ins Gesicht geschleudert werden, und unter anderen möglicherweise auch von der „Justice". Was die Behauptung anbetrifft, daß die Deutschamerikaner „gezwungen sind, Englisch zu lernen", so kann ich nur sagen, ich wünschte, es wäre so. Leider aber ist es keineswegs der Fall. Wo immer aber deutsche Sozialisten gewesen sind, da können sie Anspruch darauf erheben, in den Grenzen ihres Könnens tätig und erfolgreich an der sozialistischen Agitation mitgewirkt zu haben. Weder in Amerika noch in der Schweiz, noch im Osten und Norden Europas nähme die Sozialdemokratie ihre heutige Stellung ein, wäre ihr nicht die Tätigkeit der sich in den betreffenden Ländern aufhaltenden Deutschen zugute gekommen. Sie sind überall und allezeit die Ersten gewesen, die Sozialisten der verschiedenen Nationen in Verkehr miteinander zu bringen, und der Deutsche Arbeiterbildungsverein (jetzt 49, Tottenham Street, Tottenham Court Road) war, wenn wir bis 1840 zurückgehen, der erste internationale sozialistische Verein1193'. Wenn diese Tatsachen der „Justice" unbekannt sind, so kennen die internationale Polizei und das internationale Kapital sie sehr genau. Wo immer ausländische Sozialisten von der festländischen Polizei belästigt, verfolgt, ausgewiesen wurden, waren es in drei von vier Fällen Deutsche, und das jetzt dem amerikanischen Kongreß unterbreitete Gesetz zur Verhütung der Einwanderung ausländischer Sozialisten richtet sich hauptsächlich gegen Deutsche. Die „Justice" fährt fort:
„Nun zu dem bevorstehenden Kongreß. Die Possibilistische Partei wurde auf dem Pariser Kongreß von 1886, wo die Deutschen vertreten waren, und auf dem Londoner Kongreß von 1888 einstimmig beauftragt, den 1889er Kongreß zu organisieren. Nicht der geringste Einwand wurde zur Zeit erhoben... Man durfte daher vernünftigerweise hoffen, daß alle die erbärmlichen persönlichen Bitterkeiten der letzten paar Jahre überwunden seien. Dennoch hat das offizielle Organ der deutschen Sozialdemokraten von jener Zeit an bis jetzt unablässig die Possibilisten bekrittelt und beschimpft und die Angriffe fanden ihren Abschluß in einem Caucus" (englische Bezeichnung für politische Komitees mit usurpierten Vollmachten), „der am 28. Februar in dem Büro des .Recht voor Allen'[480J stattfand und an die elenden Intrigen erinnert, die die alte
.Internationale' zum Bruch trieben. In dieser Woche ist der .Sozialdemokrat' wieder an der Arbeit und zitiert aus dem New Yorker .Sozialist' einen Angriff auf unsere französischen Genossen - ein Fall von .Schwein auf Speck', wahrhaftig. Sicherlich sollten unser Genosse Rackow und alle unabhängigen deutschen Sozialdemokraten sich mit uns zu einem ehrlichen Versuch vereinigen, dieser kleinlichen und böswilligen Zänkerei und Drahtzieherei ein Ende zu machen." Um alles das zu verstehen, ist etliche Kenntnis der Geschichte der französischen sozialistischen Bewegung bis 1871 unerläßlich. Die Sozialisten Frankreichs, in der Kommune von 1871 zu Boden geworfen, sammelten sich nach und nach und traten im Jahre 1879 auf dem Kongreß zu Marseille, wo sie sich als eine Arbeiterpartei organisierten, wieder vor das Publikum; jedoch kam es im Jahre 1882, auf dem Kongreß von St.Etienne, zu einer Spaltung. Jede Fraktion nannte sich die französische Arbeiterpartei (parti ouvrier), aber sie werden am besten unterschieden durch die Namen, die sie sich gegenseitig beilegten: nämlich Possibilisten und Marxisten. Neben ihnen bestand noch die Gruppe der Blanquisten, die ihre besondere Organisation aufrechterhielten, obwohl sie im allgemeinen erst mit der Arbeiterpartei und nach der Spaltung mit den sogenannten Marxisten gingen. Jede dieser verschiedenen Sektionen zählt wieder innerhalb der Sphäre ihres Einflusses eine Anzahl von Fachvereinigungen (chambres syndicales) und anderer Arbeitervereine. Im ganzen waren die Possibilisten am stärksten in Paris, während in den Provinzen die sogenannten Marxisten nahezu allein das Feld beherrschten. Auf das Wesen der Differenzen, welche die Fraktionen trennen, gehe ich hier nicht näher ein. Es ist bedauerlich genug, daß sie existieren. Aber weder die englischen Sozialisten, die selbst in verschiedene Gruppen gespalten sind, noch die deutschen Sozialisten, die erst seit 1875 vereinigt sind, haben ein Recht, den Franzosen diesen Mangel an Einigkeit zum Vorwurf zu machen. Um sich als die einzig wirkliche, die Arbeiterpartei Frankreichs, Geltung zu verschaffen, verlegten sich die Possibilisten darauf, internationale Konferenzen und Kongresse zu veranstalten. Eine solche Zusammenkunft fand in Paris im Jahre 1883 statt, eine zweite (die vom Ausland hauptsächlich durch englische Trades-Unionisten besucht war) im Jahre 1884, eine dritte 1886, auf der auch einige Vertreter anderer Nationen anwesend waren. Auf dieser Konferenz wurde ein Internationaler Kongreß, der 1889 in Paris stattfinden solle, beschlossen, und die Possibilisten wurden mit seiner Organisation beauftragt. Aber der deutsche Delegierte Grimpe und ebenso der Vertreter Österreichs haben dieser Resolution nicht zugestimmt. Und jedenfalls hat dieser Beschluß einer Konferenz, an der außer den Possibilisten und den englischen Trades-Unionisten nur wenige Belgier, ein Australier, ein Deutscher, ein Delegierter eines deutschen Vereins in London, ein Schwede und ein Österreicher teilnahmen, lediglich den Wert eines Wunsches. Wie wenig die auf ihr gefaßten Resolutionen selbst von ihren Teil
nehmern für bindend erachtet wurden, bewiesen die englischen TradesUnionisten, die auf ihrem Huller Kongreß ausdrücklich verschiedene derselben verwarfen. Im September 1887 fand in St. Gallen in der Schweiz ein Parteitag der deutschen Sozialdemokratie statt. Auf demselben wurde unter anderem eine Resolution angenommen, zum Jahre 1888 einen Internationalen Arbeiterkongreß einzuberufen. Als aber um dieselbe Zeit von den Trades Unions der Londoner Kongreß einberufen wurde, war die deutsche Arbeiterpartei bereit, ihren eigenen Kongreß fallenzulassen, vorausgesetzt, daß sie auf dem, der in London zusammentreten sollte, zugelassen - einfach zugelassen! - würde. In ihrer Einladung zum Kongreß hatten die Trades Unions erklärt, daß nur wirkliche Delegierte von nachweisbar bestehenden Arbeitervereinen zugelassen werden würden. Aber unter den gegenwärtigen Zwangsgesetzen in Deutschland würde jede Fachvereinigung durch die einfache Wahl und Entsendung eines Delegierten nach London ihre sofortige Auflösung und die Konfiskation ihres Vermögens von seiten der Regierung auf sich herabbeschworen haben. Die von dem Gewerkvereinskomitee formulierte Bedingung lief einfach auf den Ausschluß aller deutschen Delegierten hinaus. Die deutsche Arbeiterpartei sandte nun A.Bebel, unsern wohlbekannten Reichstagsabgeordneten, als ihren Delegierten nach London, und der Unterzeichnete begleitete ihn. Bebel sprach auf den Sekretariaten des Parlamentarischen Komitees14811 und des Londoner Zentralrats der Gewerkschaften vor und konferierte mit Vertretern der Sozialdemokratischen Föderation und der Sozialistischen Ligue[4821. Eine längere Korrespondenz entspann sich, in der die Deutschen eine Änderung der Zulaßbedingungen suchten. Aber die Entscheidung des Parlamentarischen Komitees wurde aufrechterhalten, die Tür des Kongresses vollbedacht uns vor der Nase zugeschlagen. Darauf erließ die Leitung unserer Partei ihren Protest gegen solch einen Kongreß. Der Kongreß fand statt. Nie in der Geschichte der Bewegung der Arbeiterklasse ist ein Arbeiterkongreß unter so erniedrigenden Bedingungen zusammengetreten. Alle früheren Arbeiterkongresse hielten darauf, souverän zu sein. Die Einberufer mochten vorläufige Bestimmungen treffen, aber jeder Delegierte konnte seine Stimme dagegen erheben, und dann traf der Kongreß den maßgebenden Entscheid. Diesmal aber wurden Zulaßbedingungen, Tagesordnung, Geschäftsordnung, kurz alles und jedes im voraus von dem Parlamentarischen Komitee, diesem antisozialistischen Organ des antisozialistischen Londoner Gewerkschaftsrates, diktiert. Trotzdem unterwarfen sich die sozialistischen Delegierten des Kongresses dieser Erniederung, weil sonst der Gewerkschaftsrat, der das Lokal gemietet hatte, sie hinausgewiesen hätte, und weil sie es - und mit Recht - für wichtiger hielten, vor der Welt die Existenz einer starken sozialistischen Minderheit
unter den englischen Gewerkschaften bekanntzugeben. Aber sie waren verpflichtet, Protest zu erheben, und das haben sie unterlassen. Die Beschlüsse eines solchen Kongresses können selbst für die, die auf ihm vertreten waren, kaum als bindend betrachtet werden, und seine eigentlichen Einberufer, das Parlamentarische Komitee, lehnen sie auch ab, indem sie sich weigern, für irgendeinen derselben die Hand zu rühren. (Bericht des P.K., November 1888, S.2[483).) Daß sie für diejenigen bindend sein sollten, die nicht nur nicht auf ihm vertreten waren, sondern mit Vorbedacht ausgeschlossen worden sind und gegen ihn protestiert hatten, ist einfach albern. Unbekümmert darum beschloß der Kongreß, daß im Jahre 1889 in Paris ein Internationaler Kongreß stattfinden solle und beauftragte die Pariser Possibilisten mit seiner Organisation. Während der Londoner Kongreß tagte, hielten die mit den sogenannten Marxisten Frankreichs verbundenen französischen Gewerkvereine in Bordeaux ihren Kongreß ab und beschlossen ebenfalls, daß ein Internationaler Arbeiterkongreß 1889 in Paris stattfinden solle. Ein Delegierter von Bordeaux ward zum Londoner Kongreß entsandt, kam aber dort erst an, um seinem Schluß beizuwohnen. Weiter. Die französischen Possibilisten hatten ihren eigenen nationalen Arbeiterkongreß auf den Dezember vorigen Jahres nach Troyes einberufen. Aber das Organisationskomitee in Troyes - ihre eigenen Leute - hielten es für ihre Pflicht, zu einem solchen Kongreß Delegierte aller sozialistischen und Arbeitervereine Frankreichs einzuladen. Daraufhin ließen die Possibilisten ihren Kongreß im Stich, der in ihrer Abwesenheit von den sogenannten Marxisten und Blanquisten abgehalten wurde, welche die in Bordeaux gefaßte Resolution in bezug auf einen 1889 in Paris abzuhaltenden Internationalen Kongreß bestätigten. Und das einfach aus Gründen der Notwehr, denn sie wissen zu gut, daß, indem der Londoner Kongreß den Possibilisten die Organisation des von ihm beschlossenen Pariser Kongresses übertrug, er tatsächlich, wenn auch unwissentlich, den Ausschluß aller französischen Arbeiter, die nicht unter dem Einfluß der Possibilisten stehen, vorbereitete. So hätten also zwei konkurrierende Kongresse 1889 in Paris zusammentreten sollen. Und wenn die „Justice" auch ihre Leser in vollkommener Unkenntnis der Tatsache gelassen, daß erhebliche Fraktionen französischer Arbeiter im Herbst 1888 in Bordeaux und Troyes zusammengetreten waren (in Bordeaux vertraten 63 Delegierte 250 lokale Gewerkschaften, u.a. von Marseille, Lille, Lyon, Roubaix; in Troyes 36 Delegierte 327 verschiedene Organisationen, lokale Fach- und sozialistische Vereine) und einen Kongreß beschlossen haben, auf dem auch sie vertreten sein könnten, so kam diese Tatsache doch zu den Ohren der deutschen sozialdemokratischen Partei. Demgemäß hielten es die Deutschen für ihre Pflicht, ihr möglichstes zu tun, die Abhaltung von zwei konkurrierenden Kongressen, die in Gegner
schaft zueinander stehen und die beide ein Mißerfolg sein würden, zu verhindern, und zu sehen, was getan werden könne, diese zwei Rumpfkongresse zu einem wirklichen Kongreß zu verschmelzen. Zu diesem Behuf schlug die sozialistische Fraktion im deutschen Reichstag, die die Leitung der deutschen Partei bildet, eine Internationale Konferenz vor, zu der sie beide Fraktionen der französischen Sozialisten und diejenigen nichtdeutschen sozialistischen Organisationen einlud, mit denen sie in Verkehr und Korrespondenz steht. Diese Konferenz hat am 28. Februar in Haag (Holland) stattgefunden, und auch ich war dort - freilich nicht als Delegierter, sondern bloß als Zuschauer. Beide Parteien Frankreichs waren eingeladen, aber die Possibilisten lehnten ein Erscheinen ab. Die Marxisten sandten Lafargue. Weiter waren dort: zwei Deutsche (Bebel und Liebknecht), zwei Holländer (Croll und Domela Nieuwenhuis), zwei Belgier (Anseele und Volders), zwei Schweizer (Reichel und Scherrer). Drei Fragen galt es vor allen Dingen zu erledigen. Erstens die Schritte zur Erzielung eines einheitlichen Kongresses, zweitens die Ausarbeitung von Zulaßbedingungen, welche es unmöglich machen, irgendeine Gruppe, die billigerweise Anspruch auf Zulaß hat, auszuschließen, und drittens die Sicherstellung der Souveränität des Kongresses in seinen inneren Angelegenheiten. Denn die Possibilisten waren bereits in die Fußtapfen des Parlamentarischen Komitees der Trades Unions getreten und hatten im voraus eine Geschäftsordnung ausgearbeitet, welche für den Kongreß bindende Kraft haben sollte. Nicht nur enthielt dieselbe bereits fix und fertig die Tagesordnung, sondern u.a. auch die Vorschrift, daß nicht der Kongreß in seiner Gesamtheit, sondern jede einzelne Nationalität die Mandate der ihr zugehörenden Delegierten prüfen und über ihre Gültigkeit entscheiden solle. Beides, sowohl diese Tagesordnung als speziell diese Art der Mandatsprüfung, mag der Kongreß später annehmen oder nicht, aber jedenfalls muß sein Recht, sie anzunehmen oder zu verwerfen, außer Frage gestellt werden. Und dies um so mehr, als die von den Possibilisten vorgeschriebene Art der Mandatsprüfung es tatsächlich in ihre Hand legt, nur die von ihnen gewählten französischen Delegierten zuzulassen. Man erinnere sich nur, wie sehr nahe verschiedene englische sozialistische Delegierte zum Londoner Kongreß daran waren, von einem Geschäftsordnungskomitee, in welchem die englischen Trades Unions bloß die Mehrheit gegenüber den Ausländern hatten, ausgeschlossen zu werden. Und nicht nur haben die Possibilisten gerade in Paris ihren Hauptanhang, sondern sie beabsichtigen auch, von dem Pariser Gemeinderat einen Beitrag von 50 000 Franken zu den Kosten des Kongresses zu erlangen, über welche Summe sie die Verfügung haben würden. So beschloß die Haager Konferenz denn einstimmig folgende Resolution: „Die Unterzeichneten laden die Föderation der sozialistischen Arbeiter Frankreichs" (dies der offizielle Name der Possibilistischen Partei) „ein, unter Bezugnahme
auf das ihr von dem Londoner Kongreß von 1888 übertragene Mandat, den Pariser Internationalen Kongreß gemeinsam mit den sozialistischen und Arbeiterorganisationen Frankreichs und der übrigen Länder, einzuberufen. Diese Einberufung, welche von allen Vertretern der Arbeiter- und sozialistischen Organisationen zu ünterzeichnen, ist alsdann so schnell als möglich den Arbeitern und Sozialisten Europas und Amerikas mitzuteilen. Die Einberufung soll erklären: 1. daß der Pariser Internationale Kongreß vom 14. bis zum 21. Juli 1889 tagen wird; 2. daß er allen Arbeitern und Sozialisten der verschiedenen Länder offensteht unter Zulaßbedingungen, die den politischen Gesetzen, unter denen sie leben, angepaßt sind; 3. daß der Kongreß in bezug auf die Mandatsprüfung und die Festsetzung der Tagesordnung souverän ist. Die vorläufige Tagesordnung solle lauten wie folgt: a) Internationale Arbeitergesetzgebung; gesetzliche Regulierung des Arbeitstages (Tagesarbeit, Nachtarbeit, Ruhetage, die Arbeit erwachsener Männer, der Frauen, der Kinder). b) Überwachung der Fabriken und Werkstätten wie der Hausindustrie. c) Mittel und Wege, diese Maßregeln zu erlangen. Im Haag, den 28. Februar 1889. Die Delegierten für Deutschland: A. Bebel, W.Liebknecht. „ „ „die Schweiz: A. Reichel, H. Sehen er. „ „ „ Holland: F. D. Nieweenkuis, L. Croll. „ „ „ Belgien: Ed. Anseele, J. Volders. „ „ Frankreich: Paul Lafargue."
So machte die Konferenz den Possibilisten jede denkbare Konzession. Unter Ausschluß ihrer französischen Rivalen wurde, in Übereinstimmung mit der Londoner Resolution, ihnen die Vorbereitung und Organisation des Kongresses überlassen. Alles was man von ihnen verlangte, war, daß sie eine gemeinsam verabredete Einladung erlassen sollten, die ebenfalls von allen übrigen interessierten Parteien zu unterzeichnen wäre und 1. das Datum des Kongresses, 2. die allgemeinen Zulaßbedingungen, und 3. die Souveränität des Kongresses in bezug auf seine Tages- und Geschäftsordnung feststellte. Indem sie alle Organisationen, die sie unterzeichnen, bindet, ist diese gemeinsame Einladungsform das beste, das einzige Mittel, den wahrhaft allgemeinen und internationalen Charakter des Kongresses zu sichern. Die vorgeschlagenen Zulaßbedingungen verhinderten eine Wiederholung der skandalösen Ausschließung von Delegierten aus Deutschland, Österreich und Rußland, infolge deren der Londoner Kongreß nur ein so unvollständiges Bild der proletarischen Bewegung unserer Zeit gab. Die Forderung, daß die Souveränität des Kongresses in bezug auf seine inneren Angelegenheiten ausdrücklich gesichert werden solle, war eine Notwendigkeit geworden, nachdem das Parlamentarische Komitee versucht hatte, einen
Präzedenzfall zu schaffen und die Possibilisten es ihm nachgemacht hatten. Sie verlangte nur, was sich von selbst verstand, und nahm den Possibilisten auch nicht das kleinste Titelchen von dem, was der Londoner Kongreß ihnen übertragen. Denn weder wollte, noch konnte der Londoner Kongreß das Recht beanspruchen, irgend jemand in der Welt Vollmacht zum Erlaß von Satzungen zu geben, die für künftige Kongresse bindend wären. Daß die Resolution im Haag nicht im hochfahrenden Gegensatz zum Londoner Kongreß gefaßt worden, beweist die Tatsache, daß zwei der Delegierten, die ihr zustimmten und sie unterzeichneten - Anseele von Gent und Croll vom Haag - 1888 in London nicht nur als Delegierte anwesend waren, sondern auch als Tagespräsidenten für das Ausland fungiert haben. Es geht ferner daraus hervor, daß sowohl die Deutschen, die in London ausgeschlossen, als diejenigen Franzosen, die daselbst nicht vertreten waren, bereit waren, die Possibilisten im Besitze aller Vollmachten zu lassen, die der Londoner Kongreß ihnen übertragen hatte und ihnen übertragen konnte. Was dieselben verlangen, ist einzig und allein, daß ihre eigene Zulassung unter gleichen Bedingungen gesichert werde und daß der Pariser Kongreß, einmal beisammen, über seine Interna selbst endgültig beschließen solle. Und dafür, daß sie es gewagt, in so versöhnlichem Geiste vorzugehen, wird die Haager Konferenz von der „Justice" ein „Caucus" genannt! Die Possibilisten haben die ihnen dargebotene Hand ausgeschlagen. Sie wollen den Vertretern der Sozialisten des Auslands gestatten, mit ihnen die Einladungszirkulare zu unterzeichnen, aber kein französischer Sozialist, der nicht in ihren Reihen steht, soll unterzeichnen dürfen. Sie beanspruchen dergestalt, die einzige sozialistische Körperschaft in Frankreich zu sein, und verlangen, daß wir Ausländer sie als das anerkennen. Mehr noch, sie wollen nicht zugeben, daß der Kongreß als Körperschaft den Modus der Mandatsprüfung selbst bestimmt - die von den Possibilisten im voraus verkündeten Satzungen und Reglemente sind da, und der Kongreß hat sie gehorsamst hinunterzuschlucken. Unter diesen Umständen ist es mit der Hoffnung, daß der im vorigen November in London beschlossene und den Possibilisten in die Hände gegebene Kongreß mehr als ein Scheinkongreß sein wird, zu Ende. Es bleibt abzuwarten, was die im Haag vertretenen Gruppen nun ihrerseits unternehmen werden; jedenfalls sind dieselben entschlossen, gemeinsam vorzugehen. Vom „Sozialdemokrat" sagt die „Justice", er habe seit dem Londoner Kongreß „unablässig die Possibilisten bekrittelt und beschimpft", und sie appelliert an alle unabhängige deutsche Sozialdemokraten, „sich mit uns zu einem ehrlichen Versuch zu vereinigen, dieser kleinlichen und böswilligen Zänkerei und Drahtzieherei ein Ende zu machen". Die „Justice" hat Jahre hindurch in ihrer eigenen Weise die Reden und Handlungen deutscher Sozialdemokraten kritisiert, aber der „Sozialdemo
krat" hat sich deshalb weder über „Krittelei und Schimpferei", noch über „kleinliche und böswillige Zänkerei und Drahtzieherei" beschwert. Wir Deutschen sind gewöhnt, eine unumwundene Kritik sowohl innerhalb unserer eigenen Partei als auch gegenüber den anderen Nationalitätsgruppen der proletarischen Bewegung zu üben. Wir wissen zu gut, daß es kein größeres Glück für unsere Feinde geben könnte, als diese Bewegung in eine gegenseitige Beweihräucherungsgesellschaft oder eine gegenseitige Versicherungsgesellschaft für Agitatoren verwandelt zu sehen. Wir sind daher nicht so zartbesaitet, die Attacken der „Justice" nicht ohne Zucken ertragen zu können. Ebensowenig aber sind wir nach England gekommen, um das Recht der Kritik aufzugeben, das wir einem Bismarck gegenüber hochgehalten und das durch ruhmvolle Revolutionen gesichert zu haben mit Recht der Stolz des englischen Volkes ist. Wir werden uns daher die Freiheit nehmen, da, wo wir es für notwendig halten, über die „Zänkereien und Drahtziehereien" französischer und - jawohl - auch englischer Sozialisten unsere Meinung offen herauszusagen. Die Possibilisten haben seit einiger Zeit eine politische Haltung beobachtet, die nichts weniger als die allseitige Zustimmung der Sozialdemokraten anderer Länder gefunden hat; aber ihre Haltung bei dem letzten Wahlkampf in Paris ist in der Tat gar nicht zu verteidigen. Unter dem Vorwand, die Republik vor Boulanger zu retten, haben sie sich mit den korruptesten Elementen des Bourgeois-Republikanismus verbündet, mit den Opportunisten[208], die zehn Jahre lang Frankreich ausgesogen, um sich zu bereichern. Sie agitierten und stimmten für einen Regierungskandidaten, einen kapitalistischen Spritfabrikanten, „einen schlechten Kandidaten, den französischen John Jameson" („Justice" vom 19. Januar 1889), und als ein sozialistischer Arbeiter, Boule, der den neulichen großen Erdarbeiterstreik organisiert -, beiden, Boulanger und Jacques, gegenübergestellt wurde, stimmten sie in den Bourgeois-Chorus ein: „Nur keine Spaltung innerhalb der großen republikanischen Partei!" - denselben Ruf, der in England mehr als einmal von der großen liberalen Partei gegen Kandidaten ausgestoßen wurde, die von der „Justice" aufgestellt worden. Als ob man nicht Boulanger wirksamer bekämpfte, wenn man den Arbeitern Gelegenheit gibt, für einen eigenen Vertreter zu stimmen, statt sie vor die Alternative zu stellen, entweder für Boulanger zu stimmen oder für einen Vertreter jener Kapitalisten, deren Gier, den Reichtum Frankreichs in ihre Taschen zu praktizieren (wie dies von Herrn Hyndman in der „Justice" vom 2. Februar 1889 sehr gut dargelegt worden), Boulanger erst zu dem gemacht, was er ist. Um der „Justice" Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: sie hat dieses Verhalten der Possibilisten nicht verteidigt, noch ihr „etwas bedenkliches Bündnis mit der Bourgeois-Partei" („Justice" 28. Januar), aber sie hat ihren Lesern auch nicht gesagt, daß das Organ der Possibilisten, das „Parti Ouvrier"[484], in seinem Eifer gegen die Boulangisten lärmend für Zwangs
maßregeln gegen diese „ungeheuerliche Preßfreiheit"* und wider das Versammlungsrecht eingetreten ist. Die „Justice" hat dies und den Kampf für den Arbeiterkandidaten, sowie die Tatsache, daß er trotz alledem 17 000 Stimmen erhielt, ihren Lesern nach Kräften vorenthalten. Und weil wir uns über dieses schimpfliche Verhalten der Possibilisten offen aussprachen, wird uns von einem Blatt Krittelei und Schimpferei, böswilliges Zanken und Drahtzieherei vorgeworfen, das die Aufführung seiner eigenen possibilistischen Freunde selbst nicht zu verteidigen wagt. Die Sache ist die, daß die Possibilisten in diesem Augenblick im vollen Sinn des Worts eine Regierungspartei - ministerielle Sozialisten - sind und die Wohltaten einer solchen Stellung einheimsen. Während der Kongreß von Bordeaux von den Behörden verboten und von der Polizei auseinandergejagt und seine Abhaltung nur dadurch möglich wurde, daß er im Stadthaus einer Nachbargemeinde, deren Maire revolutionär gesinnt, Obdach fand, während der Kongreß von Troyes wiederholt von der Polizei überfallen wurde, um das Entfalten der roten Fahne zu verhindern - Dinge, die die Possibilisten in ihren Blättern weder tadelten, noch auch nur erwähnten - sind diese „hochrespektablen" Sozialisten die Vertrauten der Charles Warren von Paris. Und sie haben denn auch nicht nur nicht protestiert, sondern direkt Beifall geklatscht, als die Pariser Behörden die von den unabhängigen Sozialisten und Fachvereinen eingeleitete Demonstration für den Achtstundenarbeitstag verboten. So wird, wenn es dahin kommt, daß in diesem Jahr zwei Kongresse in Paris abgehalten werden, der eine derselben nicht nur unter dem Schutz, sondern geradezu unter der Gönnerschaft der Polizei stehen. Er wird von der Regierung, von der Departementalbehörde, vom Gemeinderat von Paris geliebkost werden, gefeiert und feierlich bewirtet werden. Er wird aller Begünstigungen teilhaftig werden, welche auf die offiziellen ausländischen Gäste der Bourgeois-Republik herabregnen. Der andere wird von der republikanischen Ehrbarkeit gemieden, von den Behörden streng überwacht werden und in der Tat froh sein können, wenn man es ihm überläßt, für sich selbst zu sorgen. Denn, wenn Engländer ihn besuchen sollten, kann es ihnen passieren, daß sie sich mitten in Paris plötzlich wieder auf Trafalgar Square befinden.
* „Wir dürfen nicht ablassen zu wiederholen, daß in der Krisis, in der wir uns befinden, diese Preßfreiheit unterdrückt werden muß." „Parti Ouvrier" vom 18. März (der passendste Tag in der Tat) 1889.
7 Brief an die Redaktion des „Labour Elector"14851
Da Sie sich offenbar ständig für die Fragen interessieren, die mit dem bevorstehenden Internationalen Arbeiterkongreß zusammenhängen, hoffe ich, daß Sie einem Franzosen und Mitglied der sogenannten Organisation der französischen Marxisten (Agglomeration Parisienne) gestatten werden, einige Worte als Antwort auf ein Zirkular zu sagen, das im Bulletin der Pariser Arbeitsbörse veröffentlicht und in englischer Sprache im „Justice" vom 27. April wiedergegeben worden ist. Die Pariser Arbeitsbörse ist heute eine durch und durch possibilistische Institution. Die Possibilisten haben mit Hilfe der opportunistischen und radikalen Mitglieder12111 des Pariser Munizipalrats sich ihrer bemächtigt, und jede Gewerkschaft, die es wagt, sich offen possibilistischen Prinzipien und Taktiken zu widersetzen, wird sofort ausgeschlossen. Das obenerwähnte Zirkular ist daher, obwohl es im Namen von 78 Pariser Gewerkschaften herausgegeben wurde, genausogut ein possibilistisches Erzeugnis, als wenn es vom Komitee der Possibilisten selbst herausgebracht worden wäre. Dieses Zirkular ruft „alle Organisationen der Arbeiterklasse Frankreichs, ohne Unterschied der Schattierungen republikanischer oder sozialistischer Meinung" auf, an demPossibilisten-Kongreß teilzunehmen. Nun, das klingt recht gut. Und da unsere Sektion der französischen Sozialisten die Possibilisten aus der Provinz vollständig vertrieben hat, so daß sie nicht wagten, ihrem eigenen Kongreß in Troyes beizuwohnen, sobald sie hörten, daß wir zugelassen wären, und da unsere Organisationen in der Provinz bei weitem zahlreicher sind als alle possibilistischen Organisationen in ganz Frankreich, würden wir zweifellos sogar in diesem Possibilisten-Kongreß die Majorität an französischen Delegierten haben, wenn eine richtige Grundlage der Vertretung gesichert wäre. Aber da liegt gerade die Schwierigkeit. Das possibilistische Komitee hat einen Haufen von Anordnungen für den Kongreß herausgebracht, aber diesen wichtigsten Punkt niemals erwähnt. Niemand weiß, ob jede Gruppe einen, zwei oder mehr Delegierte entsenden soll oder ob die Zahl der Delegierten nach der Zahl der Mitglieder in jeder Gruppe bestimmt werden soll. Da aber die Possibilisten anerkanntermaßen am stärksten in Paris sind, könnten sie zwei oder drei Delegierte für jede Gruppe entsenden, wo wir in unserer Einfalt nur einen schicken. Sie können so viele Delegierte produzieren, wie es ihnen beliebt. Sie haben sie in Paris leicht zur Hand und brauchen sie nur zu benennen. Und so kann die französische Sektion des Kongresses bei aller scheinbaren Redlichkeit in eine kompakte Clique von Possibilisten verwandelt werden, die uns behandeln können, wie
sie wollen, falls wir nicht die Möglichkeit haben, einen Appell an den Kongreß zu richten. Allein aus diesem Grunde könnten wir nicht die Souveränität des Kongresses hinsichtlich all seiner internen Belange aufgeben, wenn überhaupt dieses erste und fundamentale Prinzip aufgegeben werden könnte. Man hat, wie ich glaube, in London noch nicht ganz vergessen, daß das Parlamentarische Komitee im vergangenen November sehr klar zu verstehen gab, daß es den Raum gemietet hätte und daß der Kongreß dort nur von seinem Wohlwollen abhängig sei - und wir wünschen nicht, daß sich das in Paris wiederholt.
Geschrieben Ende April 1889. Nach: „The Labour Elector", Vol. I, Nr. 18 vom 4. Mai 1889. Aus dem Englischen.
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Internationaler Sozialistischer Arbeiterkongreß
14. bis 21. Juli 1889
Aufruf an die Arbeiter und Sozialisten Europas und Amerikaslm]
[„Der Sozialdemokrat" Nr. 19 vom 11. Mai 1889] Im Oktober 1888 fand in Bordeaux ein nationaler Kongreß statt, auf dem mehr als 200 Arbeiter-Syndikatskammern und Fachgruppen vertreten waren. Dieser Kongreß beschloß, daß während der Ausstellung ein Internationaler Kongreß in Paris abgehalten werden möge. Der gleiche Beschluß wurde von dem nationalen Kongreß gefaßt, der im Dezember 1888 in Troyes stattfand und auf dem alle Fraktionen der sozialistischen Partei Frankreichs vertreten waren. Der vom Kongreß von Bordeaux ernannte Nationalrat und die vom Kongreß von Troyes ernannte Exekutivkommission wurden beauftragt, sich zu verständigen, um gemeinsam den Internationalen Kongreß zu organisieren und alle Arbeiter und Sozialisten Europas und Amerikas, welche die Emanzipation der Arbeit erstreben, ohne Unterschied der Fraktion hierzu einladen. Das geschah.
Am 28. Februar [1889] fand im Haag eine Internationale Konferenz statt, auf der die sozialistischen Parteien Deutschlands, der Schweiz, Belgiens, Hollands und Frankreichs durch Delegierte vertreten waren. Die Sozialistische Liga Englands und Dänemarks ließen sich entschuldigen und erklärten im voraus, daß sie sich den gefaßten Beschlüssen anschließen werden. Die Konferenz im Haag beschloß: 1. Der Pariser Internationale Kongreß soll vom 14. bis 21. Juli 1889 tagen. 2. Er soll allen Arbeitern und Sozialisten der verschiedenen Länder offenstehen, unter Zulaßbedingungen, die den politischen Gesetzen, unter denen dieselben leben, angepaßt sind. 3. Der Kongreß soll in bezug auf die Prüfung der Mandate und Festsetzung der Tagesordnung souverän sein. Die vorläufige Tagesordnung solle lauten wie folgt: a) Internationale Arbeitergesetzgebung; gesetzliche Regulierung des Arbeitstages (Tagesarbeit, Nachtarbeit, Ruhetage, die Arbeit erwachsener Männer, der Frauen, der Kinder). b) Überwachung der Fabriken und Werkstätten wie der Hausindustrie. c) Mittel und Wege, diese Maßregel zu erlangen. Demgemäß, um dem Mandat nachzukommen, welches uns die Kongresse von Bordeaux und Troyes auferlegt haben und um den von der Haager Konferenz gefaßten Beschlüssen zu entsprechen: 1. Berufen wir den Internationalen Kongreß nach Paris ein, der abgehalten werden soll am 14.-2I. Juli 1889. 2. Die Tagesordnung desselben ist die von der Haager Konferenz festgesetzte. 3. Wir laden die sozialistischen und Arbeiterorganisationen Europas und Amerikas zu diesem Kongreß ein, der die Grundlagen schaffen soll zu einem Bund aller Arbeiter und aller Sozialisten beider Welten. Wir haben in Paris eine Exekutivkommission eingesetzt, die mit der endgiltigen Organisation des Internationalen Kongresses und der Vorbereitung des Empfangs der ausländischen Delegierten beauftragt ist. Wir senden den Arbeitern und Sozialisten der Welt unsern brüderlichen Gruß. Es lebe die Internationale Emanzipation der Arbeiter!
Für den Nationalrat in Bordeaux: Der Generalsekretär R. Lavigne 16 Rue Sullivan.
Für die Exekutivkommission in Troyes: Der Generalsekretär G. Batisse
Die Pariser Exekutivkommission: Für die Föderation der Pariser Syndikatskammern: Bottie, Besset, Feline, Monceau, Rottssel Für die sozialistischen Organisationen von Paris: Vaillant, Guesde, Deville, Jaclard, Crepin, Lafargue Für die sozialistische Gruppe des Pariser Gemeinderats: Daumas, Longuet, Cha.uvie.re, Vaillant, Gemeinderäte Für die sozialistische Gruppe der Deputiertenkammer: Ferroul, Planteau, Abgeordnete Adressen: Sekretär für das Inland: Besset, Bureau de la Cordonnerie, Bourse du Travail, Paris, Rue J.J.Rousseau. Sekretär für das Ausland: Paul Lafargue, Le Perreux, Paris, Banlieue.
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Der Internationale Arbeiterkongreß von 1889
II. Eine Antwort auf das „Manifest der Sozialdemokratischen Föderatiori'lim Dieses in der „Justice" vom 25. Mai 1889 veröffentlichte Manifest behauptet, der Welt „nackte Wahrheiten" über den obengenannten Kongreß zu verkünden. Die Leute, die sich für diese „nackten Wahrheiten" verantwortlich fühlen, sind: „Das Internationale Komitee der Sozialdemokratischen Föderation" und „Der Generalrat der Sozialdemokratischen Föderation". Wir erfahren nicht, wer die Personen sind, aus denen sich diese beiden Körperschaften zusammensetzen. Es werden keinerlei Namen genannt, und das ist seltsam genug, wenn man bedenkt, daß die Verfasser endlose Klagen über den „geheimen caucus1" im Haag vorbringen, deren Mitglieder bei keiner Gelegenheit ihre Namen der öffentlichen Kenntnisnahme vorenthielten. Aber ein Rat oder ein Komitee der Sozialdemokratischen Föderation scheint etwas zu sein, das über allen Verstand geht. Es mag einigen noch im Gedächtnis sein, daß am 23. Oktober 1888 der Generalrat der Sozialdemokratischen Föderation mit sieben Stimmen gegen zwei einen scharfen Tadel für Herrn Hyndman beschloß, weil er die „Justice" „prostituiert" habe, ein Beschluß, der von Herrn Hyndman mit äußerster Miß
1 hier abwertende Bezeichnung für Vorkonferenz
achtung behandelt wurde („Justice", 27. Oktober 1888), den er eine „erschlichene Abstimmung" nannte und bald darauf durch eine gleich große oder noch größere Majorität umstoßen ließ. Danach ist es kein Wunder, daß derselbe Generalrat keine Namen nennt, sogar auf die Gefahr hin, selbst ein „geheimer caucus" genannt zu werden; ebenso kann es danach wirklich nicht mehr viel bedeuten, ob diese Namen bekanntgegeben werden oder nicht. Das Manifest beginnt folgendermaßen: „Der Beschluß einer Sektion unsrer sozialistischen Genossen in Frankreich - die im Verein mit andren handeln, die nicht Sozialisten sind -, einen Kongreß in Paris abzuhalten, der zu dem von unsren Genossen der possibilistischen Partei einberufenen und organisierten in Gegensatz steht, fordert eine Feststellung der Wahrheit seitens der Sozialdemokratischen Föderation, der bei weitem größten und mächtigsten sozialistischen Organisation in Großbritannien." Wer die Parteien sind, „die nicht Sozialisten sind", ist ebenso im dunklen gelassen wie die Namen derer, die diese Feststellung treffen. Es ist daher unmöglich zu prüfen, inwieweit es eine „nackte Wahrheit" ist oder nicht. Aber eine solche Feststellung, die, wenn sie nicht als eine Verleumdung gedacht ist, gar nichts bedeutet, klingt ziemlich überraschend aus dem Munde der Organe einer Assoziation, die in Angriff und Verteidigung der engste Verbündete jener Possibilisten ist, die es niemals fertiggebracht haben, einen Kongreß ohne die Hilfe „andrer, die nicht Sozialisten sind", zustande zu bringen. Ihre erste Konferenz in Paris 1883 war von außerhalb fast ausschließlich von den Führern der englischen Trade-Unionisten, geleitet von Herrn Broadhurst persönlich, besucht; und Herr Broadhurst war entzückt von den Reden, die dort gehalten, und von den Resolutionen, die angenommen wurden. Ihre zweite Konferenz war ebenfalls zum großen Teile von dem gleichen Element besucht, und der Londoner Kongreß 1888 wurde tatsächlich vom Parlamentarischen Komitee des Gewerkschaftskongresses einberufen, dessen Mitglieder, wie jedermann weiß, „nicht Sozialisten sind", sondern das genaue Gegenteil. Aber lassen wir das ruhen. Die Verfasser benutzen die Gelegenheit, um uns daran zu erinnern, daß die Sozialdemokratische Föderation die „bei weitem größte und mächtigste sozialistische Organisation in Großbritannien" ist. Diese Information ist nun Woche für Woche, fast sechs Jahre lang, in jeder Nummer der „Justice" wiederholt worden, und doch gibt es Menschen, die moralisch so verkommen sind, an der Größe und der Macht der Sozialdemokratischen Föderation zu zweifeln, ja, die sogar behaupten, daß diese Beteuerungen ihrer Größe und Macht an Häufigkeit, Heftigkeit und Aufdringlichkeit gerade dann und im selben Verhältnis zunehmen, wie die wahre Größe und Macht der Sozialdemokratischen Föderation im Schwinden begriffen ist. Sie weisen darauf hin, daß die „Justice" um die Jahreswende ihren Umfang „nur während der Feiertage" um nicht weniger
als die Hälfte reduziert hat, diese Feiertage sind jedoch noch nicht vorüber. Einige, die es wissen müßten, behaupten, daß die Auflage dieser Zeitung von 4000 auf knapp ein Drittel davon zusammengeschrumpft ist; daß es Zweiggesellschaften der Föderation gibt, die nicht einmal pro forma Zusammenkünfte durchführen, und daß es große Industriestädte gibt, in denen auch nicht ein Exemplar der Zeitung gelesen wird. Berichte, wie der über die Boltoner Zweiggesellschaft („Labour Elector" vom 28. Mai 1888) ein Bericht, der nicht anonym wie unser Manifest, sondern von acht Mitgliedern unterzeichnet ist -, neigen stark dazu, diese Behauptungen zu bestätigen. Was auch immer zugunsten der Kriegslist gesagt werden mag, die eigenen Kräfte vor dem Feinde zu übertreiben, so kann es doch keine Meinungsverschiedenheit über ihren Wert geben, wenn sie dazu benutzt wird, seinem eigenen Verbündeten und Genossen Sand in die Augen zu streuen, und es ist nicht zuviel gesagt, daß man mit der Laterne des Diogenes wird suchen müssen, ehe man im Vereinigten Königreich einen einzigen Menschen findet, der von dieser gewohnten Prahlerei der Sozialdemokratischen Föderation getäuscht worden ist. Es tut mir leid, daß ich so von einer Organisation sprechen muß, die viel Gutes getan hat, die noch sehr viel mehr tun könnte und die über ausgezeichnete Elemente verfügt. Aber solange sie es zuläßt, so „geleitet" zu werden wie augenblicklich, wird sie niemals auch nur der Schatten von dem sein, was sie zu sein vorgibt. Die Verfasser stellen ferner fest, daß sie keine Mühe gescheut haben, um eine Verständigung herbeizuführen, aber da dies nutzlos gewesen sei, beschränkten sie sich jetzt darauf, „die nackten Tatsachen bekanntzugeben, die niemals bestritten worden sind". Diese nackten Tatsachen sind vierzehn an der Zahl.
1. „Die Possibilistische Partei Frankreichs ... wurde von dem Internationalen Trade-Union-Kongreß in Paris 1886 ermächtigt, einen internationalen Arbeiterkongreß in Paris 1889 einzuberufen. Die Deutschen waren auf diesem Pariser Kongreß von 1886 durch Grimpe vertreten."
Diese „nackte Tatsache" ist in der Tat unbestritten, abgesehen davon, daß das Meeting von 1886 damals als eine einfache „Konferenz" bezeichnet wurde; um ihm aber mehr Autorität zu verleihen, wird es jetzt in einen ordentlichen „Kongreß" umgewandelt. Und es gibt die wichtige Auslassung, daß Grimpe nicht für diesen Beschluß stimmte; seine Anwesenheit auf der Konferenz kann daher keineswegs in eine Zustimmung „der Deutschen" zu dem den Possibilisten gegebenen Mandat ausgeweitet werden.
2. „Das Parlamentarische Komitee der englischen Trade-Unions schloß höchst unfair und ungerecht die Deutschen und Österreicher von jeder Vertretung auf dem Internationalen Trade-Union-Kongreß in London 1888 aus. Daraufhin bezeichneten die Deutschen den Kongreß als einen Rumpfkongreß, und Bebel, Liebknecht und andre,
die den jetzigen Gegenkongreß in Paris organisieren, riefen alle anderen Nationalitäten auf, dem Londoner Kongreß fernzubleiben, da sie von ihm ausgeschlossen waren."
Soweit einverstanden.
3. „Der Internationale Trade-Union-Kongreß in London 1888 wurde dennoch abgehalten und war erfolgreich. Die besonderen Verbündeten der parlamentarischen deutschen Sozialisten in Frankreich, die sogenannten Marxisten oder Guesdisten, waren durch Farjat vertreten. Dieser Kongreß ermächtigte einstimmig die Possibilisten, einen internationalen Arbeiterkongreß in Paris für 1889 einzuberufen und zu organisieren. Farjat stimmte mit den übrigen dieser Resolution zu; die Belgier, vertreten durch Anseele, und der Holländer1 stimmten ebenfalls zu. Anseele wie Croll gingen trotzdem zu dem Haager caucus!"
Es ist nicht korrekt zu sagen, daß Farjat „die sogenannten Marxisten oder Guesdisten" vertrat. Farjat war vom französischen Gewerkschaftskongreß delegiert worden, der einige Tage vor dem Londoner Kongreß in Bordeaux eröffnet wurde. Die 250 lokalen Gewerkschaften, die in Bordeaux von 63 Delegierten vertreten wurden, können nur dann als „Marxisten oder Guesdisten" bezeichnet werden, wenn mit diesem Namen alle französischen Arbeiter gemeint sind, die nicht Possibilisten sind. Jener Kongreß von Bordeaux beschloß gleichfalls einmütig, „einen internationalen Arbeiterkongreß in Paris 1889 einzuberufen und zu organisieren"; er tat das einige Tage bevor der Londoner Kongreß seinen Beschluß faßte. Da aber die in Bordeaux vertretenen Leute samt und sonders von den Possibilisten geschmäht und als Feinde behandelt worden waren, konnte es ihnen niemals einfallen, dieselben Possibilisten zur Einberufung dieses Kongresses zu ermächtigen; und es ist deshalb einfach absurd zu sagen: „Farjat stimmte dieser Resolution zu." Nicht weniger absurd ist die Behauptung, daß die „Marxisten" durch diese Zustimmung Farjats, die niemals gegeben wurde, gebunden seien; die, wenn sie gegeben worden wäre, nur irrtümlich hätte erfolgt sein können und deshalb nicht einmal den hätte binden können, der sie gab. Daß Anseele und Croll, die für die obenerwähnte Londoner Resolution gestimmt hatten, trotzdem „zu dem Haager caucus" gegangen sein sollten, wird tatsächlich jedem unbegreiflich sein, der die „nackten Wahrheiten" und „unbestrittenen Tatsachen" unsres Manifests gelten läßt. Aber der Anhang zu dieser Antwort2 wird zeigen, daß es Anseele und Croll nicht nur für notwendig gehalten hatten, nach dem Haag zu gehen, sondern sich auch von dem Possibilisten-Kongreß überhaupt zu distanzieren und die Einberufung des Gegenkongresses zu unterstützen, und nicht nur Anseele und Croll, sondern auch andere Londoner Delegierte und gemeinsam mit ihnen die ungeheure Mehrheit der Vertreter des europäischen Sozialismus. Ihnen
1 Croll - 2 siehe vorl. Band, S. 544/545
34 Marx/Engels, Werke, Bd. 21
allen waren die „nackten Wahrheiten" des Manifests seit langem bekannt, und doch - so ist nun einmal die der menschlichen Natur innewohnende Bosheit - wurden sie zu einem Schluß getrieben, der dem von den Organen der Sozialdemokratischen Föderation mit soviel Eifer vorgebrachten gerade entgegengesetzt war. 4. „Nach diesen beiden aufeinanderfolgenden Mandaten handelnd, gingen die Possibilisten, die bei weitem die stärkste sozialistische Partei in Frankreich sowohl in Paris (wo sie 50 000 Stimmen erhielten) wie in der Provinz sind, pflichtgemäß daran, einen internationalen Arbeiterkongreß für Ende Juli 1889 einzuberufen und zu organisieren." Die Possibilisten erhielten bei den Gemeindewahlen tatsächlich ungefähr 50 000 Stimmen, von denen viele ihren Opponenten, den Kollektivisten (den sogenannten Marxisten) gehörten, die großzügig genug waren, über Differenzen in einzelnen Sektionen, wo immer möglich, hinwegzusehen. Aber zu sagen, daß die Possibilisten „bei weitem die stärkste sozialistische Partei in Frankreich sowohl in Paris wie in der Provinz" seien, ist eine glatte Lüge. Die Possibilisten haben selbst in Paris, das bekanntermaßen ihre Hochburg ist, seit ihrer offenen Allianz nicht nur mit den bürgerlichen Radikalen, sondern auch mit den Opportunisten - jener Partei der Börsenspekulanten, welche die gegenwärtige Korruption offizieller Kreise in Frankreich verkörpern - einen Teil ihres Bodens verloren. Die Tatsache, daß die Possibilisten unter dem Vorwand, Boulanger zu bekämpfen, sich mit eben den Männern verbrüderten, deren Vergehen im Amt allein Boulangers Popularität bewirkt und Hunderttausende aller Klassen haben rufen lassen :„ Lieber Boulanger, lieber den Teufel selber als dieses blutsaugerische Korruptionssystem!" - diese Tatsache war vielen ihrer aufrichtigen Anhänger zuviel; und als sie bei der Januarwahl den Bourgeois Jacques unterstützten (der im Gemeinderat stets gegen jeden Beschluß gestimmt hatte, der für die Arbeiterklasse günstig war) und tatsächlich den Kandidaten der Arbeiterklasse, Boule, bekämpften, da vermehrten sich die Anzeichen der Unzufriedenheit in ihren Reihen. Einer ihrer Sprecher, Reties, der, als er Jacques auf einem Meeting verteidigte, von Arbeitern, Anhängern Boules, heftig mit Zwischenrufen bombardiert wurde, verließ schließlich wütend das Podium und rief: „Ja! Ich werde für Jacques stimmen, aber ich werde mich an denen rächen, die mich diese Niederträchtigkeit begehen lassen!" Und Boule erhielt in der Tat trotz der fanatischen Opposition der Possibilisten 18 000 Arbeiterstimmen. Danach ist es nicht verwunderlich, wenn die Possibilisten-Partei in Paris Zeichen des Auseinanderfallens aufweist. Die Gruppe des M.Wahlbezirks von Paris wurde am 16. April vom Rat der Delegierten gegen den Protest von nur zwei Delegierten ausgeschlossen; aber als am 23. April Allemane verlangte, zwei Mitglieder zu veranlassen, gewisse Briefe auszuliefern, die sonst sehr unliebsam gegen einige der Führer benutzt werden konnten,
wurde der Antrag sechsundzwanzig Gruppen zur Abstimmung vorgelegt. Nun protestierten fünfzehn Gruppen, und drei enthielten sich der Stimme. Die Hauptorganisationen des 13. Wahlbezirks verließen daraufhin die Föderation und erklärten: „Die Verbündeten Ferrys, Clemenceaus und Rancs haben überhaupt kein Recht mehr, Anspruch auf Zugehörigkeit zu einer Partei zu erheben, die ihre Wurzeln im Klassenkampf sieht. Sie sind der Partei dadurch abtrünnig geworden, daß sie die Pflichten verraten haben, die sie der Arbeiterklasse gegenüber übernommen hatten; sie sind heute nichts anderes als Stützen der Herrschaft der Bourgeoisie." Und obwohl das erst ein Anfang ist, so besteht doch kein Zweifel, daß sogar in Paris die Herrschaft der possibilistischen Führer ernsthaft erschüttert ist. Was die Provinz angeht, so ist es nicht nur keine „nackte Wahrheit", keine „unbestrittene Tatsache", sondern eine einfach lächerliche Behauptung zu sagen, daß dort die Possibilisten „bei weitem die stärksten" seien. In allen großen Städten und Industriezentren Frankreichs stehen die sozialistischen Organisationen außerhalb dieser Föderation und ihr feindlich gegenüber. Zum Beispiel Lyon (5 sozialistische Munizipalräte), Marseille (1 sozialistischer Departementsrat), Roubaix (2 Munizipalräte), Armentieres (5 Munizipalräte), Montlufon (2 Munizipalräte), Commentry (der ganze Munizipalrat und der Bürgermeister Sozialisten), Calais (2 Munizipalräte), Lille (4000 sozialistische - nicht possibilistische - Stimmen bei der letzten Gemeindewahl), Bourges, Vierzon, Roanne, Bordeaux, Narbonne, Alais etc. etc. Nicht einer dieser Munizipal- und Departementsräte ist ein Possibilist. Alle diese Städte sind unstreitig in den Händen ihrer Opponenten, soweit eine sozialistische und Klassenorganisation der Arbeiter in Frage kommt. Tatsächlich haben die Possibilisten seit einigen Jahren nicht gewagt, ihre Gesichter in der Provinz zu zeigen. 1887 mußten sie, um einen Ort zu finden, wo sie mit einigem Erfolg ihren nationalen Kongreß abhalten konnten, auf eine abgelegene kleine Stadt in den Ardennen zurückgreifen, welche die meisten Menschen nicht auf der Landkarte finden werden; und im vergangenen Winter, als sie ihren Kongreß nach Troyes einberufen hatten, wo sie der örtlichen Vertretung der Arbeiter sicher zu sein glaubten, erklärte das lokale Komitee, daß der Kongreß diesmal tatsächlich und nicht nur dem Anschein nach allen sozialistischen und Arbeiter-Organisationen Frankreichs offenstehen würde. Als die aufgeblasenen Koryphäen der Possibilisten in Paris gewahr wurden, daß dies ernst gemeint war, gaben sie lieber ihren eigenen Kongreß auf, als den Kollektivisten und Blanquisten zu begegnen, die jetzt nach Troyes kamen und den von den Possibilisten einberufenen Kongreß abhielten, den diese, de facto von jenen besiegt, verlassen hatten. Also ist die „nackte Wahrheit", daß die Possibilisten bei weitem die
stärksten seien, genau so zu bewerten wie die helltönenden Trompetenstöße des Manifests über die Größe und Macht der Sozialdemokratischen Föderation. Aber stark oder nicht stark, sie waren „verpflichtet, den Kongreß nach Paris einzuberufen". Das bringt uns auf die Frage, wieweit wohl die Befugnisse der Possibilisten in dieser Beziehung reichen. Die Pariser Konferenz von 1886 war international so schwach besucht so weit davon entfernt, repräsentativ zu sein -, daß ihre Resolution eher einem Wunsche gleichkommt; sie konnte bestenfalls für jene bindend sein, die dafür gestimmt hatten, das sind die Possibilisten und die englischen Trade-Unionisten. Letztere warfen die Pariser Beschlüsse auf ihrem nächstfolgenden Kongreß in Hull über Bord. Was nun übrigbleibt ist also, daß 1886 in Paris die Possibilisten sich selbst ermächtigten, für 1889 einen Kongreß nach Paris einzuberufen. Kommen wir nun zum Londoner Kongreß. Der Londoner Kongreß war kein allgemeiner Arbeiterkongreß, er war ein Kongreß der Trade-Unions, von den Trade-Unions einberufen und grundsätzlich alles andere als Trade-Unionisten ausschließend. Wie die Beschlüsse eines solchen Kongresses für Arbeiter verbindlich sein können, die nicht Trade-Unionisten sind, oder für Sozialisten als Ganzes, ist mir ein Geheimnis. Ein Trade-Unions-Kongreß kann einen anderen TradeUnions-Kongreß einberufen, aber nichts weiter. Einen Arbeiterkongreß einzuberufen, überschreitet seine Befugnisse; daß er es tat, kann unser aller Sympathien haben, da es ein Sieg über überlebte trade-unionistische Vorurteile ist; aber die Tatsache bleibt bestehen, daß die Einberufung die Kompetenz des Kongresses überschritt und daher nur die Kraft eines Wunsches hat. Ohne Zweifel war auch der Kongreß in Bordeaux ein reiner Gewerkschaftskongreß; und insoweit ist sein Beschluß, einen internationalen Arbeiterkongreß einzuberufen, in gleichem Maße ungültig. Aber dieser Beschluß wurde im Dezember danach von dem Sozialistenkongreß von Troyes bestätigt, gegen dessen Beschlüsse selbst die Possibilisten gerechterweise nichts einwenden können, denn sie haben ihn selber einberufen, und wenn sie ihm fernblieben, so war das ihr eigener Fehler. Daß der absichtliche Ausschluß der Delegierten von Deutschland und Österreich - Länder, die etwa ebenso viele Sozialisten umfassen wie die des übrigen Europa zusammengenommen - diesen Kongreß zu einem Rumpfkongreß machte, das ist eine „nackte Wahrheit" und wirklich eine „unbestrittene Tatsache"; selbst das Manifest bestreitet es nicht, es beschwert sich nur darüber, daß ihn die Deutschen so genannt haben - daß sie das Ding beim rechten Namen nannten. Dieser Rumpfkongreß (dessen Minderheit übrigens der sozialistischen Sache in England einen großen Dienst erwiesen hat) handelte überdies
unter Zwang. Bei der ersten ernsten Unstimmigkeit zwischen den englischen Shipton-Anhängern unter den Trade-Unionisten und den Sozialisten erklärten die Shipton-Anhänger durch den Mund Shiptons selbst, daß sie, wenn es so weiter ginge, den Kongreß schließen würden und daß sie dazu die Macht hätten, weil sie den Raum gemietet hätten. Den Sozialisten wurde so von Anfang an zu verstehen gegeben, daß sie sich in der Lage der irischen tenants-at-will1 befänden und daß ihr Shipton-Landlord bereit sei, seine Ausweisungsvollmacht, wenn nötig mit Hilfe der bewaffneten Kräfte Ihrer Majestät, zu gebrauchen. Die Sozialisten fügten sich, und sie taten unter den Umständen gut daran; aber sie unterließen es, einen formalen Protest einzulegen, und das war ein Fehler. Sie haben jedoch noch nicht vergessen, welcher Behandlung sie sich infolge zu großen Vertrauens ausgesetzt hatten, und sie sind, wie der Anhang zeigt, entschlossen, das nicht noch einmal zuzulassen. Dann hatte das Parlamentarische Komitee eine Reihe von Regeln und Instruktionen für den Kongreß vorbereitet, durch die sie die Sozialisten zu knebeln und zu unterdrücken hofften. Bestätigungen von Mandaten, Geschäftsordnung, Abstimmungsmodus, tatsächlich die ganze Art und Weise des Ablaufs war vorher von den Shipton-Anhängern festgelegt worden und wurde den Teilnehmern des Kongresses immer mit der Drohung sofortiger Auflösung aufgezwungen. Der Londoner Kongreß war in seiner Tätigkeit nicht frei, nicht mehr als ein Arbeiter, der mit einem Kapitalisten einen Arbeitskontrakt schließt, oder der irische Bauer, der drei oder vier acres von einem zu Wucherpreisen verpachtenden Landlord nimmt und entweder dessen Bedingungen annehmen oder verhungern muß.Es ist schimpflich genug, daß ein unter solchen Bedingungen abgehaltener Kongreß in den Annalen der Arbeiterbewegung erscheint; aber daß noch ein Kongreß unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen veranstaltet werden sollte niemals! Trotz alledem heizte die sozialistische Minderheit des Kongresses der Majorität der Shipton-Anhänger so ein, daß das Parlamentarische Komitee davon genug hatte. Sie behandelte öffentlich die Kongreßbeschlüsse und vor allem den Beschluß über den Pariser Kongreß lediglich als Makulatur. Das durch den Londoner Kongreß den Possibilisten gegebene Mandat war also hinfällig, 1. weil es von einem Trade-Unions-Kongreß erteilt worden war, der nicht berechtigt war, Arbeiter außerhalb der Trade-Unions und ganz allgemein Sozialisten zu binden; 2. weil der Londoner Kongreß durch den Ausschluß der Deutschen etc. ein Rumpfkongreß wurde; 3. weil er in seiner Tätigkeit nicht frei war; 4. weil dieselben Leute, die den Kongreß einberufen und seine Majorität gebildet hatten, die ersten waren, die das Mandat verwarfen.
1 Pächter, deren Pachtvertrag jederzeit gekündigt werden konnte
Ich wäre überhaupt nicht auf diese Diskussion eingegangen, wenn uns die Possibilisten und ihre Verbündeten von der Sozialdemokratischen Föderation nicht dauernd das Mandat des Londoner Kongresses als etwas Heiliges und Unantastbares vor Augen gehalten hätten. Dieses Mandat soll über allem stehen; es soll als etwas Selbstverständliches den vorausgegangenen Beschluß des Kongresses von Bordeaux umstoßen, der seitdem von dem Kongreß in Troyes bestätigt wurde; es soll nicht nur diejenigen binden, die dort waren und dafür abgestimmt haben, sondern auch diejenigen, die nicht dort waren, und sogar die, die willkürlich ausgeschlossen worden waren. Und wenn solche Ansprüche erhoben werden, wird es zur Pflicht, sie auf ihren wirklichen Wert zu untersuchen. In der Tat wurde das Londoner Mandat, obwohl es im Grunde ungültig ist und obwohl es ein sichtbarer Schlag ins Gesicht der übrigen französischen Sozialisten und des Kongresses von Bordeaux war - ein Schlag, der von den meisten derer, die für das Londoner Mandat gestimmt hatten, unwissentlich ausgeteilt wurde -, dieses Mandat wurde, wie wir sehen werden, mit äußerster Rücksicht von denen behandelt, die an seiner Beratung nicht teilgenommen hatten, und wäre in letzter Instanz praktisch von allen akzeptiert worden, wäre nicht das skrupellose Vorgehen der Possibilisten selbst gewesen. Das erste Zirkular, womit die Possibilisten den Kongreß einberiefen, zeigte, daß sie nicht nur die Methode, durch die das Parlamentarische Komitee den Londoner Kongreß gebunden hatte, nicht übelnahmen, sondern daß sie diese willkürliche Handlung als einen Präzedenzfall ansahen und für sich selbst die gleichen Befugnisse forderten, wie sie sich das Parlamentarische Komitee angemaßt hatte. Sie schrieben die Geschäftsordnung, den Abstimmungsmodus und die Überprüfung der Mandate vor, wobei diese Überprüfung bei jeder Nationalität getrennt vorgenommen werden sollte. Nicht ein Wort wurde gesagt, daß alles dies nur provisorisch und Gegenstand der Zustimmung durch den Kongreß sein würde. Nun, der Londoner Kongreß konnte den Possibilisten keinerlei Befugnisse übertragen, die sie nicht selbst besaßen. Kein Kongreß, gleich welcher Art, kann Beschlüsse annehmen, die nicht von einem nachfolgenden Kongreß widerrufen werden könnten. Deshalb war der Londoner Kongreß nicht berechtigt, die Possibilisten zu ermächtigen, Regeln und Anordnungen festzulegen, durch die der Pariser Kongreß gebunden werden sollte. Noch tat er desgleichen. Aber die Possibilisten beanspruchten dieses Recht. Es war dieser schamlose Anspruch seitens der Possibilisten, der zu all den folgenden Differenzen und Debatten Anlaß gab, und ihre Weigerung, klar und unmißverständlich diesen Anspruch aufzugeben, führte zu der Spaltung und zu den zwei Kongressen. Die Mehrheit der europäischen Sozialisten lehnt es ab, ein zweites Mal - und diesmal mit offenen Augen - in eine Falle zu gehen.
Was umstritten ist, ist also nicht so sehr das Londoner Mandat - darüber wäre man leicht hinweggekommen - als der Gebrauch, den die Possibilisten davon gemacht haben, ihr Anspruch, Gesetze zu machen, die für den Kongreß verbindlich sein sollen und so die willkürliche Handlung des Parlamentarischen Komitees über den Londoner Kongreß zu einem Präzedenzfall zu machen, der für alle kommenden Kongresse bindend sein soll.
5. „Dem widersetzten sich die Marxisten, obgleich sie durch Farjats Stimme gebunden waren, und beeinflußten die Deutschen, sich zu widersetzen, weil die Possibilisten, wie sie sagten, beabsichtigten, ihre Opponenten auszuschließen und den Kongreß für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Diese Beschuldigung wurde erhoben, obgleich die Possibilisten niemals irgendeine Sektion der Sozialisten von irgendeinem vorhergehenden Kongreß ausgeschlossen haben und niemals der geringste Beweis dafür beigebracht worden ist, daß sie beabsichtigten, es bei dieser Gelegenheit zu tun. Die Einladungen schlössen alle sozialistischen Körperschaften ein."
Der wesentliche Teil dieser „nackten Wahrheit" ist bereits widerlegt worden. Aber die Behauptung, daß „die Possibilisten niemals irgendeine Sektion von Sozialisten von irgendeinem vorhergehenden Kongreß ausgeschlossen haben und niemals der geringste Beweis dafür beigebracht worden ist, daß sie beabsichtigten, es bei dieser Gelegenheit zu tun", ist entweder eine erstaunlich wissentliche Unwahrheit oder ein Beweis dafür, daß unsere Verfasser über Dinge sprechen, von denen sie auch nicht das geringste verstehen. Auf dem dritten Regiorialkongreß der Föderation des Zentrums (Frankreichs) im Mai 1882 hatten die Possibilisten erklärt, daß der Kongreß allen Sozialisten offenstünde. Aber als dreißig Delegierte der Kollektivisten (sogenannte Marxisten) erschienen, die sich auf diese Erklärung verließen, wurden sie unbarmherzig ausgewiesen unter dem lächerlichen Vorwand, daß sie durch die Annahme der Bezeichnung „Federation du Centre" in einen unfairen Wettstreit mit der possibilistischen „Union Föderative" eingetreten wären. Und als auf dem achten Regionalkongreß dieser Union, 1887, zwölf Delegierte der Kollektivisten erschienen, gemäß der immer wiederholten Versicherung, daß alle Sozialisten eingeladen wären, wurden sie ausgepfiffen und niedergeschrien und mußten den Kongreß verlassen, und ein Beschluß wurde gefaßt, daß „die Marxisten niemals zu irgendeinem ihrer Kongresse zugelassen werden sollten". Und besser hoch, als 1888 das lokale Komitee, das mit der Organisation des possibilistischen nationalen Kongresses in Troyes betraut war, die ständige Phrase von der Zulassung aller Sozialisten wahr zu machen drohte, verließen die Possibilisten, wie wir gesehen haben, lieber ihren eigenen Kongreß, als daß sie ihre prahlerische Versicherung ausgeführt sahen. Nach alledem ist es kein Wunder, wenn die Kollektivisten überzeugt waren, daß „die Possibilisten beabsichtigten, sie auszuschließen und den Kongreß für ihre eigenen Zwecke auszunutzen".
6. „Auf jeden Fall wurde von Lafargue, Guesde und anderen Marxisten, die in Übereinstimmung mit den Deutschen der Reichstag Party1 und ihren Freunden handelten, eine Konferenz in Nancy einberufen. Zu dieser Konferenz wurden die Possibilisten als letzte von allen, eine Woche bevor die Konferenz stattfinden sollte, eingeladen."
Die Konferenz in Nancy wurde von den Deutschen einberufen und nicht von Lafargue, der im Gegenteil sowohl gegen die Zeit als auch gegen den Ort Einwendungen machte und sein Bestes tat, ihr Zustandekommen zu verhindern, worin er Erfolg hatte. Die Possibilisten wurden nicht „als letzte von allen eingeladen", sondern zur gleichen Zeit wie alle anderen. Somit ist die „nackte Wahrheit" Nr.6 ein Lügengewebe; aber selbst wenn alles wahr wäre, was würde es denn beweisen? 7. „Die beabsichtigte Konferenz in Nancy fand nicht statt, aber statt dessen wurde eine Konferenz im Haag einberufen. Auch zu dieser Konferenz wurden die Possibilisten als letzte von allen eingeladen. In Erwiderung auf die Einladung schrieben sie Briefe, in denen sie mehrere sehr wichtige Fragen stellten. Diese Briefe wurden niemals beantwortet, und die Konferenz fand unverzüglich ohne ihre Teilnahme statt."
Wieder ist die Behauptung, daß die Possibilisten als letzte von allen eingeladen wurden, eine Unwahrheit. Sie wurden zur gleichen Zeit eingeladen wie alle anderen; so unwichtig die Sache an sich ist, haben wir doch besondere Nachfragen hierüber angestellt. Die Konferenz war für den 28. Februar einberufen worden, und auf der Beratung ihres Nationalkomitees am 17. Februar waren die Possibilisten nicht nur im Besitz der Einladung, sondern auch der Antwort Liebknechts auf ihre Briefe, die „mehrere sehr wichtige Fragen" enthielten, Briefe, die nach dem Manifest „niemals beantwortet wurden". Sie behaupten ihrerseits, daß Liebknecht „ihre Fragen über die Tagesordnung der Konferenz nicht beantwortete".* Er teilte ihnen, wie ich informiert bin, mit, daß diese auf der Konferenz selbst beantwortet werden würden. In eine weitschweifige Korrespondenz über die Präliminarien einzutreten und damit die Konferenz selbst bis nach dem Kongreß hinauszuschieben, das hätte zwar den Possibilisten passen können. Es konnte aber denen nicht passen, die sich ernsthaft bemühten, eine für alle Parteien ehrenhafte Vereinbarung zustande zu bringen. Immerhin blieben die Possibilisten daraufhin zu Hause, und infolge ihres Nichterscheinens mußte die Konferenz in der Tat ohne ihre Teilnahme abgehalten werden. 8. „Diese Konferenz wurde abgehalten, ohne daß irgendein Vertreter aus Großbritannien, Italien, Spanien und mehreren anderen Ländern zugegen war. Die Sozial
* Siehe ihr offizielles Organ „Proletariat"'188! vom 23. Februar.
1 Reichstag Party: so im englischen Original
demokratische Föderation war nicht einmal informiert worden, daß sie einberufen werde. Nur diejenigen waren eingeladen worden, die als den Possibilisten feindlich gesinnt bekannt waren. Lafargue selber war der einzige Vertreter Frankreichs, obwohl er einen viele Jahre anhaltenden erbitterten Streit mit den Possibilisten hatte! Die vollständigen Sitzungsberichte der Konferenz wurden nicht veröffentlicht und sind niemals veröffentlicht worden." 9. „Eine solche Konferenz wie diese war offensichtlich nichts als ein caucus, der, wie wir fürchten, zu keinem guten Zweck einberufen wurde. Unser verehrter Genosse Domela Nieuwenhuis stellt, wie wir zu unserem tiefen Bedauern sagen müssen, in einem Briefe an die Sozialdemokratische Föderation fest, daß von vornherein beabsichtigt war, diese Konferenz geheim durchzuführen." Da die Haager Konferenz von den Deutschen einberufen wurde, luden sie jene ausländischen Sozialisten ein, mit denen sie korrespondierten: Holländer, Belgier, Dänen, Schweizer und die beiden französischen Parteien, zwischen denen sie zu vermitteln hatten. Die Sozialistische Ligue[4S21 wurde, in der Person von W. Morris, von Lafargue eingeladen, und in derselben Weise hätten die Possibilisten die Sozialdemokratische Föderation einladen können; auf alle Fälle wußte hier in London niemand, weder wer eingeladen, noch wer nicht eingeladen worden war, noch wer berechtigt war, überhaupt jemanden einzuladen. Es ist eine Unwahrheit zu sagen, daß nur diejenigen eingeladen wurden, die als den Possibilisten feindlich gesinnt bekannt waren. Die Belgier haben seit Jahren in freundlichen Beziehungen zu ihnen gestanden und zeigten auf ihrem Nationalkongreß letzte Ostern, daß sie sehr abgeneigt waren, irgend etwas zu tun, was ihnen mißfallen könnte.14891 Und die Holländer, Dänen und Schweizer waren ihnen sicherlich nicht feindlich gesinnt, auf keinen Fall waren sie „bekannt es zu sein". Wenn Lafargue zufällig der einzige Vertreter Frankreichs war, so war niemand deswegen zu tadeln als die Possibilisten, die der Einladung nicht gefolgt waren. Es ist nicht wahr, daß Lafargues „erbitterter Streit mit den Possibilisten, der viele Jahre anhielt", ein persönlicher Streit war. Lafargue, Guesde, Deville und eine große Gruppe von Sozialisten und Gewerkschaften trennten sich von der Mehrheit der Partei, weil letztere ihr eigenes Programm verwarf und es vorzog, eine Partei zu gründen, die überhaupt kein Programm hatte. Die einzige wahre Tatsache in den Paragraphen 8 und 9 ist, daß die Konferenz „geheim" war insoweit, als sie nicht öffentlich war. Die Öffentlichkeit und die Presse waren gewiß nicht eingeladen. Wenn die Sitzungsberichte für die Possibilisten „geheim" waren, so einfach deshalb, weil sie es für besser gehalten hatten, nicht teilzunehmen. Aber die Konferenzbeschlüsse wurden zu dem ausdrücklichen Zweck gefaßt, ihnen mitgeteilt zu werden und wurden unverzüglich durch Volders mitgeteilt. Was bleibt also von dem streitsüchtigen Geknurre über eine „geheime" Konferenz, die auf alle Fälle nicht halb so „geheim" war wie die Beratungen der beiden mysteriösen Körperschaften, die für das Manifest verantwortlich sind? Nicht nur
die Beschlüsse, soweit sie die Öffentlichkeit interessieren, sondern auch die Namen der Delegierten sind der Welt bekannt. Es würde sicherlich ein höchst lächerliches Verfahren gewesen sein, die Vertreter der Presse zu einer Konferenz einzuladen, die sich bemühte, zwischen zwei in Opposition einander gegenüberstehenden sozialistischen Gruppen zu vermitteln. 10. „Durch diesen caucus, der hinter verschlossenen Türen stattfand, wurde eine Reihe von Resolutionen angenommen, gegen die keine ernsthaften Einwände zu erheben sind. Volders wurde jedoch nach Paris gesandt, um diese Beschlüsse den Possibilisten aufzuzwingen, als ob sie die Dekrete eines ökumenischen Konzils wären, und Bernstein in London schrieb im gleichen Tone. Die Briefe der deutschen Führer, die wir hoffentlich nicht gezwungen sein werden zu veröffentlichen, sind auch in einem sehr bitteren und sehr anmaßenden Tone geschrieben und drohen mit einem Gegenkongreß, wenn ihre Befehle nicht sofort ausgeführt würden." Nach all den finsteren Andeutungen von einer abgekarteten Konferenz und einem geheimen caucus ist der Leser tatsächlich berechtigt, einige aufsehenerregende Enthüllungen zu erwarten über die schändlichen Mißstände und die schrecklichen Verbrechen dieser Versammlung von Verschwörern, die, „wie wir fürchten, zu keinem guten Zweck zusammengerufen" wurde. Und was ist das Ende vom Lied? Die Leute im Haag nahmen „eine Reihe von Resolutionen an, gegen die im Prinzip keine ernsthaften Einwände zu erheben sind"! Haben das Internationale Komitee und der Generalrat der Sozialdemokratischen Föderation jeden Sinn für Lächerlichkeit verloren? Unsere Verfasser sollten versuchen, diese Resolutionen so schnell wie möglich zu übergehen. Enthalten sie doch weit mehr Zugeständnisse, als die Possibilisten jemals erwarten konnten. Die Deutschen, die von dem Londoner Kongreß ausgeschlossen worden waren, die französischen Kollektivisten, die von ihm ignoriert worden sind, beide boten an, das Londoner Mandat zu akzeptieren, ließen zu, daß dadurch die Resolutionen von Bordeaux und Troyes verworfen werden, und ließen die Einberufung und Organisierung des Kongresses in den Händen der Possibilisten, vorausgesetzt, daß die Possibilisten klar und unmißverständlich jeden Anspruch aufgäben, diesem Kongreß verbindliche Vorschriften zu machen und ihn „für ihre eigenen Zwecke auszunutzen". Immerhin ist es ein bemerkenswertes Zugeständnis, daß selbst das Manifest in den Haager Beschlüssen keinen Fehler finden kann. Nun gut! Aber es sind gar nicht die Resolutionen schlechthin, die verderblich sind, sondern die Art, in der sie den Possibilisten aufgezwungen werden. Und hier wieder beginnt das Fabulieren. Volders ist entsandt worden, „um den Possibilisten diese Entscheidungen aufzuzwingen". Volders, der geschickt wurde, weil er von allen Haager Delegierten der einzige war, der aufs eifrigste für sie Partei ergriffen hatte! Und bezüglich dessen, was „Bernstein schrieb", so bindet es niemanden als ihn selbst, wie die
Verfasser des Manifests mittlerweile wissen sollten, und obwohl ich nicht das Recht habe, in ihrem Namen zu sprechen, bin ich doch überzeugt, daß die „deutschen Führer" mich nicht verleugnen werden, wenn ich die Sozialdemokratische Föderation und ihre Pariser Verbündeten auffordere, irgendwelche Briefe, die sie von ihnen haben mögen, zu veröffentlichen. Die Haager Beschlüsse liegen der Welt vor, und die Possibilisten wurden informiert, falls sie diese Beschlüsse nicht akzeptierten, die auf der Konferenz vertretenen Organisationen einen anderen Kongreß einberufen werden, der nur der in Bordeaux und Troyes beschlossene sein könnte. Das mag den Possibilisten „sehr bitter und sehr anmaßend" erscheinen, aber es war der einzige Weg, um sie zur Vernunft zu bringen, wenn das überhaupt möglich ist. Und jetzt kommt die Perle, der Kohinoor des Manifests geradezu. 11. „Die Possibilisten akzeptierten dennoch jede der so angenommenen und ihnen so unterbreiteten Resolutionen." 12. „Trotz dieser Zustimmung und der Tatsache, daß der von den Possibilisten einberufene Kongreß souverän über seine eigene Geschäftsordnung verfügen kann und immer verfügt hätte, trotz der Tatsache, daß alle Streitfälle von beiden Seiten dem ganzen Kongreß zur Entscheidung und Beilegung vorgelegt werden können, haben die Anhänger des Haager caucus jetzt einen zweiten Kongreß in Paris einberufen." Die Haager Delegierten hatten erklärt, daß sie bereit wären, sich dem Possibilisten-Kongreß unter zwei Bedingungen anzuschließen: Erstens, daß die Possibilisten den Kongreß im Einvernehmen mit den sozialistischen und Arbeiter-Organisationen Frankreichs und anderer Länder einberufen, von denen Delegierte die Einladung zusammen mit den Possibilisten unterzeichnen sollten. Diese Bedingung wurde jedoch von den Possibilisten glatt zurückgewiesen, alle anderen könnten unterzeichnen, aber keine von den rivalisierenden französischen Sektionen. Wenn die Verfasser des Manifests das nicht wissen, mögen sie sich an den Herausgeber der „Justice"1 wenden, der hierüber genauestens orientiert ist. Die zweite Bedingung war, daß der Kongreß vollständig souverän sein sollte, soweit es die Überprüfung der Mandate und die Festlegung seiner Tagesordnung anbelangt. Auch das haben die Possibilisten nie akzeptiert, weder „in der Praxis" noch sonstwo. Sie haben zuerst die Überprüfung der Mandate für jede Nationalität getrennt vorgeschrieben. Als die andere Seite erklärte, daß die Entscheidung über diesen Punkt dem Kongreß als Ganzem vorbehalten bleiben müsse, erwiderten die Possibilisten, daß Ausnahmefälle dem Kongreß überlassen werden könnten; kein Wort der Erklärung, was unter Ausnahmefällen zu verstehen sei. Nein, sie feilschen weiter darum, welche Rechte der Kongreß haben sollte und welche nicht, und erst als das Zirkular, das den „Gegenkongreß" einberief, in ihren Händen ist, sehen sie
1 Hyndman
sich schließlich genötigt, klar und mit vielen Worten festzustellen, daß in allen Fällen, in denen Mandate von einer Nationalität bestritten würden, eine Entscheidung des Kongresses herbeigeführt werden sollte. Hätten sie das zu rechter Zeit zugegeben, dann wäre eine Verständigung über die Hauptschwierigkeit möglich gewesen; jetzt ist es natürlich zu spät. Dieselben Ausflüchte wurden von ihnen hinsichtlich der Tagesordnung gebraucht. Sie sahen sich nicht als Personen an, die damit beauftragt waren, vorläufige Anordnungen und Vorschläge zur Erleichterung der Arbeit des Kongresses auszuarbeiten, die dann vom Kongreß selbst bestätigt würden oder nicht. Im Gegenteil, sie handelten als Träger mysteriöser und praktisch unbegrenzter Vollmachten über den künftigen Kongreß, von denen sie einen Teil aus bloßer Gefälligkeit aufgeben könnten, um ausländische Organisationen zu verpflichten, die ihrerseits ihre verbleibenden Ansprüche auf Autorität über den Kongreß anerkennen sollten. Man braucht sich nur ihre allerletzten Resolutionen vom 13. Mai anzusehen, als ihnen das Zirkular mit der Einberufung des Gegenkongresses vorlag (siehe „Justice" vom 25. Mai). Hier handeln und feilschen sie weiter mit den Dänen um die Geschäftsordnung, als ob die Dänen oder sie ein Recht hätten, eine Sache zu entscheiden, die allein zur Kompetenz des Kongresses gehört. Und gnädig akzeptieren sie einen Vorschlag des englischen Trade-Union Protest Committee, daß eine Reihe Bestimmungen für die Einberufung und Organisation künftiger Kongresse auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Wobei die „Justice" naiv hinzufügt, daß, selbst wenn noch irgendwelche Beschwerden vorliegen sollten, „unsere deutschen und anderen Genossen sie dieses eine Mal zurückstellen sollten". Kommt uns „nur dieses eine Mal" entgegen, und nächstes Mal könnt ihr ganz nach Belieben verfahren - wirklich, ein sehr verlockender Vorschlag, aber bedauerlicherweise ist dieses Spiel im vergangenen Jahre in London versucht worden, und „für dieses eine Mal" war es einmal zuviel. Ein Wort seitens der Possibilisten würde genügt haben, eine Einigung herbeizuführen: das eine Wort „provisorisch", „Der Bestätigung durch den Kongreß vorbehalten", eingefügt in all ihre Regeln und Instruktionen. Aber gerade das konnte trotz aller Bemühungen nicht erreicht werden, und so wurde der zweite Kongreß zu einer Notwendigkeit für alle jene, die es ablehnten, ein zweites Mal von Shipton unter Druck gesetzt zu werden. Jetzt, da ein großer Teil dieser Diskussion in den Spalten der „Justice" geführt worden ist, können die Leute, die im Namen der Sozialdemokratischen Föderation Erklärungen im Sinne des Punktes 12 abgeben, entweder ihr eigenes offizielles Organ nicht gelesen haben, oder sie sagen etwas, von dem sie wissen, daß es nicht den Tatsachen entspricht. 13. „Sie haben diesen Kongreß genau zu dem Zeitpunkt einberufen, zu dem der von den Possibilisten einberufene Kongreß angesetzt worden war. Das geschah, obgleich sie im Haag einmütig einen Beschluß gefaßt hatten, der Ende Juli als eine höchst
unpassende und ungeeignete Zeit für die Abhaltung eines Arbeiterkongresses in Paris überhaupt verurteilte. Das geschah fernerhin, obgleich Anseele in einem Brief an die S[ozial]d[emokratische] Fföderation] feststellte, daß, sollte ein zweiter Kongreß abgehalten werden, er im September stattfinde, und Liebknecht behauptete, daß er entweder in diesem oder im nächsten Jahre stattfinde." Weis dies anbelangt, so scheinen die Haager Delegierten den Possibilisten ein positives und verbindliches Versprechen gegeben zu haben, ihren Kongreß nicht im Juli, sondern „im September" oder „entweder in diesem oder dem nächsten Jahr" abzuhalten. Nun, die dritte Juliwoche ist sicherlich „in diesem Jahr", und so ist auch jetzt Liebknecht zumindest schuldlos. Es wäre langweilig für unsere Leser, eine Diskussion über diese kindischen Klagen zu beginnen. Ich kann jedoch feststellen, daß die Zeit vom 14, bis 21 .Juli erstens auf das einmütige Verlangen der Franzosen gewählt wurde, und zweitens, weil die einzige Möglichkeit, noch eine Verschmelzung der beiden Kongresse zustande zu bringen, wenn so etwas überhaupt möglich sein sollte, darin besteht, sie dahin zu bekommen, Seite an Seite zu sitzen. 14. „Die Hauptanstifter des Haager caucus und des Gegenkongresses in Paris sind Lafargue, Guesde, Frau Eleanor Marx-Aveling (deren Schwester, eine Tochter von Karl Marx, Lafargue geheiratet hat), Bernstein (Herausgeber des .Sozialdemokrat'), Bebel und Liebknecht. Friedrich Engels stimmt ihrem Vorgehen vollständig zu." Hier ist wenigstens - und endlich! - etwas Wahres an dieser letzten „nackten Wahrheit". Es ist eine unbestrittene Tatsache, daß die Schwester von Frau Eleanor Marx-Aveling eine Tochter von Karl Marx ist und mit Lafargue verheiratet ist; obgleich es nach dem, wie es unsere Verfasser hinstellen, so aussieht, als ob Frau Lafargue eine Tochter von Karl Marx sei und ihre Schwester nicht. Und wenn es wiederum eine platte Unwahrheit ist, wenn man sagt, daß Bernstein oder sonstwer in London in irgendeiner Weise „Anstifter der Haager Konferenz" waren, mit deren Einberufung und Zusammensetzung sie absolut nichts zu tun hatten, so wird, denke ich, von keiner der obengenannten Personen bestritten werden, daß sie den „Gegenkongreß in Paris" unterstützt haben - aber sie haben das erst von der Zeit an getan, als das Verhalten der Possibilisten eine solche Handlungsweise unvermeidlich machte. Die Verfasser des Manifests müssen wissen, daß Frau E. Marx-Aveling und Bernstein Anfang April mit Herrn Hyndman gesprochen haben, sobald der Ton der „Justice" etwas weniger „bitter" und „persönlich" wurde, und versucht haben, ihn dafür zu gewinnen, bei der Schlichtung der bestehenden Schwierigkeiten mitzuhelfen, und daß Herr Hjyndman] das versprochen hat. Am Fuße des Manifests finden wir diese kleine Bemerkung: „Das Obige wird auftragsgemäß in mehrere europäische Sprachen übersetzt und in allen Ländern verteilt werden."
Die Unterschriften des Anhangs zeigen, daß der Fall praktisch in fast allen europäischen Ländern behandelt worden ist. Die große Mehrheit der Sozialisten auf dem Kontinent hat sich zugunsten des von den KoIIektivisten und Blanquisten einberufenen Kongresses und gegen den von den Possibilisten einberufenen entschieden. England ist das einzige Land, wo die Meinung der Sozialisten und Arbeiter noch im allgemeinen geteilt ist. Diese Antwort wird daher in keine andere Sprache übersetzt werden. Um zusammenzufassen: 1. Zwei Kongresse sind für 1889 nach Paris einberufen: der erste von dem französischen Gewerkschaftskongreß in Bordeaux, Oktober-November 1888, ist Weihnachten durch den französischen Sozialisten-Kongreß in Troyes bestätigt worden. Der zweite, etwa eine Woche später von dem Londoner Internationalen Trade-Union-Kongreß beschlossene, wird von den Possibilisten organisiert. 2. Eine Verschmelzung beider wäre auf sehr geringe Schwierigkeiten gestoßen, hätten nicht die Possibilisten in ihrem ersten Einladungszirkular Vollmachten beansprucht, die der Londoner Kongreß selbst nicht besaß und die er ihnen deshalb nicht übertragen konnte; Vollmachten, die internen Angelegenheiten des Kongresses zu regeln, im voraus den Modus der Prüfung der Mandate, die Tagesordnung, die ganze Geschäftsordnung vorzuschreiben; in der Tat dieselben Vollmachten, die das Parlamentarische Komitee auf dem Londoner Kongreß gefordert und ausgeübt hatte. 3. Da die damalige sowie gegenwärtige Handlungsweise der Possibilisten es den übrigen Sektionen der französischen Sozialisten absolut unmöglich macht, sich dem von ihnen einberufenen Kongreß anzuschließen, versuchten die deutschen sozialistischen Reichstagsabgeordneten, zwischen beiden Parteien zu vermitteln und dies mit Hilfe der führenden Männer der andren nationalen Arbeiterparteien, mit denen sie in Verbindung standen. Daher die Haager Konferenz (vom 28. Februar), gegen deren Beschlüsse selbst nach unsrem Manifest „im Prinzip keine ernsthaften Einwendungen erhoben werden können". 4. Durch diese Beschlüsse wurde das vom Londoner Kongreß den Possibilisten gegebene Mandat in vollem Umfange angenommen und bestätigt; nur unter der einzigen Bedingung, daß die letzteren ihren Anspruch, den künftigen Kongreß zu beherrschen, aufgeben sollten. Die Belgier, Holländer, Deutschen, Schweizer und selbst die nichtpossibilistischen Franzosen erklärten ihre Bereitschaft, zu dem von den Possibilisten einberufenen Kongreß zu kommen, vorausgesetzt, daß sie zu einem freien Kongreß kämen. Damit stellten sie also eine einzige Bedingung, aber das war eine Bedingung, die hätte selbstverständlich und niemals umstritten sein müssen. 5. Trotzdem weigern sich die Possibilisten, diese Beschlüsse zu akzeptieren und bieten in den folgenden Zirkularen rein verbale Zugeständnisse
an, die in Wirklichkeit auf nichts hinauslaufen. Die Hauptsache - die Souveränität des Kongresses hinsichtlich all seiner internen Angelegenheiten räumen sie nicht ein; Verhandlungen wurden ergebnislos bis Ende April weiter geführt. 6. Schließlich, da die Possibilisten es ablehnten, eine klare und bindende Antwort zu geben, die gegen eine Wiederholung der skandalösen Behandlung des Londoner Kongresses durch seine Einberufer Sicherheit gab, berufen die französischen Kollektivisten mit Zustimmung mehrerer nationaler Organisationen den in Bordeaux und Troyes beschlossenen Kongreß für den 14. Juli ein. 7. Die große Mehrheit der sozialistischen Organisationen und der sozialistischen Vertreter Europas stimmten diesem Kongreß, wie der Anhang zeigt, zu, da sie es ablehnen, der Welt zum zweiten Male das Schauspiel eines Arbeiterkongresses zu bieten, der nur geduldet wird und an Reglements gebunden ist, die ihm von seinen Einberufern aufgezwungen werden. Das Londoner Mandat, das von der Haager Konferenz akzeptiert worden war, ist durch die Possibilisten selbst in Stücke gerissen worden, als sie es zum Vorwand für ihren Anspruch nicht nur auf die Organisation, sondern auch auf 'die Kontrolle und Leitung des künftigen Kongresses machten. Und nun erlaube ich mir mit den Worten des Manifests zu sagen: „Genossen und Mitbürger, das sind die Tatsachen. Es ist an euch, dafür zu sorgen, daß eurer Sache, der Sache der Arbeiter der Welt, nicht wissentlich Schaden zugefügt wird durch jene, die die ersten sein sollten, ihre persönlichen Eifersüchteleien zu unterdrücken um der Sache des Sozialismus willen."
1. Juni 1889
Nach der Broschüre: „The International Working Men's Congress of 1889". Aus dem Englischen.
10
Bekanntmachung über die Einberufung des Internationalen Sozialistischen ArbeiterkongressesH90]
[„Der Sozialdemokrat" Nr.22 vom I.Juni 1889] Arbeiter und Sozialisten Europas und Amerikas!
Der Arbeiterkongreß von Bordeaux, der von 200 Syndikatskammern aus den verschiedenen Industriezentren Frankreichs beschickt war, und der Kongreß von Troyes, der von 300 Arbeitervereinen und sozialistischen Gruppen beschickt war, die die Arbeiterklasse und den revolutionären Sozialismus Frankreichs in seiner Mehrheit vertraten, beschlossenim Laufe der Weltausstellung einen Internationalen Kongreß in Paris einzuberufen, der den Arbeitern der ganzen Welt offenstehen soll. > Diese Resolution wurde von den Sozialisten Europas und Amerikas freudig begrüßt, in froher Genugtuung, sich versammeln und die Forderungen der Arbeiterklasse in bezug auf die Frage der Internationalen Arbeitsgesetzgebung formulieren zu können, die auf der Berner Konferenz, welche von den Vertretern der Regierungen im September abgehalten werden wird, beraten werden soll. Die Kapitalisten laden die Reichen und Mächtigen zu der Weltausstellung ein, die Werke der Arbeiter zu betrachten und zu bewundern, die inmitten des kolossalsten Reichtums, den je eine menschliche Gesellschaft besessen, zum Elend verurteilt sind. Wir Sozialisten, deren Streben die Befreiung der Arbeit, die Abschaffung der Lohnsklaverei und die Errichtung eines Gesellschaftszustandes ist, in dem alle Arbeiter - ohne Unterschied des Geschlechtes und der Nationalität - ein Recht auf den durch ihre gemeinsame Arbeit geschaffenen Reichtum haben - wir laden die wirklichen Produzenten ein, mit uns am 14. Juli in Paris zusammenzutreffen. Wir laden sie ein, das Band der Brüderlichkeit zu festigen, das, indem es die Proletarier aller Länder in ihrem Kampfe stärkt, den Beginn der neuen Welt beschleunigen wird. Arbeiter aller Länder, vereinigt euch! Die Unterschriften von Amerika, sowie verschiedene andere, die zugesagt, aber noch nicht eingetroffen sind, werden in einem späteren Zirkular veröffentlicht werden. Die Delegierten werden ersucht, ihre Ankunft mindestens eine Woche vor Eröffnung des Kongresses anzumelden, damit das Organisationskomitee
die nötigen Anordnungen für ihre Unterbringung (Wohnung und Kost) und ihren Empfang am Bahnhof treffen kann.
Die Unterschriften lauten: Osterreich. Für die sozialistische Arbeiterpartei: J.Popp, V.Adler, E. Kralik, A. Zinnram, N. Hoff mann, A.Kreutzer, J. Winzig, G.Popper (Wien), J.Mackart, H.Flöckinger, K.Sams (Innsbruck), A.Weiguny, J.Siegl(Linz), A.Friemel, V. Wiener, T.Heinz, A.Bocek (Steyr), K.Schneeweiß, A.Sobotka, A.Klofäc, J.Hybes (Brünn), V.Sturc, F.Dosek, T.Nemecek (Prag), T.Zednfcek, R.Zahälka (Proßnitz), A. Gerin, C. Ucekar, J. Lax (Triest), J. Daniluk (Lemberg), T.Adenau (Klagenfurt), E. Rieger (Bratzan), J.Zimmermann (Jägerndorf). Belgien. Für die sozialistische Arbeiterpartei Gents: E.Anseele, E.Van Beveren. Frankreich. Für die Föderation der Syndikatskammern und Arbeitervereine Frankreichs: R. Lavigne. Für die sozialistische Föderation Frankreichs: G.Batisse. Großbritannien. R. B. Cunninghame Graham, Parlamentsmitglied. Für die Sozialistische Liga: William Morris, F. Kitz. Für den Arbeiter-Wahlverband: W.Parnell (Sekretär), G.Bateman, H.Champion, Tom Mann. Für den Bergarbeiterbund von Ayrshire: J. Keir Hardie. Deutschland. Für die sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands: Bebel, Frohme, Grillenberger, Harm, Kühn, Liebknecht, Meister, Sabor, Singer, Schumacher, Mitglieder des Reichstags. Holland. Für die niederländische sozialdemokratische Arbeiterpartei: Domela Nieuwenhuis, Croll. Italien. Für die revolutionär-sozialistischen Organisationen: Amilcare Cipriani. Polen. S. Mendelson, für die Zeitschrift „Walka Klas" (Klassenkampf); W.Anielewski, für das Warschauer Arbeiterkomitee. Portugal. Für die sozialistischen Arbeitervereine: Carvalho. Rußland. Stepniak. Spanien. Für die spanische sozialistische Arbeiterpartei: Pablo Iglesias, F.Diego. Schweiz. Brandt, Vizepräsident des Grütlivereins. Für die schweizerische sozialdemokratische Partei: A.Reichel, A.Steck.
35 Marx/Engels, Werke Bd. 21

Anhang und Register

Anmerkungen
1 Das vorliegende Vorwort wurde zur dritten deutschen autorisierten Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei" (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 459-493) geschrieben. Es war die erste von Engels durchgesehene Ausgabe nach dem Tode von Marx. 3 2 Dieser Artikel zum Gedenken Georg Weerths wurde von Engels Ende Mai 1883 geschrieben und am 7.Juni 1883 im „Sozialdemokrat" veröffentlicht. Bereits 1856, gleich nach dem Tode von Georg Weerth, beabsichtigte Marx, ihm einen Nachruf zu widmen. Er verwirklichte sein Vorhaben jedoch nicht, da die Veröffentlichung eines solchen Nachrufs unter der in den fünfziger Jahren in Deutschland herrschenden Reaktion unmöglich war. Einer der Beweggründe zur Niederschrift dieses Artikels war Engels' Bestreben, bei den deutschen Arbeitern und Sozialdemokraten das Interesse für die revolutionäre Vergangenheit der deutschen Arbeiterbewegung zu wecken. . „Der Sozialdemokrat" - Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie, erschien während des Sozialistengesetzes ab September 1879 bis September 1888 in Zürich und ab Oktober 1888 bis 27.September 1890 in London. 1879/1880 wurde die Zeitung unter der Redaktion von Georg Vollmar und 1881 -1890 unter der Redaktion von Eduard Bernstein herausgegeben. Marx und Engels berichtigten Fehler der Zeitung und halfen dem Zentralorgan, in seinen Spalten die marxistische, proletarische Linie durchzusetzen. Engels arbeitete selbst an der Zeitung mit. 5 s Die Schrift „Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski" von Georg Weerth wurde als Feuilletonserie ohne Unterschrift in der „Neuen Rheinischen Zeitung" im August/September, Dezember 1848 und Januar 1849 veröffentlicht. „Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie" - Tageszeitung, die unter der Redaktion von Karl Marx vom 1. Juni 1848 bis 19. Mai 1849 in Köln herausgegeben wurde. Zur Redaktion gehörten Friedrich Engels, Wilhelm Wolff, Georg Weerth, Ferdinand Wolff, Ernst Dronke, Ferdinand Freiligrath und Heinrich Bürgers. Als Kampforgan des proletarischen Flügels der Demokratie wurde die „Neue Rheinische Zeitung" zum Erzieher der Volksmassen im Kampf gegen die Konterrevolution. Die wegweisenden Leitartikel zu den wichtigsten Fragen der deutschen und europäischen Revolution wurden in der Regel von Marx und Engels verfaßt. Ungeachtet aller Verfolgungen und polizeilichen Maßregelungen verteidigte die „Neue Rheinische Zeitung" mutig die Interessen der revolutionären Demokratie und damit die
Interessen des Proletariats. Im Mai 1849, als die Konterrevolution allgemein zum Angriff überging, erließ die preußische Regierung, nachdem sie Marx bereits die Staatsbürgerschaft verweigert hatte, den Befehl, ihn aus Preußen auszuweisen. Seine Ausweisung und die Repressalien gegen die anderen Redakteure der „Neuen Rheinischen Zeitung" zwangen die Redaktion, das Erscheinen des Blattes einzustellen. Die letzte Nummer der „Neuen Rheinischen Zeitung" (Nr. 301 vom 19. Mai 1849) erschien in rotem Druck. 6 218 1 Souloaque, Famtin - Präsident der Republik Haiti, proklamierte sich am 26. August 1849 zum Kaiser Faustin I., bekannt durch Unwissenheit, Grausamkeit und Eitelkeit. Die antibonapartistische Presse legte dem Präsidenten Louis Bonaparte diesen Namen bei. 7 5 In dem Artikel „Das Buch der Offenbarung" (Anspielung auf „Die Offenbarung des Johannes", griechisch „Apokalypse", eines der Bücher der Bibel) äußert sich Engels zu einigen Problemen der Geschichte des frühen Christentums, für die er sich nach seinen eigenen Worten schon seit 1841 interessierte und die von ihm schon teilweise in seinem Artikel „Bruno Bauer und das Urchristentum" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 297-305) berührt worden waren. Eine ausführlichere Darlegung dieser Probleme gab Engels später, 1894, in der Arbeit „Zur Geschichte des Urchristentums "(siehe Band22 unserer Ausgabe). Der Aufsatz „Das Buch der Offenbarung" wurde in der Zeitschrift „Progress" veröffentlicht. „Progress" - englische Monatsschrift zu Fragen der Wissenschaft, Politik und Literatur; erschien von 1883 bis 1887 in London. Sie stand eine Zeitlang sozialistischen Kreisen nahe. Eleanor Marx und Edward Aveling zählten zu ihren Mitarbeitern. 9 6 Tübinger Sehlde - Schule der Bibelforschung und der Bibelkritik, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Ferdinand Christian Baur begründet. Die rationalistische Kritik des Evangeliums durch die Anhänger dieser Schule zeichnete sich durch Inkonsequenz und durch das Streben aus, gewisse Leitsätze der Bibel als historisch glaubwürdig zu erhalten. Gegen ihren Willen trugen jedoch diese Forscher zur Untergrabung der Autorität der Bibel bei. 9 7 Engels bezieht sich auf das zweite und dritte Kapitel der „Offenbarung des Johannes". 10 8 Stoiker - Anhänger einer philosophischen Richtung, die Ende des 4. Jahrhunderts v. u. Z. in Griechenland entstand und bis zum 6. Jahrhundert u. Z. existierte. Sie war eine zwischen Materialismus und Idealismus schwankende Richtung. In der Epoche des Römischen Imperiums verwandelte sich die Philosophie der Stoiker in eine reaktionäre religiösidealistische Lehre. Die Stoiker zeigten besonderes Interesse für moralische Probleme. Diese Probleme behandelten sie im religiös-idealistischen Geiste, wobei sie die körperlose Existenz der Seelen, den Kult der Ergebenheit des Menschen gegenüber dem Schicksal, das Nichtwiderstreben dem Bösen, die Selbstverleugnung und den Asketismus, die Gottsucherei usw. vertraten; alles das hatte Einfluß auf die Herausbildung der christlichen Religion. 10 9 Irenaus, „Fünf Bücher gegen alle Häresien, oder Entlarvung und Widerlegung der falschen Gnosis", Buch V, Kap. 28 -30. Bei der Angabe der Quelle ist Engels offensichtlich eine Ungenauigkeit unterlaufen: an der angeführten Stelle der „Annalen" von Tacitus wird zwar von Nero gesprochen, aber in einem anderen Zusammenhang; die erwähnten Fakten finden sich in Tacitus' „Historien", Buch II, Kap. 8. 13
10 In seinem 1894 geschriebenen Artikel „Zur Geschichte des Urchristentums" (siehe Band22 unserer Ausgabe) geht Engels gründlicher auf die Anführer der aufständischen Legionen ein. 14 11 Diesen Artikel schrieb Engels für den „Sozialdemokrat" zum ersten Todestag von Karl Marx. 16 12 Karl Marx/Friedrich Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei" (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 474); die Hervorhebungen und abweichenden Formulierungen in diesem Zitat stammen von Engels. 17 13 Unter dem Code Napolion versteht Engels hier wie auch an einer anderen Stelle dieses Absatzes nicht nur das 1804 von Napoleon angenommene Zivilgesetzbuch, bekannt unter der Bezeichnung Code Napoleon, sondern im weiten Sinne das ganze System des bürgerlichen Rechts, das durch die in der Zeit von 1804 bis 1810 unter Napoleon angenommenen fünf Gesetzbücher (Zivilgesetzbuch, Zivilprozeßordnung, Handelsgesetzbuch, Strafprozeßordnung, Strafgesetzbuch) repräsentiert wurde. Diese Gesetzbücher traten auch in den von Frankreich eroberten Gebieten West- und Südwestdeutschlands in Kraft. In der Rheinprovinz blieben sie auch nach dem Anschluß an Preußen (1815) gültig. Den Code Napoleon, das französische Zivilgesetzbuch, nannte Engels „das klassische Gesetzbuch der Bourgeoisgesellschaft" (siehe vorl. Band, S. 301/302). 18 14 Das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten" von 1794 war eine Zusammenfassung des bürgerlichen Rechts, des Handels-, Wechsel-, See- und Versicherungsrechts, ferner des Straf-, Kirchen-, Staats- und Verwaltungsrechts; es verankerte den rückständigen Charakter des feudalen Preußens in der Rechtsprechung und galt in wesentlichen Teilen bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900. 19 15 Der demokratische Student Gustav Adolf Schlöffe!, nach der Märzrevolution 1848 in Berlin Herausgeber des „Volksfreunds", wurde wegen zwei in Nr. 5 vom 19. April veröffentlichten Artikeln, in denen er für die Verteidigung der Rechte der werktätigen Massen eintrat, der Verleitung zum Aufruhr bezichtigt und zu 6 Monaten Festungshaft verurteilt. 19 16 „Neue Preußische Zeitung" - Tageszeitung, die im Juni 1848 in Berlin gegründet wurde; sie war das Organ der konterrevolutionären Hofkamarilla und des preußischen Junkertums. Diese Zeitung wurde auch unter dem Namen „Kreuz-Zeitung" bekannt, da sie in ihrem Titel ein Landwehrkreuz (Eisernes Kreuz) trug. 20 17 Engels bezieht sich hier auf seinen Artikel „Die Frankfurter Versammlung" (siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 14-17). 20 18 Hinweis auf die Artikel in der „Neuen Rheinischen Zeitung", die an der Frankfurter und der preußischen Nationalversammlung Kritik üben; ein bedeutender Teil von ihnen wurde von Marx geschrieben (siehe Band 5 und 6 unserer Ausgabe). Engels übernahm in gekürzter Form diese Kritik in seine Arbeit „Revolution und Konterrevolution in Deutschland" (siehe Band 8 unserer Ausgabe, S. 87). 21 16 „L'Ami du peuple" - Tageszeitung, die von Jean Paul Marat, einem führenden Vertreter der Jakobiner, vom 12. September 1789 bis 14. Juli 1793 in Paris herausgegeben wurde; unter diesem Titel erschien sie vom lö.September 1789 bis 21.September 1892; die Zeitung war gezeichnet: Marat, l'Ami du peuple (Freund des Volkes). 21 20 Gemeint ist Marx' Artikel „Die Junirevolution" (siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 133 bis 137). 22
21 Der 24.Februar 1848 war der Tag, an dem die Monarchie Louis-Philippes in Frankreich gestürzt wurde. Nach Erhalt der Nachricht vom Sieg der Februarrevolution in Frankreich befahl Nikolaus I. dem Kriegsminister eine teilweise Mobilmachung für Rußland zur Vorbereitung des Kampfes gegen die Revolution in Europa. 22 22 Die Artikelserie „Die schlesische Milliarde" von Wilhelm Wolff - Freund und Mitkämpfer von Marx und Engels - wurde in der „Neuen Rheinischen Zeitung" Nr. 252,255,256, 258, 264, 270-272 und 281 in der Zeit vom 22.März bis 25.April 1849 veröffentlicht. 1886 wurden diese Artikel mit geringen Änderungen und einer Einleitung von Engels als Broschüre herausgegeben (siehe vorl. Band, S. 238 -247). Eine ausführliche Rezension der Artikel gibt Engels in seiner Arbeit „Wilhelm Wolff" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 53-88). 22 23 Siehe den Artikel „An die Arbeiter Kölns" in der „Neuen Rheinischen Zeitung" Nr. 301 vom 19. Mai 1849 mit der Unterschrift der Redaktion (Band 6 unserer Ausgabe, S. 519). 23 24 „Kölnische Zeitung" - Tageszeitung, die von 1802 bis 1945 in Köln erschien; in der Revolutionsperiode 1848/49 und während der darauffolgenden Reaktion verteidigte sie die feige, verräterische Politik der preußischen liberalen Bourgeoisie und führte einen ständigen erbitterten Kampf gegen die „Neue Rheinische Zeitung". 23 26 Am 13. Juni 1849 hatte die kleinbürgerliche Bergpartei (Montagne) aus Protest gegen die Entsendung französischer Truppen nach Italien zur Unterdrückung der Revolution zu einer friedlichen Demonstration in Paris aufgerufen. Laut Artikel V der französischen Verfassung war es verboten, französische Truppen gegen die Freiheit anderer Völker einzusetzen. Das Scheitern dieser Demonstration, die durch Truppen auseinandergejagt wurde, machte den Bankrott der kleinbürgerlichen Demokratie in Frankreich offensichtlich. Nach dem 13. Juni wurden viele Führer der Bergpartei und ausländische kleinbürgerliche Demokraten verhaftet oder gezwungen, Frankreich zu verlassen. 23 219 26 Über Engels' Teilnahme am badisch-pfälzischen Aufstand 1849 in der von Willich geführten Freiwilligentruppe siehe seine Arbeit „Die deutsche Reichsverfassungskampagne" (Band 7 unserer Ausgabe, S. 109-197). 24 27 „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" zählt zu den grundlegenden Werken des Marxismus. Diese Schrift ist eine wissenschaftliche Analyse der Geschichte der Menschheit in den frühesten Etappen ihrer Entwicklung; sie deckt den Prozeß des Zerfalls der Urgemeinschaft und die Herausbildung der auf Ausbeutung beruhenden Klassengesellschaft auf, zeigt die allgemeinen Charakterzüge dieser Gesellschaft und legt die Besonderheiten in der Entwicklung der Familienverhältnisse in den verschiedenen sozialökonomischen Formationen dar. Sie enthüllt ferner die Entstehung und den Klassencharakter des Staates und weist die historische Notwendigkeit seines Absterbens nach dem endgültigen Sieg der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft nach. Engels schrieb den „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" in der Zeit von Ende März bis Ende Mai 1884. Bei der Durchsicht der Manuskripte von Marx hatte er einen 1880/1881 von Marx angefertigten ausführlichen Konspekt des Buches „Ancient society" von dem fortschrittlichen amerikanischen Gelehrten L.H.Morgan gefunden; dieser Konspekt enthielt viele kritische Bemerkungen und eigene Thesen von Marx sowie Ergänzungen aus anderen Quellen. Nachdem Engels diesen Konspekt ge
lesen und sich davon überzeugt hatte, daß Morgans Buch die von Marx und ihm ausgearbeitete materialistische Geschichtsauffassung und die von ihnen dargelegten Ansichten über die Urgemeinschaft bestätigte, hielt er es für notwendig, unter weitgehender Berücksichtigung der Bemerkungen von Marx sowie verschiedener in Morgans Buch enthaltener Schlußfolgerungen und Tatsachen eine spezielle Arbeit zu diesen Problemen zu schreiben. Engels betrachtete dies „gewissermaßen als die Vollführung eines Vermächtnisses" von Marx. Bei der Abfassung seiner Schrift stützte sich Engels auf die Ergebnisse seiner eigenen Forschungen auf dem Gebiet der Geschichte Griechenlands und Roms, Altirlands, der alten Germanen usw. (siehe u. a. die Arbeiten „Die Mark", „Zur Urgeschichte der Deutschen" und „Fränkische Zeit" in Band 19 unserer Ausgabe). Ursprünglich wollte Engels seine Schrift in der legalen theoretischen Zeitschrift der deutschen Sozialdemokratie „Neue Zeit" veröffentlichen; er gab diesen Plan jedoch später auf in der Erwägung, daß seine Arbeit wegen ihres politischen Inhalts unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes in Deutschland nicht gedruckt werden könne. Das Buch erschien Anfang Oktober 1884 in Zürich. In der ersten Zeit behinderten die deutschen Behörden seine Verbreitung, jedoch konnten die folgenden, unveränderten Auflagen (zweite 1886, dritte 1889) bereits in Stuttgart herausgebracht werden; 1885 erschien es in polnischer, rumänischer und italienischer Sprache. Die italienische Übersetzung redigierte Engels selbst, ebenfalls die 1888 erschienene dänische Übersetzung. Die Erstausgabe des „Ursprungs der Familie" wurde auch in die serbische Sprache übersetzt. Nachdem Engels neues Material zur Geschichte der Urgemeinschaft zusammengetragen hatte, begann er 1890 mit der Vorbereitung einer neuen Ausgabe. Im Verlauf der Arbeit studierte er alle Neuerscheinungen zu dieser Frage, insbesondere die Veröffentlichungen des russischen Gelehrten M. M. Kowalewski. Auf Grund der neuen Erkenntnisse, vor allem auf dem Gebiet der Archäologie und Ethnographie, nahm er am ursprünglichen Text viele Änderungen und Verbesserungen vor und machte wesentliche Zusätze, besonders in Kapitel II „Die Familie". Die wesentlichsten Änderungen gegenüber der Erstausgabe sind in Fußnoten vermerkt. Die Änderungen und genaueren Formulierungen berührten jedoch nicht Engels' Schlußfolgerungen, die durch die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft nur bestätigt wurden und auch später nichts an Bedeutung verloren. Der weitere Fortschritt der Wissenschaft bewies die Richtigkeit der von Engels entwickelten Thesen, wenn es auch verschiedenen dem Buche Morgans entnommenen Einzelheiten vom Standpunkt der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse an einer gewissen Klarheit mangelt. Die vierte, verbesserte und ergänzte Auflage des „Ursprungs der Familie" erschien im November 1891 in Stuttgart (auf dem Titelblatt 1892); danach sind keinerlei Änderungen mehr an diesem Werk vorgenommen worden. Engels schrieb für diese Auflage ein neues Vorwort (siehe vorl. Band, S. 473 -483), das auch als selbständiger Artikel unter dem Titel „Zur Urgeschichte der Familie" (siehe Band 22 unserer Ausgabe) veröffentlicht worden ist. Zu Engels' Lebzeiten erschienen noch zwei Auflagen (die fünfte 1892, die sechste 1894), die lediglich ein Wiederabdruck der vierten Auflage waren. Diese Auflage diente auch als Grundlage für die ersten Übersetzungen ins Französische (1893 - die Übersetzung wurde von Laura Lafargue redigiert und von Engels durchgesehen -), ins Bulgarische (1893), ins Spanische (1894); in englischer Sprache erschien das Buch erst 1902. In russischer Sprache wurde der „Ursprung der Familie" erstmalig 1894 in St. Petersburg herausgegeben; der Ubersetzung lag die vierte deutsche Auflage zugrunde. Es war das erste Werk von Engels, das legal in Rußland erschien. Später wurde es wiederholt in ver
schiedenen Sprachen herausgebracht; besonders große Verbreitung fand es in der ganzen Welt nach dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 25 28 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 19. 30 29 Pueblo — Bezeichnung für eine Gruppe indianischer Stämme, die in Neu-Mexiko (im heutigen Südwesten der USA und Nord-Mexiko) lebten und durch eine gemeinsame Geschichte und Kultur miteinander verbunden waren. Diese Bezeichnung, die von dem spanischen Wort pueblo (Volk, Siedlung, Ort) stammt, gaben ihnen die spanischen Eroberer wegen des besonderen Charakters ihrer Siedlungen, deren kastenförmige, über- und nebeneinander geschachtelte Häuser zu einem Komplex verschmolzen waren; sie beherbergten bis zu Tausenden von Menschen. Die Bezeichnung Pueblo wurde auch auf die Ortschaften dieser Stämme angewandt. 33 94 30 Ilias - berühmte altgriechische epische Dichtung, die Homer, dem sagenhaften Dichter der Antike, zugeschrieben wird. 34 31 Engels benutzte für seine Arbeit folgende Bücher McLennans: „Primitive marriage. An inquiry into the origin of the form of capture in marriage ceremonies", Edinburgh 1865; „Studies in ancient history comprising a reprint of .Primitive marriage. An inquiry into the origin of the form of capture in marriage ceremonies'", London 1876. Während der Vorbereitung der vierten Auflage des „Ursprungs der Familie" (1892) studierte er u. a. die 1886 in London und New York erschienene Neuauflage des letztgenannten Buchs von McLennan. 37 32 Morgan, „Ancient society", London 1877, S.435. 38 38 Siehe Bachofen, „Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur", Stuttgart 1861. 39 34 Giraud-Teulon zitiert diese Äußerung Saussures in seinem Buch „Les origines du mariage et de la famille", Genf undParis 1884, S. XV. 40 35 Letourneau, „L'Ävolution du mariage et de la famille", Paris 1888, S. 41. 40 36 Engels zitiert Espinas nach dem Buch von Giraud-Teulon, S. 518 (siehe Anm. 34), in dem als Anhang ein Ausschnitt dieser Arbeit enthalten ist. 40 37 Westermarck, „The history of human marriage", London und New York 1891, S. 70/71. 43 38 Dieser Brief von Marx, den Engels in seinem Brief vom 1 I.April .1884 an Kautsky erwähnt, ist nicht erhalten geblieben. 43 39 Engels bezieht sich auf Richard Wagners Operntrilogie „Der Ring des Nibelungen", die der Komponist nach dem skandinavischen Epos „Edda" und dem „Nibelungenlied" selbst schrieb. (Siehe „Die Walküre. Erster Tag aus der Trilogie: Der Ring des Nibelungen", zweiter Aufzug). „Nibelungenlied" - bedeutendes deutsches Heldenepos, auf der Grundlage deutscher Mythen und Sagen aus der Zeit der sogenannten Völkerwanderung (3.-5. Jh. u. Z.) geschaffen. In der uns überlieferten Form entstand das Epos um das 12. Jahrhundert. 44 323 40 „Edda" - eine Sammlung von mythologischen Heldensagen und Liedern der skandinavischen Völker; sie ist erhalten geblieben in Form einer aus dem 13. Jahrhundert stammenden Handschrift, die 1643 von dem isländischen Bischof Sveinsson entdeckt wurde (die „ältere Edda"), sowie in Form einer Abhandlung über die Dichtung der Skalden,
die zu Beginn des 13. Jahrhunderts von dem Dichter und Chronisten Snorri Sturluson verfaßt worden war (die „jüngere Edda"). Die Lieder der Edda widerspiegeln die skandinavische Gesellschaft in der Periode des Verfalls der Gentilordnung und der Völkerwanderung. In ihnen begegnen wir Gestalten und Fabeln aus den Uberlieferungen der alten Germanen. „ögisdrecka" - ein Lied aus der „älteren Edda", das zu den älteren Texten der Sammlung zählt. Engels zitiert hier Stellen aus den Strophen 32 und 36 dieses Liedes. 44 41 Asen und Vanen - Göttergeschlechter der skandinavischen Mythologie. „Ynglinga Saga" - erste der 16 Sagen über die norwegischen Könige von der älteren Zeit bis zum Ausgang des 12. Jahrhunderts aus dem Buch „Heimskringla", das der isländische Dichter und Chronist Snorri Sturluson in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfaßte. Ihm liegen Chroniken über die norwegischen Könige sowie isländische und norwegische Stammessagen zugrunde. Engels zitiert hier aus Kapitel 4 dieser Saga. 44 42 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 425. 45 43 Bachofen, „Das Mutterrecht", Stuttgart 1861, S. XXIII, 385 u. a. 46 44 Cäsar, „Der gallische Krieg", Buch V, Kap. 14. 47 45 australisches Klassensystem — die Heiratsklassen oder Ehegruppen, in die sich die meisten australischen Stämme aufteilten. Es gab vier Heiratsklassen, von denen jede in einen männlichen und einen weiblichen Teil zerfiel. Zwischen den vier Klassen waren bestimmte Vorschriften zur Regelung der Eheschließung festgesetzt, d. h. die Männer einer Gruppe konnten nur eine Ehe mit Frauen einer bestimmten anderen Gruppe eingehen. 47 46 Morgan, „Systems of consanguinity and affinity of the human family", Washington 1781. 49 85 4' Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 459. 52 48 Engels zitiert den Brief Arthur Wrights nach Morgans Buch „Ancient society", London 1877, S. 455. Der vollständige Text des Briefes (datiert vom 19.Mai 1874, nicht wie bei Morgan von 1873) wurde veröffentlicht in der Zeitschrift „American Anthropologist", New Series, Menasha, Wisconsin, USA 1933, Nr. 1, S. 138-140. 54 49 Bancroft, „The native races of the pacific states of North America", Vol. 1, Leipzig 1875, S. 352/353. 55 50 Satumalien - zu Ehren des römischen Gottes Saturn - z. Zt. der Wintersonnenwende nach Beendigung der Landarbeiten - gefeiertes altrömisches Volksfest. Während dieses Festes, an dem die Sklaven teilnehmen und am Tisch der Freien sitzen durften, wurden Massenessen und Orgien veranstaltet; es herrschte freier Geschlechtsverkehr. Das Wort „Saturnalien" wurde zum Begriff für zügellose Gelage und Orgien. 55 61 Es handelt sich um die sog. Guadaluper Sentenz vom 21 .April 1486, den dritten Schiedsspruch des spanischen Königs Ferdinand V. (des Katholischen). Der Bauernaufstand in Katalonien zwang den König zu Zugeständnissen an die Bauern, und er trat als Vermittler zwischen den aufständischen Bauern und den Feudalherren auf. Der Schiedsspruch sah vor die Aufhebung der Hörigkeit und der „üblen Gebräuche" (u. a. das Recht der ersten Nacht, Abgaben des zukünftigen Bräutigams bzw. der Braut) unter der Bedingung des Loskaufs. 57
52 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 465/466. 61 63 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 470. 61 54 Siehe Maxim Kowalewski, „Perwobietnoje Prawa", Wiepusk 1, Rod, Moskau 1886. In dieser Arbeit stützt sich Kowalewski auf die Veröffentlichungen von Orchanski (1875) und Jefimenko (1878) zu Fragen der Familiengenossenschaften in Rußland. 62 55 Prawda des Jaroslaul nennt man den ersten Teil der ältesten Fassung der „Russkaja Prawda", der Gesetzsammlung der Alten Rus, die im II. und 12.Jahrhundert auf der Grundlage des Gewohnheitsrechts jener Zeit entstanden war und die ökonomischen und sozialen Beziehungen der damaligen Gesellschaft zum Ausdruck brachte. 62 56 dalmatinische Gesetze - eine Sammlung von Gesetzen, die vom 15. bis 17. Jahrhundert in Poljica (Gebiet in Dalmatien) Gültigkeit besaßen und unter der Bezeichnung Poljizzer Statut bekannt waren. 63 67 Heusler, „Institutionen des Deutschen Privatrechts", Bd. 2, Leipzig 1886, S. 271. 63 58 Die Bemerkung Nearchos' wird erwähnt in Strabos „Geographie", Fünfzehntes Buch, Kapitell. 63 69 Calpullis - Hausgenossenschaft bei den Indianern Mexikos z. Zt. der spanischen Eroberung. Jede Hausgenossenschaft, deren Mitglieder alle gleicher Herkunft waren, besaß gemeinsam ein Stück Land, das weder enteignet noch unter Erben aufgeteilt werden konnte. Über die Calpullis berichtet Alonzo de Zurita in seiner Arbeit „Rapport sur les diferentes classes de chefs de la Nouvelle-Espagne, sur leslois, les moeurs des habitants, sur les impöts £tablis avant et depuis la conquete, etc., etc.", die erstmalig veröffentlicht wurde in dem Buch „Voyages,relations et m^moires originaux pour serviräl'histoire de la d£couverte de I'AmÄrique, publi£s pour la premiere fois en franfais, par H.TernauxCompans", Paris 1840, T. 11, S. 50-64. 63 60 Cunow, „Die altperuanischen Dorf- und Markgenossenschaften", in der Zeitschrift „Das Ausland" vom 20. und 27. Oktober sowie 3. November 1890. „Das Ausland. Ueberschau der neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Natur-, Erd- und Völkerkunde" - erschien von 1828 bis 1893 (anfangs täglich, seit 1853 wöchentlich), von 1873 an wurde sie in Stuttgart herausgegeben. 63 61 Engels bezieht sich hier auf den Artikel 230 des 1804 unter Napoleon I. eingeführten Code civil des Fran^ais. 65 62 Schoemann, „Griechische Alterthümer", Bd. 1, Berlin 1855, S.268. 66 63 Spartiaten - Vollbürger des alten Sparta. Heloten - ursprünglich die von den eingewanderten Spartanern unterworfenen Ureinwohner des südlichen Peloponnes. Die Heloten, die Sklaven des spartanischen Staates waren, mußten für die herrschende Klasse, die Spartiaten, die Äcker bestellen und deren Erträge bis zur Hälfte abliefern. 66 64 Wachsmuth, „Hellenische Alterthumskunde aus dem Gesichtspunkte des Staates", Zweiter Theil, zweite Abtheilung, Halle 1830, S. 77. 67 65 Karl Marx/Friedrich Engels, „Die deutsche Ideologie" (siehe Band 3 unserer Ausgabe, 5.31). 68 66 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 504. 68
67 Hierodulen - im alten Griechenland und in den griechischen Kolonien Sklaven und Sklavinnen, die den Tempeln gehörten. Die weiblichen Hierodulen widmeten sieb an vielen Orten, besonders in den Städten Vorderasiens und in Korintb, der Tempelprostitution. 69
es Tacitus, „Germania", Kap. 18und 19. 71 69 Sinngemäß zitiert aus Fouriers „Theorie de 1'unitS universelle", Vol. 3. In: CEuvres completes, T. 4, Paris 1841, S. 120. Die Erstausgabe dieses Werkes erschien unter dem Titel „TraitS de l'association domestique-agricole", T. 1 -2, Paris-London 1822. 73 70 „Daphnis und Chloe" - altgriechischer Hirtenroman aus dem 2. bis 3. Jahrhundert; über den Verfasser, Longos, ist nichts bekannt. 78 71 „Cutrun' („Kudrun") - mittelhochdeutsche epische Dichtung des 13. Jahrhunderts. 79 72 Maine, „Ancient law: its connection with the early history of society, and its relation to modern ideas", London 1866, S. 170; die Erstausgabe dieses Werks erschien 1861 in London. 80 73 Karl Marx/Friedrich Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei", Kapitel 1 (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 462-474). 80 74 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 491/492. 84 75 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 85/86. 89 76 Es ist hier von der Eroberung Mexikos durch die Spanier 1519-1521 die Rede. 90 77 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 115. 92 78 „Neutrale Nation" nannte man im 17. Jahrhundert den Kriegsbund einiger mit den Irokesen verwandter Indianerstämme, die am Nordufer des Eriesees lebten. Diese Bezeichnung erhielt der Kriegsbund von den französischen Kolonisatoren, weil er in den Kriegen zwischen den Stämmen der Irokesen und Huronen Neutralität bewahrte. 96 79 Engels bezieht sich hier auf den nationalen Befreiungskampf der Zulus und Nubier gegen die englischen Kolonisatoren. Die Zulus, die im Januar 1879 von den Engländern überfallen worden waren, leisteten unter Führung von Cetewayo ein halbes Jahr lang erbitterten Widerstand. Dank der überlegenen militärischen Ausrüstung gelang es den Engländern, nach einigen Schlachten die Zulus zu besiegen. Endgültig wurden die Zulus 1887 der englischen Herrschaft unterworfen, wobei die Engländer den Bruderkrieg zwischen den Zulustämmen, den sie provoziert hatten, ausnutzten. Der nationale Befreiungskampf der Nubier, Araber und anderer Volksstämme des Sudans unter Führung des muselmanischen Propheten Mohammed Achmed, der sich selbst „Mahdi", d. h. „Retter", nannte, begann 1881. Einen Höhepunkt erreichte dieser Kampf 1883/1884, als fast das gesamte Territorium des Sudans von den bereits in den siebziger Jahren eingedrungenen englischen Kolonisatoren befreit worden war. Im Verlaufe des Kampfes bildete sich ein selbständiger, zentralisierter Mahdi-Staat. Erst gegen 1899 gelang es den Engländern, auf Grund der inneren Schwäche des Staates - die Folge ununterbrochener Kriege und Zwistigkeiten zwischen den Stämmen - und dank ihrer überlegenen militärischen Ausrüstung, den Sudan zu erobern. 96 80 Grote, „A history of Greece", Vol. 3, London 1869, S. 54-55; die Erstausgabe dieses Werkes - Vol. 1-12 - erschien von 1846 bis 1856 in London. 98
81 Engels bezieht sich auf die Gerichtsrede Demosthenes' gegen Eubulides, in der von dem alten Brauch gesprochen wird, auf den gemeinsamen Begräbnisplätzen nur Blutsverwandte zu beerdigen. 98 82 Engels bezieht sich hier auf eine Stelle aus dem uns nicht erhalten gebliebenen Werk des altgriechischen Philosophen Dikäarchos, die angeführt ist bei Wilhelm Wachsmuth, „Hellenische Alterthumskunde aus dem Gesichtspunkte des Staates", Erster Theil, erste Abtheilung, Halle 1826, S. 312. 99 83 Becker, „Charikles, Bilder altgriechischer Sitte. Zur genaueren Kenntniss des griechischen Privatlebens", Zweiter Theil, Leipzig 1840, S. 447. 99 84 Grote, „A history of Greece", Vol. 3, London 1869, S. 66. 100 85 Grote, „A history of Greece", Vol. 3, London 1869, S. 60. 101 86 Grote, „A history of Greece", Vol. 2, London 1869, S. 58-59. 101 87 Homer, „Ilias", Zweiter Gesang. 101 88 Dionysios von Halikarnaß, „Urgeschichte der Römer", Zweites Buch, Kap. 12. 102 88 Schoemann, „Griechische Althertümer", Bd. 1, Berlin 1855, S. 27. 103 90 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 248. 103 91 Homer, „Ilias", Zweiter Gesang. 104 92 Thukydides, „Geschichte des Peloponnesischen Krieges", Buch I, Kap. 13. 105 93 Aristoteles, „Politik", Drittes Buch, Kap. 10. 105 94 Es ist hier die Rede von der vierten Klasse der athenischen Bürger, den Theten (Freie, aber Besitzlose), die das Recht erhielten, öffentlicheÄmter zu bekleiden; ein Teil der Quellen schreibt diese Neuerung Aristides (5. Jh. v. u. Z.) zu. 113 95 Hinweis auf die sog. Metöken - Ausländer, die ständig in Athen lebten. Trotz ihrer persönlichen Freiheit galten sie als rechtlose Fremde, die weder öffentlicheÄmter bekleiden, an der Volksversammlung teilnehmen noch unbewegliches Eigentum besitzen durften. In der Hauptsache waren sie Handwerker und Handeltreibende. Die Metöken waren verpflichtet, eine besondere Kopfsteuer zu zahlen; sie konnten sich nur durch Vermittlung ihrer sog. Beschützer aus den Reihen der Vollbürger an die Verwaltungsorgane wenden. 114 96 In den Jahren 510-507 v. u. Z. stand Kleisthenes, aus dem Geschlecht der Alkmeoniden stammend, an der Spitze des Kampfes des athenischen Demos gegen die Herrschaft des alten Gentilädels. Der Sieg, den die Aufständischen errangen, wurde durch die Gesetze Kleisthenes', die den letzten Rest der Gentilverfassung beseitigten, gesichert. 114 97 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 271. 115 98 Im Jahre 560 v. u. Z. riß Pisistratos (Peisistratos), aus einem verarmten aristokratischen Geschlecht stammend, die Macht in Athen an sich und errichtete eine Diktatur (Tyrannis). Diese Herrschaftsform bestand mit Unterbrechung (Pisistratus wurde zweimal aus Athen verjagt, kehrte jedoch beide Male zurück) auch nach seinem Tode (527) bis zur Vertreibung seines Sohnes Hippias (510); bald danach errichtete Kleisthenes in Athen die Sklavenhalterdemokratie. Die den Interessen der kleinen und mittleren Grundbesitzer entsprechende Politik Pisistratos' untergrub die Stellung des Gentilädels, hatte aber keine ernsthaften Veränderungen in der politischen Struktur des athenischen Staates zur Folge. 116
99 Die Gesetze der zwölf Tafeln sind das älteste Denkmal des römischen Rechts, aufgestellt in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. u. Z. im Ergebnis des Kampfes der Plebejer gegen die Patrizier. Sie sind im Grunde nichts weiter als eine Aufzeichnung des im damaligen Rom üblichen Gewohnheitsrechts. Die in zwölf Erztafeln eingeschnittenen Gesetze widerspiegeln die Vermögensdifferenzierung innerhalb der römischen Gesellschaft, die Entwicklung der Sklaverei und die Herausbildung des Sklavenhalterstaats. 117 100 Die Schlacht im Teutoburger Walde (im Jahre 9 u. Z.) zwischen den gegen die römischen Eindringlinge sich erhebenden Germanenstämmen und den römischen Truppen unter Führung von Varus endete mit der völligen Vernichtung des römisches Heeres. Varus beging Selbstmord. 118 101 Appius Claudius wurde für das Jahr 451-450 v. u. Z. in ein aus zehn Männern bestehendes Kollegium zur Aufzeichnung der Gesetze (Dezemvirn) gewählt. Das Kollegium besaß außerordentliche Gewalt. Nach Ablauf der festgesetzten Frist versuchten die Dezemvirn mit Appius Claudius, durch Usurpation die Macht des Kollegiums auch auf das Jahr 449 auszudehnen. Die Willkür und die Gewaltmaßnahmen der Dezemvirn, insbesondere des Appius Claudius, riefen jedoch einen Aufstand der Plebejer hervor, der zum Sturz der Dezemvirn führte; Appius Claudius wurde ins Gefängnis geworfen, wo er bald darauf starb. Der zweite Punische Krieg (218-201 v. u. Z.) war einer der Kriege, der zwischen den beiden größten Sklavenhalterstaaten des Altertums - Rom und Karthago - um die Herrschaft im westlichen Mittelmeergebiet, die Eroberung neuer Territorien und die Gewinnung von Sklaven geführt wurde. Der Krieg endete mit der Niederlage Karthagos. 119 102 In seinem Buche „Römische Alterthümer", Bd. I, Berlin 1856, S. 195, bezieht sich Lange auf Ph.E.Huschkes Dissertation „De privilegiis Feceniae Hispalae senatusconsulto concessis" (Liv. XXXIX, 19), Göttingen 1822. 122 103 Theodor Mommsen, „Römische Geschichte", Bd. 1, Erstes Buch, Kap. 6; die erste Ausgabe des genannten Werkes (Bd. 1) erschien 1854 in Leipzig. 123 104 Die Eroberung von Wales durch die Engländer war 1283 abgeschlossen, Wales bewahrte sich jedoch weiter seine Autonomie; Mitte des 16. Jahrhunderts wurde es vollständig mit England vereint. 127 105 Engels arbeitete 1869/1870 an einem großen, unvollendet gebliebenen Werk, das der Geschichte Irlands gewidmet war (das Fragment dieses Werkes siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 459-498). Im Zusammenhang mit dem Studium der Geschichte der Kelten studierte Engels auch die altwalisischen Gesetze. 128 106 Siehe „Ancient laws and institutes of Wales", Vol. 1, o. 0. 1841, S. 93. 128 107 Im September 1891 machte Engels eine Reise durch Schottland und Irland. 129 108 Der Aufstand, der 1745 unter den schottischen Hochländern ausbrach, war deren Antwort auf die Unterdrückung und die Vertreibung von Grund und Boden, die im Interesse der englisch-schottischen Landaristokratie und Bourgeoisie erfolgte. Ein Teil des Adels im schottischen Hochland, der an der Beibehaltung des feudal-patriarchalischen Clansystems interessiert war und die Ansprüche der Vertreter der gestürzten Dynastie der Stuarts auf den englischen Thron unterstützte, nutzte die Unzufriedenheit der Hochländer aus. Erklärtes Ziel des Aufstands war die Einsetzung Karl-Eduards, eines Enkels Jakobs II., auf den Thron. Die Niederschlagung des Aufstands hatte die völlige Vernich
tung des Clansystems im schottischen Hochland zur Folge und beschleunigte die Verjagung der schottischen Bauernschaft von ihrem Boden. 130 109 Morgan, „Ancient society", London 1877, S. 357/358. 130 110 Beda Venerabiiis, „Historiae ecclesiasticae gentis Anglorum", Buch I, Kap. 1. 130 111 Cäsar, „Der gallische Krieg", Buch VI, Kap. 22. 131 112 „Alamartmsches Volksrecht" - eine aus dem Ende des 6. oder Anfang des 7. Jahrhunderts und aus dem 8. Jahrhundert stammende Aufzeichnung des Gewohnheitsrechts des germanischen Stammes der Alemannen (Alamannen). Die Alemannen bewohnten seit dem 5. Jahrhundert das Territorium des heutigen Elsaß, der heutigen Schweiz und Südwestdeutschlands. Engels bezieht sich hier auf das Gesetz LXXXI (LXXXIV) des „Alamannischen Volksrechts". 131 113 „Hildebrandslied" - fragmentarisch erhaltenes althochdeutsches Heldengedicht aus dem 8. Jahrhundert; ältester überlieferter deutscher Sagentext. 132 158 114 Tacitus, „Germania", Kap. 7. 132 115 Diodorus Siculus, „Bibliothecae historicae quae supersunt", Vol. 4, Kap. 34, 43/44. 133 116 „Völrnpä" - eines der Lieder aus der „älteren Edda" (siehe Anm. 40). 133 117 Der Aufstand der gallischen und germanischen Stämme unter Civilis gegen die römische Herrschaft in den Jahren 69-70 (nach einigen Quellen 69—71) wurde hervorgerufen durch Steuererhöhungen, verstärkte Aushebungen und Übergriffe römischer Beamter. Er erfaßte einen beträchtlichen Teil Galliens und germanische Gebiete, die sich unter römischer Herrschaft befanden. Die genannten Territorien schienen Rom verlorenzugehen. Nach anfänglichen Erfolgen erlitten die Aufständischen jedoch einige Niederlagen, die sie zwangen, mit Rom Frieden zu schließen. 134 118 Cäsar, „Der gallische Krieg", Buch IV, Kap. 1. 135 119 Tacitus, „Germania", Kap. 26. 136 120 „Codex Lameshamensis" („Lorscher Chartular") - Kopialbuch des Klosters von Lorsch, in dem die Abschriften empfangener Urkunden über Schenkungen, Privilegien u. a. gesammelt sind. Das in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts im Fränkischen Reich unweit von Worms gegründete Lorscher Kloster verfügte über einen großen Feudalbesitz in Südwestdeutschland. Das im 12. Jahrhundert angefertigte Kopialbuch zählt zu den wichtigsten Quellen über die Geschichte des bäuerlichen und des feudalen Grundbesitzes im 8. und 9. Jahrhundert. 137 121Plinius, „Naturgeschichte", Buch XVIII, Kap. 17. 137 . 122 Plinius, „Naturgeschichte", Buch IV, Kap. 14. 142 123 Liutprand von Cremona, „Antapodosis", Buch VI, Kap. 6. 145 124 Salvianus von Marseille, „De gubernatione dei", Buch V, Kap. 8. 145 125 Benefizium (beneficium - wörtlich: Wohltat) - Form der Landverleihung, die in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts im Frankenreich weit verbreitet war. Der als Benefizium übertragene Grund und Boden ging mit den auf ihm lebenden abhängigen Bauern auf Lebenszeit in Nutznießung des Empfängers (Benefiziar) unter der Bedingung bestimmter Dienstleistungen über; meistens waren sie militärischer Art. Starb der Verleiher oder der Empfänger, so fiel es dem Eigentümer oder dessen Erben zu. Vernachlässigte der Benefiziar
seine Untertanenpflichten oder sein Gut, konnte das Benefizium vom Verleiher eingezogen werden. Zur Erneuerung des bisherigen Verhältnisses mußte eine neue Übertragung an den Empfänger oder dessen Erben stattfinden. Zur Verleihung von Benefizien ging nicht nur die Krone über, sondern auch große Magnaten und die Kirche. Das Benefizialsystem trug bei zur Bildung der Klasse der Feudalen, besonders des kleinen und mittleren Adels, zur Versklavung der Bauernmassen, zur Herausbildung der Vasallenverhältnisse und der Feudalhierarchie. Im Verlaufe der Zeit entwickelte sich das Benefizium mehr und mehr zum Erblehen. Über die Rolle des Benefizialsystems in der Geschichte der Entwicklung des Feudalismus siehe Engels' „Fränkische Zeit" (Band 19 unserer Ausgabe, S. 474-518). 147 126 Gaugrafen - im Frankenreich königliche Beamte, die an der Spitze eines Gaues oder einer Grafschaft standen und richterliche, polizeiliche und militärische Obliegenheiten wahrzunehmen hatten. Für ihre Dienste bezogen sie ein Drittel der königlichen Einkünfte aus ihren Gauen, außerdem wurden sie mit Grundstücken belehnt. Im Verlaufe der Zeit verwandelten sich die Gaugrafen in Feudalherren, die souveräne Macht besaßen; dies geschah besonders nach 877, als die Grafenämter erblich wurden. 147 127 Irminons Grundbuch (Polyptichon) - ein Verzeichnis der Ländereien und der auf diesen sitzenden Hörigen sowie der Einkünfte des Klosters Saint-Germain-des-Pr£s, das der Abt Irminon im 9. Jahrhundert zusammengestellt hat. Offensichtlich zitiert Engels die Angaben nach Paul Roth, „Geschichte des Beneficialwesens von den ältesten Zeiten bis ins zehnte Jahrhundert", Erlangen 1850, S.378. 148 128 Liten - halbfreie, fron- und abgabepflichtige Bauern, die neben den Kolonen und Sklaven eine der Hauptgruppen der abhängigen Bauern in der Epoche der Merowinger und Karolinger bildeten. 148 129 Angarien - zur römischen Kaiserzeit Verpflichtungen der Bewohner, für Staatszwecke Fuhrwerke und Träger zu stellen. Da diese Verpflichtungen in der Folgezeit immer umfangreicheren Charakter annahmen, wurden sie zur schweren Last für die Bevölkerung. 148 130 Kommendation - in Europa im 8. und 9. Jahrhundert verbreitetes Ubereinkommen, durch das sich ein Schwächerer dem „Schutz" eines Stärkeren unter bestimmten Bedingungen unterstellt (militärische u. a. Dienstleistungen, Ubergabe des Grund und Bodens, um es als Lehen zurückzuempfangen). Die Kommendation bedeutete für die Bauern, die oft zu diesem Akt gezwungen wurden, den Verlust der persönlichen Freiheit und für die kleinen Grundbesitzer die Abhängigkeit von den großen Feudalherren; sie trug bei zur Versklavung der Bauernmassen sowie zur Festigung der Feudalhierarchie. 149 131 Fourier, „Theorie des quatre mouvements et des destin&s g£n£rales". In: CEuvres completes, T. 1, Paris 1846, S. 220. Die Erstausgabe des Buches erschien anonym 1808 in Lyon. 150 132 Die Schlacht bei Hostings fand 1066 zwischen den Truppen des in England eingedrungenen Herzogs der Normandie, Wilhelm, und den Angelsachsen unter König Harald statt. Die Angelsachsen, die in ihrer militärischen Organisation Reste der Gentilgesellschaft beibehalten und primitive Waffen hatten, wurden vernichtend geschlagen. An Stelle des in der Schlacht getöteten Königs Harald wurde Wilhelm - unter dem Namen Wilhelm I. der Eroberer - König von England. 158 133 Moliere, „George Dandin, ou le mari confondu", Erster Akt, 9. Szene. 162
36 Man/Engels, Werke, Bd. 21
134 Dithmarschen - Landschaft im südwestlichen Teil des heutigen Schleswig-Holstein. Im Altertum war es von Sachsen bewohnt, wurde im 8. Jahrhundert von Karl dem Großen erobert und befand sich danach im Besitz verschiedener geistlicher und weltlicher Feudalherren. In der Mitte des 12. Jahrhunderts erlangten die Bewohner Dithmarschens, unter denen die freien Bauern vorherrschten, allmählich Selbständigkeit und waren von Anfang des 13. bis Mitte des 16. Jahrhunderts faktisch unabhängig; sie widersetzten sich erfolgreich den wiederholten Versuchen der dänischen Könige und holsteinischen Herzöge, dieses Gebiet zu unterwerfen. Die gesellschaftliche Entwicklung Dithmarschens verlief sehr originell: um das 13. Jahrhundert verschwand faktisch der örtliche Adel; Dithmarschen stellte in der Periode seiner Unabhängigkeit eine Gesamtheit sich selbst verwaltender Bauerngemeinden dar, deren Grundlage in vielen Fällen die alten bäuerlichen Gentes waren. Bis zum 14. Jahrhundert übte die Landesversammlung aller freien Grundbesitzer die oberste Macht aus, danach ging sie an ein Repräsentativsystem - drei gewählte Körperschaften - über. 1559 gelang es den Truppen des dänischen Königs Friedrich II. und der holsteinischen Herzöge Johann und Adolf, den Widerstand der dithmarsischen Bevölkerung zu brechen und dieses Gebiet unter sich aufzuteilen. Die Gemeindeverfassung und die teilweise Selbstverwaltung blieb in Dithmarschen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten. 165 125 Hegel, „Grundlinien der Philosophie des Rechts", §§ 257 und 360. Die Erstausgabe dieser Arbeit erschien 1821 in Berlin. 165 136 Diese Vorbemerkung schrieb Engels für die 1884 herausgekommene Einzelausgabe von Marx' „Lohnarbeit und Kapital" (siehe Band 6 unserer Ausgabe, S. 397-423); sie ist auch in der von Engels verfaßten Einleitung zur Ausgabe von 1891 vollständig enthalten (siehe Band 22 unserer Ausgabe). 174 137 Der Deutsche Arbeiterverein in Brüssel wurde von Marx und Engels Ende August 1847 mit dem Ziel gegriindet, die in Belgien lebenden deutschen Arbeiter politisch aufzuklären und mit den Ideen des wissenschaftlichen Kommunismus bekannt zu machen. Unter der Leitung von Marx und Engels sowie deren Kampfgefährten entwickelte sich der Verein zu einem legalen Zentrum der deutschen revolutionären Arbeiter in Belgien. Der Deutsche Arbeiterverein stand in direkter Verbindung mit den flämischen und wallonischen Arbeitervereinen. Die fortschrittlichsten Mitglieder des Vereins traten der Brüsseler Gemeinde des Bundes der Kommunisten bei. Der Verein spielte eine hervorragende Rolle bei der Gründung der Brüsseler Association d£mocratique. Bald nach der Februarrevolution 1848 in Frankreich, als die belgische Polizei die meisten Mitglieder des Deutschen Arbeitervereins verhaftete und auswies, stellte der Verein seine Tätigkeit ein. 174 138 „Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons .Philosophie des Elends'" von Karl Marx (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 63 -182) war in französischer Sprache geschrieben, 1847 in Paris und Brüssel herausgegeben und zu Lebzeiten von Marx nicht mehr aufgelegt worden. Für die erste deutsche Ausgabe, die im Januar 1885 in Stuttgart erschien, schrieb Engels das vorliegende Vorwort, redigierte die Übersetzung und machte eine Reihe von Fußnoten. Bereits Anfang Januar desselben Jahres war das Vorwort auf Engels' Veranlassung in der Zeitschrift „Die Neue Zeit" unter der Überschrift „Marx und Rodbertus" veröffentlicht worden. Das Vorwort wurde auch in die zweite deutsche Auflage „Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons .Philosophie des Elends'", Stuttgart 1892, aufgenommen; zu dieser Auflage schrieb Engels noch eine kurze Vorbemerkung (siehe Band 22 unserer Ausgabe).
„Die Neue Zeit" - theoretische Zeitschrift der deutschen Sozialdemokratie, erschien in Stuttgart von 1883 bis Oktober 1890 monatlich, danach bis zum Herbst 1923 wöchentlich. Herausgeber der Zeitschrift war von 1883 bis Oktober 1917 Karl Kautsky, von Oktober 1917 bis zum Herbst 1923 Heinrich Cunow. In der Zeit von 1885 bis 1894 schrieb Engels für diese Zeitschrift eine Reihe von Artikeln, unterstützte die Redaktion ständig mit seinen Ratschlägen und kritisierte sie nicht selten wegen der Abweichungen vom Marxismus in ihren Publikationen. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, nach dem Tode von Friedrich Engels, ging die Zeitschrift systematisch dazu über, Artikel von Revisionisten zu veröffentlichen. Während des ersten Weltkrieges nahm die „Neue Zeit" eine zentristische Position ein und unterstützte damit faktisch die Sozialchauvinisten. 175 186 Marx schrieb den Artikel „Über Proudhon" am 24.Januar 1865 anläßlich des Todes Proudhons auf Ersuchen Schweitzers, des Redakteurs des „Social-Demokrat". Er wurde in den Nr. 16-18 vom 1., 3. und 5. Februar 1865 veröffentlicht (siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 25-32). „Der Sodal-Demokrat" - Organ des lassalleanischen Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, das vom 15.Dezember 1864 bis 1871 erschien. Von 1864 bis 1865 wurde es unter der Redaktion Johann Baptist von Schweitzers herausgegeben. Ab Nr. 79 vom 1. Juli 1865 erschien die Zeitung unter dem Titel „Social-Demokrat". Marx und Engels, die über kein anderes Publikationsorgan zur Einwirkung auf die deutsche Arbeiterbewegung verfügten, sagten ihre Mitarbeit am „Social-Demokrat" zu, da der programmatische Prospekt der Zeitung, den ihnen Schweitzer im November 1864 zusandte, keine Thesen Lasalles enthielt. Jedoch schon im Februar 1865 hörte ihre Mitarbeit wegen prinzipieller Meinungsverschiedenheiten mit Schweitzer auf. 175 110 Die Erklärung über die Einstellung ihrer Mitarbeit am „Social-Demokrat" haben Marx und Engels im Februar 1865 der Redaktion dieser Zeitung übersandt; die von Marx unternommenen Schritte bewirkten, daß die Erklärung bald in vielen deutschen Zeitungen gedruckt wurde. Dadurch war Schweitzer gezwungen, sie am 3. März 1865 im „SocialDemokrat" zu veröffentlichen (siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 79). 175 141 Engels verweist hier auf sein Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe des zweiten Bandes von Karl Marx' „Kapital", das er am 5.Mai 1885 beendete (siehe Band 24 unserer Ausgabe). 175 142 Diese gegen Marx gerichteten verleumderischen Anschuldigungen sind enthalten in den Briefen von Rodbertus an Rudolph Meyer vom 29. November 1871 (siehe „Briefe und Socialpolitische Aufsätze von Dr. Rodbertus-Jagetzow. Herausgegeben von Dr. Rudolph Meyer", Bd. 1, Berlin, S. 134) und in den Briefen an J.Zeller vom !4.März 1875 (siehe „Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft", Bd. 35, Tübingen 1879, S. 219). 175 148 Rodbertus, „Sociale Briefe an von Kirchmann. Zweiter Brief: Kirchmann's sociale Theorie und die meinige", Berlin 1850, S. 54. 176 144 1821 erschien in London ein anonymes Pamphlet unter dem Titel „The source and remedy of the national difficulties, deduced from principles of political economy, in: A letter to Lord John Russell". In seinem Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe des zweiten Bandes des „Kapitals" gibt Engels eine Einschätzung dieses Pamphlets (siehe Band 24 unserer Ausgabe). 176 146 Karl Marx, „Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons .Philosophie des Elends'" (vgl. Band 4 unserer Ausgabe, S. 98); die Hervorhebungen und die eingeklammerten Worte stammen von Engels. 177
146 David Ricardo, „On the principles of political economy, and taxation". In der ersten, 1817 in London erschienenen Ausgabe dieser Schrift fehlt die von Engels angeführte Einteilung der Kapitel in Sektionen; diese Einteilung hat Ricardo erst von der zweiten Ausgabe an vorgenommen, die 1819 herauskam. 1821 erschien die vom Verfasser bedeutend umgearbeitete dritte Ausgabe. 179 147 1871 veröffentlichte Rodbertus den Artikel „Der Normal-Arbeitstag" in der „Berliner Revue" vom 16., 23. und 30. September. Noch im gleichen Jahr ist dieser Artikel als Broschüre in Berlin herausgekommen. 180 148 Engels deutet hier auf die Gruppe von Personen hin, die an der Herausgabe des literarischen Nachlasses von Rodbertus-Jagetzow, insbesondere seiner Schrift „Das Kapital. Vierter socialer Brief an von Kirchmann", Berlin 1884, mitgewirkt haben. Herausgeber dieses Buches war Theophil Kozak, der auch die Einleitung verfaßte; das Vorwort schrieb der Vulgärökonom Adolph Wagner. 180 149 Es handelt sich um einen Auszug aus Karl Marx' „Zur Kritik der Politischen Oekonomie", Berlin 1859, in dem die Anschauungen John Grays einer Kritik unterzogen werden (siehe Band 13 unserer Ausgabe, S. 66-68). Dieser Auszug ist als Anhang I in der ersten deutschen Ausgabe des „Elends der Philosophie", Stuttgart 1885, enthalten. 180 150 Rodbertus-Jagetzow, „Zur Erkenntniß unsrer staatswirthschaftlichen Zustände", Neubrandenburg und Friedland 1842, S. 61. 180 101 Engels bezieht sich auf folgende Stelle im Vorwort Adolph Wagners zu Rodbertus' Schrift „Das Kapital. Vierter socialer Brief an von Kirchmann", Berlin 1884, S. VII—VIII: „Rodbertus zeigt hier eine Kraft des abstrakten Denkens, wie sie nur den größten Geistern eigen ist." 180 152 Rodbertus-Jagetzow, „Zur Erkenntniß unsrer staatswirthschaftlichen Zustände", Neubrandenburg und Friedland 1842, S. 62. 181 153 Paragraph 110 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, das 1871 in Kraft trat, sah eine Geldstrafe bis zu 200 Talern oder Gefängnis bis zu 2 Jahren vor für Personen, die durch öffentlichen Anschlag von Schriften zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen auffordern. 186 154 Engels verweist hier auf die zweite französische Ausgabe „Misere de la philosophie", die damals von Marx' Tochter Laura Lafargue vorbereitet wurde, jedoch erst 1896, nach dem Tode von Friedrich Engels, in Paris herausgegeben werden konnte. 187 155 Den vorliegenden Artikel schrieb Engels am 25. Januar 1885 für den „Sozialdemokrat". Etwa am gleichen Tage richtete er einen Brief an Paul Lafargue, der in anderen Worten und in zusammengedrängter Form die gleichen Tatsachen und Gedanken enthielt. Lafargue übergab diesen Brief Jules Guesde, der ihn dann seinem als Leitartikel des „Cri du peuple" am 31. Januar 1885 erschienenen Aufsatz zugrunde gelegt hat. In diesem Artikel zitierte Guesde einen größeren Ausschnitt aus dem Briefe von Engels, ohne dessen Namen zu nennen, fügte jedoch die Bemerkung hinzu, daß er diesen Brief aus London von „einem Veteranen unserer großen sozialen Kämpfe" erhalten habe. „Le cri du peuple" - sozialistische Tageszeitung, die von Februar bis Mai 1871 und von Oktober 1883 bis Ende Januar 1889 in Paris herausgegeben wurde. 188 156 Engels erwähnt hier das im Januar 1885 zwischen Preußen und Rußland getroffene Abkommen über gegenseitige Auslieferung von Personen, denen Verbrechen oder Vergehen
gegen das Staatsoberhaupt oder ein Mitglied seiner Familie sowie rechtswidrige Herstellung oder Lagerung von Dynamit zur Last gelegt werden. 188 157 Die 1876/1877 in London lebende russische Publizistin Olga Alexejewna Nowikowa, die zu den herrschenden Kreisen Rußlands wie auch zu den führenden Kreisen der Liberalen Partei Englands Beziehungen hatte, beteiligte sich in engem Kontakt mit Gladstone aktiv an der in England und Rußland um sich greifenden Kampagne gegen die Versuche der konservativen Regierung Disraeli, England auf der Seite der Türkei in den Krieg gegen Rußland hineinzuziehen. Dies geschah während des serbisch-montenegrinisch-türkischen Krieges von 1876 und des Russisch-Türkischen Krieges 1877/1878, zu einer Zeit, da die nationale Befreiungsbewegung der Balkanslawen gegen das türkische Joch einen Höhepunkt erreicht hatte. Die Kampagne trug dazu bei, daß England an diesem Kriege nicht teilnahm. „The Pall Mall Gazette" - Londoner Abendzeitung, erschien von 1865 bis 1920; in den sechziger Jahren konservativer Richtung. Marx und Engels standen von Juli 1870 bis Juni 1871 mit ihr in Verbindung. Von 1870 bis 1871 wurden in dieser Zeitung Engels' Artikelserie über den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 sowie die Erste Adresse und Auszüge aus der Zweiten Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg veröffentlicht. Wie Marx bemerkte, war die „Pall Mall Gazette" eine Zeitlang „die einzige unbestechliche Zeitung in London". Ende Juli 1871 schloß sie sich jedoch der allgemeinen Verleumdungskampagne an, die von der bürgerlichen Presse im Zusammenhang mit der Pariser Kommune gegen die Internationale entfesselt wurde. Dieser Umstand veranlaßte Marx und Engels, alle Verbindungen zur „Pall Mall Gazette" abzubrechen. 188 158 Der Artikel „England 1845 und 1885" wurde von Engels für den „Commonweal" geschrieben, von ihm selbst ins Deutsche übersetzt und im Juni 1885 in der „Neuen Zeit" veröffentlicht. Engels nahm ihn später vollständig in den Anhang der 1887 veröffentlichten amerikanischen Ausgabe (siehe vorl. Band, S. 250-256) und 1892 in das Vorwort zur englischen und zweiten deutschen Ausgabe seiner Arbeit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (siehe Band 22 unserer Ausgabe) auf. „The Commonweal"-englische Wochenschrift, erschien von 1885 bis 1891 und von 1893 bis 1894 in London; Organ der Sozialistischen Liga. Engels veröffentlichte von 1885 bis 1886 einige Artikel in dieser Zeitschrift. 191 159 Siehe „The Quarterly Review", Vol. 71, London 1843, S. 273. 191 100 Volks-Charte (people's charter) - ein Dokument, das die Forderungen der Chartisten enthielt; es wurde am 8. Mai 1838 als Gesetzentwurf, der ins Parlament eingebracht werden sollte, veröffentlicht. Die Forderungen waren: 1. allgemeines Wahlrecht (für Männer über 21 Jahre), 2. jährliche Parlamentswahlen, 3. geheime Abstimmung, 4. Ausgleichung der Wahlkreise, 5. Abschaffung des Vermögenszensus für die Kandidaten zu den Parlamentswahlen, 6. Diäten für die Parlamentsmitglieder. Drei Petitionen der Chartisten, die die Annahme der Volks-Charte forderten, sind dem Parlament vorgelegt worden und wurden von diesem 1839, 1842 und 1849 abgelehnt. 191 161 Die Chartisten hatten zum 10.April 1848 in London zu einer Massenkundgebung aufgerufen, von der aus die dritte Petition über die Annahme der Volks-Charte dem Parlament überreicht werden sollte. Die Regierung verbot die Demonstration, Truppen und Polizei wurden zusammengezogen, um die Demonstration zu verhindern. Die Chartistenführer, von denen viele eine schwankende Haltung einnahmen, beschlossen, auf die Demonstration zu verzichten, und bewogen die Demonstranten, auseinanderzugehen. Das Mißlingen
der Demonstration wurde von der Reaktion gegen die Arbeiter und für Repressalien gegen die Chartisten ausgenützt. 191 102 Gemeint ist die Reformbill (Gesetz über die Wahlreform), die 1831 vom englischen Unterhaus angenommen und am 7. Juni 1832 von König Wilhelm IV. bestätigt wurde. Die Reform richtete sich gegen die politische Monopolstellung der Grund- und Finanzaristokratie, beseitigte die schlimmsten feudalen Überreste im englischen Wahlrecht und verschaffte den Vertretern der industriellen Bourgeoisie den Zutritt zum Parlament. Proletariat und Kleinbürgertum, die Hauptkräfte im Kampf für die Reform, wurden von der liberalen Bourgeoisie betrogen und erhielten kein Wahlrecht. 192 163 Die Kornzölle wurden in England auf Grund der sog. Korngesetze erhoben, die - im Interesse der großen Grundbesitzer, der Landlords - auf eine Beschränkung oder das Verbot der Getreideeinfuhr aus dem Ausland gerichtet waren. Der Kampf zwischen der industriellen Bourgeoisie und den großen Grundbesitzern endete 1846 mit der Annahme des Gesetzes über die Abschaffung der Korngesetze. Diese Maßnahme und eine gewisse Verbilligung des Lebens infolge der eintretenden Herabsetzung der Getreidepreise führten im Endergebnis zur Kürzung der Arbeitslöhne und zu höheren Profiten für die Bourgeoisie. Die Abschaffung der Korngesetze war ein harter Schlag für die großen Grundbesitzer und trug zur Beschleunigung der Entwicklung des Kapitalismus in England bei. 192 251 360 164 Mit den Hervorhebungen gibt Engels den Inhalt der Hauptforderungen der Volks-Charte (siehe Anm. 160) wieder. 193 166 Unter dem Druck der Massenbewegung der Arbeiter wurde 1867 die zweite Parlamentsreform in England durchgeführt. Der Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation nahm an dieser Bewegung aktiv teil. Nach dem neuen Gesetz war der Vermögenszensus für die Wähler in den Grafschaften herabgesetzt; für die Pächter betrug er jetzt 12 Pfd. St. jährlich. In den Städten erhielten das Wahlrecht alle Hausbesitzer und -pächter sowie Wohnungsmieter, die nicht unter einem Jahr am selben Ort lebten und eine Wohnungsmiete von mindestens 10 Pfd. St. zahlten. Auch ein bestimmter Teil von qualifizierten Arbeitern erhielt das Wahlrecht. Durch diese Reform erhöhte sich die Zahl der Wahlberechtigten um mehr als das Doppelte. 1884 würde unter dem Druck der Massen in den ländlichen Bezirken die dritte Parlamentsreform durchgeführt. Die Landkreise erhielten damit das Wahlrecht zu gleichen Bedingungen wie 1867 die Stadtkreise. Beträchtliche Bevölkerungsschichten, das Dorfproletariat, die armen Städter sowie alle Frauen, waren jedoch auch nach der dritten Wahlreform ohne Wahlrecht. 193 186 East End- Londoner Osten, der vorwiegend vom Proletariat und anderen armen Bevölkerungsschichten bewohnt wird. 195 382 167 Siehe „Report of the fifty-third meeting of the British Association for the Advancement of Science; held at Southport in September 1883", London 1884, S. 608/609. Die British Association for the Advancement of Science wurde 1831 gegründet und existiert noch heute in England; die Materialien der Jahresversammlung der Gesellschaft werden in Form von Berichten veröffentlicht. 196 168 Die Broschüre „Karl Marx vor den Kölner Geschwornen. Prozeß gegen den Ausschuß der rheinischen Demokraten wegen Aufrufs zum bewaffneten Widerstand", HottingenZürich 1885, erschien als zweite Veröffentlichung der „Sozialdemokratischen Bibliothek , die in deutscher Sprache in Zürich und danach von 1885 bis 1890 in London herausge
geben wurde. Die Broschüre enthält den Zeitungsbericht über den Prozeß, entnommen der „Neuen Rheinischen Zeitung" Nr. 226 und 231-233 vom 19., 25., 27. und 28. Februar 1849. 198 169 Es handelt sich um die Aufforderung des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten zur Steuerverweigerung vom 18. November 1848 (siehe Band 6 unserer Ausgabe, S. 33). 199 1,0 „preußische Spitze" - Der König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV., hatte am 20.März 1848 seine Bereitschaft verkündet, sich „zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesamtvaterlandes" zu stellen. In den Jahren des Kampfes um die Einigung Deutschlands bezeichnete man mit diesem Ausdruck die Bestrebungen Preußens, Deutschland unter seiner Hegemonie zu einigen. 199 171 Der Prozeß gegen die „Neue Rheinische Zeitung" fand am 7. Februar 1849 statt. Vor dem Geschworenengericht in Köln standen Karl Marx als Chefredakteur, Friedrich Engels als Mitredakteur und Hermann Korff als verantwortlicher Herausgeber (Gerant) der Zeitung. Ihnen wurde vorgeworfen, der Artikel „Verhaftungen", veröffentlicht in Nr. 35 der „Neuen Rheinischen Zeitung" vom 5. Juli 1848 (siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 166 -168), enthalte eine Beleidigung des Oberprokurators Zweiffei und eine Verleumdung der Gendarmen, die die Verhaftung Gottschalks und Annekes vorgenommen hatten. Obwohl die gerichtliche Verfolgung am 6. Juli 1848 begonnen hatte, war der erste Termin des Prozesses zuerst auf den 20. Dezember festgelegt, aber dann vertagt worden. Verteidiger von Marx und Engels in dem Prozeß am 7. Februar war der Rechtsanwalt Schneider 11, Verteidiger von Korff der Rechtsanwalt Hagen. Das Geschworenengericht sprach die Angeklagten frei, was, wie im Prozeßbericht vermerkt ist, „großen Jubel beim anwesenden Publikum auslöste". 200 172 Der Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten fand am 8. Februar 1849 statt. Vor dem Geschworenengericht in Köln standen Karl Marx, Karl Schapper und der Rechtsanwalt Schneider II; sie wurden in Verbindung mit dem Aufruf des Ausschusses vom 18. November 1848 über die Steuerverweigerung (siehe Band 6 unserer Ausgabe, S. 33) der Anstiftung zum Aufstand beschuldigt. Das Geschworenengericht sprach die Angeklagten frei. Die Verteidigungsrede von Marx in diesem Prozeß siehe ebenda, S. 223 - 257. 200 173 „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt" - Tageszeitung kleinbürgerlich-demokratischer Richtung; erschien von 1856 (ab 1866 unter diesem Titel) bis 1943 in Frankfurt a. M. 201 171 Nach dem Krieg von 1866, in dem Preußen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundes (siehe Anm. 175) gegenüberstand, wurde an dessen Stelle 1867 der Norddeutsche Bund unter Führung Preußens gebildet. Die Bildung des Norddeutschen Bundes war eine entscheidende Etappe auf dem Wege zur Einigung Deutschlands unter der Hegemonie Preußens. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 bildete die Endetappe auf dem Wege zur Einigung Deutschlands „von oben" durch dynastische Kriege und durch die Bismarcksche „Blut-und-Eisen"-Politik. Die NationallibeTalen - eine Partei der deutschen (in erster Linie der preußischen) Bourgeoisie, die sich im Herbst 1866 nach der Spaltung der bürgerlichen Fortschrittspartei gebildet hatte. Die Nationalliberalen hatten den Anspruch der Bourgeoisie auf die politische Herrschaft um der Befriedigung der materiellen Interessen dieser Klasse willen fallengelassen und betrachteten die Vereinigung der deutschen Staaten unter preußischer
Führung als ihr Hauptziel. Ihre Politik spiegelte die Kapitulation der deutschen liberalen Bourgeoisie vor Bismarck wider. Nach der Einigung Deutschlands entwickelte sich die Nationalliberale Partei endgültig zur Partei der Großbourgeoisie und Industriemagnaten. Die Innenpolitik der Nationalliberalen nahm immer mehr treuuntertänigen Charakter an, wobei sie so weit gingen, sogar auf früher von ihnen erhobene liberale Forderungen zu verzichten, wie z. B. auf die im Programm von 1866 betonte Notwendigkeit, „vor allem das Budgetrecht zu verteidigen". 20] 452 175 Engels meint den Deutschen Band, der durch die am 8. Juni 1815 auf dem Wiener Kongreß unterzeichnete Bundesakte geschaffen wurde und zunächst 35, zuletzt 28 Fürstentümer und vier Freie Städte umfaßte. Der Deutsche Bund, der bis 1866 bestand, bewahrte die feudale Zersplitterung Deutschlands und verhinderte die Bildung einer Zentralregierung. Die Bundesversammlung der bevollmächtigten Gesandten bildete den Bundestag, der unter dem ständigen Vorsitz Österreichs in Frankfurt a. M. tagte und zu einem Bollwerk der Reaktion wurde. Österreich und Preußen führten einen ständigen Kampf um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. Er zerfiel während des Preußisch-Österreichischen Krieges 1866 und wurde 1867 durch den Norddeutschen Bund (siehe Anm. 177) ersetzt. 201 408 431 176 Engels deutet auf folgende Handlungen der Bismarck-Regierung im Zusammenhang mit dem Preußisch-österreichischen Krieg 1866 hin: Am 8. April 1866 schließen Preußen und Italien eine geheime Allianz, in der Italien verpflichtet wird, Österreich den Krieg zu erklären, falls Preußen im Laufe der nächsten drei Monate in Kriegshandlungen gegen Österreich eintreten sollte; im September 1865 finden zwischen Bismarck und Napoleon III. und im März 1866 zwischen dem preußischen Botschafter Graf von der Goltz und Napoleon Unterredungen statt, durch die Bismarck sich die Neutralität Frankreichs in dem von Preußen vorbereiteten Krieg zu sichern sucht und bei Napoleon III. den Eindruck erwecken möchte, als würde der Krieg für Preußen äußerst erschöpfend werden. Dabei stellte er in unverbindlicher Form die Möglichkeit territorialer Zugeständnisse an Frankreich auf Kosten Belgiens und Luxemburgs sowie einiger preußischer Besitzungen am Rhein in Aussicht; im Juli 1866 wird in Schlesien eine Legion aus ungarischen Soldaten zusammengestellt, die in der österreichischen Armee gedient hatten und im Laufe des Krieges von den Preußen gefangengenommen wurden; diese Legion wird dem Kommando des ungarischen Generals Klapka und anderer ungarischer Offiziere, die an der Revolution 1848/49 teilgenommen hatten, insbesondere der zu dieser Zeit zwecks Beteiligung am Kriege nach Preußen zurückgekehrten Emigranten, unterstellt; die Legion überschreitet die ungarische Grenze, kehrt jedoch bald nach Schlesien zurück und wird danach wegen Beendigung des Krieges aufgelöst; die Annexion des Königreichs Hannover, des Kurfürstentums Hessen-Kassel, des Herzogtums Nassau und der Freien Stadt Frankfurt a. M., die auf der Seite Österreichs am Kriege teilgenommen hatten, und ihre Einverleibung in den preußischen Staat durch das Gesetz vom 20. September 1866. 201 433 177 Die von Engels erwähnte Reichsverfassung, die Verfassung des Norddeutschen Bundes, dem 19 Staaten und 3 Freie Städte angehörten, wurde am 17. April 1867 vom konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes bestätigt. Die Verfassung sicherte Preußen die Vormachtstellung; der König von Preußen wurde zum Präsidenten des Bundes und zum
Befehlshaber der Bundesarmee erklärt, ihm wurde die Führung der Außenpolitik übertragen. Die gesetzgebenden Vollmachten des Reichstags des Norddeutschen Bundes, der auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts gewählt worden war, waren äußerst begrenzt. Die von ihm angenommenen Gesetze traten in Kraft nach Billigung durch den seiner Zusammensetzung nach reaktionären Bundesrat sowie nach Bestätigung durch den Präsidenten. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde später der Verfassung des Deutschen Reichs zugrunde gelegt. Sachsen, das am Preußisch-österreichischen Krieg 1866 auf seiten Österreichs teilgenommen hatte, wurde nach Beendigung des Krieges gezwungen, dem Norddeutschen Bund beizutreten sowie dessen Verfassung anzuerkennen. Tihiter Friede - Friedensverträge, die am 7. und 9. Juli 1807 zwischen dem napoleonischen Frankreich und den Teilnehmern der vierten antifranzösischen Koalition, Rußland und Preußen, nachdem sie im Kriege eine Niederlage erlitten hatten, abgeschlossen wurden. Die Friedensbedingungen waren für Preußen, das einen bedeutenden Teil seines Territoriums verlor (darunter alle Besitzungen westlich der Elbe), äußerst schwer. Rußland erlitt keine territorialen Verluste, war aber gezwungen, die Stärkung der französischen Positionen in Europa anzuerkennen und sich der Blockade gegen England (der sog. Kontinentalsperre) anzuschließen. Der von Napoleon I. diktierte Tilsiter Raubfriede rief starke Unzufriedenheit unter der Bevölkerung Deutschlands hervor und bereitete damit den Boden für die Befreiungsbewegung gegen die napoleonische Fremdherrschaft vor, die sich 1813 voll entfaltete. 201 432 178 Es handelt sich um das Sozialistensesetz („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie"), das von Bismarck mit Unterstützung der Mehrheit des Reichstages am 19.Oktober 1878 durchgesetzt und am 2I.Oktober erlassen wurde. Es stellte „die Sozialdemokratie außerhalb des Gesetzes. Die Zeitungen der Arbeiter, mehr als fünfzig an der Zahl, wurden unterdrückt, ihre Vereine verboten, ihre Klubs geschlossen, die Gelder beschlagnahmt, ihre Versammlungen von der Partei aufgelöst, und als Krönung des Ganzen wurde verfügt, daß über ganze Städte und Bezirke der .Belagerungszustand' verhängt werden kann..." (Engels). Verhaftungen und Massenausweisungen setzten ein. Trotz dieser Repressalien arbeitete die sozialdemokratische Partei illegal weiter. Es gelang ihr mit aktiver Hilfe von Marx und Engels, sowohl die opportunistischen als auch die „ultralinken" Tendenzen in ihren Reihen zu überwinden, die illegale Arbeit mit den legalen Möglichkeiten des Kampfes zu verbinden und so ihren Einfluß auf die Massen bedeutend zu erweitern. Der zunehmende Druck der Arbeiterklasse erzwang schließlich am I.Oktober 1890 die Aufhebung dieses Ausnahmegesetzes. Eine Einschätzung dieses Gesetzes gibt Friedrich Engels in seinem Artikel „Bismarck und die deutsche Arbeiterpartei" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 280-282). 202 179 Am 4. Juli 1776, während des Unabhängigkeitskrieges der englischen Kolonien in Nordamerika, nahm der zu diesem Zeitpunkt in Philadelphia tagende Kongreß der Vertreter der 13 englischen Kolonien die von Thomas Jefferson verfaßte „Unabhängigkeitserklärung" an, die die Loslösung der nordamerikanischen Kolonien von England, die Bildung einer unabhängigen Republik - der Vereinigten Staaten von Amerika - sowie die sog. Menschenrechte verkündete. 202 180 1618 vereinigte sich das Kurfürstentum Brandenburg mit dem Herzogtum Preußen (Ostpreußen), das Anfang des 16. Jahrhunderts aus den Besitzungen des Deutschen Ordens gebildet worden war und sich unter der Lehnshoheit des polnischen Staates befand. Die brandenburgischen Kurfürsten blieben als preußische Herzöge Vasallen Polens bis 1657,
als der Kurfürst Friedrich Wilhelm unter Ausnutzung der Schwierigkeiten Polens im Kriege mit Schweden die Anerkennung seiner souveränen Rechte auf die preußischen Besitzungen erlangte. 203 181 Im Oktober 1801 kam es zwischen Frankreich und Rußland zu einer geheimen Abmachung, die unter dem Vorwand der Entschädigung derjenigen deutschen Staaten, deren Besitzungen auf dem linken Rheinufer Frankreich im Ergebnis seiner Kriege gegen die erste und zweite Koalition in Besitz genommen hatte, die territorialen Fragen im Rheinland im Interesse Frankreichs regeln sollte. Durch die Verwirklichung dieser Abmachung hörten 112 deutsche Staaten (darunter fast alle geistlichen Besitztümer und Reichsstädte) auf zu bestehen; ihre Besitzungen fielen zum großen Teil den von Frankreich völlig abhängigen Staaten Bayern, Württemberg und Baden sowie Preußen zu. Formal wurden diese Maßnahmen in Ubereinstimmung mit dem Beschluß der sog. Reichsdeputation durchgeführt, einer vom Regensburger Reichstag bereits im Oktober 1801 gewählten Kommission aus Vertretern der deutschen Staaten; nach langen Beratungen und unter dem Druck der Vertreter Frankreichs und Rußlands erfolgte am 25. Februar 1803 die Annahme des Reichsdeputationshauptschlusses. 203 182 Bayern und Württemberg, die auf Seiten Frankreichs am Krieg gegen die dritte Koalition teilgenommen hatten, erhielten im Friedensvertrag von Preßburg, der am 26. Dezember 1805 zwischen Frankreich und Österreich abgeschlossen wurde, die Rechte unabhängiger Königreiche. Baden, das in diesem Kriege ebenfalls auf die Seite Frankreichs getreten war, wurde nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 ein unabhängiges Großherzogtum. 203 183 Engels führt einen Satzaus der am 25. Juli 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung gehaltenen Rede des schlesischen Großgrundbesitzers und preußischen Offiziers Fürst Lichnowski zur polnischen Frage an (siehe auch Band 5 unserer Ausgabe, S. 351). 203 181 Engels schrieb diesen Brief auf Anraten von Nikolai Danielson, der ihm mitgeteilt hatte, daß die Möglichkeit bestehe, im „Sewerny Westnik" einen bisher nicht veröffentlichten Brief von Marx an die Redaktion der „Otetschestwennyje Sapiski" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 107-112) zu veröffentlichen. Marx' Brief ist jedoch in dieser Zeitschrift nicht erschienen; er wurde erstmalig 1886 in Genf in russischer Sprache im „Westnik Narodnoj Woli" und im Oktober 1888 im „Juriditscheski Westnik" veröffentlicht. „Sewerny Westnik" ~ literarisch-wissenschaftliche und politische Zeitschrift liberaler Richtung; erschien von 1885 bis 1898 in St.Petersburg. Ende der achtziger Jahre wurden in dieser Zeitschrift Aufsätze von Paul Lafargue und anderen westeuropäischen Sozialisten veröffentlicht. Ab 1891 wurde die Zeitschrift zu einem Organ der russischen Symbolisten und Dekadenten und propagierte Idealismus und Mystizismus. 205 185 Die Schrift „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" hat Engels als Einführung zur dritten deutschen Ausgabe von Marx' Pamphlet „Enthüllungen über den KommunistenProzeß zu Köln" (siehe Band 8 unserer Ausgabe, S. 405 -470) verfaßt; sie erschien erstmalig im „Sozialdemokrat" Nr. 46,47 und 48 vom 12., 19. und 26. November 1885, femer in der Broschüre: Karl Marx, „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln", Neuer Abdruck mit Einleitung von Friedrich Engels und Dokumenten, Hottingen-Zürich 1885. Außer dem Pamphlet von Marx enthält diese Broschüre auch die Beilage 4 („Kölner Kommunistenprozeß") zu Marx' „Herr Vogt" (siehe Band 14 unserer Ausgabe, S. 659 bis 665), das Nachwort von Marx zur zweiten deutschen Ausgabe des Pamphlets (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S. 568-571) sowie die Ansprachen der Zentralbehörde an den
Bund vom März und Juni 1850 (siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 244 - 254 und 306 - 312). 206 186 „Die Communisten-Verschwörungen des neunzehnten Jahrhunderts" von Wermuth und Stieber, Th. 1 -2, Berlin 1853 und 1854. In den Anlagen zum ersten Teil, der als Leitfaden für Polizisten die „ Geschichte" der Arbeiterbewegung enthält, wurden einige in die Hände der Polizei gefallene Dokumente des Bundes der Kommunisten veröffentlicht. Der zweite Teil enthält eine „Schwarze Liste" mit biographischen Angaben über Personen, die mit der Arbeiterbewegung und der demokratischen Bewegung in Verbindung standen. 206 187 Babouoismus - eine Richtung des utopischen Gleichheitskommunismus, die Ende des 18. Jahrhunderts von dem französischen Revolutionär Gracchus Babeuf und seinen Anhängern begründet wurde. 207 188 Sotiite des saisons (Gesellschaft der Jahreszeiten) - republikanisch-sozialistische geheime Gesellschaft, die in Paris von 1837 bis 1839 unter Leitung von Auguste Blanqui und Armand Barbes tätig war. Der Aufstand in Paris vom 12. Mai 1839, in dem die revolutionären Arbeiter die Hauptrolle spielten, wurde von der obengenannten Gesellschaft vorbereitet; der Aufstand, der sich nicht auf die breiten Massen stützte, wurde durch Militär und Nationalgarde niedergeschlagen. 207 189 Schapper wurde unmittelbar nach dem Aufstand vom 12. Mai 1839 verhaftet und nach sieben Monaten Gefängnis aus Frankreich ausgewiesen; Bauer setzte seine revolutionäre Tätigkeit in Paris fort, wurde 1842 verhaftet und ebenfalls ausgewiesen. 207 190 Engels erwähnt die als Frankfurter Wachensturm bezeichnete Episode aus dem Kampf der deutschen Demokraten gegen die Reaktion, die nach dem Wiener Kongreß in Deutschland wieder ihr Haupt erhoben hatte. Eine Gruppe radikaler Elemente, hauptsächlich aus Studentenkreisen, versuchte am 3. April 1833 durch einen Angriff auf die Hauptwache und die Konstablerwache in Frankfurt a. M. das Signal zu einem Sturm auf den Sitz des Bundestags und damit für eine revolutionäre Erhebung in ganz Deutschland zu geben; durch zahlenmäßig überlegene Truppen wurde das ungenügend vorbereitete und vorher verratene Unternehmen jedoch zunichte gemacht. 207 191 Im Februar 1834 unternahm der bürgerliche Demokrat Mazzini den Versuch, mit Mitgliedern des von ihm 1831 gegründeten Geheimbundes Junges Italien sowie einer Gruppe revolutionärer Emigranten von der Schweiz aus in Savoyen einzudringen, das zum Königreich Sardinien (Piemont) gehörte. Dort sollte ein Volksaufstand organisiert werden, um die Einigung Italiens und die Errichtung einer unabhängigen bürgerlichen italienischen Republik herbeizuführen. Die in Savoyen eingedrungene Gruppe wurde von piemontesischen Truppen zerschlagen. 207 102 Demagogen- so wurden in den Karlsbader Beschlüssen vom August 1819 die Teilnehmer oppositioneller Bewegungen der deutschen Intelligenz und studentischer Vereinigungen genannt, die sich in den Jahren nach dem Wiener Kongreß gegen das reaktionäre System in den deutschen Staaten richteten. Die „Demagogen" organisierten politische Demonstrationen, auf denen sie die Vereinigung Deutschlands forderten. Die reaktionären Mächte unterstützten die Demagogenverfolgungen. 207 193 Der Deutsche Bildangsoerein für Arbeiter in London wurde am 7. Februar 1840 von Karl Schapper, Joseph Moll, Heinrich Bauer und anderen Mitgliedern des Bundes der Gerechten gegründet. Nachdem der Bund der Kommunisten organisiert war, spielten im Arbeiterbildungsverein die Gemeinden des Bundes die führende Rolle. 1847 und
1849/1850 nahmen Marx und Engels an der Tätigkeit des Vereins aktiven Anteil. Am 17. September 1850 traten Marx, Engels und mehrere ihrer Mitkämpfer aus dem Verein aus, weil er im Kampfe zwischen der von Marx und Engels geführten Mehrheit der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten und der sektiererischen, zu abenteuerlichen Taktiken neigenden Minderheit (Willich, Schapper) für die letztere Partei ergriff. Ende der fünfziger Jahre begannen Marx und Engels erneut, an der Tätigkeit des Bildungsvereins teilzunehmen. Der Verein wurde von der englischen Regierung im Jahre 1918 verboten. Im 20. Jahrhundert wurde der Verein von vielen russischen politischen Emigranten aufgesucht. 208 514 194 Engels zitiert aus Marx' „Kritische Randglossen zu dem Artikel ,Der König von Preußen und die Sozialreform. Von einem Preußen'" (siehe Band 1 unserer Ausgabe, S. 405). „Vorwärts!" - deutsche Zeitung, die von Januar bis Dezember 1844 zweimal wöchentlich in Paris erschien. Marx und Engels arbeiteten an dieser Zeitung mit. Unter dem Einfluß von Marx, der ab Sommer 1844 an der Redaktion des „Vorwärts!" beteiligt war, begann die Zeitung kommunistischen Charakter anzunehmen; sie übte u. a. scharfe Kritik an den reaktionären Zuständen in Preußen. Auf Forderung der preußischen Regierung verfügte das Ministerium Guizot im Januar 1845 die Ausweisung von Marx und einiger anderer Mitarbeiter der Zeitung aus Frankreich; der „Vorwärts!" stellte daraufhin sein Erscheinen ein. 209 195 Die „Deutsch-Französischen Jahrbücher" wurden unter der Redaktion von Karl Marx und Arnold Rüge in deutscher Sprache in Paris herausgegeben. Es erschien nur die erste Doppellieferung im Februar 1844; sie enthielt Karl Marx' Schriften „Zur Judenfrage" und „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung", ferner Friedrich Engels' Arbeiten „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" und „Die Lage Englands. ,Past and Present' by Thomas Carlyle. London 1843" (siehe Band 1 unserer Ausgabe). Diese Arbeiten kennzeichnen den endgültigen Übergang von Marx und Engels zum Materialismus und Kommunismus. Die Hauptursache dafür, daß die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellte, waren die prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten zwischen Marx und dem bürgerlichen Radikalen Rüge. 211 196 „Deutsche-Brüsseler-Zeitung" - von deutschen politischen Emigranten in Brüssel gegründetes Blatt, erschien vom 3. Januar 1847 bis Februar 1848 zweimal wöchentlich. Ursprünglich wurde die Richtung dieser Zeitung durch ihren Herausgeber und Redakteur Adalbert von Bornstedt, einem kleinbürgerlichen Demokraten, bestimmt. Dieser versuchte, die verschiedenen Strömungen des radikalen und demokratischen Lagers miteinander zu versöhnen. Die Zeitung wurde jedoch durch den Einfluß von Marx und Engels und deren Mitkämpfer ab Sommer 1847 immer mehr zu einem Sprachrohr revolutionär-demokratischer und kommunistischer Ideen. Ab September 1847 waren Marx und Engels ständige Mitarbeiter der Zeitung und gewannen unmittelbaren Einfluß auf ihre Richtung, indem sie in den letzten Monaten des Jahres 1847 faktisch die Redaktionsleitung innehatten. Unter ihrem Einfluß wurde die Zeitung zum Organ der sich bildenden revolutionären Partei des Proletariats - des Bundes der Kommunisten. 212 197 „The Northern Star" - englische Wochenzeitung, Zentralorgan der Chartisten; erschien von 1837 bis 1852, anfangs in Leeds und ab November 1844 in London. Begründer und Redakteur der Zeitung war Feargus Edward O'Connor; in den vierziger Jahren wurde sie von George Julian Hamey redigiert. Engels war von September 1845 bis März 1848 Mitarbeiter dieser Zeitung. 213
188 Die Demokratische Gesellschaft (Association dimocratique) wurde im Herbst 1847 in Brüssel gegründet. Sie vereinigte in ihren Reihen proletarische Revolutionäre, in erster Linie deutsche revolutionäre Emigranten, sowie fortschrittliche bürgerliche und kleinbürgerliche Demokraten. Marx und Engels nahmen aktiv Anteil an der Gründung der Demokratischen Gesellschaft. Am 15. November 1847 wurde Marx zum Vizepräsidenten gewählt; zum Präsidenten ernannte man den belgischen Demokraten L.Jottrand. Dank des Einflusses von Marx wurde die Demokratische Gesellschaft in Brüssel zu einem der bedeutendsten Zentren der kleinbürgerlichen demokratischen Bewegung. Während der bürgerlichen Februarrevolution in Frankreich versuchte der proletarische Flügel der Demokratischen Gesellschaft die Bewaffnung der belgischen Arbeiterund die Entfachung des Kampfes für eine demokratische Republik durchzusetzen. Nachdem Marx Anfang März 1848 aus Brüssel ausgewiesen worden war und die belgischen Behörden mit den revolutionärsten Mitgliedern der Gesellschaft abgerechnet hatten, verstanden es die belgischen kleinbürgerlichen Demokraten nicht, sich an die Spitze der antimonarchistischen Bewegung der werktätigen Massen zu stellen. Die Tätigkeit der Demokratischen Gesellschaft nahm einen immer begrenzteren,rein lokalen Charakter an und wurde bereitsl 849 ganz eingestellt. „La Rijorme" - französische Tageszeitung, Organ der kleinbürgerlichen Demokraten und Republikaner wie auch der kleinbürgerlichen Sozialisten; erschien in Paris von 1843 bis 1850; in der Zeit von Oktober 1847 bis Januar 1848 veröffentlichte Engels in dieser Zeitung mehrere Artikel. 213 360 199 Es handelt sich um das Wochenblatt „Der Volks-Tribun", das von deutschen „wahren" Sozialisten in New York gegründet und vom 5. Januar bis 31.Dezember 1846 herausgegeben wurde. 213 200 Engels zitiert Artikel 1 der Statuten des Bundes der Kommunisten (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 596/597). 215 201 Die „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland" (siehe Band 5 unserer Ausgabe, S. 3 - 5) schrieben Marx und Engels in der Zeit vom 21. bis 29. März 1848 in Paris. Sie bildeten das politische Programm des Bundes der Kommunisten in der beginnenden deutschen Revolution. Die „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland" wurden etwa am 30. März 1848 als Flugblatt gedruckt und Anfang April in einigen demokratischen Zeitungen veröffentlicht. Außerdem wurden sie den in die Heimat zurückkehrenden Mitgliedern des Bundes der Kommunisten als Direktive ausgehändigt. Im Laufe der Revolution waren Marx und Engels sowie deren Anhänger bestrebt, die Volksmassen mit diesem programmatischen Dokument bekannt zu machen. Vor dem 10. September 1848 wurden die „Forderungen" in Köln als Flugblatt gedruckt und durch Mitglieder des Kölner Arbeitervereins in verschiedenen Orten der Rheinprovinz verbreitet. Auf dem zweiten demokratischen Kongreß in Berlin im Oktober 1848 machte der Delegierte des Kölner Arbeitervereins, Beust, im Namen der Kommission für die Lösung sozialer Fragen den Vorschlag, ein Programm von Maßnahmen anzunehmen, das fast völlig den „Forderungen" entlehnt war. Im November und Dezember 1848 wurden in den Sitzungen des Kölner Arbeitervereins die einzelnen Punkte der „Forderungen" erörtert. Ende 1848 oder Anfang 1849 wurden die „Forderungen" in gekürzter Form als Broschüre in Leipzig herausgegeben. Engels zitiert dieses Dokument nicht vollständig. 216 202 Gemeint ist der Klub der deutschen Arbeiter, der am 8. und 9. März 1848 von führenden Vertretern des Bundes der Kommunisten gegründet wurde. Karl Marx, der diesen Klub
leitete, wollte die nach Paris emigrierten deutschen Arbeiter vereinigen und ihnen die Taktik des Proletariats in der bürgerlich-demokratischen Revolution erläutern. 218 203 Der bewaffnete Aufstand in Dresden fand vom 3. bis 8. Mai 1849 statt. Anlaß zum Aufstand waren die Weigerung des sächsischen Königs, die Reichsverfassung anzuerkennen, und die Ernennung des Erzreaktionärs Zschinsky zum Ministerpräsidenten. Bourgeoisie und Kleinbürgertum beteiligten sich kaum am Kampfe; die Hauptrolle in den Barrikadenkämpfen spielten die Arbeiter und die Handwerker. Der Aufstand wurde durch sächsische und preußische Truppen unterdrückt. Der Dresdener Aufstand war der Beginn der bewaffneten Kämpfe zur Verteidigung der Reichsverfassung, die in Süd- und Westdeutschland in der Zeit von Mai bis Juli 1849 stattfanden und mit der Niederlage der demokratischen Kräfte endeten. 219 204 Es handelt sich um die „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850" (siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 244 -254). 220 205 Es handelt sich um die „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom Juni 1850" (siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 306 -312). 221 206 „ Neue RheinischeZeitung.Politisch-ökf>nomische ßeüue"-Zeitschrift, die von Marx und Engels im Dezember 1849 gegründet und bis November 1850 herausgegeben wurde. Die Zeitschrift war das theoretische und politische Organ des Bundes der Kommunisten, die Fortsetzung der von Marx und Engels während der Revolution 1848/49 herausgegebenen Kölner „Neuen Rheinischen Zeitung" (siehe Anm. 3). Insgesamt erschienen von März bis November 1850 sechs Hefte der Zeitschrift, davon als letztes das Doppelheft 5/6. Die Zeitschrift wurde in London redigiert und in Hamburg gedruckt. Auf dem Umschlag war auch New York angegeben, weil Marx und Engels mit ihrer Verbreitung unter den deutschen Emigranten in Amerika rechneten. Der überwiegende Teil der Materialien (Artikel, Revuen, Rezensionen) ist von Marx und Engels geschrieben, die auch ihre Anhänger W. Wolff, J.Weydemeyer, G. Eccarius zur Mitarbeit heranzogen. Von den Schriften der Begründer des Marxismus wurden u. a. in der Zeitschrift veröffentlicht: „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" von Marx, „Die deutsche Reichsverfassungskampagne", „Der deutsche Bauernkrieg" von Engels sowie mehrere andere Arbeiten. In den in der Zeitschrift veröffentlichten Arbeiten wurde die Bilanz der Revolution von 1848/49 gezogen. Sie bedeuteten eine Vertiefung der Theorie und der Taktik der revolutionären proletarischen Partei. Wegen der polizeilichen Repressalien in Deutschland und des Fehlens finanzieller Mittel war die Zeitschrift gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen. 221 207 Als „Sonderbund" bezeichneten Marx und Engels die sektiererische, eine Abenteurerpolitik betreibende Fraktion Willich-Schapper, die sich nach der am 15. September 1850 erfolgten Spaltung des Bundes der Kommunisten als selbständige Organisation formiert hatte. Die ironische Bezeichnung erhielt diese Organisation wegen der Analogie mit der separaten Vereinigung reaktionärer katholischer Kantone der Schweiz in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Durch ihre versch wörerischeTätigkeit erleichterte die Fraktion Willich-Schapper der preußischen Polizei die Aufdeckung der illegalen Gemeinden des Bundes der Kommunisten in Deutschland und die Durchführung des Prozesses gegen führende Mitglieder des Bundes der Kommunisten in Köln 1852. 223 208 Dieser Auszug ist einem Brief entnommen, den Engels an Paul Lafargue geschrieben und in dem er die Lage in Frankreich nach dem ersten Wahlgang für die Deputiertenkammer am 4. Oktober 1885 analysiert hat. Seit 1879 war in Frankreich die Partei der gemäßigten
bürgerlichen Republikaner (der sog. „Opportunisten") an der Macht, die die Interessen der Großbourgeoisie vertrat. Diese Partei hatte das Vertrauen eines beträchtlichen Teils der Wähler verloren: Die Ursachen dafür waren das Staatsdefizit, das Anwachsen der Steuern, die Verschwendung der Anleihen, die Nichterfüllung der meisten ihrer Versprechungen (Abschaffung des Senats, Trennung der Kirche vom Staat, Einführung einer progressiven Einkommensteuer usw.) sowie das Ergebnis der im Volke unpopulären kolonialen Abenteuer, besonders in Indochina (jetzt Vietnam). Viele führende Politiker dieser Partei waren außerdem in Finanzmachenschaften und in Korruptionsaffären verwickelt. Diese Tatsachen wurden von den Monarchisten in der Wahlkampagne ausgenutzt. Unter den im ersten Wahlgang Gewählten waren die Monarchisten in der Mehrheit. Da die französischen Sozialisten dieses Ergebnis als Niederlage einschätzten, schrieb Engels diesen Brief. Der entsprechende Ausschnitt aus dem Brief wurde in „Le Socialiste" vom 17. Oktober 1885 unter dem Titel „La Situation" veröffentlicht. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung schrieb Engels einen Brief an die Redaktion des „Socialiste", den das Blatt am 31.Oktober 1885 abdruckte (siehe vorl. Band, S. 227/228). „Le Socialiste" - Wochenzeitung, 1885 von Jules Guesde in Paris gegründet; bis 1902 Organ der Arbeiterpartei, von 1902 bis 1905 Organ der Sozialistischen Partei Frankreichsseit 1905 Organ der Französischen Sozialistischen Partei; in den achtziger und neunziger Jahren war Engels Mitarbeiter dieser Zeitung. 225 521 208 Mit den drei monarchistischen Sekten sind die Orleanisten, die Bonapartisten und die Legitimisten (Anhänger der Bourbonen) gemeint. 225 210 „die beste der Republiken" - das waren die Worte, mit denen die Pariser Munizipalkommission in ihrem Rapport dem neuen König Louis-Philippe, bald nachdem er 1830 den Thron bestiegen hatte, ihre Stellung zur Julimonarchie in Frankreich zum Ausdruck brachte. 226 211 Da bei den Wahlen am 4. Oktober 1885 eine große Anzahl von Kandidaten die für die Wahl erforderliche Stimmenzahl nicht erhielt, wurde für den 18. Oktober ein zweiter Wahlgang festgesetzt. Im zweiten Wahlgang wurde eine überwältigende Mehrheit republikanischer Kandidaten gewählt. Die französische Deputiertenkammer setzte sich nunmehr aus 372 Republikanern und 202 Monarchisten zusammen Radikale - parlamentarische Gruppe in den achtziger und neunziger Jahren in Frankreich, die sich von der bürgerlichen Partei der gemäßigten Republikaner („Opportunisten") abgespalten hatte. Die Gruppe hielt fest an einer Reihe bürgerlich-demokratischer Forderungen, die von den gemäßigten Republikanern über Bord geworfen worden waren: Abschaffung des Senats, Trennung der Kirche vom Staat usw. Um die Masse der Wähler auf ihre Seite zu ziehen, forderten die Radikalen u. a. die Einführung einer progressiven Einkommensteuer, die Verkürzung des Arbeitstags, die Gewährung von Invalidenrente und andere sozialökonomische Maßnahmen. Führer der Radikalen war Cl6menceau. 1901 organisierten sich die Radikalen zur Partei, die hauptsächlich die Interessen des Mittelstands und des Kleinbürgertums widerspiegelte. 226 523 212 In dem vorliegenden Artikel unterzieht Engels eine Übersetzung des ersten und eines Teils des zweiten Abschnitts des ersten Kapitels des ersten Bandes des „Kapitals" (siehe Band 23 unserer Ausgabe, S. 49-58) ins Englische einer kritischen Analyse. Die Übersetzung, die in der Zeitschrift „To-day", Vol. 4, Nr. 22 vom Oktober 1885 veröffentlicht wurde, stammt von Henry Mayers Hyndman - Führer der Sozialdemokratischen Föderation der unter dem Pseudonym John Broadhouse auftrat. Auch nach dem Erscheinen des Artikels von
Engels setzte Hyndman bis Mai 1889 die Veröffentlichung seiner Ubersetzung in „Today" fort; insgesamt wurden die ersten sieben Kapitel und der größte Teil des 8. Kapitels des ersten Bandes des „Kapitals" veröffentlicht. Die von Engels angeführten Zitate aus dem „Kapital" entsprechen nicht immer vollständig der 1887 erschienenen englischen Erstausgabe dieses Werkes. An Stelle einer Übersetzung bringen wir den entsprechenden Text der deutschen Ausgabe des „Kapitals" in eckigen Klammern. Neben den Originalzitaten von Broadhouse, die Engels einer kritischen Analyse unterzieht, bringen wir unsere Übersetzung ebenfalls in eckigen Klammern. „To-day" - englische Monatszeitschrift sozialistischer Richtung; erschien von April 1883 bis Juni 1889 in London; von Juli 1884 bis 1886 war Henry Mayers Hyndman Redakteur dieser Zeitschrift. 229 218 Die von Engels verfaßte Abhandlung „Zur Geschichte der preußischen Bauern" bildet den zweiten Abschnitt der Einleitung zu der von ihm veranlaßten Einzelausgabe von Wilhelm Wolffs Artikelserie „Die schlesische Milliarde" über die Lage der Bauern in Schlesien (siehe Anm. 22). Der erste Abschnitt ist eine Wiedergabe seines 1876 veröffentlichten, von ihm selbst wesentlich gekürzten Artikels „Wilhelm Wolff" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 53-88). 238 214 preußisches Ordensgebiet - das vom 13. bis zum 15. Jahrhundert vom Deutschen Orden beherrschte Gebiet. Der Deutsche Orden war ein geistlicher Ritterorden in Preußen, der 1190 während der Kreuzzüge gegründet wurde. Er riß in Deutschland wie auch in anderen Ländern zahlreiche Landstriche an sich. Im 13. Jahrhundert geriet das durch Unterwerfung und Ausrottung der baltischen Stämme der Pruzzen sowie eines Teiles des Litauer eroberte ausgedehnte Gebiet zwischen den Mündungen der Weichsel und der Njemen unter die Herrschaft des Ordens; dieses Gebiet wurde für ihn zum Bollwerk der Aggression gegen Polen, Litauen und russische Fürstentümer. Nach den Niederlagen am Peipussee 1242 („Schlacht auf dem Eise") und in der Schlacht bei Grunwald (Tannenberg) 1410 geriet der Orden in Verfall und behielt nur einen kleinen Teil seiner Besitzungen. 239 215 Zinsbauern - abhängige Bauern, die persönlich frei waren, jedoch für ihre erbliche Bodenparzelle eine bestimmte Zahlung (Zins) in Geld oder Naturalien leisten mußten. 240 216 Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) war ein gesamteuropäischer Krieg. Deutschland wurde zum Hauptschauplatz dieses Kampfes, zum Objekt der Ausplünderung und der räuberischen Ansprüche der am Kriege Beteiligten; es erlebte eine Reihe von Invasionen durch ausländische Eroberer, die miteinander rivalisierten. Der Krieg endete 1648 mit dem Abschluß des Westfälischen Friedens, der die politische Zersplitterung Deutschlands vertiefte. Niederlage von Jena - die Zerschlagung der preußischen Armee am 14.0ktober 1806, der die Kapitulation Preußens vor dem napoleonischen Frankreich folgte und die die ganze Fäulnis der sozialen und politischen Ordnung der feudalen Hohenzollernmonarchie bloßlegte. 242 411 217 Es handelt sich um gewisse Kategorien abhängiger Bauern, die kein Ackerland besaßen. Dreschgärtner wurden in einigen Gegenden Deutschlands, besonders in Schlesien, abhängige Bauern genannt, die vom Grundherrn eine Bodenparzelle mit einem kleinen Häuschen erhielten und für den Grundherrn gegen geringen Lohn in Geld- oder Naturalform überwiegend Druscharbeiten leisten mußten.
Häusler waren abhängige Bauern, die vom Grundherrn ein Häuschen mit einem anliegenden Stückchen Land erhielten, das nicht ausreichte, um mit einer eigenen Wirtschaft eine Familie zu ernähren; solche Bauern waren gezwungen, beim Gutsbesitzer als Tagelöhner zu arbeiten. Als Inslleule bezeichnete man solche Tagelöhner, die entsprechend einem für eine bestimmte Anzahl von Jahren abgeschlossenen Arbeitsvertrag dem Gutsherrn dienen mußten; für diese Zeit erhielten sie eine Wohnung, eine Bodenparzelle zur eigenen Nutzung und einen äußerst geringen Lohn in Form von Naturalien und Geld. 242 218 Kapitularien Karls des Großen - königliche Verordnungen und Gesetze, die die Grundlagen des fränkischen Rechts bildeten. 243 218 Um dem preußischen Staat die Geldeinkünfte und die Aushebung der Rekruten zu sichern, erließ Friedrich II. eine Reihe von Gesetzen, die sich gegen die Vertreibung der Bauern von ihren Parzellen durch die Gutsbesitzer richteten; diese Gesetze wurden jedoch nur in unbedeutendem Maße verwirklicht. 243 220 Am 18. März 1848 erfolgte in Berlin der bewaffnete Aufstand, der die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 in Deutschland einleitete. In der Schlacht bei Mollwitz (lO.April 1741) wurden die Österreicher während des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740 -1748) von den Truppen Friedrichs 11. geschlagen. Im Gebiet von Sedan fand am 1. September 1870 eine der größten Schlachten des DeutschFranzösischen Krieges 1870/71 statt; am 2.September mußte die französische Armee kapitulieren, wodurch der Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs beschleunigt wurde. 243 440 221 Siehe „Sammlung der für die Königlichen Preußischen Stcaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810", Berlin 1822, S. 170-173. 243 222 Es handelt sich um die Erlasse vom 14. Februar 1808, vom 27. März 1809, vom 8. April 1809 und vom 9.Januar 1810 (siehe „Sammlung der für die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810", Berlin 1822, S. 189-193, 552-555, 557-561, 626-629). In dem Erlaß vom 8.April 1809 wird erklärt, daß die Abschaffung der erblichen persönlichen Abhängigkeit nicht die Aufhebung der feudalen Verpflichtungen der Bauern bedeutet. 243 223 Siehe „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1811", Berlin, S. 281-299. 243 224 Siehe „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1816", Berlin, S. 154-180. Am 18. Juni 1815 siegten die englisch-holländischen und die preußischen Truppen über die napoleonische Armee bei Waterloo. 244 225 Der Siebenjährige Krieg (1756 -1763) war ein europäischer Krieg, hervorgerufen durch die Eroberungsbestrebungen der feudal-absolutistischen Mächte sowie durch die kolonialen Machtkämpfe zwischen Frankreich und England. England kämpfte im Bündnis mit Preußen gegen die Koalition Österreich, Frankreich, Rußland, Sachsen und Schweden. Frankreich wurde im Ergebnis dieses Krieges gezwungen, seine größten Kolonien (Kanada, die Besitzungen in Ostindien u. a.) an England abzutreten. Preußen, Österreich und Sachsen behielten die Vorkriegsgrenzen. 244 226 Siehe „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1821", Berlin, S. 77-83. 244
37 Marx/Engels, Werte, Bd. 21
227 Ackernahrung - darunter verstand man eine bäuerliche Wirtschaft, die so viel Boden und landwirtschaftliche Geräte besaß, daß sich die bäuerliche Familie, ohne selber Lohnarbeit zu leisten oder fremde Arbeitskräfte zu beschäftigen, von den eigenen Erträgen ernähren konnte. 244 228 Siehe „ Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1845", Berlin, S. 502 - 505 und 682 - 684. 244 229 „Staat der Intelligenz" - ein sprichwörtlich gewordener Ausdruck, mit dem der preußische Staat bezeichnet und der häufig in ironischem Sinne gebraucht wurde; zurückzuführen ist dieser Ausdruck auf den von Hegel in seiner Antrittsrede zu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie an der Heidelberger Universität am 28. Oktober 1816 gemachten Ausspruch, daß gerade der preußische Staat auf Intelligenz gebaut sei. 245 280 Siehe „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1848", Berlin, S. 276 - 279. 245 831 Siehe „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1848", Berlin, S. 427 -441. 246 232 Siehe „Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. 1850", Berlin, S. 77-III. 246 238 Engels zitiert den Bericht der Agrarkommission der preußischen Zweiten Kammer zu dem Entwurf des Gesetzes über die Ablösung der Feudallasten, das am 2. März 1850 erlassen wurde. Der Bericht war der Kammer auf der Sitzung vom 23. November 1849 zur Diskussion vorgelegt worden; siehe „Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 30. Mai 1849 einberufenen Zweiten Kammer", Neunundfünfzigste Sitzung, 23.November 1849. Die Hervorhebung stammt von Engels. 246 234 Engels bezieht sich hier auf zwei Tabellen aus dem Buch von Meitzen. Die erste Tabelle enthält die Ergebnisse der Ablösungsoperationen aus der Zeit von 1816 bis 1848, die zweite die aus der Zeit von 1816 bis Ende 1865. 247 235 Am 2. Dezember 1851 führte Louis Bonaparte, der seit dem 10. Dezember 1848 Präsident der Französischen Republik war, einen Staatsstreich durch. Er löste die gesetzgebende Versammlung und den Staatsrat auf und ließ viele Deputierte verhaften. Über die 32 Departements wurde der Kriegszustand verhängt und die sozialistischen und republikanischen Führer aus Frankreich ausgewiesen. Am 14. Januar 1852 wurde eine neue Verfassung angenommen, wonach die gesamte Macht in den Händen des Präsidenten konzentriert wurde. Unter dem Namen Napoleon III. ließ sich Louis Bonaparte am2.Dezember 1852 zum Kaiser der Franzosen ausrufen. 248 286 Den vorliegenden Artikel schrieb Engels in Verbindung mit der Vorbereitung der Herausgabe seiner Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (siehe Band 2 unserer Ausgabe) in Amerika; sie stellte die erste Übersetzung ins Englische dar. Die ursprüngliche Absicht von Engels, den Artikel als Vor- oder Nachwort dieser Ausgabe beizufügen, konnte nicht verwirklicht werden, da sich zuerst für die Herausgabe des Buches kein Verleger fand. Das Erscheinen verzögerte sich dadurch bedeutend, so daß Engels ein neues Vorwort für notwendig erachtete (siehe vorl. Band, S. 335 - 343); der vorliegende Artikel wurde als Anhang der amerikanischen Ausgabe beigegeben. Engels nahm ihn später in das 1892 veröffentlichte Vorwort zur englischen und zur zweiten deutschen Ausgabe (siehe Band 22 unserer Ausgabe) auf.
Da der vorliegende Artikel bestimmte Erweiterungen und Änderungen aufweist, die im Vorwort zur zweiten deutschen Ausgabe nicht enthalten sind, haben wir ihn in unsere Ausgabe aufgenommen, wobei wir uns bei bestimmten Passagen auf das in deutscher Sprache geschriebene Vorwort von 1892 stützen. 250 237 Trucksystem — System der Entlohnung durch Waren. Eine Einschätzung dieses Systems gibt Engels in seiner Arbeit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (siehe Band 2 unserer Ausgabe, S. 401/402). 1831 wurde ein Gesetz erlassen, das die Anwendung dieses Systems verbot. Viele Fabrikanten hielten sich jedoch nicht daran und wandten das alte System weiter an. Die Zehnstundenbill (Gesetz über den Zehnstundentag), die nur Jugendliche und Arbeiterinnen betraf, wurde am 8. Juni 1847 vom englischen Parlament beschlossen. 251 238 Klein-Irland (Little Ireland) - ein hauptsächlich von Irländern bewohntes Arbeiterviertel am Südrande von Manchester; eine ausführliche Beschreibung darüber gibt Engels in seiner Arbeit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" (siehe Band 2 unserer Ausgabe, S. 291-293). Seven Dials - Arbeiterviertel im Zentrum von London. 252 239 Siehe „Report of the Royal Commission on the housing of the working classes. England and Wales", 1885. 252 240 Cottagesystem - im Kapitalismus Bereitstellung von Werkswohnungen zu knechtenden Bedingungen für die Arbeiter. Die Miete für diese Wohnungen wird sofort vom Arbeitslohn abgezogen (siehe auch Band 2 unserer Ausgabe, S. 403/404). 253 241 Es handelt sich um den Streik der mehr als 10000 Bergarbeiter im Staate Pennsylvanien (USA), der vom 22. Januar bis 26. Februar 1886 stattfandl Im Verlaufe des Streiks wurden die Forderungen der Hochofen- und Kokereiarbeiter nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen teilweise erfüllt. Über den Streik der Bergarbeiter in Nordengland 1844 siehe Band 2 unserer Ausgabe, S. 467-472. 253 335 242 Den vorliegenden Brief schrieb Engels auf Wunsch der französischen Sozialisten, die ihn gebeten hatten, öffentlich seine Solidarität mit ihnen anläßlich des 15. Jahrestages der Pariser Kommune zum Ausdruck zu bringen. Der Brief wurde in „Le Socialiste" am 27. März 1886 unter dem Titel „Ein Brief von Engels" veröffentlicht. 257 243 Listenwahl - bis 1885 herrschte in Frankreich das Wahlsystem „nach kleinen Kreisen", wobei von jedem Wahlkreis ein Vertreter in die Deputiertenkammer gewählt wurde. Auf Initiative der gemäßigten bürgerlichen Republikaner wurde im Juni 1885 das Wahlsystem nach Departementslisten eingeführt. Nach diesem System, das bis 1889 gültig war, wurden die kleinen Wahlkreise zu größeren zusammengefaßt, von denen jeder einem Departement entsprach. In diesem Kreis stimmte der Wähler nach einer Liste, welche die Kandidaten der verschiedenen Parteien enthielt, wobei er gezwungen war, für alle für das Departement aufgestellten Kandidaten zu stimmen. 258 244 „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie'' zählt zu den grundlegenden Werken des Marxismus. Diese Arbeit zeigt das Verhältnis des Marxismus zu seinen philosophischen Vorgängern in Gestalt der bedeutendsten Repräsentanten der deutschen klassischen Philosophie - Hegel und Feuerbach - und gibt eine systematische Darstellung der Grundlagen des dialektischen und historischen Materialismus. Sie wurde
erstmalig 1886 in der „Neuen Zeit" veröffentlicht und erschien 1888, mit einer Vorbemerkung von Engels, als revidierter Sonderabdruck. 1889 wurde „Ludwig Feuerbach" in russischer Sprache auszugsweise in der Petersburger Zeitschrift „Sewerny Westnik" und 1892 vollständig in der Übersetzung von G.W. Plechanow veröffentlicht. Im gleichen Jahr erschien eine bulgarische Übersetzung. 1894 wurde in der Pariser Zeitschrift „L'Ere nouvelle" Nr.4und5 die von Laura Lafargue besorgte und von Engels durchgesehene französische Übersetzung veröffentlicht. Zu Lebzeiten von Engels erschienen keine weiteren Ausgaben. Später wurde diese Schrift mehrmals in deutscher Sprache und verschiedenen anderen Sprachen herausgegeben. „L'Ere nouvelle" - französische sozialistische Monatszeitschrift; erschien von 1893 bis 1894 in Paris, Mitarbeiter dieser Zeitschrift waren J.Guesde, J.Jaures, P.Lafargue, G.W.Plechanow u.a. 259 215 Es handelt sich um „Die deutsche Ideologie" von Karl Marx und Friedrich Engels (siehe Band 3 unserer Ausgabe). 263 216 Engels meint die Bemerkungen Heines zur „philosophischen Revolution in Deutschland", in denen er u. a. sagte: „Unsere philosophische Revolution ist beendet. Hegel hat ihren großen Kreis geschlossen." (Siehe seine 1833 verfaßten Aufsätze „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland". In: Heinrich Heine, „Der Salon".) 265 217 Dieses Zitat, das Engels modifiziert wiedergibt, ist der Vorrede Hegels zu seinem Buch „Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse" entnommen und lautet in der Hegelschen Formulierung: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig." 266 248 Hegel, „Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Theil. Die Logik", § 147; § 142, Zusatz. 266 249 Goethe, „Faust", Erster Teil, Studierzimmer. 267 250 „Hallische Jahrbücher" und „Deutsche Jahrbücher" - eine literarisch-philosophische Zeitschrift der Junghegelianer, die in der Form von Tagesblättern von Januar 1838 bis Juni 1841 unter dem Titel „Haifische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst" und von Juli 1841 bis Januar 1843 unter dem Titel „Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst" in Leipzig erschien. Bis Juni 1841 wurde die Zeitschrift von Rüge und Echtermeyer in Halle, ab Juli 1841 von Rüge in Dresden redigiert. Das Überwechseln der Redaktion aus der preußischen Stadt Halle (Saale) nach Sachsen und die Namensänderung der Zeitschrift erfolgte, weil für die „Hallischen Jahrbücher" das Verbot innerhalb Preußens drohte. Aber auch unter dem neuen Namen mußte die Zeitschrift bald ihr Erscheinen einstellen. Im Januar 1843 wurden die „Deutschen Jahrbücher" von der sächsischen Regierung verboten, und durch Verfügung des Bundestages wurde dieses Verbot auf ganz Deutschland ausgedehnt. 271 251 „Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe" - Tageszeitung, die vom I.Januar 1842 bis zum 3I.März 1843 in Köln erschien. Die Zeitung war von Vertretern der rheinischen Bourgeoisie gegründet worden, die dem preußischen Absolutismus gegenüber oppositionell eingestellt waren. Zur Mitarbeit wurden auch einige Junghegelianer herangezogen. Ab April 1842 wurde Karl Marx Mitarbeiter der „Rheinischen Zeitung" und ab Oktober des gleichen Jahres ihr Chefredakteur. Die Zeitung veröffentlichte auch eine Reihe Artikel von Friedrich Engels. Unter der Redaktion von Karl Marx begann die Zeitung einen immer ausgeprägteren revolutionär-demokratischen Charakter anzunehmen. Diese
Richtung der „Rheinischen Zeitung", deren Popularität in Deutschland ständig wuchs, rief Besorgnis und Unzufriedenheit in Regierungskreisen und eine wütende Hetze der reaktionären Presse gegen sie hervor. Am 19. Januar 1843 erließ die preußische Regierung eine Verordnung, die die „Rheinische Zeitung" mit dem 1. April 1843 verbot und bis dahin eine besonders strenge Zensur über sie verhängte. 271 262 „wahrer" oder deutscher Sozialismus - eine reaktionäre Richtung, die in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland hauptsächlich unter der kleinbürgerlichen Intelligenz Verbreitung fand. Die Vertreter des „wahren" Sozialismus - Karl Grün, Moses Heß, Hermann Kriege u. a. - schoben den Ideen des Sozialismus eine sentimentale Predigt der Liebe und der Bruderschaft unter und verneinten die Notwendigkeit der bürgerlich-demokratischen Revolution. Eine Kritik dieser Richtung gaben Karl Marx und Friedrich Engels in ihren Werken „Die deutsche Ideologie", „Zirkular gegen Kriege", „Deutscher Sozialismus in Versen und Prosa", „Die wahren Sozialisten" und im „Manifest der Kommunistischen Partei" (siehe Band 3 unserer Ausgabe, S. 439-530, und Band 4, S. 3 bis 17, 207-290 und 485-488). 272 253 Wahrscheinlich verweist Engels hier auf das 1883 in London erschienene Buch „Among the Indians of Guiana: being sketches, chiefly anthropologic, from the interior of British Guiana" von Everard Ferdinand im Thum. 274 254 Gemeint ist der Planet Neptun, den der Astronom Johann Galle von der Berliner Sternwarte 1846 entdeckte. 276 255 Engels zitiert hier Aphorismen Feuerbachs aus Karl Grün, „Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlass sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung", Bd. 2, Leipzig und Heidelberg 1874, S. 308. 278 256 Deisten - Anhänger einer religionsphilosophischen Lehre, die zwar einen Gott als Weltschöpfer noch anerkennt, ihm aber Einwirken auf den Weltablauf abspricht. Unter den Bedingungen der Herrschaft der feudalkirchlichen Weltanschauung trat der Deismus nicht selten als eine verschleierte Form des Materialismus und Atheismus auf. In der folgenden Periode verbarg sich unter dem Deismus das Streben der bürgerlichen Ideologen, die Religion zu konservieren und zu rechtfertigen, indem sie nur die unsinnigsten und kompromittierendsten Kirchendogmen und Riten beiseite warfen. 282 257 Feuerbach, „Wider den Dualismus von Leib und Seele, Fleisch und Geist". 286 258 Feuerbach, „Noth meistert alle Gesetze und hebt sie auf". 286 258 Feuerbach, „Grundsätze der Philosophie. Nothwendigkeit einer Veränderung". 286 268 Hegel, „Grundlinien der Philosophie des Rechts" und „Vorlesungen über die Philosophie der Religion". 287 261 Feuerbach, „Fragmente zur Charakteristik meines philosophischen Curriculum vitae". 287 262 Feuerbach, „Zur Moralphilosophie". 288 263 „der Schulmeister von Sadowa" - eine landläufige Redensart der deutschen bürgerlichen Publizistik nach dem Sieg der Preußen bei Sadowa (im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866). Diese Redensart spiegelt die Meinung wider, daß der Sieg Preußens auf das vorteilhafte preußische Schulsystem zurückzuführen sei. Sie hat ihren Ursprang in der Äußerung des Redakteurs des „Auslands" (siehe Anm. 60), Oskar Peschel, die er in seinem
Artikel „Die Lehren der jüngsten Kriegsgeschichte" machte. Der Artikel wurde in der obengenannten Zeitschrift Nr. 29 vom 17. Juli 1866 veröffentlicht. 288 204 Engels bezieht sich auf David Friedrich Strauß' Werk „Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft", Bd. 1-2, Tübingen und Stuttgart 1840-1841; der zweite, umfangreichere Teil des Buches trägtden Titel „Der materiale Inbegriff der christlichen Glaubenslehre oder die eigentliche Dogmatil;". 291 266 Hegel, „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte". 298 266 Nicänisches Konzil - das erste Weltkonzil der christlichen Kirche des Römischen Reichs, das von Kaiser Konstantin I. im Jahre 325 in Nicäa (Stadt in Kleinasien) einberufen wurde. Das Konzil arbeitete ein für alle Christen verbindliches Glaubenssymbol (Grundthesen des Glaubensbekenntnisses der orthodoxen Kirche) aus, dessen Nichtanerkennung als Staatsverbrechen bestraft wurde. 304 267 Albigenser - religiöse Sekte, die im 12. und 13. Jahrhundert in Südfrankreich und Norditalien weit verbreitet war. Ihr Hauptherd war die südfranzösische Stadt Albi. Die Albigenser, die gegen die prunkvollen katholischen Gebräuche und die Kirchenhierarchie auftraten, brachten in religiöser Form den Protest der handel- und handwerktreibenden städtischen Bevölkerung gegen den Feudalismus zum Ausdruck. Ihm schloß sich ein Teil des südfranzösischen Adels an, der die Kirchenländereien säkularisieren wollte. Papst Innocenz III. organisierte 1209 einen Kreuzzug gegen die Albigenser. In einem zwanzigjährigen Krieg und durch grausame Repressalien wurde ihre Bewegung niedergeschlagen. 304 263Revolution 1689 - die sog. glorreiche Revolution, die 1688 zum Sturz Jakobs II. Stuart führte. 1689 wurde der Statthalter von Holland, Wilhelm von Oranien, als König Wilhelm III. von England proklamiert. Von diesem Zeitpunkt an festigte sich die konstitutionelle Monarchie in England, die auf einem Kompromiß zwischen Bourgeoisie und Großgrundbesitz beruhte. 305 269 Mit der Aufhebung des 1598 erlassenen Edikts von Nantes, das den Hugenotten (französische Calvinisten) staatsbürgerliche Gleichberechtigung und Garantie ihrer politischen und kirchlichen Sonderrechte zugesichert hatte, krönte Ludwig XIV. die seit den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts immer heftiger werdenden politischen und religiösen Verfolgungen der Hugenotten. Auf Grund der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 verließen Hunderttausende von Hugenotten Frankreich. 305 270 kleindeutsches Reich - das 1871 unter der Hegemonie Preußens entstandene Deutsche Reich (ohne Österreich). 306 271 Die Erklärung an die Redaktion der „New Yorker Volkßzeitung" wurde von Engels Ende April 1886 in Zusammenhang mit dem Besuch von McEnnis, dem Korrespondenten des „Missouri Republican", einer in St. Louis erschienenen Zeitung der Demokratischen Partei der USA, geschrieben. Da Engels davon überzeugt war, daß .McEnnis nicht in der Lage sei, seine Worte richtig wiederzugeben, bat er Sorge, im Falle einer Veröffentlichung des Interviews in der Presse diese Erklärung in einer der amerikanischen sozialistischen Zeitungen abzudrucken. „Neu} Yorker Volkßzeitung" - amerikanische sozialistische Tageszeitung; erschien in deutscher Sprache von 1878 bis 1932. 308
272 Gemeint ist die Regierung Freycinet (7. Januar bis 3. Dezember 1886), die im wesentlichen aus bürgerlichen Radikalen und gemäßigten Republikanern bestand, zum Unterschied von den meisten vorhergegangenen Kabinetten, zu denen die Radikalen in der Regel in Opposition standen. 309 273 Ende Januar 1886 brach in Decazeville (Südfrankreich), hervorgerufen durch die erbarmungslose Ausbeutung der Arbeiter durch die Aveyroner Bergwerksgesellschaft, ein Streik der 2000 Bergarbeiter aus; die Regierung schickte Truppen nach Decazeville. Der Streik, der ein großes Echo im Lande hervorrief, dauerte bis Mitte Juni. Unter dem Einfluß des Streiks bildete sich in der Deputiertenkammer eine kleine Arbeiterfraktion, die die Klassenforderungen der Arbeiter verteidigte. 309 274 Engels bezieht sich auf die Ergänzungswahlen für die Deputiertenkammer in Paris am 2. Mai 1886, bei der der sozialistische Kandidat Ernest Roche 100795 Stimmen erhielt. 309 276 Der Artikel „Die politische Lage Europas" ist die gekürzte und redaktionell bearbeitete Fassung eines Briefes, den Engels am 25. Oktober 1886 an Paul Lafargue sandte und der am 6. November 1886 in „Le Socialiste", Paris, erschien. In deutscher Übersetzung erschien er am 20. und 27. November und am 4. Dezember 1886 in der New Yorker Zeitung „Der Sozialist" sowie gekürzt im „Sozialdemokrat" vom 12.Dezember 1886. Eine Übersetzung ins Rumänische wurde in der „Revista Socialä" Nr. 2 vom Dezember 1886 veröffentlicht. „Der Sozialist" - Wochenzeitung, Organ der Sozialistischen Arbeiterpartei Nordamerikas; erschien von 1885 bis 1892 in New York. „Revista Socialä" - rumänische Zeitschrift, die von 1884 bis 1887 unter der Redaktion des Sozialisten Nädejdein Ia^i erschien. 310 278 Vertrag von San Stefano - Friedensvertrag, der am 3.März 1878 nach dem für Rußland siegreichen Russisch-Türkischen Krieg 1877/78 zwischen den beiden Mächten abgeschlossen wurde. Dieser Vertrag, der Rußlands Einfluß auf dem Balkan verstärkte, rief scharfen Protest seitens Englands und Österreich-Ungarns hervor, die dabei insgeheim von Deutschland unterstützt wurden. Diplomatischer Druck und militärische Drohungen zwangen Rußland, den Vertrag einem internationalen Kongreß zur Überprüfung vorzulegen, der vom 13. Juni bis 13. Juli 1878 in Berlin tagte. An diesem Kongreß nahmen Vertreter Rußlands, Deutschlands, Österreich-Ungarns, Frankreichs, Englands, Italiens und der Türkei teil. Das Ergebnis dieses Kongresses war der Abschluß des Friedens von Berlin, demzufolge die Bedingungen des Vertrags von San Stefano zum Nachteil Rußlands und der slawischen Balkanvölker grundlegend verändert wurden. Das laut Vertrag von San Stefano vorgesehene Territorium des autonomen Bulgariens wurde um mehr als die Hälfte verringert; aus Südbulgarien wurde die autonome Provinz „Ostrumelien" gebildet, die weiter unter der Herrschaft der Pforte verbleiben sollte. Das Territorium Montenegros wurde ebenfalls bedeutend verringert. Die durch den Präliminarfrieden von San Stefano festgelegte Rückgabe des 1856 von Rußland abgetrennten Teils Bessarabiens wurde durch den Berliner Frieden bestätigt und die Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn sanktioniert. Am Vorabend des Kongresses hatte sich England Zyperns bemächtigt. Die Beschlüsse des Berliner Kongresses führten zu neuen internationalen Spannungen auf dem Balkan und erhöhten die Kriegsgefahr. 310 277 Nach der Unterdrückung des nationalen Befreiungsaufstandes in Polen 1794 kam es 1795 zur dritten Teilung Polens zwischen Rußland, Österreich und Preußen. 1814/1815 wurde.
den Verträgen des Wiener Kongresses entsprechend, im Rahmen des Russischen Reiches das Königreich Polen gebildet, das einen großen Teil der Territorien umfaßte, von denen Preußen und Österreich bei der dritten Teilung Polens Besitz ergriffen hatten. 310 278 In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts nutzten England und Frankreich die finanziellen Schwierigkeiten Ägyptens aus und stellten eine Finanzkontrolle über Ägypten her; die Ägypter kämpften gegen die Expansion des ausländischen Kapitals und für die Erhaltung ihrer nationalen Unabhängigkeit. 1882 provozierte dann England einen Konflikt mit Ägypten, leitete militärische Operationen ein, eroberte Ägypten und verwandelte es faktisch in seine Kolonie. 311 279 Gemeint ist der Preußisch- österreichische Krieg 1866, der mit dem Sieg Preußens endete; Hauptkriegsschauplatz war Böhmen. Engels vergleicht die militärischen Aktionen Bulgariens im Krieg gegen Serbien mit diesem Feldzug. Durch die österreichisch-ungarische Regierung ermuntert, erhoben die herrschenden Kreise Serbiens in Zusammenhang mit der im September 1885 erfolgten Wiedervereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien Gebietsforderungen und lösten dadurch den Krieg mit Bulgarien aus. Gleich im ersten Kriegsmonat (November 1885) brachten die bulgarischen Truppen der serbischen Armee eine Niederlage bei und drangen in serbisches Gebiet ein. Unter dem Druck Österreich-Ungarns stoppte Bulgarien jedoch den weiteren Vormarsch seiner Truppen und am 3. März 1886 wurde in Bukarest der Frieden auf der Grundlage der Anerkennung der Grenzen des vereinigten Bulgarien abgeschlossen. 313 280 Beim Empfang des von der Krim nach Moskau zurückkehrenden Zaren Alexander III. am 13. Mai 1886 erklärte das Stadtoberhaupt von Moskau, Alexejew, in seiner Begrüßungsansprache: „Es stärkt uns in unserem Glauben, daß das Kreuz Christi über der Heiligen Sophia leuchtet." (Gemeint ist die Sophienkirche in Konstantinopel.) 313 281 Nach dem unter dem Druck Rußlands erfolgten Verzicht Alexander Battenbergs auf den bulgarischen Thron und nach der Regentschaftsbildung sandte die zaristische Regierung im September 1886 General N.W. Kaulbars als Kriegskommissar nach Bulgarien, um den russischen Einfluß wiederherzustellen und den Boden für die Wahl eines russischen Prätendenten auf den bulgarischen Thron vorzubereiten. Kaulbars' Mission scheiterte jedoch; eine der Ursachen war die Haltung der westeuropäischen Mächte, vor allem Englands, zur bulgarischen Frage. Im November des gleichen Jahres wurde Kaulbars zurückgerufen; gleichzeitig brach die zaristische Regierung die diplomatischen Beziehungen zu Bulgarien ab. 314 282 Sonderbund - Separatbündnis, das 1843 zwischen sieben ökonomisch rückständigen katholischen Kantonen der Schweiz geschlössen wurde, um den fortschrittlichen bürgerlichen Umgestaltungen in der Schweiz entgegenzutreten sowie die Privilegien der Kirche und der Jesuiten zu verteidigen. Die reaktionären Ansprüche des Sonderbundes stießen auf den Widerstand der bürgerlichen Radikalen und Liberalen, die Mitte der vierziger Jahre in den meisten Kantonen wie auch im Schweizer Bundestag (Tagsatzung) das Übergewicht hatten. Der Beschluß des Schweizer Bundestages im Juli 1847 über die Auflösung des Sonderbundes diente diesem als Anlaß, Anfang November 1847 mit Waffengewalt gegen die übrigen Kantone vorzugehen. Am 23. November 1847 wurden die Truppen des Sonderbundes von den Truppen der Bundesregierung zerschlagen. 319 283 Unter der Führung der kleinbürgerlichen Demokraten Friedrich Hecker und Gustav Struve begann im April 1848 der republikanische Aufstand in Baden; der ungenügend vor
bereitete und schlecht organisierte Aufstand wurde gegen Ende desselben Monats unterdrückt. 320 284 Engels bezieht sich auf die Kämpfe zur Verteidigung der am 28. März 1849 durch die Frankfurter Nationalversammlung beschlossenen Reichsverfassung. Die Regierungen fast aller großen deutschen Staaten (Preußen, Sachsen, Bayern, Hannover u. a.) weigerten sich, die Verfassung anzuerkennen. Im Mai 1849 kam es in der Rheinprovinz und in Dresden, von Mai bis Juli in Baden und in der Pfalz zu bewaffneten Kämpfen der Volksmassen, die in der Reichsverfassung die einzige noch erhalten gebliebene Errungenschaft der Revolution sahen. Die Erhebungen, die unter der Führung von oft unentschlossenen und schwankenden kleinbürgerlichen Demokraten standen, trugen einen isolierten und spontanen Charakter und wurden Mitte Juli 1849 grausam unterdrückt. Uber den Charakter und den Verlauf dieser Kämpfe, an denen Engels teilnahm, siehe seine Schrift „Die deutsche Reichsverfassungskampagne" (Band 7 unserer Ausgabe, S. 109 -197). 320 346 285 Am 5. Juni 1849 schlugen die linken Demokraten Badens, die mit der Kapitulationspolitik der Regierung Brentano und der zunehmenden Durchsetzung der Regierung mit rechten Elementen unzufrieden waren, Brentano vor, die Revolution über die Grenzen Badens und der Pfalz hinaus auszudehnen und die Regierung durch radikale Mitglieder zu vervollständigen. Nachdem sie eine abschlägige Antwort erhalten hatten, versuchten sie am 6. Juni, durch die Androhung einer bewaffneten Kundgebung auf die Regierung einzuwirken. Sie wurden jedoch durch die Regierung, die die Bürgerwehr und andere bewaffnete Truppenteile heranzog, zur Kapitulation gezwungen. 320 286 Hanauer Turner - eine Freiwilligenabteilung des Hanauer Turnvereins, die am badischen Aufstand 1849 teilnahm. 320 287 Am 28. September 1864 fand in St. Martins Hall in London eine große internationale Arbeiterversammlung statt, die von den Führern der Londoner Trade-Unions und einer Gruppe Pariser Arbeiter, Proudhonisten, vorbereitet worden war. Neben englischen und französischen Arbeitern nahmen daran auch Vertreter der zu jener Zeit in London lebenden deutschen, italienischen und anderen Arbeiter und führende Persönlichkeiten der europäischen kleinbürgerlichen und revolutionär-demokratischen Emigration teil. Die Versammlung beschloß in einer Resolution die Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (später als I. Internationale bezeichnet). 323 288 „Der Vorbote" - Monatsschrift, offizielles Organ der deutschen Sektionen der Internationale in der Schweiz, das in deutscher Sprache von 1866 bis 1871 in Genf erschien. Verantwortlicher Redakteur war Johann Philipp Becker. Die Zeitschrift verfolgte im allgemeinen die Linie von Marx und vom Generalrat, veröffentlichte systematisch die Dokumente der Internationale und informierte über die Tätigkeit der Sektionen der Internationale in den verschiedenen Ländern. 323 289 Die Alliance de la Democratie socialiste wurde von Michail Bakunin im Oktober 1868 in Genf als internationale Organisation der Anarchisten gegründet. In ihrem Programm verkündete die Allianz vor allem die sog. Gleichmachung der Klassen und die Vernichtung jeglicher Staatsformen. Die Allianz verneinte den organisierten Kampf der Arbeiterklasse um die politische Herrschaft. Dieses kleinbürgerliche, anarchistische Programm fand in den industriell schwach entwickelten Gegenden Italiens, der Schweiz und einiger anderer Länder Anklang. 1868 und 1869 bat die Allianz den Generalrat um Aufnahme in die Internationale Arbeiterassoziation, 1869 stimmte der Generalrat dem unter der Bedingung zu, daß sich
die Allianz als selbständige internationale Organisation auflöse. Jedoch behielten die Mitglieder der Allianz nach ihrer Aufnahme faktisch ihre internationale Organisation bei und kämpften, geführt von Bakunin, gegen den Generalrat, mit dem Ziel, die Internationale Arbeiterassoziation zu beherrschen. Nach dem Fall der Pariser Kommune verstärkten die Anarchisten ihre Aktionen gegen den Generalrat. Bakunin und seine Anhänger wandten sich damals besonders scharf gegen die marxistische Staatstheorie, insbesondere gegen die Diktatur des Proletariats, gegen die Festigung der selbständigen politischen Arbeiterpartei und gegen die Prinzipien des demokratischen Zentralismus. Marx, Engels und der Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation kämpften entschlossen gegen die Allianz und entlarvten sie als eine der Arbeiterbewegung feindliche Sekte. Im September 1872 beschloß der Haager Kongreß mit überwältigender Stimmenmehrheit den Ausschluß der Führer der Allianz, Bakunin und Guillaume.'aus den Reihen der Internationalen Arbeiterassoziation. 323 290 „Der Volksstaat" - Organ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Eisenacher); erschien vom 2. Oktober 1869 bis zum 29. September 1876 in Leipzig (anfangs zweimal, ab Juli 1873 dreimal wöchentlich). Die Zeitung widerspiegelte die Ansichten der revolutionären Richtung in der deutschen Arbeiterbewegung. Wegen ihrer mutigen, revolutionären Haltung war die Zeitung ständig den Verfolgungen von Polizei und Regierung ausgesetzt. Die Zusammensetzung des Redaktionsstabes änderte sich durch die Verhaftung der Redakteure häufig; die allgemeine Leitung blieb jedoch in der Hand von Wilhelm Liebknecht. Großen Einfluß auf den Charakter der Zeitung hatte August Bebel, der Leiter des Verlags „Volksstaat". Marx und Engels waren Mitarbeiter des „Volksstaats" seit seiner Gründung. Sie standen der Redaktion helfend zur Seite und trugen durch ihre Kritik dazu bei, daß die Zeitung konsequent ihre revolutionäre Linie beibehielt. Ungeachtet einzelner Schwächen und Fehler war der „Volksstaat" eine der besten Arbeiterzeitungen der siebziger Jahre. 325 291 Laut Frankfurter Friedensvertrag von 1871 mußte Frankreich eine Kontribution in Höhe von 5 Milliarden Francs an Deutschland zahlen. 325 292 Sechs Artikel Mülbergers unter der Überschrift „Die Wohnungsfrage" wurden ohne Angabe des Verfassers im „Volksstaat" vom 3., 7., 10., 14., 21. Februar und 6. März 1872 veröffentlicht. 326 293 Die Antwort Mülbergers auf die Artikel von Engels wurde im „Volksstaat" vom 26. Oktober 1872 Unter der Überschrift „Zur Wohnungsfrage (Antwort an Friedrich Engels von A. Mülberger)" veröffentlicht. 326 291 Die Neue Madrider Föderation (Nueva Federacion Madrilena) wurde am 8. Juli 1872 von den Redaktionsmitgliedern der Zeitung „Emancipacion" gegründet, nachdem die anarchistische Mehrheit sie aus der Madrider Föderation ausgeschlossen hatte. Den Anlaß für den Ausschluß boten die in der „Emancipacion" veröffentlichten Enthüllungen über die Tätigkeit der geheimen Allianz in Spanien. An der Gründung und der Tätigkeit der Neuen Madrider Föderation nahm Paul Lafargue großen Anteil. Nach der Weigerung des Spanischen Föderalrats, sie aufzunehmen, wandte sich die Neue Madrider Föderation an den Generalrat, der sie am 15. August 1872 als Föderation der Internationale anerkannte (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S. 125). Die Neue Madrider Föderation bekämpfte entschlos
sen die Ausdehnung des anarchistischen Einflusses in Spanien, propagierte die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus und trat für die Schaffung einer selbständigen proletarischen Partei in Spanien ein. Zu den Mitarbeitern von „La Emancipacion" gehörte auch Engels. Die Mitglieder der Neuen Madrider Föderation waren später die Organisatoren der 1879 gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens. 327 295 In der Eifel, einer hügligen Landschaft mit großen Torfmooren und ausgedehntem Ödland, sind die Bodenverhältnisse für die Landwirtschaft wenig geeignet. Der Boden wurde von kleinen, technisch rückständigenBauern wirtschaften bearbeitet. Es kam zu periodischen Mißernten, die die Kleinbauern in große Not stürzten. Engels führt in seinem Artikel die Ereignisse aus dem Jahre 1882 an, als in der Eifel unter den Bewohnern infolge mehrerer Mißernten und durch das Fallen der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse eine Hungersnot ausbrach. 329 296 Den vorliegenden Aufsatz schrieb Engels als Vorwort für die im Mai 1887 erschienene amerikanische Ausgabe seiner Arbeit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England". Im gleichen Jahr wurde er vom Verfasser ins Deutsche übertragen und als Artikel unter dem Titel „Die Arbeiterbewegung in Amerika" im „Sozialdemokrat" vom 10. und 17.Juni und in französischer Sprache am 9., 16. und 23. Juli im „Socialiste" veröffentlicht; später erschien er als Separatabdruck in deutscher und englischer Sprache. Noch vor dem Erscheinen des Buchs wurde der Aufsatz ohne Wissen und Genehmigung von Engels ins Deutsche übersetzt und im April 1887 in der „New Yorker Volkszeitung" veröffentlicht. Engels, der mit der Qualität der Übersetzung nicht zufrieden war, protestierte offiziell dagegen. 335 297 Engels verweist auf eine Artikelserie von Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling, die 1887 in der „Time" veröffentlicht wurde. „Time" - englische Monatsschrift sozialistischer Richtung; erschien von 1879 bis 1891 in London. 355 298 Engels spricht hier von den Verleumdungen, die das Exekutivkomitee der Sozialistischen Arbeiterpartei Nordamerikas, dem auch eine Anzahl Lassalleaner angehörte, über den englischen Sozialisten Edward Aveling verbreitete. Aveling wurde vorgeworfen, während seiner Agitationsreise durch die USA, die er in der Zeit von September bis Dezember 1886 zusammen mit seiner Gattin, Marx' Tochter Eleanor, und Wilhelm Liebknecht unternahm, dem Exekutivkomitee gefälschte Rechnungen zwecks Bezahlung vorgelegt zu haben. Wegen dieser Angelegenheit führte Engels einen mehrmonatigen Briefwechsel und half dadurch Aveling, die Widersinnigkeit und den verleumderischen Charakter dieser Anschuldigungen nachzuweisen. Die Sozialistische Arbeiterpartei Nordamerikas wurde 1876 auf dem Einigungskongreß in Philadelphia im Ergebnis des Zusammenschlusses der amerikanischen Sektionen der I. Internationale und anderer sozialistischer Organisationen der Vereinigten Staaten gegründet. Die meisten Mitglieder der Partei waren Emigranten (vor allem deutsche), die mit den einheimischen Arbeitern Amerikas nur wenig Verbindung hatten. Innerhalb der Partei fand ein Kampf statt zwischen der reformistischen Führung, die im wesentlichen aus Lassalleanern bestand, und dem marxistischen Flügel, an dessen Spitze der Mitkämpfer von Marx und Engels, F.A.Sorge, stand. Die Partei verkündete als ihr Programm den Kampf für den Sozialismus; es gelang ihr jedoch nicht, eine echte revolutionäre marxistische Massenpartei zu werden, weil ihre Führung eine sektiererische Politik betrieb und
eine politische Betätigung der Partei in den Massenorganisationen des amerikanischen Proletariats nicht für notwendig hielt. 335 513 399 Am 1. Mai 1886 begann in den USA ein mehrtägiger Generalstreik unter der Kampflosung des Achtstundentages. Der Streik erfaßte die wichtigsten Industriezentren - New York, Philadelphia, Chicago, Louisville, Saint Louis, Milwaukee, Baltimore; das Ergebnis war eine Verkürzung des Arbeitstages für etwa 200000 Arbeiter. Die Unternehmer antworteten jedoch unverzüglich mit einer Gegenoffensive. In provokatorischer Absicht wurde am 4. Mai in Chicago eine Bombe in eine Gruppe von Polizisten geschleudert. Das war für die Polizei der Anlaß, mit Waffengewalt gegen die Arbeiter vorzugehen und mehrere hundert Personen zu verhaften. Es kam zu einem Gerichtsprozeß, in dem die Führer der Chicagoer Arbeiterbewegung zu hohen Strafen verurteilt wurden; vier von ihnen wurden im November 1887 gehenkt. Die von den amerikanischen Arbeitern im Streik vom Mai 1886 er. rungenen Erfolge wurden in den folgenden Jahren von den Unternehmern wieder zunichte gemacht. Zu Ehren dieses Streiks hat der Internationale Sozialistische Arbeiterkongreß 1889 in Paris den Beschluß gefaßt, den I.Mai alljährlich als internationalen Feiertag der Arbeiter zu begehen. 336 300 Kapitol-Sitz des Kongresses, des höchsten gesetzgebenden Organs der Vereinigten Staaten von Amerika in Washington. Weißes Haus - offizielle Residenz des Präsidenten der USA in Washington. 336 301 Während der Vorbereitung der Kommunalwahlen in New York im Herbst 1886 wurde zwecks gemeinsamer politischer Aktionen der Arbeiterklasse die Vereinigte Arbeiterpartei gegründet. Die Initiative zur Schaffung dieser Partei war vom New -Yorker Zentralen Arbeiterterband ausgegangen, der 1882 entstandenen Vereinigung der Gewerkschaften dieser Stadt. Nach dem Beispiel New Yorks wurden solche Parteien in einer ganzen Reihe anderer Städte geschaffen. Bei den Waiden in New York, Chicago und Milwaukee: trat die Arbeiterklasse unter Führung der neuen Arbeiterparteien auf und errang beachtliche Erfolge. Der Kandidat der Vereinigten Arbeiterpartei für denPosteri des Oberbürgermeisters von New York, Henry George, erhielt 31 Prozent aller Stimmen; in Chicago brachten die Anhänger der Arbeiterpartei einen Kandidaten in den Senat und neun ins Repräsentantenhaus der Gesetzgebenden Versammlung des Staates; dem Kandidaten der Arbeiterpartei für den Kongreß der USA fehlten lediglich 64 Stimmen. In Milwaukee brachte die Arbeiterpartei ihren Kandidaten als Bürgermeister der Stadt durch; ein Kandidat wurde in den Senat, sechs ins Repräsentantenhaus der Gesetzgebenden Versammlung des Staates und ein Vertreter in den Kongreß der USA gewählt. 336 302 Arbeitsritter, bekannter als „Ritter der Arbeit" (Knights of Labor), Abkürzung für Edler Orden der Ritter der Arbeit (Noble Order of the Knights of Labor) - so nannte sich eine 1869 in Philadelphia gegründete Geheimorganisation der Arbeiter, die erst 1878 aus der Illegalität heraustrat. Der Orden vereinigte hauptsächlich ungelernte Arbeiter, darunter viele Neger. Sein Ziel war die Errichtung von Genossenschaften und die Organisierung gegenseitiger Hilfe. Er beteiligte sich an vielen Aktionen der Arbeiterklasse. Die Führung des Ordens lehnte jedoch im Prinzip die Beteiligung der Arbeiter am politischen Kampf ab und trat für eine Zusammenarbeit der Klassen ein; 1886 versuchte sie die Streikbewegung, die das ganze Land erfaßt hatte, aufzuhalten, indem sie den Mitgliedern des Ordens verbot, sich am Streik zu beteiligen. Dennoch nahmen die einfachen Mitglieder am Streik teil. Der Orden verlor-danach immer mehr an Einfluß unter den Arbeitermassen und löste sich Ende der neunziger Jahre ganz auf. 338
308 Den vorliegenden Brief schrieb Engels anläßlich des internationalen Festes, das am 19. Februar 1887 in Paris auf Initiative einer Reihe von Organisationen ausländischer Sozialisten in Frankreich veranstaltet wurde. Das Fest, an dem deutsche, skandinavische, polnische und russische sozialistische Emigranten teilnahmen, war als Ausdruck des Protestes gegen das Wettrüsten und die Vorbereitung eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich gedacht. Der Brief von Engels wurde auf dem Fest verlesen und erschien danach im „Socialiste" vom 25. Februar und in deutscher Übersetzung im „Sozialdemokrat" vom 11. März sowie in der New -Yorker Zeitung „Sozialist" vom 19. März 1887.344 304 Sigismund Borkheims Broschüre „Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806-1807" wurde auf Initiative von Engels als XXIV. Veröffentlichung der „Sozialdemokratischen Bibliothek" herausgegeben. Die zweite Hälfte der „Einleitung" wurde noch vor dem Erscheinen der Broschüre im „Sozialdemokrat" vom 15. Januar 1888 mit der Überschrift „Was Europa bevorsteht" abgedruckt. 346 305 Empört über die Verleugnung der Märzrevolution durch die preußische Nationalversammlung (siehe hierzu Engels' Artikel „Die Berliner Debatte über die Revolution", Band 5 unserer Ausgabe, S. 64-77), stürmten die Arbeiter und Handwerker Berlins am 14. Juni 1848 das Zeughaus, um durch die Volksbewaffnung die erkämpften Errungenschaften zu verteidigen und die Revolution voranzutreiben. Die Aktion der Berliner Arbeiter war jedoch spontan und unorganisiert. Der zu Hilfe gerufenen militärischen Verstärkung gelang es im Verein mit Abteilungen der Bürgerwehr, das Volk schnell zurückzudrängen und zu entwaffnen. 346 306 Der republikanische Aufstand in Baden, der Ende September 1848 ausbrach, wurde von einer Gruppe deutscher Emigranten unter Führung von Gustav Struve, der am 21. September aus der Schweiz kam, entfacht. Mit Unterstützung bewaffneter Abteilungen basischer Demokraten und der lokalen Bürgerwehr proklamierte Struve die Deutsche Republik' Nach einigen Tagen wurde der Aufstand durch badische Truppen niedergeschlagen, Struveünd eine Reihe anderer Teilnehmer am Aufstand verhaftet und zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt. 346 307 Über die Bewegung des 6. Juni siehe Anm. 285. 346 308 Schwefelbande - ursprünglich Bezeichnung einer Studentenvereinigung an der Jenaer Universität in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts, die wegen der von ihren Mitgliedern verursachten Skandale einen üblen Ruf genoß; später wurde der Ausdruck „Schwefelbande" zum allgemeinen Begriff für Spitzbubengesindel. Der Vulgärdemokrat und bonapartistische Agent Karl Vogt gab 1859 das verleumderische Buch „MeinProzeß gegen die Allgemeine Zeitung" heraus, das gegen Marx und die von ihm geführten Revolutionäre gerichtet war. In dieser Schrift nennt Vogt, wobei er Fakten fälscht, Marx und seine Anhänger „Schwefelbande" und stellt sie als Gesellschaft dar, die sich mit schmutziger Politik hefaßt. In Wirklichkeit war unter der scherzhaften Bezeichnung „Schwefelbande" ein in Genf von 1849 bis 1850 existierender Kreis deutscher Emigranten bekannt, dessen Mitglied auch Borkheim war. Marx und seine Anhänger hatten keinerlei Beziehungen zu diesem Kreis, von dessen Existenz sie nicht einmal wußten. Die „Schwefelbande" war eine harmlose lustige Gesellschaft, die keinen politischen Charakter trug. Marx erteilte Vogt mitseinem 1860 geschriebenen Pamphlet „Herr Vogt" (siehe Band 14 unserer Ausgabe) eine vernichtende Abfuhr und zerriß damit gleichzeitig Vogts Lügengespinst in bezug auf die „Schwefelbande". 347 439
308 Im Februar 1860 wandte sich Marx an Sigismund Borkheim mit der Bitte, ihn über die Genfer „Schwefelbande" zu informieren. Borkheims Antwort vom 12. Februar benutzte Marx für sein Pamphlet zur Entlarvung Vogts (siehe Band 14 unserer Ausgabe, S. 390 bis 393). 348 439 310 In der Übersetzung Borkheims wurde die Broschüre unter dem Titel „Unsere russischen Angelegenheiten. Antwort auf den Artikel des Herrn Herzen: ,Die Ordnung herrscht!' (KolokolNr.233)", Leipzig 1871, herausgegeben. Die deutsche Ausgabe besteht aus einer Einleitung Borkheims und dem Text der Broschüre von Semo-Solowjewitsch mit dem Untertitel „Unsere häuslichen Angelegenheiten". 348 311 „DieZukunjC — bürgerlich-demokratische Zeitung, Organ der Volkspartei; erschien 1867 in Königsberg und von 1868 bis 1871 in Berlin. 349 812 Gemeint ist Eduard von Höpfners Buch „Der Krieg von 1806 und 1807. Ein Beitrag zur Geschichte der Preußischen Armee nach den Quellen des Kriegs-Archivs bearbeitet", 2. Aufl., Bd. 1-4, Berlin 1855. 349 318 Mit den Feldzügen nach Dänemark 1850 meint Engels die Schlußphase der militärischen Operationen Preußens gegen Dänemark während des Krieges in Schleswig-Holstein. Unter dem Einfluß der Revolutionen in Frankreich und Deutschland erhob sich im März 1848 die nach Vereinigung mit Deutschland strebende Bevölkerung Schleswig-Holsteins und führte bis Juni 1850 einen nationalen Befreiungskrieg gegen die dänische Herrschaft. Mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung in Deutschland begannen die preußischen Regierungskreise im April 1848 gemeinsam mit anderen Staaten des Deutschen Bund^ einen Scheinkrieg gegen Dänemark, wobei sie ständig die revolutionäre schleswig-holsteinische Armee verrieten und am 26. August 1848 einen Waffenstillstand auf sieben Monate schlössen. Durch die Bedingungen des Waffenstillstands wurden alle demokratischen Errungen. Schäften in Schleswig-Holstein zunichte gemacht. Der Krieg wurde Ende, März 1849 wiederaufgenommen. Die militärischen Aktionen, die mit wechselnden!'Erfolg durchgeführt wurden, endeten mit einem neuen Verrat Preußens, das am 2. Juli 1850 mit Dänemark Frieden schloß und es der Bevölkerung Schleswig-Holsteins überließ, den Krieg mit eigenen Kräften fortzusetzen. Im Juli 1850 wurde die schleswig-holsteinische Armee von dänischen Truppen zerschlagen, und die Herzogtümer blieben unter der Herrschaft des Königreichs Dänemark. Bei dem von Engels erwähnten Feldzag Preußens nach Süddeutschland 1850 handelt es sich um das Einrücken preußischer Truppen in das Kurfürstentum Hessen-Kassel (Kurhessen) im November 1850 im Zusammenhang mit der Verschärfung des Kampfes zwischen Preußen und Österreich um die Hegemonie in Deutschland nach der Revolution 1848/49. Die revolutionären Erhebungen in Kurhessen im Herbst 1850 nahmen Österreich und Preußen zum Anlaß, sich in die inneren Angelegenheiten Kurhessens einzumischen, wobei sowohl Preußen als auch Österreich das Recht für sich forderten, als führende Macht in Deutschland die revolutionäre Bewegung zu unterdrücken. Als schließlich in Hessen österreichische Truppen einrückten, erklärte die preußische Regierung Anfang November die Mobilmachung und sandte ihrerseits Truppen nach Hessen. Am 8. November 1850 kam es zu einem unbedeutenden Geplänkel zwischen der Österreich-bayrischen und der preußischen Vorhut bei Bronnzell. Die ernsten Mängel des Militärsystems, die veraltete Ausrüstung der preußischen Armee, die durch die Mobilmachung zutage traten, sowie der energische Widerstand Rußlands, das in dem deutschen
Konflikt Österreich unterstützte, zwangen Preußen, von militärischen Aktionen abzusehen und vor Österreich zu kapitulieren. Noch vor dem Einmarsch der preußischen Truppen in Hessen wandte sich der Zar Nikolaus I. auf der Warschauer Konferenz im Oktober 1850 als Schiedsrichter zwischen Österreich und Preußen gegen die Versuche, eine Vereinigung deutscher Staaten unter preußischer Vorherrschaft zu schaffen. Am 29. November wurde in Olmütz ein Abkommen zwischen Österreich und Preußen unterzeichnet, wonach Preußen auf seine Pläne zur Einigung Deutschlands verzichten und in den von Österreich wiederhergestellten Deutschen Bund eintreten mußte. 350 408 425 814 Engels bezieht sich auf den Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 und den DeutschFranzösischen Krieg 1870/71. 350 315 „The Red Republiam" - chartistische Wochenschrift, die Julian Harney von Juli bis November 1850 herausgab. „The Red Republican" veröffentlichte in Nr. 21-24 (in verkürzter Form) die erste englische Übersetzung des „Manifests der Kommunistischen Partei". 352 316 Engels zitiert aus der Rede des Präsidenten des Rates der Trade-Unions der Stadt Swansea, Bevan, die dieser auf dem 1887 in dieser Stadt tagenden Jahreskongreß der TradeUnions hielt. Der „Commonweal" berichtete am I7.September 1887 über diese Rede. 354 317 „ Woodhull & Ciajims Weekfy" ~ amerikanische Wochenschrift, die von 1870 bis 1876 in New York von den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen W. Woodhull und T. Claflin herausgegeben wurde. Das „Manifest der Kommunistischen Partei" erschien in verkürzter Form am 30.Dezember 1871 in dieser Wochenschrift. 354 318 „Le Socialiste" - Wochenschrift, die von Oktober 1871 bis Mai 1873 in französischer Sprache in New York herausgegeben wurde; von Dezember 1871 bis Oktober 1872 war sie das Organ der französischen Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation in den USA; sie unterstützte die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Elemente in der Nordamerikanischen Föderation. Nach dem Haager Kongreß brach sie die Verbindung zur Internationale ab. Im Januar-Februar 1872 wurde in dieser Wochenschrift das „Manifest der Kommunistischen Partei" gekürzt veröffentlicht. 354 319 „Kolokol" - russische revolutionär-demokratische Zeitung, die von 1857 bis 1865 in London und danach in Genf von A. I. Herzen und N.P. Ogarjow in dem von Herzen gegründeten Verlag „Freie russische Typographie" in russischer Sprache und 1868/1869 in französischer Sprache mit russischen Beilagen herausgegeben wurde. Das „Manifest der Kommunistischen Partei" wurde 1869 in Genf von dem Verlag „Freie russische Typographie" herausgebracht, den Herzen 1867 seinem Verlagsmitarbeiter Tschernezki übereignet hatte. 354 320 Engels nennt in seinem 1894 geschriebenen Nachwort zu dem Artikel „Soziales aus Rußland" (siehe Band 22 unserer Ausgabe) als Verfasser der erwähnten Ubersetzung Plechanow. Auch Plechanow weist in der russischen Ausgabe des „Manifests" vom Jahre 1900 darauf hin, daß er selbst die Übersetzung angefertigt habe. 354 821 Die erwähnte dänische Übersetzung - K. Marx og F.Engels, „Det Kommunistiske Manifest", Kobenhavn 1885 - wies einige Auslassungen und Ungenauigkeiten auf, worauf
Engels im Vorwort zur vierten deutschen Ausgabe des „Manifests" (siehe Band 22 unserer Ausgabe) aufmerksam machte. Die französische Ubersetzung wurde in „Le Socialiste" vom 29. August bis zum 7. November 1885 veröffentlicht und dann in Mermeix' Buch „ La France socialiste. Notes d'histoire contemporaine", Paris 1886, gedruckt. Die spanische Übersetzung erschien in der Zeitung „El Socialista" von Juli bis August 1886 und als Broschüre („Manifiesto delPartido Communista", Madrid 1886). 354 322 Diesen Grundsatz äußerten Marx und Engels seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts in einer Reihe von Arbeiten; die hier erwähnte Formulierung findet sich in den „Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation" (siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 14, und Band 17, S. 440). 357 323 Diesen in englischer Sprache verfaßten Artikel schrieb Engels als Vorwort zur amerikanischen Ausgabe der Rede über den Freihandel, die Marx am 9. Januar 1848 in Brüssel gehalten hatte (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S.444 -458). Engels überprüfte auch die von Florence Kelley-Wischnewetzky angefertigte Übersetzung der Rede von Marx und übertrug sein Vorwort in die deutsche Sprache, in der es erstmalig in der „Neuen Zeit", Nr. 7, Juli 1888, veröffentlicht wurde. Im August 1888 erschien es in der englischen Originalfassung im „Labor Standard" in New York. Die Herausgabe der Rede von Marx als Einzelschrift verzögerte sich, da viele Verleger den Druck ablehnten. Erst im September 1888 erschien sie im Verlag Lee and Shephard, Boston. Ferner wurde der Schlußteil des Artikels in deutscher Sprache in der New-Yorker Zeitung „Socialist" am 27. Oktober 1888 veröffentlicht. „The Labor Standard" - sozialistisches Wochenblatt, das von 1876 bis 1900 in NewYork herausgegeben wurde. 360 324 Uber den Brüsseler Freihandelskongreß siehe Engels' Artikel „Der ökonomische Kongreß" und „Der Freihandelskongreß in Brüssel" in Band 4 unserer Ausgabe, S. 291-295 und 299-308. 360 325 „die offenbare Bestimmung" („manifest destiny") - ein im 19. Jahrhundert von den Ideologen der Expansionspolitik der herrschenden Kreise in den USA zur Rechtfertigung ihrer Politik häufig gebrauchter Ausdruck. Zum erstenmal wurde er in der Zeitschrift „U.S. Magazine and Democratic Review", Juli-August 1845, Band XVII, S. 5, von dem Redakteur John O'Sullivan angewendet. 364 826 parliamentary train (Parlamentszug) - nannte man im 19. Jahrhundert in England ironisch besondere Züge dritter Klasse, die durch Parlamentsbeschluß 1844 eingeführt worden waren; nach diesem Beschluß mußte jede Eisenbahngesellschaft täglich einen solchen Zug auf ihren Strecken mit einer Mindestgeschwindigkeit von 12 Meilen in der Stunde verkehren lassen und durfte für die Fahrt nicht mehr als 1 Penny pro Meile verlangen. 365 327 1823 wurde William Huskisson Handelsminister. Auf seine Initiative wurde in den zwanziger Jahren eine Reihe von Maßnahmen zur Reorganisierung des veralteten Zollsystems durchgeführt: Es wurden die Einfuhrzölle für gewisse Rohstoffe, Lebensmittel und andere Waren abgeschafft oder gesenkt; der Schutzzoll bei Getreide wurde durch eine gleitende Skala der Getreidezölle ersetzt. Entsprechend dieser Skala stieg der Einfuhrzoll mit dem Fallen der Getreidepreise im Inland und sank, wenn diese anstiegen. Die Regierung Robert Peel führte 1842 eine weitere Senkung der Zolltarife durch. 367 328 Hinweis auf das Gesetz über den Zehnstundentag, das am 8. Juni 1847 vom englischen Parlament beschlossen worden war und nur Jugendliche und Arbeiterinnen betraf. 367
828 Der Zollverein wurde unter Führung Preußens 1834 endgültig formiert. Preußen war es seit 1819 lediglich gelungen, mit einigen kleineren deutschen Staaten - der größte war Hessen-Darmstadt - Zollvereinbarungen zu treffen. Der Zollverein war eine wirtschaftspolitische Vereinigung deutscher Einzelstaaten unter preußischer Vorherrschaft zur Beseitigung der Binnenzölle und zur gemeinsamen Regelung der Grenzzölle. Er umfaßte allmählich alle deutschen Staaten, ausgenommen Österreich, die freien Hansestädte (Lübeck, Hamburg, Bremen) und einige kleinere norddeutsche Staaten. Der im Interesse eines gesamtdeutschen Marktes geschaffene Zollverein trug wesentlich zu der 1871 vollzogenen politischen Einigung Deutschlands bei. 368 421 880 In dem Buch von Kolb wird die Masse der Zirkulationsmittel in Millionen Taler angegeben. 369 331 Die Erklärung über die Notwendigkeit einer Zolltarifreform zwecks Erhöhung der Einfuhrzölle für Industriewaren und landwirtschaftliche Erzeugnisse war im Oktober 1878 von einer Gruppe Reichstagsabgeordneter abgegeben worden. Im Dezember 1878 unterbreitete Bismarck der speziell dafür gebildeten Kommission seinen ersten Reformentwurf. Der endgültige Entwurf wurde dem Reichstag im Mai 1879 vorgelegt und am 12. Juli 1879 angenommen. Der neue Zolltarif sah eine bedeutende Erhöhung der Einfuhrzölle für Eisen, Maschinen, Textilien, Getreide, Vieh, Fette, Flachs, Holz usw. vor. 370 882 Cobdenoertrag von 1860 - Handelsvertrag zwischen England und Frankreich, der am 23. Januar 1860 unterzeichnet wurde; Hauptbevollmächtigter Englands war der Anhänger des Freihandels Richard Cobden. In diesem Vertrag verzichtete Frankreich auf seine bisherige Schutzzollpolitik und führte statt dessen Zölle ein, die 30 Prozent des Warenwerts nicht übersteigen durften. Frankreich erhielt das Recht, den größten Teil seiner Waren zollfrei in England einzuführen. Dieser Vertrag hatte durch das Einströmen englischer Waren eine verschärfte Konkurrenz auf dem Binnenmarkt zur Folge und verursachte Unzufriedenheit unter den französischen Industriellen. 372 83S Die Standard Oil Company war 1870 von John Davison Rockefeller im Staate Ohio mit einem Kapital von 1 Million Dollar gegründet worden. In den siebziger Jahren monopolisierte die zu Spekulationen großen Ausmaßes übergegangene Gesellschaft den Transport und die Verarbeitung von Erdöl und brachte nahezu die gesamte Erdölindustrie der USA unter ihre Kontrolle. 1882 wurde die Gesellschaft unter gleichem Namen in einen Trust umgewandelt, der bereits ein Gesamtkapital von 75 Millionen Dollair kontrollierte. In der Folgezeit entwickelte sich die Standard Oil zu einem der größten kapitalistischen Weltmonopole; sie gehört zu den Inspiratoren der reaktionären Innenpolitik wie auch der aggressiven Außenpolitik des amerikanischen Imperialismus. 372 334 DerZuckerlrust oder die Gesellschaft der Zucker-Raffinerie-Werke wurde 1887 geschaffen und 1891 in die Amerikanische Zucker-Raffinerie-Gesellschaft umgewandelt. In den ersten Jahren seiner Existenz monopolisierte der Trust fast die gesamte Zuckerindustrie der USA. Trotz der Bildung einer Reihe starker Konkurrenzgesellschaften blieb der Trust, der auf der Grundlage eines Beteiligungssystems die Kontrolle über die einen und die Verbindung mit anderen von ihnen herstellte, weiter das größte Monopolunternehmen in diesem Industriezweig. 373 335 Manchesterschule - ökonomische Lehrmeinung, die besonders von den englischen bürgerlichen Ideologen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertreten wurde. Die Vertreter des Freihandels, Anhänger dieser Richtung, bildeten die sog. Manchesterpartei, die
38 Manc/Engels, Werke, Bd. 21
Partei der englischen Industriebourgeoisie. Sie verteidigten die Freiheit des Handels, die Nichteinmischung des Staates in das wirtschaftliche Leben des Landes, die uneingeschränkte Ausbeutung der Arbeiterklasse. Manchester war das Zentrum ihrer Agitation. An der Spitze der Bewegung standen die beiden Textilfabrikanten Cobden und Bright, die 1838 die Anti-Corn-Law League gründeten. In den vierziger und fünfziger Jahren waren die Anhänger des Freihandels eine besondere politische Gruppierung; sie bildeten den linken Flügel der Liberalen Partei in England. 373 836 Engels verweist auf die erste Ode im dritten Buch der Oden des Horaz. 375 387 Vorliegenden Aufsatz richtete Engels in Form eines Briefes an den schottischen Arbeiterführer und Redakteur der Zeitschrift „The Labour Leader", James Keir Hardie. Hardie veröffentlichte den Brief (ohne Titel) in seiner Zeitschrift in der Rubrik „Notizen über die Bergarbeiter". Der Ruhrbergarbeiterstreik, der am 4. Mai 1889 im Gelsenkirchener Bergwerks- und Industriegebiet begann und in wenigen Tagen alle Gruben des Oberbergamtsbezirkes Dortmund erfaßte, war der bedeutendste Streik, den Deutschland im 19. Jahrhundert erlebt hatte. Innerhalb kurzer Zeit hatte der Streik einen gewaltigen Umfang angenommen, in der Zeit vom 12. bis 14. Mai erreichte die Zahl der Teilnehmer etwa 90000. Ein Te'l der Streikenden stand unter dem Einfluß der Sozialdemokraten. Die Streikenden forderten in der Hauptsache: Erhöhung des Arbeitslohns, den Achtstundentag und die Anerkennung der Arbeitsausschüsse. Die Regierung, durch den Umfang des Streiks erschreckt, mußte die Zechenbesitzer veranlassen, auf zahlreiche Forderungen der Bergarbeiter einzugehen und Zugeständnisse zu machen. Mit diesen Versprechungen war es zunächst gelungen, die Streikfront ins Wanken zu bringen und die Arbeiter Mitte Mai zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen. Gleich am ersten Tage der Arbeitsaufnahme zeigte sich, daß die Zechenherren nicht gesonnen waren, ihre Versprechungen zu halten. Die Streikbewegung lebte wieder auf. Am 24. Mai, auf der Versammlung der BergarbeiterVertreter, wurde die Fortsetzung des Streiks mit 69 gegen 48 Stimmen beschlossen. Erst als die Zechenherren ankündigten, ihre Zusagen vom 18. Mai einzuhalten und keine Maßregelung vorzunehmen, wurde Anfang Juni der Streik im Ruhrgebiet beendet. Die Forderungen der Arbeiter wurden nur in unbedeutendem Maße erfüllt. Das Anwachsen der Massenkämpfe in der Zeit des Sozialistengesetzes erreichte mit diesem Streik seinen Höhepunkt. Er trug wesentlich dazu bei, daß das Sozialistengesetz aufgehoben werden mußte und Bismarck gestürzt wurde. Der Streik hatte die Zechenherren und die Regierung empfindlich getroffen. 10 Jahre Sozialistengesetz, 10 Jahre Ausnahmezustand gegen die Arbeiterklasse hatten nicht vermocht, die Kampfkraft des Proletariats zu schwächen, im Gegenteil, das Proletariat zeigte sich stärker als je zuvor. Dieser Streik im Ruhrgebiet gab der Arbeiterbewegung in ganz Deutschland einen neuen gewaltigen Aufschwung. „ The Labour Leader" - englische Monatsschrift, die 1887 unter dem Titel „The Miner" von James Keir Hardie gegründet wurde und seit 1889 unter der Bezeichnung „The Labour Leader" als Organ der schottischen Arbeiterpartei erschien; seit 1893 offizielles Organ der Independent Labour Party. Von 1894 an erschien der „Labour Leader" wöchentlich. Bis 1904 war Hardie Redakteur dieser Zeitschrift. 376 338 Iruck. shops - von den Fabrikanten im Rahmen des Trucksystems (siehe Anm. 237) eingerichtete Läden. 376
339 Wegen des gewaltigen Umfangs, den der Bergarbeiterstreik angenommen hatte, sah sich die Regierung genötigt, nach außen hin eine vermittelnde Stellung einzunehmen. Die Bergarbeiterdelegation, die aus drei Delegierten bestand, war durch die Bemühungen liberaler Reichstagsabgeordneter zustande gekommen, die den wachsenden Einfluß der Sozialdemokratie auf die Bergarbeiter verhüten wollten und das noch ungenügend entwickelte politische Bewußtsein bei einem Teil der Bergarbeiter ausnutzten. Am 14. Mai wurde die Bergarbeiterdelegation von Wilhelm II. empfangen. 377 340 Die Streikbewegung der Bergarbeiter dehnte sich trotz aller Maßnahmen und Verfolgungen Mitte Mai 1889 auch auf andere Teile Deutschlands aus. In Ober- und Nieders chiesien, wo der Streik vom 14. bis 24. Mai dauerte, wurde der größere Teil der Gruben etwa 20000 Beschäftigte - erfaßt; in Sachsen streikten 10000 Arbeiter; im Saargebiet wurde vom 14. bis 16. Mai zunächst in einzelnen Bergwerken gestreikt, am 23. Mai waren es bereits 12000 Streikende. Noch früher begannen die Bergarbeiter im Bergwerks - und Industriegebiet von Wurm zu streiken, wo es etwa 8000 Streikende gab. Die Arbeit wurde erst am 31. Mai wieder aufgenommen. Auch in Böhmen, im Bezirk Kladno, fand am 24. Mai 1889 ein großer Bergarbeiterstreik statt. Ende Mai wurden in verschiedenen Städten und Bezirken Deutschlands andere Berufszweige von der Streikbewegung erfaßt und die Forderung nach Erhöhung des Arbeitslohns und in einzelnen Fällen auch der Verkürzung des Arbeitstages erhoben. So streikten in Berlin am 25. Mai etwa 20000 Maurer, in Freienwalde die Eisenbahner, in Stettin und Königsberg die Maler und Zimmerleute usw. 377 841 Nach Auflösung der Internationalen Arbeiterassoziation besaßen die Arbeiter keine internationale Organisation mehr. Inzwischen hatte sich jedoch der Einfluß des Marxismus unter den Arbeitern verstärkt, so daß die Forderung nach internationalemZusammenschluß wuchs. In diesem Zusammenhang beschloß der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie 1887 in St. Gallen die Einberufung eines internationalen Arbeiterkongresses. Die Possibilisten, die den Drang der Arbeiterklasse nach internationalem Zusammenschluß auszunutzen trachteten, um die Führung in der Arbeiterbewegung an sich zu reißen, versuchten zuvorzukommen und erreichten, unterstützt von der Sozialdemokratischen Föderation in England, auf einem sog. Weltkongreß der Arbeiter, mit der Einberufung eines internationalen Arbeiterkongresses für das Jahr 1889 beauftragt zu werden. Vor den Marxisten stand nun die Aufgabe, eine Verstärkung des Einflusses der Possibilisten auf die Arbeiterbewegung zu verhindern und ihnen die Initiative bei der Gründung einer neuen Internationale zu entreißen. Auf einer Konferenz der Vertreter der marxistischen Parteien im Februar 1889 in .Den Haag wurde beschlossen, einen internationalen Sozialistenkongreß in Paris vom 14. bis 20. Juli 1889 abzuhalten. Die Possibilisten antworteten darauf mit der Einberufung eines Gegenkongresses zum selben Zeitpunkt. An dem possibilistischen Kongreß nahmen nur wenige ausländische Delegierte teil, die außerdem in der Hauptsache nur fiktive Vertreter waren. Versuche, beide Kongresse zu vereinen, scheiterten. Die Possibilisten, die die Hegemonie des Marxismus in der internationalen Arbeiterbewegung ablehnten, stellten die nochmalige Überprüfung der Mandate der Delegierten des marxistischen Kongresses als Bedingung für die Vereinigung. Engels, der den Hauptanteil der Vorbereitungsarbeiten für den internationalen Sozialistenkongreß leistete und alles daran setzte, die neue Internationale zu einer rein marxistischen Organisation der Arbeiterklasse zu machen, schrieb den vorliegenden und auch andere Artikel im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Possibilisten. Näheres über
die Geschichte der Vorbereitung des internationalen Sozialistenkongresses von 1889 siehe vorl. Band, S. 514 -543. Der Artikel „Die Mandate der Possibilisten" wurde in der Zeitung „The Labour Elector" Nr. 32 vom 10. August 1889 veröffentlicht. „The Labour Elector" - englisches Wochenblatt sozialistischer Tendenz, erschien von Juni 1888 bis Juli 1894 in London. Possibilisten - opportunistische Strömung innerhalb der französischen Arbeiterbewegung unter der Führung von Brousseund Malon, die nach der Spaltung der französischen Arbeiterpartei 1882 entstand. Die Führer dieser Strömung verkündeten das reformistische Prinzip: Streben nach dem „Möglichen" („possible"); hiervon wurde die Bezeichnung Possibilisten abgeleitet. Ausführlicher darüber siehe vorl. Band, S. 514/515, 521/522 und 530-532. 379 342 „The Star" - englische Tageszeitung, Organ der Liberalen Partei, erschien seit 1888 in London; in den ersten Jahren ihres Erscheinens stand sie der Sozialdemokratischen Föderation nahe. 379 343 drei Schneider aus der Tooley Street - ein ironischer Ausdruck, dem zugrunde liegen soll, daß drei Londoner Schneider aus der Tooley Street an das Unterhaus eine Beschwerde richteten, die mit den Worten begann: „Wir, das Volk von England...". 380 344 „El Socialista" - Wochenblatt, Zentralorgan der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens, das seit 1885 in Madrid erschien. 381 346 Karlisten - eine reaktionäre, klerikal-absolutistische Gruppierung in Spanien, die den spanischen Thronprätendenten Don Carlos, den Bruder Ferdinands VII., unterstützte. Die Karlisten entfachten in den Jahren 1833-1840 einen dynastischen Krieg, wobei sie sich auf das Militär, die katholische Geistlichkeit und einen Teil der Gutsbesitzer sowie auch auf die rückständigen Bauern einiger Gebiete stützten. 381 346 Vorliegende Notiz, ein Ausschnitt aus einem Briefe Engels' wahrscheinlich an Eleanor Marx, wurde im „Labour Elector" veröffentlicht und später in deutscher Sprache in der „New Yorker Volkszeitung" vom 25. September 1889 sowie in der „Berliner VolksTribüne" vom 26. Oktober 1889 abgedruckt. Der Streif der Londoner Dockarbeiter, der vom 12. August bis 14. September 1889 stattfand, war eines der größten Ereignisse der englischen Arbeiterbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Er erfaßte 30000 Dockarbeiter und über 30000 Arbeiter anderer Berufe; die meisten von ihnen waren ungelernte, nicht organisierte Arbeiter. In diesem Streik kämpften organisierte und nichtorganisierte Arbeiter Seite an Seite und erreichten durch ihre Beharrlichkeit und Organisiertheit die Erfüllung ihrer Forderungen auf Erhöhung des Arbeitslohns und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Durch diesen Streik wurde der proletarische Internationalismus gefestigt - es wurden ca. 50000 Pfd. St. für den Streikfonds gespendet, davon 30000 Pfd. St. allein in Australien. Der Streik trug zur besseren Organisation der Arbeiterklasse bei; es bildete sich der Verband der Dockarbeiter und anderer Berufe, der eine große Zahl ungelernter Arbeiter vereinigte. Die Zahl der Mitglieder der Trade-Unions erhöhte sich auf mehr als das Doppelte - von etwa 860000 im Jahre 1889 stieg sie 1890 auf knapp zwei Millionen. „Berliner Volks-Tribüne" - sozial-politisches Wochenblatt der Sozialdemokraten, das der halbanarchistischen Gruppe der „Jungen" nahestand; erschien von 1887 bis 1892. 382 385 347 Dante, „Die Göttliche Komödie", Erster Teil, „Die Höile", Dritter Gesang. 382
848 Engels' Artikel „Die Abdankung der Bourgeoisie", der im „Sozialdemokrat" erschien, rief großes Interesse bei den Sozialisten der verschiedenen Länder hervor: am 11. Oktober wurde er in der Wiener „Arbeiter-Zeitung", am 12. Oktober 1889 in englischer Übersetzung (mit geringen Kürzungen) im „Labour Elector" und am 26.Oktober (mit unwesentlichen redaktionellen Änderungen und unter dem Titel „Was die Bourgeoisie nicht kann und was die Arbeiter können") in der „Berliner Volks-Tribüne" abgedruckt; er wurde auch in einigen anderen deutschen Zeitungen und in den USA veröffentlicht. 1890 wurde der Artikel ins Russische übersetzt und in der Nr. 1 der Zeitschrift „SozialDemokrat" gedruckt, die von der Gruppe Befreiung der Arbeit in Genf herausgegeben wurde. 383 349 Es handelt sich um den ersten Wahlgang zu der französischen Deputiertenkammer am 22. September 1889, bei dem die Republikaner insgesamt 215 und die verschiedenen monarchistischen Gruppierungen (Legitimisten, Bonapartisten und Boulangisten) 140 Sitze erhielten. 384 360 Das vorliegende Fragment wurde offensichtlich von Engels im Zusammenhang mit der Arbeit an seinem Buche „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" geschrieben. Dem Inhalt nach schließt es sich an die Stelle des IX. Kapitels dieses Buches an, wo von der Erhaltung der Reste der Gentilverfassung in den mittelalterlichen Adels-, Patrizier- und Bauerngeschlechtern die Rede ist (siehe vorl. Band, S. 164/165). Die Datierung dieses auf einem einzelnen Blatt handgeschriebenen Fragments bleibt eine bloße Vermutung, da keinerlei Angaben vorhanden sind. Die von Engels abgekürzten Wörter wurden stillschweigend ausgeschrieben. 391 351 Polis - Stadtstaat, eine der Formen der sozialökonomischen und politischen Organisationen der Sklavenhaltergesellschaft, die sich in ihren typischsten Zügen im alten Griechenland im 8. bis 6. Jahrhundert v. u. Z. gebildet hatte. Jede Polis stellte eine Gemeinde dar, die aus der Stadt selbst und einem ihr angeschlossenen kleinen Territorium bestand. Vollberechtigte Bürger der Polis waren nur die Ureinwohner, die über Grundeigentum und Sklaven verfügten. 391 352 Die vorliegende unvollendete Arbeit schrieb Engels offensichtlich Ende 1884 im Zusammenhang mit der von ihm geplanten Neuausgabe des Buches „Der deutsche Bauernkrieg". Wie aus seinen Briefen hervorgeht, insbesondere aus seinem Brief an F.A.Sorge vom 31.Dezember 1884, hatte er vor, sein Buch gründlich zu überarbeiten; er beabsichtigte, den Bauernkrieg von 1525 als „Angelpunkt der ganzen deutschen Geschichte" darzustellen, wobei er am Anfang und am Ende des Buches wesentliche geschichtliche Ergänzungen zu machen gedachte. Nach dem Inhalt der Handschrift zu urteilen, sollte sie offensichtlich ein Teil der Einleitung oder ein einleitender Abschnitt der neuen Ausgabe des Buches sein. Mit derselben Absicht ist sicher auch die weiter unten (siehe vorl. Band, S. 402/403) veröffentlichte Skizze entstanden, die sich dem Inhalt nach an die vorliegende Handschrift anschließt und von Engels den Titel „Zum .Bauernkrieg'" erhielt. Während seiner Arbeitan der Vervollständigung des „Bauernkriegs" stütztesich Engels u.a. auf seine früheren Skizzen zur Geschichte Deutschlands, insbesondere auf die „Varia über Deutschland" (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S. 589 - 596). Wegen der Überlastung mit anderen Aufgaben konnte Engels diese Pläne nicht verwirklichen, obgleich er auch in den neunziger Jahren zu diesem Projekt zurückkehrte. 392 353 Ludwigslied - althochdeutsches (rheinfränkisches) episches Gedicht in Endreimen, von einem unbekannten Dichter des Mittelalters Ende des 9. Jahrhunderts verfaßt; verherr
licht (als ältestes historisches Lied) den Sieg des westfränkischen Königs Ludwig III. über die Normannen bei Saucourt 881. 396 354 Die Texte des Treueids, die der ostfränkische König Ludwig der Deutsche und der westfränkische König Karl der Kahle gemeinsam mit ihren Vasallen 842 in Straßburg einander ablegten, sind in althochdeutscher und altfranzösischer Sprache erhalten geblieben. 396 355 Elbslawen (polabische Slawen) - eine große Gruppe westslawischer Stämme, die zwischen Elbe und Oder ansässig waren. Die Elbslawen, die wiederholte Einfälle germanischer Stämme abwehrten, waren vom 10.Jahrhundert an den systematischen Angriffen der deutschen Feudalherren ausgesetzt, die nach blutigen Eroberungskriegen trotz des hartnäckigen Widerstands der Elbslawen im 12. Jahrhundert von deren Land Besitz ergriffen; die slawische Bevölkerung wurde teils ausgerottet, teils durch die deutschen Eroberer unterjocht und gewaltsam eingedeutscht. 396 356 Es handelt sich hier um den Staat Mittelfranken, der sich aus dem Gebiet zwischen Scheide, Rhein, Maas und Saöne gebildet hatte und den Mitte des 9. Jahrhunderts Lothar 11. von seinem Vater Kaiser Lothar I. erbte. Nach ersterem erhielt der Staat seine Bezeichnung Lotharingien. Nach dem Tode Lothars II. 870 wurde Lotharingien ungefähr entlang der Sprachgrenze zwischen seinen Brüdern, dem ostfränkischen König Ludwig dem Deutschen und dem westfränkischen König Karl dem Kahlen, aufgeteilt. 396 367 Es handelt sich um die großen Kämpfe des Hundertjährigen Krieges (1337-1453) zwischen England und Frankreich. Ursachen dieses Krieges waren die Eroberungsgelüste des Feudaladels beider Länder, insbesondere der Kampf um die Beherrschung der Handelsund Industriestädte Flanderns, die Hauptabnehmer der englischen Wolle waren, aber auch die Ansprüche der englischen Könige auf den französischen Thron. Im Verlaufe des Krieges ergriffen die Engländer mehr als einmal von bedeutenden Territorien Frankreichs Besitz. Im Endergebnis wurden die Engländer jedoch aus Frankreich vertrieben und nur der Hafen Calais blieb in ihren Händen. 399 358 Engels verweist hier auf die Weigerung des deutschen Kaisers Albrecht I. aus dem Hause der österreichischen Habsburger, die Privilegien anzuerkennen, die sein Vorgänger, Adolf von Nassau, den Schweizer Kantonen, die den Kern des Schweizer Bundes bildeten, eingeräumt hatte. Durch diese Maßnahme wollte Albrecht die Kantone in Botmäßigkeit der österreichischen Herzöge halten. Im 14./15. Jahrhundert gelang es den Schweizern im Kampf um ihre Unabhängigkeit, die Truppen der österreichischen Feudalherren zu zerschlagen und die Stellung ihres Staates zu festigen, der formal nur dem Deutschen Kaiserreich unterworfen war. 399 356 Bei Crecy (Nordwestfrankreich) fand am 26. August 1346 eine der größten Schlachten des Hundertjährigen Krieges statt; die englischen Truppen, deren Kern das Fußvolk aus angeworbenen freien Bauern bildete, brachten den französischen Truppen, deren Hauptmacht die undisziplinierte Reiterei der Ritter war, eine schwere Niederlage bei. Uber die Schlacht bei Waterloo siehe Anm. 224. 400 360 Die Vereinigung der Königreiche Aragon und Kastilien erfolgte im Jahre 1479. 400 361 Das Herzogtum Burgund, das im 9. Jahrhundert in Ostfrankreich, im Gebiet des Oberlaufs der Seine und der Loire, gebildet worden war und dem bedeutende Territorien (Franche-Comt6, ein Teil Nordfrankreichs und die Niederlande) angegliedert wurden, entwickelte sich im 14./15. Jahrhundert zu einem selbständigen feudalen Staat, der in der
zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts-unter Herzog Karl dem Kühnen - zu größter Macht gelangte. Das Herzogtum Burgund, das nach Erweiterung seiner Besitzungen strebte, war ein Hindernis für die Bildung einer zentralen französischen Monarchie; der burgundische Feudaladel im Bunde mit den französischen Feudalherren widersetzte sich der Zentralisierungspolitik des französischen Königs Ludwig XI. und führte einen Eroberungskrieg gegen die Schweizer und gegen Lothringen. Ludwig XI. gelang es, die Bildung einer Koalition zwischen den Schweizern und Lothringern gegen Burgund zu erreichen. Im Krieg gegen die Koalition (1474-1477) wurden die Truppen Karls des Kühnen zerschlagen und er selbst in der Schlacht bei Nancy (1477) getötet. Seine Besitzungen wurden unter Ludwig XI. und dem Sohne des deutschen Kaisers, Maximilian von Habsburg, aufgeteilt. 400 362 Die politische Zersplitterung Italiens und die Streitigkeiten zwischen den italienischen Staaten ausnutzend, fiel der französische König Karl VIII. 1494 in Italien ein und bemächtigte sich des Königtums Neapel. Im folgenden Jahr wurden die französischen Truppen jedoch durch die Koalition der italienischen Staaten mit Unterstützung Kaiser Maximilians I. sowie des spanischen Königs Ferdinand II. vertrieben. Durch den Feldzug Karls VIII. wurden die sog. italienischen Kriege (1494-1559) eingeleitet, in deren Verlauf Italien wiederholten Einfällen der französischen, spanischen und deutschen Eroberer ausgesetzt war und zum Schauplatz eines langwierigen Kampfes dieser Mächte um die Herrschaft auf der Apenninenhalbinsel wurde. 400 363 Unter der Reformation in Frankreich versteht Engels die Hugenottenbewegung, die sich im 16. Jahrhundert unter den religiösen Losungen des Calvinismus entwickelte, der aber im Grunde genommen der bourgeoise Inhalt dieser Lehre fremd war. Der Feudal- und niedere Adel, der mit der Zentralisierungspolitik des zusammengefügten absolutistischen Staates unzufrieden war und danach strebte, die mittelalterlichen provinziellen „Freiheiten" wiederherzustellen, nutzte die Bewegung, an der verschiedene soziale Schichten, darunter auch Bauern und Handwerker, teilnahmen, für sich aus. Die sog. Hugenottenkriege, die mit Unterbrechung von 1562-1594 dauerten, führten zur Einigung der Feudalherren und der Bourgeoisie - die von dem Ausmaß der einen antifeudalen Charakter annehmenden Volksbewegung erschreckt waren - unter dem ehemaligen Hugenottenführer Heinrich von Navarra, dem Vertreter der neuen Dynastie der Bourbonen, der nach Übertritt zum Katholizismus unter dem Namen Heinrich IV. König von Frankreich wurde. 400 364 Rosenkriege (1455-1485) - die Kämpfe zweier englischer Feudalgeschlechter um den Thron: des Hauses York, mit einer weißen Rose im Wappen, und des Hauses Lancaster, das eine rote Rose im Wappen führte. Um York gruppierte sich ein Teil der großen Feudalherren aus dem in ökonomischer Hinsicht weiterentwickelten Süden, das Rittertum und das städtische Bürgertum; die Lancaster wurden von der Feudalaristokratie der nördlichen Grafschaften unterstützt. Der Krieg begann 1455 unter Heinrich VI. aus dem Hause Lancaster und endete mit dem Sturz Richards III. aus dem Hause York. Er führte zur fast völligen Vernichtung der alten Feudalgeschlechter und wurde 1485 mit der Machtergreifung Heinrichs VII. aus der neuen Dynastie der Tudors abgeschlossen, die in England den Absolutismus errichteten. 400 365 Der erste Versuch zur Einigung Polens und Litauens wurde 1385 unternommen, als zwischen beiden Staaten die Krakauer Union geschaffen wurde, deren Hauptaufgabe die gemeinsame Verteidigung gegen die wachsende Aggression des Deutschen Ordens war. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts zerfiel die Union einige Male, wurde jedoch immer wieder
erneuert. Allmählich verwandelte sich die Union aus einem Verteidigungsbündnis in einen Bund der polnischen und litauischen Feudalherren gegen das ukrainische und das bjelorussische Volk. 1569 bildete sich die Lubliner Union, nach der sich Polen und Litauen zu einem Staat konsolidierte; Litauen bewahrte seine Autonomie. 400 886 Nachdem Engels beschlossen hatte, sein Buch „Der deutsche Bauernkrieg" umzuarbeiten (siehe Anm. 352), schrieb er diese Skizzen nieder, die offensichtlich ein fragmentarisches Konzept zu der von ihm geplanten Einleitung oder einem einführenden Abschnitt für eine Neuausgabe dieser Schrift darstellen. Die Skizzen sind auf ein einzelnes Blatt geschrieben. 402 867 Interregnum - die mit dem Aussterben der Hohenstaufen-Dynastie (1254) einsetzende und bis 1273 dauernde Periode des Kampfes um die Kaiserkrone zwischen den verschiedenen Prätendenten; diese Periode ist durch unaufhörliche Unruhen und Zwistigkeiten zwischen den Fürsten, Rittern und Städten gekennzeichnet. Auf den Thron des Deutschen Reiches, des sog. Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, wurde 1273 Rudolf von Habsburg gewählt. 403 368 Die vorliegende Schrift ist ein Teil der von Engels geplanten, jedoch unvollendet gebliebenen Arbeit über „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte". Ursprünglich - Ende 1886 gedachte Engels die im zweiten Abschnitt des „Anti-Dühring" enthaltenen drei Kapitel über die „ Gewaltstheorie", in denen er die Dühringsche Gewaltstheorie einer Kritik unterzieht und gleichzeitig die materialistischen Auffassungen über die Beziehungen zwischen Ökonomie und Politik darlegt, für die Herausgabe als Sonderabdruck zu überarbeiten. Außerdem wollte er noch die beiden Kapitel „Moral und Recht. Ewige Wahrheiten" und „Moral und Recht. Gleichheit" aus dem ersten Abschnitt des „Anti-Dühring" (siehe Band 20 unserer Ausgabe) überarbeiten und den erstgenannten Kapiteln beifügen. Später entschloß sich Engels, für den geplanten Sonderabdruck nur die erwähnten drei Kapitel über die „Gewaltstheorie" zu nehmen und ihnen ein neues, viertes Kapitel hinzuzufügen, das die grundlegenden Thesen dieser drei Kapitel am Beispiel der Geschichte Deutschlands 1848-1888 - die unter dem Gesichtspunkt der Kritik der „ganzen Bismarckschen Politik" untersucht wird - konkretisiert. Die Broschüre sollte den Titel „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte" tragen. Mit der Arbeit an diesem vierten Kapitel begann Engels gegen Ende 1887, mußte sie jedoch im März 1888 wegen anderer dringender Angelegenheiten unterbrechen und hat sie offenbar auch nicht wieder aufgenommen. Nach Engels' Tod fand sich in seinem Nachlaß ein großer Briefumschlag, der die Aufschrift „Gewaltstheorie" trug. Darin lagen die obenerwähnten drei Kapitel aus dem „Anti-Dühring", das nicht abgeschlossene Manuskript des vierten Kapitels für den geplanten Sonderabdruck, der Entwurf des Vorworts dazu, die Gliederung des gesamten vierten Kapitels, die Gliederung seines Schlußteils, der ungeschrieben blieb, sowie chronologische Auszüge aus der Geschichte Deutschlands der siebziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts, besonders aus dem Buch von Constantin Bulle, „Geschichte der neuesten Zeit. 1815-1885", 2. Aufl., Bd. 1-4, Berlin 1888. Die Handschrift des unvollendeten Kapitels, der Entwurf des Vorworts und einige Vorarbeiten wurden zum erstenmal von Eduard Bernstein in der „Neuen Zeit", Nr. 22-26, 14. Jahrgang, 1. Band, 1895-1896, unter dem Titel „Gewalt und Ökonomie beider Herstellung des neuen Deutschen Reichs" veröffentlicht. Bernsteins Arbeit bei der Vorbereitung des Manuskripts für den Druck ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie verantwortungslos die rechten Sozialdemokraten mit dem handschriftlichen Nachlaß von
Engels umgegangen sind. Ohne es für nötig zu halten, eine Kopie der Handschrift anzufertigen, gliederte Bernstein diese eigenmächtig in einzelne Abschnitte auf, gab diesen willkürlich erfundene Zwischentitel, setzte Anmerkungen ein und machte eigene Einfügungen in Engels' Text. Es ist nicht ausgeschlossen, daß durch die unverantwortlich nachlässige Handlungsweise Bernsteins ein Teil der Seiten der Handschrift verlorengegangen ist(siehe vorl. Band, S.443 -448). Imjahre 1896erschien eine französische Übersetzung der Arbeit sowie die drei Kapitel aus dem „Anti-Dühring" in den Nummern 6-9 der Zeitschrift „Devenir Social". Eine italienische Einzelausgabe der Engelsschen Schrift erschien 1899 in Rom; sie ist ein vollständiger Nachdruck der deutschen Veröffentlichung in der „Neuen Zeit". Eine unvollständige Fassung in russischer Übersetzung wurde 1898 in St. Petersburg in Nr. 5 der Zeitschrift „Nautschnoje obosrenije" veröffentlicht. In der ersten russischen Ausgabe der Werke von Marx und Engels (Band XVI, Teil I, 1937) wurde Engels' Arbeit erstmals nach der Handschrift selbst gedruckt, wobei aus dem Text alle von Bernstein vorgenommenen Änderungen (die Unterteilung in einzelne Abschnitte, die Zwischentitel usw.) entfernt wurden. Auch der Titel wurde in Übereinstimmung gebracht mit der von Engels beabsichtigten Formulierung. Im vorliegendein Band werden neben der handschriftlichen Fassung von Engels für das vierte Kapitel der Broschüre „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte" auch der Entwurf des Vorworts zu der Broschüre, die Gliederung des gesamten vierten Kapitels sowie die Gliederung seines Schlußteils, die über den Inhalt des unvollendet gebliebenen Abschnitts der Schrift Aufschluß gibt, veröffentlicht. 405 369 Der Wiener Kongreß (18.September 1814-9. Juni 1815) vereinigte die Sieger über Napoleon I. Auf dem Kongreß veränderten Österreich, England und das zaristische Rußland die Karte Europas, um entgegen den Interessen der nationalen Wiedervereinigung und der Unabhängigkeit der Völker die Monarchien zu restaurieren. Die Zersplitterung Deutschlands blieb erhalten. Neben Österreich und Preußen erhielten auch viele kleine Staaten neue Gebiete oder behielten die von Napoleon verliehenen; z.B. erhielt Bayern für Gebietsabtretungen an Österreich und Preußen die linksrheinische Pfalz, Würzburg, Teile des Großherzogtums Frankfurt u. a. 407 370 Als das „tolle Jahr" bezeichneten einige reaktionäre deutsche Schriftsteller und Historiker das Jahr 1848. Der Ausdruck stammt ursprünglich von Ludwig Bechstein, der 1833 unter diesem Titel einen Roman über die Erfurter Unruhen des Jahres 1509 veröffentlichte. 408 371 Die Heimaigesetzgebtmg verbürgte das Recht der Staatsbürger auf ständigen Wohnsitz an einem bestimmten Ort sowie das Recht verarmter Familien auf materielle Unterstützung durch die Gemeinde, der sie angehörten. 409 372 preußischer Taler - eine Geldeinheit, die 1750 in Preußen und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in den norddeutschen und einigen anderen Staaten eingeführt wurde und bis zum Münzgesetz 1857 gültig war. Die Einteilung des preußischen Talers in Silbergroschen, Kreuzer und Pfennige war in den verschiedenen deutschen Staaten unterschiedlich. Taler Gold- Geldeinheit der Freien Stadt Bremen, die im Unterschied zu allen anderen Währungssystemen in Deutschland bis 1872 den Goldstandard bewahrt hat; er entsprach etwa 3,11 Goldmark. Taler „Neue Zweidrittel" - Silbermünze, die in Hannover, Mecklenburg, Preußen und anderen norddeutschen Staaten gültig war. Sie entsprach etwa 2,34 Goldmark.
Mark Banco - Hamburger Bankwährung für Rechnung im Großhandel, die lange Zeit auch als internationale Rechnungseinheit galt. MarkKtcrant - Silbermünze; seit dem 17. Jahrhundert wurde so das Silbergeld bis zu 0,5 Mark gegenüber den Goldmünzen, den kleinen Scheidemünzen und dem Papiergeld bezeichnet. Zwanzigguldenfuß - eine Währung, nach der die preußische Mark Feinsilber zu 20 Gulden oder ]31/s Taler ausgeprägt wurde; er wurde 1748 in Österreich und wenig später in Bayern, im Kurfürstentum Sachsen und in verschiedenen west- und süddeutschen Staaten eingeführt. In Österreich galt diese Währung bis 1857. Vierundzwanzigguldenfuß - eine Währung, nach der die preußische Mark Feinsilber zu 24 Gulden ausgeprägt wurde; er wurde 1776 in Bayern, Baden, Württemberg und anderen süddeutschen Staaten eingeführt. 409 373 Das Wartburgfest wurde am 18. Oktober 1817 aus Anlaß des 300. Jahrestages der Reformation und des 4. Jahrestages der Schlacht bei Leipzig von den Burschenschaften - deutschen Studentenorganisationen, die unter dem Einfluß des Befreiungskrieges gegen Napoleon entstanden waren und für die Einigung Deutschlands eintraten - veranstaltet. Das Fest wurde zu einer Demonstration der oppositionellen Studentenschaft gegen das Metternich-Regime und für die Einheit Deutschlands. 410 374 Aus dem Lied „Jugend-Muth und -Kraft" von E.Hinkel in „Deutsche Volkslieder", Mainz 1849. 410 376 Hambacher Fest - politische Demonstration von Vertretern der süddeutschen liberalen und radikalen Bourgeoisie auf dem Schloß Hambach in der bayrischen Pfalz am 27. Mai 1832. Die Versammelten, die für bürgerliche Freiheiten und für konstitutionelle Umgestaltungen eintraten, riefen zur Einheit aller Deutschen im Kampf gegen die Fürsten auf. 410 376 hohenstaufisches Kaisertum - das 962 gegründete Heilige Römische Reich Deutscher Nation; unter der Dynastie der Hohenstaufen (1138-1254) gehörten zu diesem Reich - das eine lose Vereinigung feudaler Fürstentümer und Freier Städte darstellte — Deutschland und eine Reihe anderer Länder Mitteleuropas, ein Teil Italiens sowie einige den Slawen von den deutschen Feudalherren entrissene Gebiete in Osteuropa. 410 377 Strophe des „Liedes der Deutschen" („Deutschland, Deutschland über alles..."), das Hoffmann von Fallersleben, besorgt über die Zersplitterung Deutschlands, 1841 schuf. Später wurde es als Nationalhymne eines chauvinistischen Deutschlands mißbraucht. 411 378 Engels paraphrasiert hier ironisch den Refrain des 1813 von Ernst Moritz Arndt verfaßten Gedichts „Des Deutschen Vaterland", das aufrief zur Vereinigung aller deutschen Lande, „so weit die deutsche Zunge klingt". Bei Arndt lautet dieser Refrain: „Sein Vaterland muß größer sein." 411 370 Der Teschener Friede, der am 13. Mai 1779 zwischen Österreich einerseits und Preußen und Sachsen anderseits geschlossen wurde, beendete den Bayrischen Erbfolgekrieg von 1778/79. Laut Friedensvertrag erhielten Preußen und Österreich einige bayrische Gebietsteile; Sachsen wurde durch Geld entschädigt. Rußland, der Initiator dieses Vertrages, trat anfangs als Vermittler zwischen den kriegführenden Parteien auf und wurde nach Abschluß des Vertrages zusammen mit Frankreich zum Vertragsgaranten erklärt, wodurch es faktisch das Recht auf Einmischung in die Angelegenheiten der deutschen Staaten erlangte. 411
380 Friedrich II. eroberte Schlesien im Österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748). Anlaß zum Ausbruch dieses Krieges waren die Ansprüche, die eine Reihe europäischer Feudalstaaten, in erster Linie Preußen, auf die habsburgischen Länder erhoben, die nach dem Tode Karls VI., der keine männlichen Erben hinterließ, seiner Tochter Maria Theresia zufielen. Im Dezember 1740 fiel Friedrich II. in das zu Österreich gehörende Schlesien ein. Frankreich und Bayern übten zunächst wohlwollende Neutralität gegenüber Preußen. Nachdem die österreichischen Truppen einige Niederlagen erlitten hatten, schlössen sich diese Staaten Preußen offen an. England, das bestrebt war, Frankreich als seinen Handelskonkurrenten zu schwächen, trat auf die Seite Österreichs. Österreich wurde außerdem von Sardinien, Holland und Rußland militärisch und diplomatisch unterstützt. Friedrich 11. von Preußen verriet in diesem Kriege zweimal seine Verbündeten, indem er 1742 und 1745 einen Separatfrieden mit Österreich abschloß; 1742 wurde Preußen der größte Teil Schlesiens und nach Beendigung des Krieges ganz Schlesien zuerkannt. 411 421 881 Regensburger Reichstag -der Reichstag, das höchste Organ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der seit 1663 permanent seinen Sitz in Regens bürg hatte und sich aus den Vertretern der deutschen Staaten zusammensetzte, beriet und bestätigte durch den Reichsdeputationshauptschluß vom Februar 1803 den von Frankreich und Rußland diktierten Beschluß über die territorialen Regelungen in den deutschen Rheingebieten (siehe auch Anm. 181). 411 382 „Mehrer des Reichs" - aus dem offiziellen Titel der deutschen Kaiser bis 1806: „von Gottes Gnaden Römischer Kaiser zu allen Zeiten Mehrer des Reichs". 413 383 Am 3. März 1859 wurde in Paris zwischen Rußland und Frankreich ein Geheimvertrag abgeschlossen, der sich gegen Österreich richtete. Nach diesem Vertrag verpflichtete sich Rußland, Frankreich gegenüber im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Sardinien einerseits und Österreich andererseits wohlwollende Neutralität zu wahren. Frankreich versprach dafür, die Revision jener Artikel des Pariser Friedensvertrages von 1856 auf die Tagesordnung zu setzen, die die Souveränität Rußlands im Schwarzen Meer einschränkten. Nachdem Rußland die ihm auferlegten Verpflichtungen erfüllt und Napoleon III. allen Nutzen aus dem Vertrag gezogen hatte, brach er sein Versprechen und trug damit zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern bei. 413 384 Louis-Napoleon beseitigte durch einen konterrevolutionären Staatsstreich in der Nacht vom 1. zum 2.Dezember 1851 in Frankreich die Zweite Republik. 413 386 Die Karbonari (Köhler) bildeten eine geheime politische Gesellschaft, die Anfang des 19. Jahrhunderts in Italien existierte. Sie vereinten in ihren Reihen Vertreter der städtischen Bourgeoisie, des sich verbürgerlichenden Adels, der Offizierskreise, des Kleinbürgertums und der Bauernschaft, traten für die nationale Einheit und Unabhängigkeit Italiens und freisinnige Staatsreformen ein. 414 386 Louis-Napoleon trat 1848, während seines Aufenthalts in England, freiwillig in die Reihen der Spezial-Konstabler (Polizeireserve aus Zivilpersonen) ein und nahm am 10. April 1848 an deren Einsatz gegen eine von den Chartisten organisierte Arbeiterdemonstration teil. 414 387 Das „Nationalitätsprinzip" wurde von den herrschenden Kreisen des Zweiten Kaiserreichs aufgestellt, die damit ihre Eroberungspläne und außenpolitischen Abenteuer zu rechtfertigen suchten. Napoleon III., der sich heuchlerisch als „Schutzherr der Nationalitäten" aufspielte, spekulierte mit den nationalen Interessen der unterdrückten Völker, um die
Hegemonie Frankreichs zu festigen und dessen Grenzen auszudehnen. Das „Nationalitätsprinzip", das mit der Anerkennung des Rechtes der Nationen auf Selbstbestimmung nichts gemein hatte, sollte in Wirklichkeit nationalen Hader entfachen und die nationale Bewegung, insbesondere die Bewegung der kleinen Völker, in ein Werkzeug der konterrevolutionären Politik der rivalisierenden Großmächte verwandeln. Marx entlarvte das bonapartistische „Nationalitätsprinzip" in seinem Pamphlet „Herr Vogt" (siehe Band 14 unserer Ausgabe) und Engels in seiner Artikelreihe „Was hat die Arbeiterklasse mit Polen zu tun?" (siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 153-163). 414 388 Grenzen von 1801 - die Grenzen, die durch den am 9. Februar 1801 zwischen Frankreich und Österreich geschlossenen Frieden von Lun£ville fixiert wurden. Der Friedensvertrag anerkannte die durch die Kriege gegen die erste und zweite Koalition erfolgte Erweiterung der französischen Grenzen und bestätigte die Angliederung des linken Rheinufers, Belgiens und Luxemburgs an Frankreich. Der Frieden sanktionierte ferner die französische Herrschaft über die in den Jahren 1795 -1798 geschaffenen Staaten (die Batavische, Helvetische, Ligurische und Cisalpinische Republik). 414 389 Den Krieg Frankreichs und des Königreichs Sardinien (Piemont) gegen Österreich entfesselte Napoleon III., der bestrebt war, unter der Flagge der „Befreiung" Italiens (in dem Manifest über den Krieg versprach Napoleon III. Italien demagogisch, es „frei bis zur Adria" zu machen) italienische Territorien an sich zu reißen und mittels außenpolitischer Abenteuer das bonapartistische Regime in Frankreich zu festigen. Die italienische Großbourgeoisie und der liberale Adel hofften, durch einen Krieg die Einigung Italiens unter Führung der in Piemont herrschenden Dynastie Savoyen verwirklichen zu können. Der Krieg brach am 29. April 1859 aus. Erschreckt über das Ausmaß der nationalen Befreiungsbewegung in Italien und bestrebt, die politische Zersplitterung Italiens aufrechtzuerhalten, schloß Napoleon III. nach der entscheidenden Schlacht bei Solferino (24. Juli 1859), in der die österreichische Armee geschlagen wurde, in Villafranca am 1 I.Juli hinter dem Rücken von Sardinien einen Separatfrieden mit Österreich. Hiernach blieb Venetien weiter unter österreichischer Herrschaft, Frankreich erhielt die Lombardei, die es später gegen Savoyen und Nizza eintauschte. Die Bedingungen des Friedens von Villafranca lagen später dem endgültigen Friedensvertrag zugrunde, der am 10. November 1859 in Zürich unterzeichnet wurde. 415 390 Baseler Friede 1795- Separatfriede, der am5. April 1795 zwischen Frankreich und Preußen geschlossen wurde und mit dem Preußen seine Verbündeten in der ersten antifranzösischen Koalition verriet. 415 443 391 Als „Politik der freien Hand" bezeichnete der preußische Außenminister von Schleinitz 1859 die Außenpolitik Preußens während des Krieges zwischen Frankreich und Piemont einerseits und Österreich andererseits. Laut offiziellem Kommentar seitens der herrschenden Kreise sollte diese Politik darin bestehen, sich keiner der kämpfenden Parteien anzuschließen, aber auch keine Neutralität zu erklären. 415 392 Credit mobilier (Soci£t£ g£n£rale de credit mobilier) - eine französische Aktienbank, die von den Brüdern P£reire gegründet und durch Dekret vom 18. November 1852 gesetzlich anerkannt wurde. Ihre größte Einnahmequelle war die Börsenspekulation mit Wertpapieren der von ihr gegründeten Aktiengesellschaften. Die Bank war eng liiert mit der Regierung Napoleons III. und genoß deren Schutz. 1867 erfolgte der Bankrott der Bank, 1871 ihre Liquidation. Das wahre Wesen des Credit mobilier enthüllte Marx in einer Reihe Artikel,
die in der „New-York Daily Tribüne" veröffentlicht wurden (siehe Band 12 unserer Ausgabe, S. 20-36, 202-209 und 289-292). 416 393 Rheinbund - eine Vereinigung der Staaten Süd- und Westdeutschlands, die im Juli 1806 unter dem Protektorat Napoleons I. ins Leben gerufen wurde. Die Bildung eines solchen politisch-militärischen Blocks in Deutschland gelang Napoleon infolge seines Sieges über Österreich im Jahre 1805. Dem Bund gehörten erst 16 und später alle deutschen Staaten außer Preußen und Österreich an. Die Mitglieder des Rheinbundes waren faktisch Vasallen des napoleonischen Frankreichs. Der Bund zerfiel 1813 nach den Niederlagen der napoleonischen Armee in Deutschland. 416 394 Nach der Zerschlagung Österreichs durch das napoleonische Frankreich im Juli 1805 und der Bildung des Rheinbundes der deutschen Staaten, die ihre Loslösung vom Deutschen Reich erklärten, verzichtete der österreichische Kaiser Franz I. im August 1806 auf die deutsche Kaiserkrone; das sog. Heilige Römische Reich Deutscher Nation hörte damit auf zu existieren. 417 395 Die Garnisonen der vor allem nahe der französischen Grenze liegenden Festungen des Deutschen Bundes wurden von Truppen der größeren Staaten des Bundes, vorwiegend von österreichischen und preußischen Soldaten, gebildet. 417 396 nachmärzliche Regierung - die reaktionäre Regierung des Fürsten Schwarzenberg, die im November 1848, nach der Niederlage der durch den Wiener Volksaufstand vom 13. März 1848 eingeleiteten bürgerlich-demokratischen Revolution, gebildet wurde. 418 897 Im August 1863 wurde auf Betreiben des österreichischen Kaisers Franz Joseph in Frankfurt a. M. ein Kongreß der deutschen Fürsten einberufen, auf dem das österreichische Bundesreformprojekt, das auf die faktische Hegemonie Österreichs hinzielte, beraten werden sollte. Wilhelm I. lehnte die Teilnahme am Fürstentag ab. Da auch noch einige kleinere Staaten Österreich die volle Unterstützung versagten, brachte der Fürstentag keinerlei Ergebnisse. 418 898 Als „Realpolitik" bezeichneten Zeitgenossen die Politik Bismarcks, worunter vor allem eine berechnende Politik verstanden wurde. 418 399 Am 5. August 1796 wurde in Berlin ein Geheimvertrag zwischen Preußen und der Französischen Republik abgeschlossen, in dem der König von Preußen gegen territoriale Entschädigung Frankreich das Recht auf die von französischen Truppen besetzten linksrheinischen Gebiete zugestand, deren größter Teil früher den reichsdeutschen Fürstenbistümern angehört hatte. Bei der Regelung der territorialen Fragen durch die auf Geheiß Napoleons handelnde sog. Reichsdeputation (siehe Anm. 181) erhielt Preußen als Entschädigung das säkularisierte Bistum Münster und einige andere Besitzungen in Westdeutschland. 421 400 An der 1805 gebildeten dritten antifranzösischen Koalition beteiligten sich England, Österreich, Rußland, Schweden und das Königreich Neapel. Preußen hatte seine Neutralität erklärt und verweigerte daher die Teilnahme an der Koalition. Im November 1805 schloß es in Potsdam ein Abkommen mit Rußland, in dem es sich verpflichtete, gegen Napoleon vorzugehen, falls seine Versuche zur Vermittlung zwischen Frankreich und der dritten Koalition zurückgewiesen würden. Am 15.Dezember 1805 schloß jedoch Preußen ein Abkommen mit Frankreich, durch das Preußen im Austausch gegen kleinere territoriale Abtretungen am Rhein und an anderen Stellen in den Besitz des Kurfürstentums
Hannover gelangte. Als Napoleon nach seinem Sieg über die dritte Koalition die Vorherrschaft Frankreichs in West- und Süddeutschland errichtet hatte, sah sich Preußen doch gezwungen, im September 1806 auf der Seite der vierten Koalition (England, Rußland, Preußen, Schweden) in den Krieg gegen das napoleonische Frankreich einzutreten. Am H.Oktober 1806 wurde die preußische Armee in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagen. 421 401 Landwehr - ab 1814 Bestandteil der preußischen Landstreitkräfte. Die Landwehr, 1813 in Preußen als selbständige milizartige Form im Kampf gegen die Truppen Napoleons entstanden, erfaßte die militärpflichtigen älteren Jahrgänge, die ihren Dienst im stehenden Heer und seiner Reserve abgeleistet hatten. In Friedenszeiten wurden nur vereinzelte Übungen der Landwehrteile durchgeführt. Während des Krieges wurde die Landwehr des ersten Aufgebots (Militärpflichtige vom 26. bis zum 32. Lebensjahr) zur Ergänzung der operierenden Armeen und die des zweiten Aufgebots (Militärpflichtige vom 32. bis zum 40. Lebensjahr) als Festungsbesatzung herangezogen. 422 402 „Kulturkampf" - eine von bürgerlichen Liberalen stammende, weitverbreitete Bezeichnung für die von der Bismarck-Regierung in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts getroffenen Maßnahmen, die unter der Losung des Kampfes für eine weltliche Kultur durchgeführt wrurden. Diese Maßnahmen richteten sich gegen die katholische Kirche und. die Zentrumspartei, die die separatistischen und antipreußischen Tendenzen der Gutsbesitzer, der Bourgeoisie und teilweise auch der Bauernschaft in allen katholischen Gebieten Preußens und den südwestdeutschen Staaten unterstützten. Den Kampf gegen den Katholizismus benutzte die Regierung Bismarck als Vorwand, um auch die nationale Unterdrückung in den unter preußische Herrschaft geratenen polnischen Gebieten zu verstärken. Gleichzeitig sollte diese Politik Bismarcks durch Entfesselung der religiösen Leidenschaften die Arbeiter vom Klassenkampf abhalten. Anfang der achtziger Jahre hob Bismarck angesichts des Wachstums der Arbeiterbewegung den überwiegenden Teil dieser Maßnahmen auf, um die reaktionären Kräfte fester zusammenzuschließen. 423 460 403 Engels hat jene Liberalen im Auge, die die Umwandlung Deutschlands in einen Bundesstaat forderten, ähnlich der in autonome Kantone aufgeteilten Schweiz. 423 404 Das Lied vom Bürgermeister Tschech entstand 1844. Tschech, der bis 1841 Bürgermeister in Storkow gewesen war, hatte am 26. Juli 1844 auf Friedrich Wilhelm IV. zwei Schüsse abgegeben, die aber ihr Ziel verfehlt hatten. Das Lied Von der Freifrau von Droste-Fischering entstand 1845 als eine Parodie auf den „heiligen Rock" in Trier, zu dem in jenen Jahren Wallfahrten durchgeführt wurden. Beide Lieder sind veröffentlicht in: „Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871", Bd. 2. 423 405 Im November/Dezember 1848 erfolgte der konterrevolutionäre Staatsstreich in Preußen, der die Periode der Reaktion einleitete. Am 1. November 1848 kam das offen konterrevolutionäre Ministerium Brandenburg-Manteuffel an die Macht. Am 9. November 1848 wurde der preußischen Nationalversammlung eine „Allerhöchste Botschaft" des Königs bekanntgegeben, durch welche die Vertagung der Versammlung und ihre Verlegung von Berlin nach dem Provinzstädtchen Brandenburg angeordnet wurde. Die in Berlin verbliebene Mehrheit der Nationalversammlung jagte General Wrangel am 15. November 1848 mit seinen Truppen auseinander. Der Staatsstreich endete mit der Auflösung der preußischen Nationalversammlung am 5. Dezember 1848 und der Veröffentlichung der sog. oktroyierten
Verfassung. Mit ihr wurde das Zweikammersystem eingeführt. Der König hatte das Recht, die von den Kammern beschlossenen Gesetze zu verwerfen oder einzelne Artikel der Verfassung selbst zu revidieren. Diese Verfassung enthielt jedoch noch einige demokratische Errungenschaften, insbesondere das allgemeine Wahlrecht. Ende April 1849 löste Friedrich Wilhelm die auf der Grundlage der oktroyierten Verfassung gewählte Zweite Kammer auf und erließ am 30. Mai 1849 ein neues Wahlgesetz, das das Dreiklassenwahlsystem einführte. Dieses System beruhte auf einem hohen Vermögenszensus und ungleicher Vertretung der verschiedenen Bevölkerungsschichten. Gestützt auf die servile Mehrheit des neuen Abgeordnetenhauses, erreichte der preußische König die Annahme einer noch reaktionäreren Verfassung, die am 31. Januar 1850 in Kraft trat. Die Erste Kammer (Herrenhaus), die sich hauptsächlich aus Vertretern des Adels zusammensetzte, blieb bestehen. Die Verfassung gab der Regierung das Recht, in Sachen des Hochverrats besondere Gerichte einzusetzen. Im November 1850 trat an die Stelle des Ministeriums BrandenburgManteuffel das Ministerium Manteuffel, unter dem die Periode der äußersten politischen Reaktion in Preußen bis November 1858 fortdauerte. 424 406 Wegen der unheilbaren Geisteskrankheit des preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV. wurde dessen Bruder, Prinz Wilhelm von Preußen, 1857 zu seinem Stellvertreter ernannt und in Oktober 1858 als Regent eingesetzt. (Nach dem Tode Friedrich Wilhelms IV. im Januar 1861 wurde der Prinzregent, unter dem Namen Wilhelm I., König von Preußen.) 1858 verabschiedete der Prinzregent das Kabinett Manteuffel und berief gemäßigte Liberale in die Regierung. In der bürgerlichen Presse wurde dieser Kurs in überschwenglicher Weise als Neue Ära gefeiert. In Wirklichkeit diente die Politik Wilhelms lediglich der Festigung der Machtpositionen der preußischen Monarchie und der Junker. Die Neue Ära bereitete faktisch die Diktatur Bismarcks vor, der im September 1862 an die Macht kam. 424 407 Die bürgerlich-liberale Mehrheit im Abgeordnetenhaus des Preußischen Landtags hatte sich im Februar 1860 geweigert, dem vom Kriegsminister von Roon eingebrachten Plan der Heeresreorganisation ihre Zustimmung zu geben. Die Regierung erreichte jedoch bald danach von der Bourgeoisie die Bewilligung der Mittel „für die fernere Kriegsbereitschaft und erhöhte Streitbarkeit des Heeres", was den Beginn der Verwirklichung der geplanten Reorganisation bedeutete. Im März 1862 weigerte sich die liberale Mehrheit der Kammer, die Militärausgaben zu bewilligen, woraufhin die Regierung den Landtag auflöste und Neuwahlen ansetzte. Ende September 1862 kam es zur Bildung des konterrevolutionären Ministeriums Bismarck, das im Oktober desselben Jahres abermals den Landtag auflöste und die Heeresreform durchzuführen begann, wofür es die Mittel ohne Bewilligung des Landtags ausgab. Die Frage der Reorganisation der preußischen Armee war der Anlaß zu dem sog. Verfassungskonflikt zwischen der preußischen Regierung und dem Abgeordnetenhaus, der erst 1866, als die Bourgeoisie nach dem Siege Preußens über Österreich vor Bismarck kapituliert hatte, gelöst wurde. 425 408 Entsprechend den Festlegungen des Londoner Protokolls über die Integrität der dänischen Monarchie, das am 8. Mai 1852 von Rußland, Österreich, England, Frankreich, Preußen und Schweden gemeinsam mit den Vertretern Dänemarks unterzeichnet wurde, blieb das Herzogtum Holstein im Deutschen Bund und wurde gleichzeitig Dänemark angegliedert. Das Herzogtum Schleswig ging in den Besitz des Dänischen Königreichs über, wobei es einige Sonderrechte behielt, die jedoch von den herrschenden Klassen Dänemarks nicht respektiert wurden. Diese ließen nicht ab von ihrem Bestreben, beide Herzogtümer völlig unter ihre Herrschaft zu bringen. Die dänische Regierung veröffentlichte 1855 eine Ver
fassung, die entgegen dem Londoner Protokoll die Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der beiden Herzogtümer ausschloß. Nur unter dem Druck des Deutschen Bundestags erklärte sich die dänische Regierung 1858 bereit, die Verfassung in Holstein nicht einzuführen unter der Bedingung, daß sich Holstein an den nationalen Ausgaben beteilige. Schleswig jedoch blieb vollständig eingegliedert im Dänischen Königreich. Am 13. November 1863 nahm das dänische Parlament eine neue Verfassung an, die den vollständigen Anschluß Schleswigs an Dänemark proklamierte. 426 409 Der Nationalverein wurde am 15./16. September 1859 auf dem Kongreß der bürgerlichen Liberalen der deutschen Staaten in Frankfurt a. M. gegründet. Die Organisatoren des Nationalvereins, die die Interessen der deutschen Bourgeoisie vertraten, stellten sich das Ziel, ganz Deutschland mit Ausnahme Österreichs unter der Hegemonie Preußens zu vereinigen. Nach dem Preußisch-Österreichischem Kriege 1866 und der Bildung des Norddeutschen Bundes erklärte sich der Verein im November 1867 für aufgelöst. 426 410 Anspielung auf Louis Bonapartes Buch „Des id£es napol£oniennes", das 1839 in Paris erschien. 427 411 Während des nationalen Befreiungsaufstandes in Polen wurde am 8. Februar 1863 in St. Petersburg auf Betreiben Bismarcks vom russischen Außenminister Gortschakow und dem Vertreter der preußischen Regierung General v. Alvensleben eine Konvention unterzeichnet. Die Konvention sah gemeinsame Truppenoperationen gegen die Aufständischen vor und gab den Truppen auch das Recht, bei der Verfolgung der Aufständischen die Staatsgrenzen überschreiten zu dürfen. Noch ehe die Konvention unterzeichnet wurde, besetzten preußische Truppen die Grenze, um den Übergang der Aufständischen auf preußisches Gebiet zu verhindern. Obgleich die Konvention nicht ratifiziert wurde, erleichterte ihr Abschluß der zaristischen Regierung in bedeutendem Maße die Unterdrückung des polnischen Aufstandes. 429 412 Österreich spielte während des schleswig-holsteinischen Befreiungskrieges gegen Dänemark 1848 -1850, in den an der Seite der Aufständischen auch Preußen und andere Staaten des Deutschen Bundes eingriffen (siehe Anm. 313), eine konterrevolutionäre Rolle. Österreich unterstützte zusammen mit anderen europäischen Mächten die dänische Monarchie und zwang Preußen im Juli 1850, mit Dänemark Frieden zu schließen, nachdem die schleswig-holsteinische Armee schwere Niederlagen erlitten hatte. Im Winter 1850/51 wurden auf Betreiben Österreichs österreichische und preußische Truppen nach Holstein entsandt, um die Entwaffnung der schleswig-holsteinischen Armee zu beschleunigen. 429 413 Nach dem Tode des dänischen Königs Friedrich VII. stellten Österreich und Preußen am 16. Januar 1864 der dänischen Regierung das Ultimatum, die Verfassung von 1863, die den vollständigen Anschluß Schleswigs an Dänemark proklamiert hatte, aufzuheben. Dänemark lehnte das Ultimatum ab; es kam zum Krieg, der mit der Niederlage des dänischen Heeres im Juli 1864 endete. Frankreich und Rußland wahrten während des ganzen Krieges Österreich und Preußen gegenüber wohlwollende Neutralität. Im Friedensvertrag, abgeschlossen in Wien am 30. Oktober 1864, wurden Schleswig und Holstein zum gemeinsamen Besitz Österreichs und Preußens erklärt und nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 Preußen angegliedert. 429 414 Das Warschauer Protokoll vom 5. Juni 1851, das von Rußland und Dänemark unterzeichnet worden war, sowie das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852 (siehe Anm. 408) legten die
Thronfolgeordnung für die Besitztümer der dänischen Krone, einschließlich der Herzogtümer Schleswig und Holstein, fest. 430 415 Zug nach Mexiko (1861 -1867) - eine bewaffnete Intervention Frankreichs (anfangs gemeinsam mit Spanien und England) in Mexiko, mit dem Ziel, die mexikanische Revolution niederzuschlagen und Mexiko in eine Kolonie der europäischen Großmächte zu verwandeln. Darüber hinaus wollten die Interventen Mexiko als Aufmarschgebiet für ihr Eingreifen in den Amerikanischen Bürgerkrieg und die Unterstützung der Sklavenhalterstaaten benutzen. Obwohl es den französischen Interventen im Sommer 1863 gelungen war, die Hauptstadt Mexiko einzunehmen und 1864 ein „Kaiserreich" mit dem Schützling Napoleons III., dem österreichischen Erzherzog Maximilian als Monarchen zu proklamieren, wurden den Franzosen von dem heroisch kämpfenden mexikanischen Volk schwere Niederlagen beigebracht. Im März 1867 war Frankreich gezwungen, seine Truppen aus Mexiko abzuziehen. Der mexikanische Feldzug hatte Frankreich riesige Summen gekostet und dem Zweiten Kaiserreich sehr geschadet. 431 416 Den Ausdruck frischer fröhlicher Krieg gebraucht zum erstenmal der reaktionäre Historiker und Publizist Heinrich Leo im Juni 1853 in Nr. 61 des „Volksblatts für Stadt und Land". Er wurde in den folgenden Jahren auch im militaristischen und chauvinistischen Sinne angewandt. 431 417 Es handelt sich hier um die diplomatische Vorbereitung des Preußisch-Österreichischen Krieges 1866 durch Bismarck. Anfang März 1866 gelang es von der Goltz, dem preußischen Botschafter in Paris, Napoleon III. zu der Erklärung zu veranlassen, daß er Preußen gegenüber im Falle eines Krieges mit Österreich wohlwollende Neutralität beobachten und Preußens Ansprüche auf die führende Rolle bei der Einigung der norddeutschen Staaten unterstützen werde gegen territoriale Kompensationen für Frankreich. Zur gleichen Zeit führte Bismarck in Berlin Verhandlungen mit dem italienischen General Govone über ein gemeinsames Vorgehen Italiens und Preußens in einem Kriege gegen Österreich. Bismarck, der damit rechnete, daß der Inhalt seiner Unterredung mit Govone Napoleon III. zur Kenntnis kommen werde, gab in diesen Gesprächen zu verstehen, daß er nichts dagegen einwenden werde, Frankreich das deutsche Gebiet zwischen Rhein und Mosel abzutreten, wenn Frankreich der Bildung einer preußisch-italienischen Allianz gegen Österreich freie Bahn ließe. Die Verhandlungen mit Govone endeten am 8. April 1866 mit dem Abschluß eines Geheimvertrages zwischen Preußen und Italien über ein Offensiv- und Defensivbündnis. Der Vertrag sah im Falle des Sieges über Österreich die Angliederung Venetiens an Italien vor. 432 418 deutscher Bürgerkrieg 1866 - Am Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 nahmen auf Österreichs Seite Sachsen, Hannover, Bayern, Baden, Württemberg, Kurhessen, HessenDarmstadt und andere Mitglieder des Deutschen Bundes teil. Auf Preußens Seite standen Mecklenburg, Oldenburg und einige andere norddeutsche Staaten sowie drei Freie Städte. 432 419 Im Juni 1866 führte Österreich im Bundestag Beschwerde, daß Preußen das Abkommen über die gemeinsame Verwaltung der Herzogtümer Schleswig und Holstein verletzt habe. Bismarck lehnte es ab, sich der Entscheidung des Bundestags zu unterwerfen, der hierauf auf Vorschlag Österreichs Preußen den Krieg erklärte. Die militärischen Erfolge Preußens zwangen den Bundestag im Verlaufe des Krieges, seinen Sitz von Frankfurt a. M. nach Augsburg zu verlegen und am 24. August 1866 seine Tätigkeit einzustellen. 432
39 Mane/Ensrels, Werke, Bd. 21
420 Den Wortlaut der „Ansprache an die Einwohner des glorreichen Königreichs Böhmen" sieheim „Königlich Preußischen Staats-Anzeiger" vom 11. Juli 1866. 433 421 Im September 1866 nahm der Preußische Landtag mit 230 gegen 75 Stimmen die von Bismarck eingebrachte sog. Indemnitätsvorlage, d. h. den Gesetzentwurf über die Entlastung der Regierung von der Verantwortung für die budgetlose Verwaltung während des Verfassungskonflikts (siehe Anm. 407) an. Somit endete der Verfassungskonflikt mit der völligen Kapitulation der bürgerlichen Opposition. 434 422 Bei Königgrätz - in der Nähe des Dorfes Sadowa - wurde am 3. Juli 1866 die entscheidende Schlacht des Preußisch-Österreichischen Krieges geschlagen. Sie endete mit einer vollständigen Niederlage der österreichischen Armee. 434 425 „The Manchester Guardian" - englische Zeitung, Organ der Anhänger des Freihandels (free-traders), später Organ der Liberalen Partei; erscheint seit 1821 in Manchester. 436 424Zollparlament - das 1867 gebildete oberste Organ des Zollvereins, der nach dem Kriege von 1866 und einem zwischen Preußen und den süddeutschen Staaten abgeschlossenen Vertrag vom 8. Juli 1867 umgebildet worden war. Das Zollparlament bestand aus den Mitgliedern des Norddeutschen Reichstages und Abgeordneten Bayerns, Badens, Württembergs und Hessens. Es sollte sich ausschließlich mit den Fragen der Handels- und Zollpolitik befassen; Bismarck hingegen verfolgte das Ziel, die Kompetenzen dieses Organs auf politische Fragen auszudehnen. Dabei stieß er auf den hartnäckigen Widerstand der Vertreter Süddeutschlands. 436 425 Mainlinie — Grenze zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten. 436 428 Die luxemburgischen deutschen Kaiser (Kaiser der Dynastie Luxemburg), die ursprünglich nur über die kleine Grafschaft Luxemburg verfügten, saßen mit Unterbrechungen von 1308 bis 1437 auf dem Thron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Gleichzeitig nannte diese Dynastie von 1310-1437 die tschechische Krone und von 1387 bis 1437 auch die ungarische Krone ihr eigen. 436 427 Nach dem in Wien am 3. Oktober 1866 zwischen Österreich und Italien geschlossenen Friedensvertrag wurde Venetien an Italien zurückgegeben. Italien hatte im Preußischösterreichischen Krieg 1866 an der Seite Preußens teilgenommen. Den Forderungen Italiens nach den zu Österreich gehörenden Gebieten Südtirol und Triest wurde jedoch nicht stattgegeben. 438 428 Metternichscher „geographischer Begriff" - ein vom österreichischen Kanzler Metternich auf Italien angewandter Ausdruck „Italien ist ein geographischer Name", den er in einer am 6. August 1847 an den Grafen Apponyi, Botschafter in Paris, gerichteten Depesche gebrauchte und später auch auf Deutschland anwandte. 438 429 Die Londoner Konferenz der Vertreter Österreichs, Rußlands, Preußens, Frankreichs, Italiens, Hollands, Belgiens und Luxemburgs über die luxemburgische Frage tagte unter dem Vorsitz des englischen Außenministers vom 7. bis 11. Mai 1867. Der am 11. Mai unterzeichnete Vertrag erklärte die Neutralität Luxemburgs. Der Herzogtitel blieb nach wie vor dem König der Niederlande vorbehalten. Die Neutralität Luxemburgs wurde von den Signatarmächten garantiert. Preußen mußte unverzüglich seine Garnison aus der Festung Luxemburg abziehen und Napoleon III. auf den Anschluß Luxemburgs an Frankreich verzichten. 438
430 In den Schlachten bei Spichern (Lothringen) und Wörth (Elsaß) am 6. August 1870 wurden einige französische Korps von den deutschen Truppen geschlagen. Dieser Sieg zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges ermöglichte es dem preußischen Generalstab offensiv zu operieren, im weiteren Verlauf des Krieges die französische Armee weiter aufzusplittern und ihre einzelnen Teile getrennt zu schlagen. 440 431 Revolution vom 4.September - Als in Paris die Nachricht von der vernichtenden Niederlage der französischen Armee bei Sedan einlief, kam es am 4. September 1870 in Paris zu einem revolutionären Massenaufstand. Das Regime des Zweiten Kaiserreichs wurde gestürzt und die Republik proklamiert. In die sog. Regierung der nationalen Verteidigung kamen jedoch neben gemäßigten Republikanern auch Monarchisten, die die wichtigsten Funktionen besetzten. An der Spitze dieser Regierung stand der Kommandant von Paris, Trochu. Ihr eigentlicher Inspirator war der Führer der orleanistischen Fraktion der Monarchisten, Thiers, der ursprünglich keine offiziellen Regierungsämter innehatte. Die Regierung der nationalen Verteidigung ließ sich in ihrer Politik von den Kapitulationsstimmungen der französischen Bourgeoisie und Gutsbesitzer und deren Furcht vor den Volksmassen leiten und „verwandelte sich in eine Regierung des nationalen Verrats" (siehe Band 17 unserer Ausgabe, S. 577). 440 432 preußische Landsturmordnung von 1813 - Am 21. April 1813 wurde in Preußen die „Verordnung über den Landsturm" erlassen, die die Bildung von Freiwilligenabteilungen vorsah. Diese Abteilungen hatten keine militärischen Uniformen; sie sollten im Hinterland und in den Flanken der napoleonischen Armee einen Partisanenkrieg führen. Die gesamte nicht dem Heer angehörende wehrfähige männliche Bevölkerung war verpflichtet, sich zum Landsturm zu stellen, wenn dieser aufgeboten wurde. Über die grausame Behandlung der französischen Franktireurs durch die preußische Armee siehe Engels' Artikelserie „Über den Krieg" (Band 17 unserer Ausgabe, S. 167-171 und 203 - 207). 441 483 Am 15. Januar 1871 kam es bei H$ricourt (in der Nähe von Beifort) zu einer bis zum ^.Januar andauernden Schlacht zwischen deutschen Truppen und der französischen Ostarmee unter dem Kommando Bourbakis. Dieser war in das Gebiet der südlichen Vogesen vorgedrungen, um von dort aus einen Flankenstoß gegen die Hauptverbindungslinie der deutschen Truppen zu führen, welche Paris belagerte. Die Angriffe der Ostarmee wurden von den Deutschen abgewehrt; Bourbaki mußte mit seiner Armee den Rückzug antreten, in dessen Verlauf diese gegen die Schweizer Grenze gedrängt und auf Schweizer Boden interniert wurde. Noch während des Rückzuges wurde von Jules Favre, dem Vertreter der Regierung der nationalen Verteidigung, am 28. Januar 1871 die Konvention mit Bismarck über den Waffenstillstand und die Kapitulation von Paris unterzeichnet. 441 434 Nach dem siegreichen Volksaufstand vom 18. März in 1848 Berlin zwangen die Aufständischen König Friedrich Wilhelm IV. am Morgen des 19. März, sich mit entblößtem Haupte vor den gefallenen Barrikadenkämpfern zu verneigen. 442 435 Nach dem Abschluß der Konvention über den Waffenstillstand und die Kapitulation von Paris am 28. Januar 1871 wurden die Kampfhandlungen zwischen Frankreich und Preußen nicht wieder aufgenommen. Die herrschenden Kreise Frankreichs, an ihrer Spitze Thiers, beeilten sich, den Präliminarfrieden am 26. Februar 1871 mit den von Bismarck diktierten Bedingungen zu unterzeichnen. Der endgültige Friedensvertrag wurde am 10. Mai 1871 in Frankfurt a. M. unterzeichnet. Er bestätigte die Annexion des Elsaß und des östlichen Teils
von Lothringen durch Deutschland. Der Vertrag erschwerte die Bedingungen für die von Frankreich zu zahlende Fünf-Milliarden-Kontribution und verlängerte die Besetzung französischen Territoriums durch deutsche Truppen. Faktisch war das der Preis für die Hilfe, die Bismarck der Versailler Regierung bei der Niederschlagung der Kommune geleistet hatte. 443 486 Durch den Westfälischen Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, fielen Elsaß und ein Teil Lothringens, die bis dahin den Habsburgern gehört hatten, an Frankreich. Straßburg blieb beim Deutschen Reich. Auf Befehl LudwigsXI V. vom 30. September 1681 wurde die Stadt als zum Elsaß gehörig von französischen Truppen besetzt. Die vom Bischof Fürstenberg geführte katholische Partei Straßburgs begrüßte den Anschluß an Frankreich und sorgte dafür, daß den Franzosen kein Widerstand geleistet wurde. 443 487 Ramionskammern (chambres de r£union) - von LudwigXIV. in den Jahren 1679/1680 eingesetzte Gerichte, die die Ansprüche Frankreichs auf diese oder jene Teile der Nachbarstaaten, vor allem am linken Rheinufer, juristisch und historisch begründen und als gerecht hinstellen mußten. Auf Grund der Urteile der Reunionskammern wurden die Gebiete von französischen Truppen besetzt und Frankreich angeschlossen. 443 438 Der Wiener Präliminarfrieden vom 3. Oktober 1735, abgeschlossen zwischen Österreich und Frankreich, beendete den sog. polnischen Erbfolgekrieg von 1733-1735. Der polnische Erbfolgekrieg wurde um die Besetzung des polnischen Throns geführt. Rußland und Österreich unterstützten die Kandidatur des sächsischen Kurfürsten - ab 1734 polnischer König August III. —, Frankreich strebte die Kandidatur des Schwiegervaters von König Ludwig XV., Stanislaus Leszczynski, an. In dem Vertrag verzichtete Ludwig XV. auf die polnische Thronkandidatur seines Schwiegervaters und machte den österreichischen Habsburgern eine Reihe weiterer Zugeständnisse. Stanislaus Leszczynski wurde dafür das Herzogtum Lothringen überlassen, das bis dahin Franz Stephan, Herzog von Lothringen, besessen hatte, der dafür mit Toskana entschädigt wurde. Lothringen sollte nach Leszczynskis Tod an die französische Krone fallen. Die Bedingungen des Präliminarfriedens wurden durch den Wiener Vertrag von 1738 endgültig bestätigt. 444 489 Festangsviereck in der Lombardei - eine stark befestigte Position, die durch die Festungen Verona, Legnago, Mantua und Peschiera gebildet wurde. Uber die Rolle dieses Festungsvierecks als Bollwerk der österreichischen Herrschaft in Oberitalien siehe Engels' Arbeiten „Wie Österreich Italien in Schach hält" und „Po und Rhein" in Band 13 unserer Ausgabe, S. 195-201 und 225-268. 446 440 Vergleiche die „Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg" (Band 17 unserer Ausgabe, S. 271-279). 447 ' 441 In seiner Reichstagsrede vom 6.Februar 1888, während der Debatte über den neuen Wehrgesetzentwurf, bestand Bismarck darauf, die Stärke der Streitkräfte zu erhöhen. Er gab faktisch zu, daß das Zustandekommen eines antideutschen Bündnisses zwischen Frankreich und dem zaristischen Rußland im Bereich des Möglichen liege, und pries gleichzeitig die Politik Alexanders III. gegenüber Deutschland, die Bismarck d?r damaligen deutschfeindlichen Kampagne in der russischen Presse gegenüberstellte. 447 442 Im Winter 1886/1887 benutzte Bismarck eine gewisse Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich und die in der Presse forcierte Kampagne über eine „Kriegsgefahr", um vom Reichstag die Annahme eines Gesetzentwurfs über eine
beträchtliche Verstärkung des Heeres und über die Bewilligung des Militärbudgets für die kommenden sieben Jahre zu fordern. Die Mehrheit der Abgeordneten lehnte eine Annahme dieses Gesetzentwurfs ab und wollte die Heeresverstärkung nur für drei Jahre bewilligen. Daraufhin wurde der Reichstag aufgelöst. Bei den Neuwahlen am 21. Februar 1887 erhielten die bismarckfreundlichen Parteien - die Konservativen, die Reichspartei (Freikonservative) und die Nationalliberalen, die sich zum sog. Kartell vereinigt hatten - die meisten Stimmen. Der neue Reichstag bewilligte das von Bismarck geforderte Budget. 448 448 nationaldeutscher Krach - Mit der Wirtschaftskrise von 1873 endete die Periode der sog. Gründerjahre, eine Periode stürmischen industriellen Aufschwungs, verbunden mit großen Spekulationen und Börsenmanipulationen, die nach der Beendigung des DeutschFranzösischen Krieges 1870/71 in Deutschland eingesetzt hatte. 451 444 Gemeint sind die Vertreter der im Juni 1861 gegründeten bürgerlichen Fortschrittspartei. Die Fortschrittspartei forderte die Einigung Deutschlands unter der Hegemonie Preußens, die Einberufung eines gesamtdeutschen Parlaments und die Schaffung eines starken liberalen, dem Abgeordnetenhaus gegenüber verantwortlichen Kabinetts. 1866 spaltete sich der rechte Flügel der Fortschrittspartei ab und bildete die Nationalliberale Partei, die vor der Bismarck-Regierung kapitulierte. Im Unterschied zu den Nationalliberalen bezeichneten sich die Fortschrittler auch nach der Reichseinigung 1871 noch als Oppositionspartei; diese Opposition blieb allerdings reine Deklaration. Aus Furcht vor der Arbeiterklasse und aus Haß gegen die sozialistische Bewegung akzeptierte die Fortschrittspartei die halbabsolutistischen Verhältnisse in Deutschland und schloß Frieden mit dem preußischen Junkertum. Die Schwankungen in der Politik der Fortschrittspartei spiegelten die Unbeständigkeit der Handelsbourgeoisie, der kleinen Industriellen und teilweise auch der Handwerker wider, auf die sie sich stützte. 1884 schlössen sich die Fortschrittler mit dem linken Flügel der Nationalliberalen zur Deutschfreisinnigen Partei zusammen. 452 445 Die sozialdemokratischen Arbeiter waren gespalten in den 1863 gegründeten lassalleanischen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (Lassalleaner) und in die 1869 in Eisenach gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Eisenacher). Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein war eine gesamtdeutsche politische Arbeiterorganisation, stand aber unter dem Einfluß der opportunistischen Ansichten Lassalles und seiner Nachfolger, die die Arbeiterbewegung in reformistische Bahnen zu lenken bestrebt waren, den ökonomischen Kampf und Gewerkschaftsorganisationen ablehnten, Bismarcks Politik der Einigung Deutschlands von oben unterstützten und mit ihm zu paktieren suchten. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei war mit Unterstützung von Marx und Engels geschaffen worden und wurde von Bebel und Liebknecht geführt; sie schloß sich der Internationalen Arbeiterassoziation an. Wenn ihr Programm auch verschiedene fehlerhafte Thesen enthielt, so stand die Partei doch insgesamt auf dem Boden des Marxismus; Lenin bezeichnete sie als die „Partei der Marxisten". Sie verfocht einen revolutionären proletarischen Standpunkt in der Frage der Einigung Deutschlands und in anderen Fragen und entlarvte den Reformismus und Nationalismus der Iassalleanischen Führer. Unter dem Einfluß der Einigungsbestrebungen der Arbeiter und der wachsenden Enttäuschung, die die Masse der Mitglieder des Iassalleanischen Vereins über die Dogmen und die Taktik ihrer Führer empfand, wurde 1875 auf dem Gothaer Kongreß die Vereinigung der beiden Richtungen zu einer einheitlichen Partei vollzogen. Diese trug bis 1890 den Namen Sozialistische . Arbeiterpartei Deutschlands. Dadurch war die Spaltung in den Reihen der deutschen
Arbeiterklasse überwunden. Das auf dem Gothaer Vereinigungskongreß angenommene * Programm der vereinten Sozialistischen Arbeiterpartei enthielt ernste Fehler und Zugeständnisse an den Lassalleanismus. Es wurde deshalb von Marx und Engels einer scharfen Kritik unterzogen. Der ideologische Kompromiß von Gotha trug zu einer Stärkung der opportunistischen Elemente in der deutschen Sozialdemokratie bei. 452 416 Die Konservative Partei war die Partei der preußischen Junker, der Militärkamarilla, der Spitzen der Bürokratie und des lutherischen Klerus. Sie leitete ihre Herkunft von dem äußersten rechten Flügel der monarchistischen Fraktion in der preußischen Nationalversammlung 1848 ab. Die Konservativen traten für die Erhaltung der feudalen Überreste und des reaktionären politischen Systems ein. Ihre Politik war vom Geist des kriegslüsternen Chauvinismus und Militarismus durchdrungen. Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes und in den ersten Jahren nach der Reichsgründung trat sie als rechte Opposition gegen die Bismarck-Regierung auf, da sie befürchtete, Bismarcks Politik werde Preußen in Deutschland „aufgehen" lassen. Bereits 1866 trennte sich von den Konservativen die sog. Freikonservative Partei (auch Reichspartei) ab, die die Interessen der Großagrarier und eines Teils der Industriemagnaten vertrat. Sie unterstützte vorbehaltlos Bismarcks Politik. 452 447 Verträge mit den süddeutschen Staaten (Baden, Hessen, Bayern, Württemberg) über ihren Beitritt zum Norddeutschen Bund wurden im November 1870 abgeschlossen. In ihnen wurde festgelegt, einige Abänderungen an der Verfassung des Norddeutschen Bundes vorzunehmen, die den Mitgliedstaaten des Bundes ein etwas größeres Maß an Selbständigkeit sichern sollten. Die Sonderrechte, die sich einige süddeutsche Staaten durch diese Verträge gesichert hatten, wurden in der am 16. April 1871 angenommenen Verfassung des Deutschen Reiches verankert. Bayern und Württemberg behielten unter anderem das Recht auf besondere Besteuerung von Bier und Branntwein und sicherten sich auch Sonderrechte in der Post- und Telegraphenverwaltung; Bayern behielt außerdem das Recht der eigenen Heeres- und Eisenbahnverwaltung. 455 448 Nach der Verfassung des Norddeutschen Bundes wurden die Mitglieder des Bundesrates von den Regierungen aller dem Bunde beigetretenen deutschen Staaten ernannt. Der Bundesrat sollte neben dem Reichstag die Gesetze beschließen und ihre Durchführung überwachen. 455 449 Siehe die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871, veröffentlicht im „ReichsGesetzblatt 1871", Berlin, Nr. 16, S. 68. 456 450 Schöffengerichte wurden in einigen deutschen Staaten nach der Revolution von 1848 und in ganz Deutschland 1871 eingeführt. Sie bestanden aus dem beamteten Richter und zwei Beisitzern (Schöffen), die an der Urteilsfindung beteiligt waren, wobei sie zum Unterschied von den Schwurgerichtsbeisitzern nicht nur die Schuld feststellten, sondern auch das Strafmaß bestimmten; ihre Urteilsfindung war anfechtbar. Zum Schöffenamt wurden nur Personen zugelassen, die das 30. Lebensjahr vollendet hatten, mindestens zwei Jahre in der Gemeinde ansässig waren und eine gesicherte Vermögenslage nachweisen konnten. Den Schöffengerichten oblag die Aburteilung leichterer Straftaten. 458 451 Das allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794, das eine Zusammenfassung des bürgerlichen Rechts, des Handels-, Wechsel-, See- und Versicherungsrechts, ferner des Straf-, Kirchen-, Staats- und Verwaltungsrechts war, verankerte den rückständigen
Charakter des feudalen Preußens in der Rechtsprechung. Es galt in wesentlichen Teilen bis 1900. 458 452 Im März 1888 wurde von der Regierung Salisbury (1886-1892) die Bill über eine Reform der englischen Lokalverwaltung eingebracht und im August desselben Jahres vom Parlament angenommen. Nach dieser Reform wurden die Aufgaben des Sheriffs von den gewählten Grafschaftsräten übernommen, die für die Steuereinziehung, für das örtliche Budget usw. zuständig waren. Zur Wahl der Grafschaftsräte waren alle Personen zugelassen, die das Parlamentswahlrecht besaßen, sowie Frauen über 30 Jahre. Durch diese bürgerlich-demokratische Reform wollte die konservative Regierung ihre Stellung festigen und die Aufmerksamkeit der breiten Volksschichten von den zunehmenden Ausgaben für Armee und Flotte sowie für die aggressive Außenpolitik ablenken. 460 453 UltTamontanismus - äußerst reaktionäre Richtung des Katholizismus, die jedes nationalkirchliche Bestreben ablehnte und das päpstliche Recht der Einmischung in die inneren Angelegenheiten jedes Staates verfocht. Der zunehmende Einfluß des Ultramontanismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts äußerte sich u. a. in der Bildung katholischer Parteien in verschiedenen europäischen Staaten und in der Proklamation des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes durch das Vatikanische Konzil im Jahre 1870. 460 454 Am 20.September 1870 marschierten in das bis dahin unter der Macht des Papstes stehende Rom die Truppen des italienischen Königreiches ein. Bei einer Volksabstimmung im Kirchenstaat am 2. Oktober erklärte sich die überwältigende Mehrheit seiner Einwohner für den Anschluß an Italien. Daraufhin verkündete ein königliches Dekret die Einverleibung Roms in Italien. Damit war die politische Einigung des Landes vollzogen und die weltliche Macht des Papstes aufgehoben. Das 1871 erlassene sog. Garantiegesetz beließ dem Papst die staatliche Souveränität nur innerhalb der Grenzen des Vatikans und Laterans sowie in der außerhalb der Stadt gelegenen Residenz. Der Papst exkommunizierte hierauf die für die Einnahme Roms Verantwortlichen, lehnte das Garantiegesetz ab und erklärte sich zum „Gefangenen im Vatikan". Der Konflikt zwischen dem Papst und der italienischen Regierung wurde erst 1929 offiziell beigelegt. 461 455 Gemeint sind die kleinen Abgeordnetengruppen der Polen und Elsässer im Reichstag sowie die nach 1866 in Hannover gebildete separatistische Deutsch-hannoversche Rechtspartei, deren Anhänger für eine Wiederherstellung des Königsreichs Hannover unter der weifischen Dynastie, die bis Einverleibung Hannovers in Preußen 1866 den Thron innehatte, eintraten. 461 156 Bismarckbeleidigung - gemeint ist die von Bismarck 1876/1877 erhobene Beleidigungsklage gegen einige konservative Journalisten und Politiker, die seine Teilnahme an Börsenspekulationen und am Gründungsfieber in der Presse entlarvt hatten. All das widerspiegelte die verschärften Spannungen zwischen der Regierung Bismarcks und den Konservativen, die seine Politik von rechts angriffen. Sozialistengesetz — siehe Anm. 178. 463 467 „Gang nach Canossa" nennt Engels ironisch die weitgehenden Zugeständnisse, die Bismarck in den Jahren von 1878 bis 1887 an die klerikalen Kreise und an Papst Leo XIII. gemacht hatte. Diese Zugeständnisse waren gleichsam das Eingeständnis der Erfolglosigkeit des „Kulturkampfes" und seines völligen Bankrotts. Bismarck, der zu Beginn des Konflikts mit der katholischen Kirche im Mai 1872 im Reichstag erklärt hatte: „Nach Canossa gehen wir nicht", mußte Ende der siebziger Jahre, als er die Unterstützung der katholischen Zentrumspartei brauchte (seine frühere Stütze, die Partei der Nationallibe
ralen, verlor immer mehr an Einfluß) und um die Gunst des Papstes warb, fast sämtliche während des Konflikts erlassenen katholikenfeindlichen Gesetze aufheben. Die Hauptvertreter der katholikenfeindlichen Politik zwang er zum Rücktritt. Der Ausdruck „nach Canossa gehen" wird abgeleitet von der demütigenden Pilgerfahrt des deutschen Kaisers Heinrich IV. nach Canossa (Norditalien) im Jahre 1077, wo er Papst Gregor VII. kniefällig um Aufhebung seiner Exkommunikation bat. 464 458 Septennat (aus dem Lateinischen „Septem" = „sieben") - Militärvorlage, die 1874 von Bismarck im Zusammenhang mit dem von ihm entfachten Geschrei über eine „Kriegsgefahr" seitens Frankreichs im Reichstag eingebracht wurde. Dieses Militärgesetz sah die Bewilligung des Militärbudgets und die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres auf 401000 Mann für sieben Jahre vor. 465 459 Dieses Fragment schrieb Engels in der zweiten Septemberhälfte 1888 auf dem Dampfer „City of New York", mit dem er in Begleitung von Eleanor Marx-Aveling, Edward Aveling und seinem Freunde Carl Schorlemmer von einer Amerikareise zurückkehrte. Engels hielt sich vom 17. August bis 19. September in Amerika auf. Er besuchte von New York aus Boston und andere nahe gelegene Städte, die Niagarafälle, den Ontariosee und machte auch einen Abstecher nach Kanada. Engels beabsichtigte, über diese Reise Skizzen zu schreiben, in denen er, wie nicht nur aus dem vorliegenden Fragment, sondern auch aus anderen erhalten gebliebenen Aufzeichnungen ersichtlich ist, eine Einschätzung des gesellschaftlichen und politischen Lebens des Landes geben wollte. Diese Absicht wurde nicht verwirklicht. Das vorliegende, auf einem Kopfbogen des Dampfers geschriebene Fragment stellt lediglich den Anfang der geplanten Arbeit dar. 466 460 Der vorliegende Auszug aus einem Briefe des russischen revolutionären Volkstümlers G.A. Lopatin an das Mitglied des Exekutivkomitees der Narodnaja Wolja, Oschanina, enthält eine Wiedergabe des Inhalts seiner Unterredung mit Friedrich Engels. Obwohl diese Unterredung selbstverständlich in der Interpretation Lopatins dargestellt wird und den Stempel seiner Volkstümler-Anschauungen trägt, wird eine Reihe Engelsscher Gedanken, die unter dem frischen Eindruck der Unterhaltung niedergeschrieben worden sind, von Lopatin offensichtlich mehr oder weniger genau wiedergegeben. Das Zusammentreffen mit Engels, das in dem Brief geschildert wird, fand am 19. September 1883 statt, einige Monate nach Lopatins Flucht aus der Verbannung in Wologda ins Ausland. Die Erstveröffentlichung dieses Auszuges erfolgte auf Initiative Lawrows und mit Engels' Einwilligung in dem Buch „Grundlagen des theoretischen Sozialismus und ihre Anwendung auf Rußland", Genf 1893. 487 461 Es handelt sich um den Brief des Exekutivkomitees der Narodnaja Wolja an Alexander III. vom 22. (10.) März 1881 (einige Tage nach dem 13. (1.) März 1881, als Zar Alexander II. von den Volkstümlern getötet worden war). In dem Briefe versprach das Exekutivkomitee, seine terroristische Tätigkeit unter der Bedingung einzustellen, daß der Zar eine allgemeine Amnestie für die politischen Gefangenen erlasse und die Zustimmung zur Durchführung allgemeiner Wahlen zu den Volksvertretungen gäbe, und zwar auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts, unter Gewährleistung uneingeschränkterPresse-, Rede- und Versammlungsfreiheit und freier Wählerprogramme. Das Exekutivkomitee erklärte ferner, daß es sich der Entscheidung der künftigen Volksversammlung unterwerfen werde. 489
462 Lopatin bezieht sich auf eine ironische Bemerkung von Marx, die dieser im Zusammenhang mit einigen sektiererischen und dogmatischen Fehlern machte, die von den französischen Marxisten in ihrem Kampf gegen die opportunistische Strömung der Possibilisten begangen worden waren. In seinem Brief an Lafargue vom 27. Oktober 1890 schrieb Engels, daß Marx damals anläßlich dieser Fehler folgendes gesagt hatte: „Alles, was ich weiß, ist, daß ich nicht Marxist bin." 489 468 Dem Artikel „Der Maiaufstand von 1849" lag ein Brief von Engels zugrunde, den er am 14. Oktober 1885 auf Bitten Paul Lafargues, der eine Lebensbeschreibung von Engels für eine Serie Biographien hervorragender Vertreter des internationalen Sozialismus vorbereitete, geschrieben hatte; Engels' Biographie erschien in „Le Socialiste". Der vorliegende Artikel wurde (ohne Unterschrift) am 2I.November 1885 als zweiter Abschnitt der Biographie von Engels in der gleichen Zeitung veröffentlicht. 489 464 Den Artikel „ Juristen-Sozialismus" hatte Engels im Oktober 1886 als Antwort auf das Buch „Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung" des österreichischen bürgerlichen Soziologen und Juristen Anton Menger geplant. Menger versucht darin nachzuweisen, daß Marx seine ökonomische Theorie bei den englischen utopischen Sozialisten der Ricardoschen Schule, insbesondere bei Thompson, entlehnt habe. Da Engels über diese Verleumdungen sowie über Mengers Verfälschung des Wesens der Marxschen Lehre unmöglich achtlos hinweggehen konnte, wollte er zunächst selbst Menger in der Presse zurechtweisen. Da er aber annehmen mußte, daß sein persönliches Auftreten gegen Menger bis zu einem gewissen Grade zur Reklame für diesen selbst in der bürgerlichen Wissenschaft bedeutungslosen Mann benutzt werden könnte, hielt er es für angebrachter, in einem redaktionellen Artikel der „Neuen Zeit" oder in einer von Karl Kautsky, dem Redakteur der Zeitschrift, veröffentlichten Rezension zu dem Buche Mengers diesem die gebührende Abfuhr zu erteilen. Engels veranlaßte daher Kautsky, einen Artikel gegen Menger zu verfassen. Engels selbst wollte ursprünglich den Hauptteil dazu schreiben, mußte jedoch wegen Krankheit die begonnene Arbeit abbrechen; unter Berücksichtigung der Hinweise von Engels hat Kautsky dann den Artikel zu Ende geschrieben und in der „Neuen Zeit", Heft 2, 1887, ohne Unterschrift veröffentlicht. Erst in dem 1905 herausgekommenen Index zu dieser Zeitschrift sind Engels und Kautsky als Verfasser dieses Artikels genannt. Als Artikel von Engels erschien dieser 1904 in französischer Sprache in Nr. 132 der Zeitschrift „Mouvement socialiste". Da die Handschrift dieses Artikels nicht aufzufinden ist und somit nicht festgestellt werden kann, welchen Teil des Artikels Engels und welchen Kautsky geschrieben hat, wird der Artikel im vorliegenden Band als Beilage vollständig wiedergegeben. 491 465 Karl Marx, „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" (siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 41/42). 498 466 Schiller, „Die Worte des Glaubens". 499 467 Unter diesem Titel erschien am 7.März 1831 im „Le Globe" einer jener Artikel von Barthäemy-Prosper Enfantin, die in der Zeit vom 28.November 1830 bis 18.Juni 1831 im „Le Globe" gedruckt worden waren und 1831 in Paris als Buch unter dem Titel „Economie politique et politique" erschienen. „Le Globe" — Tageszeitung, die von 1824 bis 1832 in Paris erschien. Vom 18. Januar 1831 an war sie das Organ der saint-simonistischen Schule. 500 468 Proudhon, „Systeme des contradictions £conomiques,ou philosophie de la misere", T. 1-2, Paris 1846. 500
469 Karl Marx, „Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons .Philosophie des Elends'" (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 63 -182). Anfang 1849 eröffnete Proudhon in der Pariser Vorstadt St. Denis eine sog. Volksbank. Diese sollte nach den von ihm entwickelten utopischen Prinzipien zinslosen Kredit gewähren und die von ihm gepredigte Zusammenarbeit des Proletariats mit'der Bourgeoisie verwirklichen helfen. Bereits nach zwei Monaten machte die Bank bankrott. 500 470 David Ricardo, „On the principles of political economy, and taxation", London 1817. S. 90-115. 506 471 In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts führte der bürgerliche Ökonom Lujo Brentano eine verleumderische anonyme Kampagne gegen Marx, in der er ihn der bewußten Fälschung eines Zitats aus der Rede Gladstones vom 16. April 1863 beschuldigte. Der betreffende Satz aus der Rede Gladstones war am 17. April 1863 in den Berichten fast aller Londoner Zeitungen („The Times", „The Morning Star", „Daily Telegraph" u. a.) über diese Parlamentssitzung nachzulesen, wurde aber in Hansards halbamtlicher Ausgabe der parlamentarischen Debatten, deren Text der Zensur durch die Redner selbst unterworfen war, weggelassen. In seiner Polemik beschuldigte Brentano hierauf Marx, der nach dem Zeitungsbericht zitiert hatte, der Fälschung und wissenschaftlichen Unzulänglichkeit. Marx antwortete auf diese Verleumdung in zwei Briefen an die Redaktion des „Volksstaats" vom 23. Mai und 28. Juli 1872 (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S. 89 - 92, 108-115). Nach dem Tode von Marx wurde im November 1883 die gleiche Beschuldigung von dem englischen bürgerlichen Ökonomen Taylor wiederholt. Diese Version einer angeblichen Zitatenfälschung wurde von Eleanor Marx im Februar und März 1884 in zwei Briefen an die Zeitschrift „To-day" und später von Engels im Juni 1890 in seinem Vorwort zur vierten deutschen Auflage des „Kapitals" (siehe Band 23 unserer Ausgabe, S. 41-46) sowie 1891 in seiner Broschüre „In Sachen Brentano contra Marx..." widerlegt. 506 472 Engels ersetzte in der 1892 erschienenen zweiten deutschen Auflage des „Elends der Philosophie" den von Marx 1847 angeführten Namen Hopkins durch Hodgskin und wies in der Vorbemerkung zu dieser Auflage auf die vorgenommene Korrektur hin (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 569, und Band 22). Die genannten Bände bringen, entsprechend der Angabe von Marx in der französischen Erstausgabe von 1847, den Namen Hopkins, da in den zwanziger Jahren sowohl von Thomas Hopkins als auch von Thomas Hodgskin ökonomische Schriften erschienen und Marx in seinem Werk nicht den genauen Titel der von ihm erwähnten Schrift anführt. 1822 erschien in London eine von Thomas Hopkins verfaßte Arbeit „Economical enquiries relative to the laws which regulate rent, wages, and the value of money". 1827 erschien ein Werk von Thomas Hodgskin mit dem Titel „Populär political economy..." Engels berichtigte in der obengenannten Auflage ebenfalls das in der Erstausgabe von 1847 irrtümlich angegebene Erscheinungsjahr von Thompsons Werk. 506 473 Die Korrekturen zum Programm der Sozialistischen Föderation in Nordengland nahm Engels auf Grund einer Bitte des englischen Arbeiters und Sozialisten John L. Mahon vor. In seinem Brief vom 22. Juni 1887, den er mit den Korrekturen an Mahon schickte, schätzte Engels das Programm als „instinktive Deklaration der Prinzipien der Arbeiterklasse" recht hoch ein. Gleichzeitig bemühte er sich, den theoretischen Gehalt dieses Dokuments zu heben, das die Grundlage bilden sollte für den Versuch der fortschrittlichen englischen Arbeiter, in England eine selbständige Arbeiterpartei zu schaffen. Die
Korrekturen von Engels beziehen sich auf den einleitenden Teil des Programms; sie würden auf dem Blatt vorgenommen, das den Text enthält. Sozialistische Föderation in Nordengland — Arbeiterorganisation, die in Northumberland am 30. April 1887 während des großen Bergarbeiterstreiks, der von Ende Februar bis 24. Juni 1887 dauerte, gegründet wurde. Die Initiatoren, John L. Mahon, Binning, Donald u.a., waren Arbeiter, Mitglieder der Sozialistischen Liga. 1887 entwickelte die Föderation eine rege Tätigkeit unter den Arbeitern, hauptsächlich unter den Bergarbeitern Northumberlands; es gelang ihr jedoch nicht, die erzielten Erfolge zu festigen; bald darauf stellte sie ihre Tätigkeit ein. 510 174 Das vorliegende Interview gewährte Engels dem Vertreter der „New Yorker Volkszeitung" am 19. September 1888, nachdem er seine Reise durch die USA beendet hatte. Engels hatte seine Reise geheimgehalten, weil er u. a. ein Zusammentreffen mit den deutschen Sozialisten in Amerika, deren Dogmatismus er scharf kritisierte, nicht wünschte und weil er sich vor den Presseleuten schützen wollte. Der Redakteur Jonas der „New Yorker Volkszeitung" hatte jedoch von Engels' Aufenthalt in New York Kenntnis erhalten und schickte daraufhin als Vertreter der Zeitung einen ehemaligen Funktionär der Internationalen Arbeiterassoziation, Theodor Cuno, zu ihm. Das Ergebnis der Unterredung war das vorliegende Interview, das diese Zeitung, ohne vorher die Zustimmung Engels' einzuholen, veröffentlichte. Am 13. Oktober wurde es, offensichtlich ohne Einwände von Seiten Engels', im „Sozialdemokrat" abgedruckt. 511 475 Hinweis auf die Vorrede zur zweiten russischen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 295/296). 512 476 Die ursprüngliche Variante dieses Pamphlets schrieb Bernstein auf Initiative von Engels als Antwort auf die in der „Justice" am 16. März 1889 veröffentlichte Notiz „Die deutschen .offiziellen' Sozialdemokraten und der Internationale Kongreß in Paris". Der von Engels redigierte Text des Pamphlets wurde in London in englischer Sprache als Broschüre herausgegeben und erschien danach in deutscher Übersetzung im „Sozialdemokrat" mit der Unterschrift Bernsteins als dem Redakteur dieser Zeitung. Das Pamphlet trug wesentlich dazu bei, die Intrigen der französischen Possibilisten zu entlarven, die mit Unterstützung der opportunistischen Führer der englischen Sozialdemokratischen Föderation (siehe Anm. 482) versuchten, sowohl die Einberufung als auch die Leitung des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses 1889 in Paris in ihre Hände zu bekommen. „ Justice" - Wochenzeitung, Organ der Sozialdemokratischen Föderation; erschien von 1884 bis 1925 in London. 512 477 Das Reichsgericht bestätigte das vom Landgericht Freiberg am 4. August 1886 über eine Gruppe führender Funktionäre der deutschen Sozialdemokratie (Bebel, Auer, Frohme u. a.) verhängte Urteil, wonach diese auf Grund der Verbreitung des „Sozialdemokrat", der den Untertitel „Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie" trug, der Zugehörigkeit zu einer „geheimen Verbindung" beschuldigt und zu unterschiedlich hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Bei der Verkündung des Urteils ging das Gericht vom Sozialistengesetz (siehe Anm. 178) aus. Nach der Bestätigung des Urteils durch das Reichsgericht hielt es die sozialdemokratische Fraktion des Reichstages für zweckmäßig, dem „Sozialdemokrat" nicht mehr den offiziellen Charakter eines Parteiorgans zu geben. Vom 5. November 1886 an erschien die Zeitung mit dem Untertitel „Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge". Dieser Beschluß wurde von Engels gebilligt. 513
178 „Londoner Freie Presse" - sozialistische Wochenzeitung, herausgegeben von den in London lebenden deutschen Emigranten; erschien ab 1886 als „Londoner Arbeiter-Zeitung" und von Oktober 1887 bis Juni 1890 unter dem zuerst genannten Titel. 513 479 „ Worlynens Advocate" — Wochenzeitung, Organ der Sozialistischen Arbeiterpartei der USA; erschien von 1885 bis April 1891 in New York. 513 480 „Recht voor Allen" - holländische sozialistische Zeitung, 1879 in Amsterdam von Nieuwenhuis gegründet. 514 481 Parlamentarisches Komitee - Vollzugsorgan des Ende der sechziger Jahre entstandenen britischen Gewerkschaftskongresses, der Vereinigung der Gewerkschaften Englands; seit 1871 wurde es jährlich auf den Kongressen der Trade-Unions gewählt und in der Zeit zwischen den Kongressen als Führungszentrum der Trade-Unions betrachtet. Das Komitee stellte die Kandidaten der Trade-Unions für das Parlament auf, unterstützte die im Interesse der Trade-Unions eingebrachten Gesetzentwürfe und bereitete die ordentlichen Kongresse vor. In dem Komitee überwogen die reformistischen Elemente, die ihre Politik im Sinne des konservativen Trade-Unionismus betrieben und sich auf die Arbeiteraristokratie stützten. 1921 wurde das Parlamentarische Komitee durch den Generalrat des Britischen Kongresses der Trade-Unions ersetzt. 516 482 Sozialdemokratische Föderation - englische sozialistische Organisation, die im August 1884 gegründet wurde und die verschiedenartigsten sozialistischen Elemente, vorwiegend aus Kreisen der Intelligenz, vereinigte. Die Leitung der Föderation lag lange Zeit in den Händen von Reformisten, an ihrer Spitze Hyndman, der eine opportunistische und sektiererische Politik betrieb. Die der Föderation beigetretene Gruppe revolutionärer Marxisten (Eleanor Marx-Aveling, Edward Aveling u. a.) kämpfte gegen die Linie Hyndmans für die Herstellung einer engen Verbindung mit den Massen der Arbeiterbewegung. Nachdem im Herbst 1884 die Spaltung der Föderation erfolgte und die Vertreter des linken Flügels eine selbständige Organisation - die Sozialistische Liga - bildeten, nahm der Einfluß der Opportunisten in der Föderation zu. Unter der Einwirkung der revolutionären Stimmungen der Massen innerhalb der Föderation ging jedoch der Prozeß der Formierung der revolutionären, mit der opportunistischen Führung unzufriedenen Elemente weiter. Sozialistische Ligue (Liga) - englische sozialistische Organisation, im Dezember 1884 von einer Gruppe Sozialisten gegründet, die aus der Sozialdemokratischen Föderation auf Grund ihrer Unzufriedenheit mit der opportunistischen Politik ihrer Führung ausgetreten waren. Zu den Organisatoren der Liga gehörten Eleanor Marx-Aveling, Edward Aveling, Ernest Beifort Bax, William Morris u. a. In den ersten Jahren des Bestehens der Liga nahmen viele ihrer Funktionäre aktiv an der Arbeiterbewegung teil. Aber bald gewannen anarchistische Elemente in der Liga die Oberhand, viele ihrer Organisatoren, darunter Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling, verließen ihre Reihen, und 1889 zerfiel sie. 516 537 488 In dem erwähnten Bericht des Parlamentarischen Komitees über die Ergebnisse des Internationalen Londoner Arbeiterkongresses 1888 wird die Zweckmäßigkeit des auf dem Kongreß angenommenen Beschlusses über die Einberufung eines neuen internationalen Arbeiterkongresses in Paris 1889 in Zweifel gestellt. 517 484 „Parti Ouvrier" - französische Zeitung, Organ der Possibilisten, im März 1888 in Paris gegründet. 521
485 Vorliegenden Brief schickte der französische Sozialist Charles Bonnier auf Initiative von Engels an die Redaktion des „Labour Elector". Bonnier befand sich damals gerade in London, wo er aktiv an der Vorbereitung des internationalen Sozialistenkongresses mitarbeitete. Mit dem Brief bezweckte man, vor den englischen Arbeitern die Intrigen der Possibilisten im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Kongresses zu entlarven. Aus einem am 7. Mai 1889 von Engels an Laura Lafargue geschriebenen Brief ist ersichtlich, daß das mit der Unterschrift von Bonnier veröffentlichte Schreiben von Engels selbst verfaßt worden ist. 523 486 Der vorliegende Aufruf wurde unter aktiver Beteiligung von Paul Lafargue mit dem Ziel geschrieben, die Arbeiter und die sozialistischen Organisationen aller Länder über die von den Sozialisten einer Reihe von Ländern auf der Haager Konferenz (im Februar 1889) gefaßten Beschlüsse hinsichtlich des bevorstehenden Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses zu informieren und sie zu diesem Kongreß einzuladen. Am 6. Mai 1889 schickte Lafargue den Aufruf an Engels, der ihn voll und ganz billigte, ihn ins Deutsche übersetzte und bei seiner Veröffentlichung in englischer und deutscher Sprache mitwirkte. In deutscher Sprache wurde der Aufruf in der Übersetzung von Engels 1889 im „Sozialdemokrat" vom 11. Mai und in der Übersetzung von Liebknecht im „Berliner Volksblatt" vom 10. Mai gedruckt; in englischer Sprache erschien er als Flugblatt sowie in den Zeitungen „The Labour Elector" vom 18. Mai und „The Commonweal" vom 25. Mai. 524 487 Die ursprüngliche Variante des vorliegenden Pamphlets wurde von Bernstein auf Initiative von Engels geschrieben. Es ist eine Erwiderung auf die von der opportunistischen Führung der Sozialdemokratischen Föderation entfachte Kampagne zur Unterstützung des von den Possibilisten nach Paris einberufenen Kongresses; die Kampagne sollte gleichzeitig eine erfolgreiche Durchführung des von den Marxisten vorbereiteten internationalen Arbeiterkongresses verhindern. Das Pamphlet wurde von Engels redigiert und erschien als Broschüre in englischer Sprache. Die „Bekanntmachung über die Einberufung des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses" (siehe Anm. 490) wurde der Broschüre als Anhang beigefügt. Die ursprüngliche Variante des Pamphlets erschien vollständig im „Sozialdemokrat" vom 30. März und 6. April 1889. Ein Auszug aus der von Engels redigierten Veröffentlichung des Pamphlets wurde im „Sozialdemokrat" vom 15. Juni des gleichen Jahres abgedruckt. Am gleichen Tage erschienen auch zwei weitere Auszüge in englischer Sprache im „Labour Elector". 526 488 „Prolitariat" - Wochenzeitung, offizielles Organ der possibilistischen Föderation der sozialistischen Arbeiter Frankreichs; erschien vom 5. April 1884 bis zum 25.Oktober 1890 in Paris. 536 488 Die Arbeiterpartei Belgiens hatte auf ihrem Nationalkongreß (April 1889) beschlossen, sowohl Delegierte zum Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongreß, der von den Marxisten einberufen wurde, als auch zu dem von den Possibilisten vorbereiteten Kongreß zu entsenden. 537 4,0 Die „Bekanntmachung über die Einberufung des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses" wurde von Paul Lafargue und anderen französischen Sozialisten verfaßt und am 14. Mai 1889 an Engels geschickt, der einige Korrekturen daran vornahm. Die Bekanntmachung wurde im Juni 1889 als Flugblatt in Paris in französischer und in London
in englischer Sprache gedruckt; in deutscher Sprache erschien sie im „Sozialdemokrat" vom l.Juni und im „Berliner Volksblatt" vom 2.Juni. In englischer Sprache wurde sie außerdem veröffentlicht im „Commonweal" vom 8. Juni und als Anhang in der Broschüre „Der Internationale Arbeiterkongreß von 1889. II. Eine Antwort auf das Manifest der Sozialdemokratischen Föderation" (siehe vorl. Band, S. 526-543). In den ersten Veröffentlichungen der Bekanntmachung fehlten noch Unterschriften von Sozialisten einiger Länder; mit Zunahme der Zustimmungserklärungen zu der Bekanntmachung wuchs auch die Zahl der Unterschriften. 544
Literaturverzeichnis einschließlich der von Engels erwähnten Schriften
Bei den von Engels zitierten Schriften werden, soweit sie sich feststellen ließen, die vermutlich von ihm benutzten Ausgaben angegeben. In einigen Fällen, besonders bei allgemeinen Quellen- und Literaturhinweisen, wird keine bestimmte Ausgabe angeführt. Gesetze und Dokumente werden nur dann nachgewiesen, wenn aus ihnen zitiert wurde. Einige Quellen konnten nicht ermittelt werden.
7. Werke und Aufsätze
genannter und anonymer Autoren
Agassiz, Louis: A journey in Brazil. London 1868. 56 Ammianus Marcellinus: Auszüge aus Ammianus Marcellinus, übersetzt von Dr. D. Coste. In: Die Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit in deutscher Bearbeitung. Urzeit. Bd. 2. Leipzig 1879. 71 Ancient laios and instituies of Wales. Vol. 1. o. 0. 1841 (siehe auch Anm. 106). 128 Annual report of the Secretary of the Treasury on the state of the finances for the year 1887. Washington 1887. 366 Aristophanes: Die Weiber am Thesmophorenfest. 67 Aristoteles: Politik. 105 Äschylos: Agamemnon. 65 - Die sieben gegen Theben. 103 - Die Schutzflehenden. 103 -Orestie. 475 476
Bachofen, J[ohann] J[akob]: Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur. Stuttgart 1861. 39 46 55 56 474 476 Bancroft, Hubert Hotoe: The native races of the pacific states of North America. Vol. 1-4. Leipzig 1875. 42 54-56 155
Bang, A[nton] Chr[istian]: Valuspaa og de Sibyllinske Orakler. Christiania 1879 [1880], 133 Becker, Wilhelm Adolph: Charikles, Bilder altgriechischer Sitte. Zur genaueren Kenntniss des griechischen Privatlebens. Th. 1-2. Leipzig 1840. Th. 2. 65 99 Beda Venerabiiis: Historiae ecclesiasticae gentis Anglorum. 130 Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des alten und neuen Testaments, nach der deutschen Übers. Martin Luthers. 8-12 15 - Das prophetische Buch Daniel. 12 - Evangelium des Johannes. 12 - Die Briefe des Johannes. 12 -Die Offenbarung des Johannes. 11-13 Bonaparte, Napoleon-Louis: Des id£es napol£oniennes. Paris 1839. 427 Borkheim, Sigismund: Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten. 1806-1807. Mit einer Einleitung von Fr. Engels. Zürich 1888. 349 Bougeart, Alfred: Marat, l'Ami du peuple. T. 1-2. Paris 1865. 21 Bray, J[ohn] F[rancis]: Labour's wrongs and Iabour's remedy; or, the age of might and the ageofright. Leedsl 839. 177 Bugge,Sophus: Studier over de nordiske Gude- og Heltesagns Oprindelse. Christiania 1881 bis 1889. 133
Cäsar, Cajus Julius: Der gallische Krieg. 34 47 131 135 Code Napoleon. 18 19 65 70
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. 382 Demosthenes: Rede gegen Eubulides. 98 [Dieizgen, Joseph:] Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit. Dargestellt von einem Handarbeiter. Eine abermalige Kritik der reinen und praktis chen Vernunft. Hamburg 1869. 293 Diodorus Siculus: Bibliothecae historicae quae supersunt. Vol. 4. 133 141 Dureau de la Malle: Economie politique des Romains. T. 1-2. Paris 1840. 125
Die Edda, die ältere und jüngere nebst den mythischen Erzählungen der Skalda, übersetzt und mit Erläuterungen begleitet von Karl Simrock. 2., verm. und verb. Aufl. Stuttgart und Augsburg 1855. 44 Edmonds, T[homas\ Ä[ou)e]: Practical moral and political economy; or, the government, religion, and institutions, most conducive to individual happiness and to national power. London 1828. 176 177 [Enfantin, Barihäemy-Prosper:] Les oisifs et les travailleurs. Fermages, loyers, intirets, salaires. In: Economie politique et politique. Paris 1831. 500 Engels, Frederick: The condition of the working class in England in 1844, with appendix written 1886, and preface 1887. Translated by Florence Kelley-Wischnewetzky. New York. 358
Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Hottingen-Zürich 1882. 462 - Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft. Philosophie. Politische Oekonomie. Sozialismus. Leipzig 1878. 462 - Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen. Leipzig 1845. 3 4 358 - L'origine della famiglia, della proprietä privata e dello stato. In relazione alle ricerche di Luigi H.Morgan. Versione reveduta dall' autore di P. Martignetti. Benevento 1885. 473 - Originä familiei, proprietä, ei private si a statului. In: Contemporanul. Iasi. September 1885 bis Mai 1886. 473 - Vorwort [zur ersten deutschen Ausgabe des zweiten Bandes des „Kapitals" von Karl Marx]. In: Karl Marx. Das Kapital. B. 2. Hamburg 1885. 175 - Zur Wohnungsfrage. H. 1-3. Separatabdruck aus dem „Volksstaat", Leipzig 1872[-I873]. 325 Espinas, Alfred: Des soci£t6s animales. Paris 1877. 40 Euripides: Orestes. 67
Die Falschmünzer oder die Agenten der russischen Regierung. Genf 1875. 189 Ferguson, Adam: An essay on the history of civil society. Edinburgh 1767. 236 Feuerbach, Ludwig: Fragmente zur Charakteristik meines philosophischen Curriculum vitae. In: Sämmtliche Werke. Bd. 2. Leipzig 1846. 287 - Grundsätze der Philosophie. Notwendigkeit einer Veränderung. In: Karl Grün: Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlass sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung. Bd. 1-2. Leipzig und Heidelberg 1874. Bd. 1. 286 - Zur Moralphilosophie. Ebendort, Bd. 2. 288 - Noth meistert alle Gesetze und hebt sie auf. Ebendort, Bd. 2. 286 -Das Wesen des Christentums. Leipzig 1841. 272 - Wider den Dualismus von Leib und Seele, Fleisch und Geist. In: Sämmtliche Werke. Bd. 2. Leipzig 1846. 286 288 Fison, Lorimer, and A. W.Howitt: Kamilaroi and Kurnai. Group-marriage and relationship, and marriage by elopement. Melbourne, Sydney, Adelaide, and Brisbane 1880. 49 Fourier, C[harles]: Theorie de l'unit£ universelle. Vol. 3. In: CEuvres completes. 2me 6d. T. 4. Paris 1841. 73 - Theorie des quatre mouvements et des destin&s g<5n<5rales. In: CEuvres completes.3me£d, T.I.Paris 1846. 150 172 Freeman, Eduard A[ugustus]: Comperative politics. London 1873. 29 Fustel de Coulanges: La cit£ antique £tude sur le culte, le droit, les institutions de la Grece et de Rome. Paris-Strasbourg 1864. 102
Giraud-Teulon, y4[feris].- Les origines de la famille questions sur les ant£c£dents des sociÄtes patriarcales. Geneve-Paris 1874. 480 - Les origines du mariage et de la famille. Geneve-Paris 1884. 40 41 482
40 Marx/Engels, Werke, Bd. 21
Gladstone, William Ewart: Juventus Mundi. The gods and men of the heroic age. London 1869. 103 Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil. 267 Gray, John: The social system. A treatise on the principle of exchange. Edinburgh 1831.180 Grote, George: A history of Greece; from the earliest period to the close of the generation contemporary with Alexander the Great. Vol. 3. London 1869. 98-101 Grün, Karl: Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlass sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung. Bd. 1-2. Leipzig und Heidelberg 1874. Bd. 2. 278 280 281 Gutrun (Kudrun). 79
Hegel, Georg WilhelmFriedrich: Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Hrsg. von Leopold von Hennig. Th. 1. Die Logik. In: Werke. Vollst. Ausg. durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Bd. 6. Berlin 1833. 266 - Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Hrsg. von Eduard Gans. Ebendort, Bd. 8. Berlin 1833. 165 266 269 287 - Phänomenologie des Geistes. Hrsg. von Johann Schulze. Ebendort, Bd. 2. Berlin 1832. 281 - Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Hrsg. von Eduard Gans. Ebendort, Bd. 9. Berlin 1837. 298 - Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Nebst einer Schrift über die Beweise vom Daseyn Gottes. Hrsg. von Philipp Marheineke. Ebendort, Bd. 12. Berlin 1840. 287 -Wissenschaft der Logik. Hrsg. von Leopold von Henning. Ebendort, Bd. 3-5. Berlin 1833-1834. 268 292 Heine, Heinrich: Atta Troll. Ein Sommernachtstraum. 6 Herodot: Geschichten. 67 Heusler, Andreas: Institutionen des Deutschen Privatrechts. Bd. 2. Leipzig 1886. 63 Hildebrandslied. In: Heinrich Kurz: Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller. 4. Aufl. Bd. 1. Leipzig 1864. 132158 Historische Volkslieder derZeit von 1756 bis 1871. Hrsg. von Franz Wilhelm von Ditfurth. Bd. 2. Berlin 1871-1872. 423 Homer: Odyssee. 65 114 -Ilias. 34 65 101 104 Höpfner, E[duaxd Don]: Der Krieg von 1806 und 1807. Ein Beitrag zur Geschichte der Preußischen Armee nach den Quellen des Kriegs-Archivs bearbeitet. 2. Aufl. Bd. 1-4. Berlin 1855. 349 350
Irenaus: Fünf Bücher gegen alle Häresien, oder Entlarvung und Widerlegung der falschen Gnosis. In: Ausgewählte Schriften. Nach dem Urtext übersetzt von Heinrich Hayd. Bd. 1. Kempten 1872. 13
Kolb, G[eorg] Fr[iedrichl: Handbuch der vergleichenden Statistik der Völkerzustands- und Staatenkunde. 7., auf Grundlage der neuesten staatlichen Gestaltungen bearb. Aufl. Leipzig 1875. 369 Kovcdeosky, Maxime: Tableau des origines et de Involution de la famille et de la proprio. Stockholm 1890. 60 62 127 136 [Kowalewski] KoeajieecKiü, MancuMh: IlepBoßLiTHoe npaßo. Bli nyCK 1. Pofffc. MocKBa 1886. 62 131
Lange, Ludwig: Römische Alterthümer. Bd. 1. Berlin 1856. 122 Lassalle, Ferdinand: Das System der erworbenen Rechte. Th. 1-2. Leipzig 1861. 171 Latham, Robert Gordon: Descriptive ethnology. Vol. 1-2. London 1859. 478 Letourneau, Ch[arles]: L'6voIution du mariage et de la famille. Paris 1888. 39 40 Liutprand von Cremona: Antapodosis. 145 Livius, Titus: Ab urbe condita. 120 Longos (Longus): Daphnis und Chloe. 78 Lubbock, John: The origin of civilisation and the primitive condition of man. London 1870. 479 480 Das Ludwigslied. In: Hausschatz der Volkspoesie. Sammlung der vorzüglichsten und eigenthümlichsten Volkslieder aller Länder und Zeiten in metrischen dt. Uebers. Besorgt u. hrsg. von O.L.B.Wolff. Leipzig 1846. 396
Maine, Henry Stornier: Ancient law: its connection with the early history of society, and its relation to modern ideas. 3rd ed. London 1866. 80 Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 3. Aufl. Hamburg 1885. 248 - The Civil War in France. Address of the General Council of the International WorkingMen's Association. 2nd ed. rev. London 1871. 358 - Das Elend der Philosophie. Antwort auf Proudhons .Philosophie des Elends'. Stuttgart 1885. 176 177 328 360 - Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln. Basel 1853. 206 222 - Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Bd. 1.3. verm. Aufl. Hamburg 1883. 27 152 175 176 187 229-237 254 327 333 339 359 - 361 452 -Zur Kritik der Politischen Oekonomie. Erstes Heft. Berlin 1859. 177 187 263 - Lohnarbeit und Kapital. In: Neue Rheinische Zeitung. Köln. Nr. 264 -267 und 269, April 1849. 22 - Misere de la philosophie. Räponse ä la philosophie de la misere de M.Proudhon. ParisBruxelles 1847. 177 187 506 507 Marx, Karl, und Friedrich Engels: Die heilige Familie, oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer und Consorten. Frankfurt a. M. 1845. 272 290 -Manifest der Kommunistischen Partei. London 1848. 3 4 16 17 206 214 219 327 342 352-354 357-359 Maurer, Georg Ludwig von: Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadt-Verfassung und der öffentlichen Gewalt. München 1854. 95
Maurer, Georg Ludwig von: Geschichte der Dorfverfassung in Deutschfand. Bd. 1-2. Erlangen 1865-1866. 95 - Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung in Deutschland. Bd. 1-4. Erlangen 1862-1863. 95 - Geschichte der Marfeenverfassung in Deutschland. Erlangen 1856. 95 - Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. Bd. 1-4. Erlangen 1869-1871. 95 134 McLennan, John Ferguson: Primitive marriage. An inquiry into the origin of the form of capture in marriage ceremonies. Edinburgh 1865. 37 127 477 478 - Studies in ancient history comprising a reprint of „Primitive marriage. An inquiry into the origin of the form of capture in marriage ceremonies". A new ed. London and New York 1886. 37 477 Mützen, August: Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Preussischen Staates nach dem Gebietsumfange vor 1866. Bd. 1. Berlin 1868. 245 247 Menger, Anton: Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung. Stuttgart 1886. 494-509 Moliere: George Dandin, ou le mari confondu. 162 Mommsen, Th[eodor]: Römische Forschungen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin 1864. 119 120 - Römische Geschichte. 5. Aufl. Bd. 1-3. Berlin 1868-1869. 123 Morgan, Lewis H[enry]: Ancient society, or researches in the lines of human progressfrom savagery, through barbarism to civilization. London 1877. 27 28 30 36 -38 45 52 61 68 84 85 92 103 115 130 152 172 173 480 481 - League of the ho-d6-no-sau-nee, or Iroquois. Rochester 1851. 478 - Systems of consanguinity and affinity of the human family. Washington 1871. 48 49 85 479 - Die Urgesellschaft. Untersuchungen über den Fortschritt der Menschheit aus der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation. Aus dem Englischen übertragen von W. Eichhoff unter Mitw. von Karl Kautsky. Stuttgart 1891. 481
Das Nibelungenlied. In: Karl Simrock: Das Heldenbuch. Bd. 2. Stuttgart und Augsburg 1856. 79 323 Niebuhr,B[arthold] G[eorg]; Römische Geschichte. 3. Ausg. Bd. 1-3. Berlin 1828. 123
Persius: Satiren. 11 Plinius: Naturgeschichte. 137 142 Plutarch: Moralische Schriften. 66 Prokop: Der Gotenkrieg. 71 Proudhon,P[ierre]-Jloseph]: Systeme des contradictions «konomiques, ou philosophie de la misere. T. 1-2. Paris 1846. 175 500
Regnault, Elias: Histoire politique et sociale des principaut6s danubiennes.Paris 1855. 189 Report of the fifty-third meeting of the British Association for the Advancement of Science; held at Southport in September 1883. London 1884. 196
Report of the Royal Commission ort the housing of the working classes. England and Wales. 1885. 252 Ricardo, David: On the principles of political economy, and taxation. London 1817. 176 506 - On the principles of political economy, and taxation. 3rd ed. London 1821. 179 Rodbertus-Jagetzow, [Johann Karl]; Zur Erkenntniß unsrer staatswirthschaftlichen Zustände. Neubrandenburg und Friedland 1842. 175 180-182 186 - Sociale Briefe an von Kirchmann. Berlin 1850-1851. 176
Salvianvs von Marseille: De gubernatione dei. 145 148 Sax, Dr. Emil: Die Wohnungszustände der arbeitenden Classen und ihre Reform. Wien 1869. 326 Schoemann, G[eorg] F[riedrich]: Griechische Alterthümer. Berlin 1855. 66 103 Semo-Solowjewitsch, A.: Unsere russischen Angelegenheiten. Antwort auf den Artikel des Herrn Herzen: Die Ordnung herrscht! (Kolokol Nr. 233). Aus dem Russischen übers, von S.L. Borkheim. Leipzig 1871. 348 The source and remedy of the national difficulties, deduced from principles of political economy, in: A letter to Lord John Russell. London 1821. 176 Spruner-Menke: Hand-Atlas zur Geschichte des Mittelalters und der neueren Zeit. 3. Aufl. Gotha 1874. 395 Starcke, Carl Nicolai: Ludwig Feuerbach. Stuttgart 1885. 264 265 281 283 284 287 Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 30. Mai 1849 einberufenen Zweiten Kammer. Bd. 2. Berlin 1849. 246 Stimer, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig 1845. 271 Strauß, David Friedrich: Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft. Bd. 1-2. Tübingen und Stuttgart 1840 bis 1841. 281 -Das Leben Jesu. Bd. 1-2. Tübingen 1835-1836. 271 291 Sugenheim, Samuel: Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa bis um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. St.Petersburg 1861. 57
Tacitus: Historien. 13 - Germania. 28 34 71 92 132 134-136 480 Thompson, William: An inquiry into the principles of the distribution of wealth most conducive to human happiness. London 1824. 176 502-504 - An inquiry into the principles of the distribution of wealth most conducive to human happiness. A new ed. by William Pare. London 1850. 507 Thakydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges. 105 Tylor, Edward Burnet: Researches into the early history of mankind and the development of civilization. London 1865. 474
Völuspä. In: Altnordisches Lesebuch. Aus der skandinavischen Poesie und Prosa bis zum XIV. Jahrhundert, zusammengestellt... von Franz Eduard Christoph Dietrich. 2. Aufl. Leipzig 1864. 133 134
Wachsmath, Wilhelm: Hellenische Alterthumskunde aus dem Gesichtspunkte des Staates. Th. 1-2. Halle 1826-1830. 67 99 Wagner, Adolph: Vorwort zu: Rodbertus: Das Kapital. Vierter socialer Brief an von Kirchmann. Berlin 1884. 180 Wagner, Richard: Die Walküre. Erster Tag aus der Trilogie: Der Ring des Nibelungen. 44 Watson, J[ohn] Forbes, and John William Kaye: The people of India. A series of photographic illustrations. With descriptive letterpress, of the races and tribes of Hindustan, originally prepared under the authority of the government of India, and reproduced by order of the Secretary of State for India in council. Vol. 2. London 1868. 47 Weerth, Georg: Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski. 6 Weitling, Wilhelm: Das Evangelium des armen Sünders. 2. vollst, verm. und verb. Aufl. Birsfeld 1846. 214 WermuthjStieber: Die Communisten-Verschwörungen des neunzehnten Jahrhunderts. Im amtl. Auftr. zur Benutzung der Polizei-Behörden der sämmtl. deutschen Bundesstaaten... dargest. Th. 1-2, Berlin 1853-1854. 206 215 Westermarck, Edward: The history of human marriage. London and New York 1891. 40 43 55 Wolff, Wilhelm: Die schlesische Milliarde. Hottingen-Zürich 1886. 22
Zurita, Alonzo de: Rapport sur les diffgrentes classes de chefs de la Nouvelle-Espagne, sur les lois, les moeurs des habitants, sur les impöts £tablis avant et depuis la conquete, etc., etc. In: Voyages, relations et m£moires originaux pour servir ä l'histoire de la d&ouverte de l'Amgrique, pubh6s pour la premiere fois en franjais, par H. Ternaux-Compans. T. 11. Paris 1840. 63
II. Periodica
L'Ami du peuple. Paris (siehe auch Anm. 19). 21 Das Ausland. Ueberschau der neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Natur-, Erd- und Völkerkunde. Stuttgart (siehe auch Anm. 60). 63
The Commonweal. London (siehe auch Anm. 158). 191 -vom I.März 1885. 256
Deutsche-Brüsseler-Zeitung (siehe auch Anm. 196). 212 Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst. Leipzig 1841-1843 (siehe auch Anm. 250). 271 Deutsch-Französische Jahrbücher. Hrsg. von Arnold Rüge und Karl Marx. Lfg. 1 und 2. Paris 1844 (siehe auch Anm. 195). 211
Frankfurter Zeitung und Handelsblatt (siehe auch Anm. 173). 201
Le Globe. Paris (siehe auch Anm. 467). 500
Justice. London (siehe auch Anm. 476). 512-514 517 520-523 539 541 -vom27.Oktober 1888. 527 -vom 19.Januar 1889. 521 - vom 28. Januar 1889. 521 -vom2.Februar 1889. 521 -vom 16.März 1889. 512 -vom 27.April 1889. 523 -vom 25.Mai 1889. 526 540
Kölnische Zeitung (siehe auch Anm. 24). 23 229 441 Kolokol(KoAOKOAb). London, Genf (siehe auch Anm. 319). 354 Kreuz-Zeitung siehe Neue Preußische Zeitung
The Labotrr Elector. London (siehe auch Anm. 341). 379 523 -vom 28.Mai 1888. 528 The Labour Leader. London. Vol. 1, Nr. 5, Juni 1889 (siehe auch Anm. 337). 376 Londoner FreiePresse (siehe auch Anm. 478). 513
The Manchester Guardian (siehe auch Anm. 423). 436 MissouriRepublican. St. Louis (siehe auch Anm. 271). 308
Neue Preußische Zeitung. Berlin (siehe auch Anm. 16). 20 201 Neue RheinischeZeitung. Organ der Demokratie. Köln (siehe auch Anm. 3). 6—8 16 1923 199 200 218 246 490 -vom I.Juni 1848. 20 -vom 2.Juni 1848. 18 Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue. H. 1-6. London, Hamburg und New York 1850 (siehe auch Anm. 206). 221 Die NeueZeit. Stuttgart. H. 4 u. 5, Jg. 1886 (siehe auch Anm. 138). 175 264 484 New Yorker Volkszeitung (siehe auch Anm. 271). 308 The Northern Star. London (siehe auch Anm. 197). 212 213
The Poll Moll Gazette. London (siehe auch Anm. 157). 188 Parti Ouvrier. Paris (siehe auch Anm. 484). 521 522 Progress. London, Vol. 2, August 1883 (siehe auch Anm. 5). 9
The Quarterly Review. Vol. 71. London 1843 (siehe auch Anm. 159). 191
Recht voor Allen. Amsterdam (siehe auch Anm. 480). 514 The Red Republican. London (siehe auch Anm. 315). 352 La Reforme. Paris (siehe auch Anm. 198). 213
Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe. Köln (siehe auch Anm. 251). 271 422
Science. USA. 306 Der Social-Demokrat. Berlin (siehe auch Anm. 139). 175 -vom 1., 3. und 5.Februar 1865. 175 El Socialista. Madrid (siehe auch Anm. 344). 381 Le Socialiste. New York (siehe auch Anm. 318). 354 Le Socialiste. Paris (siehe auch Anm. 208). 225 Der Sozialdemokrat. Zürich-London (siehe auch Anm. 2). 8 349 424 513 515 520 541 Der Sozialist. New York (siehe auch Anm. 275). 310 515 -vom2.März 1889. 513 The Star. London (siehe auch Anm. 342). 379 Time. London (siehe auch Anm. 297). 355 To-day. London (siehe auch Anm. 212). 229
Der Volksstaat. Organ der sozial-demokratischen Arbeiterpartei und der Internationalen Gewerksgenossenschaften. Leipzig (siehe auch Anm. 290). 325 326 349 Der Volks-Tribun. Organ des jungen Amerika. New York (siehe auch Anm. 199). 213 Der Vorbote. Politische und sozial-ökonomische Monatsschrift. Genf (siehe auch Anm. 288). 323 Vorwärts! Pariser Deutsche Zeitschrift (siehe auch Anm. 194). 209 -vom 10.August 1844. 209
Woodhull & Claflins Weekly. New York (siehe auch Anm. 317). 354 Workmens Advocate. New York (siehe auch Anm. 479). 513
DieZukunft. Königsberg, Berlin (siehe auch Anm. 311). 349
Friedrich Engels Daten aus seinem Leben und seiner Tätigkeit (Mai 1883 bis Dezember 1889)
1883
Mai bis Dezember
10. Mai
Ende Mai
Juni bis Mitte Oktober Erste Hälfte Juni
12. Juni bis 27 August
Engels, der die Vollendung der von Marx nicht mehr abgeschlossenen theoretischen Arbeiten und die Veröffentlichung seines literarischen Nachlasses von großer Bedeutung für die internationale Arbeiterbewegung ansieht, setzt die Arbeit an dem handschriftlichen Nachlaß von Marx fort. Insbesondere widmet er sich den Manuskripten des „Kapitals", fertigt von einigen Aufzeichnungen an, wählt einzelne Arbeiten für Neuausgaben aus und sichtet Marx' Briefwechsel. Im Zusammenhang mit dem fortgesetzten Auftreten opportunistischer Elemente innerhalb der deutschen Sozialdemokratie betont Engels in einem Brief an August Bebel die Notwendigkeit, entschieden gegen die Opportunisten zu kämpfen sowie die Unvermeidlichkeit des Bruches mit ihnen. Er bemerkt jedoch, daß aus taktischen Erwägungen ein solcher Bruch nicht forciert werden darf, solange das Sozialistengesetz noch in Kraft ist. Engels findet unter dem handschriftlichen Nachlaß von Marx Georg Weerths Gedicht „Handwerksburschenlied" und schreibt daraufhin einen Artikel zum Gedenken an Weerth. Gedicht und Artikel erscheinen unter dem Titel „Handwerksburschenlied. Von Georg Weerth (1846)" im „Sozialdemokrat" vom 7. Juni. Engels arbeitet an der Korrektur der dritten deutschen Auflage des ersten Bandes des „Kapitals", die Marx nicht mehr beenden konnte. Um die Herausgabe des ersten Bandes des „Kapitals" in englischer Sprache zu beschleunigen, verhandelt Engels mit dem Londoner Verleger P. Kegan & Co.; als Übersetzer schlägt er seinen Freund, den englischen Juristen Samuel Moore, ein ehemaliges Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation, vor. Da ein bestimmter Teil der deutschen Sozialdemokraten weiterhin unter dem Einfluß deslassalleanischen Dogmas - gegenüber der Arbeiterklasse seien alle andren Klassen nur eine reaktionäre Masse - steht, erläutert
Zweite Hälfte Juni
28. Juni
August
Mitte August bis Anfang Oktober
17. August bis 14. September
Ende August
30. August
Engels in einer Reihe von Briefen an führende Vertreter der Partei die Frage der Verbündeten des Proletariats sowie die Frage der Taktik der proletarischen Partei in der bevorstehenden Revolution in Deutschland; er empfiehlt auch der deutschen Sozialdemokratie, die Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klassen auszunützen; er weist darauf hin, daß die nächste Aufgabe in Deutschland die Errichtung der bürgerlichen Republik sein muß, die nur eine kurzfristige Ubergangsphase zum Siege der Diktatur des Proletariats sein würde. Engels sieht die von dem italienischen Sozialisten Pasquale Martignetti angefertigte italienische Übersetzung seiner Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" durch und äußert sich anerkennend über die Qualität der Übersetzung; die Broschüre geht im Juli in Benevento in Druck. Engels schreibt ein Vorwort zur dritten deutschen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei", die 1883 in Zürich erscheint. Engels' Artikel „Das Buchi der Offenbarung", der die Geschichte des Urchristentums behandelt, wird im Londoner „Progress", der eine Zeitlang sozialistischen Kreisen nahestand, veröffentlicht. Engels liest das von dem französischen Sozialisten Gabriel Deville angefertigte Manuskript der gekürzten, mit einem Anhang über den wissenschaftlichen Sozialismus versehenen Ausgabe des ersten Bandes des „Kapitals". Den theoretischen Teil schätzt Engels als gelungen ein, unterzieht jedoch den darstellenden Teil einer ernsten Kritik. Er stellt fest, daß dieser in zu großer Eile geschrieben wurde, mitunter unverständlich und fehlerhaft ist und dadurch keine richtige Vorstellung von Marx' Werk hinterläßt. Engels weilt zur Erholung in Eastbourne (an der Südküste Englands).
Engels beginnt die ersten Kapitel der englischen Übersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" zu redigieren; an dieser Übersetzung arbeitet er neben der Lösung anderer Aufgaben etwa drei Jahre. Engels informiert Bebel über den Stand der sozialistischen Bewegung in England, wobei er auf die positive Tatsache hinweist, daß die Demokratische Föderation, an deren Spitze Henry Mayers Hyndman steht, genötigt ist, die marxistische Theorie anzuerkennen. Gleichzeitig stellt er fest, daß diese Organisation von den Massen der Arbeiter, die sich weiterhin unter dem Einfluß der liberalen Bourgeoisie befinden, isoliert ist. Engels betont, daß die ökonomische Grundlage dieser Beeinflussung Englands Industrie- und Handelsmonopol ist, das der Bourgeoisie erlaubt, systematisch einen gewissen Teil der Arbeiterklasse zu korrumpieren, und daß eine wirklich allgemeine Arbeiterbewegung nur zustande kommt, „wenn den Arbeitern fühlbar wird, daß Englands Weltmonopol gebrochen".
Zweite Hälfte September
19. und 23.September
Oktober bis 17. Dezember Etwa Oktober
Engels beginnt das von Marx nicht redigierte Manuskript des zweiten Bandes des „Kapitals" für den Druck vorzubereiten; fast zwei Jahre lang widmet er sich fast ausschließlich dieser Arbeit; er vergleicht die verschiedenen Fassungen der Manuskripte, erarbeitet den Aufbau des Bandes, verfaßt den endgültigen Text auf Grund der allerletzten Untersuchungen von Marx und führt die Gesamtredaktion des Textes durch. Engels besucht den russischen revolutionären Volkstümler G.A. Lopatin; in seinem Brief an die russische Revolutionärin M. N. Oschanina teilt Lopatin mit, daß Engels in der Unterredung mit ihm die Überzeugung geäußert habe, daß Rußland, in dem die bürgerlich-demokratische Revolution heranreift, zu Recht die revolutionäre Initiative für eine neue soziale Umgestaltung zukommt. Engels ist erkrankt.
Engels, der die Einbeziehung der Landarbeiter und der werktätigen Bauern Deutschlands in den revolutionären Kampf für sehr wichtig hält, bereitet seine Arbeit „Die Mark" für eine neue populäre Ausgabe zum Druck vor. Die Arbeit erscheint als Bauernflugblatt unter dem Titel „Der deutsche Bauer. Was war er? Was ist er? Was könnte er sein?" im November in Zürich. Der Veteran der deutschen Arbeiterbewegung Friedrich Leßner bittet Engels in einem Brief, ihm einige Exemplare des ersten Bandes des „Kapitals" zwecks Verbreitung unter den deutschen Arbeitern in London zu schicken. Etwa Ende Oktober Engels erhält von der russischen Sozialistin V. I. Sassulitsch einen Brief, bis Anfang in dem sie die Gründung der russischen marxistischen Gruppe BeNovember freiung der Arbeit in Genf mitteilt und ihm das erste programmatische Dokument dieser Organisation - ein Flugblatt über die Herausgabe der „Bibliothek des modernen Sozialismus" - schickt. 7. November Engels schreibt das Vorwort zur dritten deutschen Auflage des ersten Bandes des „Kapitals". 13.November In einem Brief an V. I. Sassulitsch weist Engels auf die gespannte politische Lage in Rußland hin und äußert die Vermutung, daß dort in Kürze eine revolutionäre Krise ausbrechen könnte. Dezember 1883 bis Engels revidiert — neben der Erfüllung anderer Aufgaben — die erste Oktober 1884 deutsche Übersetzung von Marx' „Elend der Philosophie", macht dazu eine Reihe von Fußnoten und schreibt ein Vorwort. Ende 1883 Engels schickt dem russischen Historiker und Soziologen M.M. Kowalewski die im Oktober erschienene dritte deutsche Ausgabe seines Buches „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft." Mitte Oktober
1884
Jartaar bis Engels verfolgt weiterhin aufmerksam die Entwicklung der sozialistiAnfang August sehen Bewegung in England, hält ständigen Kontakt mit Marx* Tochter Eleanor, Edward Aveling, Ernest Beifort Bax und anderen führenden Sozialisten und billigt ihren Kampf gegen die sektiererische und opportunistische Linie des Führers der Demokratischen Föderation Hyndman, den er für einen „Erzkonservativen und arg chauvinistischen, aber nicht dummen Streber" hält. Er informiert die Sozialisten verschiedener Länder über den Stand der sozialistischen Bewegung in England, wobei er betont, daß die objektiven Umstände immer mehr die sozialistische Agitation unter den englischen Arbeitern begünstigen, und darauf hinweist, daß die wichtigste Aufgabe der Sozialisten in England die Herstellung einer engen Verbindung mit den Massen der Arbeiter ist. Januar bis März Engels fährt fort, den handschriftlichen Nachlaß und die Bibliothek von Marx zu sichten und zu ordnen. Erste Hälfte Januar Engels liest Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus", das er sehr hoch einschätzt. 28. Januar
28. Januar bis T.März
Februar bis März
Februar
Erste Hälfte Februar
Engels teilt dem polnischen Sozialisten L. Krzywicki sein Einverständnis zur Herausgabe einer polnischen Übersetzung des ersten Bandes des „Kapitals" mit. Nachdem Engels die aus Marx* Bibliothek stammenden russischen Bücher gesichtet hat, beschließt er, einen bedeutenden Teil davon den Vertretern der russischen revolutionären Emigration für die Schaffung einer Bibliothek zu übergeben. Er korrespondiert aus diesem Anlaß mit dem in Paris lebenden russischen revolutionären Volkstümler P. L. Lawrow und schickt ihm Ende Februar diese Bücher. Engels studiert gründlich das umfangreiche Manuskript, das Marx 1861 bis 1863 niederschrieb und das den ersten systematisch ausgearbeiteten Entwurf aller vier Bände des „Kapitals" darstellt. Den überwiegenden Teil dieses Manuskripts bildet der historisch-kritische Teil, die „Theorien über den Mehrwert", den Marx im vierten Band seines Werkes darzulegen beabsichtigt hat. Engels lehnt kategorisch die hartnäckigen Versuche des deutschen Emigranten Nonne ab, ihn für die Unterstützung seiner Pläne - Nonne beabsichtigte unter Beteiligung wenig bekannter oder Engels unbekannter Personen eine internationale Organisation zu schaffen - zu gewinnen. Nonne wurde später als Polizeiagent der deutschen Reichsregierung in Paris entlarvt. Bei der Durchsicht des handschriftlichen Nachlasses von Marx findet Engels einen 1881/1882 verfaßten Konspekt des Buches „Ancientsociety" von dem bekannten amerikanischen Ethnographen und Historiker Lewis H. Morgan. Er studiert den Konspekt und beschließt, „gewissermaßen als die Vollführung eines Vermächtnisses" von Marx, der die Absicht hatte, zum Erscheinen dieses Buches in der Presse Stellung zu nehmen,
Anfang Februar
Mitte Februar bis Anfang März
14.Februar und 7. März
Zweite Hälfte Februar bis Anfang März
Etwa 20.Februar
Ende Februar bis Anfang März
März
Etwa 5. März
dieses Material zu verarbeiten. Engels stützt sich dabei auf die in diesem Konspekt enthaltenen Bemerkungen von Marx und auf verschiedene in Morgans Buch enthaltenen Fakten sowie Schlußfolgerungen. In seiner Arbeit gibt Engels auf der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung einen Abriß der Geschichte der Urgemeinschaft, der Entstehung des Privateigentums und des Staats. Die dritte deutsche Auflage des ersten Bandes des „Kapitals" geht in Druck. Engels arbeitet an dem Artikel „ Marx und die .Neue Rheinische Zeitung' 1848-1849". In diesem Artikel analysiert er die Taktik der von Marx und ihm geführten proletarischen Revolutionäre in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49; am 13. März wird der Artikel im „Sozialdemokrat" veröffentlicht. Große Aufmerksamkeit schenkt Engels nach wie vor dem Kampf der deutschen Arbeiterklasse unter den Bedingungen des Sozialistengesetzes. In Briefen an angesehene Funktionäre der internationalen Arbeiterbewegung, so an Johann Philipp Becker und Friedrich Albert Sorge, drückt er seine Zufriedenheit aus über die beachtlichen Erfolge dieses Kampfes, in dessen Verlauf die revolutionären Ideen immer größere Verbreitung finden und die Massen des Proletariats große revolutionäre Erfahrungen sammeln. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der zweiten französischen Ausgabe von Marx' Schrift „Das Elend der Philosophie" übersetzt Engels Marx' Artikel „Über P.-J. Proudhon (Brief an J.B.V.Schweitzer)", der 1865 im „Social-Demokrat" gedruckt wurde, ins Französische. Die von Paul Lafargue durchgesehene Übersetzung wurde erst nach Engels' Tode in der französischen Ausgabe des „Elends der Philosophie" 1896 veröffentlicht. Engels erhält einen Brief von Sorge, in dem dieser einige Angabeh über die Lage der amerikanischen Arbeiter macht und ihm mitteilt, daß das Mitglied der deutschen Sozialdemokratie, der materialistische Philosoph Joseph Dietzgen, in Kürze nach den USA übersiedeln wird. Engels studiert Morgans Buch „Ancient society" und überzeugt sich davon, daß Morgan auf Grund seiner Studien der Geschlechtsverbände der nordamerikanischen Indianer und einer Reihe anderer alter Völkerschaften „die von Marx vor vierzig Jahren entdeckte materialistische Geschichtsauffassung ... in seiner Art neu entdeckt" hat. Bei der Vergleichung der Barbarei.und Zivilisation ist Morgan zu den gleichen Resultaten gelangt wie Marx und Engels. Engels schickt die französischen Bücher aus Marx' Bibliothek an Paul Lafargue und dessen Frau Laura nach Paris. Engels verhandelt mit dem Hamburger Verleger Otto Meißner über die Herausgabe des zweiten Bandes des „Kapitals". Engels übermittelt dem Privatdozenten der Wiener Universität G. Groß auf dessen Bitte einige Tatsachen aus dem Leben von Marx für eine
6. März
7. März
24. März
Ende März bis 26. Mai
Zwischen dem 2. und 15. April
11.April
biographische Skizze über Marx in der „Allgemeinen Deutschen Biographie". Engels schreibt an V. I. Sassulitsch und äußert seine Zufriedenheit über das zunehmende Studium der sozialistischen Theorie in Rußland. Er begrüßt die Absicht der Gruppe Befreiung der Arbeit, Marx' „Elend der Philosophie" in russischer Sprache herauszugeben, und verspricht, sein Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe dieser Arbeit sowie einige andere Materialien zu schicken. Engels schickt außerdem eine Kopie des von ihm beim Durchsehen des handschriftlichen Nachlasses von Marx gefundenen Briefes an die Redaktion der „Otetschestwennyje Sapiski", der 1877 geschrieben, aber nicht abgesandt wurde. Marx'Brief wird 1886 in der Ubersetzung von V. I. Sassulitsch in der illegalen Zeitschrift „ Westnik Narodnoj Woli" veröffentlicht. Engels informiert Sorge über den Stand der sozialistischen Bewegung in England und Frankreich und hebt dabei hervor, daß die von Jules Guesde und Paul Lafargue geleitete französische Arbeiterpartei aktiv in der Provinz arbeitet und in Paris erfolgreich den Marxismus propagiert. Engels kritisiert in einem Briefe an den Redakteur des „Sozialdemokrat", Eduard Bernstein, die fehlerhafte, den Klassencharakter des Problems ignorierende Erklärung des Begriffs „Demokratie", die im Leitartikel dieser Zeitung vom 20. März gegeben wurde; er weist nach, daß die demokratische Republik die konsequenteste Herrschaftsform der Bourgeoisie ist und daß zugleich die in dieser Republik vorhandenen bürgerlich-demokratischen Freiheiten die günstigsten Voraussetzungen für die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat schaffen. Engels arbeitet an seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats"; er gibt darin eine marxistische Analyse der Urgeschichte der menschlichen Gesellschaft, der Entstehung der antagonistischen Klassen und des Klassenstaates. Engels zeigt, daß die Ablösung der verschiedenen Formen der Familie von der Entwicklung der Produktionsverhältnisse abhängt, er deckt die Widersprüche auf, die der Familie in der Klassengesellschaft anhaften, zeigt den Klassencharakter des Staates und die historische Unvermeidbarkeit seines Absterbens im Zusammenhang mit der Beseitigung des Privateigentums und zeichnet die Konturen der künftigen sozialistischen Gesellschaft. Bei seiner Arbeit stützt sich Engels auf den von Marx angefertigten Konspekt zu Morgans Buch „Ancient society", wie auch auf eine große Anzahl anderer Materialien.
Engels erhält von Paul und Laura Lafargue eine ausführliche Information über den in Roubaix stattfindenden Kongreß der französischen Arbeiterpartei, den er als einen beachtlichen Erfolg der Arbeiterbewegung in Frankreich betrachtet. Im Hinblick auf den großen Anklang, den sein „Anti-Dühring" in Deutschland und anderen Ländern, besonders in Rußland, gefunden hat, teilt Engels dem Redakteur des „Sozialdemokrat" seinen Entschluß mit, eine zweite Ausgabe vorzubereiten.
Mai Engels verfolgt aufmerksam die Tätigkeit der französischen Arbeiterpartei; in Briefen an Lafargue gibt er den Parteiführern im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Munizipalwahlen in Paris am 4. Mai eine Reihe von Ratschlägen für ihre Taktik gegenüber der von der Partei abgespaltenen opportunistischen Gruppe der Possibilisten und empfiehlt, bei Wahlen eigene Kandidaten aufzustellen. Anfang Mai Engels macht sich mit dem Inhalt der Vorlesungen Paul Lafargues über die materialistische Geschichtsauffassung und Gabriel Devilles über das „Kapital" von Marx vertraut, die zwecks Propaganda des Marxismus vor einem Arbeiterauditorium in Paris gehalten wurden; er schätzt diese Vorlesungen positiv ein. 22. Mai Engels beendet die Arbeit an den ersten acht Kapiteln seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" und schickt das Manuskript zur Herausgabe nach Zürich; in einem Begleitbrief betont er, daß eine legale Veröffentlichung seiner Arbeit in Deutschland nicht möglich sei, weil diese eine scharfe Kritik an der gegenwärtigen bürgerlichen Gesellschaft sowie die Schlußfolgerung enthalte, daß der Untergang dieser Gesellschaft unvermeidlich ist. Vor dem 23. Mai Engels wird von Paul Singer, einem führenden Vertreter der deutschen sozialdemokratischen Partei, aufgesucht; in ihrer Unterredung empfiehlt Engels den deutschen Sozialdemokraten, bei den bevorstehenden Reichstagswahlen im Oktober eine geschickte Taktik anzuwenden und vorübergehende Vereinbarungen mit anderen Oppositionsparteien nicht abzulehnen, falls diese nicht an prinzipielle Zugeständnisse gebunden sind und dazu beitragen können, die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten zu erhöhen. 26.Mai Engels schließt die Arbeit an seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats ab. 29. Mai bis 4. Juni Engels weilt zu Gast bei dem deutschen demokratischen Publizisten und aktiven Teilnehmer des Badener Aufstandes von 1849 Sigismund Borkheim in Hastings (an der Südküste Englands). Juni Engels befaßt sich mit der Vorbereitung einer neuen Ausgabe von Marx* „Lohnarbeit und Kapital", sieht den Text durch und schreibt eine kurze Vorbemerkung. Die Broschüre erscheint im Oktober in Zürich. 5. bis 6. Juni Im Zusammenhang mit der zunehmenden Aktivität der Opportunisten Wilhelm Bios, Bruno Geiser u. a. in der deutschen sozialdemokratischen Partei, insbesondere in der Reichstagsfraktion, fordert Engels in Briefen an Bebel und andere führende Parteifunktionäre einen unversöhnlichen Kampf gegen die opportunistischen Kräfte und vor allem entschiedenen Widerstand gegen deren Anschläge und Angriffe auf das Parteiorgan „Sozialdemokrat". Er weist darauf hin, daß im Endergebnis der völlige Bruch mit den Opportunisten unvermeidlich ist, und empfiehlt der Parteiführung, die Spaltung nach Möglichkeit hinauszuzögern und eine allmähliche Isolierung der Opportunisten und ihre Entfernung aus der Partei anzustreben.
Zwischen dem 21. tmd26.Jani
26. Juni
16. Juli
Ende Juli bis 3. Oktober Zwischen dem 1. und ll.August
Anfang August
Etwa 5. August bis l.September Zwischen 13. und 20.August
September
Erste Hälfte September
Engels liest Karl Kautskys Manuskript eines kritischen Aufsatzes „Das .Kapital' von Rodbertus" und teilt ihm seine Bemerkungen mit, wobei er ganz besonders empfiehlt, die Ähnlichkeit der ökonomischen Ansichten des preußischen Nationalökonomen und Ideologen des verbürgerlichten Junkertums Rodbertus mit den Anschauungen des französischen kleinbürgerlichen Soziologen Proudhon hervorzuheben. In einem Brief an die russische Emigrantin E.Papritz bringt Engels zum Ausdruck, wie sehr er Tschernyschewski, Dobroljubow und die ganze historische und kritische Schule in der russischen Literatur schätzt und betont, daß diese Schule allem, was in dieser Art Deutschland und Frankreich auf dem Gebiet der offiziellen historischen Wissenschaft hervorbringen, haushoch überlegen ist". Engels besucht den russischen revolutionären Volkstümler S.M.Krawtschinski (Pseudonym Stepniak). Engels arbeitet an der Korrektur seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats". Auf Bitten Lafargues liest Engels das soeben in Paris erschienene Buch des französischen bürgerlichen Nationalökonomen P. Leroy-Beaulieu „Le Collectivisme, examen critique du nouveau socialisme", in dem der Versuch gemacht wird, die ökonomische Lehre von Marx zu „widerlegen"; er befaßt sich mit dem Manuskript eines Aufsatzes von Lafargue, in dem dieser sich mit dem Buch Leroy-Beaulieus kritisch auseinandersetzt und schickt Lafargue seine Bemerkungen zu diesem Aufsatz. Nach Änderungen, die Lafargue auf Anraten von Engels vorgenommen hat, wird der Aufsatz im „Journal des economistes" 1884 veröffentlicht. Engels wird von Johann Philipp Becker brieflich über die Lage der Arbeiterbewegung in der Schweiz und das Nachlassen des Einflusses der Schweizer Anarchisten informiert. Engels weilt zur Erholung in Worthing an der Südküste Englands.
Engels gestattet der Vertreterin der polnischen sozialdemokratischen Emigrantengruppe Klassenkampf in Genf, Maria Jankowska-Mendelson (S. Leonowitsch), den „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" ins Polnische zu übersetzen. Engels liest einige Nummern der deutschen sozialdemokratischen Zeitschrift „Die Neue Welt" und stellt fest, daß die darin veröffentlichten philosophischen und historischen Artikel der Opportunisten Bruno Geiser und Wilhelm Bios primitiv-vulgären Charakters sind. In der „Neuen Zeit" erscheint der redaktionelle Artikel „Ein neues Buch von Friedrich Engels", der sich mit dem im Druck befindlichen Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" befaßt; der Artikel bringt Auszüge aus dem Vorwort zu diesem Buch. Engels liest das Buch des amerikanischen Sozialreformers Laurence Gronlund „The co-operative Commonwealth in its outlines: an exposition of modern socialism" und äußert sich darüber sehr kritisch.
Mitte September Engels befaßt sich mit dem Manuskript des Artikels „K. Kautsky und Rodbertus", geschrieben von dem deutschen Sozialdemokraten und Opportunisten Karl Schramm; in diesem Artikel wird der Versuch gemacht, Rodbertus, den Verkünder der „sozialen Mission" des preußischen Staates, gegen die Kritik seitens der Marxisten zu verteidigen. Engels befaßt sich auch mit dem Manuskript des als Antwort an Schramm geschriebenen Artikels von Kautsky, macht dazu kritische Bemerkungen und empfiehlt dringend, die Antwort an Schramm schärfer zu formulieren. Oktober In Anbetracht der bevorstehenden Reichstagswahlen verfolgt Engels aufmerksam die innenpolitische Lage und die Wahlvorbereitungen der sozialdemokratischen Partei, wobei er in ständigem Kontakt bleibt mit deren Führern Bebel, Liebknecht und anderen; in seinen Briefen an diese betont er, daß ein Erfolg der Sozialdemokratie bei den Wahlen große Bedeutung für die gesamte internationale Arbeiterbewegung haben würde; er stellt fest, daß unter den derzeitigen Bedingungen in die künftige Reichstagsfraktion unvermeidlich Opportunisten gelangen werden, gegen die ein entschiedener Kampf geführt werden muß. 2.0ktober In Verbindung mit der Kampagne zur Vorbereitung der Reichstagswahlen bringt der „Sozialdemokrat" einen Auszug aus Engels' Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", in dem erklärt wird, daß das Proletariat das allgemeine Wahlrecht benutzen muß, um den revolutionären Kampf zu entfalten. Etwa 3. Oktober In Zürich erscheint „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" von Friedrich Engels. Il.bisl4.Oktober Engels schickt Exemplare seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" an August Bebel, Johann Philipp Becker, Lawrow und andere Vertreter der sozialistischen Bewegung. 15. Oktober In einem Brief an Johann Philipp Becker spricht Engels mit Hochachtung von der Tätigkeit Bebels als des Führers der deutschen Sozialdemokratie, als eines aufrechten proletarischen Revolutionärs und hervorragenden Redners. 23. Oktober Engels beendet das Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe des „Elends der Philosophie" von Marx; in diesem Vorwort kritisiert er scharf die vulgären utopischen Ansichten Rodbertus' und widerlegt die Verleumdungen, wonach Rodbertus die wesentlichen Entdeckungen von Marx auf dem Gebiet der politischen Ökonomie angeblich bereits vor Marx gemacht habe. Das Vorwort wird unter dem Titel „Marx und Rodbertus" im Januar 1885 in der „Neuen Zeit" veröffentlicht; die erste deutsche Ausgabe des „Elends der Philosophie" mit diesem Vorwort erscheint im Januar 1885 in Stuttgart. 28. bis29. Oktober Engels unterrichtet eine Reihe von Vertretern der englischen und französischen sozialistischen Bewegung von den Erfolgen der deutschen Sozialdemokraten bei den soeben stattgefundenen Reichstags wählen; in einem Brief an Bebel gibt er seiner Überzeugung Ausdruck, daß dieses Ereignis
41 Marc/Engels, Werke. Bd. 21
den Anstoß zu einem neuen Aufschwung der Arbeiterbewegung in Frankreich, England, den USA und anderen Ländern geben wird. Engels führt wegen der Übersetzung seines Buches „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" ins Italienische einen Briefwechsel mit Martignetti, der ihm mitteilt, daß über den Druck des Buches in Italien eine Vereinbarung erreicht worden sei. Engels befaßt sich weiterhin mit der Auswertung der Ergebnisse der Reichstagswahlen. In seinen Briefen an Bebel und andere Funktionäre der deutschen sozialdemokratischen Partei betrachtet er den Wahlerfolg der Partei als einen Beweis dafür, daß sie es ungeachtet des Sozialistengesetzes verstanden hat, durch eine revolutionäre Taktik ihre Stellung unter den Arbeitern bedeutend zu festigen und in eine Reihe neuer Kreise einzudringen; Engels empfiehlt der sozialdemokratischen Fraktion, von der Tribüne des Reichstags aus die Handlungen der Regierung und der herrschenden Klassen zu entlarven und systematisch Gesetzesvorschläge im Interesse der Arbeiterklasse einzubringen. Da der neugewählten sozialdemokratischen Fraktion auch opportunistische Kräfte angehören, warnt Engels Bebel vor der Gefahr prinzipieller Zugeständnisse an die herrschenden Klassen. 12. November Engels beginnt mit der endgültigen Redaktion des dritten Abschnitts des zweiten Bandes des „Kapitals", der eine Analyse der Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals enthält. Ende November Engels unterstützt mit aller Energie den Kampf der revolutionären bis Dezember Kräfte innerhalb der Sozialdemokratischen Föderation gegen ihre opportunistische Führung, an deren Spitze Hyndman steht, und kommt aus diesem Anlaß wiederholt mit Marx' Tochter Eleanor, Aveling, Bax, dem englischen sozialistischen Dichter William Morris und dem sozialistischen Arbeiter John Lincoln Mahon zusammen; er billigt es, daß Ende Dezember - aus Protest gegen die Politik Hyndmans und seiner Anhänger - die meisten Mitglieder unter der Führung von Aveling, Bax, Morris u. a. aus der Föderation austreten und eine neue Organisation - die Sozialistische Liga - gründen. 11. bis 30.Dezember In Gesprächen mit Singer und in Briefen an Bebel und Liebknecht verurteilt Engels aufs entschiedenste den Beschluß der opportunistischen Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, nicht gegen den Regierungsantrag auf Gewährung von Subsidien für private Schifffahrtsgesellschaften zu stimmen; in dieser Haltung sieht Engels eine faktische Unterstützung der Kolonialpolitik der herrschenden Klassen Deutschlands. Engels schlägt der Fraktion folgende Taktik vor: an die Zustimmung zu diesem Projekt solche Bedingungen zu knüpfen, die für die Regierung völlig unannehmbar sind; die Ablehnung muß dann zur Entlarvung des volksfeindlichen Wesens ihrer Politik benutzt werden; für eine solche Bedingung hält er insbesondere die Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Verpachtung von Domänen an Genossenschaften von Ackerbauarbeitern und deren finanzielleU nterstützung durch den Staat. Etwa 30. Oktober bis 30. Dezember 8. bis 18. November
Engels erklärt, daß eine derartige Forderung in Form eines Gesetzentwurfs große propagandistische Bedeutung bei der Gewinnung der Landarbeiter und Kleinbauern für die Sozialdemokratie hätte. Ende 1884 Engels arbeitet an der von ihm geplanten Neuausgabe seines Buches „Der deutsche Bauernkrieg"; er beabsichtigte, den Bauernkrieg von 1525 als Angelpunkt der ersten bürgerlichen Revolution in Deutschland und Wendepunkt in der Geschichte des Landes darzustellen; er skizziert einen fragmentarisch gebliebenen Entwurf zu der von ihm geplanten neuen Einleitung des Buches und schreibt einen Teil dieser Einleitung, die gleichfalls unvollendet bleibt. Andere unaufschiebbare Arbeiten zwingen Engels, diese Arbeit zu unterbrechen.
1885
Januar bis Engels redigiert einen Teil der englischen Übersetzung seiner Schrift 4. Februar „Die Lage der arbeitenden Klasse in England", die von der amerikanischen Sozialistin Florence Kelley-Wischnewetzki für die Herausgabe dieses Buches in den USA angefertigt worden ist. Januar Engels bereitet die zweite deutsche Auflage seines „Anti-Dühring" zum Druck vor. 25. Januar Engels schreibt den Artikel „Kaiserlich Russische Wirkliche Geheime Dynamiträte", worin er die Intrigen der zaristischen Regierung entlarvt, die von den herrschenden Kreisen Englands die Auslieferung der russischen politischen Emigranten zu erreichen versucht; der Artikel wird am 29. Januar im „Sozialdemokrat" veröffentlicht. Dasselbe Thema behandelt Engels in einem Brief an Paul Lafargue; Auszüge aus diesem Brief werden am 31. Januar in dem von Guesde geschriebenen Leitartikel der französischen Zeitung „Le cri du peuple" zitiert. Engels arbeitet an der Korrektur des zweiten Bandes des „Kapitals".
Engels kritisiert in einem Brief an Liebknecht dessen versöhnlerische Haltung gegenüber den Opportunisten in der deutschen Sozialdemokratie. Engels schreibt im Zusammenhang mit dem von ihm geplanten Vorwort zur amerikanischen Ausgabe seiner Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" den Artikel „England 1845 und 1885", in dem er die Veränderungen charakterisiert, die in der Wirtschaft des Landes und im englischen Proletariat in diesen vierzig Jahren vor sich gegangen sind. Der Artikel wird im März im „Commonweal",Nr.2, und die von Engels angefertigte deutsche Fassung in der „Neuen Zeit", Heft 6, veröffentlicht. 11. Februar Engels antwortet zustimmend auf die Bitte eines der russischen Übersetzer des ersten Bandes des „Kapitals", des Nationalökonomen und Volkstümlers N. Danielson, ihm für die Übersetzung die Korrekturbogen der deutschen Ausgabe des zweiten Bandes des „Kapital»" zu schicken,
Februar bis Anfang Juni 4. Februar
Mitte Februar
um die Herausgabe dieses Bandes in russischer Sprache zu beschleunigen. 23. Februar Engels beendet die Arbeit am letzten Teil des Manuskripts des zweiten Bandes des „Kapitals" und schickt ihn an den Verlag. Ende Februar Engels beginnt das Manuskript des dritten Bandes des „Kapitals" für den Druck vorzubereiten; diese Arbeit dauert etwa zehn Jahre. In dieser Zeit entziffert Engels die Manuskripte, legt gemäß den erhalten gebliebenen Hinweisen von Marx den Aufbau des Buches fest, stellt das Material dementsprechend zusammen, führt die Arbeit an verschiedenen Abschnitten und Kapiteln, die nur im Entwurf vorlagen, zu Ende, schreibt einzelne Teile, die von Marx lediglich skizziert, aber noch nicht formuliert waren, ganz neu und macht auf Grund seiner eigenen Untersuchungen, die verschiedenen neuen ökonomischen Erscheinungen des Kapitalismus des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts galten, eine Reihe von Ergänzungen. Er präzisiert und verbessert den Text an vielen Stellen, schreibt ein Vorwort und einen Nachtrag und besorgt die Gesamtredaktion des endgültigen Textes. Anfang März Im Zusammenhang mit dem im „Sozialdemokrat" veröffentlichten Brief des deutschen Sozialdemokraten C. Varenholz, der versuchte, die wahren Ursachen der Spaltung in der englischen Sozialdemokratischen Föderation zu entstellen und die opportunistische und sektiererische Linie Hyndmans zu bemänteln, empfiehlt Engels Aveling, auf Varenholz' Brief zu antworten; er selbst hilft ihm bei der Abfassung der Antwort, die im „Sozialdemokrat" Nr. 13 vom 26. März veröffentlicht wird. April bis Juni Engels redigiert die von Martignetti angefertigte italienische Übersetzung seines Buches „ Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats". Engels verfolgt empört das Verhalten des rechten Flügels der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, der gegen die im „Sozialdemokrat" geübte Kritik an seiner Haltung hinsichtlich der Subsidien für die Schifffahrtsgesellschaften protestierte und versuchte, sich die Redaktion dieses Organs gefügig zu machen. In Briefen an die Führer der deutschen Sozialdemokratie und in persönlichen Gesprächen mit einigen von ihnen empfiehlt er nachdrücklich, die Unabhängigkeit der Redaktion gegenüber der Fraktion zu wahren, um den weiteren Kampf gegen die Opportunisten und die Durchführung einer konsequenten revolutionären Linie zu gewährleisten. April Engels liest das Buch „Unsere Meinungsverschiedenheiten" des russischen Marxisten und Führers der Gruppe Befreiung der Arbeit Plechanow in der Originalsprache. Das Buch wurde ihm von V. I. Sassulitsch geschickt. 23. April Engels gibt in einem Brief an V. I. Sassulitsch seiner tiefen Befriedigung Ausdruck über die wachsende Zahl der Anhänger des Marxismus in Rußland und bezeichnet diese Tatsache als einen Riesenfortschritt, der für die weitere Entwicklung der revolutionären Bewegung große Bedeu

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