KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 9

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE•BAND 9
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
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DIETZ VERLAG BERLIN
1960
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 9
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Die deutsche Ausgabe fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten Ausgabe in russischer Sprache
Vorwort
Der neunte Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthalt die von März bis Dezember 1853 geschriebenen Artikel und Korrespondenzen, die vorwiegend in der „New-York Daily Tribüne" erschienen. Sie beziehen sich auf eine Zeit, in der in Europa finsterste politische Reaktion herrschte. Nach der Niederlage der Revolution von 1848/49 war die revolutionäre demokratische Presse unterdrückt. Marx und Engels hatten keine andere Möglichkeit, zu den Massen zu sprechen und auf die öffentliche Meinung Einfluß zu nehmen, als durch die Veröffentlichung ihrer Artikel in der damals fortschrittlichen „New-York Daily Tribüne", deren Mitarbeiter Marx im August 1851 geworden war. Von diesem Zeitpunkt an war die publizistische Tätigkeit an der „Tribüne" sowohl für Marx als auch für Engels, den Marx anonym zur Mitarbeit heranzog, eine wichtige Seite ihres revolutionären Wirkens. Neben seinen Beiträgen für die „New-York Daily Tribüne" schrieb Marx damals mehrere Artikel für die Chartistenzeitung „The People's Paper", die im Mai 1852 unter der Redaktion von Ernest Jones zu erscheinen begann. Einzelne für die „Tribüne" verfaßte Artikel wurden gleichzeitig im „People's Paper" veröffentlicht; einige erschienen auch gekürzt in der deutschsprachigen Zeitung „Reform", die ab März 1853 unter enger Mitarbeit von Joseph Weydemeyer in den USA herausgegeben wurde. Die revolutionäre Publizistik von Marx und Engels hing aufs engste mit ihren theoretischen Studien und mit ihrer ganzen parteipolitischen Tätigkeit zusammen. Marx vereinte seine journalistische Arbeit mit der Untersuchung der wichtigsten Probleme der Politischen Ökonomie, mit dem Studium der Weltgeschichte - einschließlich der Geschichte, der Wirtschaft und der Gesellschaftsordnung der kolonialen Länder - sowie mit der Außenpolitik und Diplomatie der europäischen Staaten. Engels setzte seine systematischen Studien der Militärwissenschaft fort, befaßte sich mit Problemen der Sprachwissenschaft, mit slawischen und orientalischen Sprachen.
In ihren Zeitungsartikeln stützten sich Marx und Engels auf die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Forschungen. Gleichzeitig half ihnen ihre journalistische Tätigkeit, die wirtschaftlichen und politischen Ereignisse zu verfolgen, Tatsachen und Materialien für wissenschaftliche Werke zu sammeln. So verwertete Marx die ökonomischen Materialien aus seinen „Tribüne "-Artikeln später im „Kapital". Die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus widmeten sich nicht nur konsequent der Ausarbeitung der Theorie, sondern regten auch ihre Anhänger an, die zeitweilige Pause in den revolutionären Kämpfen zur Vervollkommnung ihrer theoretischen Kenntnisse und für die Vorbereitung auf einen neuen revolutionären Aufschwung zu nutzen. Marx und Engels waren fest davon überzeugt, daß der Sieg der konterrevolutionären Kräfte nur vorübergehenden Charakter habe, und sie waren bemüht, diese Überzeugung in die Reihen der proletarischen / Kämpfer zu tragen. Obwohl es nach der Auflösung des Bundes der Kommunisten keine internationale proletarische Organisation gab, hielten Marx und Engels auch weiterhin die Verbindung zu den Führern der Arbeiterbewegung in den verschiedenen Ländern aufrecht und setzten alles daran, sie ideologisch zu beeinflussen und in ihrem schweren Kampf unter den Bedingungen der Reaktion zu unterstützen. Marx und Engels versuchten durch Weydemeyer und Cluß, frühere Mitglieder des Bundes der Kommunisten, auf die Arbeiterbewegung in Amerika und durch Jones und andere Führer des revolutionären Chartismus auf die englischen Arbeiter einzuwirken. Sie waren bemüht, in ihren Beiträgen für die „New-York Daily Tribüne" und im „People's Paper" die Gebrechen und Eiterbeulen der kapitalistischen Ordnung bloßzulegen und die reaktionären Zustände in den europäischen Staaten aufzudecken. Sie übten Kritik an der bürgerlichen Ideologie und gaben eine Darstellung der Position und der Taktik des Proletariats in den wichtigsten Fragen der Innen- und Außenpolitik der verschiedenen Länder. Dabei war natürlich die bürgerliche Weltanschauung der Redakteure der „New-York Daily Tribüne" ein ernstes Hemmnis. Dieser Umstand forderte von Marx und Engels eine besondere Elastizität, die Fähigkeit, ihre Ansichten nicht immer unmittelbar, sondern allegorisch auszudrücken und trotzdem in ihren Artikeln konsequent eine Linie zu verfolgen, die sich in vielem von der der Redaktion unterschied. Schon 1853 tauchten in den Beziehungen zwischen Marx und der Redaktion grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten auf; auch machten sich die für bürgerliche journalistische Gepflogenheiten typische Skrupellosigkeit und ausbeuterische Einstellung der Besitzer und Redakteure der Zeitung gegenüber ihren Mitarbeitern
immer häufiger bemerkbar. Ohne Marx' Einverständnis begann die Redaktion der „Tribüne", seine Beiträge als anonyme Leitartikel zu veröffentlichen. Mehrere Beiträge von Marx erschienen überhaupt nicht; andere wurden von der Redaktion willkürlich geteilt, redigiert und eigenmächtig mit Ergänzungen versehen, die oft dem Inhalt und Stil der von Marx eingesandten Manuskripte widersprachen. Dieses Verhalten rief bei Marx Empörung und wiederholte Proteste hervor. Andrerseits jedoch war Marx, da es eine proletarische und revolutionär-demokratische Presse so gut wie gar nicht gab, an der Mitarbeit an der „New-York Daily Tribüne" sehr interessiert. Die von Marx und Engels in dieser Zeit veröffentlichten Abhandlungen sind außerordentlich inhaltsreich und vielseitig. Sie beleuchteten alle bedeutenderen Erscheinungen in der Arbeiterbewegung, den Kampf der unterdrückten Völker um nationale Befreiung und Unabhängigkeit, die ökonomischen Verhältnisse in den einzelnen Ländern, die wichtigsten politischen und militärischen Ereignisse in Europa, Asien und Amerika. Unter Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus unterzogen Marx und Engels die mannigfaltigen Tagesereignisse einer allseitigen, zutiefst wissenschaftlichen Analyse und kamen so zu einer Reihe wichtiger theoretischer Verallgemeinerungen und politischer Schlußfolgerungen. Die im vorliegenden Band veröffentlichten Arbeiten zeigen, daß Marx und Engels damals ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf drei Fragenkomplexe konzentrierten: erstens, auf die ökonomische Lage der europäischen Länder, insbesondere des am weitesten entwickelten kapitalistischen Landes - England und die damit verbundenen Perspektiven eines neuen Aufschwungs der demokratischen und proletarischen Bewegungen; zweitens, auf die Kolonialpolitik der kapitalistischen Mächte und den nationalen Befreiungskampf der unterdrückten Völker; drittens, auf die internationalen Beziehungen im Zusammenhang mit der Verschärfung der Gegensätze zwischen den europäischen Staaten bezüglich ihrer Interessen im Nahen Osten, mit ihren Kriegsvorbereitungen und dem Beginn kriegerischer Handlungen zwischen Rußland und der Türkei. In dieser Zeit zeigt sich ein neues und wichtiges Merkmal der wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit der Begründer des Marxismus ihr stärkeres Interesse an den historischen Geschicken der kolonialen und abhängigen Länder Asiens, in erster Linie Indiens und Chinas, Systematisch erscheinen Artikel, die die Lage in diesen Landern behandeln und die räuberische Kolonialpolitik der kapitalistischen Länder enthüllen. In den in diesem Band veröffentlichten Artikeln „Die Kriegsfrage Britische Bevölkerungs- und Handelsstatistiken - Parlamentarisches", „Poli
tische Schachzüge - Brotknappheit in Europa", „Die Westmächte und die Türkei - Symptome einer Wirtschaftskrise", „Krieg - Streiks - Teuerung" und in vielen anderen charakterisiert Marx, ausgehend von der Untersuchung der ökonomischen Lage in den europäischen Ländern, den Stand der Industrieproduktion - in erster Linie in England -, der Landwirtschaft, des Innen- und Außenhandels, der Marktpreise, der Wechselkurse usw. An Hand zahlreicher Beispiele verfolgt Marx die verschiedenen Phasen des damaligen kommerziellen und industriellen Zyklus und konkretisiert seine schon in den ökonomischen Arbeiten der vierziger Jahre aufgestellte These vom zyklischen Charakter der Entwicklung der Produktion im Kapitalismus. Er zeigt die in der kapitalistischen Wirtschaft wirksamen Gesetzmäßigkeiten auf und widerlegt die falschen Behauptungen der bürgerlichen Ökonomen und Publizisten, der Kapitalismus sei ein System, das auf Harmonie beruhe, allen Klassen der Bevölkerung Prosperität bringe und den Naturgesetzen selbst entspreche. „Das ganze Geheimnis der modernen Politischen Ökonomie", schrieb Marx, „... besteht einfach in der Umwandlung veränderlicher gesellschaftlicher Verhältnisse, die einer bestimmten historischen Epoche angehören und einem gegebenen Stand der materiellen Produktion entsprechen, in ewige, allgemeine, unveränderliche Gesetze, in Naturgesetze, wie sie auch von den Ökonomen bezeichnet werden." (Siehe vorl. Band, S. 254.) Der Grundfehler der bürgerlichen Politischen Ökonomie, besteht darin, daß ihre Vertreter die ökonomischen Grenzen einer gegebenen Epoche zwar sehen, jedoch nicht begreifen, „daß diese Grenzen selbst begrenzt sind und im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung ebenso unvermeidlich verschwinden müssen, wie sie von ihr geschaffen wurden" (ebenda). Marx' Artikel geben eine treffende Charakteristik des bürgerlichen Liberalismus, also der englischen Freihändler, die die unmenschliche Ausbeutung der Lohnarbeiter mit heuchlerischen Phrasen von „Freiheit", „Harmonie" und „Prosperität" zu verhüllen suchten. Marx beschreibt das wahre Gesicht der Freihändler als Apologeten des Kapitalismus, als Feinde der Arbeiterklasse. Er entlarvt die von den Freihändlern verbreiteten Illusionen, daß mit Einführung des Freihandels die Wirtschaftskrisen verschwinden würden. Wie haltlos diese Behauptungen von der Möglichkeit einer krisenlosen Entwicklung des Kapitalismus waren, das, so bemerkt Marx, war schon Ende 1853 deutlich erkennbar, als die Phase der Prosperität von einer Phase der Stagnation in Industrie und Handel abgelöst wurde und Krisenerscheinungen in vielen Produktionszweigen zu beobachten waren. Die 1857 ausbrechende erste Weltwirtschaftskrise bestätigte völlig die Richtigkeit der Marxschen These, daß eine neue Wirtschaftskrise unweigerlich
kommen muß und daß alle Versuche der Bourgeoisie, die dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche zu beseitigen, zum Scheitern verurteilt sind. In enger Verbindung mit den ökonomischen Untersuchungen Marx* stehen seine Artikel über Finanzfragen: „Die neue Finanzgaukelei oder Gladstone und die Pennies", „Errungenschaften des Ministeriums", „Pfunde, Schillinge, Pennies oder Klassenbudgets und wer hat den Nutzen davon?", „Seife fürs Volk - Ein guter Bissen für die,Times' - Das Koalitionsbudget" und andere. Einige dieser Artikel waren für „The People's Paper" bestimmt. Sie geben den Arbeitern Aufschluß über die klassenbedingte Wirtschaftspolitik des bürgerlichen Staates, über das wirkliche Wesen der Finanz- und Steuermaßnahmen der englischen Regierung. In Gladstones Budget sieht Marx ein „Klassenbudget, ein Budget der Bourgeoisie, geschrieben mit der Feder eines Aristokraten" und zeigt, daß der komplizierte Mechanismus des bürgerlichen Finanz- und Steuersystems ein Mittel zur Unterdrückung der Volksmassen ist. Diese und andere Abhandlungen über ökonomische Probleme vermitteln ein deutliches Bild von der schweren Lage der Werktätigen in England, von der absoluten und relativen Verelendung der Arbeiter, von der Verschärfung der Widersprüche zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die in gewaltigen Klassenkonflikten zum Ausdruck kommt. Große Aufmerksamkeit schenkt Marx den Streikkämpfen der englischen Arbeiter und der Tätigkeit der aus diesen Kämpfen hervorgehenden Gewerkschaftsverbände, der Trade-Unions. In vielen Artikeln wie z. B. in „Englische Prosperität - Streiks - Die türkische Frage - Indien", „Die russische Politik gegenüber der Türkei - Die Arbeiterbewegung in England", „Panik an der Londoner Börse - Streiks" bringt Marx ausführliche Angaben über Streikkämpfe in den Industriebezirken Englands und hebt eine neue und positive Erscheinung hervor - die Teilnahme ungelernter Arbeiter an diesen Kämpfen; er untersucht die Forderungen der Streikenden, geißelt die grausamen Maßnahmen der Fabrikbesitzer und Behörden gegen die ausständigen Arbeiter und gibt eine Einschätzung des Charakters der Streikbewegung und ihrer Rolle im Befreiungskampf des Proletariats. Die Streiks sind für Marx der klare Ausdruck des in der kapitalistischen Gesellschaft tobenden Klassenkrieges, des Krieges zwischen Arbeit und Kapital. Marx führt den Nachweis, daß Streikkämpfe eine der kapitalistischen Ordnung eigene gesetzmäßige Erscheinung darstellen, daß sie ein Mittel sind, die Willkür der Fabrikanten zu zügeln und den Arbeitern die notwendigen Existenzbedingungen zu sichern. Besonders wichtig sind die Schlußfolgerungen aus der Bedeutung des Streiks als eines Faktors, der die Energien der Werktätigen weckt und sie für
den Kampf gegen die Ausbeuter zusammenschweißt. In diesen Ideen finden die Thesen der Begründer des Marxismus von den Arbeitervereinigungen als Schulen des proletarischen Klassenkampfes, die bereits in den Werken „Die Lage der arbeitenden Klasse in England", „Das Elend der Philosophie" und im „Manifest der Kommunistischen Partei" geäußert wurden, ihre unmittelbare Fortsetzung. Die größte Bedeutung der Streiks sieht Marx in dem moralischen und politischen Einfluß, den sie auf die Arbeiter ausüben, darin, daß sie die Arbeiter zur proletarischen Solidarität erziehen und dazu beitragen, die Arbeiter zusammenzuschließen und zu organisieren. „Ohne die längeren aufeinanderfolgenden Phasen von Abspannung, Prosperität, Aufschwung, Krise und Elend, welche die moderne Industrie in periodisch wiederkehrenden Zyklen durchläuft, mit dem daraus resultierenden Auf und Ab der Löhne, sowie dem ständigen Kampf zwischen Fabrikanten und Arbeitern, der in genauer Übereinstimmung mit jenen Schwankungen in den Löhnen und Profiten verläuft, würde die Arbeiterklasse Großbritanniens und ganz Europas eine niedergedrückte, charakterschwache, verbrauchte, unterwürfige Masse sein, deren Emanzipation aus eigener Kraft sich als ebenso unmöglich erweisen würde wie die der Sklaven des antiken Griechenlands und Roms." (Siehe vorl. Band, S. 171.) Bei der Charakterisierung der Arbeiterbewegung in England entwickelt Marx die schon im „Elend der Philosophie" dargelegten Ideen von der Einheit des ökonomischen und des politischen Kampfes und von der entscheidenden Bedeutung des politischen Kampfes für die Befreiung des Proletariats aus der kapitalistischen Sklaverei. In einer ganzen Reihe von Artikeln unterstreicht Marx, daß der ökonomische Kampf allein bei all seiner Bedeutung für den Zusammenschluß und die Erziehung der Arbeiter nicht ausreicht, daß sich das Proletariat im nationalen Maßstab organisieren muß, daß es für die Arbeiterklasse wichtig ist, eine eigene politische Massenpartei zu bilden und den Kampf um die Eroberung der politischen Macht zu entfalten. Marx und Engels unterstützten Jones und die anderen revolutionären Chartistenführer, die das englische Proletariat im nationalen Maßstab zusammenschließen und die Chartistenbewegung auf neuer Grundlage, durch die Verbindung des Kampfes um die Charte mit der Propaganda des revolutionären Sozialismus, neu beleben wollten. Die Begründer des Marxismus maßen dem Kampf der englischen Arbeiter um die Volks-Charte, die die Einführung des allgemeinen Wahlrechts vorsah, außerordentliche Bedeutung bei. Zu einer Zeit, als das Proletariat in England bereits die Mehrheit der Bevölkerung ausmachte und die herrschenden Klassen noch keinen starken militärischen und bürokratischen Apparat besaßen, hätte das allgemeine
Wahlrecht der Hebel sein können, um die politische Herrschaft des Proletariats als notwendige Voraussetzung für die revolutionären sozialistischen Umgestaltungen durchzusetzen. Die Reden, die Jones in Arbeiterversammlungen hielt und die Marx in seinen Korrespondenzen des öfteren zitiert, tragen den Stempel des fruchtbaren Einflusses des wissenschaftlichen Kommunismus auf diesen hervorragenden Führer des englischen Proletariats. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgten Marx und Engels auch die Anzeichen der beginnenden revolutionären Gärung in den Ländern des europäischen Kontinents, und so berichtet Marx von der schwelenden Unzufriedenheit der Volksmassen in Deutschland, Frankreich, Italien. In dem Artikel „Der russische Sieg - Die Lage Englands und Frankreichs " macht er auf die Zuspitzung der politischen Lage in Frankreich infolge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der zunehmenden Teuerung usw. aufmerksam. Er betont, daß die Unzufriedenheit der breiten Massen, insbesondere eines großen Teils der Bauernschaft, mit den Maßnahmen der Regierung Louis Bonapartes, erkennen lasse, wie sehr das konterrevolutionäre Regime des Zweiten Kaiserreichs wanke. In dem schon erwähnten Artikel „Politische Ereignisse - Brotknappheit in Europa" geht Marx auf die Lebensmittelkrawalle in den päpstlichen Staaten ein. Was die Perspektiven der nationalen Befreiungsbewegung in Italien betrifft, so fährt Marx in seinen Artikeln von 1853 fort, Mazzini und seine Anhänger zu kritisieren, weil sie, ohne die objektiven Verhältnisse zu berücksichtigen, an ihrer alten Verschwörertaktik festhielten. Gegen Verschwörertaktik, Abenteurer- und Sektierertum in der revolutionären Bewegung richtet sich auch das Pamphlet „Der Ritter vom edelmütigen Bewußtsein", das inhaltlich an die in Band 8 der vorliegenden Ausgabe veröffentlichten Schriften „Die großen Männer des Exils" und „Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln" anknüpft. In dieser Streitschrift rechnet Marx ab mit den kleinbürgerlichen Revoluzzern und deren Phrasengedresch, mit dem demagogischen Revolutions- und Verschwörungsspiel, dem sich die Führer der kleinbürgerlichen Emigration hingaben. Marx geht es dabei vor allem um August Willich, einen der Häupter der ehemaligen sektiererischen Fraktion innerhalb des Bundes der Kommunisten, der die demokratische Emigrantenpresse für verleumderische Ausfälle gegen die proletarischen Revolutionäre benutzte. In dieser Schrift, die auch einen Brief von Engels über Willich enthält, gibt Marx eine satirisch zugespitzte Charakteristik dieses typischen Helden der kleinbürgerlichen Phrase und Advokaten der Abenteurertaktik. Am Beispiel der lächerlichen „revolutionären" Pläne Willichs verurteilt Marx aufs schärfste den Voluntarismus und Sub" jektivismus, der für die Anhänger der Verschwörertaktik kennzeichnend
ist, schildert er ihr Unvermögen, die Lage nüchtern zu beurteilen und den reinen Wankelmut ihrer Politik. Das Pamphlet „Der Ritter vom edelmütigen Bewußtsein" bringt außer den Enthüllungen eine Reihe wichtiger Einzelheiten aus der Geschichte des Bundes der Kommunisten und der internationalen Arbeiterbewegung in den Jahren nach der Revolution von 1848/49, Im Gegensatz zu Mazzini, Willich und anderen Vertretern des Kleinbürgertums, die die objektiven ökonomischen und politischen Verhältnisse ignorierten und auf „revolutionäre" Abenteuer und Verschwörungen setzten, war für Marx der Hauptfaktor bei der Vorbereitung eines neuen revolutionären Aufschwungs das Anwachsen der ökonomischen Widersprüche des Kapitalismus, die neue ökonomische und politische Krise, die unweigerlich kommen mußte und die damit verbundene Verschärfung des Klassenkampfes in den europäischen Ländern. Marx schrieb, daß „weder die Deklamationen der Demagogen noch das Geschwätz der Diplomaten die Dinge zur Krise treiben werden, sondern daß wirtschaftliches Unheil und soziale Erschütterungen herannahen, welche die sicheren Vorboten der europäischen Revolution sind". (Siehe vorl. Band, S. 320.) Bei der Analyse der Voraussetzungen und Aussichten künftiger Revolutionen in Europa berücksichtigt Marx nunmehr noch einen neuen wichtigen Faktor. Er betont den revolutionierenden Einfluß der tiefen Veränderungen, die in den zum Objekt der Eroberungs- und Kolonialpolitik der kapitalistischen Staaten gewordenen Ländern des asiatischen Kontinents herangereift waren. Marx und Engels maßen den revolutionären Folgen, die sich aus der Auflösung der patriarchalisch-feudalistischen Verhältnisse in den Ländern des Ostens, besonders in China und Indien - durch die Einbeziehung dieser Länder in die Bahnen der kapitalistischen Entwicklung - ergaben, große Bedeutung bei. Sie verfolgten mit tiefer Anteilnahme den in diesen Ländern anschwellenden Befreiungskampf der Volksmassen gegen die Kolonialherren. Gestützt auf ein sorgfältiges Studium zahlreicher Quellen, schrieb Marx 1853 mehrere Beiträge eigens zu diesem Thema. Diese im vorliegenden Band veröffentlichten Artikel sind ein glänzendes Beispiel für den unversöhnlichen Kampf, den Marx und Engels gegen den Kolonialismus führten, gegen die barbarische Unterjochung und Ausbeutung der Völker in den kolonialen und abhängigen Ländern durch die kapitalistischen Mächte. In dem besonders inhaltsreichen Artikel „Die Revolution in China und in Europa" behandelt Marx ausführlich den Einfluß, den die Eroberungspolitik der kapitalistischen Kolonialmächte, vor allem Englands, auf die innere Lage des großen asiatischen Landes ausübt. Die Konkurrenz der englischen Waren, sagt Marx, übte auf die einheimische chinesische Industrie
einen zerstörenden Einfluß aus; das von den Engländern nach China eingeführte Opium ließ aus China so viel Silber abfließen, daß der chinesischen Wirtschaft eine katastrophale Erschöpfung drohte; der Tribut, den China nach dem räuberischen ersten „Opiumkrieg" an England zahlen mußte, zog riesige Steuererhöhungen nach sich. All das sowie auch innere Ursachen sozialen Charakters führten in China zu einer umfassenden Bauernrevolution, die sich gegen die eigenen Feudalherren und die fremden Eindringlinge richtete und in der Geschichte als der Taiping-Aufstand bekannt ist. „Was immer die sozialen Ursachen sein mögen", schrieb Marx, „die zu den chronischen Aufständen in China in den letzten zehn Jahren geführt und die sich jetzt zu einer einzigen ungeheuren Revolution zusammengeballt haben und welche religiösen, dynastischen oder nationalen Formen sie auch annehmen mögen: ausgelöst wurde dieser Ausbruch ohne Frage dadurch, daß die englischen Kanonen China das Rauschgift aufzwangen, das wir Opium nennen." (Siehe vorl. Band, S. 95/96.) Ausgehend von der Tatsache, daß die Streitkräfte Englands, Frankreichs und der USA der reaktionären Mandschu-Dynastie bei der Niederwerfung des Taiping-Aufstandes unmittelbare Hilfe leisteten, enthüllte Marx die grausamen Maßnahmen der europäischen und amerikanischen Bourgeoisie, der Würger der nationalen Befreiungsbewegungen in den Ländern des Ostens. Nach gründlicher Untersuchung kommt Marx zu dem Schluß, daß die Revolution in China auch weiterhin ihren Einfluß auf England und über England auf ganz Europa ausüben wird... Die Ereignisse in China führten zu einer Drosselung des chinesischen Marktes für englische Waren, was wiederum den Ausbruch einer industriellen Krise beschleunigen mußte. Die internationale Bedeutung der chinesischen Revolution unterstrich Marx nachdrücklich mit den Worten, daß sie „den Funken in das übervolle Pulverfaß des gegenwärtigen industriellen Systems schleudern und die seit langem heranreifende allgemeine Krise zum Ausbruch bringen wird, der dann beim Übergreifen auf das Ausland politische Revolutionen auf dem Kontinent unmittelbar folgen werden". (Siehe vorl. Band, S. 100.) Diese Schlußfolgerung, nämlich der Zusammenhang und die Wechselwirkung zwischen der revolutionären Bewegung in Europa und im Osten, war später für die Marxisten bei der Ausarbeitung der Probleme der kolonialen Revolutionen von außerordentlicher Bedeutung. W.I.Lenin legte sie seiner Lehre vom Befreiungskampf der Volksmassen in den Kolonien als einer wichtigen Reserve der proletarischen Revolution zugrunde. Der vorliegende Band enthält auch mehrere Artikel von Marx über Indien: „Die britische Herrschaft in Indien", „Die Ostindische Kompanie, ihre Ge
schichte und die Resultate ihres Wirkens", „Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien" und andere. Diese Beiträge, die gleichsam eine einheitliche Serie darstellen, zählen, besonders was die Tiefe ihrer wissenschaftlichen Analyse und die schonungslose Entlarvung der englischen Kolonialherren anbetrifft, zu den besten Schriften von Marx über die nationale und koloniale Frage. In ihnen stellt Marx am Beispiel der britischen Herrschaft über jenes riesige Land mit seinen kolossalen Naturschätzen und seiner alten. Zivilisation die Merkmale des Systems fest, die für die Kolonialherrschaft der kapitalistischen Staaten in den ökonomisch zurückgebliebenen Ländern des Ostens charakteristisch sind. Er verfolgt die wichtigsten Etappen der Eroberung und der kolonialen Versklavung Indiens durch die Engländer von der Epoche der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation an. Er zeigt die Rolle der Ostindischen Kompanie, die ein Werkzeug zur Unterwerfung Indiens war, durch Raubkriege indisches Territorium annektierte, die Streitigkeiten der einheimischen feudalen Fürsten ausnutzte und den Stammes- und Kastenhader schürte. Marx hebt hervor, daß die von den Kolonialherren in Indien verübten Räubereien und Eroberungen die Quelle für die Bereicherung und Stärkung einer Oligarchie von Land- und Geldmagnaten in England waren. Mit großer Überzeugungskraft schildert Marx, wie die räuberische Kaste der City-Manager, der Großgrundbesitzer und Beamten, die im Dienste der Kompanie standen, sich auf Kosten der indischen Volksmassen bereicherte und diese in äußerstes Elend trieben. Auch in dem Artikel „Die Frage des türkischen Krieges - Die ,New-York Tribüne' im Unterhaus - Die Regierung Indiens" behandelt Marx den parasitären Charakter des von der englischen Oligarchie geschaffenen bürokratischen Verwaltungssystems, das die Massen des indischen Volkes in völliger Rechtlosigkeit geknebelt hielt und der Willkür der englischen Kolonialbehörden unterwarf. Heftig geißelt Marx die kümmerlichen Reformen in der Verwaltung Indiens, die von den herrschenden Klassen Englands ohne jegliche Beteiligung von Vertretern des indischen Volkes durchgeführt wurden. Marx legt den' Klasseninhalt dieser Reformen bloß und zeigt, daß man ihr Zustandekommen zurückführen muß auf das Bestreben verschiedener Schichten der englischen Handels- und Industriebourgeoisie, "die Monopolstellung der Ostindischen Kompanie einzuschränken, um durch den unmittelbaren Zugang zu den indischen Märkten und zu den Einkünften aus den Steuern in Indien den eigenen Anteil an der kolonialen Ausbeutung des indischen Volkes zu vergrößern. So zeichnet Marx ein erschütterndes Bild der Raubwirtschaft der englischen Kolonialherren in Indien. Sie übernahmen von den orientalischen
Potentaten Verwaltungszweige wie die Finanz- und Militärbehörden und benutzten sie, um das Volk auszuplündern und zu knechten. Sie vernachlässigten jedoch den dritten Zweig, die Leitung der öffentlichen Arbeiten, dem sogar jene Despoten Bedeutung beimaßen. Das führte dazu, daß das künstliche Bewässerungssystem in Indien völlig verfiel. Die Konkurrenz der englischen Industriewaren zerstörte das einheimische Handwerk, besonders die handbetriebene Spinnerei und Weberei und verurteilte so Millionen Einwohner Indiens zum Untergang. Bodensteuer, Salzsteuer und überhaupt das ganze von den Kolonialherren praktizierte System der finanziellen Erpressung lasteten schwer auf dem Volke. Die Engländer zerstörten zwar die rückständigen patriarchalischen Formen des gemeinschaftlichen Bodenbesitzes, bewahrten und konservierten jedoch viele Überbleibsel des Feudalismus im gesellschaftlichen und politischen Leben Indiens, die eine fortschrittliche Entwicklung des Landes hemmten. Durch das von den Engländern in der Präsidentschaft Bengalen eingeführte Samindari-System und das in den Präsidentschaften von Madras und Bombay eingeführte Raiatwari-System erhielten und verstärkten sich sogar in der indischen Landwirtschaft die verschiedenen Arten des versklavenden Pachtzinses, also vorkapitalistische Formen der Ausbeutung der Bauern durch die Gutsbesitzer, Bodenmakler und Steuereintreiber. Bei dem einen wie bei dem andern System, schreibt Marx, „sind die Raiats - und sie machen elf Zwölftel der gesamten indischen Bevölkerung aus - einer fürchterlichen Verelendung unterworfen" (siehe vorl. Band, S. 218). Marx kommt zu dem Schluß, daß das von den britischen Eroberern über Indien gebrachte Elend „unendlich qualvoller ist als alles, was Hindustan vorher zu erdulden hatte" (siehe vorl. Band, S. 128). In diesem Zusammenhang formulierte Marx den tiefgründigen Gedanken, daß das räuberische, ausbeuterische Wesen des Kapitalismus nirgends so deutlich wird wie gerade in den Kolonien. „Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heimat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen." (Siehe vorl. Band, S.225.) Marx weist mit unerbittlicher Logik nach, daß die englischen Kolonialherren die Entstehung von Elementen der kapitalistischen Wirtschaft in Indien nur gezwungenermaßen, nur getrieben von Profit- und kolonialen Raubinteressen, fördern. Die entstehenden kapitalistischen Verhältnisse brachten den indischen Volksmassen besonders großes Elend, denn die Kolonialherren hemmten die freie Entwicklung des Kapitalismus in den Kolonien und ließen
dort nur solche Industriezweige Wurzel fassen, die für sie selbst von Vorteil waren. Indem sie aber Elemente kapitalistischer Produktion einführen und so die patriarchalisch-feudalistische Ordnung in Indien zerstören, schreibt Marx, tragen die englischen Eroberer unbewußt dazu bei, daß jene Kräfte heranwachsen, die in der weiteren Zukunft die Kolonialherrschaft stürzen und mit der kolonialen Unterdrückung Indiens Schluß machen werden. Durch die dialektische und historisch-materialistische Behandlung der Frage des Charakters und der Ergebnisse der englischen Kolonialpolitik in Indien hat Marx die Widersprüchlichkeit und den Dualismus der ganzen bürgerlichen Epoche deutlich sichtbar gemacht. Die Bourgeoisie - so lehrt Marx — ist berufen, während der Periode ihrer Herrschaft die materielle Grundlage für die neue, die sozialistische Gesellschaft zu schaffen. Diese materiellen Voraussetzungen werden um den Preis unglaublicher Opfer von den Volksmassen geschaffen, die die Bourgeoisie grausam ausbeutet, denn sie zwingt ganze Völker, den schweren Weg durch Blut und Schmutz, Elend und Erniedrigung zu gehen. Erst nach der sozialistischen Revolution „wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte" (siehe vorl. Band, S. 226). Marx hebt hervor, daß die mit dem Entstehen kapitalistischer Verhältnisse verbundene Entwicklung der Produktivkräfte Indiens noch keine Erleichterung für die indischen Volksmassen bringt und ihre Lage nicht verbessert. Um das zu erreichen, muß sich das Volk selbst der Produktivkräfte bemächtigen, Herr im eigenen Lande werden, mit der fremden Kolonialherrschaft Schluß machen. „Die Inder", schreibt Marx, „werden die Früchte der neuen Gesellschaftselemente, die die britische Bourgeoisie in ihrem Lande ausgestreut hat, nicht eher ernten, bis in Großbritannien selbst die heute herrschenden Klassen durch das Industrieproletariat verdrängt oder die Inder selbst stark genug geworden sind, um das englische Joch ein für allemal abzuwerfen". (Siehe vorl. Band, S. 224.) Die Befreiung Indiens kann nur erreicht werden durch die proletarische Revolution in England oder durch den Befreiungskampf des indischen Volkes selbst gegen die Kolonialherrschaft das ist die revolutionäre Schlußfolgerung, zu der Marx in seinen Aufsätzen über Indien kommt. Alle diese Artikel sind von der festen Gewißheit durchdrungen, daß erst, wenn Indien von der kolonialen Sklaverei erlöst sein wird, auch die Wiedergeburt „dieses großen und interessanten Landes" beginnt. Zu den Schriften von Marx gegen den Kolonialismus gehört auch der Artikel „Die indische Frage - Das irischePachtrecht". Darin zeigt Marx, der Irland als die erste englische Kolonie betrachtet, mit welchen räuberischen
Methoden die irische Bauernschaft von den englischen Grundherren ausgebeutet wird. Er betont, daß die Erhaltung der halbfeudalen Verhältnisse in Irland das Ergebnis der britischen Eroberung und der nationalen Versklavung dieses Landes ist, „die es einer kleinen Kaste räuberischer Adeliger erlauben, dem irischen Volk die Bedingungen zu diktieren, unter welchen es sein Land bebauen und bewohnen darf". (Siehe vorl. Band, S. 159.) In seinen Artikeln über China, Indien und Irland hat Marx zum erstenmal die theoretischen Grundsätze derPolitik des Proletariats in der nationalen und kolonialen Frage niedergelegt. Die Grundgedanken zu diesem Thema, sowohl in diesen als auch späteren Aufsätzen und Briefen von Marx und Engels, dienten W. I. Lenin als Ausgangspunkt bei der schöpferischen Weiterentwicklung der nationalen und kolonialen Frage in der Epoche des Imperialismus. Die Probleme der internationalen Beziehungen untersuchen Marx und Engels in enger Verbindung mit den Fragen nach den Perspektiven der revolutionären demokratischen sowie der proletarischen Bewegungen und nach den Perspektiven der nationalen Befreiungskriege. Die Begründer des Marxismus sahen in der gründlichen Kenntnis der Geheimnisse der internationalen Politik, in der Aufdeckung des geheimen diplomatischen Intrigenspiels der herrschenden Klassen sowie ihrer Eroberungspläne und Taten, eine sehr wichtige Aufgabe der proletarischen Revolutionäre. Marx und Engels erzogen die Arbeiterklasse im Geiste des proletarischen Internationalismus, weil sie in ihm die Kraft sahen, die fähig ist, der chauvinistischen und aggressiven Politik der herrschenden Klassen aktiv entgegenzuwirken. Sie hoben immer wieder hervor, wie notwendig es für die Arbeiterklasse ist, sich bei internationalen Konflikten an die eigene revolutionäre Linie zu halten, deren Ziel die volle Verwirklichung der bürgerlich-demokratischen Umgestaltungen in Europa und die Schaffung von Bedingungen für die siegreiche proletarische Revolution ist. Die „sechste Macht"1 - so nannten Marx und Engels die europäische Revolution - war für sie der Ausgangspunkt bei der Behandlung jeder beliebigen internationalen Frage. In den Aufsätzen über internationaleThemen unterziehen Marx und Engels das ganze System der internationalen Beziehungen, das die reaktionären Herrscher der europäischen Staaten zur Zeit des Wiener Kongresses geschaffen hatten, einer grimmigen Kritik. In diesem System sahen sie das Hindernis für die fortschrittliche Entwicklung Europas, für die Befreiung der unterdrückten Nationen und die nationale Vereinigung der politisch zersplitterten
1 Siehe Band 10 der vorl. Ausgabe: „Der europäische Krieg"
II Man/Endels, Werke, Bd. 9
Länder. Mit unnachsichtiger Strenge brandmarkten sie die von der Diplomatie der herrschenden Klassen angewandten Methoden, zeigten, wie sie die Nationen gegeneinander hetzte, sie einschüchterte und erpreßte und sich gröblich in die inneren Angelegenheiten der kleinen Staaten einmischte. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Marx und Engels standen zu dieser Zeit die immer schärfer werdenden Gegensätze zwischen den europäischen Mächten bezüglich ihrer Interessen im Nahen Osten, ihr Kampf um die Aufteilung der Besitzungen des Türkischen Reichs, um die Beherrschung des Bosporus und der Dardanellen, um die Vorherrschaft auf dem Balkan und in den Ländern Vorderasiens. Dieser sogenannten orientalischen Frage sind viele Artikel von Marx und Engels gewidmet. Schon in den ersten Aufsätzen zu diesem Thema, die Engels verfaßt hat - „Worum es in der Türkei in Wirklichkeit geht", „Die türkische Frage", „Was soll aus der europäischen Türkei werden?" -, ist der Standpunkt der Begründer des Marxismus zur sogenannten orientalischen Frage dargelegt. Engels untersucht die im Nahen Osten und auf dem Balkan durch die türkische Expansion entstandene Lage, schafft Klarheit über die ökonomischen, politischen und militärischen Ursachen der Rivalität zwischen den europäischen Mächten im Zusammenhang mit dem weiteren Schicksal der türkischen Besitzungen auf und begründet die prinzipielle Stellung des revolutionären Proletariats und der europäischen Demokratie zur sogenannten orientalischen Frage. An diese Frage gingen Marx und Engels ebenso wie an alle anderen internationalen Probleme vom Standpunkt der Interessen der Revolution heran. Während viele westeuropäische Diplomaten und Publizisten, insbesondere der englische Publizist David Urquhart, für die Erhaltung des feudalen reaktionären Osmanischen Reiches plädierten, sahen Marx und Engels im Gegenteil, wie dieses Reich dem historischen Fortschritt der Völker im Wege stand, die von den türkischen Eroberem beherrscht wurden. Sie unterstützten die Forderung dieser Völker nach nationaler Unabhängigkeit und traten für die Bildung eines unabhängigen slawischen Staates auf dem Balkan ein. Die Befreiung der unterdrückten Völker der Balkanhalbinsel vom türkischen Joch hielten Marx und Engels für eine wichtige Aufgabe der europäischen Revolution. Der Politik der westeuropäischen Regierungen, die ihren Widerstand gegen die Befreiung der Balkanvölker hinter der Doktrin von der notwendigen Erhaltung des vom Wiener Kongreß für dieses Gebiet festgelegten Status quo versteckten, reißt Engels die heuchlerische Maske ab und bekämpft die Verfechter des Status quo als Vertreter der „Diplomatie der Feigheit und Routine", als Gegner einer fortschrittlichen Lösung der orientalischen Frage. „Nein,
Diplomatie und Regierung im altherkömmlichen Sinne werden diese Schwierigkeit niemals lösen. Die Lösung des türkischen Problems bleibt - wie die Lösung so vieler anderer Probleme - der europäischen Revolution vorbehalten. Und es ist keine Vermessenheit, wenn man diese auf den ersten Blick abwegige Frage in den Bereich dieser großen Bewegung einbezieht. Seit 1789 sind die Meilensteine der Revolution immer weiter vorgerückt. Ihre letzten hießen Warschau, Debreczin, Bukarest; die Vorposten der nächsten Revolution müssen Petersburg und Konstantinopel sein. Das sind die zwei verwundbarsten Stellen, an denen der russische antirevolutionäre Koloß angegriffen werden muß." (Siehe vorl. Band, S. 33.) In den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzten Marx und Engels ihren Kampf gegen die zaristische Selbstherrschaft fort, die, wie die Ereignisse von 1848/49 klar und deutlich gezeigt hatten, der schlimmste Feind der Revolution war. Ihr Kampf richtete sich gleichfalls gegen die reaktionären Kräfte in den europäischen Ländern, die den Zarismus als Waffe zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung benutzten und ihn weiterhin als Bollwerk der Reaktion erhalten wollten. In einer ganzen Reihe der vorliegenden Artikel entlarven Marx und Engels das despotische Polizeiregime in Rußland, die Eroberungspolitik des Zarismus, die Intrigen der zaristischen Diplomatie und die erlogenen Freundschaftsbeteuerungen gegenüber den Balkanvölkern sowie die Nachsicht vieler westeuropäischer Politiker dem Zarismus gegenüber. Sie zeigten, wie der Zarismus bestrebt war, die Rußland und dem russischen Volk von den Balkanvölkern, besonders von den Südslawen, entgegengebrachten Sympathien für seine annexionistischen und konterrevolutionären Ziele auszunutzen. Während Rußlands Siege in den Kriegen gegen die Türkei objektiv den Befreiungskampf der Balkanvölker gegen das türkische Joch unterstützten, mußte die reaktionäre Politik des Zarismus unweigerlich den Widerstand der für ihre Freiheit und nationale Unabhängigkeit kämpfenden slawischen Völker hervorrufen. So sahen Engels und Marx im Zarismus das Hauptbollwerk der europäischen Reaktion, den Unterdrücker des russischen Volkes und der anderen Völker im Russischen Reiche. In der Stärkung des Zarismus erblickten sie eine große Gefahr für die europäische Demokratie. W.I.Lenin schrieb im Jahre 1909: „Vor fünfzig Jahren hatte sich Rußland allgemein den Ruf eines internationalen Gendarmen erworben. Unsere Selbstherrschaft trug im vergangenen Jahrhundert nicht wenig dazu bei, jede Reaktion in Europa zu unterstützen und die revolutionären Bewegungen in den Nachbarländern sogar mit direkter Waffengewalt zu unterdrücken. Es genügt, sich des Ungarn
feldzugs Nikolaus I. und der häufigen Gewaltakte gegen Polen zu erinnern, um zu verstehen, warum die Führer des internationalen sozialistischen Proletariats seit den vierziger Jahren die europäischen Arbeiter und die europäische Demokratie wiederholt darauf hingewiesen haben, daß der Zarismus die Hauptstütze der Reaktion in der ganzen zivilisierten Welt ist. Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hat die revolutionäre Bewegung in Rußland diesen Zustand allmählich verändert. Je stärker der Zarismus unter den Schlägen der anwachsenden Revolution in seinem eigenen Lande wankte, um so schwächer wurde er als Feind der Freiheit in Europa." (W.I.Lenin, Werke, 4.Ausgabe, Bd. 15, S.425, russ.) In den Artikeln „Urquhart - Bern - Die türkische Frage im Oberhaus", „Die türkische Frage im Unterhaus", „Der Quadrupelvertrag - England und der Krieg" und in vielen anderen wird Englands Stellung zur orientalischen Frage untersucht. Diese Artikel sind eine scharfe Kritik an der Außenpolitik der englischen Regierung, die, wie Marx und Engels wiederholt betonten, von den engen und eigennützigen Interessen einer bürgerlich-aristokratischen Oligarchie diktiert wurde; sie zeigen, daß faktisch in der Außenpolitik der britischen Regierung dieselbe konterrevolutionäre Rolle offenbar wird, die das bürgerlich-aristokratische England seit den Kriegen gegen die französische bürgerliche Revolution in Europa gespielt hat, dieselbe Rolle, wie sie auch 1848/49-als die englische Bourgeoisie im Bündnis mit dem Zarismus und den anderen reaktionären Kräften die revolutionäre Bewegung unterdrückte - deutlich zutage getreten war. Die herrschenden Kreise Englands, so betonten Marx und Engels, fürchteten, daß der Konflikt mit Rußland in der orientalischen Frage einen allgemeinen revolutionären Brand auf dem Kontinent entfachen könnte, der auch auf die Volksmassen in Großbritannien leicht übergreifen könnte. Dieser Umstand drückte der ganzen britischen Diplomatie ihren Stempel auf. Marx und Engels stellen scharf eine ganze Reihe von charakteristischen, traditionellen Merkmalen der Diplomatie der herrschenden Klassen Englands heraus: ihre Heuchelei, das Bestreben, andere für sich handeln zu lassen, ihre provokatorische Rolle bei vielen europäischen Krisen, treubrüchiges Verhalten gegenüber den eigenen Verbündeten. Mit ihren Schriften gegen die englische Oligarchie verfolgten Marx und Engels das Ziel, den Kampf der fortschrittlichen demokratischen Kräfte Englands für die Beseitigung dieses Regimes und für eine Änderung der Innen- und Außenpolitik Großbritanniens zu unterstützen. Diesem Zweck diente besonders die Artikelserie „LordPalmerston", die im „People's Paper" erschien und - gekürzt - in der „New-York Daily Tribüne". Einige Artikel dieser Serie wurden in England auch als Broschüren herausgegeben.
„Lord Palmerston" ist eine hervorragende Streitschrift, verfaßt auf Grund eingehenden Studiums zahlreicher diplomatischer Dokumente, Parlamentsdebatten und der Presse. In dieser Schrift zeichnet Marx mit erstaunlicher Prägnanz und großem Scharfsinn das Porträt Palmerstons, eines der namhaftesten Vertreter des bürgerlich-aristokratischen Englands. Die Charakteristik, die Marx von Palmerston gibt, ist gleichzeitig eine Beurteilung des ganzen englischen Regierungssystems, der ganzen Politik des offiziellen Englands. Marx legt die Klassenwurzeln dieses Systems frei und zeigt, daß die englischen Staatsmänner vom Schlage eines Palmerston am meisten darum besorgt waren, daß der „Himmel der Gutsbesitzer und Geldherren" klar bleibe. Am Beispiel der Einstellung Palmerstons zur irischen Frage, zur italienischen, ungarischen und polnischen nationalen Befreiungsbewegung deckt Marx den konterrevolutionären Charakter der englischen Politik auf, die sich demagogisch hinter liberalen Phrasen und heuchlerischen Mitleidsbeteuerungen für die Opfer des Despotismus verbirgt. Seinen Worten nach Verfechter des „Konstitutionalismus", war Palmerston der Initiator von Polizeimaßregeln und Gegner jeglicher fortschrittlicher Reformen in England, während er in Europa - in Griechenland, Spanien, Portugal - die reaktionären monarchistischen Regierungen unterstützte und mit den bonapartistischen Kreisen Frankreichs liebäugelte. Wie Marx hervorhob, waren Hinterlist, aalglatte Verschlagenheit, Heuchelei und Zynismus kennzeichnend für die zutiefst volksfeindliche Politik Palmerstons. In seiner Streitschrift sowie in dem Artikel „Der Rücktritt Palmerstons" • führt Marx den Beweis, daß Palmerston und die anderen Vertreter der herrschenden englischen Oligarchie auch in der orientalischen Frage zu solchen wortbrüchigen unddoppelzünglerischenMethodenZufluchtnahmen,daßauch in dieser Frage konterrevolutionäre Tendenzen kennzeichnend für ihre Politik waren. Daß Marx im Rahmen seiner treffenden Gesamtcharakterisierung von Palmerston als einem typischen Vertreter der Interessen der herrschenden Klassen Englands einzelne Seiten der Tätigkeit dieses englischen Ministers, z.B. seine Rolle als Handlanger der zaristischen Selbstherrschaft sehr stark hervorkehrte, resultierte aus dem Bemühen, das Gemeinsame der konterrevolutionären Bestrebungen des Zarismus und der englischen Oligarchie zu verdeutlichen. Die Position Palmerstons sowie der anderen Vertreter der englischen herrschenden Klassen in der orientalischen Frage wurde nicht nur durch die Furcht vor der Revolution bestimmt und von dem Willen, bei ihrer Bekämpfung die russische Selbstherrschaft auszunutzen, sondern auch von den aggressiven Bestrebungen Englands im Nahen Osten, von annexionistischen Absichten in bezug auf den Kaukasus, von Plänen, seine
Macht auf Kosten des zaristischen Rußlands zu stärken - Pläne, die eine nicht unbedeutende Rolle beim Ausbruch des Krimkrieges spielten. Als Marx sein Pamphlet gegen Palmerston schrieb, verwertete er von Urquhart veröffentlichte Materialien. Das bewog einige bürgerliche Zeitungen jener Zeit und in späteren Jahren auch eine Rei he bürgerlicher Schriftsteller, die Lüge von der angeblichen Identität der Standpunkte Marx* und Urquharts in der orientalischen Frage zu verbreiten. Aber allein schon jene Artikel im vorliegenden Band, in denen Marx Urquharts Standpunkt kritisiert, beweisen die völlige Haltlosigkeit dieser Behauptungen. In Wirklichkeit waren Marx und Engels grundsätzlich anderer Meinung als Urquhart; sie hielten seine Ansichten für reaktionär. Das hinderte Marx jedoch nicht, einzelne von Urquhart angeführte Tatsachen sowie die oppositionellen Presseorgane der Anhänger Urquharts zur Entlarvung der englischen Regierung zu benutzen. In dem Artikel „Die Londoner Presse - Die Politik Napoleons in der türkischen Frage" und in einigen anderen entlarvt Marx die wahren Hintergründe für die Position des bonapartistischen Frankreichs in der Orientkrise. Er enthüllt die abenteuerlichen und dynastischen Ziele Louis Bonapartes im orientalischen Konflikt, der zum Krimkrieg geführt hat, und betont, daß die außenpolitischen Abenteuer für Louis Bonaparte ein Mittel waren, die reaktionäre bonapartistische Diktatur zu erhalten und die Herrscher des damaligen Europas zu veranlassen, den Usurpator auf dem kaiserlichen Thron in • Frankreich als „respektablen" Monarchen anzuerkennen. Der Eroberungspolitik der herrschenden Klassen, die die Völker in Kriege stürzte, stellten Marx und Engels die Idee des wahren revolutionären Krieges gegen den Zarismus und für die demokratische Umgestaltung Europas entgegen, für die Befreiung der Polen, Ungarn, Südslawen und der anderen unterdrückten Nationen, für die nationale Vereinigung Deutschlands sowie Italiens auf revolutionär-demokratischem Wege. Ein solcher Krieg, hoben sie hervor, werde den Sturz der konterrevolutionären Regimes in Frankreich, England und in den anderen europäischen Staaten zur Folge haben und schließlich helfen, die fortgeschrittenste Klasse der modernen Gesellschaft das Proletariat - an die Macht zu bringen. Der Band enthält ferner einige von Engels verfaßte militärische Einschätzungen zu Beginn der Kriegshandlungen zwischen Rußland und der Türkei. In diesen Einschätzungen (siehe „Der Krieg an der Donau", „Der heilige Krieg" u.a.) analysiert Engels die Bedingungen der Kampfhandlungen auf den Kriegsschauplätzen im Kaukasus und auf dem Balkan, das Kräfteverhältnis der kriegführenden Parteien und die ersten Kampfoperationen der
beiden Heere. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß Engels die Artikel unmittelbar nach den Ereignissen schrieb und weder die Zeit noch die Möglichkeit hatte, die Meldungen vom Kriegsschauplatz allseitig zu prüfen. So hatten zum Beispiel einseitige, tendenziöse Informationen einen gewissen Einfluß auf die Einschätzung der Seeschlacht bei Sinope in dem Artikel „Der weitere Verlauf des türkischen Krieges". Da nur ungenaue Informationen vorlagen, enthalten einige dieser Artikel („Die Russen in der Türkei" und „Bewegungen der Armeen in der Türkei") ungenaue Angaben über die Stärke der russischen Truppen an der Donau. Engels stellte das bald selbst fest und nahm in späteren Artikeln (siehe vorl. Band, S. 483-485, 531-533) wesentliche Präzisierungen dieser Angaben vor; im Zusammenhang damit änderte er auch einige seiner Beurteilungen der Kampfhandlungen und seiner Prognosen. Die umfangreiche Serie von Aufsätzen von Engels über den Krimkrieg, die im vorliegenden Band sowie in den Bänden 10 und 11 unserer Ausgabe veröffentlicht werden, enthält sehr wertvolle Schlußfolgerungen über Fragen der Strategie und Taktik und ist von großem Interesse vor allem für marxistische Militärfachleute und Historiker der Kriegskunst. Engels hatte sich die Aufgabe gestellt, die Erfahrungen der modernen Kriege seiner Zeit auf der Grundlage des historischen Materialismus theoretisch zu verallgemeinern. Er löste sie in den Aufsätzen über den Krimkrieg und erschloß damit ein neues Gebiet der marxistischen Wissenschaft.
Zum Unterschied von den bisherigen Ausgaben, die viele Artikel von Marx und Engels aus der „New-York Daily Tribüne" entweder gar nicht oder unvollständig, lediglich auszugsweise und thematisch gruppiert brachten, werden in der vorliegenden Ausgabe sämtliche Artikel von Marx und Engels in chronologischer Reihenfolge und ohne Streichungen veröffentlicht. Wie Marx und Engels in ihren Briefen wiederholt feststellten, ging die Redaktion der „New-York Daily Tribüne" nach eigenem Gutdünken mit dem Wortlaut der Beiträge um. Das ist besonders der Fall bei Artikeln, die ohne Unterschrift, als Leitartikel, erschienen sind. Bei einigen sind bei der Zusammenstellung des Bandes redaktionelle Einfügungen festgestellt worden; solche Einfügungen bringt die vorliegende Ausgabe in einer Anmerkung zur betreffenden Textstelle. Offensichtliche Druckfehler in Zitaten, Eigennamen, geographischen Bezeichnungen, Zahlenangaben, Daten usw., die in dem von der „New-York Daily Tribüne" und anderen Zeitungen veröffentlichten Text festgestellt wurden, sind nach einer Prüfung an Hand von Marx und Engels benutzten Quellen sowie an Hand von Materialien des
Archivs des Instituts für Marxismus-Leninismus berichtigt worden. Die Titel der Artikel entsprechen den Titeln, unter denen sie in den Zeitungen veröffentlicht worden waren. Titel, die vom Institut für Marxismus-Leninismus stammen, sind durch eckige Klammern gekennzeichnet.
Institüf für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU
Der Text des vorliegenden neunten Bandes der deutschen Ausgabe wurde nach Originalen oder Photokopien überprüft. Bei jeder Arbeit ist die herangezogene Quelle vermerkt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden ebenfalls überprüft, soweit die Originale zur Verfügung standen. Längere Zitate werden zur leichteren Übersicht in kleinerem Druck gebracht. Fremdsprachige Zitate und im Text vorkommende fremdsprachige Wörter sind in Fußnoten übersetzt. Zitate aus deutschen Quellen im englischen Text wurden, wenn irgend möglich, nicht rückübersetzt, sondern nach den deutschen Originalen gebracht. Die Übersetzungen der fremdsprachigen Arbeiten wurden überprüft oder neu angefertigt und dabei brauchbare frühere Übersetzungen berücksichtigt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand der Wörter in den deutschsprachigen Texten wurde nicht verändert. Offensichtliche Druck- oder Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert. Den indischen Personennamen, geographischen Bezeichnungen usw. liegt die in den Veröffentlichungen des Instituts für Indienkunde der Humboldt-Universität Berlin benutzte Schreibweise zugrunde. Fußnoten von Marx und Engels sind durch Sternchen gekennzeichnet, Fußnoten der Redaktion durch eine durchgehende Linie vom Text abgetrennt und durch Ziffern kenntlich gemacht. Zur Erläuterung ist der Band mit Anmerkungen versehen, auf die im Text durch hochgestellte Zahlen in eckigen Klammern hingewiesen wird; außerdem sind ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis der literarischen und mythologischen Namen, ein Verzeichnis der geographischen Bezeichnungen, Daten über das Leben und die Tätigkeit von Marx und Engels, ein Literaturverzeichnis, eine Erklärung der Fremdwörter und ein Verzeichnis der Gewichte, Maße und Münzen beigefügt. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK (kr SED
KARL MARX und FRIEDRICH ENGELS
März 1853 - Dezember 1853

NEW-YORK DAILY TRIBÜNE. PRICE TWO CENTS. VOL . Xll NO. 3,736 NEW-VORR. THURSDAV. APRIL 7, 1853.
Karl Marx/Friedrich Engels
Britische Politik - Disraeli - Die Flüchtlinge Mazzini in London - Türkei111
[»New-York Daily Tribüne" Nr. 3736 vom 7. April 1853] London, Dienstag, 22. März 1853 In der gegenwärtigen Geschichte der Parteien ist das wichtigste Ereignis die Absetzung Disraelis als Führer der „großen konservativen" Minorität^21. Wie durchgesickert ist, hatte Disraeli selbst Anstalten getroffen, seine früheren Verbündeten acht oder neun Wochen vor Auflösung des Tory-Kabinetts über Bord zu werfen und nahm von seinem festen Vorsatz nur Abstand auf dringendes Ansuchen von Lord Derby. Nun wurde umgekehrt er selbst verabschiedet und in aller Form von Sir John Pakington abgelöst, einer zuverlässigen Persönlichkeit, vorsichtig, nicht ganz ohne administrative Fähigkeiten, aber ein im übrigen trister Mensch: die Inkarnation der altersschwachen Vorurteile und überlebten Gefühle der alten englischen Squireocracy1, Dieser Wechsel in der Führerschaft läuft auf eine vollständige und wahrscheinlich endgültige Umbildung der Tory-Partei hinaus. - Disraeli kann sich selbst zu seiner Emanzipation von diesen landbesitzenden Schaumschlägern gratulieren. Was auch immer unsere Meinung von dem Manne sein mag, von dem behauptet wird, er verachte die Aristokratie, hasse die Bourgeoisie und liebe die Menschen nicht: Er ist doch fraglos das fähigste Mitglied des heutigen Parlaments, und die Geschmeidigkeit seines Charakters setzt ihn um so besser in den Stand, sich den wechselnden Bedürfnissen der Gesellschaft anzupassen.
1 Landaristokratie
Was dieFlüchtlingsf rage betrifft, so berichtete ich in meinem letzten Artikel1, daß nach Lord Palmerstons Rede im Unterhaus die österreichischen Blätter behaupteten, es sei zwecklos, von einem Kabinett Abhilfe zu verlangen, das dem verderblichen Einfluß Palmerstons erlegen ist. Kaum waren jedoch die Äußerungen Aberdeens im Oberhaus nach Wien telegraphiert worden, als sich die Lage der Dinge erneut änderte131. Die gleichen Blätter behaupten nun, daß „Österreich Vertrauen in die Hochherzigkeit des englischen Kabinetts hat", und die halbamtliche „Oesterreichische Correspondenz"(4] veröffentlicht folgende Mitteilung ihres Pariser Korrespondenten:
„Lord Cowley erklärte anläßlich seiner Rückkehr nach Paris dem Kaiser der Franzosen, daß die diplomatischen Vertreter Englands an den Höfen der nördlichen Länder formal beauftragt worden sind, alle Anstrengungen zu machen, um die Nordmächte davon abzuhalten, eine gemeinsame Note an die britische Regierung zu richten und, als Begründung einer solchen Abstention, nachdrücklich geltend zu machen, daß die britische Regierung um so besser in den Stand versetzt würde, der Forderung jener Mächte nachzukommen, je mehr sie in den Augen ganz Englands den Anschein wahren könne, frei und unabhängig in der Angelegenheit zu handeln... Der britische Botschafter, Lord Cowley, bestürmte den Kaiser der Franzosen, dem britischen Kabinett unbedingtes Vertrauen entgegenzubringen, um so mehr, da es dem Kaiser jederzeit freistände, falls dieses Vertrauen nicht gerechtfertigt werde, Schritte zu unternehmen, die er für richtig halte... Der Kaiser der Franzosen, der sich selbst volle Handlungsfreiheit für die Zukunft vorbehält, wurde dazu veranlaßt, die Aufrichtigkeit des britischen Kabinetts auf die Probe zu stellen, und er bemüht sich nun, die anderen Mächte zu überreden, seinem Beispiel zu folgen."
Sie sehen, was von „ce eher Aberdeen" 2, wie Louis-Philippe ihn zu nennen pflegte, erwartet wird und welche Versprechungen er gemacht haben muß. Diesen Versprechungen sind wirklich schon Taten gefolgt. Vergangene Woche stellte die englische Polizei eine Liste der Flüchtlinge des europäischen Kontinents zusammen, die in London wohnen. Mehrere Kriminalbeamte in Zivil gingen von Platz zu Platz, von Straße zu Straße und von Haus zu Haus, wobei sie Notizen über die Personalien der Flüchtlinge machten; in der Mehrzahl der Fälle wandten sie sich an die Schankwirte der Nachbarschaft, aber in einigen Fällen drangen sie unter dem Vorwand, daß sie Verbrecher verfolgen, direkt in die Wohnungen einiger Emigranten ein und durchstöberten deren Papiere. Während die Polizei des europäischen Kontinents vergeblich hinter Mazzini herjagt, während in Nürnberg die Polizeibehörde angeordnet hat,
1 Siehe Band 8 unserer Ausgabe, S. 548-554 - 2 «diesem teuren Aberdeen"
die Zugänge zu schließen („Die Nürnberger henken keinen, sie hätten ihn denn" lautet ein altes deutsches Sprichwort), während die englische Presse Berichte über Berichte über seinen vermutlichen Aufenthalt bringt, war Mazzini in den letzten Tagen gesund und munter in London. Nachdem Fürst Menschikow über die in den Donaufürstentümern stationierten russischen Truppen Heerschau gehalten und die Armee und Flotte bei Sewastopol inspiziert hatte, wo auf seinen Befehl und in seiner Anwesenheit Manöver stattfanden, die in der Aus- und Einschiffung von Truppen bestanden, zog er am 28. Februar in höchst theatralischer Weise in Konstantinopel ein; sein Gefolge bestand aus zwölf Personen, darunter der Admiral des russischen Schwarzmeergeschwaders1, ein Divisionsgeneral2, mehrere Stabsoffiziere und Herr Nesselrode junior als Botschaftssekretär. Ihm wurde von seiten der griechischen und russischen Einwohner ein solcher Empfang zuteil, als wäre er der rechtgläubige Zar selbst, der gekommen war, um „Zarigrad" dem wahren Glauben wiederzugeben. Es erregte hier in London und in Paris die größte Sensation, als man erfuhr, daß Fürst Menschikow, nicht zufrieden mit der Entlassung Fuad Efendis, vom Sultan noch gefordert hatte, er möge dem russischen Kaiser nicht nur das Protektorat über sämtliche Christen in der Türkei zuerkennen, sondern auch das Recht, den griechischen Patriarchen zu ernennen; daß der Sultan den Schutz Frankreichs und Englands angerufen habe, daß Oberst Rose, der britische Geschäftsträger, den Dampfer „Wasp" eiligst nach Malta gesandt habe, um die sofortige Anwesenheit der englischen Flotte im Archipelagus zu fordern, und daß russische Schiffe bei Kilia, nahe den Dardanellen, Anker geworfen hatten. Der Pariser „Moniteur"[5J teilt mit, das französische Geschwader in Toulon sei in die griechischen Gewässer beordert worden. Admiral Dundas ist jedoch noch in Malta. Aus all dem geht hervor, daß die orientalische Frage wieder einmal auf der europäischen „ordre du jour"3 steht, eine Tatsache, die niemand überraschen kann, der mit der Geschichte vertraut ist. Immer wenn der revolutionäre Sturmwind für einen Augenblick sich gelegt hat, kann man sicher sein, eine ständig wiederkehrende Frage auftauchen zu sehen: die ewige „Orientalische Frage". So war's, als die Stürme der ersten französischen Revolution vorübergebraust waren und Napoleon und Alexander von Rußland nach dem Tilsiter Frieden den ganzen europäischen Kontinent unter sich geteilt hatten163; da machte sich Alexander die kurze Stille zunutze, ließ eine Armee in die Türkei einmarschieren, um jenen Elementen „behilflich zu sein", die das zerfallende Reich von innen aus
1 W.A.Kornilow - 2 A.A.Nepokoitschizki - 3 „Tagesordnung"
höhlten. Dann wieder, kaum waren die revolutionären Bewegungen des westlichen Europas durch die Kongresse von Laibach und Verona unterdrückt worden171, da führte Nikolaus, der Nachfolger Alexanders, einen neuen Schlag gegen die Türkei. Einige Jahre später, als die Julirevolution mit den sie begleitenden Aufständen in Polen, Italien und Belgien vorüber war, und Europa in der Form, die es 1831 erhalten, anscheinend nicht mehr mit inneren Stürmen zu rechnen brauchte, war die orientalische Frage 1840 wieder nahe daran, die „Großmächte" in einen allgemeinen Krieg zu verwickeln181. Und nun, da die Kurzsichtigkeit der herrschenden Pygmäen sich stolz damit brüstet, Europa glücklich von den Gefahren der Anarchie und der Revolution befreit zu haben, da taucht sie wieder auf, die immer noch ungelöste Frage, die nie aufhörende Schwierigkeit: Was fangen wir mit der Türkei an? Die Türkei ist der wunde Punkt des europäischen Legitimismus. Die Impotenz des legitimistischen, monarchischen Regierungssystems findet seit der ersten französischen Revolution seinen Ausdruck in dem einen Satz: Aufrechterhaltung des Status quo. In dieser allgemeinen Übereinstimmung, die Dinge so zu belassen, wie sie von selbst oder durch Zufall geworden sind, liegt ein testimonium paupertatis1, ein Eingeständnis der völligen Unfähigkeit der herrschenden Mächte, irgend etwas für den Fortschritt oder die Zivilisation zu tun. Napoleon konnte in einem Augenblick über einen ganzen Kontinent verfügen und wußte wahrlich in einer Weise darüber zu verfügen, die Genie und Zielstrebigkeit verriet. Die ganze „kollektive Weisheit" der Vertreter des europäischen Legitimismus, die sich auf dem Wiener Kongreß191 versammelten, brauchte mehrere Jahre, um dasselbe zu leisten; man geriet sich in die Haare darüber, machte ein klägliches Durcheinander daraus und fand das alles schließlich so todlangweilig, daß man die Lust verlor und seither nie mehr versuchte, Europa zu teilen. Myrmidonen der Mittelmäßigkeit, wie Beranger1101 sie nennt, ohne historische Kenntnisse oder Einsicht in die Tatsachen, ohne Ideen, ohne Initiative, vergöttern sie den Status quo, den sie selbst zusammengepfuscht haben, in dem vollen Bewußtsein der Stümperhaftigkeit ihres Machwerks. Doch die Türkei bleibt ebensowenig stehen wie die übrige Welt; und gerade dann, wenn es der reaktionären Partei gelungen ist, den von ihr so genannten Status quo ante2 im zivilisierten Europa wiederherzustellen, entdeckt man, daß sich inzwischen in der Türkei der Status quo sehr verändert hat, daß neue Fragen, neue Beziehungen, neue Interessen aufgetaucht sind und
1 Armutszeugnis - 2 früheren Zustand
daß die armen Diplomaten dort von neuem beginnen müssen, wo sie vor ungefähr acht oder zehn Jahren durch ein allgemeines Erdbeben unterbrochen wurden. Den Status quo in der Türkei erhalten! Ebensogut könnte man versuchen, den Kadaver eines toten Pferdes in einem bestimmten Stadium der Fäulnis zu erhalten, in dem er sich befindet, ehe die vollständige Verwesung erfolgt. Die Türkei verfault und wird immer mehr verfaulen, solange das jetzige System des „europäischen Gleichgewichts" und die Aufrechterhaltung des Status quo andauern. Und trotz aller Kongresse, Protokolle und Ultimaten wird sie ihren alljährlichen Anteil an den diplomatischen Schwierigkeiten und internationalen Wirrnissen liefern, ebenso wie jeder andere verwesende Körper die Nachbarschaft reichlich mit Kohlenwasserstoff und anderen wohlriechenden Gasen versieht. Sehen wir uns einmal an, um was es geht. Die Türkei besteht aus drei gänzlich verschiedenen Teilen: den afrikanischen Vasallenstaaten, Ägypten und Tunis, der asiatischen Türkei und der europäischen Türkei. Die afrikanischen Besitzungen, von denen allein Ägypten als dem Sultan wirklich Untertan betrachtet werden kann, wollen wir einstweilen aus dem Spiele lassen. Ägypten jedoch gehört mehr als irgend jemand anderem den Engländern; es wird und muß notwendigerweise ihnen bei einer künftigen Teilung der Türkei zufallen. In der asiatischen Türkei ist der Sitz aller Kraft, die diesem Reiche noch innewohnt. Kleinasien und Armenien, wo vierhundert Jahre lang die Türken hauptsächlich wohnten, bilden das Reservoir, aus dem die türkischen Armeen gezogen wurden, angefangen mit denen, die die Wälle Wiens bedrohten, bis zu jenen, die von Diebitschs nicht gerade geschickten Manövern bei Kulewtscha[11] zerstreut wurden. Die asiatische Türkei bildet, obgleich sie dünn bevölkert ist, dennoch eine zu geschlossene Masse fanatischer Muselmanen türkischer Nationalität, um gegenwärtig zu irgendwelchen Versuchen, die Türkei zu erobern, aufzumuntern. Und tatsächlich werden bei Erörterungen der „orientalischen Frage" stets von diesen Gebieten nur die beiden Landstriche Palästina und die christlichen Täler des Libanon in Betracht gezogen. Der wirklich strittige Punkt ist immer die europäische Türkei, die große Halbinsel südlich der Save und der Donau. Dieses herrliche Gebiet ist so unglücklich, von einem Konglomerat der verschiedensten Rassen1121 und Nationalitäten bewohnt zu werden, von denen man schwer sagen kann, welche von ihnen die für Zivilisation und Fortschritt am wenigsten befähigte ist. Zwölf Millionen Slawen, Griechen, Walachen und Arnauten1 werden von
1 türkische Bezeichnung für Albanier
einer Million Türken in Untertänigkeit gehalten, und bis vor kurzem schien es zweifelhaft, ob nicht unter all diesen verschiedenen Rassen die Türken die geeignetsten seien, die Oberherrschaft zu behaupten, die bei einer so gemischten Bevölkerung nur einer dieser Nationalitäten zufallen konnte. Doch wenn wir sehen, wie jämmerlich alle Anläufe zur Zivilisation seitens der türkischen Regierung scheiterten, wie der Fanatismus des Islam, der sich hauptsächlich auf den türkischen Mob einiger großer Städte stützt, sich die Hilfe Österreichs und Rußlands stets nur zunutze gemacht hatte, um erneut an die Macht zu kommen und jeden etwaigen Fortschritt wieder zu vernichten; wenn wir sehen, wie die Zentral-, d. h. die türkische, Regierung Jahr für Jahr durch Aufstände in den christlichen Provinzen geschwächt wird, von denen keiner, dank der Schwäche der Pforte[13) und der Intervention der benachbarten Staaten, ganz erfolglos bleibt; wenn wir schließlich sehen, wie Griechenland seine Unabhängigkeit erringt, Teile Armeniens von Rußland erobert werden, die Moldau, die Walachei und Serbien nacheinander unter das Protektorat Rußlands kommen, dann werden wir zugeben müssen, daß die Anwesenheit der Türken in Europa ein ernsthaftes Hindernis für die Entwicklung der Ressourcen der thrazisch-illyrischen Halbinsel ist. Wir können die Türken schwerlich als die herrschende Klasse in der Türkei bezeichnen, da die Beziehungen der verschiedenen Gesellschaftsklassen daselbst ebenso verwirrte sind wie die der verschiedenen Rassen. Der Türke ist, je nach Umständen und Örtlichkeit, Arbeiter, Landmann, kleiner Pächter, Handelsmann, feudaler Gutsbesitzer in dem niedersten und barbarischsten Stadium des Feudalismus, Zivilbeamter oder Soldat; aber welche soziale Stellung er auch einnehmen mag, er gehört der bevorrechteten Religion und Nation an - er allein hat das Recht, Waffen zu tragen, und der höchstgestellte Christ muß dem niedrigsten Moslem den Weg freigeben, wenn er ihm begegnet. In Bosnien und der Herzegowina ist der Adel slawischer Abstammung zum Islam übergetreten, während die Masse des Volkes Rajahs, d. h. Christen, geblieben sind. In dieser Provinz sind also der herrschende Glaube und die herrschende Klasse identisch, wie denn auch der bosnische Moslem auf einer Stufe mit seinem Glaubensgenossen türkischer Abstammung steht. Die Hauptstütze der türkischen Bevölkerung in Europa ist - abgesehen von der stets bereiten Reserve in Asien - der Mob Konstantinopels und einiger anderer großer Städte. Er ist vorwiegend türkischer Abkunft, und obgleich er seinen Unterhalt hauptsächlich durch die Beschäftigung bei christlichen Kapitalisten verdient, hält er doch eifersüchtig an der eingebildeten Überlegenheit und an der tatsächlichen Straflosigkeit für alle Exzesse fest, die ihm der privilegierte Islam gegenüber den Christen verleiht. Es ist
wohl bekannt, daß dieser Mob bei jedem wichtigen Coup d'etat1 durch Bestechung und Schmeichelei gewonnen werden muß. Dieser Mob allein ist es, der, abgesehen von einigen kolonisierten Distrikten, die Hauptmasse der türkischen Bevölkerung in Europa bildet. Und sicherlich wird sich früher oder spater die absolute Notwendigkeit herausstellen, einen der schönsten Teile des europäischen Kontinents von der Herrschaft eines Mobs zu befreien, mit dem verglichen der Mob des römischen Kaiserreichs eine Versammlung von Weisen und Helden war. Unter den anderen Nationalitäten können wir die Arnauten mit wenigen Worten abtun; sie sind ein abgehärtetes, ursprüngliches Gebirgsvolk, das das gegen die Adria abfallende Land bewohnt, seine eigene Sprache spricht, die aber doch, wie es scheint, dem großen indogermanischen Sprachstamm angehört. Sie sind teils griechische Christen, teils Moslems, und nach allem, was wir von ihnen wissen, noch sehr wenig für die Zivilisation vorbereitet. Ihre räuberischen Gewohnheiten werden jede Regierung eines Nachbarlandes zwingen, sie in strengster militärischer Unterwerfung zu halten, bis der industrielle Fortschritt in den umgebenden Gebieten ihnen Beschäftigung als Holzhauer oder Wasserschöpfer geben wird, geradeso wie es bei den Gallegos1141 in Spanien und anderen Gebirgsbewohnern der Fall war. Die Walachen oder Dako-Romanen, die Hauptbewohner des Landes zwischen der unteren Donau und dem Dnestr, sind eine sehr gemischte Bevölkerung, die der griechisch-orthodoxen Kirche angehört und eine vom Lateinischen abstammende, dem Italienischen in vieler Hinsicht ähnliche Sprache spricht. Von ihnen sind die Bewohner Transsilvaniens und der Bukowina österreichische Untertanen, die Bewohner Bessarabiens sind Rußland Untertan; die Bewohner der Moldau und der Walachei, der beiden einzigen Fürstentümer, wo die dako-romanische Rasse eine politische Existenz errungen hat, haben ihre eigenen Fürsten, die der nominellen Suzeränität der Pforte unterstehen und de facto der Oberherrschaft Rußlands. Die transsilvanischen Walachen machten während des ungarischen Kriegs[15] viel von sich reden. Sie standen bisher unter dem Feudaljoch der ungarischen Landmagnaten, die - nach österreichischem System - gleichzeitig der Regierung als Werkzeuge der Unterdrückung und Ausplünderung dienten. Diese brutalisierte Masse war auf ähnliche Weise wie die ruthenischen Leibeigenen von Galizien 1846[16] von den Österreichern mit Versprechungen und durch Bestechungen gewonnen worden; und so begannen die Walachen jenen Zerstörungskrieg, der aus Transsil vanieneine Wüste machte. Die Dako-Romanen
1 Staatsstreich
der türkischen Fürstentümer haben wenigstens einen eingeborenen Adel und politische Institutionen, und trotz aller Anstrengungen Rußlands ist der revolutionäre Geist bei ihnen durchgedrungen, wie der Aufstand von I848[1?1 zur Genüge bewies. Zweifellos müssen die Bedrückungen und Erpressungen, denen sie während der russischen Okkupation seit 1848ausgesetzt waren, diesen Geist in ihnen noch mehr genährt haben, trotz des Bandes der gemeinsamen Religion und des zarisch-popischen Aberglaubens, mit dem sie bis jetzt auf das kaiserliche Haupt der griechischen Kirche als auf ihren natürlichen Beschützer geblickt hatten. Und wenn dem wirklich so ist, dann kann die walachische Nationalität einmal eine hervorragende Rolle bei der endgültigen Entscheidung über jene in Frage kommenden Gebiete spielen. Die Griechen in der Türkei sind meist slawischer Abkunft, haben aber die neugriechische Sprache angenommen; tatsächlich wird allgemein zugegeben, daß, abgesehen von einigen adeligen Familien in Konstantinopel und Trapezunt, man selbst In Griechenland sehr wenig rein hellenisches Blut finden würde. Die Griechen stellen neben den Juden die Hauptmasse der Handelsleute in den Seehäfen und vielen Binnenstädten. In manchen Bezirken sind sie auch Ackerbauern. Aber nirgends, mit Ausnahme in Thessalien und vielleicht im Epirus, spielen sie weder ihrer Zahl, noch ihrer Dichtigkeit, noch ihrem nationalen Bewußtsein nach als Nation irgendeine politische Rolle. Der Einfluß, den einige griechische adelige Familien in Konstantinopel als Dragomanen (Ubersetzer) hatten, nimmt rasch ab, seit Türken in Europa Erziehung genießen und seit europäische Gesandtschaften türkisch sprechende Attaches haben. Wir kommen jetzt zu der Rasse, welche die große Masse der Bevölkerung bildet und deren Blut überall dort überwiegt, wo es zu einer Rassenvermischung gekommen ist. Ja, man kann sagen, daß sie den Hauptstamm der christlichen Bevölkerung von Morea bis zur Donau und vom Schwarzen Meer bis zu den arnautischen Bergen bildet. Diese Rasse ist die slawische, und zwar besonders jener Zweig derselben, der unter dem Namen des illyrischen (Ilirski) oder südslawischen (Jugoslavenski) zusammengefaßt wird. Nach den Westslawen (Polen und Böhmen) und den Ostslawen (Russen) bilden sie den dritten Zweig jener zahlreichen slawischen Familie, die in den letzten zwölf Jahrhunderten den Osten Europas bewohnte. Diese Südslawen bewohnen nicht nur den größten Teil der Türkei, sondern auch Dalmatien, Kroatien, Slawonien und den Süden Ungarns. Sie sprechen alle dieselbe Sprache, die der russischen sehr verwandt und für westliche Ohren die bei weitem musikalischste aller slawischen Sprachen ist. Die Kroaten und ein Teil der Dalmatiner sind römisch-katholisch; alle übrigen gehören der
griechisch-orthodoxen Kirche an. Die Römisch-Katholischen schreiben das lateinische Alphabet, aber die Anhänger der griechischen Kirche schreiben in kyrillischer Schrift, die auch in der russischen und altslawischen oder Kirchensprache angewendet wird. Dieser Umstand trug neben der Verschiedenheit der Konfessionen dazu bei, jegliche nationale Entwicklung im ganzen südslawischen Gebiet zu verzögern. Ein Bewohner Belgrads mag nicht imstande sein, ein in Agram oder Becse1 gedrucktes Buch zu lesen; ja, er wird sich vielleicht sogar weigern, es in die Hand zu nehmen, wegen des darin gebrauchten „ketzerischen" Alphabets und einer ebensolchen Orthographie. Aber es wird ihm gar nicht schwer fallen, ein in Moskau in russischer Sprache gedrucktes Buch zu lesen und zu verstehen, da beide Sprachen besonders in dem altslawischen etymologischen System der Orthographie einander sehr ähnlich sind, und weil dies Buch mit dem „orthodoxen" (prawoslawni) Alphabet gedruckt ist. Die Masse der Slawen griechischorthodoxen Glaubens will ihre Bibeln, Liturgien und Gebetbücher nicht einmal im eigenen Lande gedruckt haben, da sie überzeugt ist, daß allem, was im heiligen Moskau oder in der kaiserlichen Druckerei in, St.Petersburg gedruckt ist, eine besondere Richtigkeit und Orthodoxie und ein Geruch von Heiligkeit anhaftet. Trotz aller panslawistischen Anstrengungen der Agramer oder Prager Enthusiasten1181 hat der Serbe, der Bulgare, der bosnische Rajah, der slawische Bauer aus Mazedonien und Thrazien mehr nationale Sympathie, mehr Berührungspunkte, mehr Mittel des geistigen Verkehrs mit dem Russen als mit dem römisch-katholischen Südslawen, der dieselbe Sprache spricht. Was immer geschehen mag, er erwartet von St. Petersburg seinen Messias, der ihn von allem Übel erlöst; und wenn er Konstantinopel sein Zarigrad, seine Kaiserstadt nennt, so tut er dies ebenso in Erwartung des orthodoxen Zaren, der da vom Norden kommt und in der Stadt seinen Einzug hält, um sie dem wahren Glauben wiederzugeben, wie ein anderer orthodoxer Zar, der nach der Überlieferung in Konstantinopel herrschte, ehe die Türken in das Land einfielen. In dem größeren Teile der Türkei sind die Slawen zwar der direkten Herrschaft der Türken Untertan, doch wählen sie ihre lokalen Behörden selbst; mancherorts (in Bosnien) hat man sie zu dem Glauben ihrer Eroberer bekehrt. Nur in zwei Gebieten der Türkei hat sich die slawische Rasse ihr politisches Leben erhalten oder erobert. Eins davon ist Serbien, das Tal der Morawa, eine Provinz mit scharf gezogenen natürlichen Grenzlinien, die vor sechshundert Jahren eine hervorragende Rolle in der Geschichte dieser
1 serbische Bezeichnung für Wien
Regionen spielte. Lange Zeit von den Türken unterjocht, erhielten die Serben durch den russischen Krieg von 1806[191 die Möglichkeit einer selbständigen Existenz, wenn auch unter türkischer Oberherrschaft. Seitdem ist Serbien immer unter dem unmittelbaren russischen Protektorat verblieben. Doch, ebenso wie in der Moldau und der Walachei, hat diese politische Selbständigkeit neue Bedürfnisse gezeitigt und Serbien einen größeren Verkehr mit dem westlichen Europa aufgezwungen. Die Zivilisation begann Wurzel zu fassen, der Handel dehnte sich aus, neue Ideen entstanden, und so finden wir inmitten der Hochburg der russischen Machtsphäre, im slawischen, orthodoxen Serbien, eine antirussische Fortschrittspartei (natürlich sehr bescheiden in ihren Reform bestrebungen), deren Haupt der Ex-Finanzminister Garaschanin ist[203. Sollte die griechisch-slawische Bevölkerung jemals zur Herrschaft in dem Lande kommen, das sie bewohnt und in dem sie Dreiviertel der Gesamtbevölkerung ausmacht (7 Millionen), dann gibt es keinen Zweifel daran, daß dieselben Bedürfnisse nach und nach in ihrer Mitte zum Aufkommen einer antirussischen fortschrittlichen Partei führen würden, was bisher stets dann eintrat, wenn ein Teil dieser Bevölkerung halb-unabhängig von der Türkei geworden war. Montenegro ist kein fruchtbares Tal mit verhältnismäßig großen Städten, sondern ein unfruchtbares, schwer zugängliches Bergland. Hier haben sich Räuberbanden eingenistet, welche die Ebenen brandschatzen und die Beute in ihren Bergfestungen aufhäufen. Diese romantischen, aber ziemlich rohen Herren sind schon lange eine Plage für Europa, aber es entspricht ganz der Politik Rußlands und Österreichs, daß sie das Recht der Bewohner der schwarzen Berge verteidigen, Dörfer niederzubrennen, die Einwohner zu ermorden und das Vieh fortzuführen. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Friedrich Engels
Worum es in der Türkei in Wirklichkeit geht
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3740 vom 12. April 1853, Leitartikel] Wir sind erstaunt, daß bei der gegenwärtigen Diskussion über die orientalische Frage die englischen Zeitungen nicht schärfer die lebenswichtigen Interessen hervorgehoben haben, die Großbritannien zum unerbittlichen und unnachgiebigen Gegner der russischen Annexions- und Expansionsgelüste machen sollten. England kann es sich nicht leisten, zuzulassen, daß Rußland zum Beherrscher der Dardanellen und des Bosporus wird. In kommerzieller wie auch in politischer Hinsicht würde solch ein Ereignis der britischen Machtstellung einen heftigen, wenn nicht tödlichen Stoß versetzen. Wir brauchen nur einen Blick auf Englands Handelsbeziehungen mit der Türkei zu werfen. Vor der Entdeckung des direkten Seewegs nach Indien war Konstantinopel der Markt für einen ausgedehnten Handel. Und auch heute noch vermitteln die türkischen Häfen einen sehr bedeutenden und schnell wachsenden Verkehr zwischen Europa und dem Innern Asiens, wenn auch die indischen Produkte auf dem Landweg über Persien, Turan und die Türkei nach Europa gelangen. Um das zu begreifen, genügt es, einen Blick auf die Karte zu werfen. Vom Schwarzwald bis zu den sandigen Höhen von Nowgorod-Weliki ist das ganze Binnenland von Flüssen durchzogen, die sich ins Schwarze oder ins Kaspische Meer ergießen. Die Donau und die Wolga, diese beiden Riesenströme Europas, der Dnestr, der Dnepr und der Don, sie alle bilden natürliche Kanäle zur Beförderung der binnenländischen Produkte zum Schwarzen Meer; und auch zum Kaspischen Meer kann man nur durch das Schwarze Meer gelangen. Zwei Drittel von Europa, das ist ein Teil Deutschlands und Polens, ganz Ungarn, die fruchtbarsten Teile Rußlands und außerdem die europäische Türkei, sind so naturgemäß mit ihrem Export und ihrem Pro
duktenaustausch auf den Euxinus1 angewiesen, um so mehr, als in allen diesen Ländern vorwiegend Landwirtschaft getrieben wird und die große Masse ihrer Erzeugnisse sie immer auf den Wasserweg als das vornehmlichste Beförderungsmittel hinweisen wird. Ungarisches, polnisches, südrussisches Korn, Wolle und Haute aus denselben Ländern erscheinen in jährlich sich steigernden Quantitäten auf unseren westlichen Märkten und werden alle in Galatz, Odessa, Taganrog und anderen Häfen des Schwarzen Meers verschifft. Noch ein anderer wichtiger Handelszweig wird dort betrieben. Konstantinopel und besonders Trapezunt in der asiatischen Türkei sind die Hauptmärkte für den Karawanenhandel nach Innerasien, in die Täler des Euphrat und Tigris, nach Persien und Turkestan. Auch dieser Handel nimmt rapide zu. Griechische und armenische Kaufleute aus diesen beiden Städten importieren große Mengen englischer Fabrikerzeugnisse, deren niedriger Preis die Hausindustrie der asiatischen Harems rasch verdrängt. Trapezunt eignet sich durch seine Lage besser als jeder andere Punkt für diesen Handel. Im Hintergrund hat es die armenischen Hügel, die weit gangbarer sind als die Syrische Wüste, und es liegt in bequemer Nähe von Bagdad, Schiras und Teheran; wovon der letztere Ort als Zwischenmarkt für die Karawanen aus Chiwa und Buchara dient. Welch große Bedeutung dieser Handel und der Handel des Schwarzen Meers überhaupt gewinnt, kann man an der Manchester Börse sehen, wo die dunkelfarbigen griechischen Käufer an Zahl und Einfluß zunehmen, und griechische und südslawische Sprachen häufig neben Deutsch und Englisch zu hören sind. Der Handel von Trapezunt wird auch dadurch zu einem ernsten politischen Problem, weil seinethalben die Interessen Rußlands und Englands im Innern Asiens neuerdings miteinander in Konflikt geraten. Bis 1840 hatten die Russen ein fast ausschließliches Monopol auf den Handel mit ausländischen Erzeugnissen in jener Gegend. Bis zum Indus waren russische Waren vorgedrungen und wurden sogar hie und da den englischen vorgezogen. Man kann ohne fehlzugehen behaupten, daß bis zum afghanischen Kriege und bis zur Eroberung von Sind und Pandschabt21J der englische Handel mit Innerasien gleich Null war. Jetzt liegt die Sache anders. Die unabweisbare Notwendigkeit der unaufhörlichen Ausdehnung des Handels - dieses Fatum, welches das moderne England gleich einem Gespenst verfolgt, und das, wenn es nicht sogleich befriedigt wird, jene schrecklichen Erschütterungen hervorruft, die von New York bis Kanton und von St. Petersburg bis Sydney verspürt werden - diese unerbittliche Notwendigkeit zwingt den englischen
1 alte Bezeichnung für Schwarzes Meer
Worum es in der Türkei in Wirklichkeit geht 15
Handel, Innerasien von zwei Seiten zugleich anzugreifen: vom Indus und vom Schwarzen Meer aus. Und obwohl wir sehr wenig vom russischen Export nach diesem Teil der Welt wissen, so können wir doch aus der Zunahme des englischen Exports in diese Gegenden ruhig schließen, daß der russische Handel daselbst empfindlich nachgelassen haben muß. Das kommerzielle Schlachtfeld zwischen Rußland und England ist vom Indus nach Trapezunt verlegt worden, und der russische Handel, der sich früher bis an die Grenzen des britischen Imperiums im Orient heranwagte, ist nun auf die Verteidigung des äußersten Randes seiner eigenen Zollgrenze beschränkt. Die Bedeutung dieser Tatsache ist im Hinblick auf eine wie immer geartete künftige Lösung der orientalischen Frage und auf die Rolle, die England und Rußland dabei spielen werden, offensichtlich. Sie sind es heute und müssen auch in aller Zukunft im Osten Gegner sein. Wir wollen uns nun diesen Handel am Schwarzen Meer etwas genauer ansehen. Nach dem Londoner „Economist"[221 betrug der englische Export in die türkischen Gebiete, inklusive Ägypten und die Donaufürstentümer:
1840 1440 592 Pfd. St. 1842 2068842 1844 3271 333 1846 2 707 571 1848 3 626241 1850 3 762 480 185 1 3 548959 >> >> >> i) »> >> >> n »> »»
Von diesen Beträgen müssen wenigstens zwei Drittel nach den Häfen des Schwarzen Meers, inklusive Konstantinopel, gegangen sein. Und dieser ganze rasch zunehmende Handel hängt von dem Vertrauen ab, das man der Macht entgegenbringen darf, welche die Dardanellen und den Bosporus, die Schlüssel zum Schwarzen Meer, regiert. Wer diese in Händen hat, kann nach Belieben den Zugang zu diesem äußersten Winkel des Mittelmeers öffnen oder schließen. Wer wird sich der Erwartung hingeben, daß Rußland, wenn es erst einmal in den Besitz von Konstantinopel gelangt ist, das Tor offenhält, durch das England in die Domäne des russischen Handels eingedrungen ist? Soviel über die kommerzielle Bedeutung der Türkei und insbesondere der Dardanellen. Es ist klar, daß von der ungestörten Freiheit, durch diese Tore des Schwarzen Meers Handel zu treiben, nicht nur ein ausgedehnter Handel abhängt, sondern auch der Hauptverkehr zwischen Europa und Innerasien und folglich auch die hauptsächliche Möglichkeit, dieses weite Gebiet wieder der Zivilisation zu erschließen.
Nun wollen wir die Sache noch vom militärischen Gesichtspunkt aus betrachten. Die kommerzielle Bedeutung der Dardanellen und des Bosporus machen sie gleichzeitig auch zu militärischen Positionen ersten Ranges, d.h. zu Positionen von entscheidendem Einfluß in jedem Kriege. Solche Punkte sind Gibraltar und auch Helsingör am Sund. Aber die Dardanellen sind infolge ihrer geographischen Lage sogar noch wichtiger. Die Geschütze von Gibraltar und Helsingör können nicht die ganze Meerenge, an der sie liegen, beherrschen und bedürfen, um diese zu schließen, noch des Beistands einer Flotte; die Meerenge der Dardanellen und des Bosporus hingegen ist so schmal, daß wenige an passenden Stellen errichtete und gut bewaffnete Befestigungen - wie sie Rußland, wenn es einmal im Besitz dieser Straße wäre, ohne einen Augenblick zu zögern errichten würde - den verbündeten Flotten der ganzen Welt trotzen könnten, sollten diese es versuchen, einzudringen. Dann wäre das Schwarze Meer nichts als ein russischer See, mehr als selbst der Ladogasee, der doch im Herzen Rußlands liegt. Der Widerstand der Kaukasier könnte sogleich durch Hunger gebrochen werden; Trapezunt würde zu einem russischen Hafen, die Donau zu einem russischen Fluß. Auch wäre, nach der Einnahme von Konstantinopel, das Türkische Reich in zwei Teile geschnitten: die asiatische und die europäische Türkei hätten keine Möglichkeit, miteinander in Verbindung zu treten oder sich gegenseitig zu unterstützen, und die Hauptmacht der türkischen Armee wäre, wenn sie sich erst nach Asien zurückgedrängt sähe, zu vollkommener Tatenlosigkeit verurteilt. Mazedonien, Thessalien, Albanien würden, wenn sie umgangen und vom Hauptheer abgeschnitten wären, dem Eroberer gar nicht erst die Mühe machen, unterdrückt werden zu müssen, denn ihnen bliebe nichts weiter übrig, als um Gnade zu betteln und um eine Armee zu bitten, die die innere Ordnung aufrechterhielte. Ist aber anzunehmen, daß diese bis ins Riesenhafte gewachsene und ausgedehnte Großmacht auf halbem Wege stehenbleiben wird, wenn sie schon auf dem Wege ist, ein Weltreich zu werden? Selbst wenn sie es wollte, werden es ihr die Verhältnisse nicht erlauben. Durch die Annexion Griechenlands und der Türkei gewinnt sie ausgezeichnete Seehäfen, und die Griechen beliefern sie mit geschickten Seeleuten für ihre Kriegsflotte. Durch die Gewinnung Konstantinopels steht sie an der Schwelle zum Mittelmeer; durch den Besitz von Durazzo und der albanischen Küste von Antivari bis Arta ist sie direkt im Mittelpunkt der Adria, in Sichtweite der britischen Ionischen Inseln und 36 Stunden Dampferfahrt von Malta entfernt. Und da Rußland die österreichischen Besitzungen dann von Norden, Osten und Süden umschlossen haben wird, so kann es auch die Habsburger zu seinen Vasallen
zählen. Noch etwas wäre möglich, ja sogar wahrscheinlich. Die zerrissene und gewundene Westgrenze des Reichs, die nicht mit einer natürlichen Grenzlinie zusammenfällt, würde einer Berichtigung bedürfen, und es würde sich herausstellen, daß die natürliche Grenze Rußlands von Danzig oder etwa Stettin bis Triest geht. Und so gewiß eine Eroberung der anderen folgt und eine Annexion die andere nach sich zieht, so gewiß würde die Eroberung der Türkei durch Rußland nur das Präludium zur Annexion Ungarns, Preußens, Galiziens sein und zur schließlichen Verwirklichung jenes slawischen Reiches führen, von dem manche fanatische panslawistische Philosophen träumten. Rußland ist entschieden eine Eroberernation und war es auch ein ganzes Jahrhundert lang, bis ihm die große Bewegung von 1789 einen furchtbaren Gegner voll mächtiger Tatkraft schuf. Wir meinen die europäische Revolution, die Explosivkraft der demokratischen Ideen und den der Menschheit angeborenen Drang nach Freiheit. Seit jener Epoche gab es tatsächlich bloß zwei Mächte auf dem europäischen Kontinent: Rußland mit seinem Absolutismus auf der einen Seite, die Revolution mit der Demokratie auf der andern. Momentan scheint die Revolution unterdrückt zu sein, aber sie lebt und ist so gefürchtet wie nur je. Das bezeugt der Schrecken der Reaktion bei den Nachrichten von dem letzten Aufstand in Mailand[23]. Gelangt aber Rußland in den Besitz der Türkei, so wird sich seine Stärke fast verdoppeln, und es gewinnt das Übergewicht über das ganze übrige Europa zusammengenommen. Ein solches Ereignis wäre ein unbeschreibliches Unglück für die revolutionäre Sache. Die Aufrechterhaltung der türkischen Unabhängigkeit oder - im Falle eines möglichen Zerfalls des Ottomanischen Reiches - die Vereitelung der russischen Annexionspläne sind Dinge von höchster Bedeutung. Hierin stimmen die Interessen der revolutionären Demokratie und die Englands überein, weder die einen noch die andern können es dem Zaren gestatten, daß Konstantinopel zu einer seiner Hauptstädte wird, und wenn es zum Äußersten kommt, werden wir sehen, daß beide ihm gleichermaßen energischen Widerstand leisten werden.
Geschrieben zwischen dem 23. und 28. März 1853. Aus dem Englischen.
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
Karl Marx
Die Londoner Presse Die Politik Napoleons in der türkischen Frage
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3739 vom II.April 1853] London, 25. März 1853 Bis heute morgen haben wir aus der Türkei keine weiteren authentischen Nachrichten erhalten. Der Pariser Korrespondent des „Morning Herald"1241 behauptet in der heutigen Ausgabe, eine Information von verantwortlicher Stelle zu haben, daß die Russen Bukarest erreicht hätten. Im „Courrier de Marseille" vom 20. d.M. lesen wir:
»Wir sind in der Lage, unseren Lesern den Inhalt einer Note mitzuteilen, die der Hohen Pforte von Herrn d'Oserow sofort nach der Abreise des Grafen Leiningen und vor dem direkt im Diwan gemachten brutalen Ausfall des Fürsten Menschikow übern geben worden war. Nachstehend bringen wir die Hauptpunkte, auf die sich die diplomatische Note bezieht. Der Graf von Nesselrode beschwert sich mit heftigsten Worten darüber, daß die Pforte trotz ihres formalen Versprechens, die Montenegriner nicht anzugreifen, einen mörderischen Krieg gegen dieses Volk geführt habe, was im Petersburger Kabinett größte Unzufriedenheit hervorrief. Um nun den Montenegrinern genügenden Schutz zu sichern und sie vor neuem Unheil zu bewahren, fordert Rußland die Pforte auf, die Unabhängigkeit Montenegros zu achten. Die Note enthielt auch einen Protest gegen die Blockade der albanischen Küste und mündete schließlich in der Forderung an den Sultan, die Minister abzuberufen, deren Wirken stets Mißhelligkeiten zwischen beiden Regierungen hervorgerufen hat. Es heißt, daß die Türkei beim Empfang dieser Note, wenn auch mit Bedauern, zum Nachgeben geneigt war und zwar in jenem Punkt, der sich auf die Abberufung der Minister bezog, besonders wegen Fuad Efendis, des Sultans Schwager, der durch Rifaat Pascha, einen Parteigänger Rußlands, ersetzt worden war. Die Pforte verweigerte jedoch die Anerkennung der Unabhängigkeit Montenegros. Bei dieser Gelegenheit war es, daß sich Fürst Menschikow, ohne dem Außenminister vorher die üblichen Ehrenbezeugungen zu machen, unter Mißachtung aller diplomatischen Formen im Diwan vorstellte und dieser Körperschaft auf unverschämte Weise zu verstehen gab, daß sie sich seinen Forderungen zu
unterwerfen habe. Auf diese Forderung hin rief die Pforte die Hilfe Englands und Frankreichs an."
Im alten Griechenland sagte man von einem Redner, der für sein Schweigen bezahlt wurde, er haben einen Ochsen auf der Zunge. Der Ochs war nämlich eine aus Ägypten eingeführte Silbermünze.125J  Von der „Times"*261 könnten wir ebenfalls sagen, daß sie seit dem Wiederaufleben der orientalischen Frage auch einen Ochsen auf ihrer Zunge trug, wenn auch nicht für ihr Stillschweigen, sondern dafür, daß sie sprach. Zuerst verteidigte diese erfinderische Zeitung die österreichische Intervention in Montenegro unter dem Vorwand, es ginge um das Christentum. Später aber, als Rußland intervenierte, ließ sie diese Ausrede fallen und behauptete, die ganze Frage sei nur ein Streit zwischen der griechisch-katholischen und der römisch-katholischen Kirche, der die „Untertanen" der englischen Staatskirche ganz gleichgültig lasse. Dann hob sie die Wichtigkeit des türkischen Handels für Großbritannien hervor und folgerte aus eben dieser Wichtigkeit, daß Großbritannien nur gewinnen könne, wenn es türkischen Freihandel für russischen Prohibitiv- und Österreichischen Schutzzoll eintausche. Hernach bemühte sich die „Times", zu beweisen, daß England in seiner Nahrungsmittelversorgung von Rußland abhinge und sich daher schweigend den geographischen Anschauungen des Zaren fügen müsse. Es ist dies ein nettes Kompliment für das von der „Times" verherrlichte Handelssystem und eine sehr spaßhafte Beweisführung dafür, daß das Schwarze Meer ein russisches Meer und die Donau ein russischer Fluß werden müsse, um Englands Abhängigkeit von Rußland zu mildern. Als die „Times" dann aus dieser unhaltbaren Position vertrieben worden war, hielt sie sich an die allgemeine Behauptung, daß das Türkische Reich hoffnungslos zerfiele, was nach ihrer Meinung einen endgültigen Beweis dafür liefere, daß Rußland sogleich der Testamentsvollstrecker und Erbe dieses Reiches werden müsse. Dann wieder wollte die „Times" die Bewohner der Türkei der „reinigenden Herrschaft" und dem zivilisierenden Einfluß Rußlands und Österreichs unterwerfen, dabei erinnerte sie sich zwar des alten Märchens, daß die Weisheit aus dem Osten komme, vergaß aber, daß sie kurz vorher selbst behauptet hatte, „Österreich halte in den Provinzen und Königtümern seines eigenen Reiches einen Zustand willkürlicher Autorität und Exekutivgewalt aufrecht, einen Zustand der Tyrannei, der nicht durch das geringste Gesetz geregelt werde".
Um ihrer Frechheit die Krone aufzusetzen, beglückwünscht sich die „Times" schließlich selbst zu ihren eigenen „brillanten" Leitartikeln über die orientalische Frage.
Die gesamte Londoner Presse, die Morgen- und die Abendzeitungen, die Tages- und die Wochenblätter, erhob sich wie ein Mann gegen ihr „führendes Organ". Die „Morning Post"[2?1 macht sich über ihre Kollegen von der „Times" lustig, die sie der Verbreitung absichtlich falscher und absurder Nachrichten bezichtigt. Der „Morning Herald" nennt die „Times" „unsere hebräisch-österreichisch-russische contemporary1". Die „Daily News"[28] spricht kurz vom „Brunnow-Organ". Ihr Zwillingsbruder „Morning Chronicle"[201 schlägt in folgender Weise auf sie los: „Die Journalisten, die um der kommerziellen Bedeutung eines Dutzends großer englisch-griechischer Firmen willen vorschlugen, das Türkische Reich an Rußland auszuliefern, dürfen mit Recht für sich das Monopol auf glänzenden Geist in Anspruch nehmen!" Der „Morning Advertiser"[301 sagte: „Die »Times4 hat recht, wenn sie behauptet, mit ihrer Verfechtung der russischen Interessen allein zu stehen... Sie wird zwar in englischer Sprache gedruckt, aber das ist auch das einzige Englische an ihr. Wo Rußland in Frage kommt, ist sie durch und durch russisch." Zweifellos wird der russische Bär seine Pranken nicht einziehen, solange er nicht überzeugt ist, daß eine momentane „Entente cordiale" zwischen England und Frankreich1311 eintritt. Man beachte nun folgendes wunderbares Zusammentreffen. Am gleichen Tage, als die „Times" die Lords Aberdeen und Clarendon davon zu überzeugen versuchte, daß die türkische Angelegenheit eine bloße Zänkerei zwischen Frankreich und Rußland sei, entdeckte der „roi des dröles"2, wie Guizot Herrn Granier de Cassagnac zu nennen pflegte, im „Constitutionner[321, daß alles nur ein Streit zwischen Lord Palmerston und dem Zaren sei. Wahrlich, wenn wir diese Blätter lesen, so verstehen wir die griechischen Redner mit mazedonischen „Ochsen" auf den Zungen aus den Zeiten, als Demosthenes seine Philippiken donnerte. Die britische Aristokratie allerdings, die durch das Koalitionsministerium vertreten wird, würde im Notfalle die nationalen englischen Interessen ihren speziellen Klasseninteressen opfern; in der Hoffnung, eine Unterstützung für ihre sieche Oligarchie im Westen zu finden, würde sie die Konsolidierung eines jugendlichen Despotismus im Osten gerne gestatten. Louis-Napoleon zaudert noch. Seine ganze Vorliebe gehört dem russischen Autokraten, dessen Regierungssystem er in Frankreich eingeführt hat, und seine ganzen Antipathien richten sich gegen England, dessen parlamentarisches System er in
1 wörtlich: Zeitgenossin; hier im übertragenen Sinne: zeitgenössisches Blatt, Zeitschrift2 „König der Narren"
Frankreich zerstört hat. Und wenn er den Zaren im Osten ruhig Beute machen läßt, so läßt dieser ihn vielleicht im Westen Beute machen. Andererseits täuscht er sich durchaus nicht über die Gefühle der Heiligen Allianz gegenüber dem „Parvenü Khan". Er verfolgt daher eine zweideutige Politik, indem er die Großmächte Europas ebenso zu täuschen versucht, wie er die parlamentarischen Parteien der französischen Nationalversammlung täuschte. Während er ostentativ mit dem englischen Botschafter in der Türkei, Lord Stratford de Redcliffe, fraternisiert, beschwatzt er die russische Fürstin von Lieven mit den schmeichelhaftesten Versprechungen und schickt an den Hof des Sultans Herrn de la Cour, einen warmen Befürworter einer österreichisch-französischen Allianz im Gegensatz zu einer englisch-französischen. Er beordert die Flotte von Toulon in die griechischen Gewässer und läßt am nächsten Tage im „Moniteur"[5] verkünden, daß dies ohne vorherige Verständigung Englands geschehen sei. Während er in einem seiner Organe, dem „Pays"1881, die orientalische Frage als höchst wichtig für Frankreich behandeln läßt, gestattet er seinem anderen Organ, dem „Constitutionnel", die Behauptung, in dieser Frage ständen russische, österreichische und englische Interessen auf dem Spiele, Frankreich habe nur ganz entfernten Anteil daran und befinde sich daher in einer ganz unabhängigen Position. Wer wird ihm mehr bieten, Rußland oder England? Das ist für ihn die Frage. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Friedrich Engels
Die türkische Frage
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3746 vom 19. April 1853, Leitartikel] Es ist noch nicht lange her, daß sich das westeuropäische Publikum und die Amerikaner ein annähernd genaues Urteil über die türkischen Angelegenheiten bilden konnten. Bis zur griechischen Insurrektion*341 war die Türkei in jeder Hinsicht Terra incognita1, und die im Umlauf befindlichen allgemeinen Vorstellungen gründeten sich mehr auf die Märchen aus „Tausendundeiner Nacht" als auf irgendwelche historische Tatsachen. Wohl rühmten sich die offiziellen Diplomaten, die selbst im Lande gewesen waren, genauerer Kenntnisse; allein da keiner von ihnen sich die Mühe gemacht hatte, Türkisch, Südslawisch oder Neugriechisch zu lernen, so war es auch bei ihnen nicht weit her mit dem Wissen, und sie waren daher alle auf die gefärbten Berichte griechischer Dolmetscher und fränkischer Kaufleute angewiesen. Auch vergeudeten diese herumlungernden Diplomaten stets ihre Zeit mit allerlei Intrigen. Nur Joseph von Hammer, der deutsche Historiker der Türkei, macht eine rühmliche Ausnahme. Diese Herren kümmerten sich nicht um das Volk, die Einrichtungen und die sozialen Zustände des Landes; ihre Beziehungen erstreckten sich nur auf den Hof und besonders auf die griechischen Fanarioten1351, die verschlagenen Zwischenträger zwischen zwei Parteien, von denen keine die wirklichen Verhältnisse, die Macht und die Hilfsquellen der anderen kannte. Seit langer Zeit und merkwürdigerweise noch heute bilden die herkömmlichen Vorstellungen und Ansichten, die sich auf solche armselige Informationen stützen, größtenteils die Grundlage aller Aktionen der abendländischen Diplomatie gegenüber der Türkei. Aber während England, Frankreich und lange Zeit sogar Österreich in
1 unbekanntes Land
ihrer orientalischen Politik im Dunkeln tappten, wurden sie alle von einer anderen Macht überlistet. In Rußland, das seinem Wesen und seiner Lebensart, seinen Traditionen und Einrichtungen nach selbst halbasiatisch ist, fanden sich Leute genug, die für den wahren Zustand und Charakter der Türkei das richtige Verständnis hatten. Sie hatten dieselbe Religion wie neun Zehntel der Bewohner der europäischen Türkei; ihre Sprache war fast dieselbe wie die von sieben Millionen türkischer Untertanen; und die bekannte Leichtigkeit, mit der ein Russe fremde Sprachen sprechen lernt, wenn er sie auch nicht völlig beherrscht, machte es den gut bezahlten russischen Agenten leicht, sich mit den türkischen Angelegenheiten vollständig vertraut zu machen. Und schon früh nutzte die russische Regierung diese ihre so außerordentlich günstige Lage im Südosten Europas aus. Hunderte von russischen Agenten durchzogen die Türkei und lenkten die Aufmerksamkeit der griechischen Christen auf den orthodoxen Herrscher als das Haupt, den natürlichen Beschützer und schließlichen Befreier der unterdrückten orientalischen Kirche; den Südsla\ven wieder zeigten sie diesen selben Herrscher als den allmächtigen Zaren, der früher oder später alle Stämme der großen slawischen Rasse unter ein Zepter vereinigen und sie zur herrschenden Rasse Europas machen werde. Die Geistlichkeit der griechisch-orthodoxen Kirche bildete bald eine einzige große Verschwörung zur Verbreitung dieser Ideen. Die serbische Erhebung 18041361 und die griechische Empörung 1821 waren mehr oder weniger direkt durch russisches Gold und russischen Einfluß angestiftet, und wo immer von türkischen Paschas die Fahne der Empörung gegen die Zentralregierung erhoben wurde, da fehlte es weder an russischen Intrigen noch an russischen Geldern. Und während die westlichen Diplomaten, die von der wirklichen Lage in der Türkei nicht mehr wußten als vom Mann im Monde, sich darüber vergeblich die Köpfe zerbrachen, wurde der Krieg erklärt, marschierten russische Truppen im Balkan ein, wurde Stück für Stück vom Ottomanischen Reich abgerissen. Wohl hat man in den letzten dreißig Jahren viel getan, um die Allgemeinheit über die Zustände in der Türkei aufzuklären. Deutsche Philologen und Kritiker haben uns mit ihrer Geschichte und Literatur bekannt gemacht; englische Residenten und englische Kaufleute haben viele Daten über die sozialen Verhältnisse des Türkischen Reiches gesammelt. Aber für die neunmalweisen Diplomaten scheint dies alles nicht zu existieren, und sie halten so zäh wie möglich an den Traditionen fest, die das Lesen der orientalischen Märchenliteratur geschaffen hat und die durch die nicht weniger wunderbaren Berichte ergänzt werden, welche die korrupteste Bande gewissenloser griechischer Söldlinge, die jemals existiert hat, in die Welt setzt.
Und was mußte sich natürlicherweise daraus ergeben? Daß dank der Unwissenheit, Trägheit, fortwährenden Unbeständigkeit und Feigheit der westeuropäischen Regierungen Rußland in allen wesentlichen Punkten konsequent eine seiner Absichten nach der anderen durchsetzte. Von der Schlacht bei Navarino*371 bis zur jetzigen Orientkrise wurde ein Vorgehen der westlichen Mächte entweder durch Zänkereien untereinander vereitelt, die meist der ihnen gemeinsamen Unkenntnis der orientalischen Angelegenheiten und kleinlichen Eifersüchteleien entsprangen, die der orientalischen Auffassungsweise ganz unbegreiflich erscheinen mußten, oder aber jede Aktion diente direkt dem Interesse Rußlands. Und nicht nur die Griechen - in Griechenland und in der Türkei - auch die Slawen sehen in Rußland ihren natürlichen Beschützer; und sogar die Regierung in Konstantinopel, die stets von neuem daran verzweifelt, ihre jeweiligen Bedrängnisse und ihre wirkliche Lage diesen abendländischen Diplomaten begreiflich zu machen, die sich auf ihre völlige Unfähigkeit, türkische Dinge mit eigenen Augen beurteilen zu lernen, noch etwas einbilden, sogar diese türkische Regierung sieht sich immer und immer wieder gezwungen, an Rußlands Gnade zu appellieren und bei der Macht Zuflucht zu suchen, die offen ihre feste Absicht eingesteht, alle Türken über den Bosporus zu jagen und das Sankt-Andreas-Kreuz auf die Minarette der Hagia Sophia1381 zu pflanzen. Der diplomatischen Tradition zum Trotz haben schließlich diese beständigen und erfolgreichen Übergriffe Rußlands in den Kabinetten der europäischen Westmächte eine ganz leise und entfernte Befürchtung der nahenden Gefahr hervorgerufen. Diese Befürchtung zeitigte das große diplomatische Patentmittel, daß die Aufrechterhaltung des Status quo in der Türkei eine für den Weltfrieden unerläßliche Bedingung sei. Die prahlerische Unfähigkeit mancher moderner Staatsmänner hätte ihre Unwissenheit und Hilflosigkeit durch nichts deutlicher manifestieren können als durch dieses Axiom, das, obzwar immer ein toter Buchstabe, dennoch in der kurzen Periode von zwanzig Jahren durch die Tradition geheiligt und ebenso ehrwürdig und unanfechtbar geworden ist wie die Magna Charta des Königs Johann*391. Aufrechterhaltung des Status quo! Aber gerade um den Status quo aufrechtzuerhalten, schürte Rußland den Aufstand in Serbien, machte es Griechenland unabhängig, eignete es sich das Protektorat über die Moldau und die Walachei an und behielt einen Teil Armeniens für sich! England und Frankreich rührten sich nicht, als all dies geschah, und nur ein einziges Mal gaben sie ein Lebenszeichen; das war 1849, als sie nicht die Türkei, sondern die ungarischen Flüchtlinge beschützten*401. Für die europäische Diplomatie und sogar für die europäische Presse beschränkt sich die ganze orientalische
Frage auf das Dilemma: entweder die Russen in Konstantinopel, oder die Aufrechterhaltung des Status quo - darüber hinaus existiert für sie nichts. Man sehe sich als Illustration die Londoner Presse an. Da haben wir die „Times"1261, die für die Zerstücklung der Türkei eintritt und erklärt, die türkische Rasse sei untauglich, noch länger in diesem schönen Winkel Europas zu herrschen. Geschickt wie immer greift die „Times" keck die alte diplomatische Tradition des Status quo an und erklärt ihre Fortdauer für unmöglich. Das ganze Talent, das diesem Blatte zur Verfügung steht, wird aufgeboten, um diese Unmöglichkeit unter den verschiedensten Gesichtspunkten darzutun und die britischen Sympathien zu einem neuen Kreuzzug gegen die Uberreste der Sarazenen1 aufzubieten. Das Verdienst dieses rücksichtslosen Angriffs gegen eine nichtssagende und altehrwürdige Phrase, die vor zwei Monaten der „Times" selbst noch heilig war, ist nicht zu leugnen. Wer aber diese Zeitung kennt, der weiß auch, daß diese ungewohnte Kühnheit direkt im Interesse Rußlands und Österreichs aufgewandt wird. Die in ihren Spalten vorgebrachten unanfechtbaren Gründe für die vollkommene Unmöglichkeit, die Türkei in ihrem jetzigen Zustand zu erhalten, dienen keinem anderen Zweck, als das englische Publikum und die Welt auf den Augenblick vorzubereiten, wo die wichtigste Verfügung im Testament Peters des Großen[41] die Eroberung des Bosporus - zur vollendeten Tatsache wird. „Daily News"[28], das Organ der Liberalen, vertritt den entgegengesetzten Standpunkt. Die „Times" gewinnt der Frage zum wenigsten eine neue und zutreffende Seite ab, um sie allerdings hinterher zu eigennützigen Zwecken zu verdrehen. Der gesunde Menschenverstand aber, der in den Spalten der liberalen Zeitung herrscht, ist jedoch nur von recht hausbackener Art. Die „Daily News" sieht nicht über ihre eigene Nasenspitze hinaus. Sie ist sich klar darüber, daß eine Zerstücklung der Türkei unter den jetzigen Verhältnissen die Russen nach Konstantinopel führen müsse und daß dies ein großes Unglück für England wäre; daß dadurch der Weltfriede bedroht, der Handel im Schwarzen Meer ruiniert wäre und daß neue Verstärkungen der Stützpunkte und der Flotte Englands im Mittelmeer notwendig würden. Infolgedessen bemüht sich die „Daily News", beim englischen Publikum Furcht und Empörung hervorzurufen. Ist nicht die Teilung der Türkei ein ebenso großes Verbrechen wie die Teilung Polens? Haben nicht die Christen in der Türkei mehr religiöse Freiheit als in Österreich und Rußland? Ist nicht die türkische Regierung eine milde, väterliche Regierung, unter deren Zepter die verschiedenen Nationen, Konfessionen und lokalen Vereinigungen ungestört
1 im Mittelalter Bezeichnung für Mohammedaner besonders Araber und Türken
ihren Angelegenheiten nachgehen können? Ist nicht die Türkei ein Paradies im Vergleich zu Österreich und Rußland? Besteht dort nicht Sicherheit für Leben und Eigentum? Und ist der englische Handel mit der Türkei nicht größer als der mit Rußland und Österreich zusammengenommen, und wächst er nicht von Jahr zu Jahr? Und so fort in wahren Dithyramben, soweit die „Daily News" dithyrambisch sein kann, und in Apotheosen der Türkei, der Türken und alles Türkischen, die den meisten ihrer Leser ganz unbegreiflich erscheinen müssen. Den Schlüssel zu diesem seltsamen Enthusiasmus für die Türken findet man in den Werken des Herrn David Urquhart, Mitglied des Parlaments. Dieser Gentleman schottischer Abkunft, voll mittelalterlicher und patriarchalischer Erinnerungen an seine Heimat, doch mit der modernen Erziehung eines zivilisierten Engländers, gelangte, nachdem er drei Jahre in Griechenland gegen die Türken gekämpft hatte, in die Türkei und wurde dort sogleich zu einem ihrer glühendsten Verehrer. Der romantische Hochländer fühlte sich in den Bergschluchten des Pindus und Balkan ganz zu Hause. Seine Werke über die Türkei, obgleich voll wertvoller Informationen, kann man in drei Paradoxe zusammenfassen, die fast wörtlich folgendermaßen lauten: Erstens, wäre Herr Urquhart nicht britischer Untertan, so möchte er gewiß mit Vorliebe Türke sein; zweitens, wäre er nicht presbyterianischer Kalvinist, so möchte er keiner anderen Religion als dem Islam angehören; und drittens, England und die Türkei sind die beiden einzigen Länder der Welt, die sich der Selbstverwaltung und bürgerlicher und religiöser Freiheit erfreuen. Dieser selbe Urquhart ist nun seither die große Autorität in Orientfragen für alle englischen Liberalen geworden, die gegen Palmerston sind, und er ist es auch, der die „Daily News" mit dem Material zu ihren Lobgesängen auf die Türkei versorgt. Das einzige Argument dieser Seite der Frage, das Beachtung verdient, ist folgendes: „Es heißt immer, die Türkei ist im Verfall, worin zeigt sich aber dieser Verfall? Verbreitet sich nicht die Zivilisation, dehnt sich nicht der Handel rapid in der Türkei aus? Wo ihr nichts als Verfall seht, da zeigen uns die Statistiken nur Fortschritt." Es wäre nun aber sehr trügerisch, den zunehmenden Handel am Schwarzen Meer einzig und allein der Türkei aufs Konto zu setzen, und doch geschieht das hier genauso, wie wenn man die kommerzielle und industrielle Leistungsfähigkeit Hollands, der Zufahrtstraße zu dem größten Teil Deutschlands, nach seinemBruttoexport und -import berechnen würde, die zu neun Zehnteln bloßen Transitverkehr darstellen. Und doch, was jeder Statistiker in bezug auf Holland sofort als eine plumpe Fälschung behandeln würde, das versucht in bezug auf die Türkei die gesamte
liberale Presse Englands einschließlich des gelehrten „Economist"[22] der leichtgläubigen Öffentlichkeit einzureden. Und wer sind die Kaufleute in der Türkei? Die Türken sicher nicht. Als sie noch im ursprünglichen nomadischen Zustand lebten, bestand ihre Art, Handel zu treiben, in der Plünderung von Karawanen; jetzt, wo sie etwas zivilisierter sind, besteht sie in allen möglichen willkürlichen und drückenden Besteuerungen. Die Griechen, die Armenier, die Slawen und die Franken, die in den großen Seehäfen etabliert sind, haben den ganzen Handel in Händen und haben sicherlich keine Ursache, sich bei den türkischen Beis und Paschas dafür zu bedanken, daß ihnen das ermöglicht wird. Man entferne alle Türken aus Europa, der Handel wird nicht darunter leiden. Und der Fortschritt in der allgemeinen Zivilisation? Wer verbreitet ihn in allen Teilen der europäischen Türkei? Nicht die Türken, denn sie sind gering an Zahl und im Lande zerstreut, und man kann schwerlich sagen, daß sie anderswo seßhaft sind als in Konstantinopel und in zwei oder drei kleinen ländlichen Distrikten. Es ist die griechische und slawische Bourgeoisie in allen Städten und Handelsplätzen, die die wahre Stütze jeglicher Zivilisation ist, die ernsthaft in das Land eingeführt wird. Dieser Teil der Bevölkerung wächst denn auch ständig an Reichtum und Einfluß, und die Türken werden mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Besäßen sie nicht das Monopol auf die Staats» und Militärgewalt, so würden sie bald verschwinden. Dieses Monopol ist aber für die Zukunft unmöglich geworden, und ihre Macht wird zux Ohnmacht werden, ausgenommen in solchen Fällen, wo sie ein Hindernis für den Fortschritt bilden wird. Tatsache ist, daß man mit ihnen aufräumen muß. Jedoch behaupten, daß das nur geschehen kann, wenn man Russen oder Österreicher an ihre Stelle setzt, heißt zugleich die Behauptung aufstellen, daß der jetzige politische Zustand Europas ewig andauern müsse. Wer vermag eine solche Behauptung aufzustellen?
Geschrieben Ende März 1853. Aus dem Englischen.
Karl Marx Die Berliner Verschwörung
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3745 vom 18. April 1853] London, Freitag, 1. April 1853 Endlich kann sich die fünfte „Großmacht", Preußen, des Glücks erfreuen, aus eigenem zu den großen Entdeckungen beigetragen zu haben, welche die österreichische Polizei in bezug auf die „demagogischen Umtriebe" der Revolutionäre gemacht hat.[42] „Die Regierung", so versichern uns ihre offiziellen Organe, „die den Beweis dafür erhalten hatte, daß die Führer der demokratischen Partei fortlaufend Beziehungen zu der revolutionären Propaganda unterhielten, befahl am 29. März in Berlin Haussuchungen durchzuführen, und es gelang ihr, 40 Personen zu verhaften, unter denen sich Streckfuß und die früheren Abgeordneten der preußischen Nationalversammlung, Berends, Waldeck usw., befanden. Haussuchungen wurden in den Häusern von 80 Personen durchgeführt, die der Teilnahme an einer Verschwörung verdächtig sind. Waffen und Munition wurden gefunden." * Nicht zufrieden mit der Veröffentlichung „dieser Aufsehen erregenden Tatsachen" in den offiziellen Blättern, hielt es die preußische Regierung für richtig, sie telegraphisch an das britische Außenministerium weiterzugeben. Um das Geheimnis dieser neuen Polizeiposse zu enthüllen, muß man etwas zurückgehen. Zwei Monate nach dem Coup d'etat Bonapartes verschworen sich Herr Hinckeldey, der Polizeipräsident von Berlin, und sein Untergebener, Herr Stieber, der Polizeirat, der eine, um ein preußischer Maupast der andere, um ein preußischer Pietri zu werden. Vielleicht störte die erhabene Allmacht der französischen Polizei ihren Schlummer. Hinckeldey wandte sich an den Innenminister, Herrn von Westphalen, und gab diesem schwachköpfigen und fanatischen Reaktionär (da Herr von Westphalen mein Schwager ist, hatte ich genügend Gelegenheit, die Geisteskraft dieses Mannes kennenzulernen) falsche Berichte, um die Notwendigkeit zu begründen, die ganze Polizeimacht des preußischen Staates in den Händen des Polizeipräsidenten von Berlin zu konzentrieren. Er behauptete, daß die Polizei, um ihr ein schnelleres Eingreifen zu ermöglichen, vom Innenminister unabhängig gemacht
und ausschließlich ihm selbst, nämlich Hinckeldey, unterstellt werden müsse. Der Minister Herr von Westphalen vertritt die ultrapreußische Aristokratie, während Herr von Manteuffel, der Ministerpräsident, die alte Bürokratie vertritt; beide sind Rivalen, und ersterer sah in dem Vorschlag Hinckeldeys, obwohl er offensichtlich den Wirkungskreis seines Ministeriums einschränkte, ein Mittel, seinem Rivalen einen Schlag zu versetzen, dessen Bruder, Herr von Manteuffel, Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern, im besonderen mit der Kontrolle der gesamten Polizei beauftragt war. Deshalb unterbreitete Herr von Westphalen seinen Vorschlag einem Staatsrat, dessen Vorsitz der König1 selbst hatte. Die Diskussion war sehr aufgeregt. Manteuffel, unterstützt von dem Prinzen von Preußen, griff den Plan der Errichtung eines unabhängigen Polizeiministeriums an. Der König neigte zu dem Vorschlag Herrn von Westphalens und beendete die Debatte mit dem salomonischen Satz, daß er dem Beispiel Bonapartes folgen und ein Polizeiministerium schaffen werde, „wenn man ihm die Notwendigkeit dieses Schrittes durch Fakten beweise". Nun wurde von Hinckeldey und Stieber die Angelegenheit der Kölner Kommunisten zur Lieferung der Fakten erwählt. Das heldenhafte Auftreten jener Männer im Kölner Prozeß*431 ist bekannt. Nach seiner Beendigung beschloß die preußische Regierung, den offen meineidigen Stieber, den Mann, der überall ausgezischt wurde, wo er sich in den Straßen Kölns zeigte, zum Polizeidirektor von Köln zu befördern. Doch Herr von Bethmann-Hollweg und andere gutgesinnte konservative Abgeordnete Rheinpreußens traten dazwischen, indem sie die Minister warnten, daß eine solch offensichtliche Beleidigung der öffentlichen Meinung dieser Provinz sehr verhängnisvolle Folgen zeitigen könnte, in einem Moment, da Napoleon die natürlichen Grenzen Frankreichs1[441 begehre. Die Regierung gab nach, indem sie sich mit der Ernennung Stiebers zum Polizeidirektor von Berlin als Belohnung für seine Meineide in Köln und seine in London begangenen Diebstähle zufriedengab. Hier endete jedoch die Affäre. Es war unmöglich, die Wünsche des Herrn Hinckeldey zu erfüllen und für ihn auf Grund des Kölner Prozesses ein unabhängiges Polizeiministerium zu schaffen. Hinckeldey und Stieber warteten ihre Zeit ab. Zu ihrem Glücke kam der Mailänder Aufstand*231. Sofort führte Stieber in Berlin 20 Verhaftungen durch. Aber die Sache war zu lächerlich, um sie gerichtlich weiter zu verfolgen. Doch dann kam der Anschlag Libenyis, und jetzt war der König reif. Von furchtbaren Ahnungen überwältigt, erkannte er sofort die Notwendigkeit, ein unabhängiges Polizeiministerium zu
1 Friedrich Wilhelm IV.
schaffen, und Hinckeldey sah seine Traume verwirklicht. Ein königlicher Befehl machte ihn zum preußischen Maupas, während der Bruder des Herrn von Manteuffel sein Rücktrittsgesuch einreichte. Der erstaunlichste Teil der Komödie sollte jedoch erst kommen. Kaum war Herr Hinckeldey Hals über Kopf zu seiner neuen Würde gekommen, als geradewegs die „große Berliner Verschwörung" entdeckt wurde. Diese Verschwörung wurde zu dem ausschließlichen Zweck ins Leben gerufen, die Notwendigkeit eines Herrn Hinckeldey zu beweisen. Sie war das Geschenk, das Herr Hinckeldey dem imbezillen König im Austausch für seine neugewonnene Polizei-Autokratie übermachte. Hinckeldeys Gehilfe, der erfindungsreiche Stieber, der in Köln entdeckt hatte, daß, wo immer Briefe mit den Schlußworten „Gruß" und „Brüderschaft" gefunden wurden, es sich ohne Zweifel um eine kommunistische Verschwörung handle, machte jetzt die Entdeckung, daß in Berlin seit einiger Zeit eine verdächtige Anzahl „Kalabreserhüte" auftauchten, und daß der Kalabreser ohne Frage das „Sammelsignal" der Revolutionäre sei. Angestachelt von dieser bedeutenden Entdeckung, führte Stieber am 18. März mehrere Verhaftungen, hauptsächlich unter Arbeitern und Ausländern durch, denen man das Tragen von Kalabreserhüten zur Last legte. Am 23. desselben Monats wurde bei einem Magdeburger Kaufmann, Karl Delius, dem Bruder eines Abgeordneten der Zweiten Kammer, der auch eine unglückliche Vorliebe für Kalabreserhüte hatte, eine Haussuchung durchgeführt. Schließlich wurde, wie ich Ihnen schon am Beginn dieses Artikels mitteilte, am 29. vorigen Monats der große Coup d'6tat gegen die Kalabreserhüte in Berlin vollführt. Alle diejenigen, die etwas von der Milch- und Wasser-Opposition der Waldeck, Berends usw. wissen, werden über die „Waffen und Munition" lachen, die im Besitz dieser höchst harmlosen Brutusse gefunden wurden. Doch wie sinnlos diese ganze Polizeikomödie auch erscheinen mag, die von den Herren Hinckeldey & Stieber lediglich aus persönlichen Motiven in Szene gesetzt wurde, so ist sie doch nicht ohne Bedeutung. Die preußische Regierung ist durch den passiven Widerstand gereizt, auf den sie überall stößt. Sie riecht den Atem der Revolution inmitten einer scheinbaren Apathie. Sie verzweifelt daran, daß sie keine greifbare Form dieses Gespenstes findet und fühlt sich jedesmal wie von einem Alpdruck befreit, wenn die Polizei diesem allgegenwärtigen, aber unsichtbaren Widersacher gewissermaßen körperliche Gestalt verleiht. Sie greift an, sie wird weiter angreifen, und sie wird den passiven Widerstand des Volkes erfolgreich in aktiven umwandeln. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Friedrich Engels
Was soll aus der europäischen Türkei werden?
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3748 vom 21. April 1853, Leitartikel] Wir haben gesehen, wie die Staatsmänner Europas in ihrer halsstarrigen Dummheit, verknöcherten Routine und ererbten geistigen Trägheit schon vor einem bloßen Versuch der Beantwortung dieser Frage zurückschrecken. Aberdeen und Palmerston, Metternich und Guizot, schon gar nicht zu sprechen von ihren republikanischen und konstitutionellen Nachfolgern in den Jahren 1848 bis 1852, deren Namen niemals auf die Nachwelt kommen werden - sie alle verzweifeln an der Lösung dieser Frage. Ungeachtet aller diplomatischen Noten, Intrigen und Machenschaften von seiten Englands und Frankreichs jedoch rückt Rußland Schritt für Schritt, langsam zwar, doch unaufhaltsam gegen Konstantinopel vor. Und obgleich alle Parteien in allen Ländern Europas sich der Tatsache dieses stetigen Vorrückens wohl bewußt sind, so hat noch kein offizieller Staatsmann sie zu erklären vermocht. Sie sehen die Auswirkung dieser Tatsache, sehen sogar ihre letzte Konsequenz, die Ursache aber bleibt ihnen verborgen, obwohl nichts einfacher zu erklären ist. Die große Triebfeder, die Rußlands Vorrücken nach Konstantinopel beschleunigt, ist nichts anderes als das gleiche Mittel, das es davon abhalten sollte: die hohle, niemals durchgesetzte Theorie von der Aufrechterhaltung des Status quo. Worin besteht dieser Status quo? Für die christlichen Untertanen der Pforte bedeutet er nichts anderes als die Verewigung ihrer Unterdrückung durch die Türkei. Und solange sie durch die türkische Herrschaft unterjocht sind, sehen sie im Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, dem Beherrscher von sechzig Millionen griechischer Christen, ihren natürlichen Beschützer und Befreier, mag er auch in anderer Hinsicht sein, was er will. So
kommt es, daß dasselbe diplomatische System, das zur Verhütung russischer Übergriffe erfunden wurde, zehn Millionen griechischer Christen in der europäischen Türkei zwingt, sich an Rußland um Schutz und Hilfe zu wenden. Betrachten wir einmal die historischen Tatsachen. Noch vor Katharina II. Versäumte Rußland keine Gelegenheit, sich in der Moldau und Walachei günstige Verhältnisse zu schaffen. Dies wurde schließlich im Vertrag von Adrianopel (1829)[451 in einem solchen Maße verwirklicht, daß jetzt die erwähnten Fürstentümer mehr Rußland als der Türkei Untertan sind. Als im Jahre 1804 in Serbien die Revolution ausbrach, nahm Rußland sofort die aufständischen Rajah unter seinen Schutz, und, nachdem es sie in zwei Kriegen unterstützt hatte, sicherte es ihnen in zwei Verträgen Selbständigkeit in Angelegenheiten der inneren Verwaltung.1461 Wer entschied den Kampf beim Aufstand der Griechen? Doch nicht die Verschwörungen und Revolten des Ali Pascha von Janina, doch nicht die Schlacht von Navarino, doch nicht die französische Armee in Morea oder die Konferenzen und Protokolle von London, sondern Diebitsch, der mit der russischen Armee über den Balkan ins Marizatal einmarschierte^471 Und wahrend Rußland so ganz unverfroren sich an die Zerstücklung der Türkei machte, wurden die westlichen Diplomaten nicht müde, sich weiter für die Aufrechterhaltung des geheiligten Status quo und die Unverletzlichkeit des Osmanischen Reiches zu verbürgen! Solange diese Tradition der Aufrechterhaltung des Status quo um jeden Preis und der Unabhängigkeit der Türkei in ihrem gegenwärtigen Zustand das Leitmotiv der westlichen Diplomatie sein wird, so lange werden neun Zehntel der Bevölkerung der europäischen Türkei in Rußland ihre einzige Stütze, ihren Befreier, ihren Messias sehen. Nehmen wir einen Augenblick an, daß die griechisch-slawische Halbinsel sich von der türkischen Herrschaft befreit hätte, daß dort eine Regierung existierte, die den Bedürfnissen des Volkes mehr entspräche; wie würde sich dann Rußlands Position gestalten? Es ist allbekannt, daß sich in jedem Staat auf türkischem Gebiet, der sich ganz oder teilweise unabhängig zu machen verstand, sogleich eine starke antirussische Partei entwickelte. Wenn das also schon in einer Zeit der Fall ist, in der die Vasallen in Rußland den einzigen Hort gegen die türkische Unterdrückung sehen, was sollen wir dann gewärtigen, wenn die Furcht vor dieser Unterdrückung verschwunden sein wird? Aber würde nicht ein Weltkrieg entbrennen, wenn der türkische Einfluß am Bosporus verschwände, wenn die verschiedenen Nationalitäten und Konfessionen der Balkanhalbinsel sich befreiten, wenn den Machinationen und Anschlägen, den widersprechenden Wünschen und Interessen aller Groß
mächte Europas Tür und Tor geöffnet würde? So fragt sich die Diplomatie der Feigheit und Routine. Es ist natürlich nicht zu erwarten, daß die Ciarendons, die Palmerstons, die Aberdeens sowie andere europäische Außenminister einer solchen Tat fähig wären! Nur mit Schaudern denken sie daran. Wer aber beim Studium der Geschichte den ewigen Wechsel der menschlichen Geschicke bewundern gelernt hat, in dem nichts ständig ist als die Unbeständigkeit, nichts unveränderlich als der Wechsel; wer den ehernen Gang der Geschichte verfolgt hat, deren Räder mitleidlos über die Trümmer großer Reiche dahinrollen, ganze Generationen erbarmungslos zermalmend; wer mit einem Wort die Augen dafür offen hat, daß kein demagogischer Aufruf und keine aufrührerische Proklamation so revolutionierend wirken kann als die einfachen nackten Tatsachen der Menschheitsgeschichte; wer den ungeheuren revolutionierenden Charakter unserer Epoche zu erfassen vermag, wo Dampf und Wind, Elektrizität und Druckerpresse, Artillerie und Goldfunde miteinander im Bunde in einem Jahr mehr Veränderungen und Revolutionen zuwege bringen als früher ein ganzes Jahrhundert erzeugte, der wird sicher nicht davor zurückschrecken, sich diese historische Frage zu stellen, weil ihre wirkliche Lösung einen europäischen Krieg im Gefolge haben könnte. Nein, Diplomatie und Regierung im altherkömmlichen Sinne werden diese Schwierigkeit niemals lösen. Die Lösung des türkischen Problems bleibt - wie die Lösung so vieler anderer Probleme - der europäischen Revolution vorbehalten. Und es ist keine Vermessenheit, wenn man diese auf den ersten Blick abwegige Frage in den Bereich dieser großen Bewegung einbezieht. Seit 1789 sind die Meilensteine der Revolution immer weiter vorgerückt. Ihre letzten hießen Warschau, Debreczin, Bukarest; die Vorposten der nächsten Revolution müssen Petersburg und Konstantinopel sein. Das sind die zwei verwundbarsten Stellen, an denen der russische antirevolutionäre Koloß angegriffen werden muß. Es wäre ein müßiges Spiel der Phantasie, wollte man einen genauen Plan der Aufteilung der europäischen Türkei entwerfen. Es ließen sich mindestens zwanzig solcher Entwürfe denken, von denen einer so plausibel wäre wie der andere. Wir wollen uns aber nicht mit müßigen phantastischen Projekten abgeben, sondern aus unbestrittenen Tatsachen allgemeine Schlußfolgerungen zu gewinnen suchen. Und von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet sehen wir, daß die Frage zwei Seiten hat. Erstens ist es eine unleugbare Tatsache, daß die Halbinsel, die schlechthin die europäische Türkei genannt wird, das natürliche Erbe der südslawischen Rasse ist. Von den zwölf Millionen Einwohnern gehören sieben Millio
3 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
nen zu dieser Rasse. Seit zwölfhundert Jahren ist sie im Besitz des Bodens. Abgesehen von einer dünngesäten Bevölkerung, die, obgleich slawischen Ursprungs, dennoch die griechische Sprache angenommen hat, sind ihre Konkurrenten türkische oder arnautische Barbaren, die sich längst als hartnäckige Gegner jeglichen Fortschritts erwiesen haben. Hingegen sind die Südslawen im Innern des Landes die ausschließlichen Träger der Zivilisation. Sie sind zwar noch keine Nation, haben aber in Serbien schon einen kraftvollen und verhältnismäßig aufgeklärten nationalen Kern. Die Serben haben eine eigene Geschichte, eine eigene Literatur. Ihre heutige innere Selbständigkeit verdanken sie einem elfjährigen tapferen Kampf gegen einen ihnen an Zahl weit überlegenen Feind. Sie sind in den letzten zwanzig Jahren - was Kultur und allgemeine Zivilisation betrifft - schnell vorangekommen. Die Christen in Bulgarien, Thrazien, Mazedonien und Bosnien sehen in Serbien das Zentrum, um das sich alle in den bevorstehenden Kämpfen für ihre nationale Unabhängigkeit scharen werden. Kurz gesagt kann man behauptende mehr sich Serbien und die serbische Nationalität gefestigt haben, desto mehr ist der direkte Einfluß Rußlands auf die türkischen Slawen in den Hintergrund gedrängt worden; denn Serbien hat, um die ihm eigene Stellung als christlicher Staat behaupten zu können, seine politischen Institutionen, seine Schulen, seine Wissenschaft, die Organisation seiner Industrie von Westeuropa entlehnen müssen. Daraus erklärt sich auch die Anomalie, daß Serbien, trotz der russischen Schutzherrschaft, seit seiner Emanzipation konstitutionelle Monarchie ist. Mögen auch Blutsverwandtschaft und gemeinsame Religion noch so viele Bande zwischen Russen und Südslawen knüpfen, ihre Interessen werden dennoch von dem Tage an entschieden auseinandergehen, an dem sich die letzteren befreien. Die Erfordernisse des Handels, die sich aus der geographischen Lage der beiden Länder ergeben, erklären dies. Rußland, ein kompaktes Binnenland, erzeugt heute vorwiegend agrarische Produkte, später vielleicht einmal auch Industrieprodukte. Die griechisch-slawonische Halbinsel ist zwar von verhältnismäßig kleinem Umfang; aber ihre ausgedehnten Küsten werden von drei Meeren umspült, von denen sie eins beherrscht; sie ist heute hauptsächlich ein Handelsland mit Transitverkehr, wenngleich sie auch selbst ausgezeichnete Ressourcen zur Entwicklung einer eigenen Produktion besitzt. Rußlands Wirtschaft ist auf das Monopol, die der Südslawen auf eine Ausdehnung des Marktes gerichtet. Außerdem sind sie Konkurrenten in Mittelasien; aber während Rußland dort das lebhafteste Interesse daran hat, ausschließlich seine eigenen Produkte abzusetzen, haben die Südslawen heute schon das lebhafteste Interesse daran, auf den Märkten des Ostens die Pro
dukte Westeuropas einzuführen. Wie wäre es also möglich, daß diese beiden Nationen übereinstimmten ? Die türkischen Südslawen und die Griechen haben tatsächlich heute weit mehr gemeinsame Interessen mit Westeuropa als mit Rußland. Und wenn erst die Eisenbahnlinien, die von Ostende, Havre und Hamburg nach Budapest gehen, bis Belgrad und Konstantinopel weitergeführt werden (was jetzt geplant ist), so wird der Einfluß der westlichen Zivilisation und des westlichen Handels im Südosten Europas ein dauernder werden. Andererseits leiden die Slawen der Türkei besonders stark unter der Knechtung durch eine mohammedanische Klasse von militärischen Okkupanten, die sie zu erhalten haben. Diese militärische Besatzung vereinigt in sich alle Öffentlichen Funktionen, sowohl militärische als zivile und juristische. Was ist aber das russische Regierungssystem - überall, wo es nicht mit feudalen Institutionen verquickt ist - anderes als eine militärische Okkupation, wo Zivilbehörden und juristische Hierarchie nach militärischen Gesichtspunkten organisiert sind und wo das Volk das Ganze zu bezahlen hat? Wer aber glaubt, daß ein derartiges System die Südslawen verlocken kann, der mache sich mit der Geschichte Serbiens seit 1804 bekannt: Karageorg, der Begründer der serbischen Unabhängigkeit, wurde vom Volke verlassen, und Michail Obrenovic, der die Unabhängigkeit wiederherstellte, wurde mit Schimpf und Schande aus dem Lande gejagt, weil sie den Versuch gemacht hatten, das russische autokratische System mit seinen Begleiterscheinungen von Korruption, halbmilitärischer Bürokratie und paschamäßiger Ausbeutung einzuführen. Hier liegt also die einfache und endgültige Lösung der Frage. Die Geschichte wie auch die Tatsachen unserer Zeit weisen in gleichem Maße auf die Notwendigkeit hin, in Europa auf den Trümmern des Moslemreiches einen freien, unabhängigen christlichen Staat zu errichten. Schon der nächste revolutionäre Vorstoß vermag den schon längst herangereiften Konflikt zwischen dem russischen Absolutismus und der europäischen Demokratie herbeizuführen. An diesem Konflikt muß England Anteil nehmen, was auch immer für eine Regierung am Ruder sein mag. England kann niemals zugeben, daß Rußland von Konstantinopel Besitz ergreift. Es muß mit den Feinden des Zaren gemeinsame Sache machen und die Bildung eines unabhängigen Slawenreichs an Stelle der altersschwachen, verfaulten Hohen Pforte begünstigen^48^.
Geschrieben Anfang April 1853. Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Berliner Verschwörung Die Londoner Polizei - Mazzini - Radetzky
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3748 vom 21. April 1853] / London, Freitag, 8. April 1853 Zu der Zeit, als ich meinen letzten Artikel über die von Herrn Stieber entdeckte große Verschwörung schrieb1, konnte ich nicht ahnen, daß meine Ansichten zu dieser Affäre mehr oder weniger zwei konservative Berliner Zeitungen bestätigen würden. Das „Preußische Wochenblatt"1491, das Organ der unter Führung des Herrn von Bethmann-Hollweg stehenden konservativen Fraktion, wurde am 2. April beschlagnahmt, weil es seinen Lesern empfohlen hatte, „nicht übereilt den Märchen der Polizei über die jüngsten Verhaftungen zu glauben". Aber von weit größerer Bedeutung ist ein Artikel in der „Zeit"t60], dem offiziösen Blatt der unter Führung des Herrn von Manteuffel stehenden Gruppe der preußischen Regierung. Die „Zeit" ist gezwungen, folgendes Eingeständnis zu machen:
„Niemand, der nicht mit Blindheit geschlagen ist, kann sich verbergen, daß die vielfachen unlösbaren Verwicklungen, die in der allgemeinen Lage der europäischen Verhältnisse vorhanden sind, früher oder später einen gewaltsamen Bruch herbeiführen müssen, den selbst der unzweifelhafte ernstliche Wille der großen Mächte Europas zwar zu verzögern, aber allem menschlichen Ermessen nach unmöglich auf die Dauer zu verhindern vermag... Es ist unsere Pflicht, es nicht länger zu verschweigen, daß sich in immer weiteren Kreisen ein Mißbehagen verbreitet, welches uns um so bedenklicher und verhängnisvoller erscheint, je weniger es sich in bestimmten Äußerungen kundgibt» Weil es sich um so tiefer in das Innere der Gemüter zurückzieht... Dasselbe wird, um es rund und unumwunden herauszusagen, durch das in der neusten Zeit mit unglaublicher Unbesonnenheit
1 Siehe vorl. Band, S. 28-30
hervortretende Bestreben hervorgerufen, eine »Konterrevolution* in Preußen zu bewirken..." Die „Zeit" irrt nur in ihrer Schlußfolgerung. Die preußische Konterrevolution wird jetzt nicht begonnen, sie wird beendet. Sie ist keine neue Erscheinung, sondern begann am 20. Marz 1848 und ist seit diesem Tage ständig auf dem Vormarsch. Gerade in diesem Augenblick ist die preußische Regierung dabei, zwei sehr gefährliche Gesetzentwürfe auszubrüten, der eine begrenzt die Freiheit der Aufteilung von Grundeigentum, der zweite unterstellt den Öffentlichen Unterricht der Kirche. Sie hätten keine geeigneteren Maßnahmen wählen können, die Bauernschaft von Rheinpreußen und die Mittelklassen in der ganzen Monarchie vor den Kopf zu stoßen. Als einen kuriosen Nebenumstand möchte ich auch die zwangsweise Auflösung des Berliner Gesundheitspflegevereins (eines Vereins zur gegenseitigen Unterstützung von Kranken) anführen, als Folge der „großen Entdeckung". Diese Gesellschaft setzte sich aus nahezu 10000 Mitgliedern zusammen, die alle zu den arbeitenden Klassen gehören. Dem Anschein nach ist die Regierung davon überzeugt, daß die gegenwärtige Verfassung des preußischen Staates unvereinbar ist mit „Gesundheitspflege". Die Londoner Presse, bis jetzt die Machenschaften der Londoner Polizei nicht ahnend, ist erstaunt über die Erklärungen der Wiener „Presse"[öl] und der „Emancipation"[52], der führenden reaktionären Zeitung Belgiens, daß die Londoner Polizei eine Liste aller in London lebenden politischen Flüchtlinge zusammengestellt hat, mit vielen Einzelheiten über ihre Privatverhältnisse und persönliche Führung. „Ist einmal ein solches System in bezug auf Ausländer geduldet worden", ereifert sich der „Morning Advertiser"t30J, „so wird es angewandt werden, wann immer die Regierung oder eines ihrer Mitglieder es für wünschenswert erachteten, mit den Einzelheiten des Privatlebens unserer Landsleute bekannt zu werden... Ist es nicht bedauerlich, wenn man annehmen muß, die Londoner Polizei sei dazu aufgefordert worden, die infameRolle zuspielen, dieihren Kollegen auf dem europäischen Kontinentzugedacht?" Neben diesen Erklärungen in belgischen und anderen Zeitungen wurde dieser Tage die Londoner Presse durch telegraphische Depesche aus Wien dahingehend informiert, „daß die Flüchtlingsfrage gelöst ist: die britische Regierung habe versprochen, die Flüchtlinge unter strenger Beobachtung zu halten und sie die volle Schärfe des Gesetzes fühlen zu lassen, wenn Beweise vorliegen sollten, daß sie an »revolutionären Umtrieben4 teilgenommen haben". „Niemals zuvor", so bemerkt der „Morning Advertiser", „fand sich England in einer solchen erniedrigenden Situation, wie jetzt, da es sich Österreich zu.Füßen
geworfen hat. Keine Erniedrigung konnte dieser gleichkommen. Sie blieb dem Koalitionskabinett vorbehalten."
Ich erfahre aus sehr zuverlässiger Quelle, daß die Kronjuristen eine Anklage gegen Mazzini erheben werden, sobald sein Aufenthalt in London festgestellt ist. Andererseits höre ich, daß im Unterhaus Anfragen an die Minister gerichtet werden bezüglich ihrer skandalösen Transaktionen mit Osterreich und ihrer Absichten hinsichtlich der Flüchtlingsfrage im allgemeinen. In einem früheren Artikel habe ich dargelegt, wie froh Radetzky war, durch den Mailänder Aufstand einen Vorwand erhalten zu haben, „Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Geld1 zu erlangen". Diese Ansicht von der Angelegenheit ist inzwischen durch einen nicht mißzuverstehenden Akt bestätigt worden. In einer jüngst erlassenen Proklamation hat Radetzky alle Anleihen oder Hypotheken für null und nichtig erklärt, die seit 1847 auf die beschlagnahmten Besitztümer der lombardischen Emigranten aufgenommen wurden. Diese Konfiskation kann durch nichts anderes gerechtfertigt werden als durch den horrorvacui2 des österreichischen Finanzamtes. Die gefühlvolle Bourgeoisie hat überall die Revolution ihrem Gott - genannt Besitz - geopfert. Jetzt verleugnet die Konterrevolution diesen Gott. Eine Kabeldepesche von heute bringt die Nachricht, daß Fürst Menschikow eine Konvention mit der Pforte abgeschlossen hat, wonach die russischen Truppen Befehl erhalten haben, sich von den türkischen Grenzen zurückzuziehen und daß die orientalische Frage wieder einmal beigelegt worden ist.
Karl Marx
Aus dem Englischen.
1 Siehe Band 8 unserer Ausgabe, S. 527 - 2 die Scheu vor der Leere
Karl Marx
Hirschs Selbstbekenntnisse
[„Belletristisches Journal und New-Yorker Criminal-Zeitung" vom 5. Mai 1853] Hirschs „Selbstbekenntnisse4^531 haben, wie mir scheint, nur so weit Wert, als sie durch andre Tatsachen bestätigt werden. Schon weil sie sich wechselseitig widersprechen. Von seiner Mission nach Köln zurückgekehrt, erklärte er in einer öffentlichen Arbeiterversammlung, Willich sei sein Komplice. Es wurde natürlich verschmäht, dies angebliche Bekenntnis zu protokollieren. Verschiedene Personen, ich weiß nicht, ob mit oder ohne Auftrag Hirschs, zeigten mir darauf an, Hirsch sei erbötig, mir ein volles Geständnis abzulegen. Ich lehnte es ab. Später erfuhr ich, er lebe im äußersten Elend. Ich zweifle daher nicht, daß seine „allerletzten" Bekenntnisse im Interesse der Partei geschrieben sind, die ihn- augenblicklich zahlt Sonderbar, daß es Leute gibt, die es nötig finden, sich unter den Schutz eines Hirschs zu flüchten. Ich beschränke mich einstweilen auf einige Randglossen. Wir hatten mehr Selbstbekenntnisse von Spionen, von Vidocq, Chenu, de la Hodde[541 usw. In einem Punkt stimmen sie überein. Sie alle sind keine ordinären Spione, sondern Spione im höheren Sinn, lauter Fortsetzungen des „Cooperschen Spions"1551. Ihre Selbstbekenntnisse sind notwendig ebensoviel Selbstapologien. So sucht auch Hirsch z. B. anzudeuten, nicht er, Hirsch, sondern Oberst Bangya habe den Tag der Zusammenkunft meiner Parteigenossen dem Greif denunziert und durch Greif dem Fleury. Unsere Zusammenkünfte fanden an einem Donnerstag statt, in den paar Sitzungen, denen Hirsch beiwohnte, aber an einem Mittwoch, seit Hirsch aus ihnen ausgestoßen war. Die falschen Sitzungsprotokollet43J, vor wie nach Hirschs Beiwohnen, sind von
einem Donnerstag datiert. Wer außer Hirsch konnte dies „Mißverständnis" begehen! In einem anderen Punkt ist Hirsch glücklicher, Bangya soll wiederholt Daten in bezug auf meinen Briefwechsel mit Deutschland angegeben haben. Da alle hierauf bezüglichen und in den Kölner Gerichtsakten befindlichen Data falsch sind, so ist allerdings nicht zu entscheiden, wer sie gedichtet hat. Nun zu Bangya. Spion oder nicht Spion, Bangya konnte mir und meinen Parteigenossen nie gefährlich werden, da ich nie über meine Parteiangelegenheiten mit ihm sprach, und Bangya selbst - wie er mir in einer seiner Rechtfertigungsschriften ins Gedächtnis ruft - es durchaus vermied, die Sprache auf diese Angelegenheiten zu bringen. Also Spion oder nicht Spion. Er konnte nichts verraten, weil er nichts wußte. Die Kölner Akten haben dies bestätigt. Sie haben bestätigt, daß die preußische Polizei, außer den in Deutschland selbst gemachten Zugeständnissen und den in Deutschland selbst saisierten Dokumenten, nichts von der Partei wußte, der ich angehöre, und sich daher genötigt sah, die albernsten Ammenmärchen aufzutischen. Aber Bangya hat eine Broschüre von Marx „über die Emigranten" der Polizei verkauft1-561? Bangya erfuhr von mir, in Gegenwart anderer Personen, daß Emst Dronke, Friedrich Engels und ich einePublikation über die Londoner deutsche Emigration beabsichtigten, die in mehreren Heften fortlaufen sollte. Er versicherte, einen Buchhändler in Berlin verschaffen zu können. Ich forderte ihn auf, sich sofort umzusehen. Acht bis zehn Tage später zeigte er an, ein Buchhändler, namens Eisermann, in Berlin, sei erbötig, den Verlag des ersten Hefts zu übernehmen, mit dem Vorbehalt, daß die Verfasser anonym blieben, da er sonst Konfiskation befürchten müsse. Ich ging darauf ein, stellte aber meinerseits die Bedingung, daß das Honorar sofort bei Einhändigung des Manuskripts gezahlt werde, da ich die bei der „Revue der N[euen] Rheinischen] Zeitung"1571 gemachten Erfahrungen nicht wiederholen wolle, und daß das Manuskript nach Ablieferung gedruckt werde. Ich reiste zu Engels nach Manchester, wo die Broschüre ausgearbeitet wurde. In der Zwischenzeit brachte Bangya meiner Frau einen Brief von Berlin, worin Eisermann meine Bedingungen annahm mit dem Bemerken, der Verlag des zweiten Hefts würde von dem Vertrieb des ersten abhängen. Bei meiner Rückkehr erhielt Bangya das Manuskript und ich das Honorar. Aber der Druck verzögerte sich unter verschiedenen plausiblen Vorwänden. Ich schöpfte Verdacht. Nicht, daß das Manuskript der Polizei eingehändigt sei, damit sie es drucke. Ich bin heute bereit, meine Manuskripte
dem Kaiser von Rußland auszuliefern, wenn er seinerseits bereit ist, sie morgen zu drucken. Umgekehrt. Was ich fürchtete, war Unterschlagung des Manuskripts. Die Tagesschreier waren hier angegriffen, natürlich nicht als staatsgefährliche Revolutionäre, sondern als konterrevolutionäre Strohwische. Mein Verdacht bestätigte sich. Georg Weerth, den ich gebeten hatte, in Berlin Forschungen über Eisermann anzustellen, schrieb, daß kein Eisermann aufzutreiben sei. Ich begab mich mit Dronke zu Bangya. Eisermann war nunmehr bloßer Geschäftsführer bei Jacob Collmann. Da es mir darum zu tun war, Bangyas Aussagen schriftlich zu haben, bestand ich darauf, daß er in meiner Gegenwart in einem Brief an Engels in Manchester seine Aussage wiederholte und Collmanns Adressse angebe. Ich richtete zugleich einige Zeilen an Bruno Bauer mit der Bitte, sich zu erkundigen, wer in dem mir von Bangya angegebenen Hause Collmanns wohne, erhielt aber keine Antwort. Der angebliche Buchhändler antwortete auf meine Mahnbriefe, ich habe keinen bestimmten Termin des Drucks kontraktlich abgemacht. Er müsse am besten wissen, wann der geeignete Augenblick gekommen sei. In einem spätem Briefe spielte er den Verletzten. Schließlich erklärte mir Bangya, der Buchhändler weigere sich, das Manuskript zu drucken und werde es zurückschicken. Er selbst verschwand nach Paris. Die Berliner Briefe und Bangyas Briefe, die die ganzen Verhandlungen enthalten, nebst Rechtfertigungsversuchen Bangyas befinden sich in meiner Hand. Aber warum machten mich die Verdächtigungen nicht irre, die die Emigration gegen Bangya ausgestreut hatte? Eben weil ich die „Vorgeschichte" dieser Verdächtigungen kannte. Ich lasse diese Vorgeschichte für jetzt im gebührenden Dunkel. Weil ich wußte, daß Bangya als Revolutionsoffizier im ungarischen Kriege ähnliches geleistet hat. Weil er mit Szemere, den ich achte, in Korrespondenz und mit General Perczel in freundschaftlicher Beziehung stand. Weil ich mit eigenen Augen ein Diplom sah, worin Kossuth ihn zu seinem Polizeipräsidenten in partibus[58] ernennt, gegengezeichnet vom Grafen Szirmay, dem Vertrauten Kossuths, der dasselbe Haus mit Bangya bewohnte. Diese seine Stellung bei Kossuth erklärte auch seinen notwendigen Umgang mit Polizisten. Wenn ich nicht irre, ist Bangya noch in diesem Moment Kossuths Agent in Paris. Die ungarischen Führer mußten ihren Mann kennen. Was riskierte ich im Vergleich mit ihnen? Nichts als die Unterschlagung meiner Kopie, von der ich das Original in der Hand behielt.
Später frug ich bei Buchhändler Lizius in Frankfurt a. M. und anderen Buchhändlern in Deutschland an, ob sie das Manuskript drucken wollten. Sie erklärten es unter den gegenwärtigen Verhältnissen für unmöglich. Jetzt hat sich in der letzten Zeit eine Aussicht eröffnet, es in einem nichtdeutschen Lande gedruckt zu erhalten. Nach diesen Aufschlüssen, die ich natürlich nicht Herrn Hirsch gebe, sondern meinen Landsleuten in Amerika, bleibt nicht „die offene Frage": Welches Interesse hatte die pr[eußische] Polizei, ein Pamphlet gegen Kinkel, Willich und die übrigen „Großen Männer des Exils" zu unterschlagen?
Löse mir, o Oerindur, Diesen Zwiespalt der Natur!
Karl Marx
London, 9. April 1853.
THE toplt'0 pafft? THE CHAMPION Of POLITICAL JUSTICE AND UNIVERSAL RIGHT.
SOI LONDON. EATUBDAY. APBIL 16, 1S5X (Pile* Feurpwc*
Karl Marx
Die neue Finanzgaukelei oder Gladstone und die Penniest59]
[„The People's Paper" Nr. 50 vom 16. April 1853] Unsere Leser wissen aus eigener Erfahrung und merken es an ihrem Geldbeutel, daß alte Finanzmogeleien dem Volk eine Staatsschuld von 800 000 000 Pfd. St. aufgebürdet haben. Diese Schuld wurde hauptsächlich kontrahiert, um die Befreiung der amerikanischen Kolonien zu verhindern und der französischen Revolution vom vorigen Jahrhundert entgegenzuwirken. Der Einfluß, den die Erhöhung der Staatsschuld auf die Erhöhung der Staatsausgaben ausübt, soll durch folgende kleine Tabelle illustriert werden:
/. Staatsschuld^
Als Königin Anna nach Wilhelm (1701) den Thron bestieg ... 16 394 702 Pfd. St. Als Georg I. den Thron bestieg (1714) 54 145 363 „ „ Als Georg II. die Regierung antrat (1727) 52 092 235 „ „ Als Georg III. die Zügel der Regierung ergriff (1760) 146 682 844 „ „ Nach dem amerikanischen Krieg (1784) 257 213 043 „ „ Am Ende des Antijakobinerkriegs (1801) 579 931 447 „ „ Im Januar 1810 (während des Napoleonischen Kriegs) 811 898082 „ Nach 1815 etwa 1000000000 „ „
2. Staatsausgahen Alle Ausgaben einschließlich der Zinsen für die Staatsschuld Als Königin Anna nach Wilhelm (1701) den Thron bestieg .... 5 610 987 Pfd. St. Als Georg I. den Thron'bestieg (1714) 6 633 581 „ „ Als Georg IL die Regierung antrat (1727) 5 441 248 „ „ Als Georg III. die Zügel der Regierung ergriff (1760) 24456940 „ „ Am Ende des Antijakobinerkriegs (1801) 61278018 „ „
3. Staatssteuer
Unter Königin Anna (1701) 4 212 358 Pfd. St. Unter Georg I. (1714) ....... 6 762 643 „ „ Unter Georg Ii. (1727) 6522540 „ „ Unter Georg III. (1760) 8 744 682 „ „ Nach dem amerikanischen Krieg (1784) 13 300 921 „ „ Nachdem Antijakobinerkrieg (1801) 36 728971 „ „ 1809 70 240226 „ „ Nach 1815 etwa 82 000 000 „ „
Das Volk weiß sehr wohl aus Erfahrungen am eigenen Beutel, wie schwer die Staatsschuld auf der Besteuerung lastet; doch nur wenige wissen, unter welchen eigentümlichen Verhältnissen diese Schuld kontrahiert wurde und weiter besteht. Der „Staat", dieses gemeinsame Machtmittel der miteinander verfilzten Land- und Börsenspekulanten, braucht Geld, um die Unterdrückung im Inland wie im Ausland durchzuführen. Von Kapitalisten und Wucherern leiht er Geld aus und gibt ihnen dafür ein Stück Papier, in dem er sich verpflichtet, für jede geliehenen 100 Pfd. St. soundsoviel an Zinsen zu zahlen. Die Mittel, um diese Gelder zu bezahlen, zieht er in Form von Steuern aus den Taschen der Arbeiterklasse, so daß es also das Volk selbst ist, das seinen Bedrückern als Bürge jenen Leuten gegenüber dienen muß, die ihr Geld herleihen, damit dem Volk der Hals abgeschnitten werden kann. Dieses Geld ist unter verschiedenen Bezeichnungen als Schuld entlehnt: manchmal zahlt man dafür 3, 3^2 oder 4% etc., und entsprechend dem Prozentsatz und anderen Zufälligkeiten haben die Fonds auch verschiedene Bezeichnungen: dreiprozentige usw. Da aber nicht die Arbeiterklasse allein, sondern auch Fabrikanten und Grundherren einen Teil dieser Zinsen zu zahlen haben und dabei bemüht sind, so wenig wie möglich zu zahlen, so versucht jeder Schatzkanzler - wenn er kein Whig ist -, diesen Alpdruck auf diese oder jene Weise entsprechend zu verringern. Am 6. April, ehe das Budget des jetzigen Ministeriums zum Antrag erhoben wurde, legte Herr Gladstone dem Unterhause mehrere Vorschläge zur Beschlußfassung vor, die die Staatsschuld behandeln. Vorher schon hatte „Morning ChronicIe"[29] mitgeteilt, es würden Vorschläge von äußerster Wichtigkeit gemacht werden, die „dem Vernehmen zufolge von großer Bedeutung und ungewöhnlichem Interesse" seien. Auf diese Gerüchte hin stiegen die Staatspapiere; man hatte den Eindruck, als wolle Gladstone die Staatsschuld löschen. Also „was sollte der ganze Rummel bedeuten?"1611
Das Endziel der Vorschläge des Herrn Gladstone war, wie er selbst sagte, die Reduzierung der Zinsen der verschiedenen Staatspapiere auf 21/2%den Jahren 1822/1823, 1824/1825, 1830/1831, 1844/1845 hatten bereits Reduzierungen von 5% auf 41/2%, von 41/2% auf 4%, von 4% auf 31/2% von 31lz% auf 3% stattgefunden. Warum sollte jetzt nicht noch eine Reduzierung von 3% auf 21/a% vorgenommen werden können? Prüfen wir also, was Herr Gladstone vorschlägt, um dieses Ziel zu erreichen. Erstens schlägt er vor, gewisse Papiere im Betrag von 9500000 Pfd. St., die vor allem mit dem alten Südseeschwindel[62] in Verbindung stehen, auf einen einzigen Nenner zu bringen und sie zwangsweise von 3% auf zu reduzieren. Das ergibt eine laufende jährliche Ersparnis von ungefähr 25000 Pfd. St. Die Erfindung einer neuen einheitlichen Bezeichnung für verschiedene Papiere und die Einsparung von 25 000 Pfd. St. bei Ausgaben von 30 000 000 Pfd. St. jährlich ist nicht gerade eine allzu bewundernswerte Leistung. Zweitens schlägt er die Emission eines neuen Wertpapiers unter dem Namen Schatzkammerbonds vor, die 30 000 000 Pfd. St. nicht übersteigt. Diese Schatzkammerbonds sollen durch einfache Übergabe, ohne irgendwelche Kosten, übertragbar sein und bis zum 1. September 1864 23/4% und dann, bis zum 1. September 1894,21/a% Zinsen bringen. Dies ist also nichts anderes als die Schaffung eines neuen Finanzinstruments zum Besten der begüterten und handeltreibenden Klasse. Er sagt „kostenlos", d. h. kostenlos für die Börsenleute. Gegenwärtig gibt es für 18 000 000 Pfd. St. Schatzkammerscheine zu l1/2%- Bedeutet es nicht einen Verlust für das Land, wenn es für die Schatzkammerbonds 1% mehr bezahlen soll als für die Schatzkammerscheine? Der zweite Vorschlag hat auf alle Fälle mit einer Verminderung der Staatsschuld nichts zu tun. Die Schatzkammer scheine können nur in England zirkulieren, die Schatzkammerbonds sind übertragbar wie gewöhnliche Wechsel; diese Maßnahme ist also nichts weiter als eine Erleichterung für dieBörsenleute, die das Volk mit einem hohen Preis zu bezahlen hat. Wir kommen schließlich zu dem einzigen wichtigen Punkt, den dreiprozentigen Konsols und den „herabgesetzten Dreiprozentigen", die zusammen ein Kapital von nahezu 500 000 000 Pfd. St. repräsentieren. Eine parlamentarische Verfügung verbietet die zwangsweise Herabsetzung dieser Papiere, außer bei zwölfmonatiger Kündigung. Herr Gladstone wählt daher ein freiwilliges Umwechslungsverfahren und bietet den Besitzern der Dreiprozentigen an, ihre Papiere nach Wahl gegen andere umzutauschen, die nach seinen Vorschlägen geschaffen werden sollen. Die Besitzer der Drei
prozentigen sollen die Wahl haben, je 100 Pfd. St. ihrer Papiere auf eine der drei folgenden Arten umzutauschen: 1. Teilweiser Umtausch. Je 100 Pfd. St. der Dreiprozentigen können in einen Schatzkammerbond in Höhe des gleichen Betrags umgetauscht werden, der bis 1864 2 Pfd. St. 15 sh. und bis 1894 2 Pfd. St. 10 sh. bringt. Wenn sämtliche 30 000 000 Pfd. St. Schatzkammerbonds zu Z7a% die 30 000 000 Pfd. St. Konsols zu 3% ersetzten, so ergibt sich für die ersten zehn Jahre eine Einsparung von 75 000 Pfd. St. und nach den ersten zehn Jahren von 150 000 Pfd. St. -insgesamt 225 000 Pfd. St. Die Regierung wäre jedoch verpflichtet, die gesamten 30 000 000 Pfd. St. nach vierzig Jahren zurückzuzahlen. Dieser Vorschlag bedeutet in keiner Weise eine Maßnahme, geeignet, weitgehend oder auch nur teilweise mit der Staatsschuld fertig zu werden. Was sind 225000Pfd. St. Ersparnis gegenüber jährlichen Ausgaben von 30 000 000 Pfd. St.? 2. Der zweite Vorschlag geht dahin, daß die Besitzer von dreiprozentigen Papieren für je 100Pfd. St. - 82 Pfd.St. lOsh. in neuen 3%prozentigen Papieren erhalten, die bis 5.Januar 1894 mit 3 Pfd. St. lOsh.für 100 Pfd. St. ausgezahlt werden sollen. Gehen die Leute auf diesen Tausch ein, so bekommen sie statt der jetzigen 3 Pfd. St. Zinsen nur mehr 2 Pfd. St. 17 sh. 9 d. oder, in anderen Worten, sie verlieren bei je 100 Pfd. St. 2 sh. 3 d. an Zinsen. Würden die gesamten 500 000 000 Pfd. St. nach diesem Vorschlag konvertiert, so hätte die Nation statt wie bisher 15000 000 Pfd. St. jährlich nur mehr 14 437 500 Pfd. St. zu zahlen, was einem Gewinn von 562 500 Pfd. St. jährlich gleichkäme. Um dieser geringen Einsparung von 562 500 Pfd. St. willen würde sich das Parlament jedoch für ein halbes Jahrhundert die Hände binden und eine Zinsrate bewilligen, die 24/5% übersteigt, und das in einer Zeit, wo alles im Wechsel begriffen ist und äußerste Ungewißheit über die künftige Zinsrate herrscht! Allerdings hätte Gladstone das eine gewonnen: Nach Ablauf der vierzig Jahre gäbe es statt der dreiprozentigen Papiere, die heute durch zwölfmonatige Kündigung geschützt sind, 31/2Prozentige, die das Parlament al pari einlösen könnte. Gladstone schlägt für die 372Pr°zentigen Papiere keine Beschränkung vor. 3. Der dritte Vorschlag lautet: Die Inhaber von je 100 Pfd St. dreiprozentiger Papiere erhalten 110 Pfd. St. in neuen 21/2Prt>zentigen Papieren, die bis 1894 laufen. Als Gladstone am 6. April seinen Plan zum erstenmal dem Unterhaus unterbreitete, hatte er den Betrag der neu zu emittierenden 21/2Pfozentigen Papiere noch nicht fixiert. Als ihn aber Herr Disraeli darauf aufmerksam machte, daß jeder vernünftige Mensch bei einem Vergleich dieses Antrags mit den beiden andern sich unbedingt für die Konversion seiner 100 Pfd. St.
Dreiprozentiger in 110 Pfd. St. 21/2Ptt)zentige entscheiden würde, daß ferner bei der Konversion der 500 000 000 Pfd. St. Dreiprozentige in neue 21l2prozentige die Nation auf einer Seite zwar 1 250 000 Pfd. St. jährlich gewänne, auf der anderen Seite aber die Staatsschuld um 50 000 000 Pfd. St. zunähme, da änderte Herr Gladstone am folgenden Tage seinen Antrag und schlug vor, die neuen 2x/2prozentigen Papiere auf 30 000 000 Pfd. St. zu begrenzen. Durch diese Begrenzung verliert jedoch sein Antrag jeden nennenswerten Einfluß auf die große Masse der Staatsschuld und vergrößert deren Betrag nur um 3 000 000 Pfund. Nun kennen Sie „einen der bedeutendsten und gewaltigsten Finanzvorschläge, der je gemacht wurde". Es gibt wahrscheinlich keinen größeren Humbug in der Welt als das sogenannte Finanzwesen. Die einfachsten Operationen, die Budget und Staatsschuld betreffen, werden von den Jüngern dieser „Geheimwissenschaft" mit den abstrusesten Ausdrücken bezeichnet; hinter dieser Terminologie verstecken sich die trivialen Manöver der Schaffung verschiedener Bezeichnungen von Wertpapieren - die Umwechslung alter Papiere gegen neue, die Herabsetzung des Zinses und die Erhöhung des nominellen Kapitals, die Erhöhung des Zinses und die Herabsetzung des Kapitals, die Einführung von Prämien, Bonussen und Prioritätsaktien, die Unterscheidung zwischen amortisierbaren und nicht amortisierbaren Annuitäten, die künstliche Abstufung der Übertragungsmöglichkeiten der verschiedenen Papiere in einer Weise, daß das Publikum von dieser abscheulichen Börsenscholastik ganz verwirrt ist und sich in der Mannigfaltigkeit der Details ganz verliert. Den Wucherern aber bietet jede derartige neue Finanzoperation eine gierig erwartete Gelegenheit, ihre unheilvolle und räuberische Tätigkeit zu entfalten. Herr Gladstone ist zweifellos ein Meister in dieser Art Finanzalchimie, und Disraeli kennzeichnet seinen Vorschlag sehr treffend, wenn er sagt:
„Witz und Genie der geriebensten Kasuisten haben niemals eine kompliziertere und verwickeitere Maschinerie ersonnen, um ein so geringfügiges Resultat zu erzielen. In den Schriften des heiligen Thomas von Aquino gibt es ein Kapitel, in dem die Frage erörtert wird, wie viele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können. Das war eine der feinsten Blüten des menschlichen Geistes; und ich erkenne in Gladstones Vorschlägen eine auffallende Verwandtschaft mit diesem hervorragenden Geist."
Sie werden sich unserer Feststellung erinnern, daß das Endziel von Gladstones Plänen die Errichtung eines „normalen" 21/2prozentigen Fonds war. Nun schafft er zur Erreichung dieses Zweckes einen sehr beschränkten 21/aprozentigen Fonds und eine unbegrenzte 31/aPi'ozentige Anleihe. Um den
beschränkten 21/aprozentigen Fonds zu schaffen, setzt er den Zinsfuß um 1U% herab und erhöht das Kapital um einen Bonus von 10%. Um der Schwierigkeit des Gesetzes zu entgehen, das den dreiprozentigen Papieren eine zwölfmonatige Kündigungsfrist gewährt, macht er ein Gesetz für ein halbes Jahrhundert im voraus. Kurz gesagt: Hätte er Erfolg, so würde er dem englischen Volke für ein halbes Jahrhundert jede Chance, sich finanziell zu befreien, abschneiden. Jedermann muß zugeben, wenn die Jewish Disabilities Bill1 ein kleiner Versuch war, religiöse Toleranz zu erreichen, die Canada Reserves Bill2 ein kleiner Versuch, koloniale Selbstverwaltung zuzugestehen, die Education Resolution3 ein kleiner Versuch war, die Frage des Volksunterrichts zu umgehen, Gladstones Finanzprojekt dagegen ein unendlich kleiner Versuch ist, mit dem Riesenungeheuer, genannt die Staatsschuld Großbritanniens, fertig zu werden. Karl Marx
Geschrieben am 12. April 1853. Aus dem Englischen»
1 Judenemanzipationsbill - 2 Bill über die Säkularisierung des kanadischen Kirchenreservefonds - 3 Volksunterrichtsbill
Karl Marx
Errungenschaften des Ministeriums
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3753 vom 27. April 1853] London, Dienstag, 12. April 1853 Das Beste, was vielleicht zugunsten des Koalitionsministeriums gesagt werden kann, ist, daß es die Ohnmacht der Regierungsgewalt in einem Moment des Ubergangs zum Ausdruck bringt, in einem Moment, da eine Regierung nur als Erscheinung, aber noch nicht als Realität möglich ist, in einem Moment, da die alten Parteien von der Szene abtreten und die neuen sich noch nicht konsolidiert haben. Welche Errungenschaften hat nun die „ Regierung aller Talente" nach dem ersten Quartal ihrer Probezeit zu verzeichnen? Zwei Lesungen der Jewish Disabilities Bill1 und drei der Canada Clergy Reserves Bill2. Letztere gibt der kanadischen gesetzgebenden Körperschaft die Möglichkeit, über einen bestimmten Teil der Einnahmen aus den Landverkäufen zu verfügen, der bisher ausschließlich den privilegierten Kirchen von England und Schottland zugute kam. Als diese Bill dem Parlament zum ersten Mal von Lord John Russell vorgelegt wurde, bestand sie aus drei Klauseln, von denen die dritte Klausel das Gesetz aufhob, nach welchem der konsolidierte Fonds damit belastet war, das Defizit zu tragen, wenn in irgendeinem Jahre die kanadischen Landverkäufe nicht die Summe von 9285 Pfd. St. erreichen. Diese Bill wurde in der zweiten Lesung angenommen, aber als das Haus daraufhin in Komitee ging (18.März)[631, zog Lord John plötzlich seine eigene dritte Klausel zurück. Folglich würden, wenn die kanadische gesetzgebende Körperschaft den kirchlichen Reservefonds säkularisieren sollte, jährlich 10 000 Pfd. St. aus den Taschen des britischen Volkes für den Unter
1 Judenemanzipationsbill - 2 Bill über die Säkularisierung des kanadischen Kirchenreservefonds
4 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
halt einer tausend Meilen von ihm entfernten Sekte ausgegeben. Der Minister der Radikalen, Sir W. Molesworth, der gegen alle Zuwendungen an die Kirche ist, scheint selbst ein Anhänger der Doktrin Lord Johns geworden zu sein, „daß die britischen Kolonien von dem Alp der englischen Staatskirche nicht anders befreit werden können als auf Kosten und Risiko des britischen Volkes im Mutterlande". Während des ersten Probequartals des Koalitionsministeriums wurden drei Resolutionen der Radikalen eingebracht. Herr Collier schlug die Aufhebung der Kirchengerichte vor, Herr Williams die Ausdehnung der Erbschafts- und der Erbschaftsstempelsteuer auf den Grundbesitz und Herr Hume die Abschaffung aller „reinen Schutzzölle". Natürlich war das Ministerium gegen alle diese „durchgreifenden" Reformen. Aber das Koalitionsministerium ist auf eine ganz andere Weise dagegen als die Tories. Die Tories verkündeten entschlossen ihre Entscheidung, der „Beeinträchtigung der Demokratie" Widerstand zu leisten. Das Koalitionsministerium tut eigentlich dasselbe, aber unter dem Vorwand, die Reformmaßnahmen sorgfältiger anzuwenden. Sie leben von den Reformen, wie die anderen davon lebten, sie zu mißbrauchen. Sie tun so, als ob sie sich sehr mit Reformen beschäftigen, haben aber ein ganzes System erfunden, um sie hinauszuschieben. Einmal halten sie es für „ratsam, das Ergebnis einer laufenden Untersuchung abzuwarten", dann wieder „ist gerade eine Kommission ernannt worden, und es kann nichts unternommen werden, bevor diese nicht ihre Entscheidungen bekanntgegeben hat". Zum andern Mal ist „die Regierung gerade dabei, sich mit dieser Sache zu befassen" und erwartet, bei ihrer Lukubration nicht gestört zu werden. Und weiter, „die Angelegenheit erfordert die Aufmerksamkeit des Hauses und wird erörtert werden, wenn sich eine günstige Gelegenheit bietet"; oder „die richtige Zeit dafür ist noch nicht gekommen". - „Die Zeit ist nicht mehr fern, wo etwas getan werden muß." Einzelne Maßnahmen müssen aufgeschoben werden, um ganze Systeme wieder in Ordnung zu bringen, oder aber ganze Systeme müssen konserviert werden, um einzelne Maßnahmen durchzuführen. Die in der orientalischen Frage proklamierte „Politik der Enthaltung" ist auch die Innenpolitik des Ministeriums. Als Lord John Russell das Programm des Koalitionsministeriums erstmalig ankündigte und es mit allgemeiner Bestürzung aufgenommen wurde, riefen seine Anhänger aus: „Wir müssen etwas haben, was Begeisterung hervorruft. Der Volksunterricht soll es sein. Unser Russell brütet einen wundervollen Erziehungsplan aus. Ihr werdet noch davon hören." Jetzt haben wir davon gehört. Es war am 4. April, da Lord Russell eine allgemeine Darlegung seiner geplanten Unterrichtsreform gab. Ihre Grund
züge bestanden darin, daß sie den Gemeinderäten die Möglichkeit gab, eine Örtliche Steuer zu erheben, um die bestehenden Schulen zu unterstützen, in denen die Doktrinen der anglikanischen Kirche gelehrt werden müssen. Was die Universitäten betrifft, diese Lieblingskinder der Staatskirche, diese Hauptgegner jeder Reform, so hofft Lord John, „daß die Universitäten sich selbst reformieren". Der Mißbrauch der Stiftungen, die für Erziehungsinstitutionen bestimmt sind, ist notorisch. Ihr Wert kann aus folgendem erraten werden:
„Es gibt 24 Stiftungen von je 2000 bis 3000 Pfd. St. im Jahr, 10 von 3000 bis 4000 Pfd. St., 4 von 4000 bis 5000 Pfd. St., 2 von 5000 bis 6000 Pfd. St., 3 von 8000 bis 9000 Pfd. St. und einzelne von 10 000 Pfd. St., 15 000 Pfd. St., 20 000 Pfd. St., 25 000 Pfd. St., 30 000 Pfd. St. und 35 000 Pfd. St. im Jahr."
Es bedarf keines großen Scharfsinns, herauszufinden, warum die Oligarchie, die von dem Mißbrauch dieser Fonds lebt, überaus vorsichtig mit ihnen umgeht. Russell schlägt vor:
„Stiftungen, die weniger als 30 Pfd. St. jährlich betragen, müssen in den Landgerichten überprüft werden, Stiftungen, die darüber liegen, von den Oberkanzleidirektoren. Aber kein Verfahren darf in einem dieser Gerichte eröffnet werden, ohne Erlaubnis des geheimen Ratskomitees, das für diesen Zweck ernannt wurde."
Um den königlichen Gerichten eine Klage einzureichen, damit der Plünderung der Stiftungen, die ursprünglich für den Volksunterricht bestimmt waren, abgeholfen wird, ist die Erlaubnis eines Komitees notwendig. Eine Erlaubnis I Aber selbst mit dieser Einschränkung fühlt sich Lord Russell nicht ganz sicher. Er fügt hinzu:
„Wenn es sich herausstellt, daß die Verwaltung einer Schule korrupt ist, so soll niemand als das geheime Ratskomitee befugt seint einzugreifen
Das ist eine echte Reform im alten englischen Sinne des Wortes. Sie bringt weder etwas Neues hervor, noch beseitigt sie etwas Altes. Sie zielt darauf hin, das alte System zu erhalten, indem sie ihm eine vernünftige Form gibt und ihm sozusagen neue Manieren beibringt. Das ist das Geheimnis der „ererbten Weisheit" der englischen oligarchischen Gesetzgebung. Es besteht einfach darin, Mißbräuche erblich zu machen, indem man sie von Zeit zu Zeit, wie es geschehen ist, durch eine Transfusion frischen Blutes auffrischt. Wenn, wie jeder zugeben muß, die Jewish Disabilities Bill ein keiner Versuch war, religiöse Toleranz zu erreichen, die Canada Reserves Bill ein kleiner Versuch war, koloniale Selbstverwaltung zuzugestehen, die Education
Bill1 ein kleiner Versuch war, die Frage des Volksunterrichts zu umgehen, so ist Gladstones Finanzprojekt dagegen ein unendlich kleiner Versuch, mit dem Riesenungeheuer, genannt die Staatsschuld Großbritanniens, fertig zu werden. Am 6. April, vor der Verkündigung des Budgets, legte Herr Gladstone dem Unterhause mehrere Vorschläge zur Beschlußfassung vor, die die Staatsschuld behandeln. Vorher schon hatte „Morning Chronicle" mitgeteilt, daß Vorschläge von äußerster Wichtigkeit gemacht werden würden, die „dem Vernehmen zufolge von großer Bedeutung und ungewöhnlichem Interesse" seien. Auf dieses Gerücht hin stiegen die Staatspapiere; man hatte den Eindruck, als wolle Gladstone die Staatsschuld löschen. Doch am 8. April, in dem Augenblick, da sich das Komitee zur Beratung über diese Resolutionen traf, änderte Herr Gladstone sie plötzlich und in solcher Weise, daß er ihnen „Bedeutung und Interesse" nahm. Nun fragen wir mit Herrn Disraeli: „Was sollte dieser ganze Rummel bedeuten?" Das Endziel der Anträge des Herrn Gladstone war, wie er selbst sagte, die Reduzierung der Zinsen der Staatspapiere auf den Normalstand von 2V2%. In den Jahren 1822-1825, 1830/1831, 1844/1845 hatten bereits Reduzierungen von 5% auf 41/2% von 41/2% auf 4%, von 4% auf 3x/i% und von 3x/2% auf 3% stattgefunden. Warum sollte jetzt nicht noch eine Reduzierung von 3% auf 2x/2% vorgenommen werden können? Die Vorschläge des Herrn Gladstone lauten folgendermaßen: Erstens: Die verschiedenen Papiere bis zum Betrage von 9500000 Pfd. St. und die hauptsächlich mit dem alten Südseeschwindel verbundenen auf einen einzigen Nenner zu bringen und sie zwangsweise von 3% auf 23/4% zu reduzieren. Dies würde eine laufende jährliche Ersparnis von ungefähr 25 000 Pfd. St. ergeben. Die Erfindung einer neuen gemeinsamen Bezeichnung für verschiedene Papiere und die Einsparung von 25 000 Pfd. St. bei Ausgaben von 30 000 000 Pfd. St. jährlich ist sicherlich kein Grund zur Prahlerei. Zweitens: Schlägt er die Emission eines neuen Wertpapiers unter dem Namen Schatzkammerbonds vor, die 30 000 000 Pfd. St. nicht übersteigen. Diese Schatzkammerbonds sollen durch einfache Übergabe, ohne irgendwelche Kosten, übertragbar sein und bis zum I.September 1864 23/4%und dann, bis zum I.September 1894, 2V2% Zinsen bringen. Dies ist also nichts anderes als die Schaffung eines neuen Finanzinstruments, das in seiner Anwendung durch die Bedürfnisse der begüterten und handeltreibenden Klassen beschränkt ist. Doch wie kann Gladstone für 18 000 000 Pfd. St. Schatzkammerscheine zu l1/2% der Zirkulation halten und gleichzeitig Schatz
1 Volksunterrichtsbill
kammerbonds von 21/2%? Und bedeutet es nicht einen Verlust für das Land, wenn es für die Schatzkammerbonds 1% mehr bezahlen soll als für die Schatzkammerscheine? Wie dem auch sei, dieser zweite Vorschlag hat zumindest nichts mit der Verminderung der Staatsschuld zu tun. Drittens und letztens kommen wir zu der Hauptsache, dem einzigen wichtigen Punkt in Gladstones Vorschlägen, zu den dreiprozentigen Konsols und den herabgesetzten Dreiprozentigen, die zusammen ein Kapital von nahezu 500000000Pfd. St. repräsentieren. HicRhodus, hic salta![641 -Eine parlamentarische Verfügung verbietet die zwangsweise Herabsetzung dieser Papiere, außer bei zwölfmonatiger Kündigung. Herr Gladstone wählt daher ein freiwilliges Umwechslungsverfahren und bietet den Besitzern der Drei-' prozentigen an, ihre Papiere nach Wahl gegen andere umzutauschen, die nach seinen Vorschlägen geschaffen werden sollen. Sie sollen die Wahl haben, 100 Pfd. St. der Dreiprozentigen auf eine der folgenden Arten umzutauschen: I.Sie können je 100Pfd.St. der dreiprozentigen Effekten gegen einen Schatzkammerbond in Höhe des gleichen Betrags umtauschen, der bis 1864 23/4% Zinsen bringt und dann 21l2% bis 1894. Wenn sämtliche 30 000 000 Pfd. St. Schatzkammerbonds zu 21/2% die 30 000 000 Pfd. St. Konsols zu 3% ersetzten, so ergibt sieh für die ersten zehn Jahre eine Einsparung von 75000 Pfd. St. und nach den ersten zehn Jahren von 150 000 Pfd. St.insgesamt 225 000 Pfd. St. Die Regierung wäre jedoch verpflichtet, die gesamten 30 000 000 Pfd. St. zurückzuzahlen. In jedem Fall ist das kein Vorschlag, der weitgehend mit den Staatsschulden fertig wird. 2. Der zweite Vorschlag geht dahin, daß die Besitzer von dreiprozentigen Papieren für je 100 Pfd. St. - 82 Pfd. St. 10 sh. in neuen 31/2Pr<>zentigen Papieren erhalten, die mit einem Zinsfuß von 3^2% bis zum 5. Januar 1894 ausgezahlt werden sollen. Gehen die Leute auf diesen Tausch ein, so bekommen sie statt der jetzigen 3 Pfd. St. Zinsen nur mehr 2 Pfd. St. 17 sh. 9 d. Hier ergibt sich also ein Verlust von jährlich 2 sh. 3 d. auf je 100 Pfd. St. Würden die gesamten 500 000 000 Pfd. St. nach diesem Vorschlag konvertiert, so hätte die Nation statt wie bisher 15000 000 Pfd. St. jährlich nur mehr 14 437 500 Pfd. St. zu zahlen, was einem Gewinn von 562 500 Pfd. St. jährlich gleichkäme. Um dieser geringen Einsparung von 562 500 Pfd. St. willen würde sich das Parlament jedoch für ein halbes Jahrhundert die Hände binden und eine Zinsrate bewilligen, die 24/5% übersteigt; und das in einer Zeit, wo alles im Wechsel begriffen ist und äußerste Ungewißheit über die künftige durchschnittliche Zinsrate besteht. Andrerseits hätte Gladstone wenigstens das eine gewonnen: Nach Ablauf der 40 Jahre würde er nicht durch dreiprozentige Papiere beunruhigt werden, die jetzt durch eine zwölfmonatige
Kündigung geschützt sind. Er brauchte nur mit den 31/2prozentigen Effekten umzugehen, die das Parlament al pari einlösen könnte. Gladstone schlägt für die 3V2Prozent'Sen Papiere keine Beschränkung vor. 3. Der dritte Vorschlag lautet: Die Inhaber von je lOOPfdSt. dreiprozentiger Papiere erhalten 110 Pfd. St. in neuen 21/2prozentigen Papieren, die bis 1894 laufen. Als Gladstone am 6. April seinen Plan dem Unterhause unterbreitete, hatte er den Betrag der neu zu emittierenden Papiere (der 21/2prozentigen) noch nicht fixiert. Als ihn aber Herr Disraeli darauf aufmerksam machte, daß jeder vernünftige Mensch bei einem Vergleich dieses Antrags mit den beiden anderen vorgeschlagenen Modi sich unbedingt für die Konversion seiner 100 Pfd. St. in 21/2Pr°zentige Papiere entscheiden würde, daß ferner bei der Konversion der gesamten 500 000 000 Pfd. St. Dreiprozentige in neue Papiere das Land auf einer Seite wohl 1250 000 Pfd. St. jährlich gewänne, auf der andern Seite aber die Staatsschuld um 50 000 000 Pfd. St. zunähme, da änderte Herr Gladstone am folgenden Tage seinen Antrag und schlug vor, die neuen 21/2pi'ozentigen Papiere auf 30 000 000 Pfd. St. zu begrenzen. Durch diese Änderung verliert jedoch der ganze dritte Antrag seine Bedeutung in bezug auf die Staatsschuld. Die Summe dieser Schuld würde nur um 3 000 000 Pfd. St. zunehmen. Hier haben Sie „einen der bedeutendsten und gewaltigsten Finanzvorschläge, der je gemacht wurde". Es gibt wahrscheinlich keinen größeren Humbug in der Welt als das sogenannte Finanzwesen. Die einfachsten Operationen, die Budget und Staatsschuld betreffen, werden von den Jüngern dieser „GeheimWissenschaft" mit den abstrusesten Ausdrücken bezeichnet; hinter dieser Terminologie verstecken sich die trivialen Manöver der Schaffung verschiedener Bezeichnungen von Wertpapieren - die Umwechslung alter Papiere gegen neue, die Herabsetzung des Zinses und die Erhöhung des nominellen Kapitals, die Erhöhung des Zinses und die Herabsetzung des Kapitals, die Einführung von Prämien, Bonussen und Prioritätsaktien, die Unterscheidung zwischen amortisierbaren und nicht amortisierbaren Annuitäten, die künstliche Abstufung der Übertragungsmöglichkeiten der verschiedenen Papiere in einer Weise, welche das Publikum mit dieser abscheulichen Börsenscholastik und fürchterlichen Mannigfaltigkeit der Details verwirrt. Den Wucherern aber wird mit einem jeden neuen System dieser Art eine gierig erwartete Gelegenheit geboten, ihre unheilvolle und räuberische Tätigkeit zu entfalten. Andrerseits sieht der Ökonom in diesem ganzen Durcheinander der Umwechslungen, Permutationen und Kombinationen nicht so sehr eine Angelegenheit der Finanzpolitik als eine einfache Frage der Arithmetik oder der bloßen Phraseologie.
Herr Gladstone ist gewiß ein Meister in dieser Art der Finanzalchimie, und seinPlan kann nicht besser charakterisiert werden als mit den Worten Disraelis: „Witz und Genie der geriebensten Kasuisten haben niemals eine kompliziertere und verwickeitere Maschinerie ersonnen, um ein so geringfügiges Resultat zu erzielen. In den Schriften des heiligen Thomas von Aquino gibt es ein Kapitel, in dem die Frage erörtert wird, wie viele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können. Das war eine der feinsten Blüten des menschlichen Geistes; und ich erkenne in Gladstones Vorschlägen eine auffallende Verwandtschaft mit diesem hervorragenden Geist." Sie werden sich meiner Feststellung erinnern, daß das Ziel von Herrn Gladstones Plänen die Errichtung eines „normalen" 21/2prozentigen Fonds war. Nun schafft er zur Erreichung dieses Zweckes einen sehr beschränkten 2x/2prozentigen Fonds und eine unbegrenzte 3x/2Prozentige Anleihe. Um den kleinen 21/2Prozentigen Fonds zu schaffen, setzt er den Zinsfuß um x/2% herab und gibt andererseits einen Bonus von 10%, um diese Herabsetzung vollziehen zu können. Um der Schwierigkeit bei den dreiprozentigen Papieren zu entgehen, die durch eine zwölfmonatige Kündigungsfrist „geschützt" sind, macht er ein Gesetz für die nächsten 40 Jahre im voraus. Hätte er Erfolg, so würde er zwei Generationen aller denkbaren Glückschancen in ihren Finanzangelegenheiten berauben. Die Position des Koalitionsministeriums im Parlament ist aus der Statistik über die Stimmabgabe klar ersichtlich. In der Maynooth-Frage[65] erhielt es in einem vollen Hause nur die knappe Mehrheit von 30 Stimmen. Bei der Jewish Disabilities Bill (noch nicht durch die dritte Lesung gekommen) erhielt sie bei Anwesenheit von 439 Mitgliedern eine Mehrheit von nicht einmal 30 Stimmen. Bei der Canada Reserves Bill wurde das Ministerium - als Russell seine dritte Klausel zurückzog - durch die Torries vor seinen eigenen Anhängern gerettet. Sie erhielten ihre Mehrheit fast ausschließlich durch die Stimmen der Konservativen. Ich werde mich nicht bei den inneren Streitigkeiten des Kabinetts aufhalten, die in den Debatten über die Canada Bill auftauchten, nicht bei der heißen Polemik der Regierungsblätter über die Einkommensteuer und vor allem über ihre Außenpolitik. Es gibt nicht eine einzige Frage, auf die das Koalitionsministerium nicht wie Geisa, der magyarische König, antworten würde, der, nachdem er zum Christentum übergetreten war, dennoch fortfuhr, die Riten seines alten Aberglaubens einzuhalten. Als er gefragt wurde, welchem der beiden Glauben er wirklich angehöre, erwiderte er: „Ich bin reich genug, um beiden Glauben anzugehören." Karl Marx Aus dem Englischen.
Karl Marx
Feargus O'Connor Niederlage des Ministeriums - Das Budget
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3758 vom 3. Mai 1853] London, Dienstag, 19. April 1853 Die Kommission, die in der letzten Woche zusammenkam, um den Geisteszustand von Feargus O'Connor, des früheren Unterhausabgeordneten für Nottingham, zu untersuchen, gab folgendes Gutachten ab:
„Wir befinden, daß Herr Feargus O'Connor seit dem 10. Juni 1852 geisteskrank war und keine lichten Momente hatte,"
Als politische Persönlichkeit hatte O'Connor sich bereits 1848 überlebt. Seine Kraft war gebrochen, seine Mission erfüllt, und, unfähig, die proletarische Bewegung, die von ihm selbst organisiert worden war, zu meistern, wurde er beinahe ein Hindernis für sie. Wenn mich die historische Unparteilichkeit verpflichtet, diesen Umstand nicht zu verheimlichen, so verpflichtet sie mich jedoch auch zu Gerechtigkeit gegenüber diesem gefallenen Kämpfer und dazu, den Leser mit der Einschätzung bekannt zu machen, die Ernest Jones über O'Connor in „The People's Paper"1591 gegeben hat:
„Er war ein Mann, der auf Rang, Wohlstand und Beruf verzichtete, der eine einträgliche und erfolgreiche Praxis aufgab, der ein großes Vermögen nicht in privater Selbstverleugnung, sondern in politischer Selbstaufopferung verbrauchte, der sich selbst zu einem ewigen Verbannten aus seinem eigenen Lande machte, in dem er weite Ländereien besaß und in dem er der Vertreter einer der größten Grafschaften war, der von seiner Familie gehaßt wurde, weil er die Menschheit liebte, der alle seine Taten dem Volke widmete und nach einem Leben voll beispielloser Arbeit fast als Mittelloser endet... Das ist sein Leben. Nun blickt auf sein Werk: In einer Zeit der tiefsten Demütigung, der Uneinigkeit, des Zweifels und des Elends gelang es ihm, Millionen Menschen dieses Landes zusammenzuschließen, wie es noch nie zuvor gelungen war. O'Connell scharte die Iren um sich, aber es geschah mit Hilfe der Priester; Mazzini rüttelte
die Italiener auf, aber auf seiner Seite waren die Adligen und die Handelsleute; Kossuth vereinigte die Ungarn, aber hinter ihm standen die Senatoren und Armeen; in beiden - den Ungarn wie den Italienern - brannten Wut und Haß gegen den fremden Eroberer. O'Connor aber gelang es allein, ohne Adlige, Priester oder Handelsleute eine niedergetretene Klasse zusammenzuschließen und gegen alle in den Kampf zu führen, sogar ohne das Nationalgefühl für ihren Zusammenschluß ausnutzen zu können! La Fayette folgten die Kaufleute, Lamartine hatte die Ladenbesitzer, O'Connor das Volk! Aber im 19. Jahrhundert, im konstitutionellen England war das Volk das schwächste von allen. Er lehrte es, zum stärksten zu werden." t66]
Die vergangene Woche war eine Woche der Niederlagen für das Koalitionskabinett. Erstmalig stieß es auf eine Koalitionsopposition. Am Dienstag, dem 12. d. M., stellte Herr Butt den Antrag, das Kilmainham-Hospital den irischen Soldaten als Asyl zu erhalten. Der Secretary at War[673 wandte sich gegen den Antrag; dieser wurde jedoch trotz des Widerstandes der Regierung mit 198 gegen 131 Stimmen angenommen. Bei dieser Gelegenheit erlitt die Regierung durch eine Koalition der Irischen Brigade[68J mit der konservativen Opposition eine Niederlage. Am folgenden Donnerstag unterlag sie einer Koalition der Konservativen und der Manchesterschule1691. Nachdem Herr Milner Gibson seinen alljährlichen Antrag auf Aufhebung der „Besteuerung des Wissens" eingebracht hatte, wurde die Aufhebung der Annoncensteuer[701 angenommen, ungeachtet der Proteste von Gladstone, Russell und Sidney. Sie blieben mit 169 gegen 200 Stimmen in der Minderheit. Bright, Gibson und Mac Gregor stimmten Seite an Seite mit Disraeli, Pakington usw. und Herr Cobden machte die formale Erklärung, „daß er die Hilfe des Herrn Disraeli und seiner Freunde von ganzem Herzen annehme". Doch die bei weitem größte Niederlage für die Regierung wurde nicht durch eine Abstimmung im Hause, sondern durch ihre eigene Handlungsweise herbeigeführt. Genaue Einzelheiten über die Kossuth-Raketen-Affäre1 werden die Leser der „Tribüne" bereits erhalten haben; um aber zu beweisen, daß das Ganze eine abgekartete Sache zwischen Palmerston und den ausländischen Mächten war, ist lediglich nötig, das zu berichten, was sein eigenes offizielles Organ, die „Morning Post"[271 über das Geschehene sagt:
„Die Schnelligkeit und Vorsicht, die die Regierung bei ihren Maßnahmen walten ließ, wird den ausländischen Mächten, die die Wirksamkeit unserer Gesetze für die Unterdrückung allen Unfugs unter unseren unliebsamen Gästen bezweifelten, Zuversicht geben."
1 Siehe vorl. Band, S. 83-85
Diese Sache wird ernsthafte Konsequenzen für das Koalitionsministerium haben. Es hat bereits, und das ist von größter Bedeutung, das revolutionäre Geckentum des alten Palmerston demaskiert. Selbst sein gläubigster, aber ehrlicher Bewunderer, der „Morning Advertiser"[30], rückt offen von ihm ab. Palmerstons Stern begann zu der Zeit zu verblassen, als er seine Sympathien für den Helden des 2. Dezember und der Ebene von Satory zeigte; er ging unter, seitdem er eingestandenermaßen ein „österreichischer Minister" wurde[71]. Doch die Aufgabe des Koalitionsministeriums ist es gerade, allen vorhandenen Talenten und Renommees der alten Oligarchie den Nimbus zu nehmen. Und es löst dieses Problem mit einer bewundernswerten Beharrlichkeit. Wenn Palmerstons Ministerium diese Katastrophe überleben sollte, dann kann er tatsächlich mit einer kleinen Abwandlung den launigen Ausspruch Franz I. verkünden: „Nichts ist verloren außer der Ehre."t721 Ich komme jetzt zu dem Ereignis des Tages - Herrn Gladstones Budget das er in der gestrigen Sitzung dem Unterhaus in einer Rede vorlegte, die nicht weniger als 5 Stunden in Anspruch nahm. Es ist ein Budget der Koalition, das auf enzyklopädische Weise erarbeitet wurde und sich ausgezeichnet für einen Artikel in dem umfangreichen Lexikon für Kunst und Wissenschaften von Ersch & Grüber™ eignet. Wie Sie wissen, kommt die Ära der Enzyklopädisten immer dann, wenn sich die Fakten häufen und der Geist im Vergleich dazu zurückbleibt. In jedem Budget ist die Hauptfrage das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben, die Bilanz in Form eines Überschusses oder eines Defizits, welches die allgemeinen Bedingungen kennzeichnet, die entweder eine Erleichterung oder eine Erhöhung der Besteuerung eines Landes mit sich bringen. Herr Disraeli hat die Einnahmen des Jahres 1852/1853 auf 52325 000Pfd. St. und die Ausgaben auf 51 163 000 Pfd. St. berechnet. Nun informiert uns Herr Gladstone, daß die tatsächlichen Einnahmen 53 089 000 Pfd.St. und die wirklichen Ausgaben nur 50 782 000Pf d. St. betragen. Diese Zahlen zeigen einen tatsächlichen Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben von2460 000Pfd.St. Soweit scheint Herr Gladstone Herrn Disraeli verbessert zu haben. Letzterer konnte sich nur eines Überschusses von 1600 000 Pfd.St. rühmen. Gladstone dagegen kommt mit einer Ersparnis von 2460 000 Pfd. St. Unglücklicherweise verringert sich der Überschuß bei Herrn Gladstone, zum Unterschied des Überschusses bei Disraeli, bei näherer Betrachtung auf die bescheidene Summe von 700 000 Pfd.St. Die Millionen haben bereits durch verschiedene Abstimmungen des Unterhauses und andere außerordentliche Ausgaben ihren Weg aus seiner Tasche genommen. Und, so fügt Herr Gladstone vorsichtig hinzu:
„Man muß sich daran.erinnern, daß von den 700 000 Pfd. St. 215 000 Pfd. St. aus gelegentlichen und nicht aus ständigen Einnahmequellen stammen." Damit ist also die einzige Operationsbasis, die Herrn Gladstone geblieben ist, ein Uberschuß von 485 000 Pfd. St. Dementsprechend muß jede vorgeschlagene Senkung der alten Steuern unter diese Summe durch das Auferlegen neuer Steuern ausgeglichen werden. Herr Gladstone eröffnete seine Rede mit der „question brulante"1, der Einkommensteuer. Er sagte, daß es möglich wäre, diese Steuer sofort aufzugeben, jedoch die Regierung nicht darauf vorbereitet sei, ihre sofortige Abschaffung zu empfehlen. Der Punkt, auf den er die Aufmerksamkeit zuerst lenkte, war, daß „wir aus dieser Steuer 5 500 000 Pfd. St. beziehen". Dann versuchte er eine „brillante" Rechtfertigung der Ergebnisse dieser Steuer, wobei er ihre Geschichte mit großem rednerischen Aufwand darlegte. „DieEinkommensteuer", bemerkte er, „hat dazu gedient, Ihnen in einer Zeit des schwersten Existenzkampfes zu ermöglichen, die Einnahmen des Landes über seine Kriegs- und Zivilausgaben hinaus zu erhöhen... Wenn Sie die Wirksamkeit dieses Mittels nicht zerstören, so wird es Ihnen gestatten, falls unglücklicherweise erneut Feindseligkeiten ausbrechen sollten, unsere Armee sofort auf 300 000 und unsere Flotte auf 100 000 Mann zu erhöhen und auch alle dazugehörigen Institutionen entsprechend zu erweitern." Herr Gladstone hat ferner geäußert, daß die Einkommensteuer nicht nur dazu gedient habe, den Antijakobinerkrieg fortzusetzen, sie habe auch der Freihandelspolitik des Sir Robert Peel gedient. Nach dieser entschuldigenden Einführung werden wir plötzlich durch die Ankündigung überrascht, daß „die Einkommensteuer voller Fehlerhaftigkeiten ist". Faktisch gibt Herr Gladstone damit zu, daß die Steuer, wenn man sie aufrechterhalten will, in einer Weise verändert werden müsse, die diese Unzulänglichkeiten ausschließe, doch daß zur Beseitigung dieser Unzulänglichkeiten das ganze System verändert werden müsse. Indem er sich so einerseits auf eine merkwürdige Art und Weise selbst widerlegt, ist er andererseits sehr bemüht, zu beweisen, daß es überhaupt keine solchen Unzulänglichkeiten gibt und diese lediglich Einbildung wären. Die Frage der sicheren und unsicheren Einkommen reduziert er auf das Problem von „Boden und Handel" und versucht, mittels einiger seltsamer Berechnungen den Leuten einzureden, daß der Boden tatsächlich 9 d. pro Pfund einbringe, während der Handel nur 7 d. brächte. Dann fügt er hinzu: „daß die Besteuerung des Bodens und der Häuser nicht von der Höhe des Jahreseinkommens der Eigentümer abhänge, während im Handel die Berechnung der Ein
1 „brennenden Frage"
kommen von den Kapitalisten selbst und in vielen Fällen auf betrügerische Weise vorgenommen werde."
In bezug auf Besitzer von Staatspapieren behauptet Herr Gladstone, daß eine Besteuerung des kapitalisierten Wertes ihres Einkommens einen groben Vertrauensbruch gegenüber der Öffentlichkeit bedeuten würde. Kurz, jede Unterscheidung zwischen dem sicheren und dem unsicheren Einkommen, wie sie Herr Disraeli vorschlägt, wird von Herrn Gladstone glatt abgelehnt. Andrerseits ist er bereit, die Einkommensteuer auf Irlandundauf die Jahreseinkommen von über 100 Pfd. St. auszudehnen, während bisher die Grenze bei 150 Pfd. St. jährlich lag. Ganz im Widerspruch jedoch zu der von ihm selbst verkündeten Doktrin, daß „es unmöglich ist, die besonderen Werte von Intelligenz, Arbeit und Besitz untereinander zu differenzieren und diese Wechselbeziehungen zahlenmäßig auszudrücken", schlägt er vor, für Einkommen von 100 Pfd. St. bis 150 Pfd. St. die Steuern auf einen Satz von nur 5 d. pro Pfund zu beschränken. Und um schließlich seine Bewunderung für die Einkommensteuer mit der offenen Anerkennung ihrer notwendigen Abschaffung in Übereinklang zu bringen, schlägt Herr Gladstone vor,
„die Steuer für zwei Jahre - ab April 1853 - mit 7 d. pro Pfund zu verlängern, für zwei weitere Jahre - ab April 1855 - mit 6 d. pro Pfund und für weitere drei Jahre - ab April 1857 - mit 5 d. pro Pfund; gemäß diesem Vorschlag würde die Steuer ab 5. April 1860 gänzlich verschwinden." Nachdem er, wie er annimmt, der Landaristokratie und den Besitzern von Staatspapieren mit seiner Weigerung, grundsätzlich zwischen sicheren und unsicheren Einkommen zu unterscheiden, eine Wohltat erwiesen hat, ist Herr Gladstone andrerseits darauf bedacht, der Manchesterschule durch eine Abänderung der Erbschaftssteuer einen ähnlichen Köder hinzuhalten, indem er diese auf alle Arten von Eigentum ausdehnt, es jedoch ablehnt, sich mit der Erbschaftsstempelsteuer zu befassen.
„ Ich hege keinen Zweifel", bemerkte er, „daß diese Steuer, wenn sie in der abgeänderten Form vom Hause angenommen wird, 1853/1854 den ständigen Mitteln 500 000 Pfd. St., 1854/1855 700 000 Pfd. St., 1855/1856 400 000 Pfd. St. und 1856 bis 1857 weitere 400 000 Pfd. St. hinzufügen wird, was zusätzlich eine Gesamtsumme von 2 000 000 Pfd. St. zu den ständigen Mitteln des Landes ausmacht." In bezug auf Schottland schlug Herr Gladstone vor, daß der gegenwärtigen Steuer auf geistige Getränke von 3 sh. 8 d. - 1 sh. hinzugefügt (das gäbe zusätzlich 318000 Pfd.St.), und daß auch die Abgabe für die Lizenzen der Teehändler, Bierbrauer, Mälzer, Tabakfabrikanten und -händler sowie der Seifensieder erhöht werden solle.
Die Gesamtsumme, die durch die Steuererhöhung für 1853/1854 zur Verfügung stände, beliefe sich somit
bei der Einkommensteuer auf . 295 000 Pfd. St. „ „ Erbschaftssteuer auf 500 000 „ „ „ den geistigen Getränken auf 436 000 „ „ „• „ Lizenzen auf 113 000 „ „
Insgesamt 1344 000 Pfd. St. dazu der Überschuß 805 000 „ „
würden insgesamt für die Steuerermäßigung ergeben 2149000Pfd.St.
Welches sind nun die Vorschläge des Herrn Gladstone in bezug auf die Herabsetzung der alten Steuern? Ich werde mich natürlich davor hüten, zu tief in dieses Labyrinth einzudringen, denn diese Frage ist nicht mit wenigen Worten abgetan. Deshalb werde ich nur die folgenden Hauptpunkte berühren: 1. Aufhebung der Seifentaxe, deren Bruttoertrag sich gegenwärtig auf 1397 000 Pfd.St. beläuft. 2. Allmähliche Verminderung der Teezölle, deren Herabsetzung von 2 sh. 2lU d. auf 1 sh. in ungefähr drei Jahren durchgeführt werden soll. 3. Herabsetzung der Zölle für eine große Anzahl kleinerer Artikel. 4. Erleichterungen hinsichtlich der 4 000 000 Pfd. St. Schulden Irlands in Form von konsolidierten Annuitäten. 5. Herabsetzung der Gebühren für Anwaltszertifikate um die Hälfte im Zusammenhang mit Lord R.Grosvenors Antrag, der auf völlige Beseitigung dieser Gebühren hinauslief. 6. Herabsetzung der Annoncensteuer auf 6 d. gemäß dem Vorschlag Herrn Gibsons (das Parlament hat jedoch inzwischen bereits ihre völlige Aufhebung beschlossen). Als letztes: 7. Abschaffung des Stempels für Zeitungsbeilagen (eine gewaltige piece de rejouissance1 für die „Times"[26], das einzige Blatt, das Beilagen herausgibt). Das sind kurz die Hauptzüge des Budgets, das Herr Gladstone nun in mehr als vier Monaten ausgebrütet hat. Die Debatte im Unterhaus, die für nächsten Montag festgelegt ist, wird mir die Möglichkeit für weitere Kommentare zu diesem Produkt der Koalition bieten. Karl Marx Aus dem Englischen.
1 schwer übersetzbares Wortspiel, hier; ein gewaltiger Anlaß zur Freude
Karl Marx
Pfunde, Schillinge, Pennies: oder Klassenbudgets und wer hat den Nutzen davon?
[„The People's Paper" Nr. 51 vom 23. April 1853] Gladstone hat sein Budget eingebracht. Gleich zwei Hähnen in einer Scheuer krähten der jetzige und der frühere1 Schatzkanzler im Unterhaus aufeinander los, doch mit dem Unterschied, daß der whiggistische Bantamhahn sich bei dem konservativen Truthahn einige Noten geborgt hatte. Wir analysierten vergangene Woche den Teil des Gladstoneschen Finanzprojekts, der die Staatsschuld betrifft, und bewiesen, daß er nichts weiter ist als ein kläglicher Versuch, sich aus der zur Debatte stehenden Frage herauszuwinden, ein einfaches Mittel, Wucherer, Börsenjobber und Kaufleute zufriedenzustellen und ihnen ihre Geschäfte zu verbilligen und zu erleichtern.2 Heute werden wir sehen, daß das Budget nichts anderes ist als ein Klassenbudget, ein Budget der Bourgeoisie, geschrieben mit der Feder eines Aristokraten. Wir wollen zunächst einen ganz kurzen Überblick über diese beachtenswerte Angelegenheit geben. I. Über die Ausgaben und Einnahmen: Der Kanzler konstatiert, daß die Staatsausgaben in diesem Jahr die des Vorjahrs um 1400 000 Pfd. St. übersteigen werden!! Das ist eine recht vielversprechende Art, ein Budget der Finanzreform zu inaugurieren. Die Ursachen für das Anwachsen der Ausgaben sind nicht weniger ermutigend. Zu ihnen gehört eine Vermehrung der Ausgaben für unsere Marine um 617 000Pfd.St.; für Armee und Kommissariat um90 000 Pfd.St.; für das Feldzeugamt um 616000Pfd.St. und für die Miliz um230000Pfd.St. Für den Schulunterricht aber, der das Rüstzeug zur Aufklärung und zur Verteidigung des Wissens gibt, werden zusätzlich nur 100000Pfd. St. bewilligt. Die Gesamt
1 Disraeli - 2 siehe vorl. Band, S. 43-48
summe der Staatsausgaben wird für das laufende Jahr mit 52183 000 Pfd.St. festgelegt. Die Gesamtsumme der Einnahmen auf 52 990 000 Pfd.St. Es ergibt sich also ein Überschuß von 807 000 Pfd. St., von dem jedoch bereits 100 000 Pfd.St. für Ausgaben für die Postschiffe in Abrechnung kommen. Der ganze verfügbare Überschuß wird insgesamt auf 500 000Pfd. St. geschätzt. Wir berühren nun II. Das Finanzprojekt. Hier faßt der Kanzler erstens die Einkommensteuer ins Auge und macht keinen Unterschied zwischen sicherem und unsicherem Einkommen. Er schlägt vor, nach zwei Jahren die Steuer von 7 auf 6Pence pro Pfund herabzusetzen, dann nach weiteren zwei Jahren von 6 auf 5 Pence für die Dauer von drei Jahren - die Steuer auf Irland auszudehnen und sie so herabzusetzen, daß sie auch Jahreseinkommen von 100 Pfd. St. umfaßt. Davon, meint er, „werden die Reihen der Arbeiter nicht berührt". Die Einkommen von 100 bis 150 Pfd. St. sollen bloß 5 Pence pro Pfund zahlen. Das Ergebnis wird sein, daß die Last der Reichen erleichtert und diese Erleichterung als neue Last den weniger Reichen aufgebürdet wird. Der reiche Kaufmann soll weniger bezahlen, dafür aber soll der arme Handelsmann jetzt dort zu bezahlen haben, wo er früher direkt nichts bezahlte. Das ist eine sonderbare Gerechtigkeit! Vier Jahre lang zahlt allerdings der Mann mit 100 Pfd. St. Einkommen um 2 Pence pro Pfund weniger als der Mann mit einem Einkommen von 150 oder 150000 Pfd. St. Nach Ablauf dieser Frist jedoch zahlen sie dasselbe, und schon nach zwei Jahren kommt der Reiche in den Genuß einer Ermäßigung, die durch die Besteuerung der Ärmeren ermöglicht wird. Unserer Auffassung einer Besteuerung würde es mehr entsprechen, hätte man eine progressive Einkommensteuer eingeführt, bei der der Prozentsatz mit dem Betrag des Einkommens stiege. Denn zehntausendmal 5 Pence bedeuten für den Mann mit einem Jahreseinkommen von 10 000 Pfd.St. weniger als hundertmal 5 Pence für ein Jahreseinkommen von 100 Pfd.St. Das ist die ganze Finanzkunst der Whigs: eine glänzende Fassade, aber innerlich Stückwerk und Flickwerk, ist sie nur darauf zugeschnitten, die Lasten der Reichen langsam aber sicher zu erleichtern und die der Armen zu erschweren. Wahrhaft absurd aber ist es, zu behaupten, daß die Einkommensteuer die Arbeiter nicht berühre. In unserer heutigen Gesellschaftsordnung, wo sich Unternehmer und Arbeiter gegenüberstehen, hält sich die Bourgeoisie meist für eine höhere Besteuerung dadurch schadlos, daß sie die Löhne herabsetzt oder die Preise erhöht. Zweitens beschäftigt sich der Kanzler mit der Erbschaftssteuer. Er erleichtert den Schwiegersöhnen und Schwiegertöchtern die „Verwandten"Steuer, indem er sie - welch unendlich kleines Almosen! - von 10% auf 7%
herabsetzt und alle Arten von Eigentum in den Anwendungsbereich der Steuer mit einbezieht; die Erbschaftssteuer auf das steuerpflichtige Eigentum wird auf die Leibrente berechnet. Gladstone vermehrt dadurch die Steuereinnahmen des Landes um 2 000 000 Pfd.St. und rühmt sich, Handwerk und Industrie gegen das Grundeigentum zu unterstützen. Dieser Punkt ist von prinzipieller Bedeutung und stellt ein bedeutsames Zugeständnis dar, das dem Monopol des Grundeigentums durch die industrielle und kommerzielle Entwicklung abgerungen wird. Wir wiederholen: es ist ein Zugeständnis, jedoch ein solches, das nicht nur leicht zu umgehen ist, sondern dessen Umgehung von den grundbesitzenden Gesetzgebern aus der Finanzwelt möglicherweise von vornherein auch geplant war. Drittens sollen die Stempelgebühren für Quittungen aufgehoben werden, und das Aufkleben einer Pennypostmarke soll in Zukunft für jede Quittung in beliebiger Höhe genügen. Eine Maßnahme, die - den Reichen - große Erleichterung bringt und von der man erwartet, daß der vermehrte Gebrauch von Briefmarken ein Gegengewicht für den Ausfall an Stempelsteuer bieten werde, eine Maßnahme, von der aber die Arbeiterklasse wiederum keinen Nutzen haben wird, denn sie schließt nur wenig Geschäfte in solcher Höhe (5 Pfd.St.) ab, daß ein Stempel erforderlich wäre. Viertens. Die Annoncensteuer wird von 1 sh. 6 d. auf 6 d. herabgesetzt. Wieder ein Stück elenden Flickwerks. Es läßt sich kein vernünftiger Grund dafür angeben, warum man bei den Sixpence bleibt, wenn man doch den Schilling aufgibt, denn der schwerfällige und kostspielige Apparat zur Eintreibung der Sixpence wird den Ertrag der Steuer aufzehren! Aber vielleicht besteht der Grund dafür darin, daß man die Pöstchen und Anstellungen nicht aufgeben will, die mit dem Einziehen dieser Steuer verknüpft sind. Zeitungsbeilagen, die nur Annoncen enthalten, sollen von den Gebühren befreit sein. Diese beiden Punkte sind eine Konzession an die Bourgeoisie - während die Beibehaltung des Zeitungsstempels der Ausbreitung einer demokratischen Erziehung nach wie vor einen starken Damm entgegensetzt. „Die schon bestehenden Zeitungen", sagt der Schatzkanzler, „sollen gefördert werden, neue und billigere aber sollen nicht herausgebracht werden." Fünftens. Die Taxe auf Lebensversicherungen wird von 2 sh. 6 d. auf 6 d. herabgesetzt - noch ein Beweis von kleinlichem Schachergeist; die auf Lehrlingsverträge soll rücksichtslos von 1 Pfd.St. auf 2 sh. 6 d., auf Anwaltszertifikate von 12 und 8 Pfd. St. auf 9 und 6 Pfd. St. und auf Lehrkontrakte von Clerks von 120 auf 80 Pfd.St. herabgesetzt werden. Der erste und die beiden letzten Posten sind wieder offenbare Erleichterungen für die Bourgeoisie, bedeuten aber für die Armen nicht den Schatten einer Wohltat. Die Annoncen
Steuer von 6 d., der Zeitungsstempel und die Papiersteuer werden beibehalten, damit die Steuer für Dienstboten, Hunde und Pferde zugunsten der Reichen herabgesetzt werden kann. Sechstens. In Schottland und Irland soll ein Zuschlag auf die Steuer für geistige Getränke gemacht werden, und dieBrenner sollen eine Entschädigung für den „Schwund" bekommen. Siebentens. Die Lizenzen für Händler sollen mehr ausgeglichen werden (eine weitere Liebesgabe an die Bourgeoisie). Achtens. Die Taxen auf Seife und noch eine Reihe anderer Dinge sollen überprüft werden. Der Teezoll soll bis 1854 von 2 sh. 21/4 d. auf 1 sh. 10 d., bis 1856 auf 1 sh. 3 d. und von da an auf 1 sh. herabgesetzt werden. Das ist in großen Umrissen das Budget der Whigs. Und nun fragen wir unsere Leser, hat je die Ministerbank™ eine erbärmlichere Pfennigfuchserei ausgeheckt, um des Kanzlers eigenen Ausdruck zu gebrauchen? Mag das Budget auch äußerlich annehmbar und einnehmend scheinen und einige bestechende Züge aufweisen, wo aber ist sein wahrer Nutzen, wo bleibt die wahre Erleichterung, die es der Arbeiterklasse Englands bringen soll? Die Herabsetzung der Taxen auf Seife und Tee sind die einzigen Punkte, an die man sich halten kann; wie geringfügig aber ist die Erleichterung, die sie gewähren! Uberall ist der Spielraum, über den hinaus die Arbeiter hätten profitieren und Aristokratie und Bourgeoisie verlieren können, genau bemessen und seine Überschreitung aufs ängstlichste vermieden worden. Leichtgläubige werden sich möglicherweise durch das Budget fangen lassen: „Herabsetzung der Annoncensteuer auf 6 d. und Abschaffung des Stempels für Zeitungsbeilagen!" Was aber bringt das faktisch dem Volk ein? Nichts! „Pennyquittungsstempel!" Aber was soll das dem Lohnsklaven, der nur über Hungerlöhne zu quittieren hat? Nichts, rein nichts! „Lebensversicherungsstempel von 2 sh. 6 d. auf 6 d. herabgesetzt!" Was gibt das dem, der für 6, 8 oder 10 sh. in der Woche schuftet und sein Leben nicht gegen Manchesters entnervende Sklaverei versichern kann, und selbst dem, der 1 Pfd.St. oder 30 sh. in der Woche verdient? Nichts! Was hat der Arbeiter davon, daß Anwälte für ihre Zertifikate von nun an 3 Pfd.St. weniger und Clerks für ihre Lehrkontrakte von nun an 80 Pfd.St. statt der bisherigen 120 Pfd.St. zu zahlen haben? Was hat der Arbeiter davon, wenn die Erbschaftssteuer in einem Punkt erleichtert wird, und deren allgemeine Ausdehnung so leicht umgangen werden kann? Wird dadurch ihre Bürde auch nur um ein Jota leichter? Was hat der Arbeiter davon, daß man die Lizenzen für die Kleinhändler mehr angleichen will, wenn sein Arbeitslohn nicht im Verhältnis zum Gewinn des Krämers steht, der die Not des Arbeiters ausnutzt? „Finanz
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
reform" war die Losung, unter der dieses Parlament gewählt und dieses Ministerium zusammenberufen wurde. Hier ist sie, die Reform der Whigs, der Aristokraten und Geldmenschen. Etwas mußte geschehen, einige kleine Konzessionen mußten gemacht werden - jetzt galt es bloß, sie so klein zu machen, daß sie kaum wahrnehmbar waren, und dem Finanzkünstler ist das wunderbar gelungen. Wir gebrauchen Gladstones eigene Worte und eigene Erklärung, wenn wir von diesem Budget sagen, daß es „nach den Wünschen der kommerziellen Klassen" geschaffen wurde und dennoch nichts anderes ist als ein Stück „pfennigfuchserische Gesetzgebung".
Geschrieben etwa am 20. April 1853. Aus dem Englischen.
Karl Marx
Unruhen in Konstantinopel - Tischrücken in Deutschland - Das Budget[75]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3761 vom 6. Mai 1853] London, Freitag, 22.April 1853 Nach einer telegraphischen Depesche sollen sich am 12. d.M. in Konstantinopel und Umgebung große Tumulte abgespielt haben, bei denen von dem fanatischen türkischen Mob fünfzehn Christen getötet oder verwundet wurden. „Die Ordnung wurde mit Hilfe des Militärs sofort wiederhergestellt." Eine andere Depesche aus Kopenhagen meldet, daß die Kammer oder das Folketing die Regierungsbotschaft über die vorgeschlagene Erbfolge der dänischen Krone verworfen habe. Das können wir als einen erheblichen Dämpfer für die russische Diplomatie ansehen, deren Interessen diese Botschaft dem Londoner Protokoll zufolge zum Ausdruck brachte. Dieses Londoner Protokoll erkennt nämlich Rußland als letzten Erben des dänischen Königreichs an™. Aus Den Haag erfahren wir, daß in Holland jetzt große Erregung herrscht - wie ungefähr vor zwei Jahren in England im Zusammenhang mit der „katholischen Aggression*' Diese Erregung hat zur Bildung eines ultra-protestantischen Ministeriums geführt. Was Deutschland betrifft, oder besser jenen Teil, der früher unter dem Namen „Reich" bekannt war, so kann für den augenblicklichen Geisteszustand, wie er in der gebildeten Mittelklasse vorherrscht, nichts bezeichnender sein als eine Erklärung des Herausgebers des „Frankfurter Journals"1781 vom 20. April. Zur Erbauung Ihrer Leser bringe ich Ihnen den Wortlaut: „Die Zuschriften über Tischrückent791, die wir mit jeder Post erhalten, nehmen einen Umfang an, wie wir ihn seit dem denkwürdigen ,Lied auf den Rhein von Nikolaus Becker und den ersten Tagen der Märzrevolution von 1848 nicht erlebt haben. So
genugtuend diese Zuschriften sind, denn sie beweisen besser als jedes politische raisonnement, in we1 :h harmlosen und unschuldigen Zeiten wir uns wieder befinden, so bedauern wir doch, ihnen keine weitere Aufmerksamkeit schenken zu können, da wir fürchten müssen, daß sie uns und unsere Leser völlig überbeanspruchen und schließlich den gesamten Raum dieser Zeitung einnehmen würden."
„Ein Engländer"1 hat einen Brief an die „Times"[26] und an Lord Palmerston über die letzte Kossuth-Affäre2 geschrieben, in dem er abschließend feststellt:
„Wenn das Koalitionskabinett zu seinen Vätern oder seinen Onkeln oder seinen Großvätern eingegangen ist, würden wir den edlen Lord höflich auf eine neue Ausgabe des Joe Miller^ hinweisen. Wir sind allerdings der Meinung, daß der Name Joe nicht mehr genannt werden wird. Palmerston wird der Name sein, der dort figurieren wird. Es ist ein langer Name. Das ist schlecht. Wir glauben jedoch, daß das angelsächsische Pam bereits eine Verbesserung ist. Es paßt auf Vers wie auf Prosa und reimt sich auf ,sham, flam, and cram'3."
In meinem Artikel vom vergangenen Dienstag4 gab ich Ihnen eine flüchtige Übersicht über Herrn Gladstones Budget. Jetzt habe ich eine offizielle Veröffentlichung vor mir liegen, die 50 Folioseiten umfaßt: „Die von dem Schatzkanzler gestellten Anträge" und „Ein erläuternder Bericht als Beilage zu den Anträgen". Ich werde jedoch nur die Einzelheiten berühren, welche die ausländischen Leser interessieren könnten, falls die Anträge in Großbritannien zum Gesetz erhoben werden. Die wichtigsten Anträge betreffen die Zölle. Es gibt einen Vorschlag, die Zölle für 123 Artikel von untergeordneter Bedeutung aufzuheben, die jährlich ungefähr 55 000 Pfd. St. einbringen; darin enthalten sind alle Möbelhölzer - mit vier Ausnahmen - sowie Balken und Rahmen, Mauersteine und Dachziegel einbezogen. Herabgesetzt werden sollen die Zölle: erstens, auf Tee von 2 sh. 21/* d. auf 1 sh. 10 d. bis zum 5. April 1854; zweitens, auf zwölf verschiedene Nahrungsmittel. Der gegenwärtige Zoll auf Mandeln soll auf 2 sh. 2 d. pro Zentner herabgesetzt werden; auf Käse von 5 sh. auf 2 sh. 6 d. pro Zentner; auf Kakao von 2 d. auf 1 d. pro Pfund; auf Nüsse von 2 sh. auf 1 sh. pro Bushel; auf Eier von 10 d. auf 4 d. pro Hundert; auf Apfelsinen und Zitronen auf 8 d. pro Bushel; auf Butter von 10 sh. auf 5 sh. pro Zentner; auf Rosinen von 15 sh. 9 d. auf 10 sh. pro Zentner und auf Äpfel von 2 sh. auf 3 d. pro Bushel. Alle diese Artikel ergeben gegenwärtig eine Einnahme von 262 000 Pfd. St. Drittens sollen die Abgaben für noch 133 verschiedene
1 A. Richards - 2 siehe vorl. Band, S. 83—85 - 3 etwa: .Täuschung, Lüge, Betrug*4 siehe vorl. Band, S. 56~61
Nahrungsmittel herabgesetzt werden, die eine Einnahme von 70 000 Pfd. St. bedeuten. Außerdem soll die Besteuerung für eine Anzahl von Artikeln durch Erhebung fester Zölle statt der Zölle ad valorem1 vereinfacht werden. Was die Akzise betrifft, so habe ich bereits von der vorgeschlagenen Abschaffung der Seifentaxe und der Erhöhung der Lizenzgebühren für Brauer, Tee-, Kaffee-, Tabak- und Seifenhändler berichtet. Was die Stempelsteuer betrifft, so soll neben der Herabsetzung der Gebühren für Anwaltszertifikate und der Annoncensteuer eine Herabsetzung der Gebühren für Lebensversicherungen, für die Stempel auf Quittungen, für Lehrlingsverträge und für Mietdroschken erfolgen. Was die direkten Steuern betrifft, so soll eine Herabsetzung der Steuern für Diener, Privatkutschen, Pferde, Ponies und Hunde sowie eine 171/2*%>ige Ermäßigung der Abgaben für die Tilgung der Bodensteuer erfolgen. Die Postgebühren für die Kolonien sollen auf den einheitlichen Satz von 6 d. herabgesetzt werden. Ein wesentliches Merkmal des Budgets, das Beachtung verdient, ist der Umstand, daß die meisten Maßnahmen dem Koalitionsministerium nach hartnäckigem Widerstand im Verlauf der gegenwärtigen Parlamentssession aufgezwungen wurden. Jetzt schlägt Herr Gladstone vor, die Erbschaftssteuer auf das Grundeigentum auszudehnen; doch noch am 1. März bekämpfte er Herrn Williams* Antrag, daß das Grundeigentum „dieselben Erbschaftsstempel- und Erbschaftssteuern zahlen solle, wie sie jetzt für persönliches Eigentum gezahlt werden müssen"! Gladstone bekräftigte bei dieser Gelegenheit, wiees im gegenwärtigen Augenblick die Toryblätter tun, daß die Steuerfreiheit nur eine scheinbaresei;sie würde sich mit andern Steuern die Waage halten, die für das Grundeigentum typisch sind. Es trifft ebenfalls zu, daß Herr Williams an demselben 1. März Herrn Gladstone drohte, daß „er durch Herrn Disraeli ersetzt werden wird, wenn er in diesem Punkt nicht nachgibt". Jetzt schlägt Herr Gladstone vor, die Schutzzölle für 268 Artikel von untergeordneter Bedeutung aufzuheben oder herabzusetzen; doch noch am 3. März bekämpfte er Herrn Humes Antrag, „die auf ungefähr 285 Artikeln liegenden reinen Schutzzölle unverzüglich aufzuheben". Es trifft auch zu, daß Herr Disraeli an jenem Tag erklärte, daß „wir nicht an den Lumpen und Fetzen des Schutzzollsystems festhalten können". Jetzt schlägt Herr Gladstone vor, die Annoncensteuer um die Hälfte herabzusetzen; aber ganze vier Tage, bevor er mit seinem Budget an die
1 dem Werte nach
Öffentlichkeit trat, wandte er sich gegen den Antrag Herrn Milner Gibsons, diese Steuer aufzuheben. Allerdings erlitt er bei der Abstimmung im Parlament eine Niederlage. Diese Aufzählung der von dem Koalitionsministerium der Manchester ~ schule gemachten Konzessionen könnte mit Leichtigkeit erweitert werden. Was beweisen diese Konzessionen? Sie beweisen, daß die industrielle Bourgeoisie, so schwach sie auch im Parlament vertreten ist, der eigentliche Herr der Lage ist, und daß jede Regierung, ob Whig, Tory oder Koalition, sich nur dadurch im Amt und die Bourgeoisie aus dem Amt heraushalten kann, daß sie für die Bourgeoisie die Vorarbeit leistet. Man gehe nur die Akten der britischen Gesetzgebung seit 1825 durch, und man wird finden, daß der Bourgeoisie politisch immer nur Widerstand geleistet wurde, indem man ihr finanziell eine Konzession nach der anderen machte. Was die Oligarchie nicht begreifen kann, ist die einfache Tatsache, daß die politische Macht nur das Kind der ökonomischen Macht ist und daß die Klasse, der die Oligarchie die ökonomische Macht überlassen muß, unweigerlich auch die politische Macht erobern wird. Selbst als Ludwig XIV. durch Colbert Gesetze im Interesse der Fabrikanten erließ, bereitete er dadurch nur die Revolution von 1789 vor, als sein „l'etat c'est moi"1 durch die Worte von Sieyks „le tiers etat est tout"2 beantwortet wurde. Ein weiteres wesentliches Merkmal des Budgets ist die genaue Aneignung der Politik des Herrn Disraeli, „dieses leichtsinnigen Abenteurers", der im Unterhause zu behaupten wagte, daß die unerläßliche Folge des ökonomischen Systems des Freihandels eine finanzielle Revolution sei, das soll heißen, die allmähliche Umwandlung der indirekten in direkte Steuern. In der Tat! Was schlägt Herr Gladstone vor? Er stärkt und erweitert das System der direkten Besteuerung, um das System der indirekten Besteuerung zu schwächen und einzuengen. Einerseits verlängert er die Einkommensteuer unverändert auf sieben Jahre. Er dehnt sie auf ein ganzes Volk, die Iren, aus. Er dehnt sie, indem er Herrn Disraeli kopiert, auf eine ganze Klasse aus, auf Personen mit einem Einkommen von 100 bis 150 Pfd. St. Er akzeptiert teilweise die von Disraeli vorgeschlagene Ausdehnung der Häusersteuer, indem er ihr den Namen einer geänderten Lizenzsteuer verleiht und die Gebühren für Lizenzen im Verhältnis zur Größe der Baulichkeiten erhöht. Schließlich erhöht er die direkte Besteuerung um 2 000 000 Pfd. St., indem er das Grundeigentum mit der Erbschaftssteuer belastet, was auch Herr Disraeli versprochen hatte.
1 „Der Staat bin ich" -2 „Der dritte Stand ist alles"[811
Andererseits bekämpft er die beiden Formen der indirekten Besteuerung: den Zoll und die Akzise; was die erste betrifft, so übernimmt er Disraelis Vorschlag über Herabsetzung des Teezolls und über Abschaffung, Herabsetzung bzw. Vereinfachung der Zollgebühren für 286 Artikel; was die zweite betrifft, so schlägt er die völlige Abschaffung der Seifentaxe vor. Der einzige Unterschied zwischen Gladstones Budget und dem seines Vorgängers ist der, daß Disraeli der Urheber und Gladstone der Plagiator ist; daß Disraeli die Akzisen und Steuern zugunsten des Grundbesitzes beseitigte, während Gladstone sie zugunsten der städtischen Bourgeoisie beseitigt; daß Disraeli das Prinzip verkündete, doch durch seine außergewöhnliche Position gezwungen war, es in der Praxis zu brechen, während Gladstone, demPrinzip feindlich gesinnt, dank dem Koalitionscharakter des Ministeriums, dem er angehört, in der Lage ist, es teilweise durch eir^e Reihe von Kompromissen zu verwirklichen. Welches Schicksal wird das Koalitionsbudget voraussichtlich erleiden, und wie werden sich die entsprechenden Parteien voraussichtlich dazu verhalten? Es gibt im großen und ganzen nur drei Fragen, um die der Kampf entbrennen kann: die Einkommensteuer, die Erbschaftssteuer und Irland. Die Manchesterschule hat feierlich versprochen, sich jeder Verlängerung der gegenwärtigen Einkommensteuer, jener „schrecklichen Ungleichheit" zu widersetzen. Das Orakel von Printing House Square[82], die „Times"[261, hat seit zehn Jahren gegen dieselbe „Ungeheuerlichkeit" gedonnert, und die öffentliche Meinung Großbritanniens hat allgemein das gegenwärtige System, jede Art Einkommen auf gleiche Weise zu besteuern, entschieden verurteilt. Doch in dieser einen Frage weist Herr Gladstone jeden Kompromiß zurück. Als Herr Disraeli, damals in seiner Eigenschaft als Schatzkanzler, vorschlug, die Einkommensteuer durch die Festlegung von Unterscheidungsmerkmalen zwischen unsicheren Einkommen und sicheren Einkommen zu mildern, wobei erstere mit 5 d. und letztere mit 7 d. pro Pfd.St. besteuert werden sollte, schien die Einkommensteuer der Sammelpunkt zu werden für die gemeinsame Opposition der Konservativen, der Manchesterschule und der „öffentlichen Meinung", vertreten durch die „Times". Doch werden die Manchesterleute ihr Versprechen einlösen? Das ist sehr zu bezweifeln. Sie haben die kommerzielle Gewohnheit, die ständigen Profite einzustecken und die Grundsätze Grundsätze sein zu lassen. Und die sich aus Herrn Gladstones Budget ergebenden ständigen Profite sind keineswegs zu verachten. Der Ton der Manchesterblätter ist, was die Einkommensteuer anbetrifft, schon viel gemäßigter und konzilianter geworden. Sie fangen an, sich
mit der von Herrn Gladstone dargebotenen Aussicht zu beruhigen, daß „die ganze Einkommensteuer in sieben Jahren zu Ende gehen soll", wobei sie im geeigneten Augenblick vergessen, daß der verstorbene Sir Robert Peel sie 1842 einführte und ihre Beendigung für 1845 versprach; sie vergessen, daß die Ausdehnung einer Steuer auf breitere Schichten ein sehr unbequemer Weg zu ihrer endgültigen Abschaffung ist. Was die „Times" betrifft, so ist sie das einzige Blatt, das aus Herrn Gladstones Vorschlag zur Aufhebung des Stempels für Zeitungsbeilagen Nutzen ziehen wird. Sie muß im Laufe der Woche für jeden Tag, an dem sie Doppelbeilagen herausbringt, 40000 Pence oder 166Pfd.St. 13 sh. und 4 d. zahlen. Die ganzen 40000 Pence, die Herr Gladstone ihr erlassen hat, werden in ihre Kassen wandern. Wir können uns also vorstellen, daß sich der Zerberus besänftigen läßt und zu einem Lamm wird, ohne daß Herr Gladstone sich in einen Herkules verwandelt. Es dürfte schwerfallen, in der langen Geschichte des englischen Parlaments eine schmählichere Tat zu entdecken als die des Herrn Gladstone, der sich die Unterstützung einer Zeitung dadurch erkauft, daß er für sie eine besondere Provision in das Budget aufnimmt. Die Aufhebung der „Besteuerung des Wissens" wurde vor allem deshalb gefordert, um das Monopol der Zeitungsgiganten zu brechen. Der „salbungsvolle" Herr Gladstone übernimmt von dieser Maßnahme genausoviel als nötig ist, um das Monopol der „Times" zu verdoppeln. Wir sind im Prinzip der Ansicht, daß Herr Gladstone recht hat, wenn er es ablehnt, irgendwelche Unterschiede zwischen Einkommen nach ihren Quellen zu machen. Wenn man nach der Qualität der Einkommen unterscheidet, muß man auch nach der Quantität unterscheiden, da in 99 von 100 Fällen die Quantität eines Einkommens seine Qualität ist. Wenn man sie quantitativ unterscheidet, so gelangt man unvermeidlich zur progressiven Besteuerung, und von der progressiven Besteuerung taumelt man direkt in jene sehr radikale Spielart von Sozialismus, die ohne Zweifel den Opponenten Herrn Gladstones Abscheu einflößen würde. Mit der engen und eigennützigen Auslegung des Unterschiedes zwischen sicherem und unsicherem Einkommen, wie sie die Manchesterschule macht, kommen wir zu dem lächerlichen Schluß, daß das Einkommen der reichsten Klasse Englands, der Industrie- und Handelsklasse, nur ein unsicheres Einkommen ist. Unter dem Vorwand der Philanthropie zielen die Manchesterleute auf die Abwälzung eines Teils der öffentlichen Lasten von ihren eigenen Schultern auf die Schultern der Landbesitzer und der Besitzer von Staatspapieren ab. Der Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf das Grundeigentum wird die Partei der Grundbesitzer ohne Zweifel heftigen Widerstand entgegensetzen.
Sie wünschen natürlich wie bisher ihre Erbschaft unversteuert anzutreten. Doch hat schon Herr Disraeli, als er noch Schatzkanzler war, die Ungerechtigkeit dieser Ausnahme anerkannt und die Manchesterleute werden in dieser Frage wie ein Mann mit den Ministern stimmen. Der „Morning Advertiser"1301 von gestern warnt diePartei der Grundbesitzer, daß sie, wenn sie so unbedachtsam sein sollte, in der Erbschaftssteuer hartnäckig auf ihrem Standpunkt zu beharren, sie jeden Gedanken auf Unterstützung von den Liberalen aufgeben müßte. Es gibt kaum ein anderes Privileg, gegen das die englische Bourgeoisie in schärferer Opposition wäre, und es besteht auch kein schlagenderes Beispiel oligarchischer Gesetzgebung. Pitt brachte 1796 zwei Bills ein, wovon die eine das persönliche Eigentum mit der Erbschaftsstempel- und mit der Erbschaftssteuer belastet und die andere dem Grundeigentum dieselben Steuern auferlegte. Beide Maßnahmen wurden getrennt behandelt, da Pitt eine erfolgreiche Opposition der Mitglieder beider Häuser gegen die Belastung ihrer Güter mit solchen Steuern fürchtete. Die erste Bill kam fast ohne Opposition durch. Es fand eine einzige Abstimmung statt, bei der nur 16 Mitglieder dagegen stimmten. Die zweite Bill wurde durch alle Stadien gebracht, bis sie bei der dritten Lesung mit einem Abstimmungsergebnis von 30 gegen 30 Stimmen unterlag. Pitt, der keine Möglichkeit sah, die Bill in einem der Häuser durchzubringen, war gezwungen, sie zurückzuziehen. Wenn die Erbschaftsstempel- und Erbschaftssteuer seit 1796 für Grundbesitz gezahlt worden wäre, so hätte der bei weitem größere Teil der öffentlichen Schuld bezahlt werden können. Der einzige gewichtige Einwand, den diePartei der Grundbesitzer jetzt geltend machen könnte, wäre der Vorwand, daß sich die Besitzer von Staatspapieren einer ähnlichen Ausnahmestellung erfreuen; doch sie möchte natürlich ihrePosition nicht dadurch stärken, daß sie die Besitzer von Staatspapieren, die mit einer besonderen Gabe für Steuerimmunität bedacht sind, gegen sich aufbringen. Es bleibt also nur eine Chance mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg, gegen das Budget der Koalition aufzutreten, und das ist eine Koalition der Partei der Grundbesitzer mit der Irischen Brigade1681. Es ist richtig, Herr Gladstone hat sein möglichstes getan, die Iren zu bewegen, sich der Ausdehnung der Einkommensteuer auf Irland zu unterwerfen, indem er ihnen das Geschenk von vier und einer halben Million konsolidierter Annuitäten machte. Doch die Iren behaupten, daß drei von diesen vierundeinhalb Millionen, die sie in Verbindung mit der Hungersnot von 1846/1847 erhielten, niemals als Staatsschuld angesehen und niemals vom irischen Volk als solche anerkannt worden sind. Die Regierung scheint sich des Erfolges selbst nicht ganz sicher zu sein, denn sie droht mit einer vorfristigen Auflösung des Parlaments, wenn das
Budget nicht als Ganzes angenommen wird. Eine furchtbare Zumutung für die Mehrzahl der Parlamentsmitglieder, deren „Taschen durch die gesetzlichen Unkosten während des letzten Wahlkampfes erheblich angegriffen wurden", und für jene Radikalen, die sich so eng wie möglich an die alte Definition einer Opposition gehalten haben, nämlich, daß die Opposition in der Regierungsmaschine die gleiche Funktion zu erfüllen habe wie das Sicherheitsventil in einer Dampfmaschine. Das Sicherheitsventil hemmt den Lauf des Motors nicht, sondern sichert ihn, indem es die Kraft, die sonst die ganze Angelegenheit sprengen würde, als Dampf abläßt. So lassen die Radikalen die Forderungen des Volkes in Dampf aufgehen. Sie scheinen nur deshalb Anträge einzubringen, damit sie sie hinterher zurückziehen und sich dabei ihrer überströmenden Beredsamkeit entledigen können. Eine Auflösung des Parlaments würde nur die Auflösung der alten Parteien offenbaren. Von dem Augenblick an, als das Koalitionsministerium die Regierung antrat, spaltete sich die Irische Brigade in zwei Fraktionen: in eine regierungstreue und in eine unabhängige. Die Partei der Grundbesitzer ist ebenfalls in zwei Lager gespalten: das eine wird von Disraeli geführt, das andere von Sir John Pakington; jetzt allerdings, in der Stunde der Gefahr, scharen sie sich wieder um Disraeli. Sogar die Radikalen sind m zwei Gruppen gespalten - die Mayfairleutel83] und die Manchesterleute. Es gibt in den alten Parteien keine innere Bindung mehr, doch zugleich gibt es auch keine Kraft eines wirklichen Antagonismus. Parlamentsneuwahlen würden diesen Zustand nicht ändern, sondern ihn nur bestätigen. Die Wahlenthüllungen haben die Autorität des Unterhauses auf einen Tiefstand gebracht, der nicht mehr zu unterbieten ist. Doch hat es dadurch, daß es gleichzeitig Woche für Woche die Fäulnis seines eigenen Fundaments bloßlegte, auch die völlige Korruption in den Wahlbezirken enthüllt. Wird das Ministerium jetzt, nach all diesen Enthüllungen es wagen, einen Appell an diese gebrandmarkten Wahlbezirke zu richten? Dem Lande als Ganzes hat das Ministerium nichts zu bieten; denn in einer Hand hält es die Ablehnung der Parlamentsreform - in der anderen ein österreichisches Patent, das ihm die Würde verleiht, Denunziant für die Polizei in Europa zu seinl84].
Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Seife fürs Volk Ein guter Bissen für die „Times" Das Koal itionsbudget
[„The People's Paper" Nr. 52 vom 30.ApriI 1853] Jedermann weiß, daß ein Budget nichts anderes ist als ein Voranschlag der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben des Staates für das laufende Jahr, der auf den Finanzerfahrungen beruht, d. h. auf der Bilanz des verflossenen Jahres. Das erste also, was Herr Gladstone produzierte, war der Finanzausweis für das Jahr 1852/1853. Herr Disraeli hatte als Schatzkanzler in seinem Bericht die voraussichtlichen Einnahmen für 1852/1853 auf 52 325 000 Pfd.St. und die Ausgaben für die gleiche Periode auf 51163 000 Pfd. St. geschätzt; er hatte also mit einem Überschuß von 1162 000 Pfd. St. gerechnet. Herr Gladstone, der anhand der Bücher die wirkliche Bilanz zieht, macht dabei die Entdeckung, daß die tatsächlichen Einnahmen im vorigen Jahre 53 089 000 Pfd.St. und die tatsächlichen Ausgaben nur 50 782 000 Pfd.St. betrugen, daß sich also ein Überschuß von 2307000 Pfd.St. ergibt oder, wie Gladstone (auf für uns unverständliche Weise) errechnet, von 2 460 000 Pfd. St. Da es nun einmal zur Gewohnheit geworden ist oder besser gesagt, das Parlament sich daran gewöhnt hat, im Schatzkanzler den geheimnisvollen Hexenmeister zu sehen, der mit irgendwelchen mysteriösen Tricks, die niemand kennt, die ganze Jahreseinnahme des Staates herbeizaubert, so ist es nicht erstaunlich, wenn diese gewichtige Persönlichkeit, wer sie auch sein mag, sich sorgfältig bemüht, diese schmeichelhafte Illusion nicht zu zerstören. Daraus folgt, daß man - wenn es der Nation durch Ausdehnung der Produktion gelingen sollte, den Betrag der Steuereinkünfte über den Voranschlag hinaus zu steigern davon überzeugt sein kann, daß der Finanzminister, der durch dieses Verfahren mehr als das Doppelte des von seinem Vorgänger versprochenen Überschusses ausweisen kann, zweifellos das größere Finanzgenie
ist. Dieser heitere Gedanke Gladstones wurde imParlament von den Anhängern der Koalitionsoligarchie heiter aufgenommen und bejubelt. Zwei Millionen vierhundertsechzigtausend Pfund Sterling Überschuß! Aber nicht einen Heller von diesen zwei Millionen will das Parlament dem Volke zukommen lassen. Und wofür sollen sie verwendet werden? Gladstone spricht sich darüber aus:
„Wie günstig dieser Bericht auch scheinen mag, so darf das Haus darüber doch nicht vergessen, daß auf Kosten dieses Überschusses schon große Extrabewilligungen für das laufende Budget gemacht wurden." Das Parlament war schon durch Disraeli informiert, daß auf jeden Fall ein Überschuß von mehr als einer Million Pfund Sterling dasein werde. Es bewilligte also, nachdem es sich als Budgetausschuß1863 konstituiert hatte, leichten Herzens noch folgende zusätzliche Summen über den Voranschlag hinaus:
Für die Flotte, einschließlich Postschiffsdienst 617 000 Pfd. St. Für Armee und Kommissariat 90 000 „ „
Außerdem kommen, wie Herr Gladstone ankündigt, zu diesen Summen noch folgende hinzu:
Für den Krieg gegen die Kaffern (kein Frieden?) ... 270 000 Pfd. St. Erhöhung der Ausgaben für das Feldzeugamt 616 000 „ „ Erhöhung der Ausgaben für Miliz 230 000 „ „ öffentliche (lies private) Schulen 100 000 „ „
Insgesamt 1923 000 Pfd. St.
Auch hier errechnet Gladstone wahrscheinlich, indem er die Ausgaben für den Krieg gegen die Kaffern seiner Ungewißheit wegen wegläßt, eine Gesamtsumme von nur 1654000 Pfd.St. Zieht man diese Summe von dem ursprünglichen (nur nominellen) Überschuß von 2460 000 Pfd.St. ab, so bleibt ein tatsächlicher Überschuß von 806 000 Pfd. St. oder nach Gladstones Rechnung 807 000 Pfd. St. Dem Hohen Haus wird jedoch nahegelegt, sogar von dieser bescheidenen Summe, die aus unsicheren und nicht ständig fließenden Einnahmequellen stammt, noch 220 000 Pfd. St. abzuziehen. So schrumpfen die ursprünglichen, so laut verkündeten zwei Millionen auf 587 000 Pfd. St. zusammen, eine Summe, die keineswegs als sehr breite Basis für eine, wenn auch noch so bescheidene Steuerreform zu betrachten ist. Da man aber dem Lande versichert, es besäße eine Regierung der Reformen, so
muß es Reformen geben; und Herr Gladstone macht sich sofort daran, diese Reformen herauszubringen. Ein gewöhnlicher Freihändler, wie z.B. Herr Hume, hätte dem Schatzkanzler vielleicht geraten, seinen Überschuß dazu zu verwenden, die Zölle auf jene ausländischen Artikel abzuschaffen, deren Höhe sich gemäß der Zollstatistik gerade mit diesen 587000Pfd.St. deckt. Aber was für eine banale, gewöhnliche, profane Zumutung wäre das für einen so hochgelehrten Finanzalchimisten wie Herrn Gladstone! Wäre es denn denkbar, daß der Ehrgeiz des Mannes, der nichts Geringeres plant als die Abschaffung der ganzen Staatsschuld, sich mit einem einfachen Steuernachlaß von 500 000 Pfd. St. begnügen könnte? Wahrlich, wegen einer solchen Kleinigkeit hätte Sancho Timber nicht nach dem indischen Barataria[86] geschickt zu werden brauchen, um dem großen Finanz-Don-Quijote der Koalition Platz zu machen. Gladstones Steuerreform trägt wie ein Laden in der Oxford Street das stolze Schild: „Kolossale Herabsetzung/" „Sofortige Ersparnis von fünf Millionen und etlichen hunderttausend Pfund!" Damit lockt man das Volk herbei und bezaubert selbst das bestbehütete alte Weib unter den Parlamentariern1. Treten wir also in den Laden ein: „Herr Gladstone, bitte Ihre Preisliste! Wie stellen Sie sich das wirklich vor, mein Herr? Ersparnis von fünf Millionen Pfund?" „Aber gewiß, verehrter Herr", antwortet Gladstone. „Wollen Sie die einzelnen Posten sehen? Hier sind sie:
1. Völlige Abschaffung der Seifentaxe 1 126000Pfd.St. 2. Herabsetzung der Taxe auf Lebensversicherungen von 2 sh. 6 d. auf 6 d 29000 „ „ 3. Herabsetzung der Stempeltaxe für Quittungen auf den Einheitssatz von 1 d 155000 „ „ 4. Herabsetzung der Gebühren für Lehrlingsverträge von 20 sh. | auf 2 sh. 6 d \ 50000 „ „ 5. Herabsetzung der Gebühren für Anwaltszertifikate .J 6. Herabsetzung der Annoncensteuer von 1 sh. 6 d. auf 6 d 160000 „ „ 7. Herabsetzung der Steuer für Mietdroschken von 1 sh. 5 d. auf 1 sh. pro Tag 26000 „ „ 8. Herabsetzung der Steuer für Diener über 18 Jahre auf 1 Pfd. I sh. und unter 18 Jahren auf 10 sh. 6 d 87 000 „ „ 9. Herabsetzung der Steuer für Privatkutschen 95 000 „ „
1 Anspielung auf Palmerston; siehe vorl. Band, S. 355
10. Herabsetzung der Hunde-, Pferde- und Ponysteuer 108 000 Pfd. St 11. Herabsetzung der Steuer auf Postpferde, die durch eine Gebühr auf Meilengelder ersetzt werden soll 54 000 „ „ 12. Herabsetzung der Postgebühren für die Kolonien (6d. pro Brief) 40000 „ „ 13. Herabsetzung des Teezolls von 2 sh. 21/* d. auf 1 sh. 10 d. bis 5. April 1854; auf 1 sh. 6 d. 1855; auf 1 sh. 3d. 1856 und danach auf 1 sh 3000000 „ „ 14. Herabsetzung der Zölle auf Äpfel, Käse, Kakao, Eier, Butter und Früchte 262 000 „ „ 15. Herabsetzung der Zölle auf 133 untergeordnete Artikel 70 000 „ „ 16. Abschaffung der Zölle auf 123 untergeordnete Artikel 53000 „ „
Insgesamt 5 315 000Pfd.St."
Natürlich wäre eine Verringerung der Steuern um 5315 000 Pfd.St. eine sehr schöne Sache. Aber hat denn dieses höchst liberale Budget keine Kehrseite? Sicherlich. Könnte man es sonst als Reform bezeichnen? Konstitutionelle Reformen haben genau so wie die Läden in der Oxford Street - so schön sie auch beide aussehen mögen - stets auch ihre sehr schöne Kehrseite. Ist eine Sache auch noch so schlau eingefädelt, schließlich kommt man doch hinter ihr Geheimnis. Herr Gladstone, der nur eine halbe Million im Säckel hat, beschert dem Publikum ein Geschenk von fünf und einer halben Million. Woher nimmt er sie? Natürlich von demselben hinters Licht geführten Publikum, das er mit seiner Großmut verblüfft. Er macht ihmein Geschenk, fordert es aber gleichzeitig auf, sich zu revanchieren. Natürlich tut er das nicht direkt und nicht etwa unverschämt, er wendet sich auch nicht an die gleichen Leute, die er sich jetzt geneigt machen will. Er will mit den verschiedensten Kunden Geschäfte machen und der Gaukler Russell hat den Alchimisten Gladstone gelehrt, wie er sich für seine Freigebigkeit von heute morgen schon entschädigen kann. Gladstone ermäßigt alte Steuern in Höhe von 5315 000 Pfd. St. Gladstone bürdet neue im Betrage von 3139 000 Pfd.St. auf. Das sieht immer noch so aus, als ob Gladstone uns ein Geschenk von 2 176 000 Pfd. St. macht. Aber Gladstone ist bestenfalls für ein Jahr Minister; und die Reduzierung, die er für dieses Jahr plant, beträgt nur 2568000Pfd.St., die ein Minus von 1 656 000 Pfd.St. an Einnahmen bedeuten, denen 1344 000 Pfd.St. an Mehreinnahmen aus den neuen Steuern im laufenden Jahr gegenüberstehen. Es bleibt also ein Manko von 312 000 Pfd.St., die von dem im Budget ausgewiesenen Überschuß von 807 000 Pf d. St. abgezogen, doch noch die günstige Bilanz von 495 000Pfd.St. ergeben.
Das sind also die Haüptzüge des Koalitionsbudgets. Wir wollen nun unsere Leser mit den Punkten bekannt machen, auf die das Ministerium die größte Hoffnung setzt, wollen die Einwände hervorheben, die wahrscheinlich von den verschiedenen parlamentarischen Oppositionsparteien dagegen erhoben werden, und schließlich unsere eigene Meinung zu dieser Frage sagen. Bei all seiner Angst vor einer Blamage, bei all seiner Sucht, sich durch Steuernachlässe sowohl Popularität als auch finanziellen Ruhm zu sichern, hat Gladstone doch gefühlt, daß es notwendig ist, einen plausiblen und vernünftig scheinenden Vorwand zu finden, seinen Antrag auf Erhöhung des Budgets um 3 139 000 Pfd. St. einzubringen. Er sah ein, daß man ihm nicht gestatten würde, nur zu seinem eignen, überflüssigen, ungerechtfertigten Vergnügen an dem ganzen Steuersystem herumzukritteln, daß er sich wenigstens den Anschein geben müsse, nach den Regeln zu verfahren, die die Parlamentarier und Bourgeois „Prinzip und Gerechtigkeit" nennen. Er beschloß daher, die gesetzgebenden Pecksniffst871 schlau an ihrer ihm bekannten schwächsten Stelle zu packen und seine geplante Erhöhung der öffentlichen Lasten mit der gutklingenden und akzeptablen Phrase zu verschleiern, „es gelte, eine gerechte Erhöhung gewisser Steuern herbeizuführen und dabei ihre endgültige und beständige Ausgleichung im Auge zu behalten". Dafür wählte er folgende Steuern aus: 1. Die Erbschaftssteuer. 2. Die Steuer auf geistige Getränke. 3. Die Einkommensteuer. Gladstone verlangt, daß die Erbschaftssteuer gleichmäßig allen Arten von Besitz auferlegt werden solle. Da der ländliche Grundbesitz bisher davon befreit war, so wird der Vorschlag dem Handel und der Industrie sehr willkommen sein. Die Steuer auf geistige Getränke soll auf Schottland und Irland ausgedehnt werden, so daß sie mit dem Branntwein brennenden England auf gleicher Stufe stünden. Die Einkommensteuer endlich soll auch auf Einkommen zwischen 150 und 100Pfd.St. erweitert werden, auch für Irland. Der Vorschlag zur Einkommensteuer wird Gladstone sicherlich keinen großen Applaus bringen. Doch darüber später mehr, wenn wir uns mit den Einwänden gegen das Budget beschäftigen. Neben den Vorschlägen zur Erbschaftssteuer und zur Steuer auf geistige Getränke sind es die freihändlerischen Reduzierungen bei vielen Importartikeln, die von den Ministern zweifelsohne als lockendster Köder betrachtet werden. Ladenbesitzer, Hausfrauen und das Kleinbürgertum im allgemeinen werden sie wahrscheinlich laut willkommen heißen, ehe sie herausfinden, daß
z.B. beim Tee die Konsumenten nur einen ganz geringen Nutzen haben werden, weil der Profit der Kapitalisten und das Monopol der Produzenten die Tendenz haben, den größten Teil des Nachlasses zu verschlingen. Dafür aber soll die Seifentaxe ganz abgeschafft werden, eine Maßnahme, die, wie Gladstone hofft, es der Nation nicht nur ermöglichen soll, sich von ihrem schmierigen, schmutzigen, jämmerlichen Aussehen zu befreien und lauter saubere, zufriedene und glückliche Gesichter zu schaffen, sondern auch die Sklaverei der Schwarzen vollständig beseitigen und den Leiden ungezählter „Onkel Toms " dadurch ein Ende machen soll, daß sie den Anstoß gibt „zu gesetzlichem Handel und zur gesetzlich erlaubten Herstellung von afrikanischem Palmöl". Überzeugt davon, daß dem so sein wird, fühlt Gladstone sich zu den schönsten Hoffnungen berechtigt, den geriebensten Hausierer und den bombastischsten Quacksalber zu übertrumpfen. Diesen verlockenden Aspekten fügt Gladstone noch eine stattliche Anzahl kleiner Bestechungen hinzu, darunter eine von mehreren Millionen an die Irische Brigadet681, indem er ihr die Rückzahlung der anläßlich der Hungersnot gewährten Anleihe erläßt und auch eine an die „Times"1261, diese starke Stütze des „guten Aberdeen" und seiner Kollegen von der Koalition. Diese Bestechung besteht in der Abschaffung des Stempels für Zeitungsbeilagen, die nur Annoncen enthalten. Denn bekanntlich gibt von allen Zeitungen nur die „Times" derartige Annoncenbeilagen in nennenswertem Umfang heraus. Nun zu den Einwänden, welche die Opposition höchstwahrscheinlich gegen das Budget machen wird. Da am letzten Montag die Diskussion im Unterhaus nur ein einleitendes Geplänkel war, so müssen wir, wenn möglich, aus den Tagesblättern die Absichten der Parteien zu erraten suchen. Allerdings gibt es da nur eine sehr magere Ausbeute. „Times", „Chronicle"*291 und „Post"t271 sind in Wirklichkeit Werkzeuge des Koalitionsministeriums, und „Daily News"^281 ist kaum als Organ der Manchesterschule1691 zu betrachten. Außerdem schwankt diese Zeitung stark hin und her und läßt sich augenscheinlich sehr durch die freihändlerischen Vorschläge locken. Nur im „Herald"[24], dem konservativen Toryblatt, finden wir schon das Urteil gesprochen, und zwar mit ganz ungewohntem Freimut.
„Das ganze Budget des Herrn Gladstone", meint das Blatt, „ist nichts als eine verabscheuungswürdige Mischung von Bestechung und Begünstigung."
Die Tories werden also sicher gegen Gladstones Pläne auftreten; und Disraeli wird nicht verfehlen, die ihm gestohlenen Federn - d. h. die Ausdehnung der Erbschafts- und der Einkommensteuer, die Reduzierung des Zolles auf Tee und andere seiner anerkannten Verdienste wieder für sich zu rekla
mieren, mit denen sich Gladstone unverschämterweise geschmückt hat. Die Grundaristokratie will, wenn sie schon auf einige weitere Privilegien verzichten muß, wenigstens auf alle Fälle das Verdienst des freiwilligen Verzichts für sich in Anspruch nehmen. Da sie aber nicht gut die Erbschaftssteuer zur Grundlage ihrer Opposition machen kann, so wird Herr Disraeli sie veranlassen, sich zu dem Prinzip der Unterscheidung zwischen sicherem Einkommen aus Grundeigentum und unsicherem Einkommen zu bekennen. Auf dieser Basis wird er einen erheblichen Teil der Irischen Brigade im Kampf auf seiner Seite haben. Es versteht sich von selbst, daß die Iren niemals eine Schuld anerkennen können und werden, die ihrem Lande von den Engländern nur wegen des vorherigen Ruins seiner Bevölkerung aufgezwungen wurde. Auch wird ihnen die Erlassung der Zinsen von 3 000 000 Pfd. St. imaginären Kapitals nur als eine sehr unzureichende Entschädigung für die Auferlegung der Steuer auf geistige Getränke und der Einkommensteuer erscheinen. Von der Manchesterschule darf man, obwohl sie sich ihren Wählern gegenüber wenn auch nicht zur Abschaffung, so doch zur Abänderung der Einkommensteuer verpflichtete, nichts anderes erwarten, als daß sie wie ein guter Geschäftsmann handelt, d.h. ohne politisches Ehrgefühl undnurmitgebührender Rücksicht auf den Profit. Und dieser Profit aus dem Budget des Herrn Gladstone ist „insgesamt" gesehen für die Manchesterleute durchaus nicht zu verachten. Was schließlich unsere eigene Meinung zu dieser Frage betrifft, so wünschen wir nichts sehnlicher als die Niederlage eines Ministeriums, dessen reaktionäre und verlogene Tricks in der Innenpolitik uns ebenso verächtlich erscheinen wie seine feige und unterwürfige Außenpolitik. Wir glauben um so mehr ein Recht dazu zu haben, weil ein solches Ereignis der Sache des Volkes nur dienen kann. Eines ist klar: solange eine aristokratische Koalition das tut, was die Industrie- und Handelsklasse von ihr verlangt, solange werden diese letzteren weder selbst eine politische Anstrengung machen, noch der Arbeiterklasse gestatten, ihre eigene politische Bewegung zu entfalten. Sollte jedoch die Partei der Grundbesitzer nochmals die Oberhand gewinnen, dann kann sich die Bourgeoisie von ihr nicht befreien, ohne das verrottete oligarchische Parlament neu zu gestalten. Dann aber steht es nicht länger in ihrer Macht, für beschränkte Reformen zu agitieren, dann müssen sie die Forderungen des Volkes bis zu Ende erfüllen. Das Volk kann sich natürlich niemals mit der Bourgeoisie verbinden oder auch nur an sie appellieren ohne seine Prinzipien und Interessen aufzugeben; andererseits war es nicht das erste Mal, daß die Bourgeoisie sich gezwungen sähe, sich auf die Schultern des Volkes zu stützen. Und ein solches Ereignis würde zu einer sehr entschiedenen
6 Marx/Engel», Werke, Bd. 9
Revolution im jetzigen Finanzsystem führen. Schon heute ist es nicht zu leugnen, daß sogar die Bourgeoisiegesellschaft unvermeidlich darauf hindrängt, die traditionelle fiskalische Olla podrida1 durch eine direkte Eigentumssteuer zu ersetzen. Das Prinzip der direkten Besteuerung ist längst von der Manchesterschule aufgenommen, von Disraeli anerkannt und selbst von der oligarchischen Koalition bestätigt worden. Ist aber die Maschinerie einer direkten Eigentumssteuer erst einmal wirklich errichtet, dann braucht das Volk, einmal im Besitz der politischen Macht, sie nur in Bewegung zu setzen und schafft damit das Budget der Arbeiterklasse.
Geschrieben etwa am 25. April 1853. Aus dem Englischen.
1 Mischmasch
Karl Marx/Friedrich Engels
Die Raketenaffäre - Die Schweizer Insurrektion
[„ New-York Daily Tribüne" Nr. 3768 vom 14. Mai 1853] London, Freitag, 29. April 1853 Vor wenigen Tagen traf hier aus Berlin kommend der berüchtigte Polizeidirektor Stieber in Begleitung von Polizeileutnant Goldheim und Kriminalrat Nörner mit dem speziellen Auftrag ein, die Schießpulver-Verschwörung von Rotherhithe mit der Kalabreserhut-Verschwörung in Berlin1 in Zusammenhang zu bringen. Mir ist aus privater Quelle bekannt, daß sie im Hause Fleurys in Kensington zusammenkamen und bei dieser Zusammenkunft auch der ehemalige Handlungsgehilfe Hirsch anwesend war. Einen Tag später hatte besagter Hirsch eine geheime Unterredung mit dem russischen Konsul, Herrn Kremer. Wenn sich Ihre Leser meines Artikels anläßlich des Kölner Prozesses1881 erinnern, werden sie sofort merken, daß dieselben Leute, welche die damalige Verschwörung ausheckten, wieder am Werke sind. Am Sonnabend, dem 23. d. M., wurde die Gerichtsverhandlung gegen Herrn Haie, den Besitzer der Raketenfabrik in Rotherhithe, wo die Festnahme auf Betreiben der Regierung erfolgt war, vor dem Polizeirichter Herrn Henry in Bow Street fortgesetzt. Die Frage, welche an diesem Tage behandelt wurde, erstreckte sich nur darauf, festzustellen, ob das beschlagnahmte explosive Material Schießpulver sei oder nicht. Herr Henry, welcher sich bis gestern seine Entscheidung vorbehalten hatte, erklärte nun, im Gegensatz zu der Ansicht des berühmten Chemikers Herrn Ure, daß es sich um Schießpulver handle. Dementsprechend bestrafte er Herrn Haie mit 2 sh. für jedes Pfund Schießpulver, das über die amtlich zugelassenen Mengen in seinem Besitz gefunden worden war. Es handelte sich dabei um eine Menge von insgesamt 57 Pfund. W.Haie, sein Sohn R.Haie und J.Boylin hatten sich dann
1 Siehe vorl. Band, S. 28-30
noch in einer Nebenklagesache zu verantworten; sie waren angeklagt, in der Zeit zwischen dem 13. September 1852 und dem 13. April 1853 mit mehreren Unterbrechungen verschieden große Mengen Raketen hergestellt bzw. ihre Herstellung veranlaßt zu haben. Herr Bodkin als der Rechtsvertreter der Regierung gab bekannt, daß Herr W.Haie verschiedene Male erfolglos im Zusammenhang mit seinen Raketen Anträge an die Regierung gestellt habe, daß er seit Oktober 1852 eine größere Anzahl Arbeiter beschäftigt habe, darunter einige ausländische Flüchtlinge, daß ihre ganze Tätigkeit unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit vor sich gegangen sei und daß die Verschiffungsregister bei den Zollbehörden die Behauptung Herrn Haies widerlegten, er sei beim Zollamt als Exporteur bekannt. Abschließend bemerkte Herr Bodkin: „Der Wert der im Besitz des Herrn Haie gefundenen Raketen werde auf 1000 bis 2000 Pfd. St. geschätzt. Woher ist das Geld gekommen? Herr Haie hatte erst vor kurzem Bankrott gemacht und konnte seinen Bankrott nur aufheben, indem er ganze 3 sh. pro Pfund zahlte." Der Sergeant der Geheimpolizei J.Saunders berichtete, er habe „1543 geladene Raketen, 3629 Raketenköpfe, 2482 Unterteile, 1955 leere Raketen, 2 eiserne Geschosse und 22 Abschußgeräte für Raketen" beschlagnahmt. Als nächster erschien der Zeuge Herr Uzner, der, wie er aussagte, 15 Jahre Offizier in der preußischen Artillerie gewesen sei und während des ungarischen Krieges als Stabsmajor gedient habe. Er sei von den Herren Haie in Rotherhithe eingestellt worden, um Raketen herzustellen. Ehe er in die Fabrik kam, saß er wegen Diebstahls fünf oder sechs Monate im Gefängnis von Maidstone; völlige Mittellosigkeit habe ihn zu einem solchen Schritt getrieben. Der wichtigste Teil seiner Ausführungen lautete wörtlich folgendermaßen: „Herr Kossuth war es, der mich bei den Haies eingeführt hatte. Das erste Mal traf ich Herrn Kossuth aus diesem Anlaß im vergangenen Sommer nach seiner Rückkehr aus Amerika. Etwa Mitte September sah ich den älteren Herrn Haie in Gesellschaft von Herrn Kossuth in dessen Hause; sein Adjutant, ein Ungar, war ebenfalls zugegen. Herr Kossuth sagte hinsichtlich meiner Person zu Herrn Haie: »Dieser Mann diente in der ungarischen Armee; er ist ein ehemaliger preußischer Artillerieoffizier, und ich kann ihn Ihnen für Ihre Arbeit empfehlen, um unsere oder Ihre Raketen anfertigen zu helfen/ Ich kann mich nicht der genauen Worte erinnern, die er gebrauchte. Herr Kossuth sagte, mein Lohn werde wöchentlich 18 sh. betragen, und empfahl mir, die Angelegenheit völlig geheimzuhalten. Herr Haie, sagte er, würde mir Anweisung geben, was ich zu tun habe. Herr Kossuth sprach zum Teil Ungarisch und zum Teil Englisch. Ich glaube, Herr Haie versteht kein Deutsch. Das Wort geheim sagte man mir auf deutsch. Von R. Haie wurde ich nach Pimlico geschickt, um Herrn Kossuth aufzusuchen. Ich traf ihn in Pickering Place. W. Haie und ein anderer Ungar waren eben
falls dort. Wir trafen uns, um eine Maschine zum Abfeuern der Raketen zu erproben. Als wir uns alle versammelt hatten, wurde die Maschine aufgestellt, und es wurde ein Versuch mit den Raketen gemacht. Die Unterhaltung wurde zum Teil in englischer Sprache geführt und drehte sich hauptsächlich um die Qualität der Raketen usw. Wir blieben etwa eineinhalb Stunden, und als alles vorbei war, bestanden Herr Kossuth und Herr Haie darauf, daß wir das Haus vorsichtig und einer nach dem anderen verlassen. An der Straßenecke kam Herr Kossuth zu uns, und bei dieser Gelegenheit bat er uns wiederholt, seine Beziehung zu den Raketen geheimzuhalten."
W. Gerlach, ein anderer Deutscher, wurde dann mit Hilfe eines Dolmetschers vernommen. Er war in Herrn Haies Fabrik angestellt worden, um Raketen anzufertigen. Außer ihm arbeiteten noch drei Ungarn dort. Er war Herrn Haie durch Herrn Kossuth empfohlen worden, doch sah er sie nie zusammen. Herr Henry hatte zwei Möglichkeiten, er konnte die Angeklagten summarisch zu 5 Pfd. St. Strafe verurteilen oder den Fall den Assisen überweisen; er beschritt den zweiten Weg, doch war er bereit, die beiden Haies gegen Kaution freizulassen. Herr W.Haie erklärte, er weigere sich, einen seiner Freunde zu bitten, für ihn oder für seinen Sohn die Bürgschaft zu übernehmen, und so wurden sie dann in das Gefängnis nach Horsemonger Lane gebracht. Es ist klar, daß die Aussagen der Zeugen in heftigem Widerspruch zum Brief des Herrn Haie senior stehen, dessen Inhalt ich Ihnen bereits mitgeteilt habe1891, und auch zu den Briefen, die Kossuth an Captain Mayne Reid und an Lord Dudley Stuart gerichtet hat, in denen er versichert, er. wisse weder etwas von einem Herrn Haie noch von dessen Raketen. Es wäre jedoch ungerecht, aus diesen Umständen irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen, ehe weitere Erklärungen von Herrn Kossuth abgegeben worden sind. Doch ist es nicht eine Schande, daß ein so begabter Landsmann von uns im Exil, wie Herr Uzner, der durchaus gewillt ist zu arbeiten, was die Tatsache beweist, daß er sich bereit erklärte, als einfacher Arbeiter für 18 Schilling wöchentlich zu arbeiten, gezwungen war, wegen völliger Mittellosigkeit zu stehlen, während gewisse deutsche Flüchtlinge, notorische Faulenzer, sich das Recht anmaßen, die geringen Mittel, die für die Revolutionäre bestimmt sind, mit ihren selbstgesuchten Missionsreisen, lächerlichen Verschwörungen und Wirtshausversammlungen zu verschwenden? Am Freitag, dem 22. d. M., brach wiederum ein Aufstand in Freiburg in der Schweiz aus; es ist bereits der fünfte seit dem vormaligen Sonderbundkrieg1901. Der Aufstand sollte gleichzeitig im gesamten Gebiet des Kantons beginnen; doch zum gegebenen Zeitpunkt kam die Mehrzahl der Verschwörer nicht zum Vorschein. Drei „Kolonnen", die ihre Mitwirkung in dieser
Angelegenheit zugesagt hatten, erschienen nicht. Die Aufständischen, die tatsächlich in die Stadt eingedrungen waren, kamen vor allem aus dem Bezirk Farvagny und aus den Gemeinden Autigny, Prez, Torny, Middes und anderen Nachbarorten. Um halb fünf Uhr morgens marschierte ein Trupp von 400 Bauern, die alle die Farbe des Sonderbundes und Fahnen mit dem Emblem der Heiligen Jungfrau trugen, auf der Straße von Lausanne nach Freiburg; geführt wurden sie von Oberst Perrier und dem berüchtigten Bauern Carrard, dem Anführer des Aufstandes von 1851, der inzwischen vom Großen Rat amnestiert worden ist. Gegen fünf Uhr gelangten sie durch die „Porte des Etangs"1 in die Stadt und bemächtigten sich des Kollegiums und des Arsenals, aus dem sie 150 Gewehre mitnahmen. Nachdem Alarm geschlagen worden war, verkündete der Rat der Stadt umgehend den Belagerungszustand, und Major Gerbex übernahm das Kommando der versammelten Bürgerwehr. Er gab Befehl, die Straße hinter dem Kollegium mit Kanonen zu besetzen und stieß mit einer Gruppe Schützen zu einem Frontalangriff gegen die Aufständischen vor. Die Schützen erkämpften sich die zwei Treppenfluchten, die zum Kollegium hinaufführen und vertrieben bald die Bauern von den Fenstern der Gebäude. Nach einem Kampf von etwa einer Stunde, wobei die Angreifer bereits 8 Tote und 18 Verwundete zählten, und nachdem die Aufständischen vergeblich versucht hatten, durch die hinteren Straßen zu entkommen, wo man sie mit Traubenschüssen empfangen hatte, schickten die Insurgenten einen Priester mit einer weißen Fahne vor und erklärten ihre Bereitschaft, sich zu ergeben. Ein Komitee aus der Bürgergarde bildete umgehend ein Kriegsgericht, welches Oberst Perrier zu 30 Jahren Gefängnis verurteilte; die Sitzungen des Komitees dauern noch an. Die Zahl der Gefangenen beläuft sich auf etwa 200; unter ihnen die Herren Wuilleret, Weck und Chollet. Herr Charles, der Präsident des wohlbekannten Komitees von Posieux, wurde an den Toren von Romont gesehen, jedoch nicht gefangengenommen. Neben dem Pfarrer aus Torny-le-Grand befinden sich zwei weitere Priester unter den Gefangenen. Was den materiellen Schaden anbetrifft, den die Affäre verursacht hat, so scheint der Kanton gesichert zu sein; die Hälfte des Vermögens des Patriziers Weck würde genügen, um ihn wieder wettzumachen. Karl Marx
Geschrieben von K.Marx und F.Engels zwischen dem 26. und 29. April 1853. Aus dem Englischen.
1 Stadttor in Freiburg
Friedrich Engels
Die politische Lage der schweizerischen Republik™
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3770 vom 17. Mai 1853] London, I.Mai 1853 Früher war es in königlichen Familien Sitte, Prügelknaben in Dienst zu nehmen, welche die Ehre hatten, auf ihren profanen Rücken eine angemessene Strafe entgegenzunehmen, wenn sich einer der Sprößlinge aus königlichem Geblüt einen Verstoß gegen die Regeln des guten Benehmens erlaubt hatte. Das moderne politische System in Europa führt diese Praxis in gewissem Grade fort durch die Schaffung kleiner Pufferstaaten, welche bei inneren Streitigkeiten, durch die die Harmonie des „Gleichgewichts der Kräfte" gestört werden kann, zum Sündenbock gemacht werden. Damit diese kleinen Staaten jene beneidenswerte Rolle mit der nötigen Würde spielen können, werden sie mit der allgemeinen Zustimmung eines „auf dem Kongreß versammelten" Europas1921 und mit aller geziemenden Feierlichkeit für „neutral" erklärt. Ein solcher Sündenbock oder Prügelknabe ist Griechenland - dieselbe Rolle spielen Belgien und die Schweiz. Der einzige Unterschied besteht darin, daß diese modernen politischen Sündenböcke infolge ihrer anomalen Lebensverhältnisse selten die Strafen nicht verdienen, mit denen sie beehrt werden. Das bemerkenswerteste Beispiel dieser Art von Staaten war in der letzten Zeit die Schweiz. Quidquid delirant reges, plectuntur... die Schweizer1. Und allenthalben, wo das Volk eines europäischen Staates mit seinen Herrschern in Konflikt gerät, konnten die Schweizer mit Sicherheit erwarten, ebenfalls ihren Anteil am Ärger abzubekommen, bis die Schweiz Anfang dieses Jahres, nachdem sie grundlos in den Verruf gekommen war,
1 Jeglicher Wahnwitz der Fürsten* die Schweizer, sie müssen ihn büßen... (nachHoraz)
zur revolutionären Partei zu halten, von den Herrschern des europäischen Kontinents mit einer Art Bann belegt wurde. Streitigkeiten mit Kaiser Napoleon über die Flüchtlingsfrage, die die Schweiz einmal beinahe in einen Krieg verwickelt hätten; Streitigkeiten mit Preußen wegen Neuchätel; Streitigkeiten mit Österreich wegen des Tessiner und des Mailänder Aufstands[93J; Streitigkeiten mit kleineren deutschen Staaten über Dinge, die niemand interessieren; Streitigkeiten an allen Ecken und Enden, drohende diplomatische Noten, Ausweisungen, Paßschikanen und Blockaden regneten auf die bedauernswerte Schweiz nieder, so dicht, wie Hagel bei einem Unwetter. Und doch - so ist nun einmal die menschliche Natur - sind die Schweizer auf ihre Weise stolz, glücklich und zufrieden und fühlen sich unter diesem Hagel von Schmähungen und Beleidigungen mehr zu Hause, als wenn der politische Horizont strahlend hell und wolkenlos wäre. Diese ehrsame politische Stellung der Schweiz wird von der öffentlichen Meinung Europas ziemlich vage und ungeschickt in der allgemeinen Redensart ausgedrückt: Die Schweiz wurde von den Herrschern Europas zu dem Zweck erfunden, um republikanische Regierungen in Verruf zu bringen. Und sicherlich mögen Metternich oder Guizot oft gesagt haben: Wenn es die Schweiz nicht gäbe, so müßten wir sie schaffen. Für sie war ein Nachbarland wie die Schweiz eine wahre Gottesgabe. Man kann nicht von uns erwarten, daß wir die vielfältigen Anklagen wiederholen, die in letzter Zeit von wirklichen und Möchtegern-Revolutionären gegen die Schweiz und ihre Institutionen erhoben wurden. Lange vor den Bewegungen von 1848 untersuchten die Organe der revolutionären Kommunistischen Partei Deutschlands jenen Gegenstand; sie zeigten, weshalb die Schweiz als unabhängiger Staat stets der Entwicklung der europäischen Zivilisation hinterherhinken muß und weshalb dieses Land trotz seines zur Schau gestellten Republikanismus dem Wesen nach stets reaktionär sein wird.1 Sie wurden dafür damals sogar wütend von den verschiedensten demokratischen Schwätzern und Schreiberlingen, die insgeheim Deklamationen verfaßten, angegriffen, welche die Schweiz als ihre „Muster-Republik" feierten, bis die Musterinstitutionen eines Tages an ihnen selbst ausprobiert wurden. Dieses Thema ist heute so abgedroschen wie nur möglich; niemand bestreitet die Tatsache und wenige Worte werden genügen, um die Angelegenheit ins rechte Licht zu rücken. Die Masse der Schweizer Bevölkerung betreibt entweder Viehzucht oder Ackerbau; Viehzucht im Hochgebirge und Ackerbau überall dort, wo es die
1 Siehe Band 4 unserer Ausgabe, S.391
Beschaffenheit des Bodens erlaubt. Die Hirtenstämme, denn Stämme kann man sie nennen, gehören zu den am wenigsten zivilisierten Bewohnern Europas. Wenn sie auch keine Köpfe und Ohren abschneiden wie die Türken und Montenegriner, so verüben sie doch durch ihre Gerichtsversammlungen kaum weniger barbarische Handlungen, und zu welcher Grausamkeit und bestialischen Wildheit sie fähig sind, haben die schweizerischen Söldlinge in Neapel und andernorts bewiesen. Nicht weniger wie die Hirten stagniert auch die ackerbautreibende Bevölkerung; sie hat nichts gemein mit der Landbevölkerung des amerikanischen Fernen Westens, deren Lebenselement die Veränderungen sind und die alle zwölf Monate eine Fläche Land roden, die bei weitem größer ist als die ganze Schweiz. Der Schweizer Bauer beackert das Stück Land, das sein Vater und Großvater vor ihm beackert hatten; er beackert es in derselben nachlässigen Weise, wie sie es taten; er hat etwa denselben Verdienst, den sie hatten; er lebt ungefähr in derselben Weise, wie sie es getan haben, und folglich denkt er auch fast genauso wie sie. Wären nicht die Feudallasten und Abgaben gewesen, die ihnen teilweise von den aristokratischen Familien und teilweise von den patrizischen Ratsherren der Städte auferlegt worden waren, so stagnierte die Schweizer Bauernschaft genauso in ihrem politischen Dasein wie ihre Nachbarn, die KuKhirten, bis auf den heutigen Tag. Der dritte Bestandteil des Schweizer Volkes, die industrielle Bevölkerung, obwohl unumgänglich den beiden vorerwähnten Klassen kulturell weit voraus, lebt dennoch unter Verhältnissen, die ihn in hohem Maße von den fortschreitenden gigantischen Impulsen ausschließt, die das moderne Fabriksystem Westeuropa gegeben hat. Dampfkraft ist in der Schweiz kaum bekannt; große Fabriken gibt es nur an wenigen Orten; die Wohlfeilheit der Arbeitskraft, die geringe Bevölkerungsdichte, der Überfluß kleiner Gebirgsströme, welche für den Antrieb von Fabriken geeignet sind - all diese und noch viele andere Umstände tragen dazu bei, eine kleine und zersplitterte Industrie, vermischt mit landwirtschaftlicher Tätigkeit, als das der Schweiz angemessenste industrielle System hervorzubringen. So wird die Uhrenmacherei, die Bandweberei, Strohflechterei, Stickerei usw. in verschiedenen Kantonen betrieben, ohne aber jemals Anlaß für die Entstehung neuer Städte oder wenigstens die Vergrößerung einer Stadt zu bieten; Genf und Basel als die reichsten Städte und Zürich als die in industrieller Beziehung am weitesten entwickelte Stadt haben sich seit Jahrhunderten kaum vergrößert. Wenn demnach in der Schweiz die Manufakturproduktion fast ausschließlich nach dem vor der Erfindung der Dampfmaschine in ganz Europa üblichen System durchgeführt wird, wie können wir da erwarten, andere als diesem Zustand entsprechende Ideen in den Köpfen der Produzenten zu finden; wenn die
Dampfkraft es nicht vermochte, die Produktion und das Verkehrswesen in der Schweiz zu revolutionieren, wie konnte sie da die überlieferte Denkweise beseitigen? ( Die Verfassung Ungarns hat gewisse Ähnlichkeit mit der Verfassung Großbritanniens, ein Umstand, aus dem ungarische Politiker Kapital geschlagen haben, um uns zu der voreiligen Schlußfolgerung zu veranlassen, die ungarische Nation sei kaum hinter der englischen zurückgeblieben. Und doch liegen nicht nur viele hundert Meilen, sondern auch viele hundert Jahre zwischen dem kleinen Handwerker von Buda und dem Baumwoll-Lord von Lancashire, oder zwischen dem umherziehenden Kesselflicker der Pußta und dem chartistischen Arbeiter einer englischen Industriemetropole. Ebenso möchte sich auch die Schweiz als eine Art Vereinigte Staaten im Kleinen gebärden; doch abgesehen von der äußerlichen Ähnlichkeit der politischen Institutionen gibt es kaum zwei Länder, die einander so wenig ähnlich sind, wie das sich ständig in Bewegung und Veränderung befindliche Amerika, dessen gewaltige historische Mission die Menschen beiderseits des Atlantischen Ozeans gerade erst zu ahnen beginnen, und die stagnierende Schweiz, deren unablässige kleinliche Wirren zu einer ewigen Kreiselbewegung auf engstem Raum führten, würde sie nicht gegen ihren eigenen Willen durch den industriellen Vormarsch ihrer Nachbarn vorwärts geschleppt. Wer darüber im Zweifel ist, wird nach einem kurzen Studium der Geschichte der Schweizer Eisenbahnen überzeugt sein. Hätte es nicht den Transitverkehr um die Schweiz herum gegeben, der zu beiden Seiten des Landes von Süden nach Norden verlief, so wäre dort nicht eine einzige Eisenbahnlinie gebaut worden. Jedenfalls sind sie zwanzig Jahre zu spät gebaut worden. Die französische Invasion von 1798 und die französische Revolution von 1830 ermöglichten es der Bauernschaft, ihre Feudallasten abzuschütteln, und der industrie- und handeltreibenden Bevölkerung, sich des mittelalterlichen Jochs der Kontrolle durch Patrizier und Zünfte zu entledigen. Mit diesem Fortschritt war die Umwälzung der kantonalen Regierung abgeschlossen. Die fortgeschritteneren Kantone hatten Verfassungen erhalten, welche ihren Interessen entsprachen. Diese kantonale Umwälzung wirkte sich auf die Bundesversammlung und den Bundesrat aus. Die Partei, welche in den einzelnen Kantonen besiegt worden war, war hier noch stark, und der Kampf entbrannte von neuem. Die allgemeine politische Bewegung von 1840 bis 1847, die überall in Europa Vorgefechte brachte oder den Boden für entscheidende Auseinandersetzungen vorbereitete, war in allen zweit- und drittrangigen Staaten - dank der Eifersüchteleien der Großmächte - günstig für
die Opposition, die man als Partei der Bourgeoisie bezeichnen kann. Das war auch in der Schweiz der Fall; die moralische Unterstützung Englands, die Unentschlossenheit Guizots, die Schwierigkeiten, die Metternich in Italien die Hände banden - das alles trug dazu bei, die Schweizer glücklich über den Sonderbundkrieg zu bringen. Die Partei, die 1830 in den liberalen Kantonen siegreich gewesen war, eroberte jetzt die zentrale Macht. Die Revolution von 1848 ermöglichte es den Schweizern, ihre Feudalverfassung zu reformieren und mit der neuen politischen Organisation der Mehrzahl der Kantone in Einklang zu bringen; und so kann man jetzt sagen, daß die Schweiz die höchste Stufe der politischen Entwicklung erreicht hat, zu der sie als unabhängiger Staat überhaupt fähig ist. Die ständigen Reformen des Münzsystems, der Verkehrsmittel und andere legislative Maßnahmen, welche die industrielle Entwicklung des Landes beeinflussen, beweisen überzeugend, daß die neue Bundesverfassung völlig den Bedürfnissen des Landes entspricht; doch leider sind diese Reformen derart, daß jeder andere Staat sich ihrer schämen müßte, weil sie die große Anzahl traditioneller Krebsschäden und den vorsündflutlichen Zustand der Gesellschaft - alles Dinge, die bis zum heutigen Tage noch vorhanden sind - enthüllen. Was man bestenfalls noch zugunsten der schweizerischen Verfassung von 1848 sagen kann, ist, daß durch ihr Inkrafttreten der zivilisiertere Teil der Schweizer sich gewillt zeigte, bis zu einem gewissen Grade vom Mittelalter in die moderne Gesellschaft überzugehen. Ob er jedoch irgendwann einmal in der Lage sein wird, mit den privilegierten Handelskorporationen, Gilden und ähnlichen mittelalterlichen Annehmlichkeiten aufzuräumen, muß jedem sehr zweifelhaft erscheinen, der auch nur die geringsten Kenntnisse von dem Lande hat und der auch nur ein einziges Mal gesehen hat, mit welcher Hartnäckigkeit die respektablen Kreise, Besitzer von „begründeten Interessen", auch die selbstverständlichste Reformmaßnahme bekämpfen. Wir sehen also die Schweizer, getreu ihrem Charakter, sich weiter friedlich in ihrem gewohnten engen Kreis bewegen, während um sie herum das Jahr 1848 den Bestand des ganzen europäischen Kontinents erschütterte. Sie reduzierten die Revolutionen von Paris, Wien, Berlin und Mailand auf ebensoviele Triebfedern kantonaler Intrigen. Das Erdbeben, das ganz Europa erzittern ließ, löste selbst bei den radikalen Schweizern keine andere Reaktion aus als die, daß dieses Erdbeben einem ihrer konservativen Nachbarn die gewohnte Ruhe nehmen und dadurch verdrießlich stimmen könnte. Im Kampf um Italiens Unabhängigkeit war Sardinien sehr bemüht, ein Bündnis mit der Schweiz zu schließen, und es besteht kein Zweifel, daß eine Verstärkung der sardinischen Armee um 20 000 bis 30 000 Schweizer die Österreicher
sehr bald aus Italien vertrieben haben würde. Wenn 15 000 Schweizer in Neapel gegen Italiens Freiheit kämpften, dann hätte man mit Sicherheit erwarten können, daß die Schweiz eine gleiche Anzahl zur Unterstützung der Italiener in den Kampf entsendet, um ihre gerühmte „Neutralität" zu behaupten. Doch das Bündnis wurde zurückgewiesen, und Italiens Unabhängigkeit ging ebensosehr durch Schweizer wie durch österreichische Bajonette verloren. Danach kam die Katastrophe der revolutionären Partei, und ein Strom von Emigranten aus Italien, aus Frankreich, aus Deutschland ergoß sich über die neutrale Schweiz. Doch da hörte die Neutralität auf; der schweizerische Radikalismus war mit dem zufrieden, was er erreicht hatte, und dieselben Insurgenten, welche die Vormunde und natürlichen Vorgesetzten der Schweiz, nämlich die absolutistischen Regierungen Europas in Schach gehalten und den Schweizern dadurch ermöglicht hatten, ihre innenpolitischen Reformen ungestört durchzuführen - dieselben Insurgenten wurden nun in der Schweiz mit Schimpf überschüttet und, sobald ihre Verfolger es verlangten, aus dem Lande gejagt. Dem folgte jene Kette von Erniedrigungen und Beleidigungen, mit denen die Nachbarregierungen, eine nach der andern, die Schweiz überhäuften und die das Blut eines jeden Schweizers hätten zum Kochen bringen müssen, wenn das Schweizer Nationalgefühl und die Schweizer Unabhängigkeit nicht nur in Prahlerei und Legenden, sondern wirklich vorhanden gewesen wären. Niemals ist einem Volke eine derartige Behandlung zuteil geworden, wie sie sich die Schweizer durch Frankreich, Osterreich, Preußen und die kleineren deutschen Staaten bieten lassen mußten. Niemals wurden irgendeinem anderen Lande auch nur annähernd so erniedrigende Forderungen gestellt, ohne daß sie mit einem Kampf auf Leben und Tod beantwortet worden wären. Die Regierungen der umliegenden Länder maßten sich an, durch ihre Agenten die Funktionen der Polizei auf Schweizer Territorium ausüben zu lassen; sie taten das nicht nur gegenüber den Flüchtlingen, sondern auch gegenüber den Schweizer Polizeibeamten. Sie reichten Beschwerden über untergeordnete Polizeibeamte ein und verlangten deren Entlassung; sie gingen sogar so weit, Anspielungen auf die Notwendigkeit von Änderungen in den Verfassungen einiger Kantone zu machen. Was die Schweizer Regierung anbelangt, so gab sie auf jede immer unverschämtere Forderung einen noch demütigeren Bescheid. Wenn jedoch einmal in ihren Worten etwas von oppositionellem Geist zu spüren war, so konnte man sicher sein, daß sie dies in ihren Taten durch verstärkte Unterwürfigkeit wieder wettzumachen trachtete. Eine Infamie nach der anderen wurde geschluckt, ein Befehl nach dem anderen ausgeführt, bis die Schweiz schließlich in Europa auf die tiefste
Stufe der Verachtung gesunken war - bis sie mehr verachtet war als selbst ihre beiden Rivalen in der „Neutralität": Belgien und Griechenland. Und jetzt, da die Forderungen ihres Hauptangreifers, Österreich, einen solchen Grad von Unverschämtheit erreicht haben, daß sie sogar von einem Staatsmann mit dem Naturell eines Herrn Druey schwerlich ohne ein Zeichen von Protest hingenommen werden können - jetzt, in ihren jüngsten und energischsten Noten an Wien offenbart sich nur, wie tief sie gesunken ist. Die Vorkämpfer für die Unabhängigkeit Italiens - Männer, die nicht nur weit davon entfernt sind, irgendwelche bösen sozialistischen und kommunistischen Tendenzen zu zeigen, sondern nicht einmal so weit gehen würden, für Italien die gleiche Verfassung zu wünschen, wie sie die Schweiz hat Männer, welche weder früher noch jetzt auf die demagogische Berühmtheit eines Mazzini Anspruch erheben, werden in den Noten der Schweiz als Mörder, Brandstifter, Räuber und Umstürzler aller sozialen Ordnung verleumdet. In bezug auf Mazzini ist die Sprache natürlich weitaus schärfer; und doch weiß jedermann, daß Mazzini trotz all seiner Verschwörungen und Insurrektionen genauso ein Hüter der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung ist wie Herr Druey. Daher läuft der ganze Notenwechsel im Prinzip darauf hinaus, daß die Schweizer den Österreichern gegenüber nachgeben. Wie kann man da noch erwarten, daß sie ihnen in der Praxis nicht ebenfalls nachgeben werden? Tatsache ist: Jede anmaßende und hartnäckige Regierung kann bei den Schweizern erreichen, was sie will. Das isolierte Dasein, welches die meisten von ihnen führen, nimmt ihnen jedes Gefühl für die Gemeinsamkeit ihrer nationalen Interessen. Natürlich halten die Bewohner eines Dorfes, eines Tals oder eines Kantons zusammen, das ist nicht verwunderlich. Aber sich wie eine Nation zum gemeinsamen Kampf für eine gemeinsame Sache zu erheben, das werden sie niemals. Bei allen Invasionen hat, sobald die Situation begann gefährlich zu werden, wie z. B. 1798, ein Schweizer den andern verraten, hat ein Kanton den andern seinem Schicksal überlassen. Die Österreicher wiesen ohne den geringsten Anlaß 18 000 Tessiner aus der Lombardei aus. Die Schweizer erheben ein großes Geschrei darüber und sammeln Geld für ihre unglücklichen Eidgenossen. Doch wenn Österreich darauf besteht und die Rückkehr dieser Tessiner verbietet, wird man sehr schnell einen erstaunlichen Wandel in der Meinung der Schweizer feststellen. Sie werden es satt bekommen, Geld zu sammeln; sie werden sagen, die Tessiner hätten sich immer in die italienische Politik eingemischt und ihr Schicksal verdient; sie seien in Wirklichkeit keine guten Eidgenossen. Die ausgewiesenen Tessiner werden sich dann in den anderen Kantonen der Schweiz nieder
lassen und „die Einheimischen aus ihren Arbeitsplätzen verdrängen". Denn in der Schweiz ist man kein Schweizer, sondern der Einheimische dieses oder jenes Kantons. Und wenn das eintritt, dann wird man sehen, wie unsere braven Eidgenossen ihrer Entrüstung Luft machen; dann wird man sehen, wie Intrigen aller Art gegen die Opfer österreichischer Willkür gesponnen werden; dann wird man sehen, wie die Schweizer aus dem Tessin genauso gehaßt, verfolgt und verleumdet werden wie seinerzeit die ausländischen Flüchtlinge in der Schweiz, und dann wird man Österreich alles geben, was es verlangt und noch viel mehr, wenn es sich überhaupt die Mühe macht, mehr zu verlangen. Wenn die Nationen Europas die Fähigkeit, frei und normal zu handeln, wiedererlangt haben, dann werden sie in Erwägung ziehen, was mit diesen kleinen „neutralen" Staaten geschehen soll, die sich zu Knechten einer im Vormarsch befindlichen Konterrevolution machen und sich andererseits jeder revolutionären Bewegung gegenüber neutral oder sogar feindlich verhalten und sich trotzdem als freie und unabhängige Nationen ausgeben. Doch zu dem Zeitpunkt wird vielleicht von diesen Auswüchsen eines ungesunden Körpers keine Spur mehr zu finden sein. Karl Marx
Geschrieben von F.Engels etwa am 26. April 1853. Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Revolution in China und in Europa
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3794 vom 14. Juni 1853, Leitartikel] Ein sehr tiefgründiger, doch etwas phantasiereicher Erforscher der Bewegungsgesetze der Menschheit1 pflegte das, was er das Gesetz von der Einheit der Gegensätze nannte, zu einem der herrschenden Naturgeheimnisse zu erheben. Nach seiner Ansicht war das schlichte Sprichwort „Die Extreme berühren sich" eine erhabene und machtvolle Wahrheit auf jedem Gebiet des Lebens, ein Axiom, auf das der Philosoph ebensowenig verzichten könne wie der Astronom auf die Keplerschen Gesetze oder auf die große Entdeckung Newtons. Ob nun die „Einheit der Gegensätze" wirklich ein derart allgemeingültiges Prinzip ist oder nicht: dafür ist der Einfluß, den die chinesische Revolution*941 aller Wahrscheinlichkeit nach auf die zivilisierte Welt ausüben wird, ein treffendes Beispiel. Scheinbar ist es eine sehr seltsame und sehr paradoxe Behauptung, daß die nächste Erhebung der Völker Europas und ihr nächster Schritt im Kampf für republikanische Freiheiten und ein wohlfeileres Regierungssystem wahrscheinlich in großem Maße davon abhängen dürfte, was sich jetzt im Reich des Himmels - dem direkten Gegenpol Europas -abspielt, mehr als von jeder anderen zur Zeit bestehenden politischen Ursache - mehr sogar als von den Drohungen Rußlands und deren Folgen, nämlich der Wahrscheinlichkeit eines gesamteuropäischen Kriegest95!. Dennoch ist es kein Paradox; das werden alle einsehen, die die näheren Umstände der Angelegenheit aufmerksam betrachten. Was immer die sozialen Ursachen sein mögen, die zu den chronischen Aufständen in China in den letzten zehn Jahren geführt und die sich jetzt
1 Hegel
zu einer einzigen ungeheuren Revolution zusammengeballt haben, und welche religiösen, dynastischen oder nationalen Formen sie auch annehmen mögen: ausgelöst wurde dieser Ausbruch ohne Frage dadurch, daß die englischen Kanonen China das Rauschgift aufzwangen, das wir Opium nennen. Vor den britischen Waffen ging die Autorität der Mandschu-Dynästie in Scherben; das abergläubige Vertrauen in die Unvergänglichkeit des Reichs des Himmels brach zusammen; die barbarische hermetische Abschließung von der zivilisierten Welt wurde durchbrochen und eine Bresche geschlagen für den Verkehr, der sich inzwischen durch die Anziehungskraft des kalifornischen und australischen Goldes1961 so rasch entwickelt hat. Gleichzeitig begann die Silbermünze des Chinesischen Reiches, sein Herzblut, nach BritischOstindien abzufließen. Bis 1830 wurde, da die Handelsbilanz ständig aktiv für die Chinesen war, ununterbrochen Silber aus Indien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten nach China eingeführt. Seit 1833 indessen und besonders seit 1840 hat die Ausfuhr von Silber aus China nach Indien solche Ausmaße angenommen, daß sie das Reich des Himmels zu erschöpfen droht. Daher die energischen Erlasse des Kaisers gegen den Opiumhandel, die mit einem noch energischeren Widerstand gegen seine Maßnahmen beantwortet wurden. Neben dieser unmittelbaren ökonomischen Auswirkung hat in den Südprovinzen die mit dem Opiumschmuggel verbundene Korruption die chinesischen Staatsbeamten völlig demoralisiert. So, wie man den Kaiser als den Vater ganz Chinas anzusehen pflegte, wurden seine Beamten als Wahrer der väterlichen Rechte in ihren jeweiligen Gebieten betrachtet. Aber diese patriarchalische Autorität, das einzige moralische Bindeglied, das die ganze ungeheure Staatsmaschinerie umfaßte, ist allmählich durch die Korruption der Beamten zerfressen worden, die sich durch Begünstigung des Opiumschmuggels große Gewinne verschafft haben. Hauptsächlich ist das in denselben Südprovinzen geschehen, in denen der Aufstand begann. Es ist kaum nötig, noch zu bemerken, daß in gleichem Maße, in dem das Opium Herrschaft über die Chinesen erlangt hat, der Kaiser und sein Gefolge pedantischer Mandarine ihrerseits der Herrschaft verlustig gegangen sind. Es hat den Anschein, als habe die Geschichte dieses ganze Volk erst trunken machen müssen, ehe sie es aus seinem ererbten Stumpfsinn aufrütteln konnte. Die Einfuhr englischer Baumwollstoffe und in geringem Umfang auch englischer Wollstoffe ist, wenn auch früher kaum vorhanden, seit 1833, der Epoche, da das Chinahandelsmonopol von der Ostindischen Kompanie auf den Privathandel übertragen wurde, schnell angestiegen; in noch weit größerem Maßstab dann seit 1840, als auch andere Nationen und besonders die
USA ebenfalls einen Anteil am Chinahandel erhielten. Dieses Eindringen ausländischer Manufakturwaren hat sich auf die einheimische Industrie ähnlich ausgewirkt wie ehemals auf Kleinasien, Persien und Indien. In China haben die Spinner und Weber schwer unter dieser ausländischen Konkurrenz gelitten, und das öffentliche Leben ist in entsprechendem Verhältnis ins Wanken geraten. Der Tribut, den China nach dem unglücklichen Kriege von 1840 an England zu zahlen hatte*963, der große unproduktive Verbrauch von Opium, der Abfluß von Edelmetallen durch den Opiumhandel, der zerstörende Einfluß der ausländischen Konkurrenz auf die einheimische Produktion und der demoralisierte Zustand der öffentlichen Verwaltung zeitigten zweierlei: Die alte Besteuerung wurde drückender und quälender, und zu den alten Steuern kamen neue hinzu. So finden wir in einem Erlaß des Kaisers1 vom 5. Januar 1853 in Peking Befehle an die Vizekönige und Gouverneure von Wutschang und Hanjang, Steuern nachzulassen und zu stunden und insbesondere in keinem Falle mehr als den vorgeschriebenen Betrag einzutreiben; denn „wie könnte die arme Bevölkerung es sonst ertragen?" heißt es in dem Erlaß. „So wird vielleicht", fährt der Kaiser fort, „meinem Volke in einer Zeit allgemeiner Not und allgemeinen Elends das Uhel erspart bleiben, sich vom Steuereintreiber verfolgen und quälen zu lassen." Wir erinnern uns, dergleichen Reden und dergleichen Konzessionen 1848 von Osterreich, dem deutschen China, gehört zu haben. All diese Zersetzungsfaktoren wirkten gemeinsam auf die Finanzen, die Moral, die Industrie und die politische Struktur Chinas ein und kamen 1840 zu voller Entfaltung unter den englischen Kanonen, die die Autorität des Kaisers zertrümmerten und das Reich des Himmels zwangsweise mit der Erdenwelt in Berührung brachten. Zur Erhaltung des alten Chinas war völlige Abschließung die Hauptbedingung. Da diese Abschließung nun durch England ihr gewaltsames Ende gefunden hat, muß der Zerfall so sicher erfolgen wie bei einer sorgsam in einem hermetisch verschlossenen Sarg aufbewahrten Mumie, sobald sie mit frischer Luft in Berührung kommt. Die Frage ist jetzt, nachdem England die Revolution über China gebracht hat, wie diese Revolution mit der Zeit auf England und - über England auf Europa zurückwirken wird. Diese Frage aber ist nicht schwer zu beantworten. Schon oft sind unsere Leser auf das unvergleichliche Wachstum der britischen Industrie seit 1850 aufmerksam gemacht worden. Doch mitten in
1 Ssjän-föng (Wön-dsung)
7 Marx/Engels, Werke. Bd. 9
der erstaunlichsten Prosperität ließen sich unschwer bereits klare Anzeichen einer nahenden Industriekrise feststellen. Trotz Kalifornien und Australien1971, trotz der riesigen, nie dagewesenen Auswanderung muß zu gegebener Zeit, ohne irgendwelche besonderen Zwischenfälle, notwendig ein Augenblick kommen, wo die Ausdehnung der Märkte nicht mehr mit der Ausdehnung der britischen Industrie Schritt halten kann, und dieses Mißverhältnis muß ebenso gewiß wie in der Vergangenheit eine neue Krise heraufbeschwören. Wenn aber einer der großen Märkte plötzlich einschrumpft, so wird der Ausbruch der Krise dadurch zwangsläufig beschleunigt. Genau diese Wirkung muß gegenwärtig der chinesische Aufstand auf England ausüben. Der Zwang, neue Märkte zu erschließen oder die alten zu erweitern, war einer der Hauptgründe für die Senkung der britischen Teezölle, da man sich von erhöhter Einfuhr an Tee auch erhöhte Ausfuhr an Industriewaren nach China versprach. Der Wert der jährlichen Ausfuhren aus dem Vereinigten Königreich nach China belief sich 1833, vor Aufhebung des Handelsmonopols der Ostindischen Kompanie, nur auf 600 000 Pfd. St.; 1836 hatte er schon 1326388 Pfd. St. erreicht; 1845 war er auf 2394827 Pfd. St. und 1852 auf über 3 000 000 Pfd. St. gestiegen. Die aus China eingeführte Teemenge betrug 1793 nicht mehr als 16 167331 lbs.; 1845 indessen belief sie sich schon auf 50 714 657 lbs. und 1846 auf 57584561 lbs.; heute übersteigt sie 60 000000 lbs. Der Ertrag der letzten Tee-Ernte wird, wie die Ausfuhrlisten aus Schanghai schon jetzt zeigen, mindestens 2 000 000 lbs. höher als im Vorjahr sein. Dieser Überschuß erklärt sich aus zwei Umständen. Einerseits war die Marktlage Ende 1851 sehr flau, und die großen überschüssigen Vorräte sind zur Ausfuhr des Jahres 1852 geschlagen worden. Andrerseits haben die jüngsten in China eintreffenden Berichte von der Änderung der britischen Gesetzgebung über Tee-Einfuhren sämtlichen verfügbaren Tee zu stark erhöhten Preisen auf einen aufnahmebereiten Markt gebracht. Hinsichtlich der kommenden Ernte liegt der Fall aber ganz anders. Das zeigen die folgenden Auszüge aus der Korrespondenz einer großen Londoner Teefirma:
„ In Schanghai herrscht großer Schrecken. Gold ist um 25% im Preise gestiegen, da es zwecks Schatzbildung stark gefragt ist; Sil ber ist in einem Maße verschwunden, daß selbst zum Bezahlen der chinesischen Zollgebühren für die Abfertigung der auslaufenden britischen Schiffe nichts erhältlich war; infolgedessen hat Herr Konsul Alcock sich bereit erklärt, gegen Wechsel der Ostindischen Kompanie oder gegen andere anerkannte Sicherheiten den chinesischen Behörden gegenüber für die Zahlung dieser Gebühren einzustehen. Im Hinblick auf die nächste Zukunft des Handels ist die Verknappung an Edelmetallen einer der ungünstigsten Faktoren, da der Mangel ausgerechnet zu dem
Zeitpunkt auftritt, wo sie am nötigsten gebraucht werden, um den Tee- und Seidenaufkäufern die Möglichkeit zu geben, im Innern des Landes ihre Käufe zu tätigen, für die eine große Teilsumme im voraus in Edelmetall bezahlt wird, damit die Produzenten ihre Arbeit fortsetzen können... Gewöhnlich fängt man um diese Jahreszeit an, Abmachungen für den neuen Tee zu treffen; gegenwärtig spricht man indessen von nichts anderem als von Mitteln und Wegen zum Schutze der Person und des Eigentums, und alle Geschäfte ruhen... Stellt man die Mittel nicht bereit, um im April und Mai die Blätter unter Dach und Fach zu bringen, dann wird die Frühernte, zu der sämtliche besseren Sorten schwarzen und grünen Tees gehören, so gewiß dahin sein wie uneingefahrener Weizen zu Weihnachten."
Die Mittel zur Sicherstellung der Tee-Ernte werden sicher nicht von den in chinesischen Gewässern stationierten englischen, amerikanischen und französischen Geschwadern herkommen; diese können vielmehr durch ihre Einmischung sehr leicht Komplikationen heraufbeschwören, die jeglichen Geschäftsverkehr zwischen dem Tee erzeugenden Binnenland und den Tee ausführenden Seehäfen abschneiden. Für die gegenwärtige Ernte muß also ein Anziehen der Preise erwartet werden - in London hat schon die Spekulation eingesetzt -, und für die kommende Ernte ist ein großes Defizit so gut wie sicher. Aber das ist noch nicht alles. Sicher sind die Chinesen - wie alle Völker in Zeiten revolutionärer Erschütterung - gern bereit, alles, was sie an umfangreichen Waren zur Verfügung haben, an die Ausländer loszuschlagen, sie werden sich aber auch, wie es die Orientalen in ängstlicher Erwartung großer Wechselfälle gewöhnlich tun, aufs Horten verlegen und für ihren Tee und ihre Seide kaum etwas anderes als Hartgeld in Zahlung nehmen. England hat dementsprechend eine Preissteigerung für eines seiner wichtigsten Konsumtionsgüter, einen Edelmetallabfluß und eine starke Schrumpfung eines wichtigen Marktes für seine Baumwoll- und Wollwaren zu erwarten. Sogar der „Economist"1221, dieser optimistische Beschwörer aller Gefahren, die die Gemütsruhe der Handelswelt bedrohen, sieht sich zu folgenden Tönen genötigt:
„Wir dürfen uns nicht schmeicheln, für unsere Ausfuhr nach China einen so aus« gedehnten Markt zu finden wie ehemals... Es ist wahrscheinlicher, daß unser Ausfuhrhandel nach China leiden und daß die Nachfrage nach den Erzeugnissen von Manchester und Glasgow geringer sein wird." Man darf nicht vergessen, daß die Erhöhung des Preises eines so unentbehrlichen Artikels wie Tee und die Schrumpfung eines so bedeutenden Marktes wie China mit einer unzureichenden Ernte in Westeuropa und daher mit steigenden Preisen für Fleisch, Getreide und alle anderen landwirtschaftlichen Produkte zusammenfallen wird. Daher wiederum Schrumpfung der
Markte für Industriewaren, weil jeder Preisanstieg für lebenswichtige Bedarfsgüter im In- und Ausland durch einen entsprechenden Rückgang der Nachfrage nach Industriewaren aufgewogen wird. Aus allen Teilen Großbritanniens liegen Klagen über den schlechten Stand der meisten Saaten vor. Der „Economist" schreibt dazu:
„In Südengland wird nicht nur viel Land unbestellt bleiben, bis es überhaupt für jeden Anbau zu spät ist» sondern viel bestelltes Land wird sich auch als verkrautet oder sonstwie in schlechtem Zustand für den Getreideanbau erweisen. Es sind Anzeichen vorhanden, daß auf den für Weizen bestimmten nassen oder dürftigen Böden sich das Unheil weiterentwickelt. Die Pflanzzeit für Mangoldwurzel dürfte jetzt ebenfalls verstrichen sein, und nur sehr wenig ist angepflanzt worden. Zugleich ist die Zeit zur Bearbeitung des Bodens für den Rübenanbau auch schon in raschem Verstreichen, ohne daß irgendwelche angemessenen Vorbereitungen für diese wichtige Feldfrucht getroffen sind... Die Haferaussaat ist durch Schnee und Regen sehr beeinträchtigt worden. Nur wenig Hafer wurde zeitig gesät, und spät gesäter Hafer bringt selten hohe Erträge... In vielen Gebieten sind die Verluste in den Zuchtviehherden beträchtlich gewesen."
Der Preis aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse außer Getreide liegt 20 bis 30 und sogar 50% höher als im verflossenen Jahre. Auf dem Kontinent hat der Preis für Getreide vergleichsweise stärker angezogen als in England. Roggen ist in Belgien und Holland um volle 100% gestiegen. Weizen und andere Getreidearten folgen dem Beispiel. Unter diesen Umständen, da der britische Handel den größeren Teil des normalen Wirtschaftszyklus bereits durchlaufen hat, darf man getrost voraussagen, daß die chinesische Revolution den Funken in das übervolle Pulverfaß des gegenwärtigen industriellen Systems schleudern und die seit langem heranreifende allgemeine Krise zum Ausbruch bringen wird, der dann beim Übergreifen auf das Ausland politische Revolutionen auf dem Kontinent unmittelbar folgen werden. Es wäre ein merkwürdiges Schauspiel, wenn China Unruhe in die westliche Welt brächte, während die Westmächte auf englischen, französischen und amerikanischen Kriegsschiffen „Ruhe und Ordnung" nach Schanghai, Nanking und den Mündungen des Großen Kanals befördern. Vergessen denn die mit „Ordnung" hausierenden Mächte, die versuchen, die wankende Mandschu-DynaStie zu stützen, daß der Haß gegen Ausländer und deren Ausschluß aus dem Reich - einstmals lediglich die Folge von Chinas geographischen und ethnographischen Bedingungen - erst seit der Eroberung des Landes durch die Mandschu-Tatarent98i zum politischen Prinzip geworden sind? Zweifellos leisteten die stürmischen Auseinandersetzungen der zu Ende des 17. Jahrhunderts im Chinahandel rivalisierenden
europäischen Nationen der Politik der Abschließung der Mandschu gewaltigen Vorschub. Mehr noch trug allerdings dazu bei die Furcht der neuen Dynastie, die Ausländer könnten die Unzufriedenheit begünstigen, die bei einem großen Teil der Chinesen etwa während des ersten halben Jahrhunderts ihrer Unterwerfung unter die Tataren bestand. Aus diesen Erwägungen wurde damals Ausländern jede Verbindung mit Chinesen verboten, außer über Kanton - eine Stadt weitab von Peking und den Teebezirken - und ihr Handel wurde auf den Verkehr mit den Hong-Kaufleutent99] beschränkt, die von der Regierung ausdrücklich für den Außenhandel zugelassen waren, um so die übrigen Untertanen von jeglicher Berührung mit den verhaßten Fremden fernzuhalten. Auf jeden Fall kann eine Einmischung der westlichen Regierungen im gegenwärtigen Zeitpunkt nur dazu dienen, die Heftigkeit der Revolution noch zu steigern und die Handelsstockung in die Länge zu ziehen. Gleichzeitig ist hinsichtlich Indiens zu bemerken, daß die britischen Behörden in diesem Lande ein volles Siebentel ihrer Einkünfte aus dem Verkauf von Opium an die Chinesen herausholen müssen, während ein beträchtlicher Teil der indischen Nachfrage nach britischen Industriewaren von der Herstellung dieses Opiums in Indien abhängt. Die Chinesen werden allerdings ebensowenig auf den Opiumgenuß verzichten wie die Deutschen auf den Tabak. Da aber, wie verlautet, der neue Kaiser für den Mohnanbau und die Herstellung des Opiums in China selbst eintritt, ist auch klar, daß höchstwahrscheinlich dem Geschäft der Opiumgewinnung in Indien, den indischen Staatseinkünften und den kommerziellen Ressourcen Hindustans gleichzeitig der Todesstoß versetzt werden wird. Wenn auch für die interessierten Seiten dieser Schlag nicht sofort spürbar wäre, würde er sich doch zu gegebener Zeit nachhaltig auswirken und dazu beitragen, die allgemeine Finanzkrise zu vertiefen und zu verlängern, deren Horoskop wir oben gestellt haben. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts hat es in Europa keine ernstliche Revolution gegeben, der nicht eine Handels- und Finanzkrise vorausgegangen wäre. Das gilt für die Revolution von 1789 nicht weniger als für die von 1848. Fest steht, daß wir nicht nur jeden Tag drohendere Zeichen von Konflikten zwischen den Herrschern und ihren Untertanen, zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen den verschiedenen Klassen sehen, sondern auch, daß der Konflikt der bestehenden Mächte untereinander allmählich einen Grad erreicht, wo das Schwert gezogen und zur Ultima ratio1 der Herrscher
gegriffen werden muß. In den europäischen Hauptstädten bringt jeder Tag Depeschen, die mit einem gesamteuropäischen Krieg schwanger gehen und die am nächsten Tag ersetzt werden von Depeschen, in denen der Friede für etwa eine Woche garantiert wird. Nichtsdestoweniger dürfen wir gewiß sein, welchen Grad die Zuspitzung zwischen den europäischen Mächten auch erreichen, wie bedrohlich der diplomatische Horizont auch erscheinen und welche Schritte auch irgendein schwärmerisches Grüppchen in diesem oder jenem Lande unternehmen mag, daß der Fürstenzorn und die Volkswut sich gleichermaßen legen werden, wenn nur ein Hauch von Prosperität zu spüren ist. Daß Europa sich durch Kriege oder Revolutionen in die Haare geraten wird, ist unwahrscheinlich, es sei denn im Gefolge einer allgemeinen Handels- und Industriekrise, für die das Signal wie gewöhnlich von England, dem Repräsentanten der europäischen Industrie auf dem Weltmarkt, gegeben werden müßte. Es erübrigt sich, noch lang und breit von den politischen Folgen zu sprechen, die eine derartige Krise heutzutage zeitigen muß, angesichts des beispiellosen Anwachsens der Zahl der Fabriken in England, der völligen Auflösung seiner offiziellen Parteien, der Verwandlung der gesamten Staatsmaschinerie Frankreichs in ein einziges riesenhaftes Schwindler- und Börsenjobber-Unternehmen, eines Österreichs, das am Vorabend des Bankrotts steht, angesichts des überall zunehmenden, der Volksrache harrenden Unrechts, der Interessengegensätze unter den reaktionären Mächten selbst und des russischen Eroberungstraumes, der sich wieder einmal vor der Welt enthüllt hat.
Geschrieben am 20. Mai 1853. Aus dem Englischen.
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Karl Marx
Die politische Lage in Holland - Dänemark Konvertierung der britischen Staatsschuld Indien - Türkei und Rußland
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3790 vom 9. Juni 1853] London, Dienstag, 24. Mai 1853 Die allgemeinen Wahlen in Holland, welche durch die kürzlich erfolgte Auflösung der Generalstaaten erforderlich wurden, sind jetzt abgeschlossen, und das Ergebnis war eine Mehrheit von 12 Stimmen zugunsten des ultraprotestantischen und royalistischen Ministeriums. Dänemark wird augenblicklich mit regierungsfeindlichen Flugschriften überschwemmt, von denen „Auflösung des Parlaments - dargelegt dem dänischen Volk"* von Herrn Grundtvig, und eine anonyme mit dem Titel: „Die umstrittene Frage der dänischen Erbfolge; oder was sollen die Mächte Europas tun" die hervorstechendsten sind. Diese beiden Pamphlete suchen den Beweis zu erbringen, daß die Abschaffung des uralten Gesetzes der Erbfolge, wie sie vom Ministerium verlangt und im Londoner Protokoll festgelegt wurde, das Land dem Ruin zuführen wird, da es Dänemark zuerst in eine Provinz Holsteins und später in eine Kolonie Rußlands verwandeln würde. Daher hat es den Anschein, daß das dänische Volk endlich gewahr geworden ist, was seine blinde Opposition gegenüber den Unabhängigkeitsforderungen der Herzogtümer Schleswig und Holstein 1848 über Dänemark gebracht hat. Das dänische Volk bestand auf einer ständigen Vereinigung seines Landes mit Holstein und führte darum Krieg gegen die deutsche Revolution - Dänemark gewann den Krieg und behielt Holstein. Doch als Ausgleich für jene Eroberung ist es jetzt dazu verurteilt, sein eigenes Land zu verlieren. Nie hörte die „Neue Rheinische Zeitung"[100] in den Jahren 1848 bis 1849 auf, die dänischen Demokraten vor den schließlichen Folgen ihrer feindlichen Einstellung zur deutschen Revolution zu warnen. Unmißverständlich sagte sie voraus, daß Dänemark durch seine Mithilfe, die
Revolution im Ausland zu entwaffnen, sich für immer an eine Dynastie fesselte, welche, da der rechtmäßige Weg der Erbfolge seine Sanktion und Rechtsgültigkeit durch seine eigene Zustimmung erlangt hatte, seine Nationalität dem boh plaisir1 des russischen Zaren unterwerfen würde. Die dänische Demokratie weigerte sich, diesen Rat zu befolgen, und erhält jetzt den gleichen Lohn für ihre kurzsichtige Torheit, wie ihn die böhmischen Slawen erhielten, die, um „ihre nationale Selbständigkeit vor den Deutschen zu schützen", sich in den mörderischen Kampf gegen die Wiener Revolutionäre stürzten, die einzig möglichen Befreier von dem ihnen verhaßten deutschen Despotismus. Ist das nicht eine harte Lektion, welche jetzt diesen beiden Völkern erteilt wird, die es zuließen, durch die Intrigen der Konterrevolution in einen selbstmörderischen Krieg gegen die Sache der Revolution hineingezogen zu werden? Jetzt, da Herrn Gladstones Plan für die Reduzierung der Staatsschuld vom Parlament angenommen worden ist und einer wirklichen Probe unterzogen wird, sind seine Apologeten - und fast die gesamte Londoner Presse schien in hohem Maße diesen famosen Plan zu billigen - auf einmal alle verstummt. Herrn Gladstones drei Möglichkeiten für die freiwillige Konvertierung der 500000000 Pfd. St. zu 3% haben sich als so unsinnig erwiesen, daß sie bisher keine nennenswerte Aufnahme fanden. - Was die Konvertierung des Südsee-Fonds betrifft, so wurden bis zum Abend des 19. Mai nur 100000Pfd. St. von insgesamt 10000000Pfd. St. in neue Aktien konvertiert. Eine der allgemeinen Regeln einer solchen Operation ist, daß diese, wenn sie nicht in den ersten Wochen durchgeführt wird, jeden Tag mehr an Wahrscheinlichkeit verliert, vollständig realisiert zu werden. Überdies steigt der Zinsfuß in ständiger, wenn auch langsamer, aber sicherer Progression an. Es grenzt daher fast an Übertreibung, wenn angenommen wird, daß 10000000 Pfd. St. alter Wertpapiere innerhalb der für diese Operation vorgeschriebenen Zeit in neue Wertpapiere konvertiert werden können. Doch selbst in diesem Falle wird Herr Gladstone mindestens 8000000 Pfd. St. an jene Eigentümer von Südsee-Wertpapieren zurückzahlen müssen, die nicht bereit sind, diese in neue Aktien umzuwandeln. Der einzige Fonds, den er für eine solche Eventualität vorbereitet hat, ist der staatliche Ausgleich bei der Bank von England, der sich auf etwa acht bis neun Millionen Pfund Sterling beläuft. Da dieser Ausgleich aber kein Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben, sondern nur in der Bank eingezahlt ist, weil die öffentlichen Einnahmen einige Monate vor dem Fälligkeitstermin eingehen, wird
sich Herr Gladstone in der kommenden Zeit in schweren finanziellen Nöten befinden, welche gleichzeitig schwerwiegende Störungen in den geldlichen Transaktionen der Bank und auf dem Geldmarkt im allgemeinen verursachen werden, und das um so mehr, als eine voraussichtlich schlechte Ernte einen mehr oder minder starken Abfluß an Edelmetallen bewirken wird. Die Charte der Ostindischen Kompanie endet 1854. Lord John Russell hat im Unterhaus angekündigt, daß die Regierung am 3. Juni in der Lage sein wird, durch Sir Charles Wood ihre Ansichten über die künftige Regierung Indiens darzulegen. In einigen ministeriellen Blättern sind Andeutungen gemacht worden, die von allgemein verbreiteten Gerüchten unterstützt werden, daß die Koalition einen Weg gefunden habe, selbst die kolossale Indienfrage auf fast zwerghafte Ausmaße zu reduzieren. Der „Observer"[1011 bereitet die englische öffentliche Meinung auf eine neue Enttäuschung vor. „Was die Neubildung der Regierung unseres östlichen Reiches betrifft" - lesen wir in dieser unter der Kontrolle Aberdeens stehenden Zeitung „so wird viel weniger zu tun bleiben, als allgemein angenommen wird." Mylord Russell und Mylord Aberdeen werden sogar noch weit weniger als angenommen zu tun haben. Die Hauptmerkmale der vorgeschlagenen Umbildung scheinen in zwei sehr kleinen Dingen zu bestehen. Erstens wird das Direktorium durch einige weitere Mitglieder „aufgefrischt", welche direkt von der Krone ernannt werden, doch soll selbst dieses frische Blut „zuerst sparsam" zugeführt werden. Das bedeutet, daß die Heilung des alten Direktorialsystems so vor sich gehen soll, daß die jetzt mit „großer Vorsicht" übertragene Blutmenge genügend Zeit haben wird, zum Stillstand zu kommen, bevor eine zweite Infusion vorgenommen wird. Zweitens soll der Vereinigung der Tätigkeit von Richter und Steuereinnehmer in einer Person ein Ende bereitet werden, und die Richter sollen gebildete Männer sein. Fühlt man sich nicht in jene Zeit des frühesten Mittelalters zurückversetzt, da man die Feudalherren durch Richter zu ersetzen begann, von denen man verlangte, daß sie zumindest Kenntnisse im Lesen und Schreiben haben müßten, wenn man derartige Vorschläge hört? „Sir Charles Wood", der als Präsident der Kontrollbehörde dem Hause dieses gediegene Stück Reform vorlegen wird, ist derselbe Timber1861, der unter der letzten Whigregierung solche außerordentlichen Geisteskräfte offenbarte, daß die Koalition in furchtbarer Verlegenheit war und nicht wußte, was sie mit ihm anfangen sollte, bis sie auf die Idee kam, ihn Indien zu überlassen. Richard III. bot ein Königreich für ein Pferd, die Koalition bietet einen Esel für ein Königreich. In der Tat, wenn die gegenwärtige offizielle
Idiotie einer oligarchischen Regierung der Ausdruck dessen ist, was England heute zu leisten Vermag, dann sind die Zeiten vorüber, da England die Welt beherrschte. Bei früheren Gelegenheiten haben wir gesehen, daß die Koalition stets irgendwelche passenden Gründe fand, jegliche, auch die kleinste Maßnahme aufzuschieben. Heute wird sie, was Indien betrifft, in ihrem Hang, aufzuschieben, von der öffentlichen Meinung zweier Welten unterstützt. Das Volk Englands und das Volk Indiens verlangen gleichermaßen den Aufschub jeder Gesetzgebung über indische Angelegenheiten, bis man die Meinung der einheimischen Bevölkerung gehört, die notwendigen Materialien zusammengestellt und die laufenden Untersuchungen abgeschlossen hat. In Downing Street sind bereits aus den drei Präsidentschaften11021 Petitionen eingegangen, welche eine überstürzte Gesetzgebung mißbilligen. Die Manchesterschule hat eine „Indische Gesellschaft"*103' gegründet, welche sie umgehend in Bewegung setzen will, um in der Metropole und im ganzen Lande öffentliche Kundgebungen für den Zweck einzuberufen, jeglicher gesetzgeberischen Tätigkeit auf diesem Gebiete während dieser Session entgegenzuwirken. Außerdem tagen zur Zeit zwei Parlamentsausschüsse, die über die Lage in der Regierung Indiens berichten sollen. Aber diesmal ist das Koalitionsministerium unerbittlich. Es will nicht auf die Veröffentlichung der Gutachten irgendeines Ausschusses warten. Es will sofort und auf direktem Wege für 150 Millionen Menschen und gleich für 20 Jahre Gesetze beschließen. Sir Charles Wood ist ängstlich darauf bedacht, als ein moderner Manu zu gelten. Woher so plötzlich diese überstürzte Hast in der Gesetzgebung bei unseren „vorsichtigen" politischen Kranken? Sie wollen die alte Indien-Charte für weitere 20 Jahre erneuern. Sie bedienen sich dazu des uralten Vorwands, daß man eine Reform durchführen wolle. Warum? Die englische Oligarchie ahnt das nahende Ende ihrer Ruhmestage und hat daher ein sehr begreifliches Verlangen, vermittels der englischen Gesetzgebung ein derartiges Abkommen zu treffen, welches auch für den Fall, daß England bald ihren schwachen, aber raubgierigen Händen entgleitet, ihr und ihren Kumpanen das Privileg sichert, Indien 20 Jahre lang auszuplündern. Am vergangenen Sonnabend trafen hier telegraphische Depeschen aus Brüssel und Paris mit Nachrichten aus Konstantinopel vom 13.Mai ein. Unmittelbar nach ihrem Eintreffen wurde im Ministerium des Auswärtigen ein Kabinettsrat abgehalten, der dreieinhalb Stunden beisammensaß. Am gleichen Tage wurde an die Admiralität von Portsmouth telegraphische Order geschickt, daß die beiden Dampffregatten „London" 90 und „Sans
pareil" 71 von Spithead nach dem Mittelmeer auslaufen sollten. Auch die Fregatten „Highflyer" 21 und „Oden" 16 werden zum Auslaufen bereitgehalten. Was enthielten wohl diese Depeschen, welche die Minister so plötzlich in fieberhafte Tätigkeit versetzten und England aus seiner stillen Trägheit aufrüttelten? Es ist bekannt, daß die Frage der Heiligen Stätten zur Zufriedenheit Rußlands11041 geregelt wurde; nach den Versicherungen der russischen Botschaften in Paris und London verlangte Rußland nichts anderes als den Hauptanteil an diesen Heiligen Stätten. Die Ziele der russischen Diplomatie waren nicht weniger ritterlich als jene von Friedrich Barbarossa und Richard Löwenherz. So erzählte uns wenigstens die „Times"1261.
„Aber", sagt das „Journal des Debatsu£105l, „am 5.Mai kam die russische Dampffregatte .Bessarabien* von Odessa mit einem russischen Oberst an Bord, der Depeschen für den Fürsten Menschikow hatte; und am Sonnabend, dem 7.Mai, überreichte der Fürst den Ministern der Pforte den Entwurf eines Abkommens oder Sondervertrags, in dem die neuen Forderungen und Ansprüche niedergelegt waren. Dies ist das Dokument, das kurzweg das Ultimatum genannt wird. Es war nämlich von einer sehr kurzen Note begleitet, worin Dienstag, der 10. Mai, als der letzte Tag bezeichnet war, an dem die Annahme oder Verwerfung durch den Diwan entgegengenommen werden könne. Die Note endigte ungefähr folgendermaßen: .Sollte die Hohe Pforte es für angezeigt halten, etwa mit einer Weigerung zu antworten, so wäre der Kaiser genötigt, in diesem Akt einen vollkommenen Mangel an Respekt für seine Person und für Rußland zu sehen, und würde die Nachricht davon nur mit dem tiefsten Bedauern entgegennehmen.*"
Der Hauptzweck dieses Vertrages war der, dem Kaiser von Rußland das Protektorat über alle griechisch-orthodoxen Untertanen der Pforte zu sichern. Zufolge des am Ende des achtzehnten Jahrhunderts abgeschlossenen Vertrages von Kütschük-Kainardschi11061 durfte eine griechische Kapelle in Konstantinopel errichtet werden, und der russischen Botschaft war das Recht zugestanden, in Streitfällen zwischen den Priestern dieser Kapelle und den Türken fcu intervenieren. Dieses Privilegium wurde im Vertrag von Adrianopel erneut bestätigt. Was Fürst Menschikow nun verlangt, ist die Umwandlung dieses ungewöhnlichen Privilegs in ein allgemeines Protektorat über die ganze griechisch-orthodoxe Kirche in der Türkei, d.h. über die große Mehrheit der Bevölkerung in der europäischen Türkei. Außerdem verlangt Menschikow, daß die Patriarchen von Konstantinopel, Antiochien, Alexandrien und Jerusalem wie auch die Metropoliten unabsetzbar sein sollen, außer wenn sie des Hochverrats (gegen die Russen) für schuldig befunden werden, und
auch dann sollen sie nur mit Einwilligung des Zaren abgesetzt werden können. Er verlangt mit anderen Worten die Verzichtleistung des Sultans auf seine Souveränität zugunsten Rußlands. Die Nachrichten, die der Telegraph am Sonnabend brachte, lauteten: erstens habe Fürst Menschikow einen weiteren Aufschub - bis zum 14. Mai für die Antwort auf sein Ultimatum bewilligt; dann sei im türkischen Ministerium ein Wechsel erfolgt, bei dem Reschid Pascha, Rußlands Gegner, zum Minister des Äußern ernannt und Fuad Efendi wieder in sein Amt eingesetzt worden sei; und als letztes, daß das russische Ultimatum abgelehnt worden sei. Wenn Rußland sogar eine Reihe entscheidender Siege errungen hätte, so hätte es unmöglich weitgehendere Forderungen an die Türkei stellen können. Das ist der beste Beweis dafür, wie hartnäckig Rußland an seiner eingewurzelten Idee festhält, daß jedes Interregnum der Konterrevolution in Europa ihm ein Recht auf Zugeständnisse seitens des Ottomanischen Reiches gibt. Und in der Tat war seit der ersten französischen Revolution jeder Rückschritt auf dem Kontinent gleichbedeutend mit einem russischen Vorrücken im Osten. Aber Rußland ist im Irrtum, wenn es den jetzigen Zustand Europas mit dessen Lage nach den Kongressen von Laibach und Verona oder sogar nach dem Tilsiter Frieden verwechselt. Rußland selbst fürchtet die Revolution, die jedem gesamteuropäischen Kriege folgen muß, weit mehr, als der Sultan den Angriff des Zaren fürchtet. Wenn die anderenMächte festbleiben, so wird sich Rußland sicherlich höchst bescheiden zurückziehen. Aber wie dem auch sei, durch seine letzten Manöver haben auf alle Fälle jene Elemente > die dabei sind, die Türkei von innen heraus zu desorganisieren, einen mächtigen Anstoß erhalten. Die einzige Frage ist: Handelt Rußland aus eigenem freien Impuls oder ist es bloß der unbewußte, widerstrebende Sklave des modernen Faiums - Revolution? Ich glaube an die letzte Möglichkeit. Karl Marx
Aus dem Englischen,
Karl Marx
Mazzini - Die Schweiz und Österreich Die türkische Frage
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3791 vom 10. Juni 1853] London, Freitag, 27. Mai 1853 Durch die offiziöse Verlautbarung einer Londoner Zeitung, die mit Mazzini in Verbindung steht, wird nun endlich bestätigt, daß sich Mazzini in England aufhält. Das Gerichtsverfahren gegen die Herren Haie wegen, der „SchießpulverVerschwörung" wird jetzt vor den Assisen nicht verhandelt werden, sondern im August nächsten Jahres stattfinden, da die Koalitionsregierung ängstlich darauf bedacht ist, Zeit und Vergessen zwischen ihre „Entdeckungen" und die juristischen Untersuchungen ihres Wertes treten zu lassen. Graf Karnicky, der österreichische Charge d'affaires1 in Bern, hat von seiner Regierung am 21. d.M. Order erhalten, seinen Posten sofort aufzugeben und, nachdem er den Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft von dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz informiert hat, nach Wien zurückzukehren. Der „Bund" vom 23. d.M. berichtet jedoch, daß der österreichische diplomatische Vertreter bereits früher die Erlaubnis erhalten hatte, wann immer er es für richtig befinde, einen diskreten Abschied zu nehmen. Das Ultimatum des Grafen Karnicky wird von derselben Zeitung als die Antwort Österreichs auf die Note des Bundesrats vom 4. Mai bezeichnet. Daß das Ultimatum mehr als eine bloße Antwort enthält, kann aus der Tatsache ersehen werden, daß der Bundesrat gerade bei der Freiburger Regierung vorstellig geworden ist, sie solle ihre „extremen" Maßnahmen, die sie kürzlich gegen die geschlagenen Rebellen getroffen hat, erklären. Die englischen Journale veröffentlichen den folgenden Bericht vom 23. Mai aus Bern:
„In Erwiderung der Note des österreichischen Charge d'affaires an den Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz hat der Bundesrat beschlossen, die Tätigkeit des Schweizer diplomatischen Vertreters in Wien sofort zu beenden."
Das Wesentliche dieses Berichtes wird jedoch durch den folgenden Artikel in „La Suisse"*1071 vom 24.Mai widerlegt.
„Wir sind ungefähr in derselben Lage wie Piemont*108!. Die Verhandlungen zwischen den beiden Ländern sind unterbrochen... Die österreichische Legation ver* bleibt in Bern, um den täglichen Geschäftsablauf zu erledigen. Der ,Bund' sagt, daß es wünschenswert wäre, würde man den Schweizer Charge d'affaires von Wien abberufen, da er dort unauffällig, unter dem Vorwand, die Angelegenheiten der Nation wahrzunehmen, nur seinen eigenen Geschäften nachginge, denn er habe sich lediglich mit Seidenhandel beschäftigt. Herr Steiger ist nur ein zweitrangiger Diplomat, und wir wissen zufällig, daß er sehr viel mehr von den Seidenwürmern als von seinen offiziellen Geschäften versteht. Demnach wäre es gar nicht nötig, einen solchen Diplomaten zurückzurufen, da er niemals bevollmächtigt wurde, sondern bereits in eigener Sache in Wien gewesen war."
Es soll sich deshalb niemand einbilden, daß die Schweizer sich das berühmte Motto ins Gedächtnis zurückgerufen hätten, mit dem Loustalot 1789 seine „Revoluitons de Paris" schmückte*1091:
Les grands ne nous paraissent grands Que parce que nous sommes ä genoux - Levons nous! —1
Das Geheimnis des schweizerischen Mutes wird durch die Anwesenheit des Herzogs von Genua in Paris und des Königs von Belgien2 in Wien und vielleicht nicht weniger durch einen Artikel im französischen „Moniteur"151 vom 25. Mai genügend erklärt.
„Keine andere Nation darf sich je in die Beziehungen zwischen Frankreich und der Schweiz einmischen; alle anderen Gründe müssen vor dieser fundamentalen Bedingung zurückstehen."
Dadurch werden die Hoffnungen des preußischen Königs auf die Wiedererlangung von Neuchätel nicht sehr ermutigt. Es geht sogar das Gerücht um von der Bildung eines französischen Beobachtungskorps an den Grenzen der Schweiz. Louis-Napoleon wäre natürlich nur zu froh, eine Gelegenheit zur Rache an den Kaisern von Rußland und Osterreich und an den Königen von
1 Die Großen erscheinen uns nur groß, weil wir auf den Knien liegen, uns! — 2 Leopold I. - Erheben wir
Preußen und Belgien zu haben, weil sie ihn in den letzten Monaten mit Verachtung und Spott bedacht haben[110J. Die Ihnen in meinem letzten Artikel1 übermittelten Informationen über die Ablehnung des russischen Ultimatums und die Bildung einer antirussischen Regierung in Konstantinopel haben sich seitdem völlig bestätigt. Die letzten Nachrichten aus Konstantinopel vom 17. Mai lauten:
„Bei seinem Amtsantritt ersuchte Reschid Pascha Fürst Menschikow, einen sechstägigen Aufschub zu gewähren. Menschikow lehnte ab und erklärte, die diplomatischen Beziehungen seien abgebrochen; er fügte hinzu, daß er noch drei Tage in Konstantinopel bleiben werde, um die notwendigen Vorbereitungen für seine Abreise zu treffen; er ermahnte die Pforte, es sich zu überlegen und die kurze Zeit, die er noch da sein werde, auszunutzen."
Aus einer Mitteilung vom 19. Mai aus Konstantinopel erfahren wir weiter:
„Am 17. wurde eine Versammlung des Diwans abgehalten, die endgültig beschloß, daß die vom Fürsten Menschikow vorgeschlagenen Bedingungen nicht angenommen werden können. Dennoch verließ Fürst Menschikow nach dieser Nachricht Konstantinopel nicht. Er hat im Gegenteil neue Verhandlungen mit ReschidPascha angeknüpft. Der Tag der Abreise der russischen Botschaft steht nicht mehr fest"
Im Gegensatz zu dieser Mitteilung erklärt das Abendblatt der französischen Regierung, „La Patrie"11111, ausdrücklich, die Regierung habe die Meldung erhalten, Fürst Menschikow sei nach Odessa abgereist, und diese Angelegenheit habe in Konstantinopel nur wenig Überraschung hervorgerufen. „Le Pays"1331 stimmt dieser Behauptung zu, die „Presse"11121 widerspricht ihr jedoch. Girardin fügt aber hinzu, daß die Nachricht, falls sie richtig wäre, leicht begründet werden könnte.
„Wenn Fürst Menschikow wirklich von Bujukderef113! nach Odessa abgereist ist, so ist es eine Tatsache, daß ihm, nach dem Fehlschlag seiner Mission (manque son efFet) nichts anderes übriggeblieben ist, als sich von einemHafenindenanderenzurückzuziehen." Einige Blätter behaupten, die Flotte des Admirals Delasusse habe die Dardanellen passiert und liege jetzt am Goldenen Horn vor Anker, doch wird dieser Behauptung von der „Morning Post"[27] widersprochen. Die „Triester Zeitung" versichert ihren Lesern, daß die Pforte, bevor sie dem Fürsten Menschikow eine Antwort gab, bei Lord Redcliffe und Herrn Delacour angefragt habe, ob sie eventuell auf ihre Unterstützung rechnen könne. Dieser Nachricht wird von der „Times"1261 in aller Form widersprochen.
Ich bringe Ihnen jetzt eine wörtliche Übersetzung aus dem Pariser „Siecle"[1141, die einige seltsame Details in bezug auf die Verhandlungen vom 5. bis 12. Mai in Konstantinopel enthält, eine Darstellung des lächerlichen Benehmens des Fürsten Menschikow, der während all dieser Vorgänge in abscheulichstem Stil nordisches Barbarentum mit byzantinischer Doppelzüngigkeit vereinigte und erreichte, daß Rußland zum Gespött Europas wurde. Dieser „grec du Bas-Empire"1 erkühnte sich, die Herrschaft über ein ganzes Reich durch bloßes Theaterspielen zu erobern. Rußland braucht den Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen nicht mehr zu tun - einem Lächerlichen, das nur mit Blut getilgt werden kann. Aber die Zeit der an der Börse spekulierenden Plutokratie ist nicht die Zeit ritterlicher Turniere. Der Artikel im „Siecle" lautet wie folgt:
„Am Donnerstag, dem 5. Mai, am Tage der Abfahrt des französischen Postdampfbootes, übersandte die Hohe Pforte Kopien des Fermans, der die Lösung der Frage der Heiligen Stätten erläutert, Herrn Delacour und dem Fürsten Menschikow. Der Tag verlief ohne jede Deklamation, ohne jede Demarche von Seiten des Fürsten Menschikow, und alle Gesandten machten sich, im Glauben, daß die Frage gelöst wäre, die Abfahrt des französischen Dampfbootes zunutze, indem sie ihren jeweiligen Regierungen die glückliche Wendung der Dinge berichteten. Fürst Menschikow jedoch, der denFerman in bezug auf die Heiligen Stätten gerade erhalten hatte, sandte, gegen Mitternacht, einen gewöhnlichen Kawaß, d. h. einen Gendarmen, an den Außenminister, mit einem Ultimatum, in dem er einen Sened (Vertrag) forderte, der die Lösung der Frage des Heiligen Grabes und die Garantie der zukünftigen Privilegien und Immunitäten der griechischen Kirche zum Inhalt hat, d. h. das ausgedehnteste Protektorat dieser Kirche zugunsten Rußlands, dergestalt, daß zwei verschiedene Herrscher in der Türkei eingesetzt würden - der Sultan für die Muselmanen und der Zar für die Christen. Der Fürst gestattete der Pforte nur vier Tage zur Beantwortung dieses Ultimatums, wobei er außerdem eine sofortige Bestätigung des Erhalts seines Ultimatums durch einen Regierungsbeamten forderte. Der Außenminister sandte ihm durch seinen Aga, einen unteren Gendarmerieoffizier, eine Art Quittung zu. Im Laufe derselben Nacht sandte der Fürst ein Dampfboot nach Odessa. Am Freitag, dem 6. Mai, nachdem der Sultan von dem auf so ungewöhnliche Weise überreichten Ultimatum informiert worden war, rief er den Diwan zusammen und benachrichtigte Lord Redcliffe und Herrn Delacour offiziell von dem Vorgefallenen. Diese beiden Botschafter ergriffen sofort Maßnahmen für eine gemeinsame Politik, wobei sie der Pforte den Rat gaben, das Ultimatum mit größter Zurückhaltung in Sprache und Form abzulehnen. Herr Delacour soll außerdem höchst formell erklärt haben, daß Frankreich sich gegen jede Konvention wenden werde, welche die Rechte beeinträchtige, die ihm durch den Vertrag von 1740 in bezug auf die Heiligen Stätten zustehen. Fürst Menschikow
1 „Grieche aus dem oströmischen Reich", d. h. Betrüger
hat sich inzwischen nach Bujukdere zurückgezogen (wie Achilles in sein Zelt). Herr Canning erbat dort am 9. Mai eine Unterredung mit dem Fürsten in der Absicht, ihn zu einem maßvolleren Verhalten zu veranlassen. Abgelehnt. Am 10. waren die Kriegsund Außenminister beim Großwesir, der den Fürsten Menschikow gebeten hatte, ihn zu besuchen, um zu versuchen, eine vernünftige Regelung zu erreichen. Wiederum abgelehnt. Dennoch hat Fürst Menschikow der Pforte mitgeteilt, daß er bereit sei, einen weiteren Aufschub von drei Tagen zu gewähren. Darauf antworteten der Sultan und seine Minister jedoch, daß sie ihre Beschlüsse gefaßt hätten und daß die Zeit sie nicht modifizieren würde. Diese negative Antwort der Pforte wurde am 10. gegen Mitternacht nach Bujukdere gesandt, wo die ganze russische Botschaft versammelt war und wo seit mehreren Tagen der Anschein einer bevorstehenden Abreise erweckt worden war. Das türkische Ministerium, von diesen Umständen benachrichtigt, war nahe daran nachzugeben, als der Sultan es auflöste und eine neue Regierung bildete."
Ich schließe meinen Bericht über die türkischen Angelegenheiten mit einem Auszug aus dem „Constitutionnel"t32], der das Verhalten des griechisch-orthodoxen Klerus während dieser ganzen Transaktionen zeigt.
„Die griechisch-orthodoxe Geistlichkeit, die an dieser Frage so großes Interesse hat, hat sich zugunsten des Status quo, d.h. zugunsten der Pforte, ausgesprochen. Sie protestiert en masse gegen das drohende Protektorat, das ihr der russische Kaiser auferlegen will. Allgemein gesprochen wünscht die griechisch-orthodoxe Bevölkerung die Hilfe Rußlands, doch nur unter der Bedingung, nicht seiner direkten Herrschaft unterworfen zu werden. Es widerspricht ihren Anschauungen, daß die orientalische Kirche, welche die Mutter der russischen Kirche ist, jemals der letzteren unterworfen werden sollte, etwas, was unbedingt geschehen würde, wenn die Forderungen desPetersburger Kabinetts allgenommen werden sollten." Karl Marx
Aus dem Englischen.
8 Marx/EngeU, Werke, Bd. 9
Karl Marx
Die türkische Frage - Die „Times'' Die russische Expansion
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3794vom 14. Juni 1853] London, Dienstag, 31. Mai 1853 Admiral Corrys Flotte wurde in der Bucht von Biskaya auf dem Weg nach Malta gesehen, wo sie das Geschwader des Admirals Dundas verstärken soll. Dazu bemerkt der „Morning Herald"l24] ganz richtig:
„Hätte man Admiral Dundas gestattet, sich vor einigen Wochen mit dem französischen Geschwader bei Salamis zu vereinigen, so wäre die Sachlage jetzt eine ganz andere." Sollte Rußland, nur um den Schein zu wahren, denVersuch machen, die lächerlichen Demonstrationen Menschikows durch wirkliche Kriegsmanöver zu unterstützen, so würden seine beiden ersten Schritte wahrscheinlich in der Wiederbesetzung der Donaufürstentümer und in einem Einfall in die armenische Provinz Kars und in den Hafen von Batum bestehen, Territorien, die es sich schon durch den Vertrag von Adrianopel um jeden Preis sichern wollte. Da der Hafen von Batum der einzige sichere Zufluchtsort für Schiffe im Östlichen Teil des Schwarzen Meeres ist, so würde seine Besitzergreifung durch Rußland die Türkei der letzten Marinestation im Pontus berauben und aus diesem ein ausschließlich russisches Meer machen. Besäße Rußland neben Kars, dem reichsten und bestkultiviertesten Teile Armeniens, noch diesen Hafen, so wäre es imstande, den Handel Englands mit Persien über Trapezunt abzuschneiden und sich eine Operationsbasis gegen Persien wie auch gegen Kleinasien zu schaffen. Wenn England und Frankreich jedoch standhaft bleiben, so wird Nikolaus dort ebensowenig seine Pläne verwirklichen wie seinerzeit Kaiserin Katharina ihre Pläne im Kampf gegen Aga Mohammed, als dieser seinen Sklaven befahl, den russischen Gesandten Woinowitsch und seine Gefährten mit Peitschenhieben aus Asterabad auf ihre Schiffe zurückzujagen.
Nirgends erregten die neuesten Nachrichten mehr Bestürzung als im Printing House Square. Als die „Times"[26J nach dem schrecklichen Schlag wieder ihr Haupt zu erheben wagte, machte sie sich in verzweifelten Ausfällen gegen den elektrischen Telegraphen, diese „ganz unglaubliche" Einrichtung, Luft. „Aus diesen lügenhaften Drahtnachrichten", rief sie aus, „können keine zuverlässigen Schlüsse gezogen werden." Nachdem sie so ihre eignen unzuverlässigen Schlüsse dem elektrischen Draht zur Last gelegt hat, bemüht sich die „Times" nun auch, ganz so wie in Erklärungen der Minister im Parlament, ihre uralten „zuverlässigen" Prämissen loszuwerden. Sie sagt:
„Was immer das Schicksal des Ottomanischen Reichs oder vielmehr der mohammedanischen Macht sein wird, die es vier Jahrhunderte lang beherrschte, es kann unter allen Parteien unseres Landes und Europas keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, daß der allmähliche Fortschritt der einheimischen christlichen Bevölkerung zu Zivilisation und unabhängiger Regierungsform im Interesse der ganzen Welt liegt und daß man nie zugeben sollte, daß diese Völkerschaften unter das Joch Rußlands fallen und dessen gigantisches Herrschaftsgebiet noch vergrößern. Wir hegen in diesem Punkt die bestimmte Zuversicht, daß nicht nur die Türkei, sondern ganz Europa solchen Ansprüchen Rußlands Widerstand leisten würde und daß dieses Streben nach Annexionen und Gebietsvergrößerungen sich nur in seiner wahren Gestalt zu zeigen braucht, um allgemeine Antipathie und unüberwindliche Opposition zu erregen, an der sich aktiv zu beteiligen die griechischen und slawischen Untertanen der Türkei ihrerseits bereit sind."
Wie kam die arme „Times" dazu, an die „guten Absichten" Rußlands gegenüber der Türkei und an seine „Antipathie" gegen jede Expansion zu glauben? Rußlands gute Absichten gegenüber der Türkei! Schon Peter I. wollte auf den Trümmern der Türkei emporkommen. Katharina überzeugte Österreich und forderte Frankreich dazu auf, sich an der geplanten Zerstücklung der Türkei und an der Errichtung eines griechischen Reiches in Konstantinopel zu beteiligen, das ihr Enkel1 regieren sollte, der schon für diese Aufgabe erzogen war und sogar im Hinblick darauf seinen Namen bekommen hatte. Nikolaus, weit bescheidener, verlangt nur das ausschließliche Protektorat über die Türkei. Die Menschheit darf nicht vergessen, daß Rußland der Protektor Polens, der Protektor der Krim, der Protektor Kurlands, der Protektor Georgiens, Mingreliens, der tscherkessischen und kaukasischen Stämme gewesen ist! Und nun will es noch der Protektor der Türkei werdenI Um Rußlands „Antipathie" gegen Gebietsvergrößerungen zu illustrieren,
führe ich folgende Daten aus der großen Anzahl der Eroberungen an, die Rußland seit Peter dem Großen gemacht hat. Die russischen Grenzen sind vorgerückt: in Richtung auf Berlin, Dresden und Wien um etwa 700 Meilen in Richtung auf Konstantinopel „ „ 500 „ in Richtung auf Stockholm „ „ 630 „ in Richtung auf Teheran „ „ 1000 „
Rußlands Eroberungen in Schweden sind an Flächeninhalt größer als das von diesem Königreich noch übriggebliebene Stück; in Polen sind sie fast so groß wie das ganze österreichische Kaiserreich; in der europäischen Türkei größer als Preußen (ohne die Rheinprovinz); in der asiatischen Türkei ebenso groß wie das Territorium ganz Deutschlands; in Persien so groß wie England; in der Tatarei so groß wie die europäische Türkei, Griechenland, Italien und Spanien zusammengenommen. Die gesamten Eroberungen Rußlands in den letzten sechzig Jahren sind an Ausdehnung und Wichtigkeit dem ganzen Reich ebenbürtig, das es vor dieser Zeit in Europa besaß. Karl Marx
Aus dem Englischen.
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Karl Marx
Russischer Humbug ~ Gladstones Mißerfolg Sir Charles Woods Ostindien-Reformen
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3801 vom 22. Juni 1853] London, Dienstag, 7. Juni 1853 Nach einer Depesche aus Bern hat der Bundesrat das vom Kriegsgericht zu Freiburg gegen die für den jüngsten Aufruhr Verantwortlichen ausgesprochene Urteil aufgehoben und angeordnet, sie vor die ordentlichen Gerichte zu bringen, es sei denn, daß sie durch den Kantonsrat begnadigt würden. Hier also haben wir die erste der Heldentaten, die den „Bruch zwischen der Schweiz und Österreich" begleiten, dessen unvermeidliche Auswirkung ich in einem früheren Artikel über die europäische „Musterrepublik"1 nachgewiesen habe. Als ich Ihnen die Nachricht übermittelte, daß die preußische Regierung einigen auf Urlaub im Ausland befindlichen Artillerieoffizieren Order gegeben hat, sofort zum Dienst zurückzukehren, erklärte ich irrtümlicherweise, daß jene Offiziere mit der Ausbildung der russischen Armee in der Gefechtspraxis beschäftigt waren, während ich eigentlich die Ausbildung der türkischen Artillerie meinte11161. Alle russischen Generale und andere Russen, die inParis leben, haben Order bekommen, unverzüglich nach Rußland zurückzukehren. Herr Kisselew, der russische Botschafter in Paris, führt eine ziemlich drohende Sprache und zeigt ostentativ Briefe aus Petersburg herum, in denen die türkische Frage assez cavalierement2 behandelt wird. Aus derselben Quelle stammt auch ein Gerücht, dem zufolge Rußland von Persien die Abtretung des Gebiets von Asterabad am südöstlichen Ufer des Kaspischen Meers verlange. Gleichzeitig depeschieren russische Kaufleute oder - wie gemeldet wird - haben bereits an ihre Londoner Agenten depeschiert, „daß man unter den gegenwärtigen Umständen Getreideverkäufe nicht forcieren solle, da die Preise wahrscheinlich wegen der Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Krieges steigen würden".
Schließlich ließ man allen Zeitungen vertrauliche Winke darüber zugehen, daß die russischen Truppen an die Grenzen vorrücken, daß die Bewohner von Jassy schon zu ihrem Empfang rüsten, daß der russische Konsul in Galatz eine ungeheure Zahl von Baumstämmen aufgekauft habe, um mehrere Brükken über die Donau zu schlagen, und was dergleichen Enten mehr sind, wie sie die „Augsburger Zeitung"[116] und andere proösterreichische und prorussische Blätter so erfolgreich auszubrüten verstehen. Diese und eine Menge ähnlicher Berichte, Mitteilungen usw. sind nichts anderes als lächerliche Versuche der russischen Agenten, die westliche Welt in einen heillosen Schrecken zu versetzen und sie zu einer Fortsetzung jener Verzögerungspolitik zu treiben, unter deren Deckmantel Rußland seine Pläne im Osten wie bisher zu verwirklichen hofft. Wie systematisch dieses Täuschungsmanöver durchgeführt wird, ist aus folgendem ersichtlich: Vorige Woche machten mehrere französische Blätter, die, wie bekannt, von Rußland bezahlt werden, die Entdeckung, „daß die wirkliche Streitfrage sich weniger um Rußland und die Türkei drehe als um Petersburg und Moskau, d. h. um den Zaren und die altrussische Partei; ein Krieg wäre für den Selbstherrscher viel weniger gefährlich als die Rache jener eroberungssüchtigen Partei, die schon zu oft gezeigt habe, wie sie mit ihr mißliebigen Monarchen umzugehen wisse. Fürst Menschikow ist natürlich das „Haupt dieser Partei". Die „Times"[261 und die meisten englischen Blätter verabsäumten nicht, diese lächerliche Behauptung zu wiederholen - die einen im vollen Bewußtsein ihrer Bedeutung, die anderen vielleicht, weil sie sich unbewußt täuschen ließen. Welche Schlußfolgerungen aber wird die Öffentlichkeit geneigt sein, aus dieser neuen Offenbarung zu ziehen? Entweder, daß Nikolaus, wenn er sich unter Gelächter zurückzieht und seine kriegerische Haltung gegen die Türkei aufgibt, einen Sieg über seine eigene kriegerische altrussische Partei davongetragen hat, oder daß Nikolaus, wenn er wirklich in den Krieg geht, dies nur deshalb tut, um dem Drängen dieser legendären Partei nachzugeben? Auf alle Fälle „gäbe es bloß einen Sieg Moskaus über Petersburg oder Petersburgs über Moskau" und folglich keinen Sieg Europas über Rußland. Was nun diese berüchtigte altrussische Partei betrifft, so weiß ich zufällig von einigen gut informierten Russen, die selbst zur Aristokratie gehören und mit denen ich in Paris viel verkehrte, daß diese Partei längst gänzlich ausgestorben ist und nur gelegentlich wieder ins Leben zurückgerufen wird, wenn der Zar eines Popanzes bedarf, um Westeuropa zu schrecken, damit es seine anmaßenden Ansprüche geduldig über sich ergehen lasse. Darum läßt man jetzt Menschikow wieder auferstehen und staffiert ihn entsprechend dem
legendären altrussischen Stil aus. Tatsächlich fürchtet der Zar nur eine Partei unter seinen Adligen, und zwar die Partei, deren Ziel die Errichtung eines aristokratisch-konstitutionellen Systems nach englischem Muster ist. Außer diesen verschiedenen Gespenstern, die von der russischen Diplomatie zur Irreführung Englands und Frankreichs heraufbeschworen werden, hat man soeben noch einen anderen Versuch zu demselben Zwecke gemacht: man läßt ein Werk erscheinen, betitelt „L* Empire Russe depuis le Congres de Vienne", aus der Feder des Vicomte de Beaumont-Vassy[117]. Um dieses Machwerk zu charakterisieren, genügt ein Satz daraus:
„Es ist wohlbekannt, daß in den Kellern der Peter-Pauls-Festung ein Depot von Münzen, Gold- und Silberbarren existiert. Am I.Januar 1850 wurde dieser verborgene Schatz offiziell auf 99763361 Silberrubel geschätzt."
Ist es schon jemals jemandem eingefallen, von dem verborgenen Schatz in der Bank von England zu sprechen? Der „verborgene Schatz" Rußlands ist nichts anderes als die Metallreserve, die hinter einer dreimal stärkeren Zirkulation von tymvertiblen Noten steht, ganz abgesehen von dem Verborgenen Betrag an nicht konvertiblem Papiergeld, das vom Staatlichen Schatzamt ausgegeben wird. Aber vielleicht kann man dennoch mit Recht von einem „verborgenen" Schatz sprechen, weil ihn noch niemand gesehen hat, außer den wenigen Petersburger Kaufleuten, die die Regierung des Zaren alljährlich zur Inspektion der Säcke auserwählt, in denen er verborgen ist. Das Hauptmanöver Rußlands in besagter Richtung ist jedoch ein im „Journal des Debats"[1051 veröffentlichter Artikel, der von dem alten orleanistischen Weisen Herrn Saint-Marc Girardin gezeichnet ist. Ich zitiere: „Für Europa existieren unseres Erachtens zwei große Gefahren: Rußland, das seine Unabhängigkeit, und die Revolution, die seine soziale Ordnung bedroht. Der einen Gefahr kann es nur entrinnen, indem es sich ganz der anderen aussetzt. Wenn Europa glaubt, daß der Schlüssel zu seiner Unabhängigkeit und insbesondere zur Unabhängigkeit des europäischen Kontinents in Konstantinopel ist und daß diese Frage dort kühn entschieden werden muß, dann bedeutet das Krieg gegen Rußland. In diesem Krieg würden Frankreich und England für die Sicherung der Unabhängigkeit Europas kämpfen. Was würde Deutschland tun? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist, daß bei der jetzigen Lage in Europa ein Krieg soziale Revolution bedeuten würde." Selbstverständlich entscheidet sich Herr Saint-Marc Girardin zugunsten des Friedens um jeden Preis und gegen die soziale Revolution. Er vergißt dabei jedoch, daß der Kaiser von Rußland mindestens denselben „horreur"1 vor der Revolution empfindet wie er und sein Verleger, Herr Bertin.
1 „Schrecken"
Trotz all dieser Einschläferungsmittel, die die russische Diplomatie der englischen Presse und dem englischen Volke einflößt, sah sich der „alte, halsstarrige" Aberdeen gezwungen, Admiral Dundas Order zu geben, sich mit der französischen Flotte an der türkischen Küste zu vereinigen. Und sogar die „Times", die in den letzten paar Monaten es nur noch verstand, russisch zu schreiben, scheint eine mehr englische Inspiration empfangen zu haben. Sie nimmt den Mund jetzt recht voll. Die dänische (früher schleswig-holsteinische) Frage beginnt lebhaftes Interesse in England zu erregen, seit nun endlich auch die englische Presse entdeckt hat, daß dieser Frage dasselbe Prinzip der Expansion Rußlands zugrunde liegt, das auch der Ausgangspunkt für die Komplikationen im Orient ist. Herr Urquhart, Mitglied des Parlaments und allbekannter Bewunderer der Türkei und der orientalischen Institutionen, hat eine Flugschrift über die dänische Erbfolge herausgegeben, mit der ich mich in einem meiner nächsten Artikel beschäftigen will[U8]. Das Hauptargument in dieser Schrift besteht in dem Hinweis darauf, daß der Sund für Rußland im Norden dieselbe Rolle spielen soll wie im Süden die Dardanellen, d.h.,daß Rußland sich seine Vorherrschaft zur See im Baltischen Meer durch den Sund auf die gleiche Weise sichern will, wie es sich seine Vorherrschaft im Pontus Euxinus1 durch die Okkupation der Dardanellen sichern möchte. Vor kurzem teilte ich Ihnen meine Meinung mit, daß der Zinsfuß in England ansteigen würde und daß dieser Umstand eine ungünstige Wirkung auf Herrn Gladstones Finanzpläne2 haben würde. Nun hat die Bank von England die minimalste Diskontorate in der vergangenen Woche tatsächlich von 3% auf 31/2% erhöht, und das von mir vorausgesagte Mißlingen des Gladstoneschen Konvertierungsplans ist bereits zur vollendeten Tatsache geworden, wie Sie aus folgendem Bankausweis ersehen können:
Bank von England
Donnerstag, 2. Juni 1853 Wert, der bis zum heutigen Tage akzeptierten neuen Wertpapiere: Pfd.St. sh. d. 31/aprozentige Wertpapiere 138 082 0 3 2V2prozentige Wertpapiere 1 537 100 10 10 Schatzkammerbonds 4 200 0 0 Insgesamt 1 679382 11 1
1 Schwarzes Meer - 2 siehe vorl. Band, S. 104/105
Südseekompanie
Donnerstag, 2. Juni 1853 Wert der konvertierten Annuitäten bis zum heutigen Tage: Pfd.St. sh. d. 31/2prozentige Annuitäten 67 504 12 8 2x/2prozentige Annuitäten 986 528 5 7 Schatzkammerbonds 5 270 18 4 Insgesamt 1059 303 16 7
Demgemäß sind von der Gesamtsumme der zur Konvertierung angebotenen Südsee-Annuitäten nur ein Achtel und von den von Herrn Gladstone geschaffenen zwanzig Millionen neuer Wertpapiere nur ein Zwölftel akzeptiert worden. Herr Gladstone wird daher gezwungen sein, eine Anleihe aufzunehmen, zu einer Zeit, da der Zinsfuß gestiegen ist und sehr wahrscheinlich weiterhin ansteigen wird, eine Anleihe, die eine Höhe von 8157 811 Pfd. St. betragen dürfte. Fiasko! Auf die Einsparung von 100 000 Pfd.St., welche man sich von dieser Konversion versprochen und die man bereits dem Budget kreditiert hatte, muß demzufolge verzichtet werden. Unter Berücksichtigung des großen Umfangs der Staatsschuld, nämlich 3%ige Papiere in Höhe von 500 000 000 Pfd.St., hat Herr Gladstone als einziges Resultat seines finanziellen Experiments erreicht, daß am 10. Oktober 1853 ein weiteres Jahr verstrichen sein wird, in dem er nicht in der Lage war, eine Konversion bekanntzugeben. Aber das Schlimmste ist, daß 116 000 Pfd.St. in wenigen Tagen an die Inhaber von Schatzkammerscheinen bar ausgezahlt werden müssen, die es ablehnen, sie unter den von Herrn Gladstone angebotenen Bedingungen zu erneuern. Das ist der fianzielle Erfolg der Regierung „aller Talente". Lord John Russell drückte sich in der Debatte über die Kircheneinkünfte Irlands (Unterhaus, 3I.Mai) folgendermaßen aus:
„Es ist in den vergangenen Jahren offenkundig geworden, daß die römischkatholische Geistlichkeit - wenn wir sehen, wie sie sich in England benimmt, wenn wir jene Kirche nach den Taten beurteilen, die sie auf Weisung ihres Führers begeht, der, selbst ein ausländischer Souverän, nach politischer Macht strebte (Hört, Hörtl), was mir nicht vereinbar scheint mit der schuldigen Ergebenheit gegenüber der englischen Krone (Hört, Hört!), mit der schuldigen Ergebenheit gegenüber der allgemeinen Sache der Freiheit, mit der schuldigen Ergebenheit gegenüber den Pflichten, die jeder Bürger des Staates diesem gegenüber hat. Wahrhaftig, da ich mit ebensolcher Offenheit zu sprechen wünsche wie der ehrenwerte Gentleman, der vor mir sprach, so möchte ich von diesem Hause nicht mißverstanden werden. Ich bin weit davon entfernt zu leugnen, daß es in diesem Hause und darüber hinaus sowohl in unserem Lande als auch in Irland
viele Mitglieder des römisch-katholischen Glaubens gibt, die dem Thron und den Freiheiten unseres Landes ergeben sind; aber was ich sage, und davon bin ich überzeugt, besteht darin: würde der römisch-katholischen Geistlichkeit größere Macht gegeben und würden sie als Kirchenmänner größere Kontrolle und größeren politischen Einfluß ausüben als heute, dann würden sie diese Macht nicht in Ubereinstimmung mit der allgemeinen Freiheit, die in unserem Lande herrscht, ausüben (Hurrai), und daß sie weder in Fragen der politischen Macht noch in andern Dingen zugunsten jener a//gemeinen Freiheit der Diskussion und jener Aktivität und Energie des menschlichen Geistes handeln würden, die den wahren Geist der Verfassung unseres Landes ausmachen. (Tusch!) Ich glaube nicht, daß die Katholiken in dieser Hinsicht den Presbyterianern Schottlands (Dudelsackpfeifen!), den Wesleyanernf110! Englands und der anglikanischen Kirche gleichgestellt werden können. (Begeisterte Zustimmung im ganzen Saal.)... Ich bin also gezwungen, zu der Schlußfolgerung zu kommen, höchst widerwillig, aber ganz entschieden zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß die staatlichen Zuwendungen an die römisch-katholische Religion in Irland an Stelle der staatlichen Zuwendungen an die protestantische Kirche in jenem Lande nicht ein Objekt sind, welches das Parlament Englands annehmen oder sanktionieren sollte."
Zwei Tage nach dieser Rede Lord Johns, in welcher er zum sechstausendsten Male versuchte, seine Liebe zur „allgemeinen Freiheit" durch eifrige Kniebeugen vor einigen bigotten protestantischen Sekten zur Schau zu stellen, reichten die Herren Sadleir, Keogh und Monsell in einem von Herrn Monsell an Mylord Aberdeen gerichteten Schreiben dem Koalitionsministerium ihren Rücktritt ein. In seiner Antwort vom 3. Juni versichert Mylord Aberdeen diesen Gentlemen:
„Die Gründe, die von Lord John Russell angeführt werden, und die Sentiments, über die Sie sich beklagen, werden weder von. mir noch von vielen meiner Kollegen geteilt ... Lord John Russell legt Wert darauf, durch mich sagen zu lassen, daß er nicht die Katholiken des Mangels an Loyalität beschuldigen wollte." Danach zogen die Herren Sadleir, Keogh und Monsell ihren Rücktritt zurück, und die Arrangements für eine allgemeine Versöhnung verliefen gestern abend im Parlament „zur größten Befriedigung von Lord John Russell". Die letzte Indienbill von 1783 erwies sich als verhängnisvoll für das Koalitionskabinett der Herren Fox und Lord North. Die neue Indienbill von 1853 wird sich höchstwahrscheinlich ebenso verhängnisvoll für das Koalitionskabinett der Herren Gladstone und Lord John Russell erweisen. Wenn jedoch die ersteren ausgebootet wurden, weil sie versuchten, das Direktorium und den Aufsichtsrat abzuschaffen, so werden letztere von einem ähnlichen Geschick bedroht, jedoch aus völlig entgegengesetzten Gründen. Am 3. Juni stellte Sir Charles Wood den Antrag, ihm zu gestatten, einen Gesetzentwurf
über die Regierung Indiens einzubringen. Sir Charles begann damit, daß er die außerordentliche Lange der Rede, die er zu halten beabsichtige, mit dem „Umfang des Themas" und mit den „150 Millionen Seelen, mit denen er sich dabei beschäftigen müsse", entschuldigte. Sir Charles fühlte sich verpflichtet, für je 30 Millionen seiner „Mitbürger" nicht weniger als eine Stunde Stimmaufwand zu opfern. Aber warum diese übereilte Gesetzgebung für ein solch „großes Thema", während sogar Maßnahmen für die „unbedeutendste Sache" aufgeschoben werden? Weil die Charte der Ostindischen Kompanie am 30. April 1854 abläuft. Aber warum nicht eine zeitweilige Verlängerung der Charte beschließen und eine beständigere Gesetzgebung späterer Diskussion überlassen? Weil nicht zu erwarten ist, daß wir je wieder eine „solch günstige Gelegenheit finden werden, um in Ruhe diese umfangreiche und wichtige Frage zu behandeln" - d. h. sie parlamentarisch abzuwürgen. Außerdem wir sind über diese Angelegenheit völlig informiert - sind die Direktoren der Ostindischen Kompanie der Meinung, daß es notwendig sei, während der gegenwärtigen Parlamentssession das Gesetz zu beschließen, und der Generalgouverneur von Indien, Lord Dalhousie, forderte die Regierung in einem Eilbrief auf, das Gesetz auf jeden Fall unverzüglich zu verabschieden. Doch das schlagendste Argument, mit dem Sir Charles seine Eile bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs rechtfertigt, ist die Tatsache, daß, obwohl er darauf vorbereitet zu sein scheint, über einen Wust von Fragen zu sprechen,
„die nicht in dem Gesetzentwurf enthalten sind, den er einzubringen vorschlägt", „die Maßnahme, welche er zu unterbreiten hat, soweit sie die Gesetzgebung betrifft, auf einen sehr geringen Umfang beschränkt ist".
Nach dieser Einleitung trug Sir Charles seine Verteidigung der Verwaltung Indiens in den letzten 20 Jahren vor. „Wir müssen Indien gewissermaßen mit indischen Augen betrachten!" Dabei scheinen diese indischen Augen die besondere Gabe zu haben, alles, was England betrifft, in den leuchtendsten und alles, was Indien betrifft, in den schwärzesten Farben zu sehen.
„In Indien haben Sie einen Menschenschlag, der traditionsgebunden, tief verstrickt in religiösen Vorurteilen und überlebten Bräuchen ist. Dort sind in der Tat alle Hindernisse für einen schnellen Fortschritt vorhanden." (Vielleicht gibt es in Indien eine Wigh-Koalitionspartei.)
Sir Charles Wood erklärt: „Die Punkte, auf die größtes Gewicht gelegt worden ist und die an der Spitze der Beschwerden in den Petitionen an den Ausschuß stehen, beziehen sich auf die Rechtspflege, den Mangel an öffentlichen Arbeiten und die Bodenbesitzverhältnisse."
Was die öffentlichen Arbeiten betrifft, so beabsichtige die Regierung, einige von „größtem Ausmaße und höchster Bedeutung" auszuführen. Was den Bodenbesitz betrifft, so beweist Sir Charles höchst erfolgreich, daß seine drei bestehenden Formen - das Samindari-, das Raiatwari-1 und das Dorfsystem2 nur ebensoviele Formen der fiskalischen Ausbeutung seitens der Kompanie sind, von denen nicht eine zur allgemeingültigen gemacht werden könnte oder dürfte. Der Gedanke, eine andere Form mit einem völlig entgegengesetzten Charakter einzuführen, beschäftigt Sir Charles nicht im entferntesten.
„Was die Rechtspflege betrifft", fährt er fort, „so beziehen sich die Beschwerden hauptsächlich auf die Unbequemlichkeiten, die aus Verfahrensfragen des englischen Rechts erwachsen, auf die angebliche Inkompetenz der englischen Richter und auf die Korruption der eingeborenen Beamten und Richter."
Um nun zu beweisen, welche beschwerliche Arbeit mit der Einrichtung einer Rechtspflege in Indien verbunden ist, berichtet Sir Charles, daß schon 1833 ein Rechtsausschuß in Indien ernannt worden sei. Aber wie verfuhr dieser Ausschuß nach dem Zeugnis Sir Charles Woods? Das erste und einzige Ergebnis der Bemühungen dieses Ausschusses war ein Strafgesetzbuch; ausgearbeitet unter den Auspizien des Herrn Macaulay. Dieses Gesetzbuch wurde den verschiedenen indischen Lokalbehörden zugesandt, die es nach Kalkutta zurückschickten, von wo es nach England befördert wurde, um von England zurück nach Indien geschickt zu werden. In Indien war inzwischen Herr Macaulay von Herrn Bethune als Rechtssachverständiger abgelöst und das Gesetzbuch von Grund auf umgeändert worden. Auf Grund dieser Tatsache sandte der Generalgouverneur3, der damals noch nicht der Meinung war, „daß Aufschub eine Quelle von Schwäche und Gefahr ist", es zurück nach England, und von England wurde es zurück an den Generalgouverneur geleitet, mit der Ermächtigung, das Gesetzbuch in der Form in Kraft zu setzen, die er selbst für richtig halte. Doch da Herr Bethune gestorben ist, hielt es der Generalgouverneur für das beste, das Gesetzbuch einem dritten englischen Juristen vorzulegen, und zwar einem Juristen, der nichts von den Sitten und Gebräuchen der Hindus wußte, wobei sich der Generalgouverneur das Recht vorbehielt, später ein Gesetzbuch abzulehnen, das von einem völlig inkompetenten Beamten ausgeheckt wurde. Das waren die Abenteuer des Gesetzbuches, das bis auf den heutigen Tag noch nicht das Licht der Welt erblickt hat. Hinsichtlich der formalen Absurditäten der
1 Siehe vorl. Band, S, 131-133 - 2 siehe vorl. Bafid, S. 131 ~3DaIhousie
Rechtsprechung in Indien beruft sich Sir Charles auf die nicht weniger absurden Formalitäten der englischen Rechtsprozedur. Während er einerseits auf die Völlige Unbestechlichkeit der englischen Richter in Indien schwört, ist er andrerseits bereit, sie, durch eine Änderung des Verfahrens ihrer Ernennung, zu opfern. Den allgemeinen Fortschritt Indiens veranschaulicht Sir Charles durch einen Vergleich der heutigen Verhältnisse in Delhi mit den Verhältnissen in Delhi zur Zeit des Einfalls von Khuli-Khan. Um die Einführung der Salzsteuer zu rechtfertigen, benutzt er die Argumente der bekanntesten Ökonomen, die alle geraten haben, einige der wichtigsten Lebensmittel mit Steuern zu belegen. Sir Charles fügt jedoch nicht hinzu, was dieselben Ökonomen sagen würden, wenn sie erfahren hätten, daß in zwei Jahren, von 1849 bis 1850 und 1851 bis 1852, der Salzverbrauch um 60000 Tonnen zurückgegangen ist und daß das bei einer Gesamteinnahme aus der Salzsteuer von 2 Millionen Pfd. St. einen Rückgang der Einnahmen von 415000 Pfd. St. zur Folge hatte. Die von Sir Charles vorgeschlagenen und „auf einen sehr geringen Umfang beschränkten" Maßnahmen sind: 1. Das Direktorium soll aus achtzehn statt vierundzwanzig Mitgliedern bestehen; davon sind zwölf von den Aktienbesitzern und sechs von der Krone zu wählen. 2. Das Einkommen der Direktoren soll von 300 auf 500 Pfd. St. jährlich, das des Vorsitzenden auf 1000 Pfd. St. erhöht werden. 3. Alle unteren Beamtenstellen im Zivildienst und alle wissenschaftlichen Stellen im Militärdienst in Indien sollen der öffentlichen Bewerbung zugänglich gemacht werden, wobei die Ernennungen für die Kadettenstellen in der Linienkavallerie den Direktoren vorbehalten bleiben. 4. Der Posten des Generalgouverneurs soll von dem des Gouverneurs von Bengalen getrennt und die oberste Regierung ermächtigt werden, eine neue Präsidentschaft in den Bezirken am Indus zu bilden. 5. Schließlich sollen alle aufgeführten Maßnahmen nur solange Gültigkeit haben, bis das Parlament eine andere Entscheidung getroffen hat. Die Rede und die vorgeschlagenen Maßnahmen des Sir Charles Wood waren Gegenstand einer sehr scharfen und sarkastischen Kritik seitens Herrn Brights; seine Darstellung des durch den Steuerdruck der Kompanie und der Regierung ruinierten Indiens enthielt natürlich keinen Nachtrag über das durch die Manchesterleute und den Freihandel ruinierte Indien. Was die gestern Abend gehaltene Rede des alten Ostindienmannes, Sir J.Hogg, anbetrifft, eines Direktors oder Exdirektors der Kompanie, so hege ich den Verdacht, daß ich ihr bereits in den Jahren 1701, 1730, 1743, 1769,
1772, 1781, 1783, 1784, 1793, 1813 u.a. begegnet bin. Als Antwort aufseine Lobpreisung der Direktoren möchte ich nur einige wenige Tatsachen aus den Indischen Jahresausweisen zitieren, die, wie ich annehme, unter seiner Oberaufsicht veröffentlicht worden sind:
Gesamtnettoeinnahmen Indiens:
1849/50 20 275 831 Pfd.St.) Rückgang der Einnahmen 1850/51 20 249 932 „ „ innerhalb von 3 Jahren 1851/52 19927 039 „ „J 348 792 Pfd. St. Gesamtausgaben: 1849/50 16 687 382 Pfd. St.] Erhöhung der Ausgaben 1850/51 17 170 707 „ „} innerhalb von 3 Jahren 1851/52 17901666 „ „ J um 1 214284Pfd.St.
Bodensteuer:
In den letzten 4 Jahren schwankte die Summe in Bengalen zwischen 3 500 000 Pfd. St. und 3 560 000 Pfd. St. im Nordwesten „ 4870000 „ „ „ 4900000 „ „ in Madras „ 3640000 „ „ „ 3 470 000 „ „ in Bombay „ 2 240 000 „ „ „ 2 300000 „ „
Bruttoeinnahmen Ausgaben für öffentliche Arbeiten 1851/52 1851/52 Bengalen 10 000 000 Pfd. St. 87 800 Pfd. St. Madras 5 000 000 „ „ 20000 „ „ Bombay 4800 000 „ „ 58 500 „ „ Insgesamt 19 800 000 Pfd. St. 166 300 Pfd. St.
Von der Gesamtsumme von 19 800 000 Pfd. St. sind also für den Bau von Straßen, Kanälen, Brücken und für andere notwendige öffentliche Arbeiten nur 166300 Pfd. St. ausgegeben worden. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die britische Herrschaft in Indien11201
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3804vom25.Juni 1853] London, Freitag, 10. Juni 1853 Telegraphische Depeschen aus Wien melden, daß man dort von der friedlichen Lösung der türkischen, sardinischen und schweizerischen Fragen überzeugt ist. Die Indien-Debatte wurde gestern abend im Unterhaus in der üblichen stumpfsinnigen Weise fortgesetzt! Herr Blackett beschuldigte Sir Charles Wood und Sir J.Hogg, daß ihre Erklärungen den Stempel eines falschen Optimismus tragen. Ein Häuflein Verteidiger des Ministeriums und des Direktoriums suchte, so gut es konnte, die Anwürfe zurückzuweisen, und der sattsam bekannte Herr Hume forderte in seinem Resümee die Minister auf, ihre Gesetzesvorlage zurückzuziehen. Die Debatte wurde vertagt. Hindustan ist ein Italien von asiatischem Ausmaß, mit dem Himalaja an Stelle der Alpen, der Ebene von Bengalen an Stelle der lombardischen Ebene, dem Dekhan an Stelle der Apenninen und der Insel Ceylon an Stelle der Insel Sizilien. Dort wie hier dieselbe reiche Mannigfaltigkeit der Bodenerzeugnisse und dieselbe Zerrissenheit in der politischen Struktur. Wie Italien von Zeit zu Zeit nur durch das Schwert des Eroberers zu verschiedenen Staatsgebilden zusammengeschlagen wurde, genauso finden wir Hindustan, wenn es nicht das Joch des Mohammedaners, des Moguls oder des Briten trug, in ebensoviele voneinander unabhängige, sich gegenseitig befehdende Staaten zersplittert, wie es Städte, ja Dörfer zählte. Jedoch vom sozialen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist Hindustan nicht das Italien, sondern das Irland des Ostens. Und diese seltsame Kombination von Italien und Irland, einer Welt der Lust und einer Welt des Leids, taucht schon in den alten Traditionen der Religion Hindustans auf. Diese Religion ist zu gleicher Zeit
eine Religion sinnlicher Üppigkeit und selbstquälerischer Askese, eine Religion des Lingam und des Dschagannat11211, die Religion des Mönchs und der Bajadere. Ich teile nicht die Auffassung derer, die an ein Goldnes Zeitalter Hindustans glauben, ohne mich jedoch, wie Sir Charles Wood, zur Bekräftigung meiner Ansicht auf die Autorität des Khuli-Khan1 zu berufen. Man nehme aber beispielsweise das Zeitalter des Aurangzeb; oder die Epoche, da die Moguln im Norden erschienen und die Portugiesen im Süden; oder die Zeit der mohammedanischen Invasion und der Heptarchie in SüdindienE1221; oder, wenn man noch weiter zurückgehn will - bis in die graue Vorzeit, die mythologische Zeitrechnung der Brahmanen, die den Beginn des indischen Elends in eine noch vor der christlichen Weltschöpfung liegende Epoche zurückverlegt. Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß das von den Briten über Hindustan gebrachte Elend wesentlich anders geartet und unendlich qualvoller ist als alles, was Hindustan vorher zu erdulden hatte. Ich denke dabei nicht an den europäischen Despotismus, den die britische Ostindische Kompanie dem asiatischen Despotismus aufgepfropft hat, eine Kombination, weit ungeheuerlicher als irgendeines der göttlichen Ungeheuer, deren Anblick uns im Tempel von Salsette11231 mit Schaudern erfüllt. Dabei handelt es sich nicht um eine besondre Eigentümlichkeit der britischen Kolonialherrschaft, sondern nur um eine Nachahmung der holländischen, und dies so sehr, daß man, um das Wirken der britischen Ostindischen Kompanie zu charakterisieren, nur wörtlich zu wiederholen braucht, was Sir Stamford Raffles, der englische Gouverneur von Java, über die alte holländische Ostindische Kompanie sagte:
„Die holländische Kompanie, deren einzige Triebfeder Gewinnsucht war und die ihre Untertanen weit gleichgültiger und rücksichtsloser behandelte als ehedem ein westindischer Pflanzer eine Rotte Sklaven auf seiner Plantage - denn dieser hatte das Kaufgeld für das menschliche Eigentum bezahlt, jene dagegen nicht bot den ganzen vorhandenen Apparat des Despotismus auf, um aus dem Volk das letzte Quentchen Tribut und die letzte Neige ihrer Arbeitsleistung herauszupressen, und verschlimmerte so die Übel einer unberechenbaren und halbbarbarischen Herrschaft noch dadurch, daß sie sie mit der ganzen Gerissenheit ausgepichter Politiker und mit der ganzen Selbstsucht monopolistischer Händler ausübte."
Alle die Bürgerkriege, Invasionen, Revolutionen, Eroberungen, Hungersnöte, so seltsam verwickelt, rapide und zerstörerisch ihre ununterbrochen
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Teil einer Seite der „New-York Daily Tribüne" mit Karl Marx' Artikel „Die britische Herrschaft in Indien"

aufeinanderfolgende Wirkung in Hindustan auch erscheinen mag, berührten doch nur die Oberfläche. England hat das ganze Gefüge der indischen Gesellschaft niedergerissen, ohne daß bisher auch nur die Spur eines Neuaufbaus sichtbar geworden wäre. Dieser Verlust seiner alten Welt, ohne daß eine neue gewonnen worden wäre, gibt dem heutigen Elend des Hindu eine besondere Note von Melancholie und zieht einen Trennungsstrich zwischen dem von England beherrschten Hindustan und den ehrwürdigen Überlieferungen seiner ganzen geschichtlichen Vergangenheit. Seit undenklichen Zeiten gab es in Asien nur drei Regierungsdepartements: das der Finanzen oder für die Ausplünderung des eigenen Volkes; das des Krieges oder für die Ausplünderung anderer Völker; und schließlich das der öffentlichen Arbeiten. Klimatische und territoriale Verhältnisse, besonders die weiten Wüstenstriche, die sich von der Sahara quer durch Arabien, Persien, Indien und dieTatarei bis an das höchste asiatische Hochland ziehen, bedingten künstliche Berieselung durch Kanäle und Wasserwerke, die Grundlage der orientalischen Landwirtschaft. Wie in Ägypten und Indien, werden Überschwemmungen auch in Mesopotamien, Persien und anderen Ländern nutzbar gemacht, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu steigern; hoher Wasserstand wird zur Speisung von Bewässerungskanälen ausgenutzt. Die unbedingte Notwendigkeit einer sparsamen und gemeinschaftlichen Verwendung des Wassers, die im Okzident, z. B. in Flandern und Italien, zu freiwilligem Zusammenschluß privater Unternehmungen führte, machte im Orient, wo die Zivilisation zu niedrig und die territoriale Ausdehnung zu groß war, um freiwillige Assoziationen ins Leben zu rufen, das Eingreifen einer zentralisierenden Staatsgewalt erforderlich. Hierdurch wurde allen asiatischen Regierungen eine ökonomische Funktion zugewiesen, die Funktion, für öffentliche Arbeiten zu sorgen. Diese künstliche Fruchtbarmachung des Bodens, die vom Eingreifen einer Zentralregiarung abhängt und sofort in Verfall gerät, wenn diese Regierung Bewässerung und Dränierung vernachlässigt, erklärt die sonst verwunderliche Tatsache, daß wir heute ganz große Gebiete wüst und öde finden, die einstmals glänzend kultiviert waren, so Palmgyra und Petra, die Ruinen im Jemen und weite Landstriche in Ägypten, Persien und Hindustan; sie erklärt auch, wie ein einziger Verwüstungskrieg imstande war, ein Land auf Jahrhunderte zu entvölkern und es seiner ganzen Zivilisation zu berauben. Die Briten übernahmen nun in Ostindien von ihren Vorgängern die Departements der Finanzen und des Krieges, vernachlässigten aber völlig das Departement der öffentlichen Arbeiten. Daher der Verfall einer Landwirtschaft, die nicht fähig ist, nach dem britischen Grundsatz der freien
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
Konkurrenz, des laissez-faire und laissez-aller[1241, betrieben zu werden. In asiatischen Reichen sind wir es jedoch durchaus gewohnt, zu sehen, daß die Landwirtschaft unter der einen Regierung in Verfall gerät und unter einer anderen wieder auflebt. Hier hängen die Ernten ebenso von guten oder schlechten Regierungen ab, wie sie in Europa mit guten oder schlechten Jahreszeiten wechseln. Daher brauchte die Bedrückung und Vernachlässigung der Landwirtschaft, so schlimm sie an sich auch sein mochte, noch nicht als Todesstoß des britischen Eindringlings gegen die indische Gesellschaftsordnung betrachtet zu werden, wäre sie nicht von einem Umstand begleitet gewesen, der von ganz anderer Bedeutung war, eine Neuheit in den Annalen der ganzen asiatischen Welt. Wie wechselvoll auch immer das politische Bild der Vergangenheit Indiens gewesen sein möge, seine sozialen Verhältnisse waren doch von den frühesten Zeiten bis ins erste Jahrzehnt des ^.Jahrhunderts unverändert geblieben. Der Handwebstuhl und das Spinnrad, die immer wieder ihre regelrechten Myriaden von Spinnern und Webern hervorbringen, waren die strukturellen Angelpunkte dieser Gesellschaft. Seit undenklichen Zeiten bezog Europa die wundervollen Gewebe indischer Arbeit, für die es im Austausch Edelmetalle lieferte, das Material für den Goldschmied, dieses unentbehrliche Mitglied der indischen Gesellschaft, deren Vorliebe für Schmuck so groß ist, daß selbst die Angehörigen der niedrigsten Klasse, die fast nackt herumlaufen, gewöhnlich ein Paar goldene Ohrringe und irgendein anderes goldenes Schmuckstück am Halse tragen. Auch Finger- und Zehenringe waren allgemein verbreitet. Frauen wie Kinder trugen häufig massive Arm- und Fußspangen aus Gold oder Silber, in den Häusern waren goldene oder silberne Statuetten von Gottheiten zu finden. Es war der britische Eindringling, der den indischen Handwebstuhl zerstörte und das Spinnrad zerbrach. England begann damit, daß es den indischen Kattun vom europäischen Markt verdrängte; dann führte es Maschinengarn nach Hindustan ein und überschwemmte schließlich das eigentliche Mutterland des Kattuns mit Kattunwaren. Von 1818 bis 1836 stieg die Garnausfuhr aus Großbritannien nach Indien im Verhältnis von 1 zu 5200. Während 1824 die Ausfuhr von englischem Musselin nach Indien kaum eine Million Yard erreichte, belief sie sich 1837 schon auf über 64 Millionen Yard. In dem gleichen Zeitraum jedoch sank die Bevölkerung Daccas von 150000 auf 20000 Einwohner. Dieser Niedergang der durch ihre Gewebe berühmten indischen Städte war indessen bei weitem noch nicht die schlimmste Folge der britischen Herrschaft. Englische Dampfkraft und englische Wissenschaft zerstörten in ganz Hindustan die Bande zwischen Ackerbau und Handwerk.
Die erwähnten beiden Umstände - einerseits, daß der Hindu, wie alle orientalischen Völker, es der Zentralregierung überließ, sich um die großen Öffentlichen Arbeiten zu kümmern, die doch die erste Voraussetzung für seinen Ackerbau und Handel sind, andrerseits, daß die Bevölkerung über das ganze Land hin verstreut lebte und nur dadurch, daß Ackerbau und Handwerk häuslich vereinigt waren, kleine, dichter bevölkerte Zentren bildete -, diese beiden Umstände hatten seit den ältesten Zeiten ein gesellschaftliches System mit besonderen Charakterzügen hervorgebracht, das sogenannte Dorfsystem, das jeder dieser kleinen Einheiten ihre unabhängige Organisation und ihr Eigenleben gab. Ein Urteil über den besondren Charakter dieses Systems kann man gewinnen an Hand der folgenden Schilderung, die einem alten offiziellen Bericht des britischen Unterhauses über indische Fragen entnommen ist:
„Ein Dorf ist, geographisch betrachtet, ein Stück Land, das einige Hundert oder Tausend Acres urbaren und unbebauten Bodens umfaßt; politisch gesehen, ähnelt es einer Korporation oder Stadtgemeinde. Zu seinem eigentlichen Personal an Amts- und Hilfspersonen gehören: Der Potail oder Haupteinwohner, dem gewöhnlich die Oberaufsicht über die Dorfangelegenheiten obliegt. Er schlichtet Streitigkeiten zwischen den Einwohnern, übt Polizeigewalt aus und versieht das Amt des Steuereinnehmers in seinem Dorfe, für welche Aufgabe er durch sein persönliches Ansehen und seine gründliche Vertrautheit mit der Lage und den Verhältnissen der Bevölkerung am besten geeignet ist. Der Kurnum führt Rechnung über den Ackerbau und registriert alles darauf Bezügliche. Dann der Taillier und der Totie; die Aufgabe des ersten besteht in der Untersuchung von Verbrechen und Vergehen sowie im Geleit und Schutz von Personen, die von einem Dorf zum andern ziehen, während der Wirkungskreis des letzteren unmittelbarer auf das Dorf beschränkt zu sein scheint und u. a. darin besteht, die Erträge zu bewachen und bei ihrer Feststellung mitzuwirken. Der Grenzmann sorgt für die Erhaltung der Dorfgrenzen und legt über sie in Streitfällen Zeugnis ab. Der Vorsteher der Zisternen und Wasserläufe verteilt das Wasser für landwirtschaftliche Zwecke. Der Brahmane verrichtet im Dorfe den religiösen Kultus. Der Schulmeister lehrt die Dorfkinder, im Sande zu lesen und zu schreiben. Ferner der Kalenderbrahmane oder Astrolog usw. Aus diesen Amts- oder Hilfspersonen setzt sich gewöhnlich die Dorfverwaltung zusammen. In einigen Teilen des Landes ist sie jedoch weniger umfangreich, weil dort mehrere der oben geschilderten Funktionen in einer Person vereinigt sind; in anderen Gegenden geht sie über den erwähnten Personenkreis noch hinaus. Unter dieser einfachen Form der Gemeindeverwaltung haben die Einwohner des Landes seit unvordenklichen Zeiten gelebt. Die Grenzen der Dorfgebiete wurden nur selten geändert; und obgleich die Dörfer wiederholt durch Krieg, Hungersnot und Seuchen heimgesucht, ja verwüstet wurden, haben derselbe Name, dieselben Grenzen, dieselben Interessen und selbst dieselben Familien sich durch Generationen fortgesetzt. Die Einwohner ließen sich durch den Zusammenbruch und die Teilung von
Königreichen nicht anfechten; solange das Dorf ungeteilt bleibt, ist es ihnen gleichgültig, an welche Macht es abgetreten wird oder welchem Herrscher es zufällt. Seine innere Wirtschaft bleibt unverändert. DerPotail ist immer noch der Haupteinwohner und übt seine Funktion als Bagatell- oder Friedensrichter, als Steuer- oder Pachteinnehmer des Dorfes noch immer aus." Diese kleinen stereotypen Formen des gesellschaftlichen Organismus haben sich zum größten Teil aufgelöst und stehen im Begriff zu verschwinden, nicht so sehr infolge des brutalen Eingreifens des britischen Steuereintreibers und des britischen Soldaten als vermöge der Wirkung des englischen Dampfes und des englischen Freihandels. Jene auf der Familie beruhenden Gemeinwesen hatten ihre Grundlage im Hausgewerbe, in jener eigenartigen Verbindung von Handweberei, Handspinnerei und handbetriebenem Ackerbau, die sie in den Stand setzten, sich selbst zu versorgen. Das Eingreifen der Engländer, das den Spinner nach Lancashire, den Weber nach Bengalen verpflanzte oder beide, den indischen Spinner wie den indischen Weber, hinwegfegte, führte zur Auflösung dieser kleinen, halb barbarischen, halb zivilisierten Gemeinwesen, indem es ihre ökonomische Grundlage sprengte und so die größte und, die Wahrheit zu sagen, einzige soziale Revolution hervorrief, die Asien je gesehen. Sosehr es nun auch dem menschlichen Empfinden widerstreben mag, Zeuge zu sein, wie Myriaden betriebsamer patriarchalischer und harmloser sozialer Organisationen zerrüttet und in ihre Einheiten aufgelöst werden, hineingeschleudert in ein Meer von Leiden, wie zu gleicher Zeit ihre einzelnen Mitglieder ihrer alten Kulturformen und ihrer ererbten Existenzmittel verlustig gehen, so dürfen wir doch darüber nicht vergessen, daß diese idyllischen Dorfgemeinschaften, so harmlos sie auch aussehen mögen, seit jeher die feste Grundlage des orientalischen Despotismus gebildet haben, daß sie den menschlichen Geist auf den denkbar engsten Gesichtskreis beschränkten, ihn zürn gefügigen Werkzeug des Aberglaubens, zum unterwürfigen Sklaven traditioneller Regeln machten und ihn jeglicher Größe und geschichtlicher Energien beraubten. Wir dürfen nicht die barbarische Selbstsucht vergessen, die, an einem elenden Stückchen Land klebend, ruhig dem Untergang ganzer Reiche, der Verübung unsäglicher Grausamkeiten, der Niedermetzelüng der Einwohnerschaft großer Städte zusah, ohne sich darüber mehr Gedanken zu machen als über Naturereignisse, dabei selbst jedem Angreifer, der sie auch nur eines Blickes zu würdigen geruhte, hilflos als Beute preisgegeben. Wir dürfen nicht vergessen, daß dieses menschenunwürdige, stagnierende Dahinvegetieren, diese passive Art zu leben, auf der andern Seite ihre Ergänzung fanden in der Beschwörung wilder, zielloser, hemmungsloser Kräfte der Zerstörung, und in Hindustan selbst aus dem Mord einen religiösen
Ritus machten. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese kleinen Gemeinwesen durch Kastenunterschiede und Sklaverei befleckt waren, daß sie den Menschen unter das Joch äußerer Umstände zwangen, statt den Menschen zum Beherrscher der Umstände zu erheben, daß sie einen sich naturwüchsig entwickelnden Gesellschaftszustand in ein unveränderliches, naturgegebnes Schicksal transformierten und so zu jener tierisch rohen Naturanbetung gelangten, deren Entartung zum Ausdruck kam in der Tatsache, daß der Mensch, der Beherrscher der Natur, vor Hanuman, dem Affen, und Sabbala, der Kuh, andächtig in die Knie sank. Gewiß war schnödester Eigennutz die einzige Triebfeder Englands, als es eine soziale Revolution in Indien auslöste, und die Art, wie es seine Interessen durchsetzte, war stupid. Aber nicht das ist hier die Frage. Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in Asien. Wenn nicht, so war England, welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewußte Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte. Dann haben wir, so erschütternd das Schauspiel des Zerfalls einer alten Welt für unser persönliches Empfinden auch sein mag, vor der Geschichte das Recht, mit Goethe auszurufen:
„Sollte diese Qual uns quälen, Da sie unsre Lust vermehrt; Hat nicht Myriaden Seelen Timurs Herrschaft aufgezehrt?"
Karl Marx
Aus dem Englischen,
Karl Marx
Englische Prosperität - Streiks Die türkische Frage - Indien
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3809 vom I.Juli 1853] London, Freitag, 17. Juni 1853 Nach offiziellen Angaben betragt der Wert des britischen Exports
für April 1853 für April 1852 dagegen für die ersten vier Monate 1853 für die gleichen Monate 1852 dagegen
7 578 910 Pfd. St. 5 268915 „ „ 27 970633 „ „ 21 844663 „ „
Darin zeigt sich im ersteren Falle ein Anwachsen von 2 309 995 Pfd.St. oder über 40% und im zweiten Falle von 6 125 970 Pfd. St. oder nahezu 28 %. Wenn das Anwachsen im gleichen Verhältnis weiter anhält, dann würde der Gesamtexport von Großbritannien Ende 1853 mehr als 100 000 000 Pfd. St. betragen. Die „Times"t26J, die ihren Lesern diese Aufsehen erregenden Angaben übermittelt, ergeht sich dabei in einer Art von Dithyramben, die mit den Worten enden: „Wir sind alle glücklich und uns einig." Aber kaum hatte die Zeitung diese tröstliche Entdeckung hinaustrompetet, als in ganz England und besonders im industriellen Norden eine nahezu allgemeine Streikwelle ausbrach, die ein seltsames Echo zu dem von der „Times" angestimmten Lied der Eintracht bildet. Diese Streiks sind die notwendige Folge einer relativen Abnahme der überschüssigen Arbeiterbevölkerung, die mit einer allgemeinen Verteuerung der Preise für die wichtigsten Bedarfsgüter zusammenfällt. In Liverpool legten 5000 Arbeiter die Arbeit nieder, 35000 in Stockport usw., bis schließlich sogar die Polizei von der Epidemie ergriffen wurde und 250 Konstabier in Manchester ihren Abschied einreichten. Im Zusammenhang damit verlor die Bourgeoispresse, z.B. der „Globe"tl25], völlig ihre Fassung und widerrief ihre üblichen philanthropischen Ergüsse. Sie verleum
dete, beleidigte, drohte und forderte laut die Friedensrichter zum Eingreifen auf, was tatsächlich in Liverpool praktiziert worden ist, und zwar in allen Fällen, wo auch nur der kleinste juristische Vorwand gefunden werden konnte. Diese Friedensrichter sind, wenn nicht selbst Fabrikanten oder Kaufleute, wie es allgemein in Lancashire und Yorkshire der Fall ist, zumindest mit der Geschäftswelt eng verbunden und von ihr abhängig. Sie haben zugelassen, daß Fabrikanten das Zehnstundengesetz nicht einhalten, den Truck Actt126! umgehen und ungestraft alle anderen Gesetze verletzen, die ausdrücklich verabschiedet worden sind, um die „unverhüllte" Habgier der Fabrikanten zu zügeln, während sie den Combination Act[1271 immer auf eine Art und Weise auslegen, die den Arbeitsmann benachteiligt und für ihn ungünstig ist. Diese gleichen „ritterlichen" Freihändler, die als unermüdliche Gegner der Einmischungen der Regierung berühmt sind, diese Apostel der Bourgeoisiedoktrin des laissez /aireI124], die den Privatinteressen unter allen Umständen freies Spiel zubilligen, sind immer die ersten, die die Regierung zum Eingreifen auffordern, sobald die Privatinteressen der Arbeiter mit ihren eigenen Klasseninteressen in Konflikt geraten. In solchen Augenblicken der Kollision blicken sie mit unverhüllter Bewunderung auf die Staaten des Kontinents, in denen despotische Regierungen, wenn sie auch die Bourgeoisie nicht an die Macht lassen, so doch zumindest die Arbeiter daran hindern, Widerstand zu leisten. Den Weg, den die revolutionäre Partei vorschlägt, um den gegenwärtigen großen Konflikt zwischen Fabrikanten und Arbeitern auszunutzen, kann ich auf keine bessere Weise darlegen, als daß ich Sie mit dem folgenden Brief des Chartistenführers Ernest Jones bekannt mache, den dieser unmittelbar vor seiner Abreise nach Lancashire, wo die Kampagne eröffnet werden soll, an mich geschrieben hat:
„Mein lieber Marx! ... Morgen breche ich auf nach Blackstone Edge, wo ein camp-meeting1 der Chartisten aus Yorkshire und Lancashire stattfinden wird, und ich bin glücklich, Ihnen mitteilen zu können, daß im Norden dafür die umfassendsten Vorbereitungen im Gange sind. Es sind jetzt sieben Jahre her, seitdem ein wirklich nationales Treffen an jener Stelle stattfand!128!, die den Traditionen der Chartistenbewegung heilig ist. Der Zweck des gegenwärtigen Treffens besteht in folgendem: Durch den Verrat und die Spaltung von 1848, durch den Zerfall der damals existierenden Organisation infolge der Einkerkerung und Verbannung von 500 ihrer führenden Persönlichkeiten, durch das Lichten ihrer Reihen infolge Emigration, durch das Abflauen der politischen Energie wegen des Einflusses eines lebhaften Geschäftslebens - hatte sich die nationale
Bewegung des Chartismus in isolierte Aktionen umgewandelt, und die chartistische Organisation schmolz dahin, gerade zu einer Zeit, da sich das Wissen um die sozialen Zusammenhänge ausbreitete. Inzwischen wuchs auf den Ruinen der politischen Bewegung eine Arbeiterbewegung, die aus den ersten zaghaften Schritten zu einem sozialen Bewußtsein geboren wurde. Diese Arbeiterbewegung zeigte sich zuerst in isolierten genossenschaftlichen Versuchen; dann, als sich diese als Versager erwiesen, im energischen Kampf für die Zehnstundenbill, für die Beschränkung der Laufzeit der Maschinen, für die Abschaffung des Systems von Strafen durch Lohnabzüge und für eine neue Interpretation der Combination Bill. Auf diese Maßnahmen, die an sich gut waren, war die ganze Energie und Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse gerichtet. Das Fehlschlagen der Versuche, für diese Maßnahmen gesetzliche Garantien zu erlangen, hat in erhöhtem Maße dazu beigetragen, dem Denken der Arbeiter Britanniens eine revolutionärere Richtung zu geben. Das schafft günstige Voraussetzungen, die Massen um das Banner einer wirklichen sozialen Reform zu scharen; denn es muß für jeden offenkundig sein, wie gut auch immer die obenerwähnten Maßnahmen sein mögen vom Gesichtspunkt der Befriedigung der gegenwärtigen Forderungen, sie bieten doch keine Garantie für die Zukunft und verkörpern kein fundamentales Prinzip sozialen Rechts. Die günstige Gelegenheit für eine Bewegung, die Kraft, sie mit Erfolg durchzuführen, ist durch die gegenwärtigen Zeitumstände gegeben. Die Unzufriedenheit des Volkes geht Hand in Hand mit dem Anwachsen der Kräfte des Volkes, dadurch hervorgerufen, daß im Verhältnis zu der Lebhaftigkeit der Geschäfte Mangel an Arbeitern herrscht. Überall finden Streiks statt und meistens erfolgreich. Doch es ist traurig, anzusehen, wenn die Kraft, die auf eine grundlegende Verbesserung ausgerichtet werden könnte, an eine vorübergehende Linderung verschwendet wird. Und darum versuche ich, gemeinsam mit zahlreichen Freunden, diesen so günstigen Zeitpunkt auszunutzen, um die zersprengten Reihen des Chartismus auf den gesunden Grundsätzen der sozialen Revolution wieder zu vereinen. Es ist mir gelungen, die untätigen und eingeschlafenen Ortsgruppen für dieses Ziel neu zu organisieren und sie für eine - wie ich hoffe - allgemeine und imposante Demonstration in ganz England vorzubereiten. Die neue Kampagne beginnt mit dem camp-meeting auf dem Blackstone Edge, dem weitere Massenkundgebungen in allen industriellen Grafschaften folgen sollen; gleichzeitig werden unsere Beauftragten in den landwirtschaftlichen Distrikten tätig sein, das arbeitende Volk auf dem Lande mit der übrigen Armee der Arbeit zu vereinen, eine Aufgabe, die unsere Bewegung bisher vernachlässigt hat. Unser erster Schritt wird die Forderung auf Annahme der Charte sein, eine Forderung, die von Massenkundgebungen des Volkes unterstützt wird, und der Versuch, unser korruptes Parlament zur Annahme der Vorlage über die Einführung der Charte zu zwingen, damit sie offen und eindeutig als einziges Mittel für eine soziale Reform anerkannt wird. Von diesem Standpunkt ist die Forderung nach der Charte noch nicht erhoben worden. Wenn die Arbeiterklasse diese Bewegung unterstützt - die Reaktionen auf meinen Aufruf berechtigen mich, das anzunehmen-, dann muß das Resultat vonBedeutungsein; dennim Falle der Ablehnung durch das Parlament werden die leeren Phrasen der Scheinliberalen und Tory-Philanthropen entlarvt, und ihre letzte Hoffnung - nämlich die Leichtgläubigkeit des Volkes
auszunutzen - wird zerstört werden. Sollte das Parlament einwilligen, die Vorlage in Erwägung zu ziehen und zu diskutieren, so wird ein reißender Strom ausgelöst, den man durch zeitweise Zugeständnisse nicht mehr eindämmen kann. Da Sie mit dem politischen Leben in England vertraut sind, werden Sie ja wissen, daß unsere Aristokratie und unsere Plutokratie weder die Energie noch die Kraft haben, um der Bewegung des Volkes ernstlichen Widerstand zu leisten. Die herrschenden Kräfte bestehen nur noch aus einem konfusen Durcheinander überlebter Parteien, die zusammengelaufen sind wie eine verzankte Schiffsmannschaft und nun an die Pumpen stürzt, um das schon sinkende Schiff zu retten. Es ist keine Kraft in ihnen, und das Hineinschütten von einigen wenigen Tropfen Schlagwasser in den demokratischen Ozean wird völlig unzureichend sein, die hochgehenden Wogen zu besänftigen. So groß, mein Freund, ist die Gelegenheit, die ich jetzt sehe, so groß ist die Kraft, von der ich hoffe, daß sie genutzt wird, und so groß ist das erste unmittelbare Ziel, auf welches jene Kraft gerichtet werden soll. Uber das Ergebnis der ersten Demonstration werde ich Ihnen wieder schreiben. Ihr sehr ergebener Ernest Jones"
Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß gar keine Aussicht auf Erörterung der Chartisten-Petition durch das Parlament besteht. Welche Illusionen man auch immer in dieser Hinsicht gehabt haben mag, sie müssen nun der Tatsache weichen, daß das Parlament soeben mit einer Mehrheit von 60 Stimmen den von Herrn Berkeley eingebrachten und von den Herren Phillimore, Cobden, Bright, Sir Robert Peel etc. befürworteten Antrag auf geheime Abstimmung abgelehnt hat. Und dies geschieht durch das gleiche Parlament, das so heftig gegen die bei seiner Wahl angewandte Einschüchterungstaktik und Bestechung protestierte und monatelang wegen der merkwürdigen Anwandlung, sich selbst in Wahluntersuchungen zu dezimieren, alle ernsthaften Geschäfte vernachlässigte. Die einzige Abhilfe, die purity Johnny1 bisher gegen Bestechung, Einschüchterung und korrupte Praktiken gefunden hat, besteht in der Entziehung des Wahlrechts oder, mehr noch, in der Verkleinerung der Wahlbezirke. Zweifellos: Wenn es ihm gelungen wäre, die Wahlbezirke ebenso klein zu machen, wie er selbst es ist, dann würde die Oligarchie in der Lage sein, diese Stimmen zu erhalten, ohne sich die Mühe und Ausgaben zu machen, sie zu kaufen. Herrn Berkeleys Resolution wurde durch die vereinten Stimmen der Tories und Whigs abgelehnt, da deren gemeinsames Interesse auf dem Spiel steht: die Erhaltung ihres territorialen Einflusses auf die tenants-at-will2, die kleinen Ladenbesitzer und andere Gefolgsleute der Grundbesitzer. „Wer seine Pacht zahlt, muß mit ihr
1 der lautere Johnny, ironische Anspielung auf John Russell - 2 nach Engels: Pächter, deren Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte
seine Stimme abgeben", ist ein altes Prinzip der glorreichen britischen Konstitution. Vergangenen Sonnabend machte die „Press"ll29], eine neue unter dem Einfluß von Herrn Disraeli stehende Wochenschrift, der englischen Öffentlichkeit folgende kuriose Eröffnung: „Baron Brunnow übermittelte zu Beginn des Frühlings Lord Clarendon die Forderung, die der russische Zar im Begriff war, an die Pforte zu richten, mit dem Bemerken, die Mitteilung bezwecke, die Meinung Englands in der Angelegenheit festzustellen. Lord Clarendon habe keine Einwände erhoben, noch auf irgendeine Weise von dem eingeschlagenen Weg abgeraten. Der Moskauer Diplomat habe seinem kaiserlichen Herrn übermittelt, daß England nicht abgeneigt sei, sich gegenüber seinen Plänen hinsichtlich des Goldenen Horns wohlwollend zu verhalten." Nun brachte die „Times" von gestern, als Antwort auf die schwerwiegende Anschuldigung von Herrn Disraeli, einen wohlerwogenen offiziellen, vom Ministerium des Auswärtigen inspirierten Artikel, welcher aber meiner Meinung nach diese Anschuldigung noch schwerwiegender macht, statt sie zu widerlegen. Die „Times" versichert, daß zu Beginn des Frühlings, vor dem Eintreffen des Fürsten Menschikow in Konstantinopel, Baron Brunnow sich bei Lord John Russell beschwerte, daß diePforte die den griechisch-orthodoxen Geistlichen durch Vertrag übertragenen Vorrechte zurückgenommen und daß Lord John Russell, nach dessen Meinung die Angelegenheit nur die Heiligen Stätten betreffe, den Plänen des Zaren seine Zustimmung gegeben habe. Aber die „Times" ist gleichzeitig gezwungen zuzugeben, daß nach dem Eintreffen des Fürsten Menschikow in Konstantinopel und nach dem Wechsel im Ministerium des Auswärtigen, wo Lord John Russell durch Lord Clarendon abgelöst wurde, Baron Brunnow eine neue Mitteilung an Lord Clarendon richtete, „mit dem Inhalt, den Geist der von ihm erhaltenen Instruktionen und einige der Ausdrücke zu erläutern, die in dem Beglaubigungsschreiben gebraucht werden, das Fürst Menschikow im Auftrage des Zaren dem Sultan überreichte". Dabei gibt die „Times" zu, daß „Lord Clarendon den durch Baron Brunnow übermittelten Forderungen zugestimmt hat". Offensichtlich muß diese zweite Mitteilung etwas mehr enthalten haben als das, was Lord John Russell übermittelt worden war. Die Angelegenheit kann daher mit dieser Erklärung in der „Times" nicht abgeschlossen sein. Entweder stellt es sich heraus, daß Baron Brunnow ein diplomatischer Betrüger ist, oder die Mylords Clarendon und Aberdeen sind Verräter. Wir werden sehen. Es dürfte für Ihre Leser von Interesse sein, ein die orientalische Frage betreffendes Dokument kennenzulernen, das kürzlich in einer Londoner
Zeitung veröffentlicht wurde. Es handelt sich um eine Proklamation, die von dem heute in London lebenden Fürsten von Armenien herausgegeben und unter den Armeniern in der Türkei verbreitet worden ist:
„Lew, der von Gottes Gnaden regierende Fürst von Armenien etc., an die Armenier in der Türkei: Geliebte Brüder und treue Landsleutel... Unser Wille und unser heißer Wunsch ist es, daß Ihr bis zum letzten Tropfen Eures Blutes Euer Land und den Sultan gegen den Tyrannen des Nordens verteidigt. Erinnert Euch, Brüder, daß es in der Türkei keine Knuten gibt, daß die Türken Euch nicht die Nasenflügel zerreißen und Eure Frauen weder insgeheim noch in der Öffentlichkeit prügeln. Unter der Herrschaft des Sultans gibt es Menschlichkeit, während es unter der Herrschaft des Tyrannen des Nordens nur bestialische Grausamkeit gibt. Darum vertraut Euch der Führung Gottes an und kämpft tapfer für die Freiheit Eures Landes und für Euren jetzigen Herrscher. Reißt Eure Häuser nieder, um daraus Barrikaden zu bauen; und wenn Ihr keine Waffen habt, so zerbrecht Euern Hausrat und verteidigt Euch damit. Möge Euch der Herr den Weg zum Ruhm führen. Mein höchstes Glück wird es sein, in Eurer Mitte gegen die Unterdrücker Eures Landes und Eures Glaubens zu kämpfen. Möge Gott des Sultans Herz geneigt machen, meinen Aufruf zu billigen, denn unter seiner Herrschaft wird die Reinheit unserer Religion bewahrt bleiben, während sie unter der Herrschaft des Tyrannen des Nordens geändert werden wird. Seid auch dessen eingedenk, Brüder, daß das Blut in den Adern desjenigen, der sich jetzt an Euch wendet, das Blut von zwanzig Königen ist, es ist das Blut der Helden, der Lussinians, der Verteidiger unseres Glaubens. Und wir rufen Euch zu: Verteidigen wir die Reinheit unseres Glaubens bis zum letzten Blutstropfen."
Am 13. d. M. kündigte Lord Stanley im Unterhaus an, daß er bei der zweiten Lesung der Indienbill (am23. d.M.) folgende Resolution einbringen würde:
„Nach Meinung des Hauses sind weitere Informationen erforderlich, um das Parlament in die Lage zu versetzen, Gesetze zugunsten einer ständigen Regierung Indiens zu beschließen. In diesem vorgerückten Stadium der Parlamentssession wäre es nicht angebracht, eine Maßnahme zu ergreifen, die die bestehende Ordnung nur stören würde und doch nicht als endgültige Lösung angesehen werden kann." Aber im April 1854 wird die Charte der Ostindischen Kompanie ablaufen, und so oder so muß etwas in dieser Richtung geschehen. Die Regierung möchte ein ständiges Gesetz beschließen, mit andern Worten die Charte auf weitere zwanzig Jahre verlängern. Die Manchesterschule[69] möchte jegliche Gesetzgebung verschieben und die Charte auf höchstens ein Jahr verlängern. Die Regierung erklärte, daß ein ständiges Gesetz für das „Wohl" Indiens notwendig sei. Die Manchesterleute erwiderten, das sei unmöglich, da Informationen fehlen. Das „Wohl" Indiens wie auch das Fehlen von Informationen sind beides Vorspiegelungen falscher Tatsachen. Die herrschende Oligarchie
möchte noch vor dem Zusammentritt des neuen Parlaments auf Kosten Indiens ihr eigenes „Wohl" für die nächsten zwanzig Jahre im voraus sichern. Die Manchesterleute möchten überhaupt keine Annahme irgendwelcher Gesetze bis zur Neuwahl des Parlaments, da sie im alten Parlament keine Chancen haben, ihre Ansichten erfolgreich durchzusetzen. Und jetzt hat das Koalitionskabinett im Widerspruch zu seinen früheren Erklärungen, aber in Übereinstimmung mit seinem üblichen Verfahren, Schwierigkeiten zu umgehen, durch Sir Charles Wood so etwas wie einen Gesetzentwurf eingebracht. Andrerseits aber hat es nicht gewagt, die Verlängerung der Charte für einen bestimmten Zeitpunkt vorzuschlagen, sondern hat eine „Lösung" angeboten, in der es dem Parlament überlassen wird, anders zu verfügen, wann immer es diese Körperschaft für angebracht hält. Wenn es zur Annahme der Regierungsvorschläge käme, würde es keine Erneuerung geben, sondern die Ostindische Kompanie würde nur eine weitere Lebensfrist bekommen. In jeder andern Hinsicht tastet der Vorschlag der Regierung die Verfassung der Regierung Indiens nur scheinbar an; die einzige ernsthafte Änderung, die er enthält, ist, daß er einige Gouverneure zusätzlich verlangt, obwohl durch lange Erfahrung bewiesen ist, daß die Gebiete Ostindiens, die von einfachen Kommissären verwaltet werden, weit besser gedeihen als jene, in denen die Bevölkerung für würdig befunden wurde, Gouverneure und Räte zu haben, die sich mit kostspieligem Luxus umgeben. Das von den Whigs erfundene Mittel, das Los der ausgesaugten Länder dadurch zu erleichtern, daß man ihnen die Lasten neuer Pfründe für pauperisierte Aristokraten aufbürdet, erinnert an die frühere Regierung Russell, die - als den Whigs plötzlich der Zustand geistiger Armut auffiel, in dem die Inder und Mohammedaner im Osten lebten - beschloß, ihnen durch den Import mehrerer neuer Bischöfe zu helfen, während die Tories auf der Höhe ihrer Macht niemals mehr als einen Bischof für notwendig erachteten. Als dieser Beschluß gefaßt worden war, entdeckte Sir John Hobhouse - der damalige Whig-Präsident der Kontrollbehörde sofort, daß er einen Verwandten besäße, der sich vortrefflich für die Bischofswürde eigne, und dieser wurde unverzüglich in eines der neuen Bistümer berufen. „In solchen Fällen", bemerkt ein englischer Autor, „wenn der Schuh so genau paßt, ist es tatsächlich schwierig zu sagen, ob der Schuh für den Fuß oder der Fuß für den Schuh gemacht worden ist." Genauso ist es mit der Entdeckung Charles Woods; es wäre sehr schwierig, zu sagen, ob die neuen Gouverneure für die indischen Provinzen oder die indischen Provinzen für die neuen Gouverneure gemacht worden sind. Wie dem auch sein mag, das Koalitionskabinett glaubte, es sei allen Klagen gerecht geworden, als es dem Parlament das Recht überließ, einen vorgeschla
genen Gesetzentwurf jederzeit ändern zu können. Doch leider tritt der Tory Lord Stanley mit seiner Resolution dazwischen, die bei ihrer Ankündigung von der „radikalen" Opposition laut begrüßt wurde. Lord Stanleys Resolution indessen widerspricht sich selbst. Einerseits weist Lord Stanley den Vorschlag des Ministeriums zurück, weil das Haus mehr Informationen benötige, um ein ständiges Gesetz zu beschließen. Andererseits weist er es zurück, weil es kein ständiges Gesetz ist, sondern die bestehende Ordnung ändert, ohne auf eine endgültige Lösung Anspruch zu erheben. Die Konservativen stehen der Bill natürlich ablehnend gegenüber, weil sie überhaupt eine gewisse Veränderung mit sich bringt. Die Radikalen stehen ihr ablehnend gegenüber, weil sie überhaupt keine wirkliche Veränderung mit sich bringt. In diesen Zeiten der Koalitionen hat Lord Stanley eine Formel gefunden, welche die beiden gegensätzlichen Standpunkte gegen den Standpunkt des Ministeriums in dieser Sache eint. Das Koalitionsministerium simuliert heilige Entrüstung über eine solche Taktik, und der „Chronicle"[29), sein Organ, meint empört: „Wenn man den Vorschlag auf Aufschub als Parteimaßnahme ansieht, so ist er im höchsten Grade parteisüchtig und verwerflich... Er ist nur gemacht worden, weil einige Parteigänger des Ministeriums sich verpflichtet haben, sich in dieser Teilfrage von denen abzugrenzen, mit denen sie sonst zusammengehen." Die Minister scheinen in der Tat ernstlich besorgt zu sein. Der „Chronicle" kehrt in seiner heutigen Ausgabe wieder zu diesem Thema zurück und schreibt: „Die Abstimmung über Lord Stanleys Antrag wird wahrscheinlich für das Schicksal der Indienbill entscheidend sein; es ist deshalb von größter Wichtigkeitf daß jene, die die Wichtigkeit einer baldigen Gesetzgebung empfinden, alle Anstrengung machen, die Regierung zu unterstützen." Hingegen lesen wir in der heutigen „Times": „Das Schicksal der Indienbill der Regierung ist jetzt in genaueren Umrissen zu erkennen... Die Gefahr für die Regierung besteht darin, daß Lord Stanleys Einwände völlig mit den Schlußfolgerungen der öffentlichen Meinung übereinstimmen. Jedes Wort dieses Amendements trifft mit tödlicher Genauigkeit das Ministerium." In einem meiner nächsten Artikel1 werde ich darlegen, welchen Einfluß die indische Frage auf die verschiedenen Parteien Großbritanniens hat und welchen Nutzen der arme Hindu aus diesem Gezänk der englischen Aristokratie, der Plutokratie und der Millokratie um die Verbesserung seines Daseins ziehen kann. Karl Marx Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Türkei und Rußland - Nachsicht des Ministeriums Aberdeen gegenüber Rußland Das Budget - Steuer auf Zeitungsbeilagen Parlamentskorruption
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3814 vom 8. Juli 1853] London, Dienstag, 2I.Juni 1853 Im Jabre 1828, als man es zuließ, daß Rußland die Türkei mit Krieg überzog und diesen Krieg mit dem Vertrag von Adrianopel abschloß, durch den die ganze Ostküste des Schwarzen Meeres von Anapa im Norden bis Poti im Süden (ausgenommen Tscherkessien) und die Inseln an der Donaumündung Rußland zufielen, die Moldau und Walachei de facto von der Türkei losgetrennt und unter Rußlands Herrschaft gestellt wurden - eben zu dieser Zeit war Lord Aberdeen Minister des Auswärtigen in England. 1853 finden wir eben denselben Aberdeen an der Spitze des Koalitionsministeriums in demselben Lande wieder. Diese einfache Tatsache genügt, um die anmaßende Haltung Rußlands in seinem jetzigen Konflikt mit der Türkei und Europa zu erklären. Ich sagte schon in meinem letzten Artikel, daß der Sturm, den die Enthüllungen in der „Press"[129] über die geheimen Abmachungen zwischen Aberdeen, Clarendon und Baron Brunnow entfachten, sich schwerlich infolge der haarspalterischen, gewundenen und geistlosen Erklärungen der „Times"[26] vom Donnerstag legen werde1. Die „Times" mußte dann sogar in einem halbamtlichen Artikel zugeben, daß Lord Clarendon in der Tat den Forderungen zugestimmt habe, die Rußland beabsichtigte, an die Pforte zu stellen, fügte jedoch hinzu, es habe sich gezeigt, daß die Forderungen, wie man sie in London darstellte, sich wesentlich von denen unterschieden, die tatsächlich in Konstantinopel vorgeschlagen wurden, wenn auch die Papiere, die Baron Brunnow dem englischen Minister übermittelte, angeblich „wörtliche Auszüge"
aus den Instruktionen sein sollten, die dem Fürsten Menschikow übergeben worden waren. Am Sonnabend darauf zog jedoch die „Times" - zweifellos wegen des Protests der russischen Gesandtschaft - ihre Behauptungen zurück und stellte dem Baron Brunnow das Zeugnis vollkommener „Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit" aus. Der „Morning Herald"t241 von gestern wirft die Frage auf, „ob Rußland nicht etwa dem Baron Brunnow falsche Instruktionen gegeben habe, um den britischen Minister zu täuschen"? Inzwischen wurden neue, von einer korrupten Tagespresse dem Publikum geflissentlich vorenthaltene Enthüllungen gemacht, die jede derartige Interpretation ausschließen und die ganze Schuld auf die Schultern des Koalitionsministeriums wälzen. Jedes andere Parlament als das jetzige, das nur ein paralytisches Produkt einer erstarrten Wählerschaft ist, die durch unerhörte Bestechung und Einschüchterung zu künstlichem Leben stimuliert wurde, würde genügenden Grund haben, daraufhin Anklage gegen die Lords Aberdeen und Clarendon zu erheben. Es wird behauptet, daß Lord Clarendon eine Mitteilung erhielt, in der er verständigt wurde, daß die Affäre der Heiligen Stätten nicht die einzige war, die den russischen Fürsten1 beschäftigte. In dieser Mitteilung ging man auch auf die allgemeine Hauptfrage ein, nämlich die der griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei, und auf die Haltung, die der Kaiser von Rußland vertragsgemäß ihnen gegenüber einnehme. Alle diese Punkte wurden erörtert und der von Rußland einzuschlagende Kurs genau festgelegt - derselbe Kurs, der in der geplanten Konvention vom 6.Mai[1301 erläutert worden ist. Lord Clarendon, dem Lord Aberdeen zustimmte, mißbilligte diesen Kurs keineswegs, noch trat er ihm entgegen. Während die Dinge in London so standen, sandte Bonaparte eine Flotte nach Salamis; die öffentliche Meinung übte von außen ihren Druck auf das Parlament aus, und die Minister wurden in beiden Häusern interpelliert; Russell verpfändete sein Wort für die Aufrechterhaltung der Integrität und der Unabhängigkeit der Türkei, Fürst Menschikow aber ließ in Konstantinopel die Maske fallen. Es wurde infolgedessen notwendig, daß die Lords Aberdeen und Clarendon die anderen Minister in das Geschehene einweihten, und die Koalition war im Begriff sich aufzulösen, als Lord Palmerston, durch seine Vergangenheit gezwungen, auf einer ganz entgegengesetzten Politik bestand. Um die Auflösung seines Kabinetts zu verhüten, gab Lord Aberdeen schließlich dem Drängen Palmerstons nach und willigte ein in die gemeinsame Aktion der englischen und französischen Flotten in den Dardanellen. Um seinen Verpflichtungen gegenüber Rußland nachzu
kommen, übermittelte aber Lord Aberdeen gleichzeitig in einer vertraulichen Depesche nach St. Petersburg die Mitteilung, daß er die Okkupation der Donaufürstentümer durch die Russen nicht als Casus belli betrachte, und die „Times" bekam Order, die öffentliche Meinung auf diese neue Auslegung internationaler Verträge vorzubereiten. Es wäre ungerecht, wollte man ihr nicht das Zeugnis ausstellen, daß sie sich redlich Mühe gab, schwarz in weiß zu verwandeln. Das gleiche Blatt, das immerzu behauptet hatte, das russische Protektorat über die griechisch-orthodoxen Christen der Türkei habe nicht die geringsten politischen Folgen, versicherte nun plötzlich, die Moldau und die Walachei stünden unter geteilter Herrschaft und bildeten in Wirklichkeit keinen integrierenden Bestandteil des Türkischen Reichs, ihre Okkupation wäre daher „genaugenommen" keine Invasion des Türkischen Reichs, da die Verträge von Bukarest und Adrianopel dem Zaren das Protektorat über seine Glaubensbrüder in den Donauprovinzen11311 verliehen hätten. Die Konvention von Balta Liman vom I.Mai 1849[132J bestimmt ausdrücklich:
„1. daß die Okkupation dieser Provinzen - vorausgesetzt, daß es dazu kommen sollte - nur gemeinsam von russischen und türkischen Truppen vorgenommen werden dürfe; 2. daß der einzige Rechtfertigungsgrund zu einem solchen Schritt nur schwerwiegende Ereignisse in den Fürstentümern sein sollten."
Da sich nun aber in diesen Fürstentümern überhaupt nichts ereignete und Rußland überdies nicht die Absicht hat, sie gemeinsam mit den Türken zu besetzen, sondern im Gegenteil gerade den Türken zum Trotz, so meint die „Times", die Türkei solle die Okkupation der Fürstentümer durch Rußland allein erst einmal schweigend dulden und dann in Verhandlungen mit Rußland treten. Sollte aber die Türkei nicht die nötige Gemütsruhe bewahren und die Okkupation als Casus belli betrachten, so folgert die „Times", sind England und Frankreich nicht verpflichtet, dasselbe zu tun, wenn es aber England und Frankreich dennoch täten, so empfiehlt die „Times" ihnen, recht artig zu sein und in keinem Falle als kriegführende Machte gegen Rußland, sondern nur als passive Bundesgenossen der Türkei aufzutreten. Ich kann diese feige und gewundene Haltung der „Times" nicht besser brandmarken, als wenn ich folgende Stelle aus ihrem heutigen Leitartikel zitiere. Er stellt ein unglaubliches Gemisch aus all den Widersprüchen, Ausflüchten, falschen Vorwänden, Besorgnissen und Feigheiten der Lord Aberdeenschen Politik dar:
„Bevor sie zum Äußersten schreitet, kann die Pforte, wenn sie es für nötig hält, gegen die Okkupation der Fürstentümer protestieren und mit Hilfe aller Mächte
Europas noch unterhandeln. Es bleibt der türkischen Regierung überlassen, in Ubereinstimmung mit den Gesandten der vier Mächte diesen wichtigen Punkt zu bestimmen und speziell zu entscheiden, ob die Feindseligkeiten soweit gediehen sind, um gemäß der Konvention von 1841C133J fremden Kriegsschiffen die Dardanellen zu öffnen. Sollte diese Frage bejahend entschieden und die Flotten in die Meerengen beordert werden, so wird es sich dann erst zeigen, ob wir als vermittelnde oder als kriegführende Mächte dahin kommen; denn angenommen, die Türkei und Rußland befänden sich im Kriegszustand und die fremden Kriegsschiffe wären kraft des Casus foederis1 (!) zugelassen, so folgt daraus nicht, daß sie unbedingt als kriegführende und nicht als vermittelnde Mächte handeln müssen, woran sie ein viel größeres Interesse haben, besonders da sie nicht ausgeschickt sind, Krieg zu führen, sondern ihn zu verhindern. Eine solche Maßregel muß uns nicht mit Notwendigkeit zu Hauptpersonen in dem Streit machen."
Alle die Leitartikel der „Times" haben nichts genützt. Kein anderes Blatt trat in ihre Fußtapfen, keines biß auf den Köder an, und sogar die ministeriellen Zeitungen, „Morning Chronicle"1291, „Morning Post"*271, „Globe"[12B1 und „Observer"[101], nehmen einen ganz anderen Standpunkt ein und finden dabei ein lautes Echo jenseits des Kanals, wo nur die legitimistische „Assemblee nationale"11341 angeblich keinen Casus belli in der Besetzung der Donaufürstentümer erblickt. Die Uneinigkeit im Lager des Koalitionsministeriums wurde also dem Publikum durch den lärmenden Zwiespalt seiner Organe verraten. Palmerston nötigte das Kabinett dazu, die Okkupation der Moldau und Walachei als Kriegserklärung zu betrachten, und wurde darin von den Whigs und den pseudoradikalen Mitgliedern des Koalitionsministeriums unterstützt. Lord Aberdeen, der seine Zustimmung zur gemeinsamen Aktion der französischen und englischen Flotten nur gegeben hatte, weil er darauf spekulierte, daß Rußland nicht in den Dardanellen, sondern bloß in den Donauprovinzen vorginge, war nun der Hereingefallene. Das Fortbestehen des Ministeriums war wiederum in Frage gestellt. Als sich Palmerston gerade auf die dringenden Vorstellungen Lord Aberdeens anschickte, der widerrechtlichen Okkupation der Fürstentümer durch Rußland zuzustimmen, traf plötzlich eine Depesche aus Paris ein, die Bonapartes Absicht ankündigte, eben diesen Akt als einen Casus belli zu betrachten. Nun erreichte die Verwirrung den höchsten Grad. Ist diese Darstellung zutreffend, und nach unserer Kenntnis von Lord Aberdeens Vergangenheit ist nicht daran zu zweifeln, so ist das ganze Geheimnis der russisch-türkischen Tragikomödie, die Europa jetzt monatelang beschäftigte, bloßgelegt. Wir begreifen plötzlich, warum Lord Aberdeen die
1 eigentlich: Casus foederis et belli; ein Fall, wo für verbündete Staaten die Verpflichtung besteht, in den Krieg einzutreten
10 Marx/Engels, Werk«» Bd. 9
englische Flotte nicht von Malta abziehen wollte. Wir begreifen, warum Oberst Rose für sein energisches Vorgehen in Konstantinopel gerüffelt wurde, begreifen das freche Benehmen des Fürsten Menschikow und die heldenmütige Festigkeit des Zaren, der, nachdem er die kriegerischen Demonstrationen Englands als bloße Farce durchschaut hatte, froh gewesen wäre, durch die ungehinderte Okkupation der Moldau und der Walachei nicht nur den Schauplatz als „Herr der Lage" zu verlassen, sondern auch seine alljährlichen großen Manöver auf Kosten der Untertanen des Sultans abhalten zu können. Sollte der Krieg dennoch ausbrechen, so glauben wir, wird es nur deshalb geschehen, weil Rußland zu weit gegangen ist, um sich zurückziehen zu können, ohne an seiner Ehre Schaden zu nehmen; und vor allem glauben wir, daß es sich nur darum so über alle Maßen mutig fühlte, weil es die ganze Zeit mit Englands Nachsicht rechnete. In dieser Hinsicht trifft folgende Stelle aus dem letzten Artikel eines „Engländers"1 über das Koalitionsministerium den Nagel auf den Kopf:
„Die Koalition wackelt bei jedem Lüftchen, das von den Dardanellen herüberbläst. Die Befürchtungen des guten Aberdeen und die klägliche Unfähigkeit Ciarendons haben Rußland ermutigt und die Krise hervorgerufen."
Die letzten Nachrichten aus der Türkei lauten: Der türkische Gesandte in Paris wurde von Konstantinopel aus via Semlin telegraphisch verständigt, daß die Pforte das letzte Ultimatum Rußlands[135] zurückgewiesen hat, wobei sie sich auf das Memorandum stützt, das an die Großmächte geschickt wurde. Der „Semaphore"[136] von Marseille berichtet, daß in Smyrna die Nachricht eintraf, zwei türkische Handelsschiffe seien im Schwarzen Meer von den Russen gekapert worden; daß aber andererseits die kaukasischen Stämme einen allgemeinen Feldzug gegen die Russen eröffnet haben, in welchem Schamyl einen glänzenden Sieg erfochten und nicht weniger als 23 Kanonen erbeutet hätte. Herr Gladstone hat nun seine geänderten Vorschläge hinsichtlich der Annoncensleuer bekanntgegeben. Um sich die Unterstützung der „Times" zu sichern, hatte er vorgeschlagen, die Gebühr für Zeitungsbeilagen, die nur Annoncen enthalten, zu streichen. Von der Öffentlichen Meinung eingeschüchtert, schlägt er jetzt vor, alle Einzelbeilagen steuerfrei zu belassen und alle Doppelbeilagen mit1^ d. zu besteuern. Man stelle sich die Wut der „Times" vor, die bei diesem abgeänderten Vorschlag nur 20000 Pfd. St. anstatt 40 000 Pfd. St. gewinnen wird und außerdem zusehen muß, wie der Markt
1 A.Richards
ihren Konkurrenten weit geöffnet wird. Dieses so konsequente Blatt, welches die Besteuerung des Wissens und damit auch die Annoncensteuer bis aufs äußerste verteidigt, widersetzt sich nun jeglicher Steuer für Zeitungsbeilagen. Aber die „Times" kann sich trösten. Wenn das Ministerium, nachdem es den größten Teil des Budgets durchgesetzt hat, keine Notwendigkeit mehr verspürt, der „Times" zu schmeicheln, so werden die Manchesterleute, sobald sie sich ihren Anteil am Budget gesichert haben, dieses Ministerium nicht langer als notwendig erachten. Das ist es gerade, was das Ministerium befürchtet, und eben diese Befürchtung erklärt die Tatsache, daß sich die Budgetdebatte über die ganze Sitzungsperiode des Parlaments erstreckt. Es ist charakteristisch für die ausgleichende Gerechtigkeit des Herrn Gladstone, daß er, während er die Zeitungsannoncensteuer von 1 sh. 6 d. auf 1 sh. 3 d. herabsetzt, vorschlägt, die Anzeigen von Neuerscheinungen, die am Schluß der meisten Bücher und Zeitschriften gebracht werden, mit 6 d. pro Stück zu besteuern. Heute abend wird das Unterhaus mit zwei Fällen von Bestechung beschäftigt sein. Während der gegenwärtigen Parlamentssession haben 47 Ausschüsse zur Untersuchung der Wählerbeeinflussung getagt, von denen 4 noch tätig sind; 43 haben ihre Untersuchungen abgeschlossen, wobei sie herausfanden, daß die Mehrzahl der Parlamentsmitglieder, denen ihre Mandate entzogen wurden, sich der Bestechung schuldig gemacht haben. Um zu zeigen, welche Achtung dieses Parlament - ein Sprößling der Korruption und der Vater von Koalitionen - in der öffentlichen Meinung genießt, genügt es, die folgenden Worte des heutigen „Morning Herald"1241 zu zitieren:
„Wenn Mangel an klarer Zielsetzung und noch mehr der zögernde, unentschlossene Angriff symptomatisch für Schwachsinn sind, dann muß zugegeben werden, daß das jetzige Parlament, dieses Sechsmonatskind, bereits in seine zweite Kindheit eingetreten ist. Ihm geht schon jetzt der Atem aus, und es zerfällt in kleine Grüppchen von mutund ziellosen Klüngeln." Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Ostindische Kompanie, ihre Geschichte und die Resultate ihres Wirkens
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3816 vom 1 I.Juli 1853] London, Freitag, 24. Juni 1853 Die Debatte über Lord Stanleys Antrag, die Indien-Gesetzgebung zu verschieben, ist bis heute abend ausgesetzt worden. Zum ersten Male seit 1783 ist die indische Frage zu einer Regierungsfrage geworden. Aus welchem Grunde? Die eigentlichen Anfänge der Ostindischen Kompanie reichen nicht weiter als bis 1702 zurück, als die verschiedenen Gesellschaften, die auf das Monopol des ostindischen Handels Anspruch erhoben, sich zu einer einzigen Kompanie zusammengeschlossen hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt war selbst das Bestehen der ursprünglichen Ostindischen Kompanie wiederholt gefährdet: einmal, zur Zeit des Protektorats Cromwells, wurde sie auf Jahre hinaus suspendiert, ein andermal, unter der Herrschaft Wilhelms III., durch Eingreifen des Parlaments mit gänzlicher Auflösung bedroht. Es war unter der Herrschaft jenes holländischenPrinzen, als die Whigs zu den eigentlichen Schöpfern des Reichtums des Britischen Reiches wurden, die Bank von England ins Leben gerufen wurde, das Schutzzollsystem in England festen Fuß gefaßt hatte und das Gleichgewicht der Kräfte in Europa endgültig hergestellt war, daß das Bestreben einer Ostindischen Kompanie durch das Parlament anerkannt wurde. Doch war diese Ära scheinbarer Freiheit in Wirklichkeit eine Ära der Monopole, die zwar nicht durch königliche Urkunden, wie zu Zeiten Elisabeths und Karls I., eingeführt, wohl aber durch Parlamentsbeschluß sanktioniert und auf das ganze Land ausgedehnt wurden. Diese Epoche in der Geschichte Englands weist in der Tat die weitgehendste Ähnlichkeit mit der Epoche Louis-Philippes in Frankreich auf. Die alte Grundaristokratie hatte eine Niederlage erlitten, dieweil die Bourgeoisie deren Platz nicht anders als
unter der Ägide der Plutokratie, der „haute finance"1, zu besetzen vermochte. Die Ostindische Kompanie schloß das einfache Volk vom Handel mit Indien zur selben Zeit aus, als das Unterhaus es seiner Vertretung im Parlament beraubte. In diesem Falle und auch in anderen Fällen sehen wir, daß der erste entscheidende Sieg der Bourgeoisie über die Feudalaristokratie mit der entschiedensten Reaktion gegen das Volk zusammenfällt, eine Erscheinung, die mehr als einen populären Schriftsteller, wie z.B. Cobbett, veranlaßt hat, die Volksfreiheit mehr in der Vergangenheit als in der Zukunft zu suchen. Das Bündnis der konstitutionellen Monarchie mit den monopolistischen Finanzinteressen, der Ostindischen Kompanie mit der „glorreichen" Revolution von 1688, wurde durch die gleiche Macht gefördert, mit deren Hilfe die liberalen Interessen und die liberale Dynastie zu allen Zeiten und in allen Ländern sich fanden und zusammenschlössen: durch die Macht der Korruption, diese erste und letzte Triebkraft der konstitutionellen Monarchie, diesen Schutzengel Wilhelms III. und bösen Geist Louis-Philippes. Wie parlamentarische Untersuchungen ergaben, erreichen die jährlichen Ausgaben der Ostindischen Kompanie unter dem Posten „Geschenke" an Regierungsmännereinem Posten, der vor der Revolution 1200 Pfd. St. nur selten überschritten hatte - bereits 1693 die Summe von 90000Pfd.St. Der Herzog von Leeds wurdebeschuldigt, eine Bestechungssumme von 5000 Pfd. St., und der tugendhafte König selbst wurde überführt, eine solche von 10000 Pfd. St. empfangen zu haben. Außer durch solche direkten Bestechungen wurden Konkurrenzgesellschaften dadurch beseitigt, daß man der Regierung enorme Darlehen zu niedrigstem Zinsfuß gewährte oder rivalisierende Direktoren dieser Gesellschaften kaufte. Die Ostindische Kompanie mußte die Macht, die sie - ebenso wie die Bank von England - durch Bestechung der Regierung erlangt hatte, nun auch ebenso wie die Bank von England - durch weitere Bestechungen aufrechterhalten. Jedesmal, wenn die Frist ihres Monopols abgelaufen war, vermochte sie eine Erneuerung ihrer Charte nur durch die Anbietung neuer Anleihen und neuer Geschenke an die Regierung zu erwirken. Die Ereignisse dieses siebenjährigen Krieges verwandelten die Ostindische Kompanie aus einer Handels- in eine Militär- und Territorial-Macht.tl37] Damals wurde der Grundstein zum gegenwärtigen Britischen Reich im Osten gelegt. Die Aktien der Ostindischen Kompanie stiegen damals auf 263 Pfd. St., und es wurden Dividenden in Höhe von 121/2% gezahlt. Doch da tauchte ein neuer Feind der Kompanie auf, zwar nicht mehr in der Gestalt rivalisierender
Gesellschaften, wohl aber rivalisierender Minister und eines rivalisierenden Volkes. Man berief sich darauf, daß das Territorium der Gesellschaft mit Hilfe der britischen Flotte und der britischen Truppen erobert worden sei und daß mithin britische Untertanen keine Souveränität über von der Krone unabhängige Territorien besitzen könnten. Damals beanspruchten die Minister und das Volk ihren Anteil an den „märchenhaften Schätzen", die - wie man annahm - die Kompanie durch die letzte Eroberung erhalten hatte. Die Kompanie rettete ihren Fortbestand nur durch ein 1767 zustande gebrachtes Übereinkommen, laut welchem sie jährlich 400000Pfd. St. an das staatliche Schatzamt zu entrichten hatte. Anstatt aber das Übereinkommen zu erfüllen und dem englischen Volk seinen Anteil auszuzahlen, geriet die Ostindische Kompanie in finanzielle Schwierigkeiten und appellierte an das Parlament um finanzielle Unterstützung. Die Folge dieses Schrittes waren erhebliche Änderungen in der Charte der Kompanie. Da sich indessen die Verhältnisse der Kompanie trotz der neuen Lage nicht gebessert und das englische Volk gleichzeitig seine Kolonien in Nordamerika verloren hatte, machte sich die Notwendigkeit, an anderer Stelle ein großes Kolonialreich zu gewinnen, immer allgemeiner fühlbar. Der illustre Fox hielt 1783 den Augenblick für gekommen, seine berühmte Indienbill einzubringen, die den Vorschlag enthielt, das Direktorium und den Aufsichtsrat abzuschaffen und die gesamte Verwaltung Indiens sieben durch das Parlament einzusetzenden Kommissären zu übertragen. Durch den persönlichen Einfluß des schwachsinnigen Königs1 auf das Oberhaus wurde jedoch der Antrag des Herrn Fox abgelehnt und dazu benutzt, die damalige Koalitionsregierung Fox-Lord North zu stürzen und den berühmten Pitt an die Spitze der Regierung zu setzen. Pitt brachte 1784 in beiden Häusern einen Gesetzentwurf zur Annahme, der die Bildung einer aus sechs Mitgliedern des Geheimen Staatsrates bestehenden Kontrollbehörde anordnete, die die Aufgabe hatte,
„alle Maßnahmen, Operationen und Angelegenheiten, die auf irgendeine Weise mit der Zivil- und Militärverwaltung, mit den Einkünften aus Ländereien und Besitztümern der Ostindischen Kompanie in Verbindung standen, zu zügeln, zu überwachen und zu kontrollieren".
Dazu bemerkt der Historiker Mill:
„Die Annahme dieses Gesetzes verfolgte einen doppelten Zweck. Um der Unterstellung zu entgehen, zu welcher der angeblich verruchte Zweck des Gesetzentwurfes des Herrn Fox Anlaß gegeben hatte, war es notwendig, den Anschein zu erwecken, als
verbliebe der Hauptteil der Macht in den Händen der Direktoren. Das Regierungsinteresse erforderte, daß ihnen in Wirklichkeit die Macht gänzlich genommen würde. Angeblich unterschied sich der Gesetzentwurf Pitts von dem seines Rivalen hauptsächlich dadurch, daß, während jener die Macht der Direktoren vernichtete, dieser sie fast unangetastet ließ. Unter dem Gesetz Fox* wäre die Macht der Minister offen zutage getreten, unter dem Pitts dagegen sollte die Macht geheim durch Trug ausgeübt werden. Der Gesetzentwurf Fox' übertrug die Macht der Kompanie auf die durch das Parlament eingesetzten Kommissäre. Der Gesetzentwurf des Herrn Pitt übertrug sie auf Kommissäre, die vom König ernannt wurden."!138]
Die Jahre 1783 und 1784 waren somit die ersten und bis auf den heutigen Tag einzigen Jahre, in denen die indische Frage eine Regierungsfrage gewesen. Nach Annahme des Pittschen Gesetzentwurfes wurde die Charte der Ostindischen Kompanie erneuert und die indische Frage für zwanzig Jahre ad acta gelegt. 1813 aber wurden alle übrigen politischen Fragen durch den Antijakobinerkrieg und 1833 durch die neu eingebrachte Reformbill[139] in den Hintergrund gedrängt. Der Hauptgrund also, daß die indische Frage vor 1784 und nachher zu keiner großen politischen Frage geworden ist, besteht darin, daß vor dieser Zeit sich die Ostindische Kompanie erst ihr Daseinsrecht und ihr Gewicht erkämpfen mußte, nach dieser Zeit aber die Oligarchie ihr soviel Macht nahm, als sie nehmen konnte, ohne gleichzeitig die Verantwortung für sie zu tragen, und endlich, noch später, das englische Volk allgemein gerade in den Jahren der Erneuerung der Charte, also 1813 und 1833, durch wichtigere Fragen in Anspruch genommen war. Nun wollen wir die Sache einmal von einer anderen Seite betrachten. Die Ostindische Kompanie begann ihre Tätigkeit damit, daß sie bloß den Versuch machte, Faktoreien für ihre Agenten und Depots für ihre Waren einzurichten. Um diese zu schützen, baute sie mehrere Forts. Obwohl sie bereits 1689 die Absicht hatte, ihre Herrschaft in Indien zu begründen und die Bodensteuer zu einer ihrer Einkommenquellen zu machen, hatte sie bis 1744 doch nur einige unwichtige Distrikte um Bombay, Madras und Kalkutta erworben. Der Krieg, der danach in Karnatik ausbrach, hatte zur Folge, daß die Kompanie nach einer Reihe von Kämpfen zum tatsächlichen Souverän dieses Teils Indiens wurde. Weit beträchtlichere Folgen hatten der Krieg in Bengalen und die Siege von Clive. Diese führten zur faktischen Besetzung von Bengalen, Bihar und Orissa. Ende des 18. und in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts folgten dann die Kriege mit Tippu Sahib, die einen bedeutenden Machtzuwachs und eine ungeheure Ausdehnung des SubsidiensystemsE1403 herbeigeführt hatten. Im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ist schließ
lieh die erste geeignete Grenze Indiens, und zwar die innerhalb der Wüste, erobert worden. Erst damit hatte das britische Weltreich im Osten jene Gegenden Asiens erreicht, die stets der Sitz jeder mächtigen Zentralgewalt Indiens gewesen waren. Doch der verwundbarste Teil des Reiches, von dem aus es noch immer, sobald ein alter Eroberer durch einen neuen vertrieben wurde, überrannt worden war, die Barriere der Westgrenze, befand sich noch nicht in den Händen der Engländer. In der Periode von 1838 bis 1849, in den Kriegen gegen die Sikhs und Afghanen, setzte sich das englische Regime durch die gewaltsame Annexion von Pandschab und Sind endgültig in den Besitz der ethnographischen, politischen und militärischen Grenzen des ostindischen KontinentsE21]. Deren Besitz war unbedingt notwendigem jede aus Mittelasien einfallende Macht zurückzuschlagen und um Rußlands Vordringen gegen die Grenzen Persiens zu verhindern. Im Laufe dieses letzten Jahrzehnts wurde das britische Hoheitsgebiet in Indien um 167000 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 8572630 Seelen vergrößert. Was das Innere des Landes anbelangt, so waren nun alle einheimischen Staaten von britischem Besitz umringt, in verschiedener Form der britischen Suzeränität unterworfen und mit der einzigen Ausnahme von Gudscharat und Sind von der Seeküste abgeschnitten. Was die äußere Gestalt Indiens betrifft, so war Indien damit vollendet. Erst seit 1849 besteht ein einheitliches großes angloindisches Reich. So kämpfte die britische Regierung zwei Jahrhunderte hindurch unter dem Decknamen der Ostindischen Kompanie, bis sie schließlich die natürlichen Grenzen Indiens erreicht hatte. Wir verstehen nun, warum alle Parteien in England, selbst jene, die entschlossen waren, nach vollendetem Arrondissement eines einheitlichen indischen Reiches ihre heuchlerischen Friedensschalmeien am lautesten ertönen zu lassen, stillschweigend zusahen. Mußten sie doch natürlich dieses Reich erst schaffen, bevor sie es zum Gegenstand ihrer unbändigen Menschenliebe machen konnten. Von diesem Gesichtspunkt verstehen wir den veränderten Aspekt der indischen Frage, heute, im Jahre 1853, im Vergleich mit allen früheren Perioden der Erneuerung der Charte. Die Dinge lassen sich nun noch aus einem anderen Gesichtswinkel betrachten. Wir werden die eigentümliche Krise der Indien-Gesetzgebung noch besser erfassen, wenn wir die Geschichte des Handelsverkehrs zwischen Großbritannien und Indien in ihren verschiedenen Phasen verfolgen. Zu Beginn ihrer Tätigkeit unter der Herrschaft Elisabeths erhielt die Ostindische Kompanie, um ihren Handel mit Indien gewinnbringend fortführen zu können, die Erlaubnis, alljährlich Silber, Gold und ausländische Münzen im Werte von 30000 Pfd.St. auszuführen, Das bedeutete den Bruch mit allen
Vorurteilen des Zeitalters, und Thomas Mun mußte in „A Discourse on Trade from England into the East Indies" die Grundlagen des „Merkantilismus" entwickeln, wobei er einräumte, daß Edelmetalle den einzigen wirklichen Reichtum eines Landes ausmachten, gleichzeitig aber behauptete, daß ihre Ausfuhr dennoch ruhig erlaubt werden dürfe, vorausgesetzt, daß die Zahlungs* bilanz für die ausführende Nation günstig sei. In diesem Sinne forderte er, daß die aus Ostindien eingeführten Waren in der Hauptsache nach solchen Ländern wieder ausgeführt würden, aus denen eine weit erheblichere Menge Edelmetall nach England hereinkomme, als für die Bezahlung jener Waren in Indien erforderlich sei. Im gleichen Sinne verfaßte Sir Josiah Child „A Treatise wherin it is demonstrated that the East India Trade is the most national Trade of all Trades". Allmählich wurden die Parteigänger der Ostindischen Kompanie kühner, und es kann als ein Kuriosum in dieser sonderbaren indischen Geschichte verzeichnet werden, daß die Monopolisten in Indien die ersten Verkünder des Freihandels in England waren. Ein Vorgehen des Parlaments gegen die Ostindische Kompanie wurde Ende des 17. und während des größeren Teils des 18. Jahrhunderts wieder verlangt, aber nicht von der Handelsklasse, sondern von der Industriellenklasse, als die Einfuhr von Baumwoll- und Seidenstoffen aus Ostindien die armen englischen Fabrikanten angeblich zugrunde richtete - eine Behauptung, die z. B. in der Schrift von John Pollexfens: „England and India inconsistent in their Manufactures", London 1697, vertreten wurde. Dieser Titel hat sich anderthalb Jahrhunderte später, wenn auch in einem ganz anderen Sinne, auf sonderbare Art bewahrheitet. Das Parlament griff hierauf ein. Durch die Regierungsakte Wilhelms III. Nr. 11 und 12, Kapitel 10, wurde angeordnet, daß das Tragen von verarbeiteter Seide wie von bedrucktem oder gefärbtem Kattun aus Indien, Persien und China verboten sei. Alle Personen, die sich im Besitz solcher Waren befänden oder solche verkauften, würden einer Geldstrafe in Höhe von 200 Pfd. St. unterworfen. Ähnliche Gesetze wurden wegen der wiederholten Beschwerden der später so „aufgeklärten" britischen Fabrikanten unter Georg I., II. und III. erlassen. So wurden also während des größeren Teils des 18. Jahrhunderts indische Manufakturwaren im allgemeinen nach England nur eingeführt, um auf dem Kontinent abgesetzt zu werden. Vom englischen Markt selbst blieben sie ausgeschlossen. Außer diesem durch die gierigen britischen Fabrikanten veranlaßten Eingreifen des Parlaments in die ostindischen Angelegenheiten wurden bei jeder Erneuerung der Charte seitens der Kaufleute von London, Liverpool und Bristol Anstrengungen gemacht, um das Handelsmonopol der Ostindi
sehen Kompanie zu durchbrechen und sich an diesem Handel, in dem man eine wahre Goldgrube erblickte, zu beteiligen. Als Folge dieser Anstrengungen wurde in das Gesetz von 1773, durch das die Charte der Ostindischen Kompanie bis zum I.März 1814 verlängert wurde, eine Bestimmung aufgenommen, laut welcher nahezu alle Waren von britischen Privatpersonen von England nach Indien ausgeführt und von Angestellten der Ostindischen Kompanie nach England eingeführt werden durften. Dieses Zugeständnis war jedoch an Bedingungen geknüpft, die seine Wirkung in bezug auf das Recht der privaten Kaufleute zur Ausfuhr nach Britisch-Indien zunichte machten. 1813 war die Ostindische Kompanie nicht mehr in der Lage, dem Druck des nicht monopolisierten Handels standzuhalten. Mit Ausnahme des Monopols für den Chinahandel wurde der Handel mit Indien unter bestimmten Bedingungen für das private Unternehmertum freigegeben. Nach der Erneuerung der Charte im Jahre 1833 fielen schließlich auch diese letzten Einschränkungen: Der Kompanie wurde jeglicher Handel verboten, ihr kommerzieller Charakter wurde völlig aufgehoben und ihr Privileg, britische Staatsangehörige vom indischen Territorium fernzuhalten, annulliert. Inzwischen machte der Handel mit Ostindien eine Reihe ernster Umwälzungen durch, die das Verhältnis der verschiedenen Klasseninteressen in England ihm gegenüber völlig veränderten. Während des gesamten 18. Jahrhunderts wurden die aus Indien nach England gebrachten Schätze weit weniger durch den verhältnismäßig geringfügigen Handel als durch direkte Ausbeutung dieses Landes und aus den aus ihm herausgepreßten, nach England überführten enormen Vermögen gewonnen. Als 1813 der Handel mit Indien freigegeben worden war, hat er sich in kürzester Zeit mehr als verdreifacht. Doch war das noch nicht alles. Der ganze Charakter des Handels wurde geändert. Bis 1813 war Indien in der Hauptsache ein exportierendes Land, während es nun zu einem importierenden wurde, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, daß der Wechselkurs, der im allgemeinen 2 sh. 6 d. für die Rupie betrug, 1823 schon auf 2 sh. für die Rupie zurückgegangen war. Indien, seit undenklichen Zeiten die gewaltigste Werkstatt für Baumwollwaren, wurde nun mit englischem Garn und englischen Baumwollstoffen überschwemmt. Hatte man die einheimische indische Produktion von England ferngehalten oder nur unter den härtesten Bedingungen zugelassen, so wurde Indien nun selbst mit englischen Waren bei niedrigem, lediglich nominellem Zoll überschwemmt. Das bedeutete den Ruin der einst so berühmten einheimischen Baumwollindustrie. 1780 betrug der Wert der nach Indien ausgeführten englischen Produkte und Manufakturwaren nur 386152 Pfd. St., der Wert der während desselben Jahres ausgeführten Edel
metalle 15041 Pfd. St. Der Gesamtwert der Ausfuhr im Jahre 1780 belief sich auf 12648616 Pfd. St., so daß der Handel mit Indien nur V32 des samten Außenhandels ausmachte. 1850 dagegen betrug die Ausfuhr aus Großbritannien und Irland nach Indien 8024000 Pfd. St., wovon auf Baumwollwaren allein 5 220000 Pfd. St. entfielen, so daß sie mehr als Vs der Gesamtausfuhr und mehr als V4 des Baumwollaußenhandels ausmachten. Die Baumwollfabriken beschäftigten nunmehr Vs der Bevölkerung Großbritanniens und lieferten V12 des gesamten Nationaleinkommens. Nach jeder Handelskrise wurde der Handel mit Ostindien von überragender Bedeutung für die englischen Baumwollfabrikanten, und der ostindische Kontinent wurde tatsächlich zu ihrem besten Absatzmarkt. In gleichem Maße, wie die Baumwollindustrie von vitaler Bedeutung für das gesamte soziale System Großbritanniens wurde, wurde Ostindien von vitaler Bedeutung für die englische Baumwollindustrie. Soweit waren die Interessen der Plutokratie, die Indien zu ihrem Grundeigentum gemacht, die Interessen der Oligarchie, die es mit ihren Armeen erobert, und die Interessen der Millokratie, die es mit ihren Fabrikaten überschwemmt hatten, Hand in Hand gegangen. Je mehr aber die britischen Industriellen vom indischen Markte abhängig wurden, um so mehr fühlten sie die Notwendigkeit, in Indien, nachdem sie dort die einheimische Industrie zerstört hatten, neue Produktivkräfte zu schaffen. Man kann nicht auf die Dauer ein Land mit seinen eigenen Erzeugnissen überschwemmen, wenn man ihm nicht ermöglicht, irgendwelche andere Produkte dafür in Austausch zu geben. Die englischen Industriellen stellten fest, daß ihr Handel abnahm, statt zuzunehmen. In den mit 1846 abschließenden vier Jahren betrug die Einfuhr aus Großbritannien nach Indien 261 Millionen Rupien. In den mit 1850 abschließenden vier Jahren betrug sie nur 253 Millionen, während die Ausfuhr aus Indien in der ersten Periode 274 Millionen Rupien, in der zweiten Periode 254 Millionen Rupien betrug. Die Industriellen stellten fest, daß die Kaufkraft für ihre Waren in Indien auf die denkbar niedrigste Stufe gesunken war, daß der Konsum ihrer Produkte in Britisch-Westindien etwa 14 sh. im Jahre pro Kopf der Bevölkerung ausmachte, in Chile 9sh. 3 d., in Brasilien 6 sh. 5 d., in Kuba 6 sh. 2 d., in Peru 5 sh. 7 d., in Zentralamerika 10 d., in Indien hingegen nur etwa 9 d. Dann kam die Baumwollmißernte in den Vereinigten Staaten, die den britischen Industriellen 1850 einen Verlust von 11 Millionen Pfd. St. verursachte, und sie waren erbittert, daß sie von Amerika abhängig waren und nicht statt dessen aus Ostindien Rohbaumwolle in ausreichenden Mengen erhielten. Außerdem fanden sie, daß sie bei allen Versuchen, in Indien Kapital anzulegen, auf Hindernisse und Schikanen
seitens der britischen Behörden in Indien stießen. So wurde Indien zum Schlachtfeld im Kampfe zwischen dem Industriekapital auf der einen und der Plutokratie und Oligarchie auf der anderen Seite. Die britischen Industriellen, ihres überwiegenden Einflusses in England sicher, verlangen jetzt die Vernichtung dieser ihnen feindlich gegenüberstehenden Mächte in Indien, die Zerstörung des dortigen gesamten alten Verwaltungsapparates und die endgültige Beseitigung der Ostindischen Kompanie. Nun zum vierten und letzten Gesichtspunkt, von dem aus die indische Frage beurteilt werden muß. Seit 1784 sind die indischen Finanzschwierigkeiten immer größer geworden. Es besteht jetzt eine Staatsschuld von 50 Millionen Pfd. St., eine ständige Abnahme der Einnahmequellen und eine entsprechende Zunahme der Ausgaben. Ein zweifelhaftes Gleichgewicht wird durch das ungewisse Einkommen aus der Opiumsteuer erzielt, das gegenwärtig dadurch, daß die Chinesen anfangen, selbst Mohn anzubauen, von Vernichtung bedroht wird. Die infolge des sinnlosen Krieges gegen BirmaJ141J zu erwartenden Ausgaben verschärfen und erschweren die Lage noch mehr.
„Wie die Dinge liegen", sagt Herr Dickinson, „würde der Verlust des indischen Reiches den Ruin Englands bedeuten - während die Notwendigkeit, es zu erhalten, unsere eigenen Finanzen mit Ruin bedroht."
Ich habe damit gezeigt, wie die indische Frage zum erstenmal seit 1783 zu einer englischen Frage und einer Regierungsfrage geworden ist.
Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die indische Frage - Das irische Pachtrecht
t„New-York Daily Tribüne" Nr. 3816 vom 11. Juli 1853] London, 28. Juni 1853 Die Debatte über Lord Stanleys Antrag bezüglich Indien, die am 23. begonnen, am 24. fortgesetzt und auf den 27. d. M. vertagt wurde, ist nicht zum Abschluß gebracht worden. Wenn dies schließlich soweit sein wird, will ich meine Darlegungen über die indische Frage fortsetzen. Da das Koalitionsministerium von der Unterstützung der irischen Partei abhängt und da alle anderen Parteien, aus denen sich das Unterhaus zusammensetzt, sich so schön das Gleichgewicht halten, daß die Iren in jedem Augenblick die Waage ganz nach Wunsch so oder so ausschlagen lassen können, ist man dabei, den irischen Pächtern schließlich einige Konzessionen zu machen. Die „Pächterentschädigungsbill" (Irland), die am vorigen Freitag vom Unterhaus angenommen wurde, enthält eine Klausel, wonach der Pächter für die Verbesserungen, die am Boden vorgenommen wurden und solchen, die vom Boden trennbar sind, am Ende seiner Pachtzei't eine Entschädigung in Geld erhalten soll, wobei es dem neuen Pächter freigestellt sein soll, sie zum Taxwert zu übernehmen, während bei den Verbesserungen des Bodens die Entschädigung dafür zwischen dem Grundherrn und dem Pächter durch Kontrakt vereinbart werden soll. Wenn ein Pächter in der einen oder anderen Form sein Kapital der Erde einverleibt und dadurch eine Verbesserung des Bodens bewirkt hat, entweder direkt durch Bewässerung, Dränierung oder Dünger, oder indirekt durch den Bau von Gebäuden für landwirtschaftliche Zwecke, dann erscheint der Grundherr und verlangt mehr Pacht. Wenn der Pächter einwilligt, so muß er dem Grundherrn die Zinsen für sein eigenes Geld zahlen. Wenn er es ablehnt, wird er ohne große Umstände hinausgeworfen und durch einen neuen
Pächter ersetzt, der nun durch die Ausgaben, die sich seine Vorgänger auferlegt haben, imstande ist, einen höheren Pachtzins zu zahlen, bis auch er seinerseits ein Verbesserer des Bodens geworden ist und in derselben Weise ersetzt oder schlechteren Bedingungen unterworfen wird. Auf diese bequeme Weise ist eine ganze Klasse von Grundherren, die nicht auf ihren Besitzungen lebt, in die Lage versetzt worden, sich nicht nur die Arbeit, sondern auch das Kapital ganzer Generationen anzueignen; und jede Generation der irischen Bauern sinkt auf der sozialen Stufenleiter eine Stufe tiefer, genau im Verhältnis zu den Mühen und Opfern, die von ihnen für die Hebung ihrer Lebensverhältnisse und die ihrer Familien gebracht worden sind. War der Pächter fleißig und hatte er Unternehmungsgeist gezeigt, so wurde er auf Grund eben dieses Fleißes und seines Unternehmungsgeistes zusätzlich besteuert. Wurde er dagegen untätig und nachlässig, so warf man ihm die „angeborenen Fehler der keltischen Rasse" vor. Er hatte also keine andere Alternative, als ein Pauper zu werden sich arm zu machen durch Fleiß oder arm zu werden durch Gleichgültigkeit. Gegen diese Zustände wurde das „Pachtrecht" in Irland verkündet - das Recht des Pächters nicht auf den Boden, sondern nur auf die Verbesserungen des Bodens, die auf seine Kosten und zu seinen Lasten bewerkstelligt wurden. Wir wollen sehen, wie die „Times"t26] in ihrem Leitartikel vom Sonnabend dieses irische „Pachtrecht" zu hintertreiben versucht11421:
„Es gibt zwei vorherrschende Formen der Pachtung: Entweder kann ein Pächter den Boden für eine genau festgesetzte Anzahl von Jahren pachten, oder seine Pachtung kann zu jeder Zeit auf Grund eines Kündigungsbescheids als ungültig betrachtet werden. Im ersten Falle wäre es sicher sein Bestreben, seine Ausgaben so anzupassen und zu bemessen, daß der gesamte oder fast der gesamte Nutzen ihm vor Ablauf seiner Pachtfrist zugute käme. Im zweiten Fall scheint es ebenso klar, daß er nicht das Risiko einer Kapitalanlage ohne angemessene Sicherheit auf sich nimmt."
Wo die Grundherren es mit einer Klasse großer Kapitalisten zu tun haben, die ihre Gelder ganz nach Wunsch im Handel, in der Industrie oder in der Landwirtschaft anlegen kann, kann es keinen Zweifel darüber geben, daß diese Pächterkapitalisten, ob sie nun auf lange Zeit oder überhaupt nicht auf Zeit pachten, genau wissen, wie sie zu einer „anständigen" Erstattung ihrer Auslagen kommen. Aber in Hinblick auf Irland ist diese Annahme eine reine Fiktion. Dort gibt es einerseits eine kleine Klasse von Landmonopolisten, und andrerseits eine sehr große Klasse von Pächtern mit sehr kleinen Vermögen, die sie nicht auf verschiedene Arten anlegen kann, da ihr kein anderer Produktionszweig offensteht als die Landwirtschaft. Sie sind deshalb
gezwungen, tenants-at-will1 zu werden. Sind sie erst einmal tenants-at-will geworden, so laufen sie natürlich Gefahr, ihre Einnahmen zu verlieren, vorausgesetzt, daß sie nicht ihr kleines Kapital investieren. Und wenn sie es investieren, um ihre Einnahmen zu sichern, dann laufen sie Gefahr, auch ihr Kapital zu verlieren.
„Vielleicht", so fährt die „Times" fort, „wird man uns erwidern, es komme kaum vor, daß eine Pachtzeit abläuft, ohne daß irgend etwas auf dem Boden zurückbleibt, was nicht in dieser oder jener Form Eigentum des Pächters ist und wofür er nicht eine Entschädigung erhalten sollte. In dieser Bemerkung steckt ein Körnchen Wahrheit, aber eine solche Forderung sollte unter normalen gesellschaftlichen Verhältnissen zwischen Grundherrn und Pächter leicht geregelt werden, wie sie auch auf alle Fälle im ursprünglichen Kontrakt berücksichtigt werden könnte. Wir meinen jedoch, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse diese Abmachungen regulieren sollten, weil wir glauben, daß kein Parlamentsakt solch einen Faktor ersetzen kann."
Wirklich, unter „normalen gesellschaftlichen Verhältnissen" möchten wir keine parlamentarische Einmischung in die Angelegenheiten der irischen Landpächter, wie wir auch nicht wollen, daß sich unter „normalen gesellschaftlichen Verhältnissen" der Soldat, der Polizist und der Henker einmischen. Gesetzgebung, Obrigkeit und Militär sind also nur das Ergebnis anomaler gesellschaftlicher Verhältnisse und verhindern eben die Herstellung solcher Verhältnisse zwischen den Menschen, welche die zwangsweise Einmischung einer übergeordneten dritten Macht überflüssig machen würden. Aber vielleicht ist die „Times" zu einer sozialen Revolutionärin geworden? Vielleicht will sie statt „Parlamentsakten" eine soziale Revolution, welche die „gesellschaftlichen Verhältnisse" und die vonihr ausgehenden „Abmachungen" reorganisiert? England hat die gesellschaftlichen Verhältnisse Irlands umgestoßen. Zuerst konfiszierte es das Land, dann unterdrückte es die Industrie durch „Parlamentsakte", und schließlich brach es die Aktivität und die Energie des irischen Volkes mit Waffengewalt. Und so schuf England die abscheulichen „gesellschaftlichen Verhältnisse", die es einer kleinen Kaste räuberischer Adeliger erlaubte, dem irischen Volk die Bedingungen zu diktieren, unter welchen es sein Land bebauen und bewohnen darf. Noch zu schwach, diese „gesellschaftlichen Verhältnisse" durch Revolution zu verändern, appelliert das Volk an das Parlament und bittet darum, daß sie wenigstens gemildert und geordnet werden. Aber „nein", sagt die „Times"; wenn ihr nicht unter normalen gesellschaftlichen Verhältnissen lebt, dann kann das Parlament sie nicht bessern. Und wenn das irische Volk, auf den Rat der
1 nach Engels: Pächter, der^n Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte
„Times" hin, morgen versuchen wollte, seine gesellschaftlichen Verhältnisse zu bessern, wäre die „Times" die erste, die nach Bajonetten rufen und blutrünstige Verwünschungen über „die angeborenen Fehler der keltischen Rasse" von sich geben würde, die der angelsächsischen Vorliebe für friedlichen Fortschritt und Verbesserungen auf gesetzlichem Wege entbehren.
„Wenn ein Grundherr4', sagt die „Times", „mutwillig einen Pächter schädigt, wird er es um so schwerer haben, einen anderen zu finden; und da seine Beschäftigung darin besteht, Land zu verpachten, wird er es um so schwerer haben, Land zu verpachten."
In Irland sieht die Sache aber ganz anders aus. Je mehr ein Grundherr einen Pächter schädigt, um so leichter wird er es haben, einen anderen zu unterdrücken. Der neue Pächter ist das Mittel, um den vertriebenen zu schädigen, und der vertriebene ist das Mittel, um den neuen niederzuhalten. Daß mit der Zeit der Grundherr, abgesehen davon, daß er den Pächter schädigt, sich auch selbst schädigt und ruiniert, ist nicht nur wahrscheinlich, sondern Tatsache in Irland - eine Tatsache, die jedoch dem ruinierten Pächter nur einen sehr schwachen Trost gewährt.
„Die Beziehungen zwischen dem Grundherrn und dem Pächter sind die zwischen zwei Händlern", sagt die „Times".
Dies ist genau die petitio principii1, die durch den ganzen Leitartikel der „Times" geht. Der arme irische Pächter gehört dem Boden, während der Boden dem englischen Lord gehört. Ebenso könnte man die Beziehungen zwischen dem Räuber, der seine Pistole vorhält, und dem Reisenden, der seine Börse hinstreckt, eine Beziehung zwischen zwei Händlern nennen. „Aber", sagt die „Times", „tatsächlich wird die Beziehung zwischen irischen Grundherren und Pächtern bald durch einen Umstand, der wirkungsvoller als die Gesetzgebung ist, reformiert werden. Das ländliche Eigentum Irlands geht augenblicklich schnell in neue Hände über, und wenn die Auswanderung in diesem Maße anhält, muß seine Kultivierung dieselbe Umwandlung erfahren." Hier wenigstens sagt die „Times" die Wahrheit. Das britische Parlament schreitet nicht in dem Augenblick ein, wenn das überlebte alte System im allgemeinen Ruin endet, sowohl das des haushälterischen Grundherrn als auch das des bedürftigen Pächters, da jener durch den Hammer des Zwangsvollstreckungsausschusses vernichtet und dieser durch Zwangsemigration vertrieben wird. Das erinnert uns an den alten Sultan von Marokko. Immer, wenn er einen Fall hatte, der zugunsten keiner Partei entschieden werden
1 Ein auf einer falschen oder erst zu beweisenden Voraussetzung beruhender Trugschluß; Scheinbegründung •
konnte, hatte er kein „wirksameres Mittel", um den Streit beizulegen, als beide Parteien zu töten. „Nichts könnte zu größerer Verwirrung führen", so schließt die „Times" im Hinblick auf das Pachtrecht, „als solch eine kommunistische Aufteilung des Besitzes. Die einzige Person, die ein Recht auf das Land hat, ist der Grundherr." Die „Times" scheint während des vergangenen halben Jahrhunderts der schlafende Epimenides gewesen zu sein und niemals etwas von der heißen Kontroverse gehört zu haben, die über die Anrechte der Grundherren während der ganzen Zeit geführt wird, nicht etwa zwischen Sozialreformern und Kommunisten, sondern zwischen eben den Ökonomen der britischen Bourgeoisie. Ricardo, der Schöpfer der modernen politischen Ökonomie in Großbritannien, bestritt nicht das „Recht" der Grundherren, da er völlig überzeugt war, daß ihre Ansprüche auf den tatsächlichen Verhältnissen beruhen und nicht auf dem Recht und daß die politische Ökonomie im allgemeinen nichts mit Fragen des Rechts zu tun hat; aber Ricardo griff das Landmonopol auf eine anspruchslosere, doch wissenschaftlichere und deshalb gefährlichere Art an. Er bewies, daß das Privateigentum am Boden, im Unterschied zu den entsprechenden Ansprüchen des Landarbeiters und des Landpächters, in dem ganzen System der modernen Produktion ein völlig überflüssiges Verhältnis darstellt und mit diesem System auch gar keinen Zusammenhang hat, daß die Bodenrente - der ökonomische Ausdruck dieser Beziehung - mit großem Vorteil vom Staate übernommen werden könnte; und schließlich, daß die Interessen der Grundherren im Gegensatz zu den Interessen aller anderen Klassen der modernen Gesellschaft stehen. Es würde zu weit führen, wollte man all die Schlußfolgerungen aufzählen, die aus diesen Prämissen von der Ricardo-Schule gegen das Landmonopol gezogen wurden. Für meine Zwecke wird es genügen, wenn ich drei der jüngsten Autoritäten auf dem Gebiet der Ökonomie Großbritanniens zitiere. Der Londoner „Economist"[22], dessen Chefredakteur, Herr J.Wilson, nicht nur ein Free-Trade-Orakel, sondern auch ein Whig-Orakel ist, und nicht nur ein Whig-, sondern auch ein unvermeidliches Anhängsel der Schatzkammer in jedem Whig- oder Koalitionsministerium, hat in mehreren Artikeln die Ansicht verfochten, daß es genaugenommen kein Recht geben könne, das irgendeinem Individuum oder irgendeiner Gruppe von Individuen gestatte, ausschließlichen Anspruch auf das Eigentum am Boden der Nation zu erheben. Herr Newman sagt in seinen „Lectures on Political Economy", London 1851, die nach offenem Eingeständnis geschrieben wurden, um den Sozialismus zu widerlegen:
11 Marx/Engels. Werke, Bd. 9
„Niemand hat oder kann ein natürliches Recht auf Land haben, es sei denn für die Zeit, in der er es persönlich bewirtschaftet. Sein Recht bezieht sich auf die Nutzung und nur auf die Nutzung. Jedes andere Recht ist das Produkt künstlicher Gesetze" (oder Parlamentsakte, wie die „Times" es nennen würde) Wenn zu irgendeiner Zeit das Land nicht ausreicht, um darauf zu leben, erlischt das Recht privater Besitzer, es zu behalten."
Das ist genau der Fall in Irland, und Herr Newman bestätigt ausdrücklich die Anrechte der irischen Pächterschaft, und das sogar in Vorträgen, die vor dem auserlesensten Publikum der englischen Aristokratie gehalten wurden. Zum Schluß gestatten Sie mir, einige Seiten aus Herbert Spencers Werk „Social Statics", London 1851, zu zitieren, das ebenfalls vorgibt, eine vollständige Widerlegung des Kommunismus zu sein, und als die am sorgfältigsten ausgearbeitete Weiterentwicklung der Freihandelsdoktrinen des heutigen Englands anerkannt wird.
„Niemand darf das Land in solcher Weise nutzen, daß er die übrigen daran hindert, es ebenso zu nutzen. Die Gerechtigkeit erlaubt deshalb kein Eigentum am Boden, oder die übrigen würden auf der Erde nur geduldet leben. Die Menschen ohne Landbesitz könnten auf Grund eines solchen Rechts sogar ganz und gar von der Erde vertrieben werden... Es kann niemals behauptet werden, daß die vorhandenen Anrechte auf solchen Besitz legitim sind. Sollte jemand es doch glauben, dann soll er einen Blick in die Chroniken werfen. Die entsprechenden Urkunden wurden eher mit dem Schwert als mit der Feder geschrieben. Nicht Juristen, sondern Soldaten waren die Notare; Schwerthiebe waren die gängige Münze, mit der bezahlt wurde; und als Siegel wurde Blut statt Wachs genommen. Konnten gültige Ansprüche so begründet werden? Wohl kaum. Und wenn nicht, was wird aus den Ansprüchen aller nachfolgenden Besitzer von Gütern, die auf diese Weise erworben wurden? Schafft Verkauf oder Vermächtnis Recht dort, wo es vorher nicht bestanden hat? ... Wenn ein Akt der Übertragung keinen Anspruch verschaffen kann, können es dann viele Akte tun? ... Bei welcher Höhe der Jahressteuer werden ungültige Ansprüche gültig? ... Das Recht der ganzen Menschheit auf die Oberfläche der Erde gilt noch, trotz aller Urkunden, herkömmlichen Gebräuche und Gesetze. Es ist unmöglich, einen Modus zu finden, nach dem Land Privateigentum werden kann... Wir lehnen den Landlordismus täglich durch unsere Gesetzgebung ab. Soll ein Kanal, eine Eisenbahnlinie oder eine Chaussee angelegt werden? Wir haben keine Bedenken, so viele Morgen Land mit Beschlag zu belegen, wie erforderlich sein mögen. Wir warten nicht erst die Einwilligung ab... Der erforderliche Wechsel wäre einfach ein Wechsel der Besitzer des Landes... Statt daß das Land im Besitz von Einzelpersonen ist, würde es einer großen Körperschaft - der Gesellschaft - gehören. Anstatt seine Äcker von einem einzelnen Besitzer zu pachten, würde der Pächter sie von der Nation pachten. Anstatt seine Pacht dem Verwalter von Sir John oder an Seine Gnaden zu zahlen, wird er sie einem Verwalter oder einem stell
vertretenden Verwalter der Gemeinde zahlen. Verwalter waren öffentliche Angestellte an Stelle von privaten, und die Pacht die einzige Form des Grundbesitzes... Wenn man es bis zur letzten Konsequenz weiterdenkt, so führt der Anspruch auf ausschließlichen Besitz von Boden zur Despotie von Grundbesitzern."
So haben sogar vom Standpunkt der modernen englischen Ökonomen nicht etwa die englischen Grundherren, die sich widerrechtlich Besitz aneigneten, sondern die irischen Pächter und Landarbeiter das alleinige Recht auf Boden in ihrem Heimatland, und die „Times", die sich gegen die Forderungen des irischen Volkes ausspricht, steht damit in direktem Gegensatz zur englischen bürgerlichen Wissenschaft. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die russische Politik gegenüber der Türkei Die Arbeiterbewegung in England*431
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3819 vom 14. Juli 1853] London, Freitag, I.Juli 1853 Seit 1815 haben die Großmächte Europas nichts so sehr gefürchtet wie eine Verletzung des Status quo. Aber jeder Krieg zwischen zwei dieser Mächte bringt den Umsturz des Status quo mit sich. Das ist der Grund, weshalb Rußlands Übergriffe im Osten geduldet wurden und weshalb man von Rußland dafür nie etwas anderes forderte, als daß es den Westmächten einen, wenn auch noch so absurden, Vorwand bot, neutral zu bleiben und der Notwendigkeit enthoben zu sein, Rußlands Übergriffe zurückzuweisen. Rußland wurde von jeher wegen der Geduld und Großmut seines „erhabenen Herrschers" gepriesen, der sich nicht nur herabließ, die nackte, schmachvolle Unterwürfigkeit der Kabinette des Westens zu decken, sondern auch noch die Großherzigkeit besaß, die Türkei nur Stück für Stück, statt auf einmal zu verschlucken. Die russische Diplomatie beruhte also auf der Feigheit der Staatsmänner des Westens, und ihre diplomatische Kunst ist allmählich so sehr zu einer ausgesprochenen Manier geworden, daß man die Geschichte der jetzigen Transaktionen fast buchstäblich in den Annalen früherer Jahre verfolgen kann. Die Haltlosigkeit der neuesten Vorwände Rußlands wird dadurch offenkundig, daß der Sultan1 in seinem neuen Ferman an den Patriarchen von Konstantinopel in religiösen Dingen sogar mehr zugestand, als der Zar verlangt hatte. War vielleicht die „Pazifikation Griechenlands"1144 ] ein stichhaltigerer Vorwand? Als Herr de Vill&le seinerzeit, um die Vorahnungen des Sultans2 zu beruhigen und eine Probe der guten Absichten der Großmächte
zu geben, vorschlug, daß „die Alliierten vor allen Dingen einen Vertrag schließen sollten, der dem Ottomanischen Reich seinen Status quo sichern würde", widersetzte sich der russische Gesandte in Paris1 diesem Vorschlag aufs äußerste, indem er versicherte, daß
„Rußland, obwohl es in seinen Beziehungen zur Pforte Großmut übe und den allergrößten Respekt vor den Wünschen seiner Bundesgenossen hege, nichtsdestoweniger genötigt gewesen sei, sich die Austragung seiner eigenen Differenzen mit dem Diwan ausschließlich selbst vorzubehalten; daß eine allgemeine Bürgschaft für das Ottomanische Reich, abgesehen davon, daß sie ungewöhnlich und überraschend wäre, die Gefühle seines Herrn und dessen erworbene Rechte sowie die Grundsätze, auf denen diese beruhten, verletzen müßte".tl45J
Rußland erhebt jetzt Anspruch darauf, die Donaufürstentümer zu besetzen, ohne der Pforte das Recht zu geben, diesen Schritt als Casus belli zu betrachten. Rußland verlangte 1827, „die Moldau und die Walachei im Namen der drei Mächte zu okkupieren". Rußland proklamierte in seiner Kriegserklärung am 2. April 1828:
„Meine Alliierten werden mich immer bereit finden, meine Schritte zur Ausführung des Londoner Verträgst146! mit den ihrigen zu vereinigen: stets werde ich bestrebt sein, an einem Werk mitzuarbeiten, das durch unsere Religion und alle der Menschheit heiligen Gefühle unserer tätigen Mithilfe empfohlen wird, und immer werde ich meine jetzige Stellung nur dazu benützen, die Ausführung des Vertrags vom 6. Juli zu beschleunigen."
Hingegen verkündigte Rußland in seinem Manifest vom 1 .Oktober 1829:
„Rußland hat sich konsequent von jedem Wunsche nach Eroberungen, jedem Verlangen nach Gebietsvergrößerung ferngehalten."
Der russische Gesandte in Paris schrieb an den Grafen Nesselrode:
„Als das kaiserliche Kabinett die Frage erwog, ob der Zeitpunkt gekommen sei, gegen die Pforte die Waffen zu erheben, mögen vielleicht Zweifel an der Dringlichkeit dieser Maßnahme bestanden haben, besonders in den Augen derjenigen, die nicht genügend über die Wirkungen der blutdürstigen Reformen nachgedacht hatten, die das Oberhaupt des Ottomanischen Reiches soeben mit solch furchtbarer Gewalt durchgeführt hat. Der Kaiser hat das türkische System auf die Probe gestellt, und Seine Majestät hat herausgefunden, daß es Anfänge Von physischer und moralischer Organisation aufweist, die es bisher nicht besaß. Wenn der Sultan schon jetzt in der Lage war, uns einen
entschlosseneren und besser organisierten Widerstand entgegenzusetzen, wo er noch kaum die Grundzüge zu seinen neuen Reformplänen und Verbesserungen geschaffen hatte, wie schrecklich wäre er uns erst gewesen, wenn er Zeit gehabt hätte, alles mehr zu festigen. Nachdem die Dinge einmal so weit gediehen waren, müssen wir uns glücklich schätzen, daß wir zum Angriff schritten, ehe die Gefahr für uns noch größer wurde; jeder Aufschub hatte unsere Situation verschlimmert und uns noch größere Hindernisse bereitet als die, mit denen wir ohnehin schon zu kämpfen haben."
Rußland schlägt heute vor, zuerst zum Angriff vorzugehen und dann erst darüber zu reden. 1829 schrieb Fürst Lieven an den Grafen Nesselrode:
„Wir werden uns nur auf allgemeine Dinge beschränken, denn jede ausführliche Mitteilung über einen so heiklen Gegenstand könnte wirkliche Gefahren heraufbeschwören; und wenn wir einmal mit unseren Alliierten die Artikel des Vertrages mit der Pforte erörtern, so werden wir sie nur dadurch zufriedenstellen, wenn wir ihnen die Einbildung lassen, daß sie uns nie wieder gutzumachende Opfer auferlegt haben. Nur in unserem eigenen Lager darf der Friede unterzeichnet werden, und erst wenn er geschlossen ist, darf Europa die Bedingungen erfahren. Zum Widerspruch wird es dann zu spät sein, und es wird sich dann geduldig in das fügen, was es nicht mehr hindern kann."
Rußland hat nun mehrere Monate lang unter allen möglichen Vorwänden jede Aktion verzögert, um die Dinge in einem Zustand zu erhalten, der, da er weder Krieg noch Frieden ist, für Rußland erträglich, für die Türkei aber verderblich ist. Genauso handelte Rußland zu jener Zeit, auf die wir vorhin anspielten. Pozzo di Borgo äußerte sich darüber folgendermaßen:
„Unsere Politik besteht darin, darauf zu achten, daß in den nächsten vier Monaten nichts geschieht, und ich hoffe, daß uns das gelingt, denn die Menschen ziehen es im allgemeinen vor, abzuwarten; der fünfte Monat aber muß reich an Ereignissen werden."
Nachdem der Zar die türkische Regierung mit den größten Beleidigungen überhäuft hat, und obwohl er ihr jetzt gewaltsam die demütigendsten Zugeständnisse abnötigen will, macht er doch viel Wesens aus seiner „Freundschaft für den Sultan Abdulmedschid" undseiner Fürsorge, „das Ottomanische Reich zu erhalten". Den Sultan macht er dafür „verantwortlich", daß jener sich seinen „gerechten Forderungen" widersetzt, „seine Freundschaft und seine Gefühle fortgesetzt verletzt", seine „Note" zurückgewiesen und sein „Protektorat" abgelehnt habe. Als Pozzo di Borgo 1828 von Karl X. befragt wurde, warum die Russen in dem damaligen Feldzug solch einen Mißerfolg aufzuweisen hatten, antwortete er: Der Kaiser, der den Krieg ohne zwingende Notwendigkeit nicht
a Toutrance1 hatte führen wollen, hätte gehofft, der Sultan werde sich an dieser Großmut ein Beispiel nehmen; dieses Experiment sei nun aber fehlgeschlagen. Kurz bevor Rußland in die jetzigen Differenzen mit der Pforte geriet, hatte es versucht, in der Frage der politischen Flüchtlinge eine gemeinsame Koalition aller Kontinentalmächte gegen England zustande zu bringen, und als ihm das mißlang, versuchte es, sich mit England gegen Frankreich zu verbünden. In ähnlicher Weise schüchterte es in den Jahren 1826 bis 1828 Österreich mit den „ehrgeizigen Plänen Preußens" ein, indem es gleichzeitig alles tat, was in seiner Macht stand, um Preußens Macht und Ansprüche zu steigern, so daß es in den Stand gesetzt würde, Österreich die Waage zu halten. In seiner jetzigen Zirkularnote11471 bezeichnet Rußland Bonaparte wegen seiner Ansprüche auf die Heiligen Stätten als den einzigen Friedensstörer. Damals aber schrieb Rußland, wie Pozzo di Borgo erzählt,
„alle Erschütterungen in ganz Europa den Intrigen des Fürsten Metternich zu" und wollte „sogar dem Herzog von Wellington begreiflich machen, daß die Aufmerksamkeit, die er dem Wiener Kabinett schenkt, seinen Einfluß allen anderen Kabinetten gegenüber schmälern könnte; Rußland versuchte den Dingen eine solche Wendung zu geben, daß schon nicht mehr Rußland eine Vereinbarung zwischen Frankreich und Großbritannien anstrebt, sondern Großbritannien, das früher ein Bündnis mit Frankreich zurückgewiesen hatte, um sich dem Wiener Kabinett zu nähern". Rußland würde sich also jetzt einer großen Demütigung aussetzen, wenn es sich zurückzöge. Genauso war seine Situation nach dem ersten erfolglosen Feldzug von 1828. Was war nun damals sein vornehmstes Ziel? Lassen wir seine Diplomaten antworten:
„Ein zweiter Feldzug ist unerläßlich, um die zum Erfolg der Verhandlungen notwendige Superiorität zu erlangen. Wenn diese Verhandlungen stattfinden, so müssen wir in der Lage sein, die Bedingungen rasch und energisch zu diktieren... Seine Majestät würde sich herbeilassen, um so weniger zu fordern, je mehr Macht man ihm einräumte. Diese Superiorität zu erlangen, muß meiner Meinung nach das Ziel aller unserer Anstrengungen sein. Diese Superiorität ist heute zur Bedingung unserer politischen Existenz geworden, die wir in den Augen der Welt festigen und aufrechterhalten müssen."
Aber fürchtet Rußland nicht die gemeinsame Aktion Frankreichs und Englands? Sicherlich. In den unter Louis-Philippe veröffentlichten geheimen Aufzeichnungen über die Mittel, die Rußland besitzt, um das Bündnis zwischen Frankreich und England zu zerstören, findet sich nachstehende Stelle:
„Im Falle eines Krieges, in dem Frankreich mit England zusammenginge, gibt sich Rußland keiner Hoffnung auf Erfolg hin, es sei denn, dieses Bündnis würde aus
einandergehen, so daß zumindest England einwilligte, wahrend eines kontinentalen Konflikts neutral zu bleiben."
Die Frage ist: Glaubt Rußland an eine gemeinsame Aktion Englands und Frankreichs? Wir wollen nochmals Pozzo di Borgos Depeschen zitieren:
„Von dem Moment an, wo die Idee von dem Untergang des Türkischen Reiches die Gemüter nicht mehr beschäftigt, ist es nicht wahrscheinlich, daß die englische Regierung einen allgemeinen Krieg riskieren würde, um dem Sultan die Einwilligung in diese oder jene Bedingung zu ersparen, besonders bei dem Stand der Dinge zu Beginn einer nahenden Kampagne, wo alles noch unbestimmt und ungewiß sein wird. Diese Erwägungen würden uns die Annahme gestatten, daß wir keine Ursache haben, einen offenen Bruch seitens Großbritanniens zu fürchten; dieses wird sich damit begnügen, der Pforte zu raten, um Frieden zu bitten, und soweit als tunlich seine guten Dienste während der Verhandlungen zur Verfügung zu stellen, wenn solche stattfinden sollten; sollte der Sultan sich weigern oder wir auf unserem Willen bestehen, so wird England nichts weiter tun."
Wie Nesselrode von dem „guten" Aberdeen, dem Minister von 1828 und 1852, denkt, kann man am besten aus folgender Depesche des Fürsten Lieven ersehen:
„Lord Aberdeen wiederholte bei unserer Zusammenkunft die Versicherung, daß es England niemals eingefallen sei, mit Rußland Streit zu suchen; er fürchte, man verstehe in St.Petersburg die Haltung der englischen Minister nicht; er selbst sei in einer sehr heiklen Position. Die öffentliche Meinung habe immer die Tendenz, sich gegen Rußland zu erregen. Die britische Regierung könne ihr nicht unausgesetzt Trotz bieten; und es wäre gefährlich, sie gerade in solchen Fragen herauszufordern, die so eng mit den nationalen Vorurteilen verknüpft seien. Andererseits aber könne Rußland mit dem vollsten Vertrauen auf die freundlichen Gefühle des englischen Ministeriums zählen, das gegen diese Vorurteile ankämpfe."
Was uns bei der Note des Grafen Nesselrode vom 1 I.Juni am meisten in Erstaunen versetzt, ist nicht „die unverschämte Mischung aus Zusicherungen, die durch die Tat Lügen gestraft werden, und aus Drohungen, die sich hinter Deklamationen verstecken", sondern es ist die Art des Empfangs, die Europa zum ersten Male einer russischen diplomatischen Note zuteil werden läßt. Statt der gewohnten Bewunderung und Ehrfurcht hat dieses Mal der Westen, der über die Vergangenheit errötete, dieser unverschämten Mischung von Anmaßung, Durchtriebenheit und wahrhafter Barbarei ein verächtliches Lachen gezollt. Und doch war Nesselrodes Zirkularnote und das „Ultimatissimum" vom 16. Juni nicht um ein Haar schlimmer als die so vielbewunderten Meisterwerke des Pozzo di Borgo und des Fürsten Lieven.
Graf Nesselrode war damals, was er heute ist, das diplomatische Haupt Rußlands. Es gibt eine drollige Geschichte von zwei persischen Naturforschern, die einen Bären untersuchten. Der eine, der noch niemals vorher solch ein Tier gesehen, fragte, ob es lebendige Junge würfe oder Eier lege. Der andere, der besser informiert war, erwiderte: „Dieses Tier ist zu allem fähig." Gewiß, auch der russische Bär ist zu allem fähig, besonders solange er weiß, daß die anderen Tiere, mit denen er zu tun hat, zu nichts fähig sind. En passant1 möchte ich noch den bedeutenden Sieg erwähnen, den Rußland in Dänemark eben errang, wo die königliche Botschaft mit einer Majorität von 119 zu 28 Stimmen durchging. Sie folgt hier im Wortlaut:
„In Gemäßheit des §4 des Grundgesetzes vom 5.Juni 1849 gibt das vereinigte Parlament seinerseits seine Zustimmung zu der von Seiner Majestät beabsichtigten Ordnung der Thronfolge für die ganze dänische Monarchie, übereinstimmend mit der königlichen Botschaft hinsichtlich der Erbfolge vom "4. Oktober 1852, erneuert am 13. Juni .1853."
Streiks und Koalitionen der Arbeiter entwickeln sich rapide und in einem beispiellosen Ausmaße. Ich habe jetzt Berichte vor mir liegen über die Streiks der Fabrikarbeiter aller Arten in Stockport; der Schmiede, Spinner, Weber usw. in Manchester; der Teppichweber in Kidderminster; der Bergleute aus den Ringwood-Kohlengruben in der Nähe von Bristol; der Weber in Blackburn und Darwen; der Tischler in Boston; der Bleicher, Appretierer, Färber und Maschinenstuhlweber von Bolton und Umgebung; der Weber von Barnsley; der Seidenweber von Spitalfields; der Spitzenwirker von Nottingham; aller Arten von Arbeitern des ganzen Birminghamer Distrikts und in verschiedenen anderen Orten. Jeder Posteingang bringt neue Nachrichten von Streiks. Die Arbeitseinstellungen nehmen epidemische Ausmaße an. Jeder größere Streik wie in Stockport, Liverpool etc. löst zwangsläufig eine ganze Serie kleinerer Streiks aus, da ein großer Teil der arbeitenden Menschen nur imstande ist, den Fabrikanten Widerstand zu leisten, wenn sie sich an ihre Arbeitsbrüder im Königreich um Unterstützung wenden, und da diese ihrerseits, um ihnen zu helfen, höhere Löhne fordern. Außerdem wird es gleichermaßen zu einer Sache der Ehre und des allgemeinen Interesses für jede Ortschaft, die Kämpfe der Arbeitsbrüder nicht dadurch zu isolieren, daß sie schlechteren Bedingungen nachgeben. So kommt es, daß Streiks in einer Ortschaft durch Streiks in entferntesten anderen Ortschaften ein Echo
finden. In einigen Fällen sind die Forderungen um höhere Löhne nur eine Begleichung längst fälliger Rechnungen mit den Fabrikanten. Das trifft auf den großen Stockport-Streik zu. Im Januar 1848 führten die Fabrikbesitzer von Stockport bei allen Kategorien von Fabrikarbeiterlöhnen eine allgemeine Herabsetzung der Löhne von 10% durch. Dieser wurde unter der Bedingung zugestimmt, daß bei Wiederbelebung des Geschäfts die 10% wieder aufgehoben werden. Angesichts dessen erinnerten Anfang März 1853 die Arbeiter ihre Unternehmer an die versprochene Erhöhung von 10%; da sie mit ihnen kein Übereinkommen erzielen konnten, traten bis zu 30000 Arbeiter in den Streik. In der Mehrzahl der Fälle bestanden die Fabrikarbeiter entschieden auf ihrem Recht an dem Anteil der Einnahmen, die das Land und besonders die Unternehmer infolge der Prosperität einstecken konnten. Das wesentliche Merkmal der gegenwärtigen Streiks besteht darin, daß sie in den unteren Schichten der ungelernten Arbeiter (nicht Fabrikarbeiter) begannen, die jetzt unter dem unmittelbaren Einfluß der Emigration, deren Zusammensetzung verschiedenen Schichten der Handwerker entsprach, geschult worden waren; erst später wurden die Fabrikarbeiter der großen industriellen Zentren Großbritanniens von den Streiks erfaßt. Früher hingegen gingen die Streiks immer von den Spitzen der Fabrikarbeiter - den Mechanikern, den Spinnern usw. - aus, erfaßten dann die unteren Klassen dieses großen industriellen Ameisenhaufens und erst in letzter Instanz die Handwerker. Dieses Phänomen ist ausschließlich der Emigration zuzuschreiben. Es gibt eine Kategorie von Philanthropen und sogar von Sozialisten, die Streiks als sehr schädlich für die Interessen des „Arbeiters selbst" erachten und die ihre Hauptaufgabe darin sehen, eine Methode zu finden, ständige Durchschnittslöhne zu sichern. Abgesehen davon, daß die Tatsache des industriellen Zyklus mit seinen verschiedenen Phasen alle solche Durchschnittslöhne unmöglich macht, bin ich ganz im Gegenteil davon überzeugt, daß das aufeinanderfolgende Steigen und Fallen der Löhne und die ständigen daraus resultierenden Konflikte zwischen Fabrikanten und Arbeitern in der gegenwärtigen Organisation der Produktion die unerläßlichen Mittel sind, den Kampfgeist der Arbeiterklasse lebendig zu halten, diese in einer einzigen großen Vereinigung gegen die Übergriffe der herrschenden Klasse zusammenzufassen und sie davon abzuhalten, zu Mitleid heischenden, gedankenlosen, mehr oder weniger gut genährten Produktionsinstrumenten zu werden. In einer Gesellschaftsordnung, die auf dem Antagonismus der Klassen beruht, müssen wir, wenn wir die Sklaverei nicht nur in Worten, sondern auch in
Taten verhüten wollen, den Kampf aufnehmen. Um den Wert von Streiks und Koalitionen richtig zu würdigen, dürfen wir uns nicht durch die scheinbare Bedeutungslosigkeit ihrer ökonomischen Resultate täuschen lassen, sondern müssen vor allen Dingen ihre moralischen und politischen Auswirkungen im Auge behalten. Ohne die längeren aufeinanderfolgenden Phasen von Abspannung, Prosperität, Aufschwung, Krise und Elend, welche die moderne Industrie in periodisch wiederkehrenden Zyklen durchläuft, mit dem daraus resultierenden Auf und Ab der Löhne sowie dem ständigen Kampf zwischen Fabrikanten und Arbeitern, der in genauer Übereinstimmung mit jenen Schwankungen in den Löhnen und Profiten verläuft, würde die Arbeiterklasse Großbritanniens und ganz Europas eine niedergedrückte, charakterschwache, verbrauchte, unterwürfige Masse sein, deren Emanzipation aus eigner Kraft sich als ebenso unmöglich erweisen würde wie die der Sklaven des antiken Griechenlands und Roms. Wir dürfen nicht vergessen, daß Streiks und Koalitionen unter den Leibeigenen die Brutstätten der mittelalterlichen Gemeinwesen waren und diese Gemeinwesen wiederum die Quelle des Lebens der neuen herrschenden Bourgeoisie. Ich äußerte in einem meiner letzten Artikel, welche Bedeutung der gegenwärtige Kampf der Arbeiter für die Chartistenbewegung in England1 haben wird. Meine Voraussage wird jetzt bestätigt durch die Ergebnisse der ersten beiden Wochen der von dem Chartistenführer Ernest Jones wiedereröffneten Kampagne. Wie Sie wissen, sollte auf dem Berge von Blackstone Edge die erste große Versammlung im Freien abgehalten werden. Am 19. vergangenen Monats kamen die Delegierten der entsprechenden Lokalgruppen der Chartisten aus Lancashire und Yorkshire dort zusammen und konstituierten sich als Delegiertenrat. Ernest Jones* Petition für die Charte, die allen Versammlungen in den zwei Grafschaften unterbreitet werden sollte, fand einstimmige Annahme, und es wurde beschlossen, die Überreichung der Petitionen aus Lancashire und Yorkshire Herrn Apsley Pellat, Mitglied des Parlaments für Southwark, anzuvertrauen, der es übernommen hatte, alle Petitionen der Chartisten dem Parlament zu unterbreiten. Was die Massenversammlung betrifft, so glaubten auch die zuversichtlichsten Gemüter nicht an die Möglichkeit, sie durchzuführen, da ein furchtbares Wetter war; der Sturm nahm von Minute zu Minute an Heftigkeit zu, und es regnete in Strömen. Zuerst tauchten nur einige wenige verstreute Gruppen auf, die den Berg emporstiegen, aber bald kamen größere Trupps in Sicht, und von einer Anhöhe aus, die die Täler der Umgebung überragte, konnte man, so weit
das Auge zu blicken vermochte, durch den fürchterlichen Platzregen dünne, aber unentwegte Ströme von Menschen erkennen, die auf den Straßen und Fußpfaden der umliegenden Gegend den Berg hinaufkamen. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Versammlung eröffnet werden sollte, hatten sich etwa 3000 Menschen an der von einem Dorf oder Wohnsitz weit entfernten Stelle versammelt, und während der langen Reden blieben die Kundgebungsteilnehmer, ungeachtet des als Sturzflut niederkommenden Regens, unentwegt stehen. Herrn Edward Hoosons Resolution: „Daß die sozialen Beschwerden der Arbeiterklasse in England die Folge einer Klassengesetzgebung seien und daß das einzige Heilmittel gegen eine solche Klassengesetzgebung die Annahme der Volks-Charte sei", Wurde von Herrn Gammage, von der Exekutive der Chartistent1481, und von Herrn Ernest Jones unterstützt, aus deren Reden ich einige Auszüge zitiere:
„Die vorgeschlagene Resolution führt die Mißstimmung des Volkes auf die Klassengesetzgebung zurück. Er denke, daß kein Meiasch, der den Verlauf der Ereignisse verfolgt hat, nicht mit dieser Feststellung einverstanden sein kann. Das sogenannte Unterhaus hat sich allen Sorgen des Volkes gegenüber taub gestellt, und als das Volk über sein Elend in Wehklagen ausbrach, wurde es verspottet und verhöhnt von den Männern, die sich anmaßten, die Repräsentanten der Nation zu sein; und wenn ausnahmsweise einmal die Stimme des Volkes ein Echo im Parlament fand, wurde sie immer erstickt im Geschrei der grausamen Mehrheit unserer Klassengesetzgeber." (Lauter Beifall.) „Das Unterhaus lehnte es nicht nur ab, dem Volke Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern lehnte es sogar ab, seine soziale Lage zu untersuchen. Sie alle könnten sich dessen erinnern, daß vor einiger Zeit Herr Slaney in dem Hause einen Antrag für die Ernennung eines Ständigen Ausschusses eingebracht hatte, dessen Aufgabe es sein sollte, die soziale Lage des Volkes zu untersuchen und Maßnahmen zur Abhilfe vorzuschlagen - aber das Haus war fest entschlossen, der Frage auszuweichen, so daß während der Begründung des Antrages nur sechsundzwanzig Mitglieder anwesend waren und das Haus sich vertagen mußte." (Laute Rufe: „Schande, Schande!") „Als dann der Antrag erneut gestellt wurde, hatte Herr Slaney nicht nur überhaupt keinen Erfolg, sondern es waren - soweit sich der Redner (Herr Gammage) erinnert - von 656 ehrenwerten Herren nur 13 anwesend, die in eine Diskussion der Frage hätten eintreten können. Wenn er den Versammelten sage, wie die Lage des Volkes wirklich ist, so nehme er an, daß sie mit ihm der gleichen Meinung seien, daß es mehr als genug Gründe für eine Untersuchung gibt. Ökonomen bestätigen, daß die Jahresproduktion in England 820 Millionen Pfd. St. beträgt. Angenommen, daß es im Vereinigten Königreich 5 Millionen Arbeiterfamilien gibt und daß jede dieser Familien ein Durchschnittseinkommen von 15 sh. pro Woche hat, was meines Erachtens im Vergleich zu dem, was sie tatsächlich erhalten, ein sehr hoher Durchschnitt ist" (Zurufe: „Sogarvielzuhochl"), „-wenn wir dennoch diese 15 sh. als Durchschnittsbetrag annehmen, so stellt sich
heraus, daß der Arbeiter aus seiner enormen Jahresproduktion erbärmliche 195 Millionen erhält" (Rufe: „Schande!"), „-und der ganze Rest in die Taschen faulenzender Gutsherren, Wucherer und in die Taschen der Kapitalistenklasse im allgemeinen geht.., Brauchen sie noch Beweise, daß diese Männer Räuber sind? Nicht jene sind die schlimmsten Diebe, die hinter Gefängnismauern sitzen; die größten und gerissensten Diebe sind jene, die mit Hilfe der von ihnen selbst gemachten Gesetze rauben; und diese großen Räubereien sind die Ursache all der kleinen Räubereien, die im ganzen Lande durchgeführt werden..tl49l
Herr Gammage ging dann zu einer Analyse der Zusammensetzung des Unterhauses über, wobei er nachwies, daß es unmöglich sei, daß es zwischen den Klassen, denen die Mitglieder des Unterhauses angehören, und den Klassen, die sie repräsentieren, einerseits und den Millionen arbeitenden Menschen andrerseits auch nur das geringste gegenseitige Verständnis geben könnte. Abschließend sagte der Redner: „Das Volk muß sich über seine sozialen Rechte klarwerden." Herr Ernest Jones sagte: „Wir erklären beute feierlich, daß die Charte Gesetz werden wird." (Lauter Beifall.) „Jetzt fordere ich euch dazu auf, euch in diese großeBewegungwiedereinzureihen, weil ich weiß, daß die Zeit dafür gekommen ist, daß der Erfolg von euch abhängt und weil es mein heißes Bestreben ist, zu verhindern, daß ihr die Gelegenheit ungenutzt vorübergeben laßt. Lebhaftes Geschäft und Auswanderung haben euch eine zeitweise Stärke gegeben, und eure zukünftige Lage hängt davon ab, wie ihr es versteht, diese Stärke zu nutzen. Nutzt ihr sie nur für die Ziele der Gegenwart, so werdet ihr zusammenbrechen, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse sich geändert haben. Aber wenn ihr sie dazu benutzt, nicht nur eure gegenwärtige Lage zu stärken, sondern eure zukünftige zu sichern, dann werdet ihr über alle eure Feinde triumphieren. Wenn lebhaftes Geschäft und Auswanderung euch Stärke geben, dann muß diese Stärke enden, wenn das lebhafte Geschäft und die Auswanderung enden, und wenn ihr euch nicht in der Zwischenzeit sichert, so werdet ihr mehr Sklave sein als je zuvor." („Hört, Hört!") „Aber gerade die Ursache eurer heutigen Stärke wird in Kürze die Ursache eurer Schwäche sein. Die Auswanderung, die die Nachfrage nach eurer Arbeit erhöht, wird bald noch mehr die Nachfrage nach euren Arbeitsplätzen erhöhen... Eine Geschäftsstockung wird einsetzen, und jetzt frage ich euch: Wie seid ihr darauf vorbereitet? Ihr 'nehmt an der großen Bewegung der Arbeiter zur Verkürzung der Arbeitszeit und für höhere Löhne teil, und ihr habt einige praktische Erfolge erreicht. Aber vergeßt nicht, daß die Unternehmer folgenden Hintergedanken haben: die Arbeiter mit kleinen Zugeständnissen vertrösten, aber ihnen keine Gesetze zugestehen. Keine Lohnbill im Parlament annehmen, sondern einige ihrer Forderungen in der Fabrik bewilligen." („Hört!") „Der Lohnsklave wird dann sagen: Wozu brauchen wir schon eine politische Organisation für eine Zehnstundenbill oder eine Lohngesetzgebung - wir haben das uns ja selbst erkämpft ohne Parlament. Jawohl, aber könnt ihr es halten ohne Paria
ment? Wer hat es euch gegeben? Das lebhafte Geschäft. Wer wird es euch nehmen? Das flaue Geschäft. Eure Unternehmer wissen das. Deshalb verkürzen sie eure Arbeitszeit oder erhöhen eure Löhne oder verzichten auf das, was sie euch abgezogen hatten in der Hoffnung, daß ihr die politischen Organisationen zur Durchführung dieser Maßnahmenauf gebt." (Beifall.) „Sie verkürzen die Arbeitszeit, weil siesehr genau wissen, daß sie bald ihre Fabriken verkürzt arbeiten lassen müssen - sie erhöhen eure Löhne, weil sie sehr genau wissen, daß sie bald Tausenden von euch überhaupt keine Löhne mehr zahlen werden. Aber sie - besonders die Fabrikanten Mittelenglands - sagen euch auch, daß selbst, wenn die Gesetze angenommen würden, dies sie nur dazu zwingen würde, nach anderen Mitteln zu eurer Ausplünderung zu suchen - das waren die Hintergedanken ihrer Worte. Das heißt also erstens: Ihr bekommt die Gesetze nicht durch, weil ihr kein Parlament des Volkes habt. Zweitens: Wenn solche Gesetze angenommen würden, so würden die Fabrikanten - nach ihren eigenen Worten - diese Gesetze umgehen." (Laute Rufe: „Hört!") „Nun frage ich euch abermals: Wie seid ihr auf die Zukunft vorbereitet? Wie nutzt ihr die gewaltige Stärke, die ihr gegenwärtig besitzt? Ihr werdet ohnmächtig sein, wenn ihr euch nicht jetzt vorbereitet - ihr werdet alles verlieren, was ihr erreicht haben mögt; wir sind hier heute zusammengekommen, um euch zu zeigen, wie ihr das Erreichte behalten und mehr bekommen könnt. Manche Leute haben die Vorstellung, eine Chartistenorganisation würde mit der Arbeiterbewegung in Konflikt geraten. Du lieber Himmell Die Chartistenorganisation ist gerade das Mittel, die Arbeiterbewegung zum Erfolg zu führen... Der Arbeitnehmer kann nicht ohne den Arbeitgeber auskommen, bis er sich selbst Arbeit geben kann. Der Arbeitnehmer aber kann niemals sich selbst Arbeit geben, wenn er nicht über die Arbeitsmittel Boden, Kredit und Maschinen - verfügen kann. Er kann niemals über diese verfügen, wenn er nicht die Land-, Geld-und Handelsmonopole niederreißt, und das kann er nur dann, wenn er die Macht im Staate ausübt. Warum erstrebt ihr eine Zehnstundenbill? Wenn die politische Macht nicht nötig ist, um die Freiheit für die Arbeiter zu erlangen, warum dann überhaupt ins Parlament gehen? Warum nicht sofort in der Fabrik beginnen? Deshalb, weil ihrwißt, weil ihr fühlt, weil ihr durch alle eure Handlungen stillschweigend zugebt, daß ohne die politische Macht die soziale Befreiung nicht möglich ist." (LauterBeifall.) „Darum also lenke ich eure Aufmerksamkeit auf die Grundlage der politischen Macht - auf das allgemeine Wahlrecht lenke ich eure Aufmerksamkeit auf die Charte." (Begeisterter Beifall.) „... Man könnte sagen: Warum warten wir nicht, bis die Krise kommt und sich die Millionen selbst mit uns vereinen? Weil wir keine Bewegung wollen, die aus der Erregung und der Gefahr heraus entsteht, sondern eine Bewegung, erfüllt von nüchterner Urteilskraft und moralischer Kraft. Wir wollen, daß ihr euch nicht von Erregung fortreißen, sondern von der Vernunft leiten laßt, und darum rufen wir euch heute zu: Organisiert euch von neuem, damit ihr den Sturm meistert und nicht sein Spielball werdet. Abermals wird die Handelskrise mit der Revolution auf dem Kontinent Hand in Hand gehen, und wir müssen ein helles Feuer des Chartismus entzünden, dessen Flamme uns durch das Chaos des Aufruhrs leuchte. Heute inaugurieren wir aufs Neue unsere Bewegung, und um ihre offizielle Anerkennung durchzusetzen, wählen wir den Weg durchs Parlament; nicht weil wir die Annahme
der Petition erwarten wir benutzen es nur als das geeignetste Sprachrohr, um der Welt unsere Auferstehung zu verkünden. Jawohl, eben die Männer, die unseren Tod verkündeten, sollen jetzt das unerwünschte Vergnügen haben, der Welt unsere Auferstehung zu verkünden, und unsere Petition ist nur die Geburtsurkunde, die der Welt unsere zweite Geburt anzeigt." (Laute Beifallsrufe.)!150!
Herrn Hoosons Resolution und die Petition an das Parlament wurden auf dieser Versammlung, wie auch auf den im Verlauf der Woche folgenden Versammlungen, durch begeisterte Zurufe angenommen. Ernest Jones hatte auf der Versammlung von Blackstone Edge den Tod von Benjamin Ruston bekanntgegeben, eines Arbeiters, der sieben Jahre vorher an gleicher Stelle einem Chartistenmeeting präsidiert hatte. Er schlug vor, daß sein Begräbnis zu einer großen politischen Demonstration gemacht und mit der Versammlung von West Riding für die Annahme der Charte verbunden werde als eine Totenehrung, würdig des dahingeschiedenen Vorkämpfers der Sache der Arbeiter. Niemals zuvor hat es in den Annalen der britischen Demokratie eine solche Demonstration gegeben, wie die anläßlich der Auferstehung des Chartismus in West Riding und der Beerdigung von Benjamin Ruston in der vergangenen Woche; mehr als 200000 Menschen waren in Halifax versammelt, eine Zahl, die sogar in den erregtesten Zeiten nicht erreicht worden ist. Allen, die nichts anderes von der englischen Gesellschaft kennen als ihre trostlose apoplektische Oberfläche, sollte man empfehlen, an diesen Arbeitermeetings teilzunehmen und in jene Tiefen zu blicken, wo die Totengräber der englischen Gesellschaft am Werke sind. Die Koalition hat das Vorgefecht in der indischen Frage gewonnen: Lord Stanleys Antrag auf Aufschub der Gesetzgebung wurde mit einer Mehrheit von 184 Stimmen abgelehnt. Dringende Angelegenheiten zwingen mich, meine Bemerkungen zu dieser Abstimmung aufzuschieben. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Frage des türkischen Krieges Die „New-York Tribüne" im Unterhaus Die Regierung Indiens
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3824 vom 20. Juli 1853] London, Dienstag, 5. Juli 1853 Der Kurier mit Reschid Paschas Ablehnung des russischen Ultimatissimums erreichte St.Petersburg am 24.Juni, und drei Tage später wurde ein Bote abgesandt mit Befehlen für Fürst Gortschakow, den Pruth zu überqueren und die Donaufürstentümer zu besetzen. Die Österreichische Regierung hat Graf Gyulai in einer außerordentlichen Mission zum Zaren geschickt, zweifellos in der Absicht, ihn vor der Gefahr der Revolution zu warnen, die hinter jedem allgemeinen europäischen Krieg lauert. Wir können die Antwort des russischen Kabinetts im gegebenen Falle aus der Antwort schließen, die von derselben Macht 1829 bei ähnlichen Vorstellungen gegeben wurde. Sie lautete wie folgt:
„Bei dieser Gelegenheit hat das österreichische Kabinett alle durch die Gärung hervorgerufenen alarmierenden Gründe, die nach seiner Auffassung und den ihm vorliegenden Informationen in mehr als einem Lande bestehen, sowie die in jüngster Zeit erfolgte Ausbreitung revolutionärer Bestrebungen, dargelegt. Diese Befürchtungen offenbaren sich ganz besonders in dem Brief von Kaiser Franz an Nikolaus. Es liegt uns fern, die uns von Österreich aufgezeigten Gefahren zu leugnen. Da, hervorgerufen durch ausländischen Einfluß, der Widerstand der Pforte einen hartnäckigen Charakter annimmt, der - entgegen unseren Wünschen und Hoffnungen - die Dauer dieser Krise verlängert und sogar von uns verdoppelte Anstrengungen und neue Opfer fordert, wird man feststellen, daß Rußland mehr denn je seine ganze Aufmerksamkeit den Interessen widmet, die ganz unmittelbar seine Macht und das Wohlergehen seiner Untertanen berühren; von diesem Zeitpunkt an müssen die Kräfte, die es dem Ausbrechen des revolutionären Geistes im übrigen Europa entgegensetzen könnte, notwendigerweise gelähmt sein. Keine Macht sollte also mehr am Friedensschluß interessiert sein als Österreich, aber an einem Frieden zum Ruhme des Kaisers und zum Vorteil für sein Reich. Denn wenn der Friede, den wir unterzeichnen sollten, diesen Charakter nicht
trüge, würde das politische Ansehen und der Einfluß Rußlands einen verhängnisvollen Schlag dadurch erleiden, das Prestige seiner Stärke würde schwinden, und die moralische Unterstützung, um die es vielleicht in künftigen unvorhergesehenen Fällen von befreundeten und alliierten Mächten gebeten werden könnte, wäre unsicher und unwirksam." (Geheimdepesche des Grafen Nesselrode an Herrn Tatischtschew, datiert: St.Petersburg, den 12.Februar 1829tl5Il). „The Press"[1291 vom vergangenen Sonnabend stellt fest, daß der Zar in seiner Enttäuschung über die Haltung Englands und ganz besonders über die von Lord Aberdeen, Herrn Brunnow angewiesen hat, mit diesem „guten" alten Mann keine Verbindung mehr zu halten, sondern sich auf den offiziellen Verkehr mit dem Minister des Auswärtigen zu beschränken. Der „Wiener Lloyd"ll52], das Organ der österreichischen Bankokratie, tritt sehr entschieden dafür ein, daß Österreich sich auf die Seite Englands und Frankreichs stellt, um der aggressiven Politik Rußlands Widerstand zu leisten. Sie werden sich erinnern, daß das Koalitionsministerium am 14. April anläßlich der vorgeschlagenen Aufhebung der Annoncensteuer1 eine Niederlage erlitt. Es hat jetzt, am I.Juli, aus dem gleichen Grunde zwei weitere Niederlagen erfahren. Herr Gladstone beantragte an jenem Tage, die Annoncensteuer von 1 sh. 6 d. auf 6 d. zu reduzieren und auch Annoncen in allen Zeitschriften, Flugschriften und sonstigem Schrifttum einzubeziehen. Herrn Milner Gibsons Amendement auf Abschaffung aller zur Zeit für Annoncen zu zahlenden Steuern wurde mit 109 gegen 99 Stimmen abgelehnt. Herrn Gladstones Anhänger, die glaubten, den Sieg schon in der Tasche zu haben, verließen das Haus, um sich zum Dinner und zu einem Hofball zu begeben, da erhob sich Herr Bright und hielt eine sehr wirksame Rede gegen die Besteuerung des Wissens im allgemeinen und die Stempel- und Annoncensteuer im besonderen. Aus dieser Rede will ich einige Sätze, die für Sie von Interesse sein mögen, zitieren:
„Er (Herr Bright) sagte, er halte eine Zeitung in der Hand von der gleichen Größe wie die Londoner Tageszeitungen ohne Beilage, und er wage zu behaupten, es wäre eine ebenso gute Zeitung wie irgendeine, die in London erscheine. Der Satz sei besser als in irgendeiner Londoner Tageszeitung. Das Papier, das Material seien außerordentlich gut - völlig ausreichend für alle Zwecke, denen eine Zeitung diene. Der Druck könne unmöglich übertroffen werden, und sie sei bei ihrem Format inhaltsreicher als irgendeine in London gedruckte Tageszeitung. Die ersten, zweiten und dritten Seiten enthielten Annoncen. Es gäbe lange Artikel über die Untersuchung der American Art Union, einen Leitartikel mit einer Zusammenfassung all der neuesten Nachrichten aus
1 Siehe vorl. Band, S. 57 und 69/70
12 Marx/Engels, Werke, Bd, 9
Europa, einen Leitartikel über den Streit um die Fischereien und einen Leitartikel, mit dessen Inhalt er völlig übereinstimme, nämlich daß offizielle Bankette offizieller Unfug seien." („Hört, hört!" und Lachen.) „Er habe vielleichtschon Artikel gelesen, diestilvoller gewesen seien, jedoch keine, die sich eines vornehmeren Tones befleißigten und wohl auch kaum nützlichere. Dann wiederum gäbe es ,Drei Tage spater aus Europa*, ,Die Ankunft der Asia' und eine Zusammenfassung aller Nachrichten aus Europa. Aus Großbritannien gäbe es eine ausführliche Abhandlung über das Budget des sehr ehrenwerten Gentleman1, die ihm teilweise Gerechtigkeit widerfahren lasse, in anderen Teilen jedoch nicht, und die der Manchesterschule nicht die geringste Gerechtigkeit widerfahren lasset153!." (Gelächter.) „Dann gäbe es einen Bericht über den Besuch von Frau Stowe in Edinburgh, einen langen Artikel aus der Londoner,Times t26! über das den Schneiderinnen zugefügte Unrecht, Artikel aus Griechenland, Spanien und anderen Ländern des europäischen Kontinents, die Wahl in Athlone und die Wiederwahl des Generalprokurators Ihrer Majestät mit genau 189 Stimmen - was für einen Amerikaner eine erstaunliche Lektüre sein müsse! - verschiedene Spalten gewöhnlicher Nachrichten in Notizform und ganz ausführliche Handels- und Marktnotierungen. Die Zeitung trete beständig für Temperenz und gegen die Sklaverei ein, und er [Bright] wage zu behaupten, daß es gegenwärtig in London keine bessere Zeitung gäbe. Der Name dieser Zeitung sei ,The New-York Tribüne', und sie werde regelmäßig jeden Morgen auf den Tisch eines jeden New Yorker Arbeiters gelegt, der bereit sei, sie für einen Penny zu kaufen." („Hört, hört!") „Seine Frage an die Regierung laute: Wie ist es möglich und welchem guten Zwecke dient es und durch welchen Kunstgriff der Unterdrückung durch den Fiskus komme es, daß ein Arbeitsmann hier 5 d. für eine Londoner Morgenzeitung zahlen müsse, wahrend sein direkter Konkurrent in New York eine Zeitung für 1 d. kaufen könne? Wir befänden uns vor den Augen der ganzen Welt in einem Wettlauf mit den Vereinigten Staaten; wenn jedoch unsere Handwerker gezwungen würden, entweder gar keine Zeitung zu halten oder 5 d. dafür zu zahlen oder in die Wirtshäuser getrieben würden, um sie zu lesen, während jeder Handwerker in den Vereinigten Staaten sie für 1 d. erwerben könne, wie könne dann von einem fairen Wettbewerb zwischen den Handwerkern dieser beiden Länder gesprochen werden? Ebensogut könne man behaupten, daß ein Kaufmann in England, der niemals eine Preisliste zu Gesicht bekomme, sein Geschäft unter denselben Bedingungen betreiben könne wie'der Kaufmann, der diesen Vorteil je den Tag genieße." („Hört, hört!") Wenn der Schatzkanzler etwas gegen seine Feststellungen einzuwenden habe, so möchte er [Brigbt] ihm gleich ohne zu zögern sagen, daß es darauf zurückzuführen sei, daß er [der Schatzkanzler] insgeheim die Preßfreiheit fürchte; und wenn der sehr ehrenwerte Gentleman von finanziellen Schwierigkeiten spreche, so sei er [Bright] der Meinung, dies geschehe nur, um sein heimliches Entsetzen darüber zu verbergen, daß die Menschen eine freie Presse und größere Möglichkeiten der politischen Information haben könnten." („Hört!") „Nur die Furcht, diePresse könne frei sein, habe sie veranlaßt, die 6d. Annoncensteuer als Stütze für den Zeitungsstempel zu behalten."
1 Gladstone
Herr Craufurd beantragte sodann, den Betrag 6 d. durch die Ziffer 0 d. zu ersetzen. Herr Cobden unterstützte den Antrag, und als Entgegnung auf Herrn Gladstones Behauptung, daß sich die Annoncensteuer auf den Umsatz billiger Zeitungen nicht besonders auswirken werde, lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Aussage von Herrn Horace Greeley, der in dieser Angelegenheit von dem 1851 tagenden Ausschuß verhört wurde.
„Dieser Herr war einer der Kommissäre der großen Ausstellung, und er war der Eigentümer eben dieser Zeitung, die sein ehrenwerter Freund, Herr Bright, angeführt hatte. Er wurde befragt, welches die Auswirkung der Annoncensteuer in Amerika sein würde; seine Antwort lautete, ihre Anwendung würde die neuen amerikanischen Zeitungen ruinieren."
Nun erhob sich Lord John Russell und sagte mit ziemlich erregter Stimme, daß es kaum fair sei, bei den sehr gelichteten Reihen des Hauses die bereits angenommenen Entscheidungen rückgängig zu machen. Natürlich erinnerte sich Lord John nicht daran, daß seine Kollegen bei eben dieser Annoncensteuer seinerzeit mit einer Mehrheit von 40 Stimmen geschlagen worden waren und jetzt nur eine Mehrheit von 10 Stimmen gehabt haben. Ungeachtet der Lektion Lord Johns über „konstitutionelle" Fairness wurde der Antrag Herrn Gladstones auf Besteuerung jeder Annonce mit 6 Pence mit 68 gegen 63 Stimmen abgelehnt und Herrn Craufurds Amendement mit 70 gegen 61 Stimmen angenommen. Herr Disraeli und seine Freunde stimmten mit der Manchesterschule. Das Unterhaus hat, um dem kolossalen Ausmaß des Themas gerecht zu werden, seine Indien-Debatte zu ungewöhnlicher Länge und Breite ausgesponnen, obwohl diese Debatte es ganz und gar an Tiefe und starkem Interesse hat fehlen lassen. Die Abstimmung, die dem Ministerium eine Mehrheit von 322 gegen 142 überließ, steht in umgekehrtem Verhältnis zur Debatte. Die Debatte war voller Disteln für das Ministerium, und Sir Charles Wood war der Esel, dem offiziell die Aufgabe zuteil wurde, sie zu fressen. Bei der Abstimmung war alles voller Rosen, und Sir Charles Wood wird zu einem zweiten Manu gekrönt. Dieselben Leute, die den Regierungsplan mit ihren Argumenten ablehnten, bejahten ihn mit ihren Stimmen. Keiner seiner Verteidiger wagte es, den Gesetzentwurf selbst zu rechtfertigen. Im Gegenteil! Alle rechtfertigten sich für ihre Unterstützung des Entwurfs; die einen, weil er ein winziger Teil einer richtigen Maßnahme sei, die anderen, weil er überhaupt keine Maßnahme sei. Die ersteren geben vor, den Gesetzentwurf jetzt im Ausschuß verbessern zu wollen; die letzteren sagen, daß sie ihn allen Pseudoreformschmucks entblößen werden.
Das Ministerium behauptete das Feld, weil mehr als die Hälfte der ToryOpposition hinauslief und ein großer Teil der Verbliebenen mit Herries und Inglis in das Aberdeen-Lager desertierte, während von den 142 oppositionellen Stimmen 100 der Disraeli-Fraktion angehörten und 42 der Manchesterschule, unterstützt von einigen unzufriedenen Iren und einigen Undefinierbaren. Die Opposition innerhalb der Opposition hat wieder einmal das Ministerium gerettet. Herr Halliday, einer der Beamten der Ostindischen Kompanie, gab bei seiner Vernehmung vor einem Untersuchungsausschuß an:
«In den Augen der indischen Bevölkerung macht die Charte, die der Ostindischen Kompanie eine Pachtzeit von zwanzig Jahren einräumt, sie zu Pachtobjekten."
Diesmal ist die Charte wenigstens nicht für eine bestimmte Zeit erneuert worden, sondern kann auf Wunsch des Parlaments jederzeit widerrufen werden. Die Kompanie wird also von ihrer respektablen Stellung von Erbpächtern auf die unsichere Stellung von tenants-at-will1 herabsteigen. Um so besser für die indische Bevölkerung. Dem Koalitionsministerium ist es gelungen, das Problem der Regierung Indiens, wie alle anderen Fragen, in eine offene Frage umzuwandeln. Andererseits hat sich das Unterhaus erneut ein Armutszeugnis ausgestellt, indem es durch ein und dieselbe Abstimmung seine Unfähigkeit zur Gesetzgebung und seine Abneigung, die Gesetzgebung aufzuhalten, unter Beweis stellte. Seit Aristoteles' Zeiten ist die Welt mit einer schrecklichen Flut von Dissertationen - mal talentvollen, mal absurden - zu dem Thema überschwemmt worden: Wer soll die herrschende Macht sein? Aber zum ersten Mal in den Annalen der Geschichte hat der Senat eines Volkes, Herrscher über ein anderes Volk von 156 Millionen Menschen, die eine Fläche von 1368113 Quadratmeilen bevölkern, in feierlicher und öffentlicher Versammlung die Köpfe zusammengesteckt, um die ungewöhnliche Frage zu beantworten: Wer unter uns ist eigentlich die herrschende Macht über jenes fremde Volk von 150 Millionen Seelen? Es gab keinen Ödipus im britischen Senat, der es verstanden hätte, dieses Rätsel zu lösen. Die ganze Debatte drehte und wandte sich ausnahmslos um die Sache herum, denn obgleich eine Abstimmung stattfand, gelangte man zu keiner Definition der Regierung Indiens. Daß es in Indien ein permanentes Finanzdefizit gibt, mehr als genug Militärausgaben und gar keine Ausgaben für öffentliche Arbeiten, ein ab
1 nach Engels: Pächter, deren Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte
scheuliches Steuersystem und einen nicht weniger abscheulichen Zustand von Recht und Gesetz, daß diese fünf Posten sozusagen die fünf Punkte der ostindischen Charte bilden, das alles wurde in den Debatten von 1853 geklärt, bis es über jeden Zweifel erhaben war, ganz so wie in den Debatten von 1833 und in den Debatten von 1813, ebenso wie in allen vorangegangenen Debatten über Indien. Das einzige, was man niemals herausgefunden hat, war, wer denn nun eigentlich für all dies verantwortlich zu machen ist. Zweifellos existiert ein Generalgouverneur von Indien, der die oberste Macht in Händen hält, aber dieser Gouverneur untersteht seinerseits einer Regierung in England. Und wer ist diese Regierung in England? Ist es der Minister für Indien, der sich unter dem bescheidenen Titel des Präsidenten der Kontrollbehörde verbirgt, oder sind es die vierundzwanzig Direktoren der Ostindischen Kompanie? An der Schwelle zur indischen Religion stoßen wir auf eine göttliche Dreieinigkeit, und ebenso stoßen wir an der Schwelle zur indischen Regierung auf eine weltliche Dreieinigkeit. Läßt man den Generalgouverneur zunächst ganz außer acht, so läuft die gestellte Frage auf das System der doppelten Regierung hinaus; in dieser Form ist sie dem Engländer vertraut. Das Ministerium mit ihrer Gesetzesvorlage und das Haus mit seiner Abstimmung klammern sich an diesen Dualismus. Als die Kompanie der englischen Kaufmannsabenteurer, die Indien eroberte, um Geld daraus zu schlagen, damit begann, ihre Faktoreien zu einem Weltreich auszuweiten, als ihr Konkurrenzkampf , mit den holländischen und französischen privaten Kaufleuten den Charakter einer Rivalität unter Nationen annahm, da begann die britische Regierung sich natürlich in die Angelegenheiten der Ostindischen Kompanie einzumischen, und das System der doppelten Regierung Indiens entstand de facto, wenn auch nicht nominell. Der Pitt-Akt von 1784 akzeptierte, regelte und sanktionierte nicht nur nominell, sondern auch de facto dieses aus den Umständen entstandene System der doppelten 'Regierung, indem er ein Kompromiß mit der Ostindischen Kompanie einging und sie der Aufsicht der Kontrollbehörde unterstellte und die Kontrollbehörde wiederum zu einem Anhängsel des Ministeriums machte. Der Parlamentsakt von 1833 stärkte die Kontrollbehörde, verwandelte die Aktienbesitzer der Ostindischen Kompanie in bloße Pfandgläubiger der Einkünfte aus Ostindien, wies die Kompanie an, ihre Warenvorräte zu verkaufen, löste ihre kommerzielle Existenz auf, und verwandelte sie, soweit sie politisch noch existierte, in einen bloßen Treuhänder der Krone und - verfuhr so mit der Ostindischen Kompanie, wie diese mit den ostindischen
Fürsten zu verfahren pflegte. Nachdem der Akt von 1833 die Nachfolge der Ostindischen Kompanie angetreten hatte, fuhr er für eine gewisse Zeit fort, noch in ihrem Namen zu regieren. Seither, seit 1833, hat die Ostindische Kompanie nur noch dem Namen nach und geduldeterweise existiert. Während es einerseits also gar nicht schwierig zu sein scheint, sich der Kompanie gänzlich zu entledigen, ist es andererseits völlig gleichgültig, ob die englische Nation über Indien unter dem persönlichen Namen der Königin Victoria oder unter der traditionellen Firma einer anonymen Gesellschaft herrscht. Die ganze Frage scheint sich daher um reine Formalitäten von höchst fragwürdiger Bedeutung zu drehen. Aber dennoch ist die Angelegenheit nicht ganz so einfach. Zunächst einmal muß hervorgehoben werden, daß die ministerielle Kontrollbehörde, die ihren Sitz in der Cannon-row hat, gerade so eine Scheinexistenz führt wie die Ostindische Kompanie, die angeblich in der Leadenhall Street residiert. Die Mitglieder, aus denen sich die Kontrollbehörde zusammensetzt, sind nur der Deckmantel für die absolute Herrschaft des Präsidenten der Behörde. Der Präsident selbst ist nur ein untergeordnetes, wenn auch unabhängiges Mitglied des britischen Reichsministeriums. In Indien scheint man der Auffassung zu sein, daß man einen Mann, der zu nichts taugt, am besten als Richter einsetzt und ihn auf diese Weise los wird. Wenn in Großbritannien eine Partei an die Regierung kommt, und wenn sie einen zehntrangigen „Staatsmann" als Ballast mit sich herumschleppt, hält man es für das beste, ihn zum Präsidenten der Kontrollbehörde zu machen, zum Nachfolger des Großmoguls und ihn auf diese Weise loszuwerden - teste Carolo Wood\ Der Buchstabe des Gesetzes betraut die Kontrollbehörde, was nur eine Umschreibung für ihren Präsidenten ist, mit „allen Rechten und Vollmachten, um alle Maßnahmen, Operationen und Angelegenheiten der Ostindischen Kompanie, die in irgendeiner Weise die Regierung der indischen Besitzungen oder die Einkünfte aus ihnen betreffen, zu überwachen, zu lenken und zu kontrollieren". Es ist den Direktoren untersagt, „jedwede Anweisung, Instruktion, Depeschen, offizielle Briefe oder Mitteilungen, die sich auf Indien oder seine Regierung beziehen, ergehen zu lassen, wenn sie nicht die Billigung der Kontrollbehörde erfahren haben". Die Direktoren sind angewiesen, „Instruktionen oder Anweisungen zu jeglichen Fragen innerhalb von vierzehn Tagen
nach Anforderung von der Kontrollbehörde vorzubereiten, oder auch die Indien betreffenden Anordnungen der Behörde weiterzuleiten". Die Kontrollbehörde ist ermächtigt, jegliche Korrespondenzen und Depeschen von und nach Indien sowie die Geschäftstätigkeit des Aufsichtsrates und des Direktoriums zu überprüfen. Schließlich hat das Direktorium einen Geheimausschuß zu bestellen, bestehend aus seinem Vorsitzenden, seinem stellvertretenden Vorsitzenden und seinem Seniormitglied, die einen Eid auf Geheimhaltung leisten müssen. Uber diese Personen kann der Präsident der Kontrollbehörde seine persönlichen Anordnungen in allen politischen und militärischen Dingen nach Indien leiten; der Ausschuß fungiert lediglich als sein Übermittlungsorgan. Die Befehle, die die Kriege gegen Afghanistan und Birma sowie die Besetzung von Scinde betreffen, wurden durch diesen Geheimausschuß übermittelt, ohne daß das Direktorium in irgendeiner Weise darüber mehr Informationen erhalten hätte als die breite Öffentlichkeit oder das Parlament. Bis heute scheint also der Präsident der Kontrollbehörde der wahre Großmogul zu sein, und unter allen Umständen hält er eine unbegrenzte Macht in Händen, Unheil anzurichten, z. B. die verderblichsten Kriege anzuzetteln, wobei er sich ständig hinter dem Aushängeschild des nicht verantwortlichen Direktoriums versteckt. Andererseits jedoch ist das Direktorium nicht ohne reale Macht. Da es allgemein die Initiative in administrativen Maßnahmen ausübt, da es im Vergleich zur Kontrollbehörde eine dauerhaftere und festere Körperschaft ist mit traditionellen Richtlinien für seine Tätigkeit und einer gewissen Kenntnis der Einzelheiten, fällt die ganze laufende innere Administration dem Direktorium zu. Es ernennt auch mit Genehmigung der Krone die höchste Macht in Indien, den Generalgouverneur und seine Berater, und es besitzt außerdem die unumschränkte Macht, die höchsten Beamten und sogar den Generalgouverneur abzuberufen, wie es mit Lord Ellenborough unter Sir Robert Peel verfuhr. Aber das ist immer noch nicht sein wichtigstes Privileg. Da die Direktoren nur 300Pfd. St. im Jahr erhalten, stammen ihre Einkünfte in Wirklichkeit aus dem Stellenvergebungsrecht. Ihnen obliegt es, alle Stellen für Beamte und Offiziersanwärter zu vergeben, aus deren Reihen der Generalgouverneur von Indien und die Provinzgouverneure alle höheren Posten, von denen die indische Bevölkerung ausgeschlossen ist, besetzen müssen. Wenn die Anzahl der zu besetzenden Stellen für das gegebene Jahr ermittelt ist, wird das Ganze in 28 gleiche Teile aufgeteilt, von denen zwei dem Vorsitzenden und dem stellvertretenden Vorsitzenden zugeteilt werden, zwei dem Präsidenten der Kontrollbehörde und je einer den Direktoren. Der Jahreswert eines jeden Anteils des Stellenvergebungsrechts beträgt selten weniger als 14Q00 Pfund,
„Alle Ernennungen", sagt Herr Campbell, „sind jetzt sozusagen individuelles Privateigentum, das unter den Direktoren aufgeteilt wird, und jeder verfügt über seinen Anteil nach Gutdünken." l164J Nun ist es klar, daß der Geist des Direktoriums die ganze höhere Verwaltung Indiens durchdringen muß, da ihre Repräsentanten in den Schulen von Addiscombe und Hailybury erzogen und durch Protektion der Direktoren berufen werden. Es liegt nicht weniger auf der Hand, daß dieses Direktorium, das Jahr für Jähr Ernennungen im Werte von nahezu 400000 Pfund an die oberen Klassen Großbritanniens zu vergeben hat, wenig oder gar keiner Kontrolle durch die öffentliche Meinung, die gerade durch diese Klassen bestimmt wird, unterworfen ist. Welcher Geist das Direktorium beseelt, will ich in einem späteren Artikel über die gegenwärtige Lage in Indien aufzeigen. Für den Augenblick mag der Hinweis genügen, daß Herr Macaulay im Verlauf der noch andauernden Debatten für das Direktorium besonders in die Waagschale warf, daß es unfähig sei, all das Übel, das es vielleicht noch begehen möchte, zu bewerkstelligen; es sei geradezu so, daß alle Verbesserungen ihm zum Trotz und wider seinen Willen von einzelnen Gouverneuren durchgesetzt worden seien, die aus eigener Verantwortung gehandelt hätten. Dies treffe zu auf die Unterdrückung der Sattillßß], die Aufhebung der abscheulichen Transitzölle und auf die Einführung der Preßfreiheit in Ostindien. Der Präsident der Kontrollbehörde verwickelt demzufolge unter demSchutz des Direktoriums Indien in verheerende Kriege, während das Direktorium unter dem Deckmantel der Kontrollbehörde die indische Verwaltung korrumpiert. Dringen wir tiefer in das Gefüge dieser anomalen Regierung ein, so entdeckt man in ihrem Kern eine dritte Macht, souveräner als die Kontrollbehörde oder das Direktorium; weniger verantwortlich und verborgener und geschützter vor den Augen der Öffentlichen Meinung. Der zeitweilige Präsident der Kontrollbehörde hangt von den ständigen Beamten seines Amtssitzes in der Cannon-row ab, und für diese Beamten liegt Indien nicht in Indien, sondern in der Leadenhall Street. Nun, und wer ist Herr in der Leadenhall Street? Zweitausend Personen - ältliche Damen und kränkliche Herren, Besitzer von Aktien der Ostindischen Kompanie, die kein weiteres Interesse an Indien haben, als ihre Dividenden aus den indischen Einkünften zu erhalten wählen vierundzwanzig Direktoren, deren einzige Qualifikation darin besteht, daß sie Besitzer von Aktien im Wert von 1000 Pfd. St. sind. Kaufleute, Bankiers und Direktoren von Gesellschaften machen große Anstren
gangen, um aus reinem Privatinteresse in das Direktorium aufgenommen zu werden.
„Ein Bankier der Londoner City", sagte Herr Bright, „verfügt über 300 Stimmen in der Ostindischen Kompanie, und sein Wort ist bei der Wahl von Direktoren fast absolutes Gesetz."
Also ist das Direktorium nichts weiter als ein verlängerter Arm der englischen Plutokratie. Das auf diese Art gewählte Direktorium bildet seinerseits außer dem obengenannten Geheimausschuß drei weitere Ausschüsse, nämlich 1. den politischen und militärischen; 2. Finanzen und Inneres; 3. Einnahmen, Justiz und Gesetzgebung. Die Mitglieder dieser Ausschüsse werden jedes Jahr ausgewechselt, so daß also irgendein Finanzier in einem Jahr im Justiz- und im folgenden Jahr im Militärausschuß sitzt und niemand Gelegenheit hat, eine spezielle Abteilung ständig zu überwachen. Nachdem auf Grund des Wahlmodus Leute hineingebracht wurden, die ihren Aufgaben überhaupt nicht gewachsen sind, versetzt das System, nach dem sie ausgewechselt werden, allen Fähigkeiten, die sie zufälligerweise besitzen mögen, den Todesstoß. Wer regiert denn nun tatsächlich unter dem Namen der Direktoren? Ein großer Stab von Sekretären ohne Verantwortung, Revisoren und Schreibern im India House[156], von denen, wie Herr Campbell in seinem „Scheme for the Government of India"[1571 feststellt, wahrscheinlich nur ein einziges Individuum mal in Indien gewesen ist und auch dann nur zufällig. Abgesehen von dem Postenschacher ist es eine reine Fiktion, wenn man von der Politik, den Prinzipien und dem System des Direktoriums spricht. Das wirkliche Direktorium, die wirkliche Regierung Indiens in England, ist die ständige jeder Verantwortung bare Bürokratie, - „die Kreaturen des Schreibpultes und die Kreaturen der Gunst", die in Leadenhall Street residieren. Wir haben es also mit einer Körperschaft zu tun, die über ein riesiges Imperium herrscht und die sich nicht, wie in Venedig, aus hervorragenden Patriziern, sondern aus alten störrischen Schreiberlingen und dergleichen merkwürdigen Gestalten zusammensetzt. Es ist also nicht weiter verwunderlich, daß es keine andere Regierung gibt, die so viel schreibt und so wenig tut, wie die Regierung Indiens. Als die Ostindische Kompanie nur eine Handelsassoziation war, forderte sie natürlich detaillierte Berichte über jede Einzelheit von den Verwaltern ihrer indischen Faktoreien an, wie das jedes Handelsunternehmen tut. Als die Faktoreien zu einem Imperium anwuchsen, die Handelsberichte zu Schiffsladungen von Korrespondenz und Dokumenten, behielten die LeadenhallSchreiber ihr System bei, daß die Direktoren und die Kontrollbehörde von
ihnen abhängig wurden; und es gelang ihnen, die Regierung Indiens in einen ungeheuren Schreibapparat umzuwandeln. Lord Broughton teilte in seiner Aussage vor dem amtlichen Gehaltsausschuß mit, daß mit einer einzigen Depesche 45000 Seiten Belege mitgeschickt wurden. Um Ihnen eine gewisse Vorstellung von der zeitraubenden Art und Weise zu geben, mit der Geschäfte im India House abgewickelt werden, werde ich eine Textstelle von Herrn Dickinson zitieren:
„Wenn eine Depesche aus Indien eintrifft, wird die Sache in erster Instanz an das Revisionsdepartment überwiesen, wo sie hingehört; danach beraten sich die Vorsitzenden1 mit dem für dieses Department verantwortlichen Beamten und vereinbaren mit ihm den Tenor einer Antwort und überweisen den Entwurf dieser Antwort an den Minister für indische Angelegenheiten^158!, was technisch mit v.A., d.h. vorläufige Antwort bezeichnet wird. Wahrend dieses Vorstadiums der v.A. hangen die Vorsitzenden hauptsächlich von den Beamten ab. Der Grad dieser Abhängigkeit ist derartig, daß selbst bei einer Debatte im Aufsichtsrat, nach den einleitenden Bemerkungen des Vorsitzenden, das klägliche Bild zu beobachten ist, wie er sich dauernd an einen neben ihm sitzenden Sekretär wendet, der ihm dann etwas ins Ohr flüstert und souffliert, als ob er einfach eine Marionette wäre; und der Minister am anderen Ende dieses Systems befindet sich in derselben peinlichen Lage. Wenn es in diesem Stadium der v.A. eine Meinungsverschiedenheit über den Entwurf gibt, so wird das besprochen und fast immer in freundschaftlichem Meinungsaustausch zwischen dem Minister und dem Vorsitzenden beigelegt. Schließlich schickt der Minister den Entwurf der Antwort entweder bestätigt oder geändert zurück; dann wird der Entwurf dem Ausschuß des Direktoriums unterbreitet, der für das entsprechende Department verantwortlich ist, mit allen den Fall betreffenden Papieren, um beraten und besprochen, angenommen oder abgeändert zu werden. Danach wird er derselben Prozedur in der Vollversammlung des Direktoriums unterworfen, und erst dann zum erstenmal als offizielle Mitteilung an den Minister weitergeleitet, wonach er dieselben Instanzen in umgekehrter Richtung durchläuft."
Herr Campbell sagt dazu folgendes:
„Wenn in Indien über eine Maßnahme diskutiert wird, dann versteht man unter der Mitteilung, daß sie an das Direktorium verwiesen worden ist, ihre Verschiebung auf unbestimmte Zeit."
Der muffige und niedrige Geist dieser Bürokratie verdient es, mit den berühmten Worten von Burke gebrandmarkt zu werden:
„Diese Sippe vulgärer Politiker steht auf der niedrigsten Stufe unserer Gattung. Kein Metier ist so abscheulich und so mechanisch wie das Regieren von ihrer Hand.
1 Gemeint sind der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des Direktoriums der Ostindischen Kompanie
Tugend ist bei ihnen nicht Brauch. Ein Verhalten, das nur durch Gewissen und durch die Größe der Sache bestimmt wird, übersteigt ihr Begriffsvermögen. Eine großzügige, liberale und weitblickende Betrachtungsweise der Interessen der Staaten ist in ihren Augen nichts als Romantik und die sie motivierenden Prinzipien nichts als Auswüchse einer überreizten Phantasie. Die kühlen Rechner streichen diese Posten aus ihren Sinnen. Die Narren und Possenreißer bringen sie dazu, sich alles Großen und Erhabenen zu schämen. Engstirnigkeit in Zielsetzung und in Mitteln erscheint ihnen als Vernunft und Sachlichkeit:'[169]
Die Kanzleien der Leadenhall Street und der Cannon-row kosten die indische Bevölkerung jährlich die Kleinigkeit von 160000 Pfd. St. Die Oligarchie verstrickt Indien in Kriege, um für ihre jüngeren Söhne Beschäftigung zu finden; die Plutokratie schlägt es dem Höchstbietenden zu, und eine subalterne Bürokratie paralysiert seine Verwaltung und verewigt seine Schmach als lebenswichtige Voraussetzung für ihre eigene Verewigung. Das Gesetz von Sir Charles Wood ändert nichts an dem bestehenden System. Es erweitert die Machtbefugnisse des Ministeriums, ohne seine Verantwortlichkeit zu erhöhen. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
[Die Anfrage Layards Der Kampf um die Zehnstundenbill]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3826 vom 22 Juli 1853] London, Freitag, 8. Juli 1853 Nachdem nun die Besetzung der Donaufürstentümer Tatsache geworden und die langvorhergesagte Krise nähergerückt ist, hat die englische Presse ihre kriegerische Sprache beträchtlich gemildert und widersetzt sich kaum dem in zwei aufeinanderfolgenden Leitartikeln in der „Times"126]  gegebenen Rat, daß, „da die Russen ihren Hang, barbarische Länder zu zivilisieren, nicht zügeln konnten, England besser täte, sie gewähren zu lassen und den Frieden nicht durch nutzlose Halsstarrigkeit zu gefährden". Das ängstliche Bemühen der Regierung, alle Informationen über die schwebende türkische Frage zurückzuhalten, wurde durch die mehr als lächerliche Farce deutlich, die gleichzeitig in beiden Häusern des Parlaments aufgeführt wurde. Im Unterhaus hatte Herr Layard, der gefeierte Restaurator des antiken Ninive11601 für heute abend einen Antrag auf gründliche Information des Hauses hinsichtlich der Türkei und Rußlands angekündigt. Wegen der Abgabe dieser Mitteilung spielte sich im Unterhaus folgende Szene ab:
Herr Layard: Ich habe meinen Antrag für morgen angekündigt. Gestern nachmittag erhielt ich eine Zuschrift, in der ich gebeten wurde, den Antrag bis Montag, den 11. d. M., zu verschieben. Ich war gestern nachmittag - faktisch bis heute morgen nicht in der Lage, meine Antwort zu übermitteln. Zu meiner Überraschung stelle ich jedoch fest, daß ich gestern, ohne es selbst zu wissen, imParlament gewesen sein muß, denn aus den Anmeldungen der Anträge, die zusammen mit den Abstimmungsergebnissen veröffentlicht werden, ersehe ich, daß Herr Layard seinen Antrag von Freitag, den 8., auf Montag, den 11., vertagt hat! Es erscheint mir kaum fair, unabhängige Abgeordnete so zu behandeln. Herr Gladstone: Ich weiß nicht, auf wessen Anweisung hin oder mit wessen Vollmacht die Mitteilung über eine Vertagung in das Parlamentsbulletin gebracht wurde.
Eines kann ich dem ehrenwerten Abgeordneten jedoch versichern: was auch immer getan wurde, es wurde absolut im bonafide1 getan. Herr Layard: Ich möchte gerne wissen, wer die Mitteilung über eine Vertagung in das Bulletin gebracht hat. Aus welchem Grunde haben Sie diesen Antrag auf Montag vertagt? Herr Gladstone: Eine Unpäßlichkeit des Lord J.Russell. Herr Layard zog darauf seinen Antrag bis Montag zurück. Herr Disraeli: Dieses Geschäftsverfahren scheint mir eine Erklärung seitens der Regierung zu erfordern - um so mehr, als auch die Indienbill, im Gegensatz zur Übereinkunft, in der Tagesordnung für morgen angegeben wird. Nach der Pause gestand Sir Ch.Wood zerknirscht, daß er in beiden Fällen der Sünder gewesen sei, erklärte jedoch, sich der Anregung Herrn Gladstones bedienend, daß er in bezug auf Herrn Layard mit den besten Absichten der Welt gehandelt habe. Die andere Seite der Medaille wurde im Oberhaus gezeigt, wo die körperliche Unpäßlichkeit des armen kleinen Russell auf keinen Fall etwas mit dem Antrag des Marquis von Clanricarde zu tun hatte, der dem Antrag Herrn Layards ähnelte und der, nachdem er bereits mehrere Male auf Forderung von Ministern vertagt wurde, ebenfalls für Freitag angekündet war. Lord Brougham erhob sich mit der Versicherung, daß er mit keinem Mitglied des Ministeriums Verbindung aufgenommen habe, daß er jedoch den für morgen angekündeten Antrag Lord Clanricardes in der augenblicklichen Lage für höchst unpassend halte. Er würde sich deswegen an den Minister des Auswärtigen wenden. Lord Clarendon erklärte, er könne natürlich nicht sagen, daß eine gründliche Untersuchung dieser Dinge gegenwärtig kein Unheil oder keine Unannehmlichkeit mit sich bringen würde. Die Verhandlungen gingen weiter; doch hätte er nach den mehrfachen Vertagungen das Gefühl, daß er seinen edlen Freund nicht wieder um die Zurücknahme seines Antrages bitten dürfe. Er behalte sich aber vor, ihm bei der Beantwortung nicht mehr zu sagen, als ihm sein amtliches Pflichtbewußtsein erlaube. Nichtsdestoweniger möchte er seinen edlen Freund fragen, ob er etwas dagegen habe, den Antrag wenigstens bis zum nächsten Montag zu vertagen, da es doch besser wäre, diese Debatte in beiden Häusern zugleich zu führen, und außerdem sei Lord J.Russell sehr unpäßlich. Earl of EUenborough: Der edle Marquis mir gegenüber würde nur vernünftige Zurückhaltung walten lassen, wenn er seinen Antrag, den er für morgen angemeldet hat, nicht nur bis Montag, sondern überhaupt vertagen würde, ohne jetzt irgendeinen Tag dafür festzusetzen. Lord Derby: Ihn habe es überrascht, daß der edle Marquis diese Frage zur Diskussion stelle, und er stimme mit den Ansichten des edlen Earl (EUenborough) völlig überein.
Earl Greg: Nach der Erklärung Lord Ciarendons müßte die Berechtigung des Aufschubs der Diskussion für jeden offensichtlich sein. Daraufhin zog der Marquis von Clanricarde seinen Antrag zurück. Earl Fitzwilliam: Er möchte fragen, ob der Text des russischen Manifests vom 26. Juni, das den heiligen Krieg gegen die Türkei erklärt, authentisch sei. Earl Clarendon: Er habe das Schriftstück vom Gesandten Ihrer Majestät in St. Petersburg erhalten. Earl of Malmesbury: Es entspräche der Würde der Mitglieder des Oberhauses, daß die Regierung ihnen versichere, sie habe die Absicht, soweit wie möglich zu verhindern, daß am Montag eine ähnliche Debatte im Unterhaus stattfindet. Earl of Aberdeen: Er meine, er und seine Kollegen würden ihren ganzen Einfluß geltend machen und ihr möglichstes tun, um diese Debatte zu verhindern. Zusammengefaßt: Zuerst wird das Unterhaus durch eine Fälschung zur Vertagung der Diskussion veranlaßt. Dann wird das Oberhaus, unter dem Vorwand, daß das Unterhaus seine Diskussion vertagt habe, dazu bewogen, dasselbe zu tun. Dann beschließen die „edlen" Lords den Antrag aditifinitum1 zu vertagen, und schließlich erfordert es die Würde der „edelsten Versammlung der Welt", daß auch das Unterhaus seinen Antrag ad infiniium vertage. Auf eine Anfrage Herrn Liddels erklärte Lord Palmerston auf derselben Tagung: „Die kürzliche Behinderung der Schiffahrt im Sulinakanal der Donau wurde durch den zufälligen Umstand hervorgerufen, daß der Fluß die Ufer überflutet und die Kraft der Strömung so sehr vermindert hatte, daß sich an der Barre größere Mengen von Schlamm ansetzten. Ich muß sagen, daß die britische Regierung schon seit vielen Jahren Grund hatte, sich über das Versäumnis der russischen Regierung zu beschweren, ihre Pflichten als Besitzer des Territoriums, welches das Delta der Donau bildet, zu erfüllen und den Sulinakanal in gut schiffbarem Zustand zu halten, obgleich Rußland selbst immer anerkannt hat, daß es laut dem Vertrag von Adrianopel dazu verpflichtet ist. Solange diese Donaumündung einen Teil des türkischen Territoriums bildete, wurde eine Tiefe von 16 Fuß an der Barre gehalten, während durch das Versäumnis der russischen Behörden sich die Tiefe auf 11 Fuß verringert hat und selbst diese 11 Fuß durch Hindernisse auf beiden Seiten, Sandbänke und liegengelassene zerstörte und gesunkene Schiffe, auf einen kleinen und engen Kanal beschränkt wurden, so daß die Durchfahrt für jedes Schiff, außer bei ruhigem Wetter und mit einem erfahrenen Lotsen, schwierig war. Fernerhin gab es eine Rivalität Odessas, das den Wunsch hatte, den Warenexport auf der Donau zu behindern und ihn womöglich über Odessa zu leiten."
Wahrscheinlich hofft die englische Regierung, daß sich die Mündung der Donau wieder öffnet, wenn die Donaufürstentümer russisch werden, da dann die Rivalität Odessas ein Ende haben würde.
1 Hier: auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
Vor einigen Monaten hatte ich Gelegenheit, Ihnen einige Bemerkungen über die Erfolge der Zehnstundentags-Agitation in den Fabrikbezirken zu machen11613. Die Bewegung hat sich ständig entwickelt und hat schließlich einen Widerhall in der Gesetzgebung gefunden. Am 5. d. M. stellte Herr Cobbett, Mitglied des Parlaments für Oldham, den Antrag, eine Gesetzesvorlage einbringen zu dürfen, welche die Fabrikarbeit während der ersten 5 Tage der Woche auf 10 Stunden beschränke und an Sonnabenden auf 7xj2 Stunden. Dem Antrag, diese Gesetzesvorlage einzubringen, wurde zugestimmt. Während der einleitenden Debatte ließ sich Lord Palmerston in der Hitze der Improvisation eine deutliche Drohung entschlüpfen, daß er, wenn es keine andere Möglichkeit zum Schutze der Frauen und Kinder in den Fabriken gäbe, eine Beschränkung der Laufzeit der Maschinen vorschlagen würde. Kaum war dieser Satz über seine Lippen gekommen, als gegen den unvorsichtigen Staatsmann ein allgemeiner Sturm der Entrüstung losbrach, nicht nur. von den direkten Vertretern der Millokratie, sondern auch speziell von ihren und seinen eigenen Whig-Freunden wie Sir George Grey, Herr Labouchere u.a. Nachdem Lord J.Russell Palmerston beiseite genommen hatte, mußte er nach einem halbstündigen privaten Pourparler hart kämpfen, um den Sturm zu beschwichtigen, wobei er die Versicherung abgab, daß
„es ihm scheine, als ob sein ehrenwerter Freund völlig mißverstanden worden sei, und daß sein Freund, als er sich für eine Beschränkung der Laufzeit der Maschinen aussprach, dagegen zu sprechen meinte".
Solche absurden Kompromisse sind das tägliche Brot der Koalition. Auf jeden Fall haben sie das Recht, das eine zu sagen und das andere zu meinen. Was Lord Palmerston selbst betrifft, so sollte man nicht vergessen, daß dieser alte Dandy des Liberalismus vor einigen Jahren einige hundert irische Familien aus seinen „Besitzungen" vertrieben hat, ganz auf dieselbe Weise, wie die Herzogin von Sutherland mit ihren seit uralten Zeiten ansässigen ClansLeuten[162] verfuhr. Herr Cobbett, der die Gesetzesvorlage eingebracht hat, ist der Sohn des berühmten William Cobbett und vertritt dieselbe Stadt, die sein Vater vertrat. Seine Politik ist ebenso wie sein Parlamentssitz vom Vater ererbt und deshalb wirklich unabhängig, entspricht jedoch kaum der Stellung der gegenwärtigen Parteien. William Cobbett war der fähigste Vertreter oder vielmehr der Schöpfer des alten englischen Radikalismus. Er war der erste, der das Geheimnis des traditionellen Parteikrieges zwischen den Tories und den Whigs aufdeckte, die parasitäre Whig-Oligarchie ihres Scheinliberalismus entkleidete, den Landlordismus jeder Art angriff, die scheinheilige Habgier der
anglikanischen Kirche verhöhnte und die Plutokratie in ihren beiden hervorragendsten Inkarnationen angriff - der „Old Lady of Threadneedle Street" (Bank von England) und Mr.Muckworm& Co. (die Staatsgläubiger)[163]. Er schlug vor, die Staatsschuld zu streichen, die Kirchenbesitztümer zu beschlagnahmen und alle Arten Papiergeld zu beseitigen. Er beobachtete Schritt für Schritt, wie die lokale Selbstverwaltung durch die politische Zentralisation eingeschränkt wurde, und prangerte diese Übergriffe als Verletzung der Privilegien und Freiheiten der englischen Untertanen an. Er verstand nicht, daß sie das notwendige Ergebnis der industriellen Zentralisation waren. Er verkündete alle die politischen Forderungen, die hinterher in der Volks-Charte zusammengefaßt wurden; doch waren sie für ihn eher die politische Charte der kleinen industriellen Kapitalisten als der Industrieproletarier. Seinem Instinkt und seinen Sympathien nach ein Plebejer, durchbrach sein Intellekt selten die Grenzen einer bürgerlichen Reform. Erst 1834, kurz vor seinem Tode, nach der Einführung des neuen Armengesetzes[164], begann William Cobbett zu ahnen, daß eine Millokratie existiert, die der Masse des Volkes ebenso feindlich gegenübersteht wie die Grundherren, Banklords, die Staatsgläubiger und die Geistlichen der anglikanischen Kirche. Wenn William Cobbett somit einerseits ein verfrühter moderner Chartist war, so war er doch andererseits weit mehr noch ein eingefleischter John Bull. Er war der konservativste und der destruktivste Mann Großbritanniens zugleich - die reinste Inkarnation des alten England und der verwegenste Initiator des jungen England. Für ihn begann der Niedergang Englands mit der Periode der Reformation und die endgültige Demütigung des englischen Volkes mit der sogenannten glorreichen Revolution von 1688. Deshalb war Revolution für ihn nicht Übergang zum Neuen, sondern Rückkehr zum Alten, nicht die Erschaffung eines neuen Zeitalters, sondern die Wiederherstellung der „guten alten Zeit". Er sah nicht, daß die Epoche des angeblichen Niedergangs des englischen Volkes mit dem Beginn des Aufstiegs der Bourgeoisie, mit der Entwicklung des modernen Handels und der Industrie genau zusammenfiel und daß die materielle Lage des Volkes sich in demselben Tempo verschlechterte, wie sich die letztere entwickelte, und daß die lokale Selbstverwaltung mit der politischen Zentralisation entschwand. Die großen Veränderungen, welche die Auflösung der alten englischen Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert mit sich brachte, drängten sich in sein Blickfeld und machten sein Herz bluten. Aber wenn er auch die Folgen sah, so verstand er doch nicht ihre Ursachen, verstand er nicht das Wirken der neuen gesellschaftlichen Kräfte. Er sah nicht die moderne Bourgeoisie, sondern nur den Teil der Aristokratie, der über das ererbte Monopol auf Staatsämter verfügte und der durch das Gesetz all die
Veränderungen sanktionierte, die durch die neuen Erfordernisse und Ansprüche der Bourgeoisie notwendig wurden. Er sah die Maschine, doch nicht die sie bewegende verborgene Kraft. Deshalb waren in seinen Augen für all die seit 1688 eingetretenen Veränderungen die Whigs verantwortlich. Sie waren die Haupttriebkräfte des Niedergangs Englands und der Herabwürdigung des Volkes. Daher stammte sein fanatischer Haß gegen die Whig-Oligarchie und seine immer wiederkehrenden Angriffe auf sie. Daher das seltsame Phänomen, daß William Cobbett, der instinktmäßig die Masse des Volkes gegen die Übergriffe der Bourgeoisie vertrat, in den Augen der Welt und seiner eigenen Überzeugung nach der Vertreter der industriellen Bourgeoisie gegen den Erbadel war. Als Schriftsteller bleibt er unübertroffen. Der heutige Herr Cobbett ist, da er die Politik seines Vaters unter veränderten Verhältnissen fortsetzt, unvermeidlich in die Klasse der liberalen Tories herabgesunken. „The Times"*261, bemüht, ihre demütige Haltung gegenüber dem russischen Zaren durch gesteigerte Unverschämtheit gegenüber dem englischen Arbeiter wettzumachen, bringt über den Antrag Herrn Cobbetts einen Leitartikel, der etwas Außerordentliches sein will, sich jedoch einfach als absurd herausstellt. Sie kann nicht abstreiten, daß die Beschränkung der Laufzeit der Maschinen das einzige Mittel wäre, um die Fabriklords dazu zu zwingen, sich den bestehenden Gesetzen über die Länge der Arbeitszeit in den Fabriken zu unterwerfen. Doch kann sie nicht verstehen, wie ein vernünftiger, zielstrebiger Mensch das dafür einzig wirksame Mittel vorschlagen kann. Der bestehende Zehneinhalbstundenakfi1G5] ist, wie all die anderen Fabrikgesetze, nur eine Scheinkonzession der herrschenden Klassen an die Arbeiter, und die Arbeiter, mit einer nur scheinbaren Konzession nicht zufrieden, wagen es, auf der Verwirklichung dieser Konzession zu bestehen. Die „Times" hat niemals von einer lächerlicheren oder ausgefalleneren Sache gehört. Wenn ein Fabrikant vom Parlament daran gehindert würde, seine Arbeiter 12, 16 oder mehr Stunden arbeiten zu lassen, dann, so sagt die „Times", „ist England nicht mehr der Ort, in dem ein freier Mann leben kann". Genauso wie der Gentleman aus Südkarolina, der vor ein Londoner Gericht gebracht und verurteilt wurde, weil er den von ihm von der anderen Seite des Atlantik mitgebrachten Neger öffentlich ausgepeitscht hatte, völlig aus dem Häuschen gebracht, ausrief: „Sie nennen das doch nicht etwa ein freies Land, wo es einem Menschen verboten ist, seinen eigenen Nigger zu prügeln ? " Wenn ein Mensch zum Fabrikarbeiter wird und mit einem Fabrikanten einen Kontrakt abschließt, worin er sich für sechzehn oder achtzehn Stunden pro Tag verkauft, anstatt wie besser situierte Sterbliche schlafen zu gehen, muß man das, sagt die „Times",
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
„durch jene natürliche Triebfeder" erklären, „welche das Angebot ständig der Nachfrage anpaßt und das Volk zu den ihm angenehmsten und passendsten Beschäftigungen führt". Die Gesetzgebung darf sich natürlich in diese traüail attrayant1 nicht einmischen. Wenn man die Laufzeit der Maschinen auf einen bestimmten Teil des Tages beschränkte, angenommen, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, dann könnte man, wie die „Times" sagt, genauso gut die Maschinen überhaupt abschaffen. Wenn man die Gasbeleuchtung in den Straßen löscht, sobald die Sonne aufgeht, so muß man sie auch während der Nacht dunkel halten. Die „Times" verbietet die gesetzliche Einmischung in Privatangelegenheiten und verteidigt deshalb vielleicht die Papiersteuer, die Annoncensteuer und den Zeitungsstempel, um die Privatangelegenheit seiner Konkurrenten zu unterdrücken, wobei sie von der Gesetzgebung fordert, ihre eigenen Interessen zu wahren und sie nicht mit der Beilagensteuer zu belasten. Sie äußert ihren tiefsten Abscheu vor der Einmischung des Parlaments in die geheiligten Angelegenheiten der Fabriklords, wo das Leben und die Moral ganzer Generationen auf dem Spiele stehen, während sie ihre entschlossenste Einmischung in die Angelegenheiten der Droschkenkutscher und der Lohnkutschenbesitzer hinauskrächzt, wo nichts auf dem Spiele steht außer der Bequemlichkeit einiger fetter Börsenhändler und vielleicht der Gentlemen vomPrinting House Square[821. Bis jetzt hatten uns die Bourgeoisökonomen erzählt, daß der Hauptnutzen der Maschinen in der Verkürzung und Abschaffung der körperlichen Arbeit und Plackerei bestehe. Jetzt gesteht die „Times", daß unter den gegenwärtigen Klassenverhältnissen die Arbeitszeit durch die Maschinen nicht verkürzt, sondern verlängert wird, daß sie zuerst die individuelle Arbeit ihrer Qualität beraubt und dann den Arbeiter zwingt, den Verlust an Qualität durch Quantität wieder wettzumachen. So wird der Arbeitstag um Stunden verlängert, zur Tagesarbeit die Nachtarbeit hinzugefügt, und dieserProzeß wird nur von den industriellen Krisen unterbrochen, wenn dem Menschen jede Arbeit überhaupt verweigert wird wenn die Fabriktore vor seiner Nase zugeschlagen werden und er Ferien nehmen oder sich aufhängen kann, ganz nach Belieben. Karl Marx
Aus dem Englischen.
1 anziehende Arbeit
Karl Marx/Friedrich Engels
Russisch-türkische Schwierigkeiten Ausreden und Ausflüchte des britischen Kabinetts Nesselrodes letzte Note - Die ostindische Frage
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3828 vom 25. Juli 1853] London, Dienstag, 12. Juli 1853 Die parlamentarische Farce vom vergangenen Donnerstag wurde am Freitag, dem 8. d. M., fortgesetzt und zu Ende geführt. Lord Palmerston verlangte nicht nur, daß Herr Layard seinen Antrag bis Montag vertage, sondern daß er ihn ganz zurückziehe. „Dem Montag sollte es so wie dem Freitag ergehen." Herr Bright ergriff die Gelegenheit, Lord Aberdeen zu seiner vorsichtigen Politik zu gratulieren und ihn im allgemeinen seines unbedingten Vertrauens zu versichern. Der „Morning Advertiser"[30] bemerkt hierzu:
„Wenn das Kabinett die Friedensgesellschaftf166] selber wäre, so hätte es nicht mehr tun können, als der gute Aberdeen tat, um Rußland zu ermutigen, Frankreich zu entmutigen, die Türkei zu gefährden und England zu diskreditieren. Herrn Brights Rede sollte eine Art Manchester-Manifest zugunsten der ,Zitterer'1 im Kabinett bedeuten."
Die Bemühungen der Minister, die beabsichtigte Interpellation Layards aus der Welt zu schaffen, entsprangen der wohlbegründeten Furcht, die inneren Zwistigkeiten im Kabinett der Öffentlichkeit nicht länger verheimlichen zu können. Die Türkei muß in Stücke zerfallen, damit die Koalition beisammenbleibt. Außer Lord Aberdeen sind noch die Minister Lord Clarendon, der Herzog von Argyll, Lord Granville, Herr Sidney Herbert, Herr Cardwell und der „radikale" Sir William Molesworth den russischen Ränken günstig gesinnt. Lord Aberdeen soll schon mit seiner Entlassung gedroht haben. Die „kraftvolle" Partei Palmerstons (civis Romanus sumt1671) bedurfte nur eines solchen Vorwands, um nachzugeben. Man beschloß, an die Höfe
1 Spottname für Quäker, hier: im Sinne von Pazifist
von Konstantinopel und St.Petersburg gleichlautende Noten zu schicken, worin empfohlen wird,
„daß die vom Zaren für die griechisch-orthodoxen Christen verlangten Privilegien auch allen anderen Christen in den türkischen Besitzungen zugesichert werden sollten, und zwar durch einen Garantievertrag, dessen Partner die Großmächte sein sollten".
Genau denselben Vorschlag hatte man jedoch dem Fürsten Menschikow schon am Abend vor seiner Abreise aus Konstantinopel gemacht, und er war, wie jederman weiß, ohne Erfolg geblieben. Es ist daher geradezu lächerlich, von einer Wiederholung irgendein Resultat zu erwarten, um so mehr, da jetzt kein Zweifel mehr besteht, daß Rußland ausdrücklich den Abschluß eines Vertrages mit den Großmächten anstrebt, das heißt mit Österreich und Preußen, der auf keinen Widerstand mehr stößt. Graf Buol, der österreichische Ministerpräsident, ist der Schwager des Barons von Meyendorf, des russischen Gesandten, und handelt in völliger Ubereinstimmung mit Rußland. An demselben Tage, wo die beiden Koalitionsparteien, die schläfrige und die „kraftvolle", die obenerwähnte Resolution faßten, veröffentlichte die „Palrie"11113 folgendes:
„Der neue österreichische Internuntius in Konstantinopel, Herr v. Bruck, debütierte damit, von der Pforte die Bezahlung von fünf Millionen Piaster als Indemnität und ihre Einwilligung zur Ubergabe der Häfen Kleck und Suttorina zu verlangen. Diese Forderung wurde als eine Unterstützung Rußlands angesehen." Das ist nicht die einzige Unterstützung, die Osterreich den russischen Interessen in Konstantinopel angedeihen läßt. Man erinnert sich aus dem Jahre 1848, daß die Fürsten immer für ein „Mißverständnis" sorgten, wenn sie auf ihr Volk schießen wollten. Der Türkei gegenüber wird jetzt dieselbe Kriegslist angewandt. Der österreichische Konsul in Smyrna veranlaßte, daß ein Ungar aus einem englischen Kaffeehause gewaltsam an Bord eines Österreichischen Schiffes verschleppt wurde; als die Emigranten diesen Gewaltakt damit beantworteten, daß sie einen österreichischen Offizier töteten und einen anderen verwundeten, verlangte Herr v. Bruck binnen 24 Stunden Satisfaktion von der Pforte*1681. Gleichzeitig mit dieser Nachricht gibt die „Morning Post"[27] vom Sonnabend ein Gerücht wieder, wonach die Österreicher in Bosnien einmarschiert seien. Als die Koalitionsminister gestern in den Sitzungen beider Häuser nach der Glaubwürdigkeit dieses Gerüchts befragt wurden, waren sie selbstverständlich „noch nicht informiert". Russell allein wagte die Vermutung, daß das Gerücht vielleicht bloß auf die Tatsache zurückzuführen sei, daß die Österreicher Truppen in Peterwardein zusammengezogen hätten. So erfüllt sich die Prophezeiung des Herrn von Tatischtschew
aus dem Jahre 1828, daß Österreich, sobald die Dinge erst zur Entscheidung kämen, gierig nach seinem Anteil an der Beute haschen würde. Eine vom 26. vorigen Monats datierte Depesche aus Konstantinopel besagt: „Da sich Gerüchte verbreiteten, daß die ganze russische Flotte Sewastopol verlassen habe und nach dem Bosporus steure, hat der Sultan bei den Gesandten von England und Frankreich angefragt, ob die vereinigten Flotten bereit seien, die Dardanellen zu passieren, falls dieRussen vor demBosporus eineDemonstration unternehmen sollten. Beide antworteten bejahend. Ein türkischer Dampfer, der englische und französische Offiziere an Bord hat, wurde eben vom Bosporus nach dem Schwarzen Meer zur Rekognoszierung ausgesandt." Das erste, was die Russen nach ihrem Einmarsch in die Fürstentümer taten, war das Verbot der Veröffentlichung des vom Sultan erlassenen Fermans, der die Privilegien der Christen aller Art bestätigte, und die Unterdrückung einer deutschen, in Bukarest erscheinenden Zeitung, die es gewagt hatte, einen Artikel über die orientalische Frage zu veröffentlichen. Zugleich erpreßten sie von der türkischen Regierung die erste jährliche Tributzahlung, die bei ihrer früheren Okkupation der Moldau und Walachei 1848/49 durch Rußland festgesetzt worden war. Seit 1828 hat das russische Protektorat die Fürstentümer 150 Millionen Piaster gekostet, außer den ungeheuren Verlusten, die durch Plünderung und Verwüstung verursacht wurden. England trug die Kosten der Kriege Rußlands gegen Frankreich, Frankreich zahlte die Kosten des Krieges, den Rußland gegen Persien führte, Persien zahlte die Kosten des Krieges, den Rußland gegen die Türkei führte, die Türkei und England zahlten die Kosten des Krieges, den Rußland gegen Polen führte; Ungarn und die Donaufürstentümer müssen nun Rußlands Krieg gegen die Türkei bezahlen. Das wichtigste Tagesereignis ist die neue Zirkularnote des Grafen Nesselrode aus St.Petersburg vom 20. Juni 1853. Er erklärt darin, daß die russischen Armeen die Donaufürstentümer nicht eher räumen werden, bis der Sultan allen Forderungen des Zaren nachgegeben und die englischen und französischen Flotten die türkischen Gewässer verlassen hätten. Diese Note klingt wie eine direkte Verhöhnung Englands und Frankreichs. In ihr heißt es: „Die Position, welche die beiden Seemächte eingenommen haben, stellt eine maritime Besetzung dar, welche uns dazu berechtigt, das Gleichgewicht der gegenseitigen Situation durch Ergreifung einer militärischen Position herzustellen." Man beachte, daß die Besikabai 150 Meilen von Konstantinopel entfernt ist. Der Zar beansprucht für sich das Recht, türkisches Territorium zu besetzen, verbietet aber gleichzeitig England und Frankreich, von neutralen
Gewässern ohne seine besondere Erlaubnis Besitz zu ergreifen. Er ist selber voll des Lobes über seine großmütige Nachsicht, mit der er der Pforte die Freiheit läßt, sich die Form zu wählen, wie sie auf ihre Souveränität verzichten will: „ob durch eine Konvention, einen Sened oder irgendeinen andern gegenseitigen Akt oder sogar nur durch die Unterzeichnung einer einfachen Note". Er ist überzeugt, daß das „unparteiische Europa" es begreifen werde, daß der Vertrag von Kainardschi, der Rußland das Recht gibt, eine einzige griechische Kapelle in Stambul zu beschützen^1061, es eo ipso1 zum Rpm des Orients mache. Er bedauert, daß der Westen den harmlosen Charakter eines russischen religiösen Protektorats in fremden Ländern nicht verstehe, und belegt seine Beflissenheit, die Unverletzlichkeit der Türkei zu erhalten, mit historischen Tatsachen. „Welch mäßigen Gebrauch hat er z. B. 1829 von dem Siege von Adrianopel[45] gemacht", wo ihn nur der jämmerliche Zustand seiner Armee und die Drohung des englischen Admirals, mit oder ohne Erlaubnis jeden Küstenplatz am Schwarzen Meer zu bombardieren, daran hinderte, unmäßig zu sein, und wo er alles, was er erreichte, nur der „Langmut" der westlichen Kabinette und der perfiden Zerstörung der türkischen Flotte bei Navarinot37] zu verdanken hatte. „ 1833 habe er allein in Europa die Türkei vor einer unvermeidlichen Zerstücklung gerettet." 1833 schloß der Zar in dem bekannten Vertrag von Hunkiar Iskelessi[169] ein Defensivbündnis mit der Türkei, das fremden Flotten verbot, sich Konstantinopel zu nähern, und das die Türkei nur deshalb vor der Zerstücklung rettete, damit sie Rußland ganz erhalten bliebe. „1839 ergriff er bei den anderen Mächten die Initiative für Vorschläge, welche gemeinschaftlich ausgeführt, den Sultan davor bewahrt haben, seinen Thron einem neuen arabischen Reiche weichen zu sehen." Das heißt, 1839 ließ er die anderen Mächte die Initiative zur Zerstörung der ägyptischen Flotte ergreifen und veranlaßte, daß der einzige Mann zur Ohnmacht verdammt wurde, der imstande gewesen wäre, aus der Türkei eine tödliche Gefahr für Rußland zu machen und einen „Paradeturban" durch einen wirklichen Kopf zu ersetzen2. „Das Fundamentalprinzip der Politik unseres erhabenen Kaisers ist es immer gewesen, so lange als möglich den Status quo im Orient aufrechtzuerhalten." Das ist richtig. Der Zar hat stets eifrig dafür gesorgt, daß die Auflösung des türkischen Staates sich ausschließlich unter russischer Vormundschaft vollziehe.
x eben dadurch - 2 Mechmed Ali
Es muß zugegeben werden: Ein höhnischeres Schriftstück ist wohl bis zum heutigen Tage noch nie den Westmächten vom Osten her ins Gesicht geschleudert worden. Aber sein Verfasser ist Nesselrode, dessen Name nicht umsonst zugleich Nessel und Zuchtrute1 bedeutet. Fürwahr, es ist ein Dokument dafür, daß Europa sich unter die Zuchtrute der Konterrevolution beugt. Die Revolutionäre können dem Zaren zu diesem Meisterwerk gratulieren. Wenn dies der Rückzug Europas ist, so ist es kein einfacher Rückzug nach einer gewöhnlichen Niederlage, sondern ein Rückzug durch die Furcae Caudinae11701. Aber während die englische Königin in diesem Augenblick russische Fürstinnen feiert, während die aufgeklärte englische Bourgeoisie und Aristokratie demütig zu Füßen des barbarischen Autokraten liegt, protestiert allein das englische Proletariat gegen die Unfähigkeit und die Würdelosigkeit der herrschenden Klassen. Am 7.Juli hielt die Manchesterschule eine große Friedensversammlung in der Odd-Fellows-Hall in Halifax ab. Crossley, Mitglied des Parlaments für Halifax, und all die anderen „großen Männer" der Schule waren speziell zu dieser Versammlung aus der „Stadt"2 herbeigeeilt. Der Saal war überfüllt, und viele Tausende konnten keinen Einlaß finden. Ernest Jones (dessen Agitation in den Fabrikbezirken prächtige Fortschritte macht, wie man aus der großen Zahl der chartistischen Petitionen im Parlament und aus den Angriffen der provinzialen Bourgeoispresse entnehmen kann) war gerade in Durham. Die Chartisten von Halifax, wo Jones schon zweimal vorgeschlagen und durch HändehebenI17l] zum Kandidaten fürs Unterhaus erwählt worden ist, riefen ihn telegraphisch herbei, und er erschien gerade noch rechtzeitig in der Versammlung. Die Herren von der Manchesterschule glaubten sich schon ihres Sieges sicher und hofften, eine Resolution durchzubringen, die ihrem guten Aberdeen die Unterstützung der Fabrikbezirke zusichern sollte, als Ernest Jones sich erhob und ein Amendement einbrachte, das das Volk zum Krieg aufrief und in dem er erklärte, der Friede sei ein Verbrechen, solange nicht die Freiheiterrungen. Eine heftige Diskussion fand statt, aber die Resolution von Ernest Jones siegte mit großer Majorität. Die Artikel der Indienbill werden nacheinander angenommen; die Debatte hierzu weist kaum irgendwelche bemerkenswerten Züge auf, ausgenommen die Inkonsequenz der sogenannten Indienreformer. Da ist z. B. Mylord Jocelyn, Mitglied des Parlaments, der seine periodischen Enthüllungen indischer Übelstände und der Mißwirtschaft der Ostindischen Kompanie zu einer Art Lebensunterhalt gemacht hat. Was glauben Sie wohl, worauf sein
1Wortspiel: Nessel (deutsch), rod (englisch) = Rute — 2 London
Antrag Hinauslief? Auf eine Verlängerung der Charte der Ostindischen Kompanie auf zehn Jahre. Glücklicherweise hat er sich nur allein damit bloßgestellt. Ein weiterer berufsmäßiger „Reformer" ist Herr Josfeph] Hume, dem es während seiner langen parlamentarischen Laufbahn gelungen ist, die Opposition in eine besondere Form der Unterstützung des Kabinetts zu verwandeln. Er schlug vor, nicht die Anzahl der Direktoren der Ostindischen Kompanie von 24 auf 18 zu reduzieren. Das einzige vernünftige Amendement, dem jetzt zugestimmt wurde, war das des Herrn Bright, in der die von der Regierung ernannten Direktoren von der Qualifikation durch den Besitz von Ostindienaktien befreit werden, die von den durch den Aufsichtsrat gewählten Direktoren eingeführt worden war. Lesen Sie die von der Gesellschaft zugunsten von Reformen in Ostindien veröffentlichten Schriften11031, und Sie werden ein ähnliches Gefühl verspüren, als wenn Sie von einer einzigen großen Anklageschrift gegen Bonaparte hören, die von Legitimisten, Orleanisten, Blauen und Roten Republikanern und sogar enttäuschten Bonapartisten gemeinsam zusammengestellt wurde. Das einzige Verdienst dieser Schriften war bis jetzt, die Öffentlichkeit ganz allgemein auf die Zustände in Indien aufmerksam gemacht zu haben, und bei ihrer augenblicklichen Form eklektischer Opposition können sie nicht weiter gehen. Während sie z. B. einerseits das Treiben der englischen Aristokratie in Indien angreifen, protestieren sie andrerseits gegen die Vernichtung der indischen Aristokratie, d. h. der einheimischen Fürsten. Nachdem die britischen Eindringlinge einmal indischen Boden betreten hatten und entschlossen waren, ihn zu behaupten, blieb kein anderer Weg, als die Macht der einheimischen Fürsten mit Gewalt oder durch Intrigen zu brechen. Da sich die Engländer ihnen gegenüber in einer ähnlichen Situation befanden wie die alten Römer in bezug auf ihre Verbündeten, folgten sie den Spuren römischer Politik. „Es war", so schreibt ein englischer Autor, „eine Methode, die Verbündeten zu mästen, wie wir Ochsen mästen, bis sie verschlungen werden können." Nachdem sie ihre Verbündeten nach dem Vorbild des alten Roms für sich eingenommen hatte, rechnete die Ostindische Kompanie mit ihnen auf die moderne Art der Change alley[1723 ab. Um sich ihrer Verpflichtungen zu entledigen, die sie der Kompanie gegenüber eingegangen waren, mußten die einheimischen Fürsten riesige Summen zu Wucherzinsen von Engländern borgen. Wenn ihre Notlage den höchsten Punkt erreicht hatte, wurde der Gläubiger unerbittlich, „die Schraube wurde angezogen", und die Fürsten waren gezwungen, entweder ihre Territorien „freiwillig" der Kompanie abzutreten oder einen Krieg zu beginnen; im ersten Falle werden sie zu Pensionären ihrer Usurpatoren; im andern Falle
werden sie als Verräter ihres Thrones beraubt. Im gegenwärtigen Zeitpunkt nehmen die einheimischen Fürstenstaaten eine Fläche von 699961 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung von 52941 263 Seelen ein; aber das sind schon keine Verbündeten mehr, sondern auf Grund mannigfaltiger Bedingungen und unter den verschiedenartigen Formen des Subsidien- und des Schutzsystems nur die Vasallen der britischen Regierung. Diese Systeme haben eins gemeinsam: Sie verweigern gern den Eingeborenenstaaten das Recht auf selbständige Verteidigung, auf Aufrechterhaltung diplomatischer Beziehungen und auf die Regelung von Streitfragen untereinander ohne Einmischung des Generalgouverneurs. Sie alle müssen einen Tribut zahlen, entweder in Bargeld oder in Form von Truppenkontingenten, die von britischen Offizieren befehligt werden. Die endgültige Eingliederung oder Annexion dieser Fürstenstaaten ist im Augenblick Thema einer heftigen Kontroverse zwischen den Reformern, die eine solche Annexion als Verbrechen verurteilen, und den Geschäftsleuten, die sie als Notwendigkeit rechtfertigen. Meiner Meinung nach ist die Fragestellung selbst völlig ungenau. Was die einheimischen Fürsten Staaten betrifft, so haben sie tatsächlich in dem Augenblick zu bestehen aufgehört, als sie zu Vasallen der Kompanie wurden oder unter ihren Schutz gestellt wurden. Wenn man das Nationaleinkommen eines Landes unter zwei Regierungen aufteilt, lähmt man notwendigerweise die Hilfsquellen der einen und die Verwaltung von beiden. Unter dem gegenwärtigen System erliegen die einheimischen Fürstenstaaten einem doppelten Alpdruck: dem ihrer eignen Verwaltung und dem der Tribute und unmäßigen Militärdienstleistungen, die ihnen von der Kompanie auferlegt werden. Die Bedingungen, unter denen sie ihre scheinbare Unabhängigkeit aufrechterhalten dürfen, sind gleichzeitig die Bedingungen, die zu ihrem andauernden Verfall und zu einer völligen Unfähigkeit, ihre Lage zu verbessern, führen. Organische Schwäche ist das Grundgesetz ihres Daseins wie bei jedem Organismus, der nur existiert, weil man ihn duldet. Die Frage dreht sich also nicht um die Aufrechterhaltung der einheimischen Staaten, sondern der einheimischen Fürsten und ihrer Höfe. Und ist es nicht seltsam, daß dieselben Männer, die „den barbarischen Prunk der Krone und der Aristokratie Englands" verurteilen, heute Tränen vergießen über den Sturz indischer Nabobs, Radschas und Dschagirdare[173J, die in der überwiegenden Mehrzahl sich nicht einmal ihres alten Geschlechts rühmen können, da sie im allgemeinen Usurpatoren jüngsten Datums sind, die durch englisches Intrigenspiel auf den Thron gebracht wurden! Auf der ganzen Welt gibt es keinen lächerlicheren, unsinnigeren und kindischeren Despotismus als den jener Schachsenans und Schachriars aus „Tausendundeiner Nacht". Per Herzog von
Wellington, Sir J[ohn] Malcolm, Sir Henry Russell, Lord Ellenborough, General Briggs und andere Autoritäten haben sich für die* Erhaltung des Status quo ausgesprochen. Doch mit welcher Begründung? Weil die indischen Truppen unter englischem Kommando Beschäftigung in den kleinen Kriegsunternehmen gegen ihre eigenen Landsleute haben müssen, um zu verhindern, daß sie ihre Kraft gegen ihre europäischen Herren kehren; weil das Bestehen unabhängiger Staaten den englischen Truppen ab und zu Beschäftigung gibt; weil die Erbfürsten die unterwürfigsten Werkzeuge des englischen Despotismus sind und den Aufstieg jener kühnen militärischen Abenteurer hemmen, an denen Indien reich ist und immer reich sein wird; weil die unabhängigen Territorien einen Zufluchtsort für alle unzufriedenen und wagemutigen Geister des indischen Volkes bieten. Wenn ich all diese Argumente beiseite lasse, die so beredt davon zeugen, daß die einheimischen Fürsten die Pfeiler des heutigen scheußlichen englischen Herrschaftssystems und das größte Hindernis für den Fortschritt Indiens sind, komme ich auf Sir Thomas Munro und Lord Elphinstone zu sprechen, die zumindest Männer von ausgezeichneter Denkungsart und von wirklichem Mitgefühl für das indische Volk waren. Sie waren der Meinung, daß es ohne eine einheimische Aristokratie keine Lebenskraft in irgendeiner anderen Klasse der Gesellschaft geben kann und daß der Sturz jener Aristokratie ein ganzes Volk nicht erhöhen, sondern erniedrigen wird. Sie mögen recht haben, solange man in Betracht zieht, daß unter der unmittelbaren Herrschaft der Engländer die indische Bevölkerung systematisch von allen höheren Militär- und Zivilämtern ausgeschlossen wird. Wo es keine großen Männer auf Grund eigener Leistung geben kann, muß es große Männer auf Grund von Geburt geben, um einem unterworfenen Volk wenigstens etwas eigene Größe zu lassen; Dieser Ausschluß der einheimischen Bevölkerung von höheren Stellungen auf englischem Gebiet ist aber nur durch die Erhaltung der Erbfürsten in den sogenannten unabhängigen Territorien erreicht worden. Und eines dieser beiden Zugeständnisse mußte der Eingeborenenarmee gemacht werden, auf deren Stärke die gesamte britische Herrschaft in Indien beruht. Ich glaube, wir können der Versicherung des Herrn Campbell Glauben schenken, daß die einheimische indische Aristokratie am wenigsten dazu befähigt ist, höhere Stellen auszufüllen; daß es für alle neuen Erfordernisse notwendig ist, eine neue Klasse zu schaffen und daß „dies wegen der Auffassungsgabe und des Lernvermögens der niederen Klassen in Indien wie in keinem anderen Lande möglich ist". Die einheimischen Fürsten selbst verschwinden schnell durch das Aussterben ihrer Geschlechter. Doch seit Beginn dieses Jahrhunderts hat die britische Regierung die Politik verfolgt, ihnen zu gestatten, Erben durch
Adoption zu schaffen, oder ihre frei gewordenen Herrschaftssitze mit Marionetten englischer Schöpfung zu besetzen. Der bekannte Generalgouverneur Lord Dalhousie war der erste, der offen gegen dieses System protestierte. Würde dem natürlichen Lauf der Dinge nicht künstlich Einhalt geboten, bedürfte es weder Kriege noch Geldausgaben, um die einheimischen Fürsten hinwegzufegen. Was die auf Pension gesetzten Fürsten angeht, so sind die 2468969 Pfd.St., die ihnen für ihren Unterhalt von der britischen Regierung aus dem indischen Nationaleinkommen zugeteilt werden, eine äußerstschwere Bürde für ein Volk, das von Reis lebt und das der Mittel zur Befriedigung der notwendigsten Lebensbedürfnisse beraubt ist. Wenn diese Fürsten für irgend etwas gut sind, so dafür, ein Königtum in seiner tiefsten Stufe von Erniedrigung und Lächerlichkeit zur Schau zu stellen. Nehmen Sie z.B. den Großmogul1, den Nachfahren Timur TamerW™. Er erhält 120000 Pfd.St. im Jahr. Seine Macht reicht nicht über die Mauern seines Palastes hinaus, in dem sich die königliche Idiotenbrut, sich selbst überlassen, wie die Kaninchen stark vermehrt. Sogar die Polizei in Delhi wird von Engländern gestellt und steht außerhalb seiner Kontrolle. Da sitzt er auf seinem Thron, ein verhutzeltes, gelbes altes Männchen, theatralisch aufgeputzt, in goldbestickter Kleidung wie die der Tanzmädchen von Hindustan. Bei gewissen Staatsaktionen stellt sich die mit Flitter behängte Marionette zur Schau, um die Herzen seiner „Untertanen" zu erfreuen. An seinen Empfangstagen müssen die Ausländer ein Eintrittsgeld in Form von Guineen zahlen wie bei irgendeinem anderen Gaukler, der sich öffentlich zur Schau stellt; während er seinerseits ihnen Turbane, Diamanten usw. als Geschenke überreicht. Wenn man sie allerdings näher betrachtet, entdeckt man, daß die königlichen Diamanten nichts weiter als gewöhnliche Glasstückchen sind, die grob bemalt und so plump wie möglich Edelsteine imitieren und so erbärmlich zusammengefügt sind, daß sie in der Hand wie Pfefferkuchen zerbrechen. Wir müssen zugeben, daß die englischen Wucherer im Verein mit der englischen Aristokratie sich auf die Kunst der Erniedrigung königlicher Hoheiten verstehen, wenn sie sie im Mutterlande auf die Nichtigkeit des Konstitutionalismus und außerhalb auf das abgeschlossene Dasein der Etikette beschränken. Und dennoch sind die Radikalen gerade über dieses Schauspiel erbittert! Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Krieg in Birma - Die russische Frage Eine seltsame diplomatische Korrespondenz
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3833 vom 30. Juli 1853] London, Freitag, 15. Juli 1853 Mit der letzten Überlandpost aus Indien wurde die Nachricht überbracht, daß die birmanischen Abgesandten das von General Godwin gemachte Angebot abgelehnt haben. Der General gab ihnen nochmals 24 Stunden Zeit zum Überlegen, doch die Birmanen reisten bereits innerhalb von 10 Stunden ab. Eine dritte Auflage des endlosen birmanischen Krieges scheint unvermeidlich zu sein[141]. Von allen kriegerischen Expeditionen der Briten im Osten wurde nie eine mit weniger Rechtfertigung unternommen als die gegen Birma. Von dieser Seite bestand keinerlei Gefahr einer Invasion, wie etwa vom Nordwesten, da Bengalen durch eine Bergkette von Birma getrennt ist, die nicht von Truppen überquert werden kann. Um mit Birma Krieg zu führen, muß die britische Regierung Indiens von der See her vorgehen. Von Angriffen der Birmanen von der See her zu sprechen, ist ebenso lächerlich, wie der Gedanke unsinnig ist, daß die birmanischen Küstendschunken die Kriegsdampfer der Ostindischen Kompanie herausfordern könnten. Der Vorwand, die Yankees hätten starke Annexionsabsichten auf Pegu, wird durch keinerlei Tatsachen bewiesen. Es bleibt daher kein anderes Argument übrig, als der Mangel an Beschäftigung für die müßige Aristokratie, als die Notwendigkeit, wie ein englischer Schriftsteller sagt, „ein regelrechtes Arbeitshaus für Standespersonen oder einen Hampton-Courttl75] des Ostens" zu begründen. Der erste birmanische Krieg (1824-1826), welcher unter der Don Quichottischen Verwaltung von Lord Amherst angezettelt wurde, vermehrte, obwohl er nur etwas mehr als zwei Jahre dauerte, die indischen Schulden um 13 Millionen Pfd.St. Die Unterhaltung der östlichen Niederlassungen in Singapur, auf der Insel
Penang und in Malakka verursacht, abgesehen von der Löhnung für die Truppen, ein jährliches Überschreiten der Ausgaben über die Einnahmen bis zu 100 000 Pfd. St. Das Gebiet, welches den Birmanen 1826 genommen wurde, kostet die gleiche Summe. Die Ausgaben für das Gebiet von Pegu sind noch ruinierender. Doch woher kommt es, daß England vor dem heute so notwendigen Krieg in Europa - dem Krieg gegen Rußland - zurückschreckt, während es sich in Asien Jahr für Jahr in die sinnlosesten Kriege einläßt? Die Staatsschuld macht England in Europa zum Zitterer1 - während es die Kosten für die Kriege in Asien den Indern aufbürdet. Aber wir können annehmen, daß die bevorstehende Aufhebung der Opiumsteuer in Bengalen zusammen mit den Kosten für einen neuen Krieg in Birma eine solche Krise in den indischen Finanzen hervorrufen werden, daß dadurch eine durchgreifendere Reform des indischen Reiches erfolgen wird als durch alle Reden und Abhandlungen der Parlamentsreformer in England. Gestern fragte Herr Disraeli im Unterhaus die Minister, ob es nicht angebracht sei, daß Herr Layard jetzt, nach der letzten Zirkularnote des russischen Kabinetts, seinen Antrag stelle. Lord John Russell antwortete, es erscheine ihm als das beste, Herrn Layard gegenwärtig nicht anzuhören, da es seit der Veröffentlichung der Note wichtiger denn je sei,- zu verhandeln. „Die Annahme des ehrenwerten Abgeordneten, daß die Verhandlungen jetzt auf dem toten Punkt angelangt seien, war eine irrtümliche Vorstellung." Während Lord John in Wirklichkeit sein Aberdeensches Kredo ablegte, suchte er mit folgenden Worten das Ansehen der civis Romanus sum[1671 Partei wiederherzustellen: „Selbstverständlich nahm ich an, daß ein Mann mit der Erfahrung und demScharfsinn des Grafen Nesselrode nie seine Unterschrift unter ein Dokument setzen würde, in welchem die russische Regierung vor aller Welt den Abzug der vereinigten Flotten zur Bedingung für die Räumung der Donaufürstentümer machen würde."
In der nachfolgenden Indien-Debatte beantragte Herr Bright, daß in der neunten Klausel, welche vorsieht, „daß sechs der Direktoren, welche nicht von der Krone ernannt werden, Personen sein sollen, die zehn Jahre lang in Indien im Dienste der Krone oder der Kompanie gestanden haben", die Worte „im Dienste der Krone oder der Kompanie" gestrichen werden sollen. Dem Amendement wurde zugestimmt. Bezeichnend ist, daß während der ganzen Indiendebatte das Ministerium keinem der Amendements zustimmte und folglich auch das Haus keine, außer die von Herrn Bright beantragten, annahm. Das Friedensministerium tut im Augenblick alles, um seine Entente
1 Spottname für Quäker, hier: im Sinne von Pazifist
cordiale mit der Friedenspartei, der Manchesterschule [691, zu sichern, welche gegen jede Art von Krieg, außer mit Baumwollballen und Preislisten, ist. Herr Drouyn de Lhuys, der französische Minister für Auswärtige Angelegenheiten, einst Obersekretär im Außenministerium unter Herrn Guizot und damals von seinem Chef für kaum befähigt zur Bekleidung dieses Postens bezeichnet, geht jetzt ausgiebig dem Vergnügen nach, mit Graf Nesselrode Noten und Zirkularschreiben auszutauschen. Der gestrige „Moniteur"[51 gibt seine Antwort auf die letzte (2.) Zirkularnote des russischen Ministers11761 wieder. Diese Antwort schließt mit folgenden Sätzen: „Die Mäßigung, wovon Frankreich Beweise gegeben hat, gibt ihm, während sie jede Verantwortlichkeit von ihm abwendet, zugleich das Recht, zu hoffen, daß die Opfer, welche es für die Aufrechterhaltung der Ruhe im Orient gebracht hat, nicht verloren sein werden und daß die russische Regierung endlich ein Mittel aufzufinden wissen wird, ihre Forderungen mit den Vorrechten der Souveränität des Sultans zu versöhnen und anders als durch Gewalt eine Differenz zu erledigen, von deren Lösung so viele Interessen abhängig sind." In einem früheren Artikel erwähnte ich die Vorschläge, die Herr de Villele seinerzeit Rußland gemacht hatte, um die Integrität des Ottomanischen Reichs durch ein Garantieabkommen zwischen allen Großmächten1 zu wahren. Diese Vorschläge veranlaßten Graf Pozzo di Borgo zu folgender Erwiderung: „Eine allgemeine Bürgschaft für das Ottomanische Reich, abgesehen davon, daß sie ungewöhnlich und überraschend ist, würde die Rechte, welche Rußland erworben hat und die Prinzipien, auf welchen sie beruhen, verletzen." Dennoch erklärte sich Rußland im Jahre 1841 bereit, Partner eines solch ungewöhnlichen Abkommens zu werden^1771, und Nesselrode bezieht sich in seiner Note vom 20. Juni (2. Juli) selbst auf jenes Abkommen. Warum stimmte ihm Rußland im Gegensatz zu seiner traditionellen Politik zu? Weil jenes Abkommen weniger „eine Garantie gegenüber dem Ottomanischen Reich" als vielmehr eine Waffe war gegen seinen einzigen lebenswichtigen Bestandteil, nämlich gegen Ägypten unter der Herrschaft Mechmed Alis -, weil es, zumindest ursprünglich, als eine Koalition gegen Frankreich gedacht war. Die Pariser Zeitung „La Presse"11121 bringt in ihrer heutigen Ausgabe, welche ich gerade erhalten habe, eine bisher noch nicht veröffentlichte Korrespondenz zwischen dem verstorbenen General Sebastiani, der bisher Botschafter in London war, und Madame Adelaide, der Schwester LouisPhilippes; eine Korrespondenz, die ein bezeichnendes Licht auf die diplö
matischen Verhandlungen jener Zeit wirft. Sie enthält eindeutige Beweise, daß das Abkommen von 1841 keineswegs, wie Nesselrode in seiner Note behauptet, von Rußland ausgegangen ist, sondern im Gegenteil von Frankreich und England'gegen Rußland entworfen worden war und erst nachträglich von Rußland in eine Waffe gegen Frankreich verwandelt wurde. Soweit mir die knappe Zeit erlaubt, übersetze ich aus dieser wichtigen Korrespondenz:
I
„London, 12. Juni 1835 Heute hatte ich eine Konferenz von zweistündiger Dauer mit Lord Palmerston. Ich war mit ihm sehr zufrieden. Ich hatte mich nicht getäuscht, als ich Ihnen versicherte, daß er ein Freund König Leopolds und vor allem ein großer Verfechter der Allianz mit Frankreich ist. Lord Palmerston unterhielt sich mit mir besonders über die orientalischen Angelegenheiten. Er glaubt, daß der Pascha von Ägypten seine Entscheidung, welchen Kurs er verfolgen wird, getroffen hat. Er hat den Wunsch, daß Frankreich und England, unterstützt durch die Anwesenheit ihrer Flotten, neue Anstrengungen machen sollten, um Mechmed Ali einzuschüchtern, und daß gleichzeitig unsere Botschafter in Konstantinopel den Sultan darüber informieren sollten, daß sie von ihren Höfen Anweisung bekommen hätten, ihn ihrer Unterstützung gegenüber allen Anschlägen des Paschas von Ägypten unter der Bedingung zu versichern, daß nicht er mit den Feindseligkeiten beginne. Ich halte dies für einen klugen Kurs und für ratsam, daß er von Frankreich und England befolgt wird. Wir müssen die Pforte unterstützen und dürfen nicht zulassen, daß Ägypten, Syrien und Kölesyrien von ihr losgelöst werden. Rußland wartet nur auf den Augenblick, seine Hilfstruppen beim Sultan aufmarschieren zu lassen, und diese Hilfe wäre das Ende des Oitomanischen Reichs."
II
„London, 21. April 1836 In England sind sich alle Parteien einig, daß es notwendig ist, Rußland genau zu beobachten, und ich glaube, daß, zumindest scheint es so, die Tory-Partei noch entschiedener dafür ist als die Whigs, da sie keine Rücksicht auf Amtsinteressen nehmen muß."
III
„London, 6. Juli 1838 Die Leute glauben hier, es herrsche in Europa in der orientalischen Frage allgemeines Einverständnis. Ungeduldig wartet man auf die Antwort aus Paris. Ich glaube, daß ich die Verhaltensweise, wie sie mir vom König in verschiedenen Unterhaltungen vorgezeichnet wurde, nicht überschritten habe. Sobald das Einvernehmen im Prinzip hergestellt ist, wird die Handlungsweise und Position, welche jede der Machte einnehmen wird, von Fall zu Fall geregelt werden. Die Rolle, die Rußland gemeinsam mit England und Frankreich zu spielen hat, muß selbstverständlich eine maritime sein;
und um jede Gefahr, die sich aus einer Aktion der Flotte im Schwarzen Meer ergeben kann, zu verhindern, muß Rußland zu der Einsicht gebracht werden, daß sein für die vereinigten Flotten bestimmtes Geschwader aus der Ostsee abzuziehen ist."
IV
„London, 3. Oktober 1839 England hat die russischen Vorschläge nicht angenommen^178!, und Lord Palmerston informierte mich im Namen der Regierung, diese habe deshalb abgelehnt, um ihrem Bündnis mit Frankreich treu zu bleiben. Von dem gleichen Gefühl veranlaßt, stimme sie zu, daß Mechmed Ali Ägypten und jenen Teil Syriens als Erbgut erhalte, welcher innerhalb einer noch festzusetzenden Grenze liegt und von Saint-Jean-d'Acre bis zum See von Tiberias verläuft. Nicht ohne Schwierigkeiten haben wir die Zustimmung der englischen Regierung zu diesen Vorschlägen erhalten. Ich glaube nicht, daß eine derartige Lösung von Frankreich oder von Mechmed Ali abgelehnt wird. Die orientalische Frage wird dadurch vereinfacht; sie wird durch das Zusammengehen der Mächte und durch die Garantie der Integrität des Ottomanischen Reichs aus der Welt geschafft. Alle Prinzipien werden gewahrt. Die Hohe Pforte wird in das europäische Völkerrecht einbezogen. Das ausschließliche Protektorat Rußlands ist Vernichtet Ich habe mich gefragt, weshalb die republikanische Partei in Frankreich sich Mechmed Ali gegenüber so wohlwollend gesinnt zeigte und warum sie seine Sache so warm unterstützte. Ich konnte keinen anderen Grund finden, als daß sie dem revolutionären Prinzip entsprechend versucht, alles zu unterstützen und zu ermutigen, was darauf gerichtet ist, die bestehenden Regierungen zu stürzen. Nie dürfen wir uns, meiner Meinung nach, in eine solche Falle locken lassen."
V
„London, 30. November 1839 Wie ich aus authentischer Quelle erfahre, hat Lord Palmerston auf der letzten Sitzung des Kabinetts, als er über den Stand der orientalischen Angelegenheiten und über die bestehenden Differenzen zwischen der englischen und der französischen Politik berichtete, mit solcher Mäßigung und solcher Rücksichtnahme auf die Allianz beider Länder gesprochen, daß er unseren Dank verdient. Er lenkte sogar die Aufmerksamkeit seiner Kollegen auf ein ähnliches System, wie das von mir erwähnte. Zum Schluß gab er in Formfragen nach und erklärte sich gegen eine Politik entschlossener Handlungen und unvermeidlicher Komplikationen."
VI
„London, 12. Dezember 1839 Ich war bei Lord Palmerston, da ich begierig war zu erfahren, ob er mir bezüglich der mir vor kurzem gemachten Mitteilung weitere Informationen geben könne. Er las mir den Brief Herrn Von Nesselrodes an den russischen Geschäftsträger vor, welcher
genau mit dem übereinstimmte, was er mir kürzlich mitgeteilt hatte. Die Ankunft des Herrn von Brunnow wird uns die geheimsten Gedanken des Kabinetts von St.Petersburg offenbaren. Lord Palmerston war reizend, sowohl in seinem Benehmen als auch in den von ihm vorgebrachten Gedanken. Mit Vergnügen sieht er der Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen dem französischen und englischen Kabinett und dem Fortbestehen der Allianz entgegen. Glauben Sie mir, daß ich hierin nicht übertreibe. Ich erzählte ihm offen und ehrlich, daß die neue Lage ganz so sei, wie Frankreich sie sich seit jeher gewünscht hat. Er war selbst gezwungen, das anzuerkennen. Fürst Esterhazy hat an seinen Geschäftsträger geschrieben, daß er mit dem Marschall1 äußerst zufrieden gewesen sei und daß er augenblicklich den Versuch mache, das französische Kabinett wieder zu einer Entente mit Österreich zu bewegen, doch sei der König unbeugsam gewesen. Das mag ich wohl glauben. Der König befaßt sich nicht mit solchen undurchführbaren Abschweifungen. Dies schreibe ich nur für Sie. In der Tat glaube ich, wie Ihre Königliche Höheit, daß Rußland in seinen eigenen Netzen gefangen werden wird"
VII
„London, 18. Dezember 1839 Heute morgen erhielt ich eine mehr als befremdende Depesche vom Marschall. Es war eine Antwort auf den Brief, in welchem ich ihm berichtet habe, was ich Lord Palmerston von dem Eindruck mitgeteilt hatte, den die Bekanntmachung über die neue Mission Herrn von Brunnows und ihr Ziel in Paris hervorgerufen hat. Ich habe Lord Palmerston textuellement2 den Abschnitt aus der mir vom Marschall übersandten Depesche verlesen. Aber in dem Bericht, den ich ihm darüber gesandt hatte, benutzte ich Worte, die, ohne mit dem Wortlaut der Äußerungen des Marschalls identisch zu sein, doch die gleichen Gedanken wiedergaben. Jetzt ist der Marschall so freundlich, mir zu versichern, daß zwischen meinen Worten und seiner eigenen Ausdrucksweise kein Unterschied bestehe; doch empfiehlt er mir, meine Umsicht zu verdoppeln und mich zu bemühen, bei unseren Verhandlungen wieder auf die wörtliche Bedeutung seiner eigenen Depeschen zurückzugreifen. Ich müßte mich sehr irren, wenn dies nicht eine querelle allemande3, eine Spitzfindigkeit, wert eines Grec du Bas-Empire4 ist... Der Marschall ist in der diplomatischen Karriere ein Neuling, und ich befürchte, er hält Finesse für die Grundlage diplomatischen Geschicks. Doch wird er dieses nur durch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit erlangen."
VIII
„London, 3. Januar 1840 Gestern dinierte Lord Palmerston bei mir, gemeinsam mit dem gesamten Corps Diplomatique... Er erzählte mir, daß Minister einen Zusatzantrag für ihre Kriegsflotte einbringen würden, aber er erklärte, er wolle seinen Kollegen vorschlagen, dies
1 Soult, Premierminister Frankreichs (1839-1840) - 3 wörtlich - 3 eigentlich deutscher Krakeel; hier: Streit um nichtige Ursachen-4 Grieche aus dem oströmischen Reich, Byzantiner
14 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
nicht mit der Verstärkung der französischen Flotte zu motivieren, um zu vermeiden, einen Verbündeten auch nur durch die geringsten Anspielungen zu verletzen. Lord Holland und Lord John Russell sind in ihren Bemühungen, die Allianz aufrechtzuerhalten, bewundernswert,"
IX
„London, 20. Januar 1840 Lord Palmerston übermittelte mir das Projekt einer Konvention, das den Großmächten und der Pforte unterbreitet werden soll... Es handelt sich nicht um eine Konvention der fünf Großmächte untereinander, sondern um eine Konvention zwischen diesen Mächten und der Pforte... Herr von Brunnow beanstandet diese Form' (siehe Nesselrodes Note vom 2. Juli 1853 über die russische Initiative!) „...Diese Konvention besteht aus einer Präambel und aus acht Artikeln: in der Präambel wird in positiver Weise und fast wörtlich erklärt, da die Integrität des Ottomanischen Reichs für die Erhaltung des Friedens in Europa unumgänglich erforderlich sei, wären die fünf Mächte gewillt, ihm die notwendige Unterstützung zu gewähren und es in das Vertrauen der Völker Europas einzubeziehen. Die Artikel legen diese Unterstützung fest... P.S. Ich erfahre gerade, daß Brunnow und Neumann äußerst unzufrieden über Lord Palmerstons Konvention sind"
X
„London, 21. Januar 1840 Wie mir scheint, ist das von Lord Palmerston entworfene Projekt der Konvention von den russischen und österreichischen Unterhändlern verworfen worden. Herr Neumann zeichnete sich durch die Heftigkeit und, wie ich mir zu sagen erlauben möchte, durch die Dummheit seiner Beschwerden aus. Er enthüllt die Politik seines Hofs. Fürst Metternich, der beabsichtigte, in seinen Händen das europäische Gleichgewicht zu halten, bekennt öffentlich seinen Haß gegen Rußland. Er gab sich der irrigen Hoffnung hin, daß die Vorschläge Brunnows ohne Einschränkungen angenommen würden, und beide waren enttäuscht, in Lord Palmerston einen Minister zu finden, der ehrlich ein Bündnis mit Frankreich will und der bemüht ist, eng mit Frankreich zusammenzuarbeiten."
XI
„London, 24. Januar 1840 Heute hatte ich eine lange Unterredung mit Lord Melbourne, welcher ein starker Parteigänger für ein Bündnis mit unserem König ist. Er hat mich verschiedentlich gebeten, ihm ein Mittel zu zeigen, wie eine Kombination der französischen und der englischen Vorschläge bewerkstelligt werden könne. Er beurteilt die Absichten Rußlands in demselben Lichte wie wir, und er sagte mir auf einer Konferenz in bezug auf das Wiener Kabinett, daß diesem nicht zu trauen seif da es sich in letzter Instanz immer als ergebener Parteigänger Rußlands erweise,u
XII
„London, 27.Januar 1840 Die Wendung, welche die orientalischen Angelegenheiten jetzt nehmen, ist für mich beunruhigend... Es besteht kein Zweifel, daß Rußland zum Krieg drängt und daß Österreich es mit allen seinen Kräften unterstützt... Es gelang .ihnen, England mit den .Absichten Frankreichs im Mittelländischen Meer4 zu schrecken. Algier und Mechmed Ali - das sind die beiden Mittel, deren sie sich bedienen... Ich mache alle mir möglichen Anstrengungen, um eine Ablehnung der Vorschläge Brunnows zu erreichen; und dies war mir beinahe gelungen, als sie davon hörten, und nun unterbreitet Österreich die Brunnowschen Vorschläge als seine eigenen. Das ist offensichtlich Gaunerei. Aber das Kabinett wurde einberufen, um die österreichischen Vorschläge zu erörtern. Das Kabinett ist geteilter Meinung. Auf der einen Seite stehen Lord Melbourne, Lord Holland und Herr Labouchere; und auf der anderen Lord Palmerston, Lord J.Russell und Lord Minto. Die anderen Mitglieder schwanken zwischen beiden Meinungen."
XIII
„London, 28. Januar 1840 Das Kabinett hat bis jetzt nur über einen Abschnitt aus dem Projekt Lord Palmerstons debattiert. Es hat entschieden, daß die Konvention von sechs und nicht von fünf" (Mächten) „abgeschlossen werden soll, wie Herr von Brunnow vorschlug, dem es nicht an Eifer für seine Sonderinteressen mangelte" (Sorge um das Ottomanische Reich). „Die Pforte würde keiner Konvention zustimmen, welche ohne ihre Mitwirkung verabschiedet und festgelegt wurde. Durch die Unterzeichnung eines Vertrages mit den fünf Großmächten würde sie schon durch diese Tatsache allein unter das europäische Völkerrecht fallen."
XIV
„London, 28. Januar 1840 Sollen die Politik und die Interessen des Königs der Kaprizen eines Herrn Thiers und seiner Zeitung wegen geopfert werden? Das System, welches mit soviel Mühe und so großen Anstrengungen gegründet und trotz noch so vieler Schwierigkeiten seit mehr als zehn Jahren aufrechterhalten wurde, ist dem Untergang geweiht." Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Kriegsfrage - Parlamentsränke - Indien
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3838 vom 5. August 1853] London, Dienstag, 19. Juli 1853 Der Zar hat nicht nur schon angefangen, Krieg zu führen, nein, er hat sogar seine erste Kampagne schon beendigt. Die Operationslinie befindet ! sich nicht mehr hinter dem Pruth, sondern längs der Donau. Was treiben nun inzwischen die Westmächte? Sie beraten, d.h., sie zwingen den Sultan, den Krieg als Frieden zu betrachten. Sie beantworten die Taten des Autokraten nicht mit Kanonen, sondern mit Noten. Der Zar wird bestürmt, aber nicht von den zwei Flotten, sondern mit nicht weniger als vier Vorschlägen zu Unterhandlungen. Einer geht vom englischen, der andere vom französischen Kabinett aus, den dritten präsentiert ihm Österreich, und der vierte wird ihm vom „Schwager" in Potsdam1 vorgetragen. Man hofft, daß der Zar aus diesem embarras de richesse2 sich gnädigst das für seine Zwecke am besten Passende heraussuchen wird. Die (zweite) Antwort des Herrn Drouyn de Lhuys auf die (zweite) Note des Grafen Nesselrode11791 gibt sich unendliche Mühe, zu beweisen, „daß es nicht England und Frankreich waren, die die erste Demonstration machten". Wie man den Hunden Knochen zuwirft, so wirft Rußland den westlichen Diplomaten wohl nur deshalb so viele Noten zu, damit sie eine unschuldige Unterhaltung haben, während es den Vorteil genießt, dadurch mehr Zeit zu gewinnen. England und Frankreich beißen natürlich auf den Köder an. Und als ob der bloße Empfang einer solchen Note nicht schon eine genügende Erniedrigung bedeutete, so wird sie auch noch im „Journal de TEmpire"Ilfi0J mit einem recht versöhnlichen Kommentar versehen in einem Artikel, den zwar Herr de la Gueronniere gezeichnet, der Kaiser aber inspiriert und redigiert hat. Dieser Artikel überläßt es Rußlands
1 Friedrich Wilhelm IV. - 2 Verlegenheit wegen zu großer Auswahl
Laune, „nicht vom linken, sondern vom rechten Ufer des Pruth aus zu verhandeln". Die zweite Note des Grafen Nesselrode wird darin tatsächlich in einen „Versöhnungsversuch" umgewandelt. Und zwar wird dies folgendermaßen stilisiert:
„GrafNesselrode spricht jetzt nurvon moralischen Garantien und kündigt an, daß diese nur provisorisch durch materielle Garantien ersetzt werden sollen; er verlangt also direkt Unterhandlungen. Solange das der Fall sei, könne man unmöglich die diplomatische Aktion als erschöpft betrachten."
Die „ Assemblee nationale "[134], der russische „Moniteur"[5] in Paris, gratuliert dem „Journal de l'Empire" ironisch zu seiner wenn auch sehr verspäteten Entdeckung und bedauert nur, daß soviel Lärm um nichts gemacht worden sei. Die englische Presse hat die Fassung vollständig verloren.
„Der Zar begreift gar nicht, wie artig ihm die Westmächte eigentlich entgegengekommen sind... Er ist eines höflichen Betragens in seinen Verhandlungen mit den anderen Mächten gar nicht fähig",
sagt der „Morning Advertiser"[30J. Und die „Morning Post"[27J ist außer sich, weil der Zar sich so wenig um die inneren Schwierigkeiten seiner Widersacher kümmere:
„Es sei eine beinahe unglaubliche Indiskretion gewesen, nur aus leichtfertiger Unverschämtheit Forderungen zu stellen, die durchaus nicht dringlicher Natur seien, und dabei ganz außer acht zu lassen, wie entzündbar die Gemüter in Europa seien."
Der Schreiber der Finanzartikel im „Economist"[221 hat herausgefunden,
„daß die Menschheit jetzt zu ihrem eigenen Schaden entdecke, wie nachteilig es sei, wenn die geheimsten Angelegenheiten der Welt" (d.h. die der Börse) „von den tollen Einfällen eines einzigen Menschen abhingen". Und doch konnte man 1848 und 1849 die Büste des russischen Kaisers dicht neben dem goldenen Kalb selber sehen. Mittlerweile wird die Lage des Sultans1 von Stunde zu Stunde schwieriger und verwickelter. Seine finanziellen Verlegenheiten nehmen um so mehr zu, als er alle Lasten des Krieges trägt, ohne irgend etwas von dessen Vorteilen einzuheimsen. Die allgemeine Volksgunst wendet sich gegen den Sultan, da er das Volk nicht zum Kampf gegen den Zaren aufruft. Der Fanatismus der Muselmanen bedroht ihn mitPalastrevolutionen, während ihn der Fanatismus der Griechisch-Orthodoxen mit Volkserhebungen bedroht. Die heutigen
1 Abdulmedschid
Zeitungen enthalten Berichte von einer Verschwörung, die muselmanische Studenten von der alttürkischen Partei gegen das Leben des Sultans anzettelten, da sie Heber Abdulasis auf dem Thron haben wollen11813. Gestern forderten die Lords Beaumont und Malmesbury im Oberhaus von Lord Clarendon, daß er sich jetzt über seine Absichten äußern solle, nachdem der französische Kaiser nicht gezögert habe, die seinigen kundzutun. Lord Clarendon gab jedoch nur die kurze Erklärung ab, daß England die Note des Herrn Drouyn de Lhuys billige, und verschanzte sich im übrigen hinter dem Versprechen, daß er dem Hause bald weitgehende Informationen geben wolle. Auf die Frage, ob es wahr sei, daß die Russen sich auch der Zivilverwaltung und der Postanstalten in den von ihnen militärisch okkupierten Donaufürstentümern bemächtigt hätten, blieb Lord Clarendon natürlich „stumm". „Er könne dies nicht glauben nach der Proklamation des Fürsten Gortschakow[1821". Lord Beaumont antwortete, Lord Clarendon scheine ihm ein großer Optimist zu sein. Sir J. Walmsley erkundigte sich im Unterhaus nach den letzten Unruhen in Smyrna1. Lord John Russell antwortete, er habe allerdings von der gewaltsamen Entführung eines ungarischen Flüchtlings durch den Österreichischen Konsul gehört; aber davon, daß Österreich die Auslieferung aller ungarischen und italienischen Flüchtlinge verlangt hätte, sei ihm jedoch absolut nichts bekannt. Lord John behandelt Interpellationen auf eine amüsante Art und so, wie es ihm am bequemsten ist. Offizielle Informationen bekommt er niemals, und niemals liest er in den Zeitungen das, was er sollte oder was man von ihm erwarten könnte. Die „Kölnische Zeitung"tl83] bringt in einem aus Wien vom 11. Juli datierten Schreiben folgenden Bericht über die Smyrnaer Affäre:
„Schekib Efendi wurde nach Smyrna abgesandt, um die Untersuchung gegen die an den Auftritten Beteiligten einzuleiten, bei denen Baron Hackelberg umkam. Schekib hatte auch Order bekommen, an Österreich die Flüchtlinge österreichischer oder toskanischer Nationalität auszuliefern. Der Geschäftsträger der Vereinigten Staaten, Herr Brown, hat mit Reschid Pascha Unterredungen gehabt, deren Resultat noch nicht bekannt geworden ist. Nur soviel verlautet, daß der Mörder des Herrn von Hackelberg von dem amerikanischen Konsul in Smyrna einen Paß erhalten hat, der ihn außerhalb des Bereichs der türkischen Behörden setzt. Diese Tatsache beweist, daß die Vereintsten Staaten beabsichtigen, in die europäischen Händel sich einzumischen. Auch weiß man bestimmt, daß drei amerikanische Kriegsschiffe sich inmitten der türkischen Flotte im Bosporus befinden und daß die amerikanische Fregatte »Cumberland* der türkischen Regierung 80 Millionen Piaster überbrächte."
Was immer an diesen oder ähnlichen Gerüchten wahr sein mag, eines beweisen sie doch, daß man nämlich überall die Einmischung Amerikas erwartet und daß sie sogar von einem Teil des englischen Publikums mit günstigen Blicken betrachtet wird. Das Verhalten des amerikanischen Kapitäns1 und des Konsuls wird in öffentlichen Versammlungen mit großem Beifall begrüßt, und im „Advertiser" von gestern beschwört ein „Engländer"2 das Sternenbanner, im Mittelmeer zu erscheinen und „den beschmutzten alten Union Jack" so zu beschämen, daß er sich zu irgendeiner Tat aufraffe. Fassen wir also die orientalische Frage kurz zusammen: Der Zar, unzufrieden und ärgerlich darüber, daß sein ganzes ungeheures Reich auf einen einzigen Exporthafen angewiesen ist, der noch dazu an einem Meer liegt, das während einer Hälfte des Jahres nicht schiffbar und während der anderen Hälfte von den Engländern angegriffen werden kann, verfolgt den Plan seiner Vorfahren, Zutritt zum Mittelmeer zu bekommen. Nacheinander trennt er die entferntesten Teile des Ottomanischen Reiches vom Körper ab, bis endlich Konstantinopel, das Herz, zu schlagen aufhören muß. Sooft er seine Absichten auf die Türkei durch die scheinbare Konsolidierung der türkischen Regierung oder durch die noch gefährlicheren Symptome der Selbstbefreiung unter den Slawen gefährdet sieht, wiederholt er seine periodischen Einfälle. Auf die Feigheit und Furchtsamkeit der Westmächte zählend, schüchtert er Europa ein und schraubt seine Forderungen so hoch wie möglich, um nachher edelmütig zu erscheinen, wenn er sich mit dem zufriedengibt, was er eigentlich unmittelbar erreichen wollte. Die Westmächte andererseits, unbeständig, kleinmütig, sich stets gegenseitig mißtrauend, ermutigen am Anfang stets den Sultan, sich dem Zaren, dessen Übergriffe sie fürchten, zu widersetzen, um ihn am Ende zum Nachgeben zu zwingen, aus Furcht vor einem allgemeinen Kriege, der zu einer allgemeinen Revolution führen könnte. Zu schwach und zu feig, den Wiederaufbau des Ottomanischen Reiches durch die Errichtung eines griechischen Reichs oder durch eine föderative Republik der slawischen Staaten zu unternehmen, ist ihr ganzes Bestreben nur auf die Aufrechterhaltung des Status quo gerichtet, d.h. jenes Stadiums der Fäulnis, das dem Sultan verbietet, sich vom Zaren, und den Slawen verbietet, sich vom Sultan zu emanzipieren. Die revolutionäre Partei kann sich zu diesem Stand der Dinge nur gratulieren. Die Demütigung der reaktionären westlichen Regierungen und ihre offenbare Unfähigkeit, die Interessen der europäischen Zivilisation gegen russische Übergriffe zu schützen, müssen unbedingt einen heilsamen
1 Ingraham -2 A.Richards
Unwillen in den Völkern erzeugen, die seit 1849 der Herrschaft der Konterrevolution unterworfen sind. Auch die nahende industrielle Krise wird durch diese halb orientalischen Wirren ebensosehr beeinflußt und beschleunigt wie durch die ganz orientalischen Wirren in China. Während die Kornpreise steigen, stocken die Geschäfte im allgemeinen, gleichzeitig wird der Wechselkurs für England ungünstig, und das Gold beginnt nach dem Kontinent abzufließen. Zwischen dem 9. Juni und dem 14. Juli ist der Goldvorrat in der Bank von England um 2220000 Pfd. St. gefallen, also um mehr, als die ganze Zunahme während der letzten drei Monate betrug. Der Fortgang der Verhandlungen über die Indienbill durch den Ausschuß hat wenig Interesse. Es ist bezeichnend, daß alle Amendements nun von der mit den Tories verbundenen Koalition gegen ihre eigenen Verbündeten von der Manchesterschule abgelehnt worden sind. Die gegenwärtige Lage Indiens kann durch einige Tatsachen erläutert werden. Der in England befindliche Teil der Verwaltung schluckt 3% der Nettoeinnahmen Indiens, und die jährlichen Zinsen für innere Anleihen und die Dividenden an die Aktionäre der Kompanie betragen 14% - insgesamt 17%. Wenn wir diese jährlichen Rimessen von Indien nach England abziehen, so belaufen sich die militärischen Lasten auf ungefähr zwei Drittel der gesamten für Indien verfügbaren Ausgaben oder auf 66%, während die Lasten für öffentliche Arbeiten sich auf nicht mehr als 23/4% der allgemeinen Einnahmen belaufen oder für Bengalen I %, Agra 73/4%, Pandschab 1/s%» Madras 1/2% und Bombay 1% ihrer betreffenden Einnahmen. Das sind die offiziellen Zahlen der Kompanie. Andererseits stammen nahezu drei Fünftel der gesamten Nettoeinnahmen aus dem Grund und Boden, ungefähr ein Siebentel aus dem Opium und mehr als ein Neuntel aus dem Salz. Diese Einnahmequellen ergeben zusammen 85% aller Einnahmen. Was die kleineren Einnahme- und Ausgabeposten anbetrifft, mag es genügen, festzustellen, daß die Motarpha-Steuern, die in der Präsidentschaft Madras noch aufrechterhalten sind und auf Läden, Webstühle, Schafe, Rinder, verschiedene Berufe usw. erhoben werden, ungefähr 50000 Pfd.St. ausmachen, während die jährlichen Dinners des East India House[1561 ungefähr dasselbe kosten. Die große Masse der Einnahmen stammt vom Lande her. Da die verschiedenen Arten des indischen Landbesitzes kürzlich an so vielen Stellen und dazu in gemeinverständlicher Weise beschrieben worden sind, möchte ich meine Ausführungen zu dieser Sache auf einige allgemeine Bemerkungen über die Samindari- und Raiatwari-Systeme beschränken.
Das Samindari und das Raiatwari waren beide agrarische Revolutionen, die durch britische Ukase zustande kamen und die ihrem Charakter nach entgegengesetzt sind: das eine aristokratisch, das andere demokratisch; das eine eine Karikatur des englischen großen Grundeigentums, das andere eine Karikatur des französischen Parzelleneigentums; beide verderblich, da beide große innere Widersprüche verbinden - beide sind nicht für das Volk, das den Boden bebaut, geschaffen, noch für den Besitzer, dem er gehört, sondern für die Regierung, die sich an den Steuern bereichert. Durch das Samindari wurde die Bevölkerung der Präsidentschaft Bengalen auf einmal ihrer ererbten Ansprüche auf den Boden zugunsten der einheimischen Steuereinnehmer, der sogenannten Samindare, enteignet. Durch das in den Präsidentschaften Madras und Bombay eingeführte RaiatwariSystem wurde der einheimische Adel trotz seiner Bodenanrechte - der Mirasi und der Dschagire usw. - auf die gleiche Stufe wie das einfache Volk hinabgestoßen, auf den Besitz winziger Felder, die sie zum Nutzen des Collectors[184] der Ostindischen Kompanie bestellten. Aber eine merkwürdige Art von englischem Grundherrn war der Samindar, der nur ein Zehntel der Pacht erhielt, während er neun Zehntel davon der Regierung zu überweisen hatte. Eine merkwürdige Art von französischem Bauer war der Raiat ohne irgendeinen dauernden Rechtsanspruch auf den Boden und mit einer Besteuerung, die jedes Jahr im Verhältnis zu seiner Ernte wechselte. Die ursprüngliche Klasse der Samindare schmolz trotz ihrer erschrecklichen und uneingeschränkten Habgier gegenüber der besitzlosen Masse der ehemaligen erblichen Grundbesitzer bald unter dem Druck der Kompanie dahin, um durch Handelsspekulanten ersetzt zu werden, die nun den ganzen Landbesitz von Bengalen mit Ausnahme der Besitzungen, die unter die direkte Verwaltung der Regierung zurückkamen, in der Hand hatten. Diese Spekulanten führten eine Abart des Samindar-Grundbesitzes, Patni genannt, ein. Da sie nicht damit zufrieden waren, der britischen Regierung gegenüber die Stellung als Zwischenpächter einzunehmen, schufen sie ihrerseits eine Klasse von „erblichen" Zwischenpächtern, die Patnidare, die wiederum ihre Unter-Patnidare usw. schufen, so daß eine vollkommene Stufenleiter in der Hierarchie der Zwischenpächter entstand, die mit ihrer ganzen Macht auf den unglücklichen Bauern drückt. Was die Raiats in Madras und Bombay anbetrifft, so entartete das System bald in einen Raubbau am Boden, und das Land verlor seinen ganzen Wert. „Der Collector", sagt Herr Campbell, „könnte, wie in Bengalen, das Land verkaufen, um Steuerrückstände zu beseitigen, aber das geschieht im allgemeinen aus einem sehr einfachen Grunde nicht, weil nämlich niemand es kaufen will."
So haben wir in Bengalen eine Vereinigung von englischem Landlordismus, von irischem Zwischenpächtersystem, dem österreichischen System, das den Grundbesitzer in den Steuereinnehmer verwandelt, und dem asiatischen System, das den Staat zum tatsächlichen Grundbesitzer macht. In Madras und Bombay haben wir einen französischen Parzelleneigentümer, der gleichzeitig Höriger und Metayer1 des Staates ist. Die Nachteile aller dieser verschiedenen Systeme häufen sich auf ihn, ohne daß er sich einer ihrer mildernden Züge erfreut. Der Raiat ist wie der französische Bauer der Erpressung des privaten Wucherers unterworfen; aber er hat keinen erblichen, keinen dauernden Anspruch auf sein Land wie der französische Bauer. Wie der Leibeigene ist er zur Bebauung gezwungen, aber er ist nicht gegen Not gesichert wie der Leibeigene. Wie der Metayer muß er seinen Ertrag mit dem Staat teilen, aber der Staat ist nicht verpflichtet, ihm die Mittel zur Bewirtschaftung vorzuschießen, wozu er hinsichtlich des Metayers verpflichtet ist. In Bengalen wie in Madras und Bombay, unter dem Samindari-System wie unter dem Raiatwari-System, sind die Raiats - und sie machen elf Zwölftel der gesamten indischen Bevölkerung aus - einer fürchterlichen Verelendung unterworfen; und wenn sie, moralisch gesehen, nicht so tief wie die irischen Häusler gesunken sind, so danken sie es ihrem Klima, da die Menschen im Süden weniger Bedürfnisse und mehr Phantasie als die Menschen im Norden besitzen. Verbunden mit der Landsteuer müssen wir die Salzsteuer betrachten. Bekanntlich behält die Kompanie das Monopol auf jenen Artikel, den sie zum Dreifachen seines Handelswertes verkauft - und das in einem Lande, wo es vom Meer, von den Seen, von den Bergen und dem Boden selbst geliefert wird. Die tatsächliche Wirkung dieses Monopols wurde von dem Earl von Albemarle mit folgenden Worten beschrieben:
„Ein großer Teil des Salzes für den Inlandverbrauch wird im ganzen Lande von der Kompanie durch zahlreiche Großhändler zu weniger als vier Rupien pro Maund2 gekauft; diese mischen einen bestimmten Anteil Sand, der hauptsächlich einige Meilen südwestlich von Dacca geholt wird, hinein und senden die Mischung an einen zweiten oder, wenn man die Regierung als den ersten zählt, an einen dritten Monopolisten zu ungefähr fünf oder sechs Rupien. Dieser Händler fügt noch mehr Erde oder Asche hinzu, und so geht es durch mehrere Hände, von den großen Städten zu den Dörfern, und der Preis steigt noch mehr von acht bis zu zehn Rupien und der Anteil der Verfälschung von 25 auf 40%. Es ergibt sich nun, daß die Bevölkerung von 21 Pfd.St. 17 sh. 2 d. bis zu 27 Pfd. St. 6 sh. 2 d. für ihr Salz zahlt oder, in anderen Worten, 30bis 36mal soviel wie die wohlhabende Bevölkerung von Großbritannien."!185!
1 Halbpächter - 2 ostindisches Gewicht von 12 wechselnd bis 40 kg
Als ein Zeichen englischer bürgerlicher Moral möchte ich anführen, daß Herr Campbell das Opiummonopol verteidigt, weil es die Chinesen davor bewahrt, zu viel von dem Gift zu verbrauchen, und daß er das Branntweinmonopol verteidigt (Konzessionen für Branntweinverkauf in Indien), weil es wunderbar den Verbrauch von Branntwein in Indien gefördert hat. Der Samindar-Grundbesitz, das Raiatwari und die Salzsteuer, dazu das indische Klima, das waren die Brutstätten der Cholera - die von Indien aus die westliche Welt verheert ein treffendes und schreckliches Beispiel, wie menschliches Leid und Unrecht miteinander verbunden sind. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3840 vom 8. August 1853] London, Freitag, 22. Juli 1853 Ich möchte in diesem Artikel meine Bemerkungen über Indien abschließen. Wie ist es zur Errichtung der englischen Herrschaft in Indien gekommen? Die unumschränkte Gewalt des Großmoguls wurde durch des Moguls Vizekönige gebrochen. Die Macht der Vizekönige wurde durch die Marathen gebrochen.tl86] Die Macht der Marathen wurde durch die Afghanen gebrochen, und während ein Kampf aller gegen alle tobte, brach der Brite ins Land ein und wurde in die Lage versetzt, sie alle unter seine Gewalt zu bringen. Ein Land, das nicht nur zwischen Moslems und Hindus, sondern auch zwischen Stamm und Stamm, zwischen Kaste und Kaste geteilt war, eine Gesellschaft, deren Gefüge auf einer Art Gleichgewicht beruhte, die aus allgemeiner gegenseitiger Abstoßung und konstitutioneller Abgeschlossenheit aller ihrer Mitglieder herrührte - war es nicht einem solchen Land und einer solchen Gesellschaft vorherbestimmt, die Beute von Eroberern zu werden? Wenn wir nichts von der geschichtlichen Vergangenheit Hindustans wüßten, genügte nicht die eine große, unbestreitbareTatsache, daß Indien auch heute noch durch eine auf Kosten Indiens unterhaltene indische Armee in englischer Knechtschaft gehalten wird? Indien konnte daher dem Schicksal, erobert zu werden, nicht entgehen, und seine ganze geschichtliche Vergangenheit, soweit es überhaupt eine solche hatte, ist die Geschichte der ununterbrochenen Reihe von Eroberungen, denen es ausgesetzt war. Die indische Gesellschaft hat überhaupt keine Geschichte, zum mindesten keine bekannte Geschichte. Was wir als ihre Geschichte bezeichnen, ist nichts andres als die Geschichte der aufeinanderfolgenden Eindringlinge, die ihre Reiche auf der passiven Grundlage dieser widerstandslosen, sich nicht verändernden Gesellschaft errichteten.
Die Frage ist daher nicht, ob die Engländer ein Recht hatten, Indien zu erobern, sondern ob ein von den Türken, den Persern, den Russen erobertes Indien dem von den Briten eroberten vorzuziehen wäre. England hat in Indien eine doppelte Mission zu erfüllen: eine zerstörende und eine erneuernde - die Zerstörung der alten asiatischen Gesellschaftsordnung und die Schaffung der materiellen Grundlagen einer westlichen Gesellschaftsordnung in Asien. Die Araber, Türken, Tataren, Moguln, die Indien nacheinander überrannten, wurden rasch hinduisiert, denn einem unabänderlichen Gesetz der Geschichte zufolge werden barbarische Eroberer selbst stets durch die höhere Zivilisation der Völker erobert, die sie sich unterwarfen. Die britischen Eroberer waren die ersten, die auf einer höheren Entwicklungsstufe standen und daher der Hindu-Zivilisation unzugänglich waren. Sie zerstörten sie, indem sie die einheimischen Gemeinwesen zerschlugen, das einheimische Gewerbe entwurzelten und alles, was an der einheimischen Gesellschaftsordnung groß und erhaben war, nivellierten. Die Geschichte der britischen Herrschaft in Indien verzeichnet kaum etwas, was über dieses Werk der Zerstörung hinausginge. Spuren einer Erneuerung sind unter den Trümmern noch kaum bemerkbar. Dennoch hat sie bereits begonnen. Die erste Voraussetzung für diese Erneuerung war die politische Einheit Indiens, fester gegründet und weiter ausgreifend als jemals unter der Herrschaft der Großmoguln. Diese Einheit, durch das britische Schwert aufgezwungen, wird jetzt Kraft und Dauer erhalten durch den elektrischen Telegraphen. Die von britischen Unteroffizieren aufgestellte und gedrillteEingeborenenarmee war die sine qua non für Indiens Selbstbefreiung und dafür, daß Indien künftig nicht mehr dem ersten besten fremden Eindringling als Beute anheimfällt. Die freie Presse, die zum erstenmal in eine asiatische Gesellschaft Eingang gefunden hat und hauptsächlich von gemeinsamen Nachkommen der Hindus und der Europäer geleitet wird, ist ein neuer machtvoller Hebel der Erneuerung. Selbst so widerwärtige Erscheinungen wie das Samindari und das Raiatwairi verkörpern doch immerhin zwei ausgesprochene Formen von Privateigentum an Grund und Boden, nach dem die asiatische Gesellschaft so sehr verlangt. Aus den in Kalkutta widerwillig und in geringer Zahl unter englischer Aufsicht erzogenen indischen Eingeborenen wächst eine neue Klasse heran, welche die zum Regieren erforderlichen Eigenschaften besitzt und europäisches Wissen in sich aufgenommen hat. Die Dampfkraft hat Indien in regelmäßige und rasche Verbindung mit Europa gebracht, sie hat Indiens wichtigste Häfen mit denen des ganzen südöstlichen Ozeans verknüpft und es aus der isolierten Lage befreit, die der Hauptgrund
seiner Stagnation war. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem dank dem Zusammenwirken von Eisenbahnen und Dampfschiffen die Entfernung zwischen England und Indien auf ein Zeitmaß von acht Tagen verkürzt und so dies einstige Märchenland wirklich an die Welt des Westens angeschlossen sein wird. Bisher hatten die herrschenden Klassen Großbritanniens nur ein gelegentliches, vorübergehendes und eine Ausnahme bildendes Interesse an einem Fortschritt Indiens. Die Aristokratie wollte es erobern, die Plutokratie ausplündern, die Millokratie verschleudern. Nun hat sich aber das Blatt gewendet. Die Millokratie hat entdeckt, daß die Verwandlung Indiens in ein reproduzierendes Land lebenswichtige Bedeutung für sie erlangt hat und daß zu diesem Zweck vor allem notwendig ist, ihm Bewässerungsanlagen und innere Verkehrswege zu verschaffen. Sie trägt sich jetzt mit der Absicht, Indien mit einem Netz von Eisenbahnen zu überziehen, und diese Absicht werden sie auch ausführen. Das wird unübersehbare Folgen haben, Es ist eine allbekannte Tatsache, daß die Produktivkräfte Indiens durch den hochgradigen Mangel an Transportmitteln und Austauschmöglichkeiten für seine mannigfaltigen Erzeugnisse lahmgelegt sind. Nirgendwo ist schlimmeres soziales Elend inmitten einer üppigen Natur anzutreffen als in Indien, und das aus Mangel an Austauschmöglichkeiten. 1848 wurde vor einem Ausschuß des britischen Unterhauses der Nachweis geführt,
„daß Getreide, während es in Kandesch 6 bis 8 sb. pro Quarter kostete, in Puna für 64 bis 70 sh. verkauft wurde; dort starb die Bevölkerung auf offener Straße Hungers, ohne daß es möglich gewesen wäre, Vorräte aus Kandesch heranzuschaffen, weil die Lehmwege unpassierbar waren."
Die Einführung von Eisenbahnen läßt sich leicht für die Zwecke der Landwirtschaft dienstbar machen, indem an Stellen, wo Erde für Bahndämme ausgehoben wird, Wasserbehälter angelegt und längs den verschiedenen Linien Wasserleitungen gebaut werden. Auf diese Weise könnte die künstliche Bewässerung, diese sine qua non für den Ackerbau im Orient, weitgehend entwickelt und den häufig auftretenden lokalen Hungersnöten, die dem Wassermangel entspringen, vorgebeugt werden. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß die Bedeutung der Eisenbahnen für die Allgemeinheit einleuchtend werden, wenn wir uns vor Augen halten, daß bewässerter Boden sogar in der Gegend der Ghat-Gebirgsketten dreimal soviel Steuern einbringt, zehn- oder zwölfmal soviel Menschen Beschäftigung gibt und zwölf- oder fünfzehnmal soviel Profit abwirft als dieselbe Fläche ohne Bewässerung.
Eisenbahnen werden es auch ermöglichen, den Militäretat mengen- und kostenmäßig einzuschränken. Oberst Warren, der Kommandant von Fort St. William, erklärte vor einem Sonderausschuß des Unterhauses:
„Die Möglichkeit, Nachrichten aus entlegenen Teilen des Landes in ebensoviel Stunden zu erhalten, als gegenwärtig Tage und selbst Wochen dazu erforderlich sind, und Instruktionen samt Truppen und Proviant in kürzester Zeit zu befördern, ist eine Erwägung von nicht zu überschätzender Bedeutung. Die Truppen könnten an weiter entfernten und gesünderen Standorten stationiert werden als gegenwärtig, wodurch erhebliche Verluste an Menschenleben infolge Krankheit erspart werden würden. Proviant brauchte in den verschiedenen Depots nicht mehr in solchem Umfang wie bisher vorrätig gehalten werden, wodurch auch die Verluste vermieden würden, die durch verderbende Vorräte oder klimatisch bedingte Zerstörungen entstehen. Die Stärke der Truppen könnte im gleichen Verhältnis verringert werden, wie ihre Kampfkraft sich steigert."
Wir wissen, daß die Gemeindeorganisation und die ökonomische Grundlage der Dorfgemeinschaften gesprengt worden sind, ihr schlimmster Zug aber, die Zersplitterung der Gesellschaft in unveränderlich feststehende und zusammenhanglose Atome, hat sie überlebt. Die dörfliche Isoliertheit hatte zum Fehlen von Wegen in Indien geführt, und das Fehlen von Wegen verewigte die dörfliche Isoliertheit. So kam es, daß die Dorfgemeinde das einmal gegebene niedrige Lebensniveau beibehielt, fast keinen Verkehr mit andern Dörfern hatte und nichts von den Bedürfnissen und den Anstrengungen kannte, ohne die ein sozialer Fortschritt undenkbar ist. Nachdem die Briten dieses selbstgenügsame Beharrungsvermögen der Dörfer gebrochen, werden die Eisenbahnen dem neuerwachten Bedürfnis nach Verbindung und Verkehr Rechnung tragen.
„Eine weitere Folge der Entwicklung des Eisenbahnwesens wird darin bestehen, jedem Dorf, das von ihm berührt wird, eine derartige Kenntnis über die Erfindungen und Einrichtungen anderer Länder zu vermitteln und solche Möglichkeiten zu bieten, sie zu erlangen, so daß als erstes das erbliche und zu Dienstleistungen verpflichtete Dorfhandwerk Indiens seine Fähigkeiten voll unter Beweis stellen und dann seine Mängel beseitigen kann." (Chapman, „The Cotton and Commerce of India".) Ich weiß, daß die englische Millokratie ausschließlich deshalb beabsichtigt, Indien mit Eisenbahnen zu beglücken, um aus ihm mit verringerten Kosten Baumwolle und andere Rohstoffe für ihre Fabriken herauszuholen. Hat man aber erst einmal Maschinerie in das Verkehrswesen eines Landes eingeführt, das Eisen und Kohle besitzt, so ist man nicht mehr imstande, ihm die Fabrikation solcher Maschinen zu verwehren. Man kann nicht in einem riesigen Lande ein Eisenbahnnetz unterhalten, ohne alle die industriellen Verfahren
einzuführen, die nötig sind, um die augenblicklichen wie die laufenden Bedürfnisse des Eisenbahnverkehrs zu befriedigen, woraus sich notwendig die Anwendung von Maschinerie auch in solchen Industriezweigen ergibt, die nicht unmittelbar mit der Eisenbahn zusammenhängen. Daher wird das Eisenbahnwesen in Indien ganz naturgemäß zum Vorläufer einer modernen Industrie werden. Dies kann um so weniger bezweifelt werden, als die britischen Behörden selbst den Hindus die besondre Fähigkeit zusprechen, sich völlig neuen Arbeitsmethoden anzupassen und die erforderliche Kenntnis der Maschinerie zu erwerben. Reichlich Beweise hierfür liefern die Fähigkeiten und die Tüchtigkeit der einheimischen Maschinisten in der Kalkuttaer Münze, wo sie jahrelang mit der Bedienung von Dampfmaschinen betraut waren, ferner die einheimischen Arbeiter, die an die verschiedenen Dampfmaschinen im Hardwar-Kohlenbezirk gestellt wurden, und ebenso andere Beispiele. Selbst Herr Campbell, der doch stark von den Vorurteilen der Ostindischen Kompanie beeinflußt ist, sieht sich zu dem Eingeständnis gezwungen,
„daß die große Masse des indischen Volkes eine große industrielle Energie besitzt, wohl fähig ist zur Akkumulation von Kapital und sich durch mathematische Klarheit des Kopfes, Gewandtheit im Rechnen und Talent für exakte Wissenschaften auszeichnet". „Ihr Intellekt", sagt er, „ist hervorragend."
Die im Gefolge des Eisenbahnsystems entstehende moderne Industrie wird die überkommene Arbeitsteilung und damit die Grundlage der indischen Kasten aufheben, die Indiens Fortschritt und Indiens Machtentfaltung so entscheidend behindert haben. Alle Maßnahmen, zu denen die englische Bourgeoisie möglicherweise genötigt sein wird, werden der Masse des Volkes weder die Freiheit bringen noch seine soziale Lage wesentlich verbessern, denn das eine wie das andere hängt nicht nur von der Entwicklung der Produktivkräfte ab, sondern auch davon, daß das Volk sie selbst in Besitz nimmt. Auf alle Fälle aber wird die Bourgeoisie die materiellen Voraussetzungen für beides schaffen. Hat die Bourgeoisie jemals mehr geleistet? Hat sie je einen Fortschritt zuwege gebracht, ohne Individuen wie ganze Völker durch Blut und Schmutz, durch Elend und Erniedrigung zu schleifen? Die Inder werden die Früchte der neuen Gesellschaftselemente, die die britische Bourgeoisie in ihrem Lande ausgestreut, nicht eher ernten, bis in Großbritannien selbst die heute herrschenden Klassen durch das Industrieproletariat verdrängt oder die Inder selbst stark genug geworden sind, um das englische Joch ein für allemal abzuwerfen. Auf jeden Fall aber
können wir mit aller Bestimmtheit erwarten, in mehr oder weniger naher Zukunft Zeugen einer Erneuerung dieses großen und interessanten Landes zu sein, dessen edler Menschenschlag selbst in den unteren Klassen, um einen Ausdruck des Fürsten Saltykow zu gebrauchen, „plus fins et plus adroit que les Italiens"1, bei dem sogar noch die Unterwürfigkeit durch eine gewisse ruhige Vornehmheit aufgewogen wird, dessen unerschrockener Mut, ungeachtet seiner angeborenen Trägheit, die britischen Offiziere in Erstaunen gesetzt hat, dessen Land die Wiege unserer Sprachen, unserer Religionen gewesen und der im Dschat den Typus des alten Germanen und im Brahmanentl88J den des alten Griechen verkörpert. Ich kann die indische Frage nicht verlassen ohne einige abschließende Bemerkungen. Die tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die von ihr nicht zu trennende Barbarei liegen unverschleiert vor unseren Augen, sobald wir den Blick von ihrer Heijnat, in der sie unter respektablen Formen auftreten, nach den Kolonien wenden, wo sie sich in ihrer ganzen Nacktheit zeigen. Die Bourgeoisie ist die Verfechterin des Eigentums; hat aber je eine revolutionäre Partei solche Agrarrevolutionen hervorgerufen wie die in Bengalen, in Madras und in Bombay? Hat nicht die Bourgeoisie in Indien, um einen Ausdruck des großen Räubers Lord Clive zu gebrauchen, zu grausamer Erpressung gegriffen, wenn einfache Korruption nicht genügte, um ihre Raubgier zu befriedigen? Hat sie nicht zur gleichen Zeit, wo sie in Europa über die unantastbare Heiligkeit der Staatsschuld schwätzte, in Indien die Dividenden der Radschas beschlagnahmt, die ihre Privatersparnisse in Obligationen der Ostindischen Kompanie angelegt hatten? Hat sie nicht zur gleichen Zeit, wo sie unter dem Vorwand der Verteidigung „unserer heiligen Religion" die französische Revolution bekämpfte, die Verbreitung des Christentums in Indien verboten, und hat sie nicht, um aus den nach den Tempeln Orissas und Bengalens strömenden Pilgern Geld herauszuschlagen, den gewerbsmäßigen Betrieb von Mord und Prostitution im Tempel des Dschagannat[189] fortgesetzt? So sehen die Männer „des Eigentums, der Ordnung, der Familie und der Religion" aus! Die verheerenden Wirkungen der englischen Industrie auf Indien, ein Land von der Größe Europas, mit einer Fläche von 150 Millionen Acres, treten erschütternd zutage. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß sie nur das organische Ergebnis des gesamten Produktionssystems sind, so wie es heute besteht. Grundlage dieser Produktion ist die absolute Herrschaft des
1 „feiner und geschickter ist als die Italiener
15 Marx/Ensch, Werke, Bd. 9
Kapitals. Wesentlich für die Existenz des Kapitals als einer unabhängigen Macht ist die Zentralisation des Kapitals. Der zerstörende Einfluß dieser Zentralisation auf die Märkte der Welt enthüllt nur in gigantischem Ausmaß die immanenten organischen Gesetze der politischen Ökonomie, die heute in jedem zivilisierten Gemeinwesen wirksam sind. Die bürgerliche Periode der Geschichte hat die materielle Grundlage einer neuen Welt zu schaffen: einerseits den auf der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker beruhenden Weltverkehr und die hierfür erforderlichen Verkehrsmittel, andererseits die Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte und die Umwandlung der materiellen Produktion in wissenschaftliche Beherrschung der Naturkräfte. Bürgerliche Industrie und bürgerlicher Handel schaffen diese materiellen Bedingungen einer neuen Welt in der gleichen Weise, wie geologische Revolutionen die Oberfläche der Erde geschaffen haben. Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche» den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte, gemeistert und sie der .gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte, Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Finanzieller Mißerfolg der Regierung Mietdroschken - Irland - Die russische Frage
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3844 vom 12.August 1853] London, Freitag, 29. Juli 1853 Herr Gladstone brachte vergangene Nacht im Unterhaus den Antrag ein, daß aus dem konsolidierten Fonds Mittel bereitgestellt werden sollten, um die nicht im Rahmen seines Finanzplans umgewandelten Aktien der Südseekompanie einzulösen. Einen derartigen Antrag einzubringen bedeutet das Eingeständnis, daß sein Plan zur Konvertierung der Aktien völlig fehlgeschlagen ist. Außer dieser kleinen Niederlage erlitt die Regierung eine sehr schwere im Zusammenhang mit ihrer Indienbill. Sir John Pakington beantragte, eine Klausel einzufügen, wonach das Salzmonopol aufgehoben und bestimmt werden sollte, daß in Indien die Salzgewinnung und der Handel mit Salz völlig frei seien und nur mit Akzise oder einer anderen Steuer belastet werde. Trotz der verzweifelten Anstrengungen von Sir Charles Wood, Lord John Russell, Sir J. Hogg, Sir H. Maddock und Herrn Lowe (von der „Times"*261) wurde der Antrag mit 117 gegen 107 Stimmen angenommen. Die Oligarchie, welcher es gelungen war, das Gehalt des Präsidenten der Kontrollbehörde auf 5000Pfd.St. heraufzusetzen, schlägt jetzt vor, die Gehälter der makellosen Direktoren der Ostindischen Kompanie von 300 Pfd. St. auf 1000 Pfd. St. und die des Vorsitzenden und seines Stellvertreters auf 1500 Pfd.St. zu erhöhen. Anscheinend glauben sie, daß Indien im Besitz der gleichen wunderbaren Kraft sei, welche in Hindustan den Blättern eines sagenhaften Baums auf den höchsten Gipfeln des Himalaja zugeschrieben wird, nämlich daß alles, was er berührt, sich in Gold verwandelt - mit dem Unterschied, daß die leichtgläubigen Hindus dies vom Saft der Blätter, die aufgeklärten Engländer hingegen vom Blut der Eingeborenen erwarten.
Der chinesische Sultan aus „Tausendundeiner Nacht" war, als er eines schönen Morgens aufstand und aus seinem Fenster nach Aladins Palast blickte, erstaunt, bloß einen leerenPlatz wahrzunehmen. Er rief seinen Großwesir und fragte, ob er den Palast sehe. Auch der Großwesir konnte nichts sehen und war nicht weniger überrascht als der Sultan, welcher in Zorn geriet und seiner Leibwache den Befehl gab, Aladin gefangenzunehmen. Als die Londoner Bevölkerung am Mittwöchmorgen aufstand, fand sie sich in einer sehr ähnlichen Lage, wie jener chinesische Sultan. London sah London nicht mehr ähnlich. Da waren und blieben Plätze leer, auf denen wir sonst gewohnt waren, etwas zu erblicken. Und so wie das Auge über die Leere erstaunt war, so war das Ohr von der Grabesstille überrascht. Was war in London vorgefallen? Eine Droschkenrevolution hatte sich ereignet! Wie durch ein Wunder waren die Mietdroschken und ihre Kutscher von den Straßen, den Halteplätzen und den Bahnhöfen verschwunden. Die Besitzer und die Kutscher der Droschken befinden sich in Rebellion gegen das neue Mietdroschkengesetz, jenes großartige und fast „einzigartige" Gesetz des „Ministeriums aller Talente". Sie sind in Streik getreten. Es ist öfter beobachtet worden, daß das britische Publikum von periodisch wiederkehrenden Anfällen von Moralität gepackt wird und daß alle sechs bis sieben Jahre seine Tugend hemmungslos wird und dann der Verderbtheit mit Entschlossenheit gegenübertreten muß. Augenblicklich bildet der arme Cabby1 das Objekt dieses moralischen und patriotischen Anfalls. Seinen unverschämten Geldforderungen bei schutzlosen Damen und fetten Citykaufleuten sollte ein Ende gemacht und sein Fahrpreis pro Meile von einem Schilling auf sechs Pence herabgesetzt werden. Die Sechs-Penny-Moralität wurde zu einer Epidemie. Durch den Mund des Herrn Fitzroy brachte das Ministerium das drakonische Gesetz gegen den Cabby ein, welches ihm seine Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit vorschrieb und gleichzeitig seine Fahrpreise, seine „Hansoms" 2, seine Pferde und seine Moral der parlamentarischen Gesetzgebung unterwarf. Der Cabby soll, so scheint es, zwangsweise in den Prototyp britischer Respektablität verwandelt werden. Die heutige Generation kann nicht leben, ohne wenigstens eine tugendhafte und selbstlose Klasse von Staatsbürgern zu improvisieren, und dafür wurde der Cabby auserwählt. Das „Ministerium aller Talente" war so begierig darauf, sein Meisterstück der Gesetzgebung auszuführen, daß das Mietdroschkengesetz, kaum vom Unterhaus angenommen, in Kraft gesetzt wurde, ehe überhaupt irgendwelche zu seiner Durchführung erforderlichen Maßnahmen vor
1 Droschkenkutscher - 2 zweiräderige Kutsche, wo der Kutscher hinten aufsitzt
bereitet worden waren. Anstatt die Londoner Kadis schon im voraus mit den authentischen Exemplaren der neuen Verordnung, der neuen Fahrpreistarife und der Fahrpläne zu versehen, hatten die Polizeirichter ganz allgemeine Anweisung erhalten, jeglichen entstandenen Streit zwischen Cabby und Publikum zu entscheiden. So hatten wir im Verlauf von zwei Wochen das abwechslungsreiche underhebende Schauspiel eines ständigenKampfes zwischen einer wahren Armee von Sechs-Penny-Hampdens[1901 und jenen „schrecklichen" Droschkenkutschern vor den Richtern, wobei die einen der Tugend und die anderen des Geldes wegen kämpften. Tag für Tag wurden Gabby Moralpauken gehalten, wurde er verurteilt und eingesperrt. Schließlich war es ihm klar, daß er bei dem neuen Tarif nicht mehr die alte Pacht an den Eigentümer zahlen konnte, und Eigentümer wie Kutscher zogen sich auf ihren Möns Sacer[191], nämlich National Hall, in Holborn1 zurück, wo sie zu dem schrecklichen Entschluß kamen, der in London drei Tage lang den droschkenlosen Zustand hervorgerufen hat. Sie haben bereits zwei Dinge erreicht: als erstes hat das Ministerium, durch den Mund des Herrn Fitzroy, soviel an seinem Gesetz verändert, daß es fast ausgelöscht wurde; und zweitens alle Probleme, wie die orientalische Frage, der dänische Coup d'etat2, die schlechte Ernte und die um sich greifende Cholera sind verschwunden angesichts des großen Kampfes zwischen der öffentlichen Tugend, die darauf besteht, nur sechs Pence für die Meile zu zahlen, und dem Privatinteresse, das darauf besteht, dafür 12 Pence zu fordern. „Streik" ist die Losung des Tages. Während dieser Woche streikten 5000 Bergarbeiter im nördlichen Kohlengebiet, 400 bis 500 Gesellen der Korkschneider in London, dazu etwa 2000 bei den verschiedenen Werftbesitzern an der Themse beschäftigte Arbeiter, die Polizeitruppe von Hull, ähnliche Versuche unternahm die Londoner Polizei, und schließlich streiken die an der St. Stephanskapelle arbeitenden Maurer, direkt unter den Augen des Parlaments. „Die Erde wird zu einem wahren Paradies für die Arbeiter", ruft die „Times" aus, „Menschen werden wertvoll." Als 1849, 1850, 1851 und 1852 der Handel ständig wuchs, sich die Industrie in unerhörtem Maße ausdehnte und der Profit dauernd größer wurde, blieben die Löhne unverändert und sogar in den meisten Fällen auf dem niedrigen Stand, welchen die Krise von 1847 herbeigeführt hatte. Nachdem Auswanderung die Bevölkerung zahlenmäßig vermindert und die steigenden Preise für die wichtigsten Lebensmittel ihren Hunger vergrößert hatten, brachen Streiks aus, und als Folge dieser
1 Stadtteil in London - 2 Staatsstreich
Streiks stiegen die Löhne, und siehe da! Die Erde wird zu einem Paradies für Arbeiter - in den Augen der „Times". Um jenes Paradies auf irdische Ausmaße zu reduzieren, haben die Spinnereibesitzer von Lancashire eine Assoziation gegründet, um sich gemeinsam gegen die Forderungen des Volkes zu schützen und zu unterstützen. Doch nicht zufrieden damit, Koalition durch Koalition zu bekämpfen, droht die Bourgeoisie, ein Eingreifen durch das Gesetz zu fordern - ein Gesetz, welches sie selbst diktiert. Wie das geschehen soll, mag man aus folgendem Gegeifer der „Morning Post"[27] entnehmen, dem Organ des liberalen und liebenswürdigen Palmerston.
„Wenn es ein Stück Niedertracht gibt, welches besonders verdient mit eherner Hand bestraft zu werden, ist es das System der Streiks... Gebraucht wird eine strenge und summarische Methode, um die Streikleiter und Rädelsführer dieser Koalitionen zu bestrafen. Es würde keineswegs eine Einmischung in die Freiheit des Arbeitsmarktes bedeuten, wenn man diesen Burschen eine Tracht Prügel Verabfolgte... Es ist müßig zu behaupten, daß dies eine Einmischung in den Arbeitsmarkt bedeuten würde. Solange diejenigen, welche den Arbeitsmarkt beliefern, davon Abstand nehmen, die Interessen des Landes aufs Spiel zu setzen, mag es ihnen überlassen bleiben, mit den Arbeitgebern zu einer Einigung zu kommen."
Innerhalb gewisser konventioneller Grenzen soll es den Arbeitern gestattet sein, sich einzubilden, selbständige Partner der Produktion zu sein und ihre Kontrakte mit ihrem Arbeitgeber im gegenseitigen Übereinkommen abzuschließen. Werden jedoch diese Grenzen überschritten, dann wird ihnen das Arbeitsverhältnis offen unter Bedingungen aufgezwungen, die vom Parlament, jenem ständigen Ausschuß der Koalition der herrschenden Klasse gegen das Volk, vorgeschrieben worden sind. Die tiefgründigen und philosophischen Gedanken des Palmerstonschen Organs wurden auf kuriose Weise durch seine gestrige Entdeckung offenbart, daß „von allen Klassen Englands den Armen der höheren Stände am ärgsten mitgespielt wurde". Der arme Aristokrat, der in Ermangelung eines eigenen „Brougham"1 gezwungen ist, eine Mietdroschke zu benutzen! Man versichert uns, daß die ganze Welt, besonders aber Irland, infolge Hungersnot und Massenauswanderung zu einem Paradies der Arbeiter wird. Wenn aber die Löhne in Irland wirklich so hoch sind, wie kommt es dann, daß die irischen Arbeiter in solchen Massen nach England herüberströmen, um sich für immer auf dieser Seite des „Teichs"E192] niederzulassen, während sie früher nach Beendigung der Erntearbeiten zurückzukehren pflegten?
1 geschlossenen Einspänners (nach Lord Brougham)
Wenn die sozialen Verbesserungen für das irische Volk solche Fortschritte machen, wie kommt es dann, daß andererseits die Fälle von Wahnsinn in diesem Lande seit 1847 und besonders seit 1851 so schrecklich zugenommen haben? Werfen wir einen Blick auf die folgenden Zahlen aus dem „Sechsten Bericht über Bezirksirrenanstalten für Verbrecher und private Irrenanstalten in Irland":
Gesamtzahl der Aufnahmen in davon: Irrenanstalten Männer Frauen 1851 2584 1301 1283 1852 2722 1376 1346 März 1853[1931 2870 1447 1423
Und dies ist das gleiche Land, in dem der berühmte Swift, der Begründer der ersten Irrenanstalt in Irland11941 bezweifelte, ob dort jemals 90 Wahnsinnige gefunden werden könnten. Die von Ernest Jones wiedereröffnete Agitation der Chartisten macht lebhafte Fortschritte; am 30. d.M. soll ein großes Meeting der Londoner Chartisten unter freiem Himmel auf dem Kennington Common stattfinden, wo die große Versammlung am 10. April 1848 stattfand11951. Herr Cobbett hat seinen Fabrikgesetzantrag zurückgezogen und gab zu verstehen, er habe die Absicht, ihn zu Beginn der nächsten Parlamentssession wieder vorzulegen. Der „Manchester Guardian"11901 vom 27. d.M. bestätigt in bezug auf die finanziellen und allgemeinen Aussichten Englands völlig meine früheren Voraussagen in folgenden Sätzen seines Leitartikels:
„Es hat wohl kaum jemals eine Zeit gegeben, da in unserer kommerziellen Atmosphäre derartig viele Elemente der Ungewißheit in der Luft lagen, dazu angetan, Un~ ruhe hervorzurufen - wir gebrauchen dieses milde Wort absichtlich. Zu einer beliebigen Zeit vor der Aufhebung der Korngesetze, und vor der allgemeinen Einführung der Freihandelspolitik hätten wir den stärkeren Ausdruck ernste Besorgnis benutzt.Diese Elemente sind erstens die zu erwartende Mißernte, zweitens der ständige Abfluß von Gold aus den Gewölben der Bank und drittens die große Wahrscheinlichkeit, daß es zum Kriege kommen wird."
Nun ist das Letzte aus der Verfassung von 1848 durch den Staatsstreich des Königs von Dänemark über den Haufen geworfen worden. Das Land hat eine russische Konstitution bekommen und ist durch die Abschaffung der Lex Regia dazu verdammt worden, eine russische Provinz zu werden11973. Ich
werde in einem meiner nächsten Briefe eine Darlegung der Angelegenheiten Dänemarks geben.1
„Unsere Politik besteht darin, darauf zu achten, daß in den nächsten vier Monaten nichts geschieht, und ich hoffe, wir führen sie durch, denn die Menschen ziehen es im allgemeinen vor, abzuwarten; der fünfte Monat aber wird reich an Ereignissen werden."
So schrieb Graf Pozzo di Borgo am 28. November 1828 an den Grafen Nesselrode, und Graf Nesselrode handelt nun nach diesem Grundsatz. Während die militärische Usurpation der Fürstentümer durch die Russen noch durch das Ansichreißen der dortigen Zivilverwaltung vervollständigt wurde, während ein Regiment nach dem anderen in Bessarabien und der Krim einmarschiert, gibt Rußland Österreich einen Wink, daß seine Vermittlung angenommen werden würde, und einen änderen an Bonaparte, daß seine Vorschläge möglicherweise beim Zaren günstige Aufnahme finden könnten. Die Minister in Paris und London werden mit der Aussicht vertröstet, daß Nikolaus sich huldvoll herablassen werde, ihre Entschuldigungen endlich entgegenzunehmen. Favoritinnen gleich harrten alle Höfe Europas angstvoll darauf, wem von ihnen der Herrscher aller Gläubigen das Taschentuch zuwerfen würde. Wochen-, ja monatelang hielt Nikolaus sie so hin, bis er plötzlich erklärte, daß weder England noch Frankreich, noch Osterreich, noch Preußen sich in seinen Konflikt mit der Türkei einzumischen hätten und daß nur er mit dieser allein verhandeln könne. Wahrscheinlich berief er seine Gesandtschaft aus Konstantinopel nur darum ab, um eben diese Verhandlungen mit der Türkei zu erleichtern. Während er aber einerseits erklärt, die Mächte hätten sich nicht in russische Angelegenheiten einzumischen, erfahren wir andererseits, daß die Vertreter von Frankreich, England, Osterreich und Preußen ihre Zeit mit Zusammenkünften in Wien totschlagen, um Projekte zur Regelung der orientalischen Frage auszuhecken, ohne daß sich jedoch weder der türkische noch der russische Gesandte an diesen Scheinkonferenzen beteiligen. Der Sultan hatte am 8. Juli ein kriegerisches Ministerium eingesetzt, um sich von diesem Zustand der Waffenruhe zu befreien, aber Lord Redcliffe zwang ihn, es noch an demselben Abend zu entlassen. Das hat ihn so aus der Fassung gebracht, daß er einen österreichischen Kurier nach St,Petersburg schicken will, der den Zaren befragen soll, ob er die direkten Verhandlungen wieder aufnehmen wolle. Von der Rückkehr dieses Kuriers und der mitgebrachten Antwort werde es abhängen, ob Reschid Pascha selbst nach St.Petersburg geht. Von St.Petersburg soll er neue Notenentwürfe
nach Konstantinopel schicken; diese neuen Notenentwürfe sollen dann wieder nach St.Petersburg zurückgesandt werden, und zu einer Entscheidung wird es erst kommen, wenn die letzte Antwort von St.Petersburg nach Konstantinopel gelangt ist - inzwischen aber wird der fünfte Monat herangerückt sein und in das Schwarze Meer keine Flotte mehr hineinkönnen. Dann wird der Zar während des Winters ruhig in den Fürstentümern bleiben, wo er seine Ausgaben mit denselben Versprechungen begleichen wird, die dort von seinen früheren Okkupationen her seit 1820 schon kursieren. Es ist bekannt, daß der serbische Minister Garaschanin[201 auf Betreiben Rußlands seines Postens enthoben wurde. Rußland, durch diesen ersten Triumph ermutigt, besteht nun darauf, daß alle russenfeindlichen Offiziere entlassen werden. Auch auf den regierenden Fürsten Alexander beabsichtigte man diese Maßnahme auszudehnen und ihn durch den Fürsten Michael Obrenovic, ein willfähriges Werkzeug Rußlands und russischer Interessen, zu ersetzen. Um dieser Kalamität zu entgehen und auch unter Österreichs Einfluß hat sich Fürst Alexander gegen den Sultan gewandt und erklärt, die strengste Neutralität wahren zu wollen. Die russischen Intrigen in Serbien werden in der Pariser „Presse"11121 folgendermaßen geschildert:
„Es ist allgemein bekannt, daß das russische Konsulat in Orsowa - einem armseligen Dorfe, das keinen einzigen russischen Untertanen beherbergt, sondern inmitten einer serbischen Bevölkerung liegt - ein ganz erbärmliches Dasein führt, aber jetzt zur Brutstätte für die moskowitische Propaganda geworden ist. Von Rechts wegen wurde anhängig gemacht und festgestellt, daß Rußland seine Hand im Spiele gehabt hat in der Affäre von Braila 1840, in der des Johann Lutzo 1850 und kürzlich wieder bei der Festnahme der vierzehn russischen Offiziere, die dann die Ursache des Rücktritts des Ministeriums Garaschanin wurde. Ebenso ist es bekannt, daß Fürst Menschikow während seines Aufenthaltes in Konstantinopel durch seine Agenten in Brussa und Smyrna ähnliche Intrigen wie in Saloniki, Albanien und Griechenland anstiften ließ."
Es gibt keinen auffallenderen Zug in der russischen Politik als diese traditionelle Übereinstimmung nicht nur in ihren Zielen, sondern auch in den Mitteln, mit denen sie sie zu erreichen strebt. Es existiert in der jetzigen orientalischen Frage keine Komplikation, keine Verhandlung, keine offizielle Note, die man nicht schon auf irgendeiner Seite der Weltgeschichte nächlesen kann. Rußland kann jetzt dem Sultan gegenüber auf nichts anderes hinweisen als auf den Vertrag von Kainardschi[1061, obgleich dieser Vertrag dem Zaren nicht etwa ein Protektorat über seine Glaubensgenossen verlieh, sondern ihm nur das Recht gab, in Stambul eine Kapelle zu bauen11041 und de? Sultans
Milde für seine christlichen Untertanen zu erflehen, wie dies auch Reschid Pascha in seiner Note an den Zaren vom 14. d. M. ganz richtig geltend machte. Aber als Rußland 1774 diesen Vertrag unterzeichnete, beabsichtigte es schon, ihn eines schönes Tages im Sinne von 1853 auszulegen. Der damalige österreichische Internuntius an der ottomanischen Pforte, Baron Thugut, schrieb 1774 an seinen Hof:
„Rußland wird von nun an stets, wenn es die Gelegenheit für günstig hält, und ohne viele Vorbereitungen in der Lage sein, von seinen Häfen am Schwarzen Meer aus Truppen nach Konstantinopel zu senden. In diesem Falle würde zweifellos eine im vorhinein geschürte Verschwörung mit den Häuptern der griechisch-orthodoxenKirche ausbrechen, und dem Sultan würde nichts übrigbleiben, als bei der ersten Nachricht von diesem russischen Vorgehen seinen Palast zu verlassen, nach dem Innern Asiens zu fliehen und den Thron der europäischen Türkei einem Herrscher mit mehr Erfahrung zu überlassen. Sobald die Hauptstadt erobert sein wird, werden Terror und die getreue Hilfe der griechisch-orthodoxen Christen den Archipel, die Küste von Kleinasien und ganz Griechenland bis ans Ufer der Adria ohne Zweifel mit Leichtigkeit unter russisches Zepter bringen. Der Besitz dieser von der Natur so reich bedachten Länder, mit denen sich kein anderer Teil der Welt an Fruchtbarkeit und Reichtum des Bodens vergleichen kann, wird Rußland zu einer Übermacht verhelfen, die alle Fabelwunder in den Schatten stellt, die die Geschichte von der Großartigkeit der Monarchien des Altertums zu berichten weiß."
Wie heute, so versuchte Rußland auch 1774 den Ehrgeiz Österreichs mit der Aussicht auf die Einverleibung Bosniens, Serbiens und Albaniens anzustacheln. Derselbe Baron Thugut schreibt darüber wie folgt:
„Eine solche Vergrößerung des Österreichischen Gebietes würde Rußlands Eifersucht nicht hervorrufen. Der Grund dafür liegt darin, daß, wenn Österreich sich Bosnien, Serbien usw. einverleibt, dieses zwar von höchster Wichtigkeit unter anderen Verhältnissen wäre, aber für Rußland in dem Augenblick nicht den geringsten Belang hätte, wenn der Rest des Ottomanischen Reichs in seine Hände fiele. Denn die Bewohner dieser Provinzen sind fast ausschließlich Mohammedaner und griechischorthodoxe Christen: die ersteren würden als ständige Bewohner nicht geduldet werden, die letzteren würden in Anbetracht der nahen Nachbarschaft des orientalischen russischen Reichs nicht zögern, dorthin zu übersiedeln oder, wenn sie blieben, würde ihre Treulosigkeit gegen Österreich dauernde Konflikte verursachen. Und eine Gebietserweiterung ohne wesentliche innere Kräfte würde daher nur dazu dienen, die Macht des Kaisers von Österreich zu schwächen, statt sie zu stärken."
Politiker pflegen sich gewöhnlich auf das Testament Peters I.[41] zu berufen, wenn sie die traditionelle Politik Rußlands im allgemeinen und seine Absichten auf Konstantinopel im besonderen demonstrieren wollen. Sie
könnten eigentlich noch viel weiter zurückgreifen. Vor mehr als achthundert Jahren erklärte Swiatoslaw, der damals noch heidnische Großfürst von Rußland, in einer Versammlung seiner Bojaren, daß „nicht nur Bulgarien, sondern auch das griechische Reich in Europa zusammen mit Böhmen und Ungarn unter die Herrschaft Rußlands gehörten". Swiatoslaw eroberte Silistria und bedrohte Konstantinopel Anno Domini 968, genau wie Nikolaus es 1828 tat. Die Dynastie Rurik verlegte bald nach der Gründung des Russischen Reichs ihre Hauptstadt von Nowgorod nach Kiew, nur um Byzanz näher zu sein. Im elften Jahrhundert ahmte Kiew in allem Konstantinopel nach, und man nannte es das zweite Konstaniinopel; in diesem Namen drückte sich das unablässige Streben Rußlands aus. Rußlands Religion und Zivilisation sind byzantinischen Ursprungs, und sein Bestreben, das Byzantinische Reich zu unterjochen, das damals in demselben Stadium des Verfalls war wie heute das Ottomanische Reich, war ein viel natürlicheres als das der deutschen Kaiser nach der Unterjochung Roms und Italiens. Die Übereinstimmung in den Zielen der russischen Politik ist daher durch seine historische Vergangenheit, seine geographischen Verhältnisse und durch die Notwendigkeit gegeben, offene Seehäfen im Archipel wie in der Ostsee zu gewinnen, wenn es seine Vorherrschaft in Europa aufrechterhalten will. Die traditionelle Art jedoch, wie Rußland diese Ziele verfolgt, verdient bei weitem nicht den Tribut der Bewunderung, den ihr die europäischen Politiker zollen. Der Erfolg dieser ererbten Politik ist zwar ein Beweis für die Schwäche der Westmächte, gleichzeitig aber dokumentiert sich in der stereotypen Gleichförmigkeit dieser Politik die innere Barbarei Rußlands. Wem erschiene es nicht lächerlich, wollte Frankreich seine Politik nach dem Testament Richelieus oder nach den Kapitularien11981 Karls des Großen einrichten? Sieht man die bedeutendsten Dokumente der russischen Diplomatie durch, so findet man, daß sie die schwachen Seiten der europäischen Könige, Minister und Höfe auf höchst listige, spitzfindige, schlaue und verschlagene Weise herauszufinden wissen, daß aber ihre Weisheit regelmäßig Schiffbruch erleidet, wenn es gilt, die historischen Bewegungen der westeuropäischen Völker selbst zu begreifen. Fürst Lieven beurteilte den Charakter des guten Aberdeen ganz richtig, als er auf dessen Nachsicht gegenüber dem Zaren rechnete, aber das englische Volk verkannte er gründlich, als er die Fortdauer der Tory-Herrschaft am Vorabend der Reformbewegung von 1831 voraussagte. Graf Pozzo di Borgo beurteilte Karl X. ganz richtig, aber das französische Volk schätzte er ganz falsch ein, als er seinen „erhabenen Herrn" dazu bewog, mit diesem König wegen der Teilung Europas zu verhandeln, den das Volk am nächsten Morgen aus Frankreich verjagte. Die russische Politik mag durch ihre traditionellen Ränke, Listen
und Ausflüchte den europäischen Höfen imponieren, die selbst bloß in der Tradition begründet sind, den revolutionierten Völkern gegenüber wird sie völlig versagen. In Beirut haben die Amerikaner noch einen Ungarn den Klauen des Österreichischen Adlers entrissen. Daß die amerikanische Einmischung in Europa gerade bei der orientalischen Frage beginnt, ist eigentlich recht erheiternd. Außer der kommerziellen und militärischen Bedeutung, die Konstantinopel dank seiner geographischen Lage hat, sind es noch andere historische Erwägungen, die seinen Besitz zu einem so vielbegehrten und heiß umstrittenen Streitobjekt zwischen dem Osten und dem Westen machen - und Amerika ist der jüngste, aber kräftigste Repräsentant des Westens. Konstantinopel ist die ewige Stadt, das Rom des Ostens. Unter den alten griechischen Kaisern verschmolz dort die westliche Zivilisation so sehr mit Östlicher Barbarei und unter den Türken die östliche Barbarei so sehr mit westlicher Zivilisation, daß dieses Zentrum eines theokratischen Reichs zu einer wirklichen Schranke gegen den europäischen Fortschritt wurde. Als die griechischen Kaiser durch die Sultane von Ikoniumtl9ö] vertrieben wurden, über* lebte der Geist des alten Byzantinischen Reichs diesen Wechsel der Dynastie, und wenn der Sultan durch den Zaren ersetzt werden sollte, so würde das Bas empire1, neu ins Leben gerufen, demoralisierendere Einflüsse ausüben als unter den alten Kaisern und angriffslustiger und kräftiger sein als unter dem Sultan. Der Zar würde für die byzantinische Zivilisation sein, was russische Abenteurer jahrhundertelang für die Kaiser des niedergehenden Reichs waren - das corps de garde2 unter ihren Soldaten. Der Kampf zwischen Westeuropa und Rußland um den Besitz von Konstantinopel führt zu der Frage, ob der Byzantinismus der westlichen Zivilisation weichen wird oder ob der Antagonismus zwischen beiden in noch schrecklicheren und gewalttätigeren Formen als je zuvor Wiederaufleben soll. Konstantinopel ist die goldene Brücke zwischen Ost und West, und die westliche Zivilisation kann nicht der Sonne gleich die Welt umkreisen, ohne diese Brücke zu passieren; und sie kann die Brücke nicht passieren ohne Kampf mit Rußland. Der Sultan hält Konstantinopel nur noch für die Revolution in Verwahrung, und die jetzigen nominellen Würdenträger Westeuropas, die ihrerseits das letzte Bollwerk ihrer „Ordnung" an den Ufern der Newa sehen, können nichts anderes tun, als die Frage so lange in der Schwebe zu lassen, bis Rußland sich Aug1 in Aug* seinem wahren Gegner gegen übersieht, der Revolution. Die Revolution, die das Rom
1 Oströmische Reich - 2 Wachtposten
des Westens niederwerfen wird, wird auch den dämonischen Einfluß des Roms des Ostens überwinden. Diejenigen Ihrer Leser, die meine Artikel über die Revolution und Konterrevolution in Deutschland gelesen haben, welche ich vor etwa zwei Jahren für die „Tribüne" schrieb[200J und die von ihr ein anschauliches Bild gewinnen möchten, werden gut daran tun, sich das Gemälde des Herrn Hasenclever anzusehen, das jetzt im New Yorker Kristallpalast ausgestellt ist. Es stellt die Überreichung einer Arbeiter-Petition an den Magistrat von Düsseldorf im Jahre 1848 dar. Der hervorragende Maler hat das in seiner ganzen dramatischen Vitalität wiedergegeben, was der Schriftsteller nur analysieren konnte. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
[Im Unterhaus Die Presse über die orientalischen Angelegenheiten Das Manifest des Zaren - Dänemark]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3847 vom 16. August 1853] London, Dienstag, 2. August 1853 Der Londoner Droschkenverkehr wurde wieder aufgenommen. Der Cabby1 hat vergangenen Sonnabend die passive Resistenz aufgegeben. Unterdessen fährt das Parlament fort, sein großes Gesetzeswerk der Parlamentssession einzureißen und beseitigt so Schritt für Schritt jeglichen Casus belli zwischen dem Cabby und dem Unterhaus2. Die Indienbill durchlief am Freitag ihre letzte Lesung, nachdem die Vorschläge der Regierung, die Gehälter für Direktoren und Vorsitzende zu erhöhen, abgelehnt worden waren und letztere auf 900 Pfd. St. bzw. 1000 Pfd. St. herabgesetzt wurden. Die außerordentliche Tagung des Aufsichtsrats der Ostindischen Kompanie am Freitag bot ein äußerst klägliches Schauspiel. Die verzweifelten Rufe und Reden verrieten deutlich die Befürchtungen der ehrenwerten Aktienbesitzer, daß das Indische Reich wohl die längste Zeit ihr Eigentum war. Einer der sehr ehrenwerten Gentlemen bekundete seine Absicht, dem Unterhaus eine Entschließung zu unterbreiten, welche die gegenwärtige Bill verwirft und die Ablehnung der Aktienbesitzer und Direktoren zum Ausdruck bringt, die ihnen durch die Regierungsmaßnahme zugedachte Rolle zu spielen. Die ehrenwerten Aktienbesitzer und Direktoren der Ostindischen Kompanie im Streikl Wirklich sehr eindrucksvoll! Die Abschaffung des Salzmonopols der Ostindischen Kompanie durch das britische Unterhaus war dessen erster Schritt, Indiens Finanzen in seine eigene Verwaltung zu bringen. Die Küstenmilizbill ging gestern durch die Ausschußsitzung. Zweck dieser Maßnahme ist es, ein Korps von 10 000 Mann für die Verteidigung der
1 Droschkenkutscher - 9 siehe vorl. Band, S. 228/229
britischen Küsten aufzustellen, das jährlich eine vierwöchige Ausbildung erhält. Sie sollen, ebenso wie die Miliz, ein Handgeld von 6 Pfd. St. erhalten. Ihre Dienstzeit soll in Friedenszeiten auf fünf Jahre und bei drohendem Kriegsausbruch auf sechs Jahre begrenzt werden.Wenn sie einberufen werden, sollen sie die Löhnung eines Vollmatrosen erhalten und zusätzlich zwei Pence täglich während des letzten Jahres. Die Männer dürfen in Friedenszeiten nicht mehr als 50 und im Gefahrenfalle nicht mehr als 100 leagues von der Küste entfernt auslaufen. Gestern abend erfolgte auch die dritte Losung der Irish Landlords and Tenants Bill1. Eine wichtige Änderung zugunsten der Pächter wurde hinzugefügt, nämlich das Verbot für den Grundherrn, das Getreide eines Pächters bereits auf dem Halm zu beschlagnahmen und zu veräußern. Herr Cobden hat ein Pamphlet über den Ursprung des birmanischen Krieges veröffentlicht. In Frankreich ist die Furcht vor einer Mißernte so groß, daß die Regierung Louis Bonapartes mit der Pariser Bäckerinnung eine geringe Brotpreisherabsetzung in der ersten Augusthälfte ausgehandelt hat, ungeachtet der ständigen Verteuerung von Mehl an der Halle aux bles2. Die Bäcker sollen durch eine spatere Preisheraufsetzung entschädigt werden.
„Dies", so sagt der „Economist" lM3, „ist eine Verschwörung seitens der französischen Regierung, um der Bevölkerung vorzugaukeln, die Ernte sei nicht so schlecht, obgleich das doch der Fall ist."
Tagtäglich sind die Zeitungsspalten mit einander widersprechenden Meldungen über orientalische Angelegenheiten überschwemmt, die in Wien und Berlin fabriziert werden, und zwar teilweise von russischen Agenten, um die französische und britische Öffentlichkeit über die Maßnahmen Rußlands zu täuschen, teilweise aber auch auf ausdrücklichen Befehl aus Paris zu börsenspekulativen Zwecken. Eine Erklärung in der heutigen „Morning Post"[271 würde Aufmerksamkeit erheischen, hätte nicht das Organ Palmerstons mit solchen Drohungen, die es heute ausstößt, um sie morgen zu widerrufen, schon so oft Mißbrauch getrieben.
„Bis zum 10. August wird die ganze Angelegenheit friedlich beendet sein, oder die vereinigten Flotten werden Order erhalten, zum Bosporus oder vielleicht auch zum Schwarzen Meer auszulaufen. Aktive Maßnahmen werden geduldige Verhandlungen ablösen, und die Furcht vor der Gefahr wird nicht mehr verhindern, daß energische Schritte
1 Bill über die irischen Grundherren und Pächter - 3 Getreidemarkthalle in Paris
eingeleitet werden, die die Sicherheit garantieren. Sollte der Zar den jetzigen Vorschlag annehmen, so wird die erste Bedingung die sofortige Räumung der Donaufürstentümer • <i sein. Die „Morning Post" behauptet weiter, daß sich die Vertreter von England, Frankreich, Österreich und Preußen1 am 24. Juli auf die Bedingungen eines Ultimatums geeinigt hätten, welches sofort St.Petersburg zugestellt wurde.[201] Diese Behauptung widerspricht jedoch den jüngsten Erklärungen von Lord Clarendon und Lord John Russell, die nur von einer gemeinsamen Note Frankreichs und Englands sprachen; außerdem wird diese Behauptung von der französischen Presse vollkommen ignoriert. Aber wie dem auch sein mag, jedenfalls deutet es darauf hin, daß die Partei Palmerstons im Kabinett dem guten Aberdeen ein Ultimatum überreicht hat, welches der letztere am 10. August beantworten soll. Von der „National-Zeitung"t202] erfahren wir, daß andere Konferenzen jetzt auch in Berlin tagen sollen, als ob wir noch nicht genügend Konferenzen in Wien und Konstantinopel gehabt hätten. Damit diese Konferenzen auch mit dem notwendigen „Stoff" versehen sind, hat der Kaiser von Rußland selbstzufrieden erklärt, daß er sich bei aller Bereitschaft seinerseits, die Okkupation der Donaufürstentümer als materielle Garantie seiner religiösen Bestrebungen aufzuheben, nunmehr gezwungen sehe, sie aufrechtzuerhalten als Garantie für die Entschädigung seiner durch die Okkupation entstandenen Ausgaben. Während Fürst Gortschakow in seinen Proklamationen verkündete, daß Rußland sich verpflichtet habe, sich jeder Einmischung in die Tätigkeit der eingesetzten Behörden der Fürstentümer zu enthalten, erläßt der Zar einen Ukas, der den Hospodaren der Moldau und der Walachei verbietet, irgendeinen Tribut an die türkische Regierung zu entrichten oder mit ihr Verbindung aufrechtzuerhalten. Als Folge dieser Weisung setzte der Hospodar der Walachei den russischen Konsul in Bukarest davon in Kenntnis, daß er seinen Tribut an den Sultan bereits entrichtet habe, worauf der Konsul erwiderte: c'est de l'argent per du2, denn der Hospodar müsse ihn noch einmal an Rußland zahlen. Die gestrige Ausgabe der „Patne"*1111 berichtet, daß drei der einflußreichsten Bojaren der Moldau, mit Sondererlaubnis des Hospodars, von Jassy nach Petersburg abgereist sind, um beim Zaren wegen des Verhaltens russischer Soldaten Einspruch zu erheben, die, in Verletzung des der Pforte gegebenen feierlichen Versprechens, die Donauprovinzen als erobertes Land behandelten und dort zahllose Erpressungen begingen. Man kann den Russen
* Westmorland, Bourqueney, Buol-Schauenstein und Arnim - 2 das ist verlorenes Geld
gewiß nicht vorwerfen, daß sie versuchen, Propaganda zu betreiben, indem sie sich in den Fürstentümern beliebt machen. Nach wie vor fährt Rußland fort, ostentativ aufzurüsten. Die „Hamburger Nachrichten"[203] veröffentlichen das vom 23. Juli datierte, in Petersburg erlassene Kaiserliche Manifest:
„Von Gottes Gnaden Wir Nikolaus I. Durch Unser Manifest vom 1.(13.) August 1834 haben Wir jährliche in bestimmten Teilen des Kaiserreichs stattfindende Rekrutenaushebungen angeordnet, Wir befehlen nunmehr: 1. Zur Vervollständigung Unserer Land- und Seemacht die folgende zehnte teilweise Rekrutenaushebung aus dem östlichen Teil des Kaiserreichs zu 7 Seelen von 1000 in gleicher Weise wie die, welche im Jahre 1852 im westlichen Teile des Reiches stattgefunden hat. 2. Außerdem sollen aus den Gouvernements des östlichen Teiles 3 Rekruten von je 1000 Seelen ausgehoben werden, als Nachnahme von der Zahl der 6 Seelen per 1000, welche dieser Teil bei vorigen Rekrutierungen erst zur Hälfte gestellt hat. 3. Aus den Gouvernements Pskow, Witebsk und Mohilew, welchen durch Unser Manifest vom 31. Oktober 1845 und 26. September 1846 wegen Mißernte die Rekrutenstellung nachgelassen war, soll die Rekrutierung für 1853 nach dem Anteil von 3 Rekruten per 1000 stattfinden, und von den Juden der Gouvernements Witebsk und Mohilew sollen in gleicher Weise wie von den Juden der andern Gouvernements 10 Mann per 1000 ausgehoben werden. 4. Die Rekrutenaushebung hat am I.November zu beginnen und schließt mit dem I.Dezember. Gegeben zu St.Petersburg Nikolaus I."
Dem Manifest folgen zwei Ukase, die die Einzelheiten dieser neuen und außergewöhnlichen Rekrutierung regeln. Außer in den obenerwähnten Gouvernements soll nach dem zweiten Ukas eine Rekrutierung unter den Odnodworzi12041 und Einwohnern der Städte in den Gouvernements Kiew, Podolien, Wolhynien, Minsk, Grodno, Wilna und Kowno vorgenommen werden. Der Korrespondent der „Hamburger Nachrichten" berichtet wie folgt:
„Die Rüstung im Innern des Reiches wird ununterbrochen fortgesetzt. Die Reservebataillone des 4. Infanteriekorps werden in der Nähe von Tula konzentriert. Aus einem Tagesbefehl erfahren wir, daß die Gardetruppen und Grenadiere sich noch in ihren Stellungen in den Lagern nahe Krasnoe Selo und nahe Pudosch, unweit Gatschina, befinden. Die Feldmanöver dieser beiden Korps, die sich auf 100000 Mann belaufen, dauern an."
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
Die Stockholmer „Post Zeitung" vom 16. Juli teilt mit, daß der Kaiser von Rußland Befehl gegeben hat, die Ostseeflotte, bestehend aus 20 Linienschiffen und 15 Fregatten, zu bewaffnen und auszurüsten. Die „Kölnische Zeitung"'1831 vom 29. Juli erklärt, daß
„die Rückkehr der schwedisch-dänischen Flotte vor Ablauf des Übungstermins infolge des bestimmten Befehls an den Kommandanten, sich unverzüglich in die Ostsee zu begeben, erfolgt ist". Sowohl die französischen Zeitungen wie auch der „Morning Chronicle"t29] von heute enthalten eine telegraphische Meldung aus Wien vom 3. Juli, der zufolge Amerika der Pforte Geld und aktive Unterstützung angeboten habe. Der Eindruck, den die drohende Haltung Rußlands im Zusammenhang1 mit den düsteren Ernteaussichten bei den Menschen des Kontinents hervorgerufen hat, wird mit folgenden Worten des „Economist"t221 bezeichnend wiedergegeben:
„Der Zar hat den revolutionären Geist Europas zu Leben und Hoffnung erweckt; wir lesen von Komplotten in Österreich, Komplotten in Italien und Komplotten in Frankreich; man fürchtet sich hier allmählich vor neuen revolutionären Unruhen mehr als davor, daß die Regierungen sich in einen Krieg einlassen könnten."
Ein gut informierter dänischer Herr, der gerade hier eintraf, weil er sich vor der Cholera fürchtet, die zur Zeit in Kopenhagen derart wütet, daß bereits 4000 Menschen davon befallen sind und nicht weniger als 15 000 Paßanträge zum Verlassen der dänischen Hauptstadt vorliegen, teilte mir mit, daß die Königliche Botschaft über die Erbfolge vor allem dank der Stimmenthaltung einer großen Anzahl Eidermenen12051 angenommen wurde, die gehofft hatten, durch ihre passive Haltung eine Krise zu vermeiden. Die von ihnen befürchtete Krise ist dennoch über sie gekommen in Gestalt der aufgezwungenen Verfassung, und jene Verfassung ist vor allem gegen diePartei der „Bauernfreunde"*2061 gerichtet, mit deren Unterstützung die dänische Krone ihre vorangegangenen Erfolge in der Erbfolgefrage erzielte. Da ich beabsichtige, auf dieses Thema in einem besonderen Artikel1 noch einmal zurückzukommen, will ich hier nur bemerken, daß die dänische Regierung dem vereinigten Reichstag (dem Landsting und dem Folketing gemeinsam) den Notenaustausch mit den Großmächten über ihre Vorschläge vorgelegt hat. Von diesen Dokumenten sind die Noten Englands und Rußlands die interessantesten, besonders zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Der „schweigsame"
Clarendon billigt nicht nur die königliche Botschaft, sondern gibt der dänischen Regierung auch noch den deutlichen Wink, daß sie mit der alten demokratischen Verfassung, mit dem allgemeinen Wahlrecht und ohne Oberhaus nicht mehr existieren könne. Demzufolge hat der schweigsame Clarendon im Interesse Rußlands die Initiative ergriffen, den dänischen Coup d'etat zu empfehlen und zu veranlassen. Nach einer Stellungnahme zu den Artikeln des Londoner Abkommens vom 8. Mai 1852t76] schließt die russische Note des Grafen Nesselrode an Baron Ungern-Sternberg folgendermaßen;
„Das Abkommen vom 8. Mai schreibt formell nicht vor, daß die Lex Regia aufgehoben werden sollte, da eine solche Verfügung in einem zwischen unabhängigen Staaten abgeschlossenen Vertrag unpassend gewesen wäre. Das wäre gegen die diplomatischen Gepflogenheiten gewesen und noch mehr gegen die Ehrerbietung, die der souveränen Würde der dänischen Krone gebührt. Aber die Mächte, die einer Retrozession ihre Zustimmung gegeben haben, die dazu dienen soll, an Stelle des in. der Lex Regia vorgesehenen Verfahrens zu treten, sollte sich die Notwendigkeit seiner Anwendung ergeben, sind natürlich verpflichtet gewesen, als sie ihre Unterstützung zusagten, die Wahl der geeigneten Maßnahmen zur Erreichung des Zieles mit gesetzgeberischen Mitteln Seiner Majestät, dem König von Dänemark zu überlassen. Seine Majestät, der von seinem königlichen Vorrecht Gebrauch machte, hat seine Absicht kundgetan, für alle unter seiner Herrschaft stehenden Länder eine Erbfolgeordnung festzusetzen, durch die, für den Fall, daß die männliche Nachkommenschaft Friedrichs III. erlischt, alle Rechte nicht anwendbar sein sollen, die sich aus den Artikeln 27-40 der Lex Regia ergeben, und Prinz Christian von Glücksburg auf den Thron berufen wird, um ihm und seinen männlichen Nachkommen aus seiner Ehe mit der Prinzessin Louise von Hessen die dänische Krone zu sichern. Dergestalt sind die Verfügungen der königlichen Botschaft vom 4. Oktober 1852. Sie bringen die Ansichten zum Ausdruck, die, wenigstens seitens der Kaiserlichen Regierung, als Grundlage für die gegenwärtigen Verhandlungen dienten. Das Kaiserliche Kabinett betrachtet sie als ein Ganzes, das keinerlei Einschränkungen zulaßt; denn uns deucht, daß die Aufhebung der Artikel 27-40 der Lex Regia nicht nur eine notwendige Konsequenz und eine Bedingung sine qua non der Abmachungen ist, die Prinz Christian von Glücksburg und seine Nachkommen auf den Thron beriefen, sondern auch des in. der Präambel des Abkommens festgelegten Prinzips, nämlich: daß ein Arrangement, welches die Erbfolge der männlichen Nachkommen in allen gegenwärtig unter der Herrschaft Dänemarks stehenden Ländern gewährleistet, das beste Mittel wäre, die Integrität dieser Monarchie zu garantieren... In Artikel II des Abkommens wird erklärt, daß sie das Prinzip der Integrität der dänischen Monarchie als permanent anerkennen... Sie haben unverzüglich ihre Absicht kundgetan, mit vereinten Kräften die Wiederkehr der Komplikationen zu verhindern, an denen das vergangene Jahr unglücklicherweise so reich war... Das Erlöschen der männlichen Nachkommenschaft des Prinzen Christian von Glücksburg würde die
eventuellen Rechte, auf die Seine Majestät der Kaiser zugunsten dieses Prinzen verzichtet hatte, unbedingt wieder aufleben lassen. Die Initiative jedoch, dem König von Dänemark ausdrücklich vorbehalten, wie auch die Zusammenarbeit der drei Großmächte, falls die erwähnten Eventualitäten eintreten sollten, bieten nunmehr den dänischen Patrioten eine Garantie gegen die ehrgeizigen Pläne und Absichten, die nirgends als in ihrer eigenen Einbildung existieren."
Somit gibt Rußland zu verstehen, daß die zeitweilige Aufhebung der Lex Regia, wie sie in dem Protokoll vom 8. Mai vereinbart wurde, als eine dauernde verstanden werden muß, daß der dauernde Verzicht des Kaisers von Rußland nur ein zeitweiliger ist, daß die dänischen Patrioten jedoch von nun an auf den Schutz der Unantastbarkeit ihres Landes durch die europäischen Mächte vertrauen können. Sind sie nicht Zeuge, wie die Unantastbarkeit der Türkei seit dem Vertrag von 1841 beschützt worden ist? Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Annoncensteuer - Russische Schritte - Dänemark Die Vereinigten Staaten in Europa
| [„New-York Daily Tribüne" Nr. 3850 vom 19. August 1853] London, Freitag, 5. August 1853 Das Gesetz über die Aufhebung der Annoncensteuer hat gestern abend die königliche Zustimmung erhalten und tritt heute in Kraft. Einige Morgenzeitungen haben bereits ihre herabgesetzten Preise für Annoncen aller Art veröffentlicht. Die Londoner Hafenarbeiter streiken. Die Gesellschaft ist bemüht, neue Leute einzustellen. Man erwartet einen Kampf zwischen den alten und den neuen Arbeitern. Der Kaiser von Rußland hat neue Gründe ausfindig gemacht, um die Donaufürstentümer zu behalten. Er wird sie nicht mehr als materielle Garantie für seine geistigen Bestrebungen festhalten oder als Schadloshaltung für die Kosten, die ihre Okkupation verursacht, sondern jetzt muß er sie wegen „innerer Unruhen" festhalten, wie es der Vertrag von BaIta~Liman[132) vorsieht. Und da die Russen in den Donaufürstentümern tatsächlich alles und jedes auf den Kopf gestellt haben, kann das Bestehen solcher Unruhen nicht geleugnet werden. Lord Clarendon bestätigte in der Sitzung des Oberhauses vom 2. August die Angaben, die ich in meinem letzten Artikel hinsichtlich der Hospodare gemacht hatte, die daran gehindert worden waren, an Konstantinopel ihren Tribut zu entrichten und weiterhin Verbindungen mit der Türkei zu unterhalten.1 Lord Clarendon erklärte mit betont ernster Miene und pompöser Feierlichkeit, daß er
„durch einen Kurier, der noch heute abend London verläßt, Sir Hamilton Seymour anweisen würde, von dem russischen Kabinett die Erklärung zu verlangen, auf die England ein Recht hat".
Während Clarendon bis nach St.Petersburg schickt, um Erklärungen zu erbitten, veröffentlicht die „Patrie "11111 von heute eine Nachricht aus Jassy vom 20. des vergangenen Monats, daß die Russen Bukarest und Jassy befestigen, daß die Hospodare der Moldau und Walachei einer russischen Kontrollbehörde, bestehend aus drei Mitgliedern, unterstellt sind, daß das Volk mit Kontributionen in natura belastet ist und daß einige widerspenstige Bojaren in russische Regimenter gesteckt worden sind. Das ist die „Erklärung" der Proklamation Fürst Gortschakows, der zufolge
„sein erhabener Gebieter nicht die Absicht hatte, die Institutionen, die das Land regierten, zu ändern, und die Anwesenheit seiner Truppen dem Volk weder neue Kontributionen noch andere Lasten auferlegen würde".
In der Sitzung des Unterhauses erklärte am gleichen Tage Lord John Russell als Antwort auf eine von Lord Dudley Stuart gestellte Frage, daß die vier Mächte in Wien zusammengewesen wären wegen eines gemeinsamen Vorschlags an den Zaren, der für Rußland und die Türkei „annehmbar" sei, und daß dieser nach St.Petersburg abgesandt worden wäre. In seiner Antwort an Herrn Disraeli führte Lord Russell aus:
„Dieser Vorschlag war faktisch ein österreichischer Vorschlag, wenngleich er ursprünglich von der Regierung Frankreichs kam."
Dieser ursprüngliche Franzose, in Österreich naturalisiert, sieht recht verdächtig aus, und die „Neue Preußische Zeitung"[2071 gibt in einem Brief aus Wien die Erklärung, daß
„das russische und das österreichische Kabinett völlig einmütig beschlossen haben, einen vorherrschenden Einfluß Englands im Orient nicht aufkommen zu lassen".
Der „Engländer"1 äußert sich über die Erklärungen des Koalitionsministeriums: „Sie sind groß in der Erniedrigung, stark in der Dummheit und höchst beredt im Schweigen." Sobald die Moldau und die Walachei russifiziert seien, würden Galizien, Ungarn und Transsilvanien in russische „Enklaven" verwandelt werden. Ich habe in einem früheren Artikel von den „verborgenen Schätzen" in der Bank von St.Petersburg gesprochen, die die Goldreserve für einen dreimal so großen Papiergeldumlauf bilden2. Der russische Kriegsminister3 hat jetzt beantragt, einen Teil dieses Schatzes in die Kriegskasse zu überführen. Als der Finanzminister4 gegen diesen Schritt Einspruch erhoben hatte, wandte
1 A.Richards - 2 siehe vorl. Band, S. 119 - 3 Dolgorukow - * Brök
sich der Kaiser persönlich an den Heiligen Synod, den Verwahrer des Kircheneigentums, wegen eines Darlehns von 60 Millionen Rubel. Während es dem Zaren an Geld fehlt, fehlt es seinen Truppen an Gesundheit. Aus sehr zuverlässiger Quelle wird mitgeteilt, daß die Truppen, die die Donaufürstentümer besetzt halten, auf ihrem Marsch fürchterlich unter der Hitze zu leiden hatten, daß die Zahl der Kranken außergewöhnlich hoch ist und daß viele Privathäuser in Bukarest und Jassy in Krankenhäuser verwandelt worden sind. Die „Times"t26J von gestern brandmarkte die ehrgeizigen Pläne Rußlands gegenüber der Türkei, versuchte jedoch gleichzeitig, die russischen Intrigen in Dänemark zu vertuschen. Sie hilft selbst dann ihrem erlauchten Gebieter, wenn sie lauthals über ihn schimpft.
„Wir zweifeln die Behauptung an", sagt die „Times", „daß es dem russischen Kabinett gelungen sei, Einfluß auf den Hof von Kopenhagen zu gewinnen, und die Feststellung, daß die dänische Regierung unter russischem Einfluß dazu übergeht, die Verfassung von 1849 aufzuheben oder zu beeinträchtigen, ist völlig unrichtig. Die dänische Regierung hat zwar bewirkt, daß ein Gesetz oder ein Entwurf veröffentlicht wird, der einige Modifikationen der Verfassung enthält, die augenblicklich in Kraft ist, aber dieses Gesetz wird der Debatte und Abstimmung der Kammern unterworfen, wenn sie wieder zusammentreten; es ist nicht durch königliche Vollmacht verkündet worden."
Die Auflösung einer einzigen gesetzgebenden Versammlung in vier getrennte feudale Landtage, das Recht auf Selbsteinschätzung bei der Besteuerung aufgehoben, Wahlen unter Bedingungen des allgemeinen Wahlrechts unterdrückt, die Preßfreiheit abgeschafft, die freie Konkurrenz durch die Wiederbelebung der geschlossenen Zünfte verdrängt, die gesamte Beamtenklasse, d. h. die einzige gebildete Klasse in Dänemark, davon ausgeschlossen, gewählt zu werden, es sei denn auf Grund königlicher Erlaubnis - das alles nennt man »einige Modifikationen der Verfassung"! Genausogut kann man Sklaverei eine geringfügige Modifikation der Freiheit nennen. Es ist wahr, daß es der dänische König nicht gewagt hat, dieses neue „Grundgesetz" als Gesetz zu verkünden. Er hat nur nach der Manier der orientalischen Sultane die seidene Schnur an die Kammern geschickt, mit der Order, sich damit zu erdrosseln. Ein derartiger Vorschlag ist mit der Drohung verbunden, ihn gewaltsam durchzusetzen, falls man sich ihm nicht freiwillig unterwirft. Soviel, was „Einige Änderungen der Verfassung" betrifft. Nun zu dem „russischen Einfluß". Wie entstand der Konflikt zwischen dem dänischen König und den dänischen Kammern? Der König schlug vor, die Lex Regia abzuschaffen,
d. h. das bestehende Erbfolgegesetz Dänemarks. Wer drängte den König zu diesem Schritt? Rußland, wie man aus der Note des Grafen Nesselrode vom 1 I.Mai 1853 ersehen haben wird, von der ich in meinem letzten Artikel berichtet habe. Wer wird von der Aufhebung der Lex Regia profitieren?11971 Niemand außer Rußland. Die Lex Regia erlaubt auch der weiblichen Linie der herrschenden Familie die Thronfolge. Durch ihre Aufhebung würden die Agnaten alle Ansprüche der Kognaten, die ihnen bisher im Wege standen, beseitigen. Bekanntlich gehören zum Königreich Dänemark außer dem eigentlichen Dänemark, nämlich den Inseln und Jütland, auch die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Die Erbfolge für das eigentliche Dänemark und für Schleswig wird durch die Lex Regia geregelt, während sie im Herzogtum Holstein, das ein deutsches Lehen ist, entsprechend der Lex Salicat2081, den Agnaten zufällt. Durch die Aufhebung der Lex Regia würde die Erbfolge für Dänemark und Schleswig der des deutschen Herzogtums Holstein angeglichen werden, und der russische Zar, der als der Vertreter des Hauses Holstein-Gottorp[761 die nächsten Ansprüche auf Holstein hat, würde in der Eigenschaft als Hauptagnat auch den nächsten Anspruch auf den dänischen Thron erlangen. In den Jahren 1848-1850 kämpften die Dänen, unterstützt von russischen Noten und Flotten, gegen Deutschland, um die Lex Regia zu behaupten, die Schleswig verbot, mit Holstein vereinigt und von Dänemark getrennt zu werden. Nachdem der Zar die deutsche Revolution unter dem Vorwand der Lex Regia geschlagen hat, konfisziert er das demokratische Dänemark durch Abschaffung gerade dieses Gesetzes. Die Skandinavier und die Deutschen haben auf diese Weise die Erfahrung gemacht, daß sie ihren respektiven nationalen Ansprüchen nicht die feudalen Gesetze der königlichen Erbfolge zugrunde legen dürfen. Sie haben die noch bessere Erfahrung gemacht, daß sie, die Deutschen und die Skandinavier, die beide zu der gleichen großen Rasse gehören, nur den Weg für ihren Erbfeind, den Slawen, bereiten, wenn sie miteinander streiten, statt sich zu verbinden. Das große Ereignis des Tages ist das Auftauchen der amerikanischen Politik am europäischen Horizont. Begrüßt von der einen Seite, verabscheut von der anderen, wird die Tatsache von allen anerkannt.
„Österreich muß nach der Zerstückelung des Türkischen Reichs trachten, um sich für den Verlust seiner italienischen Provinzen zu entschädigen - eine Perspektive, die nicht weniger wahrscheinlich geworden ist durch den Streit, den es törichterweise mit Uncle Sam vom Zaune gebrochen hat. Ein amerikanisches Geschwader in der Adria würde eine recht nette Komplikation für einen italienischen Aufstand bedeuten, und wir können es alle noch erleben, denn der angelsächsische Geist ist im Westen noch nicht tot."
So heißt es im „Morning Herald"[24], dem alten Organ der englischen Aristokratie.
„Die Koszta-Affäre", sagt die Pariser „Presse"^112!, „ist weit davon entfernt, beigelegt zu werden. Wir sind unterrichtet, daß das Wiener Kabinett vom Washingtoner Kabinett eine Reparation verlangt hat, die es ganz sicher nicht bekommen wird. Inzwischen bleibt Koszta unter dem Schutz des französischen Konsuls." „Wir müssen dem Yankee aus dem Wege gehen, der zur einen Hälfte ein Seeräuber und zur anderen Hälfte ein Hinterwäldler, aber auf keinen Fall ein Gentleman ist", flüstert die Wiener „Presse"*51!.
Die deutschen Zeitungen murren über das Geheimabkommen, das angeblich zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei abgeschlossen worden sein soll, wonach letztere Geld und Flottenunterstützung und die ersteren den Hafen von Enos in Rumelien erhalten sollen, der einen sicheren und geeigneten Platz für einen Handels- und Militärstützpunkt der amerikanischen Republik im Gebiet des Mittelländischen Meeres bieten würde.
„Im Laufe der Zeit", sagt die Brüsseler „Iimancipation"*52!, „wird der Konflikt von Smyrna zwischen der amerikanischen und der österreichischen Regierung, verursacht durch die Gefangennahme des Emigranten Koszta, in die vorderste Linie der Ereignisse von 1853 rücken. Verglichen mit dieser Tatsache können die Besetzung der Donaufürstentümer und die Schritte der westlichen Diplomatie und der vereinigten Flotten in Konstantinopel als Ereignisse von zweitrangiger Bedeutung betrachtet werden. Das Vorkommnis von Smyrna ist der Beginn einer neuen Geschichte, während der Zwischenfall von Konstantinopel nur die Aufrollung einer alten Frage ist, die im Begriff war, ihre Bedeutung zu verlieren."
Eine italienische Zeitung, „II Parlamento"[209], bringt einen Leitartikel unter der Überschrift „La Politica Americana in Europa", aus dem ich die folgenden Stellen wörtlich übersetze:
„Es ist allgemein bekannt", sagt „II Parlamento", „daß die Vereinigten Staaten schon lange versuchten, eine Marinestation im Mittelländischen Meer und in Italien zu bekommen, und besonders zu solchen Zeiten, wenn im Orient Komplikationen auftraten. So hatte z. B. 1840, als die große ägyptische Frage zur Diskussion stand und als Saint-Jean-d'Acre angegriffen wurde, die Regierung der Vereinigten Staaten den König beider Sizilien1 vergeblich gebeten, ihr zeitweilig den großen Hafen von Syrakus zu überlassen. Heute kann die Tendenz der amerikanischen Politik, sich in europäische Angelegenheiten einzumischen, nicht lebhafter und hartnäckiger sein. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die gegenwärtige demokratische Regierung der USA äußerst laut ihre Sympathien mit den Opfern der italienischen und ungarischen Revolution kund
1 Ferdinand II.
tut, daß sie sich überhaupt nichts aus dem Bruch der diplomatischen Beziehungen mit Österreich macht und daß sie in Smyrna ihre Politik mit ihren feuerbereiten Geschützen verfochten hat. Es wäre ungerecht, über dieses Trachten der großen transatlantischen Nation zu schimpfen oder es inkonsequent lächerlich zu nennen. Die Amerikaner beabsichtigen gewiß nicht, den Orient zu erobern und es zu einem Landkrieg mit Rußland kommen zu lassen. Aber wenn England und Frankreich ihre besten Seestreitkräfte losschicken, warum sollten es dann nicht auch die Amerikaner tun, besonders dann, wenn sie im Mittelländischen Meer einen Stützpunkt, einen Ort der Zuflucht und für »Verproviantierung* bekommen haben. Für sie stehen große Interessen auf dem Spiel, zumal das republikanische Element dem kosakischen diametral gegenübersteht. Handel und Schiffahrt haben die gesetzmäßigen Beziehungen und Verträge zwischen allen Völkern der Welt vervielfacht. Kein Volk kann sich heute als fremd in irgendeinem Meer des alten oder neuen Kontinents oder als unbeteiligt an irgendeiner großen Frage, wie der des Schicksals des Ottomanischen Reichs, halten. Der amerikanische Handel und die Residenten, die ihn an den Küsten unserer Meere betreiben, fordern den Schutz des Sternenbanners, und um ihn das ganze Jahr hindurch dauerhaft und rechtskräftig zu machen, brauchen sie einen Hafen für ihre Kriegsmarine, die bereits an dritter Stelle unter den Seemächten der Welt rangiert. Wenn England und Frankreich sich direkt in alles einmischen, was den Isthmus von Panama betrifft, wenn die erstere dieser Mächte so weit geht, einen König der Moskitos zu erfinden, um territoriale Rechte den Operationen der Vereinigten Staaten gegenüberzustellen, wenn diese Mächte sich schließlich darüber verständigen, daß die Durchfahrt vom Atlantischen Ozean zum Stillen Ozean für alle Nationen geöffnet werden und in den Händen eines neutralen Staates liegen soll -, ist es dann nicht klar, daß die Vereinigten Staaten im Hinblick auf die Freiheit und Neutralität des Isthmus von Suez beanspruchen müssen, die gleiche Wachsamkeit zu üben, indem sie aufmerksam den Verfall des Ottomanischen Reichs beobachten, der dazu führen kann, daß Ägypten und Syrien vollständig oder teilweise der Herrschaft irgendeiner Großmacht anheimfallen werden? Suez und Panama sind die beiden großen Eingangspforten zum Orient, die - bisher geschlossen - künftig miteinander konkurrieren werden. Die beste Art, sich ausschlaggebenden Einfluß in der transatlantischen Frage zu sichern, ist für die USA, bei der Mittelmeerfrage mitzuarbeiten. Wir sind überzeugt, daß die amerikanischen Kriegsschiffe in der Nähe der Dardanellen nicht auf ihren Anspruch verzichten werden, sie zu passieren, wann immer sie wollen und ohne den Beschränkungen unterworfen zu sein, denen die Großmächte 1841 zugestimmt hatten, und das auf Grund der unbestreitbaren Tatsache, daß die amerikanische Regierung sich nicht an jener Konvention beteiligt hatte. Europa ist erstaunt über diese Kühnheit, weil es seit dem Frieden von 1783 gewöhnt war, die Vereinigten Staaten mit solchen Augen zu betrachten, wie man die Schweizer Kantone nach dem Westfälischen Frieden betrachtete, nämlich als Länder, denen man eine legitime Daseinsberechtigung zuerkannte, die man aber auf keinen Fall in den aristokratischen Kreis der alten Großmächte zulassen kann, um ihre Stimme zu Fragen der allgemeinen Politik abzugeben. Aber jenseits des Ozeans sind die Angelsachsen zum höchsten Grad von Reichtum, Zivilisation
und Macht aufgestiegen, so daß sie nicht länger die bescheidene Stellung anerkennen können, die ihnen in der Vergangenheit zugewiesen worden war. Der Druck, der von der amerikanischen Union auf den Areopag der fünf Großmächte, die bis jetzt die Geschicke der Welt lenkten, ausgeübt wird, ist ein neuer Machtfaktor, der zum Niedergang des exklusiven Systems beitragen muß, das von den Wiener Traktaten geschaffen worden war. Solange sich aber die Republik der Vereinigten Staaten ihr positives Recht und ihren offiziellen Sitz in den Kongressen nicht erkämpft hat, die über Fragen der Weltpolitik entscheiden, nimmt sie mit einer ungemeinen Erhabenheit und einer besonderen Würde die menschlicheren Belange des Naturrechts und des jus gentium1 wahr. Ihre Flagge gibt den Opfern der Bürgerkriege Schutz, ohne Ansehen der Partei, und während des großen Sturms der Jahre 1848/49 ließ sich die amerikanische Flotte niemals durch Demütigungen oder Schmähungen davon abhalten, Asyl zu gewähren."
Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die Kriegsfrage - Britische Bevölkerungs- und Handelsstatistiken - Parlamentarisches12101
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3854 vom 24. August 1853] London, Freitag, 12. August 1853 Bonaparte entschädigt die französische Marine für die demütigende Lage, in die sie in der Besikabai geraten ist, mit einer Herabsetzung des Tabakpreises für Matrosen, wie wir aus dem heutigen „Moniteur"[51 erfahren. Bonaparte gewann seinen Thron mit Würsten12111. Warum sollte er nicht versuchen, ihn mit Tabak zu halten? Auf alle Fälle wird die Komplikation im Osten in den Augen der französischen Bauern und der Armee die Demonetisation Louis Bonapartes hervorgerufen haben. Sie haben gelernt, daß der Verlust der Freiheit im eigenen Land nicht durch Gewinn an Ruhm im Ausland wettgemacht wird. Das „Reich aller Ruhmestaten" ist sogar noch tiefer gesunken als das „Kabinett aller Talente". Den Zeitungen von Konstantinopel, die gerade eingetroffen sind, entnehmen wir, daß das Manifest des Sultans an seine Untertanen am 1. August erschien, daß der russische Konsul in Adrianopel von St.Petersburg die Order erhalten hat, sich aus der Türkei zurückzuziehen, daß die anderen .russischen Konsuln gleichartige Befehle erwarten und daß die Zeitungen aus Konstantinopel in den Donaufürstentümern verboten sind. Im „Impartial" von Smyrna vom I.August steht folgende Meldung über Persien:
„Der Schah von Persien hat, nachdem man ihm auf seine Bitte bin die Korrespondenz zugeleitet hatte, die zwischen der Pforte und dem russischen Kabinett anläßlich der schwebenden Auseinandersetzungen geführt worden war, offiziell erklärt, daß das ganze Recht auf Seiten der Pforte sei und daß er ihr im Falle eines Krieges treu zur Seite stehen werde. Diese Nachricht hat einen großen Eindruck auf den russischen Botschafter in Teheran gemacht, von dem man sagt, daß er seine Pässe verlangen will."
Der Inhalt des Vorschlags, den Rußland gemacht und der der mysteriösen Petersburger Depesche zufolge vom Zaren angenommen wurde, ist Gegenstand von Mutmaßungen in der gesamten europäischen Presse. Die Palmerstonsche „Morning Post"1271 behauptet:
„Am 25. Juli übersandte Herr von Meyendorf seinem kaiserlichen Gebieter nicht etwa die formellen Vorschläge (die auf der Wiener Konferenz angenommen worden waren), sondern einen Bericht über das, was auf der Konferenz vom 24. vor sich gegangen war. Wir haben sicher nicht ganz Unrecht, wenn wir zuversichtlich versichern, daß die Affäre in einer solchen Weise geregelt worden ist, daß die Unabhängigkeit und Integrität des Ottomanischen Reichs unversehrt bleiben. Das Übereinkommen sieht folgendes vor: Reschid Pascha wird an den Grafen Nesselrode eine Note richten, der er die Fermane beilegen wird, in welchen den griechisch-orthodoxen Christen, Untertanen des Sultans, mehr Privilegien gewährt werden, als selbst Rußland für sie erbeten hat. Er wird dem Zaren viele höfliche Dinge sagen und ihn der ausgezeichneten Gesinnung des Sultans gegenüber seinen Untertanen versichern, denen der Sultan gewisse Rechte gewährt hat. Diese Note wird durch einen türkischen Botschafter überreicht werden, und damit wird die Sache erledigt sein. Am 10. September wird der letzte russische Soldat den Pruth überquert haben!"
Andererseits bestätigen private Briefe aus Wien, die auf das Auftauchen von russischen Kanonenbooten oberhalb des Zusammenflusses von Pruth und Donau anspielen, die in meinem letzten Artikel gemachte Feststellung, daß die nach St.Petersburg gesandten Vorschläge überhaupt nicht den Rückzug der russischen Armeen aus den Donaufürstentümern enthalten, daß sie vom Österreichischen Kabinett herrühren, um dessen Intervention der britische Botschafter in Wien1, „jener wahre Liebhaber der Harmonie", ersucht hatte, nachdem die englischen und französischen Vorschläge vom Zaren abgelehnt worden waren, und daß sie Rußland die gewünschte Gelegenheit bieten, die Verhandlungen in infinitum2 zu verschleppen. Nach der offiziösen Frankfurter „Oberpostamts-Zeitung"12121 hat Rußland Österreich nur erlaubt, die Türkei hinsichtlich seiner eigenen Interessen aufzuklären. Die kürzlich veröffentlichten Bevölkerungsstatistiken bestätigen den langsamen, aber stetigen Rückgang der Bevölkerung von Großbritannien.
Im zweiten Quartal 1853 betrug
die Anzahl der Todesfälle und die Anzahl der Geburten
Geburtenzunahme in den registrierten Gebieten
107 861 158 718
50 857
1 Westmorland - 2 bis ins Endlose
Der Uberschuß an Geburten gegenüber den Todesfällen im ganzen Vereinigten Königreich beträgt schätzungsweise 79800 Anzahl der Auswanderer während dieses Quartals 115 959 Überschuß an Auswanderern gegenüber Geburtenzunahme 36159
In der letzten Statistik überstieg die Zabl der Auswanderer die der Geburten um nur 30000. Der Rückgang der Bevölkerung, der durch die Auswanderung hervorgerufen ist, fällt zusammen mit dem beispiellosen Wachstum der Produktivkräfte und des Kapitals. Wenn wir daran denken, daß Pfarrer Malthus der Auswanderung einen solchen Einfluß abspricht und daß er glaubt, mit Hilfe ausgeklügeltster Berechnungen festgestellt zu haben, daß alle Flotten der Welt niemals ausreichen würden für eine Auswanderung solchen Ausmaßes, die die Übervölkerung wesentlich beeinflussen könnte, dann enthüllt sich unseren Augen das ganze Geheimnis der modernen politischen Ökonomie. Es besteht einfach in der Umwandlung veränderlicher gesellschaftlicher Verhältnisse, die einer bestimmten historischen Epoche angehören und einem gegebenen Stand der materiellen Produktion entsprechen, in ewige, allgemeine, unveränderliche Gesetze, in Naturgesetze, wie sie auch von den Ökonomen bezeichnet werden. Die völlige Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich aus den Revolutionen und Evolutionen im Prozeß der materiellen Produktion ergibt, wird von den Vertretern der politischen Ökonomie als bloße Utopie angesehen. Sie sehen die ökonomischen Grenzen einer gegebenen Epoche, aber sie begreifen nicht, daß diese Grenzen selbst begrenzt sind und im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung ebenso verschwinden müssen, wie sie von ihr geschaffen wurden. Der vom Handelsministerium veröffentlichte Bericht über Handel und Schiffahrt für das erste Halbjahr 1853, endend mit dem 5. Juli 1853, zeigt im allgemeinen einen starken Anstieg im Vergleich zu den Angaben über Export, Import und über die Schiffahrt im entsprechenden Zeitraum des Jahres 1852. Der Import von Ochsen, Bullen, Kühen, Kälbern, Schafen und Lämmern ist beträchtlich gestiegen.
Die Gesamteinfuhr an Getreide belief sich im ersten Halbjahr 1852, endend mit dem 5. Juli 1852 auf 2604201 Quarter und in dem entsprechenden Zeitraum von 1853 auf 3984374 Quarter Die Gesamteinfuhr an Mehl und Grütze belief sich im ersten Halbjahr 1852 auf 1931363 Quarter und in dem entsprechenden Zeitraum von 1853 auf 2577340 Quarter
Gesamteinfuhr an Kaffee 1852 19 397 185 Pfund „ „ 1853 21 908 954 Pfund Gesamteinfuhr an Wein 1852 2 850 862 Gallonen „ „ 1853 4 581 300 Gallonen Gesamteinfuhr an Eiern 1852 64418591 Stück „ „ 1853 67 631 380 Stück Gesamteinfuhr an Kartoffeln 1852 189 410 Zentner 1853 713 941 Zentner Gesamteinfuhr an Flachs 1852 410 876 Zentner „ „ 1853 627 173 Zentner Gesamteinfuhr an Rohseide 1852 2 354 690 Pfund 1853 2 909 733 Pfund Gesamteinfuhr an Baumwolle 1852 4 935 317 Zentner 1853 5 134 680 Zentner Gesamteinfuhr an Wolle (Schaf und Lamm) 1852 26 916 002 Pfund "„ „ „ „ „ 1853 40 189398Pfund Gesamteinfuhr an Häuten (gegerbt) 1852 1 075 207 Pfund 1853 3 604 769 Pfund
Ein Rückgang ist zu verzeichnen bei Kakao, Guano, Rohzucker, Tee etc.
An Exporten finden wir: Baumwollwaren im ersten Halbjahr 1852 für 11386491 Pfd. St. Baumwollwaren in der gleichen Periode 1853 für 13155679 „ „
Was Baumwollgarn betrifft - und dasselbe gilt für Leinen- und Seidengarn so ist festzustellen, daß die ausgeführte Menge zurückgegangen, daß aber der verzollte Wert beträchtlich angestiegen ist.
Leinenwaren 1852 2 006 951 Pfd. St. 1853 2251260 Seidenwaren 1852 467 838 1853 806419 Wollwaren 1852 3894506 1853 4 941357 Steingutwaren 1852 590 663 1853 627 218 Glaswaren 1852 187 470 1853 236 797 Kurz- und Modewaren 1852 884324 1853 1 806007 Eisenwaren und Messerschmiedewaren 1852 1 246639 1853 1 663302
Maschinen 1852 476 078 Pfd. St. 1853 760 288 „ „ Eisenbarren, -bolzen und -Stangen 1852 1 455 952 „ „ „ 1853 2 730 479 „ „ Schmiedeeisen 1852 696 089 „ „ 1853 1 187 059 „ „ Draht 1852 42 979 „ „ „ 1853 106 610 „ „
Hinsichtlich der Einfuhr von Fertigwaren ist der stärkste Anstieg bei Schuhen, Stiefeln und Handschuhen zu verzeichnen, der stärkste Rückgang bei Glaswaren, Uhren, Wollstoffen und indischen Seidenwaren. Hinsichtlich der Ausfuhr ist der Anstieg am stärksten bei Leinen, Seide, Wolle und Metall. Was die Einfuhr von Verbrauchsgütern betrifft, so kann man feststellen, daß, außer bei Getreide und Vieh, der Anstieg in fast allen Artikeln Zeugnis davon ablegt, daß der Verbrauch der höheren und mittleren Klassen in England in viel stärkerem Maße zugenommen hat als der der arbeitenden Klassen. Während sich z. B. der Weinverbrauch verdoppelt hat, ist der Verbrauch an Kakao, Rohzucker und Tee entschieden zurückgegangen. Von 260 Berichten über die Weizenernten im ganzen Vereinigten Königreich bezeichnen nur 25 die Ernte als gut und reichlich, 30 als durchschnittlich und über 200 Berichte bezeichnen sie als schlecht und unzureichend. Man erwartet, daß die Hafer-, Gersten- und Bohnenernte weniger ungünstig sein wird, da die vielen Niederschläge für sie vorteilhaft waren; aber die Kartoffeln sind in allen Teilen des Landes verdorben. Die Firma J.C.Sturge& Co. äußert in ihrem letzten Zirkular über die Weizenernte:
„Die Weizenernte wird wahrscheinlich insgesamt die am wenigsten ertragreiche seit 1816 überhaupt sein, und wenn die Ernte 1854 keine sehr frühe sein wird, werden wir einen größeren Import an Korn und Brotgetreide aller Arten benötigen als sogar im Jahre 1847 - wahrscheinlich nicht weniger als 15000000 Quarter. Allerdings sind unsere augenblicklichen Preise hoch genug, um Importe in diesem Ausmaße zu veranlassen, wenn nicht Frankreich auf den Getreidemärkten mit uns konkurriert."
Was nun eine sehr frühe Ernte 1854 betrifft, so scheint sehr wenig Aussicht darauf zu bestehen, um so mehr, da die Erfahrung gezeigt hat, daß im allgemeinen schlechte Ernten genauso wie gute Ernten aufeinanderfolgen, und die Aufeinanderfolge von guten Ernten seit 1848 dauerte schon ungewöhnlich lange an. Daß England ein genügendes Angebot an Korn aus dem Ausland haben wird, scheint ziemlich sicher; aber daß die Ausfuhr seiner Industriewaren mit der Einfuhr von Getreide Schritt halten wird, wie die Freihändler
hoffen, damit ist nicht zu rechnen. Das wahrscheinliche Uberwiegen der Einfuhr über die Ausfuhr wird außerdem von einem Absinken des Verbrauchs von Industriewaren im Inland begleitet sein. Schon jetzt nimmt die Metallreserve in der Bank von England Woche für Woche ab und ist auf 17 739107 Pfd. St. gesunken. Das Oberhaus hat in seiner Sitzung vom vergangenen Freitag die Combination of Workmen Bill abgelehnt, die vom Unterhaus angenommen worden war. Diese Bill war nur eine neue Auslegung des alten Combination Act von I825[127] und sollte dazu dienen, durch Beseitigung seiner schwerfälligen und doppeldeutigen Terminologie, die Arbeiter auf eine mehr gleichberechtigte Grundlage mit ihren Unternehmern zu stellen, soweit es die Gesetzlichkeit ihres Zusammenschlusses betrifft. Die gefühlvollen Lords, die sich darin gefallen, die Arbeiter als ihre ergebenen Diener zu betrachten, sind immer dann aufgebracht, wenn jener Mob für sich Rechte verlangt anstatt Mitgefühl. Die sogenannten radikalen Blätter haben natürlich eifrigst diese Gelegenheit ergriffen, um die Lords als „Erbfeinde" der Proletarier zu brandmarken. Ich bin weit davon entfernt, das in Abrede zu stellen. Aber schauen wir uns diese Radikalen einmal an, diese „natürlichen Freunde" der Arbeiter. Ich erwähnte in einem früheren Artikel, daß die Spinnmeister und Fabrikanten von Manchester eine Vereinigung zustande brachten, um den Forderungen ihrer Arbeiter Widerstand zu bieten1. Diese Vereinigung nennt sich selbst eine „Assoziation zum Zwecke der Unterstützung der Industrie bei der Regulierung der Bewegung unter den Arbeitern im Distrikt von Manchester". Sie gibt vor, für die folgenden Zwecke gebildet worden zu sein:
„1. Für die Festsetzung von Löhnen für verschiedene Tätigkeiten, die mit Spinnen und Weben verbunden sind, ähnlich denen, die in anderen Bezirken der Baumwollindustrie gezahlt werden. 2. Um ihren Mitgliedern bei der Zahlung dieser Löhne gegenseitigen Schutz zu gewähren, wenn ihnen seitens der von ihnen beschäftigten Arbeiter Widerstand geboten wird. 3. Um den Arbeitern selbst den Vorteil einheitlicher angemessener Löhne zu sichern, die ihnen entsprechend den Löhnen in der ganzen Stadt und ihrer Umgebung zu zahlen sind."
Um diese Ziele zu erreichen, haben sie beschlossen, durch die Bildung von Örtlichen Assoziationen der Spinnmeister und Fabrikanten eine voll4 ständige Organisation mit einem zentralen Komitee aufzubauen.
1 Siehe vorl. Band, S. 229/230
17 Marx/Engels, Werlte, Bd. 9
„Sie werden sich allen Forderungen, die von Assoziationen der Fabrikarbeiter gestellt werden, widersetzen, da jegliches ihnen gemachte Zugeständnis den Interessen der Arbeitgeber, der Arbeiter und der Industrie überhaupt schaden würde."
Sie werden niebt zulassen, daß die von ihnen selbst und für sie selbst errichtete Organisation durch eine ähnliche Organisation, die ihre Arbeiter geschaffen haben, unwirksam wird. Sie beabsichtigen, das Monopol des Kapitals durch das Monopol auf Zusammenschluß zu verstärken. Sie wollen als eine Assoziation ihre Bedingungen diktieren, die Arbeiter aber sollen ihnen nur als Einzelperson entgegentreten können. Sie wollen in einer geschlossenen Schlachtordnung angreifen, andererseits soll man ihnen nur im Einzelgefecht gegenübertreten. Das ist „fairer Wettstreit"9 wie er von den Manchester Radikalen und den so musterhaften Freihändlern verstanden wird. In seiner Sitzung vom 9. August hatte das Oberhaus über das Schicksal der drei Irlandgesetze zu entscheiden, die das Unterhaus nach zehnmonatiger Beratung angenommen hatte, nämlich die Landlord and Tenant Bill\ welche die Gesetze über die Hypotheken beseitigt, die gegenwärtig eine unüberwindliche Schranke für den wirksamen Verkauf der kleineren Grundstücke bilden, die nicht unter den Encumbered Estates Acß fallen; die Leasing Powers Bill3, die mehr als 60 Parlamentsbeschlüsse ergänzt und zusammenfaßt, welche verbieten, Pachtverhältnisse für die Dauer von 21 Jahren einzugehen, die die Entschädigung von Pächtern für von ihnen vorgenommene Verbesserungen in allen Fällen regelt, in denen entsprechende Verträge bestehen, und die das System der Weiterverpachtung verbietet; und schließlich die Tenant*s Improvement Compensation Bill*, die die Auszahlung einer Entschädigung für Verbesserungen in solchen Fällen vorsieht, wenn sie der Pächter ohne einen entsprechenden Vertrag mit dem Grundbesitzer vorgenommen hat, und die eine Klausel für die rückwirkende Anwendung dieses Gesetzes enthält. Das Oberhaus konnte natürlich nichts gegen eine Einmischung des Parlaments in die Verhältnisse von Grundbesitz und Pächter einwenden, da es selbst seit der Zeit Eduards IV. bis auf den heutigen Tag die Gesetzessammlungen mit gesetzgebenden Akten, die die Beziehungen zwischen Grundbesitzer und Pächter regeln, belastet hat und da überhaupt seine ganze Existenz sich auf Gesetze gründet, die sich mit dem Grundbesitz befassen, wie z. B. das Gesetz über den Erbbesitz. Diesmal ließen sich die
1 Bill zttr Regelung der Verhältnisse zwischen Grundherren und Pächtern - 2 Gesetz über belastete Grundstücke - 3 Bill über die Verpachtungsbefugnitse - 4 Pächterentschädigungsbill
edlen Lords, die als Richter in eigener Sache berieten, zu einer Leidenschaftlichkeit hinreißen, die für dieses Invalidenhospital ganz erstaunlich ist.
„Solch ein Gesetz", rief der Earl von Clanricarde aus, „wie die Pächterentschädigungsbill, solch eine völlige Verletzung und Mißachtung aller Verträge sei niemals zuvor - so glaube er - dem Parlament unterbreitet worden, noch habe er je von einer Regierung gehört, die sich erlaubt habe, solch eine Maßnahme vorzuschlagen wie die in der Rückwirkungsklausel des Gesetzes enthaltene."
Die Lords gingen so weit, der Krone mit dem Bruch ihres feudalen Treueids12131 zu drohen und ihr eine Gutsbesitzerrebellion in Irland in Aussicht zu stellen.
„Die Frage", bemerkte der gleiche Edelmann, „berühre fast die ganze Frage der Loyalität und des Vertrauens der Grundeigentümer in Irland zur Regierung Englands. Wenn sie den Grundbesitz in Irland in einer solchen Weise behandelt sähen, möchte er gern wissen, was ihre Treue zur Krone und ihre Ergebenheit in ihre Oberhoheit sichern solle." Sachte, Mylord, sachte! Was kann denn ihre Ergebenheit in die Oberhoheit der Krone sichern? Ein Friedensrichter und zwei Gendarmen. Eine Rebellion der Gutsbesitzer in Großbritannien! Ist jemals ein ungeheuerlicherer Anachronismus geäußert worden? Aber die armen Lords leben seit langem nur von Anachronismen. Sie müssen sich natürlich gegenseitig ermutigen, um sich dem Unterhaus und der Öffentlichen Meinung zu widersetzen.
„Mögen ihre Lordschaften", sagte der alte Lord St. Leonards, „nicht unvollkommene Maßnahmen wie diese beschließen, um das zu vermeiden, was ein Zusammen" stoß mit dem anderen Haus genannt wurde, oder um sich beliebt zu machen, oder auf Grund eines Druckes von außen." „Ich gehöre keiner Partei an", rief der Earl of Roden aus, „aber ich bin am Wohlergehen Irlands außerordentlich interessiert." Mit andern Worten, seine Lordschaft nimmt an, daß Irland am Wohlergehen des Earl of Roden höchst interessiert ist. „Das ist kein Anliegen einer Partei, sondern ein Anliegen aller Lords", lautete der einstimmige Ruf des Hauses. Und das stimmt. Aber zwischen beiden Parteien, den WhigLords und Tory-Lords, den Koalitions-Lords und den Oppositions-Lords, hat von Anfang an ein stillschweigendes Einvernehmen bestanden, besagte Gesetzesvorlagen durchfallen zu lassen, und die ganze stürmische Debatte war lediglich eine Farce, die für die Zeitungsreporter aufgeführt wurde. Das wird offensichtlich, wenn wir uns daran erinnern, daß die Gesetzesvorlagen, die Gegenstand so heftiger Debatten waren, nicht vom Koalitionskabinett stammen, sondern vom Kronanwalt für Irland im Kabinett Derby,
Herrn Napier, und daß die Tories bei den letzten Wahlen in Irland sich auf die Gesetzesvorlagen beriefen, die von ihnen eingebracht worden waren. Die einzige wesentliche Änderung, die vom Unterhaus an den von der ToryRegierung eingeführten Maßnahmen vorgenommen wurde, bestand darin, daß die Ernte auf dem Halm von einer Verpfändung ausgenommen wurde. „Die Gesetze sind nicht die gleichen", rief der Earl of Malmesbury aus und fragte den Herzog von Newcastle, ob er ihm nicht glaube. „Natürlich nicht", antwortete der Herzog. „Aber wessen Worten würden Sie dann glauben?" „Denen des Herrn Napier", erwiderte der Herzog. „Nun gut", sagte der Earl, „hier ist ein Brief von Herrn Napier, der besagt, daß die Gesetze nicht die gleichen sind." „Aber hier ist ein anderer Brief von Herrn Napier", entgegnete der Herzog, „in dem steht, daß es doch die gleichen sind." Wenn die Tories an der Macht geblieben wären, hätten die KoalitionsLords gegen die Irlandgesetze gestimmt. Da aber die Koalition an der Macht war, fiel den Tories die Aufgabe zu, gegen ihre eigenen Maßnahmen aufzutreten. Die Koalition, die diese Gesetzentwürfe von den Tories übernommen und die irische Partei in ihr eigenes Kabinett eingeführt hatte, konnte natürlich nicht im Unterhaus gegen die Gesetze stimmen, aber sie war überzeugt davon, daß sie im Oberhaus zu Fall kommen würden. Der Herzog von Newcastle leistete schwachen Widerstand, aber Lord Aberdeen erklärte sich damit einverstanden, daß die Gesetze formal in zweiter Lesung durchgingen, d. h. faktisch für diese Session unbeachtet blieben. So geschah es auch. Lord Derby, Chef des vorherigen Ministeriums, und Lord Lansdowne, dem Namen nach Präsident des gegenwärtigen Ministeriums, gleichzeitig auch einer der größten Grundeigentümer in Irland, richteten es klugerweise so ein, daß sie infolge Unpäßlichkeit nicht anwesend sein konnten. Am selben Tage brachte das Unterhaus das Gesetz über die Mietdroschkensteuer durch die dritte Lesung, wobei es die offiziellen Preisbestimmungen vom 14. Jahrhundert erneuerte und die von Herrn F.Scully eingebrachte Klausel annahm, die Streiks von Droschkenbesitzern gesetzlichen Strafen unterwirft. Wir wollen jetzt nicht die Frage der staatlichen Einmischung in private Belange entscheiden. Wir wollen nur feststellen, daß dies in einem Freihandelsparlament vor sich ging. Allerdings heißt es, daß es im Mietdroschkengewerbe ein Monopol gibt und keine freie Konkurrenz. Das ist eine merkwürdige Logik. Zuerst unterwirft man ein bestimmtes Gewerbe einer Steuer, die Lizenz genannt wird, und besonderen Polizeiverordnungen, und dann stellt man fest, daß infolge gerade dieser ihm auferlegten Lasten das Gewerbe seinen Freihandelscharakter verliert und in ein Staatsmonopol umgewandelt wird.
Das Deportationsgesetz ist ebenfalls durch die Ausschußsitzung gegangen. Abgesehen von einer geringen Anzahl von Sträflingen, die weiterhin nach Westaustralien deportiert werden sollen, wird durch dieses Gesetz die Strafdeportation abgeschafft. Nach einer gewissen Zeit anfänglicher Inhaftierung sollen die Straffälligen in Großbritannien vorzeitig bedingungsweise entlassen werden, was allerdings widerrufen werden kann, und sollen dann bei öffentlichen Arbeiten beschäftigt werden zu Löhnen, die von der Regierung festzusetzen sind. Der menschenfreundliche Zweck der letzteren Klausel ist die Schaffung eines künstlichen Überschusses auf dem Arbeitsmarkt, indem man Zwangsarbeit und freie Arbeit miteinander konkurrieren läßt; die gleichen Philanthropen verbieten den Paupern aus den Arbeitshäusern jegliche produktive Arbeit aus Furcht, dadurch dem privaten Kapital eine Konkurrenz zu schaffen. Die Londoner „Press"11293, eine Wochenschrift, von Herrn Disraeli gelenkt, und sicherlich das bestinformierte Blatt soweit es um ministerielle Geheimnisse geht, stellte am vergangenen Sonnabend, und folglich vor dem Eintreffen der Petersburger Depesche, folgende kuriose Behauptung auf:
„Wir wissen, daß die Minister in ihren privaten und vertraulichen Kreisen erklären, es bestehe nicht nur jetzt keine Kriegsgefahr, sondern diese Gefahr sei, wenn sie überhaupt jemals existiert habe, schon seit langem beseitigt. Es scheint, daß die formell nach St.Petersburg gesandten Vorschläge vorher vom Kaiser gebilligt worden waren; und während die britische Regierung der Öffentlichkeit gegenüber einen Ton anschlägt, der auf den Handel des Landes einen verderblichen Einfluß ausübt, tut sie im vertrauten Kreise die Panik als eine Finte ab, gießt sie ihren Spott über jeden aus, der auch nur den Gedanken hegt, daß jemals irgendeine Macht den Krieg ernstlich in Erwägung gezogen hat, und spricht von dem in Frage stehenden Mißverständnis ,als einer Angelegenheit, die in diesen drei Wochen geregelt worden sei4. Was bedeutet das alles, wo steckt das Geheimnis dieses ganzen Verhaltens? ... Die Vorschläge, die jetzt in St.Petersburg sind und die vom Kaiser gebilligt worden waren, bevor sie nach St.Petersburg geschickt wurden, enthalten ein völliges Zugeständnis der Türkei an Rußland bezüglich all jener Forderungen, deren bisherige Ablehnung den gegenwärtigen Krieg zwischen diesen beiden Ländern Verursacht hatte. Die Pforte hatte sich jenen Forderungen widersetzt auf den Rat und das spezielle Betreiben von England und Frankreich hin. Auf den Rat und das spezielle Betreiben Englands und Frankreichs soll die Pforte jetzt, entsprechend diesem Plan, jenen Forderungen nachkommen. Der Form nach bestehen zwar einige Änderungen, aber im wesentlichen bleibt alles beim alten. Der Kaiser von Rußland, der faktisch sein Protektorat über die große Masse der Bevölkerung der europäischen Türkei errichtet, soll erklären, daß er mit dieser Handlungsweise die souveränen Rechte des Sultans nicht anzufechten beabsichtige. Welch großmütiges ZugeständnisI"
Die Königswürde wird in Großbritannien für eine lediglich nominelle Macht gehalten, eine Annahme, die den Frieden erklärt, den alle Parteien mit ihr halten. Fragte man einen Radikalen, warum seine Partei davon Abstand nehme, die Vorrechte der Krone anzugreifen, so würde er antworten: sie ist ein bloßes Staatsdekorum, um das wir uns nicht kümmern. Er würde einem erzählen, daß Königin Victoria es nur einmal gewagt habe, einen eigenen Willen zu haben, bei der berühmten Kammerzofen-Katastrophe, als sie darauf bestand, ihre weibliche Whig-Entourage zu behalten, aber gezwungen wurde, Sir Robert Peel nachzugeben und sie zu entlassen. Verschiedene Umstände jedoch, die mit der orientalischen Frage zusammenhängen - die unbegreifliche Politik des Ministeriums, die Enthüllungen der ausländischen Presse und die ununterbrochene Ankunft von russischen Großfürsten und Fürstinnen zu einem Zeitpunkt, da man England am Vorabend eines Krieges mit dem russischen Autokraten wähnte haben das Gerücht bestätigt, daß während der ganzen Krise im Osten eine. Hofverschwörung mit Rußland bestanden habe, die den guten alten Aberdeen im Amt unterstützte, das prahlerische Bündnis mit Frankreich unwirksam machte und die die Maßnahmen vereitelte, die man offiziell gegen die russischen Eingriffe eingeleitet hatte. Es wird auf die portugiesische Konterrevolution hingewiesen, die ausschließlich im Interesse der Coburger durch eine englische Flotte unterstützt wurde12141. Es wird wiederholt, daß auch Lord Palmerston als Folge von Hofintrigen aus dem Ministerium des Auswärtigen entlassen wurde. Es wird auf die berüchtigte Freundschaft zwischen der Königin Victoria und der Herzogin von Orleans angespielt. Man erinnert sich, daß der Prinzgemahl ein Coburger1 ist, daß der Onkel der Königin ein weiterer Coburger2 ist, der als König von Belgien und als Schwiegersohn von Louis-Philippe an dem Sturz Bonapartes höchst interessiert ist und der durch die Heirat seines Sohnes mit einer österreichischen Erzherzogin offiziell in den Kreis der Heiligen Allianz aufgenommen wurde. Schließlich wird der Empfang, den man den russischen Gästen in England bereitete, der Inhaftierung und den Schikanen gegenübergestellt, die englischen Reisenden kürzlich in Rußland widerfuhren. Vor einigen Wochen brandmarkte das Pariser „Siecle"11141 den englischen Hof. Eine deutsche Zeitung widmete sich der Verschwörung Coburg-Orleans, die wegen der Dynastie- Interessen von König Leopold und Prinz Albert dem englischen Kabinett eine Richtung in der Politik aufgezwungen hat, die den westlichen Nationen gefährlich ist, und die die geheimen Absichten Rußlands
begünstigt. Die Brüsseler „Nation"12151 enthielt einen langen Bericht über eine Kabinettsberatung in London, auf der die Königin offiziell erklärt hatte, daß Bonaparte durch seine Ansprüche auf die Heiligen Stätten der einzige Anlaß zu den gegenwärtigen Komplikationen gewesen sei, daß der Kaiser von Rußland weniger die Türkei demütigen wolle als vielmehr seinen französischen Rivalen und daß sie niemals einem Kriege mit Rußland für die Interessen eines Bonaparte ihre königliche Zustimmung geben werde. Auf diese Gerüchte ist vorsichtig im „Morning Advertiser"[301 angespielt worden, und sie haben in der Öffentlichkeit ein lautes, in den Wochenschriften ein vorsichtiges Echo gefunden.
„Ohne zu ausführliche Mutmaßungen anzustellen", heißt es im „Leader"l216l, „wollen wir einfach die Tatsachen betrachten. Großfürstin Olga ist mit ihrem Gatten und ihrer Schwester, der Herzogin von Leuchtenberg, der diplomatischsten Tochter des Kaisers, nach England gekommen. Sie wurde von Baron Brunnow empfangen, bei Hof sofort willkommen geheißen und ist von den Repräsentanten der vornehmsten englischen Gesellschaft, unter ihnen Lord Aberdeen, umgeben."
Selbst der „Examiner"t2171, die beste der erstklassigen Wochenzeitungen Londons, gibt die Ankunft dieser Gäste unter der lakonischen Uberschrift „Noch mehr Russen" bekannt. In einem seiner Leitartikel finden wir die Bemerkung:
„Es gibt heute nicht den geringsten Grund, warum die Friedensgesellschaft nicht wieder in der Öffentlichkeit erscheinen sollte, und zwar in der bewährtesten Form, unter der Schirmherrschaft seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen Albert"
Eine unmittelbarere Anspielung ist in einer Zeitschrift vom Range des „Examiner" nicht möglich. Sie beschließt den Artikel, aus dem ich zitiere, mit einer Gegenüberstellung der englischen Monarchie mit der transatlantischen Republik:
„Wenn die Amerikaner danach streben sollten, den Platz einzunehmen, den wir einst in Europa einnahmen, so ist das nicht unsere Sache. Mögen sie augenblicklich die Ehre und schließlich den Vorteil einheimsen, das Völkerrecht durchgesetzt zu haben, und als Beschützer der Schwachen gegenüber den Starken geehrt werden. England ist zufrieden, vorausgesetzt, daß die Konsols pari stehen und daß seine eigenen Küsten gegen jeden plötzlichen Angriff einer ausländischen Armee gesichert sind." Bei einer Abstimmung um die Bewilligung von 5 820 Pfd. St. für das laufende Jahr, das mit dem 31 .Marz 1854 endet, zur Deckung der Ausgaben für Anlagen, Instandsetzungen, Einrichtung etc. in der Residenz des britischen Botschafters in Paris, fragte Herr Wise an, was aus den 1 100 Pfd.St. geworden sei, die in den letzten 30 Jahren jährlich bewilligt worden waren,
um die Residenz des britischen Botschafters in Paris instand zu halten. Sir William Molesworth war gezwungen, zuzugeben, daß die staatlichen Mittel mißbraucht worden seien und daß nach Meinung des von der Regierung nach Paris gesandten Architekten Albano die Residenz des britischen Botschafters in einem völlig verwahrlosten Zustand sei. Die Veranda um das Haus sei eingefallen; die Mauern seien im Verfall begriffen; das Haus sei seit mehreren Jahren nicht gestrichen worden; die Treppen seien unsicher; die Senkgruben strömten einen äußerst widerwärtigen Geruch aus; die Zimmer seien voller Ungeziefer, das über die Tische liefe, und die Möbel und Vorhänge seien voller Maden, während die Teppiche von Hunden und Katzen verunreinigt seien. Lord Palmerstons Bill zur Beseitigung der Rauchplage ist durch eine zweite Lesung gegangen. Wenn diese Maßnahme erst einmal durchgeführt ist, wird die Hauptstadt ein neues Aussehen gewinnen, und in London wird es, abgesehen vom Oberhaus und Unterhaus, keine schmutzigen Häuser mehr geben. Karl Marx
Aus dem Englischen»
Karl Marx
Urquhart - Bern - Die türkische Frage im Oberhaus
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3862 vom 2. September 1853] London, Dienstag, 16. August 1853 David Urquhart hat vier Artikel über die orientalische Frage veröffentlicht[2181, dazu bestimmt, vier Irrtümer klarzustellen: der erste betrifft die Identität der orientalischen und der russischen Kirche, der zweite den diplomatischen Streit zwischen England und Rußland, der dritte die Möglichkeit eines Krieges zwischen England und Rußland und der vierte endlich die Illusion, daß England und Frankreich Bundesgenossen seien. Da ich nächstens ausführlich auf diese zurückkommen will'2191 so beschränke ich mich im Augenblick darauf, Ihnen folgenden Brief Berns an Reschid Pascha mitzuteilen, einen Brief, den Herr Urquhart zum erstenmal veröffentlichte.
„Monseigneur! Da die Order noch nicht gekommen ist, die meine Anwesenheit in Konstantinopel verfügt, empfinde ich es als meine Pflicht, Eurer Hoheit einige Erwägungen vorzutragen, die mir dringlich erscheinen. Ich beginne mit der Erklärung, daß die türkischen Truppen, die ich gesehen habe, Kavallerie, Infanterie und Feldartillerie, vorzüglich sind. Haltung, Erziehung und militärischer Geist könnten nicht besser sein. Die Reiterei übertrifft jede andere europäische Kavallerie. Von unschätzbarem Wert ist das Verlangen aller Offiziere und aller Soldaten, gegen Rußland zü kämpfen. Mit solchen Truppen würde ich mich gern verpflichten, eine an Zahl doppelt so große russische Macht anzugreifen und Sieger zu bleiben. Und da das Ottomanische Reich imstande ist, gegen Rußland mehr Truppen aufzubieten, als diese Macht ihm entgegenstellen kann, so ist es klar, daß der Sultan die Genugtuung haben kann, seinem Zepter alle Provinzen wiedererstattet zu sehen, die seinen Ahnen von den Moskauer Zaren verräterisch entrissen wurden... Bern"
Der österreichische Minister des Äußern1 hat an alle europäischen Höfe wegen der Haltung der amerikanischen Fregatte „Saint Louis" in der KosztaAffäre eine Note geschickt, die die allgemeine amerikanische Politik öffentlich anklagt. Österreich besteht darauf, ein Recht zu haben, auf dem Gebiet einer neutralen Macht Ausländer gewaltsam festzunehmen, die Vereinigten Staaten aber sollen kein Recht haben, zu deren Schutz kriegerische Maßnahmen zu ergreifen. Im Oberhaus hat am Freitag der Earl of Malmesbury weder den Geheimnissen der Wiener Konferenz oder den von ihr gemachten Vorschlägen an den Zaren nachgeforscht, noch hat er sich genauer nach dem jetzigen Stand der Verhandlungen erkundigt. Seine Neugier war eine mehr retrospektive, sozusagen archäologische. Er verlangte nichts als „einfache Ubersetzungen" der beiden Manifeste, die der Kaiser im Mai und im Juni an seine diplomatischen Agenten gerichtet und die in der „St.Petersburger Zeitung"12201 veröffentlicht waren; auch „die Antwort, die Ihrer Majestät Regierung auf die darin enthaltenen Behauptungen gegeben haben dürfte", interessierte ihn. Der Earl of Malmesbury ist kein alter Römer. Seinem Gefühl widerstrebt nichts mehr als die römische Gepflogenheit, ausländische Gesandte vor den versammelten patres conscripti2 offen zu hören. Dabei konstatierte er selbst, daß
„die beiden russischen Zirkulare vom russischen Kaiser öffentlich vor ganz Europa in seiner Muttersprache publiziert wurden und daß sie in den Zeitungen auch in englischer und französischer Sprache erschienen sind".
Was soll es also bezwecken, wenn man sie aus der Sprache der Zeitungsschreiber in die Sprache der Schreiber vom Ministerium des Auswärtigen zurückübersetzt?
„Die französische Regierung beantwortete die Zirkulare sofort und in geschickter Weise... Die englische Antwort soll, wie man uns mitteilt, bald nach der französischen erfolgt sein."
Der Earl of Malmesbury ist offenbar sehr erpicht darauf zu erfahren, wie sich die gewöhnliche Prosa des Herrn Drouyn de Lhuys ausnimmt, wenn sie in die edle Prosa des Earl of Clarendon übertragen wird. . Er sah sich gezwungen, seinen „edlen Freund gegenüber" daran zu erinnern, daß John Bull nach dreißig Jahren Frieden, ruhiger Handelsgewohnheiten und industrieller Bestrebungen „etwas nervös" geworden sei, wenn es sich um Krieg handle, und daß diese Nervosität seit dem letzten März „infolge der fortgesetzten und andauernden Geheimnistuerei, mit der die Regierung
1 Buol-Schauenstein - 2 altrömischen Senatoren
ihre Handlungen und Verhandlungen umgibt", zugenommen habe. Im Interesse des Friedens interpelliert also Lord Malmesbury, ebenfalls im Interesse des Friedens schweigt aber die Regierung. Niemand war entrüsteter als der edle Lord selbst über die ersten Zeichen eines Angriffs Rußlands, auf die europäische Türkei. Nie hatte er auch nur eine Ahnung von Rußlands Absichten auf die Türkei gehabt. Er vermochte nicht zu glauben, was seine Augen sahen. Wie vertrug sich das vor allem mit der „Ehre des Kaisers von Rußland" ? Aber hat jemals die Vergrößerung eines Reichs einer kaiserlichen Ehre Abbruch getan? Und was wurde aus „der konservativen Politik, die der Zar während der Revolutionen von 1848 so nachdrücklich verfolgt hatte"? Allerdings, der Herrscher aller Reußen hatte mit diesen verruchten Revolutionen nichts gemein. Insbesondere im Jahr 1852, als der edle Earl das Portefeuille des Auswärtigen hatte,
„gab es keinen anderen Herrscher, der öfter die Aufrechterhaltung der für Europa bindenden Verträge betonte oder aufrichtiger um sie bemüht war, und keinen, der die Einhaltung der territorialen Übereinkommen mehr respektierte, die zu Europas Glück so viele Jahre existierten, als den Zaren".
Und zweifellos hatte Baron Brunnow, als er den Earl of Malmesbury dazu bewog, den Vertrag vom 8. Mai 1852 wegen der dänischen Erbfolge zu unterzeichnen, diesen durch die wiederholte Versicherung eingefangen, daß sein erhabener Herrscher eine Schwäche für alle bestehenden Verträge habe. Und als er den Earl, der eben den Staatsstreich Bonapartes freudig begrüßt hatte, dazu überredete, mit Rußland, Preußen und Österreich gegen diesen selben Bonaparte ein geheimes Bündnis zu schließen, gab er sich natürlich auch den Anschein seines aufrichtigen Interesses an der Erhaltung der bestehenden territorialen Übereinkommen. Um nun die plötzliche und unerwartete Veränderung, die im Kaiser von Rußland vorgegangen ist, zu erklären, unterwirft der Earl of Malmesbury „die neuen Eindrücke auf das Gemüt des russischen Kaisers" einer psychologischen Analyse. Die „Gefühle" des Kaisers, so versichert er, „seien durch das Verhalten Frankreichs in bezug auf die Heiligen Stätten erregt worden ". Wohl habe Bonaparte, um diese Erregung zu besänftigen, Herrn Delacour nach Konstantinopel geschickt, „einen Mann von besonders gütigem und versöhnlichem Charakter". „Aber", fährt der Earl fort, „es scheint, als ob für den russischen Kaiser das Geschehene nicht mehr ungeschehen zu machen war" und daß ein Rest von Bitterkeit gegen Frankreich zurückblieb. Man muß gestehen, daß Herr Delacour die Frage endgültig und befriedigend loste, noch ehe Fürst Menschikow nach Konstantinopel kam. „Aber trotzdem blieben
die Eindrücke auf das Gemüt des russischen Kaisers unverändert." Diese Eindrücke und die daraus entspringende falsche Vorstellung waren so stark, „daß der Kaiser die türkische Regierung immer noch im Verdacht hatte, Rußland solche Bedingungen zu stellen, die zu verlangen sie kein Recht hatte". Der Earl of Malmesbury gesteht, daß es nicht nur keinem „menschlichen Wesen", sondern nicht einmal einem englischen Lord möglich sei, „in der Seele des Menschen zu lesen"; dennoch „hält er sich für fähig, diese merkwürdigen Eindrücke auf das Gemüt des russischen Kaisers zu erklären". Der Zeitpunkt - so sagt er - sei gekommen, auf den man die russische Bevölkerung seit Generationen und Generationen vertröstet habe, „als auf den ihr vorherbestimmten Zeitpunkt der Erringung Konstantinopels und der Wiederherstellung des Byzantinischen Reichs". Er nehme nun an, „der jetzige Kaiser" habe „diese Gefühle" geteilt. Ursprünglich beabsichtigte der scharfsinnige Earl, den hartnäckigen Verdacht des Kaisers aufzuklären, der sich von der türkischen Regierung in seinen Rechten geschmälert fühlte, jetzt klärt er uns dahingehend auf, daß der Kaiser die Türkei nur deshalb im Verdacht hatte, weil er den geeigneten Moment gekommen glaubte, sie zu verschlucken. Bei diesem Punkte angelangt, mußte der edle Lord notgedrungen einschwenken. Statt die neuen Eindrücke auf das Gemüt des russischen Kaisers zu berücksichtigen, die die alten Verhältnisse beeinflußten, zieht er jetzt die Umstände in Betracht, die des Zaren ehrgeiziges Gemüt und seine überlieferten Gefühle eine Zeitlang davon abhielten, „der Versuchung zu widerstehen". Diese Umstände bestehen in der einen wichtigen Tatsache, daß der Earl of Malmesbury das eine Mal „in der Regierung" und das andere Mal „draußen" war. Als er „drinnen" war, war er der erste, der Boustrapa12211 nicht nur anerkannte, sondern sogar dessen Meineide, Mordtaten und Gewalttaten guthieß. Dann aber „tadelten die damaligen Zeitungen dauernd die - wie sie es nannten - unterwürfige und kriecherische Politik gegenüber dem französischen Kaiser". Es kam das Koalitionsministerium und mit ihm Sir J.Graham und Sir Charles Wood, „die in öffentlichen Versammlungen die Politik und den Charakter des französischen Kaisers verdammten und auch das französische Volk verurteilten, weil es sich einen solchen Fürsten zum Herrscher gewählt habe". Dann folgte die montenegrinische Affäre*2223, und das Koalitionsministerium „gestattete Österreich, darauf zu bestehen, daß der Sultan keinen weiteren Zwang auf die aufrührerischen Montenegriner ausübe und der türkischen Armee nicht einmal
einen ungestörten und ungehinderten Rückzug sichere, so daß die Türkei einen Verlust von 1500 bis 2000 Mann erlitt".
Die nachherige Zurückberufung des Obersten Rose aus Konstantinopel, ferner die Weigerung der englischen Regierung, gleichzeitig mit Frankreich ihre Flotte nach der Besikabai oder Smyrna zu dirigieren, riefen bei dem Kaiser von Rußland den Eindruck hervor, Volk und Regierung von England seien dem französischen Kaiser feindlich gesinnt und zwischen den beiden Ländern sei kein wirkliches Bündnis möglich. Nachdem er so mit einer Feinheit, die jedem Romanschriftsteller Ehre machen würde, der die wechselnden Gefühle seiner Heldin beschreibt, die Reihenfolge der Umstände geschildert hat, die auf des russischen Kaisers empfängliches Gemüt einwirkten und ihn vom Pfad der Tugend lockten, schmeichelt sich der Earl of Malmesbury, durch ein enges Bündnis mit dem Unterdrücker des französischen Volkes die alten Vorurteile und Antipathien durchbrochen zu haben, die seit Jahrhunderten das französische dem englischen Volk entfremdeten, und er beglückwünscht die jetzige Regierung dazu, daß er ihr dies innige Bündnis mit dem Zaren des Westens hinterlasse und das ernte, was die Tories gesät haben. Er vergißt hinzuzufügen, daß es gerade dieses innige Bündnis war, unter dessen Auspizien der Sultan Rußland geopfert wurde, als der französische Kaiser das Koalitionskabinett unterstützte; denn dieser französische Soulouque[223J brennt nur darauf, sich auf den Schultern der Muselmanen in eine Art Wiener Kongreß hineinzustehlen und dadurch zu Ansehen zu gelangen. Und in demselben Atemzuge, in dem er das Ministerium zu seinem engen Bündnis mit Bonaparte beglückwünscht, schmäht er die Politik, die doch nur die Frucht dieser Mesalliance war. Verlassen wir nun den Earl mit seinen Expektorationen über die Bedeutung der türkischen Integrität, seiner Ableugnung des Verfalls der Türkei, seiner Zurückweisung des russischen religiösen Protektorats und seinen Vorwürfen gegen die Regierung, weil sie den Einfall in die Donaufürstentümer nicht als Casus belli auffaßte und die Überschreitung des Pruth nicht durch die Entsendung ihrer Flotte beantwortete. Neues bringt er nichts vor als den folgenden Brief des Fürsten Menschikow an Reschid Pascha vor seiner Abreise aus Konstantinopel, „dessen Frechheit durch nichts zu überbieten ist".
„Bujukdere, 9. (21.) Mai Im Augenblick der Abreise von Konstantinopel erfährt der unterzeichnete russische Gesandte, die Hohe Pforte habe die Absicht ausgesprochen, eine Garantie für die Ausübung der geistlichen Rechte, mit denen der Klerus der orientalischen Kirche bekleidet ist, zu proklamieren, was in der Tat die Aufrechterhaltung der übrigen
Privilegien, deren diese Kirche sich erfreut, zweifelhaft erscheinen läßt. Welches immer der Beweggrund dieses Beschlusses gewesen sein mag, so sieht sich der Unterzeichnete in die Notwendigkeit versetzt, Se. Exzellenz, den Minister des Auswärtigen zu verständigen, daß eine Erklärung oder irgendein anderer Akt, welcher, wenn er auch die Integrität der bloß geistlichen Rechte der orthodoxen orientalischen Kirche aufrechterhalten sollte, doch dahin zielen würde, die übrigen Rechte, Privilegien und Immunitäten zu schwächen, die ihrer Religion und ihrem Klerus von den ältesten Zeiten her bewilligt wurden und deren sie sich im gegenwärtigen Augenblicke erfreut, von dem kaiserlichen Kabinett als ein Akt der Feindseligkeit gegen Rußland und seine Religion betrachtet werden würde. Der Unterzeichnete ersucht usw. Menschikow.'
Der Earl of Malmesbury „kann unmöglich glauben, daß der russische Kaiser das Betragen des Fürsten Menschikow oder seine Handlungsweise gutheiße". Nesselrodes Noten, die der Abreise Menschikows folgten, und die russische Armee, die den Noten Nesselrodes folgte, bestätigten diese Zweifel. Der „schweigsame" Clarendon mußte, „so peinlich es ihm auch war", dennoch „immer und immer wieder dieselbe Antwort geben", d.h. gar keine Antwort. Er empfand es „als seine öffentliche Pflicht, kein Wort zu sagen", das er nicht schon früher gesagt hätte, nämlich „daß er keine Mitteilung vorzulegen hätte und keine spezielle Depesche vorzeigen könnte". Der edle Earl konnte also dem kein Jota hinzufügen, was wir nicht ohnehin schon wußten. Sein hauptsächlichster Ehrgeiz bestand darin, festzustellen, daß er während der ganzen Zeit, als die österreichischen und russischen Kabinette ihre aggressive Politik durchführten, in „steter Verbindung" mit ihnen war. So war er auch in steter Verbindung mit der österreichischen Regierung, als diese den Fürsten Leiningen nach Konstantinopel12223 und ihre Truppen an die Grenze beorderte, weil „sie eine Empörung ihrer eigenen Untertanen an der Grenze befürchtete", so lautete wenigstens, wie der harmlose Clarendon versichert, „der angegebene Grund". Nachdem der Sultan Österreich nachgegeben und seine Streitkräfte zurückgezogen hatte, stand der energische Clarendon „wieder in Verbindung mit Österreich, um die genaue Einhaltung des Vertrags zu sichern". „Ich glaubesagt der leichtgläubige Lord, „daß er eingehalten wurde, denn die österreichische Regierung versicherte uns, es sei der Fall." Vortrefflich, Mylord! Die Entente cordiale[311 mit Frankreich hatte schon seit 1815 existiert! Über die Entscheidung, die die französische und die englische Regierung wegen „der Entsendung ihrer Flotten" trafen, bestand auch „kein Schatten von Uneinigkeit". Bonaparte gab Order, daß seine Flotte nach Salamis fahre,
„da er glaubte, es drohe unmittelbare Gefahr", und „obzwar er" (Clarendon) „sagte, die Gefahr sei im Augenblick nicht so drohend und die französische Flotte brauche im Augenblick die französischen Hafen nicht zu verlassen", so gab Bonaparte „dennoch Order zur Ausfahrt; schließlich sei aber das doch ganz egal, denn es sei doch viel vorteilhafter und bequemer, eine Flotte in Salamis und die andere in Malta als eine in Malta und die andere in Toulon zu haben". Ferner bemerkt Lord Clarendon, „es gereiche zur Befriedigung", daß während der ganzen Zeit, da Menschikow einen unverschämten Druck auf die Pforte ausübte,
„die Flotte nicht hinausbeordert worden sei, denn niemand könne jetzt behaupten, die türkische Regierung habe auf unser Diktat hin gehandelt". Nach dem, was vorgefallen, ist es in der Tat wahrscheinlich, daß der Sultan sich hätte zurückziehen müssen, wenn man die Flotte damals hinbeordert hätte. Was Menschikows „Abschiedsbrief" betrifft, so nennt ihn Clarendon zwar korrekt,
„hofft aber, daß eine solche Sprache bei diplomatischen Verhandlungen mit Regierungen zum Glück eine Seltenheit sei und hoffentlich auch bleiben werde". Was endlich die Invasion der Donaufürstentümer betrifft, so haben „die französische und die englische Regierung dem Sultan geraten, einstweilen auf sein unzweifelhaftes Recht zu verzichten, die Okkupation der Fürstentümer als Casus belli zu behandeln". Über die noch schwebenden Verhandlungen könne er bloß das eine sagen: „Sir Hamilton Seymour habe heute morgen eine offizielle Mitteilung erhalten, daß die von den Gesandten in Wien vereinbarten Vorschläge in Petersburg entgegengenommen werden, wenn man sie etwas abändere" Er würde jedoch eher sterben, ehe er auch nur ein Wörtchen über die Bedingungen des Übereinkommens sich entschlüpfen ließe. Dem edlen Lord antworteten Lord Beaumont, der Earl of Hardwicke, der Marquis of Clanricarde und der Earl of EUenborough. Nicht eine einzige Stimme erhob sich, um Ihrer Majestät Regierung zu dem in diesen Verhandlungen eingeschlagenen Weg zu beglückwünschen. Von allen Seiten wurde lebhaft geäußert, daß die Politik der Minister falsch gewesen sei; daß sie als Vermittler zugunsten Rußlands gehandelt hätten, statt als Verteidiger der Türkei, und daß Frankreich und England, wenn sie rechtzeitig energisch aufgetreten wären, heute eine bessere Position hätten. Der alte halsstarrige Aberdeen antwortete ihnen, daß „es leicht sei, hinterher darüber zu spekulieren, was hätte geschehen sollen, und zu sagen, was hätte geschehen können, wenn man anders gehandelt hätte".
Am überraschendsten und wichtigsten war aber folgende Bemerkung:
„Die Lords müßten sich vor Augen halten, daß sie durch keinerlei Vertrag gebunden wären. Er stelle in Abrede, daß England kraft irgendeines Vertrags verpflichtet sei, sich an irgendwelchen Feindseligkeiten zur Unterstützung des Türkischen Reichs zu beteiligen."
Als England und Frankreich Neigung zeigten, sich in die schwebende türkische Frage einzumischen, da wollte der Kaiser von Rußland absolut nichts davon wissen, daß der Vertrag von 1841 bindende Kraft besäße, d.h. soweit es sich um seine eigenen Beziehungen zu der Pforte und um das daraus resultierende Recht zur Einmischung der Westmächte handelte. Gleichzeitig aber bestand er, gestützt auf ebendenselben Vertrag von 1841, auf die Ausschließung der Kriegsschiffe der anderen Mächte aus den Dardanellen. Und jetzt bestätigt Lord Aberdeen in öffentlicher feierlicher Parlamentssitzung diese anmaßende Auslegung eines Vertrags, den der russische Autokrat nur dann respektiert, wenn durch ihn Großbritannien vom Euxinus ausgeschlossen wird. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Die türkische Frage im Unterhaus
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3862 vom 2. September 1853] London, Freitag, 19. August 1853 Nachdem Lord John Russell seine Erklärungen über die türkische Frage immer und immer wieder verschoben hatte, bis endlich die letzte Woche der Parlamentssession glücklich herangekommen war, trat er plötzlich vergangenen Montag mit der Ankündigung hervor, daß er Dienstag seine so lange verzögerte Erklärung abgeben würde. Der edle Lord hatte in Erfahrung gebracht, daß Herr Disraeli London Montag morgen verlassen habe. Ebenso plötzlich hatte Sir Charles Wood, als er erfuhr, daß Sir J.Pakington und seine Anhänger nicht anwesend seien, seine Indienbill eingebracht, die das Oberhaus amendiert hatte, und von dem schwachbesetzten Hause einstimmig die Wiederinkraftsetzung des Salzmonopols erreicht. In solchen kleinlichen, schäbigen Tricks liegt die Kraft der parlamentarischen Taktik der Whigs. Die Debatte zur orientalischen Frage im Unterhaus war ein hochinteressantes Schauspiel. Lord J.Russell eröffnete die Vorstellung in einem Tone, der seiner Rolle durchaus angemessen war. Dieser winzige Erdensohn, der angeblich letzte Vertreter des einst mächtigen Stammes der Whigs, sprach langweilig, leise, trocken, monoton und geistlos, nicht wie ein Minister, sondern wie ein Polizeireporter, der die Greuel seines Berichts durch die triviale, alltägliche und geschäftliche Art des Vortrags mildert. Er hielt keine „Verteidigungsrede", sondern machte ein Bekenntnis. Der einzige versöhnende Zug in seiner Rede war gerade diese Steifheit, hinter der sich gewisse schmerzliche Eindrücke zu verbergen schienen, unter denen der kleine Mann litt. Sogar die unvermeidliche Phrase von „der Unabhängigkeit und Integrität des Ottomanischen Reichs" klang wie eine alte Reminiszenz, die sich wie aus Versehen immer wieder in die Leichenrede für dieses Reich einschlich. Der
18 Marx/Engels» Werke, Bd. 9
Eindruck dieser Rede, die als Lösung der orientalischen Wirren gedacht war, mag am besten danach beurteilt werden, daß in Paris die Papiere sofort fielen, als der Telegraph ihren Wortlaut übermittelte. Lord John hatte recht, als er behauptete, die Regierung brauche seine Verteidigung nicht, denn sie sei nicht angegriffen worden; das Haus zeigte sich im Gegenteil vollständig geneigt, der Exekutive die Verhandlungen zu überlassen. Tatsächlich hat kein einziges Parlamentsmitglied irgendeinen Antrag gestellt, der die Minister zum Eingreifen in die Debatte zwänge, und es fand keine einzige Versammlung außerhalb des Hauses statt, die den Parlamentsmitgliedern einen solchen Antrag aufgezwungen hätte. Wenn die Politik des Ministeriums voller Geheimnisse und Mystifikationen war, so war sie es mit der schweigenden Zustimmung des Parlaments und des Publikums. Daß man Dokumente nicht veröffentlicht, während die Verhandlungen noch schweben, sei nach Lord Johns Versicherung ein seit aller Ewigkeit geheiligtes Gesetz der parlamentarischen Tradition. Es wäre ermüdend, ihm bei der Aufzählung von Ereignissen zu folgen, die jedem vertraut sind und die er durch seine Art, aufzuzählen, statt zu erzählen, nicht lebendiger zu gestalten weiß. Immerhin sind da einige wichtige Punkte, die vor Lord John noch kein anderer offiziell bestätigt hat. Vor der Ankunft des Fürsten Menschikow in Konstantinopel machte der russische Gesandte Lord John die Mitteilung, daß der Zar eine außerordentliche Mission nach Konstantinopel zu senden beabsichtige, die sich ausschließlich mit Vorschlägen wegen des Heiligen Kreuzes und der damit verbundenen Privilegien der griechisch-orthodoxen Kirche befassen sollte. Der britische Gesandte in Petersburg und die hiesige britische Regierung hegten keinen Argwohn in bezug auf Rußlands Absichten. Erst Anfang März teilte der türkische Minister Lord Stratford mit (nach Herrn Layards Behauptung seien jedoch Oberst Rose und viele andere Personen in Konstantinopel in das Geheimnis schon vorher eingeweiht gewesen), Fürst Menschikow habe einen Geheimvertrag[224] vorgeschlagen, der mit der Unabhängigkeit der Türkei unvereinbar gewesen sei, und habe in diesem Zusammenhang erklärt, Rußland würde es als einen Akt direkter Feindseligkeit gegen sich auffassen, wenn Frankreich oder England von dieser Tatsache in Kenntnis gesetzt würden. Gleichzeitig verlautete, und zwar nicht nur gerüchtweise, sondern nach authentischen Berichten, daß Rußland große Truppenmassen an den türkischen Grenzen und bei Odessa zusammenzöge. Die Note, die die Wiener Konferenz an den Zaren richtete und die von ihm akzeptiert wurde, war in Paris von Herrn Drouyn de Lhuys vorbereitet worden, der ihr die Antwort Reschid Paschas auf die letzte russische Note12251
zugrunde gelegt hatte. Spater nahm Österreich sie am 24. Juli in veränderter Form als seinen eigenen Vorschlag auf; ihre endgültige Fassung aber erhielt sie am 31. Juli. Der österreichische Minister hatte sie vorher dem russischen Gesandten in Wien übermittelt, der sie schon am 24. Juli, noch vor ihrer endgültigen Fassung, nach St.Petersburg schickte, und erst am 2. August, nachdem der Zar ihr zugestimmt hatte, wurde sie nach Konstantinopel gesandt. Eigentlich ist es also eine russische Note, die durch Vermittlung der vier Machte an den Sultan gerichtet wurde, und nicht eine von den vier Mächten an Rußland und die Türkei gerichtete Note. Lord John Russell bemerkt, diese Note stimme „in der Form nicht genau mit der Note des Fürsten Menschikow übereinwobei er zugibt, daß sie den gleichen Inhalt hat. Um aber gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, fügt er hinzu:
„Der Kaiser glaubt, seine Ziele zu erreichen
Der Entwurf enthält auch nicht einmal eine Anspielung auf die Räumung der Donaufürstentümer.
„Selbst wenn sich die Türkei und Rußland", sagt Lord John, „endlich auf diese Note einigen sollten, so bleibt immer noch die große Frage nach der Räumung der Fürstentümer."
Gleichzeitig fügt er hinzu, daß die britische Regierung „diese Räumung für notwendig halte", über den Modus, wie sie vor sich gehen solle, möge man ihm aber gestatten, sich nicht weiter zu äußern. Er laßt jedoch deutlich durchblicken, daß die englische und die französische Flotte die Besikabai wahrscheinlich eher räumen müssen als die Russen die Fürstentümer.
„Wir sollten keiner Abmachung zustimmen, durch welche das Vorrücken der Flotten in die Nähe der Dardanellen als eine Handlung angeseheil werden könnte, die einem tatsächlichen Einfall in türkisches Territorium gleichkäme. Selbstverständlich, wenn die Sache beigelegt und der Friede gesichert ist, so wird die Besikabai aufhören, für England oder Frankreich ein Stützpunkt von irgendwelchem Nutzen zu sein."
Da kein vernünftiger Mensch jemals angenommen hat, die englische und die französische Flotte sollten für alle Zeiten in der Besikabai bleiben, oder Frankreich und England sollten einen formellen Vertrag abschließen, der ihnen das Vorrücken in die neutrale Umgebung der Dardanellen verbietet, so können diese zweideutigen und geschwollenen Phrasen, wenn sie überhaupt etwas besagen, nur das eine bedeuten, daß die Flotten sich zurückziehen werden, sobald der Sultan die Note akzeptiert und der Russe versprochen haben wird, die Fürstentümer zu räumen.
„Als die russische Regierung", sagt Lord John, „die Fürstentümer besetzt hatte, erklärte Österreich, im Sinne des Vertrags von 1841 sei es unumgänglich notwendig, daß die Vertreter der Mächte zu einer Konferenz zusammenträten und sich bemühten, friedliche Wege zur Beilegung der aufgetauchten Schwierigkeiten zu finden, denn sonst wäre der Friede in Europa bedroht." Im Gegensatz dazu erklärte Lord Aberdeen vor einigen Tagen im Oberhaus und auch, wie uns aus anderen Quellen berichtet wird, in einer formellen, im Laufe des Juni an die Kabinette von Konstantinopel und St.Petersburg abgegangenen Note, daß „der Vertrag von 1841 den unterzeichneten Mächten in keiner Weise die Verpflichtung auferlege, der Pforte tatsächlich beizustehen" (wohl aber zeitweilig auf die Dardanellendurchfahrt zu verzichten!), „und daß die Regierung Ihrer Majestät sich vorbehalte, ganz nach ihrem Ermessen einzugreifen oder nicht einzugreifen, je nachdem, wie es ihren eigenen Interessen entspräche". Lord Aberdeen weist alle Verpflichtungen gegen die Türkei nur deshalb zurück, um nicht Rußland gegenüber irgendwelche Rechte geltend machen zu müssen. Lord John Russell schließt mit „der tröstlichen Versicherung", daß der Abschluß der Verhandlungen nahe bevorsteht. Das erscheint uns in diesem Augenblick recht zuversichtlich, wenn wir bedenken, daß die in Wien vereinbarte russische Note, welche die Türkei dem Zaren vorlegen soll, vom Sultan noch gar nicht akzeptiert worden ist und daß die sine qua non der Westmächte, nämlich die Räumung der Donaufürstentümer, dem Zaren noch gar nicht ernsthaft nahegelegt wurde. Herr Layard, der erste Redner, der sich erhob, um Lord John zu antworten, hielt die weitaus beste und kraftvollste Rede - kühn, kurz und bündig, inhaltsreich, voll Tatsachenmaterial bewies sie, daß der ausgezeichnete Gelehrte mit Nikolaus ebenso vertraut war wie mit Sardanapal und mit den gegenwärtigen Intrigen im Orient ebenso wie mit den geheimnisvollen Überlieferungen seiner Vergangenheit. Herr Layard bedauerte, daß Lord Aberdeen „bei verschiedenen Gelegenheiten und an verschiedenen Orten erklärt habe, seine Politik sei wesentlich eine auf dem Frieden basierende Politik". Schrecke England davor zurück, seine Ehre und seine Interessen mit kriegerischer Faust zu wahren, so züchte es dadurch bei einer so gesetzlosen Macht wie Rußland eine Anmaßung groß, die früher oder später unvermeidlich zum Krieg führen müsse. Das jetzige Vorgehen Rußlands dürfe nicht als zufälliges und vorübergehendes Ereignis betrachtet werden, sondern als Teil und Bestandteil eines großangelegten politischen Plans.
Was die an Frankreich gemachten „Konzessionen" und die „Intrigen" des Herrn von Lavalette betrifft, so könnten sie Rußland nicht einmal einen Vorwand bieten, weil
„die Pforte bereits mehrere Tage, wenn nicht Wochen vorher einen Entwurf des Fermans, der die nun von Rußland beanstandeten Konzessionen enthielt, an Herrn Titow ablieferte und gegen den Wortlaut dieses Fermans keine wie immer geartete Einwendung erhoben wurde". Rußlands Pläne in bezug auf Serbien, die Moldau-Walachei und die christliche Bevölkerung der Türkei waren nicht mißzuverstehen. Unmittelbar nach seinem offiziellen Auftreten in Konstantinopel forderte Fürst Menschikow die Entlassung Garaschanins1201 von seinem Posten als serbischer Minister. Diesem Verlangen wurde stattgegeben, obwohl der serbische Synod protestierte. Herr Garaschanin war einer der Männer, den die Erhebung von 1842 in die Höhe getragen hatte, jene nationale Bewegung gegen den russischen Einfluß, die den damals herrschenden Fürsten Michael von Serbien hinwegfegte; dieser und seine Familie waren bloße Werkzeuge in den Händen Rußlands gewesen. 1843 maßte sich Rußland das Recht an, sich in Serbien einzumischen. Durch keinerlei Vertrag irgendwie dazu bevollmächtigt, erhielt es von Lord Aberdeen, dem damaligen Minister des Auswärtigen, die Vollmacht, wobei Lord Aberdeen erklärte, „Rußland habe das Recht, seine eigenen Verträge nach eigenem Ermessen auszulegen".
„Rußland bewies durch den Erfolg dieser Verhandlungen, daß es Herr in Serbien sei", sagte Herr Layard, „und daß es jeder zur Unabhängigkeit strebenden Nationalität Einhalt gebieten dürfe." In den Donaufürstentümern machte sich Rußland zuerst die nationale Bewegung von 1848 insofern zunutze, als es die Pforte zwang, jeden Menschen auszuweisen, der liberale und unabhängige Anschauungen vertrat. Dann zwang es dem Sultan den Vertrag von Balta-Liman[1321 auf, durch den es sein Recht auf Einmischung in alle inneren Angelegenheiten der Donaufürstentümer festlegte; „und seine jetzige Okkupation derselben hat bewiesen, daß die Moldau und die Walachei faktisch russische Provinzen geworden sind". Bleiben noch die Griechen in der Türkei und die Slawen in Bulgarien, die sich zum Christentum bekennen.
„Der Griechen hat sich ein Geist der Kritik und Unabhängigkeit bemächtigt, der, neben ihren Handelsbeziehungen mit den freien Staaten Europas, bei der russischen Regierung Bestürzung hervorgerufen hat. Noch ein anderer Anlaß war dazu vorhanden, nämlich die Verbreitung des Protestantismus unter den Christen des Orients. Dem Einfluß und den Lehren amerikanischer Missionare ist es hauptsächlich zuzuschreiben,
wenn kaum eine bedeutendere Stadt in der Türkei existiert, in der nicht bereits der Kern einer protestantischen Gemeinde vorhanden ist." (Ein weiterer Grund für die amerikanische Intervention.) »Der griechisch-orthodoxe Klerus, hinter dem die russische Mission stand, tat alles, was in seiner Macht stand, um diese Bewegung zu hemmen, und als alle Verfolgung sich als zwecklos erwies, erschien Fürst Menschikow in Konstantinopel. Rußlands feste Absicht war es, den Geist der religiösen und politischen Unabhängigkeit auszurotten, der sich in den letzten Jahren bei den christlichen Untertanen der Pforte zu zeigen begann."
Im Hinblick auf die Errichtung eines sogenannten griechischen Reichs mit Konstantinopel als Hauptstadt, konstatierte Herr Layard, der selbstverständlich von Griechen nur zum Unterschied von den Slawen spricht, daß es kaum 1 750000 Griechen gäbe; daß Slawen und Bulgaren seit Jahren aufs eifrigste bestrebt sind, jede Verbindung mit ihnen abzubrechen, indem sie sich weigern, Priester griechischer Nationalität als Geistliche und Bischöfe bei sich zuzulassen; daß die Serben sich ein eigenes Patriarchat schufen an Stelle desjenigen in Konstantinopel; und daß es bedeuten würde, die ganze Türkei an Rußland auszuliefern, wenn sich die Griechen in Konstantinopel festsetzten. Im Hause erhoben sich Stimmen, die erklärten, es wäre ohne Bedeutung, ob Konstantinopel in den Händen Rußlands sei oder nicht; doch Herr Layard antwortete, wenn Konstantinopel bezwungen sei, so würden alle die großen Provinzen, aus denen die Türkei besteht, wie z.B. Kleinasien, Syrien und Mesopotamien, dem Chaos und der Anarchie anheimfallen. Die Macht, in deren Hände sie gerieten, würde auch Indien beherrschen. Die Macht, welche Konstantinopel beherrscht, würde im Orient stets als die weltbeherrschende angesehen werden. Rußland sähe nun übrigens ein, daß ihm kein europäischer Staat gestatten würde, jetzt von Konstantinopel Besitz zu ergreifen.
„Sein Streben geht also vorläufig dahin, die Existenz aller unabhängigen Nationalitäten in diesem Land unmöglich zu machen, die türkische Macht langsam aber sicher zu untergraben und allen jenen, die sich seinen Plänen widersetzen, zu zeigen, daß jeder derartige Widerstand nicht nur nutzlos sei, sondern ihnen seine Rache zuziehen würde. Kurz, es will jede andere Regierung außer seiner eigenen in der Türkei unmöglich machen. Diese Absichten sind ihm dieses Mal vollständig gelungen."
Herr Layard legte dar, daß die Regierung sich, nachdem Fürst Menschikow einen Geheimvertrag gefordert und Rußland große Kriegsvorbereitungen an der Grenze und in Odessa getroffen hatte, mit den in St.Petersburg abgegebenen Erklärungen und Versicherungen zufriedengegeben und verabsäumt
habe zu erklären, England und Frankreich würden das Überschreiten des Pruth als einen Casus belli betrachten; auch hätte sie Rußland nicht untersagt, ohne Englands Mitwirkung mit der Türkei in Verträge oder Verhandlungen einzutreten.
„Hätten wir diesen Schritt getan, so hätte Rußland niemals gewagt, den Pruth zu überschreiten."
Herr Layard führte weiter aus, daß die Unabhängigkeit der mit Bessarabien vereinigten und von Ungarn gestützten Donaufürstentümer schließlich das einzige Mittel bilden werde, Konstantinopel vor den Russen zu schützen und die große slawische Rasse in zwei Teile zu teilen. Er ist der Ansicht, daß Rußland die Fürstentümer räumen wird.
„Rußland wird es nicht der Mühe wert halten, wegen dieser Provinzen, die ihm eigentlich schon ganz und gar gehören, sich mit den Großmächten Europas in einen Krieg einzulassen. Rußland hat, ohne einen Schuß abzufeuern, das erhalten, was es sonst nur um denPreis eines blutigen und kostspieligen Feldzugs hätte erlangen können; es bat seine Macht im Orient befestigt, bat die Türkei gedemütigt; bat sie dazu gezwungen, alle Kosten des Krieges zu tragen, und hat ihre Hilfsmittel völlig erschöpft; aber, was noch mehr bedeutet: es hat England und Frankreich in den Augen ihrer eigenen Untertanen und der Völker des Orients erniedrigt."
Die von der Wiener Konferenz entworfene Note wird nach Layards Meinung das Ergebnis haben, daß,
„wenn die Pforte ihr nicht nachkommt, Rußland den Spieß gegen uns wenden und uns zu seinem Bundesgenossen gegen die Türkei machen wird, um diese zu zwingen, den ungerechten Vorschlag anzunehmen. Nimmt die Pforte jedoch an, so hat England direkt das RechtRußlands sanktioniert, sich in die Angelegenheiten von zwölf Millionen Christen, Untertanen der Pforte, einzumischen... Wie wir uns auch zu der Frage stellen, eins ist klar, wir sind dabei ins Hintertreffen geraten, während Rußland allein die erste Geige spielt... Wir hatten eine vielleicht niemals wiederkehrende Gelegenheit, diese große orientalische Frage in anständiger Weise zu lösen... Statt dessen gestattete man Rußland, einen Streich zu führen, von dem sich die Türkei nie mehr erholen wird... Bei diesem einen Ergebnis der Politik unseres Landes wird es jedoch nicht bleiben. Schweden, Dänemark und alle schwachen Staaten Europas, die bisher auf die Unterstützung unseres Landes bauten, werden einsehen, daß es von nun an nutzlos ist, sich gegen die Übergriffe Rußlands zu wehren."
Hierauf machte Sir John Pakington einige Bemerkungen, die insofern von Bedeutung sind, weil sie eine Äußerung der Ansichten der Tory-Opposition darstellen. Er bedauerte, daß Lord John Russell dem Hause und der Bevölkerung keine befriedigenderen Mitteilungen machen konnte, Er ver
sicherte der Regierung, daß ihr Entschluß, die Räumung der Donaufürstentümer als sine qua non zu erachten, „nicht nur die Unterstützung dieses Hauses, sondern auch die fast einstimmige Unterstützung des Volkes in unserem Lande finden werde". Bis die Dokumente veröffentlicht seien, müsse er mit seinem Urteil über die Politik zurückhalten, die der Türkei geraten habe, die Besetzung der Fürstentümer nicht als Casus belli zu betrachten, die nicht schon früher kräftiger und entscheidender eingegriffen habe und die die Interessen der Türkei und Großbritanniens und ihres Handels durch sechs Monate lang hingezogene Verhandlungen schädigte und in der Schwebe hielt. Lord Dudley Stuart schwelgte in einer seiner gewohnten demokratischen Deklamationen, die sicher für den Redner erbaulicher sind als für den Hörer. Seine geschwollenen Phrasen sind wie Luftballons; drückt man sie zusammen, so hat man nichts in der Hand, nicht einmal die Luft, die aus ihnen etwas machte. Dudley Stuart wiederholte die schon so oft wiederholten Behauptungen über die Reformen in der Türkei und über den größeren Liberalismus der Regierung des Sultans in puncto Religion und Handel im Vergleich zu dem Rußlands. Mit Recht sagte er, es sei zwecklos, sich des Friedens zu rühmen, solange die unglücklichen Einwohner der Donaufürstentümer noch die Schrecken des Krieges spüren. Europa müsse die Bewohner dieser Provinzen gegen diese fürchterliche Unterdrückung schützen, deren Opfer sie jetzt seien. An Hand von Tatsachen aus der Parlamentsgeschichte wies er nach, daß die Mitglieder des Hauses das Recht hätten, Reden zu halten, auch wenn noch Verhandlungen im Gange wären. Er vergaß kaum etwas zu erwähnen, was nicht jedem getreuen und ständigen Leser der „Daily News"t28J geläufig ist. In seiner Rede waren zwei „Pointen":
„Obgleich die Erklärung des edlen Lords" (J.Russell) „nicht sehr weitgehend war, denn er hat dem Hause nichts anderes gesagt, als es schon vorher wußte, so müsse man leider doch gerade aus dem, was er verschwiegen habe, zu dem Schlüsse kommen, daß der edle Lord etwas begangen habe, dessen er sich schämen müsse."
Der Earl of Aberdeen
„habe zwar gesagt, daß der Frieden zum großen Nutzen für Europas Freiheit und Gedeihen dreißig Jahre lang erhalten worden sei, aber er" (Dudley Stuart) „leugne, daß der Frieden die Freiheit Europas begünstigt habe. Wo, fragte er, stünde Polen? Wo Italien? Wo Ungarn? Und wo erst Deutschland?" Von seinem eigenen Redefluß, der verhängnisvollen Gabe solcher Redner dritter Garnitur, hingerissen, fand der demokratische Lord kein Ende, bis er von den Despoten des Kontinents zur eigenen Monarchie gelangt war, „die im Herzen ihrer Untertanen throne".
Herr M. Milnes, ein ministerieller Vasall, auf dessen Stirn geschrieben steht, „sprecht nicht anders von ihm als einem Eigentum"^228', wagte nicht, eine entschieden ministerielle Rede zu halten. Seine Rede war aus einerseits und andererseits zusammengesetzt. Einerseits fand er, daß die Minister, indem sie dem Hause die Dokumente vorenthielten, „sehr klug und vorsichtig handelten"; andererseits gab er ihnen zu verstehen, es wäre „energischer und tatkräftiger" gewesen, wenn sie anders gehandelt hätten. Einerseits meinte er, die Regierung hätte recht gehabt, sich den Forderungen Rußlands zu unterwerfen; andererseits schien es ihm fraglich, ob die Regierung nicht bis zu einem gewissen Grade die Türkei zu einer Politik ermutigt habe, die sie nicht bereit war, zu unterstützen usw. Er fand schließlich heraus, „je mehr er über diese Dinge nachdenke, desto mehr erkenne er auch die außerordentlichen Schwierigkeiten", die sie seinem Verstand böten - und je weniger er sie verstehe, desto besser verstände er die abwartende Haltung der Regierung. Nach den Winkelzügen und der Hilflosigkeit des Herrn Monckton Milnes erschien uns die derbe Gradheit von Herrn Müntz, Abgeordneter für Birmingham und einer der Matadore des Reformparlaments von 1831, wahrhaft erfrischend.
„Als einst der holländische Botschafter Karl II. einen sehr unangenehmen Vorschlag machte, rief der König aus: ,Gott segne mich! Solch einen Vorschlag haben Sie Oliver Cromwell nie gemacht!* ,Nein', sagte der Botschafter, ,Sie sind ja auch ein ganz anderer Mann als Oliver Cromwell/ Wenn unser Land jetzt einen solchen Mann wie Oliver Cromwell hatte, dann hätten wir einen anderen Minister und eine ganz andere Regierung, und Rußland wäre niemals in die Donauprovinzen einmarschiert. Der Kaiser von Rußland wußte, daß England sich durch nichts zu einem Kriege würde treiben lassen: siehe Polen, siehe Ungarn. England ernte jetzt die Früchte seines eigenen Verhaltens zu jenen Ländern. Die Lage Englands erscheine ihm, was seine Außenpolitik anbelangt, sehr tadelnswert und höchst unbefriedigend. Auch glaube er, daß das englische Volk sich herabgewürdigt fühle und daß jedes Gefühl für Ehre sich bei der Regierung in Rücksicht auf Pfund Sterling, Schillinge und Pence aufgelöst habe. Die Regierung beschäftige sich heute einzig und allein mit der Frage, was ein Krieg kosten würde und ob er den verschiedenen Kaufleuten des Landes gelegen käme." Da Birmingham zufällig der Mittelpunkt der Waffenfabrikation ist und die Bevölkerung vom Verkauf von Gewehren lebt, so höhnen die Birminghamer natürlich über die baumwollene Friedensbruderschaft von Manchester. Herr Blackett, der Abgeordnete von Newcastle-upon-Tyne, glaubte nicht, daß die Russen die Donaufürstentümer räumen würden. Er warnte die
Regierung, „sich nicht von irgendwelchen dynastischen Sympathien oder Antipathien leiten zu lassen". Von allen Seiten und von den Vertretern jeder Richtung bedrängt, saßen die Minister still, traurig, niedergeschlagen und gebrochen da, als sich plötzlich Richard Cobden erhob, um sie zu beglückwünschen, daß sie Anhänger seiner Friedenslehre geworden seien. Und nun wandte er diese seine Lehrsätze auf den vorliegenden Fall an, wobei er den ganzen witzigen Scharfsinn, die schöne Aufrichtigkeit des Monomanen und alle Widersprüche des Ideologen und die ganze berechnende Feigheit des Krämers entwickelte. Er verkündete laut das, was das Ministerium offen durchführte, dem das Parlament schweigend zustimmte, und was die herrschenden Klassen dem Ministerium durchzuführen und dem Parlament anzunehmen ermöglichten. Die Furcht vor dem Krieg flößte ihm zum erstenmal so etwas wie historische Ideen ein. Er verriet das Geheimnis der Bourgeoispolitik und wurde dafür als Verräter verstoßen. Er hielt der englischen Bourgeoisie schonungslos den Spiegel vor, und da das Bild durchaus nicht schmeichelhaft war, wurde er ganz schmählich ausgezischt. Er war inkonsequent, aber in seiner Inkonsequenz selbst war er konsequent. Lag es etwa an ihm, wenn die herkömmlichen stolzen Phrasen der aristokratischen Vergangenheit mit den kleinmütigen Tatsachen der börsenspielenden Gegenwart nicht harmonierten? Er begann mit der Erklärung, daß es in der Frage selbst keine Meinungsverschiedenheiten gäbe.
„Dennoch herrsche wegen der türkischen Angelegenheit offenbar große Beunruhigung."
Warum das? Im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre habe sich die Überzeugung immer mehr gefestigt, daß die europäischen Türken eigentlich Eindringlinge in Europa seien; daß ihre Heimat nicht Europa, sondern Asien sei; daß in zivilisierten Staaten der Mohammedanismus nicht existieren könne; daß wir nicht imstande wären, die Unabhängigkeit eines Landes zu bewahren, wenn es nicht selbst fähig wäre, sie zu bewahren; daß es eine Tatsache sei, daß auf jeden Türken in der europäischen Türkei drei Christen kämen.
„Wir dürften keine Politik verfolgen, durch die der Türkei in Europa ihre Unabhängigkeit gegenüber Rußland gesichert wird, es sei denn, die große Masse der Bevölkerung teilte mit uns den Wunsch, eine andere Macht an der Besitznahme dieses Landes zu verhindern... Ohne Zweifel dürften wir unsere Flotte nach der Besikabai senden und die Russen fernhalten, denn Rußland werde mit einer Seemacht nicht in Konflikt geraten wollen; wir würden jedoch nur die enormen Rüstungen dadurch ins Endlose fortsetzen, ohne die orientalische Frage dabei zu lösen... Die Frage ist, was
geschieht mit der Türkei und ihrer christlichen Bevölkerung? Der Mohammedanismus könnte nicht erhalten bleiben, und wir würden es sehr bedauern, wenn wir sehen müßten, daß unser Land für den Mohammedanismus in Europa kämpft."
Lord Dudley Stuart habe davon gesprochen, daß die Türkei wegen des Handels erhalten werden müsse. Er (Cobden) würde nie wegen eines Zolltarifs Krieg führen. Er hielte die Grundsätze des Freihandels für viel zu mächtig, als daß man erst für sie Krieg führen müßte. Der Export nach der Türkei sei überschätzt worden. Nur sehr wenig davon werde in den unter türkischer Herrschaft stehenden Ländern konsumiert.
„Den ganzen Handel, den wir im Schwarzen Meere trieben, verdankten wir dem Vordringen Rußlands an der türkischen Küste. Wir bekämen unser Getreide und unseren Flachs jetzt nicht von der Türkei, sondern von Rußland. Und würde Rußland uns seinen Hanf, sein Korn, seinen Talg nicht ebensogern schicken, wenn es seine Angriffe auf die Türkei fortsetze? Wir trieben mit Rußland Handel in der Ostsee... Welche Aussichten böte uns der Handel mit der Türkei? ... Das sei ein Land ohne Straßen. Das russische sei das bessere Handelsvolk. Schauen wir nur nach St.Petersburg mit seinen Kais, Werften und Speichern... Was für ein nationales Bündnis könnten wir also mit einem Lande wie die Türkei schließen? ... Es wurde auch vom Gleichgewicht der Mächte gesprochen. Das sei eine politische Seite der Frage... Sehr viel wurde geredet über die Macht Rußlands und über die Gefahr, die für England daraus entstünde, wenn Rußland die Lander am Bosporus okkupierte. Ach, was für ein Wahnwitz sei es, davon zu reden, Rußland werde kommen, um in England einzudringen! Rußland könnte kein Heer über seine eigenen Grenzen führen, ohne in Westeuropa eine Anleihe aufzunehmen... Ein so armes Land, das - verglichen mit England - eigentlich nichts anderes sei als ein Haufen zusammengewürfelter Dörfer, ohne Kapital und ohne Hilfsmittel, könne niemals kommen, um uns oder Frankreich oder Amerika etwas anzuhaben... England sei zehnmal mächtiger, als es je vorher gewesen, und weit mehr imstande, den Angriffen eines Landes wie Rußland Widerstand zu leisten."
Und nun verweilte Cobden dabei, wie unvergleichlich größer die Gefahren eines Krieges für England in seiner jetzigen Lage wären als in früheren Zeiten. Die industrielle Bevölkerung Englands sei sehr gewachsen. England sei viel abhängiger vom Export seiner Produkte und vom Import an Rohmaterial geworden. England besitze nicht länger das Industriemonopol. Die Aufhebung der Navigationsgesetze1227 J hätten England der Weltkonkurrenz nicht nur in der Schiffahrt, sondern auch in jeder andern Beziehung ausgesetzt.
„Kein Hafen würde mehr zu leiden haben als der von ihm vertretene, das gäbe er Herrn Blackett zu bedenken. Die Regierung hätte klug daran getan, nicht auf das Geschrei gedankenloser Menschen zu hören... Den Willen der Regierung, die Unver
letzlichkeit des Türkischen Reichs zu erhalten, tadle er nicht, denn das sei die ihr überlieferte traditionelle Politik... Der heutigen Regierung werde es hoch angerechnet werden, so friedliebend gewesen zu sein, wie es die Bevölkerung ihr nur zu sein gestattete." Richard Cobden war der echte Held des Dramas und teilte als solcher das Schicksal aller echten Helden - ein tragisches. Aber dann kam der falsche Held, der Nährvater aller Täuschungen, der Mann der eleganten Lüge und der höfischen Versprechungen, das Mundstück für all die tapferen Worte, die man ausruft, wenn man davonläuft: Lord Palmerston. Dieser alte erfahrene und ränkevolle Debattierer sah auf den ersten Blick, daß der Schuldige dem Urteilsspruch entgehen könnte, wenn er seinen Anwalt verleugnete. Er sah, daß das von allen Seiten angegriffene Ministerium den Spieß umdrehen konnte, wenn es sich in einem glänzenden Ausfall gegen den einzigen Menschen wendete, der gewagt hatte, es zu verteidigen, und wenn es die einzigen Gründe preisgab, die möglicherweise als Entschuldigung für seine Politik hätten gelten können. Nichts leichter, als Cobdens Widersprüche aufzuzeigen. Cobden hatte damit begonnen, seine vollste Übereinstimmung mit den früheren Rednern auszusprechen, und hatte damit geendet, daß er in jedem Punkt von ihnen abwich. Er hatte die Unverletzlichkeit der Türkei verteidigt und dann alles getan, um zu beweisen, daß sie eigentlich keine Verteidigung verdiene. Er, der Friedensapostel, hatte die Angriffe Rußlands gutgeheißen. Rußland sei schwach, aber ein Krieg mit Rußland würde für England unfehlbaren Ruin bedeuten. Rußland sei zwar nur ein Haufen zusammengewürfelter Dörfer, aber da Konstantinopel eine schönere Stadt als St.Petersburg sei, so sollte Rußland berechtigt sein, beide zu besitzen. Cobden war zwar Freihändler, zog aber das russische Schutzzollsystem dem türkischen Freihandel vor. Mochte die Türkei die von ihr importierten Waren selbst konsumieren oder nur den Kanal für ihre Durchfuhr nach andern Teilen Asiens bilden, war es für England gleichgültig, ob der freie Zugang zu ihr fortdauerte? Herr Cobden, der warme Verteidiger des Prinzips der Nichtintervention, wolle jetzt durch Parlamentsbeschlüsse die Geschicke der Mohammedaner, Griechen, Slawen und anderen Rassen des Türkischen Reichs bestimmen. Und nun übertrieb Lord Palmerston die Fortschritte, die die Türkei gemacht, und die Kräfte, die ihr jetzt zu Gebote stehen. „Die Türkei, es ist wahr, hat kein Polen und kein Tscherkessien." Da aber die Türkei so stark sei, so müsse sie es sich nach Lord Palmerston natürlich gefallen lassen, daß Rußland einige ihrer Provinzen besetzte. Ein starkes Reich kann alles aushalten. Undnunbewies LordPalmerston Richard Cobden, daß auch nicht ein vernünftiger Grund dazu vorhanden war, so vorzugehen, wie Lord Palmerston und seine Kollegen es getan hatten,
und nachdem brausender Beifall seine Ausführungen gelohnt hatte, durfte der alte Gaukler sich mit der unverschämten und sich selbst widerlegenden Phrase auf seinen Platz begeben:
„Es gereicht mir zur Befriedigung, daß die Türkei in sich selbst die Elemente zum Leben und Gedeihen trägt, und ich glaube, daß die von Ihrer Majestät Regierung verfolgte Politik eine vernünftige ist, die den Beifall des Landes verdient und die weiterzuverfolgen die Pflicht jeder englischen Regierung sein wird." (Beifall.)
Palmerston war groß in seinem „bangen Trotz", wie Shakespeare12281 es nennt. Er zeigte, nach den Worten von Sidney, „eine ängstliche Kühnheit, die beherzt das tun möchte, von dem sie weiß, daß sie nicht wisse, wie es tun".
Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Kontinentale und englische Begebenheiten
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3864 vom 5.September 1853] London, Dienstag, 23. August 1853 Die deutschen und belgischen Zeitungen bestätigen auf Grund der telegraphischen Depeschen aus Konstantinopel vom 13. d.M., daß die Pforte den Vorschlägen der Wiener Konferenz zugestimmt hat. Die französischen Zeitungen jedoch, welche Depeschen gleichen Datums aus Konstantinopel erhalten haben, stellen lediglich fest, daß der Diwan Bereitwilligkeit gezeigt habe, diese Vorschläge entgegenzunehmen. Die endgültige Antwort konnte Wien schwerlich vor/dem 20. August erreichen. Die noch schwebende und obendrein sehr ernste Frage ist, ob die Pforte ihren Gesandten vor oder nach der Räumung der Donaufürstentümer durch die russischen Truppen nach St.Petersburg entsenden wird. Die letzten Berichte vom Schwarzen Meer besagen, daß die Nordostwinde begonnen haben, die normale Schiffahrt zu beeinträchtigen. Verschiedene Schiffe, die in Heraklea Pontica und anderen Küstenorten vor Anker lagen, waren gezwungen, ihren Ankerplatz zu verlassen, um nicht an Land geworfen zu werden. Bekanntlich hatte der Sultan1 nach den Ereignissen in der Moldau und der Walachei den Hospodaren2 befohlen, die Donaufürstentümer zu verlassen und nach Konstantinopel zu kommen, aber die Hospodare hatten sich geweigert, den Forderungen ihres Herrschers nachzukommen. Der Sultan hat jetzt den Hospodar der Walachei wegen der freundlichen Aufnahme und der Unterstützung, die er den russischen Truppen gewährte, abgesetzt. Am 9. August wurde dieser Ferman der Bojarenversammlung verlesen, die
1 Abdulmedschid - 2 Ghika (Fürst der Moldau) und Stirbey (Fürst der Walachei)
beschloß, den Hospodar zu ersuchen, die Regierung unter den gegenwärtigen kritischen Umständen nicht im Stich zu lassen. Der Fürst handelte dementsprechend. Mano, der Außenminister, und Joanidis, der Leiter eines Departements des Ministeriums des Innern, sind ebenfalls nach Konstantinopel gerufen worden; doch auch sie weigerten sich, dem Rufe Folge zu leisten, unter dem Vorwand, daß die öffentliche Ordnung dadurch gestört werden könnte. Die französischen und britischen Konsuln brachen daraufhin sofort alle Beziehungen zur rebellischen Regierung ab. Die Dinge in Serbien nehmen eine komplizierte Wendung. Der Pariser „Constitutionnel"[32] vom vergangenen Freitag enthielt folgende Nachricht aus Konstantinopel: Osterreich, das sich die Schwierigkeiten des Sultans zunutze macht, hat diesem verschiedene Forderungen aufgedrängt. Ein österreichischer Generalkonsul, der vor kurzem eine Inspektionsreise durch Bosnien und Serbien unternommen hat, erklärte Alexander, dem Fürsten von Serbien, daß Österreich bereit sei, Serbien mit seinen Truppen zu besetzen, um jegliche gefährliche Bewegung unter der Bevölkerung zu unterdrücken. Der Fürst, der das Angebot des Generalkonsuls abgelehnt hat, schickte sofort einen besondern Boten nach Konstantinopel mit einem Bericht über diese österreichische Eröffnung, und Reschid Pascha wandte sich an den Freiherrn von Bruck um Aufklärung. Dieser sagte, daß der Generalkonsul sich vorher mit dem Fürsten in Verbindung gesetzt hatte, wobei er zum Ausdruck brachte, Österreich sei besorgt, daß seine Untertanen an der serbischen Grenze in etwaige Unruhen verwickelt würden, die in jenen Gebieten entstehen könnten. Reschid Paschas Antwort lief darauf hinaus, daß man jede Besetzung Serbiens durch österreichische Truppen von der Pforte, die selbst für die Ruhe in jener Provinz verantwortlich sei, als einen Akt der Feindseligkeit betrachten würde; außerdem versprach Reschid Pascha, sofort einen außerordentlichen Kommissär zu entsenden, der sich einen Einblick in die Lage der Dinge in Serbien verschaffen und darüber berichten soll. Am nächsten Tag gaben verschiedene Londoner Blätter den Einzug österreichischer Truppen in Serbien bekannt, eine Meldung, die sich jedoch als unbegründet erwies. Gestern berichteten die gleichen Blätter den Ausbruch eines konterrevolutionären Aufstandes in Serbien. Doch auch diese Nachricht war nicht zuverlässig, denn sie entsprang der falschen Übersetzung des deutschen Wortes Auflauf; in Wirklichkeit hat es nur einen unwesentlichen Tumult gegeben. Heute veröffentlichen die deutschen Zeitungen Nachrichten aus Konstantinopel vom 9. August, wonach der Diwan verschiedentlich zusammengetreten sein soll, um über serbische Angelegenheiten zu beraten. Das Verhalten Fürst Alexanders wurde sehr gelobt und der Ent
schluß gefaßt, daß Österreichische Truppen, falls sie versuchten, jene Provinz zu besetzen, nötigenfalls mit Gewalt hinausgetrieben würden. Tatsächlich ist schon eine Division an die Grenzen von Bosnien in Marsch gesetzt worden. Am 8. August in Konstantinopel eingetroffene private Briefe übermittelten die Nachricht, daß Fürst Alexander sich wegen seines Konflikts mit dem österreichischen Konsul an die Konsuln von Frankreich und England um Stellungnahme gewandt habe und sich gegenwärtig von Belgrad fernhalte. Man sagt, er sei nach Nissa gegangen, um dort die Anordnungen seitens der Pforte abzuwarten. Herr D. Urquhart bemerkt in einem im heutigen „Morning Advertiser"t30J veröffentlichten Brief zu den serbischen Verwicklungen:
„Rußland hegt gegenwärtig keine Absichten, Krieg mit der Türkei zu führen; denn bei einem gemeinsamen Vorgehen mit Österreich würde es seine griechisch-orthodoxen Verbündeten verlieren; aber es zieht Österreich in einen heranreifenden Konflikt hinein, der Serbien in eine ähnliche Lage bringen wird wie die Donaufürstentümer. Das wäre das Vorspiel zu einem religiösen Streit zwischen Katholiken und den GriechischOrthodoxen... Rußland kann durch einen plötzlichen Kulissenwechsel der Türkei seine eigene Besetzung der Donaufürstentümer als Schutz gegen die österreichische Besetzung Serbiens annehmbar machen und so Österreich und die Türkei beiderseitig in seine Pläne der Zerstückelung hineinziehen und sie dabei unterstützen."
Der Hospodar der Moldau beabsichtigt, bei russischen Bankiers eine Anleihe aufzunehmen, um den ungewöhnlich hohen Besatzungskosten nachkommen zu können. In den bulgarischen Festungen ist der Mangel an Lebensmitteln so groß, daß strengste Sparsamkeit geübt werden muß; die Garnisonen leiden beträchtliche Not. Das „Journal de Constantinople" 12291 berichtet aus Aleppo:
„Kürzlich hat man eine Bande von übelgesinnten Türken entdeckt, die im Begriff war, wie 1850 die christliche Bevölkerung jener Stadt zu überfallen. Aber dank der äußersten Wachsamkeit des Gouverneurs Suleiman Pascha und von Ali Asmi Pascha, dem Oberbefehlshaber der Truppen von Aleppo, ist der Versuch unterdrückt und die öffentliche Ordnung bewahrt worden. Aus diesem Anlaß haben Demetrius, der Patriarch des griechisch-katholischen Glaubens, und Basilius, der armenische Patriarch, im Namen ihrer entsprechenden Gemeinden gemeinsam einen Brief an Reschid Pascha gerichtet, in dem sie ihm für den Schutz danken, der den Christen von der Regierung des Sultans gewährt worden ist."
Die deutschsprachige „Petersburger Zeitung" [230]enthält folgenden Leitartikel über die orientalischen Angelegenheiten:
„Was zu Anfang des eben abgelaufenen Monats (Juli) von den Freunden des Weltfriedens nur gehofft und gewünscht wurde, hat sich in den letzten Tagen zu freudiger Gewißheit erhoben: das Vermittlungswerk zwischen Rußland und der Türkei liegt nunmehr definitiv in Österreichs Händen; in Wien endlich soll das Wort der Losung gefunden werden für die orientalische Frage, die auch im vorigen Monat zwischen dem Schwarzen Meer und dem Atlantischen Ozean alle Welt in Atem gehalten hat und sozusagen allein Veranlassung geworden ist, daß die europäische Politik nicht für einige Wochen Sommerferien machte."
Man beachte die geflissentliche Heuchelei, mit der Österreich an Stelle der vier Mächte als alleiniger Vermittler hingestellt wird und mit der in echt russischem Stil die Befürchtungen der Völker lediglich auf eine Stufe mit unterbrochenen Diplomatenferien gestellt werden. Die Berliner „National-Zeitung"12021 veröffentlicht einen Brief vom 15. Juli aus Georgien, in dem mitgeteilt wird, daß Rußland Ende dieses Monats einen neuen Feldzug gegen die Kaukasier beabsichtigt und daß im Asowschen Meer eine Flotte ausgerüstet ist, um die Operationen des Heeres zu unterstützen. Die Parlamentssession von 1853 wurde am vergangenen Sonnabend beendet; das Parlament wurde bis zum 27. Oktober vertagt. Eine sehr belanglose und magere Rede, vorgeblich die Botschaft der Königin, wurde in ihrem Auftrage verlesen. Als Antwort auf Herrn Milnes versicherte Lord Palmerston dem Parlament, es könne - soweit es die Räumung der Donaufürstentümer beträfe - ruhig auseinandergehen, wobei er jedoch keinerlei Gewähr bieten konnte außer „sein Vertrauen in die Ehre und in den Charakter des russischen Kaisers", die diesen bewegen würden, seine Truppen freiwillig aus den Donaufürstentümern zurückzuziehen. Das Koalitionskabinett rächte sich für Palmerstons Rede gegen Herrn Cobden1 in der Weise, daß es ihn zwang, sein „Vertrauen in den Charakter und die Ehre" des Zaren feierlich zu Protokoll zu geben. Derselbe Palmerston empfing am gleichen Tage eine Deputation der aristokratischen Fraktion der polnischen Emigration in Paris und ihres Londoner Zweigvereins12311, die seiner Lordschaft eine Adresse und Medaillons des Fürsten Adam Czartoryski in Gold, Silber und Bronze als Zeichen ihrer Dankbarkeit überreichte, weil seine Lordschaft 1846[2321 die Sequestration Krakaus zuließ, sowie für die sonst der Sache Polens erwiesene Sympathie. Der unvermeidliche Lord Dudley Stuart, der Schirmherr des Londoner Zweiges der Pariser Gesellschaft, spielte natürlich den Zeremonienmeister. Lord Palmerston versicherte diese arglosen Männer „seines tiefen
1 Siehe vorl. Band, S. 284/285
19 Marx/Engels, Werke. Bd. 9
Interesses an der Geschichte Polens, welche eine sehr leidvolle war". Der edle Lord unterließ es nicht, sie daran zu erinnern, daß er nicht als Mitglied des Kabinetts spräche, sondern sie nur als Privatperson empfinge. Die erste Hälfte der sehr in die Länge gezogenen Parlamentssession von 1853. war mit dem Todeskampf des Derby-Ministeriums ausgefüllt, mit der Bildung und dem schließlichen Sieg des Koalitionskabinetts sowie mit den Osterferien des Parlaments. Was nun den wirklichen Inhalt der Session betrifft, so waren seine bemerkenswertesten Züge die Auflösung aller alten politischen Parteien, die Korruption der Mitglieder des Parlaments und die völlige Erstarrung aller jener, die das Privileg besitzen, zu wählen, die die merkwürdige Arbeitsweise der Regierung enthüllten, einer Regierung, die alle Meinungsschattierungen und alle Talente der großen Welt umfaßte, die Aufschub als Lösung aller Fragen proklamierte, alle Schwierigkeiten nur durch halbe Maßnahmen aus dem Wege zu räumen suchte, mit Versprechungen nicht geizte, deren Erfüllung sie als „eine Art letzter Wille oder Testament" erklärte, „was eine große Schwäche in der Urteilskraft jener verrät, die es machen", die ihre eigenen gesetzgeberischen Akte so schnell wie sie sie eingeführt hatte, zurückzog, umänderte und umstieß, die vom Erbe ihrer Vorgänger lebte, welche sie wütend denunziert hatte, die die Verwirklichung ihrer eigenen Maßnahmen dem Haus überließ, das sie vorgab zu führen, und die mit den wenigen Akten, deren unbestrittene Urheberschaft sie besitzt, unvermeidlich Schiffbruch erlitt. Auf diese Weise sind die Parlamentsreform, die Volksunterrichtsreform und die Gesetzesreform (abgesehen von einigen Kleinigkeiten) verschoben worden. Das Deportationsgesetz, die Navigationsgesetze12271 etc. waren von dem Derby-Kabinett übernommen worden. Die Canada Clergy Reserves Bill1 war von der Regierung wenige Tage, nachdem sie sie eingeführt hatte, schrecklich verstümmelt worden. Was das Budget angeht, so war das Gesetz über die Erbschaftssteuer vom Schatzkanzler erst dann vorgeschlagen worden, nachdem er gegen sie gestimmt hatte. Das Gesetz über die Annoncensteuer war von ihm erst geduldet worden, nachdem seine Opposition dazu zweimal überstimmt worden war. Die neue Regelung des Lizenzsystems wurde schließlich aufgegeben, nachdem es verschiedene Veränderungen durchgemacht hatte. Was von Herrn Gladstone anmaßend als ein großartiger Plan, der das ganze Budget wert sei, eingeführt wurde, verließ das Haus als ein erbärmliches Flickwerk, als ein bloßes Gemisch von zufälligen, unzusammenhängenden und widerspruchsvollen kleinen Punkten, Der einzige wichtige Bestandteil der Indienbill, die Nichterneuerung der
1 Bill über die Säkularisierung des kanadischen Kirchen reservefonds
Charte der Ostindischen Kompanie, wurde vom Ministerium eingebracht, nachdem es seine Erneuerung für weitere zwanzig Jahre bekanntgegeben hatte. Die beiden Gesetze, die wirklich und ausschließlich dem „Ministerium aller Talente" gehören, nämlich das Mietdroschkengesetz und die Konvertierung der Staatsschuld, waren kaum über die Schwelle des Hauses gelangt, als sie auch schon öffentlich als Versager ausgepfiffen wurden. Die Außenpolitik der „stärksten Regierung, die England jemals gehabt hat", wird von ihren eigenen Anhängern als das Nonplusultra1 an Hilflosigkeit und unschlüssiger Schwäche anerkannt. Die Vereinbarung von Chesham Place jedoch, die zwischen den Peel-Bürokraten, den Whig-Oligarchen und den Scheinradikalen[2331 geschlossen wurde, ist noch mehr gefestigt worden durch den bedrohlichen Stand der Dinge im Ausland und durch die noch bedrohlicheren Symptome allgemeiner Unzufriedenheit im eigenen Land, die in der beispiellosen Intensität und Ausbreitung von Streiks und dem Wiederaufleben der chartistischen Agitation zum Ausdruck kommt. Beim Beurteilen der Außenpolitik der herrschenden Klassen und des Kabinetts dürfen wir nicht einen Krieg mit Rußland aus den Augen verlieren, der ein allgemeines revolutionäres Aufflammen auf dem Kontinent nach sich ziehen und heute wahrscheinlich bei den Volksmassen in Großbritannien einen schicksalsschweren Widerhall hervorrufen würde. Was das Oberhaus betrifft, so läßt seine Tätigkeit ein sehr kurzes Resümee zu. Es hat seine Bigotterie an den Tag gelegt durch die Ablehnung der Judenemanzipationsbill; seine Feindseligkeit gegenüber der Arbeiterklasse durch Abwürgen der Workingmens Combination Bill[127]; seinen eigennützigen Haß gegen das irische Volk durch das Auf-die-lange-Bank-schieben der irischen Bodengesetze und seine dumme Voreingenommenheit gegen indische Mißstände durch die Wiedereinführung des Salzmonopols. Es hat durchweg im geheimen Einverständnis mit der Regierung gehandelt, daß jede fortschrittliche Maßnahme, die möglicherweise vom Unterhaus angenommen werden könnte, von den aufgeklärten Lords ungültig gemacht werden soll. Unter den Papieren, die auf den Tisch des Parlaments vor seiner Vertagung gelegt worden waren, befindet sich eine umfangreiche Korrespondenz, die zwischen der britischen und der russischen Regierung wegen der Behinderung der Schiffahrt in der Sulinamündung der Donau geführt worden war. Die Korrespondenz beginnt mit dem 9. Februar 1849 und endet im Juli 1853, ohne auch nur das mindeste erreicht zu haben. Die Dinge haben sich jetzt dahingehend entwickelt, daß sogar die österreichische Regierung
1 Vollkommenste
gezwungen ist, bekanntzugeben, daß die Donaumündung für die Schiffahrt unbefahrbar geworden ist und daß künftig ihre Post nach Konstantinopel über Triest befördert werden wird. Diese ganze Schwierigkeit ist die Frucht der britischen Nachsicht gegenüber moskowitischen Übergriffen. Im Jahre 1836 willigte die englische Regierung stillschweigend in die widerrechtliche Besitzergreifung der Donaumündung durch Rußland ein, obwohl sie vorher eine Handelsfirma angewiesen hatte, sich der Einmischung von Beamten der russischen Regierung zu widersetzen. Der mit Birma geschlossene sogenannte Friede, den eine Proklamation des Generalgouverneurs von Indien am 30. Juni 1853 verkündete und zu dem die Königin das Parlament beglückwünschen soll, ist nichts anderes als ein bloßer Waffenstillstand. Der König von Ava1, den man durch Aushungerung dazu gebracht hat, sich zu unterwerfen, hat seinen Wunsch nach Beendigung des Krieges geäußert, die britischen Gefangenen in Freiheit gesetzt, um die Aufhebung der Flußblockade gebeten und seinen Truppen untersagt, die Gebiete von Meaday und Tong-ho anzugreifen, wo die britische Regierung Garnisonen stationiert hat - in der gleichen Weise, wie die türkische Regierung ihren Truppen verboten hat, die Russen anzugreifen, die in den Donaufürstentümern stehen. Aber der König von Ava erkennt die Ansprüche Englands auf Pegu oder irgendeinen anderen Teil des Birmanischen Reichs nicht an. Alles, was England durch den Krieg gegen Birma erreicht hat, ist eine gefahrvolle und umstrittene, statt einer sicheren und anerkannten Grenze. Es ist aus der ethnographischen, geographischen und politischen Begrenzung seiner indischen Dominions hinausgetrieben worden, und das Reich des Himmels2 selbst stellt für seine vordringende Macht überhaupt keine natürliche Barriere mehr dar. Es hat seinen Schwerpunkt in Asien verloren und ist ins Ungewisse vorgedrungen. Es ist nicht länger Herr seiner eigenen Schritte, es gibt kein Halten als dort, wo das Land das Meer erreicht. England scheint auf diese Weise dafür ausersehen zu sein, den entferntesten Orient dem Verkehr mit dem Westen zu öffnen, aber sich weder seines Besitzes zu erfreuen noch ihn zu halten. Die großen Streiks der Kohlenhäuer in Süd-Wales dauern nicht nur weiter an, sondern aus ihnen sind neue Streiks der Arbeiter entstanden, die in den Eisenerzbergwerken beschäftigt sind. Ein allgemeiner Streik unter den britischen Seeleuten wird in dem Augenblick erwartet, wenn das Gesetz über die Handelsschiffahrt in Kraft tritt, denn Ausländer werden - wie die Seeleute sagen - nur zu dem Zweck zugelassen, um die Löhne zu drücken. Die
^ Menduhn-Men - 2 China
Bedeutung der augenblicklichen Streiks, auf die ich wiederholt die Aufmerksamkeit der Leser gelenkt habe, beginnt jetzt auch sogar von der bürgerlichen Presse Londons verstanden zu werden. So bemerkt die „Weekly Times"12341 vom vergangenen Sonntag:
„Die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben sich bis aufs Äußerste zugespitzt. Im ganzen Land hat der Arbeiter dem Kapital Trotz geboten, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß der auf diese Weise hervorgerufene Kampf erst begonnen hat. Die Arbeiterklasse ist fest entschlossen, ihre Kraft zu erproben. Die Bewegung ist vorläufig noch auf eine Reihe von zersplitterten Scharmützeln beschränkt, aber es gibt Anzeichen, daß die Zeit schon nicht mehr fern ist, da dieser planlose Kampf sich in einen systematischen und einheitlichen Feldzug gegen das Kapital verwandeln wird." Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Michail Bakunin
[„The Morning Advertiser" vom 2. September 1853]
An den Redakteur des „Morning Advertiser" London, 30. August 1853
Sir, - den Herren Herzen und Golowin hat es beliebt, die „Neue Rheinische Zeitung"11001, die 1848 und 1849 von mir herausgegeben wurde, mit den Polemiken in Verbindung zu bringen, die zwischen ihnen und „F.M."1 in bezug auf Bakunint235J geführt werden. Sie berichten der englischen Öffentlichkeit, daß die Verleumdung Bakunins ihren Ursprung in jener Zeitung nahm, die sogar gewagt hatte, George Sand als Zeugen anzurufen. Ich mache mir zwar nichts aus den Unterstellungen der Herren Herzen und Golowin. Aber da es zur Lösung der im Zusammenhang mit Michail Bakunin aufgetauchten Frage beitragen kann, möge es mir gestattet sein, die wirklichen Fakten dieses Falls darzulegen: Am 5. Juli 1848 erhielt die „Neue Rheinische Zeitung" zwei Briefe aus Paris - wovon der eine die autographische Korrespondenz des HavasBureaus war und der andere eine private Korrespondenz, die von einem polnischen Flüchtling herrührte, der mit jener Firma überhaupt nicht in Verbindung steht -, die beide besagten, daß George Sand im Besitz von Papieren wäre, die Bakunin dahingehend kompromittierten, daß er in jüngster Zeit in Beziehungen zur russischen Regierung getreten sei. Die „Neue Rheinische Zeitung" veröffentlichte am 6. Juli den Brief ihres Pariser Korrespondenten2.
1 „Francis Marx" - 2 August Hermann Ewerbeck
Bakunin seinerseits erklärte in der „Neuen Oder-Zeitung"[236] (einem Breslauer Blatt), daß vor dem Erscheinen der Korrespondenz aus Paris in der „Neuen Rheinischen Zeitung" in Breslau ähnliche Gerüchte heimlich verbreitet worden seien, daß sie von den russischen Gesandtschaften ausgingen und daß er sie nicht besser beantworten könne als durch einen Appell an George Sand. Bakunins Brief an George Sand wurde gleichzeitig mit seiner Erklärung veröffentlicht. Beides, die Erklärung und der Brief, wurden sofort von der „Neuen Rheinischen Zeitung" nachgedruckt (siehe „Neue Rheinische Zeitung" vom 16. Juli 1848). Am 3. August 1848 erhielt die „Neue Rheinische Zeitung" von Bakunin durch Herrn Koscielskis Vermittlung einen von George Sand an den Redakteur der „Neuen Rheinischen Zeitung" gerichteten Brief, der am selben Tage mit folgenden einleitenden Bemerkungen veröffentlicht wurde:
„Wir teilten in Nr. 36 dieser Zeitung ein in Paris zirkulierendes Gerücht mit, wonach George Sand im Besitze von Papieren sein sollte, welche den russischen Flüchtling Bakunin als Agenten des Kaisers Nikolaus hinstellten. Wir veröffentlichten diese Behauptung, weil sie uns gleichzeitig von zwei einander völlig unbekannten Korrespondenten zugegangen war. Wir erfüllten damit nur die Pflicht der Presse, öffentliche Charaktere streng zu überwachen, und gaben damit zugleich Herrn Bakunin Gelegenheit, einen Verdacht niederzuschlagen, der in Paris in gewissen Kreisen allerdings gegen ihn erweckt wurde. Wir druckten ebenso aus der ,Neuen Oder-Zeitung4 Herrn Bakunins Erklärung und seinen Brief an George Sand ab, ohne seine Bitte abzuwarten. Wir teilten nun einen an die Redaktion der ,Neuen Rheinischen Zeitung gerichteten Brief von George Sand in wörtlicher Übersetzung mit, wodurch diese Angelegenheit vollständig erledigt wird" (siehe „Neue Rheinische Zeitung", 3.August 1848).
In der zweiten Augusthälfte 1848 war ich auf der Durchreise in Berlin, sah dort Bakunin und erneuerte die intime Freundschaft mit ihm, die uns vor dem Ausbruch der Februarrevolution verbunden hatte. In ihrer Ausgabe vom 13. Oktober 1848 griff die „Neue Rheinische Zeitung" das preußische Ministerium an, weil es Bakunin ausgewiesen und ihm angedroht hatte, ihn an Rußland auszuliefern, falls er es wage, die preußischen Staaten wieder zu betreten. In ihrer Nummer vom 15. Februar 1849 brachte die „Neue Rheinische Zeitung" einen Leitartikel über Bakunins Broschüre „Aufruf an die Slawen", der mit den Worten begann: „Bakunin ist unser Freund. Das wird uns aber nicht abhalten, seine Broschüre einer strengen Kritik zu unterwerfen."[2371 In meinen an die „New-York Daily Tribüne" gerichteten Briefen über „Revolution und Konterrevolution in Deutschland" war ich, soviel ich weiß, der erste deutsche Autor, der Bakunin die ihm für seine Beteiligung an unserer
Bewegung und besonders an dem Dresdener Aufstand[238] zukommende Achtung erwies und der gleichzeitig die deutsche Presse und das deutsche Volk ihrer äußerst feigen Art wegen, in der sie ihn seinen und ihren Feinden auslieferten, anprangerte. Was „F. M." anbetrifft, der ja von der fixen Idee ausgeht, daß Revolutionen auf dem Kontinent die geheimen Pläne Rußlands fördern, so müßte er, wenn er irgendeinen Anspruch auf Folgerichtigkeit erheben will, nicht nur Bakunin, sondern jeden Revolutionär in Europa als russischen Agenten verurteilen. In seinen Augen ist die Revolution selbst ein russischer Agent. Warum nicht Bakunin? Karl Marx
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Karl Marx
Steigen der Kornpreise - Cholera - Streiks Seeleutebewegung12391
[„New-York Daily Tribüne" Nr.3873 vom 15.September 1853] London, Dienstag, 30. August 1853 Die „Breslauer Zeitung"12401 berichtet, daß die Ausfuhr von Getreide aus der Walachei endgültig verboten ist. Gegenwärtig gibt es eine etwas wichtigere Frage zu lösen als die orientalische, nämlich die Frage der Versorgung. Die Kornpreise sind in Königsberg, Stettin, Danzig, Rostock, Köln, Hamburg, Rotterdam, Antwerpen und natürlich auf allen Importmärkten gestiegen. Auf den wichtigsten Provinzmärkten Englands ist der Weizen um 4 bis 6 sh. pro Quarter gestiegen. Die ständig steigenden Weizen- und Roggenpreise in Belgien und Frankreich und die dadurch hervorgerufene Brotverteuerung erregen große Besorgnis. Die französische Regierung kauft Getreide in England, Odessa und in den Ostseelandern auf. Die endgültigen Berichte über die Ernte in England werden erst nächste Woche bekanntgegeben. Die Kartoffelkrankheit ist hier mehr verbreitet als in Irland. Der Getreideexport wurde von allen Regierungen in Italien, die Regierung der Lombardei mit einbegriffen, verboten. In der letzten Woche sind in London einige nachweisbare Fälle von asiatischer Cholera vorgekommen. Wie wir ebenfalls erfahren haben, hat die Cholera jetzt auch Berlin erreicht. Der Kampf zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Löhnen und Profiten, geht weiter. Es gab in London neue Streiks der Kohlenträger, der Barbiere, der Schneider, der Schuhmacher für Damenstiefel und Schuhe, der Regenund Sonnenschirmmacher, der Hemdenmacher, der Naher von Unterkleidung überhaupt und von anderen, bei Kleiderhändlern und Großhandelsexporthäusern Beschäftigten. Gestern kündigten mehrere Maurer und die Themse-LeichterschifTer, die die Waren zwischen den Kais und den Schiffen
auf dem Fluß transportieren, einen Streik an. Der Streik der Kohlenhäuer und Eisenarbeiter in Süd-Wales geht weiter. Zu dieser Liste kommt noch ein neuer Streik der Kohlenhäuer in Resolven usw. usw. Es würde zu ermüdend sein, Brief für Brief mit der Aufzählung der vielen Berichte über die verschiedenen Streiks fortzufahren, die mir Woche um Woche zu Ohren kommen. Ich werde mich deshalb nur hin und wieder mit denen beschäftigen, die besonders interessante Züge tragen; darunter verdient der schwebende Konflikt zwischen den Polizeikonstablern und ihrem Chef, Sir Richard Mayne, erwähnt zu werden, wenn er auch noch kein richtiger Streik ist. Sir Richard Mayne hat in seinem an die verschiedenen Abteilungen der Londoner Polizei gerichteten Zirkular verboten, daß Polizisten Versammlungen abhalten oder sich zusammenschließen, und sich gleichzeitig bereit erklärt, sich individueller Beschwerden anzunehmen. Die Polizisten erwiderten ihm darauf, daß sie das Versammlungsrecht als ein Recht betrachten, dessen kein Engländer beraubt werden kann, Sir Mayne erinnerte sie daran, daß ihre Lohnskala zu einer Zeit festgelegt wurde, da die Lebensmittel viel teurer waren als jetzt. Die Polizisten antworteten,
„ihre Forderung stütze sich nicht nur auf den Preis der Lebensmittel, sondern beruhe auf der Überzeugung, daß Menschen nicht mehr so billig sind, wie sie einst waren".
Der bedeutendste Vorfall in dieser Geschichte der Streiks ist die Deklaration der Seamen's United Friendly Association1, die die Bill of Rights2 der angelsächsischen Seeleute genannt wird. Diese Deklaration nimmt auf die Merchant Shipping Bill3 Bezug, welche die Klausel der Navigationsgesetze[227J aufhebt, die von den britischen Reedern verlangt, daß mindestens drei Viertel der Mannschaft ihrer Schiffe aus britischen Untertanen bestehen. Durch diese Bill wird jetzt die Küstenschiffahrt den ausländischen Seeleuten selbst dort geöffnet, wo ausländische Schiffe nicht zugelassen sind. Die Mannschaften erklären, daß diese Bill keine Seeleutebill, sondern eine Eigentümerbill sei. Die Bemannungsklausel habe den Kapitänen in bezug auf die Behandlung und das In-Gewahrsam-nehmen von Besatzungen gewissermaßen Zügel angelegt; das neue Gesetz würde die Seeleute völlig der Gewalt jedes schlechten Offiziers ausliefern. Das neue Gesetz gehe von dem Grundsatz aus,
„daß alle 17000 Kapitäne sehr freundliche Menschen, die von Großzügigkeit, Wohltätigkeit und Liebenswürdigkeit überströmten, alle Matrosen aber halsstarrig, unvernünftig und von Natur aus schlecht seien".
1 Seeleutevereinigung - 2 das Gesetz der Rechte, Verfassungsur künde — 3 das Gesetz über die Handelsschiffahrt
Die Seeleute erklären, daß der Eigentümer seine Schiffe hinschicken könne, wohin es ihm passe, sie hingegen in ihrer Arbeit auf ihr eigenes Land beschränkt seien, da die Regierung die Navigationsgesetze aufgehoben habe, ohne vorher den Seeleuten auf Schiffen anderer Nationen entsprechende Arbeit zu verschaffen.
„Da das Parlament die Seeleute den Schiffseigentümern geopfert hat, sind wir als Klasse gezwungen, uns zusammenzuschließen und Maßnahmen für unseren eigenen Schutz zu ergreifen."
Diese Maßnahmen bestehen hauptsächlich in der Absicht der Seeleute, ihrerseits an der Bemannungsklausel festzuhalten, wobei sie zugleich erklären,
„daß die Seeleute der Vereinigten Staaten von Amerika als Briten betrachtet werden sollen und daß an sie ein Appell gerichtet werden soll, ihren Verband zu unterstützen. Ferner, da es nach dem 1. Oktober, wenn das obenerwähnte Gesetz in Kraft tritt, keinen Vorteil mehr bieten wird, als britischer Untertan auf Schiffen zu fahren, sondern im Gegenteil der Dienst als Ausländer auf britischen Schiffen in Friedenszeiten eine Garantie dafür gibt, in Kriegszeiten nicht gepreßt oder zum Dienst in der Kriegsmarine Ihrer Majestät eingezogen zu werden, und da der Besitz der amerikanischen Bürgerrechte in Friedenszeiten größeren Schutz bietet, werden sich die Seeleute Bürgerzertifikate der Vereinigten Staaten beschaffen, wenn sie in einen Hafen dieser Republik kommen" t241l. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx An den Redakteur des „People's Paper"12421
[„The People's Paper" Nr. 7! vom 10. September 1853]
Dear Sir, der „Morning Advertiser"[301 vom 3. d. M. veröffentlichte den beiliegenden Brief „Wie man Geschichte schreiben soll (Von einem ausländischen Korrespondenten)", während er es ablehnte, meine Antwort an den „ausländischen Korrespondenten" einzufügen. Sie würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie sowohl den russischen Brief wie auch meine Antwort darauf im „People's Paper" unterbringen. Ihr sehr ergebener London, 7. September [1853] Dr. Karl Marx.
„Wie man Geschichte schreiben soll (Von einem ausländischen Korrespondenten) Bakunin ist ein russischer Agent - Bakunin ist kein russischer Agent. Bakunin ist nach vielen Mißhandlungen im Schlüsselburg-Gefängnis gestorben - Bakunin ist nicht gestorben, er lebt noch. Man hat ihn zum Soldaten gemacht und nach dem Kaukasus geschickt - nein, man hat ihn nicht zum Soldaten gemacht, man hält ihn noch immer in der Peter-Pauls-Festung fest. Dies die sich widersprechenden Nachrichten, die die Presse über Michail Bakunin gebracht hat. In diesen Tagen ausgedehnter Publizistik gelangen wir nur zur Wahrheit durch Behauptung des Falschen; aber, ist es zum mindesten erwiesen, daß Bakunin nicht ein Militärspion Rußlands gewesen ist? Es gibt Leute, die nicht wissen, daß die Humanität die Menschen füreinander verantwortlich macht - daß wir, indem wir Deutschland von dem Einfluß befreien, den Rußland auf es ausübt, auf dieses letztere Land einwirken und es von neuem in seinen Despotismus stürzen, bis es für die Revolution verwundbar sein wird. Solche Leute würde man umsonst davon zu überzeugen versuchen, daß Bakunin einer der reinsten und hochherzigsten Vertreter des fortschrittlichen Kosmopolitismus ist. »Verleumdet, verleumdet*, sagt ein französischesSprichwort, ,und etwas wird immer hängenbleiben/ Die Verleumdung gegen Bakunin, im Jahre 1848 von einem seiner Freunde begünstigt, wurde 1853 von einem unbekannten Menschen wiederholt. ,Man wird nur von seinen eigenen Freunden verraten4, sagt ein anderes Sprichwort, und ,es ist besser, mit einem klugen Feind zu tun zu haben als mit einem dummen
Freund*. Die konservativen Blätter sind nicht zu Organen der gegen Bakunin ausgestreuten Verleumdung geworden. Ein befreundetes Blatt hat diese Aufgabe auf sich genommen. Es gehört ein schwach entwickeltes revolutionäresEmpfinden dazu, um auch nur für einen Augenblick zu vergessen, wie Herr Marx es vergessen hat, daß Bakunin nicht aus dem Stoff ist, aus dem Polizeispitzel gemacht werden. Warum veröffentlichte er nicht wenigstens, wie es die Gepflogenheit der englischen Blätter ist, einfach den Brief des polnischen Flüchtlings, der Bakunin beschuldigte? Er hätte das Bedauern zurückbehalten, seinen Namen mit einer falschen Anschuldigung in Verbindung gebracht zu sehen!" Der ausländische Korrespondent im „Morning Advertiser" vom Sonnabend „Es ist besser, mit einem klugen Feind zu tun zu haben als mit einem dummen Freund." Sehr richtig. Ist der nicht ein „dummer Freund", der über die Entdeckung erstaunt ist, daß eine Auseinandersetzung widerstreitende Meinungen einschließt und daß die historische Wahrheit nur aus kontradiktorischen Behauptungen herausentwickelt werden kann? Ist der nicht ein „dummer Freund", der es für nötig hält, 1853 an Erklärungen etwas auszusetzen, mit denen Bakunin selbst 1848 zufrieden war, der es für nötig hält, „Rußland von neuem in seinen Despotismus zu stürzen", aus dem es niemals herausgekommen ist, und der ein abgedroschenes lateinisches Sprichwort ein französisches nennt? Ist der nicht ein „dummer Freund", der ein Blatt, das eine nicht vom Herausgeber gezeichnete Erklärung seines ausländischen Korrespondenten abgedruckt hat, beschuldigt, diese „begünstigt" zu haben? Ist der nicht ein „dummer Freund", der „konservative Blätter" als Vorbilder für „revolutionäres Empfinden" hinstellt, das im Moment größter Spannungen die lois des suspectst243] erfand und das sogar in den Dantons, Camille Desmoulins und Anacharsis Cloots den „Stoff" zum Verräter argwöhnte; der es wagt, dritte Personen im Namen Bakunins anzugreifen, und es nicht wagt, ihn in seinem eigenen Namen zu verteidigen? Lassen Sie mich zum Abschluß dem Freund abgedroschener Sprichwörter sagen, daß ich jetzt die Polemik mit ihm und mit allen ähnlichen Freunden Bakunins abgeschlossen habe. Karl Marx London, 4. September [ 1853]
Aus dem Englischen.
Karl Marx
[Die Wiener Note - USA und Europa Briefe aus Schumla - Robert Peels Bank Act]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3881 vom 24. September 1853] London, Freitag, 9. September 1853 Als ich Ihnen in meinem Artikel vom 30. August1244] mitteilte, daß die Wiener Note von der Pforte deshalb „zurückgewiesen" worden sei, weil die von ihr geforderten Abänderungen und die Bedingung der sofortigen und vorausgehenden Räumung12463 nicht anders verstanden werden können als eine Zurückweisung der Anmaßungen Rußlands, befand ich mich im Gegensatz zu der gesamten Presse, die versicherte, daß die Änderungen unbedeutend und nicht der Rede wert seien und daß man die ganze Angelegenheit als beigelegt betrachten könne. Einige Tage später erschreckte der „Morning Chronicle"t29 3 die vertrauensvollen Börsenmakler mit der Verkündigung, daß die von der Pforte vorgeschlagenen Abänderungen sehr ernsthafter Natur und keineswegs leicht zu nehmen wären. In diesem Augenblick gibt es nur eine Ansicht, nämlich die, daß die ganze orientalische Frage wieder bei ihrem Ausgangspunkt angelangt sei. Dieser Eindruck kann in keiner Weise durch die in der gestrigen Presse erfolgte Veröffentlichung des vollen Wortlauts der offiziellen Note Reschid Paschas an die Vertreter Österreichs, Frankreichs, Großbritanniens und Preußens vom 19. August 1853 abgeschwächt werden. Es besteht nicht der geringste Zweifel, daß der russische Kaiser die türkischen „Abänderungen" ablehnen wird. Wir sind durch die „Assemblee nationale"*1343, diesen Pariser „Moniteur"1 des russischen Kaisers, bereits informiert, daß
1 „Anzeiger" - Anspielung auf die damals in Paris erscheinende Regierungszeitung gleichen Namens
„nach der heute in Paris eingegangenen Korrespondenz die ersten Eindrücke, welche die von der Pforte vorgeschlagenen Modifikationen beim Kabinett in St.Petersburg hervorriefen, keineswegs günstig waren. Welchen Beschluß dieses Kabinett auch fassen sollte, wir müssen darauf vorbereitet sein, ihn gelassen aufzunehmen und unsere Befürchtungen zu unterdrücken. Wir müssen in Betracht ziehen, daß, selbst wenn das russische Kabinett die vorgeschlagenen Abänderungen der Note ablehnen sollte, die Möglichkeit neuer Verhandlungen in Konstantinopel bleibt."
Die in diesem letzten Wink enthaltene Andeutung, daß Rußland versuchen wird, einen neuen Aufschub für die Entscheidung dieses Streites zu erlangen, wird durch die Berliner „Litographische Correspondenz"12461 bestätigt:
„Die österreichische Regierung hat Kaiser Nikolaus ein Memorandum vorgelegt, das neue Anderungsvorschläge enthält, und es übernommen, die Krise auf eine Weise zu beenden, die von allen bisherigen Versuchen völlig abweicht."
In einem von dem Wiener „Wanderer"12471 veröffentlichten Artikel aus Odessa vom 26. August wird erklärt, daß die Lösung der orientalischen Frage „nicht so naheliegend sei, wie es einige Leute erwartet hätten; die Rüstungen wären nicht einen Tag eingestellt worden, und die Armee in den Donaufürstentümern erhalte fortwährend neuen Zuwachs". Der Kronstädter „Satellit" bestätigt ausdrücklich, daß die russischen Truppen ihre Winterquartiere in den Donaufürstentümern aufschlagen werden. Eine aus Washington kommende Note hätte in Europa kaum eine größere Sensation hervorrufen können als Ihre redaktionellen Bemerkungen über Hauptmann Ingraham12481. Sie haben mit und ohne Kommentar ihren Weg fast in die gesamte Wochenpresse Londons gefunden, in viele französische Zeitungen, in die Brüsseler „Nation"[215J, den Turiner „Parlamente "I209J, die „Basler Zeitung" und in jedes liberale Blatt Deutschlands. Da Ihr Artikel über das schweizerisch-amerikanische Bündnis gleichzeitig in einer Anzahl deutscher Blätter wiedergegeben wurde, können Sie den folgenden Auszug aus einem Artikel der Berliner „Litographischen Correspondenz" als teilweise an Sie adressiert betrachten:
„Seit einiger Zeit hat die Presse verschiedentlich Anlaß gehabt, sich über die Theorie der Vereinigten Staaten in bezug auf Intervention zu äußern. Erst vor kurzem hat die Koszta-Affäre in Smyrna die Diskussion erneuert, und diese Affäre ist noch nicht beigelegt, da stellen bereits ausländische und inländische Journale eine Intervention der Vereinigten Staaten zugunsten der Schweiz in Aussicht, wenn ihr ein Angriff drohen sollte. Wir erfahren heute, daß einige Mächte die Absicht haben, eine gemeinsame Erklärung gegen die von den Vereinigten Staaten vorgebrachte Doktrin des
Völkerrechts abzugeben, und wir dürfen hoffen, daß diese Kabinette zu einem völligen Einverständnis kommen werden. Wenn die amerikanische Interventionstheorie nicht entschlossen widerlegt wird, würde die Ausrottung des revolutionären Geistes in Europa auf ein unüberwindliches Hindernis stoßen. Wir können als wichtige Tatsache hinzufügen, daß Frankreich zu den Mächten gehört, die bereit sind, sich an dieser Remonstration zu beteiligen."
Der „Constitutionner[32] vom vergangenen Dienstag bemüht sich sehr, keinen Zweifel über diesen letzterwähnten Punkt zu lassen, wenn er sagt: 4 „Man muß in allen Dingen offen sein. Koszta wird nicht als ein Bürger der Vereinigten Staaten von den Vertretern der amerikanischen Republik gegen Österreich verteidigt, sondern als ein Revolutionär. Doch wird keine europäische Macht es jemals als ein Prinzip des Völkerrechts anerkennen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten dazu berechtigt sei, die Revolution in Europa mit Waffengewalt zu verteidigen. Auf keinen Fall würde geduldet werden, einer Regierung bei der Ausübung ihrer Rechtsprechung Hindernisse in den Weg zu legen, unter dem lächerlichen Vorwand, daß die Rechtsverletzer ihre Staatsangehörigkeit aufgegeben haben, in Wirklichkeit aber, weil diese gegen die politische Ordnung ihres Landes revoltieren. Die Flotte der Vereinigten Staaten würde nicht immer einen so leichten Triumph erringen, und ein so halsstarriges Verhalten, wie das des Kapitäns der St. Louis, könnte bei anderen Anlässen sehr unheilvolle Folgen haben."
Der „ Impartial" aus Smyrna, der heute eintraf, veröffentlicht die folgenden interessanten Briefe aus Schumla:
„Schumla, 8. August 1853
Der Oberbefehlshaber Omer Pascha hat seine Truppen so geschickt aufgestellt, daß er bei der ersten Notwendigkeit innerhalb von 24 Stunden an jeder Stelle der Donau ein Heer von 65000 Mann Infanterie und Kavallerie und 180 Geschützen konzentrieren kann. Ein Brief, den ich aus der Walachei erhalten habe, berichtet, daß der Typhus in der russischen Armee furchtbare Verheerungen anrichtet und daß sie seit Beginn der Kampagne nicht weniger als 13000 Mann verloren hat. Man ist bemüht, die Toten nachts zu begraben. Auch unter den Pferden ist die Sterblichkeit sehr groß. Unsere Armee erfreut sich bester Gesundheit. Russische Abteilungen von 30 bis 60 Soldaten, in moldauische Uniformen gekleidet, erscheinen von Zeit zu Zeit auf dem gegenüberliegenden Ufer der Donau. Unser General ist über alle ihre Bewegungen informiert. Gestern sind 1000 römisch-katholische Albanier eingetroffen. Sie bilden den Vortrupp eines 13000 Mann starken Korps, das umgehend erwartet wird. Es sind Scharfschützen. Gestern sind auch 3000 Reiter eingetroffen, alles alte Soldaten, ausgezeichnet bewaffnet und ausgerüstet. Die Anzahl unserer Truppen wächst mit jedem Tage. Achmed Pascha ist gestern nach Varna abgereist; dort will er auf die ägyptischen Kräfte warten, um sie an die Stellen zu weisen, die sie besetzen sollen."
„Schumla, Freitag, 12.August 1853 Am 9. August sind zwei Regimenter Infanterie und eine Batterie leichter Artillerie, zu den Garden des Sultans gehörend, nach Rasgrad aufgebrochen. Am 10. August bekamen wir die Nachricht, daß 5600 Russen am Ufer der Donau in der Nähe des Hafens von Turtukai ihr Lager aufgeschlagen haben, wodurch die Vorposten der beiden Armeen nur auf Gewehrschußweite voneinander entfernt sind. Der tapfere Oberst Iskender Beg hat sich mit mehreren Offizieren nach jener Stelle begeben. Omer Pascha hat telegraphische Verbindung hergestellt, um jederzeit bei Tag und Nacht in der Lage zu sein, dem Hauptquartier übermitteln zu können, was an jedem Punkte des Flusses vor sich geht. Wir haben einige Tage anhaltendes Regenwetter gehabt, doch die Befestigungsarbeiten wurden nichtsdestoweniger mit großer Aktivität fortgesetzt. Zweimal am Tag, bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang, wird ein Kanonensalut abgefeuert. Nichts dergleichen hören wir vom gegenüberliegenden Ufer des Flusses. Nachdem ihre Quarantänezeit in Konstantinopel beendet ist, werden die ägyptischen Truppen nach Varna verschifft, von wo sie nach Babadag geleitet werden. Der Brigadegeneral Izzet Pascha erwartet sie dort. In dem Gebiet von Dobrudscha-Ovasi haben sich 20000 Tataren versammelt, um an dem Krieg gegen die Russen teilzunehmen. Es handelt sich zum größten Teil um ehemalige Emigranten, welche die Krim verlassen hatten, als sie von denRussen erobert wurde. DieottomanischeArmee,deren Stärke durch die Ankunft neuer regulärer und irregulärer Truppen von Tag zu Tag zunimmt, ist der Untätigkeit müde und brennt darauf, in den Krieg zu ziehen. Es ist zu befürchten, daß wir an einem der nächsten Tage, ohne höheren Befehl, einen Übergang über die Donau erleben werden; besonders jetzt, da die Gegenwart der Russen, die sich auf dem anderen Ufer zeigen, zu der Erregung beiträgt. Mehrere Arzte, Muselmanen und Christen, sind vor einigen Tagen aufgebrochen, um nach europäischem Muster Militärlazarette in Plewna, Rasgrad, Widdin und Silistria einzurichten. Am 11. trafen aus Varna zwei höhere englische Offiziere ein. Sie hatten eine lange Audienz bei Omer Pascha und besichtigten, von mehreren türkischen Offizieren begleitet, die Befestigungen. Sie haben sie in einem ausgezeichneten Verteidigungszustand vorgefunden, mit ausreichenden Pulverkammern, Backöfen, Frischwasserreservoiren usw. versorgt. Alle diese Befestigungen sind sehr stabil angelegt. Unter unseren Truppen herrscht strengste Disziplin."
„Schumla, Montag, 15.August 1853 Am 13. traf der englische General O'Donnell aus Konstantinopel ein. Er hatte eine zweistündige Unterredung mit Omer Pascha und ging am nächsten Tage mit einem Adjutanten des Oberkommandierenden fort, um die Befestigungen zu inspizieren. Gestern trafen aus Varna drei Batterien und ein gewaltiger Munitionstrain ein. Morgen wird eine Verstärkung, bestehend aus einer Batterie, zwei Bataillonen Infanterie und 1000 Reitern, nach dem Hafen Rasowa abgehen. Die Pioniere sind an diesem Orte eifrig dabei, die von den Russen 1828 zerstörten Befestigungen wiederherzustellen. Die Türkei kann volles Vertrauen zu ihrer Armee haben."
20 Marx/Enge)s, Werke, Bd. 9
Der Earl of Fitzwilliam richtete am vergangenen Donnerstag einen Brief an die Versammlung der Sheffielder Messerschmiede, in dem er gegen die ungeheuerliche Auffassung protestierte, daß man „der Ehre und dem Charakter des russischen Kaisers vertrauen solle", mit der das Parlament durch den heldenmütigen Palmerston geschlossen wurde. Herr Disraeli hat seine Wählerschaft für eine Versammlung in Aylesbury am 14. September zusammengerufen. Die gestrige „Daily News"tasi versuchte in einem langen und langweiligen Artikel das zu bekämpfen, was Herr Disraeli ihrer Meinung nach wahrscheinlich seinen Wählern sagen wird. Solch ein Unterfangen, glaube ich, hätte die „Daily News" mit größerer Berechtigung ihrem ehrwürdigen Ahnherrn, dem „Londoner Punch"*2491, überlassen sollen. Es ist jetzt seit Januar das vierte Mal, daß die Bank von England den Zinsfuß erhöhte. Am 4. September wurde er auf 4% festgelegt. „Es wurde ein neuer Versuch unternommen, die Zirkulationsmittel des Landes zu reduzieren - ein neuer Versuch, die Flut des nationalen Wohlstandes aufzuhalten", ruft die Londoner „Sun"!250! aus. Sie beruhigt sich andrerseits mit der Erwägung, daß die Bank von England viel von ihrer unheilvollen Macht durch Peels Bank Act von 1844 verloren hat. Die „Sun" irrt sich in ihren Befürchtungen und ihren Hoffnungen. Die Bank von England hat so wenig wie irgendeine andere Bank die Macht, den Geldumlauf des Landes zu vermehren oder zu vermindern. Die wirklich unheilvollen Kräfte, die sie besitzt, sind in keiner Weise durch Peels Bank Act von 1844 geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt worden. Da der Bank Act von 1844 im allgemeinen falsch verstanden wird und da seine Wirkung in der herannahenden Krise nicht nur für England, sondern für die gesamte Geschäftswelt von überragender Bedeutung sein wird, beabsichtige ich, die Tendenz dieses Acts kurz zu erklären. Peels Bank Act von 1844 geht von der Annahme aus, daß die Metallzirkulation die normale wäre; daß der Betrag der Umlaufmittel die Preise reguliere; daß im Falle einer reinen Metallzirkulation die Umlaufmittel sich durch einen günstigen Wechselkurs und einen Zufluß von Edelmetallen vermehren würden, während sie durch einen ungünstigen Wechselkurs und einen Abfluß des Edelmetalls vermindert würden; daß eine Banknotenzirkulation der Metallzirkulation genau entsprechen muß; daß demzufolge ein gewisser Grad der Übereinstimmung zwischen den Veränderungen der Edelmetallvorräte in den Kellern der Bank von England und den Veränderungen in der Menge der im Publikum zirkulierenden Banknoten bestehen muß;
daß die Notenausgabe bei günstigem Wechselkurs vermehrt und bei ungünstigem Wechselkurs verringert werden muß; schließlich, daß die Bank von England die Kontrolle über die Menge ihrer zirkulierenden Noten habe. Aber alle diese Voraussetzungen sind völlig irreführend und stehen im Gegensatz zu den Tatsachen. Selbst wenn wir eine reine Metallzirkulation annehmen, könnte der Betrag der Umlaufmittel nicht die Preise bestimmen, ebensowenig wie sie den Umfang der kommerziellen und industriellen Transaktionen bestimmen könnte; dagegen würden die Preise den Betrag des zirkulierenden Geldes bestimmen. Ungünstiger Wechselkurs und ein Abfluß der Edelmetalle würden selbst eine reine Metallzirkulation nicht vermindern, da sie die im Umlauf befindliche Menge der Zahlungsmittel nicht beeinflussen würden, sondern die Menge der in Reserve gehaltenen Zahlungsmittel, die in den Banken als Depositen oder in Privatschätzen schlummern. Andererseits würde ein günstiger Wechselkurs und ein dementsprechender Zustrom der Edelmetalle nicht die umlaufenden Zahlungsmittel vergrößern, sondern die bei den Bankiers deponierten oder von privaten Personen gehorteten Zahlungsmittel. Da also der Peel Act von der falschen Konzeption einer reinen Metallzirkulation ausgeht, muß er natürlich zu einer falschen Nachahmung derselben durch eine Papierzirkulation kommen. Der Gedanke allein, daß eine Notenbank eine Kontrolle über die Menge ihrer in Umlauf befindlichen Noten habe, ist völlig widersinnig. Eine Bank, die konvertible Noten herausbringt oder überhaupt Noten auf kommerzielle Sicherheiten vorschießt, hat weder die Macht, das Durchschnittsniveau der Zirkulation zu erhöhen, noch die Macht, es um eine einzige Note zu verringern. Eine Bank kann gewiß Noten in jeglicher Menge herausgeben, die ihre Kunden akzeptieren, doch wenn sie für die Zirkulation nicht gebraucht werden, so werden die Noten in Form von Depositen oder als Zahlung für Schulden, oder im Austausch für Metallgeld zu ihr zurückgelangen. Wenn andrerseits eine Bank beabsichtigte, ihre Notenausgabe willkürlich zu beschränken, würden ihre Depositen bis zu einer Summe abgezogen werden, die zur Auffüllung des Vakuums gebraucht wird, das in der Zirkulation entstanden ist. Somit hat eine Bank nicht die geringste Macht über den Umfang der Zirkulation, wie groß auch immer ihre Macht zum Mißbrauch des Kapitals anderer Leute sein mag. Obwohl das Bankwesen in Schottland vor 1845 praktisch unbeschränkt war und die Anzahl der Banken seit 1825 bedeutend zunahm, ist die Zirkulation zurückgegangen, und es kam nur I Pfd. St. (Papiergeld) auf den Kopf der Bevölkerung, während es in England 2 Pfd. St. pro Kopf waren, ungeachtet dessen, daß das gesamte in der Zirkulation befindliche Geld unter 5 Pfd. St. in England Metall und in Schottland Papier war.
Es ist eine Illusion, anzunehmen, daß der Betrag des zirkulierenden Geldes mit dem Betrag des Metallschatzes übereinstimmen muß. Wenn sich der Metallschatz in den Kellern einer Bank vermehrt, so versucht diese Bank gewiß ihre Zirkulation mit allen Mitteln zu vergrößern, doch, wie die Erfahrung lehrt, vergeblich. Der Metallschatz in der Bank von England vermehrte sich in den Jahren 1841 bis 1843 von 3 965 000 Pfd. St. auf 11 054000 Pfd. St., doch fiel seine Gesamtzirkulation von 35660000 Pfd. St. auf 34 049000 Pfd. St. So hatte die Bank von Frankreich am 25.März 1845 eine außergewöhnliche Zirkulation von 256000000 frs. mit einer Metallreserve von 234000000 frs., doch am 25.März 1846 betrug die Zirkulation 249404000 frs. mit einer Metallreserve von nur 9535000 frs. Eine nicht weniger falsche Annahme ist es, daß die innere Zirkulation im Falle eines Abflusses von Edelmetallen abnehmen muß. Zum Beispiel wurden gerade jetzt, wo der Abfluß der Edelmetalle weiter vor sich geht, 3000000 Dollar zur Münze gebracht und dem im Lande zirkulierenden Gelde hinzugefügt. Doch der Hauptfehler liegt in der Annahme, daß die Nachfrage nach Geldakkommodation, d. h. Kapitalanleihen, mit der Nachfrage nach zusätzlichen Zirkulationsmitteln gleichlaufen muß, als ob die größere Anzahl kommerzieller Transaktionen nicht durch Wechsel, Schecks, Buchkredite, Clearing-Houses1 und andere Kreditformen, die mit der sogenannten Zirkulation gar nicht zusammenhängen, getätigt würde. Es kann keine besseren Beweise für die Vorteile der Bankakkommodation geben als die Marktrate des Zinses und kein besseres Mittel, die Höhe der von einer Bank wirklich getätigten Geschäfte festzustellen als die Rückkehr der diskontierten Wechsel. Betrachten wir weiterhin die Dinge von zwei Seiten. Zwischen März und September 1845, als das fiktive Kapital durch das Spekulationsfieber seinen Höhepunkt erreicht hatte und das Land von allen möglichen Unternehmungen gewaltigen Ausmaßes überschwemmt wurde und der Zinsfuß nahezu 21/o% betrug, blieb der Banknotenumlauf beinahe unverändert, während zu einer späteren Zeit, im Jahre 1847, als der Zinsfuß 41/2% betrug, der Preis der Aktien seinen Tiefpunkt erreichte und sich überallhin eine Diskreditierung ausbreitete, die Zirkulation der Banknoten ihren Höhepunkt erreichte. Die Notenzirkulation der Bank von England betrug 21 152853 Pfd. St. am 17. April, 19998227 Pfd. St. am 15. Mai und 18943079 Pfd. St. am 2I.August 1847. Doch während dieser Rückgang in der Zirkulation vor sich ging, war die Marktrate des Zinses von 7 und 8 auf 5% gefallen. Seit dem
1 Verrechnungsstellen
21. August 1847 stiegen die Umlaufmittel von 18943079 Pfd.St. auf 21 265188 Pfd. St. am 23.Oktober. Zu gleicher Zeit stieg die Marktrate des Zinses von 5 auf 8%. Am 30. Oktober betrug die Zirkulation 21 764085 Pfd.St., der in Lombard-Street1 gezahlte Zins betrug 10%. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Bank v°n England Diskontowechsel Zirkulierende Noten 18. September 1846 12 323 816 Pfd. St. 20 922 232 Pfd. St. 5. April 1847 18 627 116 Pfd. St. 20815 234 Pfd. St.
Somit war die Bankakkommodation im April 1847 um 6000000Pfd. St. höher als im September 1846 und wurde mit einem geringeren Betrag zirkulierenden Geldes getätigt. Nach der Darlegung der allgemeinen Grundsätze von Peels Bank Act komme ich jetzt zu seinen praktischen Einzelheiten. Er setzt voraus, daß 14 000000 Pfd. St. in Banknoten das notwendige Minimum der Zirkulationssumme bilden. Alle über diese Summe hinausgehenden von der Bank von England herausgegebenen Noten müssen Metalldeckung haben. Sir Robert Peel glaubte, daß er ein selbstwirkendes Prinzip für die Banknotenemission entdeckt habe, das mit mechanischer Genauigkeit den Betrag der Zirkulation bestimme und das diesen in genau dem gleichen Verhältnis sich vermehren oder vermindern ließe, in der sich der Metallschatz vermehrt oder vermindert. Um diesen Grundsatz in die Praxis umzusetzen, wurde die Bank in zwei Departments geteilt, das Notenausgabe-Department und das BankDepartment. Das erstere eine reine Notenfabrik, das letztere die wirkliche Bank, welche die Depositen des Staates und des Publikums übernimmt, die Dividenden auszahlt, die Wechsel diskontiert, Darlehen gewährt und hauptsächlich Geschäfte mit dem Publikum nach den Grundsätzen jedes anderen Bankunternehmens tätigt. Das Ausgabe-Department übergibt seine Noten dem Bank-Department bis zu der Summe von 14 000 000 Pfd. St. plus die Summe des Metallschatzes in den Kellern der Bank. Das Bank-Department bringt diese Noten unter das Publikum. Die Menge Edelmetall, die erforderlich ist, um die über 14 000 000 Pfd. St. hinaus in Umlauf gesetzten Noten zu decken, bleibt im Ausgabe-Department, der Rest wird dem Bank-Department übergeben. Wenn die Summe des Metallschatzes unter die Summe des über 14000000 Pfd. St. hinaus zirkulierenden Geldes sinkt, werden die zum BankDepartment zur Löschung der Darlehen oder in Form von Depositen zurück
1 Straße im Zentrum Londons, Sitz zahlreicher Banken
kehrenden Noten nicht wieder ausgegeben oder ersetzt, sondern vernichtet. Wenn eine Zirkulationssumme 20 000000 Pfd. St. betrüge bei einer Metallreserve von 7000000 Pfd. St. und wenn weiterhin 1000000 Pfd. St. von der Bank abflössen, würde das Ausgabe-Department alles Edelmetall anfordern und nicht ein Sovereign würde im Bank-Department verbleiben. Nun wird jedermann verstehen, daß diese ganze Maschinerie einerseits illusorischen und andererseits höchst gefährlichen Charakters ist. Nehmen wir z. B. den Bankausweis in der „Gazette"12611 vom vergangenen Freitag. Dort findet man unter der Rubrik des Ausgabe-Departments die Summe der in Umlauf befindlichen Noten mit 30 531 650 Pfd. St., d.h. 14 000000 Pfd. St. + 16 531650 Pfd. St. - wobei die letztere Summe der Metallreserve der letzten Woche entspricht. Doch wenn wir uns der Rubrik Bank-Department zuwenden, findet man 7 755345 Pfd. St. in Noten in seinen Aktiva. Das ist jener Teil der 30531 650 Pfd. St., der vom Publikum nicht akzeptiert wurde. So bestimmt das selbstwirkende Prinzip nur, daß die 30 531 650 Pfd. St. in Noten vom Ausgabe-Department auf das Bank-Department übertragen werden. Aber dort bleiben sie. Sobald das Bank-Department mit dem Publikum in Berührung kommt, wird die Zirkulationssumme nicht durch den Peel Act, sondern durch die Geschäftsbedürfnisse reguliert. Demzufolge erstreckt sich die Wirksamkeit des selbstwirkenden Prinzips nicht über die Keller des Bankgebäudes hinaus. Andererseits gibt es Momente, da die Bank von England, durch ihre außergewöhnliche Position, einen wirklichen Einfluß nicht nur auf den englischen Handel, sondern auf den Welthandel ausübt. Das geschieht in Zeiten einer allgemeinen Diskreditierung. In solchen Momenten kann in Übereinstimmung mit dem Peel Act die Bank durch eine Erhöhung ihres Minimalzinsfußes entsprechend dem Abfluß von Edelmetallen, und indem sie Akkommodation verweigert, die Staatspapiere herabsetzen, die Preise aller Waren senken und die Gefahren einer Geschäftskrise gewaltig vergrößern. Sie kann, um dem Abfluß des Edelmetalls Einhalt zu gebieten und die Wechselkurse zu verändern, jede Geschäftsstockung zu einer Gefahr für die Geldzirkulation werden lassen. Und so hat die Bank von England gehandelt und war 1847 durch den Peel Act gezwungen, so zu handeln. Das ist jedoch nicht alles. Für jedes Bankunternehmen stellt nicht die Menge der zirkulierenden Noten die schwersten Verpflichtungen dar, sondern die Menge an Noten und Metallen in deposito. Die Banken von Holland hatten z. B. vor 1845, wie Herr Anderson vor einem Ausschuß des Unterhauses erklärte, 30 000000 Pfd. St. in deposito und nur 3 000000 Pfd. St. in der Zirkulation,
„In allen Geschäftskrisen", sagte Herr Alex. Baring, „z.B. 1825, waren nicht die Forderungen der Banknoteninhaber sondern die der Depositäre am schrecklichsten.
Während nun der Peel Act die Edelmetallmenge reguliert, die zur Konvertierung von Banknoten in Reserve gehalten wird, überläßt er den Direktoren die Macht, mit den Depositen nach ihrem Wunsch zu verfahren. Ja, noch mehr. Dieselben Bestimmungen dieses Acts können, wie ich gezeigt habe, das Bank-Department zwingen, die Auszahlung der Depositen und Dividenden einzustellen, während Edelmetalle jeder Menge in den Kellern des Ausgabe-Departments liegen können. So geschah es tatsächlich 1847. Obwohl das Ausgabe-Department noch im Besitz von 61 000000 Pfd. St. Edelmetallen war, wurde das Bank-Department nur durch das Eingreifen der Regierung, die auf ihre Verantwortung den Peel Act am 25. Oktober 1847 suspendierte, vor dem Bankrott gerettet. So war es das Ergebnis des Peel Acts, daß die Bank von England ihren Zinsfuß wahrend der Krise von 1847 dreizehnmal und während der Krise von 1825 nur zweimal geändert hatte; daß er inmitten der wirklichen Krise im April und Oktober 1847 eine Reihe von Geldpaniken verursachte und daß das Bank-Department zum Aufgeben gezwungen gewesen wäre, wenn nicht der Act selbst aufgegeben worden wäre. Es kann deshalb kein Zweifel darüber bestehen, daß der Peel Act die Umstände und die Härte der herannahenden Krise verschärfen wird.
Aus dem Englischen.
Karl Marx
Politische Schachzüge - Brotknappheit in Europa
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3886 vom 30. September 1853] London, Dienstag, 13. September 1853 Die „Sunday Times"[2B2] veröffentlichte in ihrer letzten Nummer eine Depesche, die Lord Clarendon als Antwort auf die Note Graf Nesselrodes vom 2. Juli an Sir H.Seymour richtete. Diese Depesche trägt das Datum vom 16. Juli. Sie ist lediglich eine Kopie der Antwort des Herrn Drouyn de Lhuys. Ein Korrespondent des „Leader"[21fi] vom vergangenen Sonnabend drückt sich in der folgenden geistreichen Art über den „Antagonismus" zwischen Lord Aberdeen und Palmerston aus:
„Lord Aberdeen konnte Lord Palmerstons Heuchelei niemals verstehen; er verstand nie, daß Lord Palmerston infolge dieser Heuchelei immer in der Lage War, die russophile Politik, unbehindert zu fördern, besser sogar als Lord Aberdeen selbst... Lord Palmerston verhüllt Zynismus durch Kompromiß... Lord Aberdeen tat, was Lord Palmerston nicht getan hat; er sprach seine Uberzeugung aus... Lord Palmerston sieht die Nützlichkeit, aber Lord Aberdeen sieht nicht die Nützlichkeit, über Intervention zu reden, während Nicht-Intervention betrieben wird... Lord Aberdeen, durch seine Bekanntschaft mit den herrschenden Klassen damit vertraut, wie man Sitze erlangt und Wähler kauft, hält die britische Verfassung nicht fUr die vollkommenste Institution der menschlichen Gesellschaft, und da er vermutet, daß die Bevölkerung des europäischen Kontinents nicht liebenswerter oder hassenswerter ist als die Bevölkerung Großbritanniens, sieht er davon ab, kontinentalen Regierungen nahezulegen, wie wünschenswert es sei, einen väterlichen Despotismus zugunsten einer Selbstverwaltung der herrschenden Klassen abzuschaffen... Lord Aberdeen sieht, daß Großbritannien eine Macht ist, die durch Unterwerfung anderer Nationen geschaffen wurde, und er verabscheut eine Außenpolitik, die von freundschaftlichen Gefühlen für kämpfende Nationalitäten getragen ist... Lord Aberdeen sieht keinen Grund dafür, warum England, das Indien erobert und ausgeplündert hat und Indien zum Nutzen Indiens unterdrückt, sich als ein Hasser des Zaren Nikolaus ausgeben sollte, der in Rußland ein guter Despot ist
und Polen zum offensichtlichen Nutzen Polens unterdrückt. Lord Aberdeen sieht keinen Grund dafür, warum England, das verschiedene Aufstände in Irland niedergeschlagen hat, Österreich deshalb fanatisch hassen sollte, weil es Ungarn unterdrückt. Und da er weiß, daß Irland von England eine fremde Kirche aufgezwungen wird, versteht er den Eifer des Papstes, Kardinal Wiseman in Westminster einzusetzen. Er weiß, daß wir Kaffernkriege gehabt haben, und er halt daher Nikolaus nicht für einen Schurken, weil er seine Armee mit großen Verlusten gegen die Tscherkessen einsetzte. Er weiß, daß wir von Zeit zu Zeit rebellierende Mitchells und O'Briens nach VandiemensIand senden, und er empfindet keinen Abscheu, weil Louis-Napoleon ein Cayenne unterhält. Und wenn er an die neapolitanische Regierung über sizilianische Affären zu schreiben hat, verfällt er nicht in ekstatischen Liberalismus, da er dessen eingedenk ist, daß Großbritannien einen Vizekonsul in Korfu hat... Es ist ein glückliches Arrangement: eine Koalitionsregierung mit Lord Palmerston, dazu bestimmt, die BermondseyPolitik in Worten zu vertreten, während Lord Aberdeen die russophile Politik in der Tat ausübt."
Als Beweis dafür, daß ich das Heldentum der Schweiz1 nicht unterschätzt habe, darf ich einen Brief anführen, den ihr Bundesrat an die Regierung des Kantons Tessin adressiert hat, in dem es heißt, daß
„die Kapuzinerfraget253] eine rein kantonale Angelegenheit sei und daß demzufolge der Kanton Tessin zu entscheiden habe, ob es besser für ihn sei, Widerstand zu leisten und länger die harten Maßnahmen Österreichs zu dulden oder aber der Regierung Angebote zum Wiederanknüpfen von Unterhandlungen zu machen".
So stellt es sich also heraus, daß der Schweizer Bundesrat versucht, aus seinem Streit mit Österreich eine simple kantonale Angelegenheit zu machen. Derselbe Rat hat gerade die Ausweisung der Italiener Clement!, Cassola und Grillanzoni befohlen, nachdem sie das Geschworenengericht in Chur von der Anklage freigesprochen hatte, den Mailänder Aufstand[23] durch den Transport von Waffen über die Tessiner Grenze unterstützt zu haben. Die britische Unterstützung für den Tempel Dschagannaths11891 scheint noch nicht völlig abgeschafft worden zu sein. Am 5.Mai 1852 wurde die folgende Depesche vom Direktorium an den Gouverneur von Indien gesandt:
„Wir halten an unserer Meinung fest, daß es wünschenswert ist, die britische Regierung endgültig von allen Verbindungen mit dem Tempel zu lösen, und wir ermächtigen Sie daher, entsprechende Maßnahmen durch die Aufhebung aller periodischen Zuwendungen zu treffen, an deren Stelle eine Abschlußzahlung in Form einer Abfindung an solche Personen geleistet werden könnte, die bei einer großzügigen Aus
legung der in der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen und getroffenen Abmachungen ein Recht auf solche Entschädigungen haben mögen." Jedoch hatte die Regierung Indiens bis zum 11. April 1853 nichts unternommen; zu dieser Zeit wurde die Angelegenheit immer noch erwogen. Die von der Regierung durchgeführte Untersuchung der an den Gefangenen im Birminghamer Gefängnis verübten Grausamkeiten, Grausamkeiten, die einige zum Selbstmord und andere zu Selbstmordversuchen getrieben haben, hat eine Woche in Anspruch genommen. Während wir einerseits über die zu Tage getretenen Greueltaten bestürzt sind, die von den im Österreichischen oder neapolitanischen carcere duro1 verübten nicht übertroffen werden, sind wir andererseits überrascht von der gefügigen Nach-' giebigkeit der das Gefängnis inspizierenden Beamten gegenüber den Darstellungen, die ihnen von interessierter Seite gemacht wurden, und von ihrer völligen Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern. Ihre Sorge um den barbarischen Kerkermeister ging so weit, daß sie ihn regelmäßig von ihren bevorstehenden Besuchen in Kenntnis setzten. Der Hauptschuldige, Leutnant Austin, ist die Personifizierung solcher Typen, die Carlyle in seinen „Model Prisons"[254] als die wirklichen Anführer der Pauper und Verbrecher bezeichnete. Eines der Tagesgespräche ist die Eisenbahn~Moralität. Die Direktion der Yorkshire and Lancashire Railway verkündet auf ihren Fahrscheinen, daß,
„welcher Unfall auch immer passieren, welche Verletzung auch immer durch eigene Nachlässigkeit der Reisenden oder durch deren Bedienstete vorkommen mag, die Direktion sich als jeder rechtlichen Verantwortung enthoben betrachtet".
Trotzdem standen die Direktoren der Birmingham and Shrewsbury Railway am Sonnabend vor dem Gericht des Vizekanzlers, weil sie ihre eigenen Aktionäre betrogen haben. Zwischen der Great Western und der North-Western Railway besteht Rivalität, wer von ihnen sich die oben erwähnte Linie einverleiben soll. Da die Mehrheit der Aktionäre für eine Vereinigung mit der North-Western und die Direktoren für die Verschmelzung mit der Great Western sind, beschlossen die letzteren, eine bestimmte Anzahl der ihnen zu treuen Händen anvertrauten Aktien der Gesellschaft zu benutzen, um fiktive Stimmen zu erhalten. Zu diesem Zweck wurden die Aktien an eine Reihe nomineller Aktionäre ausgegeben - in einigen Fällen allem Anschein nach ohne Wissen der entsprechenden Personen, deren Namen einfach benutzt wurden; in einem Fall war es sogar ein Kind von
1 strengen Kerker
neun Jahren - welche die Aktien gar nicht bezahlt hatten, sondern sie in die Hände der Direktoren zurückgaben und diese kraft ihres nominellen Aktienbesitzes mit einer gewissen Anzahl zusätzlichen Stimmen versahen, um eine Mehrheit zugunsten der Verschmelzung mit der Great Western zu sichern. Der gelehrte Richter bemerkte, daß man sich „etwas Abscheulicheres oder Widerwärtigeres kaum vorstellen könne, wobei die Art der Ausführung des Plans noch widerwärtiger wäre". Mit dieser tadelnden Bemerkung entließ er, wie es unter den Bourgeois üblich ist, die Schuldigen, während ein armer Teufel von Proletarier gewiß sein kann, wegen eines Diebstahls von mehr als 5 Pfund deportiert zu werden. Es ist kurios zu beobachten, wie die britische Öffentlichkeit ihre Entrüstung abwechselnd gegen die Moralität der Fabrikbesitzer, dann gegen die Grubenbesitzer, dann gegen die kleinen Händler mit verfälschten Drogen und jetzt gegen die Eisenbahnbesitzer richtet, welche die aus der Mode gekommenen Straßenräuber verdrängt haben, kurz, gegen die Moralität jeder Klasse von Kapitalisten. Im ganzen genommen könnte es scheinen, daß das Kapital eine besondere, ihm eigene Moralität besitzt, eine Art höheren Gesetzes der raison d'etat1, während man die gewöhnliche Moral für eine Sache hält, die gerade gut genug für die armen Leute ist. Die ManchesterPalmerston-Reformer scheinen in einer hübschen Klemme zu sein. Die Wahlenthüllungen der letzten Parlamentssession betrafen fast ausschließlich städtische Wahlbezirke und sogar die großen wie Hull, Liverpool, Cambridge und Canterbury. Der liberale Wahlagent, Herr Coppock, gestand in einem Anfall von Wahrheitsliebe: „Was St. Albans war, das sind heute alle anderen städtischen Wahlbezirke." Jetzt denkt die Oligarchie darüber nach, wie sie diese Enthüllungen ausnutzen kann, um eine Reform zugunsten der ländlichen Wahlbezirke und auf Kosten der städtischen Wahlbezirke zu bewirken. Die Manchester Reformer, die keine allgemeine Ausdehnung des Wahlrechts, sondern nur eine innerhalb der Grenzen der städtischen Wahlbezirke wünschen, sind natürlich über einen derartigen Vorschlag verblüfft. Es ist erbärmlich anzusehen, wie ihr Organ, „The Daily NewsM[28], sich um einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit bemüht. Am M.Januar 1846 wurde der Zinsfuß der Bank von England auf 3^2% und am 2I.Januar 1846 auf 4% erhöht; der Zinsfuß stieg erst im April 1847 auf 5%; doch es ist bekannt, daß in den letzten drei Wochen des April 1847 beinahe alle Kreditgeschäfte zum Stillstand gekommen waren. Im Jahre 1853 war die Aufwärtsbewegung des Zinsfußes der Bank von England weitaus
1 Slaaisrücfysichten
schneller. Von 2%, die er damals, am 24. April 1852, betrug, stieg er auf 2Va% am 8. Januar 1853, auf 3% am 22. desselben Monats, auf 3x/a% am 4. Juni, auf 4% am 1. September, und bereits jetzt gehen in der City Gerüchte um, daß er in Kürze auf 5% steigen wird. Im November 1846 war der Durchschnittspreis für Weizen 56 sh. und 9d. per Quarter; in den letzten Wochen des August 1853 hatte er 65 bis 66 sh, erreicht. Die Bank von England hatte in ihren Kellern
in der gleichen Periode des Vorjahrs 21852000 Pfd. St. jetzt sind es nur 16500068 „ „ die Differenz beträgt 5 351932 Pfd. St.
Der Edelmetallvorrat fiel in der vorletzten Woche um 208875 Pfd. St. und in der vergangenen Woche um 462852 Pfd. St. Das hatte eine unmittelbare Wirkung auf die Preise an der Börse, jede Art von Wertpapier sank im Preis. In dem Finanzartikel der „Times"f26* vom vergangenen Mittwoch lesen wir:
„Ungeachtet der Depression an der Börse, blieben die Schatzkammerscheine bei 2% Diskonto mit 1 % Prämie, doch herrscht der Eindruck, daß der Schatzkanzler den Ankauf auf Rechnung der Regierung veranlaßt, um den Preis zu halten, und da nicht sofort Mittel für diesen Zweck vorhanden waren, wurden dreiprozentige Wertpapiere, die auf den Konten von Sparkassen standen, verkauft."
Das wäre ein Meisterstück des Herrn Gladstone: Konsols zu niedrigen Preisen zu verkaufen und Schatzkammerscheine zu einem hohen Preis einzukaufen; einen Verlust in Höhe des halben Einkommens der dreiprozentigen Wertpapiere zu verursachen, indem er sie in Schatzkammerscheine umwandelt, die kaum mehr als lx/a% Zinsen tragen. Wie können wir einen ungünstigen Wechselkurs oder den Abfluß von Edelmetallen mit dem unerhörten Ansteigen des britischen Exports in Einklang bringen, der Ende dieses Jahres selbst den Export von 1852 um 16000000 Pfd. St. übersteigen wird?
„Da wir für den Export unserer Waren der ganzen Welt Kredite geben und für unsere Importe bares Geld zahlen, muß die ungewöhnliche Ausweitung unseres Handels unweigerlich einmal zu einer für uns ungünstigen Zahlungsbilanz führen; all dieses bare Geld wird jedoch zu uns zurückkehren, wenn der Kredit für unsere Exporte abgelaufen ist und dafür Rimessen geleistet werden müssen."
So sagt der „Economist"t22]. Nach dieser Theorie muß der Wechselkurs, wenn die Exporte des Jahres 1854 die des Jahres 1853 übersteigen sollten, weiterhin für England ungünstig sein und wäre eine Handelskrise der einzige
Weg des Ausgleichs. Der „Economist" glaubt, daß Katastrophen wie die vom Jahre 1847 nicht in Frage kommen, da heute keine so großen Kapitalien in Eisenbahnen usw. festgelegt wurden wie damals. Er vergißt, daß die Kapitalien in Fabriken, Schiffe usw. angelegt worden sind. Auf der anderen Seite beklagt der „Observer"[101] die „sinnlosen Investierungen in ausländische Eisenbahnen und andere Gesellschaften von sehr zweifelhaftem und verdächtigem Charakter". Der „Economist" glaubt, daß der hohe Kornpreis den ausgedehnten Handelsoperationen, soweit sie Europa betreffen, einen heilsamen Einhalt gebieten wird, doch daß Amerika und Australien usw. sicher sind. Die „Times" behauptet zur gleichen Zeit, daß die Gespanntheit auf dem New Yorker Geldmarkt den amerikanischen Operationen einen heilsamen Einhalt gebieten wird.
„Wir dürfen nicht auf dieselbe Menge Bestellungen aus den Vereinigten Staaten rechnen wie bisher", ruft der „Leader"[216).
Verbleibt Australien. Hierzu bemerkt der „Observer":
„Die Exporte sind unsinnig vorangetrieben worden. Für die 74000 Tonnen Schiffsladungen, die jetzt für die südlichen Kolonien in London deklariert worden sind, werden die ungünstigen Meldungen, die wir von Adelaide, Melbourne usw. erhalten haben, ihre Bestätigung finden. Es kann nicht bestritten werden, daß die gegenwärtigen Aussichten nicht vielversprechend sind."
Was den chinesischen Markt betrifft, so sind sich alle Berichte in dem Punkt einig, daß eine große Bereitwilligkeit zum Verkauf, aber ein ebenso großes Widerstreben beim Einkauf besteht, daß die Edelmetalle gehortet werden und eine Änderung dieser Sachlage nicht in Frage kommt, solange die revolutionäre Bewegung in diesem Riesenreich nicht ihr Ziel erreicht hat. Und der innere Markt?
„Eine große Zahl der Maschinenweber in Manchester und Umgebung sind dem Bei-, spiel Stockports gefolgt und sind für eine zehnprozentige Lohnerhöhung in den Streik getreten... Die Fabrikarbeiter werden wahrscheinlich vor Ende des Winters herausfinden, daß es nicht um die Frage geht, ob eine Lohnerhöhung von 10% zugestanden wird, sondern ob die Fabrikherren erlauben werden, daß die Arbeit zu den bisherigen Lohnsätzen wieder aufgenommen wird."
Mit diesen unmißverständlichen Worten deutet der „Morning Chronicle"t29] den bevorstehenden Rückgang des Binnenmarktes an. Ich habe wiederholt auf die gewaltige Erweiterung der alten Fabriken und die bisher noch nicht dagewesene schnelle Errichtung neuer Betriebe hingewiesen. Ich habe Ihnen von einigen neuerrichteten Betrieben berichtet,
die gleichsam ganze Fabrikstädte bilden. Ich erklärte, daß zu keiner früheren Epoche ein so großer Teil des flüssigen Kapitals, das während der Periode der Prosperität akkumuliert wurde, direkt für Fabrikationszwecke[255J angelegt wurde. Beachten wir also diese Fakten einerseits und die Symptome der überfüllten Märkte im In- und Auslande andrerseits; denken wir auch daran, daß ein ungünstiger Wechselkurs das sicherste Mittel ist, unüberlegt Überexporte nach ausländischen Märkten vorzunehmen. Doch es ist die schlechte Ernte, die vor allem die lange angesammelten Elemente einer großen kommerziellen und industriellen Krise zum Ausbruch bringen wird. Jedes andere Produkt hemmt, wenn verteuert, seine eigene Nachfrage; Getreide jedoch ist, wenn sein Preis steigt, nur noch eifriger gefragt, wobei es bei allen anderen Waren ein Sinken der Preise auslöst. Das zivilisierteste Volk muß, ebenso wie der unentwickeltste Wilde, erst seine Nahrung besorgen, bevor es daran denken kann, irgend etwas anderes zu besorgen; und das Anwachsen des Reichtums und das Fortschreiten der Zivilisation gehen gewöhnlich in demselben Maße vonstatten, in dem sich die Arbeit und die Kosten für die Herstellung der Nahrungsmittel verringern. Eine allgemein schlechte Ernte bewirkt an sich eine allgemeine Schrumpfung der Märkte im In- und Ausland. Nun ist die gegenwärtige Ernte in dem südlichen Teil Europas, in Italien, Frankreich, Belgien und Rheinpreußen, zumindest ebenso unzulänglich, wie sie es in den Jahren 1846/1847 war; auch im Nordwesten und Nordosten ist sie keineswegs vielversprechend. Was England betrifft, so erklärt der „MarkLaneExpress"[266], dieser „Moniteur"1 der Londoner Getreidebörse, in seiner Ausgabe von vergangener Woche:
„Daß die Weizenernte im Vereinigten Königreich die geringste seit vielen Jahren sein wird, steht außer Frage. Der durchschnittliche Ertrag wird in beinahe allen Teilen des Königreichs in erheblichem Maße ein geringer sein, wobei unabhängig davon bedacht werden muß, daß wegen des ungünstigen Wetters zur Zeit der Aussaat wenigstens ein Viertel weniger Land als gewöhnlich bebaut wurde." Diese Lage wird nicht durch die Illusion gelindert, daß kommerzielle Erschütterungen, industrielle Überproduktion und schlechte Ernten gleichzeitig durch den Freihandel beseitigt worden seien. Im Gegenteil.
„Die Farmer", bemerkt derselbe „Mark Lane Express", „können sich noch keinen Mangel beim Freihandel vorstellen. Daher sind nur wenige darauf eingestellt, große Lagervorräte zu halten. Wenn wir demnach genötigt sein sollten, große Importe zu tätigen, so besteht die Möglichkeit, daßwirdieLebensmittel teuer bezahlen müssen."
1 „Anzeiger" — Anspielung auf die damals in Paris erscheinende Regierungszeitung gleichen Namens
Der gestrige „Mark Lane Express" fügt hinzu:
„Es ist immer noch ein so großer Teil der Ernte auf dem Felde, daß der Wetterzustand der nächsten Wochen großen Einfluß auf den Handel haben wird. Die Qualität des auf den Feldern der Witterung ausgesetzten Getreides hat bereits durch die letzten Regenfälle gelitten, und ein Andauern der Nässe könnte großes Unheil anrichten... Das schließliche Ergebnis der Ernte droht weniger befriedigend zu sein, als es vor ein oder zwei Wochen schien... Die Berichte über Kartoffeln, die uns in den letzten Tagen erreichten, sind ungünstiger als diejenigen, die wir früher erhielten... Trotz der enorm großen Lieferungen aus dem Ausland während der letzten Woche (88833 Quarters) war die Wirkung auf die Preise nur gering; der Rückgang vom Höchststand war nicht größer als 1 bis 2 sh. für ein Quarter... Das wahrscheinliche Ergebnis der Ernte in den Ostseeländern ist im ganzen unbefriedigend... Nach den letzten Meldungen lag Weizen bei 60 sh. frei Hafen in Danzig, bei 56 sh. 9 d. in Königsberg, 54 sh. in Stettin, 58 sh. in Rostock."
Wie 1847 zeichnen sich bereits die Folgen der Teuerung am politischen Horizont ab. In Neapel ist es der Stadtverwaltung nicht möglich, die Arbeiter mit öffentlichen Arbeiten zu beschäftigen, und das Schatzamt kann den Staatsbeamten nicht ihre Gehälter zahlen. Im Kirchenstaat - in Tolentino, Terni, Ravenna und Trastevere - sind Lebensmittelkrawalle ausgebrochen, die in keiner Weise durch die kürzlichen Verhaftungen, die Invasion der Österreicher und die Drohung mit der Prügelstrafe besänftigt wurden. Die politischen Folgen der Teuerung und der industriellen Stagnation in der Lombardei werden nicht durch die von Graf Strassoldo zusätzlich erhobene Steuer von 6V2 Kreuzern pro Florin behoben, die am 20. September und 10. Oktober dieses Jahres zu zahlen ist und allen Zahlern von direkten Steuern, einschließlich der Einkommen- und Gehaltssteuer, auferlegt wird. Die allgemeine Notlage Österreichs kommt darin zum Ausdruck, daß es nach einer neuen Anleihe trachtet, die es, wie gewöhnlich, mit der Behauptung auf den Markt bringt, das Geld werde nur zur Verminderung seiner Armee benötigt. Auf die fieberhafte Unruhe der französischen Regierung kann man aus ihren falschen Ernteberichten, der ungerechten Akzise auf Brot in Paris und ihren ungeheuren Getreideeinkäufen auf allen Märkten schließen. Die Provinz ist unzufrieden, weil Bonaparte Paris auf ihre Kosten füttert; die Bourgeoisie ist unzufrieden, weil er zugunsten der Proletarier in den Handel eingreift; die Proletarier sind unzufrieden, weil er den Soldaten in einem Augenblick, da Bauern und Arbeiter von der Aussicht bedroht sind, überhaupt kein Brot zu bekommen, Weißbrot statt Schwarzbrot gibt; schließlich sind die Soldaten unzufrieden wegen der demütigenden, antinationalen Haltung Frankreichs in der orientalischen Frage. In Belgien gaben mehrere Lebensmittelunruhen
das Echo auf die törichten Festlichkeiten, welche die Coburger an die Österreichische Erzherzogin verschwendeten. In Preußen ist die Furcht der Regierung so groß, daß zum Schein mehrere Getreidemakler verhaftet und der Rest zum Polizeipräsidenten gerufen wurde, der sie „ersuchte", zu „ehrlichen" Preisen zu verkaufen. Ich schließe, indem ich wiederum meine Meinung zum Ausdruck bringe, daß weder die Deklamationen der Demagogen noch das Geschwätz der Diplomaten die Dinge zur Krise treiben werden, sondern daß wirtschaftliches Unheil und soziale Erschütterungen herannahen, welche die sicheren Vorboten der europäischen Revolution sind. Seit 1849 hat die kommerzielle und industrielle Prosperität für die Konterrevolution das Ruhelager bereitet, auf dem sich diese ungestört ausruhen konnte. Karl Marx
Aus dem Englischen.
Karl Marx
[Die West mächte und die Türkei - Die herannahende Wirtschaftskrise - Eisenbahnbau in Indien]
[„New-York Daily Tribüne" Nr. 3889 vom 4. Oktober 1853] London, Dienstag, 20. September 1853 In meinem Artikel vom 19. Juli sagte ich: „Die Westmächte ermutigen am Anfang stets den Sultan, sich dem Zaren, dessen Übergriffe sie fürchten, zu widersetzen, um ihn am Ende zum Nachgeben zu zwingen, aus Furcht vor einem allgemeinen Kriege, der zu einer allgemeinen Revolution führen könnte."1 Jetzt, in diesem Augenblick, ist die Kraft der vereinten Flotten zum Einsatz für Rußland gegen die Türkei bestimmt. Wenn die englisch-französische Flotte überhaupt in die Dardanellen einfährt, so nicht, um Sewastopol zu bombardieren, sondern um die Muselmanen, die den Sultan davon abhalten könnten, die Wiener Note bedingungslos anzunehmen, gefügig zu machen. „Am 13.siptember", sagt D. Urquhart, „trafen sich die vier Außenminister2 in aller Stille in Downing Streetf102] und beschlossen, eine Anweisung nach Konstantinopel zu senden, die die Pforte dazu zwingt, die auf der europäischen Konferenz beschlossenen Modifikationen zurückzuziehen. Damit nicht genug, haben sie für den Fall, daß der Sultan nicht in der Lage sein sollte, der Erbitterung seines Volkes zu widerstehen, dem Geschwader1 den Befehl erteilt, in die Gewässer des Bosporus vorzurücken, um ihm gegen seine Untertanen beizustehen. Und damit noch nicht genug, haben sie auch Omer Pascha Befehle erteilt, die ihm verbieten, in dem Gebiet seines Herrschers von einer Provinz irt die andere zu reisen. Also haben sie mit der Rebellion als Folge ihrer Depesche gerechnet und die Mittel bereitgestellt, sie niederzuwerfen. Diese Mittel sind das alliierte Geschwader." t257J Die Sonntagsausgabe des „Journal des Debats"[105] war es, durch die die englische Öffentlichkeit mit diesen Nachrichten bekannt gemacht wurde. Das
1 Siehe vorl. Band, S. 215 - 2 der damalige Außenminister Englands, Lord Clarendon, sowie die vor ihm amtierenden Außenminister Aberdeen, Palmerston und Russell
21 Marx/Engels, Werke, Bd. 9
„Journal des D6bats" berichtet, daß Herr Reeve, der London am 13. d. M. mit Depeschen für Lord Stratford de Redcliffe verlassen hatte, am 14. morgens in Paris ankam, das er abends verließ, nachdem er der französischen Regierung den Tenor seiner Instruktionen übermittelt hatte; diesen Instruktionen gemäß soll der englische Botschafter die völlige Zustimmung der Pforte zu den Wiener Vorschlägen sowie die Zurücknahme ihrer Modifikationen vom 19. August verlangen. Er soll der Pforte mit dem Entzug der Unterstützung der vier Mächte drohen, wenn aus ihrer Weigerung, nachzugeben, ein Krieg entstehen sollte, und ihr die Unterstützung der französischen und englischen Flotte anbieten, um etwaige Aufstände, die als Antwort auf die Annahme der Wiener Note durch die Pforte in Konstantinopel ausbrechen könnten, niederzuschlagen und um gegen Omer Pascha vorzugehen, wenn er es wagen sollte, den Befehlen der Pforte zuwiderzuhandeln. Vor dem Eintreffen des „Journal des Debats" wurde uns berichtet, daß die Wiener Konferenz nach Erhalt der kaiserlichen Ablehnung dem Sultan vorgeschlagen hatte, seine Worte zurückzunehmen, die Note zu unterschreiben, deren Unterzeichnung er verweigert hatte, und sich mit der Versicherung zufriedenzugeben, daß die Konferenz die Note stets in einer auch dem Sultan genehmen Weise auslegen werde. Die „Times"[261 vermeidet es, von den kompromittierenden Enthüllungen des „Journal des Debats" zu sprechen. Ebenso verhalten sich der „Morning Chronicle"1291, die „Morning Post"1273 und die ganze regierungstreue Londoner Presse. Gleichzeitig klagt die „Morning Post" den Fanatismus des Mobs von Konstantinopel an. Der „Morning Chronicle" regt seine stumpfsinnigen Leser durch romantische Beschreibungen der wilden und undisziplinierten asiatischenl Horden auf, welche die europäische Türkei überschwemmen und Omer Paschas Armee auffüllen; der brave „Globe"[1251 veröffentlicht Tag für Tag sorgfältig gewählte Auszüge aus der auf den Frieden spekulierenden Presse der Manchesterschule, und so werden die respektablen Klassen Englands zu gegebener Zeit darauf vorbereitet sein, „das Heidentum zu vernichten ' und mit Fürst Gortschakow zu rufen: „Es lebe der Zar! Lang lebe der Gott der Russen!" In ihrer heutigen Nummer entdeckt die „Times", daß „die türkische Frage zu einem bloßen Streit um Worte geworden sei". Der aus diesen Worten zu ziehende Schluß ist, daß der Sultan, der bloßer Worte wegen den Frieden der Welt gefährden will, mit Gewalt durch die nüchterner denkenden Palmerstons und Aberdeens zur Vernunft gebracht werden muß. Die „Times" erzählt uns, daß der Zar dem Sultan ungerechtfertigte Forderungen gestellt habe, die dieser ablehnte; daraufhin habe der Zar die Donaufürstentümer an sich gerissen, hätten England und Frankreich ihre Flotten in die Besikabai
geschickt und seien die Vertreter dieser Mächte in Wien mit Vertretern Österreichs und Preußens zusammengetroffen. \ Warum trafen sie mit ihnen in Wien zusammen? Im Interesse der Türkei, sagt die „Times".
„Nicht nur, daß kein Wunsch bestehen konnte, die ottomanische Regierung zu zwingen, es gab auch keine Veranlassung für eine solche Handlungsweise."
Wenn nun jetzt auf selten der vier Mächte der Wunsch besteht, die ottomanische Regierung zu zwingen, so einfach deshalb, weil „jetzt" eine Veranlassung für „eine derartige Handlungsweise besteht". Wäre es also falsch anzunehmen, daß das einzige und hauptsächliche Ziel der Wiener Konferenz und der Einmischung von Palmerston und Aberdeen das Herbeiführen einer derartigen Veranlassung gewesen sei, daß sie nur ein Schauspiel des Widerstandes gegen Rußland gegeben haben, um einen Vorwand zu erhalten, die Türkei zu zwingen, sich Rußland zu unterwerfen?
„Die Forderungen Rußlands", fährt die „Times" fort, „wurden von den anderen Großmächten als ungerechtfertigt angesehen, unvereinbar mit den souveränen Rechten des Sultans",
und deshalb verfaßten die Großmächte eine Note, die der Sultan dem Zaren überreichen sollte und in der alle Wünsche des Zaren und sogar noch etwas mehr sanktioniert werden sollten.
„Die Formulierungen dieses Dokuments", sagt die „Times", „könnten Anlaß zu Mißverständnissen geben, doch zwei Punkte waren unanfechtbar klar: erstens, daß die vier Mächte beabsichtigten, die territorialen und administrativen Rechte der Pforte zu wahren, und zweitens, daß sie im Falle einer Auseinandersetzung an diese Absichten gebunden gewesen wären"
Warum sollte der Sultan nicht eine Note unterzeichnen, die seinen souveränen Rechten abträglich ist, und das Protektorat über 12 Millionen seiner Untertanen der Kontrolle des russischen Autokraten ausliefern, wenn er sich durch die guten „Absichten" der vier Mächte und durch ihre Gebundenheit an diese verborgenen „guten Absichten'' im Falle einer Auseinandersetzung unterstützt fühlt? Der Sultan hatte sich schon davon überzeugen können, daß die vier Mächte sich weder an das Völkerrecht noch an klare Verträge gebunden fühlen, um ihn, den Sultan, im Falle einer Auseinandersetzung mit Rußland, zu verteidigen; warum sollte er dann ihrem Mut nicht vertrauen, wenn eine Auseinandersetzung durch eine Note entstehen sollte, die Rußland offene Ansprüche und der Türkei „verborgene Absichten" zuspricht?
„Nehmen wir", sagt die „Times", „den extremen Fall an, daß sich der Zar nach der pure et simple1 Annahme der ursprünglichen Wiener Note jener Möglichkeiten bedient hätte, die sie ihm eigentlich bieten sollte."
Was dann?
„Der Sultan hätte protestiert, und dieser Fall wäre durch die Anwendung des Vergleichs vom Jahre 1853 eingetreten."
Als ob nicht ein solcher Fall schon durch die Anwendung des Vergleichs der Jahre 1840 und 1841 eingetreten wäre, durch den Vertrag von BaltaLimant258] und die Verletzung des Völkerrechtes, die selbst Lord Clarendon ein „Piratenstück" genannt hatte!
„Die Doppelsinnigkeit", sagt die „Times", „hätte lediglich den russischen Kaiser irregeführt." Genauso wie ihn der Vertrag vom Jahre 1841 „irregeführt hatte", die vereinigten Flotten von den Dardanellen fernzuhalten, während er selber in die Fürstentümer eindrang. Der Sultan ist jedoch hartnäckig. Er hat seine Zustimmung zu einer Note verweigert, die ihre guten Absichten gegenüber der Türkei nur dadurch ausdrücken konnte, daß sie das Land an Rußland auslieferte. Er schlug gewisse Modifikationen dieser Note vor und, so sagt die „Times",
„die vier Mächte zeigten durch ihre Zustimmung zu den türkischen Modifikationen, daß sie glaubten, sie würden mit ihren eigenen Vorschlägen übereinstimmen". Doch da der russische Kaiser entgegengesetzter Meinung ist und da die „Times" es für unzweifelhaft richtig hält, daß des Zaren „Handlungsweise in diesem Streit keinerlei Überlegungen verdient", kommt die „Times" zu der Schlußfolgerung, wenn Rußland den vernünftigen Bedingungen der Türkei nicht nachgeben will, muß die Türkei den unvernünftigen Bedingungen Rußlands nachgeben, und daß „ein Staat, der so impotent ist, daß er bei jeder Gefahr einer Aggression von außen oder einer Erhebung von innen den Schutz Europas braucht, wenigstens soweit die Strafe für seine Schwäche erleiden muß, daß er die für seine Existenz unerläßliche Hilfe zu den für seine Helfer am Wenigsten beschwerlichen Bedingungen erhält". Die vier Mächte müssen sich natürlich Rußland gegen die Türkei anschließen, da man von der Türkei annimmt, daß sie deren Hilfe braucht, um gegen Rußland Widerstand leisten zu können. Die Türkei muß „die Strafe für ihre Schwäche erleiden", eine Schwäche, die darin bestand, bei den vier
1 vorbehaltlosen
Großmächten Zuflucht zu suchen, an die zu appellieren sie durch Verträge verpflichtet ist.
„Da gibt es keine Alternative. Entweder muß die volle Strenge der Gesetze Englands gegen die vier verräterischen Personen angewandt werden (gegen Aberdeen, Clarendon, Palmerston und Russell), oder der russische Zar beherrscht die Welt."
Derartige Deklamationen, wie sie im „Morning Advertiser"[303 von D.Urquhart geäußert werden, taugen gar nichts. Wer soll die vier Verräter richten? Das Parlament. Wer bildet dieses Parlament? Die Vertreter der Bankiers, der Fabrikherren und der Aristokraten. Und welche Außenpolitik vertreten diese Vertreter? Die des paix partout et toujours1. Und wer führt ihre außenpolitischen Programme durch? Eben die gleichen vier Männer, die sie, nach der Auffassung des beschränkten „Morning Advertiser", als Verräter verurteilen sollen. Eines müßte wenigstens klargeworden sein, daß es die Börsenjobber und die auf den Frieden spekulierenden Bourgeois sind, die in der Regierung von der Oligarchie vertreten werden, die Europa an Rußland ausliefern und daß wir, um den Übergriffen des Zaren Widerstand zu leisten, vor allem das schändliche Reich dieser gemeinen, kriecherischen und niederträchtigen Anbeter des veau (Tor2 stürzen müssen. Sofort nach dem Eintreffen der Wiener Note in Konstantinopel rief die ottomanische Pforte 80000 Mann der Redifs12591 zu den Waffen. Einer telegraphischen Meldung vom 5. September aus Konstantinopel zufolge, hatte die türkische Regierung nach einer Konferenz im Hause des Großwesirs3 beschlossen, ihre letzte Note auch auf die Gefahr des Krieges hin aufrechtzuerhalten. Die Begeisterung der muselmanischen Bevölkerung erreichte ihren Höhepunkt. Nachdem der Sultan die ägyptischen Truppen inspiziert hatte und mit ohrenbetäubendem Beifall empfangen worden war, wurde er von der Menge vom Pferde gehoben und im Triumph durch die Straßen Stambuls getragen. Er hat den Hospodaren der Moldau und der Walachei seinen Befehl, die Fürstentümer zu verlassen, mit Nachdruck wiederholt. Da die in Konstantinopel wohnenden russischen Untertanen der Intrige gegen die türkische Regierung überführt worden waren, gab Reschid Pascha ihretwegen eine Warnung an den russischen Konsul. Eine Zeitung in Konstantinopel berichtet, daß die Jüdische Gemeinde Konstantinopels dem Sultan eine Million Piaster angeboten habe, um zur Deckung der durch die militärischen Vorbereitungen des Reiches verursachten Ausgaben beizutragen* Man sagt, daß auch die Juden Smyrnas zu einem ähnlichen Entschluß
1 Friede überall und immer - 2 goldenen Kalbs - 3 Mustafa Pascha
gekommen seien. Einem Brief aus der Wiener „Presse "[B1] entnehmen wir, daß in Galatz mehrere Bojaren verhaftet wurden, weil sie mit Omer Pascha in geheime Korrespondenz getreten seien und ihn in allen Einzelheiten über den Stand der russischen Armee in den Donaufürstentümern informiert hätten. Es wurde ein Schreiben Omer Paschas gefunden, der diese Bojaren dazu aufforderte, so viele Ausländer als möglich für den Militärdienst anzuwerben. Von einem Sekretär begleitet, ist Fürst Menschikow am 13. September in Wien eingetroffen. Er überbringt ein neues Manifest des Kaisers Nikolaus an die europäischen Mächte, das seine Beweggründe für die Ablehnung der türkischen Modifikationen erläutert. Der Kaiser selbst wird am 21. September in Begleitung von Graf Nesselrode und Freiherr von Meyendorf in Olmütz eintreffen. Der preußische König, den er durch Baron Lieven zu der Olmützer Konferenz eingeladen hat, weigerte sich zu kommen mit der Begründung, daß ein solcher Schritt seinerseits unter den obwaltenden Verhältnissen zuviel Eklat erregen würde. Gegenwärtig ist ein russisches Armeekorps in Stärke von 30000 Mann bei Krajowa an der bulgarischen Grenze stationiert. Bis jetzt hat es im Russischen Reich nur acht Armee-Intendanturen gegeben. Eine reguläre neunte Intendantur wurde jetzt in Bukarest gebildet - ein sicheres Zeichen dafür, daß die Russen nicht daran denken, die Donaufürstentümer zu räumen. Am 15. September hat die Bank von England ihren Zinsfuß auf 4^2% erhöht. Der Finanzartikel der heutigen „Times" erzählt uns, daß „diese Maßnahme mit allgemeiner Befriedigung aufgenommen wurde". In demselben Artikel wird jedoch festgestellt, daß
„um ungefähr 2 Uhr nachmittags die Geschäfte an der Börse praktisch fast ganz zum Erliegen gekommen waren, und als kurz danach bekanntgegeben wurde, daß der Zinsfuß auf 41/2% gestiegen sei, fielen die Kurse auf 95% bei Barzahlung und auf 95x/8 bis 9574% hei Zahlungen bis zum 13. Oktober. Es herrscht allgemein die Meinung vor, daß durch ein Ansteigen auf 5% statt auf A1IZ% die Wirkung auf den Markt möglicherweise weniger ungünstig gewesen wäre, weil die Öffentlichkeit dann angenommen hätte, daß keine weiteren Aktionen zu erwarten wären... Der Handel mit Eisenbahnaktien zeigte nach Beendigung der Wochenversammlung der Bankdirektoren ein ernstes Absinken, und alle übrigen Aktien hatten eine äußerst unsichere Tendenz." Der Schreiber dieses Artikels in der „Times" gratuliert den Bankdirektoren, daß sie der Politik des Peel Acts gefolgt sind.
„ In dem Maße, wie sich die Zirkulation durch den Abfluß des Goldes verringerte, haben die Direktoren für Benutzung des übriggebliebenen einen höheren Preis verlangt und haben Sir Robert Peels Bank Charte Act jenen freienLauf gegeben, durch den
allein seine Starke demonstriert werden kann und der durch das törichte Vorgehen der Direktoren im Jahre 1847 verhindert wurde."
Nun habe ich in einem früheren Artikel gezeigt, daß die törichte Handlungsweise der Direktoren im Jahre 1847 gerade in ihrer genauen Befolgung des Peel Acts bestand, dessen „freier Lauf" durch die Regierung unterbrochen werden mußte, um das Bank-Department vor der Notwendigkeit der Zahlungseinstellung zu retten.1 Wir lesen im „Globe":
„Es ist höchst unwahrscheinlich, daß die Ursachen, die unsere gegenwärtige Prosperität hervorgerufen haben, ihre Wirkung in demselben Ausmaß fortsetzen werden. In Manchester sind bereits ungesunde Folgen aufgetreten; einige der größten Firmen waren gezwungen, ihren Produktionsumfang zu vermindern... Alle Abteilungen der Börse setzten ihre Tätigkeit unter starker Depression fort. Im Hinblick auf Eisenbahnaktien herrscht eine völlige Panikstimmung... Der Goldabfluß nach dem Kontinent geht weiter, und nahezu eine halbe Million geht in ein oder zwei Tagen mit dem Dampfboot nach St.Petersburg... Wahrscheinlich ist eine der Ursachen, die sie (die Bank) zur Sparsamkeit mit ihren Metallgeldreserven veranlaßt, der Wunsch, den Schatzkanzler mit den 7 oder 8 Millionen zu unterstützen, die er benötigen wird, um die Besitzer von Südseeaktien und andere mit dem Umtauschverfahren nicht Einverstandene abzufinden."
Die „Morning Post" vom 13. September berichtet aus Manchester:
„Der Stoff-und Garnmarkt ist lustlos, und die Preise aller Arten von Manufakturwaren werden kaum gehalten. Die fehlende Nachfrage auf beinahe allen auswärtigen Märkten und die erwartete Geldklemme im Lande haben hauptsächlich zu dieser Lage beigetragen, die im Vergleich zu den allgemein üblichen Berichten über Prosperität höchst anomal ist."
Dasselbe Blatt vom 15. September schließt einen Leitartikel über die sich sammelnden Elemente der herannahenden Krise mit folgenden Worten:
„Wir machen die kommerzielle Welt darauf aufmerksam, daß wir uns in einer Phase befinden, in der Sorgfalt und ständige Achtsamkeit für die Konzeption und Führung von Unternehmen unbedingt notwendig sind. Außerdem ist unsere finanzielle Lage unserer Meinung nach voller Gefahren, die sogar noch ernster und noch schwerer zu vermeiden sind als die unserer kommerziellen Lage."
Aus den gemeinsamen Erklärungen des „Globe" und der „Morning Post" geht hervor, daß, während auf der einen Seite die Nachfrage abnimmt, das Angebot auf der anderen Seite übertrieben worden ist. Die Fabrikanten werden versuchen, ihren Rückzug dadurch zu bemänteln, daß sie auf den mit
ihren Arbeitern bestehenden Streit zurückgreifen. Der Handelsreporter des gestrigen „Morning Chronicle" schreibt aus Manchester:
„Die Fabrikanten werden gegenüber einzugehenden Verpflichtungen sehr gleichgültig, da sie überzeugt sind, daß erst ein ausgedehnter, wenn nicht sogar völliger Stillstand der Fabriken eintreten muß, bevor irgendeine Regelung in der Lohnfrage erfolgen kann. Über diesen Gegenstand haben die Fabrikanten in verschiedenen Teilen der Distrikte in den letzten Tagen Konferenzen abgehalten; und es ist offensichtlich, daß die übermäßigen Forderungen der Fabrikarbeiter sgwie ihre wilden Versuche des Diktierens die Fabrikbesitzer zum allgemeinen Zusammenschluß für die Selbstverteidigung zwingen."
Wir lesen in dem Finanzartikel der „Times":
„Die Unternehmer bilden Selbstverteidigungsverbände in allen Distrikten. In den letzten paar Tagen haben beinahe hundert Firmen in Ashton, Stalybridge, Hyde und GIossop sich namentlich für einen Verband eingetragen. In Preston haben sich die Fabrikanten bei hohen Vertragsstrafen verpflichtet, ihre Fabriken für drei Monate zu schließen, um so den Arbeitern Widerstand zu leisten."
Eine telegraphische Nachricht aus Marseille berichtet, daß Weizen wieder um 2 frs. 25 cts. pro Hektoliter gestiegen ist. Die Erhöhung der Zinsen für Schatzscheine, im „Moniteur"t5J angekündigt, rief an der Börse einen höchst ungünstigen Eindruck hervor, da diese Maßnahme allgemein als ein Zeichen dafür angesehen wird, daß die Regierung in Geldnöten ist. Es wurde von einer Anleihe gesprochen, die die Regierung gezwungen ist aufzulegen. Der Finanzminister1 hat ein Rundschreiben an eine große Anzahl Grundbesitzer gesandt, in dem er sie bittet, als ein Zeichen der Dankbarkeit für die großen Wohltaten, die ihnen die gegenwärtige Regierung erwiesen habe und dafür, daß sie dem Grundbesitz zusätzlichen Wert verliehen habe, Steuern für sechs Monate im voraus zu bezahlen. „Das", bemerkt der „Observer", „ist der Anfang vom Ende." Da ich mich in einem früheren Artikel2 mit der lebenswichtigen Bedeutung der Eisenbahnen für Indien befaßt habe, halte ich es für angebracht, jetzt die letzten Nachrichten zu übermitteln, die in bezug auf die Entwicklung und die Aussichten des vorgesehenen Eisenbahnnetzes veröffentlicht worden sind. Die erste indische Eisenbahnlinie führt von Bombay nach Thana. Eine andere Linie, von Kalkutta nach Radschmahal am Ganges, soll jetzt über eine Entfernung von 180 Meilen angelegt werden und sich weiter entlang dem rechten Ufer des Flusses nach Patna, Benares und Allahabad
1 Bineau, Jean-Martial - 2 siehe vorl. Band, S. 222-224
erstrecken. Von Allahabad wird sie über Doab nach Agra und von dort nach Delhi geführt werden und auf diese Weise einen Raum von 1100 Meilen umfassen. Es ist beabsichtigt, über die Flüsse Son und Tunona Dampffähren einzurichten und die Kalkutta-Linie schließlich von Delhi nach Lahore zu führen. In Madras soll sogleich mit dem Bau einer Eisenbahnlinie begonnen werden, die sich 70 Meilen westlich in zwei Arme teilen wird - eine Strecke folgt den Ghats und endet bei Kalikat, die andere führt über Bellary und Puria nach Bombay. Dieses Netz von Eisenbahnlinien wird von den BombayBaroda- und Zentral-Indien-Eisenbahngesellschaften vollendet werden. Die vorbereitenden Vermessungen werden bereits mit Genehmigung des Direktoriums vorgenommen. Diese Linie wird von Bombay über Baroda nach Agra laufen, wo sie die große Hauptlinie Kalkutta-Delhi berühren wird und dadurch Bombay - Hauptstadt Westindiens und bester Verbindungshafen ganz Hindustans mit Europa - einesteils mit Kalkutta und anderenteils mit dem Pandschab und den nordwestlichen Provinzen verbinden wird. Die Initiatoren dieses Planes beabsichtigen auch, Zweiglinien in die großen Baumwollbezirke im Inneren des Landes zu führen. Inzwischen sind Maßnahmen in Vorbereitung, um den elektrischen Telegraphen über ganz Vorderindien zu führen. Karl Marx
Aus dem Englischen.

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