KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 38

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE-BAND 38
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
WERKE
0
DIETZ VERLAG BERLIN
1979
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 38
0
DIETZ VERLAG BERLIN
Die deutsche Ausgabe der Werke von Marx und Engels fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten zweiten russischen Ausgabe.
Die Texte werden nach den Handschriften bzw. nach deren Photokopien gebracht. Wiedergabe nach Sekundärquellen wird besonders vermerkt.
© Dietz Verlag Berlin 1968
Vorwort
Der achtunddreißigste Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält Engels' Briefe von Januar 1891 bis Dezember 1892. In dieser Zeit begann der unmittelbare Übergang des Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus. Die Produktion nahm einen weiteren Aufschwung und konzentrierte sich in Großbetrieben; der Monopolisierungsprozeß schritt voran. Die koloniale Expansion nahm zu, und der Kampf der Kolonialmächte um Einflußsphären verschärfte sich. Die Blockbildung der europäischen Großmächte, auf der einen Seite der Dreibund - Deutschland, Österreich und Italien - und auf der anderen Seite die sich festigende Allianz zwischen Rußland und Frankreich, war ein Ausdruck der sich zuspitzenden Widersprüche. Die Entwicklung der Arbeiterbewegung machte zu Beginn der neunziger Jahre weitere Fortschritte, Immer mehr Arbeiter wurden in den ökonomischen Kampf einbezogen. Die Gewerkschaftsbewegung erfuhr einen wesentlichen Aufschwung. Die sozialistischen Ideen drangen immer stärker in die Arbeiterbewegung ein. Die sozialistischen Parteien festigten sich ideologisch und organisatorisch. In Frankreich und Deutschland hatten die Arbeiterparteien bedeutenden Einfluß auf die Arbeiterbewegung. In Bulgarien und Italien entstanden neue sozialistische Parteien. Auch in der englischen Arbeiterbewegung gewannen die sozialistischen Ideen größeren Einfluß. Die Gruppe „Befreiung der Arbeit", erste russische marxistische Gruppe, setzte ihre Arbeit erfolgreich fort. In den USA nahmen die Massenaktionen der Arbeiter zu. Die sozialistischen Arbeiterorganisationen und Arbeiterparteien, seit 1889 in der II. Internationale zusammengeschlossen, festigten ihre Zusammenarbeit. Die in diesem Band veröffentlichten Briefe widerspiegeln die Erfolge der Arbeiterbewegung jener Jahre. Engels charakterisiert in diesen Briefen die politischen Parteien und ihre Führer, er analysiert die ökonomische
Entwicklung der einzelnen kapitalistischen Länder und schätzt die wichtigsten historischen Ereignisse ein. Die Briefe veranschaulichen seine vielseitige wissenschaftliche und politische Tätigkeit, seinen unermüdlichen Kampf für die Verteidigung des Marxismus, für die weitere Verbreitung des wissenschaftlichen Kommunismus in der internationalen Arbeiterbewegung sowie für den internationalen Zusammenschluß der sozialistischen Parteien. Engels maß der weiteren Durchsetzung des wissenschaftlichen Kommunismus in der Arbeiterbewegung große Bedeutung bei. Viel Kraft und Zeit verwandte er darauf, neue Ausgaben und Übersetzungen der Werke und Schriften von Marx sowie seiner eigenen Arbeiten vorzubereiten. Aus seinem Brief an Karl Kautsky vom 29. Juni 1891 geht hervor, daß er darüber hinaus beabsichtigte, eine vollständige Sammlung der Werke von Marx herauszugeben. Es gelang ihm nicht mehr, diese Absicht zu verwirklichen. Engels' wissenschaftliches Hauptanliegen in diesen Jahren bestand darin, den dritten Band von Marx' „Kapital" für die Veröffentlichung fertigzustellen. Das nachgelassene Manuskript dieses Bandes war nur ein erster Entwurf. Engels hatte eine außerordentlich komplizierte wissenschaftliche Arbeit bei der Fertigstellung des Textes zu leisten. In umfangreichen Anmerkungen und Zusätzen berücksichtigte er zudem die Veränderungen, die in der kapitalistischen Wirtschaft mit dem unmittelbaren Übergang des Kapitalismus zum Imperialismus vor sich gingen. Damit gab er der internationalen Arbeiterbewegung wichtige Hinweise für die Ausarbeitung ihrer Strategie und Taktik. Die Fertigstellung des dritten Bandes hatte deshalb außerordentlich große Bedeutung für den Klassenkampf der Arbeiter (vgl. vorl. Band, S. 564/565). Inden Jahren 1891/92 arbeitete Engels intensiv an den letzten Kapiteln des V.Abschnittes des dritten Bandes. Ende 1892 begann er mit der Vorbereitung der zweiten Auflage des zweiten Bandes des „Kapitals". Er beabsichtigte, nach Vollendung des dritten Bandes des „Kapitals" die Arbeit am Manuskript des vierten Bandes, der „Theorien über den Mehrwert", aufzunehmen (vgl. vorl. Band, S.557). Engels registrierte sorgfältig, welche Verbreitung das „Kapital" fand, und schenkte der Propagierung der ökonomischen Lehre von Marx große Aufmerksamkeit. Den Versuchen der bürgerlichen und opportunistischen Ideologen, die marxistische Theorie zu verfälschen und zu verflachen und ihre eigenen Lehren als sozialistische auszugeben, trat er energisch entgegen. Von den Führern der sozialistischen Bewegung verlangte er, daß sie die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Theorien auf marxistischer Grundlage und auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau führten (vgl.
seine Briefe an Paul Lafargue vom 6. März und an Laura Lafargue vom 13. Juni 1891). Engels wies in seinen Briefen auf neue Tendenzen der Entwicklung des Kapitalismus hin, wie z. B. die zunehmende Konzentration der Produktion und des Kapitals und das damit verbundene Anwachsen der Monopole, die neue Rolle der Banken, die verkürzte Dauer des ökonomischen Zyklus und die zunehmende Heftigkeit der ökonomischen Krisen, die Verschärfung des Kampfes zwischen den kapitalistischen Ländern um neue Absatzmärkte und Einflußsphären. Diese Veränderungen hatten eine weitere politische Rechtsschwenkung der herrschenden Klassen zur Folge. Engels schrieb am 19. Februar 1892 an August Bebel: „Eine starke Schwenkung nach rechts scheint also im Zug, und zum Vorwand nimmt sie die Notwendigkeit, unsern Aufschwung zu brechen." In den USA entwickelte sich die Industrie in einem beispiellosen Tempo; die großen Monopolorganisationen beherrschten immer stärker den Staat; Korruption und Spekulation, besonders Bodenspekulationen gediehen. Engels schrieb: „Diese scheinbare Zufälligkeit der Zusammenwürfelung gibt eben den famosen Boden ab für die Korruption und Staatsausbeutung, die dort so herrlich blüht" (siehe vorl. Band, S. 245/246). Auch in Rußland schritt der Prozeß der Entfaltung der kapitalistischen Gesellschaft weiter voran. Engels wies auf die Besonderheiten dieses Prozesses in Rußland und gleichzeitig auf dessen allgemeine, mit der Entwicklung des Kapitalismus in anderen Ländern gemeinsame Merkmale hin (vgl. vorl. Band, S. 303/304). In vielen Briefen erörterte und erläuterte Engels ausführlich auch andere Probleme der marxistischen Theorie. So trat er in den Briefen an Max Oppenheim vom 24. März 1891, an N. F. Danielson vom 18. Juni 1892, an Franz Mehring vom 28.September 1892 u.a. gegen die Verflachung der wissenschaftlichen Theorie des Proletariats durch den vulgären „ökonomischen Materialismus" auf und entwickelte wichtige Thesen des historischen Materialismus weiter. Er konkretisierte die Erkenntnisse über die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewußtsein, zwischen Basis und Überbau, zwischen Ökonomie Und Politik. Eine entscheidende Rolle maß Engels dem bewußten, aktiven Kampf des Proletariats bei: „Aber, das ist meine Ansicht, wirklich befreiende Schritte werden erst dann möglich, wenn die ökonomische Umwälzung die große Masse der Arbeiter zum Bewußtsein ihrer Lage gebracht und ihnen damit den Weg zur politischen Herrschaft gebahnt hat" (siehe vorl. Band, S. 64/65). Aufschlußreich für das Studium der Geschichte der Philosophie sind Engels' Briefe an Conrad »Schmidt vom 1. Juli und 1. November 1891, in denen er sich über Hegel äußerte. „Ohne Hegel geht's natürlich nicht",
schrieb er und gab dann eine genaue Anleitung, wie man diesen großen Denker kritisch studieren muß. Wenn man „jeden Philosophen nicht nach dem Bleibenden, Fortschrittlichen seiner Tätigkeit, sondern nach dem notwendig Vergänglichen, Reaktionären, nach dem - System beurteilt", dann wäre „ja die ganze Geschichte der Philosophie ein bloßer .Trümmerhaufen' zusammengebrochener Systeme", während bei Hegel jede Kategorie eine Stufe in der Geschichte der Philosophie vertrete. „Viel wichtiger ist, unter der unrichtigen Form und im erkünstelten Zusammenhang das Richtige und Geniale herauszufinden." Engels verglich Marx* Darstellung der Entwicklung der Ware zum Kapital mit Hegels Darlegung der Entwicklung des Seins zum Wesen und demonstrierte an diesem Beispiel, daß die materialistische Dialektik Widerspiegelung tatsächlicher Verhältnisse ist, während die Hegeische Dialektik „abstrakte Konstruktion" ist, „worin höchst geniale Gedanken und stellenweise sehr richtige Umschläge ... zu einer scheinbaren Selbstentwicklung eines Begriffs aus einem andern verarbeitet werden...". Engels stellte noch einmal mit Stolz fest, daß die wahre Erbin der klassischen deutschen Philosophie die deutsche Arbeiterbewegung ist (vgl. die handschriftliche Widmung auf der Gravüre im vorl. Band, zwischen S. 16/17). In einigen Briefen würdigte Engels das Schaffen Franz Mehrings. Am 16.März 1892 schrieb er an August Bebel: „loh habe jetzt auch Mehrings .Lessing-Legende' in der ,N[euen] Z[eit]' gelesen und sehr viel Freude darein gehabt. Die Arbeit ist wirklich ausgezeichnet. Ich würde manches anders motivieren und nuancieren, aber im ganzen und großen hat er den Nagel mitten auf den Kopf getroffen. Es ist doch eine Freude, wenn man sieht, wie die materialistische Geschichtsauffassung, nachdem sie - in der Regel - seit 20 Jahren in den Arbeiten der jüngeren Parteileute als großmäulige Phrase hat herhalten müssen, endlich anfängt, als das benutzt zu werden, was sie eigentlich war: einLeitfaden beim Studium der Geschichte." Engels würdigte Franz Mehrings „Lessing-Legende" nicht nur als .eine theoretisch wertvolle, sondern auch als eine politisch aktuelle Arbeit, die sich gegen den preußisch-deutschen halbabsolutistischen Staat und die Junker richtete und die Legende von der „Sendung der Hohenzollern" zerstörte. Franz Mehrings Arbeit war deshalb eine wirksame Waffe für den Kampf der Arbeiterklasse. In dem bereits erwähnten Brief an Conrad Schmidt vom l.Juli 1891 iwies Engels darauf hin, daß die wissenschaftliche Ausarbeitung der Probleme des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sehr wichtig, aber auch sehr schwierig sei; er betonte, daß gerade in dieser Frage keine yor
eiligen Schlußfolgerungen gezogen werden dürften. Dennoch nannte Engels eine Reihe konkreter Aufgaben, die im Verlauf der proletarischen Revolution und der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft zu lösen seiesn. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang seine Briefe an August Bebel vom 24.-26.Oktober und 9./1 O.November 1891, die sich speziell mit der Haltung der Arbeiterklasse zur Intelligenz beschäftigen. Aufmerksam verfolgte Engels die Weiterentwicklung der Wissenschaften, vor allem der Naturwissenschaften und der Militärwissenschaft. Er stand in engem Kontakt mit angesehenen Gelehrten. In verschiedenen Briefen wie auch im Nekrolog auf Carl Schorlemmer, seinen Freund und Mitkämpfer, stellte Engels fest, daß Carl Schorlemmer seine wissenschaftlichen Leistungen als Chemiker in bedeutendem Maße seiner revolutionären Weltanschauung und der bewußten Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus verdanke. Engels verteidigte die neuen fortschrittlichen Strömungen in der Wissenschaft; zugleich aber verurteilte er den Kastengeist und die Beschränktheit der bürgerlichen wissenschaftlichen Welt, die progressive Erkenntnisse totschwieg, sobald sie nicht den offiziell herrschenden Ansichten entsprachen. Er betonte, daß die Wissenschaft „nicht leben" kann .„ohne Freiheit der Bewegung" (siehe vorl. Band, S.94). Engels war auch in diesen Jahren der Ratgeber und unumstrittene geistige Führer der internationalen Arbeiterbewegung. Sein umfangreicher Briefwechsel mit den Führern der internationalen Arbeiterbewegung diente dazu, die revolutionären Erfahrungen der Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder zu verallgemeinern und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen zu vermitteln. Engels half den sozialistischen Parteien und Organisationen bei der Ausarbeitung ihrer Programme. Er half ihnen, eine den Erfordernissen des Klassenkampfes entsprechende Taktik festzulegen. In seinen Briefen nehmen daher die Fragen der Taktik der Arbeiterbewegung und die Probleme des Kampfes der sozialistischen Parteien eine zentrale Stelle ein. Die Briefe beweisen, wie sehr sich Engels um die ideologische und organisatorische Festigung der Parteien bemühte, wie er bei der Überwindung von Dogmatismus und Sektierertum half und unversöhnlich gegen alle Spielarten des Opportunismus auftrat. Konsequent und prinzipienfest verteidigte Engels die Lehre von der revolutionären Partei der Arbeiterklasse und die Notwendigkeit einer selbständigen proletarischen Klassenpolitik. Die ideologische Einheit der Partei und ihre Disziplin müssen, so forderte Engels, auf der hohen Bewußtheit und Aktivität ihrer Mitglieder beruhen, auf der Teilnahme jedes Parteimitglieds an der Ausarbeitung einer einheitlichen Politik und Taktik der Partei. Engels sprach sich für
die Entwicklung einer breiten innerparteilichen Demokratie, für freien Meinungsäustausch innerhalb der Partei aus. Er schrieb, es müsse gewährleistet sein, „innerhalb der Grenzen des Parteianstandes auch Programm und Taktik frei der Kritik... unterwerfen" zu können (siehe vorl. Band, S. 517). Wiederholt wies Engels die sozialistischen Parteien darauf hin, daß es notwendig sei, die marxistische Theorie schöpferisch anzuwenden. Eine theoretische Plattform ist „nutzlos", schrieb er, „wenn sie nicht an die wirklichen Bedürfnisse der Leute anzuknüpfen versteht" (siehe vorl. Band, S.80). Er verurteilte jegliche dogmatische, schablonenhafte Auslegung der Theorie und betonte, daß der Marxismus eine „lebendige Theorie der Aktion, der Arbeit mit der Arbeiterklasse in jedem möglichen Stadium ihrer Entwicklung" ist und nicht „eine Sammlung von Dogmen, die auswendig zu lernen und aufzusagen sind wie eine Beschwörungsformel oder ein katholisches Gebet" (siehe vorl. Band, S. 101). Die richtige Anwendung der marxistischen Theorie erfordere, wie Engels wiederholt betonte, die Taktik der proletarischen Parteien auf Grund der konkreten historischen Situation auszuarbeiten und dabei die Erfahrungen des revolutionären Kampfes der Massen wissenschaftlich zu verallgemeinern. Engels kritisierte die Sozialisten, „die aus Bequemlichkeit und um ihren Schädel nicht plagen zu müssen die für den Augenblick passende Taktik für die Ewigkeit anwenden wollen" (siehe vorl. Band, S.444). Am 4.September 1892 schrieb er an Karl Kautsky: „In unsrer Taktik steht eins fest für alle modernen Länder und Zeiten: Die Arbeiter zur Bildung einer eignen, unabhängigen und allen bürgerlichen Parteien entgegengesetzten Partei zu bringen." Ein wesentlicher Bestandteil der Taktik der revolutionären Arbeiterparteien ist der parlamentarische Kampf. Engels wies immer wieder auf die Notwendigkeit hin, den parlamentarischen Kampf mit dem außerparlamentarischen zu verbinden. Er sah in der aktiven Beteiligung der Sozialisten an den Wahlen in Gemeinden, Städten und Ländern ein wichtiges Kampfmittel für das Proletariat. So schrieb er am 12. November 1892 an Paul Lafargue: „Sehen Sie jetzt, welche großartige Waffe man seit vierzig Jahren in Frankreich mit dem allgemeinen Wahlrecht in der Hand hat, wenn man nur immer verstanden hätte, davon Gebrauch zu machen!" Die Aufstellung von eigenen Arbeiterkandidaten, der Wahlkampf und die damit verbundene Agitation seien, wie Engels hervorhob, ausgezeichnet geeignet, die Entwicklung des politischen Bewußtseins und die Aktivität der breiten Massen zu fördern. Gleichzeitig ist die für die Arbeiterkandidaten abgegebene Stimmenzahl ein Gradmesser für die politische Reife der Arbeiterklasse. Engels
schrieb: „Das ist langsamer und langweiliger als der Aufruf zur Revolution, aber zehnmal sicherer, und, was mehr wert ist, es zeigt Ihnen mit absoluter Genauigkeit den Tag, an dem man für die Revolution zu den Waffen greifen muß" (siehe vorl. Band, S.513). In seinen Briefen behandelte Engels auch häufig die parlamentarische Tätigkeit der deutschen Sozialdemokraten. Besonders hoch schätzte er die kämpferischen Reden August Bebels, Paul Singers und Wilhelm Liebknechts im Reichstag zur Verteidigung der Interessen der breiten Massen. In seinem Brief an Laura Lafargue vom M.Oktober 1892 machte Engels darauf aufmerksam, daß die sozialistischen Abgeordneten sich ihren Wählern gegenüber verantwortungsbewußt verhalten müssen. Engels schrieb: „Ich denke mir, daß die Wähler etwas von der parlamentarischen Tätigkeit ihres Abgeordneten sehen und hören wollen, und wenn sie davon nichts merken, besteht die Gefahr, daß er nicht nur seinen Sitz verliert, sondern auch nicht so leicht einen anderen erhält." Er empfahl Paul Lafargue, regelmäßig die Sitzungen der Deputiertenkammer zu besuchen und sich aktiv an den Debatten zu beteiligen. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Briefe Engels' leidenschaftlicher Kampf für die internationale Einheit und Geschlossenheit der Arbeiterklasse. Engels ging davon aus, daß es notwendig und möglich ist, in den Grundfragen des Klassenkampfes größtmögliche Ubereinstimmung in der internationalen Arbeiterbewegung zu erzielen. Unermüdlich wirkte er deshalb für die Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien und für ihre Erziehung im Geiste des proletarischen Internationalismus. Stets wies er darauf hin, daß die internationalen und nationalen Aufgaben der Arbeiterbewegung nicht voneinander zu trennen sind. Engels war unablässig um die Festigung und Sicherung der Arbeitereinheit auf marxistischer Grundlage innerhalb der II. Internationale bemüht. Aktiv nahm er an der Vorbereitung der internationalen sozialistischen Kongresse teil. Seine Briefe an Paul Lafargue vom 28. Juni, an Laura Lafargue vom 12. und 20. Juli und 17. August, an Friedrich Adolph Sorge vom 9.-1 I.August 1891 und andere zeugen davon, wie aufmerksam Engels die Vorarbeiten zum Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongreß in Brüssel (16.-22. August 1891) verfolgte. Er trat allen Versuchen der Opportunisten, vor allem der Possibilisten, die internationale Einheit der Arbeiterbewegung zu untergraben, entgegen. Den marxistischen Führern gab er konkrete Hinweise, um Fehler zu berichtigen, die bei der Vorbereitung begangen worden waren (vgl. vorl. Band, S. 138). Die Bemühungen von Engels und anderen führenden marxistischen Kräften der internationalen Arbeiter
bewegung hatten schließlich zur Folge, daß sich der Brüsseler Kongreß von Anbeginn auf den Boden des Marxismus stellte. Der Brüsseler Kongreß, der die Arbeiter aller Länder zum Kampf gegen die Kriegsgelüste und Kriegsbündnisse der herrschenden Klassen aufrief, eine internationale Arbeiterschutzgesetzgebung forderte und andere wichtige Beschlüsse faßte, hatte für die weitere Entwicklung der internationalen Arbeiterbewegung große Bedeutung. Engels begrüßte die Ergebnisse des Kongresses. Am 2.September 1891 teilte er seinem Freund Friedrich Adolph Sorge mit: „Die Marxisten haben nach Prinzip wie nach Taktik auf der ganzen Linie gesiegt..." Auch bei der Vorbereitung des Züricher Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses (6.-12. August 1893) ergriff Engels sofort die Initiative, als es darauf ankam, den erneuten Versuchen der Opportunisten, die internationale Arbeitereinheit zu spalten, entgegenzutreten. Als er erfuhr, daß der Kongreß der Trade-Unions in Glasgow beschlossen hatte, die Einladung zu dem sozialistischen Kongreß in Zürich abzulehnen und einen eigenen, separaten Arbeiterkongreß zur Frage des Achtstundentages einzuberufen, entwickelte Engels einen Plan, der es ermöglichte, die Verwirklichung dieses Beschlusses zu durchkreuzen (vgl. vorl. Band, S. 452/453 und 455/456). Er empfahl, Protestresolutionen zu erlassen; diese sollten nicht nur von den sozialistischen Parteien, sondern auch von den Gewerkschaften ausgehen. Es sei dies, schrieb er am 11. September 1892 an August Bebel, „eine prachtvolle Gelegenheit..., den Engländern den Standpunkt klarzumachen und ihnen zu zeigen, daß das klassenbewußte kontinentale Proletariat nicht daran denkt, sich unter die Leitung von Leuten zu begeben, denen das Lohnsystem für eine ewige und unerschütterliche Welteinrichtung gilt". Engels' Anstrengungen und die Bemühungen der revolutionären Kräfte der internationalen Arbeiterbewegung waren von Erfolg gekrönt. Die Arbeiter Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und anderer Länder des Kon-1 tinents lehnten die Einladung der reformistischen Führer der Trade-Unions ab. Der von diesen geplante Kongreß fand nicht statt. Große Aufmerksamkeit widmete Engels der Entwicklung und Festigung der internationalen Beziehungen zwischen den Sozialisten der verschiedenen Länder. Den Austausch von Informationen zwischen den einzelnen sozialistischen Parteien über ihre Tätigkeit, ihre gegenseitige Unterstützung in der Presse u.a. hielt er für wichtige Mittel zur Förderung des Zusammenschlusses der internationalen Arbeiterbewegung. Engels forderte dazu auf, so objektiv und ausführlich wie möglich zu informieren. Er kritisierte mehrmals den „Vorwärts", das Zentralorgan der deutschen Sozial
demokratie, wegen seiner teilweise ungenauen und oberflächlichen Berichterstattung über die Arbeiterbewegung in England und Frankreich. An Paul Lafargue, August Bebel und andere Führer der Arbeiterbewegung schrieb er ausführlich über die Notwendigkeit einer sorgfältigen Auswahl der Auslandskorrespondenten für die sozialistischen Zeitungen. Aber auch die persönlichen Kontakte zwischen den Führern der sozialistischen Parteien trugen wesentlich zur Festigung der internationalen Zusammenarbeit bei. Aus seinen Briefen sowie aus den in den Beilagen des vorliegenden Bandes veröffentlichten Briefen von Eleanor Marx-Aveling geht hervor, daß Engels selbst der Initiator einer Reihe internationaler Zusammenkünfte von Sozialisten war. Wiederholt wies Engels darauf hin, wie wichtig es sei, daß Vertreter der Bruderparteien an Parteitagen und Kundgebungen in anderen Ländern teilnehmen (vgl. vorl. Band, S.504). Engels maß gerade in diesen Jahren der Ausarbeitung einer richtigen proletarischen Politik und Taktik in den Fragen Krieg und Frieden große Bedeutung bei. Anfang der neunziger Jahre verschärfte sich die internationale Lage. In Deutschland forcierten die herrschenden Klassen Aufrüstung und Militarisierung, um ihre Eroberungsziele durchsetzen zu können. Von den an einem Krieg interessierten Kreisen Frankreichs wurden Revanchismus und Chauvinismus hochgepeitseht. In Rußland vereinte sich die Aggressivität der jungen aufsteigenden Bourgeoisie mit dem reaktionären System des Zarismus. Durch die Bildung der russisch-französischen Allianz 1891 und die Existenz des Dreibundfes unter Führung Deutschlands standen sich in Europa zwei einander feindliche militärpolitische Mächtegruppen gegenüber. Dadurch erhöhte sich die Gefahr eines Weltkrieges noch. Angesichts der von ihm vorausgesehenen ungeheuren Zerstörungen und Folgen, die ein Weltkrieg mit sich bringen würde, orientierte Engels die Arbeiterklasse mit allem Nachdruck auf den Kampf um die Erhaltung des Friedens. Es galt, alle Kräfte der internationalen Arbeiterklasse zu diesem Kampf zusammenzuschließen (vgl. Engels' Briefe an August Bebel vom 9./10. November 1891 und an Charles Bonnier von Mitte Oktober und 24. Oktober 1892). Aufgabe der sozialistischen Parteien war es, den
wünsche ich, unsre famose, sichre, mit der Ruhe und Unausweglichkeit eines Naturprozesses fortschreitende Entwicklung bleibt in ihrem naturgemäßen Geleise." Diesen Gedanken wiederholte Engels auch in seinem Brief an Friedrich Adolph Sorge vom 6. Januar 1892. Engels unterschied streng zwischen Aggressionskriegen und nationalen Verteidigungskriegen. Er orientierte die Arbeiterklasse vorrangig auf den Kampf um die Erhaltung des Friedens, ließ jedoch auch nicht die Möglichkeit nationaler Verteidigungskriege außer acht. Engels ging davon aus, daß die Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit die wichtigste Voraussetzung für die weitere Entwicklung der sozialistischen Bewegung war. Anfang der neunziger Jahre bestand die Gefahr eines gemeinsamen Angriffs Frankreichs und Rußlands auf Deutschland. Dieser Krieg wäre von seiten der herrschenden Klassen Frankreichs und Rußlands mit dem Ziele geführt worden, Deutschland seine nationale Unabhängigkeit zu rauben und die sozialistische Bewegung in Deutschland als stärkste in Europa zu vernichten. Unter diesen außenpolitischen Bedingungen legte Engels in seiner Arbeit „Der Sozialismus in Deutschland" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.245-260) die Taktik der Arbeiterklasse in einem nationalen Verteidigungskrieg fest. Wesentliche Ergänzungen zu dieser Schrift finden sich in seinen Briefen an August Bebel vom 13. und 24.-26. Oktober, an Friedrich Adolph Sorge vom 24. Oktober 1891 u.a. Immer wieder wies Engels darauf hin, daß die Taktik der Arbeiterklasse auch in der Frage Krieg und Frieden die konkreten historischen Bedingungen und den Stand der revolutionären Arbeiterbewegung in den jeweiligen Ländern zu berücksichtigen habe. Unter den damaligen konkreten Bedingungen hätten die deutschen Sozialdemokraten aktiv an einem Verteidigungskrieg teilnehmen, den Krieg aber mit revolutionären Methoden führen und auf revolutionärem Wege beenden müssen. Engels betonte, es müsse die internationale Pflicht der Revolutionäre aller Länder sein, die deutsche Sozialdemokratie hierbei zu unterstützen. Am 29.September - I.Oktober 1891 schrieb er an August Bebel: „Die Leute müssen einsehn, daß ein Krieg gegen Deutschland im Bund mit Rußland vor allem auch ein Krieg gegen die stärkste und schlagfertigste sozialistische Partei in Europa ist und daß uns nichts übrigbleibt, als mit aller Macht auf jeden Angreifer, der Rußland hilft, loszuschlagen. Denn entweder unterliegen wir, und dann ist die sozialistische Bewegung in Europa auf 20 Jahre kaputt, oder wir kommen selbst ans Ruder..." Engels' Auffassungen über Fragen der Außenpolitik, den Charakter der Kriege und die Taktik der proletarischen Parteien wurden von W. I. Lenin
schöpferisch angewandt und weiterentwickelt. Lenin arbeitete in einer neuen historischen Epoche - der Epoche des Imperialismus - eine in sich geschlossene marxistische Lehre über Krieg, Frieden und Revolution aus. Er teilte vollauf Engels' Einschätzung des russischen Zarismus und seine Haltung in der Frage der Taktik der deutschen Sozialdemokraten im Jahre 1891 (siehe W. I.Lenin: Werke, Band 35, Berlin 1966, S.249/250). Gleichzeitig entlarvte Lenin die deutschen Sozialchauvinisten, die sich auf Engels, zu berufen versuchten, um ihren Verrat an der Sache der Arbeiterklasse und ihren offenen Übergang auf die Seite der Imperialisten zu Beginn des ersten Weltkrieges zu rechtfertigen. „Alle diese Berufungen", schrieb Lenin, „sind eine empörende Fälschung der Auffassungen von Marx und Engels zugunsten der Bourgeoisie und der Opportunisten..." (W. I. Lenin: Werke, Band 21, Berlin 1960, S. 309.) Lenin trat gegen eine Gleichsetzung der historischen Gegebenheiten von 1891 und 1914 auf. Er schrieb: „... 1891 gab es überhaupt keinen Imperialismus ... und gab es keinen imperialistischen! Krieg, konnte es ihn von Seiten Deutschlands nicht geben. (Übrigens gab es damals auch kein revolutionäres Rußland; das ist sehr wichtig.)" (W-I.Lenin: Werke, Band 35, Berlin 1966, S.242.) Die Briefe von Engels widerspiegeln seine enge Verbundenheit mit der deutschen Arbeiterbewegung und den revolutionären Führern der deutschen Sozialdemokratie. Voller Stolz stellte er in seinen Briefen fest, daß. sich die deutsche Arbeiterbewegung stetig weiterentwickelte. Die deutsche Sozialdemokratie ist „die stärkste Partei der Welt ... das Corps de bataille der modernen Arbeiterbewegung" (siehe vorl. Band, S.518). Zugleich erinnerte er an die hohe Verantwortung der Partei als Avantgarde der revolutionären Arbeiterbewegung. Engels* Arbeiten, seine praktischen Ratschläge und seine freundschaftliche, aber stets prinzipielle Kritik waren für die deutsche Partei eine große Hilfe bei der Ausarbeitung einer richtigen Strategie und Taktik unter den sich verändernden Bedingungen des proletarischen Klassenkampfes. Mit dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 entstanden neue Voraussetzungen für die Tätigkeit der deutschen Sozialdemokratie. Die Politik des „Neuen Kurses" und die wiedererkämpfte Legalität führten in der deutschen Arbeiterbewegung abermals zu heftigen Auseinandersetzungen über Fragen der Strategie und Taktik. In der Auseinandersetzung mit den Auffassungen der halbanarchistischen Gruppe der „Jungen" wies Engels auf die Notwendigkeit hin, alle legalen Formen und Mittel für die sozialdemokratische Propaganda und Agitation unter den breiten Massen auszunutzen und die Position der Partei in den Gewerkschaften und anderen Arbeiter
Organisationen zu festigen. Die Wahl der Methoden, Wege und Mittel des Kampfes hängen - wie Engels unterstrich - stets vom Kräfteverhältnis der Klassen und vom Charakter der Maßnahmen der herrschenden Klasse ab, die auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes nach Möglichkeiten „zum Hauen und Schießen" suchten. „Wir sind noch weit davon entfernt, einen offenen Kampf führen zu können, und wir haben gegenüber ganz Europa und Amerika die Pflicht, keine Niederlage zu erleiden, sondern, wenn der Augenblick gekommen ist, in der ersten großen Schlacht zu siegen. Dieser Überlegung ordne ich jede andere unter," schrieb Engels am 31. Januar 1891 an Paul Lafargue. In dieser Auseinandersetzung erläuterte Engels seine Ansicht über friedliche und nichtfriedliche Kampfmethoden. Die Behauptung, daß eine proletarische Partei immer Gewalt anwenden müsse und die Gewalt unter allen Umständen revolutionär sei, wies er energisch zurück, denn „... wenn keine reaktionäre Gewalt da ist, die man umwerfen muß", kann „von einer revolutionären Gewalt gar nicht die Rede sein" (siehe vorl. Band, S. 489/490). Zugleich betonte er immer wieder, daß die Partei jederzeit bereit sein müsse, friedliche Kampfmethoden durch nichtfriedliche zu ersetzen, wenn die herrschenden Klassen Gewalt anwenden sollten. Da es „dem preußischen Bürokraten, Militär und Junker gegen die Natur" ginge, eine „Machtposition freiwillig aufzugeben" (siehe vorl. Band, S.262), forderte Engels die deutsche Sozialdemokratie auf, sich auf heftige Auseinandersetzungen- vorzubereiten, in denen die Arbeiterklasse alle zur Verfügung stehenden Kampfmittel anwenden müsse. Mit lebhaftem Interesse verfolgte Engels auch die ökonomischen Kämpfe der deutschen Arbeiter. In dem Brief an August Siegel vom 28. Mai 1892 wies Engels darauf hin, wie wichtig das eingehende Studium der Lage der Arbeiter sei, um den ökonomischen Kampf richtig leiten zu können. Streiks hielt er für eine gute Schule, um die Proletarier zur Solidarität zu erziehen und ihr Klassenbewußtsein zu entwickeln. Engels forderte die Parteiführung auf, dafür zu sorgen, daß in der Parteipresse ausführlich über den Verlkuf der Streiks berichtet wird (vgl. vorl. Band, S. 95/96). Die wichtigste Aufgabe, vor der die deutsche Sozialdemokratie 1891 stand, war die Ausarbeitung eines neuen, marxistischen Programms, das ihrem Entwicklungsstand Rechnung trug. Die in diesem Band veröffentlichten Briefe von Engels widerspiegeln seine große Hilfe, die er der deutschen Partei bei der Ausarbeitung ihres Programms gab. Bereits in der zweiten Januarhälfte 1891 veröffentlichte er das von ihm zum Druck vorbereitete Manuskript von Marx* „Randglossen zum Programm der deut
sehen Arbeiterpartei" aus dem Jahre 1875, das mit dem „Manifest der Kommunistischen Partei" und dem „Kapital" zu den wichtigsten theoretischen Dokumenten des wissenschaftlichen Kommunismus gehört. Damit gab Engels der Programmdiskussion von vornherein eine marxistische Orientierung. Die Veröffentlichung der Marxschen Programmkritik, schrieb er, „macht jede Halbheit und Phrasershaftigkeit im nächsten Programm unmöglich und liefert unwiderstehliche Argumente..." (siehe vorl. Band, S. 23). Engels' Absicht, Marx' „Randglossen " zu veröffentlichen, war auf den Widerstand einiger Führer der deutschen Sozialdemokratie gestoßen. Engels war jedoch von der Kraft und ideologischen Reife der Partei überzeugt und konnte nach kurzer Zeit mit Genugtuung feststellen, daß die deutsche Partei wie auch die Sozialisten der anderen Länder Marx' Kritik als ein Dokument von programmatischer Bedeutung für die ganze internationale Arbeiterbewegung werteten. Er schrieb am 1 I.Februar 1891 an Friedrich Adolph Sorge, daß die Marxsche Programmkritik „in der Partei selbst... sehr viel Freude" hervorgerufen hätte. In seinem Brief an August Bebel vom 1./2. Mai 1891 sowie in Briefen an Friedrich Adolph Sorge, Karl Kautsky, Paul und Laura Lafargue wies Engels nochmals auf die Bedeutung von Marx' Kritik für die Ausarbeitung des Programms und der Politik und Taktik der Partei hin. Als Engels Ende Juni 1893 vom Parteivorsiand der offizielle Programmentwurf übersandt wurde, ging er sofort daran, ihn gründlich zu analysieren (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 225 -240). Anerkennend schrieb er: „...der Entwurf steht nach seiner theoretischen Seite im ganzen auf dem Boden der heutigen Wissenschaft und läßt sich von diesem Boden aus diskutieren" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.227). In seinen kritischen Bemerkungen konzentrierte er sich auf die Probleme des Kampfes um die demokratische Republik und der Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse. Engels forderte eine gründliche Klärung dieser Fragen. Der Parteivorstand berücksichtigte bei der Überarbeitung des Programmentwurfs wichtige Hinweise der Engelsschen Programmkritik. Während der sich breit entfaltenden Programmdiskussion legte u.a. auch die Redaktion der „Neuen Zeit" einen Programmentwurf vor. Engels gab dazu ebenfalls einige kritische Hinweise, hielt ihn aber für insgesamt besser als den offiziellen Entwurf und unterstützte August Bebels Absicht, diesen Entwurf auf dem Erfurter Parteitag zu befürworten (vgl. Engels' Briefe an August Bebel vom 29. September - 1. Oktober und an Karl Kautsky vom 28. September und 14. Oktober 1891). Den Verlauf des Erfurter Parteitages verfolgte Engels sehr aufmerksam. Befriedigt äußerte er sich am 24. Oktober 1891 an Friedrich Adolph Sorge:
11 Marx/Engels. Werke Bd. 38
„In Erfurt ging alles sehr gut ab ... Wir haben die Satisfaktion, daß die Marxsche Kritik komplett durchgeschlagen hat." Er betonte, daß mit der Annahme des Erfurter Programms gegenüber dem Kompromißprogramm von Gotha ein großer Fortschritt erzielt sei. Das Erfurter Programm bewies, daß sich der Marxismus in der deutschen Arbeiterbewegung durchgesetzt hatte. Im ersten Teil des Programms waren die sozialistischen Grundsätze und die sozialistische Zielsetzung des Kampfes der Arbeiterklasse herausgearbeitet; es wurde betont, daß das Proletariat zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse die politische Macht erobern muß. Mit den unmittelbaren politischen und sozialen Forderungen im zweiten Teil des Programms entsprach die Partei am konsequentesten im Vergleich zu allen anderen Parteien den Entwicklungsbedürfnissen der Nation. Sie gab mit diesen Forderungen eine klare Orientierung für den Kampf gegen den preußisch-deutschen Militärstaat. Allerdings wurden Engels* kritische Hinweise, solche Forderungen in das Programm aufzunehmen, die die Arbeiterklasse und alle werktätigen Schichten an den. Kampf um die bürgerlich-demokratische Republik und die Diktatur des Proletariats heranführten, nicht voll berücksichtigt. Die Mängel des Programms resultierten nicht nur aus der besonderen politischen Lage in Deutschland, sondern auch aus theoretischen Unklarheiten der sozialdemokratischen Parteiführung. Sie erleichterten es den Opportunisten in der Epoche des Imperialismus, das Erfurter Programm für ihre opportunistischen Zwecke auszunutzen. ! Auch nach dem Erfurter Parteitag nahmen die Auseinandersetzungen mit den opportunistischen Kräften ihren. Fortgang. Wie schon die „EldoradoReden" Georg von Vollmars verurteilte Engels auch entschieden dessen spätere Reden zur Verteidigung des Staatssozialismus undsein kleinbürgerlich-reformistisches Programm (vgl. vorl. Band, S. 126 und 511). So schrieb er an Karl Kautsky am 4. September 1892, daß „der .Staatssozialismus an sich' in der Praxis, und zwar in dem einzigen Land, wo er praktisch möglich, in Preußen..., notwendig in Fiskalität umschlägt". Engels betonte, daß der Bruch mit den Opportunisten eine Notwendigkeit sei, und gab Bebel praktische Ratschläge für den Kampf gegen sie. Auf dem Berliner Parteitag 1892 gelang es mit Engels' Hilfe, Georg von Vollmars opportunistische Auffassungen über den Staatssozialismus zurückzuweisen.. Aus den Auseinandersetzungen mit den opportunistischen Kräften in der deutschen Sozialdemokratie zog Engels eine Reihe wichtiger Schlußfolgerungen für die Entwicklung der innerparteilichen Demokratie und für die Festigung des politischen und die Erhöhung des theoretischen Bewußt-1
seins der Parteimitglieder. So hielt er für besonders wichtig, zur ideologischen Erziehung der Parteimitglieder theoretische Probleme zu diskutieren, sowie regelmäßig stattfindende Parteitage zur Selbstverständigung der Partei und zur Steigerung der Aktivität der Parteimitglieder durchzuführen. In der Entwicklung der Kritik und Selbstkritik sah er eine unerläßliche Bedingung für eine erfolgreiche Parteiarbeit, ein wichtiges Mittel, die in der Partei bestehenden Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. „Mir scheint, daß es absolut nötig ist", schrieb Engels, „daß die Partei ihre eigne Vergangenheit ... kritisiert und dadurch das Bessermachen lernt" (siehe vorl. Band, S.510). Eine kritische Selbsteinschätzung der Partei zeuge von ihrem hohen politisch-moralischen Reifegrad und erleichtere es, alle gegnerischen Verleumdungen zu widerlegen (vgl. vorl. Band, S.22 und 39). In seinen Briefen aus den Jahren 1891/92 äußerte sich Engels auch zu Fragen der französischen Arbeiterbewegung. Diese Probleme werden vor allem in den Briefen an Laura und Paul Lafargue erörtert, von denen der überwiegende Teil im vorl. Band erstmalig in deutscher Sprache veröffentlicht wird. Engels gab eine ausgezeichnete Analyse der innerpolitischen Lage Frankreichs und ging dabei auf das Erstarken der politischen Reaktion und der revanchistischen Stimmungen sowie auf die sich in Frankreich anbahnende politische Krise ein. Diese entwickelte sich auf Grund des Verfalls der bürgerlichen Parteien und der bürgerlichen Gesellschaft. Deutlicher Ausdruck dieser Krise war der Panama-Skandal. In dieser Situation hielt es Engels für die wichtigste Aufgabe der französischen Arbeiterpartei, den Kampf für ein gemeinsames Vorgehen aller fortschrittlichen Kräfte gegen die Reaktion zu verstärken und die die Republik kompromittierende reaktionäre Innen- und Außenpolitik der herrschenden Klassen anzuprangern. Er billigte die entschiedenen Artikel, mit denen Jules Guesde und Paul Lafargue in der sozialistischen Presse die Politik der Regierung entlarvten (vgl. vorl. Band, S. 34/35). Engels begrüßte auch Paul Lafargues Agitationsreise durch Frankreich. Angesichts der zunehmenden politischen Aktivität und der wachsenden Streikbewegung der französischen Arbeiter wurden die Herstellung und Sicherung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und die Isolierung der opportunistischen Führer immer notwendiger. In seinem Brief an Paul Lafargue vom 3I.Januar 1891 schrieb Engels, nachdem er die Taktik der französischen Arbeiterpartei gegenüber den Allemanisten gelobt hatte: „Einen Vertrag über die praktische Zusammenarbeit abschließen, jeden Versuch der Verschmelzung im Augenblick beiseite lassen, alles der Zeit... überlassen; es gibt kein Mittel, die gegenwärtige Lage besser auszunutzen."
Iii Marx/EngeU, Werke, Bd. 38
Anläßlich der Wahl Paul Lafargues in die Deputiertenkammer im November 1891 betonte Engels, daß „hier wirklich alle sozialistischen Fraktionen... zusammengegangen sind" (siehe vorl. Band, S.209). Engels sah darin eine Bestätigung für die Richtigkeit und unverminderte Gültigkeit der Marxschen Hinweise über die Bedeutung der Aktionseinheit, die dieser bereits 1875 den Führern der Eisenacher Partei gegeben hatte (vgl. vorl. Band, S.21 und 81). Als Paul Lafargue die Absicht äußerte, eine einheitliche parlamentarische Gruppe aus den sozialistischen Deputierten und einem Teil der von Millerand geführten Radikalen zu bilden, warnte Engels die französische Partei vor übereilten Aktionen. Engels hob hervor, daß eine solche Vereinigung die Marxisten ihrer selbständigen Positionen berauben und ihnen prinzipielle Zugeständnisse abfordern würde (vgl. Engels' Briefe an Paul Lafargue vom 31. Oktober 1891 und an Laura Lafargue vom 14. März 1892). Auch der englischen Arbeiterbewegung schenkte Engels in den vorliegenden Briefen große Aufmerksamkeit. Engels konstatierte mit Befriedigung eine stärkere Verbreitung der sozialistischen Ideen unter den englischen Arbeitern und einen zunehmenden Einfluß der neuen Trade-Unions. In den neuen Trade-Unions waren hauptsächlich ungelernte Arbeiter organisiert, die sich durch proletarisches Klassenbewußtsein auszeichneten. Hervorragenden Anteil an der Organisierung der ungelernten Arbeiter hatte Eleanor Marx-Aveling (vgl. vorl. Band, S.32 und 112). Gleichzeitig wies Engels nach, daß innerhalb des englischen Proletariats eine starke Arbeiteraristokratie existierte; mit Hilfe der reformistischen Organisationen vermochte die liberale Bourgeoisie einen nicht unwesentlichen Einfluß auf die englische Arbeiterbewegung auszuüben. Das führte zu einer Politik des Kompromisses und der Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien. So schrieb Engels in einer Charakteristik der englischen reformistischen Fabian Society: „Das ist der Kernpunkt der ganzen Frage. Im Augenblick, wo die Arbeiter zum ersten Mal selbständig auftreten, redet ihnen die Fabian Society zu, sie sollen Schwanz der Liberalen bleiben" (siehe vorl. Band, S.447). Die Grundfrage der englischen Arbeiterbewegung war, wie Engels wiederholt hervorhob, die Herstellung der politischen Selbständigkeit der Arbeiterklasse und die Schaffung einer marxistischen Arbeiterpartei. Er orientierte die englischen Marxisten auf eine geduldige Massenarbeit. So empfahl er ihnen, die Organisationen der Arbeiterklasse auf der Grundlage praktischer Forderungen, z.B. nach gesetzlicher Einführung des Acht
stundentages, zu vereintem Handeln zu veranlassen. Er war der Meinung, daß der Kampf um den Achtstundentag „für die Engländer die Pforte zur sozialistischen Bewegung..." sei (siehe vorl. Band, S.62). Viele Briefe beschäftigen sich mit der Vorbereitung und Durchführung der Maidemonstrationen in London. Engels sah in den Maidemonstrationen ein wichtiges Mittel, die werktätigen Meissen der sozialistischen Bewegung nahezubringen. Auf seinen Rat hin setzten sich die Führer der Legal Eight Hours League für eine einheitliche Demonstration aller Arbeiterorganisationen ein, um den Einfluß der opportunistischen und reformistischen Fühj rer zurückzudrängen. Nach der großen Londoner Maidemonstration 1891 schrieb er am 4. Mai 1891 an Laura Lafargue: „Die Hauptsache war, daß die Resolution in der von unseren Leuten vorgeschlagenen Form angenommen wurde und daß sie das gemeinsame Komitee gebildet haben..." Engels kritisierte in vielen Briefen den Dogmatismus und das Sektierer-1 tum englischer Sozialisten. Am Beispiel der Social Democratic Federation, deren Führer eine sektiererische Politik betrieben, zeigte Engels, daß die Partei oder Organisation, die „den Marxismus zu einem Dogma verknöchert, und indem sie jede Arbeiterbewegung zurückstößt, die nicht orthodox marxistisch ist", es sich unmöglich macht, „je etwas andres zu werden als eine Sekte" (siehe vorl. Band, S.422/423). In einigen Briefen berührte Engels Probleme der Entwicklung der Arbeiterbewegung in den USA. In den Briefen an Friedrich Adolph Sorge und Hermann Schlüter analysierte Engels den Stand der amerikanischen Arbeiterbewegung. Er wies auf ihre ideologische und organisatorische Schwäche im Vergleich zu der europäischen Bewegung hin, ebenso auf den starken bürgerlichen Einfluß innerhalb der amerikanischen Arbeiterbewegung. Die Ursachen hierfür sah Engels in der raschen ökonomischen Entwicklung der USA und in der besonderen nationalen Zusammensetzung der Arbeiterklasse. Die einheimischen Arbeiter hatten relativ bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen als die Einweinderer, die von den Kapitalisten grausam ausgebeutet wurden. Um die verschiedenen Gruppen des Proletariats gegeneinander auszuspielen, schürte die amerikanische Bourgeoisie den nationalen Hader innerhalb der Arbeiterklasse (vgl. die Briefe an Friedrich Adolph Sorge vom 24. Oktober 1891, an Hermann Schlüter vom 30. März 1892 und andere). Engels war jedoch der Meinung, daß die weitere Entwicklung des Kapitalismus in den USA auch die Arbeiterbewegung voran-1 treiben würde. Am 3I.Dezember 1892 schrieb er an Friedrich Adolph Sorge: „Es ist die Revolutionierung aller hergebrachten Verhältnisse durch die sich entwickelnde Industrie, die auch die Köpfe revolutioniert."
Engels kritisierte das sektiererische Verhalten zahlreicher amerikanischer Sozialisten und ihr mangelndes Verständnis für die Arbeit in den proletarischen Massenorganisationen, die größtenteils unter dem Einfluß reformistischer Führer ständen. Er sah darin eine der Ursachen für das längsame Vordringen sozialistischer Ideen unter den amerikanischen Arbeitern (vgl. vorl. Band, S. 16/17). Die Briefe widerspiegeln auch Engels' enge Beziehungen zu vielen Vertretern der sozialistischen und Arbeiterbewegung in Österreich-Ungarn, Italien, Polen und anderen Ländern. Engels unterstützte sie mit seinem umfangreichen theoretischen Wissen und seinen praktischen Erfahrungen. Seine Briefe än Victor Adler zeigen, wie er bemüht war, der österreichischen söziäldemökratischen Partei bei ihrer ideologischen und organisatorischen Festigung alle Hilfe zu geben. Mit Befriedigungver merkte er das Anwachsen der Arbeiterbewegung und stellte fest, daß der rasche industrielle Fortschritt in Osterreich und Ungarn eine „solide Basis für den Fortschritt unserer Bewegung" ist (siehe vorl. Band, S.444). Engels* Verbindung mit der italienischen Arbeiterbewegung wurde vor allem durch Pasquale Martignetti, den Übersetzer der Werke von Marx und Engels ins Italienische, hefgestellt. Engels unterstützte Martignetti bei seinen Übersetzungen, die wesentlich dazu beitrugen, däß der wissenschaftliche Kommunismus stärker in die italienische Arbeiterbewegung eindrang (vgl. vorl. Band, S.327). Nach wie vor verfolgte Engels aufmerksam die Entwicklung Rußlands und der russischen revolutionären Bewegung. Er unterhielt enge Beziehungen zu den russischen Revolutionären und Volkstümlern S. M. Krawtschinski^Stepniak) sowie P. L. Lawrow und trafäuch mit M. M. Kowalewski zusammen. Engels brachte den theoretischen Arbeiten der russischen Ökonomen N. A.Kablukow und N. A. Karyschew großes Interesse entgegen; anerkennend äußerte er sich auch überdieArbeiteri D. I. Mendelejews. Besondere Aufmerksamkeit widmete Engfels den neuen Arbeiten G.W. Plechanows. Er schätzte dessen Arbeiten sehr und empfahl sie den Sozialisten anderer Länder (vgl. Vorl. Band, S. 152 und 235). Eine Reihe von Engels' Briefen an N.F.Danielson, die in diesem Band veröffentlicht werden, sind von großer theoretischer Bedeutung. Sie enthalten eine Analyse der ökonönüsehfen Verhältrtiisse Rußländs im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und setzen «ich mit den Auffassungen 4er Volkstümler auseinander, die die Qbschtschina als Grundlage einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft in Rußland betrachteten. In Seinen Briefen wie auch in seinen Schriften der neunziger Jahren charakterisierte
Engels die ökonomische Entwicklung Rußlands als eine tiefgreifende sozialökonomische Umwälzung, die nach dem Krimkrieg und der Aufhebung der Leibeigenschaft begönnen hätte (vgl. Band 22 unserer Ausgabe, S. 257-260). Engels hob hervor, daß die Obschtschina durch die Entwicklung des Kapitalismus weiter zerfallen werde, und schrieb: „Ich fürchte, wir werden die o6m,iiHa bald als einen Traum der Vergangenheit zu betrachten und in Zukunft mit einem kapitalistischen Rußland zu rechnen haben. Zweifellos geht damit eine große Chance verloren, aber gegen ökonomische Tatsachen kann man eben nichts machen" (siehe vorl. Band, S.305). Engels stellte fest, daß Marx' Voraussage über den unvermeidlichen Ruin der Obschtschina sich zu bewahrheiten begann. Er wies darauf hin, daß die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland von den gleichen Erscheinungen begleitet werde wie in den anderen kapitalistischen Ländern; aber durch die Existenz von starken Überresten des Feudalismus und auf Grund der großen Anzahl kleinbäuerlicher Betriebe gehe dieser Prozeß in Rußland in viel schärferen Formen vor sich und werde den werktätigen Massen ungeheure Leiden auferlegen. Engels schrieb über die Hungersnot 1891/92, daß sie „keine isolierte und zufällige Erscheinung, sondern «ine notwendige Folge der ganzen Entwicklung seit dem Krimkrieg ist, ein Resultat des Übergangs vom ackerbautreibenden Gemeinwesen und der patriarchalischen Hausindustrie zur modernen Industrie" und „daß diese Umwälzung schließlich die Existenz der o6mima gefährden und das kapitalistische System auch in der Landwirtschaft einführen muß" (siehe vorl. Band, S. 363). In der ökonomischen Entwicklung Rußlands sah Engels einen wesentlichen Faktor, der das Wachstum der revolutionären Bewegung in diesem Lande förderte. Das gründliche Studium der Verhältnisse in Rußland bestärkte Engels' Vertrauen in die großen schöpferischen und revolutionären Kräfte des russischen Volkes (vgl. vorl. Band, S.364). Er war davon überzeugt,dafHnRußland unvermeidlich „große Veränderungen" vor sieh gehen würden, daß eine tiefgreifende Völksrevolution gegen den Zarismus heranreife, die, wie er glaubte, auf alle übrigen Länder eine große Wirkung ausüben und das Kräfteverhältnis zugunsten des Sozialismus stark verändern werde. Solche Gedanken äußerte er u. a. m den Briefen an Paul Lafargue vom 2. September 1891, an August Bebel Vöm 8.März 1892 Und an N. F.
Selbstherrschaft vertiefen, sondern auch die der kapitalistischen Gesellschaft immanenten Antagonismen in diesem Lande fördern werde. Vorausblickend schrieb Engels an N. F. Danielson am 22. September 1892: „Die kapitalistische Produktion erzeugt ihren eigenen Untergang, und Sie können sicher sein, sie wird das auch in Rußland tun."
*
Dieses Vorwort folgt im wesentlichen dem Vorwort zum Band 38 der zweiten russischen Ausgabe. 249 Briefe des vorliegenden Bandes werden nach den Photokopien der Handschriften gebracht. Ein sorgfältiger Vergleich mit diese
zum Vergleich herangezogen. Alle eingestreuten Wörter aus anderen Sprachen blieben in der Originalfassung. Sie werden in Fußnoten erklärt. Die von Engels angeführten Zitate wurden - soweit die Quellen zugänglich waren - überprüft, fremdsprachige Zitate in Fußnoten übersetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand und die Silbenzahl in den deutschsprachigen Briefen wurden nicht verändert. Allgemein übliche Abkürzungen wurden beibehalten. Alle anderen in der Handschrift abgekürzten Wörter wurden ausgeschrieben, wobei die Ergänzung von Namen und Zeitungstiteln sowie von solchen abgekürzten Wörtern, die nicht völlig eindeutig sind, durch eckige Klammern kenntlich gemacht wird. Alle Wörter und Satzteile in eckigen Klammern stammen von der Redaktion. Offensichtliche Schreib- und Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert; in allen anderen Fällen wird in Fußnoten die Schreibweise der Handschrift angegeben. Pseudonyme sowie Bei- und Spitznamen sind entweder durch Fußnoten oder durch Verweise im Personenverzeichnis erklärt. Zur Erläuterung wurden dem Band Anmerkungen beigefügt, auf die im Text durch hochgestellte Ziffern in eckigen Klammern hingewiesen wird. Sie sollen sowohl Verbindungen zu den Arbeiten von Marx und Engels herstellen (vor allem zu den 1891-1892 entstandenen Werken von Engels, die im Band 22 unserer Ausgabe veröffentlicht sind, und den von Engels in der gleichen Zeit besorgten Übersetzungen oder Neuauflagen von Marx' Schriften), als auch Daten aus dem Leben und der Tätigkeit von Engels vermitteln sowie Erläuterungen zu einzelnen Fakten und Personen geben. Unser Prinzip war hierbei, Quellen auszunutzen, die nicht jedem Leser ohne weiteres zur Verfügung stehen, z.B. zeitgenössische Publikationen, Briefe dritter Personen an Engels usw. In einzelnen Fällen wurden wir hierbei durch Fachwissenschaftler der Deutschen Demokratischen Republik oder aus dem Ausland unterstützt, denen wir an dieser Stelle unseren Dank sagen. In vielen Anmerkungen werden Auszüge aus Briefen von Arbeiterführern zitiert und hierdurch zum Teil erstmalig einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht. Als Grundlage dienten hierbei sowohl die dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zur Verfügung stehenden Photokopien der Handschriften dieser Briefe, die großenteils vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU freundlicherweise überlassen wurden, als auch in Einzelfällen die einschlägigen Publikationen, vor allem die des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte zu Amsterdam.
Ferner ept-hält der Band ein Literaturverzeichnis, ein Personenverzeichnis, eip Verzeichnis literarischer Namen und eine Aufstellung der Briefe, deren Datierung gegenüber früheren Ausgaben auf Grund neuer Erkenntnisse verändert wurde. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED
FRIEDRICH ENGELS
Briefe
Januar 1891 -Dezember 1892

1891
i
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 3. Jan. 18911
Lieber Sorge, Avant tout2 Prosit Neujahr Dir und Deiner Frau! Datum meiner letzten Postkarte mit Antwort auf die dringendsten Punkte Deines Briefes habe ich leider nicht notiert.'11 Vielen Dank für die sehr gute Photographie von Dir und Deiner Frau. Ich würde Dir gern eine von mir schicken, hätten wir nicht seit 25. Nov. in einem fort Schnee und Nebel, so daß weder Aufnahme noch Reproduktion von der Negativplatte möglich. Ich werde mich, sobald günstiges Licht zu haben ist, wieder photographieren lassen, um zu wissen, wie ich mit 70 Jahren aussehe, und Du sollst dann sofort mit bedient werden. Louise Kautsky bleibt bei mir.t2] Ich bin dem guten Kind für das Opfer, das sie mir damit bringt, sehr, sehr dankbar. Ich kann wieder mit Ruhe arbeiten und besser als je, denn sie wird zugleich mein Sekretär. Für sie habe ich Beschäftigung genug, für einen Mann, der von draußen zu mir käme, nicht. So macht sich alles unerwartet günstig und behaglich, und die Sonne scheint wieder in meinem Hause, wenn's draußen auch noch so nebelt. Ich glaube Dir schon geschrieben zu haben, daß Du meine Briefe ganz nach Belieben benutzen kannst. Aber Du sollst ja uns über Amerika belehren! Deine Reklamation nach Paris prompt besorgt.131 Ob's hilft? business is not their force!3 Sam Moore, Oberrichter in Asaba am Niger, ist nach letzten Nachrichten nicht wohl. Er hatte das Klima so gut ertragen, und jetzt auf einmal hat er Diarrhöe, Fieber und Kongestion der Leber und Milz - ich bin begierig
1 In der Handschrift: 1890 - 2 Vor allem - 3 pünktliche Erledigung ist nicht ihre Stärke! 1*
auf nächste Post übermorgen. Er will im April wieder hier sein auf 6 Monat Urlaub. Das wichtigste Ereignis seit 3 Monaten in Europa ist Seliwerstows Abmurksung durch Padlewski141 und dessen - von der Regierung gewollte Flucht. Der Nachweis, daß Paris Hauptquartier der russischen Mouchards4 im Ausland, daß Spionage und infame Dienste der französischen Republik für den Zaren erste Bedingung der Allianz mit Rußland, endlich Padlewskis kühne Tat, die-an alle sympathischen Fibern der französischen Tradition mächtig anschlug, das hat dem Faß den Boden ausgeschlagen. Die französisch-russische Allianz ist tot, eh' sie ausgetragen und geboren war (Louise K[autsky] ist Hebamme, daher dies Gleichnis), und zwar nicht sowohl weil die Bourgeoisrepublikaner sie nicht noch heute gern hätten, sondern weil man in Petersburg gesehn hat, daß sie im entscheidenden Augenblick versagt, also keinen Heller wert ist. Das ist für den Weltfrieden ein riesiger Gewinn. Nebel - Dunkel - muß schließen. Viele Grüße an Deine Frau und Dich selbst. Dein F.E.
* Polizeispitzel
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
... t , London, 7. Januar 1891 Lieber Kautsky, Gestern schickte ich Dir eingeschrieben das Ms. von Marx, an dem Du Deine Freude gehabt haben wirst.15' Ich zweifle, ob es so im heiligen Deutschen Reich wird erscheinen können. Sieh es Dir drauf an, und wo es geht, laß die bedenklichen Stellen weg und ersetze sie durch Punkte. Wo der Zusammenhang dies aber nicht zuläßt, sei so gut, mir im Korrekturabzug die Stellen zu bezeichnen und, wenn möglich, in 2 Zeilen die Gründe der Bedenklichkeit mitzuteilen, ich will dann das mögliche tun. Ich würde dann das abgeänderte in Klammern setzen und in meinen Einleitungsworten1 sagen, daß dies geänderte Stellen sind. Daher Korrektur in Fahnen, bitte! Es finden aber vielleicht auch noch andre Leute an diesem Abdruck Mißfallen, außer einer hohen Polizei. Solltest Du glauben, in dieser Beziehung Rücksichten nehmen zu müssen, so würde ich Dich bitten, das Ms. eingeschrieben an Adler zu schicken. Dort in Wien kann es wahrscheinlich (mit Ausnahme leider der prächtigen Stelle über religiöse Notdurft[8!) ganz gedruckt werden, und gedruckt wird es auf jeden Fall. Ich sollte aber denken, daß diese meine Dir hiermit mitgeteilte sehr positive Absicht Dir vollkommne Deckung gegen irgendwelche mögliche Wehklagen gibt. Denn da Ihr den Druck doch nicht verhindern könnt, ist es ja weit besser, es erscheint in Deutschland selbst und in dem für solche Dinge eigens gestifteten Parteiorgan, der „Neuen Zeit". Ich habe die Brentano-Arbeit2 unterbrochen, um dies Ding für Dich fertigzumachen; ich muß nämlich die Stellen über das eherne Lohngesetz dort verwerten'71, und da war's nicht der Mühe wert, dies Ding nicht gleich druckfertig zu machen. Ich dachte diese Woche mit Br[entano] fertig zu werden, aber es sind wieder soviel Störungen und Korrespondenzen dazwischengekommen, daß es kaum möglich sein wird. 1 „Vorwort zu Karl Marx' .Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei"' 2 „In Sachen Brentano contra Marx"
Also falls es Hindernisse gibt, sei so gut, mich zu unterrichten. Hier friert's noch immer Stein und Bein. Der arme Schorlemmer ist erkältet und temporär taub und hat Weihnachten nicht kommen können. Sam Moore ist in Asaba ernstlich krank, ich warte mit Schmerzen auf neue Nachrichten. Dein F. Engels Grüße Tauscher.
3
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
London, 9. Januar 1891
Lieber Freund, Das Unglück Ihrer Schwester hat auch bei mir herzliche Teilnahme gefunden. Und ich begreife die namenlose Aufregung, worin es Sie versetzt hat. Aber verlieren Sie nicht die Besinnung. Was nützt es Ihrer Schwester, wenn Sie den infamen Hund töten? Er würde die Genugtuung ins Grab mit sich nehmen, daß er zwei Familien ruiniert hat statt einer. Ich weiß, daß in Gesellschaften wie die des südlichen Italiens, wo man noch so manche Erinnerung aus der Zeit der Gens erhalten hat, der Bruder als der natürliche Schützer und Rächer der Schwester gilt. Aber der Bruder ist auch verheiratet, hat eine Frau und Kinder, hat Pflichten gegen sie, und in der heutigen Gesellschaft gehn diese Pflichten allen andern vor. Nach meiner Ansicht sind Sie also Ihrer eignen Familie schuldig, keinen Akt zu begehn, der Sie notwendig zu lebenslänglicher Trennung von ihr verdammen müßte. Ihre Schwester steht in meinen Augen ebenso rein und achtenswert da wie vorher. Glauben Sie aber sich rächen zu müssen, so gibt es doch noch Mittel, auch den Verführer in den Augen der Gesellschaft mit dem Brandmal der Infamie zu bezeichnen. Hier würde ein Bruder den Lumpen öffentlich durchpeitschen. In Frankreich und Deutschland würde eine öffentlich erteilte Ohrfeige genügen. In Österreichisch-Polen (Leopol1) hatte sich ein Journalist an Rußland verkauft. Eine Anzahl junger Polen faßten ihn auf der öffentlichen Promenade ab, legten ihn über eine Bank und applizierten ihm 25 kräftige Stockprügel auf den Hintern. Auch Sie in Italien werden ein Mittel haben, einen solchen Lumpen öffentlich zu brandmarken und der allgemeinen Verachtung preiszugeben, ohne ihm dauernden Schaden an Leib und Leben zuzufügen.
Wie gesagt, auch hierzu bin ich weit entfernt, Ihnen zu raten. Aber wenn Sie der festen Überzeugung sind, daß irgendein Racheakt geschehn muß, dann immer besser Rache an der Ehre des Verführers als in andrer Weise. Mit herzlichen Grüßen Ihr F. Engels
Besten Dank für Ihre Glückwünsche zu meinem 70sten Geburtstag.
4
Engels an Stanislaw Mendelson in London
122, Regent's Park Road, N. W. [London] Dienstag, 13. Januar 1891
Lieber Bürger Mendelson, Als wir am letzten Sonntag1 über Tag und Stunde sprachen, wann es Ihnen passen würde, bei mir zu speisen, waren wir in großer Eile; es ist deshalb vielleicht nicht unnütz zu wiederholen, was ich Ihnen sagen wollte, damit jedes Mißverständnis vermieden wird. Ich werde Sie also übermorgen, Donnerstag, um sechs Uhr abends mit Ihrer Gattin und dem Bürger Jodko erwarten. Es kann sein, daß ich mich hinsichtlich des letzteren nicht klar genug ausgedrückt habe; ist es so, bitte icb Sie, ihn nochmals in meinem Namen einladen zu wollen, mich mit seinem Besuch zu beehren.2 Mit Empfehlungen- von mir und Frau Kautsky an Ihre Gattin aufrichtigst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
1 1 I.Januar - 2 vgl, vorl. Band, S. 11
5
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 15. Januar 1891
Lieber Baron, Aus den beiliegenden Korrekturen1 wirst Du ersehn, daß ich kein Unmensch bin und sogar noch in der Einleitung2 etwas beruhigendes Morphin und Bromkalium eingegeben habe, was auf die elegische Stimmung unsres Freundes Dietz wohl die genügende schmerzstillende Wirkung ausüben wird. An Bebel schreibe ich noch heute.181 Ich habe ihm früher nichts von der Sache gesagt, weil ich ihn nicht in eine falsche Stellung gegen L[ie]bk[necht] bringen wollte. Diesem wäre er verpflichtet gewesen, davon zu sprechen, und L[iebknecht], der, wie seine Haller Programmrede beweist, sich Auszüge aus dem Ms. gemacht19würde Himmel und Hölle aufgeboten haben, den Druck zu verhindern. Kann die Stelle: „ihre religiösen wie ihre leiblichen (Bedürfnisse) zu verrichten" nicht gut stehnbleiben, so streich die 3 unterstrichnen Worte und setze Punkte.1101 Die Anspielung wird dann feiner und doch noch verständlich genug. Dann wird's hoffentlich keine Bedenken setzen. Sonst habe ich Dir und Dietz alles zu Gefallen getan, was Ihr verlangt habt, und wie Du siehst, mehr. Die Mendelsons sind von Paris hier. Der Richter verbot ihm bei seiner Freilassung, Frankreich zu verlassen. Der Minister Constans dagegen gebot ihm, freiwillig fortzugehn, sonst werde er ausgewiesen.'111 Constans hat den mit der Polizei notorisch unter einer Decke steckenden Labruy&re mit der Fortschaffung von Padlewski beauftragt. Wäre P[adlewski] vor die Geschwornen gekommen, so kam die Mogelei mit Rußland zur Krisis: Die Taten der russischen Mouchards3 in Paris waren nicht aus der Verhandlung zu entfernen, und Ptadlewski] konnte freigesprochen werden! So war er eine riesige Verlegenheit für die Regierung und mußte fort. Laß Dir von Laffargue] einen Artikel über die Sprengung der russisch-französischen Allianz
1 Karl Marx: „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei" - 2 „Vorwort zu Karl Marx' .Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei" - 3 Polizeispitzel
durch Padlewski machen1121, L[ie]bk[necht] faßt die Sache total falsch auf wie alles Ausländische. Hier kamen die M[endelson]s an ohne alle Adressen und fielen Smith Headingley und Hyndman in die Hände, wurden von ihnen in ein Meeting gebracht1131 etc. Endlich kamen sie zu mir; ich gab ihnen Edes Adr., und als ich ihnen aus diplomatischen Gründen einen formellen Gegenbesuch machte, kam zur Tür herein - Herr Smith Headingley. Dies gab mir Gelegenheit, ihn mit kühlster Verachtung vor den Polen zu behandeln, was seine Wirkung zu tun schien. Sonntag4 waren sie hier, heut habe ich sie, Edes und Avelings zum Essen hier, damit wird der im Interesse von Brousse, Hyndman und Co. eingefädelten Intrige wohl der Kopf abgebissen sein. Schade, daß Du nicht dabei bist, wir fangen mit Austern an.
Dein F. E.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken1111
Lieber Sorge, Hiermit 4.Aufl. „Kapital"1 (registriert) und ein Paket Zeitungen. Da Sam Moore wahrscheinlich schon auf der Rückfahrt vom Niger nach Europa ist - 6 Monate Urlaub in je 2 Jahren - so werden verschiedne Sachen für Dich frei, die er bisher erhielt: „Berliner Volks-Tribüne", die der kleine Conrad Schmidt in eine ganz gute Richtung gebracht und Paul Ernst bis jetzt noch nicht verdorben hat, „Cri du Travailleur", der den Hauptinhalt von „Le Socialiste" wiedergibt. Ferner ein „Vorwärts" mit unsern Enthüllungen über Herrn Reuß.1151 Seit 25. Nov. fortwährend Schnee und Eis. Seit 5 Tagen sind die Wasserröhren unter der Straße gefroren, wir haben unsre liebe Not mit dem Wasser, In Nr. 17 der „Neuen Zeit" kommt eine Bombe: Marx' Kritik des Programm-Entwurfs von 1875.1161 Du wirst Dich freuen, aber bei manchem in Deutschland wird's Zorn und Entrüstung setzen. Grüße an Deine Frau, Schlüters und Romms, wenn Du sie siehst. Dein F.E. [London] 17.Jan.91
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Engels an Stanislaw Mendelson in London
[London] Sonntag, den 18. Januar 1891
Lieber Bürger Mendelson, Gestern abend, nach der Unterhaltung mit Ihrer Gattin, habe ich im Pariser „Socialiste" einen Artikel1171 gefunden, der Informationen enthält, die Ihnen, wie ich glaube, als Grundlage dienen könnten, um einen Brief an die englische Presse über die Affäre zu schreiben, von der mir Ihre Gattin und der Bürger Jodko erzählt haben. Ich habe die Sache mit Aveling und seiner Frau besprochen. Sie werden morgen früh bei Ihnen vorbeikommen. Wenn Sie also mit Aveling irgendeine Stunde vereinbaren könnten, zu der Sie beide mir das Vergnügen machen würden, mich zu besuchen, könnten wir den Brief abfassen und über seine Veröffentlichung in der Presse beraten.'181 Meine Empfehlungen an Ihre Gattin und den Bürger Jodko. Aufrichtigst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Carl Schorlemmer in Manchester1191
London, 27. Jan. 91
Lieber Jollymeier, Im neugriechischen Wörterbuch finde ich: Xou[jwr<4p8a, 7) bombarde, canon, XoDfutapSdcpT)?, bombardier, XoufwrapSdcpcö, bombarder, usw. Das schwere Geschütz kam zu den Byzantinern aus Italien, und der älteste italienische Gemeinname für ein solches Geschütz ist bombarda. Da das neugriechische ß = italienisches v, wird b durch (jirc ausgedrückt ([«rä-pta, banc pour s'asseoir1, [jaraWpi, bazar, marche public2). Um nicht zweimal diese schauerliche Zusammensetzung zu haben, wird das erste b hier zu ß. Daß also XoufjwrapSoq Kanonenbronze ist, kann hiernach keine Schwierigkeit haben. Ich hoffe, Du hast Louisens Brief erhalten und bist besser. Unter Streifband etwas zur Erheiterung. Grüße von L[ouise] und Deinem
F.E.
9
Engels an Heinrich Scheu in London
122, Regent's Park Road, N.W. [London] 27. Jan. 1891
Sehr geehrter Herr Scheu, Verzeihen Sie, daß ich Sie so lange auf Antwort auf Ihre freundlichen Zeilen vom 10. warten ließ.1201 Aber erstens hatte ich eine absolut dringende Arbeit zu erledigen, zweitens war ich durch Rendezvous mit Medizinern, deren Zeitbestimmung nicht von mir abhing, fast nie Herr über meine Zeit, und drittens war ja auch bis vor kurzem das Wetter auch nicht eben günstig für Photographie. Jetzt bin ich, denk* ich, zu Ihrer Disposition, wenigstens von übermorgen an und besonders, wenn Sie mir 12-24 Stunden Notice1 geben wollen. Ich dachte wieder zu Debenham ganz in meiner Nähe zu gehn, gehe aber auch zu jedem andern (nur nicht Mayall, der von Marx kein Geld nehmen wollte, und das ist genant), den Sie vorziehen, und soll es mich sehr freuen, wenn Sie mit dabei sind und Sie dem Mann selbst auseinandersetzen, was und wie Sie es wünschen. Freundlichen Graß von Ihrem ergebnen F. Engels
1 vorher Bescheid
10
Engels an Hermann Schlüter in Hoboken
London, 29.]an. 1891
Lieber Schlüter, Endlich komme ich zur Beantwortung Deines Briefs vom 19. Nov. Besten Dank für Deine und Deiner Frau freundliche Glückwünsche.'al] Ich wollte, Ihr wärt dabeigewesen. Wir kneipten bis halb vier Uhr morgens und vertilgten, ohne den Rotwein, 16 Flaschen Schaumwein. Sorges Einladung kann ich leider nicht nachkommen.1221 Hier in Europa sitze ich mit so viel Wurzelfasern fest und habe so unendlich viel zu tun, daßRückzug nach Amerika nur im äußersten Zwangsfall in Betracht kommen kann. Zudem ist mein Hauswesen wieder vollständig geordnet, seit Louise Kautsky bei mir ist.1 Besten Dank für den Kalender.'231 Die Artikel in der „Cyclopaedia"1241 sind teilweise von Marx, teilweise von mir, und zwar fast oder ganz nur über militärische Themata, Biographien von Feldherrn, Artikel Artillery, Cavalry, Fortification usw. Reine Geschäftsarbeit, weiter nichts, können rubig begraben bleiben. Daß es mit der Sozialistischen Arbeiter-Partei'251 dort abwärts geht, sehe ich hinreichend aus deren Verbrüderung mit den Nationalisten'261, gegen welche Leute die hiesigen Fabians'271 - ebenfalls Bourgeois - noch radikal sind. Ich dächte, der „Sozialist" wäre doch kaum in der Lage, durch Begattung mit dem „Nationalist" extra Langeweile zu erzeugen. Den „Nationalist]" schickt mir Sorge zu, ich kann aber trotz aller Mühe keinen Menschen finden, der sich hergibt, ihn zu lesen. Auch versteh' ich den Krakeelmit Gompers nicht.'281 Seine Föderation'291 ist, soviel ich weiß, eine Assoziation von Trades Unions und nichts als Trades Unions. Die Leute haben also das förmliche Recht, jeden abzuweisen, der als Repräsentant einer Arbeitervereinigung kommt, die feine Trades Union ist, oder Delegierte einer Verbindung abzuweisen, worin
Friedrich Engels (1891) Gravüre von Heinrich Scheu[30^

solche Vereine zugelassen sind. Ob es propagandistisch ratsam war, sich einer solchen Zurückweisung auszusetzen, kann ich von hier aus natürlich nicht beurteilen. Aber daß sie kommen mußte, war doch außer Zweifel, und ich wenigstens kann Gompers daraus keinen Vorwurf machen. Wenn ich aber an den nächstjährigen internationalen Kongreß in Brüsself311 denke, so sollte ich meinen, es wäre doch gut gewesen, sich mit Gompers, der jedenfalls viel mehr Arbeiter hinter sich hat als die Sozialistische Arbeiter-Partei, gut zu halten und möglichst starke Vertretung Amerikas, auch seiner Leute, dort zu sichern. Die Leute sehn dort doch manches, was sie an ihrem bornierten Trades-Union-Standpunkt irremacht - und zudem, wo wollt Ihr denn einen recruiting ground2 finden, wenn nicht unter den Trades Unions? Für die Silbergeschichten besten Dank.[32] Kannst Du mir etwas finden, worin über die gegenwärtige Silberproduktion der United States Notizen sind, so wäre ich Dir dankbar. Die europäischen Doppelwährungs-Esel sind die reinen dupes3 der amerikanischen Silberproduzenten und ganz bereit, diesen die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Leider umsonst - es wird nichts aus dem Schwindel. Sieh meine Anmerkung in 4. Aufl. „Kapital" bei den edlen Metallen.1333 Gib mir doch nähere Details über die fragliche Marxsche Rede über Schutzzölle.[34] Ich erinnere mich nur, daß, als im Brüsseler Deutschen Arbeiterverein[35J die Debatten schlaff wurden, M[arx] und ich uns verabredeten, eine Debatte zum Schein zu führen, worin er Freihandel, ich Schutzzölle verteidigte, und sehe noch die erstaunten Gesichter der Leute, als sie uns beide auf einmal gegeneinander losfahren sahen. Möglich, daß diese Rede in der „D[eutschenl-Brüss[elerJ-Ztg." gedruckt wurde. Sonst erinnere ich mich keiner andern. Nach Deutschland wirst Du wohl in den ersten paar Jahren nicht können. Zwar ist Tauscher losgelassen, aber nur weil ihm nichts zu beweisen war.[36] Dagegen kam dabei heraus, daß gegen Euch andre die Verjährung bisher regelmäßig unterbrochen worden ist. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich von Louise Kfautsky] und Deinem F. Engels
% ein Rekrutierungsfeld - 3 Narren
2 Marz/Engels, Werke, Bd. 38
Motteler ist noch hier, liquidiert in 114, Kentish Town Road1371; was er anfangen wird, wenn das Haus 25. März geräumt wird und er nur zu Hause liquidieren kann, weiß ich nicht. Er will aber platterdings nicht nach der Schweiz zurück, obwohl wir wissen, daß das ganz leicht wäre. Ede geht's gut, er arbeitet wie ein Pferd, schreibt sehr gute Sachen in der „Nfeuen] Zeit".
11
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 31. Januar1 1891
Mein lieber Lafargue, Die Nachricht, die Sie erschreckt hat, ist, wie 9/10 der Nachrichten, die in Paris über Deutschland veröffentlicht werden, nur eine Ente.1381 Der Vorstand der deutschen Partei hat sich in bezug auf den 1. Mai nicht geäußert. Die Parlaments/ra^fion (die sozialistischen Mitglieder des Reichstags2) hat, mit Ausnahme einer Stimme, einmütig beschlossen, daß es wünschenswert sei, in Deutschland (und nirgendwo anders) die Maifeier am Sonntag, dem 3.Mai, und nicht am l.Mai zu begehen.'391 Das ist alles. Da das Parteistatut der „Fraktion" keinerlei offizielle Funktion gibt, ist dies nur der Ausdruck eines einfachen Wunsches, der jedoch wahrscheinlich allgemein gebilligt wird. Über die Idee, den anderen Ländern vorzuschlagen, den Tag der Demonstration im gleichen Sinne zu verlegen, schreiben unsere Zeitungen kein Wort. Es wäre jedoch möglich, daß der eine oder andere Abgeordnete im stillen daran gedacht hat; da Bebel zur Hochzeit seiner Tochter in Zürich weilt, werde ich an Fischer schreiben'403, damit man diese Dummheit verhindert, wenn überhaupt jemand daran denken sollte. Sie und Bonnier, von dem ich einen langen Brief über dieses Thema in der Tasche habe'411, können sagen, was Sie wollen; die Engländer werden es wahrscheinlich genauso machen wie die Deutschen und am Sonntag feiern. Für die Deutschen besteht dafür eine fast absolute Notwendigkeit. Im vorigen Jahr fanden Sie ihr Verhalten „lau". Nun gut, in Hamburg, der Stadt, wo wir am besten organisiert und im Verhältnis zum übrigen Teil der Bevölkerung am stärksten sind und wo wir über sehr hohe Kassenbestände verfügten (Partei ebenso wie Gewerkschaften) - in Hamburg hat man allgemein den 1. Mai den Unternehmern zum Trotz gefeiert. Da aber die Geschäfte ziemlich schlecht gingen, haben letztere den einen Tag Arbeitsruhe benutzt, um ihre Unternehmen zu schließen und zu erklären,
1 In der Handschrift: 30. Januar - 2 in der Handschrift deutsch: Reichstag
daß sie sie nur für die Arbeiter wieder öffnen würden, die aus der Gewerkschaft austräten und versprächen, sich nicht wieder gewerkschaftlich zu organisieren. Der Kampf hat den ganzen Sommer hindurch bis zum Herbst gedauert, schließlich sind die Fabrikanten von ihrer Forderung abgegangen; aber unsere Gewerkschaftsorganisation in Hamburg war stark erschüttert, die Kassen haben sich dort und auch anderswo durch die Mittel, die den lock-outs3 geschickt wurden, geleert, und man hat keineswegs Lust, im Frühjahr aufs neue damit anzufangen, zumal sich die wirtschaftliche Lage noch verschlechtert hat. Sie haben gut reden von Unschlüssigkeit und mangelnder Festigkeit. Ihr lebt in einer Republik, und die bürgerlichen Republikaner waren, um die Royalisten zu besiegen, gezwungen, Euch politische Rechte zuzugestehen, von denen wir in Deutschland weit entfernt sind. Hinzu kommt, daß Ihr, bis jetzt gespalten und mit den Broussisten1421 im Schlepptau der Regierung, nicht allzu gefährlich seid; im Gegenteil, Constans sieht Euch gern „demonstrieren" und die Radikalen1431 ein bißchen erschrecken. In Deutschland sind unsere Leute eine reale Kraft, IV2 bis 2 Millionen Wähler, die einzige disziplinierte und wachsende Partei. Wenn die Regierung Demonstrationen der Sozialisten wünscht, dann nur deshalb, weil sie sie zu einem Aufruhr provozieren möchte, bei dem man sie zerschmettern und für die nächsten zehn Jahre erledigen könnte. Die beste Demonstration der deutschen Sozialisten ist ihre Existenz und ihr langsames, regelmäßiges und unaufhaltsames Voranschreiten. Wir sind noch weit davon entfernt, einen offenen Kampf führen zu können, und wir haben gegenüber ganz Europa und Amerika die Pflicht, keine Niederlage zu erleiden, sondern, wenn der Augenblick gekommen ist, in der ersten großen Schlacht zu siegen. Dieser Überlegung ordne ich jede andere unter. Natürlich wäre es sehr hübsch, alle sozialistischen Arbeiter beider Welten am selben Tag den 1. Mai feiern zu sehen. Aber das wäre doch keine gleichzeitige und einheitliche Arbeitsruhe. Bei Euch in Paris ruht die Arbeit, sagen wir, von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends; wenn die New-Yorker um 8 Uhr beginnen, wird es in Paris 1 Uhr nachmittags sein, und die Kalifornier werden noch 3 Stunden später beginnen. Die Demonstration im vergangenen Jahr hat nichts dadurch verloren, daß sie auf zwei Tage verteilt war; in diesem Jahr wird das noch weniger der Fall sein. Die Österreicher sind in einer ganz anderen Situation: Die regelmäßige Agitation und Organisation wird ihnen so schwer gemacht, daß die Arbeitsruhe für einen
Tag der einzige Weg für sie ist, eine Demonstration zu veranstalten, wie es Adler sehr gut dargelegt hat.1441 Trösten Sie sich also. Die Bewegung wird unter diesem Mangel an „Einheitlichkeit" nicht leiden, und diese rein formale Einheitlichkeit lohnt nicht die Kosten, die sich bei uns in Deutschland und vielleicht auch in England daraus ergeben würden. Ich finde Ihr Verhalten gegenüber den Anti-Broussistent451 ausgezeichnet. Einen Vertrag über die praktische Zusammenarbeit abschließen, jeden Versuch der Verschmelzung im Augenblick beiseite lassen, alles der Zeit und schließlich dem internationalen Kongreß1311 überlassen; es gibt kein Mittel, die gegenwärtige Lage besser auszunutzen.1461 Das gleiche schlug Marx auch Liebkn[echt] zur Zeit der Verschmelzung mit den Lassalleanern vor1471, aber unser Freund hatte es zu eilig! Guesde spielt ihm einen schönen Streich in seinen Korrespondenzen für den „Vorwärts".1481 L[ie]bk[necht] hat immer die bürgerliche Republik verteidigt, um die Preußen zu ärgern; die Constans, Rouvier usw. waren für ihn fast über jeden Tadel erhaben. Und nun zerstört Guesde diese Illusion! Das ist famos und sehr nützlich für Deutschland. Umarmen Sie Laura für mich. Meine Hochachtung vor Doktor Z. wegen des Artikels über die Affäre in Toulon.1491 Louise dankt ihm besonders dafür. Sie läßt Sie und Laura herzlich grüßen. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
12
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 3. Febr. 1891
Lieber Kautsky, Du glaubst, wir würden hier mit Briefen bombardiert wegen des MarxArtikels'51 - ganz im Gegenteil, wir hören und sehen nichts. Als Samstag1 keine ,,N[eue] Z[eit]" kam, dachte ich gleich, es sei wieder etwas los. Sonntag kam Ede und teilte mir Deinen Brief mit. Ich dachte nun, der Unterdrückungsstreich sei doch noch gelungen. Endlich kam Montag die Nummer, und nach einiger Zeit entdeckte ich auch den Abdruck im „Vorwärts".'501 Da die sozialistengesetzliche Maßregelung mißraten'511, war dieser kühne Sprung das Beste, was die Leute tun konnten. Er hat aber außerdem das Gute, daß er ein gut Stück der schwer überbrückbaren Kluft ausfüllt, von der August im ersten Schrecken spricht. Dieser Schrecken war jedenfalls wesentlich begründet auf die Erwägung: was werden die Gegner daraus machen? Indem man das Ding im amtlichen Organ abdruckt, schneidet man der gegnerischen Ausbeutung die Spitze ab und stellt sich in Positur, sagen zu können: seht, wie wir uns selbst kritisieren - wir sind die einzige Partei, die sich das erlauben kann; macht uns das einmal nach! Und das ist auch der richtige Standpunkt, den die Leute hätten von vornherein einnehmen sollen. Eine Maßregelung gegen Dich wird damit auch schwer in Szene zu setzen. Meine Bitte, das Ding eventuell an Adler zu schicken2, sollte einerseits auf Dietz drücken, andrerseits aber auch Deine Verantwortlichkeit decken, indem ich Dich gewissermaßen in eine Zwangslage setzte. Ich schrieb auch an August, daß ich die ganze Verantwortlichkeit auf mich allein nähme.'521 Fällt sonst noch Verantwortlichkeit auf jemand, dann auf Dietz. Er weiß, daß ich mich in solchen Dingen ihm gegenüber stets sehr coulant benommen. Ich habe nicht nur alle seine Milderungswünsche erfüllt,
sondern noch darüber hinaus gemildert. Hätte er mehr angestrichen, so wäre das auch berücksichtigt worden. Aber woran Dietz keinen Anstoß nahm, warum sollte ich das nicht passieren lassen? Im übrigen werden die meisten außer Lfiebknecht] nach dem ersten Schrecken mir dankbar sein, daß ich das Ding veröffentlicht. Es macht jede Halbheit und Phrasenhaftigkeit im nächsten Programm unmöglich und liefert unwiderstehliche Argumente, die die meisten von ihnen vielleicht kaum den Mut gehabt hätten, aus eigner Initiative vorzubringen. Daß sie das schlechte Programm unter dem Sozialistengesetz1531 nicht änderten, weil sie nicht konnten, ist kein Vorwurf. Und jetzt haben sie's ja selbst aufgegeben. Und daß sie vor 15 Jahren bei der Einigung sich tölpelhaft benommen und sich von Hasselmann etc. über den Löffel barbieren lassen, das können sie jetzt wahrhaftig ungeniert eingestehn.1541 Jedenfalls sind die 3 Bestandteile des Programms: 1. spezifischer Lassallianismus, 2. volksparteiliche Vulgärdemokratie, 3. Unsinn, dadurch nicht besser geworden, daß sie 15 Jahre lang als offizielles Parteiprogramm im Essig gelegen, und wenn man das heute nicht offen heraussagen darf, wann denn? Wenn Du was Neues hörst, laß es uns bitte wissen. Viele Grüße. Dein F.E.
13
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
[London] 5./2./91
Meine liebe Laura, Louise und ich gehen nach Highgate, um die Grabinschrift abzuschreiben, damit wir eine zusätzliche für Nimmy vorschlagen können.1 Inzwischen unterschreibe bitte Beiliegendes, da Du und Tussy als gemeinsame Eigentümer eingetragen seid und Ihr beide zu unterschreiben habt. Wir werden Dich dann wissen lassen, was wir vorschlagen. Die Sozialisten von Northampton haben Edward aufgefordert, an Stelle des verstorbenen Bradlaugh zu kandidieren!2 Efdward] und Tussy sind am Mittwoch hinübergefahren, um sich zu erkundigen, doch ich habe seitdem noch nichts gehört. Ich riet ihm, nur dann anzunehmen, wenn alle Ausgaben gedeckt würden. Heute erfahren sie, daß sie zu Edwards Nominierung £ 100 bis £ 150 brauchen, und diese ist bereits am nächsten Montag! Liebe Grüße von Louise und Deinem F. E.
Aus dem Englischen.
Friedrich Engels (1891)

14
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 6. Febr. 91
Mein lieber Lafargue, Fischer hat mir über das angebliche Eintreten der Deutschen für den 3. Mai folgendes geschrieben1551: „Du hast vollständig recht; hier war kein Mensch so verrückt, den Parteien der anderen Länder Vorschriften machen zu wollen. Der Beschluß der Parlamentsfraktion ist nur an die deutschen Arbeiter gerichtet, und er entsprang der einfachen Erkenntnis, daß in der gegenwärtigen Situation und bei der heutigen politischen und ökonomischen Spannung eine Feier am Freitag - 1. Mai - einfach ein Ding der Unmöglichkeit sei. Leider wird es nur zu viele am 1. Mai geben, die unfreiwillig feiern werden. Die Krisis in der Bau-, Eisen- und Textilindustrie und was damit zusammenhängt, gäbe unseren Kapitalisten, die zudem über die ganze politische Situation in Deutschland wütend sind*, nur den längst gesuchten Anlaß zu einem allgemeinen Vorstoß, den wir jetzt nicht parieren könnten. Die Sache mit den Hamburger Zigarrenarbeitern dürfte einen Fingerzeig geben, wo heute die Trümpfe liegen.** Die Hamburger Zigarrenarbeiter sind unsere Elitetruppe, sie haben keine blacklegs2, und dennoch ist der Kampf seit Wochen verloren. Im Grunde freilich zahlen nur die Kleinfabrikanten die Zeche den Arbeitern kostet er aber rund hunderttausend Mark aus ihrem eigenen Fonds, ohne die Beiträge aus den anderen Städten zu rechnen, die zur Unterstützung des Streiks geschickt werden - ein 1. Mai wäre also einfach finanziell unmöglich." Nun, ich denke, das wird Ihnen genügen. Und Sie werden nicht mehr erstaunt darüber sein, wenn die Engländer, wie ich es Ihnen schon
* Bismarcks Sturz, Staatssozialismus, die Gefahr, die seit 1878 bestehenden ProhibitivEinfuhrzölle'061 zu verlieren usw. usw. ** Lockout1 dieser Arbeiter, um sie zum Austritt aus ihrer Gewerkschaft zu zwingen.t57}
1 Aussperrung - 2 Streikbrecher
angedeutet habe, dem Beispiel der Deutschen folgen werden. Tussy hält das für sehr wahrscheinlich. Ihr Franzosen betet die Einheitlichkeit an, und das ist auch eine schöne Sache, wenn sie nicht zu teuer zu stehen kommt. Aber unsere Chancen in Deutschland zu ruinieren und einen wirklichen Erfolg in England unmöglich zu machen, um die Einheitlichkeit zu retten, das wäre Pedanterie. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
15
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 10. Februar 91
Mein lieber Lafargue, Inliegend ein Scheck über £ 20. Ich hoffe, daß er vor Ihrer Abreise nach dem Allier eintrifft; ich dachte nicht daran, als ich ihn ausschrieb, sonst hätte ich ihn auf Laura ausgestellt, um die Girierung zu erleichtern, falls Sie abwesend sein sollten. Was sich auf dem Kongreß1581 wegen des I.Mai zugetragen hat, weiß ich nicht; aber Sie können sagen, was Sie wollen, im gegenwärtigen Augenblick wäre es von den Deutschen geradezu verrückt, wenn sie sich in den Kopf setzten, am 1. Mai und nicht am Sonntag, dem 3. Mai, zu feiern1591. Der Streit ist übrigens natürlich, es ist der Antagonismus zwischen dem Süden und dem Norden. Ihr Südländer opfert alles der Form, die Nordländer verachten diese zu sehr und halten sich allein an den Inhalt. Ihr liebt den theatralischen Effekt; jene vernachlässigen ihn vielleicht zu sehr. Aber für sie wäre der l.Mai die Wiederholung der Hamburger lockouts1 vom vergangenen Jahr2, diesmal im ganzen Lande und unter noch viel ungünstigeren Bedingungen; das würde eine Ausgabe von 2 bis 300000 Mark bedeuten, die Erschöpfung aller direkt oder indirekt von der Partei geschaffenen Fonds, die Sprengung aller unserer Gewerkschaften und als Folge die allgemeine Entmutigung. Geben Sie zu, daß der theatralische Effekt einer einheitlichen Demonstration etwas teuer erkauft wäre. Der Erfolg des „Socialiste" freut mich sehr. Das beweist, daß Eure Arbeiter wieder zu lesen anfangen und an anderen Dingen Geschmack finden als an Sensationsblättern und pornographischen Zeitungen. Ihr könnt auf diesen Erfolg stolz sein1601; das ist ein sehr gutes Zeichen. Seit vielen Jahren ist das die erste Wochenzeitung, die ihre Kosten deckt. Außerdem ist sie sehr gut gemacht. Schicken Sie sie an Sorge? Der Artikel von Marx151 hat im Parteivorstand großen Zorn und in der Partei selbst viel Beifall hervorgerufen. Man hat versucht, die ganze Aus
1 Aussperrungen - 2 siehe vorl. Band, S. 19/20
gäbe der „Neuen Zeit" zu unterdrücken, aber es war zu spät1511, dann htt man gute Miene dazu gemacht und es gewagt, den Artikel im offiziellen Organ3 abzudrucken. Wenn man sich beruhigt haben wird, wird man mir dafür danken, daß ich sie daran gehindert habe, noch ein so faules Programm durch Liebk[necht] fabrizieren zu lassen, den Vater des gegenwärtigen.1541 Inzwischen erhalte ich keine direkten Nachrichten von ihnen, man boykottiert mich ein wenig.4 Ihr Artikel über die Allianz mit Rußland1121 ist sehr gut, er wird die ewigen Versicherungen Liebkn[echts] berichtigen, daß in Frankreich niemand jemals an eine russische Allianz gedacht hat, daß das alles eine reine Erfindung Bismarcks ist usw. Der gute Mann glaubt, es sei seine Pflicht, auf alles, was in Frankreich vor sich geht, Loblieder zu singen (oder die Schandtaten zu verbergen), weil es eine Republik ist! Ihren Artikel über das Feudaleigentum habe ich noch nicht lesen können.161 ] In Northampton hat die örtliche Sektion der Social Democratic Federation^1621 Aveling aufgefordert zu kandidieren und Hyndman darüber benachrichtigt, der sie von der Aufstellung der Kandidatur abhalten wollte; aber man bestand darauf, so daß H[yndman] am letzten Samstag5 seine Getreuen hier in London versammeln mußte, um zu beschließen, daß sie mit der Kandidatur Avelings nichts zu tun hätten. Da sie niemand dafür zur Verantwortung zog, kommt das einer offiziellen Anerkennung ihrer Widersetzlichkeit im Schöße der Federation gleich. Der Stern H[yndmans] erblaßt selbst in den Augen der Seinen. Der Aufschwung der Bewegung seit 18 Monaten hat der Federation starken Zuwachs gebracht, die jetzt mehr Mitglieder hat denn je. Aber dieser Zuwachs weiß absolut nichts von der heiklen Vergangenheit der Bande und ist weit davon entfernt, die Verantwortung dafür tragen zu wollen. Sie überlassen H[yndman] und Co. die auswärtige Politik der Federation, wovon sie nichts verstehen. Aber wenn H[yndman] die alten persönlichen Streitigkeiten wieder anfangen oder gezwungen sein sollte, es zu tun6, hätte er nicht mehr das gehorsame Korps von früher hinter sich. Zahlreiche Gasworkers sind auch in der Federation, und für sie bedeutet alles Krieg, was gegen Aveling und Tussy gerichtet ist.7 Übrigens muß Avelings Kandidatur H[yndman] doppelt ärgern, weil A[veling], der die £ 100 als Deposit der Unkosten der poll8 nicht hatte, das
s „Vorwärts" - 4 siehe vorl. Band, S. 22 - 5 7. Februar - 6 siehe vorl. Band, S. 46 - ' siehe vorl. Band, S. 31/32-8 Wahl
Anerbieten eines Tory, sie ihm vorzuschießen, mit demonstrativer Entrüstung zurückgewiesen hat. Darüber gab es große Lobeshymnen in der liberalen Presse (siehe „Daily News", die ich Ihnen schicke). Und Sie wissen, daß in einem ähnlichen Fall Hyndman und Champion das Geld der Tories angenommen haben.1631 Die Sache ist nur aufgeschoben. Es ist gewiß, daß die Arbeiter von Northampton bei der allgemeinen Wahl das nötige Geld haben werden. Sie hätten es auch diesmal gehabt, wenn eine Woche mehr Zeit gewesen wäre, es zusammenzubekommen. Dabei rechneten sie mit 900 bis 1000 Stimmen. Ihr habt kein Kindermädchen. Unduns hat Anni gestern für den 21. März gekündigt, sie will endlich ihren blöke9 heiraten. Was für komische Leute diese Roshers sind! Der kleine Junge von Percy mußte - wegen ich weiß nicht welcher Kinderkrankheit - beschnitten werden - das gleiche ist jetzt bei dem Sohn seines Bruders Howard der Fall! Der alte Rosher weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht: ob es die Rache des Himmels ist wegen der 19 Kinder (including carriages10), die er in die Welt gesetzt hat? Ich glaube, daß es religiöser Atavismus ist. Sie sind Christen, aber erblich belastet! Jetzt, da das Christentum als natürliches Kind des Judentums anerkannt wird, ist eine so übermäßige Vorhaut, die eine solche Operation, das Zeichen des Bundes zwischen Jahve und seinem auserwählten Volk, notwendig machte, ein Rückfall to the original ancestral type11. Kowalewski hat seine Oxforder Vorlesungen veröffentlicht. Der prähistorische Teil ist schwach, der geschichtliche über Rußland interessant. Wir werden eine Inschrift für Helenes Grab entwerfen und Laura vorlegen.12 Umarmen Sie sie für mich. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
9 Kerl -10 einschließlich der Fehlgeburten - 11 in den ursprünglichen Ahnentyp - 12 siehe vorl. Band, S. 137
16
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, II.Febr. 91
Lieber Sorge, Brief 16. Jan. erhalten. Daß Du den „Nationalist" abschaffen willst, ist mir sehr lieb. Ich kann hier niemand, aber auch absolut niemand finden, der ihn lesen will, und ich selbst habe keine Zeit, die Weisheitsproben der verschiednen respectable Gerngroße zu durchmustern. Ich hätte Dich schon längst dazu aufgefordert, aber ich dachte: wenn der Sorge mir das Ding schickt, so muß doch endlich einmal etwas darin sein. Die Photographie rückt näher. Heinrich Scheu will mich in Holz schneiden1, und da habe ich mich neulich wieder vor die Linse setzen müssen. Von den sieben Aufnahmen wird wohl eine gut ausfallen. Deine Frau ist bei Ankunft dieses hoffentlich ganz wiederhergestellt und Du ditto. Von der American Edition of „Capital" kann ich Dir nichts schreiben, da ich sie nie gesehn habe und nicht weiß, was drin steht. Daß die Leute dort uns nachdrucken dürfen, ist bekannt. Daß sie es tun, beweist, daß es eine gute Spekulation ist, und ist erfreulich, obwohl es für die Erben ein Verlust ist. Darauf mußten wir aber rechnen, sobald der Absatz dort bedeutend wurde. 4. Aufl.2 wirst Du jetzt wohl erhalten haben. Den Marxschen Artikel in der ,,N[euen] Z[eit]"[äl hast Du gelesen. Er hat bei den sozialistischen Machthabern in Deutschland anfangs großen Zorn verursacht, der sich aber schon etwas zu legen scheint. Dagegen in der Partei selbst - mit Ausnahme der alten Lassalleaner - sehr viel Freude. Der Berliner Korrespondent der Wiener „Arb[eiter]-Ztg.", die Du mit nächster Post erhältst, dankt mir förmlich für den Dienst, den ich der Partei erwiesen1641 (ich denke, es ist Adolf Braun, Victor Adlers Schwager und Liebknechts Unterredakteur beim „Vorwärts"). Liebk[necht] natürlich
ist wütend, da die ganze Kritik speziell auf ihn gemünzt war und er der Vater, der mit dem Arschficker Hasselmann zusammen das faule Programm'541 gezeugt hat. Ich begreife das anfängliche Entsetzen der Leute, die bisher darauf bestanden, von den „Genossen" nur äußerst zart angefaßt zu werden, als sie jetzt so sans fa^on3 behandelt und ihr Programm als reiner Blödsinn enthüllt wurde. Wie K.K[autsky], der sich in der ganzen Sache sehr couragiert benommen, mir schreibt, besteht die Absicht, einen Fraktionserlaß loszulassen, besagend, daß die Veröffentlichung ohne ihr Wissen erfolgt sei und von ihnen gemißbilligt werde.'651 Das Vergnügen können sie sich gern machen. Indes kommt vielleicht auch das nicht zustande, wenn die Zustimmungen aus der Partei sich mehren und sie finden, daß das Geschrei von der „den Feinden damit in die Hand gegebnen Waffe gegen uns selbst" nicht weit her ist. Inzwischen werde ich von den Herren geboykottet, was mir ganz recht ist, da es mir manche Zeitverschwendung erspart. Gar zu lange wird's ohnehin nicht dauern. Aveling wurde nach Bradlaughs Tod aufgefordert, in Northampton zu kandidieren, und zwar von der dortigen branch der Social Democratic Federation'621, also nominell Hyndmans Leuten! Die Federation hat infolge des allgemeinen Aufschwungs der Bewegung seit 18 Monaten starken Zuwachs bekommen, diese Leute überlassen dem Hyndman und Co. gern die auswärtige Politik (Klüngelei mit den Possibilisten'421 etc.), wovon sie nichts verstehn, wissen aber gar nichts von den früheren Klüngeleien und Mogeleien jener Herren im Inland und würden sicher alle Verantwortlichkeit dafür ablehnen - in fact nur dadurch, daß H[yndman] und Co. seit jener Zeit sich im Innern ziemlich frei von Attacken gehalten, ist ihnen jener Zuwachs zugekommen. Daher jener Schritt der Northamptoner, der den H[yndman] arg entsetzte, namentlich da die branch ihn der Zentralbehörde sofort anzeigte. Man klüngelte etwas, aber vergebens. Aveling ging hin, wurde brillant empfangen, aber es waren nur 4 Teige bis zur Nomination, und da sollte das Deposit für die Wahlkosten, £ 100, aufgebracht werden. Zwanzig Arbeiter garantierten jeder £ 5, und es fand sich ein Mann, der das Geld gegen diese Garantie vorschießen wollte. Aber als man der Sache auf den Grund ging, fand sich, daß dieser Mann ein Hauptagent der Konservativen war, und da wies Aveling das Geld mit dem'nötigen Aufwand demonstrativer Entrüstung von sich und trat zurück. Das muß H[yndman] doppelt ärgern, der ja vor 5 Jahren, mit Champion zusammen,
3 ohne Rücksicht
£ 250 oder 350 von den Tories zu Wahlzwecken genommen hat.1631 Jedenfalls ist A[veling] jetzt stehender Kandidat der Arbeiter für Northampton und hat gute Chancen auf steigende Stimmenzahl. Diesmal würde er 900-1000 bekommen haben. Der Dir empfohlene junge Mann4 wird wohl schon bei Dir gewesen sein. Romms kennen ihn übrigens persönlich, was ich damals nicht wußte. Die Franzosen sind gar zornig, daß die Deutschen diesmal am 3. Mai und nicht am 1. feiern werden. Das ist alles dummes Zeug, die Feier des 1. Mai v. J. hat den Hamburgern, die an dem Tag die Arbeit einstellten, einen lockout5 eingebracht (die auftraglosen Fabrikanten lechzten nach einem solchen), der den Arbeitern dort 100000 Mark kostete - ohne die Beiträge von außen die Kraft ihrer, der bestorganisierten, Trades Unions brach und sie auf lange lahmlegte. Heute ist die Überproduktion in Deutschland in allen Zweigen der Industrie chronisch, und da eine allgemeine, nur durch Kontraktbruch mögliche Feier in ganz Deutschland am 1. Mai und damit einen allgemeinen lockout herbeiführen, alle unsre Kassen entleeren, alle unsre Trades Unions sprengen und statt Begeisterung Entmutigung hervorrufen, wäre Blödsinn. Allerdings waren unsre Leute auf dem Pariser Kongreß1681 so begeistert für den 1. Mai, daß dies jetzt wie ein Rückzug aussieht. Und dann ist auch der Aufruf der Fraktion ein jammervoll mattes Gewächs.1661 Hier in England wird der Tag nächsten Sonntag festgesetzt werden. Hyndman und Co., ihren Fehler vom vorigen Jahr einsehend, wollen sich diesmal wo möglich an die Spitze drängen, und der 1. Mai wird viele Anhänger finden. Da aber auch hier die Kapitalisten jeden Vorwand begierig erhaschen, um die beiden gehässigsten Trades Unions - die Dockers und ganz besonders die von Tussy ge-boss-ten Gasworkers and General Labourers1671 zu sprengen, wird Tussy alles versuchen, auch hier den Vorwand des Kontraktbruchs zu umgehn, und den 3. Mai vorschlagen als Sonntag. Die Gasworkers sind jetzt die mächtigste Organisation in Irland und werden bei der nächsten Wahl mit eignen Kandidaten vorgehn, unbekümmert um Parnell oder M'Carthy. Daß Parnell jetzt so arbeiterfreundlich tut, verdankt er einer Zusammenkunft mit ebendiesen Gasworkers, die ihm sehr ungeniert reinen Wein einschenkten. Auch Michael Davitt, der erst unabhängige irische Trades Unions wollte, ist von ihnen eines Bessern belehrt worden: die Konstitution, die sie haben, gibt ihnen vollkommen freie
home-rule6. Sie haben das Verdienst, zum ersten Male die Arbeiterbewegung in Irland in Fluß gebracht zu haben. Viele ihrer branches bestehn aus agricultural labourers7. Beste Grüße an Deine Frau. Dein F.E.
6 Selbstverwaltung - 7 Landarbeitern
3 Marx/Engels. Werke, Bd. 38
17
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, II.Febr. 1891
Lieber Kautsky, Besten Dank für Deine beiden Briefe. Die von B[ebel] und Sch[ippel] inl. zurück. Der Boykott der Berliner gegen mich ist noch nicht aufgehoben, ich höre und sehe nichts Briefliches, sie sind sicher noch nicht schlüssig. Dagegen war im „Hambfurger] Echo" ein Leitartikel, der sehr anständig war1681, in Erwägung, daß diese Leute noch sehr stark lassallisch angehaucht sind und sogar auf das System der erworbnen Rechte1691 schwören. Auch sah ich daraus und der ,,F[rank]f[urter] Ztg.", daß der Ansturm der gegnerischen Presse bereits in vollem Zug, wenn nicht schon erschöpft ist. Sobald der einmal überstanden - und bis jetzt war er, soviel ich sah, sehr gelind -, werden die Leute sich vom ersten Schrecken erholen. Dagegen bedankt sich Adlers Berliner Korrespondent (A.Braun?) förmlich bei mir für die Veröffentlichung.'641 Noch ein paar solche Stimmen, und der Widerstand erlahmt. Daß dem Bebel das Schriftstück im Mai/Juni 1875 absichtlich verheimlicht und unterschlagen wurde, ist mir alsbald klargeworden, als er mir den Datum seiner Gefängnisentlassung als I.April angab; ich habe ihm auch geschrieben, er müsse es gesehn haben, falls „nichts Unrechtes" geschehn sei.'701 Darauf werde ich mir nötigenfalls seinerzeit Antwort erbitten. Das Dokument war lange in L[ie]bk[necht]s Hand, von dem Bracke es nur mit Schwierigkeit zurückerhielt; L[iebknecht] wollte es ganz für sich behalten, um es bei der definitiven Programmredaktion zu benutzen. Wie, das liegt vor. Den Laf[argue]-Artikel'711 schicke mir eingeschrieben unter Streifband als Ms., ich will die Sache schon in Ordnung bringen. Im übrigen war sein Artikel über Padlewski'121 ganz gut und sehr nützlich gegenüber den Verdrehungen des „Vorwärts" über französische Politik. Überhaupt hat Wilhelm1 da Pech. Er streicht die französische Republik überall heraus, und
sein von ihm eigens engagierter Korrespondent, Guesde, reißt sie überall herunter.1481 Die durch Sch[ippel] angekündigte Erklärung der Fraktion'651 ist mir äußerst gleichgültig. Wenn sie es wünschen, bin ich bereit, ihnen zu bestätigen, daß ich nicht gewohnt bin, bei ihnen um Erlaubnis anzufragen. Ob ihnen diese Veröffentlichung recht ist oder nicht, ist mir total einerlei. Das Recht, ihre abfällige Meinung über dieses und jenes auszusprechen, lasse ich ihnen gern. Wenn die Geschichte nicht derart ausfällt, daß ich absolut gezwungen bin, darauf einzugehn, denke ich gar nicht daran, darauf zu antworten. Wollen's also abwarten. An Bebel werde ich auch deswegen nicht schreiben, denn erstens muß er mir erst selbst sagen, was er sich für eine definitive Meinung über die Sache gebildet hat, und zweitens wird ja jeder Fraktionsbeschluß von allen unterschrieben, ob sie dafür gestimmt oder nicht. Übrigens irrt B[ebel] sich, wenn er glaubt, ich würde mich in eine verbitternde Polemik hereinreiten lassen. Da müßten sie mir denn doch erst mit Unwahrheiten etc. kommen, die ich nicht hingehn lassen könnte. Im Gegenteil, ich bin förmlich von Versöhnlichkeit durchseucht, ich habe ja gar keinen Grund zu zürnen und brenne vor Begierde, jede Brücke - Pontonbrücke, Bockbrücke, eiserne oder steinerne, selbst goldne Brücke - über den von B[ebel] in der Ferne geahnten möglichen Abgrund oder Kluft zu bauen. Sonderbar! Jetzt schreibt Sch[ippel] von den vielen alten Lassalleanern, die auf ihre Lassallerei stolz sind - und als sie hier waren'721, hieß es einstimmig: es gibt keine Lassalleaner mehr in Deutschland! Das war eben ein Hauptgrund, der bei mir manche Bedenken schwinden ließ. Und da kommt auch Bfebel] und findet, daß eine große Anzahl der besten Genossen schwer verletzt werden. Ja, da[nn]2 mußte man mir auch die Dinge so [darstellen]2, wie sie waren. Übrigens, wenn man jetzt, nach 15 Jahren'541, nicht gradaus über den theoretischen Blödsinn Lassalles und sein Prophetentum sprechen darf, wann denn? Die Partei selbst, der Vorstand, die Fraktion und tutti quanti3 sind aber vor allem Tadel, außer dem, so ein Programm angenommen zu haben (und der ist nicht zu umgehn), gedeckt durch das Sozialistengesetz'531. Solange dies herrschte, war jede Revision ausgeschlossen. Sobald es aufhört, setzen sie sie auf die Tagesordnung. Also was will man mehr? Und daß die Leute endlich einmal aufhören, die Parteibeamten - ihre
8 Papier beschädigt- 3 all die andern
eignen Diener - mit den ewigen Glacehandschuhen anzufassen und vor ihnen wie vor unfehlbaren Bürokraten gehorsamst, statt kritisch, dazustehn, ist auch nötig. Dein F.E.
Von Avelings Kandidatur in Northampton vice4 Bradlaugh hast Du wohl gehört.5 Die dortigen branches der Social Democratic Federation1621 und die Gasworkers luden ihn ein. Er ging hin, paukte mit vielem Beifall. 900-1000 Stimmen waren ihm sicher. Aber das Gelddepositum für Wahlkosten fehlte, und als ein Tory-Agent es anbot, wies Aveling es mit Entrüstung zurück. So wurde er nicht nominiert, ist aber von nun an stehender Arbeiterkandidat für Northampton.
18
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 21. Febr. 91
Lieber Kautsky, Vor allem herzlichsten Glückwunsch zur Ankunft des Kleinen1. Ich hoffe, er hält sich am Zechen, und das Wochenbett verläuft normal und leicht. Auch Deiner Frau2 meinen herzlichsten Glückwunsch. Mögt Ihr viel Freude an dem Jungen erleben! Inl. Bebels Brief zurück. Ich habe heute die Korrektur von Bogen 1 Anti-Brentano3 lesen müssen, sonst hätte ich meinen Brief an Dich fertigbekommen. So mußt Du warten. Also beste Grüße bis morgen oder übermorgen. Dein F.E.
1 Felix Kautsky - 2 Luise Kautsky, geb. Ronsperger - 3 „ In Sachen Brentano contra Marx"
19
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
[London] 23. Febr. 91
Unter uns. Lieber Kautsky, Da Du mir B[ebel]s Brief geschickt und eine Gefälligkeit der andern wert ist, so habe ich beiliegenden Brief1 so eingerichtet, daß Du ihn, falls Du es im Interesse des Friedens ebenfalls für wünschenswert hältst, auch an B[ebel] schicken kannst. Das überlasse ich Dir ganz. Deine Noten zum „Vorwärts "-Artikel sind sehr gut.1'31 Ebenso Dein Vorsatz, B[ebel] an die Indifferenz zu erinnern, womit Schramms Marxangriffe passieren gelassen. In aller Eile - 5 Minuten vor Postschluß. Dein F.E.
20
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 23. Febr. 91
Lieber Kautsky, Meine eilige Gratulation von vorgestern wirst Du erhalten haben.1 Also jetzt wieder zum besagten Hammel, dem Marxbrief.'51 Die Furcht, er werde den Gegnern eine Waffe in die Hand geben, war unbegründet. Boshafte Insinuationen werden ja an alles und jedes gehängt, aber im ganzen und großen war der Eindruck bei den Gegnern doch die vollständige Verdutztheit über diese rücksichtslose Selbstkritik und das Gefühl: welch innere Kraft muß eine Partei besitzen, die sich selbst so etwas bieten kann! Das geht aus den von Dir gesandten (besten Dank!) und mir sonst zugänglich gewordnen Gegnerblättern hervor. Und, offen gesagt, das war auch der Sinn, worin ich das Aktenstück veröffentlichte. Daß es hie und da im ersten Moment sehr unangenehm berühren mußte, das wußte ich, das war aber nicht zu vermeiden, und der sachliche Inhalt wog das in meinen Augen reichlich auf. Und ich wußte, daß die Partei reichlich stark genug war, das zu ertragen, Und ich rechnete darauf, daß sie heute diese, vor 15 Jahren gebrauchte, unverhohlene Sprache auch Vertragen würde; daß man mit gerechtem Stolz auf diese Kraftprobe hinweisen und sagen würde: wo ist die andre Partei, die Gleiches wagen darf? Das hat man indes der sächsischen und Wiener „Arb[eiter]-Ztg." und der „Züricher Post" überlassen.174' Wenn Du in Nr. 21 der „Nfeuen] Z[eit]" die Verantwortlichkeit der Veröffentlichung übernimmst'731, so ist das sehr brav von Dir, aber vergiß nicht, daß ich doch den ersten Anstoß gab und obendrein Dich gewissermaßen in eine Zwangslage versetzte. Ich beanspruche deshalb die Hauptverantwortlichkeit für mich. Was Einzelheiten angeht,'so kann man ja über solche immer verschiedner Ansicht sein. Ich habe alles gestrichen und geändert, was Du und Dietz beanstandet, und hätte D[ietz] noch mehr angestrichen, so wäre ich auch da nach Möglichkeit coulant gewesen, das
habe ich Euch stets bewiesen. Aber was die Hauptsache angeht, so war es meine Pflicht, das Ding zu veröffentlichen, sobald einmal das Programm zur Debatte stand. Und nun gar nach Liebknechts Haller Referat191, worin er seine Auszüge daraus teils ungeniert als sein Eigentum verwertet, teils dagegen ankämpft, ohne es zu nennen, hätte Marx dieser Verarbeitung unbedingt das Original entgegengestellt, und ich war an seiner Stelle verpflichtet, dasselbe zu tun. Leider hatte ich damals das Aktenstück noch nicht, ich habe es erst viel später nach langem Suchen gefunden. Du sagst, Bebel schreibe Dir, die Behandlung Lassalles durch Marx habe bei den alten Lassalleanern böses Blut gesetzt. Das mag sein. Die Leute kennen ja die wirkliche Geschichte nicht, und es scheint auch nichts geschehn zu sein, sie darüber aufzuklären. Wenn jene Leute nicht wissen, daß die ganze Größe Lassalles darauf beruhte, daß Marx ihm erlaubte, jahrelang sich mit M[arx']s Forschungsresultaten als mit seinen eignen zu schmücken und sie obendrein aus mangelhafter ökonomischer Vorbildung zu verdrehn, so ist das nicht meine Schuld. Aber ich bin literarischer Testamentsvollstrecker von Marx und habe als solcher auch meine Pflichten. Lassalle gehört seit 26 Jahren der Geschichte an. Wenn man unter dem Ausnahmegesetz die historische Kritik über ihn hat ruhen lassen, so wird es endlich Zeit, daß sie zu ihrem Rechte kommt und über die Stellung Lassalles zu Marx Klarheit geschaffen wird. Die Legende, die die wahre Gestalt Lassalles verhüllt und verhimmelt, kann doch kein Glaubensartikel der Partei werden. Mag man die Verdienste L[assalle]s um die Bewegung noch so hoch anschlagen, seine historische Rolle darin bleibt eine zwieschlächtige. Den Sozialisten Lassalle begleitet der Demagog Lassalle auf Schritt und Tritt. Durch den Agitator und Organisator Lassalle scheint der Leiter des Hatzfeldtschen Prozesses1751 überall durch: derselbe Zynismus in der Wahl der Mittel, dieselbe Vorliebe, sich mit anrüchigen und korrumpierten Leuten zu umgeben, die man als bloße Werkzeuge gebrauchen resp. wegwerfen kann. Bis 1862 in der Praxis spezifisch preußischer Vulgärdemokrat mit stark bonapartistischen Neigungen (ich habe eben seine Briefe an Marx durchgesehn), schlug er plötzlich um aus rein persönlichen Ursachen und begann seine Agitation; und ehe 2 Jahre vorbei, verlangte er, die Arbeiter sollten die Partei des Königtums gegen die Bourgeoisie ergreifen, und mogelte mit seinem Charakterverwandten Bismarck in einer Weise, die zum tatsächlichen Verrat an der Bewegung führen mußte, wäre er nicht zu seinem eigenen Glück rechtzeitig erschossen worden. In seinen Agitationsschriften ist das Richtige, das er von M[arx] entlehnt, so sehr mit Lassalleschen eignen und regelmäßig falschen Ausführungen verwebt, daß beides
fast nicht zu trennen ist. Der Teil der Arbeiter, der sich durch M[arx']s Urteil verletzt fühlt, kennt von L[assalle] eben nur die 2 Jahre Agitation und auch diese nur durch eine gefärbte Brille. Aber vor solchen Vorurteilen kann die historische Kritik nicht ewig stehnbleiben, den Hut in der Hand. Mir war es Pflicht, endlich einmal reinen Tisch zu schaffen zwischen Marx und Lassalle. Das ist geschehn. Damit kann ich mich vorderhand begnügen. Ich selbst habe zudem jetzt andres zu tun. Und das veröffentlichte rücksichtslose Urteil Marx* über L[assalle] wird schon allein seine Wirkung tun und andren Mut machen. Aber würde ich dazu gezwungen, so bliebe mir keine Wahl: ich müßte mit der Lassalle-Legende ein für allemal aufräumen. Daß in der Fraktion Stimmen laut geworden, man solle die ,,N[eue] Z[eit]" unter Zensur stellen, ist ja sehr schön. Spukt die sozialistengesetzliche Fraktionsdiktatur (die ja notwendig war und vortrefflich geführt wurde) noch nach, oder sind es Erinnerungen an die weiland stramme Organisation v. Schweitzers? Es ist in der Tat ein brillanter Gedanke, die deutsche sozialistische Wissenschaft nach ihrer Befreiung vom Bismarckschen Sozialistengesetz unter ein neues, von den sozialdemokratischen Parteibehörden selbst zu fabrizierendes und auszuführendes Sozialistengesetz zu stellen. Im übrigen ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Der „Vorwärts"-Artikel rührt mich wenig.1651 Ich werde Liebknechts Geschichtserzählung abwarten und dann wohl in möglichst freundschaftlichem Ton auf beide antworten. Im „Vorwärts"-Artikel sind nur einige Unrichtigkeiten zu korrigieren (z.B. wir hätten die Einigung nicht gewollt, die Ereignisse hätten Marx unrecht gegeben usw.) und Selbstverständliches zu bestätigen. Mit dieser Antwort denke ich dann die Debatte meinerseits zu schließen, falls ich nicht durch neue Angriffe oder unrichtige Behauptungen zu Weiterem genötigt werde. Sage Dietz, ich sei an der Bearbeitung des „Ursprung".1761 Aber nun schreibt heute Fischer und will auch 3 neue Vorreden haben!1771 Dein F.E.
21 Engels an Antonio Labriola in Rom"81 (Auszug)
[...]Dem Herrn Mackay kann ich leider das alte Ms. über Stirner1791 nicht zur Verfügung stellen. Wird es herausgegeben, dann durch mich oder meine Rechtsnachfolger. Aber ein ungedrucktes Ms., wobei Marx beteiligt ist, einem dritten zur beliebigen Benutzung zu überlassen, dazu habe ich kein Recht, und hätte ich es, so täte ich es nicht. Ich habe da zu eigentümliche Erfahrungen gemacht. Unica1 gebe ich unter keinen Umständen je wieder aus der Hand. Und obendrein ist das Ms. ein Band, so dick im Druck wie Stirners „Einziger" selbst - sehr zerrissen und fragmentarisch - und bedarf noch des Wieder-Ordnens. (Friedrich Engels) London, 27. Februar 1891
Nack einer handgeschriebenen Abschrift.
Sif'um flu/M k (UUAuk*

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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 4. März 91
Lieber Sorge, Deinen Brief vom 19. Febr. erhalten. Du wirst inzwischen wohl ein Mehreres über die große Entrüstung der sozialdemokratischen Fraktion über die Veröffentlichung von Marx' Programmbrief in der ,,N[euen] Zeit"161 gehört haben. Die Sache spielt noch. Ich lasse die Leute einstweilen sich blamieren, und darin hat Liebkfnecht] im „Vorwärts" Bedenkliches geleistet.[66) Seinerzeit werde ich natürlich antworten, doch ohne unnötige Zänkerei, ohne eine leise Ironie wird's wohl kaum abgehn. Natürlich stehn alle theoretisch mitzählenden Leute auf meiner Seite - ich muß nur Bebel ausnehmen, der in der Tat nicht ganz unrecht hat, sich durch mich verletzt zu fühlen - aber das war unvermeidlich. Ich habe die „Volksztg." seit 4 Wochen nicht ansehn können, wegen Überarbeit, weiß also nicht, ob's in Amerika Reflexblitze gegeben hat - in Europa schäumen die Lassallianischen Reste, und deren habt Ihr ja genug. Ich habe jetzt drei Broschüren fertigzumachen.1"1 Neudruck von I. „Bürgerkrieg in Frankreich" - die Adresse des Generalrats wegen der Kommune. Diese lasse ich revidiert neu drucken und dabei die 2 Ansprachen des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg1, die heute mehr als je Aktualität besitzen. Dann eine Einleitung von mir. - 2. „Lohnarbeit und Kapital" von Marx, das ich auf die Höhe des „Kapital" erheben muß, weil es sonst in Arbeiterkreisen Verwirrung anstiftet - wegen der noch nicht vollkommnen Ausdrucksweise (z.B. Verkauf der Arbeit statt Arbeits\rajt etc.), und daher auch eine Einleitung nötig. - 3. „Entwicklung des Sozialismus" von mir, dies wird nur wo möglich etwas populärer. Die Partei gibt sie heraus, Auflage jedesmal 10 000. Das wird mir nach der Seite hin etwas Ruhe schaffen. Aber ich mußte die Sache übernehmen, weil dem ewigen Wiederabdruck Lassalleschen Kohls entgegengetreten
1 Karl Marx: „Erste Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg" und „Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg"
werden muß. Glücklicherweise wird die neue Lassalle-Ausgabe mit Noten etc. erfolgen, und Bernstein wird's besorgen (unter uns/^,'801 Damit mein Empfohlner2 nicht brachliegt, schicke ich Dir inl. einen cheque für £ 10, wogegen Du ihm nach Deinem Ermessen Zahlung machen kannst, sei es behufs Fortzugs in eine größere Stadt des Innern, was vielleicht für sein Fortkommen am besten, sei es, um ihn dort über Wasser zu halten. Hyndman schäumt wieder mal über gegen mich'811, das kommt alle 6 Monate einmal, aber er kann sich auf den Kopf stellen und auf dem Kopf um ganz London herummarschieren, ich antworte ihm nicht. Auch gegen Aveling geht er wieder los und bringt da auch die amerikanische Geschichte vor.1821 Glaubst Du, daß es jetzt möglich wäre, von der dortigen Partei, nachdem Rosenberg herausgeworfen'831, eine befriedigende Erklärung zu erhalten? Ich bitte nur um Deine Ansicht, ich bin nicht autorisiert, zu irgendwelchen Schritten aufzufordern. Die Franzosen sind wütend darüber, daß Deutsche und Engländer den Sonntag, 3., statt Freitag, I.Mai, feiern. Aber es geht nicht anders. Die I.Mai-Feier in Hamburg voriges Jahr hat der Partei einen Streik eingebracht (oder vielmehr lockout3), der den Hamburgern 100 000 Mark gekostet hat - und jetzt gehn die Geschäfte noch miserabler, und die Bourgeois lechzen nach einem Vorwand, stillzusetzen. Und hier sind die Dockers allmählich ganz klein gemacht und dürfen sich nicht mucken, sonst ist ihre ganze Trades Union gesprengt - allerdings teils Folge ihrer eignen Dummheiten und die Gasworkers sind nur mit größter Vorsicht imstande, sich vor einem Strike zu bewahren, der auch sie sprengen würde. Die Verwandlung von Gas Works4 in städtische Anstalten wirkt zunächst noch dahin, daß der Philister möglichst Profit herausschlagen will, um die Gemeindesteuern dadurch zu erniedrigen; der Gesichtspunkt, die Gasarbeiter, ebsn weil sie Arbeiter, von Gemeinde wegen gut zu zahlen, ist noch nicht durchgedrungen. Mit Gasworkers und Dockers aber ist hier die ganze seit 2 Jahren eingeleitete neue Trades Unions gesprengt, und die alten konservativen Trades Unions, die reichen und eben deswegen feigen, bleiben allein auf dem Plan. Die Franzosen haben nicht ganz unrecht. Auf dem Kongreß1581 schwärmte alles für den I.Mai. Aber warum müssen auch grade die Franzosen, die so oft dickgetan in Worten, denen kleine Taten folgten, jetzt auf einmal verlangen, daß die andern nicht auch einmal ein bißchen flunkern? Der Kasus ist, die Lage für uns ist in Frankreich merkwürdig günstig, grade jetzt, durch
den Zusammenbruch der Possibilisten, und wenn da der 1. Mai ein gleichzeitiger Welterfolg wäre, so könnte das die Possibilisten komplett kaputtmachen. Aber es wird auch so gehn. Also bis nächstens. - Grüß Deine Frau herzlich, sie ist hoffentlich wieder ganz wohl. Dein F. E. Louise Kautsky läßt Euch bestens grüßen.
23
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 6. März 91
Mein lieber Lafargue, Mutter Victoria hat sich ausgemacht einfältig verhalten.I8ä] Sie hätte wissen müssen, daß ihre königliche Person in Frankreich, wo man hundert Jahre für die Republik gekämpft hat, keinerlei Eindruck machen würde und daß man sich in Paris darüber lustig macht. Aber diese Personen können sich nicht von der Vorstellung frei machen, daß allein ihr Erscheinen an irgendeinem Ort eine Ehre ist, der alle Welt Dank zu schulden hat. Wie bei Ihnen die Broussisten, so hat hier die Social Democratic Federation in bezug auf die Mai-Demonstration nachgeben müssen. Sie hat 3 Delegierte in das Eight Hours Committee1 geschickt, wo Aveling Vorsitzender ist. Heute abend wird er den Delegierten dieses Komitees die Artikel der „Justice"1821 vorlesen, um ihnen die Hände zu binden. Er hat an die „Justice" einen Brief geschrieben, worin er Hyndman auffordert, mit ihm in einer öffentlichen Versammlung zusammenzukommen, und dieser hat es nicht nur abgelehnt, den Brief abzudrucken, sondern hat sich auch geweigert, auf die Aufforderung zu antworten: man wird ihn Afveling] gegenüberstellen, sobald er Arbeiterstimmen fordern wird. Indessen ist es für Sie ein großer Sieg, daß Sie die Broussisten gezwungen haben, dem 1. Mai zuzustimmen1851; man wird diese Delegierten bestens und honigsüß behandeln müssen, to put in the thin end of the wedge2. Sie werden sehen, die Demonstration wird nicht viel oder vielleicht gar nichts dadurch verlieren, daß sie an zwei verschiedenen Tagen stattfinden wird statt an einem. Vielleicht haben Sie recht, sich darüber zu beklagen, daß die Deutschen in Parisf58) ganz Feuer und Flamme für den l.Mai waren und es jetzt den Anschein hat, sie wichen zurück3, aber abgesehen davon (und Tussy sagt, daß tatsächlich keiner, der sie damals in Paris gesehen hat, ihre Haltung von heute vermutet hätte) - abgesehen davon werden Sie
1 Achtstundenkomitee - 2 um auf diesem Wege voranzukommen - 3 vgl. vorl. Band, S. 27
niemals die germanischen Nationen dahin bringen, wegen einer Demonstration die Zukunft ihrer Bewegung zu opfern oder auch nur in Gefahr zu bringen. Jetzt etwas anderes. Kautsky schrieb mir vor einigen Wochen, daß er von Ihnen einen Artikel über Marx und die bürgerlichen Ökonomen hätte'711, den er für das deutsche Publikum nicht ganz geeignet halte. Er zögerte jedoch, Ihnen den Artikel zurückzuschicken. Was sollte er tun? Ich bat ihn, mir den Artikel zu schicken, was er auch tat. Ich habe ihn gelesen, und wirklich, ich glaube auch, daß Kfautsky] den Artikel nicht in deutsch veröffentlichen konnte, und zwar aus folgenden Gründen: Zunächst hat kein deutscher Ökonom Marx vorgeworfen, Theorien aufgestellt zu haben, die nicht an die von Smith und Ricardo anknüpfen. Im Gegenteil. Sie werfen Smith und R[icardo] vor, Marx auf den Plan gerufen zu haben, der nur die Folgerungen aus der Theorie seiner Vorgänger über den Wert, über den Profit und über die Rente und schließlich über die Teilung des Produkts der Arbeit gezogen hätte. Deshalb sind sie VulgärÖkonomen geworden, die sich über die Klassiker lustig machen. Sie nennen Brentano, der Ihnen erwidern könnte, daß alle Ihre Schläge danebengehen. Dann ist alles, was Sie über diese beiden Ökonomen sagen und von ihnen zitieren, und mehr als das von uns in Deutschland bereits gesagt und zitiert worden: 1. Werttheorie: In „Zur Kritik der Politischen Oekonomie", 1859, gibt Marx nach jedem Kapitel eine Übersicht über die Geschichte der Theorie, die darin entwickelt ist. Nach der Werttheorie finden Sie auf S.29 „Historisches zur Analyse der Ware", wo er nach Petty und Boisguillebert, Franklin und Steuart, den Physiokraten und Galiani und ihren Wertbegriffen auf S.37 A.Smith und auf S.38/39 Ricardo erörtert.4 Alles das ist also in Deutschland bekannt. Ich bemerke noch, daß Sie eine Stelle von Smith anführen, die nicht die beste ist; es gibt andere, wo er der Wahrheit viel näher kommt; in Ihrer Stelle fixiert er den Wert eines Produkts nicht nach der Quantität der darin enthaltenen Arbeit, sondern nach der, die man mit diesem Produkt kaufen kann. Eine Definition, die den ganzen Widerspruch des alten Systems enthält. 2. Mehrwert: Alles, was sich darauf bezieht, ist in meinem Vorwort zum 2.Band des „Kapitals" gesagt worden in den Laura genannten Absätzen, die sie Ihnen übersetzen wird, wenn Sie sie darum bitten.
4 vgl. Band 13 unserer Ausgabe, S.37-48
4 Man/Engels, Werke, Bd. 38
3. Say spielt in Deutschland keine Rolle mehr, und überdies rehabilitieren Sie ihn, indem Sie unter seiner Vulgarität einen Kern von Klassizismus finden; das ist mehr, als er verdient. Der Kurier geht ab - ich halte den Artikel zu Ihrer Verfügung. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
24
Engels an Henri Rave in Poitiers1861 (Notizen)
[London] 6.März [1891] Soll Probebogen übersenden oder zwei von seiner Ubersetzung von Bebel. Hat er einen Verleger? Keine Zusage. Man könnte ihm die Kapitel angeben, die nicht oder nicht viel verändert werden1761, damit er anfangen kann. Keine Zusage.
Aus dem Englischen.
25
Engels an Pasquale Martignetti in Benevento1871
[Vielejn Dank für „Critica Sociale". Sig. Avv.1 Turati hatte [sie mi]r schon direkt zugeschickt und verspricht sie mir [regelmäßig zu senden. Hoffe, daß sich Ihre Aussichten [b]essern. Auf die Übersetzung des „Komm[unistischen] Manifestes" bin ich begierig.'881
Herzlichen Gruß von Ihrem F.E.
London, 6. März 91
26
Engels an Filippo Turati
in Mailand
122, Regent's Park Road, N.W. London, den 7. März 91
Sehr geehrter Herr, Tausend Dank für Ihren liebenswürdigen Brief vom 23./2.'891 sowie für die 3 Nummern der „Critica Sociale" und das Anerbieten, mir die Zeitschrift künftig regelmäßig zu senden. Als ehemaliger Sekretär des Generalrats der Internationale für Italien habe ich natürlich großes Interesse am Fortschritt der sozialistischen Bewegung in Ihrem Lande und besonders in der Lombardei, wo ich in meiner Jugend drei Monate verbracht habe, die ich heute noch in angenehmster Erinnerung habe.190' Ich danke Ihnen nicht minder für die wohlwollende Meinung, die Sie anläßlich der Veröffentlichung des Artikels von Marx in der „Neuen Zeit" 151 in bezug auf meine Person zum Ausdruck gebracht haben.'911 Ich habe mit dieser Veröffentlichung nur eine Pflicht einerseits Marx und andererseits der deutschen Partei gegenüber erfüllt. Sie haben ganz recht, wenn Sie annehmen, daß ich keine Zeit habe, Ihnen Beiträge für Ihre Zeitschrift zu liefern oder für die sozialistische Bibliothek, die Sie veröffentlichen wollen. In der Tat läßt mir die Vorbereitung von Neuauflagen der Arbeiten von Marx und meiner eigenen Broschüren kaum Zeit, das Manuskript des III. Bandes des „Kapitals" von Marx zu beenden - augenblicklich sind vier Schriften zu revidieren, zu vervollständigen und mit neuen Einleitungen zu versehen1 - wo sollte ich da die Zeit für andere Arbeiten hernehmen? Nichtsdestoweniger wünsche ich Ihnen den besten Erfolg, und ich warte mit großem Interesse darauf, eine gute italienische Übersetzung unseres „Manifests" von 1847 zu lesen'881; und wenn Sie finden, daß der eine oder andere meiner Artikel das
1 Siehe vorl. Band. S. 41, 45/46 und 56
italienische Publikum interessieren könnte, würde ich mich sehr freuen, mich in Ihrer bella e ricchissima lingua2 wiederzulesen. E con distinta stima La saluto3 F. Engels
II di Lei amico Stepniak viaggia in questo momento neH'America.4
Aus dem Französischen.
3 schönen und «o reichen Sprache - 3 Mit vorzüglicher Hochachtung grüßt Sie - * Ihr Freund Stepniak befindet sich gerade auf dem Weg nach Amerika.
27
Engels an Henri Rave in Poitiers1921 (Notizen)
[London, Mitte März 1891] 1. Probeübersetzen, S. 121-25, 140-45.1931 2. 10 Ex. der Übersetzung, sonst keine Bedingungen. 3. Laf[argue] soll ihm „Soc[ialisme] utop[ique] et scientiffique]" schicken.
28
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
,.' .. . London, !7.März 1891 Lieber Kautsky, Dank für Brief vom 9. - Die 6 Hefte Dahn194' sind gestern per Paketpost an Dich abgegangen. Ich säße mit Heftigkeit am „Ursprung", aber da kam Fischer und verlangte Neuherausgabe in 10 000 Ex., von 1. „Bürgerkrieg in F[ran]k[rei]ch", 2. M[ar]x, „Lohnarbeit und Kapital", 3. „Entwicklung des Sozialismus] usw."t77' Nun mußte ich zum „Bürgerkrieg" eine Einleitung schreiben, die Samstag1 fort, dabei stark revidieren und die 2 Adressen des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg beifügen, welche letztere glücklicherweise Louise zu übersetzen übernahm. Aber doch ging viel Zeit verloren. Denn „Lohnarbeit und Kap[ital]" ist noch in der vormehrwertlichen Terminologie geschrieben, und das kann heute bei 10 000 Ex. Propagandaschrift unmöglich so bleiben. Das muß ich also in die heutige Sprache übersetzen und eine Rechtfertigung vorschicken.2 Endlich „Entwicklung" will auch revidiert und, wo möglich, noch etwas popularisiert sein - bei 10 000 Ex. ist nicht zu spaßen -, wo da die Zeit zu was anderm hernehmen? Und ich darf mich da grade jetzt nicht zurückziehn und den Lassalleschen Broschüren das Terrain überlassen. Sobald ich aber diese Arbeit vom Halse habe, geht's an den „Ursprung".I76' Ich habe schon ziemlich Vorstudien erledigt. Es kommt auch grade ein Franzose, H. Rave, der das Ding übersetzen will3 - hat Bebels „Frau" übersetzt - nicht grade entzückend - und dem ich wo möglich Revisions- oder Aushängebogen schicken soll. Die Sache ist aber noch nicht abgeschlossen. Dem Peschel gratuliere ich zu seinem Übersetzer. Hoffe, es geht mir nicht auch so. Der Anti-Brentano4 [erscheint5 bei Meißner, 4V2 Bogen - ich lasse alle Dokumente inkl. Sedley Taylor und meine Vorrede zur 4. Aufl.6 abdrucken. Ist fast gedruckt. 114.März - 2 „Einleitung zu Karl Marx' .Lohnarbeit und Kapital' (Ausgabe 1891)" -3 siehe vorl. Band, S. 51 und 55 -4 Friedrich Engels: „In Sachen Brentano contra Marx" -5 Papier beschädigt - 6 des ersten Bandes des „Kapitals"
Apropos, hat die ,,N[eue] Z[eit]" ein Rezensionsex. der („Kapital") 4. Aufl. erhalten?7 Wo nicht, schreibe mir's doch gleich (Postkarte), ich habe besonders drauf bestanden. Wo ja, wäre es mir lieb, wenn Du eine kurze Anzeige brächtest, Du könntest da auch wegen meiner Vorrede8 schon mit Brentano leise anknüpfen. Meine Einleitung zum „B[ür]g[e]rkrieg" - ca. 9-10 Seiten „Neue Zeit" konnte ich Dir Zeitmangels wegen nicht abschreiben lassen, wir sind im Hause sehr beschäftigt, Annie heiratet, und Louise muß für neue Mädel sorgen etc., dazu drangen die Berliner. Aber ich habe Fischer gebeten, mir 3 Aushängebogen zu schicken, oder wenn die Revision gut ausfällt, schick* ich Dir die, damit Du, wenn Du Lust hast, sie vorher benutzest. Paßt es Dir aus diesem und jenem Grund nicht, so ist auch nichts verloren. Von August keine Zeile - ich hab's nicht eilig. Sorge meint, ich soll von dem graußen „Vorwärts"-Artikel keine Notiz nehmen.1-951 Was meinst Du? Ich fange an, dahin zu neigen. Die Stelle in meinem Brief an Dich wegen der Verantwortlichkeit9 war ganz für August geschrieben, hätte ich denken können, daß Du Dich in irgendeiner Weise dadurch verletzt fühlen würdest, so hätte ich sie weggelassen - derartiges kam mir nicht im entferntesten in den Sinn. An Deine Note zum Fraktionsukas dachte ich absolut nicht.[731 Ich hielt es nur für meine Pflicht gegenüber den Berlinern, für den Fall, daß Du den Brief dorthin schicktest, soviel Verantwortlichkeit wie irgend möglich von Dir ab- und mir aufzuladen. Voila tout.10 Dank für „Volksztg." und ,,Crit[ica] Socfiale]". Erstere hat Sorge, die zweite Turati (im Auftrag des Großmauls Loria) mir geschickt und schickt sie regelmäßig. Seitdem ein von Sorge inspirierter, noch resoluterer Artikel von Schlüter in der „Volksztg."[96) Auch ich finde mehr und mehr, daß die Sache in der Partei selbst absolut keine Entrüstung provoziert hat und nur die Herren in Berlin sich aus diesem oder jenem Grund verletzt fühlen. Und auch diese scheinen es zu merken, daß die Anzapfungen des „Vorwärts" da liegengeblieben sind, wo sie hinfielen, ohne irgendwelche Wirkung zu tun, tombes k plat11, sagen die Franzosen. Sonst hätten sie sich doch bei mir gemeldet. Deine Klagen über den „Vorwärts" (seit wann ist der oder das Ding männlichen Geschlechts?) hallen von hier sympathisch zurück. So ein Blatt ist lange nicht dagewesen. Soll mich wundern, wie lange man das erträgt.
' vgl. vorl. Band, S. 71 - 8 zum ersten Band des „Kapitals" - 9 siehe vorl. Band, S. 39/40 10 Das ist alles. -11 gänzlich durchgefallen
Percy und Familie gehn nächstens nach Ryde, Isle of Wight, wo Percy eine Agentur für seine Brüder einrichten und führen soll. Beste Grüße von Deinem F. E.
29
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 2I.März 91
Lieber Sorge, Deinen Brief wegen Frl. Anna1 den Freunden mitgeteilt und alsdann nach Vorschrift behandelt. Inl. ist ein Briefchen für dieselbe, worin ihr ins Gewissen geredet und angezeigt wird, ihre bisher geschriebnen Aufforderungen, ihr wieder Geld zu schicken, fielen auf unfruchtbaren Boden. Man bittet mich, Dir mitzuteilen, daß nach hiesiger Ansicht jetzt dort wie hier genug für sie geschehn sei und daß sie sich jetzt selbst ihr Fortkommen schaffen müsse - und daß dies am besten auf dem Lande, in der Farmarbeit geschehe, woran sie gewohnt sei! Worauf ich erwiderte, daß derartiges nur möglich sei in einer Gegend, wo sie ohne Englisch vorankommen könne, daß es aber auch solche Gegenden drüben gebe und also die Sache wohl nicht unmöglich sei. Jedenfalls scheint der New-Yorker und überhaupt seastädtische Boden für ein Frauenzimmer ihres Schlags ganz unangemessen, und wenn etwas aus ihr werden soll, muß sie so weit fort, daß ihr die Rückkehr sehr erschwert ist. Inzwischen wirst Du auch meinen Brief2 mit Anweisung für zehn Pfd. erhalten und unter den Umständen nützlich haben verwenden können. Unter uns gesagt, glaube ich im Notfall noch einmal die gleiche Summe auftreiben zu können, damit wird's aber auch wohl ein Ende haben. Auch Euch läßt man bitten, in Geldsachen streng zu verfahren, damit die Person endlich merkt, daß der Bummel nicht ewig dauern kann. Ich schicke Dir heute außer Wiener „Arb[eiter-]Ztg.", „Volks-Tribüne" und „Figaro" (Pariser Meeting), eine italienische Übersetzung des „Manifests". „People's Press" und „Commonweal" sind beide kaputt. Ich weiß noch nicht, ob ich auf den „Vorwärts"-Artikel1651 antworten werde oder nicht, fange aber an, nach Deiner Seite zu neigen1961. Einige Sachen müßte ich eigentlich berühren, vielleicht läßt sich das jedoch auch anders machen.
1 Stanislaw Padlewski - 2 siehe vorl. Band, S. 46
Von 1. „Bürgerkrieg in Frankreich", 2. Marx' „Lohnarbeit und Kapital", 3. „Entwicklung des Sozialismus" muß ich Neuauflagen resp. neue Einleitungen machen, die deutsche Partei gibt sie heraus, ä 10 000 Ex. die Auflage. Meine Antwort auf Brentano3 kommt in ca. 8-10 Tagen bei Meißner heraus, Du erhältst sie sogleich. Dann habe ich noch Neuaufl. von „Ursprung der Familie etc." zu besorgen1761 (5000 verkauft!), und dann geht's aber auch unwiderruflich und ohne Halt an II I.Band4. Sam Moore ist vorgestern in Liverpool angekommen, wird wohl in ca. 8 Teigen hier sein. Hat um Weihnachten eine eklige Krankheit überstanden, war aber wieder ganz wohl. Hoffentlich ist Deine Frau wieder ganz wie sie sein soll. Herzliche Grüße an sie und Dich. Dein F. E.
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Engels an Hermann Schlüter in Hoboken
London, 2I.März 91
Lieber Schlüter, Dein Brief vom 10. sprang vorgestern ein. Besten Dank für die Mitteilungen über dortige Verhältnisse'971, die um so willkommner, als bei der dortigen journalistischen Methode man zwar weiß, daß man den Zeitungen nicht glauben darf, aber dann doch erst recht nicht weiß, woran man ist. Ebenfalls besten Dank für die Silber- und Mineral-Ressources-Bücher. Das über Silber und Gold wird mich auch pro 1890 interessieren, wenn es erscheint. Was mir aber vor allem wichtig, wäre, nach dem diesjährigen Zensus, das später herauskommende „Compendium of the (eleuenth) Census 1890" - ich habe von Marx das Compendium des lOten Census 1880 in 2 Bänden geerbt, es kam aber erst 1883 heraus1981, das macht aber nichts; diesmal wird's wohl nicht so lange dauern. Die zweite Rede von Marx1 ist mir ganz aus dem Gedächtnis entschwunden, ich kann mich nicht besinnen, was das sein kann. Wenn die paar Seiten der Mühe wert sind, so tätest Du vielleicht am besten, sie in der ,,V[olkszeitung]" abdrucken zu lassen und mir einige Ex. zuzuschicken. Du hast ganz recht, die Marxsche Programmkritik'51 wird schon ihren Weg machen, und in der Absicht habe ich sie auch veröffentlicht. Der Zorn in den „maßgebenden Kreisen" der Partei scheint aber auch grausig zu sein, außer Fischer, der sich drüber gefreut hat'991, schreibt mir keiner. Glücklicherweise kann ich's schon aushalten. Wenn Deine Frau nach Europa kommt, so sehn wir sie hoffentlich einmal hier in London, damit sie sich überzeugt, daß wir noch auf den Beinen sind. Roshers ziehn nächstens nach der Insel Wight, wo Percy eine Agentur für seine Brüder führen wird. Sie haben ihr Haus vorgestern verlassen und wohnen einstweilen bei seinen Eltern, wenige Häuser von mir.
1 „Die Schutzzöllner, die Freihandelsmänner und die arbeitende Klasse" (siehe hierüber auch vorl. Band, S. 17)
Inl. bist Du wohl so gut, gleich an S[orge] zu besorgen. Julius ist wie gewöhnlich mit dem Auszug aus 114, Kentish Town Road1371 (zum 25. ds.) nicht fertig; sie haben V2 Quartal länger genommen. Ede schreibt fleißig für „Vorwärts" und „Neue Zeit" und macht sich sehr heraus. Avelings geht's gut; da „People's Press" jetzt kaputt, solltet Ihr „Daily Chronicle" ansehn, das Blatt ist zwar Unionist Liberal11001 und als solches mit den Tories verbündet, aber gibt über Arbeiterbewegung hier die besten Nachrichten und nimmt alle Berichte auf. Die 8-Stunden-Bewegung geht famos (vgl. Nachrichten aus Edes Briefen im „Vorwärts" und ditto „Neue Zeit")11011, der Trades Council11021 hat klein beigegeben, und die Demonstration wird diesmal enorm und obendrein einhellig.2 Die legal 8 hours agitation3 ist für die Engländer die Pforte zur sozialistischen Bewegung, haben sie die 8-Stunden-Bill für alle, auch Männer, einmal verschluckt (und sie sind auf dem besten Weg), so scheuen sie vor nichts mehr zurück: das ist der Bruch mit der alten freetrade bourgeois Anschauung4. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich selbst von Louise und Deinem F.E.
8 vgl. vorl. Band, S. 67 und 98-102 - 3 Agitation für den gesetzlichen Achtstundentag 4 bürgerlichen Freihandelsanschauung
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Engels an Max Oppenheim in Dresden
122, Regent's Park Road, N. W. London, 24. März 1891
Sehr geehrter Herr Oppenheim, Vor allem habe ich Sie um Verzeihung zu bitten, daß ich Ihren werten Brief vom 26.Nov. v.J. erst heute - fast genau Ziel vier Monate! - beantworte. Aber wenn Sie wüßten, welche endlose Masse Arbeit und Korrespondenz aller Art ich diese Zeit über gehabt und daß ich dabei nur 3 Stunden täglich - bei Tageslicht noch dazu! - die Feder führen darf wegen schwacher Augen, so würden Sie mich gewiß entschuldigen. Also herzlichen Dank für Ihre freundlichen Wünsche, die sich insoweit zu erfüllen scheinen, als ich im ganzen recht gesund für die Umstände bin und man allgemein behauptet, mein Alter sei mir nicht anzusehn. Wollen hoffen, daß es so bleibt. Sie berühren weiterhin einige schwierige Themata, die sich in einem kurzen Brief nicht entfernt erschöpfen lassen. Daß es ein Fortschritt wäre, wenn die Arbeitergenossenschaften direkt und im Namen aller mit dem Unternehmer wegen des Lohnvertrags unterhandeln könnten, ist sicher. Hier in England ist das auch seit fast 50 Jahren erstrebt worden, aber die Kapitalisten kennen ihren Vorteil zu gut, um anders als gezwungen darauf anzubeißen. Im großen Dockstrike von 188911031 wurde es durchgesetzt, auch früher und später schon hie und da zeitweilig; aber bei der ersten Gelegenheit emanzipieren sich die Herren wieder von dieser „unerträglichen Tyrannei" der Genossenschaften und erklären es für unzulässig, daß sich Dritte, Unberufene, in das patriarchalische Verhältnis zwischen ihnen und ihren Arbeitern einmischen. Es ist die alte Geschichte: in guten Geschäftszeiten zwingt die Nachfrage nach Arbeit die Herren zur Coulanz, in schlechten nutzen sie das Überangebot von Arbeit aus, um alle diese Konzessionen wieder wettzumachen. Im ganzen aber wächst der Widerstand der Arbeiter mit ihrer wachsenden Organisation doch derart, daß die allgemeine Lage der Durchschnitt - sich ein geringes hebt, daß keine Krise die Arbeiter dauernd unter oder nur auf den Nullpunkt, den niedrigsten Punkt der
vorigen Krise wieder hinabdrückt. Was es aber werden wird, wenn wir einmal eine lange, chronische, 5-6 Jahre umfassende, allgemeine Industriekrise erleben sollten, das ist schwer zu sagen. Die Beschäftigung der überzähligen Arbeiter durch den Staat resp. die Gemeinden und die Verstaatlichung des Handels mit Lebensmitteln sind Punkte, die nach meiner Ansicht weiter gefaßt werden müßten, als in Ihrem Brief geschieht. Der Handel nicht allein, auch die Produktion der im Lande selbst herstellbaren Lebensmittel müßten da hineingezogen werden. Denn womit sonst wollen Sie die Überzähligen beschäftigen? Sie sind ja grade überzählig, weil für ihre Produkte kein Absatz da ist. Dann sind wir aber angekommen bei der Expropriation der Grundeigentümer, und das ist schon ein gut Stück' weiter, als der heutige deutsche oder österreichische Staat gehn würde. Und dann können wir weder dem einen noch dem andern von beiden so etwas anvertrauen. Wie es geht und was dabei herauskommt, wenn die Junker die Junker expropriieren sollen, das kann man hier in England sehn, wo doch unter allen mittelalterlichen Formen ein viel moderneres Staatsleben herrscht als rechts und links vom Erzgebirge. Das ist ja grade der wunde Punkt, daß, solange die besitzenden Klassen am Ruder bleiben, jede Verstaatlichung nicht eine Abschaffung, sondern nur eine Formveränderung der Ausbeutung ist; in der französischen, amerikanischen, schweizerischen Republik nicht minder als im monarchischen Zentral- und despotischen Osteuropa. Und um die besitzenden Klassen vom Ruder zu verdrängen, brauchen wir zuerst eine Umwälzung in den Köpfen der Arbeitermassen, wie sie sich jetzt allerdings - relativ langsam - vollzieht; und um diese zuwege zu bringen, brauchen wir ein noch rascheres Tempo in der Umwälzung in den Produktionsmethoden, mehr Maschinerie, mehr Arbeiterverdrängung, mehr Bauern- und Kleinbürgerruin, mehr Handgreiflichkeit und Massenhaftigkeit der unvermeidlichen Resultate der modernen großen Industrie. In dem Maß, wie diese ökonomische Umwälzung sich rascher und einschneidender vollzieht, in dem Maß werden sich auch Maßregeln mit Notwendigkeit aufdrängen, die, anscheinend nur zur Abhülfe plötzlich ins Große und Unerträgliche gewachsner Übelstände bestimmt, in ihren Folgen die Wurzeln der bisherigen Produktionsweise untergraben; und werden sich die Arbeitermassen vermittelst des allgemeinen Stimmrechts Gehör erzwingen. Welche Maßregeln da die ersten sein werden, das hängt von lokalen und zeitweiligen Verhältnissen ab, darüber läßt sich im voraus und allgemein nichts sagen. Aber, das ist meine Ansicht, wirklich befreiende Schritte werden erst dann möglich, wenn die ökonomische Umwälzung die
große Masse der Arbeiter zum Bewußtsein ihrer Lage gebracht und ihnen damit den Weg zur politischen Herrschaft gebahnt hat. Die andern Klassen können nur Flickwerk oder Scheinwerk machen. Und dieser Prozeß der Klärung der Arbeiterköpfe geht jetzt täglich rascher vor sich, und in 5 bis 10 Jahren werden die diversen Parlamente ganz anders aussehn. Der III.Band1 kommt wieder in Arbeit, sobald die vermaledeiten kleinen Zwischenarbeiten und die endlose Korrespondenz mit aller Herren Länder mir Zeit läßt. Dann aber mache ich Revolution und schließe die Bude zu und lasse mich nicht mehr stören. Hoffentlich werde ich dies Jahr fertig, es brennt mir auf den Nägeln, und ich muß fertig werden. Kommen Sie nicht nochmals nach England? Tussy ist sehr wohl und munter, sehr glücklich verheiratet und recht rund geworden.
Hochachtungsvoll der Ihrige F. Engels
1 des „Kapitals"
5 Marx/Engels, Werke, Bd. 38
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 30. März 1891
Meine liebe Laura. Vielen herzlichen Dank für Dein freundliches Anerbieten, Rave durchzusehn11041, qui en sera ravi1 - aber ich fürchte, Du wirst nicht ravie sein. Ich habe mir eine Probe anfertigen lassen - zwei Abschnitte aus dem letzten Kapitel, S. 121 und 1401935 -, die ich durchgesehen habe und Dir nun mit meinen Bemerkungen und vorgeschlagenen Änderungen überlasse. Sieh sie Dir bitte an, und dann entscheide selbst, ob Du die Arbeit übernehmen willst. Wie alle professionellen Ubersetzer ist er der Sklave des Originals und vergißt, daß man einen Satz, der aus dem Französischen ins Deutsche, und vice versa, übersetzt werden soll, völlig umstülpen muß. Überdies versteht er nicht die Nuancen, die in zahlreichen deutschen Synonymen zum Ausdruck kommen; er weiß, welchen Geschlechts ein Wort ist, er kennt jedoch nicht seine besondere Bedeutung und noch weniger seine Mannigfaltigkeit. Aber in dieser Beziehung, fürchte ich, versagen die meisten Übersetzer. Ich werde an R[ave] schreiben, daß ich das Ms. Monsieur Lafargue geschickt habe (den er als Bearbeiter vorschlägt) und daß ich ihm keinen definitiven Bescheid geben kann, bis dieser mir geschrieben hat. Da er Paul erwähnte, hielt ich es für das beste, Dich im gegenwärtigen Stadium nicht in die Angelegenheit hineinzuziehen. Heute abend kommt Jollymeier endlich. Weihnachten hatte er eine Erkältung und scheint sie bis jetzt noch nicht los zu sein. Er wollte vergangenen Donnerstag2 kommen, doch seine Erkältung verschlimmerte sich, und da das Wetter schlecht war, schob er sein Kommen von Tag zu Tag hinaus. Gestern war es schön und warm, aber er ließ sich nicht blicken; heute schreibt er endlich und kündigt seine Ankunft für heute abend „aber sicher"3 an. Seine Taubheit scheint ihn sehr zu quälen. Sam kam letzten Donnerstag in Liverpool an und ist bei seinen Eltern in Rumford, er wird gegen Ende dieser oder Anfang nächster Woche hier
1 der davon entzückt sein wird - 2 26.März - 3 in der Handschrift deutsch: „aber sicher"
eintreffen. Er hat sich nach seiner Ankunft von Gumpert gründlich untersuchen lassen, der ihn für vollkommen gesund hält, bis auf eine geringe Vergrößerung seiner Milz, die er bald zu kurieren hofft. Pumps und Percy wohnen augenblicklich bei den alten Roshers; sie haben ihr Haus aufgegeben und die Möbel untergestellt bis zu ihrem Umzug nach Ryde, Isle of Wight, wohin Percy diese Woche mit seinen Brüdern gehen wird, um die geschäftlichen Anordnungen für die neue Agentur für Roshers Zement, Kunststein und Bau- und Gartenbaumaterialien allgemein zu treffen. Danach wird er Pumps holen, mit ihr ein Haus suchen, und dann wird der Umzug losgehen. Ich hoffe, daß Percy endlich lernt, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen; sie haben mich ein schönes Stück Geld gekostet, und das Schlimmste dabei ist, daß die Partei absolut nichts davon hat. Natürlich werde ich sie noch ein oder zwei Jahre unterstützen müssen, bis man annehmen kann, daß das neue Geschäft sich auszuzahlen beginnt. Annie hat uns verlassen und wird diese Woche heiraten. Wir haben zwei Mädchen eingestellt, da ich möchte, daß mir Louise bei meiner Arbeit hilft und ihre Zeit nicht in der Küche vertrödelt. Es war verteufelt schwer, Mädchen zu bekommen, aber ich glaube, wir haben Glück gehabt; bisher - es ist die erste Woche - sind wir zufrieden. Es sind zwei Mädchen, die zusammen gearbeitet haben und gerne wieder auf einer Stelle zusammen arbeiten möchten. Die Maidemonstration wird für die Social Democratic Federation und Hyndman ein schwerer Schlag werden. Durch ihre Überschlauheit, den Trades Council11021 gegen die Legal Eight Hours League'1051 auszuspielen, haben sie sich zwischen zwei Stühle gesetzt; sie haben ganz vergessen, daß der Trades Council dieses Jahr eine ganz andere Mehrheit hat als im vergangenen Jahr.4 Sie forderten wieder zwei Tribünen für sich, werden sie aber nicht bekommen, da sie weder im Trades Council noch im Legal Eight Hours Committee vertreten sind (sie haben drei Delegierte geschickt, diese blieben jedoch bald weg, und ihre Namen wurden deshalb aus der Liste gestrichen). Überdies geht Edward jetzt als Antwort auf die verleumderischen Angriffe Hyndmans'821 zur Offensive über und wird die Angelegenheit vor die East End branch der Social Democratic Federation bringen. Jedenfalls scheint Hfyndman] bereits Angst zu bekommen. Bernstein sagt, er habe in „La Justice" gelesen, daß die Broussisten beim 1. Mai-Komitee in Paris ihre Aufnahme beantragt hätten, die Blanquisten und Allemanisten dagegen gewesen seien, sie aber auf Guesdes Vorschlag
4 vgl. vorl. Band. S. 98->01
5*
mit einer Mehrheit von 5 Stimmen aufgenommen worden wären.11061 Kannst Du mir irgendwelche Einzelheiten mitteilen? die diese Information widerlegen oder bestätigen? Ich höre jetzt absolut nichts über Brousse und Co., liegen sie nur auf der Lauer, oder sind sie so vollständig erledigt, daß sie sich nicht zu rühren wagen? Ich möchte in dieser Angelegenheit gern ständig au courant5 sein, weil der Brüsseler Kongreß11071 sehr wahrscheinlich eine Änderung der Beziehungen der Social Democratic Federation und der Possibilisten zu den Deutschen nach sich ziehen wird. Wenn diese beiden Intrigantengruppen nach Brüssel gehen und dort öffentlich auf ihre Ansprüche verzichten, die Parteien in England und Frankreich zu sein, die als einzige anerkannt werden müssen, dann werden die Deutschen es nicht ablehnen können, mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Und bei L[ie]bk[necht]s gegenwärtigem Verhalten würde ich mich nicht wundern, wenn er versuchte, die Possibilisten gegen Euch auszuspielen und die Social Democratic Federation gegen uns hier, um Euch und uns ihm gegenüber nachgiebiger zu machen. Ich weiß nicht, ob Du den „Vorwärts" liest, doch wir ärgern uns hier alle sehr über ihn. Niemals hatte eine große Partei eine so miserable Zeitung. Jedenfalls habe ich gerade jetzt, um vor Eventualitäten geschützt zu sein, ein besonderes Interesse an den Taten, Äußerungen und der Haltung von Brousse und Co. Herzliche Grüße von Louise. Immer Dein F.E.
Wird Paul mal einen Sprung übers Wasser machen, wenn er in Calais ist?
Aus dem Englischen.
33
Engels an Stanislaw Mendelson in London (Entwurf)
[London] den 3I.März 91
Lieber Bürger Mendelson, Ich habe soeben einen Brief erhalten, dessen Abschrift ich beifüge.11081 Ich weiß überhaupt nicht, welche Beziehungen zwischen Ihnen und Wroblewski bestehen. Das ist eine Sache, die mich nichts angeht.1 Aber in der heiklen Lage, in die mich dieser Brief versetzt, bleibt mir keine andere Wahl - und ich glaube, daß Sie darin mit mir übereinstimmen werden -, als Ihnen davon Mitteilung zu machen und Ihre Adresse Wr[obIewski] zugehen zu lassen. Ich bitte Sie, sich mit ihm direkt zu verständigen. Ich hoffe, daß Ihr Umzug bald beendet ist, ich weiß nur zu gut, wie unangenehm das ist. Ihre Gattin, der ich mich zu empfehlen bitte, wird auch genug davon haben. Stets Ihr F.E.
Frau K[autsky] läßt Sie und Ihre Gattin grüßen.
Aus dem Französischen.
1 Die erste, in der Handschrift gestrichene Fassung dieses Satzes lautete: Ich habe weder die Absicht noch die geringste Lust, mich einzumischen, sei es in private Angelegenheiten, sei es in Dinge, die nur die Polen selbst angehen.
34
Engels an August Bebel in Berlin (Entwurf)
[London, Anfang April 1891]
Lieber B[ebel], Heute komme ich nicht, Dir auf Deinen Brief vom 30. zu antworten das kommt nächstens1, sobald die Arbeitsmasse es irgend erlaubt -, sondern Dir und Deiner Frau von ganzem Herzen zu Eurer silbernen Hochzeit Glück zu wünschen. Ich hoffe, Ihr werdet auch noch beide am 6. April 1916 die goldene Hochzeit feiern und ein Glas dabei aufs Andenken dieses jetzt schreibenden alten Knaben leeren, der dann längst in Rauch und Asche aufgegangen sein wird. Das kann ich Dir sagen: es leben nicht viel Leute, denen ich so aufrichtig und so herzlich zu einem solchen Fest meine Glückwünsche darbringen kann wie Dir. Seit wir zusammen korrespondiert und uns dann persönlich nähergetreten'1091, habe ich fortwährend eine Übereinstimmung der Denkrichtung und Denkweise zwischen uns bemerkt, wie sie zwischen Leuten von so verschiednem Entwicklungsgang förmlich wunderbar ist. Das schließt - glücklicherweise - nicht aus, daß man auch über manche Punkte nicht übereinstimmt. Aber das sind dann wieder Punkte, wo entweder mit der Zeit infolge von Diskussion und neuen Ereignissen die Einstimmung sich von selbst einstellt oder wo sie überhaupt auf die Dauer von keiner Bedeutung ist. Und ich hoffe, so bleibt es. Ich glaube nicht, daß je wieder ein Fall vorkommen wird, wo einer von uns beiden einen den andern direkt berührenden Schritt tun müßte, ohne sich vorher mit diesem andern beraten zu haben.2 Und ich wenigstens segne noch heute den Tag, wo Du mit mir in regelmäßigen Briefverkehr tratst.
1 Siehe vorl. Band, S, 89-97 — 2 die erste, in der Handschrift gestrichene Fassung dieses Satzes lautete: Ich glaube nicht, daß ich je wieder in den Fall kommen werde, einen die deutsche Partei direkt berührenden Schritt zu tun, ohne mich vorher mit Dir beraten zu haben.
35
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 2. April 91
Liebsr Kautsky, In aller Eile das Nötigste. Von Bebel endlich ein Brief, ganz freundschaftlich, mit diversen Vorhaltungen, aber ganz der alte herzliche Ton und der Wunsch, die Sache begraben sein zu lassen.1 Meißner habe ich wegen der 4. Aufl.2 sehr entschieden geschrieben und nochmals aufgefordert, Dir zu schicken. Ditto wegen Aushängebogen der Brentanoschmiere3 für Dich - bekomme ich sie nicht bald, so schick' ich Dir - enfin4, das tu' ich lieber gleich - ich schicke Dir meine KorrekturKontrollbogen, da kannst Du wenigstens im rauhen sehn, wie das Ding ist. Die Vorrede zum „Bürgerkrieg" hast Du wohl erhalten, sie ging vor ein paar Tagen ab. Die einleitende Note bist Du wohl so gut zu machen.11101 Mit Laf [argue] ist alles in Ordnung. Ich wies ihm nach, daß seine Argumente aus Ricardo und A.Smith längst in „Zur Kritik"5 und meiner Vorrede zum 2.Band6 antizipiert sind7, und er scheint sich sofort dabei beruhigt zu haben.1711 Schorl[emmer] ist hier, grüßt bestens. Jetzt ist's Essenszeit, und Aveling kommt - er ist Strohwitwer, Tussy paukt in Norwich also leb wohl.
Dein F.E.
1 Vgl. vorl. Band, S. 89 - 2 des ersten Bandes des „Kapitals" - 3 Friedrich Engels: „ In Sachen Brentano contra Marx" - 4 kurzum - 5 Karl Marx: „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" 6 des „Kapitals" - 7 siehe vorl. Band, S. 49/50
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
London, 2. April 1891
Lieber Freund, Es ist mir ganz recht, wenn Fantuzzi den „Soc[ialismo] utop[istico]" abdruckt, nur werde ich ihm schreiben1, daß er mir keine Vorreden von unbekannten Leuten a la Gori hineinsetzt.1111' Auch kann die biographische Skizze aus „Lo Sviluppo" benutzt werden.tll2i Eine neue, eben aufgenommene Photographie schicke ich Ihnen dieser Tage, sobald ich selbst Abdrücke erhalte. Um Ihnen bei Ihren englischen Studien behülflich zu sein, habe ich Ihnen die englische Ausgabe des „Kommunistischen Manifests" geschickt und werde mir ein Ex. der englischen Ausgabe des „Kapital" für Sie verschaffen. Ein englisches sozialistisches Blatt, das der Mühe wert wäre zu lesen, gibt es augenblicklich nicht. Ich werde Ihnen aber von Zeit zu Zeit eine - möglichst interessante - Nummer einer Bourgeois-Zeitung zum Studium zuschicken. Mit einer englischen Grammatik und einem Wörterbuch werden Sie dann schon vorankommen. Allerdings die Aussprache können Sie nicht ohne guten Lehrer lernen. Im übrigen ist die Sprache sehr leicht, da sie fast gar keine Grammatik hat. Wenn Sie ein deutsches Exemplar des „Manifests" wünschen, so bitte ich um Nachricht per Postkarte. Freundschaftlichst der Ihrige F. Engels
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Engels an Romualdo Fantuzzi in Mailand11131 (Entwurf)
[London] 2. April [1891] Ich ermächtige Sie gern, die (von P. Martignetti angefertigte) italienische Übersetzung meiner „Entwicklung des Sozialismüs von der Utopie zur Wissenschaft" neu zu drucken und neu herauszugeben, vorausgesetzt, daß Sie die Veröffentlichung nicht länger als 3 Monate, von heute ab gerechnet, hinausziehen und daß Sie niemandem, wer es auch sei, erlauben, Vorworte dazu, Veränderungen, geschweige denn Änderungen ohne meine ausdrückliche und schriftliche Zustimmung zu machen. (Kann die Biographie aus „Origine della famiglia"1 abdrucken.)2 Was die Neuauflage der letztgenannten Schrift angeht, so müßte ich wissen, warin die neue Ausgabe erscheinen könnte; wenn das im Laufe des Jahres geschieht, könnten wir zu einer Vereinbarung kommen. Selbstverständlich rechne ich mit der Übersendung von \2Freiex. von jeder Veröffentlichung eines meiner Werke.
Aus dem Französischen.
1 „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" - 2 dieser Satz in der Handschrift deutsch
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 3. April 91
Mein lieber Lafargue, Dank für Ihren Brief - mich interessiert das sehr.11111 Erstens, weil wir über derartige Dinge auf dem laufenden sein müssen, um Hyndman gegenüber gewappnet zu sein; zweitens, weil die von Ihnen befolgte Taktik genau derjenigen entspricht, die Marx 1875 den Deutschen gegenüber den Lassalleanern empfahl147und ich könnte mich dessen bedienen, falls es nötig sein sollte, um zu beweisen, daß die Deutschen 1875 eine andere Linie hätten einschlagen können als die, die sie dann befolgt haben; und 3. aus dem Laura angegebenen Grund1. Aber letzteren verstehen Sie falsch. Wenn Sie meinen Brief noch einmal aufmerksam durchlesen, werden Sie feststellen, daß ich darin nur von möglichen Chancen in der Zukunft, nach dem Brüsseler Kongreß[107J spreche. Gleichviel, was für Briefe Ihnen L[iebknecht] jetzt schreibt, Sie sollten ihn genügend kennen, um zu wissen, wie er sich in einem Augenblick zu drehen und zu wenden weiß. Seit 20 Jahren hat seine Politik immer darin bestanden, zum Ausland Beziehungen zu unterhalten, unabhängig von denen, die Marx und ich ihm beschaffen konnten. Wie zu Hause liebt er es auch im Ausland, sich einen Kreis von Anhängern zu schaffen, und von Leuten, die ihm verpflichtet sind. Und er nimmt es dabei nicht so genau. Erinnern Sie sich an die Affäre Buffenoir.'1151 So wird er handeln, sobald sich ihm neue Beziehungen bieten. Und da in Brüssel die letzten Beweggründe, die ihn von den Possibilisten und von Hyndman abgehalten haben, wahrscheinlich verschwinden werden, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn er sich diesen Herren nähern wird, um sich der einen als Gegengewicht gegen Sie zu bedienen und der anderen, um uns hier „in der Schwebe zu halten". Wenn das eintritt, kann es von höchster Wichtigkeit sein, daß ich im gegebenen Augenblick eingreife, und darum muß ich im Voraus vorbereitet sein. Wenn es nicht eintritt, um so besser.
Die 50 Pfund der Tüllarbeiter von Calais haben einen großen Effekt gehabt, aber Sie wissen, die Engländer sind Männer matter offacta, und um freundschaftliche internationale Beziehungen aufrechtzuerhalten, wäre es besser, die Freigebigkeit der französischen Arbeiter nicht hierauf zu beschränken. Es würde hier gut wirken, wenn eine französische Arbeitergewerkschaft, die noch keine englischen Unterstützungen erhalten hat, eine Summe schickt. Das wäre eine französische Initiative, die man hier sehr schätzen würde. Sam Moore ist bei guter Gesundheit hier angekommen, er hat sich von Gumpert untersuchen lassen, der ihn für perfectly souncP erklärte, abgesehen von einer leichten Anschwellung der Milz, die er in kurzer Zeit zu heilen hofft. Leider ist Sam bei seinen Eltern in Derbyshire, in den Bergen, gerade in der Zeit angekommen, in der es viel schneit und das ist für einen Mann, der eben aus den Tropen kommt, nicht gerade günstig. Er wird in der nächsten Woche hier sein. Der Mord von Sofia ist gewiß eine russische Tat, aber da man Stambuloff verfehlt hat, der in Wirklichkeit gemeint war, so wird das wahrscheinlich zu nichts Entscheidendem führen.'1161 Sonst hätten wir vielleicht einige excitemenfi erleben können, und ich bin ganz froh, daß das nicht der Fall ist. Denn ich zweifle stark an der Widerstandskraft des Pariser Publikums gegenüber dem Geschrei der Chauvinisten im Augenblick einer Krise, wie ich unter ähnlichen Umständen an meinen Berlinern zweifeln würde. Weder Bismarck noch Boulanger sind tot genug, als daß nicht ein Krieg, der beinahe unvermeidlich geworden, ihre Auferstehung herbeiführen könnte. Eure Taktik gegenüber den beiden Gruppen der Possibilisten ist die beste, die unter den gegebenen Umständen zu befolgen ist. Da Ihr in Paris in der Minderheit seid, müßt Ihr die einen durch die anderen ausgleichen und allmählich die Massen zu Euch heranziehen. Übrigens gibt es prinzipielle Unterschiede, die Euch berechtigen, ein Verschmelzen schlechthin zu verweigern. Aber wo steht denn im „Socfialiste]" der Brief aus Rouen, von dem Sie sprechen? Ich habe in allen Nrn. vom 11.Febr. bis I.April gesucht und nichts gefunden.'1171 Louise und Schorlemmer senden Ihnen und Laura die besten Grüße, desgleichen Ihr F. E.
2 sind nüchterne Menschen - 3 vollkommen gesund - 4 Aufregung
Schorl[emmer] ist von seiner Erkältung fast wiederhergestellt, aber er scheint recht angegriffen. Wir erwarten Sie nächste Woche, damit Sam Ihnen eine Menge über Ihre Negervorfahren erzählen kann.
Aus dem Französischen.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber K[autsky], Brief soeben eingesprungen. Schade, daß Du Schmidt nicht nach dort bekommen, er wäre ganz Dein Mann gewesen.11181 Meißfner] schreibt, er versende erst jetzt Rezensionsex. der 4. Aufl.1 zugleich mit Anti~B[rentano]2, und beides sei an ,,N[eue] Z[eit]" abgegangen. Du kannst also so/orf loslegen, bis Dein Artikel gedruckt11191, hast Du beides jedenfalls. Wo nicht, schreib an 0. M[eißner] und beziehe Dich auf mich und auf diese meine Mitteilung. Ein Elsässer, Henri Rave, augenblicklich brummend, der Bebels „Frau" übersetzt hat und jetzt unter Laura L[afargue]s Kontrolle meinen „Ursprung" übersetzt11041, will wissen, ob Dein „Thfomas] Morus" wert ist, übersetzt zu werden. Ich habe ihm das Buch empfohlen, aber gleichzeitig geschrieben, ich würde Dich auffordern, ihm ein Ex. zu schicken, damit er sich selbst davon überzeugen könne. Adresse: H. R[ave], detenu ä la prison3, Poitiers (Vienne, France). Die Franzosen haben jetzt alle Hände voll mit ihren eignen Sachen, 1. Mai, die sich daran knüpfenden Verhandlungen mit den Possibilisten sowohl allemanistischer wie broussistischer Richtung - wobei die Unsern1601 die Schiedsrichter spielen!! - usw. und mit ihrem „Socialiste", daß dies Paul L[afargue]s Nichtarbeiten für die „N[eue] Z[eit]" erklärt. Komisch ist, daß die Franzosen gegenüber den zerfallenden Possibilisten grade die Politik befolgen, die M[ar]x im Begleitbrief 1875 gegenüber den Lassalleanern anempfahl1471, und zwar bis jetzt mit Erfolg - welchen der Brüsseler Kongreß 11071 wohl besiegeln wird. Viele Grüße. Dein F.E. [London] 7./4./91
1des ersten Bandes des „Kapitals" -ä Friedrich Engels: „In Sachen Brentano contra Marx" 8 Häftling im Gefängnis
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Engels an Henri Rave in Poitiers11201 (Entwurf)
[London] 7. April [1891] Wenn Sie sich cm 15. d. M. an die Arbeit setzen, könnten Sie Laffargue] das erste Kapitel Anfang Mai schicken und dann Kapitel um Kapitel, so, wie Sie es fertig haben.1 Sie werden das Ganze etwa Ende Juni beendet haben, und im Juli hätten Sie, wie ich hoffe, die Korrekturbogen der neuen Ausgabe'761; das hängt jedoch nicht von mir allein ab. So könnten wir Wahrscheinlich im September erscheinen.
Aus dem Französischen.
41
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 8. April 91
Lieber Sorge, Heute endlich kann ich Dir ein paar neue Photographien schicken, 2 kleine hierbei, eine größere (sog. panel1) geht als bookpacket registriert an Dich ab. Sie sind im Febr. d.J. genommen, repräsentieren also den gegenwärtigen Stand der Dinge ziemlich genau. Was Deine Bantingkur angeht, so ist die Gicht ganz normale Folge des verstärkten Konsums von Fleisch, Eiern und andern stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln. Diese sollen eigentlich nur dazu dienen, Muskelfleisch und andre stickstoffhaltige Körperbestandteile (Fibrin, kurz alle Eiweißkörper) zu erneuern und deren Verschleiß wieder gutzumachen. Nimmst Du aber mehr, als dazu nötig, so werden sie im Körper als gewöhnliche Nahrung zum Ersatz der Körperwärme verbrannt und lassen dann als Hauptrest nach der Verbrennung die sog. Harnsäure, die dann in größerer Quantität im Körper auftreten kann, als durch die Nieren ausgeschieden wird. Der Überschuß bleibt dann entweder in den Muskeln hängen öder kristallisiert in den Gelenken, und das heißt man dann Rheumatismus und Gicht. Entweder mußt Du Dir mehr Bewegung machen oder aber Deine Diät ändern und mehr Brot usw. essen und weniger Fleisch und Eier. Bier solltest Du allerdings meiden. Dank wegen Antwort bezüglich Avelings. Die Sache wurde hier einmal, ich weiß nicht mehr von wem, hypothetisch angeregt, und damit nichts Voreiliges geschehe, übernahm ich's, Dich deswegen zu befragen.2 Singer und Bebel haben in sehr liebenswürdiger Weise an mich geschrieben.'1211 Die Deutschen können sich noch immer nicht dran gewöhnen, daß jemand in Amt und Würden nicht Anspruch auf zarteres Anfassen hat als andre Leute. Das war im Grunde die Hauptursache der Kränkung. Da ich auf die Liebknechtsche pomphafte Schmiralia'651 nicht geantwortet, überhaupt gar keine Notiz genommen von allen Anzapfungen,
wird L[ie]bk[necht] sich einbilden können, er habe einen großen Sieg über mich erfochten. Das Vergnügen lass' ich ihm. Er redigiert ihnen das „Vorwärts" ohnehin rasch genug zuschanden, alle schimpfen darüber. Mit L[ie]bk[necht] ist und bleibt nichts zu machen, wie er ja auch in Amerika noch immer mit Rosenberg zu mogeln scheint. Die entscheidende Rolle in der Partei geht mehr und mehr auf Bebel über, und das ist sehr gut. B[ebel] ist ein ruhiger klarer Kopf, der sich auch theoretisch ganz anders herausgearbeitet hat als L[ie]bk[necht], Aber man kann eben L[ie]bk[necht] nicht abschütteln, er hat dabei wegen seiner Phrasenmacherei und Leidenschaftlichkeit des Tons in Volksversammlungen noch recht viel Wirkung, und so gibt es allerhand Kompromisselei. Hier geht's gut voran. Die Angriffe Hyndmans gegen Aveling können ihm teuer zustatten kommen. H[yndman] ist unfähig, seine Kräfte im Vergleich zu dem, was er leisten soll, richtig abzuschätzen. Er hat geglaubt, mit Afveling] fertig zu werden, und jetzt sitzt er selbst im Dreck. Infolge des vorigen Liverpooler Trades Union-Kongresses11221 hat sich die Majorität des Londoner Trades-Council11021 zugunsten des legal 8 Hours Day3 umgestaltet. H[yndman] suchte ihn gegen die Legal 8 Hours League11051 auszuspielen, dies mißlang; seine Federation1621 war vertreten auf dem Legal 8 Hours Committee, aber er zog seine Delegierten zurück und schrieb an den Trades Council, für die Federation 2 separate Rednertribünen im Park4 bei der Demonstration verlangend. Der Trades Council wird aber wahrscheinlich entschieden ablehnen, wie das 8 Hours Committee schon getan, und dann sitzt H[yndman] zwischen zwei Stühlen.5 Aveling erhält von allen Vereinen, wo er arbeitet, Vertrauensvoten, da H[yndman] sich weigere, seine Anklagen in offner Debatte zu vertreten, und nach dem l.Mai wird er wohl seine Taktik ändern müssen. Er ist hier noch der einzige Krakeeler, der im Wege steht. Er beweist, wie nutzlos eine - theoretisch großenteils richtige Platform ist, wenn sie nicht an die wirklichen Bedürfnisse der Leute anzuknüpfen versteht. Obwohl die Leute hier Engländer, stehn sie doch fast ebenso außerhalb der wirklichen englischen Bewegung wie die Sozialistische Arbeiter-Partei in Amerika1261. Die Bewegung hier vollzieht sich in den neuen Trades Unions, vor allen der Gasworkers1671, und in der legal 8 Hours (Achtstundenbill) Agitation, und in beiden stehn Avelings an der Spitze. In beiden Agitationszweigen sind viele Leute, die auch der Social Democratic Federation angehören, aber grade diese entziehn sich dem besondern Einfluß Hyndmans und behandeln die Social Democratic Federation als
pure Nebensache. Und wenn Hyndman seine Krakeelerei gegen A[veling]s auf die Spitze treibt, kann er's grade mit diesen Leuten zu tun bekommen. In Frankreich haben unsre Leute, dank der Spaltung unter den Possibilisten, augenblicklich auch in Paris das Heft in der Hand. Erst haben die Allemanisten (in Paris nach Lafargue die Mehrzahl, was ich aber bezweifle) Delegierte zur Maidemonstrationskommission geschickt und dann endlich auch die Broussisten - sie bequemen sich also, einen marxistischen Beschluß11231 auszuführen. Und da die Allemanisten die Broussisten herauswerfen wollen, sind unsre Leute in die Lage gekommen, als Verteidiger der gleichen Rechte der Broussisten aufzutreten!! Das beste ist, daß unsre Franzosen gegenüber den Possibilisten genau die Taktik befolgen, die Marx den Eisenachern gegenüber den Lassalleanern anempfahl14'1! Und soweit mit Erfolg. Der Pariser Bergarbeiterkongreß wäre beinah am belgischen Blödsinn des general strike ... gescheitert.11241 Um diesem zu entgehn, verlangten die Engländer Abstimmung nach Kopfzahl der vertretnen Arbeiter. Das hätte den Engländern die fast unbedingte Mehrheit gegeben, und da rebellierten die andern. Ich wollte fast, die wallonischen Kohlenarbeiter, die den ganzen general-strike-Unsinn diesmal angestiftet, trieben es in Belgien zum general strike wegen allgemeinem Stimmrecht, sie würden heillos gehauen, und der Unsinn wäre begraben. Aber die andern in Deutschland und Frankreich würden die Folgen auszufressen haben. Schorl[emmer] war 8 Tage hier, ist sehr empfindlich gegen Wetterwechsel geworden, kämpft mit Taubheitsanfällen infolge von Erkältung, sollte einmal einen Winter im Warmen zubringen. Sam ist in Derbyshire, ich erwarte ihn täglich. Aber arbeiten wird er hier schwerlich, er soll sich Kräfte holen für neue lV2Jahram Niger. Er soll übrigens das dortige Klima sehr angenehm finden und über das unsrige schimpfen. Herzliche Grüße an Deine Frau. Dein F.E. Das doppelte Bild ist für Schlüter, den Du grüßen willst.
6 Marx/Engels, Werke, Bd. 38
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Engels an Walery Wröblewski in Nizza (Entwurf)
[London] 9.4.91
Mein lieber Wröbl[ewski], Sie werden mir verzeihen, wenn ich Sie bitte, nicht auf dem Auftrag zu bestehen, den Sie mir mit Ihrem Brief vom 5. geben. Ich habe kein Recht, mich in die internen Angelegenheiten der polnischen Partei, in denen ich mich fast gar nicht auskenne, noch in die Privatangelegenheiten des Bürgers M[endelson] einzumischen. Unter diesen Umständen scheint mir eine erneute Intervention meinerseits1 nur der Wirkung abträglich zu sein, die Sie erreichen möchten; ich glaube, es wäre in Ihrem eigenen Interesse günstiger, wenn Sie sich mit Mfendelson] direkt verständigten. Sie können das tun ohne die geringste Befürchtung, daß Briefe, die an Nr. 1, Hyde Park Mansions, N.W., adressiert sind, ihn nicht erreichen, denn ich weiß, daß er jetzt dort wohnt. In der Hoffnung, daß Sie Erfolg haben werden und mir bald bessere Nachrichten geben können, verbleibe ich herzlich Ihr
Aus dem Französischen.
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Engels an Heinrich Scheu in London
122, Regent's Park Road, N. W. [London] 10. April 1891
Sehr geehrter Herr Scheu, Dank dem Fleiß von Frau Kautsky, die in den letzten Wochen einen ganzen Haufen Briefe von M[arx] geordnet hat, kann ich Ihnen heute 2 Unterschriften von Marx schicken.11251 Die unter dem englischen Briefkonzept ist die deutlichste. Dagegen würden Sie vielleicht daran denken, aus dem deutschen Konzept die vier Zeilen: „Ich brauche Ihnen etc." bis „zu Gebot" mit all den Ausstrichen und Änderungen als Handschriftprobe (und zugleich Probe seiner Art zu arbeiten) zu geben. Eine bessere, korrekturfreie und sozusagen für den Zweck zugeschnittene kann ich Ihnen ohnehin nicht verschaffen. Ich überlasse dies Ihnen, ebenso, ob Sie die Worte „mit besondrer Hochachtung" und „Sehr geehrter Herr" mit aufnehmen wollen oder auch das Datum. Um Rücksendung der Briefe möchte ich Sie bitten. Es wird mich stets freuen, Sie bei mir zu sehn. Jedenfalls würde es mir angenehm sein, Sie nochmals zu sehn, ehe Sie mein neues Bild in Angriff nehmen, die neuen Photos von Debenham haben doch einen eignen Haken, und zwar buchstäblich genommen. Mit besten Grüßen von Frau Kfautsky] und
Ihrem hochachtend ergebnen F. Engels
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Engels an Leo Frankel in Paris
London, 24. April 1891
Lieber Frankel! Ich habe Deine Briefe vom 27. Dezember und vom 16. dieses Monats zu beantworten. Was den ersten betrifft, so ist mir das unangenehme Gefühl bekannt, das einen befällt, wenn man nach vielen Jahren der Abwesenheit in ein Land zurückkehrt und dort die ehemals einigen guten Freunde im heftigsten Bruderkrieg miteinander wiedertrifft. Jedoch - ä la guerre comme ä la guerre1, das ist eine notwendige Bedingung der Entwicklung, und dagegen kann man nichts tun. Es wird der Augenblick kommen, da Du in ihrer aller Interesse wirst dazwischentreten können, doch glaube ich, daß diese Zeit noch nicht gekommen ist.1126' - Brüssel wird viele aufklären, wenn Brüssel überhaupt zustande kommt11071, da es durch den törichten Generalstreik der Belgier gefährdet wird2. Was aus Anlaß des 1. Mai zwischen den verschiedenen Fraktionen jüngst geschah, hat, meiner Ansicht nach, auf alle Fälle bewiesen, daß für uns Zurückhaltung das erste Gebot ist. Diese Zurückhaltung müßte ich mir auch im Zusammenhang mit Deiner Bitte hinsichtlich der Ersten-MaiNummer der „Bataille"11271 auferlegen, wenn nicht noch andere Gründe dafür vorlägen. Erstens habe ich seit dem Juni 1889 die „Bataille" kein einziges Mal gesehen, und so weiß ich nur so viel, und auch das nur vom Hörensagen, daß sie es im antiboulangistischen Kampf mit der Rue Cadet11281 hielt, zweitens bin ich seit zwei Monaten mit ähnlichen Anforderungen derartig überhäuft worden, daß ich mich entschließen mußte, diese ein für allemal abzulehnen - einen ebensolchen Brief schicke ich heute nach Wien1521. Der III.Band vom „Kapital" muß endlich herauskommen. Bevor ich mich daranmache, muß ich neue Auflagen vorbereiten3, und das zurückzuweisen ist unmöglich. Solange aber der III. Band nicht fertig ist, übernehme
ich nichts und muß überdies sogar meine Korrespondenz beträchtlich einschränken. Mit herzlichen Grüßen auch von Louise Kautsky Dein F. Engels
Nach: „Nepszava" Nr. 130, vom 3.Juni 1906. Aus dem Ungarischen.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
. . , „ London, 30. April 1891 Lieber Baron, Deine Briefe vom 5. und 25. liegen vor mir. Ad vocem1 Brentano2 hat Herkner, dem ich ein Ex. geschickt, mir geantwortet, die Hinzulügung sei allerdings nicht aufrechtzuhalten, dahingegen habe M[arx] im „Kapital", wohl unabsichtlich, doch solche Auszüge gegeben, daß man über Gl[adstone]s wahre Ansicht nicht klarwerde usw. - im ganzen alles Mögliche von einem so „warmen" Schüler Brentanos. Meine Postkarte wegen Rave
beaucoup d'aspects original, de la p6riode de la renaissance dans les pays de reforme protestante, et surtout l'Angleterre. C'est de cet aperfu g6n6ral des conditions historiques de la p6riode que se degage la personnalite de T. M[ore], comme enfant de son temps. La renaissance italienne et fran^aise, par consequent, ne figurent dans le livre qu'a l'arriere-plan. J'ecrirai a K[autsky] un de ces jours, et je le prierai de vous envoyer son livre, je crois que vous trouverez, qu'il vaut bien la peine d'etre traduit."4 Die Genfer Denkschrift von M[arx] habe ich total vergessen.11311 Wir sind jetzt am Ordnen der alten Briefe und Zeitungen, da will ich sehn, ob ich sie finde. Viel Zeit zum Suchen hab' ich aber jetzt nicht, und Noten etc. dazu kann ich erst recht nicht machen. Ich muß sorgen, daß ich wieder an den II I.Band5 komme und habe mir fest vorgenommen, jede neue Arbeit, die nicht absolut dringend ist, ohne Erbarmen abzuweisen - und wären's nur 3 Zeilen - und ditto meine Korrespondenz aufs Allernötigste zu beschränken, bis ich mit dem II I.Band fertig bin. Vorher natürlich den „Ursprung", an den geht's, denk' ich, nächste Woche.1761 Inzwischen wird Louise nach dem Genfer Aktenstück suchen. Es kann aber einige Zeit dauern, die Masse des Stoffs ist groß und die Unordnung noch größer. Du wirst gesehn haben, daß im „Vorwärts" wegen Bergarbeiterstrike11321 eine etwas andre Wendung genommen11331. L[ieb]k[necht] ist in diesen Dingen hülf los. Der Mann hat nur zwei Farben auf seiner Palette, schwarz und weiß, Nuancen gibt's nicht, was ist da zu machen? Unsre Leute in Berlin sehn alles nur von ihrem Gesichtspunkt. So vergessen sie auch manchmal, daß sie bei den Bergarbeitern nicht die sozialistengesetzlich eingedrillte Disziplin voraussetzen dürfen wie bei den alten Soldaten derPartei; und daß jede neue Arbeitergruppe uns zugeführt wird durch unkluge, notwendig scheiternde, aber unter den Umständen unvermeidliche Leidenschaftsstrikes. Ich werde an B[ebel] darüber schreiben.6 Man kann nicht bloß die Annehmlichkeiten der Bewegung haben, man muß auch die momentan fatalen Dinge mitnehmen. Übrigens kann bei einer großen Partei nicht mehr die straffe Disziplin der Sekte fortbestehn, und das hat auch sein Gutes.
4 „Der ,Th[omas] Morus' von K[autsky] gibt einen im allgemeinen richtigen und in vielen Aspekten originellen Überblick über die Periode der Renaissance in den Ländern der protestantischen Reformation, vor allem in England. Und aus diesem allgemeinen Uberblick über die historischen Bedingungen jener Periode tritt uns die Persönlichkeit des T.M[ore] als Kind seiner Zeit entgegen. Die italienische und französische Renaissance erscheinen somit in dem Buch nur im Hintergrund. Ich werde K[autsky] in den nächsten Tagen schreiben und ihn bitten, Ihnen sein Buch zu schicken. Ich glaube, Sie werden auch der Meinung sein, daß es wert ist, übersetzt zu werden." - 6 des „Kapitals" - 6 siehe vorl. Band, S. 95/96
Was Laffargue] angeht, so laß Dich nicht irren. Lfafargue] ist ein wenig enfant gat67 und schwärmt für seine prähistorischen Theorien, die keineswegs immer stichhaltig sind. Seine Adam und Eva11341 sind ihm daher ans Herz gewachsen und scheinen ihm viel wichtiger als Zola, für den er ganz der rechte Mann ist. Und da die Verzögerung der Paradiesplatoniker, die erst gescheut wurden, nachdem der alte Jahve sie an die Luft gesetzt, jetzt so rasch nach der Geschichte mit dem andern ökonomischen Artikel kommt8, so ist er persönlich verdrießlich. Jetzt soll die „N[eue] Z[eit ]" plötzlich nur Adam- und Eva-Artikel bringen, als ob sie das früher so gemacht hätte. J etzt sucht er einen Gegensatz zwischen der alten und der neuen „Njeuen] Z[eit]", der garnicht existiert, und tut, als wenn früher die articles d'actualite gar nicht drin gewesen wären. Ich finde die ,,N[eue] Z[eit]" viel besser als früher - daß ich die Romane lese, kann freilich kein Mensch verlangen -, sie hat es fertiggebracht, daß Schippel endlich einmal wirklich gute Artikel schreibt, die man mit Vergnügen liest. Daß eine Wochenschrift mehr Raum auf actualites verwenden muß als eine Monatsschrift, ist klar; könntest Du für Adam und Eva bald ein Nachtlager finden, so wäre alles in Ordnung. Das amerikanische Milizsystem ist praktisch nichts als eine Art freiwillige Nationalgarde von Bourgeois, und bereits Hyndman schrieb vor 10 Jahren aus Amerika an Marx, daß dort die Bourgeois kolossal exerzierten, um sich gegen die Arbeiter zu sichern. Wie absolut nutzlos es gegen äußere Feinde ist, zeigten alle Kriege, die von den Vereinigten Staaten mit neugebildeten Freiwilligenregimentern (angeworbnen) geführt wurden, und der Bürgerkrieg11351 im allergrößten Maßstab. Die Miliz verschwand da vollständig. Schon in Amerika hörte ich von den armories9 der Milizregimenter als von wahren Festungen im Innern von New York. Solange nicht jeder Arbeiter sein Repetiergewehr und 100 scharfe Patronen im Hause hat, ist's alles Blödsinn. Dein alter F. E.
Du weißt, daß Mutter Besant unter die Theosophen der Großmutter Blowatsky (Blamatsky?)10 gegangen ist. An ihrem Gartentor 19, Avenue Road, steht jetzt mit großen goldnen Buchstaben: Theosophical Head Quarters. Das hat mit seiner Liebe der Herbert Burrows getan.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, l.Mai 1891
Lieber Bebel, Ich antworte heute auf Deine beiden Briefe vom 30./3. und 25./4. Mit Freuden habe ich gelesen, daß Eure silberne Hochzeit so schön verlaufen ist und Euch Lust auf die künftige goldne gemacht hat. Daß Ihr beide sie erlebt, wünsche ich von Herzen. Wir brauchen Dich noch lange, nachdem mich - um mit dem alten Dessauer1 zu reden - der Teufel geholt hat. Ich muß, hoffentlich zum letzten Mal, auf die Marxsche Programmkritik[6] zurückkommen. Daß „gegen die Veröffentlichung an sich niemand Einspruch erhoben hätte", muß ich bestreiten.tl36! L[ie]bk[necht] hätte sie nie gutwillig zugegeben und alles aufgeboten, sie zu hindern. Diese Kritik liegt ihm seit 1875 so im Magen, daß er an sie denkt, sobald von „Programm" die Rede ist. Seine ganze Hallenser Rede dreht sich um sie.191 Sein pausbackiger „Vorwärts"-Artikel1651 ist nur Ausdruck seines bösen Gewissens wegen ebenderselben Kritik. Und in der Tat ist sie in erster Instanz gegen ihn gerichtet. Wir sahen und ich sehe ihn noch als den Vater des Einigungsprogramms'541 - nach seiner faulen Seite hin - an. Und das war der Punkt, der mein einseitiges Vorgehn entschied. Hätte ich mit Dir allein die Sache durchberaten und dann sofort an K.K[autsky] zum Abdruck schicken können, wir wären in zwei Stunden einig geworden. Aber so hielt ich Dich für - persönlich und parteilich - verpflichtet, auch L[ie]bk[necht] zu Rate zu ziehn. Und dann wußte ich, weis kam. Entweder Unterdrückung oder offner Krakeel, wenigstens für eine Zeitlang, auch mit Dir, wenn ich doch vorging. Daß ich nicht unrecht hatte, beweist mir folgendes: Da Du am 1. April [ 1875] aus dem Loch kamst und das Aktenstück erst 5. Mai datiert, ist es klar - bis auf anderweitige Aufklärung -, daß Dir das Ding absichtlich unterschlagen wurde, und zwar kann das nur von L[ie]bk[necht] geschehn sein. Du gibst aber um des lieben Friedens willen zu, daß er die Lüge in die Welt schickt, Du habest Brummens halber das Ding nicht zu sehn
1 Leopold, Fürst von Anhalt-Dessau
bekommen.11371 Und so hättest Du wohl auch vor dem Druck Rücksicht auf ihn genommen, um Skandal in dem Vorstand zu vermeiden. Ich finde das auch erklärlich, aber hoffentlich Du dann auch dies, daß ich darauf Rücksicht nahm, daß aller Wahrscheinlichkeit nach so gehandelt worden wäre. Ich habe soeben das Ding nochmals durchgesehn. Möglich, daß noch einiges hätte weggelassen werden können, ohne dem Ganzen zu schaden. Aber viel sicher nicht. Was war die Lage? Wir wußten ebenso gut wie Ihr und wie z.B. die „F[rank]furter Zeitung" vom 9.März 75, die ich gefunden, daß mit der Annahme des Entwurfs durch Eure Bevollmächtigten die Sache entschieden war. Daher schrieb M[arx] das Ding nur, um sein Gewissen zu salvieren, dixi et salvavi animam meam2 steht zum Zeugnis darunter und ohne irgendwelche Hoffnung auf Erfolg. Und Liebk[necht]s Dicktun mit dem „kategorischen Nein"11381 ist daher nichts als blasse Renommage, und er weiß das auch. Wenn Ihr nun in der Wahl Eurer Vertreter einen Bock gemacht und nun, um nicht die ganze Einigung zuschanden werden zu lassen, das Programm hinunterschlucken mußtet, so könnt Ihr doch wahrhaftig nichts dagegen haben, daß man jetzt, nach 15 Jahren, die Euch vor der letzten Entscheidung zugegangene Warnung veröffentlicht. Das stempelt Euch weder als Dummköpfe noch als Betrüger, es sei denn, Ihr nehmt für Eure amtlichen Handlungen Unfehlbarkeit in Anspruch. Allerdings hast Du die Warnung nicht gelesen. Das ist ja aber auch veröffentlicht, und so stehst Du ausnahmsweise günstig da gegenüber den andern, die sie gelesen und sich doch in den Entwurf gefügt. Den Begleitbrief halte ich für sehr wichtig.1471 Denn darin wird die einzig richtige Politik dargelegt. Parallele Aktion für eine Probezeit, das war das einzige, was Euch vor dem Prinzipienschacher retten konnte. Aber L[ie]bk[necht] wollte sich den Ruhm, die Einigung gemacht zu haben, um keinen Preis entgehn lassen, und da ist es noch ein Wunder, daß er in seinen Konzessionen nicht noch weiter ging. Er hat eine wahre Einigungswut von jeher aus der bürgerlichen Demokratie mit herübergenommen und behalten. Daß die Lass[aljeaner] kamen, weil sie mußten, weil ihre ganze Partei in Stücke ging, weil ihre Führer Lumpen oder Esel waren, denen die Massen nicht mehr folgen wollten, das kann in der gewählten milden Form heute gesagt werden. Ihre „stramme Organisation" endigte naturgemäß in vollständiger Auflösung. Also lächerlich, wenn L[ie]bk[necht] die En-blocAnnahme der Lass[alleschen] Glaubensartikel damit entschuldigt, daß die
2 ich habe gesprochen und meine Seele gerettet
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Erste Seite des Briefes von Engels an August Bebel vom l./2.Mai 1891

Lassalleaner ihre stramme Organisation geopfert - da war nichts mehr zu opfern! Du wunderst Dich, woher die unklaren und verworrenen Phrasen im Programm stammen? Aber die sind ja alle grade der leibhaftige L[ie]bk[necht], wegen deren wir uns mit ihm jahrelang herumgestritten und für die er schwärmt. Er ist theoretisch stets unklar gewesen, und unsre scharfe Formulierung ist ihm noch heute ein Greuel. Dagegen tönende Phrasen, wobei man sich alles mögliche oder auch nichts denken kann, liebt er als alter Volksparteiler11391 noch heute. Wenn damals unklare Franzosen, Engländer, Amerikaner von „Befreiung der Arbeit" statt der Arbeiter^/asse sprachen, weil sie's nicht besser wußten, und wenn selbst in den Aktenstücken der Internationale stellenweise die Sprache der Leute geredet werden mußte, zu denen man sprach, so war dies Grund genug für L[ie]bk[necht], die Ausdrucksweise der deutschen Partei gewaltsam auf denselben überwund' nen Standpunkt zurückzuschrauben. Und man kann keineswegs sagen, „wider besseres Wissen", denn er wußte es wirklich nicht besser, und ich bin nicht sicher, ob das nicht auch heute noch gilt. Jedenfalls fällt er noch heute alle fingerlang in die alte verschwommene Ausdrucksweise zurück sie ist allerdings rhetorisch leichter zu verwenden. Und da ihm an den demokratischen Grundforderungen, die er zu verstehn glaubte, sicher mindestens ebensoviel lag als an den ökonomischen Sätzen, die er nicht klar verstand, so war er sicher ehrlich, wenn er bei Einhandlung der demokratischen Stapelartikel gegen die Lassallischen Dogmen ein brillantes Geschäft gemacht zu haben glaubte. Was die Angriffe auf Lassalle angeht, so waren mir diese mit das wichtigste, wie ich auch gesagt. Durch Annahme aller wesentlichen Lass[alleschen] ökonomischen Phrasen und Forderungen waren die Eisenacher tatsächlich Lassalleaner geworden, wenigstens dem Programm nach. Die Lassalleaner hatten nichts, aber auch gar nichts geopfert, was sie hätten halten können. Um den Sieg der letzteren zu vervollständigen, habt Ihr die gereimte moralisierende Prosa, worin Herr Audorf den Lassalle feiert11401, zu Eurem Parteilied übernommen. Und während der 13 Jahre Sozialistengesetz1531 war selbstredend keine Möglichkeit, innerhalb der Partei gegen den Lassallekultus aufzutreten. Dem mußte ein Ende gemacht werden und das hab' ich angestiftet. Ich werde nicht mehr erlauben, daß der falsche Ruhm Lassalles auf Kosten von Marx aufrechterhalten und neu gepredigt wird. Die Leute, die noch Lass[alle] persönlich gekannt und angebetet, sind dünn gesäet, bei all den andern ist der Lass[alle]kultus rein gemacht, gemacht durch unsre stillschweigende Duldung wider beßres Wissen, hat also nicht einmal die
Berechtigung persönlicher Anhänglichkeit. Auf die Unerfahrnen und Neuzugekommnen war hinreichend Rücksicht genommen dadurch, daß das Ding in der ,,N[euen] Z[eit]" veröffentlicht war. Aber ich kann überhaupt nicht zugeben, daß in solchen Dingen die historische Wahrheit zurücktreten muß - nach 15 Jahren lammfrommer Geduld - vor der Konvenienz und der Möglichkeit des Anstoßes innerhalb der Partei. Daß dabei jedesmal brave Leute verletzt werden, ist nicht zu vermeiden. Und daß sie dann knurren, auch nicht. Und wenn sie dann sagen, M[arx] sei neidisch auf Lfassalle] gewesen, und deutsche Blätter und sogar (!!) der Chicagoer „Vorbote" (der für mehr spezifische Lassalleaner - in Chicago - schreibt, als in ganz Deutschland existieren) dann mit einstimmen, so rührt mich das weniger als ein Flohstich. Wir haben ganz andre Dinge an den Kopf geworfen bekommen und sind doch zur Tagesordnung übergegangen. Das Beispiel ist gegeben, daß Marx den heiligen Ferdinand Lassalle rauh angefaßt hat, und das ist vorderhand genug. Und nun noch eins: Seit Ihr versucht, die Veröffentlichung des Artikels mit Gewalt zu verhindern, und der ,,N[euen] Z[eit]" habt Warnungen zukommen lassen, sie würde im Wiederholungsfall vielleicht auch parteilich verstaatlicht und unter Zensur gestellt, muß mir die Besitzergreifung Eurer ganzen Presse durch die Partei doch unter einem eigentümlichen Licht erscheinen. Wodurch unterscheidet Ihr Euch von Puttkamer, wenn Ihr in Euren eignen Reihen ein Sozialistengesetz einführt? Mir persönlich kann das ja ziemlich einerlei sein, keine Partei in irgendeinem Land kann mich zum Schweigen verurteilen, wenn ich zu reden entschlossen bin. Aber ich möchte doch zu bedenken geben, ob Ihr nicht besser tätet, etwas weniger empfindlich und im Handeln etwas weniger - preußisch zu sein. Ihr - die Partei - braucht die sozialistische Wissenschaft, und diese kann nicht leben ohne Freiheit der Bewegung. Da muß man die Unannehmlichkeiten in den Kauf nehmen, und man tut's am besten mit Anstand, ohne zu zucken. Eine, auch nur lockere, Spannung, geschweige ein Riß zwischen der deutschen Partei und der deutschen sozialistischen Wissenschaft wäre doch ein Pech und eine Blamage sondergleichen. Daß der Vorstand resp. Du persönlich einen bedeutenden moralischen Einfluß auf die „Njeue] Z[eit]" und auf alles auch sonst Erscheinende behält und behalten muß, ist selbstredend. Aber das muß Euch auch genügen und kann es. Im „Vorwärts" wird immer geprahlt mit der unantastbaren Freiheit der Diskussion, aber zu merken ist davon nicht viel. Ihr wißt gar nicht, wie eigentümlich solche Neigung zu Gewaltmaßregeln hier im Ausland einen anmutet, wo man gewohnt ist, die ältesten Parteichefs innerhalb der eignen Partei gehörig zur Rechenschaft
gezogen zu sehn (z.B. die Tory-Regierung durch den Lord Randolph Churchill). Und dann dürft Ihr doch nicht vergessen, daß die Disziplin in einer großen Partei keineswegs so straff sein kann als in einer kleinen Sekte und daß das Sozialistengesetz, das Lassalleaner und Eisenacher in eins geschmiedet (nach L[ie]bk[necht] hat das allerdings sein Prachtprogramm getan!) und solchen engen Zusammenhalt nötig machte, nicht mehr existiert.
Uf! So, dieser alte Kram wäre abgeschüttelt, und jetzt von was anderem. In den höheren Regionen scheint's bei Euch heiter herzugehn.11411 Ist aber schon gut so. Wir können diese Herstellung der allgemeinen Unordnung in der Staatsmaschine brauchen. Wenn nur Friede bleibt, dank der allgemeinen Angst vor dem Ausgang eines Krieges! Denn jetzt nach Moltkes Tod ist das letzte Hindernis weggefallen, das der Desorganisation der Armee durch launenhafte Besetzung der Kommandoposten noch im Weg stand, und jedes Jahr muß jetzt dazu beitragen, daß der Sieg ungewisser und die Niederlage wahrscheinlicher wird. Und so wenig ich neue Sedans wünsche, ebensowenig lechze ich nach Siegen der Russen und ihrer Bundesgenossen, selbst wenn sie Republikaner sind und sonst Ursache haben, sich über den Frankfurter Frieden zu beschweren.11421 Die Mühe, die Ihr auf die Gewerbeordnungsrevision verwandt, ist nicht vergebens gewesen. Eine beßre Propaganda ist nicht zu denken, gedacht zu werden; Wir haben die Sache hier mit großem Interesse verfolgt und unsre Freude gehabt an den einschlagenden Reden.11431 Mir kamen dabei die Worte des alten Fritz3 in den Sinn: „im übrigen ist es das Genie von unsern Soldaten zu attackieren, es ist solches auch schon ganz recht".11441 Und welche Partei kann auf [die] gleiche Zahl Abgeordnete so viel sattelfeste und hiebgewandte Redner stellen? Bravo Jungens! Der Kohlenstreik an der Ruhr ist Euch sicher fatal, aber was ist zu machen?11451 Der unüberlegte Leidenschaftsstrike ist nun einmal der gewöhnliche Weg, der neue große Arbeiterschichten zu uns führt. Diese Tatsache scheint mir bei der Behandlung im „Vorwärts" nichtgenug beachtet.11331 L[ie]bk[necht] kennt keine Mitteltöne, er ist entweder ganz schwarz oder ganz weiß, und wenn er sich verpflichtet glaubt, der Welt zu beweisen, daß Unsre Partei zu diesem Streik nicht gehetzt und sogar abgewiegelt hat, so gnade Gott den armen Streikern, auf sie wird weniger Rücksicht genommen, als wünschenswert ist, damit sie bald zu uns kommen. Indes kommen tun
sie doch. Übrigens, was ist los mit dem „Vorwärts", ich vermisse seit 2 Tagen meinen L[ie]bk[necht] gänzlich, er wird wohl verreist sein - am 2. Mai - er ist heute wieder lebhaft aufgetaucht. 2. Mai. Übrigens wird der Kohlenstrike ja wohl bald einschlafen, er scheint nur sehr partiell zu sein und entspricht keineswegs den Aussagen und Zusagen auf der Delegiertenversammlung. Um so besser. Daß zum Hauen und Schießen gewaltige Lust, daran zweifle ich keinen Augenblick. Der Erste [Mai] ist recht gut vorübergegangen, Wien hat wieder den ersten Rang, Paris war mehr oder weniger matt dank den noch lange nicht überwundnen Zänkereien. Fehler sind auf allen Seiten dort begangen worden. Unsre Leute hatten sich in Lille und Calais an eine bestimmte Form der Demonstration gebunden: Delegiertensendung an die Kammer.11461 Die Blanquisten waren nicht gefragt. Die Allemanisten kamen später hinzu zum Demonstrations-Comite1851. Diesen beiden, Blanquisten und Allemanisten, war das nicht genehm; die Blanquisten hatten in der Kammer Abgefallne, die unter Boulangers Schutz gewählt waren, die Allemanisten hatten dort einen broussistischen Gegner, und beide wollten vor diesen nicht als Petenten erscheinen. Dasselbe galt von der von Unsern vorgeschlagnen Delegiertensendung an die 20 Pariser Mairien, wohin man auch die Stadträte des Bezirks zitieren wollte, um dort „den Willen des Volks" zu hören. So kam es zur Spaltung und zum Rücktritt der Unsern resp. zur Spaltung der Demonstration in 3-4 Teildemonstrationen. Von Laf[argue] habe ich Nachricht von gestern nachmittag, er ist soweit zufrieden mit dem, was unter den Umständen geschehn, sagt aber doch, Paris werde gegen die Provinzen schlecht abstechen. Soviel scheint sicher, die Länder, die den 3. [Mai] gewählt - Deutschland und England -, werden, wenn das Wetter nicht gar zu schlecht, die imposantesten Massen aufbringen. Heute ist's hier miserabel, heftige durchnässende Schauer bei starkem Wind und abwechselnden kurzen Sonnenblicken. Fischer wird das Nötige für „Lohnarbeit und Kapital" erhalten haben.4 „Entwicklung"5 folgt in ein paar Tagen. Dann müssen die Anforderungen aber aufhören. Ich habe Neuaufl. von „Ursprung" seit einem Jahr versprochen, das muß fort1761, und dann übernehme ich absolut nichts Neues, bis der 3. Band „Kapital" im Ms. fertig. Das muß erledigt werden. Wenn also dort neue Ansprüche an meine Zeit laut werden sollten, so bitte steh mir bei. Ich werde auch meine ganze Korrespondenz auf ein Minimum 4 Friedrich Engels: „Einleitung Zu Karl Marx' .Lohnarbeit und Kapital' (Ausgabe 1891)" 5 Friedrich Engels: „Vorwort zur vierten Auflage (1891) der .Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft'"
reduzieren und nur eine Ausnahme machen, nämlich mit Dir. Durch Dich bleibe ich am einfachsten in Fühlung mit der deutschen Partei, und dann, aufrichtig gesagt, ist mir diese Korrespondenz auch bei weitem die liebste. Ist der II I.Band in Druck, dann kann's wieder losgehn, zuerst Neubearbeitung des „Bauernkriegs". Und wenn ich ganz frei bin, werd' ich mit dem II I.Band doch wohl dies Jahr fertig. Also grüß Deine Frau, Paul6, Fischer, Liebk[necht] und tutti quanti7 bestens von Deinem F.E.
[Nachschrift von Louise Kautsky]
Lieber August, herzlichen Dank für Deinen lieben Brief, beantworten werde ich ihn so bald als möglich und Dir die gewünschte Auskunft geben. Weißt Du, daß wir, d.h. die vereinigten internationalen Sozialdemokraten als: Tussy (vertritt Frankreich, England), Ede8 (Irland), Ede9 (Berliner), Gine10 (Posen) und ich, Österreich und Italien, ein Mißtrauensvotum geben wollten, als Dich die „Daily News" so ungeheuer lobte. Schäme Dich, August, das hätte ich von Dir am allerwenigsten erwartet. Herzlichen Gruß Dir und Deiner Frau. Eure Mummy Bald mehr.
6 Paul Singer - 7 alle andern - 8 Edward Aveling - 9 Eduard Bernstein -10 Regina Bernstein
7 Marx/Ennelj. Werke. Bd. 38
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 4. Mai 1891
Mein liebes Lohr, Gestern war es herrlich, sowohl das Wetter wie die Demonstration. Louise, Sam M[oore] und ich gingen um 2 Uhr hin.11471 Die Tribünen zogen sich in einem weiten Bogen durch den Park1, der Demonstrationszug setzte sich um 2 Uhr 30 in Bewegung und hörte bis 4 Uhr 15 nicht auf; noch bis 5 Uhr kamen immer neue Marschkolonnen herein. Ich war mit Sam auf Edwards Tribüne, Louise auf Tussys. Die Menge war riesengroß, etwa soviel Menschen oder sogar noch mehr als im letzten Jahr. Nun einen kleinen Schwatz über die Geschichte der Angelegenheit. Sie ist fast ausschließlich Edwards und Tussys Werk, und sie mußten sie von Anfang bis Ende durchkämpfen. Es gab natürlich allerhand Reibereien, doch der Trades Congress in Liverpool letzten Sept.11221 und die veränderte Mehrheit (zugunsten des gesetzlichen Achtstundentages) hatten den Weg beträchtlich geebnet. Shipton war schrecklich höflich zu Edward, aber in vielen kleinen Dingen hinderlich und drohte, alles hinzuwerfen, wenn sein Recht (göttliches?), Anführer der Demonstration zu sein, jemals in Frage gestellt werden sollte. Nun, sie ließen ihn, es wird wahrscheinlich das letzte Mal sein, daß er hoch zu Roß2 erscheinen wird. Die Hauptsache war, daß die Resolution in der von unseren Leuten vorgeschlagenen Form angenommen wurde und daß sie das gemeinsame Komitee gebildet haben (5 vom Trades Council11021, 5 vom Demonstrationskomitee). Nun zur komischen Seite - zur Social Democratic Federation1621. Anfangs entsandte sie 3 Delegierte ins Demonstrationskomitee, in dem Edward Vorsitzender war. Nach einigen Zusammenkünften blieben diese jedoch weg und wurden aus den Listen gestrichen. Dann wandte sich die Social Democratic Federation an den Trades Council wegen 2 Tribünen für sich, wie sie sie im vergangenen Jahr hatte. Doch Shipton selbst legte
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Presseausweis für Friedrich Engels als Korrespondent der „Neuen Zeit" über die Maidemonstration im Londoner Hyde Park am 3. Mai 1891

dem Gemeinsamen Komitee nahe, nicht darauf einzugehen, und so wurde der Antrag abgelehnt, da sonst mit dem gleichen Recht jede Trades Union hätte 2 Tribünen fordern können. Danach teilte die Social Democratic Federation in ihrem Moniteur mit, daß sie ein eigenes Meeting mit vier Tribünen und roten Fahnen abhalten würde.'1481 Leider mußte sie sich unserem Zuge vom Kai aus anschließen, um geordnet und genügend effektvoll in den Park zu gelangen; und kaum waren sie dort, marschierten sie etwa 100 Yards abseits und führten ihr angekündigtes Meeting durch - ohne richtige Tribünen; wir hatten große Wagen, sie nur Stühle. Sie waren gerade nahe genug, um mit einigen Nachzüglern von unserem Überfluß zu rechnen, und gerade weit genug entfernt, daß man sehen konnte, wie wenige von diesen sie anzuziehen vermochten. Das Entscheidende war für sie der Beschluß des Demonstrationskomitees: daß jede ihnen angeschlossene Vereinigung für jede branch 5 sh. für allgemeine Ausgaben zahlen sollte. Folglich hätte die Social Democratic Federation entweder je 5 sh. für die vielen Scheinsektionen, von denen sie in ihrem Moniteur spricht, zahlen oder zugeben müssen, daß sie Schwindel wären. Und das entschied ihren endgültigen Rückzug. Man hat sie fühlen lassen, welche Position sie in Wahrheit einnehmen, nämlich die gleiche wie die Deutschen der Socialistic Labor Party1261 in Amerika, die einer Sekte. Und eben das ist ihre Position, obgleich sie echte Engländer sind. Es ist sehr charakteristisch für die angelsächsische Rasse und ihre besondere Art der Entwicklung, daß sowohl hier wie in Amerika diejenigen, die mehr oder weniger die korrekte Theorie im Hinblick auf ihre dogmatische Seite besitzen, zur bloßen Sekte werden, weil sie diese lebendige Theorie der Aktion, der Arbeit mit der Arbeiterklasse in jedem möglichen Stadium ihrer Entwicklung nur begreifen können als eine Sammlung von Dogmen, die auswendig zu lernen und aufzusagen sind wie eine Beschwörungsformel oder ein katholisches Gebet. Deshalb geht die wirkliche Bewegung außerhalb der Sekte weiter und wendet sich mehr und mehr von ihr ab. Die Canning Town branch der Federation hält trotz Hyndman zu Edward und Tussy und geht mit unseren Leuten, und das ist ihre stärkste branch. Seit dem Dockerstreik11031 hatte die Social Democratic Federation einige Zeit lang aus dem allgemeinen Aufschwung der sozialistischen Bewegung profitiert, aber das ist jetzt vorbei; sie ist hinter dem Gelde her für ihre neue Halle in the Strand11491, und der Verfall hat wieder eingesetzt. Und da ihre Freunde und Verbündeten, die Possibilisten1421, einander auffressen, so schnell sie können, können sie sich nicht einmal ihrer großen ausländischen Verbindungen rühmen.
Sam Moore war sehr beeindruckt von dem großen Fortschritt, der hier in den 2 Jahren seiner Abwesenheit erzielt worden ist. Er fühlt sich übrigens sehr wohl, ihm gefällt das Klima und das leichte Leben erstaunlich gut, und er wird, dessen bin ich beinahe sicher, nach einer Weile Heimweh nach Afrika bekommen. Ich sah Cunninghame-Graham auf unserer Tribüne (Nr. 6, Edwards, siehe „Chronicle" I150I)( doch er konnte mir nicht viel mehr über Paris erzählen als in Pauls Brief vom Freitag nachmittag stand. Nach allem hoffe ich, daß die Demonstration des Komitees am Abend \ein Mißerfolg war, wie es nach Grahams Worten die Demonstration der Broussisten war. Wenn wir nicht zusammenarbeiten können, so haben wir doch alle ein Interesse daran, soviel von einer Demonstration zu haben wie möglich. Geschehene Dinge sind nicht mehr zu ändern, aber ich kann mir nicht helfen, ich glaube, unsere Freunde begingen dank dem üblichen Hang der Franzosen, die Stärke der entsprechenden Kräfte falsch einzuschätzen, einen kleinen Fehler. Manchmal eine sehr heroische Neigung, „mais ce n'est pas la guerre"3. Schließlich wollten wir wie gewöhnlich mit den Blanquisten zusammenarbeiten, und sie waren nicht durch die Resolutionen von Calais und Lille11461 gebunden. Diese Resolutionen konnten nur unsere Leute binden; die Blanquisten hätten ebenfalls Resolutionen über den 1. Mai annehmen und dann sagen können, sie wären durch sie gebunden. Warum also im voraus allein und ohne unsere einzigen Verbündeten entscheiden, wie die Demonstration in Paris durchzuführen sei, wo wir gegenwärtig unzweifelhaft in der Minderheit sind? Warum unsere einzigen Verbündeten so froisser4? Wozu sie noch mehr froisser durch den Plan, Delegationen zu den mairies5 zu entsenden und alle elus6 aufzufordern, die Delegierten dort zu treffen? Ein Plan, den sie sicher sofort zurückweisen würden? Ich bin absolut nicht erstaunt, daß sie daraufhin den Allemanisten1461 in die Hände fielen. Wenigstens ist das die Meinung, die ich mir anhand der Informationen gebildet habe; es mag noch eine andere Seite der Angelegenheit geben, doch die kenne ich nicht.7 Wir haben heute sehr wenig Nachrichten aus Deutschland. Hamburg hatte eine glänzende Demonstration, 80 000 laut „D[aily] Telegraph". Von Berlin sehr wenig Neues; Wolff, der Havas von Berlin, hat Anweisungen von der Regierung, alles totzuschweigen, und die Londoner Korrespondenten stehen alle unter dem Einfluß der Freisinnigen811511 und machen es ebenso.
3 „aber so ist der Krieg nicht" - 4 kränken - 5 Bürgermeistereien - 6 Stadträte - 7 vgl. vorl. Band, S. 96 - 8 in der Handschrift deutsch: Freisinnigen
Als wir gestern abend nach Hause kamen, beendeten wir den Tag mit einer Maibowle, wozu Percy uns das Maikraut9 aus Ryde geschickt hatte. Wir haben 4 Flaschen Mosel, 2 Flaschen Rotwein und 1 Flasche Champagner hineingetan und sie ausgetrunken - wir, die Bernsteins und die Tussys10. Spät am Abend kam Cunninghame-Graham und hat tatsächlich zwei oder drei Gläser davon getrunken - er scheint seine Abstinenz in Tanger gelassen zu haben. Es ist ein leichter, aber ganz angenehmer Kater vorhanden, der heute morgen durch eine Flasche Pilsener in angemessenen Grenzen gehalten wird. Warum ist Paul nicht gekommen? Graham sagt, er sei zu müde'gewesen - sein Name stand auf der Rednerliste für Tribüne 8, mit Jack Burns. Viele Grüße von Louise. Dein alter11 F.E.
Aus dem Englischen.
9 in der Handschrift deutsch: Maikraut - 10 Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling 11 in der Handschrift deutsch: Dein alter
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 19. Mai 1891
Mein lieber Lafargue, Zunächst habe ich Ihnen keine Taktik empfohlen, ich habe nur gesagt: wenn Ihr als Arbeiterpartei auf Euren Kongressen vorher festlegt, wie Ihr den I.Mai in Paris feiern wollt, ohne die Zustimmung oder Einwilligung Eurer Verbündeten, der Blanquisten, einzuholen, dürft Ihr Euch nicht wundern, wenn sie Euch im Stich lassen.1 Wenn die Herren aus der Provinz Euch dazu veranlaßt haben, sind sie es, die zu tadeln sind; in dem einen wie im anderen Falle habt Ihr das Kräfteverhältnis in Paris falsch eingeschätzt und seid nun aus dem von Euch selbst gegründeten Komitee11141 hinausgedrängt worden. Sie werden das nicht einen Sieg nennen, und ich schon gar nicht. Bleibt abzuwarten, was aus den Blanquisten und besonders den Allemanisten werden wird, denen Ihr eine Gelegenheit gegeben habt, sich von neuem als die wahren Vertreter des Pariser Proletariats aufzuspielen, und denen Ihr somit a neu) lease of life2 verschafft habt. Und Sie beklagen sich über die Engländer, die Ihnen zu langsam sind, obgleich sie die hiesigen Possibilisten, die Social Democratic Federation, aus der großen Demonstration hinausgedrängt haben, und Sie sagen, bei Ihnen entzünde sich alles wie Pulver! Ja, aber dieses Pulver ist abgebrannt worden, um Euch mit Possibilisten-Kugeln zu beschießen! Es hat hier in der Provinz Demonstrationen gegeben, aber da ich keine Zeitungen aufbewahrt habe, habe ich keine Aufstellung darüber. Wenn Sie die Reuter-Depeschen mit den 60 000 Menschen im Park3 ernst nehmen, sollen wir es dann mit Ihren Havas-Depeschen, in denen Ihre Kundgebung kaum erwähnt ist, ebenso machen? Was würden Sie dazu sagen? Im Hyde Park sind es gut 500 000 Menschen gewesen. Ich habe in den deutschen Zeitungen gelesen, daß in Fourmies, als der Befehl zum Schießen gegeben wurde'1521, die Soldaten des 145. Regiments
allein geschossen haben, während das Detachement des 84. Regiments Gewehr bei Fuß blieb; und das ist der Grund, warum weder die Regierung noch die Kammer in eine Untersuchung einwilligen werden, die diese Tatsachen offiziell feststellen würde. Wenn das wahr ist, ist es ein gutes Zeichen. Das preußische System sieht vor, daß die Soldaten aus dem gleichen Bezirk kommen, in dem die Regimenter in Garnison liegen und aus dem sich das ganze Armeekorps rekrutiert, so daß man nicht mehr, ohne ungeheure Schwierigkeiten bei der Mobilisierung zu verursachen, Gascogner nach dem Norden und Flamen, Wallonen und Leute aus der Picardie nach dem Süden schicken kann. Das ist eine weitere Gefahr des Systems und wird sich in Frankreich früher als in Deutschland bemerkbar machen. Sie tun recht, gegen die ultra-dummen Dummheiten zu protestieren, die man Ihnen in den Mund legt.11531 Die Gefahr in den Ländern mit revolutionärer Vergangenheit besteht darin, daß jedes neue vom Sozialismus erfaßte Gebiet in Versuchung gerät, die Revolution in 24 Stunden zu vollziehen. Es liegt nicht die geringste Notwendigkeit vor, sie dazu anzutreiben, im Gegenteil, man muß sie zurückhalten. Besonders die Wallonen kennen nur den Aufruhr, wobei sie fast immer geschlagen werden. Sehen Sie sich die Kämpfe der belgischen Bergarbeiter'1541 an: Organisation gleich null oder so gut wie null, überschäumende Ungeduld, folglich sichere Niederlage. Clemenceau hatte, was er wollte: seinen Tag der glänzenden Opposition.11551 Das erinnert ihn an die schönen Zeiten, als er noch Ministerien errichtete und stürzte. Tags darauf wird er sich daran erinnert haben, daß er nichts mehr ist und daß nach alledem Constans für die Bourgeoisie der Mann ist, der nicht seinesgleichen hat; he outferries Ferry*. Tussy und Aveling sind in Dublin zum Kongreß der Gasworkers and General Labourers.11561 B ernsteins ganze Familie hat Influenza, Percy und Pumps amüsieren sich auf der Insel Wight, da Percy noch nicht viel zu tun hat, weil die Preisliste, die er braucht, noch im Druck ist. Hier schneit es, und wenn es nicht schneit, regnet es; es ist kalt wie im November, wir haben geheizt. Unser ganzes basement5 ist seit 8 Tagen aufgerissen, um die drains6, die fürchterlich stanken, zu erneuern; das wird noch eine Woche oder länger dauern. Der alte Harney ist in Richmond sehr krank, er hat eine chronische Bronchitis und befürchtet - wie er mir heute schreibt daß er noch eine Pleuritis dazu bekommen wird. Bei seiner Schwäche und seinen 75 Jahren wäre das sehr ernst.
4 er ist ferryistischer als Ferry - 6 Kellergeschoß - eAbflußrohre
Morgen werde ich endlich anfangen können, mich mit meinem „Ursprung der Familie" zu befassen, wenn nichts dazwischenkommt!176' Welcher ausländische Sozialist könnte sich nach der Ausweisung von Cunninghame-Graham und bei Eurem Constans, der wie ein Pere Duchesne ganz aufgebracht ist, in Frankreich noch sicher fühlen?[157] Und wenn man nun in Frankreich als Gegenschlag für das in Japan verübte Attentat auf das Leben des Zarewitsch1158' (der Unanständigkeiten begangen und in einem tea-garden, d.h. einem Bordell, Raufereien verursacht hatte, als plötzlich die Polizei dazukam) kleine Attentate oder Staatsstreiche gegen die Russen verübte ? Eben ein neuer Windstoß. Es regnet in Strömen. In zehn Minuten Mittagessen. Ich schließe also diese Epistel, olla podrida7 oder, wie die Mailänder sagen, arlecchino. Sie erhalten, glaube ich, die Wiener „Arbeiter-Zeitung". Diese Woche bringt Louise darin eine Korrespondenz über die Kundgebung im Hyde Park. Ich verbringe die Abende damit, in Louises Büchern die Physiologie der Geburt und was damit zusammenhängt zu studieren. Das ist sehr schön, weil es ein so außergewöhnlich häßlicher Vorgang ist. Ich finde darin Dinge, die vom philosophischen Gesichtspunkt aus von höchster Wichtigkeit sind. Umarmen Sie Laura für mich. Grüße von Louise. Freundschaftlichst Ihr F. E. In der Anlage Rave{m] Und einen Scheck über £ 20.
Aus dem Französischen.
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 29. Mai 91
Mein lieber Lafargue, Dank für die in Ihrem Briefe vom 21. enthaltenen Fakten. Ich habe sie Aveling gegeben für die Londoner Presse.11601 Was Sie auch sagen mögen: Tatsache ist, daß die Possibilisten1421 Euch aus Eurem eigenen Komitee11141 vertrieben haben und daß an der Mauer der Föderierten Vaillant, Allemane und Dumay gemeinsam gehandelt und gesprochen haben, während von Ihrer oder Guesdes Rede niemand spricht. Ihr habt die Mehrheit in der Provinz, aber es ist jetzt öffentlich festgestellt, daß Ihr in Paris im Augenblick in a hopeless minority1 seid. Und an dieser Feststellung seid Ihr selbst schuld. Nun zu etwas anderem. Beim Vorbereiten der neuen Ausgabe des „Ursprungs der Familie"1761 hatte ich „Les origines du manage et de lafamille" von Giraud-Teulon, Paris und Genf 1884, in der Hand. Das ist eine neue, völlig umgearbeitete Ausgabe seines Werkes: „Les origines de lafamille", 1874 (Genf). In seiner letzten Arbeit von 1884 stellt er die Behauptung auf, in seiner Arbeit von 1874 den Entdeckungen Morgans zuvorgekommen zu sein. Leider ist diese Ausgabe von 1874 vergriffen. Aber Lawrow oder Letourneau müssen sie besitzen. Könnten Sie mir nicht, da ich mir unbedingt in dieser Frage Klarheit verschaffen muß, wenn auch nur für einige Tage eines dieser Exemplare beschaffen und es mir „per Einschreiben" schicken (das Buch von 1874 „Les origines de la famille")? Wenn es zufällig Weder der eine noch der andere besitzen sollte, könnten Sie mir durch irgendeinen Antiquar ein Exemplar beschaffen? Und wenn das zuviel Zeit kosten sollte (denn die Sache hält mich ziemlich auf), würden Sie dann die Freundlichkeit haben, in derBibliotheque Nationale einige Recherchen anzustellen? (ich würde sie hier im British Museum machen, aber 1. habe ich keine Eintrittskarte, 2. kann Louise nicht genug Französisch, 3. ist Tussy nicht vertraut genug mit diesen Dingen). Es handelt sich um folgendes:
1 einer hoffnungslosen Minderheit
Sie wissen, daß McLennan die exogamen Stämme erfunden hat, die genötigt sind, sich Frauen von außerhalb, durch Raub oder durch Kauf, zu beschaffen. Sie wissen auch, daß Morgan (der in seinen „Systems of consanguinity" die exogame Gens noch „Stamm" nennt) in „Ancient society" bewiesen hat, daß der exogame Stamm nicht existiert, daß die Exogamie ein Attribut einer Gruppe oder Unterabteilung des Stammes, d. h. der Gens, ist und daß man sich im Stamm ohne weiteres heiratet, vorausgesetzt, daß es außerhalb der Gens geschieht. Nun sagt Giraud-T[euIon] auf S. 104, Anmerkung, daß „Morgan in seinen späteren Werken, nachdem er die Notwendigkeit erkannt hatte, den Stamm und den Clan" (Clan bei Giraud-T[eulon], der der Gens bei Morgan entspricht) „nicht miteinander zu vermengen, seine Definition vom Stamm aufgegeben habe, ohne jedoch zu versuchen, eine neue dafür zu geben". Und er gibt dann die Beschreibung eines Stammes, der in Clans (Gentes) eingeteilt ist, ganz wie bei Morgan, aber so, als ob das absolut unabhängig von M[organ] geschehe und es sein, G[iraud]-T[eulon]s, Verdienst sei. Die Art, in der er seine Behauptung aufstellt, ist so zweideutig, daß sie mir nicht viel Vertrauen einflößt. Da es sich hierbei aber um die Entdeckung handelt, welche die ganze prähistorische Wissenschaft revolutioniert hat, würden Sie wohl (gegebenenfalls) die Güte haben, die Ausgabe von 1874 einzusehen und mir zu sagen: 1. was er dem exogamen Stamm von McLennan gegenüberstellt; 2. ob er schon 1874 die Aufteilung des Stammes in exogame Clans gefunden hat, die den Gentes Morgans entsprechen; 3. (kurz nur die Namen) wenn er das wirklich entdeckt hat, welche Beispiele zitiert er? hat er die Identität seines Clan mit der römischen und griechischen Gens erkannt? Ad 1. und 2. - Wenn möglich, die entscheidenden Stellen in seinen eigenen Worten.2 Der alte Harney ist ziemlich krank, er leidet an chronischer Bronchitis mit 75 Jahren! -, er will von Richmond nach Ventnor übersiedeln. Ich hoffe, daß er gesund und wohlbehalten eintreffen und ihm das helfen wird. Ihr Artikel über Adam und Eva ist sehr geistreich, in ihm ist zweifelsohne etwas Wahres enthalten, aber wahrscheinlich gehen Sie in Ihrer Interpretation zu weit, besonders hinsichtlich der Aufzählung der Vorfahren von Noah.11341 Obgleich es in bezug auf die Abkömmlinge Noahs gewiß ist, daß es da eine Reihe von Stämmen gibt.
Elöäh = Allah auf arabisch, etymologisch und lexikalisch. Das ä (patäch furtivum3) ist im Hebräischen unerläßlich, wenn am Ende des Wortes ein o oder u vor h oder ch steht (ruäch Elohim, der Geist Elohims, im 2.Vers des I.Kapitels der Genesis). Im Plural, Elohim, verschwindet das ä. Ich schicke Ihnen die „Workman's Times", eine nicht politische Arbeiterzeitung, welche die Bildung einer Arbeiterpartei fordert!! Die beste der Arbeiter- und der sogenannten Arbeiterzeitungen hier. Was die Fakten angeht, ist sie erstaunlich. Diese Zeitung, die von den Arbeitern Yorkshires und Lancashires gegründet wurde, erschien ursprünglich in Huddersfield und wurde dann nach London verlegt. Umarmen Sie Laura für mich; Louise sends her kindest regards4.
Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
3 in der Handschrift: furtirena - 4 sendet die besten Grüße
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Engels an Franz Mehring in Berlin11611
„Kapital und Presse"[162] mit Dank erhalten. Wünsche besten Erfolg. London, 5. Juni 91
Verspätet wegen Unkenntnis Ihrer Adresse.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 10. Juni 1891
Lieber Sorge, Ich sitze bis über die Ohren in der Neuauflage des „Ursprung der Familie etc.", habe die ganze betreffende Literatur seit 8 Jahren neu durchnehmen müssen und soll nun die Quintessenz in das Buch hineinverarbeiten, was kein Spaß, besonders bei den vielen Unterbrechungen.1761 Doch hab' ich das Schlimmste hinter mir und kann dann endlich wieder an den III.Band1. Ich habe alle meine Korrespondenz beschneiden müssen, sonst komm' ich gar nicht voran. In Berlin - ganz unter uns! Schlüter darf nicht wissen, daß ich Dir hierüber Mitteilungen gemacht, er kann den Mund nicht immer halten, und wenn Du's ihm erzählst, weiß er doch, daß es von mir kommt -, also in Berlin sind die Leute endlich dahintergekommen, daß hinter Liebknecht nichts ist als hohle Phrase. Wie die Sache einmal stand, mußten sie ihm den Posten als Redakteur des „Vorwärts" geben und ihn daneben zum Ehrenmitglied des Vorstands machen. Daß es damit zur Krise kommen mußte, war mir längst klar, und unvermeidlich. Jetzt finden sie, daß er das Blatt zu Tode redigiert, indem er 1. selbst nichts tut und 2. andre, die was tun könnten, daran hindert. So ist es ein Skandal, daß er seinen Schwiegersohn Geiser darin Leitartikel schmieren läßt - von einer öden Arroganz und Langweiligkeit der Impotenz, die andern unerreichbar wäre - und Geiser, der in St. Gallen moralisch aus der Partei herausgeworfen1163'. Wie die Sache enden wird, ist augenblicklich noch nicht abzusehn. Man hat L[ie]bk[necht] eine andre Position angeboten, worin er als Volksredner und in seiner früheren Rolle als journalistischer Franktireur wirken sollte, aber er sah darin eine Absetzung. Nun wissen sie nicht, wie es anfangen, ihn anständig und so, daß er's akzeptiert, zu pensionieren - denn darauf läuft's schließlich hinaus. Das Komischste ist, daß der L[ie]bkfnecht] sich während des Sozialistengesetzes1331, dessen Dauer den Ausbruch dieses Konflikts
verhinderte, so gut wie gar nicht geändert, höchstens in der von ihm längst vorher eingeschlagnen Richtung weiterentwickelt hat, und daß nun die Leute finden, sobald L[ie]bk[necht] aus seiner Borsdorfer Einsamkeit nach Berlin versetzt wird, daß er gar nicht mehr der alte L[ie]bk[necht] ist - das heißt der L[ie]bk[necht], den sie sich vorgestellt hatten. Die Sache ist nämlich eben die, daß die andern sich weiterentwickelt haben und jetzt den Abstand plötzlich merken; sie meinen, sie seien noch die Alten, und das ist eben nicht der Fall. Was anderes. Stanislaus2 schreibt mir, Anna3 habe sich nach Paris um Geld gewandt und auch welches erhalten oder werde es, diese Versuche der Auspressung seien doch zu arg, und man solle dies nach Amerika schreiben, damit dort nicht weitere unnütze Geldausgaben wegen der jungen Madame gemacht werden. Er habe deswegen schon an Dich geschrieben und bittet mich, dasselbe zu tun. Er nennt ihr, der Anna, Verfahren reine Erpressung. Heute haben wir endlich einmal einen Versuch eines Sommertags; die Vegetation ist um einen vollen Monat zurück, wir haben in der Beziehung noch richtigen Frühling, obwohl wir sonst keinen gesehn haben. Dank für die amerikanische Piraten-Ausgabe. Schlüter hat mir Kurioses darüber geschrieben.11641 Bitte dank ihm für seinen ausführlichen Brief, ich kann ihn leider jetzt nicht beantworten. Hier geht die Bewegung recht gut. Die Union der Gasworkers und General Labourers1671 nimmt mehr und mehr die erste Stelle hier ein, dank namentlich Tussy. Die Bewegung geht englisch, systematisch, Schritt vor Schritt, aber sicher, und die komische Erscheinung, daß hier wie in Amerika die sich für die orthodoxen Marxisten ausgebenden Leute, die unsre Bewegungsgedanken in ein starres, auswendig zu lernendes Dogma verwandelt haben, daß diese hier wie bei Euch als pure Sekte figurieren, ist sehr bezeichnend. Noch mehr aber, daß diese Leute, bei Euch Ausländer, Deutsche, hier aber Stockengländer, Hyndman & Konsorten sind. Eben kommt Tussy, ich schließe also. Gruß von ihr, Louise und Deinem alten an Dich, Deine Frau und Schlüter F.E.
Tussy erzählt mir soeben, daß auch sie - grade als sie zum Gasworkers Kongreß nach Dublin11561 ging, Pfingsten, einen ähnlichen Brief von der Anna erhielt wie die Pariser. Natürlich no notice taken4.
52 '
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
* > * * London, 13.Juni 1891 Lieber Kautsky, Peru-Artikel11291 dankend erhalten. Erlaube mir, ihn hierzubehalten, bis ich mit Neuaufl. von „ Ursprung" fertig.176' In einem andern Artikel über Negersitten in Ostafrika11661 finde ich die Notiz, daß dort den Frauen vor der Heirat die Klitoris ausgeschnitten wird; Sam Moore schrieb mir, daß an einer Strecke am Niger, über 100 englische Meilen den Fluß entlang, dieselbe sonderbare Sitte herrsche, obwohl nicht, wo er wohnt, wo er sich von dem Vorhandensein des betreffenden Organs überzeugt hat. Die Einleitung zu Neuausgabe des „Ursprung" ist fertig, ich werde sie Dir nächste Woche schicken1, wenn Du Lust hast, sie vorher für die ,,N[eue], Z[eit]" zu verwenden.'166' In diesem Fall bitte ich um Korrekturabzug, und zwar dreifach - der dritte geht an Rave für die französische Übersetzung, die, soweit die alte Ausgabe dient, fertig ist. Beiläufig kann Rav6, obwohl Straßburger, nicht genügend Deutsch, er hat rasende Böcke gemacht, und Laura L[afargue] hatte kolossale Arbeit damit. Ich wundre mich nur, daß sie es überhaupt übernommen.1104' Du kannst also Dietz anzeigen, daß er jetzt nicht mehr lange zu warten hat. Er möge mich aber doch wissen lassen, die wievielste Auflage die neue sein wird? die Leute haben mit den 5000 in Zürich gedruckten Ex. solche Sprünge gemacht, daß ich gar nicht mehr weiß, woran ich bin, ob bei der 2., 3., 4. oder wievielsten Auflage? Das Honorar für den Marxbrief2 dankend erhalten und bereits verteilt. Das für die Neuauflage des „Elend der Philosophie]" (resp. für die erste auch, wo wir damals nichts verlangt) bist Du wohl so gut, vorläufig mit Dietz zu arrangieren. Wenn Du mir dann dabei sagst, wieviel Prozente vom Gesamthonorar der neuen Aufl. auf Euch, Dich und Ede, und wieviel auf die Erben Marx verteilt werden sollen, so kann ich besser urteilen. Ihr zwei sollt aber auch nicht zu kurz kommen. 1 Vgl. vorl. Band, S. 119 - 2 Karl Marx: »Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei"
8 Marx/Engels, Werke, Bd. 38
Die Grillenbergerei sollte gestoppt werden, wenigstens er gezwungen werden, Honorare zu zahlen. Druckt er die Freihandels-Rede von M[arx]3 in Eurer Übersetzung, so solltest Du und Ede, dann aber auch Clara Z[etkin], reklamieren, und ich würde dann auch im Namen der Erben dasselbe tun - des Prinzips halber. Beim „Ursprung" hat mich die Notwendigkeit, die ganze Literatur durchzusehn, sehr aufgehalten. Eine größere gegenseitige Assekuranzgesellschaft als die Prähistoriker gibt's nicht. Es ist ein Lumpenpack, das die Kamaraderie und den Cliquenboykott international betreibt, was bei der relativ geringen Zahl angeht. Indes kommt jetzt mit den vergleichenden Juristen ein neues Element hinein, das seine schlechten Seiten hat, aber doch wohl den alten Ring sprengen dürfte. Ede zeigte mir gestern Bebels Brief an Dich. Dem Simon hast Du gut gedient.11671 Etwas breit fallen die Sachen immer aus, wenn man „mild" verfahren will, aber die Hiebe sitzen doch. Komisch, wie dieser Mann tut, als wäre nicht etwa 1 Prozent, sondern alle 100 Prozent der Mediziner auf seiner Seite. Was ist Deine „Emanzipation des 4.Bandes" gegen die „Befreiung von feudalen Sesseln", die man mir in die neue Berliner Aufl. der „Entwicklung des Sozialismus]" gesetzt? Da solltet Ihr mal die Entwicklung des Sozialismus sehn, wenn die in Berlin vorjefallen wärel Laß die Leute mit ihrem Programme nur machen.11681 Bebel wird schon dafür sorgen, daß die alten Liebknechtschen vulgärdemokratischen und vulgärsozialistischen Phrasen nicht hineinkommen. Es ist ganz gut, daß sie in Berlin zuerst unter sich über das Thema diskutieren, besser als das alte wird ihr Vorschlag doch, und dann kann man's immer noch diskutieren. Die Enttäuschung unsrer Freunde, wie sie nach 13 Jahren endlich wieder mit L[ie]bk[necht] von Angesicht zu Angesicht zusammenkommen und zusammenarbeiten sollen, ist gradezu komisch. Während des Sozialistengesetzes1531 saß er in Borsdorf, kümmerte sich um nichts als seine Korrespondenzen. Jetzt finden die Leute, nach 13 Jahren, ihn total verändert. Im Gegenteil, er ist der alte geblieben, sie haben sich weiterentwickelt und finden nun, daß eine große Kluft existiert. Und jetzt geht's nicht mehr ab ohne Krakeel, und jetzt finden sie, daß L[ie]bk[necht] das Blatt4 zugrunde redigiert. Mit dem „Volksstaat" etc. hat er's nicht besser gemacht, aber da halfen ihm die andern, das Blatt oben zu halten, jetzt haben sie was anders zu tun, und jetzt haben sie ein Blatt Liebkfnecht] tout pur5, d.h. L[ie]bk[necht] und Familiel 3 „Rede über die Frage des Freihandels" — 4 „Vorwärts" - 5 reinsten Wassers
Laf[argue]s Bibeldeutung ist sehr nett - unreif, aber originell, und endlicher Bruch mit der jetzt veralteten deutsch-rationalistischen, philologischen Methode.11341 Mehr ist für den Anfang nicht zu verlangen. Omnibusstrike gewonnen!11801 Wenigstens die Hauptsache. London ohne Omnibus war und ist komisch. Ede sollte Dir eine feuilletonistische Schilderung schicken, werd's ihm morgen sagen. Er trägt sein Strohwitwertum mit männlicher Resignation, wir helfen ihm dabei. Beste Grüße. Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 13. Juni 1891
Meine liebe Laura, Ich weiß wirklich nicht, wie ich Dir für die Mühe danken soll, die Du Dir mit Raves stümperhafter Arbeit gemacht hast.11041 Ich war eigentlich überrascht über Deinen Heroismus, die Sache überhaupt in Angriff zu nehmen; ich sandte Dir sein Probestück von Bebel11701 mit meinen Bemerkungen, in dem sich die gleiche Art Fehler und die gleiche oberflächliche Übersetzung zeigen - wenn auch nicht in solcher Vollendung - wie in Deiner Anthologie. Möge „la generation infame"1 ihn verfolgen, wie die Erinnyen Orest verfolgten! Jedenfalls habe ich soeben das Vorwort zu der neuen Auflage beendet, das ich Kautsky für die „NeueZeit" senden werde, wenn er es haben will.111661 Aber ehe ich es abschicke, möchte ich in einem Punkt sicher sein. Ich lege dar, daß Bachofens neue Entdeckungen folgende sind: 1. Hetärismus, wie er es bezeichnet, 2. Mutterrecht2, als seine notwendige Folge, 3. der sich daraus ergebende hohe Grad von Achtung vor den Frauen im Altertum und 4., daß der Übergang zur Einzelehe, wo die Frau einem Mann ausschließlich gehörte, eine Verletzung des altherkömmlichen Anrechts der übrigen Männer auf dieselbe Frau in sich schloß, eine Verletzung, die gebüßt oder deren Duldung erkauft werden mußte durch eine zeitlich beschränkte Preisgebung der Frau.3 Über diesen Punkt Nr. 4 bin ich nicht ganz sicher. Du hast keine Ahnimg, was für Diebe diese prähistorischen Büeherschreiber sind, und alles, woran ich mich erinnere, ist, daß ich irgendwo Bachofen als den Entdecker dieser Tatsache zitiert fand, und, ich glaube, sogar einen Hinweis auf „Mutterrecht", Vorwort, S. XIX. Aber ich kann es nicht wiederfinden. Da Du mein Bachofen-Exemplar hast, würdest Du Dir die Mühe machen (wenn Du Dich nicht, ohne nachzusehen, daran erinnerst), nachzuschlagen und
1 »die ehrlose Generation" -2 in der Handschrift deutsch: Mutterrecht - 3 ab Punkt 4 in der Handschrift deutsch
mich wissen zu lassen, ob ich, allgemein gesprochen, berechtigt bin, diese Entdeckung Bachofen zuzuschreiben? Es ist so lange her, daß ich in das Buch geschaut habe, und da ich in Verteidigung der Ansprüche Morgans gegenüber den vielen, die ihn ausnutzen, ziemlich streng sein muß, hätte ich es nicht gern, wenn sie mich bei einem Irrtum ertappen würden. Sobald ich Deine Antwort habe, kann das Ms. abgehen, und dann kann Rav6 einen Korrekturbogen haben, um die Arbeit fortzusetzen. Ich mußte die ganze Literatur zu dem Problem lesen (was ich, entre nous4, nicht getan habe, als ich das Buch schrieb - mit einer Frechheit, die meiner jungen Jahre würdig war), und zu meinem großen Erstaunen stelle ich fest, daß ich den Inhalt all dieser ungelesenen Bücher ziemlich genau erraten hatte - viel mehr Glück, als ich verdient habe. Meine Verachtung der ganzen Sippschaft - Bachofen und Morgan ausgenommen - ist wesentlich größer geworden. Eis gibt keine Wissenschaft, in der Cliquenwesen und Kamaraderie mehr vorherrschen, und da die Sippschaft klein ist, kann das international und mit Erfolg durchgeführt werden. Giraud-Teulon ist ein ebenso schlimmer und großer Aneigner der Ideen anderer Leute wie irgendein Engländer. Der einzige amüsante Bursche ist Letourneau. Was für ein entzückendes Exemplar des Pariser Philisters! Und mit welch herrlicher Selbstgefälligkeit beweist er zu seiner eigenen höchsten Genugtuung, daß nicht nur alle prähistorischen Stämme und,gegenwärtigen Wilden, trotz all ihrer „exces"5, „genesiques"6, wie er es nennt, mindestens Pariser Philister sind, sondern auch die nicht mit Vernunft begabten Lebewesen der Schöpfung! Die ganze belebte Welt ist ein ungeheurer „Marais"11711 und ein Boulevard du Temple, bevölkert entweder von Mitarbeitern oder Lesern des „Sibck", wie es unter Louis-Philippe zu sein pflegte, und die größte Autorität auf dem Gebiete les origines du mariage et de la famille7 ist Paul de Kock! De8 Letourneau (offensichtlich von der Brut le petit etourneau d'Amerique - icterus pecoris - qui change de femelle au jour le jour9, S.33) bis zu Rave il n'y a gu&re un pas10. Rave hat einen Verleger, Carre, rue SaintAndre-des-Arts; könnte nicht dieser Mann dafür gewonnen werden, die neue edition der „Misere de la philosophie" zu verlegen? Nach Rav6sÄußerungen scheint er auf unserem Gebiet sehr unternehmungslustig zu sein. Ich schicke Dir regelmäßig die „Workman's Times". Es ist die einzige Arbeiterzeitung, die Arbeitern gehört. Sie wurde von den Fabrikarbeitern des 4 unter uns - 5 „Exzesse" - 6 „ Genesen" - 7 des Ursprungs der Ehe und der Familie - 8 Von — 9 des kleinen amerikanischen Stars - icterus pecoris -, der die Weibchen von einem Tag zum andern wechselt - 10 ist nur ein Schritt
Nordens usw. ins Leben gerufen und ursprünglich in Huddersfield herausgegeben; jetzt ist ihre Redaktion in London. Die Zeitung ist nicht politisch, das heißt, sie tritt ein für die Bildung einer unabhängigen Arbeiterpartei und von Arbeitervertretungen in allen wählbaren Körperschaften. Sie ist überfüllt mit Einzelinformationen, bringt aber Fakten. Es gibt eine ganze Menge „Arbeiter"zeitungen: den „Trade Unionist" von Tom Mann - sanft wie Mann selbst, der für einen Mann11 im Englischen ein n zuviel und im Deutschen eins zuwenig hat, ein so netter, ehrlicher Kerl er sonst auch ist, soweit das ein Mann ohne Rückgrat sein kann. Dann den „Worker's Cry" von Frank Smith, ehemals Führer der sozialen Abteilung der Heilsarmee. Dann die „Labour World", von Michael Davitt begründet und aufgegeben und von Massingham, der einst beim „Star" war, rasch heruntergewirtschaftet und zugrunde gerichtet. Ich werde Dir Exemplare dieser Zeitungen schicken, wenn sie noch existieren. Longuets Benehmen scheint tatsächlich mehr als unbegreiflich. Auf alle Fälle ist es gut für die arme M6me12, daß sie wieder bei Dir ist. Was das übrige betrifft, läßt Du uns im dunklen. Si Longuet s'est refait une jeunesse aupres de Marie, Marie a-t-elle reussi ä se refaire une virginit6 en meme temps ?13 Und wie geht es den Jungen14? Was wird aus ihnen, während er sich in Caen herumtreibt? Wie steht es mit dem Conseil de famille15? usw. usw.? Louise durchstöbert weiterhin alle Zeitungen, Pamphlete, Zeitungsausschnitte usw. usw., die von Maitland Park11721 herübergebracht wurden. Die Briefe sind in leidlicher Ordnung. Lassalles Briefe werden in Deutschland veröffentlicht11731; Bernstein benutzt sie jetzt für eine Einführung in Lassalles Werke, die von der Partei herausgegeben werden1801. Die Lassalleaner werden das nicht gern sehen, aber seit Liebk[necht] im „Vorwärts" so sehr für Lassalle Partei ergriffen hat, bin ich entschlossen, Klarheit zu schaffen und ihre eigene Lassalle-Verehrung als Aufhänger für eine Kritik an diesem Manne zu benutzen. Sam Moore leidet hier manchmal an afrikanischem Fieber - er ist aufs Land gegangen. Sehr wenig Nachrichten von Jollymeier. Salut a Paul. Grüße von Louise. Dein alter18 F.E. Aus dem Englischen.
11 in der Handschrift deutsch: Mann -12 Jenny Longuet -13 Wenn Longuet bei Marie wieder jung geworden ist, ist es Marie dann auch gelungen, wieder jungfräulich zu werden? 14 Jean-Laurent-Frederick, Edgar und Marcel Longuet -16 Familienrat - 16 in der Handschrift deutsch: Dein alter
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 16. Juni 91
Lieber Baron, Hierbei das Ms. - Ob Du das Ganze abdrucken oder erst auf S.2, nach dem Strich, wo der eigentliche Aufsatz anfängt, anfangen willst, überlasse ich ganz Dir. Als Titel könnte man setzen: „Zur Urgeschichte der Familie: Bachofen, McLennan, Morgan." Von F.E[ngeIs], oder so etwas, und dann Note: Einleitung zur x-ten Auflage des „Ursprungs etc."11661 Da das Ms., dank vielen Unterbrechungen, sehr unleserlich ausgefallen, bitte ich sehr um Korrektur - und, wie gesagt, einen Extra-Abzug für Rave, der schmerzlich darauf wartet. Die Revision des Buchs selbst geht jetzt, so rasch meine sonstige Korrespondenz mir erlaubt, es brennt mir auf den Nägeln. Ich möchte fast wünschen, daß die Berliner Edes Lassalle-Einleitung1801 verwürfen, damit er in der „N[euen] Z[eit]" die Sache vollständiger und freier bearbeiten kann. Wie wenig die Leute in Deutschland von dem wahren Lass[alle] wissen, sah ich grade an Ede. Die Briefe L[assalle]s an M[arx], so unverfänglich sie für manche scheinen, und die Notwendigkeit, den Mann einmal in seiner ganzen Erscheinung zu betrachten, haben ihm Ede - doch ein ganz neues Licht aufgesteckt. Aber die Berliner wollen vor allem Ruhe in der Partei, und das läßt sich mit der freien Kritik schwer vereinbaren. Unangenehm ist's ihnen doppelt, weil sie gleichzeitig mit dem Soldaten1 in Krakeel liegen und noch keinen Ausweg sehn. Aber dann sollen sie auch auf neue Lassalle-Ausgaben verzichten. Enfin2, es wird sich schon wieder alles ins Gleis arbeiten. Dein F.E.
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Engels an Pasquale Martignetti in Bergamo
London, 19. Juni 1891
Lieber Freund, Ich schicke Ihnen heute 1. rekommandiert Ihr Manuskript der Übersetzung von „Kapital und Lohnarbeit", 2. die Korrekturbogen der neuen Auflage1 unter besonderm Streifband, 3. den Brief von Labriola hier eingelegt11743. Ich bin beschäftigt mit der Bearbeitung der Neuauflage des „Ursprung der Familie etc.", welche starke Zusätze erhält.1761 Ein vollständiges Neuexemplar von „Kapital und Lohnarbeit" folgt, sobald ich eins erhalten. Auf den Korrekturbogen sind die Hauptzusätze mit Bleistift angestrichen. Hoffentlich geht es Ihnen gut in Bergamo, l'e una bella citta, la conossi l'ha appresi di parlä'1 Meneghin, lu?2 Saludi F. Engels
1 Karl Marx: „Lohnarbeit und Kapital" - 2 es ist eine schöne Stadt, ich kenne sie - haben Sie dort den Mailänder Dialekt erlernt?
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Engels an Victor Adler in Wien'1751 (Entwurf)
[London, 26. Juni 1891]
Lieber Adler, Ich bitte Dich, den Einberufern des zweiten österreichischen sozialdemokratischen Parteiteigs für die mir durch Dich freundlichst eingesandte Einladung zu diesem Euren Parteitag'1761 meinen aufrichtigen Dank aussprechen zu wollen, mein Bedauern, daß ich nicht persönlich erscheinen kann und meine besten Wünsche für erfolgreichen Verlauf der Verhandlungen. Seit Hainfeld, wo die österreichische Arbeiterpartei sich wieder auf eignen Fuß gestellt11771, habt Ihr gewaltige Fortschritte gemacht. Das ist die beste Gewähr dafür, daß Euer zweiter Parteitag den Ausgangspunkt für neue, noch bedeutendere Triumphe bilden wird. Welche unbesiegbare innere Kraft unsre Partei besitzt, das beweist sie nicht nur durch ihre rasch einander ablösenden äußeren Erfolge, nicht nur dadurch, daß sie, wie voriges Jahr in Deutschland, so dies Jahr in Österreich den Ausnahmezustand überwunden hat'1781. Sie beweist diese ihre Kraft noch weit mehr dadurch, daß sie in allen Ländern Hindernisse besiegt und Dinge vollbringt, vor denen die übrigen aus den besitzenden Klassen sich rekrutierenden Parteien ohnmächtig haltmachen. Während die besitzenden Klassen Frankreichs mit den besitzenden Klassen Deutschlands in unversöhnlichem Streit liegen, arbeiten französische und deutsche Sozialdemokraten einmütig Hand in Hand. Und während bei Euch in Österreich die besitzenden Klassen der verschiednen Kronländer im blinden Nationalitätenhader des letzten Rests von Fähigkeit zur Herrschaft verlustig gehn, wird ihnen Euer zweiter Parteitag das Bild vorführen eines Österreichs, das keinen Nationalitätenhader mehr kennt, des Österreichs - der Arbeiter.'1791
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
Ryde, den 28. Juni 91
Mein lieber Lafargue, Ich bin seit vorgestern hier bei Pumps, und ich werde bis zum Donnerstag, dem 2. Juli, bleiben und dann nach London zurückkehren.1180' Inzwischen hat mir Louise Ihren Brief vom 25. geschickt.1181' Glücklicherweise habe ich einen Blankoscheck, den ich Ihnen inHegiend - ausgefüllt auf £ 20 - schicken kann. Viel Glück! Ihre Vorbereitungen zur Verteidigung scheinen sehr gut, und ich hoffe, daß Sie den Sitz in der Kammer bekommen, ohne verurteilt zu werden. Jetzt etwas anderes. Sie finden inliegend einen Brief von Field („Star", 23. Juni) und eine Erwiderung Burrows", die offensichtlich Hyndman redigiert hat.'182' Ist es wahr, was Field sagt, daß Ihr ihn autorisiert habt, die Dummheit zu begehen, die er begangen hat? Wir können es nicht glauben. Aber jedenfalls sehen Sie, was ein Brief von Euch bei diesem Field hervorruft, wahrscheinlich ein an sich völlig harmloser Brief. Dieser Field, ein guter Junge, der aber darauf brennt, irgendeine Rolle zu spielen - selbst um den Preis, der Sache schlecht zu dienen, der er dienen will -, tritt auf, als handle er im Namen Eurer und folglich unserer Partei. Er wendet sich an die Trade-Unions usw. als „autorisierter" Vertreter, und wenn er mit allem vertraut ist, so ist er es als der alte Kollaborateur Champions, der seit seinen australischen Heldentaten mehr als je verachtet wird! Das Terrain war auch zu gut für Herrn Hyndman vorbereitet, als daß er sich dessen nicht bemächtigt hätte. Lesen Sie die Erwiderung! Alle von Field geäußerten Dummheiten, alle schwachen Punkte seines Briefes sind geschickt hervorgehoben, und Herr Field hat nichts anderes getan, als für die Possibilisten142' Reklame gemacht. Niemand hier kann den Handschuh aufheben. Erstens wissen wir nicht, was zwischen Euch und Field vor sich gegangen ist. Außerdem würde uns der „Star", wenn er eine Antwort von uns nähme (was zweifelhaft ist, mehr als zweifelhaft), das Wort abschneiden, nachdem er es noch einmal Burrows erteilt hätte. Und die Situation, in die Field uns gebracht hat, ist so dumm,
daß uns nur zu wünschen übrigbleibt, diese Korrespondenz des „Star" so schnell wie möglich zu vergessen. Auf alle Fälle, wenn Ihr wollt, daß wir hier weiter mit Erfolg für den Kongreß11071 arbeiten - verbietet Field absolut und sofort, Was es auch sei, zu publizieren und sich dabei der Genehmigung durch den Sekretär der Arbeiterpartei für internationale Verbindungen1 zu bedienen. Und geben Sie niemandem, wer es auch sei, einen Vorwand, hier mit Ihrer Genehmigung etwas zu veröffentlichen, was es auch sei, ohne uns konsultiert zu haben. Sonst täten wir besser daran, uns zurückzuziehen und alles dem Zufall zu überlassen. Unter Champions Protektion gestellt zu werden, das fehlte uns gerade noch! Alles ging gut hier. Wir arbeiteten, ohne Aufsehen zu erregen, aber ununterbrochen, und im Augenblick ist es nicht der Lärm der Presse (wir haben kein Presseorgan, vergessen Sie das nicht!), den wir zum Erfolg brauchen. Aber wir haben auch das Recht, zu verlangen, daß uns unsere eigenen Freunde keinen Knüppel zwischen die Beine werfen. Wir haben aus Brüssel alles bekommen, was wir brauchen2, nicht ohne Mühe, aber wir haben es bekommen und uns dessen bedient; und das müßte Ihnen genügen, ohne daß die französische marxistische Partei sich den Anschein gibt, als wolle sie den Einberufer des Kongresses spielen und sich eine Rolle aneignen, zu der sie kein Recht hat. Sagt uns endlich, was Ihr an Field geschrieben habt, damit wir versuchen können, wenigstens mündlich, den unheilvollen Einfluß dieser Dummheit Fields abzuschwächen. Lauras Brief über Longuet ist noch bei Tussy, ich werde ihn nach meiner Rückkehr wieder an mich nehmen. Wir danken Laura sehr für diese wichtigen Auskünfte; schließlich ist die Sache in Gang gebracht; aber nachdem wir die Artikel des Gesetzbuchs gelesen haben, zweifeln wir daran, daß der Familienrat noch etwas machen kann außer der Ernennung eines Vormunds. Tussy sagt, sie habe an Laura geschrieben. Wir haben den alten Harney hier. Er hat einen Monat in Ventnor zugebracht, ist dort seine chronische Bronchitis losgeworden, hat jedoch seine Gicht wiederbekommen. Gestern haben wir ihn im Wagen hierher gebracht. Er hat viel Schmerzen und Beschwerden, der arme Teufel, ist aber immer heiter, sobald die Schmerzen weg sind. In einigen Tagen wird er nach Richmond zurückkehren. Pumps' Haus ist klein, aber hübsch, mit Garten front and baclj3, viel Obst, Gemüse und sogar Kartoffeln, einem Treibhaus mit Weinstöcken
1 Siehe vorl. Band, S. 569/570 - 2 siehe vorl. Band, S. 136 - 3 vor und hinter dem Haus
voller Trauben usw. Für die Kinder ist es herrlich, aber wird Percy Geschäfte machen? Seine Brüder scheinen es nicht sehr eilig zu haben, ihn mit den notwendigen Materialien zu versehen; nun, wir werden sehen. Pumps, Percy, Harney senden Laura und Ihnen ihre besten Grüße, und ich auch! Freundschaftlichst Ihr F. E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
[Ryde, 29. Juni 1891]
Lieber Kautsky, Ich habe mich auf ein paar Tage hieher zu Pumps gerettet11301, es wurde zu arg mit den auf mich einstürmenden Arbeiten. Eben saß ich glücklich und vergnügt in der Gruppenehe11831, da kam das Parteiprogramm mir auf den Pelz, und das mußte vorgenommen werden11841. Ich wollte erst versuchen, die Einleitungserwägungen etwas straffer zu fassen, kam aber aus Zeitmangel nicht dazu, auch schien es mir wichtiger, die teils vermeidlichen, teils unvermeidlichen Mängel des politischen Teils auseinanderzusetzen, da ich dabei Gelegenheit fand, auf den friedfertigen Opportunismus des „Vorwärts" und das frischfrommfröhlichfreie „Hineinwachsen" der alten Sauerei „in die sozialistische Gesellschaft" loszuhauen. Inzwischen höre ich, hast Du ihnen eine neue Einleitung vorgeschlagen, um so besser. Die Partei wird die Lass[aIIe]-Briefe an M[arx] und mich mit Noten von mir (wobei jede Parteizensur ausgeschlossen) drucken.11731 Das kann ich im Herbst neben dem III.Band1 besorgen. (Dies unter uns.) Ich habe mich hieher gerettet, um einige Korrespondenz erledigen zu können; Donnerstag2 geht's heim, dann kommt die Gruppenehe wieder in Tätigkeit. Ich war so schön an der Arbeit - diese verdammten Unterbrechungen! „Elend der Philosophie]" - da die Sache so steht, daß Dietz mit 450 M. sich loskauft und dann nur wir unter uns zu verhandeln haben, ist alles in Ordnung, wir wollen das schon regeln. Daß Ihr zwei auf edles Honorar der II.Aufl. verzichtet, davon kann keine Rede sein. Dietz' Plan mit dem Band Marx' kleine Schriften fällt ins Wasser. L[ie]bk[necht] hat dies Plänchen schon längst, sein neuster Protege Paul Ernst sollte das besorgen und noch mehr von M[arx] herausgeben, in fact3 mir auf einige Monate hergeschickt werden, und ich ihm dabei helfen. Das sollte dann in der Berliner Buchhandlung von Partei wegen erscheinen,
1 des „Kapitals" - 2 2.JuIi-3 in der Tat
kurz, neben der Lassalle-Ausgabe eine Marx-Ausgabe. Das wies ich sofort entschieden ab und kann also auch Dietz gegenüber nur dasselbe tun. Ich habe der Partei erlaubt, einzelne kleine Sachen von M[arx] in Broschürenform und jede für sich ohne Noten und Vorreden abzudrucken. Weiter kann ich nicht gehn. Ich kann mir die spätere Gesamtausgabe, zu deren Herausgabe ich verpflichtet bin, nicht in dieser Weise stückweise vorwegnehmen lassen. Ebensowenig kann ich jetzt an eine Neuauflage der „Lage etc." denken, eh der III.Band fertig. Ich bin ganz geneigt, seinerzeit darüber mit Dietz zu verhandeln, aber die Leute sollen und müssen einsehn, daß ich absolut nichts Neues unternehmen kann, bis ich den II I.Band in der Presse habe. Während des Drucks kann dann was Neues arrangiert werden. Aber Dietz wie allen andern gegenüber werde ich alle Anzapfungen und Projektchen bis dahin abweisen. So viel Verstand sollten die Leute doch endlich haben, daß sie mich bis dahin mit dergleichen verschonen, was mir nur nutzlose, zeitraubende Korrespondenz verursacht. Sowie die Neubearbeitung des „Ursprung" fertig, geht's wieder an den III.Band, und dann kann kommen, was da will, es prallt alles an mir ab. Vollmars Rede mit ihrem ganz überflüssigen Entgegenkommen gegen die jetzigen Offiziellen und ihren noch überflüssigeren und obendrein unautorisierten Versicherungen, die Sozialdemokraten würden mitmachen, wenn das Vaterland angegriffen würde - würden also die Annexion von Elsaß-Lothringen Verteidigen helfen -, hat hier und in Frankreich bei unsern Gegnern helle Freude erregt.11851 Wird das so hingehn gelassen, so können unsre Leute es in Brüssel11071 in sehr fataler Weise auszufressen haben. Possibilisten1421 und Hyndmänner beuten es in ihrer Weise nach Noten aus, und solange keine authentische Erklärung dem Vollmar das Recht abspricht, im Namen der Partei zu sprechen11861, sind wir hier ohnmächtig: Hyndmjan] hat nun Bax vorgeschoben, der in „Justice" darüber geschrieben hat, ich hab's noch nicht gesehn.11871 Die im Hyde Park tagenden Wöchnerinnen haben hier und in London kolossale Heiterkeit erregt, englisch noch mehr als deutsch, wegen des Wortspiels demanding a reduction of the hours of labour4, was spezifisch Geburtsarbeit bedeutet: a woman in labour!11881 Raves Adr. ist: Faubourg Rocheremi, Poitiers, France. Pumps wohnt jetzt hier, Percy hat eine Agentur für seine Brüder übernommen; ihr Häuschen, The Firs, ist am Brading Road, grade eine eng
4 mit der Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit
lische Meile von der Stadt, klein, aber hübsch, Garten, [mit]5 Gemüse und Obst. Der alte Harney war 4 Wochen in Ventnor und wurde dort wieder gichtisch-rheumatisch, wir haben ihn Samstag hieher geholt, er wird wohl Donnerstag mit mir zurück und wieder in sein Hauptquartier Richmond gehn, er ist arg lahm und leidend. Schorl[emmer] wird Wohl bald kommender ist sehr schweigsam als Korrespondent, wie Du weißt. Sam .Moore hat hier an afrikanischem Malariafieber gelitten, ist aber wieder besser. August oder Sept. geht er wieder an den Niger, ich glaube, im stillen sehnt er sich schon wieder nach dem schönen Klima - trotz der Fieberanfälle, die mit menstruationsartiger Regelmäßigkeit sich wiederholen. Wie kannst Du Dir nur einbilden, ich gäbe irgend etwas darauf, in der ,,N[euen] Z[eit]" an erster Stelle zu erscheinen? Mach das ganz, wie es in Deinen Kram paßt. Viele Grüße von allen hier. Dein F. E.
5 Papier beschädigt
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Engels an Conrad Schmidt in Zürich
Rydc, Insel Wight, I.Juli 91
Lieber Schmidt, Ich habe mich auf ein paar Tage hieher geflüchtet.11801 Pumps wohnt jetzt hier, ihr Mann hat eine Agentur hier übernommen, und die Arbeit wuchs mir so über den Kopf, daß ich, um nur etwas Luft zu schnappen und die notwendigste Korrespondenz abzustoßen, auf ein paar Tage zu ihr kam. Morgen geht's wieder nach London. Ich habe Ihre beiden Briefe vom 5./3. und 18./6. vor mir. Ihre Arbeit über Kreditwesen und Geldmarkt lassen Sie am besten unvollendet, bis der II I.Band1 erscheint, da finden Sie viel Neues und noch viel mehr Unerledigtes über diesen Stoff, also neben neuen Lösungen neue Aufgaben. Sobald die Sommerfrische vorüber, wird der III.Band unaufhaltsam erledigt. - Ihr zweiter Plan: Übergangsetappen zur kommunistischen Gesellschaft, ist des Nachdenkens wert, aber ich würde Ihnen raten: nonum prematur in annum2, das ist der schwierigste Stoff, den es gibt, weil die Bedingungen sich in einem fort ändern. Jeder neue Trust z.B. ändert sie, und von zehn zu zehn Jahren werden die Angriffspunkte total verschoben. Ihre neueren Universitätserfahrungen in Zürich sind höchst amüsant.11891 Die Herren sind sich überall gleich. Nun, ich wünsche Ihnen schließlichen Erfolg zum Ärger der ganzen Clique und damit Sie endlich wieder einmal Ruhe bekommen. Das Barthsche Buch hat mich sehr enttäuscht. Ich hatte etwas weniger Flaches und Überskniegebrochenes erwartet. Ein Mann, der jeden Philosophen nicht nach dem Bleibenden, Fortschrittlichen seiner Tätigkeit, sondern nach dem notwendig Vergänglichen, Reaktionären, nach dem - System beurteilt, hätte besser geschwiegen. Nach ihm ist ja die ganze Geschichte der Philosophie ein bloßer „Trümmerhaufen" zusammengebrochner Systeme. Wie hoch steht der alte Hegel über diesem seinem angeblichen
1 des „Kapitals" - 2 bis ins neunte Jahr soll sie zurückgehalten werden (Horaz, „Episteln", 11, 388)
Kritikerl Und dann zu glauben, er kritisiere Hegel, wenn er hie und da einem der falschen Sprünge auf die Spur kommt, vermittelst deren H[egel], wie jeder andre Systematiker, sein System zurechtkonstruieren muß! Die kolossale Entdeckung, daß H[egel] konträre und kontradiktorische Gegensätze manchmal in eins wirft! Da könnte ich ihm noch ganz andre Kniffe aufdecken, wenn's der Mühe wert wäre! Der Mann ist, was wir am Rhein einen Korinthenscheißer nennen, er verwandelt alles in Kleinkram, und solange er sich das nicht abgewöhnt, wird er, mit Hegel zu sprechen, „von nichts durch nichts zu nichts kommen"[190'. Wahrhaft erheiternd ist seine Kritik von Marx. Erst macht er sich eine materialistische Geschichtstheorie fertig, wie Marx sie nach seiner Ansicht gehabt haben sollte, und findet dann, daß in den Marxschen Schriften ganz was andres steht. Daraus schließt er aber nicht, daß er, Barth, dem Marx WEIS Verkehrtes untergeschoben hat, nein, im Gegenteil, daß Marx sich widerspreche, seine eigne Theorie nicht anwenden könne! „Ja, wenn die Leute doch nur lesen könnten!", pflegte Marx bei derlei Kritiken auszurufen. Ich habe das Buch nicht hier; hätte ich die Zeit, würde ich Ihnen die Verkehrtheiten noch zu Hunderten im einzelnen nachweisen. Es ist schade, man sieht, der Mann könnte was leisten, wenn er weniger rasch fertig wäre mit dem Aburteilen. Hoffentlich schreibt er nächstens etwas, worüber mehr hergefallen wird; eine gehörige Tracht Keile würden ihm sehr guttun. Mir geht es im übrigen recht gut, ich bin wohler als voriges Jahr um diese Zeit und denke nach etwas Erholung wieder ganz auf dem Damm zu sein. Wenn man nur weniger im Arbeiten unterbrochen würde! Seit 2-3 Monaten habe ich die Neuauflage des „Ursprung der Familie etc."1781 in Arbeit genommen und wäre in 14 Tagen fertig geworden, da kommt der neue Programmentwurf und soll kritisiert werden'184', da kommen allerlei kleine Ungeschicklichkeiten, die auf dem Kontinent begangen worden und uns hier in England - wo der Boden gut, aber vorsichtig zu behandeln ist - die Arbeit erschweren für den Brüsseler Kongreß'1071 etc. Alles das wirft mich wieder heraus, unterbricht, und doch muß das Ding nicht nur großenteils revidiert und ergänzt, sondern auch fertig werden, damit ich an den II I.Band kann. Well, es wird doch am Ende gehn, weil es gehn muß. Man meint hier, man wäre in Preußen. Sonntag3 begegneten mir 4 bis 5 Matrosen vom „Stosch", Prachtkerle, die sich neben den englischen man
8 28. Juni
9 Man/Engels, Werke, Bd. 38
of-war*s men4 sehr gut sehn lassen können, und heut morgen in einem fort Kanonendonner und Granatenplatzen von Schießübungen der Forts von Portsmouth. Viele Grüße von Pumps, Percy und Ihrem alten F. Engels
4 Matrosen der Kriegsschiffe
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
[London] 7. Juli 91
Meine liebe Laura, Das ist schlimm für den armen Paul, wenigstens sieht es im Moment schlecht aus.'1911 Immerhin ist er noch nicht im Gefängnis. Eine Kassation ist möglich, obwohl das nur eine Möglichkeit von zehn zu seinen Gunsten ist. In der Kammer maß Lärm geschlagen werden über dieses Schandurteil, und ich hoffe, Millerand & Co. werden es nicht versäumen, diesen Lärm zu schlagen. Ich halte Pauls Politik, sofort zum Angriff überzugehen, das Schlachtfeld des Nordens erneut zu besuchen und sich der Regierung so unbequem wie möglich zu machen, für bewundernswert. Das ist das, was die Franzosen immer besser und klarer erkennen als unsere Deutschen, daß man, um eine Scharte auszuwetzen, an einem anderen Punkt angreifen muß, doch immer angreifen, niemals die Waffen strecken, niemals nachgeben. Auf alle Fälle scheint sein Sitz in der Kammer jetzt ziemlich sicher zu sein, und das würde ihn aus dem Gefängnis befreien, wenn die Wahl stattfindet, während er drin ist. Le Nord nous appartient maintenant.1 Was für Narren diese Regierungen sind! Zu glauben, sie könnten solch eine Bewegung wie die unsere durch Unterdrückung niederwerfen. Doch bei all seiner Unverschämtheit ist M. Constans Schwankungen unterworfen; der Omnibusstreik zeigte ihn in einem ganz anderen Licht; man kann bei ihm auf alles gefaßt sein, wenn er feststellt, daß die Wirkung des Urteils seinen Erwartungen widerspricht.11921 Rave est ä ravir2. Ich bedauere jeden, der diesen Mann überarbeiten muß. Was für eine Sisyphusarbeit muß es für Dich gewesen sein!'1041 Immerhin kann die Arbeit für Dich der Beginn von Übersetzungen für den Verleger sein, und dann war Deine Mühe nicht umsonst. Übrigens, der richtige französische Ausdruck für „Schutzergebung"3, der juristische Fachausdruck, ist Commendation. 1 Der Norden gehört jetzt uns. - 2 ist entzückend - 3 in der Handschrift deutsch: „Schutzergebung"
Ich bin dabei, die Durchsicht des „Ursprungs"1 für die 4. Auflage zu beenden.1761 Es wird wesentliche und wichtige Ergänzungen geben; besonders ein neues Vorwort (Korrekturbogen an Rave geschickt, der Text erscheint wahrscheinlich in der nächsten „Neuen Zeit")11661 und dann im Kapitel über die Familie. Ich denke, sie werden Dir gefallen; der Genius, der mich in hohem Grade inspiriert hat, ist Louise gewesen, die viele scharfsichtige, klare und originelle Gedanken zu diesem Gegenstand hat. Sie bittet mich, Dich und Paul herzlichst zu grüßen. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
61 • Engels an Johann Gustav Vogt • 8. Juli 1891 133
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Engels an Johann Gustav Vogt in Leipzig (Entwurf)
122, Regent's Park Road, N. W. London, 8. Juli 91
Sehr geehrter Herr, Wenn ich erst heute auf Ihre werten Briefe vom 20. Juni und 5. ds. antworte11931, so ist dies lediglich dadurch veranlaßt, daß ich noch immer vergeblich auf eine Zeile von Liebknecht warte, auf den Sie sich bezogen und den ich durch R.Fischer, seinen Kollegen im Parteivorstand, noch besonders um Nachricht habe bitten lassen'1941; um so mehr, da Bebel Sie erst eben kennengelernt, während Liebknecht Sie länger gekannt hat. Die Erfüllung Ihres Wunsches hängt nicht von mir allein ab. Die Erben Marx, deren bloßer ausführender Vertreter ich bin, und der Verleger des „Kapital"1 haben das entscheidende Wort zu sprechen. Was den letzteren angeht, so glaube ich, Ihnen ohne weiteres die Zusicherung geben zu können, daß er unter keinen Umständen seine Einwilligung zu einem solchen Unternehmen geben würde. Bei den Erben würden Sie schwerlich besser fahren. Keine der beiden noch lebenden Töchter von Marx würde ihre Zustimmung dazu geben, daß ihres Vaters Schriften aus seinem eignen Deutsch in das eines andern Schriftstellers übersetzt würden. Es ist mir das auch schon auf Befragen mitgeteilt worden. Ich selbst kann Ihren Vorschlag nicht mit gutem Gewissen unterstützen. Sie haben die Güte gehabt, uns Ihre Schriften zu übersenden: ein neues Natursystem. Da ich mich mit Naturwissenschaften nur in freien Stunden beschäftigen kann, wird es immerhin längere Zeit dauern, bis ich mir erlauben darf, über Ihre Anschauungsweise selbständig zu urteilen. Sobald meine Zeit erlaubt, werde ich Ihre Arbeiten, für deren Einsendung ich Ihnen bestens danke, studieren; sollte ich auch nicht dadurch überzeugt werden, so werde ich doch sicher etwas daraus lernen können. Aber über ein so durchdringendes Verständnis der politischen Ökonomie, wie sie zu der von
1 Otto Meißner
Ihnen geplanten Arbeit erstes Erfordernis, darüber geben Ihre Schriften absolut keinen Anhaltspunkt. Von allen andern Bedenken und Hindernissen abgesehn, könnte ich daher meine Einwilligung höchstens unter der Bedingung geben, daß ich Ihre Arbeit revidiere. Dadurch aber würde sie mehr oder weniger meine Arbeit, das wird Ihnen nicht passen und mir auch nicht, denn meine Zeit ist übervoll in Anspruch genommen. Ich sehe also absolut keinen Weg, wie Sie unter Einwilligung aller Beteiligten zu Ihrem Ziel kommen können, und kann Ihnen auch nicht verhehlen, daß ich meine, Marx spricht zu den Deutschen am besten in seinem eignen Deutsch. Selbst die Arbeiter verstehn es mit der Zeit. Die Arbeiter sind viel gescheiter und wahrhaft gebildeter, als man gewöhnlich glaubt. Hochachtungsvoll
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 12. Juli 1891
Meine liebe Laura, Paul schickt mir aus Lille beiliegenden Brief.11951 Da ich nicht weiß, wo Paul sich jetzt aufhält, sende ich Dir den Brief zurück und antworte Dir. Erstens habe ich absolut keine Zeit, un vrai travail1 für D[uc]-Q[uercy] zu leisten, daß er daraus un article a sensation2 machen kann. Ich beende den „Ursprung"31761, und dann werde ich meine überanstrengten Nerven etwas erholen, da ich mich ziemlich abgespannt fühle. Und danach - der 3. Band4 und sonst nichts. Das ist seit langem beschlossen und kann und wird nicht umgestoßen werden. Wenn ich über eine so heikle Frage und für solch ein schwieriges Publikum wie die Franzosen schreiben müßte, würde ich sicher selbst unter meinem Namen schreiben, niemals jedoch einem Journalisten erlauben, meinen Brief in ein Interview zu verwandeln und mir - nach französischer Sitte - Dinge in den Mund zu legen, die ich nicht gesagt habe, aber nach seiner Meinung hätte sagen müssen. Schließlich aber bin ich nicht imstande, über die 3 vorgeschlagenen Fragen in einer Art zu schreiben, die den französischen Bourgeois und Lesern des J'igaro" gefällt. Ich müßte sie daran erinnern, daß sie durch ihre 20jährige Unterwerfung unter den Abenteurer Louis Bonaparte den Grundstein für alle die Kriege legten, die seit 1850 über uns gekommen sind, einschließlich des Deutsch-Französischen Krieges; daß dieser Krieg en dernier lieu5 aus ihrem Anspruch entstand, sich in innerdeutsche Angelegenheiten einzumischen, einem Anspruch, auf den sie sogar heute noch ein Recht zu haben glauben; daß, wenn sie das Elsaß usw. verloren haben, c'etait la fortune de la guerre6 und daß ich es ganz entschieden ablehne, das ganze Schicksal Europas und der Arbeiterklasse der Frage unterzuordnen, wem dieses elende bißchen Land gehören soll. Es könnte sehr nützlich
1 eine derartige Arbeit - 2 einen sensationellen Artikel - 3 in der Handschrift deutsch: „Ursprung" - 4 des „Kapitals" - 5 letztlich - 6 es das Kriegsglück war
sein, ihnen all das zu sagen, aber würden sie überhaupt darauf hören, ohne mich zu beschuldigen, daß ich mich in fremde Angelegenheiten einmische? Wie dem auch sei, ich habe keine Zeit und kann mich D[uc]-Q[uercy]s Manipulationen nicht fügen. Das sind die beiden entscheidenden Punkte. Was Paul mir über Renard und seine beabsichtigte Erklärung schrieb, nämlich, daß er die Paul zugeschriebenen Worte gesagt habe, wird er Dich bereits vor mir haben wissen lassen. Ich hoffe, diese Dinge werden zur Aufhebung des Urteils beitragen.1191' Edward ist in St. Margaret's Bay, er leidet wieder an den Nieren; deshalb werden wir nur Tussy und Sam Moore hier haben. Mittwoch7 will Louise nach Wien fahren, ich erwarte Schorlemmer, und dann werden wir sehen, was wir unternehmen können. Ich habe noch keine festen Pläne für den Sommer, doch verschiedene unklare Projekte gehen mir im Kopf herum. Etwas anderes. Ich möchte gerade jetzt nicht über Sachen sprechen, die mit Vollmars Auftreten11851 zusammenhängen, bis die Sache in Deutschland ausdiskutiert ist. Alles, was ich in Frankreich sagen würde, könnte in Deutschland gegen sie benutzt, mißbraucht und zu ihrem Schaden ausgenutzt werden und ihre Lage noch schwieriger machen. Und ihnen allen ist sehr gut bekannt, daß ich jegliche Arbeit für irgend jemand abgelehnt habe, bis ich den 3. Band abgeschlossen habe. Ich glaube, ich sandte Dir den zweiten Satz der Briefe von Field-Burrows im „Star".11961 Jedenfalls ist die Sache vorübergegangen - dank dem Erscheinen des belgischen Zirkulars vom 18. Juni. Diese völlige Unterwerfung der Belgier unter die Resolutionen von Halle11971 hat alle Kalkulationen Hyndmans derart über den Haufen geworfen, daß er jetzt eine riesige Wut auf sie hat, ihnen mit seiner Rache droht, sich aber noch zurückhält. Inzwischen zerstört er seine letzten Hoffnungen in East End, indem er die Gasarbeiter1671 (deren Führer meist Mitglieder der Social Democratic Federation1621 sind) und Tussy angreift, die er Miss M[arx] nennt. So weit ist er gesunken. Herzliche Grüße von Louise. Immer Dein F.E.
Tussy und ich haben gerade über Nimmys Grabinschrift gesprochen. Nach einer Reihe von Vorschlägen über verschiedene Inschriften, gegen
' 15. Juli
die alle Einwände erhoben werden können, neige ich zu Tussys Vorschlag, nichts außer dem Namen dazuzusetzen. Dann würde die Inschrift lauten: In memory of Jenny Marx and of Karl Marx and of Harry Longuet also of Helen Demuth Born Jan. 11823, Died Nov. 4<h 1890.
Was meinst Du dazu?
Aus dem Englischen. .
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
... ... . London, 20. Juli 1891 Meine liebe Laura, Die Affäre mit Culine ist tatsächlich sehr unangenehm11981 - der Bursche trägt seinen Namen zu Recht11991 -, doch was kann man tun? Mit einer solchen Waffe in Constans' Händen können wir nur den Mund halten. Louise fuhr am Mittwoch1, und Jollymeier kam am Samstag, aber er wird immer mehr Tristymeier; man muß sich sehr anstrengen, ihm ein Lächeln abzuringen. Ich werde jedenfalls alles versuchen. Paul bittet mich, Dir einen Scheck zu schicken, ich lege daher 20 £ bei; bitte bestätige mir den Empfang. Ich sende den Brief rasch ab, weil Jollymeier noch auf seinem Spaziergang ist, wenn ich also plötzlich schließe, weißt Du warum. Wir bereiten eine Seereise vor, unsere Pläne sind aber noch nicht fertig, und ich habe mein Ms. noch nicht beendet - bin aber, soweit ich es beurteilen kann, beim letzten Zusatz. Ich hoffe spätestens am Mittwoch2 fertig zu sein.1765 Paul glaubt, Tussy mache sich über Brüssel11071 mehr Sorgen als notwendig - ich glaube das nicht. Alles \ann gut gehen und wird wahrscheinlich gut gehen, wenn jeder seinen Mann steht, aber ich habe zuviel Erfahrung mit solchen Kongressen, um nicht zu wissen, wie leicht alles schiefgehen kann. Die Belgier haben den Kongreß für Dienstag, den 18. August11971, einberufen, statt für Sonntag, den 16. Wenn unsere Leute am 18. kommen und die (Possibilisten) Broussisten und Hyndmanisten am 16., können sie alles durcheinanderbringen. Tussy hat gestern an Volders geschrieben, doch diese Burschen antworten nicht einmal! Was die Engländer tun werden, ist völlig unbestimmt; aus Deutschland wird sicherlich Vollmar kommen und intrigieren; was die kleinen Länder betrifft, so weißt Du: ihnen ist nicht über den Weg zu trauen. Und ein Fehler auf unserer Seite, eine verpaßte Gelegenheit kann uns auf Jahre hinaus unnötige, aber nicht zu vermeidende Arbeit bereiten. 115. Juli — a 22. Juli
Und dann ist noch dieser unbändige Bonnier, der mir geradeheraus mitgeteilt hat, daß Guesde und er die alte Internationale mit einem Zentralrat wiederherstellen wollten. Ich habe ihm geradeheraus erwidert, daß dadurch alles in die Hände der Belgier gelegt würde (den einzig möglichen Zentralrat), wobei man weiß, was für Leute das sind; durch einen albernen Versuch, Dinge, die noch nicht reif sind, zu überstürzen, würde der Bewegung hier in England für einige Jahre jede Entwicklungsmöglichkeit genommen. Tatsächlich wäre das das beste Mittel, zwischen Franzosen, Engländern und Deutschen Streit zu entfachen. Er schien verlegen, aber wer kann wissen, was Guesde und er in ihrem Enthusiasmus tun werden? Viele Grüße von Jollymeier und Deinem alten3 F.E.
Aus dem Englischen.
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 22. Juli 1891
Lieber Adler, Um den Österreichern einen mehr als akademischen Beweis meiner Sympathie zu geben, habe ich Dietz beauftragt, vom Honorar der Neuauflage des „Ursprung der Familie etc." die Hälfte an Dich für Eure Parteikasse - um mich österreichisch auszudrücken - abzuführen. Hoffentlich bedarf es keiner drastischen Diarrhetica1, um dies zustande zu bringen. Wann und wieviel auf einmal (es werden vielleicht Ratenzahlungen) Du erhältst, kann ich nicht sagen, er zahlt 50 Mark für je 1000 Ex., die er druckt, davon erhaltet Ihr 25 Mark. Wenn Ihr den Empfang in Euren gedruckten Quittungen aufführt mit meinen Initialen: F. E. in London soundso viel, ohne weitere Bemerkungen, wird's mir am liebsten sein. Nun noch ein Wort: Louise hat sich verstanden, falls Du ihr ein Mandat verschaffst, was ja nicht schwer sein kann, mit auf die Brüsseler Allerweltswachtparade'1071 zu gehen. Dabei war aber eine stillschweigende Bedingung, nämlich, daß sie Dich und Bebel oder wenigstens Dich mit nach London brächte auf ein paar Tage. Und ich hoffe, das bringt sie fertig. Ich bin um die Zeit wieder hier und erwarte Euch mit Sehnsucht. Wer weiß, wozu Ihr mich dann hier noch fürs nächste Jahr beredet. Also nicht lange überlegt, und komm mitsamt Deiner Frau! Dein alter F. Engels
Nach: Victor .Adlers, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
1 Abführmittel
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Engels an Emma Adler in Wien
London, 22. Juli 1891
Liebe Frau Adler, Leider wird in diesem Jahr wohl nichts aus der Reise nach dem Kontinent werden, die ich gern machen möchte, wär's auch nur, um Sie in Lunz zu besuchen und Ihnen die Überzeugung beizubringen, daß ich auch österreichisch essen kann und das mit großem Appetit: das kann Ihnen Louise bezeugen, die mir den Salat nur noch wienerisch macht. Wenn ich aber nicht zu Ihnen komme, so gibt es doch noch ein zweites. Vielleicht gehen Sie mit Victor nach Brüssel[107), und dann könnten wir ja ebensogut hier in London Bekanntschaft machen. Brüssel ist von London nur einen Katzensprung entfernt, was meinen Sie? Wenn Sie aber nicht nach Brüssel gehen sollten, könnten Sie dann nicht Ihren Mann beauftragen, auf ein paar Tage sich hier von den Strapazen des Allerweltskongresses zu erholen? So etwas ist arg angreifend, und ein paar Tage London sind sehr gesundheitsnützlich danach. Eben kommt der afrikanische Oberrichter Sam Moore, und ich muß mich unterbrechen - bitte kommen Sie. Louise redet Ihnen gewiß zu aber wenn Sie nicht können, schicken Sie Ihren Vertreterl Küssen Sie bitte Ihre lieben Kinder für mich, von denen Louise mir so viel erzählt. Aufrichtigst der Ihrige F. Engels
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft I, Wien 1922.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Mount Desert
Ryde, Insel Wight, 9. Aug. 91
Lieber Sorge, Deine beiden Briefe vom 14. und 20. Juli sind mir hieher nachgeschickt. Ich bin seit 14 Tagen mit Schorl[emmer] hier bei Pumps, deren Mann hier Agent für seine Brüder ist, gehe in ca. 8 Tagen zurück.'1801 Sehr dankbar für die Information wegen des „J[ourna]I of the K[nights] of L[abor]" - ich habe solch einen Haufen von Zeitungen durchzusehn, daß mir ohne solche Benachrichtigung die Orientierung oft sehr schwerfällt. Ditto wegen Gompers und Sanial12001, falls ich solche in London sehn sollte, sehr wichtig. Anna1 muß sehn, wie sie fortkommt, dieser Blödsinn übersteigt alles. Der possibilistisch-hyndmanitische Schwindel wird wohl auf dem Brüsseler Kongreß11071 Fatales erleben. Die Spaltung der Possibilisten in Paris hat Brousse allen Boden entzogen. In der Provinz sind sie Null, und in Paris geht die Masse mit Allemane gegen Brousse. Das hat dann dazu geführt, daß die Possibilisten beiderlei Art die Kontrolle über ihren letzten großen Stützpunkt, die Bourse du travail12011, verloren haben. So steht im „Socialiste" vom 24. Juli.12021 Die Brüsseler, die selbst im innersten Herzen Possibilisten sind und so lange wie möglich zu ihnen gehalten haben, sind ganz umgesprungen2; sie wollen Generalrat einer neuen Internationale werden und machen den alles überflügelnden „Marxisten" den Hof; daher possierliches Geheul seitens der Pariser und Londoner im Stich gelaßnen Freunde. Ich fürchte, ich fürchte, Herr Hyndman wird aufhören, offiziell unser „Feind" zu sein und wird sich als unser „Freund" gerieren wollen. Das wäre schlimm, man hat eben nicht die Zeit, solch einem Klüngler stets und überall auf die Finger zu passen. Tussy, Aveling, Thorne und andre von den Gasworkers1671, Sanders (John Burns* Sekretär) und diverse andre Engländer von unsrer Seite gehn nach Brüssel. Wie's mit den alten Trades Unions steht, weiß ich nicht.
1 Stanislaw Padlewski - 2 vgl. vorl. Band, S. 136
Die Dockers sind am Kaputtgehn. Ihr Strike war gewonnen einzig und allein durch die blindbegeisterten £ 30 000 von Australien, sie glauben aber, sie selbst hätten's getan.11031 Daher machten sie Fehler über Fehler - zuletzt den, die Listen zu schließen, keine neuen Mitglieder mehr aufzunehmen, also selbst ihre eignen scabs3 zu züchten. Dann weigerten sie den Gasworkers ein Kartell. Viele sind Dockers im Sommer, Gasworkers im Winter - die Gasworkers schlugen vor, das Ticket als Mitglied der einen Union solle für beide gelten bei dieser abwechselnden Beschäftigung - abgeschlagen! Bis jetzt haben die Gasworkers das Ticket der Dockers trotzdem respektiert - wie lange noch, ist nicht zu sagen. Dann schreien die Dockers gegen Einwanderung von foreign paupers (russischen Juden). Von ihren Führern ist Tom Mann brav, aber grenzenlos schwach und durch seine Ernennung zum Mitglied der Royal Commission on Labour halb verrückt gemacht; Ben Tillett ein ehrgeiziger Intrigant, Gelder sind keine vorhanden, Mitglieder fallen haufenweis ab, Disziplin ist verschwunden. Aus Petersburg schrieb man mir vor einer Woche: We are on the eve of a famine.4 Bestätigt gestern durch das Ausfuhrverbot von Korn aus Rußland. Das sichert uns erstens den Frieden auf ein Jahr; mit Hungersnot im Land wird der Zar wohl säbelrasseln, aber nicht losschlagen. Wenn aber nächstes Jahr Gladstone hier ans Ruder kommt, was wahrscheinlich, wird versucht werden, England und Frankreich zu bewegen, die Schließung der Dardanellen gegen alle Flotten, auch im Krieg, zu bewilligen, d.h. dem Sultan zu verbieten, sich gegen die Russen Hülfe zu holen. Das ist also das nächste Stück orientalische Frage. Zweitens aber bedeutet das Verbot der russischen Kornausfuhr die Übertragung der Hungersnot ins roggenessende Deutschland; nur Rußland kann das kolossale Roggendefizit in Deutschland decken. Das heißt aber kompletter Zusammenbruch der Kornzollpolitik in Deutschland; und das bedeutet eine unabsehbare Reihe politischer Erschütterungen. Z.B. der Latifundienadel verzichtet nicht auf seine Schutzzölle, ohne auch die Industriezölle der Bourgeois ins Wackeln zu bringen. Die Schutzzollparteien verlieren Kredit, die ganze Situation verschiebt sich. Und unsre Partei wächst riesig- diese Mißernte bringt uns um fünf Jahre vorwärts, abgesehn davon, daß sie den Krieg verhindert, der hundertmal mehr Opfer kosten würde. Diese beiden Gesichtspunkte werden nach meiner Ansicht die europäische Politik zunächst beherrschen, und wenn Schlüter in der „V[olks
3 Streikbrecher - 4 Wir stehen am Vorabend einer Hungersnot.
zeitung]" darauf aufmerksam machen will, so wäre dies sehr nützlich. Sobald der Kongreß vorüber, werde ich sie in der europäischen Presse auch zur Sprache bringen. Nur kann ich natürlich nicht verantwortlich sein für das, was andre Leute dort aus diesen meinen Mitteilungen machen. Ich freue mich, daß Mount Desert Dir wie immer guttut. Auch mir bekommt die Luft am Wasser gut - nur ist das Wetter heuer in Europa so wacklig, daß man nichts Rechtes unternehmen kann. Gruß von Schorlemmer. Ich schließe den Brief noch nicht, morgen kann mehr zu schreiben sein.
11 .Aug. Das Kornausfuhrverbot in Rußland ist noch nicht offiziell, aber doch wohl sicher; die offizielle Proklamation wäre abzuwarten. In Ostpreußen waren 2 Reichstagswahlen - enormer Zuwachs unserer Stimmen/2031 Also die Landbezirke endlich eröffnet - cela marche!5 Da können wir mit Hülfe der Teurung bis 1900 was erleben, wenn wir nicht vorher kaputtgehn. Louise K[autsky] ist in Wien, geht mit Wiener Mandat nach Brüssel, bringt Adler mit nach London, vielleicht auch Bebel, dem ich nach der Schweiz geschrieben'521, aber noch keine Antwort. Tussys Bericht an den Brüsseler Kongreß im Namen der Gasworkers und andrer sehr gut, ich schicke ihn Dir.'2041 Tussy geht nach Brüssel mit Mandat des Dubliner Kongresses der Gasworkers und General Labourers11561, vertritt also 100000 Mann. Auch Aveling hat 3-4 Mandate. Wie's scheint, werden die alten Trades Unions schwach vertreten sein - um so besser diesmal! Grüße von Schorl[emmer] und mir an Deine Frau. Dein alter F. E.
6 es geht voranl
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
The Firs, Brading Road Ryde, 17. Aug. 91
Meine liebe Laura, Schorlemmer und ich sind noch hier11801 und warten auf gutes Wetter, das sehr lange auf sich warten läßt; ab und zu haben wir einen schönen Tag gehabt und konnten einen Ausflug wagen, aber im großen und ganzen wurde unser Unternehmungsgeist abgekühlt durch die herrliche Unsicherheit, die das Recht und das Klima Englands gemein haben; nicht wenige Male auch abgekühlt und sogar durchnäßt vom unvermeidlichen Regen. Jedenfalls können wir unserem Schicksal danken, daß unser Plan, diese Insel zu umfahren (nicht Wight, das wir zweimal umsegelt haben, sondern Großbritannien) im Keime erstickt wurde, denn wir hätten es ganz schön büßen müssen. So sind wir hier und bewundern die britische Flotte, die uns gegenüber vor Anker liegt, und erwarten die französische, die übermorgen eintreffen soll. Der arme Paul hat also begonnen, seine Strafe in Ste-Pelagie abzusitzen'2061 - ich hoffe, daß er nicht den Mut verliert! Es ist eine lange Zeit erzwungener Ruhe, aber - Frankreich, c'est l'imprevu1, und niemand weiß, was innerhalb eines Jahres geschehen wird. Ich fürchte, Du wirst Le Perreux ebenso einsam finden wie er Ste-Pelagie; nun, wir müssen Dich ab und an hier in London haben, was sich, wie ich annehme, ohne sehr große Schwierigkeiten machen läßt, denn Du wirst doch wohl nicht durch Deine Taubenund Hühnerzucht usw. usw. gebunden sein. Deshalb hoffe ich, daß Du es einrichten kannst, bald zu kommen, nachdem Du es Paul so bequem gemacht hast, wie die Umstände es erlauben. Unser russischer Freund2 schrieb mir vor etwa drei Wochen: „Wir stehen am Vorabend einer Hungersnot", und tatsächlich bestätigte sich diese Prophezeiung nur zu bald. Während die französischen Chauvinisten und russischen Panslawisten sich verbrüdern und einander Hurra zurufen'2061, macht diese Tatsache alle ihre Kundgebungen zunichte. Mit
1 da ist vieles möglich - 2 N. F. Danielson
10 Mare/Engel», Werke, Bd.38
einer Hungersnot im Lande kann der Zar nicht kämpfen. Das Äußerste, was er tun wird, ist, die gegenwärtige Stimmung der französischen Bourgeois für seine eigenen Ziele auszunutzen, indem er tobt und droht, doch er wird nicht losschlagen, und wenn die französischen Bourgeois zu weit gehen sollten, wird er sie sich selbst überlassen. Das gegenwärtige Ziel der russischen Regierung ist, daß die Dardanellen in Kriegszeiten für alle Flotten geschlossen werden. Der Zar wird die Franzosen dazu bringen, dieser Sache zuzustimmen, und wenn bei der nächsten allgemeinen Wahl Gladstone hier ans Ruder kommt, was wahrscheinlich, wird dem großen alten Russophilen ebenfalls seine Einwilligung abgeschmeichelt werden. Wenn den beiden großen Seemächten durch eine solche Vereinbarung Hände und Füße gebunden sind, ist der Zar Herr über Konstantinopel, das er jederzeit überrumpeln kann, und der Sultan ist nur des Zaren Statthalter am Bosporus. Das ist der Plan, für dessen Verwirklichung die bürgerliche Republik in Paris das Werkzeug des Zaren sein wird, und wenn sie so ihre Pflicht getan hat, kann sie seinetwegen zum Teufel gehen. Aus diesem Grund ließ sich der Zar herab, die „Marseillaise" anzuhören und den Vertretern einer Republik gefällig zu sein. Jedenfalls ist der Friede für dieses Jahr und den größten Teil des nächsten gesichert - wenn nicht einige Leute den Verstand verlieren. Das ist das Hauptergebnis der Hungersnot in Rußland. Doch es gibt noch andere. Es wird innere Erschütterungen in Rußland geben, und sie können zu einer Veränderung führen; es ist sogar wahrscheinlich, daß sie irgendeine Veränderung hervorrufen, etwas Bewegung in diesen Sumpf der Stagnation bringen; aber es kann auch sein, daß dies nicht nur le commencement de la fin, mais la fin elle-meme3 ist. In Deutschland scheint die Mißernte auch sicher zu sein, und dort werden die gegenwärtigen und im Zusammenhang mit der Hungersnot noch steigenden Preise den Zusammenbruch der Bismarckschen Finanzpolitik und der Schutzzölle herbeiführen. Auch dort wird das alte System in seinen Grundfesten erschüttert werden, und niemand kann sagen, wie weit das führen kann. Jedenfalls wird das unsere Reihen erneut riesig anwachsen lassen und uns helfen, die Landbezirke zu erobern, wo wir wunderbar an Boden gewinnen. In Ostpreußen, an der Grenze zu Rußland, gab es zwei Nachwahlen in ausgesprochenen Landbezirken, wo wir vor zwei Jahren zusammen etwa 4-500 Stimmen hatten; doch in diesem Jahr erhielten wir etwa 3000!12031 Und wenn wir die Landbezirke der sechs Ostprovinzen
3 der Anfang vom Ende, sondern das Ende selbst
Preußens bekommen (wo großer Grundbesitz und große Kultur vorherrschen) gehört die deutsche Armee uns. Nach dem „Standard" von heute sind weder Hyndman noch Brousse eingetroffen, und Allemane mußte sich der Possibilisten annehmen. Was also diese Opposition betrifft, sieht es für unsere Leute nach einem leichten Sieg aus. Ist diese Frage erst einmal erledigt, wird für den Kongreß'1071 nur wenig wirkliche Arbeit übrigbleiben, wenn sich nicht die verschiedenen Bestrebungen, die „Internationale" wiederherzustellen4, hervorwagen. Ich hoffe, daß das nicht geschieht, denn das würde neue Spaltungen hervorrufen und uns, wenigstens hier in England, auf Jahre hinaus zurückwerfen. Die Sache ist in jeder Hinsicht absurd, besonders solange es weder in Frankreich noch in England eine starke und einheitliche Partei gibt. Wenn das der Fall wäre und beide mit den Deutschen ein Herz und eine Seele wären, dann würde das Ziel ohne irgendwelche formale Vereinigung erreicht werden; die moralische Wirkung des gemeinsamen Handelns der drei großen westlichen Nationen würde genügen. Doch solange das nicht möglich ist, würden alle Versuche zur Wiederherstellung einer Internationale eine der kleinen Nationen, wahrscheinlich die Belgier, unverdient an die Spitze stellen und in Streitigkeiten enden. Tatsache ist, daß die Bewegung zu groß, zu gewaltig ist, um durch solche Fesseln eingeengt zu werden. Es besteht jedoch noch ein Verlangen nach dieser Restauration, und Bonnier war, als ich ihn letzthin sah, ganz davon erfüllt. Allerdings war er ziemlich perplex, als ich ihm meine Einwände mitteilte, und wußte nichts zu sagen aber wird das ihn und seine Freunde in Brüssel hindern? Am Donnerstag5 hoffe ich wieder in London zu sein; Adler wird für einige Tage von Brüssel kommen, vielleicht auch Bebel.'2071 Sobald ich über die Vorgänge in Brüssel informiert bin, werde ich Dir einen Brief für Paul schicken; inzwischen herzliche Grüße an Euch beide von Schorlemmer, den Pumpses und immer _ . Deinem F. Engels
Ich erhielt einen Brief von Tussy aus Brüssel, der aber vor der Sitzung am Sonntag geschrieben ist. Ich werde bis zur Aufgabe dieses Briefes, d.h. bis zum 18. Aug. 11 Uhr morgens, nichts über das erfahren, was sich inzwischen ereignet hat. Aus dem Englischen.
* vgl. vorl. Band, S. 139 - 6 20.August
10*
68 Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg London, 2. Sept. 1891 Werter Herr, Heute retourniere ich Ihnen sechs weitere Briefe, die alles bis zum Ende 1878 umfassen - der Rest folgt/208' Ihre Prophezeiung über die Hungersnot hat sich nur zu bald bewahrheitet, und wir hier in England werden auch schwer darunter zu leiden haben. Die Ernte schien im ganzen ausgezeichnet, als vor ungefähr 10 Tagen ein furchtbares Wetter einsetzte - der Getreideschnitt im Süden Englands hatte gerade begonnen - und furchtbaren Schaden an geschnittenem und ungeschnittenem Getreide anrichtete, 20 bis 30 Prozent der Ernte sollen schwer beschädigt, wenn nicht ruiniert sein. Nur einen Vorteil hat dieses Unglück: es wird für die nächsten 20 Monate einen Krieg unmöglich machen, und das ist bei dem augenblicklichen Stand der allgemeinen Rüstung und bei dem gegenseitigen Mißtrauen ein Segen. Gestatten Sie mir, bei anderer Gelegenheit auf Ihre sehr interessante Mitteilung vom l.Mai zurückzukommen.12091 Heute stehe ich vor einer Reise[210!, und der Hauptzweck dieses Briefes ist, Sie zu bitten, in Zukunft alle Ihre Briefe an Frau Kautsky, 122, Regent's Park Road, N.W. London, zu adressieren. Die Briefe werden mir ungeöffnet ausgehändigt, ein zweiter Umschlag (enveloppe) ist daher unnötig. Tatsächlich werde ich so oft von London abwesend sein, daß ich fürchte, die auf übliche Weise adressierten Briefe könnten verlorengehen; ich müßte der Intelligenz und Pünktlichkeit der Dienstboten vertrauen. Meine Gesundheit ist im allgemeinen ausgezeichnet; aber ich brauche einmal im Jahr einen Urlaub von ungefähr acht Wochen und eine beträchtliche Luftveränderung. Eine Seereise ist für mich immer das beste Heilmittel. Wenn ich so gesund bleibe, wie ich in einem Monat zu sein hoffe, gehe ich sofort an den 3. Bd.1, er muß beendet werden. Aber ich mache besser keine Versprechungen hinsichtlich des Termins. Ihr sehr ergebener P.W.Rosherl2ni Au s dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 2. Sept. 91
Lieber Sorge, Deinen Brief wegen Frau Schlüter] habe ich Louise Kfautsky] mitgeteilt, die absolut zuverlässig ist und die Verhältnisse kennt. Sie ist der Ansicht, daß dies ein reiner Schreckschuß von Frau Schlüter] ist und daß, wenn Schlüter] sich nicht einschüchtern läßt, sie schon wiederkommen wird. Sie glaubt auch nicht, daß Dritte nötig waren, um sie zu einem solchen Entschluß zu treiben. Sie hat dies schon in Zürich mehrmals so gemacht - oder ähnlich. Allerdings hat Schlüter] ihr durch wiederholte Untreue Anlaß zu Rebellion gegeben, aber sie verzeiht ihm regelmäßig wieder und reitet damit nur diejenigen hinein, die ihren Zorn und ihre großen Worte ernst genommen haben. Louise ist die letzte, die in diesem Fall für Schlüter] auftreten oder ihn nur entschuldigen würde - sie und wir alle wissen genau, was wir in derlei Dingen von ihm zu halten haben -, sein Schwanz läuft regelmäßig mit ihm davon. Aber seine Frau droht immer mit Trennung, und im entscheidenden Augenblick sinkt sie ihm doch wieder in die Arme - und da ist für Dritte nichts zu machen. Bernsteins kommen heut wieder von Eastbourne. Sanial und Mac-Vey sind hier, werden mich morgen besuchen. Ich war 4 Wochen in Ryde11801 bei Pumps mit Schorljemmer], der aber wieder nach Manchester ist. Er wird bei jeder Erkältung stark taub, und da ist nichts mit ihm anzufangen, sonst fehlt ihm nichts. Mir geht's gut, ich muß aber noch etwas heraus, um mich ganz wieder auf den Damm zu bringen. Adler von Wien und Bebel waren 3 Tage hier12071, sehr fidel und zufrieden mit dem Kongreß11071. Ich habe Dir einen Haufen Dokumente geschickt, auch die „Weekly Disp[atch]" mit einem Interview Liebk[necht]s in Paris durch Mutter Crawford[2121. Dies Interview wird Skandal machen; L[ie]bk[necht] hat jedenfalls starken Blödsinn gesprochen. Nach allem, was ich höre, ist er ganz mager geworden! sieht schlecht aus und scheint mit allen zerfallen, hielt sich in Brüssel ganz apart von Deutschen und Ostreichern. Andrerseits sind die Besten unsrer Leute erstaunt über den Gegensatz, in dem er
sich auf fast allen Punkten mit der Masse der Partei befindet. Er hat den „Vorwärts" ganz miserabel redigiert, nichts getan, hat Geiser Leitartikel drin schreiben lassen, hat die sonderbarsten Ansichten vertreten, kurz, es bereitet sich da eine Katastrophe vor, die durch jenes Interview beschleunigt werden dürfte. Der alte Streit mit den Broussisten etc. ist verschwunden, die Broussisten waren in Brüssel gar nicht vertreten, Hyndman wagte auch nicht zu kommen, die Leute, die er schickte, zankten und blamierten sich, jetzt sucht er Stütze in dem toll gewordnen Nieuwenhuis, aber es geht zu Ende. Die Marxisten haben nach Prinzip wie nach Taktik auf der ganzen Linie gesiegt, es wird noch im stillen geklüngelt werden, und man wird mich, Avelings etc. in „Justice" hoffentlich nach wie vor angreifen, aber öffentliche Opposition gegen uns als Masse gibt's nicht mehr. Der Kongreßbericht der „V[olks-]Tribüne" ist der ausführlichste.12131 Von Neuauflage von „Ursprung der Familie etc."1761 habe ich schon 6 Bogen Korrektur gelesen. Außer der neuen Einleitung11661 kommen starke Zusätze in Kap.21 („Familie") und später auch noch einige. Der Brüsseler Kongreß hat die Haager Beschlüsse12141 nochmals ratifiziert, indem er die Anarchisten abermals hinauswarf. Das sollte dort in der Presse hervorgehoben werden. Andrerseits hat er den englischen Trades Unions das Tor weit geöffnet, in das die bessern unter ihnen nun wohl bald hereinspazieren werden. Dies sind die beiden wichtigsten Beschlüsse. Gottvoll, daß die Engländer jetzt die reaktionärsten sind und man ihnen zulieb die Pointe verhüllen muß! Aber man kann's, denn es ist jetzt nur noch Frage von Monaten, höchstens 1-2 Jahren, bis sie kommen. Der nächste TradesUnions-Kongreß wird zwar versuchen, den Legal-Eight-Hours-Beschluß von Liverpool11221 umzustoßen, aber selbst wenn's gelingt - mit Hülfe der Textilarbeiter, die auf 10 Stunden schwören -, so wird das nur um so mehr schüren. Die Sache marschiert - da ist nichts mehr zu machen. Grüß Deine Frau herzlich. Dein F. E.
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Engels an Paul Lafargue in Paris12161
London, den 2. Sept. 1891
Mein lieber Lafargue, Da sind Sie also wieder in den geweihten und hochheiligen Gemäuern von Madame Pelagie12051 - in der citta dolente, fra la perduta gente12161 aber das wird, hoffe ich, nicht lange dauern, und vielleicht werden wir, bevor Ihr „Jahr" abgelaufen ist, dort Constans an Ihre Stelle setzen. Jedenfalls ist es sehr schade, daß Sie nicht nach Brüssel gehen konnten, bevor Sie sich erwischen ließen, das hätte einen großartigen Effekt gehabt. Aber wie dem auch sei, ich bin trotzdem mit dem Kongreß'1071 sehr zufrieden. Da ist zunächst der völlige Zusammenbruch der Brousse-Hyndman-Opposition; es war, als hätte diese niemals existiert und als wäre der Possibilistenkongreß von 188912171 ein bloßes Trugbild gewesen. Möge der Himmel es nicht zulassen, daß diese Herren unsere „Freunde" werden - dann würden sie ebenso lästig sein, wie sie uns als Feinde in der Vergangenheit belustigten. Dann der Ausschluß der Anarchisten. Wo die alte Internationale abbrach, grade da setzt die neue wieder ein. Das ist 19 Jahre später die klare und eindeutige Bestätigung der Haager Beschlüsse.12141 Andererseits hat er den englischen Trade-Unions das Tor weit geöffnet. Diese Maßnahme beweist, wie sehr man die Situation begriffen hatte. Und die Formulierungen, die die Trade-Unions an den Klassenkampf und die Abschaffung der Lohnarbeit gebunden haben, beweisen, daß keine Konzession von unserer Seite gemacht worden ist. Wir haben also allen Grund, zufrieden zu sein. Der Zwischenfall mit Nieuwenhuis12181 hat gezeigt, daß die europäischen Arbeiter die Zeit, in der hochtrabende Phrasen vorherrschten, endgültig überwunden haben und sich der Verantwortung bewußt sind, die sie tragen: Sie sind eine Klasse, die sich als Kampfpartei konstituiert hat, als Partei, die mit den Tatsachen rechnet. Und die Tatsachen nehmen eine mehr und mehr revolutionäre Wendung. In Rußland herrscht schon Hungersnot; in Deutschland wird sie in einigen Monaten einziehen; die anderen Länder werden weniger darunter

einer neuen freihändlerischen Mehrheit führen würde, die zur gegenwärtig gen Regierung in Opposition steht. Das bedeutet das wirkliche und definitive Ende der Bismarck-Ära und des innerpolitischen Stillstands (ich spreche hier nicht von unserer Partei, sondern von den „möglichen" Regierungsparteien); es wird Kampf geben zwischen dem grundbesitzenden Adel und der Bourgeoisie und zwischen der schutzzöllnerischen Bourgeoisie (ein Teil der Industriellen) und der freihändlerischen Bourgeoisie (der andere Teil der Industriellen und die Kaufleute); die Stabilität der Regierung und der Innenpolitik wird gebrochen werden, es wird endlich Bewegung, Kampf, Leben geben, und unsere Partei wird alle Früchte davon ernten; und wenn die Dinge diesen Lauf nehmen, wird unsere Partei um das Jahr 1898 (Bebel glaubt schon 1895) zur Macht kommen können. So ist die Lage! Ich spreche nicht von den anderen Ländern, weil die Agrarkrise sie nicht so direkt berührt. Und wenn diese Agrarkrise hier in England die akute Industriekrise auslösen würde, die wir seit 25 Jahren erwarten..., dann! In einer Viertelstunde gehen wir nach Highgate, um auf Marx' Grab den Efeuzweig zu pflanzen, den Motteier vor drei Jahren vom Grabe Ulrich von Huttens (auf der Insel Ufenau, Züricher See) mitgebracht hat und der auf meinem Balkon wunderbar gewachsen ist. Ich habe einige Tage Bebel und Adler aus Wien hiergehabt12071, sie sind mit dem Kongreß sehr zufrieden. Amüsieren Sie sich gut und nutzen Sie die Gelegenheit, die Ihnen geboten wird, um sich auf die Arbeit zu „konzentrieren", wie ein Berliner Journalist gesagt hat, den man 1841 ins Gefängnis warf. Grüße von Ihrem F. E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
Helensburgh, Schottland, 14./9./91
Lieber Sorge, Ich bin hier auf einer Spritztour12101 mit Pumps und Louise Kautsky, wir sind seit 8 Tagen entweder im Hochgebirg oder auf dem Wasser, und das bekommt mir vortrefflich. In 8 Tagen sind wir wieder zu Hause. Den Schlüters ist nicht zu helfen. Er kann die Seitensprünge nach allerhand Schürzen nicht lassen, und sie kann das Versöhnen und Verzeihen nicht lassen, nachdem sie die Krisis scheinbar aufs Äußerste getrieben. Bleibt sie aber diesmal dennoch in Deutschland - was ich nicht recht glaube -, so geschieht's infolge Zuredens von Leuten dort. Herr Ferdinand Gilles, ein Lumpazius-Literat, der von der Fortschrittspartei12191 zu uns hinübergetreten worden ist, den wir in Deutschland aber nicht haben wollten, hat sich in London mit Hyndman & Co. zusammengetan und hat auch noch im deutschen Kommunistischen Verein12201 eine Partei für sich. Der Mann ist uns aus sichrer, aber nicht angebbarer Quelle als Polizeispion denunziert, was auch seine sonst nicht erklärlichen Geldmittel erklärt (für eine hier von Louise Michel gegründete Schule zeichnet er sechs Pfund Jahresbeitrag). Der Kerl hat am Brüsseler Kongreß11071 die von Hyndman, Mutter Besant, ihrem Geliebten Herbert Burrows und andern im stillen verbreiteten Lügen über Aveling unter den Deutschen an den Mann bringen wollen: Aveling habe eine Frau und 3 Kinder im tiefsten Elend sitzenlassen, als er sich mit Tussy verheiratet, und sein Schwiegervater habe ihm den Schädel einschlagen wollen. (Nun hat Aveling sich vor über 8 Jahren von seiner Frau durch gegenseitige Übereinkunft getrennt, sie hat ihr Vermögen, das ihr über £ 500 jährlich einbringt, zurückgenommen, Kinder sind nie dagewesen, und der Schwiegervater war schon lange tot.) Da dies nicht zog, hat er die Lügen bei den Korrespondenten der Bourgeoisblätter unterbringen wollen, und das gelang natürlich. Die ganze Presse strotzte davon. In Brüssel konnte Aveling nichts machen, um der belgischen Polizei keinen Vorwand zur Störung des Kongresses zu geben. Aber nach London zurückgekehrt, legte er uns den
Rummel vor, und wir waren einstimmig seiner Ansicht, daß Gilles gehauen werden müsse. Nachdem ein Versuch, dies im deutschen Verein zu tun, vereitelt, ging Aveling vorigen Dienstag, 8. ds., mit Louise Kfautsky] als Zeugin - damit er nicht sich als von zwei Männern überwältigt herauslüge in sein Haus und gab ihm zwei herzhafte Faustschläge ins Gesicht. Das wird wohl etwas besser fruchten. Ob die Sache weitere Folgen gehabt, weiß ich nicht, da wir desselben Tags abreisten und keine Nachricht erhalten konnten. Aveling hat den Sachverhalt sofort an L[ie]bk[necht] zur Veröffentlichung im „Vorwärts" geschickt'2211, und so wird davon auch wohl in Amerika gesprochen werden. Von amerikanischen Delegierten sah ich Mac-Vey und Abraham Cahan, den Judenapostel, sie haben mir beide gut gefallen. Der Kongreß ist after all1 ein glänzender Sieg für uns - die Broussisten sind ganz weggeblieben, und die Hyndmanleute haben ihre Opposition in die Tasche gesteckt. Und am besten, daß sie die Anarchisten an die Luft gesetzt, ganz wie der Haager Kongreß.12141 Wo die alte Internationale abbrach, grade da setzt die neue, unendlich größere und deklariert marxistische, wieder an. Auch der Trades-Union-Kongreß in Newcastle ist ein Sieg.'2221 Die alten Unions, an der Spitze die Textilarbeiter, und die ganze Reaktionspartei unter den Arbeitern hatte alle Kräfte aufgeboten, den Achtstundenbeschluß von 1890 umzustoßen. Sie sind gescheitert, nur ein ganz kleines, momentanes Konzessiönchen haben sie errungen. Das ist entscheidend. Die Konfusion ist noch groß, aber die Geschichte ist unaufhaltsam im Fluß, und die Bourgeoisblätter erkennen die Niederlage der bürgerlichen Arbeiterpartei vollständig und mit Schrecken, Heulen und Zähneklappern an. Besonders die schottischen Liberalen, diese intelligentesten und klassischsten Bourgeois des Reichs, sind einstimmig in ihrem Geheul ob des großen Pechs und der rettungslosen Verkehrtheit der Arbeiter. Herzliche Grüße Dir und Deiner Frau. Dein F.E.
1 nach allem
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 28. Sept. 91
Lieber Kautsky, Grade wollte ich Dir heute schreiben wegen demProgramm-da kommt Dein Brief. Dein Programmentwurf ist weit besser als der offizielle, und ich höre mit Vergnügen, daß Bebel seine Annahme vorschlagen will. Ich werde ihn darin bestärken. Du hast den einen Fehler Deines ersten Entwurfs - die Länge beseitigt und den amtlichen an Kürze übertroffen. Doch möchte ich folgendes beantragen12231: 1.Abschnitt, S.785/86 „Neue Zeit", Absatz 2, Zeile 3: Wachstum des Produkts der menschlichen Arbeit, statt Ertrags. Marx hat darauf hingewiesen, wie zweideutig „Ertragder sowohl das Produkt selbst bedeuten kann wie seinen Wert oder gar die zufällige realisierte Preissumme. Ferner: Privateigentum an den Produktionsmitteln durchweg. Gemeint sind ja die sämtlichen gesellschaftlichen Produktionsmittel oder aber die eines bestimmten arbeitenden Individuums, Bauern oder Handwerkers -, jedesmal sehr bestimmte, also den Artikel erfordernde. Weglassung des Artikels verursacht Schwanken über den Sinn, wenigstens geht mir's so. 2.Abschnitt, ,,N[eue] Z[eit]", S.788, Absatz 1, ist etwas schwach redigiert. „Die unter den heutigen Zuständen leidet" ist gar zu matt. Zu sagen wäre, daß durch den Klassengegensatz auch die herrschenden Klassen intellektuell und moralisch verkrüppeln, und zwar noch mehr als die unterdrückte Klasse. Das redigiere Dir zurecht, wenn Du beistimmst. Ebenso ist der Schlußsatz matt, das Proletariat sei die einzige Klasse, deren Interesse usw. ... drängt. Ich würde etwa sagen: deren Befreiung ohne Vergesellschaftung der Produktionsmittel unmöglich ist oder Ähnliches. Absatz 2.... Sie kann ihre ökonomischen Kämpfe - und ihre Organisation als kämpfende Klasse nicht herstellen ohne politische Rechte (sie bedarf zu ihren ökonomischen Kämpfen und ihrer Organisation als kämpfende Klasse eines mit ihren Erfolgen wachsenden Maßes politischer Freiheit und Gleichberechtigung?) - der Rest wie im Text.
Dies kurze Andeutungen, zu mehr habe ich leider nicht Zeit, da ich überhäuft von allerlei Arbeit. Edes Artikel habe ich noch nicht einmal lesen können. In Deinem ersten Artikel machst Du auch ein bißchen in „Utopie". Wo ist das Land, wo und wann hat sich das ereignet, was Du auf S. 726 (gleichzeitig mit dieser Umwandlung ging eine andre vor sich) bis 730 beschreibst? Da scheint mir Zeit und Ort verschiedner Richtungen bequemlichkeitshalber stark durcheinandergeworfen. Doch das macht nichts, die große Masse Deiner Leser merkt's nicht und kann jeder das herausnehmen, was auf seinem Privatschädel die richtige Kappe ist. Dank für die Blätter. Es ist gut, daß die Partei stark genug ist, um L[ie]bk[necht]s Reden ohne Schaden passieren zu lassen - mit dem Blatt1, was wichtiger, wird ja nun auch bald eine Änderung vorgehn. Ich muß sagen, der Alte erstaunt mich auch durch den Grad, in dem er zurückgeblieben ist. Aber wir sind jetzt eine Macht, und da kann man so ein Erbstück schon mitschleppen und ihm die Freude gönnen, alles erledigt zu glauben, sobald er eine Phrase gefunden hat, die ihn über den jedesmaligen Fall beruhigt. Herr J.Wolf hat mir sein Machwerk auch zugeschickt. Ich hab's ungelesen in den Schrank gelegt, wo es ruhen sollte bis zur Vorrede zum 3.Band12241. Jetzt kommt der von Dir eingeschickte Brief aus Neumünster. Dieser lautet wörtlich: „Zürich, 20.Sept. 91. Hochgeehrter Herr! Im neuesten Heft der Conradschen Jahrbücher für N[ational]ö[konomie] und Statistik' erfrecht sich der Brünner Jude Wolf, Professor am Polytechnikum hier, Sie zu beschuldigen, Sie hätten Marx' Wertlehre mißverstanden und wollten darum den 3.Band unterschlagen. Werden Sie ihn ohrfeigen? Ein Verehrer." Dieses nun zwar nicht, aber ich werde den Schund doch ansehn müssen. Daß C.Schmidts Lösung nicht die Marxsche ist, habe ich ihm gleich geschrieben, aber es sind in dem Buch sonst so vortreffliche Sachen, daß ich es für das Bedeutendste halte, was seitM[arx's] Tod ökonomisch geleistet.12251 Indes geht's jetzt, sobald ich die laufenden Geschäfte erledigt, schonungslos an den 3. Band, und alles andre fliegt beiseite. C. Schmidt war in Berlin, hat während der Ferien den „Vorwärts" recht gut redigiert, wird wohl jetzt in Zürich seine gegen die Professoren durch Stößel durchgesetzte Privatdozentschaft antreten. Du hast recht, zum Kongreß12261 zu gehn. Die Leute werden viel an der „N[euen] Z[eit]" auszusetzen haben, das ist nun einmal so. Du solltest alles
1 „Vorwärts"
anKören, möglichst wenig antworten und nachher Deinen eignen Weg gehn. Solange Bebel an der Spitze, wird alles schon wieder ins Gleise kommen. Die Gillesiade2 werden wir hier gehörig ausnutzen. Hyndman & Co., die ihre ganze großangelegte internationale Intrige mit den Possibilisten so jämmerlich haben scheitern sehn, sind natürlich wütend und stehn hinter der ganzen Geschichte. Etwas Besseres konnte uns natürlich nicht passieren, als daß sie sich mit Gilles identifizieren - sie schwenken leider schon ab. Du weißt, die Courage ist nicht die starke Seite einiger dieser Herren, und Ohrfeigen schmecken nicht süß. Gruß von Louise. Dein F.E.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 29. Sept. 9!
Lieber August, Dein Russenartikel im ,,V[orwärts]" hat uns allen sehr gefallen1227', er wird sehr gute Wirkung tun. Über den Punkt, daß Kriegsgefahr droht, und zwar speziell von Rußland her, und daß, wenn sie sich verwirklicht, mit aller Macht auf Niederwerfung Rußlands grade von uns und in unserm eignen Interesse hinzuwirken ist, darüber sind wir einig. Der Differenzpunkt ist, daß Du glaubst, die Russen wollen Krieg, und ich, sie wollen nur drohen, ohne die positive Absicht des Losschlagens, aber in gleichzeitiger Erkenntnis, daß es doch auch zum Losschlagen kommen kann. Ich habe die Methoden und Gewohnheiten der russischen Diplomatie in der gleichzeitigen und vergangnen Geschichte jahrelang studiert und weiß, daß ein Krieg für sie stets eine diplomatische Niederlage bedeutet, insofern als er stets etwas von ihr nicht gewolltes ist. Denn erstens sind diplomatische Einschüchterungserfolge billiger und sichrer, und zweitens beweist jeder neue Krieg nur, wie relativ schwach zu Eroberungszwecken die russische Armee ist. Die Militärs schneiden in Rußland mit ihrer Kriegsbereitschaft so enorm auf, daß selbst nach Abzug von 30% Diskonto die Diplomatie noch immer die Leistungsfähigkeit der Armee zu hoch anschlägt. Von allen Faktoren, die sie in Rechnung zu ziehn hat, ist die eigne Armee der allerunberechenbarste. Nur wo andre Leute ihre Schlachten zu schlagen haben (1813-14), da geht die russische Diplomatie willig in den Krieg. Kommt Gladstone hier ans Ruder, so hat die russische Diplomatie die günstigste Lage, die sie auf Jahrzehnte hinaus erwarten darf. Frankreich als aktiven Verbündeten, England wohlwollend neutral - das ist schon sehr viel. Daß dann die Russen den Bogen straff anspannen werden, davon bin ich sicher. Aber wenn er wirklich losgeht, geschieht's gegen ihre Absicht. Daß die Anleihe1228' eine eventuelle Kriegsanleihe, das ist absolut sicher. Das ist aber nur ein Zeichen, daß die Herren sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Alle andren Zeichen, die Du anführst - Roggenausfuhrverbot,
Landungsexperimente im Schwarzen Meer etc. —, beweisen für mich nur dasselbe. Die Berechnung ist, daß Europa, speziell der Dreibund[2291, im entscheidenden Moment einen Krieg mehr fürchten wird, als das unangreifbare Rußland dies nötig hat; daß Rußland dann einen Vorteil im Orient einsackt und die französischen Chauvins die Geprellten sind. Du meinst, wegen innerer Schwierigkeiten müsse Rußland losschlagen. Das glaube ich nicht - wenigstens nicht in dem Sinn, wie Du es wahrscheinlich verstehst. In Rußland leiden drei Klassen: der grundbesitzende Adel, der Bauer, das entstehende Proletariat. Letzteres ist noch, ersterer ist schon zu schwach zu einer Revolution, und der Bauer bringt's nur zu unfruchtbaren Lokalaufständen, solange nicht der siegreiche Aufstand der städtischen Zentren diesen Aufständen den fehlenden Zusammenhang und Halt gibt. Dagegen floriert die junge Bourgeoisie wie nirgendwo anders; sie rückt allmählich dem Punkt entgegen, wo sie mit der Bürokratie in Konflikt kommen muß, aber das kann noch Jahre dauern. Die russische Bourgeoisie ist entstanden aus Schnapspächtern und staatsplündernden Armeelieferanten, ist, was sie ist, durch den Staat - Schutzzölle, Subventionen, Staatsberaubung, Erlaubnis und Staatsschutz zur drückendsten Arbeiterausbeutung. Da muß es hart kommen, bis diese, die unsrige an Niedertracht noch weit übertreffende Bourgeoisie am Zarentum rüttelt. Wenn Rücksicht auf diese Bourgeoisie einen Krieg begünstigt, so nur, weil sie den Panslawismus ins Materialistische übersetzt oder vielmehr seine materielle Grundlage entdeckt hat: Vergrößerung des innern Markts durch Annexionen. Daher der slawophile Fanatismus, daher der wilde Deutschenhaß - bis vor 20 Jahren war ja Handel und Industrie Rußlands fast ausschließlich in deutschen Händen! -, daher die Jüdenhetze. Diese hundsgemeine und unwissende, nicht über ihre Nase hinaussehende Bourgeoisie allerdings wünscht den Krieg und hetzt dazu in der Presse. Aber aus Furcht vor einer Revolution im Innern braucht heute kein Zar Krieg anzufangen. Das galt in den 70er Jahren, wo der verkommende Adel in den Semstwos zur Erkenntnis seiner überall gleichen Lage und Verstimmung kam. Jetzt ist dieser Adel zu sehr herunter, wird von den Bourgeois aus seinem Grundbesitz ausgekauft, ist schon der Geldmacht der Bourgeoisie zu sehr verfallen und diese letztere bildet den neuen Schutzwall des Zarismus grade in den Hauptstädten, wo allein Gefahr drohen könnte. Und eine Palastrevolution oder ein geglücktes Attentat könnte heute nur die Bourgeoisie an die Herrschaft bringen, einerlei von wem der Streich gemacht. Diese Bourgeoisie allerdings wäre imstande, sich noch eher in den Krieg zu stürzen als selbst der Zar.
Doch das ist Nebensache. Die Kriegsgefahr sehn wir beide, und trotz der Hungersnot in Rußland, die Du entschieden unterschätzest, kann den Regierenden der Zügel entgleiten, und auf diesen Fall müssen auch wir vorbereitet sein. Ich werde sehn, was in Frankreich zu machen ist, die Leute müssen auf verschiednes aufmerksam gemacht werden, das muß aber von Franzosen selbst geschehn. Die Leute müssen einsehn, daß ein Krieg gegen Deutschland im Bund mit Rußland vor allem auch ein Krieg gegen die stärkste und schlagfertigste sozialistische Partei in Europa ist und daß uns nichts übrigbleibt, als mit aller Macht auf jeden Angreifer, der Rußland hilft, loszuschlagen. Denn entweder unterliegen wir, und dann ist die sozialistische Bewegung in Europa auf 20 Jahre kaputt, oder wir kommen selbst ans Ruder, und dann gilt von den Franzosen, was die „Marseillaise" sagt: Quoi, ces cohortes etrangeres feraient la loi dans nos foyers?1 Das jetzige System in Deutschland überlebt den Krieg keinenfalls, dazu braucht die Verteidigung zu gewaltige Anstrengungen, zu revolutionäre Mittel. Du hast recht, kommt's zum Krieg, so müssen wir allgemeine Volksbewaffnung fordern. Aber im Anschluß an die bereits bestehende resp. für den Kriegsfall vorbereitete Organisation. Also Einreihung der bisher Ungeübten in Ersatzreserve'2301 und Landsturm12311 und vor allem sofortige notdürftige Einübung neben der Bewaffnung und Einreihung in feste Cadres. Die Proklamation an die Franzosen wird in der Form etwas anders ausfallen müssen.'2321 So dumm sind die russischen Diplomaten nicht, daß sie den Krieg vor ganz Europa provozieren werden. Im Gegenteil, es wird so operiert werden, daß entweder Frankreich der provozierende Teil scheint oder aber - ein Dreibundsland. Dergleichen casus belli haben die Russen immer dutzendweise in der Mappe; was darauf speziell zu antworten, hängt von dem vorgebrachten Kriegsvorwand ab. Jedenfalls müssen wir erklären, daß wir seit 1871 stets bereit waren zu friedlicher Verständigung mit Frankreich, daß, sobald unsre Partei zur Herrschaft kommt, sie diese Herrschaft nicht ausüben kann, ohne daß Elsaß-Lothringen frei über seine Zukunft entscheidet; daß wir aber, wenn uns Krieg aufgezwungen wird, und zwar Krieg im Bund mit Rußland, darin einen Angriff auf unsre Existenz sehn und uns mit allen Mitteln verteidigen müssen, alle Positionen benutzen, die uns zu Gebot stehn, also auch Metz und Straßburg. Was die Kriegführung selbst angeht, so sind zwei Gesichtspunkte zunächst entscheidend: Rußland ist schwach im Angriff, aber enorm stark in der Verteidigung, Stoß ins Herz ist unmöglich. Frankreich ist stark im
I Wie, soll dies fremde Heer uns schnöde Gewalt antun am eignen Herd?
II Manc/Engeli, Werke, Bd. 38
Angriff, aber nach ein paar Niederlagen zum Angriff unfähig gemacht, ungefährlich. Da ich auf Ostreicher als Feldherrn und Italiener als Soldaten nicht viel gebe, wird unsre Armee den Hauptstoß zu führen und auszuhalten haben. Zurückhaltung der Russen, aber Niederwerfung der Franzosen, damit wird der Krieg anzufangen haben. Ist die französische Offensive unschädlich gemacht, kann's an die Eroberung Polens bis an Dwina und Dnepr gehn, eher schwerlich. Diese muß mit revolutionären Mitteln und wenn nötig unter Aufgabe eines Stücks Preußisch-Polen und ganz Galiziens an das herzustellende Polen durchgeführt werden. Geht das gut, so wird in Frankreich wohl ein Umschlag erfolgen. Wir müssen gleichzeitig darauf dringen, daß den Franzosen mindestens Metz und Lothringen als Friedensgabe offeriert wird. Wahrscheinlich aber geht's nicht so gut. Die Franzosen werden sich nicht so einfach niederwerfen lassen, ihre Armee ist sehr gut und besser bewaffnet als die unsre, und was bei uns an Feldherrntum geleistet wird, sieht mir auch nicht aus, als würde dabei viel herauskommen. Daß die Franzosen das Mobilmachen gelernt haben, hat sich diesen Sommer gezeigt. Daß sie Offiziere genug haben für die erste Feldarmee - die stärker ist als die unsrige - ebenfalls. Erst bei den später in Linie rückenden Truppen wird sich unsre Überlegenheit an Offizieren bewähren. Dabei ist der direkte Weg zwischen Berlin und Paris beiderseitig stark durch Festungen verteidigt. Kurz, im günstigsten Fall wird's wahrscheinlich zu einem wechselvollen Kampf kommen, der unter Herbeiziehung stets neuer Verstärkung von beiden Seiten geführt wird, bis zur Erschöpfung eines Teils oder - zur aktiven Einmischung Englands, das den Teil, gegen den es sich entscheidet, Deutschland oder Frankreich, unter den dann gegebnen Bedingungen aushungern und zum Frieden zwingen kann durch einfache Verhindrung der Kornzufuhr. Was unterdes an der russischen Grenze geschieht, hängt großenteils von der Kriegführung der Östreicher ab, ist also unberechenbar. Soviel scheint mir sicher: Werden wir geschlagen, so ist dem Chauvinismus und Revanchekrieg in Europa Tür und Tor geöffnet auf Jahre hinaus. Siegen wir, so kommt unsre Partei ans Ruder. Der Sieg Deutschlands ist also der Sieg der Revolution, und wir müssen ihn, kommt's zum Krieg, nicht nur wünschen, sondern mit allen Mitteln befördern. Edes Artikel[233] sollte eine Antwort an Vollmar11^51 sein und wäre als solche ganz am Platz gewesen. Statt dessen zappelt der gute Ede so lange, bis er als Antwort auf die Kronstadter Verbrüderung(206] kommt, wo er natürlich absolut unpassend ist und ganz andre Gesichtspunkte hervorzuheben waren. Daß, wenn Frankreich formell die Revolution gegenüber Deutsch
land vertritt, Deutschland durch seine Arbeiterpartei materiell an der Spitze der Revolution steht und daß dies beim Krieg ans Tageslicht kommen muß indem wir und mit uns die Revolution entweder erdrückt werden oder aber ans Ruder kommen -, das mußte da unbedingt gesagt werden. Apropos. Ich höre, Du willst auf dem Parteitag K. K[autsky]s Prinzipienerklärung1223' als Programm befürworten. Auch ich halte sie in der jetzigen Fassung („Neue Zeit" Nr.51) für weit besser als unsern Entwurf[184i. Nur an dem auf S.788 abgedruckten Stück habe ich ihm einige Stellen zur Änderung empfohlen.2 Er hat offenbar viel und mit Erfolg darüber nachgedacht. Edes Artikel über die Einzelforderungen habe ich noch nicht lesen können. Wegen Leibfried-Cuno12341 in meinem Nächsten - bald.
Gruß von Louise und Deinem F.E.
1. Oktober Das Vorstehende sollte heut abgehn, da kommt Dein Brief vom 29. Den Brief, der im ,,Soc[ialiste]" von mir erschien3, hast Du hoffentlich im Original gelesen, die „Vorwärts"-Übersetzung ist schauerlich und stellenweise reiner Blödsinn. Wo zum Henker findet L[ie]bk[necht] solche grauenvolle Übersetzer? - Daß die Zeit herannaht, wo wir die Majorität in Deutschland sind, oder doch die einzige Partei, die stark genug, das Ruder zu führen - falls Friede bleibt -, das ist doch handgreiflich. Und eben deswegen wünsche ich nicht, daß dieser stetige Entwicklungsprozeß unterbrochen werde durch eine Krise, die ihn allerdings um 2-3 Jahre abkürzen, aber auch ebensogut um 10-20 Jahre verlängern kann. Was meine Bemerkungen über Eure allzugroße Rücksichtnahme auf das Urteil der Gegner angeht, so bist Du allein schuld daran; in Deinem Brief heißt es von wegen Edes Note12351: „Die Gegner fallen denn auch schon über die Schrift ah eine Lassalle tendenziös feindlich gehaltene her." Wenn man bei Euch dies Argument mit den Gegnern bei jeder Gelegenheit regelmäßig wieder hören muß, findet man sich endlich zu der Glosse veranlaßt, die Gegner können uns auf den Kopf blasen. Im übrigen haben M[arx] und ich schon 1843 gesagt: was haben wir für eine Dummheit begangen, daß die Gegner uns loben? also ganz wie Du.
a siehe vorl. Band, S. 156 - 3 „Über den Brüsseler Kongreß und die Lage in Europa" (siehe vorl. Band, S. 151-153)
Den Geiser müßt Ihr unter allen Umständen vom „Vorw[ärts]" fernhalten. Der Mann hat ja in St. Gallen ein solennes Mißtrauensvotum'1631 bekommen, der darf doch nicht redigieren! Auch Bios ist ein Angstmeier und dazu langweilig. - Weis den sechsten Leitartikel durch L[ie]bk[necht] angeht'2361, so wird Euch der wenig Kummer machen; ich wette, nach 3 Wochen geht ihm der Leitartikelwind aus, und er wird wieder sagen wie 1866 in Leipzig: man müsse kein Verständnis für die Zeit haben, wenn man meine, jetzt sei die Zeit, Leitartikel zu schreiben. Das Wiener „Arbeiterinnenblatt"4 wird wahrscheinlich bei Euren Frauenblattsfrauen viel Ärgernis erregen. Diese sind alle noch stark angeschackt'2371 und wollen etwas besonderes Frauenbewegerisches, nicht die eine weibliche Seite der Arbeiterbewegung allein. Dieser letztere Standpunkt wird aber im Wiener Blatt mit der größten Energie vertreten, und wenn die Frauen bei uns sich so gut anlassen, wie Du sagst, wird die aparte Frauenrechtlerei - eine reine Bourgeoisspielerei - bald in den Hintergrund gedrängt werden. Wenn dann die jetzigen Wortführerinnen von ihrem eignen Geschlecht beiseite geschoben werden, ist's kein Schade, aber dem Wiener Blatt verbleibt der Ruhm, von allen Frauenblättern diesen Standpunkt zuerst eingenommen und verteidigt zu haben. Mit Eurer Nichtaufnahme von Avelings Erklärung gegen Gilles habt Ihr wieder einmal bewiesen, daß in jedem Deutschen der Bürokrat steckt, der hervortritt, sowie er irgendein Ämtchen bekleidet. Aveling findet es mit seiner Ehre unvereinbar, daß Gilles' Behauptung, ihn, A[veling], ebenfalls körperlich gezüchtigt zu haben, unwidersprochen durch die deutsche Presse geht. Er läßt sich den Tatbestand durch Louise bescheinigen, und beide unterzeichnen die Sache mit ihrem Namen. In jedem andern Land der Welt wird man sagen: dies ist eine Sache, in der die Betreffenden selbst wissen müssen, was sie zu tun haben; ich, der Redakteur, kann ihre Handlungsweise mißbilligen, aber muß ihr Recht anerkennen, ihre eigne Sache nach Gutdünken zu vertreten. Bei Euch dagegen setzt die Redaktion sich als Zensor ein, weiß das ein für allemal besser und verbietet ihnen, ihren eignen Prozeß zu führen. Die Redaktion hat das Recht, zu glauben, sie sei mit Gilles fertig, und ihrerseits ihn nicht weiter zu nennen, aber wenn Ameling] und L[ouise] in ihrem eignen Namen auftreten, so darf sie diesen Gesichtspunkt nicht anwenden, um dem Freund das Wort abzuschneiden. Beiläufig teile ich Eure sonstigen Bedenken keineswegs, ich habe sogar Louisens Erklärung aufgesetzt.
4 „Arbeiterinnen-Zeitung"
Der Gilles hat sodann wieder inl. Zettel erlassen. A[veling]s Antwort erhältst Du in ein paar Tagen. Die Geschichte wegen Bradlaugh war eine kolossale Dummheit von Afveling], aber in der Sache ist er unschuldig. Aveling War damals ein in Geldsachen und in politischen Verhandlungen absolut naiver, grüner, unglaublich dummer junger Poet. Bradlaugh wußte dies und beutete ihn aufs scheußlichste aus; sie gründeten eine naturwissenschaftliche Schule mit Laboratorium, wobei Br[adlaugh] das Geschäftliche übernahm und Aveling nicht nur alle Arbeit, sondern schließlich auch alle Geldverantwortlichkeit auflud. Als Aveling Sozialist wurde und Tussy heiratete, verlästerte ihn Bradlaugh, als habe er zweideutige Geldmanöver gemacht - Aveling war kolossal hereingefallen, aber total unschuldig, nur unbegreiflich dumm. Und als Brfadlaugh] dann dies Zirkular erließ, war Aveling dumm genug, nicht zu antworten und sogar dem Bradlaugh, der ihn obendrein bestohlen, noch an £ 200 allmählich abzuzahlen! Die Sache ist jetzt alt und Bradlaugh tot, und da Brfadlaugh] sich gehütet hat, bestimmte Anklagen zu formulieren, nichts zu machen, als daß Afveling] den Hergang öffentlich erzählt, wo sich Gelegenheit findet. Das wird sich finden, sobald Herr Hyndman, der ursprüngliche Aufwärmer dieses Kohls, A[veling]s Herausforderung annimmt, ihm öffentlich entgegenzutreten. - Auch die Geschichte mit dem Chicagoer Telegramm ist von A bis Z erfunden, rührt aber auch von Hyndman her. Unser Zweck ist nun, diesen zu fassen, denn Gilles ist nur sein Mundstück. Viele Grüße von Louise und mir an Deine Frau und Dich selbst. Dein F.E.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 30. Sept. 91
Lieber Sorge, Ich war mit Pumps und Louise K[autsky] 14 Tage in Schottland und Irland12101, habe seitdem Korrektur der Neuauflage von „Ursprung der Familie" besorgt, erledige jetzt Briefschulden und mache dann III.Band1 fertig. Inzwischen inl. Geschäftliches an Mutter Wischnewetzky, das Du hoffentlich ihr zukommen lassen kannst. Außergeschäftliches will ich natürlich nichts mit ihr zu tun haben. Aus Deinem Brief vom 15. sehe ich mit Bedauern, daß die Gicht Dich plagt. Da ist's allerdings gut, daß Du die stickstoffhaltige Nahrung beschränkst und die körperliche Bewegung vermehrst. Der Brüsseler Kongreß11071 ist doch besser abgelaufen, als Du denkst, von den Deutschen hat sich nur L[ie]bk[necht] plump betragen, aber er war von Nieuwenhuis in der gröbsten, pfäffisch-jesuitischsten Weise provoziert. Louise, die die Wiener Arbeiterinnen vertrat, sagt, diese gemeinen Angriffe und Insinuationen des N[ieuwenhuis] seien nicht zum Anhören gewesen. Auch der Trades-Union-Kongreß war ein Erfolg.12221 Die „Alten" hatten alles aufgeboten, den 8-Stunden-Beschluß von Liverpool umzustoßen, und daß es nur gelang, ein ganz kleines Eckchen abzubröckeln, ist ja schon eine Niederlage für sie und ihre Bourgeoisalliierten. Du hättest die liberalen Blätter lesen sollen, besonders die schottischen, wie die jammerten über die Verirrungen der dem Sozialismus verfallenden englischen Arbeiter. Das „People" ist nicht zum Ansehen. So ein albern zusammengekramtes Blatt ist mir lange nicht vorgekommen. Wer ist der Übersetzer meiner „Entwicklung"? Jonas?12381
Die Sendung an den „Socialiste" mache ich und berichte darüber später.2 Lafargue ist in Lille als Kandidat aufgestellt, und das gibt ihm das Recht, während der 5 Wochen periode electorale3 aus dem Gefängnis zu kommen und zu agitieren. Gewählt wird er schwerlich, aber seine Wahl im Departement du Nord bei allgemeiner Neuwahl ist ihm sicher.'2391 Gilles versucht, mit Hülfe von Hyndman noch fortwährend Dreck auf Aveling zu werfen, d®s ist aber eher ein Glück: erstens, weil er ein so kolossaler Lump ist, und zweitens, weil es uns mehr und mehr gelingen wird, den Hyndman ans Tageslicht zu ziehen. Nächste Post wieder allerlei. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich selbst. Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 2. Okt. 1891
Meine liebe Laura, Heute schickte ich Dir und Rave die Bogen 7 bis 12 (Schluß) vom „Ursprung"1 mit den rot gekennzeichneten Änderungen.1761 Ich hoffe, dies wird das Ende Deiner Mühe sein11041, für die ich Dir nicht genug danken kann. Möge Dich das Ergebnis in gewissem Grade für Deine Arbeit belohnen. Ich hoffe, daß Paul bereits in Freiheit ist, der Urlaub wird für ihn und für die Sache sehr nützlich sein12391; „le Nord"2 ist heiß, und das Eisen sollte geschmiedet werden, solange es heiß ist. Boulanger war so tot, daß er das Leben offensichtlich nicht länger ertragen konnte. Er starb, wie er gelebt hat - en homme entretenu3. Den Verlust seiner Geliebten, Mme. de Bonnemains hätte er vielleicht ertragen können, aber den Verlust ihres Vermögens (das nach Berichten der englischen Zeitungen nicht ihm hinterlassen wurde) - ah, c'etait autre chose!4 Niemand wird sich über dieses komische Ereignis mehr freuen als Rochefort; le brav* general5 war für ihn allmählich ein regelrechter Alpdruck geworden. Nun, meine liebe Laura, was im Namen all dessen, was heilig zu sein pflegt, soll ich für diesen „Almanach" schreiben12401, in dem, nach den Ankündigungen zu urteilen, ein wahres Sammelsurium6 von Männern, Prinzipien und Dingen vertreten sein wird? Über den Fortschritt des Sozialismus in Deutschland, ja, das ist ein ganzes Buch! Und andere interessante Themen? Die interessantesten und wichtigsten sind solche, die in der Darlegung eines Ausländers den französischen Lesern als eine Beleidigung erscheinen würden. Außerdem läßt Du mich in Unwissenheit darüber, wann das Ding gebraucht wird und wieviel Platz dafür zur Verfügung steht. Wie auch immer, ich bin so überlastet mit Arbeit, mit dringender Arbeit, daß ich nicht eine Zeile hätte schreiben können. Es ist also keine Zeit verloren. 1 In der Handschrift deutsch: „Ursprung" - 2 „der Norden" - 3 als ausgehaltener Mann 4 das war etwas anderes! - 5 der tapfere General - 6 in der Handschrift deutsch: Sammelsurium
Letzten Montag7 brachte Percy die Kinder herüber, und seitdem haben wir die ganze Familie hier. Lily ist gestürzt und hat sich den Rücken etwas verletzt, deshalb soll sie als Vorsichtsmaßnahme ein Korsett erhalten, und das wird noch einige Tage dauern. Percy reist heute ab. Louises Hyänen-Zeitung wird nicht vor dem 15. dieses Monats erscheinen'241'; Dein, Tussys und Louises Artikel werden unter den Frauenrechtlerinnen in Deutschland und Österreich eine Sensation hervorrufen, weil die wirkliche Frage niemals so direkt gestellt und beantwortet wurde, wie Ihr drei dies tut. Und sowohl Louise als Tussy erklären mir, daß sie einen heiligen Schrecken vor den deutschen (Berliner) Frauenrechtsweibern8 haben. Doch deren Herrschaft wird nicht mehr lange dauern. Bebel schreibt ganz begeistert über den Eifer, mit dem die arbeitenden Frauen in Deutschland sich jetzt in die Bewegung stürzen, und wenn das stimmt, werden die antiquierten halb-bürgerlichen Frauenrechts-Zlnesses9 bald in den Hintergrund gedrängt werden. Gilles gibt weiter Flugblätter gegen Edward heraus. Mehr darüber in ein oder zwei Tagen. Wir versuchen, den Hyndman ans Tageslicht zu ziehen, der Gilles als sein Werkzeug benutzt - und der hoffentlich nicht imstande sein wird, den Schmutz abzuwaschen, mit dem der schmutzige Gilles unfreiwillig den Mann besudelt hat, der ein solches Werkzeug benutzt. Liebe Grüße von Pumps und Louise Und den Kindern. Immer Dein F. E.
Aus dem Englischen.
[Nachschrift von Louise Kautsky]
Meine liebe Laura, Herzlichen Dank für Ihren Brief; wie general Ihnen schon mitteilte, erscheint unser „epochemachendes" Blatt erst am 15,/X., wahrscheinlich wegen der böhmischen Gerichtsverhandlung Victors. Wann bekomme ich wieder etwas, da ich annehme, daß Sie, liebe Laura, B sagen, wenn Sie mit A beginnen. Alles wird uns willkommen sein. Mit herzlichem Gruß an Sie und M.P. for LiUe.W Ihre Louise
7 28. September - 8 in der Handschrift deutsch: heiligen Schrecken vor den deutschen (Berliner) Frauenrechtsweibern -9 Eselinnen
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 6. Oktober 91
Lieber August, Hierbei das Nötige über den Fall Cuno-Leibfried.12341 Jetzt glaube ich aber, Ihr tätet gut, den armen Ede nicht mehr mit Briefen wegen des Lassalle zu bombardieren; er wird kolossal aufgeregt dadurch und so irre an dem, was einerseits Ihr verlangt und andrerseits er für seine Schuldigkeit hält, daß dergleichen nur die Sache schlimmer machen kann, und er zuletzt nur noch widerspruchsvolles Zeug zutage fördert.1801 Daß die Note12351 darinsteht, daran seid Ihr ebensoviel schuld als Ede, und wegen dieser einen lausigen Note seine ganze, sehr gute Arbeit verdammen, ist doch nicht recht. Ich habe ihm gesagt, er soll sich in der Sache nicht irremachen lassen, aber den samtnen Handschuh über der eisernen Faust anbehalten, und dann würdet Ihr ihm am Ende dankbar dafür sein, daß er den Lassalle so kritisiert hat. Denn das ist mir klar, wenn Ihr jetzt die Lassalleschen Sachen wieder lest, so werdet Ihr Euch selbst wundern über das, was darinsteht, und über den Glauben an den falschen Heros, den Ihr Euch während des Sozialistengesetzes im Umgang mit den Lassalleanern aus Höflichkeit angequält habt. Ich bin überzeugt, Ihr und auch eine ganze Menge von Leuten, die noch an der Lassalleschen Tradition hängen, wißt gar nicht mehr, was der Mann gesagt und geschrieben hat (und zwar großenteils wider beßres Wissen gesagt und geschrieben); und so wird die neue Lassalle-Ausgabe auch bei Euch eine recht nützliche Wirkung haben, wenn Ihr nur den Propheten selbst ebenso fleißig lest wie den Propheten-Kritiker. Lafargue ist noch nicht aus dem Gefängnis, aber wenn die Regierung ihn nicht freiläßt während der Wahlzeit, so wird er in Lille wahrscheinlich gewählt.12391 Die Aussichten sind gut, schon bei der letzten Wahl wäre Delory gewählt worden, wenn nicht der jetzt zersprengte Boulangismus eine Masse Arbeiterstimmen gekapert hätte. In Paris kann's leicht Ministerkrisis geben, Rouvier ist anrüchig, mehr als erlaubt, Constans ist nicht mehr nötig, seit Boulanger kaputt, und ist
dem Carnot verhaßt, weil er dessen Nachfolger werden will. Freycinet und Co. wollen ebenfalls den Rouvier und Constans loswerden, und so kann's leicht zum Bruch kommen, wenn am 15. die Kammer zusammentritt. Daß Dietz Euch mein Honorar gezahlt, habe ich mit Vergnügen gesehn. Louise läßt Dir sagen, daß die Photogramme angekommen, wir alle danken herzlich. Sie hat eins von den beiden gleichen genommen, ich das Profil. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F.E.
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Engels an Paul Lafargue in Paris
London, den 13. Okt. 1891
Mein lieber Lafargue, Warum haben Sie mich nicht gleich um den Scheck gebeten, als Sie ihn brauchten? Warum Laura diesen Demütigungen aussetzen, wenn Sie wissen, daß ein Wort von Ihnen - oder ihr - genügt, um das zu verhindern? Dieser werte Constans scheint Sie um jeden Preis zum Abgeordneten von Lille machen zu wollen.12051 Um so besser, hoffen wir, daß es ihm gelingt! Wenn Sie nur einem Opportunisten1431 gegenüberstehen, müssen Sie alle Chancen auf Erfolg haben. Es würde von größter Bedeutung sein, Sie in der Kammer zu wissen -, die anderen sozialistischen Deputierten sind anscheinend nicht up to snuff1 -, das ist flau, flau, flau! Sicherlich wird Constans sein Bestes tun, um Sie scheitern zu lassen aber in diesem Falle wird er für Sie arbeiten, wie Bismarck in Deutschland für uns gearbeitet hat. Denn bei uns arbeiten nicht die Sozialisten für den König von Preußen2, sondern der König von Preußen arbeitet für die Sozialisten. Und es könnte wohl sein, daß die Wut, in die Constans durch die Pfiffe und Spottrufe von Marseille12431 geriet, ein mächtiges Mittel ist, damit Sie gewählt werden. „Vor allen Dingen keinen Eifer"12441, monsieur Constans! Ich muß heute einen langen Brief an Bebel schreiben3 für den Erfurter Kongreß12261, es gibt mehrere sehr wichtige Fragen zu diskutieren. Deshalb breche ich meinen Brief ab. Bewahren Sie sich Ihre gute Stimmung, versuchen Sie immer, Ihren Gegnern mit Spott zu begegnen, put your trust in the historical luck of our party, and keep your powder dry4. Tausend Grüße von Louise und Ihrem alten F.E.
1 auf der Höhe - 2 Wilhelm II. - 3 siehe vorl. Band, S. 174-176 - 4 vertrauen Sie auf das historische Glück unserer Partei, und halten Sie Ihr Pulver trocken
Auch von Pumps und ihren Kindern, die noch hier sind; die Kleine5 braucht eine Stahlstütze für ihren Rücken (sie wächst zu schnell), und der Mechaniker zieht die Sache schon tagelang hinaus.
Aus dem Französischen.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 13. Okt. 91
Lieber August, Heute hab' ich nur Zeit, Dir wegen der Russen zu antworten, und das ist in der Tat das einzig Wichtige, der andre Kram ist abgetan.'2451 Was den möglichen Kriegsausbruch im Frühjahr betrifft, so sind da in Rußland drei Strömungen von Wichtigkeit. Die erste ist die Diplomatie. Von dieser behaupte ich nach wie vor, daß sie Erfolge ohne Kriegskosten und Kriegsrisikos sucht, aber eben deswegen, um die enorm günstige Verteidigungsstellung Rußlands bis aufs Äußerste ausnutzen zu können, alles zum Krieg vorbereitet. Das geschieht jedesmal; man kann dann schnöde Forderungen stellen, sie aufrechthalten bis zum letzten Moment und dann aus der Kriegsangst des Gegners, der mehr riskiert, den größten Profit herausschlagen, ohne daß es zum Klappen kommt. Neben der Diplomatie aber geht die Armee, die in Rußland trotz dem vielen erlittnen Schlachtenpech sehr siegsgewiß und großprahlerisch ist, mehr als irgendwo anders. Die will losschlagen. Und drittens die junge Bourgeoisie, der die Marktausdehnung ähnlich wie in den 40er Jahren der amerikanischen Bourgeoisie als manifest destiny, als geschichtlicher Beruf Rußlands zur Slawen- und Griechenbefreiung und zur Herrschaft über den östlichen Kontinent erscheint. Alle drei kommen in Rechnung; bisher hat unter Alexfander] III. die Diplomatie stets gesiegt. Nun kommt dazu die Hungersnot. Diese ist sehr groß im Osten und Südosten. Alles, was östlich von einer Linie liegt von Odessa nach Nishni-Nowgorod und Wjatka, hat akute Hungersnot; von dieser Linie nach Westen wird die Ernte allmählich besser, ganz im Westen ist die Weizenernte stellenweise passabel gewesen, Roggenernte überall schlecht. Kartoffeln sind in Rußland kein Volksnahrungsmittel. Die kolossal akute Form der Hungersnot im Wolgatal beweist, wie jammervoll noch immer die Verkehrswege in Rußland. Danach scheint mir klar, daß Du Dich unnötig exponieren würdest, wolltest Du den Versicherungen unsrer Militärgeldforderer Glauben schenken, wenn sie mit Bestimmtheit
auf Krieg im Frühjahr rechnen. Ebensogut wie es im Beruf der russischen Diplomatie liegt, den Krieg um so emsiger vorzubereiten, je weniger sie auf ihn lossteuern, ebensosehr ist es Schuldigkeit der Generalstäbler, Euch im Reichstag vorzureden, der Krieg im April 92 sei sicher. Du tust sehr recht, alle diese Mitteilungen genau zu beachten, und ich werde Dir für authentische Nachrichten in dieser Beziehung sehr dankbar sein, aber die Leute haben dabei auch ihre Nebenzwecke. Dieser Punkt ist nicht so akademisch, wie er aussieht. Denn er ist von großer Wichtigkeit, sobald die Geldforderungen der Regierung im Reichstag vorgelegt werden. Sind wir überzeugt, daß es im Frühjahr losgeht, so können wir schwerlich diesen Geldforderungen im Prinzip entgegen sein. Und das wäre für uns eine ziemlich fatale Lage, Da würden die sämtlichen Arschkriecher-Parteien jubeln, daß sie recht gehabt und wir unsre zwanzigjährige Politik jetzt mit Füßen treten müßten. Und eine so unvorbereitete Schwenkung würde auch im Innern der Partei kolossale Reibung setzen. Und auch international. Andrerseits kenn ja der Krieg doch im Frühjahr kommen. Wie stellen wir uns da zu den Geldforderungen? Meiner Ansicht nach gibt's da nur eine Stellung: 1. Für Umänderung der Bewaffnung ist keine Zeit mehr. Bleibt's Friede, bis wir neue Kanonen und ein neues, noch kleinkalibrigeres Gewehr eingeführt, dann wird's auch wohl überhaupt Friede bleiben. Das sind also faule Vorwände. - 2. Für neue Kadres der stehenden Armee gilt dasselbe und in noch größrem Maß; ich meine für die Forderung neuer Regimenter. Diese paar Neubildungen, die man heute fordern kann, zählen nicht bei den heutigen Riesenarmeen, und wenn sie als ScAu/kadres dienen sollen, um mehr Leute einstellen und ausbilden zu können, so können sie das nur während langer Friedensjahre leisten, sind also für den Frühjahrskrieg überflüssig. - Dagegen aber 3. alle Forderungen zum Zweck der Annäherung der heutigen Armee an die allgemeine Volksbewaffnung, zur ausschließlichen Stärkung der Defensive, zur Ausbildung und Bewaffnung der bisher nicht ausgehobenen Mannschaften jedes Alters von 17 bis 60, zu ihrer Einrangierung in feste Kadres ohne Vermehrung der Kontrollschikanen, dazu können wir Gelder bewilligen. Wir können nicht verlangen, daß die bestehende Heeresorganisation bei währender Kriegsgefahr Umgewälzt werde, aber wenn man die große Masse dienstfähiger, aber nicht ausgebildeter Leute jetzt so gut wie möglich ausbilden und in Kadres ordnen will - zum wirklichen Kampf, nicht zur Parade und Schikane -, so ist das eine Annäherung an unsre Volkswehr, die wir nur akzeptieren können.
Wird die Kriegsgefahr größer, dann können wir der Regierung sagen, wir wären bereit, wenn man es uns möglich mache durch anständige Behandlung, sie zu unterstützen gegen den auswärtigen Feind, vorausgesetzt, daß sie den Krieg mit allen, auch revolutionären Mitteln und rücksichtslos führe. Wird Deutschland von Ost und West angegriffen, so ist jedes Mittel der Verteidigung gut. Es geht um die nationale Existenz und auch für uns um die Behauptung der Position und der Zukunftschancen, die wir uns erkämpft. Je revolutionärer der Krieg geführt wird, desto mehr in unserm Sinn wird er geführt. Und es kann kommen, daß gegenüber der Feigheit der Bourgeois und Junker, die ihr Eigentum retten wollen, wir die einzige wirkliche energische Kriegspartei sind. Natürlich kann auch kommen, daß wir ans Ruder treten müssen und 1794 spielen, um die Russen und ihre Alliierten herauszuwerfen. Ich muß schließen wegen Einschreibens dieses Briefs (wird nach 5 Uhr nicht mehr getan). Daß die erste Feldarmee im stillen bedeutend verstärkt, habe ich nach den früheren Erfahrungen sicher erwartet, es ist uns aber lieb, es authentisch bestätigt zu wissen. Was die Östreicher angeht, so sind die Leute ganz vortrefflich, die niedern Offiziere brav, aber von sehr ungleicher Vorbildung zum Gefecht und die höhern absolut unberechenbar. Da kann einer an die Spitze kommen, der dem Franz Joseph Kupplerdienste geleistet. Ich mache den Franzosen etwas zurecht über den Kriegsfall12401, es ist aber verdammt schwer, da nicht mehr Schaden zu tun als Nutzen, die Leute sind so empfindlich. Constans tut alles, um Lafargues Kandidatur12391 zu befördern durch echt preußische Schikanen. Das geht in Frankreich nicht. Wie wird's aber gehn mit dieser Kriegspolitik und L[ie]bk[necht] im auswärtigen Amt.12461 Seine auswärtige Politik - Parnell, Garibaldifest in Nizza etc. - ist unter der Kanone. Bei seiner Anbetung der „Republik" als solcher kann's da bald schönen Krawall setzen. Meiner Ansicht nach sollte der Kriegsfall, wenn Du so sicher an den Ausbruch im Frühjahr glaubst, auf dem Parteitag12261 wenigstens hinter den Kulissen verhandelt werden. Gruß von Louise und Deinem F. E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, I3./I0./9I
Meine liebe Laura, Anbei der Scheck über £ 20, um Deine Wirtin aus Deiner Wohnung zu verjagen. Nun zu Deinem „Almanach". Ich schreibe Dir einen Artikel, doch da er am Schluß praktische Fragen behandeln wird, kann ich ihn erst kurz vor der Veröffentlichung abschicken und ihm seine endgültige Form geben. Aus diesem Grunde muß ich wissen, wann Dein „Almanach" erscheinen soll. Anderenfalls kann der Artikel an Aktualität verlieren oder durch die Ereignisse sogar völlig über den Haufen geworfen werden. Er wird nicht länger als 2 oder 3 Seiten werden, höchstens 4, so daß es nicht erforderlich ist, ihn bald zu schicken - soweit es technische Dinge betrifft. Doch Du wirst einsehen, daß es unmöglich ist, einen article d'actualite zu schreiben, wenn er nicht sofort gedruckt und veröffentlicht wird. Deshalb informiere mich bitte, und ich werde gern alles tun, was in meinen Kräften steht, um nos amis de la-bas1 einen Gefallen zu tun.12401 Dank für die Zeitungen. Diese „Action" von Lyon scheint mir ein glänzendes Beispiel des gegenwärtigen Zustands von Fusion und Konfusion unter den französischen Sozialisten zu sein, aus deren Mitte sich aufrecht, unvermeidlich zudringlich, unausstehlich2 der ewige Adrien Veber erhebt, der sich in seiner Eigenliebe sonnt und dabei seinem würdigen Meister Benoit Malon kaum nachsteht.12471 Wie funktioniert die neue Harmonie all dieser Disharmonien? Ich sehe, daß im Secr6tariat du travail12481 alle Richtungen vertreten sind, Possibilisten A1461 und B1421 neben unseren Leuten und vielen anderen, und bis jetzt scheinen sie einander respektiert zu haben, ohne sich zu schlagen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich ist und wie es ausgehen wird. Wie hoch war die Paul auferlegte Geldstrafe?11911 Ich kann es im
1 unseren dortigen Freunden - 2 in der Handschrift deutsch: zudringlich, unausstehlich
12 Man/Engel«, Werlte, Bd. 33
„Socialiste" nicht finden und habe keine anderen Zeitungen zur Hand - und welche Chancen hast Du, der Bezahlung zu entgehen? Grüße von Louise, Pumps, den Kindern und Deinem alten, immer durstigen (der mit Pumps ein Bier trinken geht) F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 14. Okt. 1891
Lieber Kautsky, Im Abdruck Deines Entwurfs im „Vorwärts" finde ich zu meiner großen Verwunderung plötzlich die „eine reaktionäre Masse" hineingeschneit.12491 Ich schreibe Dir gleich darüber, obwohl ich fast fürchte, ich komme zu spät. Diese agitatorische Phrase verdirbt wie ein schriller Mißton den ganzen Akkord kurz und scharf gefaßter wissenschaftlicher Sätze. Denn es ist eine agitatorische Phrase und von äußerster Einseitigkeit und daher - in der apodiktisch-absoluten Form, worin allein sie wirksam klingt total falsch. Falsch, denn sie spricht eine an sich richtige geschichtliche Tendenz als vollendete Tatsache aus. In dem Augenblick, wo die sozialistische Umwälzung eintritt, erscheinen alle andern Parteien uns gegenüber als reaktionäre Masse. Möglicherweise sind sie es auch schon, haben alle Fähigkeit verloren zu irgendwelcher progressiven Aktion, obwohl das nicht notwendig. Aber in diesem Augenblick können wir das nicht sagen, nicht mit der Gewißheit, womit wir die andern Programmsätze aussprechen. Es können selbst in Deutschland Verhältnisse eintreten, wo die Linksparteien, trotz ihrer Erbärmlichkeit, gezuiungen werden, einen Teil des kolossalen antibürgerlichen, bürokratischen und feudalen Drecks aufzuräumen, der da noch liegt. Und dann sind sie eben keine reaktionäre Masse. Solange wir nicht stark genug sind, selbst das Ruder zu ergreifen und unsre Grundsätze zu verwirklichen, kann, genau gesprochen, von einer reaktionären Masse, uns gegenüber, nicht die Rede sein. Sonst würde sich die ganze Nation einteilen in eine Majorität von Reaktionären und eine Minorität von Ohnmächtigen. Die Leute, die die Kleinstaaterei in Deutschland brachen, der Bourgeoisie Ellbogenraum für ihre industrielle Umwälzung gaben, Einheit der Verkehrsbedingungen - sachlichen wie persönlichen - einführten, uns selbst damit größere Bewegungsfreiheit geben mußten, taten sie das als „reaktionäre Masse?"
Die französischen Bourgeoisrepublikaner, die 1871-78 die Monarchie und die Klerusherrschaft definitiv besiegten, die Presse, Vereine, Versammlungen freigaben in einem Maß, wie dies in Frankreich in nicht revolutionären Zeiten bisher unerhört, die den Schulzwang einführten und den Unterricht in einem Maß verallgemeinerten und hoben, wovon wir in Deutschland lernen könnten, handelten sie als reaktionäre Masse? Die Engländer beider offizieller Parteien, die das Stimmrecht enorm erweitert, die Wählerzahl verfünffacht, die Wahlbezirke egalisiert, den Schulzwang und verbesserten Unterricht eingeführt, die noch in jeder Session nicht nur bürgerliche Reformen, sondern auch stets neue Konzessionen an die Arbeiter votieren - sie gehn langsam und schlafmützig voran, aber kein Mensch kann sie als „eine reaktionäre Masse" schlechthin verdonnern. Kurz, wir haben kein Recht, eine allmählich sich verwirklichende Tendenz als schon vollendete Tatsache hinzustellen, um so weniger, als z.B. in England diese Tendenz nie sich absolut zur Tatsache vollenden wird. Wenn hier der Umschwung kommt, so wird die Bourgeoisie noch immer bereit sein zu allerhand Detailreformen. Nur, daß dann das Bestehen auf Detailreformen eines Systems, das gestürzt wird, allen Sinn verliert. Die Lassallesche Redensart hat in der Agitation unter Umständen ihre Berechtigung, obwohl bei uns auch kolossal viel Mißbrauch damit getrieben worden, z.B. seit dem l.Okt. 90 im „Vorwärts". Aber ins Programm gehört sie nicht, da ist sie absolut falsch und irreleitend. Da nimmt sie sich aus wie die Frau des Bankiers Bethmann auf dem Balkon, den man ihm ans Haus bauen wollte: „Bauen Sie mir einen Balkon, so setzt sich drauf meine Frau und verschimpfiert mer die ganze Fa^ad'!" Andre Änderungen im „Vorwärts "-Abdruck kann ich nicht erwähnen, ich habe das Blatt verlegt, und der Brief muß fort. Der Parteitag12261 hat an einem glorreichen Datum angefangen. Der M.Oktober ist der Jahrestag der Schlachten von Jena und Auerstedt, wo das alte vorrevolutionäre Preußen zusammenbrach. Möge der 14. Oktober 1891 für das verpreußte Deutschland das von Marx vorausgesagte „innere Jena" einleiten!12505 Dein F. Engels
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
[London] 22. Okt. 91
Meine liebe Laura, Hier erhältst Du meinen Artikel.12401 Bitte, sieh ihn durch und sage mir, was Du davon hältst. Wenn Du glaubst, daß er nicht geeignet ist oder nur mit wesentlichen Änderungen, sage es bitte. Wenn Du ihn für geeignet hältst, laß ihn von anderen beurteilen, quantau fond1. Einmal einverstanden mit le fond, schreibe mir bitte, wo diese besondere Dame, la langue fran faise2, Änderungen erforderlich macht. Ich kann in einer solchen Angelegenheit, wo man mich für jedes veröffentlichte Wort verantwortlich machen wird, den Franzosen nicht erlauben, Änderungen vorzunehmen, ohne sie vorher selbst gesehen zu haben. Wenn nur formale Änderungen notwendig sind, sende mir bitte das Ms. mit den von Dir vorgeschlagenen Änderungen zurück, und dann können wir uns abstimmen. Herzliche Grüße an unseren Gefangenen3. In großer Eile - Postschluß4! Grüße von Louise und immer Deinem F.E.
Aus dem Englischen.
1 was den Inhalt angeht - 2 die französische Sprache - 3 Paul Lafargue - 4 in der Handschrift deutsch: Postschluß
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 24. Okt. 1891
Lieber Sorge, Deine Briefe vom 15. Sept., 2. und 9. Okt. habe ich vor mir. Über Barondess* Durchbrennerei (wohl mit der Kasse?) könntest Du mir wohl einiges Nähere mitteilen für den Fall, daß das Männchen hier auftaucht. Um alles in der Welt tu mir den Gefallen und schick mir keine amerikanische Monatsschrift regelmäßig zu. Ich schmachte danach, wieder einmal ein Buch lesen zu können, trotzdem ich nur 1/3 der mir zugehenden Zeitungen ordentlich ansehn kann, fressen sie mir alle Zeit - aber die Bewegung ist ja jetzt so riesig, und au courant1 bleiben muß man doch! Dagegen schicke mir [.. .]2 Daß es bei Euch mal wieder Ebbe gibt in der Bewegung, glaub* ich gern. Bei Euch geht alles mit großen ups und downs3. Aber jeder up gewinnt endgültig Terrain, und so kommt man schließlich doch voran. So hat auch die gewaltige Welle der Knights of Labor12511 und Strikebewegung von 1886-88 trotz aller Rückschläge uns im ganzen doch vorangebracht. Es ist doch ein ganz andres Leben in den Massen als vorher. Das nächste Mal wird noch mehr Terrain gewonnen. Aber bei alledem ist die Lebenshaltung des native American working-man4 bedeutend höher als selbst die des englischen, und das allein genügt, um ihm noch für einige Zeit einen Posten im Hintertreffen anzuweisen. Dazu die Einwanderungskonkurrenz und andre Dinge. Wenn der Zeitpunkt erreicht ist, wird's drüben kolossal rasch und energisch gehn, aber bis dahin kann's noch etwas dauern. Wunder geschehn nirgends. Nun kommt noch das Pech dazu mit den hochnäsigen Deutschen, die dort Schulmeister und Kommandant in einem spielen wollen und es den Eingebornen verleiden, auch die besten Sachen von ihnen zu lernen.
1 auf dem laufenden - 2 hier bricht der Satz ab (vgl. vorl. Band, S. 194) - 3 Aufschwüngen und Rückschlägen -1 eingebornen amerikanischen Arbeiters
Dem „Socfialiste]" werde ich das Geld schicken, sobald ich erst weiß, an wen; Laf[argue] sitzt, wie Du weißt; ich habe noch keine Antwort. Die „Entwicklung d[es] Sozialismus]" wird hier, von Aveling übersetzt und von mir durchgesehn, englisch erscheinen (in Sonnenscheins Social Series), gegenüber dieser autorisierten Übersetzung wird die amerikanische Piratenausgabe12381, die ein ganz miserables Englisch leistet, ziemlich unschädlich. Sie ist dabei nicht einmal vollständig, was ihnen zu schwer, lassen sie aus. Mutter Wischnewetzky hat natürlich mit Vergnügen akzeptiert, die „Lage etc."5 in ihrer Übersetzung bei Sonnenschein abdrucken zu lassen. Das Honorar soll jedoch an Frau Foster-Amery gehn. Cela m'est bien egal.6 Im übrigen scheint sie recht froh, wieder anbinden zu können, erzählt, wie schlecht es ihnen geht etc. etc. Die Biographie Bakunins wäre mir angenehm, man erfährt daraus, wie die heutige anarchistische Tradition von diesem Messias lautet.12521 Brief vom 12. er. auch noch erhalten. Dank! In Erfurt ging alles sehr gut ab.12261 Ich werde Dir das offizielle Protokoll zuschicken, sobald es heraus; Bebel sagt, die Reden seien in den Berichten sehr verhunzt. Die Opposition der schnoddrigen Berliner, statt anzuklagen, geriet sofort selbst auf die Anklagebank, benahm sich elend feig und muß jetzt außerhalb der Partei wirtschaften, wenn sie was will. Es sind ganz zweifellos Polizeielemente darunter, ein andrer Teil versteckte Anarchisten, die im stillen unter unsern Leuten werben wollten; daneben Esel, aufgeblasene Studenten und Durchfallskandidaten, Gerngroße aller Art. In allem keine 200 Mann. - Ebenso mußte Herr Vollmar klein beigeben, dieser ist viel gefährlicher als jene, er ist schlauer und ausdauernder, eitel bis zur Verrücktheit und will um jeden Preis eine Rolle spielen. Bebel hat sich sehr gut gehalten, ditto Singer, Auer, Fischer (der hier am ,,Soz[ial]demokrat" war, ein sehr tüchtiger Kerl, saugrober Bayer dazu). Liebknecht hatte die bittre Rolle, den Programmentwurf von Kautsky empfehlen zu müssen, der, von Be bei und mir unterstützt7, zur Grundlage des neuen Programms, theoretischer Teil, genommen wurde. Wir haben die Satisfaktion, daß die Marxsche Kritik8 komplett durchgeschlagen hat. - Auch der letzte Rest Lassalleanismus ist entfernt. Mit Ausnahme einiger schwächlich redigierten Stellen (wo aber nur der Ausdruck matt und allgemein) läßt sich nichts mehr gegen das Programm sagen, wenigstens nicht nach erster Lesung.12531 5 Friedrich Engels: „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" - ® Das ist mir auch ganz egal. - 7 vgl. vorl. Band, S. 156 und 163 - 8 „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei"
Daß Lafargue in Lille kandidiert, wirst Du gesehn haben/2541 Das Resultat der morgigen Wahl erhältst Du lange vor diesem Brief. Wird er nicht gewählt, so istm
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Engels an August Bebel in Berlin
... n . , London, 24. Okt. 91 Lieber Bebel,
Montag, 26. Okt. - Inzwischen ist heute morgen Dein Brief eingesprungen.'2581 Daß Fischer sich Feinde gemacht, glaub* ich gern, ich kenne das aus Erfahrung an mir selber; ich war in jüngeren Jahren genau so gern frech am unrechten Ort und zur unrechten Zeit wie er, wie ich denn überhaupt bei den Jüngeren selten irgendeinen Fehler entdecke, den ich nicht mehr oder weniger selbst gehabt. Das schleift sich allmählich ab, wenn man so von Zeit zu Zeit einen auf die Schnauze kriegt, von dem man sich sagen muß, daß er verdient war. Ich weiß nicht, ob Ihr in Zukunft daran vorbeikommen werdet, derlei Sachen öffentlich zu erledigen. Ich halte es so für besser, trotz der kleinen Nachteile und großen persönlichen Unannehmlichkeiten. Aber das ist sicher, wenn Euer Zentralorgan2 nicht anders wird, so tätet Ihr besser, es ganz der Berliner Partei zu übergeben und Euch einen Wochen-Staatsanzeiger zu schaffen, der aber dann auch ordentlich redigiert sein könnte und müßte. Sehr vernünftig, die 400 M. für Lafargues Wahl zu verwenden.'2591 Sie werden zur Stichwahl sehr erwünscht kommen. Da Genossenschaften und Partei bei Euch getrennt, ist es ganz in der Ordnung, wenn französische u.a. Strikes direkt von den Genossenschaften in Deutschland unterstützt werden und die Parteigelder für politische Zwecke frei bleiben. Allerdings sollte dann auch gesorgt werden, daß die Genossenschaften etwas für die Glasleute'2601 tun. Von hier ist relativ viel für sie geschehn. Lafargue steht gut. Er hatte 5005 Stimmen, der Opportunist Depasse, Regierungskandidat, 2928, der zweite Opportunist Bere (lies Beer oder Bär) 1246 und der Radikale Roche 2272. Dieser tritt zurück zugunsten Lafargues. So daß Depasse, der eigentliche Konkurrent bei der Stichwahl, nur durchkommen kann, wenn entweder alle Stimmen Roches sich enthalten und noch ca. 1000 Stimmen aus der monarchischen Enthaltungsreserve dazukommen, oder wenn über 3000 monarchische Enthaltungsstimmen die 5005 + 2272 mehr als aufwiegen. Ich weiß nicht, wieviel eingeschriebne Wähler da sind, kann also nicht urteilen, jedenfalls steht's besser, als wir zu hoffen wagten. Gilles hat's billig. Der Kerl muß flott leben auf Rechnung der Polizei. Er hat sich die Majorität im Kommunistischen Verein'2201 gekauft durch Pump, den er ihnen gemacht hat, sie dürfen ihn nicht hinauswerfen. Da der Kerl hier behauptet, als Mitglied dieses Vereins sei er ohne weiteres Mitglied der deutschen Partei, fragt sich, ob Ihr Euch diesen „Genossen" wollt gefallen lassen. Die Gelder, die ihm zur Verfügung stehn für seine Pumpereien
und seine Zirkulare - das Zeug kostet hier was -, kann er nur von der Gesandtschaft haben. Uber die Magdeburger Versammlung12611 habe ich bis jetzt weder im „Vorwärts" noch „Echo" etwas gefunden. Daß der „Vforwärts]" die Berliner Versammlung der Opposition12621 unterdrücken würde, erwartete ich nach der bisherigen Praxis des Blatts. Ist aber elend dumm. Ich schicke Dir einen Artikel des großen Paul Brousse, wo Du sehn wirst, wie dieser Erzkrakeeler, Erzstänkerer und Erzautoritär, jetzt, nachdem er total geschlagen und reine Null geworden, den Frieden und die Föderation Euch predigt, nachdem er jahrelang in Euch seine Hauptfeinde auf dem Kontinent bekämpft. Inl. einige Ausschnitte über die russische Hungersnot, die noch weiter nach Westen greift, als ich glaubte. Solche Sachen finden sich in der hiesigen Presse täglich. Es steht in der Tat schlimm, und man schickt noch mehr Truppen nach Westen, nur um sie ernähren zu können, wie mir Mendelson gestern bestätigte. Die Russen müßten verrückt sein, Krieg anzufangen, aber die Militärpartei ist überall verrückt, und die russische Bourgeoisie ist borniert-dumm, unwissend, chauvinistisch und habgierig aufs äußerste. Muß Krieg sein, dann ist's besser bald, denn dann werden die Russen dran glauben müssen. Da ich es für nötig hielt, den Franzosen reinen Wein einzuschenken über unsre Lage, wenn's zum Krieg kommt - allerdings eine verdammt schwierige Aufgabe -, habe ich einen französischen Artikel geschrieben und an Laura geschickt.12401 Sie schreibt mir heute, daß sowohl sie wie Paul ganz entzückt von dem Artikel sind, das sei ganz das, was für die Franzosen nötig sei usw. Wenn Guesde auch der Ansicht ist - er ist noch in Lille, wo er Lafargue bei den Wählern vertritt -, soll der Artikel veröffentlicht werden. Er war ursprünglich für den französischen sozialistischen Kalender3 geschrieben, ist aber möglicher-(für mich wahrscheinlicher-)weise zu stark für die dabei beteiligten Mischmaschleute, dann kommt er wohl in den „Socialiste", den Du hoffentlich siehst. Ich sage den Leuten: wir hätten die fast absolute Sicherheit, innerhalb 10 Jahren ans Ruder zu kommen; wir könnten nicht das Ruder ergreifen noch dran bleiben, ohne die Sünden unsrer Vorgänger gegen andre Nationalitäten wiedergutzumachen, also 1. die Wiederherstellung Polens offen anzubahnen, 2. die Nordschleswiger und Elsaß-Lothringer in die Lage zu versetzen, frei über ihre Zugehörigkeit zu entscheiden. Eine elsaß-lothringische Frage existiere überhaupt nicht
3 „Almanach du Parti Ouvrier"
zwischen einem sozialistischen Frankreich und einem ditto Deutschland. Also liege überhaupt kein Grund vor zu einem Krieg wegen Elsaß-Lothringen. Wenn aber dennoch die französischen Bourgeois einen solchen anfangen und sich zu diesem Zweck in den Dienst des russischen Zars stellen, der der Feind auch der Bourgeois von ganz Westeuropa ist, so ist das die Verleugnung der revolutionären Mission Frankreichs. Dagegen haben wir deutschen Sozialisten, die wir, bei bewahrtem Frieden, in 10 Jahren zur Herrschaft kommen, die Pflicht, diese von uns eroberte Position in der Avantgarde der Arbeiterbewegung zu behaupten, nicht nur gegen den innern, auch gegen den äußern Feind. Siegt Rußland, so werden wir erdrückt. Also druf, wenn Rußland Krieg anfängt, druf auf die Russen und ihre Bundesgenossen, wer sie auch seien. Dann haben wir dafür zu sorgen, daß der Krieg mit allen revolutionären Mitteln geführt und jede Regierung unmöglich gemacht wird, die sich weigert, diese Mittel anzuwenden; respektive im gegebnen Moment selbst an die Spitze zu treten. Wir haben das glorreiche Beispiel der Franzosen von 1793 noch nicht vergessen, und wenn man uns dazu zwingt, kann es kommen, daß wir das hundertjährige Jubiläum von 1793 feiern, indem wir zeigen, daß die deutschen Arbeiter von 1893 der Sansculotten von damals nicht unwürdig sind und wenn dann französische Soldaten über unsre Grenze kommen, so werden sie empfangen mit dem Ruf: Quoi ces cohortes etrangeres Feraient la loi dans nos foyers?4 (Marseillaise)
Dies der allgemeine Gedankengang. Sobald der Text endgültig festgestellt (ich erwarte natürlich einzelne kleine Änderungsvorschläge) und der Abdruck in Angriff genommen, übersetze ich den Artikel ins Deutsche, und wir werden dann sehn, was damit zu machen. Ich bin nicht sicher, ob Eure Preßverhältnisse den Abdruck in Deutschland zulässig machen; vielleicht wenn Ihr einige Vorbehalte macht, geht's doch - das wird sich finden. Meine Artikel binden ja ohnehin die Partei nicht - ein großes Glück für beide, obwohl Liebkfnecht] sich einbildet, ich sähe darin ein Pech für mich, was mir gar nicht einfällt. Die Berichte lassen Dich sagen, ich hätte den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft auf 1898 geweissagt. Da ist ein kleiner Irrtum irgendwo. Ich habe nur gesagt, bis 98 könnten wir möglicherweise ans Ruder kommen. Die alte bürgerliche Gesellschaft könnte, falls dies nicht geschähe, noch
einige Zeit fortvegetieren, solange nicht ein äußerer Anstoß den morschen Kasten zusammenkrachen macht. So eine faule alte Kiste kann ein paar Jahrzehnte vorhalten nach ihrem wesentlichen innern Tod, wenn die Luft ruhig bleibt. So etwas vorherzusagen würde ich mich also sehr in acht nehmen. Dagegen unsre Ankunft bei der Möglichkeit der Herrschaft, das ist eine pure Wahrscheinlichkeitsrechnung nach mathematischen Gesetzen. Ich hoffe bei alledem, es bleibt Friede. Wir stehn so, daß wir nicht va banque zu spielen brauchen - und dazu zwingt uns der Krieg. Und dann in zehn Jahren sind wir ganz anders präpariert. Voici pourquoi.5 Um die Produktionsmittel in Besitz und Betrieb zu nehmen, brauchen wir Leute, die technisch vorgebildet sind, und zwar in Massen. Diese haben wir nicht, wir sind sogar bis jetzt ziemlich froh gewesen, daß wir von dem „gebildeten" Volk großenteils verschont blieben. Jetzt ist das anders. Jetzt sind wir stark genug, jedes Quantum gebildeten Quarks vertragen und verdauen zu können; und ich sehe voraus, daß wir in den nächsten 8-10 Jahren hinreichend junge Techniker, Mediziner, Juristen und Schulmeister anwerben werden, um die Fabriken und großen Güter durch Parteigenossen für die Nation verwalten zu lassen. Dann ist also unser Eintritt in die Macht ganz naturgemäß und wickelt sich glatt ab - relativ. Kommen wir dagegen durch einen Krieg vorzeitig ans Ruder, so sind die Techniker unsre prinzipiellen Gegner, betrügen und verraten uns, wo sie können; wir müssen den Schrecken gegen sie anwenden und werden doch beschissen. Es ist, was den französischen Revolutionären im kleinen stets passierte, sie mußten, selbst in der gewöhnlichen Verwaltung, die wirklich arbeitenden Unterposten mit den alten Reaktionären besetzt lassen, und diese hemmten und lähmten alles. Daher hoffe und wünsche ich, unsre famose, sichre, mit der Ruhe und Unausweglichkeit eines Naturprozesses fortschreitende Entwicklung bleibt in ihrem naturgemäßen Geleise. Herzlichen Gruß an Deine Frau und Dich. Dein F.E.
5 Deshalb.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 25. Okt. 91
Lieber K. Kfautsky], Meinen Glückwunsch zur Annahme Deines Programmentwurfs in Erfurt und zur Beseitigung der „einen reaktionären Masse"12491. Ich habe noch nicht die Zeit gehabt, das endgültig angenommene Programm12531 mit Deinem Entwurf im einzelnen zu vergleichen. Ich habe an Dietz vorgeschlagen, das Honorar der 2. Auflage „Elend der Philosophie]" gleich unter alle 5 Beteiligten zu teilen - 240 M. für die 3 Erben und 160 M. für die 2 Übersetzer, bei 400 M. Gesamtsumme, oder entsprechend, falls diese nicht stimmt. Hoffentlich bist Du damit einverstanden, damit diese Sache endlich aus der Welt kommt. Auf das ganze Honorar dieser Aufl. haben die Erben kein Recht. Ich habe Dietz ferner gebeten, Dir in meinem Namen ein Ex. der Neuauflage des „Ursprung" zu überreichen, und zwar ein gebundenes. In Erfurt ging alles ja recht gut.12261 Wir haben namentlich über Auers und Fischers Reden sehr gelacht. Die zwei haben es aber auch redlich verdient gehabt, an der „Opposition" ihr Mütchen zu kühlen. Bayer gegen Berliner, da bleibt von dem Berliner verdammt wenig übrig. Man sieht aber am Benehmen dieser Herren wie an dem Vollmars, wie sehr sich das Völkchen über seine Kräfte getäuscht hatte. Solche Rückzüge sind ja beispiellos. Hat aber im Ausland seine Wirkung nicht verfehlt und war hier eine ganz gehörige Niederlage für Hyndman, der Gilles erst öffentlich protegiert und offenbar dessen Aufschneidereien über den Zusammenbruch der deutschen Partei geglaubt hatte - jetzt möchte er sich von dem Lauskerl zurückziehn, wenn's ginge. Übrigens ist Gilles im „Figaro" zum großen Mann erhoben! Wenn Du willst, so kannst Du in der „Nfeuen] Zfeit]" mitteilen, daß in Swan Sonnenschein und Co's Social Series erscheinen werden: 1. meine „Lage der arbeitenden] Klasse" in der Wischnewetzkyschen Übersetzung, 2. meine „Entwicklung des Sozialismus]", übersetzt von Aveling, 3. Edes Einleitung zu Lassalle, übersetzt von Tussy12631.
Louise macht mich darauf aufmerksam, daß es im Interesse der ,,N[euen] Z[eit]" wäre, wenn regelmäßig ein Ex. an den Editor of the „Review of Reviews", W.T.Stead, Mowbray House, Norfolk street, Strand, W.C. London, geschickt würde. Das Ding wird in 100 000 Ex. und mehr abgesetzt, gibt Auszüge aus Revuen aller Länder, und den Inhalt (Titel der Artikel) von allen, so von deutschen nicht weniger als 23: u.a. „Deutsche Revue", „Ueber Land und Meer", „Gartenlaube", „Nord und Süd", „Pr[eußische] Jahrbücher" etc. etc. Aus dem „Economic Journal" die Forderungen des Programmentwurfs. Da Stead ein ganz verrückter Kerl, aber brillanter Geschäftsmann, kann solche Einsendung uns nützen und im gegebnen Fäll enorm wirken - denn wo etwas Sensation zu machen, da greift er rücksichtslos zu, einerlei, wo und woher. Für Euch wäre das Ding auch enorm zu benutzen, kostet nur 6 d. monatlich und enthält kolossal viel. Erspart alle englischen Revuen für Dich. Jetzt muß ich a bissei an die Luft, bald kommen Avelings und Edes zum Essen. Dein F.E.
Montag1. Ich schicke Dir eine Nr. „Rev[iew] of Rev[iews]", worin Stead Mutter Besant poussiert, um sie zum Christentum anzuleiten. Er will sich offenbar den Ruhm erwerben, sie zu Jesu zurückzuführen. Dafür gibt's einen Weg: die Mutter B[esant] ist stets der Religion des Mannes, der sie untergekriegt hat. - Ede und Tussy sind mit meinem Verteilungsvorschlag des Honorars einverstanden. Lafargue hat in Lille 5005, die beiden Opportunisten zusammen 4174, der Radikale Roche 2272 Stimmen erhalten, letzterer tritt zugunsten Lafargues zurück. Um einen Opportunisten durchzukriegen, müßten also 3000 stimmenthaltne Monarchisten bei der Stichwahl für ihn hinzutreten. Steht also sehr gut![2M1
1 26. Oktober
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 27. Okt. 1891
Mein liebes Lohr1, Das ist ja ein ganz famoses Resultat2, Paul führend bei der Wahl - pretty Poll -, Du siehst, die Begeisterung macht mich halb verrückt und treibt mich zu Pantomimepuns, doch als ich zu „pretty Poll" kam und mich erinnerte, daß Dein Name Kakadou war, brachte mich das zum Stocken - ich könnte der Blasphemie und was nicht noch beschuldigt werden!12641 Au, au, sagt der Jud' in Berlin, wenn der christliche Germane auch einmal versucht, einen Witz zu machen.3 Ja, wenn ich nur le nombre des electeurs inscrits4 wüßte, würde ich eine scharfsinnige Vermutung anstellen. Die „Defense" von Lille prahlte mit 6000 monarchischen und klerikalen Stimmen; das bezweifle ich sehr, und ich halte daher Pauls Durchkommen für beinahe sicher.12641 Wir tranken vergangenen Sonntag auf seinen Erfolg 1868er Portwein, und ich bin gewiß, daß mindestens die 5 Stimmen über die 5000 unseren Anstrengungen zu verdanken sind. Keine Furcht, nächsten Sonntag werden wir eine andere und noch wirksamere Sorte probieren, und dann werden sicher all seine Widersacher zerschmettert. Was für ein herrliches Land ist doch Frankreich, wenn man dort eingesperrt ist! Ihr greift die Regierung an, die Regierung macht Euch zum M.P. (Pölagie), aber Pelagie macht Euch zum M.P. (Parlament).12421 In Deutschland ist es umgekehrt. Man wird ins Parlament gewählt, und dann kann man hinter seinen Namen M.P. schreiben, weil das Mitglied von Plötzensee bedeutet - das neue Monstre-Gefängnis in der Nähe von Berlin. Doch treve de betises5! Ich bin wirklich sehr froh, daß Dir und Paul mein Artikel gefällt.12401 Aber werden die Kuddelmuddel 8-Leute des „AU manach" be of the same mind? Never mind12661 (noch ein Pantomime1 In der Handschrift deutsch: Mein liebes Lähr - a in der Handschrift deutsch: Das ist ja ein ganz famoses Resultat - 3 dieser Satz in der Handschrift deutsch - 4 die Zahl der eingeschriebenen Wähler - 5 Schluß mit den Dummheiten - ® in der Handschrift deutsch: Kuddelmuddel
Versuch), ich werde bald M.P. (Pantomime) sein: dann kann der Artikel in den „Socialiste" gehen. Der alte Sorge, der den „Socialiste" nicht haben will, ohne ihn zu bezahlen, bittet mich, für sein Abonnement 10 sh. zu senden. Ich schicke eine Postanweisung; wie Louise mir sagt, wird sie in Wien ohne Schwierigkeiten angenommen und wird daher zweifellos in Paris auch gesetzliches Zahlungsmittel sein. Poststempel I. 525, 490, 10/— Regent's Park Road 38 24. Sept. 91.
In Erfurt ging alles sehr gut.12261 Der Ausschluß der Gruppe unverschämter junger Studenten und Commis voyageurs7 war sehr notwendig. Sie werden nun bald verschwinden, und die nächste Gruppe der gleichen Sorte wird weniger frech sein. Aber jetzt ist Postzeit und Essenszeit dazu. Übermittle Paul unseren herzlichen Gruß, wenn Du nach P6lagie kommst, und sei selbst herzlich umarmt von Louise und Deinem alten, unverbesserlichen General
Aus dem Englischen.
' Handlungsreisenden
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 38
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken12661
• In meinem Brief vom Samstag 25./10.1 wurde ich unterbrochen, als ich gt ade Dich bitten wollte, mir von Zeit zu Zeit ein Frauenblatt oder Heft natürlich aus der Bewegung der Bourgeoisweiber - zu schicken. Louise ist genötigt, zu Nutz und Frommen der deutschen und österreichischen und hiesigen Arbeiterinnenheviegvmg auch diesen Kram nicht ganz außer Augen zu lassen, und so wäre ihr ein gelegentlicher Einblick in das, was diese Dämchen dort treiben, sehr erwünscht. - Lafargue hat gute Aussichten: 5005 Stimmen. Depasse, Opportunist, 2928; Bere (lies Beer), ditto Opportunist, 1246; Roche, radikal, 2272. Letzterer ist zugunsten Laf[argue]s zurückgetreten, und die extremen Radikalen der Kammer12671 treten ein für Laffargue].12541 - In Deutschland unterwirft sich alles dem Parteitag12261, die paar herausgeworfnen Klüngler werden nur noch einige hochnäsige Studentchen an sich ziehn - good riddance!2 Grüß Deine Frau. Dein F.E. [London] 29./10./91
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
[London] 29. Oktober 1891
Werter Herr, Als Ihr Brief vom 21. Sept. eintraf, war ich in Schottland und Irland auf Reisen'2101; erst heute finde ich Zeit und Muße, ihn zu beantworten. Ihr Brief vom 20. Jan. ist in der Tat verlorengegangen, was ich doppelt bedaure, einmal, weil mir die darin enthaltene interessante Nachricht so lange vorenthalten wurde, und dann, weil Sie die Mühe hatten, ihn noch einmal für mich auszuarbeiten. Vielen Dank! Die „Züchtung von Millionären"1, wie Bismarck sagt, scheint in Ihrem Lande tatsächlich mit Riesenschritten vorwärtszugehen. Solche Profite, wie sie Ihre offiziellen Statistiken aufweisen, sind heutzutage in englischen, französischen oder deutschen Textilfabriken unbekannt. 10, 15, höchstens 20% Durchschnittsprofit, und 25-30% in Ausnahmejahren besonderer Prosperität werden als gut angesehen. Nur in der Kindheit der modernen Industrie konnten Unternehmen mit der neuesten und besten Maschinerie, die ihre Waren mit bedeutend weniger Arbeit als der damals gesellschaftlich notwendigen produzierten, sich solche Profitraten sichern. Augenblicklich werden solche Profite nur bei erfolgreichen spekulativen Unternehmen mit neuen Erfindungen gemacht, also bei einem von hundert Unternehmen; die übrigen sind meist völlige Fehlschläge. Das einzige Land, wo heutzutage ähnliche oder annähernd ähnliche Profite in einigen Hauptindustrien möglich sind, sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort haben die Schutzzölle nach dem Bürgerkrieg und jetzt der MacKinley-Tarif[2®81 zu ähnlichen Ergebnissen geführt, und die Profite müssen enorm sein und sind es auch. Die Tatsache, daß dies völlig von der Zollgesetzgebung abhängt, die von einem auf den anderen Tag geändert werden kann, genügt, um jede große Anlage von Auslandskaphal (groß im Verhältnis zur Masse des investierten inländischen Kapitals) in diesen Industrien zu verhindern und so die Hauptquelle der Konkurrenz und der Senkung der Profite zu verstopfen. 1 In der Handschrift deutsch: „Züchtung von Millionären"
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Ihre Beschreibung der durch diese Ausdehnung der modernen Industrie im Leben der Volksmassen hervorgebrachten Veränderungen, des Ruins ihrer für den direkten Bedarf der Produzenten bestimmten und allmählich auch der auf den kapitalistischen Käufer eingestellten Hausindustrie erinnert mich lebhaft an das Kapitel unseres Autors über die Herstellung des innern Markts2'2691 und an die Vorgänge in fast ganz Mittel- und Westeuropa während der Zeit von 1820 bis 1840. Diese Veränderung hat natürlich bei Ihnen bis zu einem gewissen Grade andere Auswirkungen. Der französische und deutsche Bauer hat ein zähes Leben, zwei oder drei Generationen lang windet er sich in den Fängen des Wucherers, ehe er soweit ist, daß er Haus und Hof verkaufen muß; wenigstens in den Bezirken, wohin die moderne Industrie noch nicht gedrungen ist. In Deutschland halten sich die Bauern durch alle Arten von Hausindustrie über Wasser - sie stellen Pfeifen, Spielzeug, Körbe usw. für Rechnung von Kapitalisten her; da die freie Zeit, die ihnen nach Bearbeitung ihrer kleinen Felder bleibt, keinen Wert für sie hat, betrachten sie jeden Pfennig, den sie für Extraarbeit erhalten, als reinen Gewinn; daher die ruinös niedrigen Löhne und die unvorstellbare Billigkeit solcher gewerblichen Produkte in Deutschland. Bei Ihnen muß erst der Widerstand der oSmiraa3 überwunden werden (obwohl ich annehmen möchte, daß er im ständigen Kampf mit dem modernen Kapitalismus bedeutend nachlassen muß); ferner hat der Bauer, wie Sie in Ihrem Brief vom I.Mai12091 beschreiben, die Möglichkeit, vom großen Grundeigentümer Land zu pachten, ein Mittel für den Grundeigentümer, sich Mehrwert zu sichern, aber auch für den Bauern, als Bauer weiter dahinzuvegetieren; und auch die kulaki behalten den Bauern, soweit ich sehen kann, im allgemeinen lieber als ein sujet ä exploitation4 in ihren Klauen, als daß sie ihn ein für allemal ruinieren und sich sein Land aneignen. So scheint es mir, daß der russische Bauer dort, wo er nicht als Arbeiter für die Fabrik oder für die Stadt gebraucht wird, ebenfalls sehr zählebig sein wird, und es bedarf schon einiger harter Schläge, bis er kaputt ist. Die enormen Profite, die sich die junge Bourgeoisie in Rußland sichert und die Abhängigkeit dieser Profite von einer guten Ernte (harvest), wie Sie das so vorzüglich dargestellt haben, erklären viele sonst unverständliche Dinge. Wie sollte ich sonst die Feststellung in der heute morgen veröffentlichten Odessaer Korrespondenz eines Londoner Blattes begreifen, daß die
1 in der Handschrift deutsch: Herstellung des innern Markts - 3 Obschtschina - 4 Ausbeutungsobjekt
kommerziellen Klassen Rußlands von der einen Idee besessen scheinen, ein Krieg sei die einzige wirkliche Panazee für die immer weiter anwachsende Depression und das Mißtrauen, worunter jetzt alle russischen Industrien leiden - was sollte ich damit anfangen und wie sollte ich mir das erklären, wenn ich nichts von der vollständigen Abhängigkeit einer durch den Zoll geschaffenen Industrie vom inneren Markt und von der Ernte der landwirtschaftlichen Distrikte wüßte, von der die Kaufkraft ihrer einzigen Kunden abhängt! Und wenn dieser Markt schwindet, was erscheint naiven Leuten natürlicher, als ihn durch einen erfolgreichen Krieg auszudehnen? Sehr interessant sind Ihre Bemerkungen über den scheinbaren Widerspruch, daß bei Ihnen eine gute Ernte nicht notwendig eine Senkung des Getreidepreises bedeutet. Wenn wir die wirklichen ökonomischen Verhältnisse in verschiedenen Ländern und verschiedenen Stadien der Zivilisation studieren, wie ungemein falsch und mangelhaft erscheinen dann die rationalistischen Verallgemeinerungen des 18. Jahrhunderts - denken wir nur an den guten alten Adam Smith, der die Verhältnisse von Edinburgh und Lothians für die normalen Verhältnisse der ganzen Welt hielt! Nun, Puschkin wußte bereits,
... h noieMy He HyjKHO sojioTa eMy, Korp;a npocToft npoRyKTi. HMteTt. OTeijT. noHHTt ero He Mort H 3eMjin OTflaBajit bt, aajiort.5
Ihr sehr ergebener P. W.Rosherimj
Nächsten Montag beginne ich wieder mit Bd. III6 und hoffe ihn ohne Unterbrechung fertigzumachen. Dieser Brief ist bis heute, 31.Okt., verzögert worden, da ich zwischendurch aufgehalten wurde.
Aus dem Englischen.
5 ... und wie ein Land kein Gold entbehrt, / Sofern es Rohprodukte handelt, / Papa, der nichts vom Kram verstand / Nahm Hypotheken auf sein Land. (Puschkin: Eugen Onegin) 8 des „Kapitals"
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Engels an Paul Lafargue in Paris12055
, t London, den 31. Okt. 91 Mein lieber Latargue, Louise und ich senden Ihnen unsere herzlichen Glückwünsche zu dem Ergebnis der Abstimmung am letzten Sonntag1. „Das ist großartig", und das ist „der Krieg". Es gibt zwar 4400 Stimmenthaltungen und irregeführte Wähler, aber es müßten sich mehr als 3100 von diesen Stimmenthaltungen auf Ihren Konkurrenten vereinigen, damit Depasse sie einholend überholt (o, dieser Kalauer12701, das geht wie ein Anfall von Durchmarsch, hoffen wir, daß es vorübergeht!). Und das ist noch nie vorgekommen. Sie haben da einen berauschenden Erfolg. Also morgen in acht Tagen werden wir auf Ihren endgültigen Erfolg anstoßen - aber auch morgen werden wir Sie keinesfalls vergessen. Ich sehe aus den Zeitungen, die Laura und Sie mir geschickt haben, daß die radikalistische Regierungspresse sich endlich mit Ihrer Wahl befassen muß. Die Dummheiten des „Temps" können Ihnen nur nützlich sein. Ist das Eis erst einmal gebrochen, so wird alles, was diese Herren sagen können, zu Ihren Gunsten wirken. Selbst der brave Pelletan von der „Justice" hat sich für Sie erklären müssen. Wenn Sie gewählt sind, wird für die Kammer eine neue Verlegenheit entstehen: wird sie für Ihre Freilassung stimmen oder nicht? Was bedeutet denn diese neue Spaltung unter den Radikalen'431 in der Kammer, die sich zwischen Millerand, Hovelacque, Moreau auf der einen Seite und der Masse der Clemencisten auf der anderen anbahnt? Sie sprechen von der Möglichkeit einer Vereinigung mit den ersteren.12711 Aber bis zu welchem Punkt gehen Sie mit Ihnen? Die dem Namen nach „sozialistischen" Radikalen in der Kammer sind, soviel ich weiß, bis jetzt nur die Trümmer des Proudhonismus gewesen und somit ausgesprochene Gegner der Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Und meiner Ansicht nach ist es für uns unmöglich, eine Fusion mit Leuten vorzunehmen, eine Gruppe zu bilden, die das nicht anerkennen, wenigstens im Prinzip. Andererseits
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Erste Seite des Briefes von Engels an faul Lafargue vom 3I.Oktober 1891

glaube ich, könnte man mit ihnen eine mehr oder weniger vorübergehende Allianz eingehen, aber ohne Fusion. Da es jedoch offenbar irgendeine neue Entwicklung gibt, die ich nicht kenne, erwarte ich Ihre Informationen, bevor ich mir ein Urteil bilde. Es wäre ja tatsächlich großartig, wenn die Radikalen in der Kammer anfingen, zu uns überzugehen - was für ein Symptom! Ich bin sehr froh, daß Laura und Sie meinen Artikel gut und aktuell finden12401 - aber was werden die anderen, Argyriades & Co., vom „Almanach" sagen? Ich habe immer wieder festgestellt, daß ich nicht das Glück habe, den Wünschen dieser Herren, die aller Welt Freund sind, zu entsprechen, und daß es, wenn ich ihnen den Artikel schrieb, den sie von mir verlangten, es immer ein ganz anderer Artikel war, als der, den sie sich wünschten. Neben den feierlichen Ergüssen des Herrn Benoit Malon und anderer Koryphäen des Pariser Sozialismus wird das fast unmöglich sein. Im übrigen ist mir das ganz egal. Ich habe Laura von vornherein gesagt, daß mich die Situation zwingen würde, für viele Leute unangenehme Dinge zu schreiben, nun, sie hat es gewollt, und ich habe mich gefügt. Ich weiß sehr wohl, daß sich der „Socialiste" daran nicht stoßen würde, aber der „Almanach" - das ist etwas anderes. Nun, auf die eine oder andere Weise werden wir die Sache veröffentlichen, und wahrscheinlich wird es Lärm geben. In Erfurt ging alles gut ab.'2261 Die Esel der Opposition haben vor den Vertretern der ganzen Partei bewiesen, daß sie wirklich Esel und Feiglinge sind, die keine Sympathie verdienen. Es sind entweder Dummköpfe oder versteckte Anarchisten oder Polizeiagenten. Gestern abend haben Versammlungen in Berlin stattgefunden, Wo die Delegierten Bericht erstatten mußten, das wird wahrscheinlich die Herren von der Opposition endgültig vernichtet haben.[2?21 Andererseits mußte Vollmar nicht nur in Erfurt den Rückzug antreten, sondern sogar, und noch eindeutiger, vor seinen eigenen Wählern in München, die eine von ihm vorgeschlagene Resolution zurückgewiesen haben; er hatte dort Sätze einfügen wollen, die, ohne gegen die in Erfurt gegen ihn gefaßten Beschlüsse zu sehr zu verstoßen, den Standpunkt vertraten, den er in seinen reaktionären Reden eingenommen hatte; Vollmar selbst ist gezwungen worden, eine neue Resolution vorzuschlagen: eine klare und unzweideutige Unterwerfung unter die Erfurter Beschlüsse; das ging einstimmig durch.12731 Wie Bebel mir schreibt, ist derjenige, der aus der Partei austritt oder von der Partei vor die Tür gesetzt wird, politisch tot1274 und Herr Vollmar hat das wohl eingesehen und sich sehr gehütet, eine Handlung zu begehen, die ihn in eine solche Situation brächte. Aber das ändert nichts daran, daß er der gefährlichste Klüngler in unserer Partei ist.
Kurzum, in Deutschland geht es voran, und bald wird es bei Euch ebenso sein, vielleicht kommen wir um den Krieg herum, und da wir langsam und methodisch sind, könnte das den Franzosen die Chance geben, uns von neuem durch einen großen Schlag zuvorzukommen. Das „Ende des Jahrhunderts" scheint sich gut anzulassen, das könnte 1793 in den Schatten stellen. Wie dumm Eure Bourgeois und die Russen sind! In einem Krieg hält England mit seiner Flotte und der Beherrschung des Meeres das Gleichgewicht - darum stoßen es diese Herren in die Arme der Deutschen, indem sie es wegen Ägypten verärgern. Grüße an Laura - die Zeitung der Wienerinnen2 ist noch nicht erschienen - wahrscheinlich fehlt es an Geld. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
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Engels an Conrad Schmidt in Zürich
London, I.Nov. 91
Lieber Schmidt, Vor allen Dingen meinen Glückwunsch zu Ihrer Verlobung und hoffentlich recht baldigen Heirat. Lassen Sie mich wissen, wann der entscheidende Tag sein wird, damit wir [auf] Ihre und Ihrer jungen Braut Gesundheit trinken können, einstweilen soll das heute mittag in einem Glase Portwein einleitungshalber geschehn. Auch zum Abschluß mit Guttentag gratuliere ich Ihnen, die Arbeit ist der Mühe wert, aber Zeit müssen Sie sich dazu nehmen.'2751 Nächste Woche gehe ich an den 3. Band1 (das ist mit schuld dran, daß ich Ihnen so rasch antworte, ich muß alle Korrespondenz vorher erledigen) und denke nicht aufhören zu müssen, bis alles erledigt. So daß Sie auch diesen notwendigen Abschluß noch einbegreifen können. Ohne Hegel geht's natürlich nicht, und der Mann will auch Zeit haben, bis er verdaut ist. Die kurze Logik in der ,,Encykl[opädie]" ist ein ganz guter Anfang. Sie müssen aber die Ausgabe im 6. Band der „Werke" nehmen, nicht die Separatausgabe von Rosenkranz (1845), da in jener weit mehr erklärende Zusätze aus den Vorlesungen sich befinden, wenn auch von dem Esel Henning oft selbst nicht verstanden. In der Einleitung haben Sie § 26 etc. zuerst die Kritik der Wolfschen Verarbeitung von Leibniz (Metaphysik im historischen Sinn), dann des englisch-französischen Empirismus § 37 etc., dann Kants § 40ff., endlich des Jacobischen Mystizismus § 61. - Im ersten Abschnitt (Sein) sollten Sie sich nicht zu lange bei dem Sein und Nichts aufhalten, die letzten § der Qualität, dann Quantität und Maß sind viel schöner, die Lehre vom Wesen aber ist der Hauptteil: die Auflösung der abstrakten Gegensätze in ihre Haltlosigkeit, wo, sobald man die eine Seite allein festhalten will, sie sich unvermerkt in die andre verwandelt usw. Dabei können Sie sich die Sache immer an konkreten Beispielen klarmachen. Z.B. von der
Untrennbarkeit von Identität und Unterschied haben Sie als Bräutigam ein schlagendes Exempel an sich selbst und Ihrer Braut. Es ist absolut nicht festzustellen, ob die Geschlechtsliebe die Freude ist an der Identität im Unterschied oder an dem Unterschied in der Identität. Nehmen Sie den Unterschied (hier des Geschlechtes) weg oder die Identität (die Menschheit beider), und was bleibt Ihnen übrig? Ich erinnere mich, wie mich im Anfang grade diese Untrennbarkeit von Identität und Unterschied geplagt hat, obwohl wir keinen Schritt tun können, ohne darüber zu stolpern. Keinesfalls aber dürfen Sie Hegel lesen, wie der Herr Barth ihn gelesen hat, nämlich um die Paralogismen und faulen Kniffe zu entdecken, die ihm als Hebel der Konstruktion dienten. Das ist pure Schuljungenarbeit. Viel wichtiger ist, unter der unrichtigen Form und im erkünstelten Zusammenhang das Richtige und Geniale herauszufinden. So sind die Übergänge von einer Kategorie oder einem Gegensatz zum nächsten fast immer willkürlich - oft durch einen Witz gemacht, wie wenn Positiv und Negativ § 120 „zugrunde gehn", damit Hegel auf die Kategorie des „Grundes" kommen kann. Darüber viel zu spintisieren, ist Zeitverlust. Da jede Kategorie bei Hegel eine Stufe in der Geschichte der Philosophie vertritt (wie er auch meist solche angibt), werden Sie gut tun, die „Vorlesungen über Gesch[ichte] der Philosophie]" - eins der genialsten Werke - zu vergleichen. Zur Erholung kann ich Ihnen die „Ästhetik" empfehlen. Wenn Sie sich da etwas hineingearbeitet haben, werden Sie erstaunen. Die Verkehrung der Dialektik bei Hegel beruht darauf, daß sie „Selbstentwicklung des Gedankens" sein soll und daher die Dialektik der Tatsachen nur ihr Abglanz, während die Dialektik in unserm Kopf doch nur die Widerspiegelung der sich in der natürlichen und menschengeschichtlichen Welt vollziehenden, dialektischen Formen gehorchenden, tatsächlichen Entwicklung ist. Vergleichen Sie einmal die Entwicklung bei Marx von der Ware zum Kapital mit der bei Hegel vom Sein zum Wesen, und Sie haben eine ganz gute Parallele, hier die konkrete Entwicklung, wie sie sich aus den Tatsachen ergibt, dort die abstrakte Konstruktion, worin höchst geniale Gedanken und stellenweise sehr richtige Umschläge, wie der der Qualität in Quantität und umgekehrt, zu einer scheinbaren Selbstentwicklung eines Begriffs aus einem andern verarbeitet werden, deren man auch ein Dutzend andrer hätte fabrizieren können. Der edle Wolf hat mir sein Opus in Separatabdruck geschickt.12241
Trotzdem aber ein anonymer „Verehrer" mich fragt2, ob ich den Kerl „ohrfeigen" werde, habe ich es noch nicht angesehn. So ein Professor, das hat immer noch Zeit. Der Parteitag ist sehr gut verlaufen.'226' Die lange Beschäftigung mit der „Opposition" hat gar nicht geschadet, die Philister mögen sich dran ergötzt haben, in der Partei selbst hat's sicher sehr gut gewirkt. Nach dem Brüßler Kongreß waren Bebel und Adler ein paar Tage hier, wir waren sehr heiter.'207' Bernsteins sehr gute Einleitung zu Lassalle kommt englisch heraus.'2631 Nun ich hoffe, Sie haben ein gutes Häuflein Studenten und Studentinnen für Ihren ersten Kurs. Besten Gruß. Ihr F. Engels
Frau Kautsky gratuliert Ihnen und Ihrer Braut ebenfalls herzlichst.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 9. Nov. 91
Meine liebe Laura, Victoire! Wenn auch in einer ihrer entferntesten Ecken, verborgen unter den Notizen, die die Spalten füllen helfen, informierte uns die „Daily News" doch, daß Depasse (der jetzt gut daran täte, das a in seinem Namen, der die Quelle so vieler Kalauer ist, gegen ein i auszutauschen) von Paul um etwa 1400 Stimmen geschlagen worden ist.12641 So sind die beiden Toasts, die wir gestern in Port- und Rotwein ausgebracht haben, nicht ohne Erfolg gewesen. Nun, damit ist viel gewonnen. Und beinahe mehr wert als der Sieg selbst ist die Art, wie er errungen wurde, wodurch eine simple Nachwahl zu einer großen politischen Aktion wurde, deren Folgen nicht abzusehen sind. Paul könnte wohl wetten, daß sein Constans nicht hinter dem roi de Prusse1 als unfreiwilliger Förderer des Sozialismus zurücksteht; doch die wirkliche Ähnlichkeit besteht zwischen Constans und Bismarck, wie sie auch zwischen Bismarck und Louis Bonaparte bestand - sie alle besitzen jene kurzsichtige Klugheit und Dummschlauheit2 des gewöhnlichen Kaufmanns und Spekulanten, der ein bestimmtes Ziel verfolgt und durch falsche Einschätzung der Ursachen und Wirkungen genau das Gegenteil erreicht. Jedenfalls hat Constans' Dummheit nicht nur zu Pauls Wahl geführt, die dem Sozialismus in ganz Frankreich einen ungeheuren elan gibt, sondern auch zur Schwächung der Koalition, die in der Rue Cadet11281 zur Unterstützung des Ministeriums gegen den Boulangismus gebildet worden war. Ich glaube nicht, daß die Masse der radikalen Clemencisten sofort vom Ministerium abfallen wird, man hält sie zu sehr fest. Doch das alte Gefühl der Sicherheit existiert nicht mehr seit der RocAe-Debatte.12761 Und einige konsequentere Elemente wie Millerand können sich kaum noch in der Regierungsallianz halten. Das und die persönlichen Ambitionen und Intrigen innerhalb des Ministeriums werden dazu ausreichen, eine Änderung herbeizuführen; und jede Veränderung lockert die Bande zwischen dem
Zaren und den französischen Chauvinisten und ist deshalb günstig für den Frieden. Nebenbei, welche Ironie der Geschichte, daß die russische Regierung, nachdem sie Millionen für Boulanger ausgegeben hat, jetzt neue Millionen ausgeben muß für eben die Leute, die Boulanger gestürzt haben! Es ist eine angenehm aufregende Zeit gewesen, und ich muß Euch vielmals dafür danken, daß Ihr mir ermöglicht habt, allen ihren Peripetien in der Pariser Presse zu folgen. Was für ein elender, hilfloser politischer Esel dieser Ranc geworden ist. II doit etre en train de s'enrichir, celui-la!3 Ich habe einige humoristische Glückwunschzeilen an Paul direkt geschickt, so daß sie der M. le directeur de la prison4 genau lesen kann.1521 Wenn er sie konfiszieren sollte, werde ich Dir eine Kopie davon schicken. Aber ich hoffe und glaube, daß dem M. le depute'5 mehr Respekt erwiesen werden wird. Ich bin gespannt, was Constans und die Kammer jetzt machen werden. Wenn sie versuchen, Paul in Ste-Pelagie festzuhalten, wird es für sie um so schlimmer sein. Ich habe den Eindruck, daß Mutter Crawford nicht so unrecht hat, wenn sie feststellt, die Stärke des jetzigen Ministeriums bestehe darin, daß es ihm gelungen sei, Anzeichen der französisch-russischen Entente nach außen sichtbar zu machen, und daß die Radikalen'431 aus diesem Grunde eine Auflösung befürchten.'277' Doch wenn, wie sehr wohl möglich, innere Streitigkeiten zur Auflösung des Ministeriums führen, wenn dieser Entwicklung noch ein solcher zweifelhafter Sieg wie der vom letzten Samstag6 entgegenkommt, dann wird sich alles ändern. Erstens wird die russische Entente sehr nebelhaft, sobald die Unstetigkeit der Regierungen erneut offensichtlich wird, und zweitens, wenn sich das Kabinett spaltet, wird sich jede Gruppe das Verdienst an dieser Entente zuschreiben. Und drittens kann nach einer Spaltung weder jemand sagen, wie die Umbildung aussehen wird, noch, wie dauerhaft sie sein mag. Ich habe in letzter Zeit wieder häufiger in die „Justice" von Clemenceau gesehen, und es fällt mir auf, daß im Hintergrund der Allianz gegen Boulanger der Gedanke gestanden haben muß, daß es nur eine Möglichkeit gäbe, einem jetzigen oder künftigen Boulanger den Wind aus den Segeln zu nehmen, nämlich: sich um jeden Preis mit Rußland zu verständigen und dann den guerre de revanche7 zu beschleunigen. Das ist die einzige Schlußfolgerung, die ich aus dem Ton der „Justice" ziehen kann: soyons plus
® Er muß im Begriff sein, sich zu bereichern, dieser Kerl! - 4 Herr Gefängnisdirektor 6 Herrn Abgeordneten - 6 31.Oktober -7 Revanchekrieg
patriotes que8 Boulanger! Und zweifellos würde dieser Plan ihnen allen gefallen: mit Deutschland abrechnen, Frankreich wieder in die Position einer führenden Macht bringen (deren Anschein ihm Rußland vielleicht erlauben würde, vorausgesetzt, daß Frankreich ihm die wirkliche Macht überläßt) und dann, aber nicht eher, die Streitigkeiten innerhalb der republikanischen Partei regeln. Wenn das nicht der Fall ist, begreife ich weder die Sprache noch die Handlungsweise der Radikalen. Sie mögen Narren sein, aber jeder Narrheit ist eine Grenze gesetzt, wenigstens außerhalb des Irrenhauses. Louise will einige Zeilen schreiben, deshalb schließe ich in Zuneigung immer Dein F.E.
[Nachschrift von Louise Kautsky]
Meine liebe Laura, Ich bin sehr stolz, daß meine Definition der Buchstaben M.P.1M21 sich schließlich als richtig erwiesen hat, obwohl Sie vorher recht hatten und so lange recht haben, wie der gegenwärtige Zustand anhält. Die Notiz über die Wahl von M.P. (in Ihrem Sinne) stand unter einer Zeitungsmeldung „Der Mörder einer wohlhabenden Witwe"; der General hat sie gefunden, da ich nicht wußte, daß die Wahl eines Sozialisten noch unter dem rangiert, was auf einen Bourgeois Eindruck macht...9
Aus dem Englischen.
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 9. Nov. 91
Lieber August, Dank für Brief vom 29./10. und die vielen Sendungen nebst Postkarte 30./10. Lafargue hat also gesiegt.'2541 Das ist ein Ereignis, erstens wegen der Wirkung auf Frankreich direkt, die sehr groß sein wird, zweitens, weil hier wirklich alle sozialistischen Fraktionen, auch die Possibilisten, wenn auch stellenweise sauersüß, zusammengegangen sind, und drittens, weil es die eines Bismarck würdige Dummschlauheit und Brutalität des Herrn Constans fertiggebracht hat, aus einer simplen Nachwahl eine Ministerien erschütternde Haupt- und Staatsaktion zu machen. Das Ministerium hatte zwei Hauptstützpunkte: 1. den Sieg über Boulanger, die gemeinsame Gefahr, 2. die äußerlich demonstrative Schaustellung eines intimen Verhältnisses mit Rußland. Dazu als 3. die wenigstens für den Pöbel gelungne Schaustellung der neu hergestellten militärischen Macht Frankreichs in den großen Manövern des September. Vermittelst dieser 3 Punkte hatte es die äußerste Linke gezwungen, es zu stützen: alle „Republikaner" bildeten eine Majorität gegen alle Monarchisten, Boulangisten und mehr oder weniger auch Sozialisten. Nun läßt Constans, entgegen der Praxis von 1869, Lafargue nicht frei, um seine Kandidatur zu vertreten. Da konnten die Radikalen nicht mitmachen. Daher bei Roches Interpellation die große Debatte am 31. Okt. und ein Pyrrhussieg des Ministeriums - 240 fürs Ministerium, 160 dagegen, aber - 170 monarchische Enthaltungen.'276) Also wirkliche Majorität gegens Ministerium - 90. Abfall der Radikalen also = Sturz des Kabinetts, sobald die Monarchisten wollen und mit den Radikalen stimmen. Natürlich war nach der Abstimmung der Schreck bei den Radikalen ebenso groß wie beim Ministerium, besonders da dies mit Auflösung drohte und den Radikalen andeutete, sie würden die Wähler weit ministerieller finden als die jetzige Kammer, was sehr wahrscheinlich ist. Genug, das Verhalten von Constans hat der „einen republikanischen" Masse gezeigt, daß, nachdem der eine Gegner verschwunden,
14 tvWEoütU, Werke, Bd. 38
der sie geeint hat, es innere Fragen gibt, die sie rettungslos trennen, der Riß ist da, ist nicht zu verkleistern, und jetzt, wo Constans durch sein fortgesetztes Festhalten Lafargues in Ste-Pelagie jeden republikanischen Anstand mit Füßen tritt, wird's noch schöner werden. Nicht, daß ich einen Sturz des Ministeriums^ so bald erwarte infolge des Abfalls der Radikalen, im Gegenteil, diese werden noch mehrmals nach erfochtnen unfreiwilligen Siegen zu Kreuz kriechen und die Regierung um Verzeihung bitten - aber im Ministerium selbst herrscht offner Krieg zwischen Freycinet und Ribot hier, Constans und Rouvier dort, und ein wiederholtes zweifelhaftes Votum kann diesen Krieg zur Krisis bringen, eine Spaltung hervorrufen, damit einen Ministerwechsel, erneuerte Unstetigkeit der Ministerien, d:h. Erkaltung der russischen Liebeswerbungen, da der Zar eine feste Regierung in Frankreich braucht; und endlich - Neuwahl unter veränderten Umständen und mit veränderten Resultaten. Während Liebk[necht] im „Vorwärts" Triumphlieder singt über die Nichtexistenz des Chauvinismus in Frankreich, hat mich die Pariser Presse, die ich während der Wahlzeit genau verfolgen konnte, und speziell die „Justice" von Clemenceau, die L[ie]bk[necht], glaube ich, auch täglich liest, überzeugt, daß der Pakt der „Republikaner" gegen Boulanger (Opportunisten, Radikale, Possibilisten) zur geheimen Grundlage hatte: daß die Regierung den Boulanger an Patriotismus übertrumpfe, die russische Allianz herstelle, die Armee als schlagfertig der Welt vorführe, mit dem Säbel raßle, und wenn dadurch der Revanchekrieg herbeigeführt werde, ihn frisch und fröhlich führe - d.h. daß so direkt wie möglich der Revanchekrieg, der Herzenswunsch aller französischen Bourgeois, angestrebt werde. Wie die Republik 1849 und 1871 die Form war, die die Monarchisten am' leichtesten einte, so der Revanchekrieg der Punkt, worin alle Republikaner, d.h. alle bürgerlichen ~ die Arbeiter zählen ja nur als Stimmvieh -, am sichersten unter einen Hut zu bringen sind - in der Tat der einzige Punkt, nach errungener und konsolidierter Republik, der das fertigbringt. Die Revanche war das Geheimnis des boulangistischen Erfolges - proklamieren wir die Revanche! Die Wiedererlangung Elsaß-Lothringens! Wenn Du die „Justice" der vorboulangistischen und boulangistischen Zeit mit der jetzigen vergleichst, so wirst Du schwerlich zu einem andern Resultat kommen. " Aber das ist gegen Liebk[necht]s Prinzip. In Frankreich darf keine starke chauvinistische Strömung existieren, das ist gegen die ewigen Prinzipien, und daher wird's geleugnet. Gehn die Ereignisse weiter, so kann Euch diese „Vorwärts "-Politik teuer zu stehn kommen, und es wird sich rächen, daß Euer auswärtiger politischer Dirigent farbenblind ist. Ich weiß nicht, wie'
Hirsch jetzt in diesem Punkt denkt, er hat früher auch in Beziehung auf Frankreich manchmal sonderbare Ansichten gehabt, indes wird er wohl mit sich sprechen lassen. 10. Nov. Also Lafargue ist frei. Für die Sitzungsperiode - und selbst Meyer Opper von Biowitz bezweifelt, daß er wieder nach Pelagie muß, wenn diese geschlossen. Das war wieder eine Niederlage von Constans. Der und seine Opportunisten wollten Lfafargue] anfangs im Gefängnis lassen aber die Gewißheit, daß dann Radikale und Monarchisten ihn durch Majorität gegen die Regierung freisprechen würden, zwang die Herren, klein beizugeben. Also zweimal ist die äußerste Linke gezwungen worden, sich von der Regierung zu trennen. - Übrigens ist die ganze französische Kammerpolitik total unverständlich für jeden, der nicht fortwährend im Auge behält, daß Regierung und Opportunisten ihre Herrschaft in schamloser Weise zur persönlichen Bereicherung ausbeuten und daß die Masse der Radikalen dabei mit kompromittiert und interessiert ist - und nur auf die Zeit wartet, wo sie stark genug sind, das Ruder selbst zu ergreifen und den Rahm abzuschöpfen, den jetzt die Opportunisten einsacken. Wie dumm-wütend die französische Regierung: wenige Tage vor der Liller Stichwahl wurden in Fourmies die Rekruten ausgehoben und dabei 30 junge Leute in das in Maubeuge garnisonierende Bataillon des 145. Regiments gesteckt, das am I.Mai in Fourmies auf dieselben Leute geschossen hatte'1521 - und unter den 30 war auch ein Bruder der am 1. Mai von demselben Bataillon erschossenen Marie Blondeaul Man meint, man wäre in Preußen. Der „Vorwärts" weiß von alledem nichts! Eure Siege in Berlin12781 und Vollmars sehr eklatante und für ihn eklige Niederlage in München12731 haben uns viel Freude gemacht. Ich denke, Ihr habt auf einige Zeit Ruhe vor neuen Sezessionen resp. Hinauswerfungen, und inzwischen wächst die Partei so an, daß diese Methode der Opposition überhaupt eingehn dürfte. Ob es Euch angenehmer sein wird, wenn sich das Klüngelpack innerhalb der gesetzlichen Grenzen hält, ist allerdings fraglich. Die Züricher Geschichte beweist Euch abermals, welche Last für Euch die Vereine im Ausland sind, könnt Ihr nicht die Gelegenheit benutzen, Euch ein für allemal mit der Bande ins reine zu setzen? Der „Vorwärts" hat Hans Müller vortrefflich abgefertigt, aber damit seid Ihr die Prätension der auswärtigen Narren, Euch ein Tadelsvotum zu erteilen, nicht losgeworden.12791 So auch hier mit dem Verein12201 und Gilles1. Wenn Ihr nicht öffent
lieh erklärt, gegenüber der Gillesscben Erklärung, wie der hiesige Verein zur Partei steht, so nützt alles Protestieren in Privatbriefen nichts. Hier werdet Ihr für den Blödsinn dieser Bande ohne weiteres verantwortlich gemacht - die geschichtliche Vergangenheit des Vereins rechtfertigt das auch, solange Ihr schweigt. Stolp-Lauenburg und Dein Artikel im „Vorwärts" darüber, der ganz meine Ansicht ausspricht, haben uns sehr gefreut.12801 Die Masse der ostelbischen Landtaglöhner ist wirklich noch zu sehr tatsächlich leibeigen (wie die englischen auch), als daß unsre direkte Propaganda da viel wirken könnte, ehe sie die Vorschule des Fortschritts durchgemacht. Da hat der Fortschritt den Beruf, den Boden für uns vorzubereiten, und das wird er erfolgreich tun. Wenn er also in Berlin, uns gegenüber und bei seiner Schlappheit, zur reaktionären Masse zählen könnte, so tritt er auf dem Land aus dieser Stellung entschieden, einstweilen noch, heraus. Lange wird's freilich nicht dauern. Die Reichstagsverlängerung auf 5 Jahre1281' wird doch wahrscheinlich unterbrochen. Wenn der Druck fortdauert, fällt die Majorität auseinander, und die Regierung maß auflösen, weil sie sich sonst nicht helfen kann. Kommt Krieg, dann erst recht. Ihr könnt schon diesen Winter possierliche Dinge erleben. Ich bin froh zu erfahren, daß schon jetzt in den technisch gebildeten Kreisen soviel Hinneigung zu uns herrscht. Ich habe aber bei den französischen Republikanern, die doch selbst Bourgeois waren, 1848 und 1870/71 zu schöne Erfahrungen gemacht, wie weit man mit solchen, in Zeiten der Gefahr, stillen Anhängern und Sympathisierern kommt und wie greulich man sich da blamieren kann, um nicht zu wünschen, daß wir bei einem so wichtigen Geschäft wie die Vergesellschaftung der großen Industrie und des großen Ackerbaus ein paar Jahre Zeit haben, uns die Herren nach Kapazität und Charakter vorher genauer anzusehn. Das erspart nicht nur Reibungen, das kann auch in einem kritischen Moment eine sonst unvermeidliche entscheidende Niederlage abwenden. Es werden ohnehin kolossale Böcke in Masse geschehn, das ist ja unvermeidlich. Du selbst sagst ja, daß unter den Offerten genug sind von Leuten, die mehr Ansprüche haben als Talent und Kenntnisse, und ich vergesse nicht, was Singer mir gelegentlich des Nonne sagte von den Studenten, die die Furcht vor dem Examen in die Sozialdemokratie treibt. Indes ist die Tatsache, daß sie kommen, Anzeichen von dem, was herannaht. Die Hungersnot in Rußland wird scheußlich. In Simbirsk werden die rebellischen Hungerleider mit 500 Hieben zu Tode gepeitscht. Das
Winterkorn im Süden hat entweder wegen Dürre nicht gesät werden können oder ist durch frühen Frost getötet. Also neue Not fürs nächste Jahr. Mir scheint, daß die Russen stark abwiegeln (Giers' Reise nach Mailand) und auch den zu rasch voraneilenden Franzosen ein Zäumchen angelegt haben und daß grade deswegen der Zar sich glaubte erlauben zu können, dem jungen Wilhelm besuchslos durchs Land zu reisen, was doch eine derbe Majestätsbeleidigung ist.12821 Wenn nun erst das französische Ministerium wackelt, dann sollst Du sehn, wie friedfertig der Zar wird - natürlich ohne den Übergriffen im Orient und Zentralasien Einhalt zu tun. Salisbury hat gestern abend den City-Eseln und Schwindlern erklärt, kein Wölkchen trübe den Friedenshorizont. Das wäre ein schlimmes Vorzeichen, 1870 hatte Granville, auswärtiger Minister, 14 Tage vor dem Krieg dasselbe gesagt. Die französischen Manöver vom September mit 4 Armeekorps waren arger Schwindel. Sir Ch. Dilke, der Ehebruchskollege von Parnell - obwohl auf verschiedner Grundlage - hat sie franzosenbegeistert beschrieben, aber sein Artikel beweist, daß vieles sehr faul und manches noch wie Anno 70 war. Namentlich Untüchtigkeit der Offiziere. Wenn die Leute erst im großen mobilisieren, wird's da noch mehr hapern. Gruß von Louise. Dein F. Engels
Die russische Anleihe12281 liegt den Pariser Bankiers schwer im Magen. Ist 4% unter Emissionspreis gefallen, und die Leute lassen hier massenweis andre Fonds und Aktien losschlagen, um in Paris am 20. er. neu an die Russen einzahlen zu können.12831
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Engels an Oscar Heidfeld in Liverpool12841 (Abschrift)
[London] 12.Nov. 91
Werter Herr, ... Die in Ihrem Schreiben erwähnten Dokumente12851 besitze ich noch. Sie sind jetzt aber völlig wertlos, da die Police längst verfallen ist, weil Herr Dronke es unterlassen hat, die Prämien zu zahlen, wie er das hätte tun müssen. Die allererste, im Nov. 77 fällige Prämie hatte ich gezahlt in der Annahme, daß er mir das Geld zurückerstatten würde. Als ich mich aber deshalb an ihn wandte, hat er niemals geantwortet. Ich konnte auch seitdem seine Adresse nicht erfahren, obgleich meine Anwälte in Manchester alles unternommen haben, um ihn ausfindig zu machen. Unter diesen Umständen und mit Rücksicht darauf, daß die Ratenzahlung mit den Zinsen dafür und für das ursprüngliche Darlehn fast mit Sicherheit mehr ausmachen würde, als irgendeine Rückzahlung für die Police betragen könnte, blieb mir nichts anderes übrig, als die Police verfallen zu lassen. Aus Ihren Mitteilungen muß ich schließen, daß dasselbe Ergebnis eingetreten wäre, wenn er die Police nicht verpfändet hätte.
Aus dem Englischen.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 14. Nov. 91
Lieber Sorge, In aller Eile ein paar Zeilen vor Postschluß. Lafargues Sieg12541 wirst Du per Kabel erfahren haben. Das hat Herr Constans fertiggebracht, der ebenso dummschlau und tölpelhaft ist wie Bismarck oder noch mehr. 1. läßt er Laf[argue] in einem skandalösen Tendenzprozeß für die Schießerei der Regierung in Fourmies11521 verantwortlich machen und zu 1 Jahr •verdonnern, 2. als er ihn dadurch im Departement du Nord enorm populär gemacht und L[afargue] in Lille bei der ersten Vakanz aufgestellt wird, behält er ihn gegen den 22jährigen, vom Empire selbst eingeführten Gebrauch im Gefängnis, statt ihn für die Wahlperiode freizulassen; 3. als La[fargue] im ersten Wahlgang 5005 Stimmen, nur 780 unter absoluter Majorität, erhält, läßt Constans ihn noch nicht frei, obwohl er von der Kammer eine derbe Ohrfeige bekommt. Da nun auch der radikale Kandidat Roche, der 2274 Stimmen erhalten, zugunstenLafargues zurücktritt, war L[afargüe]s Sieg gewiß. Das beste aber ist, daß der dumme Constans es fertiggebracht hat, außerdem noch die Wahl Laf[argue]s zu einem evenement1 zu machen und sich selbst dabei arg ins Wackeln zu bringen. Nämlich als 31. Okt. die Freilassüng Laf[argue]s in der Kammer verlangt wurde von Millerand, ging der Beschluß, darüber zur Tagesordnung überzugehn, durch mit 240 gegen 160 Radikale. Aber nur, weil 170 Monarchisten nicht stimmten. Dies war das erstemal, daß die Radikalen seit der Boulangiade gegen die Regierung stimmten und so den Beweis lieferten, daß die Regierung jeden Augenblick durch ein gemeinsames Votum von Radikalen und Monarchisten gestürzt werden kann. Und als am 9. Nov., nach L[afargue]s Wahl, wieder seine Freilassung beantragt wurde, ist die Regierung nur durch die Aussicht auf so ein vereintes Votum gezwungen worden, ihre Absicht aufzugeben, sich der Freilassung zu widersetzen.
1 Ereignis
Da nun aber im Kabinett kolossaler Zank existiert, Freycinet lieber seine Majorität durch die Radikalen, Constans aber durch die Monarchisten gegen die Radikalen herstellen will, da Constans sich durch sein Vorgehn seit l.Mai bei den Arbeitern verhaßt gemacht und sein Freund Rouvier der verrufenste und korrupteste Kerl im Ministerium ist und auch Carnot den Constans nicht ausstehn kann, weil dieser jenem als Präsident der Republik nachzufolgen versucht, so sind alle diese parlamentarischen Schwankungen von Wichtigkeit: denn die Wiederherstellung der ministeriellen Unsicherheit in Frankreich ist eine neue Friedensgarantie, da der Zar sich hüten wird, Arm in Arm mit einer jeden Tag wackelnden Regierung in Paris Krieg anzufangen. Andrerseits sind diese Symptome wichtig wegen der innern Lage in Frankreich. Ein großer Teil der Radikalen - Millerand, Hovelacque, Moreau etc. - sehen ein, daß es ohne die Arbeiter platterdings nicht geht und daß das Gaukelspiel der Regierung: scheinbar arbeiterfreundliche Bills in der Kammer einzubringen, aber dafür zu sorgen, daß sie im Senat durchfallen - daß dies nicht mehr angeht. Kommt Lafargue nun da hinein und erhält damit die kleine sozialistische Gruppe von 7-8 Mann - lauter Kleinzeug und unfähig zur Initiative - einen Führer, so kann's bald was Neues geben. Allerdings nur unter der Bedingung, daß unser Paul nicht selbst sein V8 °der V12 Niggerblut obenauf kommen läßt. In Deutschland geht alles sehr gut. Vollmar hat in München selbst eine noch entscheidendere Niederlage erlebt als in Erfurt.1273' Die Opposition ist praktisch Null und wird bald ganz ins polizeiliche Fahrwasser kommen.'286' Alle entgegenstehenden Zeitungsberichte sind erlogen, besonders was Euch gekabelt wird - ich habe da kostbare Proben gesehn. Wie's mit dem „Vorwärts" gehn wird, weiß ich nicht. Es hat sich gebessert, aber Hirsch kommt nicht hin. Ich halte das kaum für ein Unglück. Grüße an Deine Frau. Dein F. E.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 21. Nov. 91
Lieber Sorge, Brief 6., Postkarte 8. Nov. erhalten. Die Wiener „Arb[eiter]-Ztg." versprach mir Adler, als er mit Bebel von Brüssel hier war, Dir regelmäßig zu schicken, und die Wiener halten Wort. Ich muß jetzt, wo die östreichische Bewegung wichtiger wird, das Blatt selbst aufheben. „Der arme Teufel" hat hier viel Heiterkeit erregt. Die erste Adolfinade nahm Adler mit, die zweite schickte ich an Bebel. Es versteht sich von selbst, daß Du Marx' Briefe an Dich veröffentlichst, wenn es Dir beliebt, ohne mich oder sonst jemand zu fragen. Du solltest Deine Artikel über die amerikanische Arbeiterbewegung, sobald fertig, als Bändchen - in Dietz' Internationaler Bibliothek etwa - herausgeben12871, damit sie dauernd vereint bleiben. Wenn Du willst, kann ich das Nötige mit Dietz einleiten. Natürlich muß er wieder dafür zahlen. Bakunin-Biographie12521 dankend erhalten - noch nicht angesehn. In einem Brief bat ich Dich1, mir feine amerikanische Bourgeoisrevue zu schicken - ich kann die guten hier alle (bei Mudie) haben, wenn was darin ist -, und Tussy paßt auf. Dagegen wollte ich eine Bitte zusetzen, wurde aber unterbrochen und der Brief so zugemacht: Nämlich, von Zeit zu Zeit einmal eine einzelne Nr. irgendeines - dieses oder jenes - Frauenrechtlerorgans zu schicken - Louise sieht diesen Kram von Zeit zu Zeit an, um sich - und dadurch auch mich - einigermaßen auf dem laufenden dieses Schwindels zu erhalten. In Berlin und andern Städten wieder Stadtratswahlsiege - in Berlin Stimmenzahl Verdreifacht.12881 Die Jungen12861 haben sich konstituiert und geben ein Blättchen heraus: „Der Sozialist" - ist schnoddrig und dumm. Nichts als Klatsch und Lügen.
Leichter allerdings wäre der Kampf gegen sie, wenn L[ie]bk[necht] nicht soviel Böcke machte und den „Vorwärts" so elend redigierte. Also Frau Schlfüter] kommt doch wieder! Ganz wie wir hier dachten.2 Auch hier sind bei den Munizipalwahlen allerlei kleine Siege erfochten: in West Harn (heißt west because East of the East End3) ist Will Thorne, Sekretär der Gasarbeiter1671, ein ganz famoser Kerl, gewählt etc. etc. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich von Deinem F. Engels
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 25. Nov. 1891
Lieber Bebel, Ich suchte mir zwischen der Arbeit am 111. Band1, die hübsch flott vorangeht, die Zeit, Dir auf den Deinigen vom 15. zu antworten, da kommt eine Nachricht, die mich zwingt, sofort zu schreiben. Lafargue soll in einer Versammlung in Bordeaux1289' am 22. gesagt haben, er habe 1870 servi le pays ä sa maniere en communiquant ä M.Ranc des plans qui, si l'on en avait tenu compte, pouvaient completement changer la face des choses. Ces plans lui etaient communiques par des freres de I'Internationale en Allemagne, parmi lesquels se trouvaient plusiears officiers de l'armee allemande2. Nun kann L[afargue] das nicht gesagt haben, aber ich kann mir auch absolut nicht denken, was er gesagt. Die Sache ist aber so entschieden blödsinnig und die Anklage so greulich, daß Ihr wohl werdet antworten müssen, ehe Ihr Nachricht bekommt, was L[afargue] gesagt hat. Ich habe sogleich gestern und heute nochmal an Laura und ihn selbst geschrieben'52', um den Tatbestand zu erfahren, ihm auch gesagt, daß Ihr werdet wahrscheinlich sofort dagegen vorgehn müssen und er dabei sich gefallenlassen muß, wenn Ihr auf ihn absolut keine Rücksicht nehmt. Das verdient er auch eigentlich nicht, ich möchte Euch aber doch bitten, nicht im Zorn zu handeln, wo man, wie ich selbst so oft, immer Dummheiten macht, sondern möglichst Rücksicht auf die Erhaltung der gemeinsamen oder doch parallelen Aktion mit den französischen Arbeitern zu nehmen. Natürlich werdet Ihr alle und jede Anwendung jener abgeschmackten Behauptung auf Euch zurückweisen, das versteht sich ganz von selbst. Weder habt Ihr selbst militärische Nachrichten direkt oder indirekt an die französische Regierung in Bordeaux geschickt, noch Pläne deutscher Offiziere, da Ihr, soviel ich weiß, damals
1 des „Kapitals" - 2 dem Land auf seine Art gedient und Herrn Ranc Pläne mitgeteilt, die, wenn man sieb darüber klar geworden wäre, den Verlauf der Dinge hätten vollständig ändern können. Diese Pläne waren ihm von den Brüdern der Internationale in Deutschland mitgeteilt worden, unter denen sich mehrere Offiziere der deutschen Armee befanden
absolut keine Verbindungen mit Offizieren hattet. Also je energischer Ihr diese rein verrückte Anklage zurückweist, desto besser, nur möchte ich zu bedenken geben, daß es immer geraten bleibt und spätere Weiterungen vermeidet, wenn nur der Bericht als solcher zurückgewiesen wird, ohne daß Laffargue] einstweilen noch für diesen verantwortlich gemacht wird. Eine weitere Erklärung, sobald der Wortlaut bekannt, den ich, sobald erhalten, Euch mitteile, ist ja nicht ausgeschlossen. Was Lfafargue] gesagt haben kann und was er im Kopf gehabt, ist mir total unerfindlich. Denn auch von hier aus, vom Generalrat der Internationale, hatten wir absolut keine Verbindungen mit deutschen Offizieren und waren also nicht einmal in der Lage, ihm derartige „Pläne" solcher Herren zukommen zu lassen. Und wenn er sonst in Frankreich Verbindungen auftrieb, nachdem er, ich glaube 1868 nach seiner Hochzeit (oder 69 ich weiß augenblicklich nicht genau), nach Frankreich zurückging, so hat er sie vor uns hier so sorgfältig geheimgehalten, daß bis zu seiner Rückreise nach Frankreich 1880 nichts davon an den Tag kam und auch seitdem nicht. Jedenfalls hat er eine ganz unverzeihliche Dummheit begangen - entweder gelogen oder aus der Schule geschwatzt, das mag er selbst entscheiden - und Euch eine Lage bereitet, die wohl imstande wäre, Euch die Lust am internationalen Verkehr zu vertreiben. Ich sehe voraus, was für eine Flut sich über Euch ergießen wird, und sehe noch nicht, wie dem zu stemmen ist. Ich kann mir nur denken, daß das 1/s oder 1/16 Negerblut, das in Laffargue] ist und das von Zeit zu Zeit bei ihm die Oberhand bekommt, ihn zu dieser ganz unerklärlichen Tollheit verleitet hat - es ist eine ganz unbegreifliche Dummheit, gelind gesprochen. Bei der großen Zahl ehemaliger deutscher Offiziere, die 1848/49 und seitdem sich im Ausland niedergelassen, ist es immer möglich, daß ihm derartiges zugekommen, aber dies den freres d'Allemagne3 in die Schuhe zu schieben, geht doch übers Bohnenlied. Wenn Ihr es wünscht, bin ich jeden Augenblick bereit zu bezeugen, daß der Generalrat der Internationale nie und niemals in die Lage kam, Mitteilungen irgendwelcher Art Eurerseits - außer was in Euren eignen Blättern stand - während des Kriegs nach Frankreich zu übermitteln, überhaupt jede Erklärung zu machen, die Euch von irgendwelchem Schein der Mitverantwortlichkeit für solchen Blödsinn zu befreien helfen kann. Denn ist derartiges passiert, so seid Ihr ja so unschuldig daran wie das ungeborne Kind.
Auf diesen verfluchten Ärger gestern abend doch noch die Freude des Haller Wahlsiegs im „Evening Standard".12901 Das beweist doch, daß wir, trotz aller Dummheiten einzelner, als Masse im Avancieren bleiben. Apropos. Was auf der Postkarte12911 stand - ich dachte irgendeiner dort würde es lesen können -, war russisch: da zdrävstvujet Berlin! es lebe Berlin! Jetzt ist's aber glücklich Postzeit zum Einschreiben - das ist doch sicherer -, also über den Inhalt des Deinigen nächstens. Die Russen scheinen die Hörner einzuziehn, die Anleihe in Paris ist den Bankiers hängengeblieben, ein volles Drittel hat die russische Regierung als nicht placiert zurücknehmen müssen12281, die Vaterlandslosigkeit des Kapitals zeigt diesmal auch ihre gute Seite. Auch Deiner Frau zu schreiben ist ein Vergnügen, das ich mir aufsparen muß, sie wird Louises Brief erhalten haben. Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 27. Nov. 1891
Meine liebe Laura, Du brauchst nicht zu befürchten, daß mir jemals eingefallen wäre, Paul einer vorsätzlich niedrigen und ehrlosen Handlung für fähig zu halten. Das steht völlig außer Frage. Ein Mensch kann aber die Ehrenhaftigkeit in Person sein und doch eine etourderie1 begehen, deren Folgen nicht vorausgesehen werden können. Und meine Briefe enthalten keine Beschuldigung gegenüber Paul, sie sprechen nur von der Möglichkeit, daß er sich vielleicht zu einer solchen etourderie hinreißen ließ, und versuchen überdies, wenn das wirklich der Fall gewesen sein sollte, ihm aus dieser Lage herauszuhelfen, soweit das in meiner Macht steht. Um das zu tun, war es unbedingt notwendig, ihm die volle portie2 der ihm in den Mund gelegten Worte klarzumachen. Nun gibst Du selbst zu, daß es durchaus möglich ist, daß er dazu verleitet worden sein könnte, solch einen Fehler zu begehen. Wenden wir uns den Tatsachen zu. Am Montag abend3 enthält der „Ev[enin]g Standard" die fteufermeldung4, die mich von der Notwendigkeit des sofortigen Handelns überzeugte, 1. um authentische Information zu erlangen, 2. um weitere Fehler zu verhindern, falls einer bereits begangen worden war. Daher mein Brief an Dich1525, den Du beim nochmaligen Lesen hoffentlich weniger ungerechtfertigt finden w rst als beim ersten Überfliegen. Am selben Abend oder spätestens am nächsten Morgen erhalte ich nun von Dir 1. den beigelegten Ausschnitt aus einer nicht genannten Zeitung - dessen Inhalt Reuter offensichtlich gekürzt wiedergegeben hat und 2. einen „Intransigeant" vom 25. November, in dem unter der Überschrift „Le cit. Lafjargue] a Bordeaux"5 gleichfalls festgestellt wird, daß Paul am 22.Nov. vor einer Versammlung von cinq ou six cents personnes ... dans la satte des Chats6 gesagt hat, qu'ä differentes reprises il avait (en 1870)
1 Unbesonnenheit - 2 Tragweite - 3 23. November - 4 vgl. vorl. Band, S. 219 - 6 „Der Bürger Laf[argue] in Bordeaux" - 6 jünj- oder sechshundert Personen ... im Saal des Chats
remis a M.Ranc, alors directeur de la Sürete generale, divers plans et documents importants sur la Situation des armees allemandes qui lüi avaient ete communiques par des socialistes allemands et qui avraient pu changer la face des choses etc. etc.7 Daraus mußte ich schließen,daß Z)a den.Inhalt dieser beiden Berichte kanntest und daß allein die Tatsache, daß Du sie mir ohne jeglichen Kommentar schicktest, ein stillschweigendes Eingeständnis bedeutete, daß sie ihrem Inhalt nach richtig waren. Auf Grund dieser Schlußfolgerung und da ich mich überdies gewisser Äußerungen Pauls in seiner Rede in Lille entsann, die Du mir ebenfalls geschickt hattest, Äußerungen, die ich zumindest für unangebracht hielt, konnte ich nicht anders handeln, als Paul meinen Brief vom Mittwoch, dem 25.-52], zu schreiben. Jetzt bin ich natürlich überzeugt, daß Du niemals einen Bericht über Pauls Rede gelesen hattest und daß meine Briefe an Dich und Paul Dir den eisten Hinweis gaben, was ihm in den Mund gelegt worden ist. Aber nun wirst Du auch; einsehen, daß dies eine Angelegenheit ist, die beachtet werden muß; daß die Angabe, über das Verhalten .einiger deutscher Sozialisten während des Krieges yon 1870/71 -; ob im wesentlichen wahr oder unwahr - unter keinen Umständen hätte gemacht werden dürfen, wenn sie gemacht worden ist, und klar und unmißverständlich sofort dementiert werden muß, wenn sie nicht gemacht worden ist; daß, solange dieser Bericht nicht vollständig und absolut bereinigt ist, es absurd wäre, von unseren deutschen Freunden Vertrauen gegenüber unseren französischen Freunden zu erwarten; und daß die Regierung und die Bourgeois in Deutschland diesen Bericht sofortigegen unsere deutsche Partei in einer Weise ausnutzen werden, die nicht abzusehen ist; wenn es zu nichts weiter führt als zu einer Erneuerung des alten Sozialistengesetzes, können wir froh sein! Wenn Paul also verleumdet worden ist, wenn er bereit ist, öffentlich zu erklären, daß er niemals ein Wort gesagt hat, welches in irgendeiner Weise die Behauptung durchblicken läßt, daß deutsche Sozialisten,, weder innerhalb noch außerhalb Deutschlands, ihm militärische Angaben, Pläne, Nachrichten oder dergleichen zum Gebrauch der französischen Regierung während des Krieges von 1870/71 geliefert haben - dann veranlasse, daß er mir diese Erklärung sofort und in einem eingeschriebenen Brief schickt. Aber sie muß unmißverständlich sein, ohne Vorbehalte oder Einschränkungen
7 daß er wiederholt (im Jahre 1870) Herrn Ranc, damals Direktor der Allgemeinen Sicherheit, verschiedene wichtige Pläne und Dokumente über die Situation der deutschen Armeen übermittelt habe, die ihm durch deutsche Sozialisten zugegangen waren und die die Lage der Dinge hätten ändern können usw. usw.
irgendwelcher Art, oder sie wird nutzlos sein und kann noch schlimmer sein als nur nutzlos. Wenn diese unmißverständliche Erklärung aus diesem oder jenem Grunde nicht abgegeben werden kann, sehe ich keinen anderen Ausweg aus der Klemme, als daß Du und Paul sofort hierherkommt und mündlich die Dinge ausdiskutiert, was augenscheinlich für diese Art der Bereinigung das allein Richtige ist. Deine Gegenwart wird fast genauso notwendig sein wie seine, um unsere heißen Köpfe abzukühlen und uns Deine wohlüberlegten Ansichten zur Lage in Frankreich darzulegen; und auch, um uns mit Deiner weiblichen Klugheit und souplesse8 den „Ausweg" finden zu helfen in Fällen, in denen wir unbeholfenen, schwerfälligen Männer im dunkeln tappen. Du siehst, ich bin mit allen Mitteln bestrebt, Paul aus der Schwierigkeit herauszuhelfen, wenn er in eine solche geraten ist; aber das Allerwichtigste ist, neue Fehler zu vermeiden, wenn bereits einer begangen worden ist. Morgen wird seine Wahl12641 anerkannt werden, am Montag spätestens werde ich die ersten Berichte aus Deutschland über die Wirkung dieses Blitzes aus heiterem Himmel haben; wenn Ihr also am Sonntag so kommt, daß Ihr abends hier seid, könnte es uns gelingen, am Montag die schlimmsten Wolken zu vertreiben. Ein Telegramm „Ankunft heute abend" wäre uns angenehm, da wir sonntags keine Briefe erhalten. Und unter allen Umständen hoffe ich, daß Paul keinerlei öffentliche Schritte in einer Sache unternehmen wird, die andere Leute so tief berührt, ohne erst diese Leute zu konsultieren; der geringste Fehler könnte für ihn selbst verhängnisvoll sein, und er wird hoffentlich auch einsehen, daß dies kein Scherz ist und so bald wie möglich aus der Welt geschafft werden muß. Immer in Zuneigung Dein F.E.
Aus dem Englischen.
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Engels an August Bebel in Berlin
A London, I.Dez. 91 Lieber August, Endlich nach dreitägiger Ausgelassenheit wird die Geburtstagsstimmung doch wohl soweit verdampft sein, daß ich wieder mal einen etwas vernünftigen Brief schreiben kann. Also erstens, die Geschichte wegen L[afargue] ist in Ordnung. Laura schreibt mir heute - L[afargue] ist nach Lyon12921 und nur Samstag wegen seiner Wahlprüfung auf ein paar Stunden in Paris gewesen: „Paul bevollmächtigt mich zu sagen, 1. daß er seinen Brief an Dich bestätigt" (s. unten); 2. „daß die Versammlung in Bordeaux, wo er sprach, privat" - geschlossene Mitgliederversammlung der Arbeiterpartei „war; daß keine Reporters zugelassen waren und kein amtlicher Verhandlungsbericht existiert; 3. die inkriminierten Ausdrücke sind die Erfindung eines Reporters brodant sur le texte d'un article publii par Ränc" (der den Inhalt eines Artikels von Ranc weiter ausgeschmückt hat); 4. „die von Paul gebrauchten Worte waren diese: ,Ich bestand auf Fortführung des Kriegs, weil nach den Nachrichten, über die ich verfügte, Deutschland nicht in der Lage war, noch längere Zeit auszuhalten.'" Sie fügt hinzu: „von Plänen, die Von oder durch Vermittlung von Deutschen besorgt worden, war feine Rede; überhaupt erklärt Paul, daß er während der Dauer des Kriegs feine Mitteilungen irgendwelcher Art aus Deutschland erhielt. Und ferner sagt Paul, daß er Deine Forderungen unterschreibt und sie nicht nur unterschreibt, sondern auch jeden Widerspruch gegen seine obige Aussage herausfordert." (Le Perreux, 28.Nov., erst heute erhalten.)t293] In dem Brief an mich (Lyon, 26. Nov.) sagt L[afargue], der Inhalt seiner Rede sei der und der gewesen, die Internationale in allen Ländern habe es für ihre Pflicht gehalten, 1870 die Erdrückung der französischen Republik durch Bismarcks Truppen zu hindern; während die übrigen Internationalen unter Garibaldi gekämpft, hätten die Deutschen gegen die Fortführung des Kriegs und den Raub Elsaß-Lothringens protestiert. Meine Forderungen, die er unterschreibt, waren die einer unbedingten und rückhaltlosen Zurückweisung der ihm zugeschriebnen Ausdrücke und ihres Inhalts. Die habt Ihr jetzt also zu beliebigem Gebrauch. 15 Mux/Engels, Werke, Bd. 38
So, der Stein wäre glücklich abgewälzt. Dank der kolossalen Dummheit unsrer Gegner ist diese Skandalchance verlaufen und jetzt versandet. Wenn jetzt noch etwas kommen sollte, so seid Ihr gerüstet, und die Angreifer sind elend blamiert. Aber wir alle haben hier redlich geschwitzt, das kann ich Dir sagen, solange dieseUngewißheit herrschte: ob nicht irgendein Reptil'2941 auf die Sache anbisse, ehe wir wußten, was zu antworten und wie der Beweis der Unwahrheit zu führen war. Aber welche Esel! Tussy sagte noch am Sonntag: wenn uns so eine Nachricht über die Gegner zukäme, wie wäre die verarbeitet worden! Den Vorfall mit W[ilhelm] II. in Potsdam habe ich übersehn, was war's?1295' Die Sache scheint sich allerdings mit wachsender Geschwindigkeit zu entwickeln, und da ist jedes Symptom interessant. In den hiesigen Blättern heißt es, Euer Kaiser wolle wegen der unhöflichen Durchreise Alexanders'2821 seine sämtlichen Ehrenkommandos in der russischen Armee niederlegen. Mir scheint, die Russen wollen ihn zu übereilten Streichen verleiten, wo er dann als der Friedensstörer erscheint und wo sie dann, die bei ihrer relativen Unangreifbarkeit das Spiel bis auf die äußerste Spitze treiben können, sich den Frieden durch vermehrte Konzessionen abkaufen lassen. Daß sie es wirklich auf Krieg absehn, halte ich für unmöglich. Die französische Anleihe12281 gescheitert, statt 20 Mill. £ kaum 12; die Hungersnot sich in ungeahnter Weise, Ausdehnung und Heftigkeit entwickelnd; durch Saatmangel und Ungunst des Wetters die Wintersaat fast vernichtet; in den fruchtbarsten Provinzen Vieh und Pferde aus Futtermangel massenweise krepierend oder geschlachtet, und dadurch die Ackerbestellung auf Jahre hinaus gelähmt; alles das sind Dinge, die in einem halbbarbarischen Land wie Rußland der Armee jede Aussicht auf erfolgreiche Aktion abschneiden. Aber das alles hindert nicht, daß die Russen dennoch politisch agieren, als ob sie auf Krieg lossteuerten; ihre strategische Lage und ihre Geläufigkeit im Verraten ihrer Freunde erlauben ihnen das. Natürlich kann das Plänchen schiefgehn und daher die massenhaften Rüstungen und Truppenkonzentrationen, die ja auch, wenn's friedlich abgeht, als diplomatisches Druckwerkzeug wirken. Gottvoll. Dem auf „den Besitzstand von heute" gegründeten Dreibund12291 stellt Rußland und Frankreich einen Zweibund entgegen1, der ein „weit erhabneres Prinzip hat: die Aufrechterhaltung der Verträge!" So sagen die Blätter. Also Frankreich, das den Frankfurter Vertrag11421 brechetj will, erklärt ihn stützen zu wollen mit Hülfe Rußlands; und Rußland, das
alle Verträge gewohnheitsmäßig bricht, verbündet sich mit eben diesem Frankreich zu ihrer unverbrüchlichen Haltung. Für wie dumm müssen die Leute das Publikum halten, an das sie sich wenden. Deine Budgetrede war brillant12961 - nach dem „Vorwärts" zu urteilen, schick uns doch den Stenographischen. Die Hinweisung auf unsre Soldaten war ganz angebracht. Wozu das Maul halten von Dingen, die unsre Gegner so gut wissen wie wir? Daß Carl Hfirsch] nicht kommt, halte ich für kein Unglück.2 Ich mochte nichts sagen, als die Sache einmal arrangiert, aber ich habe hier gleich gesagt, das würde nicht gut gehn. H[irsch] ist nicht nur eigensinnig, sondern auch grundlos verbittert, weil er glaubt, die Redaktion des „Sozialdemokrat]" sei ihm ungebührlich entzogen worden, und zwar hat er da mehr Grimm, glaube ich, auf Marx und mich als auf Euch.3 Denn Du erinnerst Dich, er wollte, wir sollten ihn drängen zu akzeptieren, und das fiel uns nicht ein. Jedenfalls zog er sich da gleich zurück von der Aktivität und hat seitdem sicher einen schönen Haufen Groll und Schrullen aufgesammelt, und schon deshalb glaube ich, es wäre besser, wenn er sich dieser Leibesverstopfung erst anderswo entledigte, wo er dann allmählich wieder in normale Gedankenstimmung kommt und dann auch wieder was leisten wird. Sicher aber glaube ich, daß Lfiebknecht] und er es nicht sechs Wochen ohne Bruch zusammen ausgehalten. Auch Schoenlank hat seine Mucken; soweit ich urteilen kann, ist er viel zu schlappig, um den nötigen Widerstand zu leisten, und würde bald soviel Bummelsünden auf dem Kerbholz haben, daß er in seinem Vorredakteur einen wirklichen Vorgesetzten erhielte. Nun, wie's gehn wird, ist abzuwarten, schlimmer kann's kaum werden. Ihr vergleicht immer die Lage in Deutschland mit der von 1787-88 sie gleicht noch weit mehr der von 1847 in Frankreich, den Skandälern, die Louis-Philippe zu Fall brachten: Teste, der bestochne Minister, Herzog Praslin, der Mörder seiner Frau, ein Adjutant des Königs, der in den Tuilerien beim Kartenspiel mogelnd ertappt wurde, Fould, der, um die Ehrenlegion zu erhalten, hoch bestochen hatte usw. usw. Das Komische ist, daß man bei Euch von einer Bankkrise fabelt; die paar lumpigen Firmen, die da herumgegangen, sind ja ganz außerhalb des eigentlichen Weltmarktsgeschäfts, Bankvermittler für Beamte, Offiziere, Grundadel, Kleinbürger, kurz für alles, nur nicht für den Großhandel. Wenn Anhalt und Wagener, Diskonto-Kommandit, Deutsche Bank usw. mal um die Ecke fliegen, dann
2 siehe vorl. Band, S. 216 - 3 siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 150-159
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könnte von einer Bankkrise die Rede sein. Aber es ist auch so schon recht nett, und wenn der Mantel fällt, wird der Herzog bald nachfolgen.12971 Was Du mir von der Sorte neuer „Genossen" schreibst, die sich jetzt meldet, ist sehr interessant und bezeichnend für die Lage.12981 Man merkt, daß wir ein „Faktor" im Staat werden, um mich reptilisttsch auszudrücken, und da die Juden mehr Verstand haben als die übrigen Bourgeois, merken sie's zuerst - besonders unter dem Druck des Antisemitismus - und kommen uns zuerst. Kann uns nur angenehm sein, aber weil die Leute gescheuter sind und durch den jahrhundertlangen Druck aufs Strebertum sozusagen angewiesen und dressiert, muß man auch mehr aufpassen. Bitte statte doch in meinem Namen der Fraktion meinen besten Dank ab für ihr freundliches Telegramm am 28.12991 Sobald ich die Photographien erhalte, werde ich mich für alle erwiesenen Freundschaftsbezeugungen zu revanchieren suchen. Ede sagt mir, Du hättest ihn aufgefordert, mehr in den Verein12201 zu gehn. Ich bin der festen Überzeugung, daß jede Minute, die er dort zubringt, nicht nur rein verloren, sondern eine Blamage für die Partei wäre. Er müßte dort ja mit Gilles verkehren, und das ist doch rein unmöglich. Aber unter die Engländer sollte er gehn, die Leute persönlich kennenlernen und mündlich über deutsche Dinge aufklären - so sitzt er zu Hause und beurteilt die hiesigen Dinge nach den Berichten von einer, höchstens zwei Zeitungen, denn Cafes oder Lesekabinetts gibt's in seiner Nähe nicht. Schließlich noch die Versicherung - auf Dein ausdrückliches Verlangen -, daß Louise sich ihres Auftrags mit einer Würde entledigt hat, die mindestens der eines Reichstagspräsidenten entsprach; schlechte Witze zu machen hatte sie keine Gelegenheit, da ich ihr stets vorzeitig mit dergleichen selbst in die Parade fuhr. Sonst waren wir diese Tage über allerdings ungeheuer heiter, namentlich auch über Deinen Scheinbewunderer13001, der sich auf der letzten Seite als ein „Junger" 12861 entpuppt und Dich aufs Altenteil setzen will. Der Kerl ist unbezahlbar mit seinem höheren Hochdeutsch. Herzliche Grüße an Frau Julie1 und Dich selbst von Louise und Deinem F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, I.Dez. 91
Meine liebe Laura, Dein Brief vom 28. - mit Poststempel Le Perreux 30. - kam heute an und hat mir einen schweren Stein vom Herzen genommen. Ich habe sofort eine Ubersetzung an Bebel1 geschickt und ihn bevollmächtigt, sie, falls notwendig, zu benutzen. Glücklicherweise sind unsere Feinde in Deutschland so ungeheuer dumm, daß sie, wenigstens bisher, anscheinend die ganze Angelegenheit übersehen haben. Vor allem befürchtete ich, daß sie in Deutschland großen Lärm machen würde, ehe es uns gelang, die Tatsachen festzustellen und uns mit dem Material für eine vernichtende Antwort zu Wappnen. Ein Zögern seitens der deutschen Führer oder unüberlegte Behauptungen, die hätten widerlegt werden können, wären gleichermaßen gefährlich gewesen. Jetzt ist die erste Gefahr vorüber, und obwohl es durchaus möglich ist, daß die deutsche Botschaft in Paris Berichte geschickt hat, die infolge der üblichen bürokratischen Verzögerung eine Woche zu spät in die Presse gelangen, haben wir eine starke Position und können dem Angriff begegnen, wenn er kommen sollte. Dennoch wäre es zu diesem Zweck wichtig, Rancs Artikel zu haben. Wenn es möglich war, ihm solchen Unsinn anzuheften, muß er doch von besonderem Stoff gewesen sein, und nicht nur der gefälschte Bericht über Pauls Rede2, sondern auch Rancs Äußerungen können zitiert werden, und deshalb müssen wir sie kennen. Paul teilte nur mit, daß Ranc in bezug auf Bordeaux 1870 zu seinen Gunsten geschrieben habe. Könntest Du uns die Nummer besorgen und, wenn nicht, wenigstens sagen, in welcher Zeitung der Artikel erschienen ist, damit wir versuchen können, sie hier aufzutreiben? Nun etwas anderes.
1. Vor einiger Zeit schickte ich Dir in Sorges Auftrag 10 sh. für den „Socialiste"3, laß mich bitte wissen, ob Du sie erhalten hast; Du weißt, wie genau der alte Sorge ist. 2. Hast Du das Exemplar der 4. Auflage des „Ursprung der Familie"4 bekommen, das ich vor mehr als 3 Wochen abgeschickt habe? Ich habe eine Menge Exemplare nach dem Kontinent gesandt und noch keine einzige Empfangsbestätigung erhalten. Da die englische Post Buchsendungen ins Ausland einfach konfisziert, wenn ein halber Penny an der Postgebühr fehlt, fange ich an, unruhig zu werden. 3. Tussy wird dauernd von Greenwood belästigt, dem Sekretär der Glasarbeiter, der den streikenden französischen Glasarbeitern12601 viel Geld geschickt und keine einzige Empfangsbestätigung erhalten hat. In einem Brief an Tussy vom 28. Nov. sagt er, daß er am gleichen Tage an Paul £ 49 zu diesem Zweck geschickt habe. Willst Du bitte Dein Möglichstes tun, damit Paul alle Summen bestätigt, die über ihn gegangen sind, und auch Pierre Morrier aus Lyon, der mehrere Beträge erhalten hat, veranlassen, das Gleiche zu tun? Die Glasflaschenmacher aus Castleford haben sich ihren französischen Kameraden gegenüber sehr anständig benommen, und das mindeste, was letztere tun können, ist, den Err pf ing zu bestätigen, damit die Absender in der Lage sind, vor ihren Auftraggebern über das Geld abzurechnen. Bevor diese elementare Pflicht nicht erfüllt ist, ist nicht sicher, ob die englischen Trade-Unions es nicht müde werden, Streikende auf dem Kontinent zu unterstützen; und sicherlich könnte sie niemand deswegen tadeln. Bebels Budgetrede war sehr gut.12961 Sobald ich einen wirklich vollständigen Bericht habe, werde ich ihn Dir schicken. Gestern abend kam ein Brief von Sam Moore, er sei in Lagos am NigerDelta angelangt und werde in etwa einer Woche oder zehn Tagen wieder in den Armen seiner schwarzen Gattin sein. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
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Engels an Natalie Liebknecht in Berlin
London, 2. Dez. 1891
Liebe Frau Liebknecht, Nehmen Sie meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Wünsche zu meinem abermaligen Geburtstag13011; dieselben sind wenigstens für den Augenblick so ziemlich erfüllt, da ich mich in erfreulicher körperlicher Gesundheit und geistiger Aufgelegtheit befinde und hoffen will, daß es so bleibt. Wir haben den Tag recht heiter verbracht, die Glückwünsche kamen reichlich von allen Seiten, auch Herr und Frau Motteler besuchten uns, als wir Frühschoppen saßen, aber abends waren wir bei Tussy, wo auch Bernsteins waren. Dadurch wurde ein Ständchen vereitelt, das die Sänger des Arbeitervereins12201 mir bringen wollten, wie ich erst Samstag morgen erfuhr, leider könnte ich den Herren das deshalb nicht früher mitteilen1302'. Im Grunde genommen war es mir nicht unlieb, daß es so kam, ich habe einen eingewurzelten Widerwillen gegen solche Demonstrationen, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man als Agitator, Volksredner oder Reichstagsmitglied zu wirken hat, an denen ich aber bisher glücklich vorbeigekommen bin und auch fernerhin vorbeizukommen hoffe. Sonst gibt es hier nichts besonders Neues; Tussy steht im nicht ganz unverdienten Ruf, die Union der Gasarbeiter und Taglöhner167' zu dirigieren, und war vorvorige Woche auf acht Tage im Norden von Irland zur Agitation, es sind aber auch ganz famose Kerle, diese Gasarbeiter, und ihre Union ist weitaus die fortgeschrittenste von allen; dabei verstehn sie die Agitation „auf gesetzlichem Wege" so gut, daß sie vor 11[2 Jahren in Leeds in zwei förmlichen Schlachten, erst mit der Polizei, dann mit der Polizei und den Dragonern, den Sieg erfochten und den Stadtrat, dem die Gasanstalt gehört, zur Kapitulation gezwungen haben.13031 Als alter Soldat kann ich dem Kommandanten in diesen Schlachten, Will Thorne, der Generalsekretär der Union ist, das Zeugnis ausstellen, daß ich weder an seinen strategischen, noch an seinen taktischen Dispositionen das geringste auszusetzen finde.
Im übrigen leben wir hier etwas stiller als zur Zeit, wo der „Sozialdemokrat" im Gang war.1371 Außer Avelings und Bernsteins sehen wir nur wenig Leute, Mottelers gehn wenig aus, Mendelsons sind sonntagabends in ihrem Polenklub beschäftigt, und seit vorigem März wohnt Pumps und Familie in Ryde auf der Insel Wight, wo ihr Mann ein Agenturgeschäft hat. Ich gehe von Zeit zu Zeit auf Besuch hin, im Juli war ich 4 Wochen mit Schorlemmer dort'1801, grade zu der Zeit, wo die französische Flotte dort war, deren Panzerschiffe neuester Konstruktion ich den englischen weit vorziehe, soweit man nach dem äußeren Anschein urteilen kann. Pumps wohnt sehr hübsch, in einem kleinen Häuschen, etwa 20 Minuten zu gehn von der Stadt, ganz auf dem Land, was natürlich für die Kinder ausgezeichnet vorteilhaft ist. Das Leben dort gefällt ihr sehr, und wenn, wie zu hoffen, ihr Mann dort vorankommt, wird es für sie alle von Vorteil sein, daß sie die Londoner Luft mit der Seeluft vertauscht haben. Die Insel Wight ist recht hübsch und stellenweise sogar schön, man fährt mit dem Dampfschiff in sieben Stunden rings um sie herum, eine sehr nette Fahrt mit etwa 2V2 Stunden Seekrankheitsrisiko für einen Liebhaber. Ich bitte, Liebknecht inl. Notizen zu übergeben und ihm sowie Ihrem Herrn Sohn1 für ihre Glückwünsche ebenfalls bestens in meinem Namen zu danken. Ich hoffe, es wird Ihnen auch fernerhin in Berlin gefallen und Ihre Gesundheit Ihnen erlauben, die Annehmlichkeiten der „Reichshauptstadt" nach allen Seiten hin zu genießen. Behalten Sie inzwischen in freundlichem Angedenken Ihren aufrichtigen F. Engels
Louise sendet Ihnen, Liebknecht und Familie ebenfalls die besten Grüße.
100
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
...... London, 3. Dez. 1891 Lieber Kautsky, Dein Brief vom 30./10. ist lange unbeantwortet liegengeblieben; daran ist der II I.Band1 schuld, an dem ich wieder schwitze. Ich komme jetzt grade an den schwierigsten Teil, die letzten Kapitel (etwa sechs bis acht) von Geldkapital, Banken, Kredit etc., und da muß ich, einmal dran, ohne Unterbrechung dranbleiben, die Literatur wieder durchnehmen, kurz, ganz au fait2 sein, damit ich - wahrscheinlich - schließlich das meiste so lassen kann, wie es ist, aber dabei auch ganz sicher bin, weder positiv noch negativ einen Bock geschossen zu haben. Für die Berichte von wegen Erfurt1226' meinen besten Dank; sie waren mir in vieler Beziehung wertvoll, namentlich interessant sind die Verhandlungen in der Programmkommission. Du nennst den Vorstandsentwurf seinen - Liebknechts. Bebel hat mir das ganze entwicklungsgeschichtliche Material dieses Entwurfs'1841 geschickt, ich habe daraus gesehn, daß bei jedem Stadium ein gut Stück von Liebk[necht]s erster Arbeit fiel und durch Bebeische Sätze ersetzt wurde, bis dann ganz zuletzt fast gar nichts mehr übrigblieb - wenn überhaupt noch etwas. Was aber blieb, war die durch die Rücksicht auf L[iebknecht]s Arbeit hineingekommne Zusammenhangslosigkeit und lockere Koordination der einzelnen Sätze, und das war es, was Deinem Entwurf'2231 den Vorteil gab, den jeder auf den ersten Blick anerkennen mußte, und das auch, neben Bebels offner Anerkennung dieser Tatsache, bei den andern sofort durchschlug. Die neueren Forschungen, die das Marxsche Kapitel von der geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation'3041 veraltet gemacht haben, sind jedenfalls von Geiser, der ja in Breslau für eine wirkliche wissenschaftliche Autorität gilt. Es ist aber auch möglich, daß Liebknecht] in der Verlegenheit (denn er wußte offenbar nicht, daß diese Sätze aus dem „Kapital" genommen waren), das erste beste „dumme Zeug", wie er zu sagen pflegt, geredet hat, das ihm in den Kopf kam.
Jedenfalls kann sich der theoretische Teil des Programms jetzt überall sehn lassen, die Hauptsache ist, daß nichts theoretisch Anfechtbares darin ist, und das ist in der Hauptsache erreicht. Die praktischen Forderungen haben allerlei Haken, manche sehn - auf heutige Verhältnisse angewandt spießbürgerlich aus, aber da kann man bei unsrer heutigen Machtstellung mit Recht erwidern, daß sie sicher nicht durchgeführt werden, bis wir ans Ruder kommen, und daß sie dann einen ganz andern Charakter erhalten. So mit der unentgeltlichen Rechtspflege; die sechsstündige Arbeitszeit bis zu 18 Jahren hätte allerdings hinein gemußt - ebenso Frauenschutz gegen Nachtarbeit und 4 Wochen vor bis 6 Wochen nach der Entbindung allermindestens.12531 Leid tut mir L[ie]bk[nech]t, daß er nun doch das neue Programm anpreisen mußte, von dem es vor aller Welt klar dalag, daß er aber auch gar keinen Teil daran gehabt. Aber er hatte sich selbst den Posten ausgesucht was kann man da machen? Was Du von Tölckes Rede sagst, war mir neu und sehr interessant.13051 Die Arbeit Edest80! hat die Altlassalleaner zu einer großen Aktion aufgestachelt, nachdem sie schon durch den Marxbrief3 aus der Gemütsruhe der obligatorischen Lassallevergötterung aufgeschreckt. Auch Jacob Audorf, der Entdecker der kühnen Bahn, die uns geführt Baron Itzig[140] (wie Marx den Mann zu nennen pflegte), hat in der Sonntagsplauderei des „Hamburger] Echo" entrüstete Schlachtrufe erschallen lassen. Aber es zieht nicht mehr. Übrigens hat Ede sich über die Kritiken von Bebel etc. viel mehr aufgeregt, als nötig war; Bebel war sehr rationell und verlangte bloß, daß in der Form so verfahren werde, daß das Lassalle-traditionell-verehrende Publikum nicht von vornherein abgeschreckt und den Altlassalleanern kein gerechter Klagegrund gegeben werde. Nun kam das Pech dazu, daß Ede die allerdings höchst überflüssige (weil durch ein „wahrscheinlich" in ein Stück Klatscherei verwandelte) syphilitische Note hineinsetzte12351 und die Berliner Herren Zensoren diese Note übersahen, bis es zu spät war. Dies Faktum, daß sie den Fall verbummelt, hatte sie allerdings einen Augenblick in großen achilleischen Zorn versetzt, und da hat Ede allerdings durch Empfang einiger entrüsteter Briefe für diesen seinen, aber noch mehr ihren Lapsus büßen müssen. Ich habe ihm bei der ganzen Prozedur natürlich nach Kräften sekundiert. Die gegnerische Presse lebt von dem Gegensatz des nationalen Lassalle gegen die vaterlandslosen Sozialdemokraten. Sie wird sich also hüten, ein
Buch aufzugreifen, worin die Legende vom nationalen Lassalle so gründlich zerstört wird. Edes Arbeit ist wirklich sehr gut und hat mich sehr gefreut, sie wird in Deutschland ihre gehörige Wirkung tun - mit der Zeit - und sollte nach Vollendung der Ausgabe auch separat gedruckt resp. von Ede weiter ausgearbeitet und des speziellen Zwecks entkleidet werden. Bis dahin werden wir so weit sein, daß das ganz gut geht. Auch hier wird sie gut wirken, die hiesigen sozialistisch angehauchten Bourgeois suchen hier auch dem Lasstalle] eine Legende zu machen gegen Marx. Den Brief von Labriola, den er an Tussy geschrieben, werde ich mal wieder ansehn. Mein Eindruck ist, daß er besser nicht gedruckt wird. Lab[riola] ist sehr malkontent mit dem Gang der Dinge in Italien, ich weiß nicht, ob nicht die Enttäuschung darüber, daß sein Eintritt in die Bewegung nicht sofort einen Umschwung und Aufschwung gemacht, damit zusammenhängt. Soviel ich mich erinnere, war der Brief derart, daß er Dutzende von Erwiderungen hervorrufen würde. Es passieren da allerdings wunderliche Dinge. Du wirst Laf[argue]s Entlassung aus Pelagie in die Kammer4 bedauern. Du kommst dadurch um manchen schönen Artikel. Addio. Dein F.E. Die Artikel von Plechanow sind ausgezeichnet.1306'
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 3. Dez. 1891
Mein lieber Lafargue, Nach Ihrem ausdrücklichen Dementi aller Stellen des Berichts über Bordeaux1, über die ich mich mit Recht zu beklagen hatte, bleibt mir nur übrig, alle verletzenden Worte zurückzunehmen, die ich gegen Sie gebraucht habe, und Sie deswegen ausdrücklich um Verzeihung zu bitten. Statt jeder Entschuldigung schildere ich Ihnen die Situation, in der ich mich befand. Am Abend2 kommt die Äeufermeldung des „Evening Standard", die Sie kennen.12891 Am Abend darauf ein Paket Zeitungen, worin mir Laura den „Intransigeant" mit dem fraglichen Bericht schickt; dazu eine andere Version des gleichen Berichts, aus einer anderen Zeitung ausgeschnitten. Alle drei Fassungen einig in dem Hauptpunkt. Konnte ich daraus etwas anderes schließen als: Laura hat diese Berichte gelesen, wenn sie sie mir ohne jeglichen Kommentar schickt, so sind sie ihrem Inhalt nach richtig. Paul muß also etwas Ähnliches gesagt haben. Dann: es standen Sachen darin, die - ob wahr oder nicht - nur von Ihnen oder von Ranc gesagt worden sein konnten. Wenn Ranc sie gesagt hätte, würden Sie sicherlich nicht gezögert haben, mir eine Tatsache mitzuteilen, die sich für die deutschen Sozialisten außerordentlich ernst auswirken konnte - also? In der Tat: Für unsere Freunde in Deutschland handelte es sich im besten Fall um eine Erneuerung des Sozialistengesetzes, das von allen Chauvinisten unserer herrschenden Klassen mit frenetischem Beifall begrüßt würde, um die Unterdrückung unserer Zeitungen und Versammlungen, unserer ganzen Literatur und im Falle eines Kriegs um die Verhaftung aller leaders3 zu einem Zeitpunkt, wo wir sie am meisten benötigten, um den herannahenden revolutionären Moment richtig zu nutzen. Es handelte sich außerdem darum, ein Element des Mißtrauens und der
Zwietracht zwischen die französischen und deutschen Arbeiter zu tragen, in einer Zeit, da ihre Einheit nötiger wäre denn je. Dank der Dummheit unserer Gegner hat sich die deutsche Presse über diese Berichte bisher nicht hergemacht. Aber sicherlich wird die Botschaft in ihren Meldungen davon Gebrauch gemacht haben. Und obgleich Ihr sofort nach Berlin gesandter Widerruf4 mir eine schreckliche Last von der Seele genommen hat, besteht immer noch die Gefahr, daß die deutsche Regierung sich diese Anschuldigung vorbehält, um im Augenblick des Kriegs unsere besten Männer einzusperren und sie durch eine inmitten der entfesselten chauvinistischen Leidenschaften doppelt schreckliche Anklage zu vernichten. Dann würde Ihr Widerruf sie nur halb entlasten, und zwar aus folgendem Grund: Sie sagen, daß der Reporter einen Artikel von Ranc ausgeschmückt habe. Aber diese Ausschmückung, wie sie auch sein mag, wäre unmöglich gewesen, wenn nicht wenigstens der Entwurf dazu in Rancs Material im Umriß enthalten gewesen wäre. Dieses Material habe ich niemals gesehen. Schicken Sie mir doch bitte entweder den Artikel oder wenigstens eine Abschrift der betreffenden Stellen, oder sagen Sie mir Titel und Datum der Zeitung, in der er erschienen ist, damit ich hier danach suchen kann. Dann wüßten wir wenigstens, gegen welche Angriffe wir uns zu verteidigen haben.
Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 19. Dez. 91
Meine liebe Laura, Heute habe ich gerade Zeit, Dir mitzuteilen, daß die Kiste mit dem üblichen Pudding, Kuchen usw. gestern auf dem gewöhnlichen Wege sicher an Dich abgegangen ist und hoffentlich wohlbehalten und rechtzeitig bei Euch eintreffen wird.
20. Dez. - Du siehst, ich hatte gestern nicht „gerade Zeit", denn die Glocke zum Essen rief mich ab, und da es 5 Uhr 20 war und nur noch zehn Minuten Zeit bis Postschluß, hielt ich es für besser, bis heute zu warten. Schorlemmer kann diesmal nicht zu Weihnachten kommen, und Pumps und Familie, die ich in der letzten Woche einige Tage in Ryde besuchte, sind in der gleichen Lage. Deshalb kam mir der Gedanke, ob es nicht für Dich und Paul ein bißchen Abwechslung und Erholung bedeuten würde, herüberzukommen und von dem vorderen Schlafzimmer oben für etwa eine Woche Besitz zu ergreifen? Ihr müßt Euch doch sicher eine Unterbrechung dieses ruhelosen Lebens wünschen, in das Pauls Wahl12541 und deren Folgen Euch beide versetzt hat. Und der klare Himmel von Paris muß doch Sehnsucht nach einem guten, altmodischen Londoner Nebel hervorrufen, wie er mich jetzt umgibt. Deshalb hoffe ich, Ihr werdet Euch entschließen, und wenn Paul bis Weihnachten Verpflichtungen haben sollte, könntest Du doch zuerst kommen, und er folgt in der nächsten Woche, um wenigstens den Jahreswechsel von 1891 zu 1892 bei uns zu verbringen. Indessen darf ich „die besten Wünsche fürs Fest" und die alteingeführte Form nicht vergessen, in der ich sie darzubringen habe, nämlich durch das beigefügte Stückchen rosa Papier, das Du hoffentlich die Liebenswürdigkeit haben wirst, von mir anzunehmen. Schorlemmer leidet noch immer an Taubheit, hofft jedoch auf Heilung, wenn er sich diesen Winter vor Erkältungen schützen kann. Deshalb habe ich nicht das Herz, ihn zu drängen, besonders da sein Ohrenarzt sagt, daß
er aus London immer in schlechterem Zustande zurückkehrt, als er hingefahren ist. Ich freue mich, daß Paul einen Antrag auf Trennung der Kirche vom Staat eingebracht hat. In seiner ersten Rede scheint mir, als ob die heftigen Zwischenrufe von allen Seiten ihn daran gehindert hätten, klar und unmißverständlich das zu entwickeln, was er sagen wollte, und daß Dumay und die Radikalen'431 und sogar Floquet versucht haben, das als einen Vorwand für ihre billige Kritik zu benutzen. Pauls Antrag wird die Klarheit wieder herstellen.13071 Meine liebe Laura, der Nebel wird so dicht, daß ich mit dem Schreiben aufhören muß, um meine Augen nicht zu verderben - Schreiben bei Gaslicht ist mir noch streng verboten. So hoffe ich bald zu erfahren, daß Du Dich zur Reise rüstest, und bleibe mit freundlichen Grüßen von Louise immer Dein F. Engels
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Engels an Eduard Bernstein in London
[London] Mittwoch, 23-/12. [1891]
Lieber Ede, In meiner Eselei habe ich gestern gar nicht daran gedacht, ob Dir nach dem Abenteuer von Sonntag1 nicht etwas Geld nötig sein möchte, und wenn ich auch ein gewisses Recht zu haben glaube anzunehmen, Du würdest Dich, selbst gegenüber einer so ungehobelten Unterlassung meinerseits, nicht geniert haben, davon zu sprechen, so beeile ich mich doch jetzt, wo mir dies alles klar zum Bewußtsein kommt, dies soviel wie möglich gutzumachen, indem ich Dich bitte, über mein Guthaben bei meiner Bank und meine cash on hand2 rückhaltlos zu verfügen. Ich habe noch ca. £ 5 im Hause und hole morgen früh - fog permitting3 - mehr. Herzlichen Gruß an Euch alle. Dein F.E.
Wenn Ihr dies für besser haltet, so könnte Käte4 Freitag abend bei uns übernachten. Geniert gar nicht.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 27. Dez. 91
Lieber Baron, In Eile ein paar Zeilen. Ich bin durch den 5tägigen Nebel, wodurch meine Augen wieder etwas angegriffen (unter Beihülfe von Kneiperei), mit allem sehr zurückgekommen und dazu folgende Zutaten: 1. Korrektur von englischer „Condition of the working-class"1, bis jetzt 6 Bogen ungelesen! 2. Revision von Avelings Übersetzung von „Entwicklung des Sozialismus] ", die gut besorgt werden muß; da ich am Druckort wohne, werde ich nachsichtslos für jedes Versehen verantwortlich gemacht. 3. Die kolossale, mit den Feiertagen schwellende Korrespondenz. Und dabei wegen der zu schonenden Augen stark verkürzter Arbeitstag. Du begreifst, daß ich - da der 3. Band2 so bald wie möglich wieder angegriffen werden und dann ununterbrochen zu Ende geführt werden muß Dein Ms.[3081 nur flüchtig durchnehmen kann, aber was geschehn kann, geschieht gern. Die Nova über Tauschwert und Wert in der 3. Aufl. „Kapital" stammen aus handschriftlichen Zusätzen von Marx, leider nur wenige, und diese waren unter starken Krankheitsschwierigkeiten ausgearbeitet, M[arx] hatte lange nach dem richtigen Ausdruck gesucht und viel korrigiert. Was Fireman'309' angeht, so ist es allerdings ziemlich einleuchtend, daß, v wenn — = V2 = V3 = 1U — 7g usw. in der Praxis vorkommt, dann ein irgendwelcher Bruch dem Verhältnis entsprechen muß, wobei Profit und Mehrwert (grob gesprochen, denn dabei sind doch auch noch allerlei Reserven) sich decken. Indes ist es immerhin anzuerkennen, daß der Mann auf diesen Gedanken gekommen ist. Wenn es ihm recht ist, bitte schick mir den Aufsatz. Er wird allerdings so lange in meinem Pult verschwiegen
1 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" - 2 des „Kapitals"
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 38
lagern müssen, bis ich zur Vorrede des II I.Bandes3 komme, wo ich ihm dann, wenn wirklich der Mühe Wert, neben den andern Lösungsversuchen seine Stelle anweisen kann. Mehr kann ich nicht tun, damit war Schmidt auch zufrieden. Will er das nicht, so muß er den Aufsatz drucken lassen und das Weitere abwarten. Daß der arme R.Meyer zuletzt bei uns Unterschlupf suchen muß, ist fast tragisch. Poor devil4, er hat Pech und Diabetes und merkt, was er an seinen konservativen Freunden in allen Ländern hat. Nachdem Aveling den Gilles geohrfeigt, kann er erst recht nicht mehr auf dessen Flugblätter antworten. In der hiesigen Presse bringt Gfilles] natürlich solchen Dreck nicht an, und ihn wegen libel5 zu belangen und einige hundert Pfund an einen Prozeß zu wenden, bei dem Gilles am Vorabend der Verhandlung verduftet, das kann kein Mensch verlangen. Have you ever brought an action for libel?6 frug der Gegenadvokat den wegen libel verklagten Labouchere. No, I never was such a fool7, sagte dieser, und Richter und Advokaten gaben ihm das Zeugnis, daß er eine der ersten Autoritäten on the law of libel8 sei. Beim Setzerstrike13101 haben unsre Berliner oder wenigstens L[ie]bk[nech]t uns hier eine Blamage bereitet. Der Herr Döblin, der für die Setzer herkam mit schriftlichen Empfehlungen von Liebkjnecht] an alle möglichen Leute, nur nicht an Ede oder mich, hat hier die deutsche Partei nicht nur ignoriert, sondern de haut en bas9 behandelt und wenigstens negativ verleumdet. Er sagte bei Burns, die Partei habe gar nichts für sie getan, wo sie doch 20 000 Mark gegeben hatte. Und als Sanders, der zugegen war, ihn frug, ob denn nicht die ganze Parteipresse für sie aufgetreten, mußte er dies zugeben. Und da schreibt L[ie]bk[nech]t an mich, ich soll alles, was ich kann, für die Setzer tun, sagt mir aber nicht, was er und die Partei getan, und nicht einmal, daß ein Repräsentant der Leute hier ist. Natürlich konnte ich da nichts tun, ich erfuhr ja erst durch die hiesige Presse, was im Gang war, und war nicht so dumm, mich einem Mann aufzudrängen, der der Partei sorgsam aus dem Weg ging und direkt mit dem Trades Council11081 verhandelte. Du kannst Dir denken, wie das Wasser auf die Mühle von Hyndman und Gilles war: da seht ihr, daß hinter der gerühmten deutschen Partei gar nichts ist, die Arbeiter selbst wollen nichts von ihr wissen und schimpfen auf sie! Und gleich diese Woche die Frucht: Gilles ergreift in „Justice" offen Partei für die Unabhängigen12861 - dies ist
8 in der Handschrift: der 111. Auflage - 4 Armer Teufel - 6 Verleumdung - 6 Haben Sie jemals eine Verleumdungsklage erhoben? - 7 Nein, ich war niemals so ein Narr - 8 auf dem Gebiet der Verleumdungsklage - 9 von oben herab
noch ein Glück, so kompromittiert sich Hyndman und fällt mit den deutschen Unabhängigen ebenso hinein wie dunnemals mit Brousse und Co. Wenn die deutschen Prinzipale keine Esel sind, so führen sie jetzt die Linotype-Setzmaschine ein, die in New York und hier auf allen großen Zeitungen mehr und mehr angewandt wird. Burns war entsetzt zu hören, daß die Setzer 21 M. wöchentlich Strikesold zahlen, hier nie über 10-15 sh. höchstens! Unsre Berliner mußten, wenn die Setzer jemand herschickten, darauf bestehn, daß dieser mit Ede als dem hiesigen Vertreter der deutschen Partei im Einverständnis operiere, sonst aber Mitwirkung dazu ablehnen. Die Partei ist doch nicht mehr genötigt, sich an diese Arbeiteraristokraten wegzuwerfen. Ede hat einen Einbruch gehabt vorigen Sonntag und £ 10 dabei verloren, wie Du wohl schon wissen wirst. Er ist nervös herunter und hat Ruhe und freie Luft nötig. Dank für Deine Glückwünsche. Zum neuen Jahr wünscht Dir, Deiner Frau und Deinem Jungen unser ganzes Haus, inklusive Tidlums, das beste Glück und Gesundheit, Tidlums ist ein großer majestätischer Kater geworden, Sultan aller Kätzinnen von Regent's Park Road und gewaltiger Kämpfer gegen alle Konkurrenten und Nebenbuhler. Dein F. Engels
1892
105
Engels an Familie Liebknecht in Berlin13111
[London, 1. Januar 1892]
Prosit Neujahr! F. Engels, L.Kautsky, Gine Bernstein Eug. Oswald, Tussy, Edward, Ede
106 Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 6. Jan. 1892
Lieber Sorge, Unsre Neujahrswunschkarte hast Du hoffentlich erhalten. Heute beantworte ich Deine Briefe vom 20. und 23. Nov. und 9. Dez. Meinen 71sten Geburtstag habe ich glücklich überstanden und bin, alles in allem, gesünder und stärker als vor 5-6 Jahren. Wenn ich noch bis 1900 leben sollte - wovon ich allerdings nicht weiß, ob's ein Glück oder ein Pech wäre -, so denke ich noch allerlei zu erleben. Du hast in Amerika eine Bewegung, die sich in ups and downs1 bewegt, stete Enttäuschungen bereitet und daher leicht zur Schwarzseherei führen kann. Ich habe hier die im ganzen und großen riesig fortschreitende europäische Bewegung, in ihrem Zentrum die mit unaufhaltsamer Naturgewalt ruhig fortschreitende deutsche, dicht vor Augen und neige daher eher zum andern Extrem. Ich habe darüber etwas im französischen Kalender geschrieben, den ich Dir schicken werde, sobald ich ein zweites Ex. bekomme.'2401 Krieg mit Rußland ist glücklicherweise auf 3-4 Jahre vertagt, wenn keine Tollheiten irgendwo passieren. Da uns die ruhige Entwicklung in Deutschland den Sieg unter den günstigsten Umständen, wenn auch etwas später, so doch um so sicherer verspricht, haben wir keinen Grund, auf Vabanquespiel hinzuarbeiten, und Vabanquespiel müßten wir bei einem solchen Krieg spielen. In Amerika ist, glaube ich, noch kein Raum für eine dritte Partei. Die Interessenverschiedenheit selbst derselben Klassenfraktion ist auf dem ungeheuren Gebiet so groß, daß in jeder der beiden großen Parteien, je nach der Lokalität, ganz verschiedne Fraktionen und Interessen vertreten sind und zu sehr großem Teil fast jede besondre Schicht der besitzenden Klasse Vertreter in jeder der beiden Parteien hat, obwohl die Großindustrie im ganzen heute den Kern der Republikaner wie der südliche Großgrundbesitz den der Demokraten bildet. Diese scheinbare Zufälligkeit der Zusammen
1 in Aufschwüngen und Rückschlägen
würfelung gibt eben den famosen Boden ab für die Korruption und Staatsausbeutung, die dort so herrlich blüht. Erst wenn der Boden - die öffentlichen Ländereien - ganz in den Händen der Spekulanten, wenn also die Ansiedlung mehr und mehr erschwert resp. der Prellerei verfallen ist, erst dann scheint mir bei ruhiger Entwicklung die Zeit für eine dritte Partei gekommen. Der Boden ist die Basis der Spekulation, und die amerikanische Spekulationswut und -möglichkeit ist der Haupthebel, der die eingebornen Arbeiter im Bann der Bourgeoisie hält. Erst wenn ein Geschlecht eingeborner Arbeiter da ist, das von der Spekulation nichts mehr erwarten darf, erst dann haben wir festen Boden in Amerika. Aber freilich, wer darf in Amerika auf ruhige Entwicklung rechnen! Da gibt's ökonomische Sprünge wie politische in Frankreich - sie haben freilich auch dieselben momentanen Rückschläge. Die kleinen Farmer und Kleinbürger werden es kaum je zu einer starken Partei bringen, sie bestehn aus zu rasch wechselnden Elementen - der Bauer dabei oft noch Wanderbauer, 2, 3, 4 Farmen in verschiednen Staaten und Territorien[3121 nacheinander bebauend - Einwanderung und Bankerott befördern den Personenwechsel bei beiden - die ökonomische Abhängigkeit vom Gläubiger hindert auch die Selbständigkeit - aber dafür sind sie ein famoses Element für Politiker, die auf ihre Unzufriedenheit spekulieren, um sie nachher an eine der großen Parteien zu verkaufen. Die „Zähigkeit" der Yankees, die sogar den Greenback-Humbug®131 wieder aufwärmen, ist Folge ihrer theoretischen Zurückgebliebenheit und angelsächsischen Verachtung aller Theorie. Dafür werden sie gestraft durch den Aberglauben an jeden philosophischen und ökonomischen Unsinn; religiöse Sektiererei und ökonomisch blödsinnige Experimente, wovon aber gewisse Bourgeoiscliquen Vorteil ziehn. Louise läßt Dich bitten, nur noch das „Woman's Journal" (Boston) zu schicken und auch dies nur noch bis zum 31.März, falls nicht andres bis dahin von uns geschrieben wird. Sie brauchte es für die Wiener „Arbeiterinnen-Zeitung" (sie, Laura und Tussy sind der Hauptstab) und sagt, es könne ihr nicht einfallen, den Arbeiterinnen den Kohl der amerikanischen swellmobladies2 aufzudrängen. Durch Deine freundlichen Zusendungen hat sie sich wieder au courant gesetzt3 und sich überzeugt, daß diese Damen noch ebenso hochnäsig und borniert sind wie je, und will nur noch dem einen Blatt ein paar Monat Probezeit gönnen. Inzwischen dankt sie Dir aufrichtigst für Deine Gefälligkeit.
2 hochherrschaftlichen Dämchen - 8 aufs laufende gebracht
Lafargue Hat sich das erstemal in der Kammer etwas verblüffen lassen durch die Zwischenrufe und das Gebrüll.13071 Wird's aber schon ausgleichen. Die Franzosen bessern sich immer im unmittelbaren Kampf. Die Geschichte mit Gompers ist so. Er schrieb mir und sandte mir ausführliche papers seiner Gesellschaft.13141 Ich war damals - im Sommer viel abwesend und dazwischen kolossal beschäftigt, war mir auch keineswegs klar in der Sache, ich dachte Iliacos extra peccatur muros et intra4. Dann hieß es, Gompers würde nach Brüssel kommen resp. hieher, ich dachte also mündlich zu erledigen. Nachher, als er nicht kam, hab* ich die Sache verbummelt. Werde aber die Papiere hervorsuchen und ihm dann antworten, ich dankte für die Rolle. Ich schrieb dieser Tage an K. Kautsky1521 und habe ihn beauftragt, in Sachen Separatdrucks Deiner Artikel12871 bei Dietz anzufragen, und warte noch auf Antwort. Eile mit Weile heißt's in Deutschland, namentlich in Stuckert am Neckarstrande. Der Blatchford ist aus der „Workman's Times" heraus, was ein großer Gewinn. Im übrigen zeigt das Blatt die Mängel, die ein Priüafunternehmen der Art hier immer haben muß, solange nicht eine Partei dahintersteht, stark genug, es zu kontrollieren. Jetzt habe ich 1. Korrektur des Wiederabdrucks der „Condition of the working-class in England 1844"5 zu lesen, 2. Avelings Übersetzung der „Entwicklung des Sozialismus]" durchzusehn, 3. noch einiges Kleine, und dann geht's 4. wieder an den II I.Band6, wo ich grade die allerschwierigsten Kapitel vor mir habe. Ich denke aber, mit energischer Abweisung aller Zwischenspiele wird's gehn. Was dann noch zu tun, wird mir, glaub' ich, nur formelle Schwierigkeiten machen. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich selbst von L. Kfautsky] und Deinem F. Engels
4 Gerade wie draußen wird drinnen gefrevelt (Horaz, „Episteln", I, 2, 16) - 5 „Die Lage der arbeitenden Klasse in England" - 6 des „Kapitals"
107
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 6. Jan. 1892
Meine liebe Laura, Die Birnen sind in sehr gutem Zustand angekommen; den wenigen, die dringend wünschten, vertilgt zu werden, ist sofort Genüge getan worden, und die übrigen werden allmählich mit Dank und Vergnügen verspeist werden. Daß die alte Fry's-Cacao Kiste mit so erfreulichem Inhalt zu uns zurückgekehrt ist und sich, wie man von Direktoren in Aktiengesellschaften sagt, deren Frist abgelaufen ist, für das nächste Weihnachtsfest „zur Wiederwahl anbietet", war tatsächlich eine nette Überraschung. Paul möchte etwas über die Errichtung des Board of Health wissen.13151 Ich will versuchen, diese Angaben ausfindig zu machen, glaube aber, daß ich Tussy oder Edward bitten muß, sie im Britischen Museum aufzutreiben. Wenn ich nur das Jahr wüßte, in dem der Board of Health gegründet wurde, dann könnte ich das Original der Parlamentsakte bekommen - wenn Sam hier wäre, hätten wir es im Nu. Dein zeitweiliger Gatte scheint tatsächlich vom Fieber des Ewigen Juden ergriffen zu sein - wünscht er ihn vielleicht durch den ewigen Neger zu verdrängen?13161 Jedenfalls war der Antrag auf Trennung von Kirche und Staat im Sinne der Kommune13071 das Beste, was er tun konnte; es stopft ihnen sofort den Mund. Besonders jetzt, wo die französische Geistlichkeit diese Möglichkeit ins Auge zu fassen beginnt und zu beweisen versucht, daß sie in diesem Falle vom Staate getrennt werden müßte, wie die Kirche von Irland13171, das bedeutet, nicht nur ihren ganzen Besitz zu behalten, sondern auch die Gehälter in Kapital umwandeln und für einen Pauschalbetrag abfinden zu lassen - les milliards de I'£glise! apres ceux de M.Bismarck!113181 Die Priester haben es zu eilig; denn dies auszusprechen bedeutet, es unmöglich zu machen. Wenn die Sache geheimgehalten und das Volk urplötzlich damit in der Form eines Regierungsvorschlags überfallen würde, könnte die Überrumplung gelingen, und die Radikalen1431 wären
1 die Milliarden der Kirche! nach den Milliarden des Herrn Bismarck!
nur zu froh, diesen Vorschlag zu akzeptieren - aber ihn vorher von der Öffentlichkeit diskutieren zu lassen, bedeutet, sein Mißlingen zu sichern. Die Französische Republik mit ihren Grundsätzen vom bürgerlichen Recht kann die Kirche nicht in der gleichen Art abfinden, wie das die englische halbfeudale Monarchie tat. Hier ist nur das von Lassalle im ersten Band seines „Systems der erworbenen Rec/rte"2'691 entwickelte System anwendbar, wie es ausschließlich von der großen Revolution angewandt wurde. Siehe Bernsteins Einführung zu Lassalles Werken'80'; wenn Du sie nicht hast, will ich versuchen, sie zu bekommen. Es ist Lassalles einzige juristische Leistung, keine große, aber juristisch völlig korrekt. Wir sollten mit dieser Sache in Frankreich beginnen und dann Longuet veranlassen, die Radikalen in diesem Sinne zu bearbeiten. Ich muß wieder unterbrechen. Der alte Harney liegt mit Bronchitis in Richmond - dasselbe Leiden, das ihn letztes Frühjahr an den Rand des Grabes brachte. Ich muß ihn besuchen, hoffe aber rechtzeitig zurück zu sein, um diesen Brief zu beenden. Ich bin mit Arbeit überlastet: 1. Korrekturbogen und ein neues Vorwort für die neue englische Ausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse in England"4, 2. die Durchsicht von Edwards Übersetzung der „Entwicklung des Sozialismus"5 - mit ebenfalls einer neuen Einleitung, 3. die deutsche Übersetzung meines Artikels im „Almanach"'2401, ehe sich ihrer jemand anders bemächtigt, 4. eine Menge Briefe zu beantworten. Und dann kann ich möglicherweise zum Band III8 zurückkehren, wo mich gerade die allerschwierigsten Kapitel erwarten. 4 Uhr 30 nachmittags. Soeben aus Richmond zurückgekehrt, wo ich den alten Harney bedeutend wohler fand - hoffentlich hält es an. Ich nehme an, daß Du Louises „Arbeiterinnen-Zeitung" mit der Wiener „Arbeiter-Zeitung" direkt aus Wien erhalten hast. Dein Artikel liest sich ungewöhnlich gut - Tussys Artikel wird in der nächsten Nummer erscheinen'2411, und da die Zeitung ihrer Natur nach unersättlich ist, kann ich nur sagen, daß alle weiteren Beiträge dankbar angenommen werden; inzwischen sende ich Dir Louises Dank, der wie jeder Dank zweischneidig ist, nämlich 1. der Dank für die erwiesenen Dienste und 2. „ein Dank im voraus für künftige Dienste", wie die Bourgeois sagen. Der arme Adler ist schwer überarbeitet, und die augenblickliche Ruhe, die er genießt, genießt er überdies nur als Pfleger seiner Frau, die ernstlich
8 in der Handschrift deutsch: „System der erworbenen Rechte" - 3 in der Handschrift deutsch: Leistung - 4 in der Handschrift deutsch: „Lage der arbeitenden Klasse in England" -s in der Handschrift deutsch: „Entwicklung des Sozialismus" - ' des „Kapitals"
krank ist. Sie sind gegenwärtig in Salo am Gardasee. Und da Victor dafür verantwortlich ist, daß die Zeitung Material erhält, erweist Du ihm und der österreichischen Partei auf diese Weise einen guten Dienst, wenn Du hilfst, die Frauenzeitung mit guten Beiträgen zu versorgen; die bürgerlichen emancipees7 wären nur zu froh über eine Möglichkeit, ihre Hirngespinste und Universalheilmittel im Organ der Arbeiterinnen unterzubringen. Pumps hat sich nicht recht wohl gefühlt, so daß sie während der Feiertage nicht kommen konnte, aber wir werden sie und die Kinder im Laufe dieses Monats hier haben. Was in aller Welt plagte den Vaillant, sich mit diesem Narren Gegout egout8 zu duellieren? Grüße von Louise und mir an Euch beide. Und vergiß nicht, daß Du verpflichtet bist, mit Paul in Kürze herüberzukommen. Es wird einigen unserer Arbeiter guttun, einen lebenden französischen sozialistischen deputd zu sehen. A vous de coeur9 F.E.
Aus dem Englischen.
' emanzipierten Damen - 8 diesem Auswurf - 9 Herzlich Euer
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 20. Jan. 92
Meine liebe Laura, Gestern abend erhielt ich einen Brief von Paul aus Bordeaux, in dem er mich bittet, Dir einen Scheck zu schicken, um den proprietaire1 zu bezahlen. Ich wäre nur zu froh, wenn ich Dir über diesen mauvais quart d'heure2 hinweghelfen könnte, aber Tatsache ist, daß Januar und Februar meine schlimmsten Monate im Jahre sind. Weihnachten nimmt einen fast völlig aus, und ich habe vor dem 1.-5. März so gut wie keine Einnahmen zu erwarten. Tatsächlich weiß ich noch nicht, wie ich selbst über diese schlimme Zeit hinwegkommen soll, da ich außer den üblichen Weihnachtsauslagen einige erhebliche zusätzliche Ausgaben machen mußte. Dem alten Harney mußte ich Geld leihen, als er krank war, und Tussy und Edward haben mir die Einnahmen von vier Verträgen mit Sonnenschein verpfändet, worauf ich ihnen eine nette runde Summe vorgeschossen habe, die von Sonnenschein nur allmählich und zu ziemlich ungewissen Zeiten wieder einläuft - bestimmt nicht jetzt, wo ich sie am meisten brauche. Ich bin wirklich selber in Verlegenheit. Doch wenn es Dir gelingt, jemanden zu finden, der Dir das Nötige vorstreckt, wenn ich ihm einen Scheck über den Betrag gebe, datiert, sagen wir, 5. März, so daß er nicht vor diesem Zeitpunkt vorgelegt werden kann, dann kannst Du meinen Scheck mit Vergnügen haben. Ich dächte, Deville könnte es tun, da mein Scheck absolut sicher ist. In diesem Falle laß mich bitte die Summe wissen, denn Paul spricht nur von „un cheque". Mein Artikel3 im „Almanach" erscheint in italienischer Sprache in der „Critica Sociale", und gestern war ich endlich in der Lage, Bebel den deutschen Text davon zu schicken - mit einer ziemlich langen Nachschrift über die russische Hungersnot, die für einige Zeit den Frieden sichert und meinen Artikel seiner aktuellsten actualite beraubt.
1 Hausbesitzer -2 unangenehmen Augenblick - 3 „Der Sozialismus in Deutschland"
Der Kampf gegen Hyndman & Co. geht hier weiter - gegenwärtig ist der Kommunistische Arbeiterverein112201 der Hauptschauplatz, und es besteht Aussicht, daß Gilles geschlagen und hinausgeworfen wird5, und dann wird Hyndman mit seiner deutschen Spekulation (indem er Gilles stützte) noch eine schlimmere Vier haben als bei seiner französischen Spekulation auf Brousse13191. Hyndman ist, wie Du weißt, Kandidat für das Parlament in Chelsea. Als die Polizei seinen Meetings in Sloane Square ein Ende bereitete, wurde er zu 1 sh. Geldstrafe verurteilt, bezahlte sie und gab Sloane Square auf. Jetzt läßt er die Federation1621 um einen weit schlechteren Platz in Chelsea kämpfen, der World's End genannt wird (der Name zeigt zur Genüge, daß das kein Ort für öffentliche Meetings ist). Die Federation ließ zu, daß etwa 15-18 Mann vorgeladen und verurteilt wurden, und dann versuchte sie, die anderen Organisationen unter dem Vorwand „das Recht auf öffentliche Versammlung ist in Gefahr" dafür zu gewinnen, den Kampf für sie zu führen. Denn Hyndman sagte, wenn er diese Krakeelerei bis zur Parlamentsauflösung hinhalten könne, wäre sein Sitz gesichert. Aber das wird nicht glücken. Die Gasarbeiter erklärten, wenn Hyndman selbst den Vorsitz übernähme, würden sie Redner stellen, auch auf die Gefahr hin, daß diese verhaftet und verurteilt würden.13201 Vergangene Woche wurde H[yndman] auf einem Meeting, an dem Burns, Edward und Tussy teilnahmen, wegen seiner Feigheit schwer zugesetzt, und schließlich wurde der Versuch, H[yndman] durch die Intervention der anderen Organisationen und TradeUnions zu retten, praktisch fallengelassen. Croesel, einer unserer besten Deutschen hier, sagte H[yndman] in einer öffentlichen Delegiertenversammlung ins Gesicht, daß er ein Lügner sei, und dieser steckte das ein. Nun muß ich Ede Bernstein besuchen, der Influenza hatte, deshalb auf Wiedersehen. Louise meint, da Paul ständig fort ist, könntest Du Deine freie Zeit dazu benutzen, etwas für die „Arbeiterinnen-Zeitung" zu schreiben - Du siehst, sie möchte zu gern, daß die Wiener Zeitung die Stuttgarter8 aussticht, was jedoch nicht schwer sein dürfte. Letztere wurde zuerst von Frau Ihrer herausgegeben und zwar verteufelt schlecht, und jetzt hat sie die arme Clara Zetkin, und die ersten beiden Nrn. sind allerdings sehr dürftig und langweilig. Wenn Du also etwas über ces charmantes fran^aises7 und ihre Bewegung zu sagen hast, um so besser. Ich hoffe, Deiner Tierfamilie geht es gut -, bei uns herrscht die Influenza,
" in der Handschrift deutsch: Kommunistische Arbeiterverein - 5 vgl. vorl. Band, S. 254 — 6 „Die Gleichheit" - 7 diese charmanten Französinnen
doch bis jetzt sind unsere beiden Hausangestellten nur davon gestreift worden. Louise leidet an dem, was meine arme Frau8 „Schmerzen überall" (allgemeiner Muskelrheumatismus) zu nennen pflegte, aber mich hat es noch nicht erwischt. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
8 Lizzy Burns
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 26. Jan. 92
Lieber Baron, Korrektur des Artikels1 gestern sofort zurück. Die des „Antiproudhon"2 kann ich nicht besorgen, ich muß ehestens wieder an Band III3, und da ich die englische Übersetzung der „Entwicklung" durchzusehn habe - die ich nicht abweisen kann, da ich für das, was derart in London erscheint, doch verantwortlich gemacht werde -, kann ich absolut nichts mehr übernehmen. Sollten die Berliner in meinem Artikel etwas beanstanden, so bitte ich Punkte zu setzen. Milderungen gehn nicht an, weil das französische Original ja jedem zugänglich ist und mir als Fälschungen gedeutet werden könnten. Für die Abzüge der „Misere" 2 werde ich Dir dankbar sein - die Vorrede4 muß ich ohnehin ja doch wieder ansehn. An Dietz, der mir einen Entwurf zu einer Adresse an Bebel zu seinem 25jährigen Parlamentsjubiläum aufgebürdet'521, habe ich geschrieben1321', er solle von nun an alle meine Honorare an Adler schicken. Die Berliner kriegen ohnehin den Löwenanteil, da ich ihnen die für das im Vorwärts-Verlag Erscheinende nicht entziehen kann. So ist das nur billig. Also Julius hat mit seiner Maulwurfsarbeit den Gilles glücklich mit 48 gegen 21 Stimmen Sonntag morgen5 3 Uhr aus dem Verein'2201 gebracht. Er hat die Kampagne sehr gut geführt und kam Sonntag abend her; er war sehr glücklich und erzählte die Verhandlungen mit den Vereinlern mit prächtigem Humor: man s ih die Leute lebendig vor sich. Es war die alte Geschichte: erst glaubten die Schlafmützen, ihrer wären nur 7 Mann, und wie die Sache besehen wurde, kamen an die 50 heraus, die gut, aber faul waren, und wie man die zusammenrüttelte, war's mit Gilles aus. Die Sache ist wichtig, weil sie ihm bei den Engländern den Boden entzieht; Hyndman hat ihn jetzt allein an den Rockschößen und wird ihn nicht los.
1 „Der Sozialismus in Deutschland" - 2 Karl Marx: „Das Elend der Philosophie" - 3 des „Kapitals" - 4 Friedrich Engels: „Vorwort zur ersten deutschen Ausgabe ,Das Elend der Philosophie' von Karl Marx" - s 24. Januar
Auch Hyndman hat schwere Niederlagen erlebt. Lies in „Workman's Times" von voriger Woche die Delegierten-Verhandlungen in SocialDemocratic-Federation-Hall, Strand, wegen free speech Meeting6 in World's End, Chelsea. Da haben Shaw und Burns und Tussy ihm schwer zugesetzt. Burns sagte, wenn's zum Klappen käme, würde man hoffentlich nicht die Redner in den lavatories7 zu suchen haben (wie den H[yndman] bei Trafalgar Square13221) usw. Hyndman habe die Sache retten können, wenn er statt des unhaltbaren World's End (300 Mann machen eine obstruction of traffic8, wo die Polizei einschreiten muß!) das Sloane Square gehalten, er habe es aufgegeben, als man ihn 1 Shilling gestraft. Die Gasworkers sagten, sie wollten hingehn, wenn man sich hauen wolle, und Redner stellen, wenn Hyndman Präsident sein wolle.13201 Kurz, seine Feigheit wurde ihm endlich unter die Nase gerieben. Am Sonntag ging's ihm noch schlechter im Delegierten-Meeting wegen derselben Sache. Ein Social-Democratic-Federation-Mann sagte, die Social Democratic Federation1621 allein sei zu schwach, die Sache durchzuführen, und da sie anscheinend allein stehe, solle man sie fallenlassen; ein andrer sagte, Hyndman dürfe nicht verhaftet werden, denn die Social Democratic Federation lebe nur von den Geldzuschüssen von middle class people, especially9 Hyndman and Hunter Watts. Der Esel hat sich so in seinen eignen Intrigen verfangen, daß es ihm schlecht gehn kann. Der ganze Witz war, wie er privatim selbst sagte: könne man die Krakeelerei wegen World's End right of meeting10 bis zur Parlamentsauflösung hinhalten, 50 sei seine Wahl in Chelsea (wo er kandidiert) gesichert. Viele €>rüße. Gratuliere zum 2ten Sohn. Jetzt wär's aber doch Zeit, ein gemäßigteres Tempo einzuführen. Freut uns, daß Mutter und Kind wohl. Hier noch immer Influenza nach Noten, Percy hat sie gehabt und Lungenentzündung hintennach, ich warte mit Schmerzen auf Nachricht von Pumps. Auch Louise hatte einen gelinden Hauch davon, ditto Aveling. Also nochmals herzlichen Gruß von Louise und Deinem General
6 Versammlung für Redefreiheit - 7 Bedürfnisanstalten - 8 Verkehrsstörung - 8 bürgerlichen Leuten, besonders - 10 des Rechts, in World's End Versammlungen abzuhalten
110
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber Baron, Deine Auslassung von B[ebel] und L[iebknecht] all right.[323) Das ändert absolut nichts an der Sache. „Six Centuries etc." wäre wohl der Mühe wert zu übersetzen13241, jedenfalls mehr als desselben „Economic interpretation of history", die er sicher großenteils dem „Kapital" abgelauscht und ziemlich kleinlich ausgeführt hat; obwohl auch da einzelne Lichtblicke. „Six Centfuries]" enthält viel in Deutschland unbekanntes, tatsächliches Material bei einzelnen schiefen Deutungen, wie bei einem Bourgeois nicht anders möglich. Ich dachte aber, Du würdest eigne Arbeiten angenehmer und nötiger finden als Übersetzungen. Besten Gruß. Dein General [London] 28./1./92
III
Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 28.Jan. 92
Lieber Hermann, Ich glaube, es wird doch nachgerade Zeit, daß ich mal wieder ein Lebenszeichen von mir gebe, um so mehr, als ein gelinder geschäftlicher Anlaß dazu sich einstellt. In Deinem letzten Kontokorrent nämlich hast Du mir Vergütung von F.E[ngels] & Co. M. 79.40 gutgebracht, das ist wohl die Auslage für die auf Rudolfs Wunsch notariell und konsularisch beglaubigte Vollmacht? sonst scheint alles zu stimmen. Dann möchte ich Dich bitten, mir zu sagen, was die Schaafhausens, die ich bei Euch liegen habe, eigentlich heute wert sind, d. h. den Kurs und den Nominalbetrag meiner Aktien, sie sind einmal reduziert worden, und da weiß ich nicht genau mehr, wieviel ich habe, und es kann doch vorkommen, daß ich den Kram lieber losschlage. Im übrigen kann ich mich nicht beklagen, mit meiner Gesundheit geht's recht gut, meine Augenschwäche hat sich ziemlich gelegt und braucht nur insoweit berücksichtigt zu werden, daß ich bei Licht nicht schreibe, was freilich im Winter genant ist. Essen und Trinken schmeckt mir noch immer, laufen kann ich auch noch ziemlich flott und gelte überhaupt für einen der jüngsten alten Männer in London. Dahingegen muß ich mich mit dem Rauchen sehr einschränken, weil mir das sowie der gute Wein und leider auch das Pilsener Bier die Herznerven etwas in Unordnung bringt und das mir den Schlaf stört. Das dauert aber bloß von Neujahr bis zum Frühjahr, da nehme ich einmal Sulfonal die Woche, und dann geht's auch während dieser schlechten Zeit - das Sulfonal ist alle von Bayer in Elberfeld -, und sowie das Wetter gut wird und ich mehr an der Luft sein kann, geht's wieder besser, und dann kommt der Sommer, da geht's an und auf die See, und dann bin ich wieder obendrauf. Vorigen Sommer war ich erst 4 Wochen in der Insel WightI180) und dann 14 Tage in Schottland und Irland®101, die meiste Zeit auf dem Wasser, das bekommt mir immer am besten, seitdem es mit der Reiterei vorbei ist. Wenn ich hier im Winter reiten und im Sommer seefahren könnte, dann war' ich unbedingt wieder
17 Marx/Engeli, Werke, Bd. 38
obenauf. Da das aber nicht geht, so muß ich mich mit dem Besteigen des Londoner Chimborasso, genannt Hampstead Heath, begnügen, der ungefähr so hoch über der See ist wie Dein Haus in Barmen, nämlich an 150 Meter. Glücklicherweise genügt das auch im Notfall, um den Humor im Gang zu halten. An der Influenza bin ich bis jetzt glücklich vorbeigekommen, es ist aber eine wahre Plage hier, die Leute in meiner Straße fallen um wie die Fliegen, wenn sie auch schließlich davonkommen meistens, aber es scheint eine miserable Krankheit zu sein, die Leute werden alle so schrecklich melancholisch dabei, daß einem der Appetit dabei vergeht. Nun mußt Du mir aber auch erzählen, wie es bei Euch aussieht, was Du und Emma machst und all die Kinder und Kindeskinder, Rudolf, Hedwig und ihr nicht geringes Zubehör, die Blanks, die Engelskircher und der ganze zahllose und von hier aus gar nicht mehr zu übersehende Schwärm. Seit Rudolf Blank von hier weg ist, höre ich gar nichts mehr, namentlich da das Heiraten und der Kindersegen ein langsameres Tempo eingeschlagen zu haben scheinen; das waren doch sonst noch so gewisse Marksteine, an denen man einigermaßen abmessen konnte, was bei Euch vorging. Mit herzlichen Grüßen an Emma und alle die Deinen, Rudolfs, Hedwig & Co. & Co., Dein alter Friedrich
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Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 29. Jan. 1892
Lieber Hermann, Man pflegt von den Frauen zu sagen, daß sie die Hauptsache, die sie zu erzählen haben, nie in den Brief, sondern immer ins Postskriptum setzen. Uns alten Schmökern geht's aber noch schlimmer - nämlich kaum war mein gestriger Brief auf der Post, da fiel mir erst das Wichtigste ein. Es herrscht nämlich augenblicklich bei mir eine mit dem Geldüberfluß auf dem Londoner Markt seltsam kontrastierende kleine Geldklemme, und da ich bis 1. März nur kleine Dividenden zu erwarten habe, so wäre es mir lieb, wenn Du mir dieser Tage ca. £ 30 gegen meinen Saldo bei Euch remittieren wolltest. Ich komme dann ganz gut aus, von März bis Juni kommen mir die Gelder wieder flott ein. Herzliche Grüße von Deinem Friedrich
IT
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
, . , _ London, 1. Febr. 92 Lieber Baron, Hierbei der Brief Labriolas an Tussy; ich glaube nicht, daß seine Veröffentlichung vorübergehn würde, ohne böses Blut bei diversen Leuten in Italien zu machen, und davon würde in letzter Instanz die deutsche Partei zu leiden haben, indem dieser die Parteinahme für resp. gegen die Leute, die sich durch den Artikel getroffen fühlen, in die Schuhe geschoben würde. Denn mit Recht oder Unrecht werden sich bei den zerfahrnen italienischen Verhältnissen sicher allerlei Leute getroffen fühlen - das habe ich L[abriola] auch geschrieben. Und diese würden dann den Possibilisten'42', Hyndmanisten, Fabians128' und Gott weiß welchen Neidhammeln in die Arme getrieben. Ich habe L[abriola] geschrieben, ich hielte für besser, nicht zu drucken, indes hätte ich die Sache ganz in Deine Hände gelegt, und Ihr möchtet Euch direkt verständigen.1621 Jedenfalls aber wünscht Tussy den Brief zurück.. Es ist mir dieser Tage eingefallen, daß eine Darstellung Luthers aus seinen Taten und Schriften eine sehr nötige Arbeit wäre. Erstens wäre eine Richtigstellung sowohl der protestantischen Legende wie der bornierten katholischen Bekämpfung derselben durch Janssen (der ja jetzt so floriert in Deutschland) entschieden zeitgemäß und der Nachweis, von unserm Standpunkt, wie sehr die Reformation eine bürgerliche Bewegung, direkt notwendig. Dann aber speziell die Parallele zwischen dem Luther vor Karlstadt und den Wiedertäufern und dem Bauernkrieg, und dem Luther nachher einerseits und den Bourgeois vor 1848 und nach diesem Jahr andrerseits sehr wichtig und der Nachweis im einzelnen, wie dieser Umschwung bei L[uther] sich allmählich vollzog. Da wäre noch was zu leisten und ohne viel übermäßige Studien, und Du bist durch den ,,Th[omas] Morus" grade dafür präpariert. Dazu hast Du ja in Stuckert die famoseste Bibliothek über Protestantismus, die es gibt. Das wäre doch wahrhaftig besser, als den Rogers übersetzen'3241, den jedes Kind übersetzen kann. Gruß von Haus zu Haus. n • F. E.
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Engels an August Bebel in Berlin
, . . . London, 2. Febr. 92 Lieber August, Freut mich, daß Dir der Artikel1 gefallen hat. Die Weglassung der beiden Namen, das zweite Mal, hat meine volle Zustimmung/3231 Für Frankreich war die Wiederholung nötig, für Deutschland könnte sie schaden, ist jedenfalls überflüssig. Warum die Russen dennoch kriegerisch tun und Truppen im Westen konzentrieren? Sehr einfach. Gleich im ersten Brief, worin ich behauptete, die Hungersnot lege die russische Kriegslust lahm, sagte ich Dir, die Säbelrasselei werde darum keineswegs aufhören, eher verstärkt werden.2 So machen sie es immer. Das ist aber bloß für das inländische und ausländische Publikum, von der Diplomatie des Auslands verlangt man nicht, daß sie es glaubt, sondern nur, daß sie es ruhig gescheht läßt. Der Rückzug Rußlands soll vor der Öffentlichkeit aussehn wie ein Rückzug der andern vor Rußland. - Diesmal aber kommt ein zweites dazu: Der Südosten und Osten ist verhungert und kann keine Truppen ernähren. Das Mißwachsgebiet wird ungefähr begrenzt durch die Linie: Odessa-Moskau-WjatkaPerm zum Uralgebirge; entlang dem Ural zur Nordspitze des Kaspischen, von da zur Ostspitze des Asowschen Meeres, zurück nach Odessa. Dies beweist, daß nur östlich von Odessa-Moskau Truppenmassen zu ernähren sind; was nördlich liegt, braucht selbst fortwährend Kornzufuhr. Außerdem verbreiten die Russen jetzt direkt falsche Nachrichten über Truppenverschiebungen nach Westen. Mit Deinen Angaben über Deine Korrespondenz mit Franzosen wegen Elsaß-Lothringen stimmt absolut nicht eine Notiz im Sonntags-„Vorwärts"/325' Scheint gemacht zu sein, ohne Dich zu konsultieren. Mit dem „Figaro" tust Du indes am besten, auf Deiner Hut zu sein, es ist ein grundgemeines Blatt. Sehr amüsiert hat uns Deine Unterhaltung mit KollerZ326! Der Mann ist der echte Preuß'. Schon Herkner hatte die Leute mit der Nase darauf 1 Friedrich Engels: „Der Sozialismus in Deutschland" - 2 siehe vorl. Band, S. 159—162
gestoßen, wie borniert es sei, die französierten und rabiat französischen Notabeln zu kajolieren und die Arbeiter, die nicht einmal französisch verstehn und nach Sprache und Charakter noch vollständige Deutsche sind, abzustoßen und den Franzosenfreunden in die Arme zu treiben.13271 Da war die schönste Gelegenheit, mit kolossalem Erfolg Demagogie von oben zu treiben. Mit Oktroyierung nur der deutschen Fabrikgesetze, Koalitionsgesetze etc. und mit tolerantem Verfahren gegen die Arbeiter konnte man sie in 10 Jahren haben und hatte dann mit den Protestanten, den Wein- und Tabakbauern mehr als ein Gegengewicht gegen die französierten Bourgeois, Spießer und Adligen. Aber wie ging das an für dieselben Leute, die in Deutschland das Sozialistengesetz einführten und die Arbeiter in jeder Weise bekämpften? Du siehst, die deutschen Bourgeois kommen immer zu spät, und selbst die preußische Regierung, die jenen gegenüber doch noch so viel Bewegungsfreiheit hat, durfte diese Art bonapartistischer Politik nicht riskieren. Und, wie Du sagst, es geht dem preußischen Bürokraten, Militär und Junker gegen die Natur, irgendeine, selbst nutzlose oder gar ihm selbst Schaden bringende Machtposition freiwillig aufzugeben - die kleinliche Schinderpolitik, die ihr eins und alles ist, litte ja darunter! Daß G[illes] endlich mit Glanz an die Luft gesetzt, weißt Du. Es ist aber albern vom „Vorwärts", bei dieser Nachricht den Namen zu unterdrücken.13281 Man verkleinert doch nicht seine eignen Erfolge, indem man ihnen im Bericht die Spitze abschneidet. Und der Verein12201 und die Leute, die ihn soweit gebracht, verdienten doch auch, daß ihre Aktion für die Partei im amtlichen Parteiorgan wenigstens wahrheitsgetreu berichtet werde. Indes ich weiß, da könnt Ihr vorderhand nichts machen, aber es scheint mir fast, als ob jemand es darauf anlegte, einen Konflikt zu provozieren. Mein Rat an Julius wegen Redekürzung würde genau dieselbe Wirkung haben wie der Eurige an L[ie]bk[necht], keine indiskreten Briefe zu schreiben. Ich mische mich in Julius* Angelegenheiten sicher nicht, wenn ich nicht absolut muß. Bei der absichtlichen Isolierung der beiden Leute von uns allen bleibt mir nichts andres übrig. Die Tante3 verlangt Besuch gegen Besuch, formelle Spießeretikette, und derlei ist unter uns kommunistischen bohemiens erstens absolut nicht Mode und zweitens absolut unmöglich. Dieser Spießerfuß, was man hier social treadmill heißt, die soziale Tretmühle, ist nur für Leute zulässig, die an Zeitüberfluß leiden, und wer arbeiten will, kann sich nicht auf derlei einlassen und tut es auch nicht. Ich habe es selbst unter den Bourgeois in Manchester nicht mit
8 Emilie Motteier
gemacht und kann es auch jetzt erst recht nicht. Wer was beim andern zu suchen hat, der geht hin, und damit basta. Daß dem aber so ist, das ist die Grundsuppe alles Kummers in Hugo Road. Daß Geiser wieder am „V[orwärts]", hatte ich vermutet an der unübertrefflichen, nur ihm zuzuschreibenden öden Langweiligkeit und Inhaltsleere gewisser Artikel. Sonst ist der ,,V[orwärts]" während der Dresdner Landtagssession manchmal merklich besser. Ja, die „Lage der arbeitenden] Klasse"I Der gute Dietz läßt mich nun schon zum x-tenmal anzapfen und bekommt immer dieselbe Antwort, die ich ihm schon selbst geschrieben: sobald der III.Band „Kapital" fertig, mit Vergnügen, bis dahin kann ich absolut nichts übernehmen. Dein Vorschlag, ihn zu beauftragen, mit Wigand zu verhandeln, hat allerhand Haken, ich habe bisher stets gefunden, daß bei solchen Sachen nutzlose und oft nicht wieder gutzumachende Fehler gemacht wurden. Vor allen Dingen muß ich doch wissen, was meine rechtliche Stellung gegenüber Wigand ist. Ich gebe Dir auf inl. Zettel den Sachverhalt, kannst Du mir wie früher einmal ein juristisches Gutachten darüber verschaffen, so können wir weiter verhandeln. Dein früheres Gutachten klärte mich vollständig darüber auf, daß ich kraft der säubern, Verleger schützenden und Verfasser opfernden, sächsischen Gesetzgebung noch sehr in Wigands Händen stecke, aber nicht über den, damals nicht, aber jetzt gestellten Fall, wenn Wigand die Neuauflage zu den alten Bedingungen ablehnt. Bin ich dann ebenfalls noch in seinen Krallen, dann müssen wir allerdings sehn, was geschehn kann.'329' Den Buchdruckern geschieht, was sie sich selbst eingebrockt haben.1310' Wenn sie jetzt in die Partei getrieben werden, ist's schon gut. Vor Freude beinahe auf den Tisch gesprungen bin ich gestern beim Lesen des Korpsbefehls von Prinz Georg von Sachsen.'330' Das wird da oben eine Wut erregen! Daß so etwas in die gottlose sozialdemokratische Presse kommt - haben die Kerle wirklich schon solche Verbindungen in „Meinem herrlichen Kriegsheer"? Die „Daily News" bringt heute schon ein spaltenlanges Telegramm darüber - es wird in aller Welt einen Heidenlärm setzen. Und mit solcher Behandlung glaubt man, die Soldaten dahin zu bringen, daß sie „alles über den Haufen schießen", besonders Eltern, Brüder usw.? Sont-ils betes, ces Prussiens!4 Daß Louise eine sehr gute Hausfrau ist, bin ich bereit, trotz etwaiger gegenteiliger Behauptungen envers et contre tous5 zu vertreten, und auch, daß sie eine ausgezeichnete Köchin ist. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob
* Sind diese Preußen Idioten! - 5 gegen all und jeden
diese Hausfräulichkeit nicht mit darauf beruht, daß wir zwei nicht verheiratet sind, und sollte dies sich bestätigen, so wäre dies ein Glück für mich von wegen des Umstandes, daß bei unserem Altersunterschied Eheliches und Außereheliches gleichmäßig ausgeschlossen ist und daher nichts übrigbleibt als eben die Hausfräulichkeit. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich von Louise und Deinem F.E.
Postskriptum. Louise ist entrüstet darüber, daß Du die Briefe, die sie Dir schreibt, an mich sechs Seiten lang beantwortet. Ich sagte, das solle sie Dir selbst schreiben, aber sie antwortet, dazu sei sie viel zu entrüstet. Das Inliegende ist des Gilles letztes Meisterstück, hier im Verein wird es absichtlich zu Hunderten verbreitet, als worin er sich selbst den Hals bricht.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
.. . , , London, 3.Febr. 1892 Meine hebe Laura, Kannst Du mir vom „Intransigeant" die Londoner Adresse von Rochefort beschaffen? Wröblewski schickt mir ganz plötzlich einen Brief für diesen vornehmen Ausländer und nimmt an, daß ich seine Adresse weiß, aber ich will mich hängen lassen, wenn ich irgend jemand kenne, der sie mir hier beschaffen kann. Jeder rät mir, nach Paris zu schreiben, da dies der kürzeste und sicherste Weg sei, die Adresse zu bekommen. So muß ich wohl diesem Rate folgen und unterbreite Dir den Fall, besonders da ich einen leisen Verdacht habe, daß der arme Teufel W[roblewski] sich Wegen Geld an R[ochefort] wendet und ich mir um alles in der Welt nicht vorwerfen lassen möchte, daß ich die Ursache einer Verzögerung, wenn auch nur um eine Stunde, der zweifellos negativen Antwort wäre, die er sicher (wenn er überhaupt eine erhält) von le grand boulevardier1 erhalten wird. Wir haben hier allesamt an Influenza gelitten, - ich bin bis jetzt noch vorbeigekommen, aber Louise und meine Hausangestellten sind davon gestreift worden. Percy hatte einen ziemlich ernsten Anfall, dem eine Lungenentzündung folgte, er ist noch nicht wieder auf den Beinen; Bernstein hat gelegen, und E. Aveling ist noch nicht wieder ganz hergestellt. Unsere Straße und die ganze Nachbarschaft haben schwer gelitten, ringsum sind alle krank. Der neueste Skandal: durch ganz London geht das Gerücht, daß der Herzog von Clarence auf seinem Sterbebett seine Mutter2 gerufen und ihr gesagt hat, daß „May"3 von ihm ein Kind erwartet. Wenn das stimmt, ist es die einzige Handlung, die ich dem Jungen zur Ehre anrechne. Man sagt, er sei eine ganze Zeit lang hinter ihr her gewesen, doch die alte Königin4 billigte die Heirat anfangs nicht. Wenn sie sich nun selbst Recht verschafft haben, so ist das mehr, als ich von diesen „vornehmen Herrschaften" erwarten konnte und zeigt, daß er immerhin zu etwas gut war. 1 dem großen Globetrotter - 2 Prinzessin Alexandra - 3 Prinzessin Victoria-Mary von Teck 4 Victoria
Pauls Reisen sind sehr interessant1316 aber wird er ihrer nicht bald müde werden? Es ist eine sehr nützliche und sehr gute Arbeit, aber wenn er es so bis zum 1. Mai weiter treibt, wird er ziemlich abnehmen und vielleicht zu seinen parlamentarischen Pflichten mit dem „mageren und hungrigen Blick" zurückkehren, der zu ihm als einem Cassius in den Augen des epicier5 passen könnte13311. Auf alle Fälle hat er die Broussisten und andere Neidhämmel6, die wegen eines oder zwei falscher Zungenschläge in seiner ersten Rede13071 über ihn hergefallen sind, zum Schweigen gebracht. Die Statistiken über Notre Dame de la fabrique etc. sind die beste Erwiderung. Mein Artikel7 aus dem „Almanach" ist in italienischer Sprache in der „Critica Sociale" in Mailand veröffentlicht worden und wird in der nächsten Nr. der „Neuen Zeit" mit Zusätzen in deutsch erscheinen. Bebel hat mir einige Elsässer Zeitungen mit Berichten über seine Rede in Mülhausen geschickt13321, eine in französischer Sprache; ich möchte sie Dir schicken, wenn ich sie finde (Louise sagt, sie habe sie Dir bereits geschickt)8, Um Dir zu zeigen, was für ein entsetzliches Französisch diese „Patrioten" des „Industriel Alsacien" schreiben. Die Veröffentlichung des Befehls des Prinzen Georg von Sachsen an das 12. deutsche (sächsische) Armeekorps im gestrigen „Vorwärts" wird einen Heidenlärm verursachen.13301 Das zeigt, wie weit unsere Verbindungen in der Armee reichen, und Wilhelm9 wird furchtbar böse sein. Sicher wird die Veröffentlichung in Frankreich eine große Sensation hervorrufen, und wenn Du mir Pariser Zeitungen mit Kommentaren darüber schicken kannst, damit ich sie Bebel sende und sie im Reichstag benutzt werden können, wird das sehr, sehr nützlich sein. In großer Eile - freundliche Grüße von Louise und immer Deinem F.E.
Aus dem Englischen.
6 Philisters - 6 in der Handschrift deutsch: Neidhämmel - 7 „Der Sozialismus in Deutschland" - 8 die Worte in Klammern von Engels nachträglich eingefügt - 9 Wilhelm II.
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Engels an Conrad Schmidt in Zürich
. . i „ . .. London, 4. Febr. 92 Lieber bchmidt, Laut Ihrem Brief vom 12. Dez. haben wir am 19. desselben ein Glas auf Ihr und Ihrer jungen Frau Wohlsein geleert und dasselbe am nächsten Tag, Sonntag, nach dem Essen mit Avelings zusammen in edlem 1868er Portwein solenne bekräftigt. Ich hoffe, Sie sind jetzt komfortabel häuslich in Zürich eingerichtet und finden, daß sich zu zweien besser lebt als alleine. Besten Dank für Ihren Artikel contra Wolf.1333' Der aber zwang mich, doch auch das Wolfsche Opus zu lesen, das ich einstweilen bis auf schlechtere Zeiten ruhig in den Schrank gelegt hatte.1224' Da der Mann der Ansicht ist, die deutsche Sprache habe nur den Zweck, seine Gedankenlosigkeit zu verbergen, ist es gewissermaßen eine Arbeit, den Kohl zu lesen, indes findet man doch bald das Nichts heraus, das dahinter steckt. Sie haben die Hauptsache ganz richtig und klar gesagt, und es war sehr gut, alle Nebendinge beiseite zu lassen; diese werden ja bloß zu dem Zweck hingesetzt, daß man sich daran verbeißt und den Hauptfehler vernachlässigt. Daß der Mann ein Genie in der ökonomischen Dummheit ist, hatte ich schon aus einem Artikel in der „N[euen] Fr[eien] Presse" gesehn, wo er den Wiener Bourgeois den Kopf noch verwirrter zu machen sucht, als er schon ist. Aber diesmal hat er meine Erwartungen noch übertroffen. Reduzieren wir sein Argument auf mathematische Ausdrücke: C1,C2, zwei Gesamtkapitale, deren resp. variable Bestandteile = Vx, v2 und deren resp. Mehrwertsmassen = mx und m2. Bei gleicher Profitrate für beide (Profit und Mehrwert vorläufig gleich gesetzt) gilt also:
Ci:C2 = miimo, also —^ = —- . mi m2 Wir müssen nun die unter dieser Voraussetzung notwendigen Mehrwertsraten feststellen, multiplizieren also die eine Seite der Gleichung mit — = 1
und die andre mit — = 1; also v2
CiVi _ C2V2 _ Ci ^ Vi _ C2 V2 miVi m2V2 Vi mi v2 m2 Bringen wir die resp. Faktoren auf die andre Seite der Gleichung, wo der Bruch also umgekehrt wird, so haben wir Ci m2 C2 mi , Ci C2 mi m2 — X — = — X — oder: — : — = — : — , Vi v2 V2 Vi Vi v2 Vi v2 oder die Mehrwertsraten, um die Wolfsche gleiche Profitrate hervorzubringen, müssen sich verhalten wie die resp. Gesamtkapitale dividiert durch ihre resp. variablen Bestandteile. Tun sie das nicht, so ist die Wolfsche gleiche Profitrate futsch. Daß sie aber 1. dies tun können und 2. dies immer tun müssen, das war das ökonomische Faktum, das Herr W[olf] zu beweisen hatte. Statt dessen gibt er uns eine Deduktion, die das zu Beweisende als Voraussetzung enthält. Denn die Gleichung der Mehrwertsraten ist, wie entwickelt, nur eine andre Form der Gleichung der gleichen Profitrate. Exempel: Q = 100, vx = 40, mi = 10 C2 = 100, v2 = 10, mg1 = 10 Ci C2 mi m2 vi ' v2 vi ' v2 100 100 10 10 . 1Ö:1W~ 40 :TöstimmtNun glaube ich zwar, daß Sie etwas zu weit gehn, wenn Sie die unbedingte Gleichheit der Mehrwertsraten für die gesamte Großproduktion behaupten. Die ökonomischen Hebel, die die Gleichheit der Profitrate durchsetzen, sind, glaub* ich, viel stärker und rascher wirkend als die, die auf Gleichmachung der Mehrwertsrate drücken. Jedoch die Tendenz ist da, und die Unterschiede sind praktisch nur unbedeutend, und schließlich sind alle ökonomischen Gesetze nur Ausdrücke für sich allmählich durchsetzende und sich gegenseitig durchkreuzende Tendenzen. Wenn die Vorrede zum 3. Band2 drankommt, soll Herr J. W[olf] seine Freude erleben. Daß Sie mit Ihrer Dozententätigkeit einen so ermutigenden Anfang gemacht haben, freut mich ungemein, ich hoffe, es geht so fort. Den Herrn Wolf wird's speziell freuen - geschieht ihm recht. Daß einige von den mit den Parteivorgängen malkontenten Herren Studenten ihre Studien wieder aufnehmen, ist sicher sehr gut. Je mehr sie lernen,
1 In der Handschrift: m1 - 2 des „Kapitals"
desto toleranter werden sie werden gegen Leute, die eine wirkliche verantwortliche Stellung haben und sie gewissenhaft auszufüllen trachten, und werden mit der Zeit auch wohl einsehn, daß, wenn ein großes Ziel erreicht und die dazu nötige Armee von Millionen zusammengehalten werden soll, man die Häuptsache im Auge behalten und sich nicht durch Nebenquengeleien irreführen lassen muß. Auch dürften sie entdecken, daß die „Bildung", auf die sie sich so große Stücke einbilden, gegenüber den Arbeitern, noch sehr viel zu wünschen übrigläßt und daß die Arbeiter das schon instinktiv, „unmittelbar", a la Hegel, besitzen, was sie sich erst mühsam anquälen müssen. Die Blamage der „Jungen" in Erfurt12261 war aber auch jammervoll, und ihr Blatt3, was ich davon gesehn, ist nur ein blasser Abklatsch der anarchistischen hiesigen Autonomie. Wenn Sie bei Hegel auf „Moorboden" kommen, so halten sie sich damit nicht auf; sechs Monate später werden Sie in demselben Moorboden feste Steine zum Auftreten entdecken und ganz glatt hinüberkommen. Die geschloßne Stufenfolge der Begriffsentwicklung gehört bei Hegel zum System, zum Vergänglichen, und ich halte sie für das Schwächste - wenn auch das Witzigste, denn er hilft sich an allen schweren Punkten durch einen Witz: Positiv und Negativ gehn zugrunde und führen deshalb zur Kategorie des Grundes („Encykl[opädie]").[334] Das müßte ja in jeder Sprache anders gemacht werden. Übersetzen Sie die Reihenfolge in der Lehre vom Wesen in eine andre Sprache, und die Übergänge werden großenteils unmöglich. Viele Grüße von Ihrem F. Engels
3 „Der Sozialist"
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Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 4. Febr. 1892
Lieber Hermann, Pf[erdmenges] und Co. haben mir prompt l./2.Febr. £30 on demand1 Übermacht, Wofür besten Dank. Das Geld war mir allerdings recht bequem, nach den Weihnachtsausgaben ist Jan. und Febr. immer für mich die knappe Zeit, wo ich haushalten muß. Eine offizielle Empfangsanzeige an die Firma ist wohl nicht nötig? Ebenfalls besten Dank für die Auskunft wegen der Schaafhausens2. Ich habe vorderhand nicht vor, sie loszuschlagen, es kann aber vorkommen, daß ich von andern hiesigen Gesellschaften Zuweisungen von Aktien al pari bekomme, die mir mehr eintragen, und für den Fall wollte ich gern wissen, wie mich zu verhalten. Sehr gefreut haben mich die vielen Nachrichten von Hause und daß es Euch allen im ganzen doch recht gut geht. Daß Hedwig3 mir auch wieder mal schreiben will, freut mich sehr, wenn Du sie nächstens siehst, sag ihr bitte, ich hätte mir das aufs Kerbholz geschnitten und würde sie beim Wort halten. Und nun noch besten Dank für die Bilder! Ihr seht ja noch ganz flott aus, namentlich Emma, und Du bist auch nicht bedenklicher geworden als vor Jahren schon, weiß der Kuckuck, Du und ich, wir sehn immer so gar ernst auf den Photographien aus. Ich revanchiere mich, indem ich zwei beilege von mir, die allerdings schon vor einem Jahr (Febr. 91) genommen sind, aber ich glaube nicht, daß seitdem viel Änderung eingetreten - wenn die andern auch welche wollen, so stehn sie ihnen mit Vergnügen auf Gegenseitigkeit zu Gebot. Ich weiß nicht, ob Euer Einkommensteuerdeklarationsverfahren (13Silben-Wort!) viel anders ist als das hiesige; aber hier ist man das seit über 40 Jahren gewohnt, und unter uns gesagt, ist mir noch nie ein Fall vorgekommen, wo eine Firma ihr richtiges Einkommen deklariert hätte; meist
1 auf Verlangen - 2 siehe vorl. Band, S. 257 - 3 Hedwig Boelling
30, 40, 50% und mehr darunter. Das geht alles durch, denn sowie die Regierung einer Firma wegen Unterdeklaration Schwierigkeiten macht und die Vorlage der Bücher verlangt - wozu sie das Recht hat schreit die ganze Kaufmannswelt über inquisitorisches Verfahren, und die ganze Presse randaliert. Das einzige, was die Regierung praktisch tun kann, ist, den Einschätzungsansatz selbst nach eignem Ermessen heraufzusetzen; will dann der Beteiligte das nicht akzeptieren, so muß er selbst die Bücher vorlegen. Das geht dann oft durch, macht die Regierung dies Manöver aber einmal beim Unrechten, der in der Tat im laufenden Jahr einmal ausnahmsweise nicht mehr verdient hat als den seit Jahren deklarierten Satz - dann geht die Schreierei wieder los. Und so ist die Kaufmannschaft ziemlich geborgen, aber wir armen Rentiers müssen bluten, 1. zieht man uns schon von den Dividenden, Hypothekenzinsen etc. die Steuer ab, ehe wir das Geld erhalten, und 2. wehe uns, wenn wir etwaige sonstige Einkommenquellen haben und sie nicht freiwillig der Steuerbehörde anzeigen, ja uns nicht mit der Anzeige förmlich aufdrängen. Die £ 18 oder 24, die ich wegen meines Einkommens drüben expreß jährlich anzuzeigen habe, machen mir mehr Last, als all das übrige zusammen - was die Steuer angeht. Darum wäre ich Dir sehr verbunden, wolltest Du mir mein Kontokorrent so früh wie möglich einsenden, am 1. Mai kriegen wir die Formulare, und am 20. müssen sie ausgefüllt zurückgebracht werden, und im Fall von Schikanen müßte ich grade den Kontokorrent als Belegstück vorlegen, es muß also damit stimmen. Mit herzlichen Grüßen an Euch alle in Ober- und Unterbarmen Dein alter Friedrich
272 118- Engels an Filippo Turati • 6. Februar 1892
118
Engels an Filippo Turati in Mailand13351
122, Regent's Park Road, N.W. London, den 6. Febr. 92
Lieber Herr, Se io lo conosco1, den ehrenwerten Bovio?13361 Ma dopo molti anni, dopo la vecchia Internazionale2, wo ich überall in der italienischen sozialistischen Literatur auf seine Artikel stieß. Ich habe damals seine Artikel gelesen, und je mehr ich darin las, desto weniger sah ich klar - ho capi nagott3 - kurzum, mit seinen eigenen Worten: non ricordo tempo piü confusionario4, und, um das Unglück vollzumachen, ich wußte am Ende nicht, wer von uns beiden confusionario war, er oder ich. Aber trotzdem ist er ein braver Mann, ein Pedant zwar, aber ein großmütiger und liebenswerter Pedant (was bei unseren deutschen Pedanten niemals der Fall ist) und, wie Sie sagen, ein Victor-Hugo-Typ, eine grandiose Natur, ein Mann mit großzügigen Ansichten, der Sie durch seine Persönlichkeit besticht, selbst wenn Sie die Partei bekämpfen, die er verteidigt. Ich verstehe durchaus, daß er das Idol Ihrer Jugend ist. Wenn ich jung wäre, würde ich in ihn vernarrt sein, ich würde ihn zu meinem Abgott machen, aber leider bin ich nicht 17 Jahre, sondern 71. Hier meine Antwort, natürlich leicht ironisch gefärbt - ohne das könnte ich mich nicht mit ihm unterhalten -, aber ich hoffe, eine passende Antwort. Würden Sie die Güte haben, sie ins Italienische zu übersetzen?
Sempre suo6 F. Engels
Aus dem Französischen.
1 Ob ich ihn kenne - 2 Aber ja, seit vielen Jahren, seit der alten Internationale - 8 habe nichts verstanden - 4 ich erinnere mich an keine konfusere Zeit - 6 Stets Ihr
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Engels an Stanislaw Mendelson in London
122, Regent's Park Road, N.W. 11. Febr. 1892
Lieber Bürger Mendelson, Hier das Vorwort1; es ist nichts Besonderes, aber leider ist das alles, was ich Ihnen im Augenblick geben kann. Bis zur Veröffentlichung der nächsten Neuauflage des „Manifests" hoffe ich Ihre Sprache genügend zu kennen, um die polnische Arbeiterbewegung ohne Schwierigkeit verfolgen zu können, und dann kann ich mit Sachkenntnis davon sprechen. Ich sende Ihnen mit gleicher Post zwei amerikanische Zeitungen2 über den Selbstmord von S.P[adlewski]. Meine besten Empfehlungen, auch von Frau Kautsky, an Ihre Gattin. Ihr ganz ergebener F. Engels
Aus dem Französischen.
1 Friedrich Engels: „Vorwort zur zweiten polnischen Ausgabe (1892) des .Manifests der Kommunistischen Partei'" - 2 „New Yorker Volkszeitung" und „The Sun"
18 Mars/Engels, Werke, Bd. 38
274 120 - Engels an Filippo Turati -13. Februar 1892
120
Engels an Filippo Turati in Mailand'3371
Ausgezeichnet! Vielen Dank.'3351
Gruß F. E.
London, den 13./2./92
Aus dem Italienischen.
121
Engels an Edward Aveling in London (Entwurf)
[London, erste Februarhälfte 1892]
Mein lieber Edward, Es war eine klare Vereinbarung, daß ich Ihre Übersetzung1 im Ms. durchsehen und ihr danach, durch ein neues Vorwort2 aus meiner Feder, den Charakter einer autorisierten Übersetzung geben sollte. Nachdem die Herren S. S[onnenschein] & Co. ohne einen von uns beiden zu fragen und in direktem Widerspruch zu der obigen Vereinbarung gehandelt haben, sehe ich mich gezwungen, meinen Standpunkt neu zu überdenken. Ihre Übersetzung wurde in dem Bewußtsein gemacht, daß ich sie durchsehen werde, sie ist also notwendigerweise nur eine Rohübersetzung; überdies wären Sie als Übersetzer geneigt, sich an den Buchstaben des Originals zu halten, während ich als der Autor mehr oder weniger von ihm abweichen und dadurch das Buch nicht als eine Übersetzung, sondern als eine Originalarbeit lesbar machen könnte. Nicht das Ms., sondern paginierte Korrekturbogen in diesem Sinne durchzusehen würde in größerem oder geringerem Umfang eine Veränderung in der Paginierung nach sich ziehen. Soweit ich bisher sehen kann, gibt es jetzt für mich nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich unterziehe die Korrekturbogen einer Revision nach meinem Belieben, genau wie ich auch im Falle Ihres Ms. verfahren wäre, ohne Rücksicht auf die dadurch entstehenden Kosten. In diesem Falle bleibt unsere ursprüngliche Vereinbarung bestehen, die Übersetzung wird von mir autorisiert, und ich schreibe ein Vorwort. In diesem Fall müssen wir vier weitere Exemplare der Korrekturbogen anfordern und nachher nochmals korrigieren.
1 die englische Übersetzung von Engels* Arbeit „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" - a „Einleitung zur englischen Ausgabe (1892) der .Entwicklung des Sozialismus von der Utopie Zur Wissenschaft'" 18*
Oder ich muß die Korrekturabzüge respektieren, was die Paginierung betrifft, und nur Wortveränderungen innerhalb jeder Seite machen. In diesem Fall will ich mein Bestes tun, die Ubersetzung so gut wie möglich zu machen, aber ich muß es ablehnen, vor der Öffentlichkeit irgendwie damit in Verbindung gebracht zu werden, und behalte mir das Recht vor, öffentlich jede Verantwortung dafür abzulehnen, wenn mir diese auferlegt würde. Selbstverständlich müßten die in jedem der beiden Fälle entstandenen Kosten zu Lasten der Herren S. SJonnenschein] & Co. gehen, die sie allein verursacht haben.3 Bevor ich in der Sache etwas unternehmen kann, muß ich zu all diesen Fragen um Ihre schriftliche Entscheidung bitten.
Aus dem Englischen.
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Engels an Hermann Engels in Barmen
Lieber H[ermann], Es ist mir ganz recht, wenn Du mir den Kontokorrent schon vor dem 30. April schickst, ich möchte in diesem Fall aber um gefl. Anzeige per Postkarte bitten, nachdem die betr. Dividende eingegangen und wieviel sie beträgt. Das erledigte alles aufs beste. Hier haben wir seit gestern prächtiges deutsches Winterwetter mit Schnee und Kälte, ich war heute in Richmond einen alten kranken Freund1 besuchen und nachher in der Stadt, das Wetter hat mir die Nerven ordentlich aufgefrischt und der Pschorrbräu, den ich darauf getrunken, mir wunderbar geschmeckt. Gruß an Emma und alle andern. Dein Friedrich [London] 17./2./92
1 George Julian Harney
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 19.Febr.92
Lieber Victor, Neulich, als ich auf Deinen Brief aus Salo endlich antworten wollte, kam mir ein schwerer Strich in die Quere. Avelings Übersetzung meiner „Entwicklung des Sozialismus", die ich im Ms. vorher revidieren sollte, war durch Bosheit oder Dummheit oder beides des Verlegers bereits vorher gesetzt worden und kam mir in fertiger, umbrochener und paginierter Revision zu. Bei der hiesigen Gesetzgebung, die den Schriftsteller dem Verleger an Händen und Füßen gebunden überliefert, riskierte ich, daß die Sach ein dieser Form ins Publikum käme und mich unsterblich blamierte, denn das Ms. war nur ein roher Entwurf. Da mußte alles liegenbleiben, bis das Ding revidiert und der Verleger auf Umwegen gezwungen war, sich in die durch ihn selbst verursachten Kosten zu finden. Nun, das ist jetzt in der Hauptsache überstanden, und der erste, der Antwort erhält, bist Du. Sehr haben wir uns gefreut zu erfahren, daß es Deiner Frau besser geht und die Genesung mit Sicherheit zu erwarten ist. Du hast wahrhaftig Plage und Arbeit genug, und die österreichische Bewegung braucht Deine volle Kraft viel zu sehr, als daß wir nicht freudig aufgeatmet hätten bei der Nachricht, daß Dir hier wenigstens die schlimmste Sorge abgenommen. Aber Du wirst uns auch erlauben, uns zu freuen, nicht nur als Parteileute, sondern auch als Deine persönlichen Freunde, über die Aussicht, daß Dir Deine Frau in kurzem in voller Gesundheit wiedergegeben wird und daß eine so prächtige Frau wie Deine Emma nicht dem schrecklichen Geschick verfällt, das ihr für einen Moment zu drohen schien. Wenn Du aber unter solchen Umständen in eine Stimmung verfielst, die Du selbst als katzenjämmerlich schilderst, so ist das nur zu begreiflich. Inzwischen haben die Umstände Euch Österreichern ja über den toten Punkt weggeholfen, den Du nicht mit Unrecht fürchtetest. Die geplante Umwurstelung von Groß-Wien hat Euch die Handhabe geboten, die Du mit Deinem gewohnten Takt sofort ergriffen und nach dem von Vaillant
123 • Ellgels an Victor Adle r • 19. Februar 1892 279
und unseren Leuten dem Pariser Gemeinderat zuerst vorgelegten Muster richtig ausgebeutet hast.1338' (Die Possibilisten haben weiter nichts getan, als seine Durchsetzung im Gemeinderat zu beschleunigen, indem sie als Gegendienst sich in anderen Dingen an die Bourgeoisradikalen verkauften, also aus Dummschlauheit uns einen Dienst taten und obendrein sich ihren eigenen Ruin präparierten.) Wohin ich Dir also den „Rippenstoß" geben soll, von dem Du an Louise schreibst oder ihn gar von mir verlangst, ist mir unklar. Die Französen haben ein eigenes Geschick, solchen Forderungen die richtige politische Form zu geben, und das ist in dieser Sache geschehen. Auch hier sind die französischen Forderungen teilweise schon vom Londoner County Council akzeptiert, teils figurieren sie in den Wahlmanifesten aller Arbeiterkandidaten.[3391 Siehe die „Workman's Times" der letzten drei Wochen. Da die Wahlen zum County Council am 5. März hier stattfinden, spielen diese Manifeste augenblicklich eine große Rolle, und die „Workman's Times", die Du hoffentlich regelmäßig erhältst, bietet Dir da allerlei Agitationsmaterial. Und die Sache verdient bis aufs Blut ausgebeutet zu werden, erstens der Agitation überhaupt und der immer möglichen Einzelerfolge wegen, dann aber besonders auch zur Beseitigung des sonst sicheren Hasses zwischen den Wiener Arbeitern und den importierten Hungerkulis und Lohndrückern. Diesen Punkt hast Du ganz besohders gut hervorgehoben. Euer Tagblatt werdet Ihr mit der Zeit bekommen, müßt es aber in der Hauptsache selbst schaffen. Bei Eurer Preßgesetzgebung scheint mir der Schritt vom Wochenblatt zum Tägblatt ein sehr großer zu sein, der lange und starke Beine erfordert und Euch ganz anders als bisher in die Hände der Regierung liefert, die Euch durch Geldstrafen und Unkosten finanziell zu ruinieren sucht. Darin beweist sich wieder die - im einzelnen immer größere - Schlauheit Eurer Regierung; die Preußen sind dazu zu dumm und verlassen sich auf die brutale Gewalt. Eure Staatsleute sind nur dumm, wenn sie etwas Großes tun sollen. Es frägt sich für mich, ob Ihr ein Tagblatt sechs Monate gegen die Strafkosten halten könntet, und wenn's eingehen müßte, wäre die Niederlage schwer zu verwinden. Damit ich aber jedenfalls das meinige tue für die Österreicher, habe ich mir überlegt, da meine Honorare von den im Vorwärts-Verlag erscheinenden Sachen ohnehin mit einer nicht zu hindernden Sicherheit in die deutsche Parteikasse fließen, daß Euch also alles Honorar von Sachen gebührt, die bei Dietz erscheinen1, und habe den p.p.Dietz demgemäß instruiert.^
Rudolf Meyer tut mir leid, nach Deinem Bericht und der seitdem erhaltenen Nachricht, daß er in Mähren sitzt, statt in Palermo, muß es ihm sehr schlecht gehen mit seinem Diabetes. Bei all seinem wunderbaren, oft komischen Größenwahn ist er der einzige Konservative, der für seine sozialdemagogischen Pläne und sozialistischen Sympathien etwas riskiert hat und ins Exil gegangen ist; wo er dann gefunden hat, daß die österreichischen und französischen Aristokraten zwar bedeutend mehr gentlemen im gesellschaftlichen Umgang sind als die preußischen Lausejunker, aber sonst für ihre Bodenrenten und Strebereien usw. mit gleicher Hartnäckigkeit schwärmen. Er ist dahin gekommen, daß er, als einzig übriggebliebener wirklicher Konservativer, jetzt vergebens nach Leuten sucht, mit denen er eine wirklich konservative Partei gründen kann. Im übrigen nehmen die Dinge eine kritische Gestalt an. Im Deutschen Reichstag kriselt es ganz gehörig, Wilhelmchen scheint seine regis voluntas13401 mal probieren zu wollen und treibt sogar die Jammerkerle der Nationalliberalen Partei1341' in die Opposition; Konflikt liegt schon etwas in der Luft. Dazu in Frankreich Ministerkrise, die für uns sehr wichtig weil Constans die Inkorporation des Arbeiterhasses ist und sein Fall im Innern manches ändert und weil obendrein die erneute Wackelei der französischen Ministerien sehr eklig ist für die russische Allianz, die ohnehin in die Brüche geht. Inl. ist in „Critica Sociale" erschienen.2 Louise schreibt Inliegendes. Sie hat den ganzen Tag Sauerstoff abgeschieden - auf dem Papier, sie studiert Chemie unter den erschwerenden Umständen englischer Lehrbücher und mangelnder Experimente.. ?
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
2 Friedrich Engels: „Antwort an den ehrenwerten Giovanni Bovio" -3 das Ende des Briefes fehlt
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Engels an August Bebel in Berlin
London, 19. Febr. 92
Lieber August, Vor allen Dingen herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag und many happy returns of the day, wie man hier sagt, desgleichen zu Deinem 25jährigen Parlamentsjubiläum resp. silbernen Hochzeit mit dem Parlamentarismus, die ja auch dieser Tage sich ereignen soll[3421. Nun, Du hast den Kerlen grade in diesen Tagen gezeigt, was sie an Dir haben, und wir hier haben viel Freude daran erlebt. Die Dinge spitzen sich in der Tat in Deutschland zu. Es muß weit gekommen sein, wenn sich bei den Nationalliberalen13411 wiederholt oppositionelle Gelüste zeigen und Richter von einer deutschen „großen liberalen Partei" träumen kann13431. Die kapitalistische Gesellschaft, die sich den Staat noch nicht formell unterworfen hat, die die wirkliche Regierung einer monarchisch-bürokratisch-junkerlichen erblichen Kaste überlassen und sich damit begnügen muß, daß im ganzen und großen doch ihre eignen Interessen schließlich entscheiden, diese Gesellschaft, wie sie in Deutschland situiert ist, wackelt zwischen zwei Strömungen: einerseits der Allianz aller offiziellen und besitzenden Gesellschaftsschichten gegenüber dem Proletariat; diese Strömung führt schließlich zur „einen reaktionären Masse" und behält, bei ruhiger Entwicklung, schließlich die Oberhand. Andrerseits besteht eine Strömung, die den alten, aus Feigheit unausgekämpften Konflikt immer wieder auf die Tagesordnung setzt, den Konflikt zwischen der Monarchie mit ihren absolutistischen Reminiszenzen, dem Grundadel und der Bürokratie, die sich über alle Parteien erhaben dünkt, und, ihnen allen gegenüber, der industriellen Bourgeoisie, die täglich und stündlich in ihren materiellen Interessen durch diese überlebten Elemente geschädigt wird. Welche von diesen beiden Strömungen momentan die Oberhand behält, wird durch persönliche, lokale etc. Zufälligkeiten bestimmt. In diesem Augenblick scheint die zweite in Deutschland zur Herrschaft kommen zu wollen, wobei dann natürlich die Industriekönige a la Stumm und die Aktionäre der industriellen Gesellschaften großenteils
auf seiten der abgelebten Reaktion stehn. Sehr ernsthaft kann ja dieser nun zum x-tenmal wieder aufgewärmte Abklatsch des alten Konflikts von 1848 nur dann werden, wenn die Regierung und der Grundadel, auf ihre bisherigen Erfolge pochend, ganz tolle Dinge machen. Das halte ich aber nicht für unmöglich, da die kuriosen persönlichen Gelüste da oben Unterstützung finden in der steigenden Überzeugung der Junker, daß die Industrie die Rohstoff- und Lebensmittelzölle auf die Dauer nicht tragen kann. Wie weit dieser Konflikt getrieben wird, hängt, wie gesagt, von persönlichen Zufälligkeiten ab. Charakteristisch dabei ist, daß nach der alten Praxis gehandelt wird: man schlägt den Sack und meint den Esel (oder vielmehr alle beide). Man schlägt auf die Sozialdemokratie, trifft aber nebenbei die Bourgeoisie tüchtig mit, zunächst politisch, in ihren seit 60 Jahren prunkend zur Schau getragnen liberalen Prinzipien und in dem bißchen Anteil, das sie direkt an der Staatsmacht besitzt, dann aber später, wenn's gut geht, auch ökonomisch und opfert ihre Interessen denen des Grundbesitzes. Eine starke Schwenkung nach rechts scheint also im Zug, und zum Vorwand nimmt sie die Notwendigkeit, unsern Aufschwung zu brechen. Was kann sie uns anhaben? 1. Sozialistengesetz? Haben wir überwunden und würden es jetzt, wo wir moralisch 100% und materiell mindestens 50% stärker als I.Okt. 1890, spielend überwinden. Wird auch so leicht keine Majorität finden. 2. Reaktionäre Verbesserung des Strafrechts gegen Presse, Vereine und Versammlungen? Kann das Zentrum13441 nicht zugeben und ist ohne das Zentrum nicht zu machen. 93 Konservative beider Fraktionen'3461 und 42 Nationalliberale brauchen 66 Zentrumsmänner zur Majorität. Kämen die, dann wäre das Zentrum aufgelöst, und das wäre auch was wert. Das und die kolossale Wut, die solche Rückschrittsmaßregeln im Volk hervorriefen, würde uns vollauf für den angetanen Zwang entschädigen. 3. Wahlrechts- und Geheimabstimmungsbeschränkung? Kann das Zentrum absolut nicht mitmachen, so dumm sind die Pfaffen nicht, sich selbst die Gurgel abzuschneiden. Und ohne Zentrum fehlen wieder 60 bis 70 Stimmen. 4. Staatsstreichelei? Scheitert an den Fürsten. Jede Verfassungsverletzung bedroht das Reich mit Auflösung, entbindet die Einzelfürsten aller Pflichten gegen das Reich. Ja, hätte man sie alle gewonnen für so etwas (was nie geschieht), so müßten noch ihre Thronfolger - meist unmündig! - zustimmen, wenn der Bestand des Reichs gesichert bleiben soll, also ausgeschlossen.
5. Bleibt das einzige wahrscheinliche: schärfere Verwaltungs-, Polizeiund Gerichtspraxis, wie sie sich in dem unerhörten Peus-Urteil13461 ankündigt. Das halten wir auch schon aus und lernen uns bald darauf einrichten. Möglicherweise kann man das noch durch den ordinären Belagerungszustand verschönern, aber der ist nur für die ersten Wochen gefährlich, nachher schläft er von selbst ein und kann doch nur für einzelne Reichsteile erklärt werden; zudem wird die Bourgeoisie den auch satt und kann dadurch noch mehr in die Opposition getrieben werden. Also wenn die Herren Preußen nicht noch ganz andre, neue, geniale Erfindungen machen, sozusagen intellektuelle und moralische Mitrailleusen und Maximgeschütze, dann werden sie uns schikanieren können, aber uns stets mehr nützen als schaden. Ein bißchen unverfälschte Junkerherrschaft könnte gar nicht schaden. Aber ich fürchte nur, die Leute sind nicht stramm genug dafür; Gelüste genug, aber keine hinreichende Kraft, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Das ist ja das Pech, daß bei uns beide Seiten, Junker wie Bourgeois, so elend schlapp sind. Deine Rede gegen Stumm von Freitag, 12./2., habe ich gestern abend mit wahrem Entzücken gelesen, diese Improvisation war famos, und man sieht, wie sie einschlug.13471 Auf die heute angekommne Militärrede freue ich mich ebenfalls enorm.1348' Sehr erfreut hat uns Deine Anzeige, daß Du gegen 10. oder 11. April hier sein wirst - es ist alles in Ordnung für Dich, und wenn Schorlemmer kommen sollte, so können wir den auch unterbringen, das ist besorgt. Die Hummermayonnaise wird Dir nach Deinem heutigen Brief an Louise wohl auch wieder gesichert sein; ich hatte sonst schon ein kleines Plänchen ausgearbeitet für den Fall, das wird aber wohl nicht mehr nötig sein. Auch für die Austern übernehme ich die Verantwortlichkeit und ditto für die Auswahl der Getränke dazu. Glücklicherweise schwärmt Louise nicht weniger für diese beiden Genüsse als Du und ich, und auf dieser Basis ist immer eine Verständigung möglich. Daß sie eine Hexe ist, das weiß sie selbst und ist nicht wenig stolz darauf, denn sie sagt, in Wien seien alle Hexen liebenswürdig. Und unter uns gesagt, glaub' ich, Du und ich würden uns nicht so gut mit ihr vertragen, wenn sie keine Hexe wäre. Was nun aber den Otto Wigand angeht, so kann ich nur wiederholen, daß bis zur Erledigung des III.Bandes „Kapital" ich mich auf nichts einlassen kann, das mir Arbeit kostet. Die mir täglich aus aller Herren Ländern zuströmenden Briefe und sonstigen laufenden Geschäfte halten mich ohnehin genug auf, also laßt mich doch endlich mal diesen Alp von der Brust abwälzen, damit ich wieder Bewegungsfreiheit kriege. Und ich bin grade an
einem Abschnitt, wo ich ein paar Monate ganz ungestört frei haben muß, um damit fertig zu werden. Wenn Dietz sich persönlich mit Wigand über die Sache1 besprechen will, ohne mich irgendwie zu binden, so mag er das tun, wenn er glaubt, ein Resultat zu erzielen. Er kann sagen, er habe Grund anzunehmen, daß ich glaube, er, Dietz, habe bessere Vertriebsmittel für eine Neuauflage als Wigand und sei geneigt, ihm, Dietz, den Verlag zu überlassen, falls er sich mit W[igand] einige. Nur kann ich 1. nicht durch Dietz' Auslassungen gegenüber Wigand mich im voraus gebunden erklären und 2. nicht ihn als meinen Vertreter zu W[igand] schicken. Offiziös, aber nicht offiziell! Er soll ihn ausforschen und, wenn die Bedingungen ihm passen (so daß sie für mich, d, h. für Parteizwecke, ein den Umständen angemeßnes Honorar übriglassen), nur zugreifen, dann werde ich ihn sicher nicht im Stich lassen. Nur möchte ich nicht zwischen zwei Stühle gesetzt werden, d. h. daß Wigand nicht will und Dietz nicht darf. Es ist ein wahres Pläsier, daß jetzt wieder Leben in die Bude kommt. Wer weiß, ob bei der regierenden Leidenschaftlichkeit nicht Euer Reichstag und die französische Kammer doch beide aufgelöst werden. Was Beßres könnte uns nicht passieren. Was ich aber nicht begreife, daß jetzt, wo im Reichstag wirklich entscheidende Schlachten geschlagen werden, Liebknecht imDresdner Froschteich13491 sitzt. Ich gäbe doch zehn sächsische Mandate für das Recht, jetzt im Reichstag ein Wort mitzusprechen. Wer weiß übrigens, ob man nicht auch aus Parteikreisen schüchterner Art uns beide anklagt, unzeitig aus der Schule geschwatzt und drohende Reaktionsmaßregeln provoziert zu haben! Mein Artikel in der ,,N[euen] Z[eit]"2 hat gesessen, das beweist das hartnäckige Schweigen der Bourgeoisund Regierungspresse, die sonst ja gleich bei der Hand sind, über so was herzufallen. Er ist inzwischen italienisch, polnisch und numänisch erschienen und hat mich int Tc ( Re-0.isch) Tj 0 Tc (,) Tj 1 0 0 1 29 Tc (0 1 149.705 364.080 Tm 1.943 Tw -0.023 Tc 9.55 Twn) TTc ( ha) Tj 0 Tc (t) Tj 1 01 134.c (t Tc ( Re-0.isch) Tj 0 Tc 7) T91( ha) Tj 0 Tc (t1Tc (,) Tj 0 1 39.360 468 Tm 1 0 1.696 Tw 0.045 0 003( ha) Tj 0 Tc (i) Tj 1 0 1) Tj 1 0 ole31 456.480 Tmk0.024 Tw 0.049 30 0 1( ha) Tj 0 Tc50 Tc (e )  1 259.593 514.080 Tm 0.873 Tw 0.110 (s71j 1 0 0 1 29 Tc06t) Tj 1 011 231.481 236.640 Tm9.120 410.400 T570 T8( ha) Tj 0 Tc (tc (n) Tj  0 1 278al96 318 Tm 2.459 Tw -0.005 Tc7 Tc ( i) Tj 0 Tc (n4 Tj 1 0 0 1 211.7wohlwo509 225.120 Tm 1 0 0 1 38.640 236.64002m 0 Tw 0.012 Tc (da6.64002m 0 Tw 09n Tm 2.123220 Tm 3 38.160 28u Tw 0.012 Tc (da6.99s) Tj 0 1 Tj 0 TcEs 1 0 0 1 260.087 259.680 T72a) Tj.012 Tc (da6.( polnisc)10 Tc (n)Bov (e )  1 259.029 236.640 T97.536 T012 Tc (da6. Mei) Tj 08 Tc (t)verw) Tjlt 2.290 Ts 0 Tc (2) Tj 1 0 0(3 2.290 TsTc ( sitzt) 1 84.50.070 Tc 1 0 0 1 51.0 Tc (2.720 Tm (We) T1898.160 213.600 Tm (We) T1898.160 21(Fj 1 0 0 1 71.8089 259.680 Tm0.048 T898.160 21(( fü) Tj 0 T 0 Tc (,Jul1 0 0 1 141.951 236.640 Tm90 1( h898.160 213. 0 Tc is) Tj c (n) Tj 1 0 0 1 231.785 456.480 Tm 0.479 T898.160 21(( 9wahre) Tj c (h) Tj 1 0 0 1 153.906 387.360 Tm 1.6666T898.160 21(( f2gierungspc (tc (l) Tj 0 0 1 99.528 225.120 Tm  1.06ü) 898.160 21(( 9arteikrei Tc (t) Tj 1 0 0 1 176.873 387.360 Tm 14.4 Tc898.160 21(( 61zeiti) T0 Tc (h) Tj 1 0 0 1 200.828 236.640 Tm 0.90 Tc898.160 21(( 9 Tc is) Tjj 0 Tc (heu1 0 0 1 72.804 294.960 Tm  1.4glau898.160 21(( 8wahre) Tj Tc (h) T 1 0 0 1 178.f93 514.080 Tm 0.1383h898.160 213. 07a) Tj 0 TTj 0 Tc h 1 0 0 1 309.849 444.960 Tm98 Tw8 T898.160 21(1ch)greifen) Tj 0 Tc9.7benswürdj 1 0 0 1 269.880 225.120 Tm 1 0 0 1 1.4880 514.080 Tm 0 Tw 0. 1.4880 514ons) Tj 0 0 Tc (Br.705 364.080 f93 514.080 Tm57997 T 1.4880 514. i) Tj 0 T Tj 0 Tc antwort 1 0 0 1 119.744 248.160 Tm 0.656 T 1.4880 514. 55) Tj 0 Tj 0 Tc (e 0 0 1 174.861 236.640 Tm 16de) T 1.4880 514. 1)greifen)c (h) Tj 1 0 0 1 245.744 456.480 Tm 0.8 Eue 1.4880 514. 7doc) Tj 0Tc (d) Tj 1 0 0 1 170.340 352.560 Tm 49.184  1.4880 514. 4is) Tj 0 Tc (t) Tjganz1 0 0 1 170.340 352.560 Tm 18.166T81.4880 514. iic) Tj 0 T Tc (z) Mor 1 0 0 1 269.879 248.160 Tm 141 T6T81.4880 514. 82) Tj 0 Tc (r) Tj 1,) Tj 0 1 39.360 468 Tm 1 0 -0.8c (81.4880 5142 Tj 0  Tj 0Tc (d) TjKonfTj 1 0 0 1 176.952 525.600 Tm 18. 3.  1.4880 514. 465ha) Tj 0 Tc50 Tc (e )  1 259.593 514.080 Tm 95 is4  1.4880 514. 7da) Tj 0 Tc (e) TjAvel,) Tj 0 1 39.g80 225.120 Tm 1 0 0 1 3.1680 248.160 Tm 0 Tw 0. 3.1680 248ons) Tj 0Tj 0 Tcwe 1 0 0 1 269.879 248.160 Tm8 Tei)  3.1680 248.168alieniscTj 0 Tc (r) Tj 1h 1 0 0 1 89.4577 271.200 Tm 17( vor 3.1680 2482 T 0 T Tj 0 Tc (h) TsTj 1 0 0 1 126.828 398.880 Tm 2sch99r 3.1680 2482 3ha) Tj 0 Tc (i) TjÜberTj 1 1 0 0 1 89.4577 271.200 Tm 983 T9r 3.1680 2482 00e) Tj 0 Tc (r) Tj 1 0 0 1 284.760 248.160 Tm 1.6901r 3.1680 2482 5isr
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 5. März 1892
Meine liebe Laura, Heute kann ich nicht mehr tun, als mein Paul gegebenes Versprechen erfüllen und Dir inliegenden Scheck über £ 15 für die Miete schicken, der auf Deinen Namen ausgestellt ist, so daß durch Pauls Abwesenheit keine Verzögerung einzutreten braucht. Ich habe Deinen Brief erhalten und werde in einigen Tagen antworten - ich bin mit Arbeit überhäuft - Sonnenschein hat durch irgendein Versehen den Rohentwurf von Edwards Übersetzung meiner „Entwicklung des Sozialismus"1 zum Druck geschickt, und nun fällt mir die ganze Korrektur dieses Rohentwurfs zu und muß natürlich schnell erledigt werden. Dann war Percy die ganze Woche hier, er fuhr gestern ab, dann traten andere Unterbrechungen in der Arbeit ein. Heute ist Tussy in Sachen der Union1671 nach Plymouth gefahren, und Edward wird den ganzen Tag bei uns sein; ich muß deshalb diesen Brief fertig haben und abschicken, ehe er kommt. Ich freue mich über die das „Tageblatt" betreffenden Nachrichten, und diesmal kann es ein Erfolg werden, wenn unsere Freunde die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen treffen, um nicht wieder gerade in dem Augenblick hinausgeworfen zu werden, wo die Zeitung anfängt, sich bezahlt zu machen.13501 Aber die Dinge stehen jetzt besser, hinter ihnen steht jetzt eine Macht, und das ändert die Sache - sie müßten aber trotzdem dafür sorgen, ihre Position in der Zeitung zu festigen. Ich würde mich freuen, wenn Paul mich etwas über die Position der verschiedenen Gruppen der Sozialisten und „Auch-Sozialisten"2 in der Kammer informierte - die Blanquisten, Possibilisten, die Gruppe Millerands und die Ex-Boulangisten. Ich las im gestrigen „Intransigeant", daß Paul und Ferroul eine Versammlung besucht haben, die sich hauptsächlich aus Blanquisten-Boulangisten zusammensetzte, und wenn er mit ihnen
1 In der Handschrift deutsch: „Entwicklung des Sozialismus" - 2 in der Handschrift deutsch: „Auch-Sozialisten"
zusammenarbeitet, so ist 100 gegen 1 zu wetten, daß Hyndman sie in der „Justice" angreift; die Sache wird jedenfalls hier diskutiert werden, und mir werden verschiedene Versionen zugetragen werden - deshalb muß ich vorbereitet sein. Mit meinem nächsten Brief wirst Du höchstwahrscheinlich einen Mahnbrief von Louise wegen weiterer Beiträge für die „A[rbeiter]innen-Zeitung" erhalten. Grüße Deine ganze zahlreiche Familie! Immer Dein F.E.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 5. März 92
Lieber Baron, Dein Ms.13081 geht heute registriert ab. Ich habe nur die ersten 16 Seiten lesen können. Von dieser Einleitung würde ich das meiste streichen. Die Gründe, weshalb ein Programm eines Kommentars bedürfen muß etc. etc., kurz, alle diese Deine Erwägungen, warum die Broschüre geschrieben wird, schwächen den Eindruck und halten den Leser vom Weiterlesen ab. In medias res mußt Du gleich von vornherein gehn, das ist die beste Rechtfertigung. Über den Plan des übrigen, des Hauptteils, kann ich nicht urteilen. Ich bin so erdrückt von allen Arten Arbeiten, daß ich nicht weiß, wo aus noch ein. Lauter Lumpereien, aber zeitfressend, daß es eine Schande ist. Ich schmachte nach Zeit für den II I.Band1, und sie wird mir tagtäglich unter den Händen weggestohlen. Well, wir kommen doch noch dazu. ,,N[eue] Z[eit]" mit meinem Artikel2 in 10 Ex. dankend erhalten. Den Namen Hodgskiri und die Zahl 1824 berichtige einfach in der Neuauflage und sage in einer Note, im Original stehe so und so, offenbar Schreib- oder Druckfehler,t351! Menger ist und bleibt ein Esel. Seine ganze Kritik des bürgerlichen Rechts'3521 ist nichts als eine Apologie des „Polizeistaats" gegenüber dem „Rechtsstaat". Das Recht ist allerdings schärfer und strenger, besonders das bürgerliche, als die Polizeiwillkür, die ja manchmal auch human tun kann, eben weil sie Willkür ist. Hätte ich Zeit, ich würde dieser nur in zurückgebliebnen Ländern wie Deutschland und Ostreich möglichen Rederei bald ein Ende machen. Daß Du auf den Luther eingehst3, freut mich. Zeit hat's ja. Den Brief von Cunow zurück, mit Dank. Ich bin begierig auf seine Klassenverarbeitung. In den peruanischen Gentilsachen hat er einiges sehr hübsche entdeckt. Er hatte mir die Sachen geschickt, und ich habe ihm gedankt.
Die Markenverfassung der Peruaner11291 erhältst Du auch - ich habe sie soeben herausgesucht. Ich glaube nicht, daß Du vorderhand gefährdet bist. Die Berliner Gelüste sind so wackelig und vielseitig, daß keins zur wirklichen Befriedigung kommt - jetzt sind die liberalen Bourgeois plötzlich bete noire4. Der Liberalismus ist die Wurzel des Sozialismus, will man also radikal verfahren, so muß man den Liberalismus kaputtmachen, dann verdorrt der Sozialismus von selbst. Dies ausgezeichnet schlaue Manöver können wir uns einstweilen mit stiller Heiterkeit ansehn. Sind erst die liberalen Philister wild gemacht, und sie scheinen wirklich in die Wut wider Willen hineingejagt zu werden, dann ist's auch mit Schreckschüssen gegen uns vorbei. Abgesehn davon, daß es auch Machthaber in Deutschland gibt, denen dieser Berliner Wind anjenehm sein dürfte, um sich ihm gegenüber wohlfeil populär zu machen und für Partikularismus und Reservatrechte'3631 Kapital herauszuschlagen. Als die Berliner Straßenaufläufe'3641 anfingen, war ich nicht ohne Besorgnis, es könne sich daraus die so heiß ersehnte Schießerei entwickeln, als aber die Krawaller den jungen Wilhelm6 anhochten und dieser damit beruhigt war, war alles in Ordnung - wenn erst die „Kölner Zeitung" neben Peus'3461 brummt, dann kann's hübsch werden.13551 Also meine Ansicht ist, daß, wenn Gefahr ist, so ist sie vor allem auf Preußen beschränkt, und je größer sie dort wird, desto besser geht's Euch in den Kleinstaaten. Jetzt muß ich noch an Sorge schreiben 6-amerikanische Post heute-also farewell7. Aveling, der eben gekommen, grüßt bestens. Gruß von Haus zu Haus. Dein F.E.
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 5. März 92
Lieber Sorge, Deine Briefe vom 15., 22., 29. Jan., Postkarten vom 2., 4., 13. Febr. erhalten. Auch die Zeitungen wegen Anna1. Selbige ist offenbar an der Modekrankheit, am Größenwahn, kaputtgegangen. Sonderbar, diese Art Leute, ähnlich wie Hartmann und andre, taugen für eine Tat - good, bad or indifferent2 -, und ist die abgemacht, so ist, wie Schorlemmer sagt, nix mehr ze wolle. Deinen letzten Artikel in der „N[euen] Z[eit]" 13561 habe ich leider noch nicht die Zeit gehabt zu lesen, muß aber dran, da ich nur durch Deine Hülfe die amerikanische Entwicklung verfolgen kann, ohne auf Abwege zu geraten. Ich bin schauderhaft überbürdet mit allerlei Arbeiten und Lumpereien. Du solltest den Haufen deutscher, französischer, italienischer, spanischer, polnischer, russischer, dänischer, amerikanischer, englischer und zuweilen rumänischer Zeitungen sehn, die mir zukommen und die ich doch wenigstens ansehn muß, um au courant3 der Bewegung zu bleiben. Däneben wirkliche Arbeiten, die mir den Rest von Zeit wegfressen. Und die Korrespondenz! ich habe für eine Woche genug aufgespeichert. Und da soll der II I.Band * fertig werden. Es ist schändlich. Aber es wird doch durchgesetzt. Nur müßt Ihr Geduld haben, wenn ich mal die Korrespondenz aussetze. In Frankreich geht's sehr gut. Lafargue benutzt seine Diäten und seinen Eisenbahnfreipaß, um das ganze Land zu bereisen, von Lille bis Toulouse aufzuregen, und mit brillantem Erfolg. Alle andern sozialistischen Fraktionen sind von der unsern1801 in den Hintergrund gedrängt, auch in Paris treten die Possibilisten1421 dank ihres innern Gezänks und des energischen Auftretens der Unsern mehr und mehr zurück. Man denkt wieder an ein tägliches Journal als Parteiorgan, das jetzt beßre Chancen hat.13501 Sehr gut ist, daß Constans vom Ministerium des Innern fortgejagt, der Kerl wollte
1 Stanislaw Padlewski-2 gute, schlechte oder unbedeutende-3 auf der Höhe-* des „Kapitals*
19 Marx/Engel». Werke, Bd. 38
mit Gewalt Schießereien provozieren, die können wir nicht gebrauchen. Da am l.Mai unsre Demonstration mit den Munizipalwahlen in ganz Frankreich13571 zusammenfällt, ist jedem Minister, der nicht auf den Augenblicks-eclat spekuliert wie Constans, das Schießen verboten. Hier geht die alte Krakeelerei voran, aber trotzdem arbeitet sich die Sache durch, echt angelsächsisch, langsam aber sicher. Es verläuft immer alles in einzelne kleine Kämpfe, die nicht kurz zusammengefaßt werden können, bis ein Resultat da ist. Augenblicklich handelt es sich um die Maifeier. Unsre Leute hier, der Trades Council[10B! (die altfränkischen Trades Unions) und die Social Democratic Federation1621 dort als unsre Gegner die beiden Feinde vom vorigen Jahr haben sich gegen uns verbrüdern müssen, was auch schon ein Erfolg. Wir haben den Hyde Park im Besitz. Possession is nine points of the law.5 Wie's weitergeht, wird sich zeigen. Wahrscheinlich haben wir die Gasworkers1671, eine Anzahl kleiner Unions und die Radical Clubs135?1 (fast nur Arbeiter) auf unsrer Seite - wie's dann weitergeht, muß sich zeigen. ; Nun aber Deutschland» Da geht es so famos, daß wir es gar nicht besser wünschen können, trotzdem daß wahrscheinlich auch bald derbere Hiebe fallen werden. Wilhelmchen6 war von Anfang an ein Prachtexemplar von einem „Letzten des Stammes", der die Dynastie und Monarchie ruiniert wie keiner. Nun aber ist seine Verrücktheit akut geworden, und sein Größenwahn läßt ihn nicht schlafen und nicht schweigen. Zum Glück richtet sich die regis voluntas, die so gern suprema lex13401 würde, heut gegen uns und morgen gegen die Liberalen, und nun hat er gar entdeckt, daß alles Pech von den Liberalen kommt, deren Abkömmlinge wir sind das haben ihm seine Pfaffen beigebracht. Und jetzt verfolgt er die „Kölnische" wegen Majestätsbeleidigung13661 und, ruht und rastet nicht, bis der zahme deutsche Philister in die Opposition gejagt wird. Was können wir Beßres verlangen! Vor 4 Wochen, als die Stumm-Rede im Reichstag13471 fiel, konnte man noch an eine neue Sozialistengesetz-Vorlage denken, aber jetzt geht das auch nicht mehr, denn Wilhelm ist erboster über die Opposition der Bourgeois gegen sein Pfaffenvolksschulgesetz13591 als gegen alle Sozialdemokraten, und eher läßt er uns in Ruh', als er jenen eine Konzession macht. In den Parlamenten sind es ja auch grade die bürgerlichen Parteien, die ihm die meiste Opposition machen, nicht wir 35 Mann im Reichstag, und in der preußischen Kammer sitzen wir ja gar nicht. Trotzdem kann es auch für uns einige harte Kämpfe setzen, aber was könnte Beßres kommen,
6 Besitz ist gleich neun Zehntel Recht. - ' Wilhelm II.
als daß die Krone sich mit Bourgeois und Arbeitern gleichzeitig auf einen unhaltbaren Fuß setzt! Die Minister sind alles Leute zweiten und dritten Rangs, Caprivi ist ein braver Knote, aber seiner Stellung nicht gewachsen, und Miquel wird auch nicht klüger dadurch, daß er täglich mehr Dreck frißt. Kurz, wenn die Sache so vorangeht, so kann's bald eine Krise setzen. In Preußen und im preußisch-deutschen Reich kann man sich einen horntollen Monarchen7 nicht jahrelang gefallen lassen wie in Bayern, und es sollte mich nicht wundern, wenn man Wilhelmchen demnächst ein eignes Narrenhaus einrichtete. Und dann eine Regentschaft - das wäre grade, was wir brauchten. Über Rußland und die haute politique8 habe ich meinem Artikel der ,,N[euen] Zeit"9 nichts zuzusetzen. Herzliche Grüße von Aveling, der grade hier ist - Tussy ist auf Agitation in Plymouth. Louise legt zwei Zeilen bei. Grüß Deine Frau herzlich, und haltet Euch wohl. Dein F.E.
7 Ludwig II. - 8 hohe Politik - 9 „Der Sozialismus in Deutschland"
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Engels an August Bebel in Berlin
... . London, 8. März 1892 Lieber August, Wir haben uns alle sehr gefreut, daß Dein Parlamentsjubiläum so heiter verlaufen ist.13421 Was die Adresse angeht, so hah' ich allerdings auf Wunsch einen Entwurf hingeschickt1, der mir selber - da ich auf die mir unbekannten Spezialwünsche einer mir persönlich ebenfalls großenteils unbekannten 35köpfigen Fraktion Rücksicht zu nehmen hatte - recht matt vorkam und von dem und dessen Schicksalen ich bis dahin kein Wort gehört hatte. Die Franzosen haben Dir eine, im heutigen „Socialiste" abgedruckte, gemacht, die freier von der Leber weg sprechen konnte.13801 Also L[ie]bk[necht] ist aus dem Dresdner Froschteich herausgeworfen.13491 Bei der Kleinlichkeit dieser Philister war kaum anderes zu erwarten. Vorwände finden sich immer, die Rachsucht der Esel hat eine kleine persönliche Befriedigung erhalten, Vorteile haben sie ja absolut keine davon. Übrigens hat sich der „ V[orwär]ts" in der letzten Zeit entschieden gebessert. Ich bin froh, daß die Berliner Krawalle vorüber sind und daß unsre Leute sich so stramm davon zurückgehalten haben.13541 Ein bißchen Schießerei konnte immer sich ereignen, und das hätte genügt, uns allerlei Unannehmlichkeiten zu bereiten. War in Berlin geschossen worden, so waren die Nationalliberalen13411 imstande, das Volksschulgesetz13591 mit Begeisterung zu votieren und die wechselnden Zornesströmungen gewisser Leute definitiv auf uns zu richten. Die sich allmählich immer mehr vorbereitende eine reaktionäre Masse können wir jetzt noch nicht gut gebrauchen; unser Interesse ist, solange wir nicht selbst aktiv Geschichte machen können, daß die geschichtliche Entwicklung nicht stillsteht, und dazu brauchen wir den Krakeel der bürgerlichen Parteien untereinander. Und dazu ist das jetzige Regime unbezahlbar, das besorgt uns diese Lage. Wird aber zu früh geschossen, d.h. ehe die alten Parteien sich fester ineinander verbissen haben, so werden sie zur gegenseitigen Versöhnung und zur einmütigen Front gegen uns getrieben. Das kommt so sicher wie 2x2 = 4, und wenn's kommt, wenn
wir etwa doppelt so stark sind wie jetzt, kann's auch nicht mehr schaden. Obwohl, wenn's auch jetzt schon käme, das persönliche Regiment schon wieder für Krawall unter den Gegnern sorgen würde. Aber besser ist besser. Es geht jetzt so famos, daß wir nur ungestörten Fortgang wünschen können. Die Geschichte mit den Arbeitslosen kann allerdings nächstes Jahr schlimmer werden. Das Schutzzollsystem hat eben genau dieselben Resultate gehabt wie der Freihandel: Überführung der einzelnen nationalen Märkte, und zwar fast überall - nur hier noch nicht so arg wie bei Euch. Aber auch hier, wo wir seit 1867 zwei bis drei kleine schleichende Krisen überstanden, scheint sich endlich wieder eine akute Krisis vorzubereiten. Die kolossalen Baumwollernten der letzten 2-3 Jahre (bis über 9 Millionen Ballen per Jahr) haben die Preise so gedrückt wie zur ärgsten Zeit der Krise von 1846 und drücken dabei kolossal auf die Produktion, so daß die hiesigen Fabrikanten überproduzieren müssen, weil die amerikanischen Pflanzer überproduziert haben! Dabei verlieren sie in einem fort Geld, weil bei den fallenden Rohstoffpreisen ihr aus teurer Baumwolle gesponnenes Produkt immer schon entwertet ist, wenn es an den Markt kommt. Das ist auch die Ursache des Notschreis der deutschen und Elsasser Spinner, davon aber schweigen sie im Reichstag. Auch in andern Industriezweigen geht's hier nicht besonders mehr, die Eisenbahneinnahmen und Ausfuhren von Industrieprodukten nehmen seit 15 Monaten entschieden ab, so daß es auch hier nächsten Winter wieder eklig werden kann. Eine Besserung in den kontinentalen Schutzzollstaaten ist kaum zu erwarten, die Handelsverträge können einige momentane Abhülfe bringen, aber das gleicht sich in Jahresfrist schon wieder aus. Und wenn nächsten Winter derselbe Krawall in Paris, Berlin, Wien, Rom, Madrid auf größerm Fuß wieder beginnt und von London und New York dasselbe Echo zurückklingt, kann's ernstlicher werden. Dann aber ist das Gute, daß wenigstens in Paris und London Stadträte sitzen, die ihre Abhängigkeit von ihren Arbeiterwählern nur zu gut kennen und die den schon heute durchführbaren Forderungen: Beschäftigung bei öffentlichen Arbeiten, kurze Arbeitszeit, Lohn nach Forderung der Fachvereine etc. etc., um so weniger ernsten Widerstand entgegensetzen, als sie darin das einzige und beste Mittel sehn, die Massen vor schlimmeren sozialistischen - wirklich sozialistischen - Ketzereien zu bewahren. Wir werden dann sehn, ob die nach Klassen und Zensuswahlrecht gewählten Berliner und Wiener Stadträte nicht nolentes volentes2 nachzappeln müssen.
2 wohl oder übel
Im gestrigen „Standard" steht ein Telegramm aus Petersburg: Wilhelm3 sei nach der Brandenburger Landtagsrede von einem Herrn aufmerksam gemacht worden, daß dem vorhergesagten „Ruhm" doch auch Rußland entgegenstehe. Darauf habe W[ilhelm] geantwortet: I shall pulverize Russia wahrscheinlich: ich werde Rußland zermalmen. Schuwalow habe dies gehört und, nachdem er sich von der Authentizität des Berichts überzeugt, es an seinen Kaiser berichtet. Alexander habe darauf bei erster Gelegenheit den Schweinitz vorgenommen und ihm den Auftrag gegeben: Sagen Sie Ihrem Kaiser, wenn er wieder Lust haben sollte, Rußland zu zermalmen, würde ich ihm mit Vergnügen eine halbe Million Soldaten über die Grenze schicken. Samstag4 hat Rußland hier in London einen Sieg erfochten, der ihm aber jetzt nichts mehr nützt. Bei den Grafschaftsratswahlen (in London heißt Grafschaftsrat, was sonst Stadtrat heißt) hier haben die Liberalen einen ganz eklatanten Sieg erfochten, und es ist kein Zweifel mehr, wenn überhaupt noch einer war, daß Gladstone nach der Parlamentsneuwahl ans Ruder kommt. Gladstone aber ist fanatischer Russenfreund und Antitürk und Antiöstreicher, und sein Regierungsantritt wäre ein neues Kriegsmotiv für Alexander gewesen, da er die wohlwollende Neutralität Englands und daneben Englands Druck auf Italien, um dies ebenfalls neutral zu halten, bedeutet hätte. Die Hungersnot und die hoffentlich daraus sich ergebenden innern Konflikte in Rußland schneiden alledem den Stachel aus, wenn nicht eben - Tollheiten passieren, die diesseits und jenseits der russischen Grenze immer nicht ganz unmöglich sind. Im übrigen ist fürs Inland hier der Sieg der Liberalen ganz gut. Die Konservativen sind nur etwas wert, wenn sie einen Kerl wie Disraeli an der Spitze haben, der die ganze Partei an der Nase herumführt und sie das Gegenteil tun läßt von dem, was sie eigentlich will. Die jetzigen Führer sind reine Esel und Gigerl, die sich von den Lokalführern der Partei, d. h. den Dümmsten der Dummen, das Programm machen lassen. Zudem verschlissen und matt durch 6 Jahre Regierung. Da muß Abwechslung sind, und das ist auch am Ende alles, was die ganze Farce bedeutet. Ede erzählt mir, Mehring habe ihm geschrieben, weder die ,,N[eue] Z[eit]" noch „Vorw[är]ts" nähme von seinem Anti-Richter die geringste Notiz, auch die andre Parteipresse nicht, und das sei unverzeihlich, er habe Lust, sich von der ganzen Politik zurückzuziehn usw. Ich begreife, daß diese sozialdemokratischen Gepflogenheiten einem in der literarischen Mache eingelebten Autor - es soll dies kein Tadel sein, so was ist ja in der
Wilhelm II. - 4 5.März
Bourgeoispresse, auch der bloß literarischen, nicht nur Regel, sondern Existenzbedingung -, also einem Mann, der in der nichtsozialdemokratischen Presse groß geworden ist, sehr fatal sein müssen. Aber da müßten wir alle ja aüch einen Klageruf erheben, es geht Dir, mir, allen andern ebenso. Und trotzdem, so unangenehm dies auch manchmal dem einzelnen sein mag, halte ich diese vornehme Gleichgültigkeit unsrer Presse doch für einen ihrer größten Vorzüge. Mehrings Sachen werden auch gekauft und gelesen, ohne daß der „V[orwärts]" sie poussiert, und es ist besser für gar nichts Reklame zu machen, als für den vielen Parteischund, der leider Gottes auch in die Welt geschickt wird. Und wird eins hervorgehoben, so würde nach bekanntem demokratischen Anstand auch für alles andre „gleiches Recht für alle" verlangt. Da will ich doch lieber die Gleichberechtigung des Nichterwähntwerdens über mich ergehen lassen. Aber was Eure Leute tun könnten: mit M[ehring]s Verleger ein billiges Abkommen wegen häufigem und regelmäßigem Annoncieren treffen. Das ist aber wieder die grenzenlose geschäftliche Unbeholfenheit, die unsern Zeitungsleuten nun einmal in den Knochen steckt. Dieser Tage fiel mir übrigens Mehrings „Deutsche Soc[ial]demokratie", 3. Auflage, in die Hand, und ich habe den historischen Teil durchgesehn. Er hat sich in „Kapital und Presse" allerdings etwas leichtlich über diesen Zwischenfall hinweggeholfen.13611 Aber uns kann's recht sein, wir brauchen ihm nichts nachzutragen, ob er sich selbst was nachzutragen hat, ist seine Sache, das geht uns nichts an. Ich würde an seiner Stelle die Wendung ganz offen anerkannt haben; darin liegt absolut nichts Blamables, und man erspart sich viel Krakeel, Arger und Zeit. Es wäre übrigens Unsinn, wenn er wirklich an Rückzug aus der Politik denken sollte, er täte damit nur den Machthabern und Bourgeois einen Gefallen; seine Leitartikel in der ,,N[euen] Z[eit]" sind in der Tat ganz famos, und wir lauern jedesmal mit Begierde darauf. Solche Schneid soll man nicht einrosten lassen oder an lausige Belletristen verschwenden. Siegel hat uns allen sehr gut gefallen. Das ist doch mal wieder ein deutscher Arbeiter, mit dem man sich vor allen andern Nationen sehn lassen kann. Daß er fortgegangen, um den ganz ausnahmsweise scharfen und systematischen Verfolgungen zu entgehn, kann man ihm nicht verdenken. Die Bergleute, eben weil sie erst in die Bewegung eintreten, werden extra scharf verfolgt, und die Opfer können sich keineswegs noch auf die Unterstützung der Berufsgenossen verlassen - aus demselben Grund, die Solidarität ist noch nicht durchweg anerkannt. Cunninghame-Graham und Keir Hardie haben ihm in Schottland Arbeit verschafft, seine Familie kommt
nach; die Gesellschaft, bei der er arbeitet, schießt ihm das Geld vor und zieht's vom Lohn ab. Nun aber wird ihm das doch schwer werden abzuarbeiten. Ich habe ihm fünf Pfund für Reise nach Schottland und erste Einrichtung gegeben, kann aber schwerlich mehr tun. Wäre es nicht angemessen, wenn Ihr ihm einen Zuschuß, sage 100-150 Mark, bewilligtet? Ich habe Schröders Briefe an ihn gelesen, von da hat er schwerlich etwas zu erwarten.13621 Überlegt Euch die Sache. Aus dem beiliegenden Hexenküchenzettel wirst Du ersehn, daß Deine Hummermayonnaise, um mich mit Arnold Rüge auszudrücken, mit „der Kraft des wahren Verlaufs" ihrer Zeit in die Erscheinung und alsdann in das ihr folgende Moment der Verschwindung treten wird. Hoffentlich wird dieser dialektische Prozeß dann auch durch eine ungestört verlaufende Negation der Negation gekrönt werden, Herzlichen Gruß. Dein F.E.
Am lO.April ist Palmsonntag. Am 8. spätestens kannst Du abreisen und bist dann am 9. abends, Samstag, spätestens hier. Das wäre das beste und bequemste. Zur Thronrede braucht man Dich nicht. Also am 9. erwarten wir Dich hier.
129
Engels an Julie Bebel in Berlin
London, 8. März 1892
Liebe Frau Bebel, Leider komme ich erst heute dazu, Ihnen für Ihren lieben Brief vom 18./2. zu danken, wobei ich aber gleichzeitig in dem unangenehmen Fall bin zu konstatieren, daß Sie definitiv beschlossen haben, Ihre Tochter in St. Gallen, statt uns hier, mit Ihrem Besuch zu erfreuen. Nun, wir können es Ihnen nicht verdenken, daß Sie lieber zu Frau Simon gehn, und trösten uns mit der Hoffnung und festen Erwartung, daß wir Sie um so sichrer im Frühjahr 93 (oder Sommer?) bei uns sehn werden. Dann, im Sommer, sind die Kamine zugedeckt und die Plumpuddings strengstens verboten, auch die Nebel sind nur sehr selten, und so sehn Sie England von seiner vorteilhaftesten Seite, wenn auch ein maliziöser Franzose einmal gesagt hat, der ganze englische Sommer bestehe aus drei sehr heißen Tagen und einem Gewitter, und damit sei's alle. Daß dies aber eine böswillige Übertreibung, dies zu beweisen geben Sie uns hoffentlich nächstes Jahr Gelegenheit. Auch werden Sie sich dabei überzeugen können, daß man hier auch ohne Englisch ganz gut fortkommt. Ob ich aber nach Deutschland komme, wie Sie meinen, das hängt doch bei den jetzigen wechselvollen Zeitläuften von allerlei Dingen ab, die nicht unter meiner Kontrolle stehn, die schöne Zeit der ersten Liebe des neuen Kurses'3631 zu allen denen, die Bismarcks Zorn erregt, ist längst verduftet, und man kann nicht wissen, was von jetzt an bis zum Sommer noch alles passiert. Ich überlasse das alles also einstweilen dem Zufall und warte einstweilen ab, ob mich das Schicksal diesen Sommer nach Deutschland, nach Norwegen, nach den Kanarischen Inseln, wohin man mich auch haben will, oder sonstwohin verschlägt. Leid würde mir nur tun, wenn ich nicht mit guten Aussichten auf eine angenehme Sommerreise nach Deutschland kommen könnte, daß ich wieder die Gelegenheit verpaßte, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Ich habe ein ordentliches Verlangen, wieder einmal eine echte und rechte deutsche Proletarierfrau zu sehn, und
als solche sind Sie mir immer geschildert worden. Auch meine Frau1 war echtes irisches Proletarierblut, und das leidenschaftliche Gefühl für ihre Klasse, das ihr angeboren war, war mir unendlich mehr wert und hat mir in allen kritischen Momenten stärker beigestanden, als alle Schöngeisterei und Klugtuerei der „jebildeten" und „jefühlvollen" Bourgeoistöchter gekonnt hätten. Meine Frau ist aber nun seit über zwölf Jahren tot, und August hat das Glück, Sie noch immer an seiner Seite zu haben, das ist der Unterschied. Louise hat eben wieder einen recht tollen Brief an August geschrieben, Sie haben gar keine Vorstellung davon, was das Frauchen wieder für einen Übermut entwickelt, seitdem sie wieder auf eignen Füßen steht. Sie sollten einmal dabei sein, wenn wir unsern Frühschoppen Pilsener Bier vertilgen, was da für Unsinn und Gelächter getrieben wird. Ich freue mich, daß ich diese jugendlichen Torheiten noch so mitmachen kann, man wird doch schließlich an so vielen Ecken und Enden alt, daß man wahrhaftig froh sein kann, wenn einem das Lachen noch nicht abhanden gekommen ist. Und ich kann Louise gar nicht genug dafür danken, daß sie alles tut, um meine alte rheinische Heiterkeit nicht einrosten zu lassen. Und nochmals herzliche Grüße und die besten Wünsche für Ihr Wohlsein von Ihrem aufrichtigen F. Engels
1 Lizzy Burns
130
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
[London] 14. März 1892
Meine liebe Laura, Vor mir liegt ein ganzer Haufen Briefe von Dir, solch ein Haufen, daß ich kaum wage, einen Blick darauf zu werfen, ohne mich zu schämen - aber Du kannst Dir nicht vorstellen, wie überlastet ich war, wie ich von allen möglichen Leuten gestört, tracasse, embete1 usw. usw. wurde. Meine beste Arbeitszeit - Jan. bis April - ist vertrödelt worden, und ich habe nicht einen Augenblick Zeit gehabt, den 3. Bd.2 auch nur anzusehen, den ich bis Ostern unbedingt ein gutes Stück voranbringen wollte, bis über den kritischen Punkt hinaus. Alles eitle Wünsche. Meine Zeit ist schon jetzt bis eine Woche nach Ostern besetzt (um den lO.April werde ich Bebel für etwa vierzehn Tage hierhaben; vorher muß ich noch nach Ryde, um Pumps zu besuchen, die eine schlimme Zeit durchgemacht hat. Percy hatte 1. Influenza, 2. Lungenentzündung, und 3. liegt er jetzt schließlich mit Rippenfellentzündung), und es wird einen verdammten Aufwand an Energie erfordern und die Entschlossenheit, keinerlei Briefe mehr zu beantworten und für niemand, wer auch immer es sein mag, irgendeine Arbeit zu leisten, wenn ich Mai und Juni für den 3. Bd. verwenden will. Doch zum Teufel damit, Du willst nicht meine Klagen hören. Ich bin froh, daß Aussichten für ein Tagblatt in Paris vorhanden sind13601, damit werden manche Schlappen in anderen Teilen der Welt ausgeglichen. Obwohl Schlappen für unsere Partei immer seltener werden, wenn wir sie nicht selbst provozieren. Wir haben vorzügliche Verbündete. Jung Wilhelm3 prahlt mit seinem Verbündeten, dem lieben Gott, der von der Erschafffung der]4 Welt an alle Dinge so eingerichtet hat, daß sie zum höchfsten]4 Ruhm der preußischen Monarchie im allgemeinen und Jung Wilhelms im besonderen ausschlagen. Aber der arme Junge sieht nicht, daß er die ganze Zeit ein besserer Verbündeter für ans ist, als Gott ihm
1 gequält, gelangweilt - a des .Kapitals" - ' Wilhelm II. - * Papier beschädigt
jemals war oder sein wird; und selbst wenn er es sähe, könnte er nichts daran ändern, das liegt in der Natur der Sache! Mein Artikel aus dem „Almanach" und der „Neuen Zeit"5 ist jetzt ins Italienische übersetzt worden („Critica Sociale" brachte mich in einen Streit mit diesem confusionario l'illustre Bovio6), ins Rumänische („Revista Socialä"), insPolnische („Przedswit") und ins Englische (New-Yorker „People"). Wir sind gerade (3 Uhr 30 nachmittags) von Highgate zurückgekommen, der Friedhof ist in einem abscheulichen Zustand, überall weicher Lehm; wir hatten einen halben Zentner davon an der Sohle kleben. Auf dem Gr[ab]7 hat Tussy (vermute ich) eine kleine Zypresse gepflanzt, und eine der alten Krokuszwiebeln hat angefangen zu blühen. Der Efeuzweig, den Motteier von Ulrich von Huttens Grab auf der Insel Ufenau im Züricher See mitgebracht hat und den wir nach der Beerdigung der armen Nimmy pflanzten, nachdem wir ihn auf unserem Balkon gezogen hatten, war bereits letzten Sommer seines besten Teils beraubt worden, aber was übriggeblieben ist, wächst jetzt gut und ist tief im Boden verwurzelt, so daß eine weitere Schändung nicht möglich ist. Wir sind hier ebenfalls mit dem 1. Mai beschäftigt. Es wird ein wunderschönes Intrigenspiel gewebt und in Stücke geschnitten und neu gewebt nach Art der Penelope. Das 8 Hours Committee11051 (Edward, Tussy und ihre Freunde) versuchten, die ersten auf dem Plane zu sein, aber der Trades Council11021, dieses reaktionäre Überbleibsel der]7 alten Trade-Unions, kam ihnen zjuvor]7. Jetzt sind der Trades Council und die Social Democratic Federation1621 [einstweilen]7 Freunde, gegen alle übrigen; augenblicklich konkurrieren sie nicht miteinander und haben das gemeinsame Interesse, alle „Außenseiter" niederzuringen. Als daher das 8 Hours Committee vorschlug, genauso wie im vergangenen Jahr mit dem Trades Council gemeinsam zu handeln, wurde es schnöde abgewiesen. Doch dann sicherte sich das 8 Hours Committee den Park6, ehe der Trades Council daran gedacht hatte, und danach bot es dem Trades Council erneut Zusammenarbeit an, was abermals hochmütig abgelehnt wurde. Dann wandten sich beide Körperschaften an die Metropolitan Radical Federation (der radikalen Klubs)13581, um mit ihr zusammenzuarbeiten. Die Metropolitan Radical Federation beschloß zu vermitteln, aber unter allen Umständen mit dem 8 Hours Committee zusammenzugehen, dem der Dank dafür gebührt, die ganze Bewegung überhaupt ins Leben gerufen zu haben. So haben sich der
5 „Der Sozialismus in Deutschland" - 6 vgl. vorl. Band, S. 272 - ' Papier beschädigt - 8 vgl. vorl. Band, S. 290
Trades Council und die Social Democratic Federation, die ihre Kräfte wie gewöhnlich überschätzten, in eine unangenehme Lage gebracht: Entweder müssen sie nachgeben, oder sie müssen eine separate Demonstration durchführen und die Verantwortung für die Spaltung tragen. Auf alle Fälle wird unsere Demonstration jetzt ein sicherer Erfolg, was die anderen auch tun mögen. Hyndman wird von Tag zu Tag alberner. Sein blinder Deutschenhaß läßt ihn die Berliner „Unabhängigen"912861 unterstützen und als seinen deutschen Stabschef diesen abscheulichen Spitzbuben Gilles behalten, der offensichtlich im Solde der deutschen Botschaft steht und mit einer Reihe Unzufriedener aus dem Deutschen Kommunistischen Klub12201 hier (unserem alten „Verein"10) hinausgeworfen wurde. Auf diese Weise hat Hyndman jetzt sogar die geringe ausländische Unterstützung verloren, die er erhielt; in Deutschland pflegten sie seine Position als Führer wenigstens einer „Sektion" der englischen Sozialisten ein wenig zu berücksichtigen, doch das hat er sich verscherzt; in Frankreich sind seine Freunde Brousse und Co. so heruntergekommen, daß sogar H[yndman] selbst gegen ihr „Hygiene"-Programm für ihren nächsten Kongreß13641 protestieren mußte. Man sehnt sich nach einem guten, starken revolutionären Luftzug, der alle diese erbärmlichen Jammerkerle11 hinwegfegt - aber das kommt auch noch, wenn auch langsam, so langsam, wie alles bei diesen „verdammten Schleswig-Holsteinern"12 kommt (wie Marx die Engländer nannte), doch wenn es kommt, ist es sicher. Ich hatte die Absicht, einige Zeilen für Paul beizulegen. [Ich erhieljt13 einen Brief von ihm aus Marseille - doch es ist gleich Essenszeit, und ich fürchte, mittendrin unterbrochen zu werden. Ich fürchte, ihre neue Allianz mit Granger und Co. wird sich nicht zu ihrer Zufriedenheit auswirken. Erstens haben diese Männer gezeigt, daß sie absolut unzuverlässig]13 sind, als sie zu Boulanger übergingen, und wir können nur erwarten, von ihnen bei der ersten Gelegenheit betrogen zu werden. Zweitens sagt Paul, wir müssen ernten, wo Boulanger gesät hat. Ganz recht, aber die Massen gewinnen und die Führer fallenlassen, wie es mit den Possibilisten beabsichtigt war; doch diese Führer haben keine Massen hinter sich und sind selbst höchst unerwünschte Gefährten. Drittens haben sie sich unter falschen Vorspiegelungen in die Kammer eingeschlichen und werden bei der
9 in der Handschrift deutsch: „Unabhängige" - 10 in der Handschrift deutsch: „Verein" 11 in der Handschrift deutsch: Jammerkerle - 12 in der Handschrift deutsch: „verdammten Schleswig-Holsteiner" - 13 Papier beschädigt
nächsten Wahl sicher hinausgeworfen werden, so daß mir scheint, unsere Freunde stützen sich auf ein bereits schwankendes Rohr. Und viertens sind diese Leute, was die Außenpolitik betrifft, geschworene Chauvinisten - sonst hätten sie nicht gewählt werden können -, und wenn Paul und seine Freunde mit ihnen eine Partei bilden, können sie bei nächster Gelegenheit überstimmt, hinausgeworfen oder zur Spaltung gedrängt werden. Ich hoffe, daß ich mich irre, aber ich fürchte, daß es nicht der Fall ist. Der Übertritt dieser Burschen zu Boulanger war ein unverzeihlicher Verrat, und ich hätte lieber Vaillant als diese ganze Bande - tatsächlich hielt ich es für einen Segen, daß sie sich unmöglich gemacht hatten. Louise wird Dir so bald wie möglich schreiben. Sie hat sich die letzten 8 Tage nicht wohl gefühlt und fängt eben an, sich zu erholen. Morgen muß ich den alten Harney in Richmond besuchen, wo er mit Luftröhrenkatarrh und seiner rheumatischen Gicht krank liegt. Und dann willst Du, daß ich den Parisern etwas über den 18. März sage. Der Teufel soll mich holen, wenn ich wüßte, was!13651 Mais nous verrons!14 Immer Dein F.E. [Freundliche]15 Grüße von Louise.
Aus dem Englischen.
14 Aber wir werden sehen! - 15 Papier beschädigt
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 15. März 1892
Werter Herr, Fast schäme ich mich, auf Ihre freundlichen und interessanten Briefe vom 12. und 21. Nov. letzten Jahres zu antworten. Aber ich war so mit Arbeit überhäuft, und ich empfinde das Schreiben bei Gaslicht als so unzuträglich für meine Augen (die sonst noch ganz gut ihren Dienst tun), daß diese übermäßige Arbeit und die Kürze des Tageslichts während unseres Winters mich entschuldigen müssen. Ihr Land macht jetzt in der Tat eine folgenschwere Periode durch, deren volle Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Aus Ihren Briefen scheint mir hervorzugehen, daß Sie den gegenwärtigen HeypojKaü1 nicht als einen Zufall betrachten, sondern als das notwendige Resultat, als eine der unvermeidlichen Begleiterscheinungen der ökonomischen Entwicklung, in die Rußland seit 1861 eingetreten ist. Und das ist auch meine Meinung, soweit man das überhaupt aus der Ferne beurteilen kann. Mit dem Jahre 1861 begann Rußland die Entwicklung einer modernen Industrie in einem Maßstab, der einer großen Nation würdig ist. Die Überzeugung reifte heran, daß heutzutage kein Land den ihm angemessenen Platz unter den zivilisierten Nationen einnehmen kann, ohne eine mit Dampf betriebene industrielle Maschinerie zu besitzen und ohne den Eigenbedarf an Manufakturwaren, wenigstens zu einem großen Teil, selbst zu decken. Und nach dieser Überzeugung hat Rußland gehandelt, und zwar mit großer Energie. Daß es sich dabei mit einem Wall von Schutzzöllen umgab, war nur zu natürlich, die englische Konkurrenz zwang diese Politik fast jedem großen Lande auf. Sogar Deutschland, wo sich une grande Industrie2 unter fast absolutem Freihandel erfolgreich entwickelt hatte, schloß sich dem Chor an und wurde schutzzöllnerisch, nur um den Prozeß der Züchtung von Millionären3 - um mit Bismarck zu reden - zu beschleunigen. Und wenn Deutschland diesen Weg ging, sogar ohne jede Notwendigkeit, wer kann Rußland
1 Mißernte - a eine große Industrie-3 in der Handschrift deutsch: Züchtung von Millionären
für das schelten, was für dieses Land eine Notwendigkeit war, seit es einmal den neuen industriellen Weg eingeschlagen hatte? In gewissem Maße scheint mir die augenblickliche Lage bei Ihnen eine Parallele in der Frankreichs unter Ludwig XIV. zu finden. Auch dort wurden die Manufakturen durch Colberts Schutzzollsystem lebensfähig gemacht; und im Verlauf von 20 bis 30 Jahren fand man heraus, daß eine nationale Manufakturindustrie unter den damals vorhandenen Bedingungen nur auf Kosten der Bauernschaft geschaffen werden könne. Die Naturalwirtschaft4 der Bauern wurde beseitigt und durch die Geldwirtschaft6 ersetzt; der innere Markt wurde geschaffen und gleichzeitig, wenigstens für eine gewisse Zeit, durch den gleichen Prozeß und durch die beispiellose Gewalt, mit der sich die ökonomische Notwendigkeit durchsetzte, nahezu wieder zerstört. Hinzu kamen das Anziehen der Steuerschraube und die verstärkten Aushebungen, welche durch die Einführung der stehenden Heere nötig wurden, wie sich das heute auch aus der Einführung des auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhenden preußischen Militärsystems notwendig ergibt. Kamen dann ein oder zwei Mißernten, so trat überall im Land jene allgemeine Notlage ein, die wir bei Boisguillebert und Marschall Vauban beschrieben finden. Aber es gibt da einen ungeheuren Unterschied: den Unterschied zwischen der alten „Manufaktur"6 und der modernen „grande industrie", der (in der Wirkung auf den Bauern, den landwirtschaftlichen Kleinproduzenten mit eigenen Produktionsmitteln) dem Unterschied zwischen der alten SteinSChloßflinte von 1680 und dem modernen Repetiergewehr von 1892, Kaliber 7,5 Millimeter, gleichkommt. Ferner: war im Jahre 1680 die Kleinproduktion in der Landwirtschaft noch die normale Produktionsweise und der landwirtschaftliche Großbetrieb eine erst in der Entstehung begriffene Ausnahme, aber immer nur eine Ausnahme, so ist heute der landwirtschaftliche Großbetrieb mit Maschinen die Regel und wird mehr und mehr die einzig mögliche Art der landwirtschaftlichen Produktion. So scheint der Bauer heute zum Untergang verurteilt. Sie erinnern sich an das, was unser Autor in dem Brief über Shukowski gesagt hat7 - daß die Fortsetzung des im Jahre 1861 eingeschlagenen Weges den Ruin der bäuerlichen obscina13661 mit sich bringen müßte. Das scheint sich gerade jetzt zu erfüllen. Offenbar rückt, wenigstens in manchen
4 in der Handschrift deutsch: Naturalwirtschaft - 6 in der Handschrift deutsch: Geldwirtschaft - 6 in der Handschrift deutsch: „Manufaktur" - 7 Karl Marx: „Brief an die Redaktion der .Otetschestwennyje Sapiski'"
Distrikten, der Augenblick heran, wo sämtliche alten sozialen Institutionen des russischen Dorflebens nicht nur ihren Wert für den einzelnen Bauern verlieren, sondern eine Fessel werden, genau wie früher in Westeuropa. Ich fürchte, wir werden die o6mHHa8 bald als einen Traum der Vergangenheit zu betrachten und in Zukunft mit einem kapitalistischen Rußland zu rechnen haben. Zweifellos geht damit eine große Chance verloren, aber gegen ökonomische Tatsachen kann man eben nichts machen. Das einzig Kuriose dabei ist, daß dieselben Leute in Rußland, die nie müde werden, die unschätzbare Überlegenheit der primitiven Institutionen Rußlands über die des verderbten Abendlandes herauszustreichen, ihr Bestes tun, diese primitiven Institutionen zu zerstören und sie durch die des verderbten Abendlandes zu ersetzen. Doch wenn der russische Bauer einmal dazu verurteilt ist, sich in einen Industrie- oder Landproletarier zu verwandeln, so erscheint auch der Untergang des noirkmHKi,9 besiegelt. Aus allem schließe ich, daß diese Klasse noch mehr als die Bauern in Schulden steckt und allmählich ihren Besitz ausverkaufen muß. Und zwischen die beiden scheint eine neue Klasse von Grundbesitzern, Dorf-KyjiaKH10 oder Stadtbourgeois, zu treten vielleicht die Väter einer zukünftigen russischen Grundaristokratie?? Die Mißernte des letzten Jahres hat das alles ins helle Licht gerückt. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß die Ursachen völlig sozialer Natur sind. Was die Entwaldung betrifft, so ist sie ebenso wie der Ruin der Bauern eine wesentliche Lebensbedingung der bürgerlichen Gesellschaft. Kein „zivilisiertes" Land Europas, das dies nicht gespürt hätte, und Amerika*, und Rußland zweifellos auch, erfährt es im jetzigen Augenblick. So ist die Entwaldung in meinen Augen wesentlich sowohl sozialer Faktor als auch soziales Resultat. Aber sie liefert den interessierten Parteien zugleich einen beliebten Vorwand, die Schuld an ökonomischen Fehlschlägen einer Ursache zuzuschieben, für die offensichtlich doch niemand verantwortlich gemacht werden kann. Die Mißernte hat, meiner Meinung nach, nur an die Oberfläche gebracht, was latent schon vorhanden war. Aber sie hat die Geschwindigkeit des Prozesses ungeheuer beschleunigt. Der Bauer wird zur diesjährigen Frühjahrs
*In Amerika habe ich das vor 4 Jahren mit eigenen Augen gesehen.!3"! Dort unternimmt man große Anstrengungen, den Folgen entgegenzuwirken und den Fehler wieder N gutzumachen.
8 Obschtschina -9 Gutsbesitzers -10 Kulaken
20 Marx/Engels. Werke, Bd. 38
aussaat bedeutend schwächer sein als zur Aussaat im vorigen Herbst. Und er wird seine Kräfte unter viel ungünstigeren Bedingungen wieder sammeln müssen. Was kann er, ein Pauper, der bis über die Ohren in Schulden steckt Und kein Vieh hat, nun anfangen, selbst in den Gebieten, wo er den Winter überstanden hat, ohne sein Land verlassen zu müssen? Mir scheint deshalb, daß es Jahre dauern wird, bis diese Kalamität völlig überwunden ist, und daß Rußland, wenn dieser Punkt erreicht ist, ein ganz anderes Land sein wird, als es am 1 .Januar 1891 war. Aber wir werden uns mit dem Gedanken trösten müssen, daß all das in letzter .Instanz der Sache des menschlichen Fortschritts dienen muß. Ich sandte Ihnen im letzten Herbst ein kleines Buch: „Ursprung der Familie"11, 4. Auflage, es war eingeschrieben, und meine Adresse stand auf der Verpackung; da es nicht zurückgekommen ist, hoffe ich, daß Sie es erhalten haben. Ich danke Ihnen bestens für die vielen Abhandlungen und Berichte — die Arbeit von Mendelejew war besonders interessant. Bedauerlicherweise kann ich ihnen jetzt nicht all die Aufmerksamkeit widmen, die sie verdienen, da ich sehr viel Arbeit habe. Was ich an zusätzlicher Arbeit zu leisten hatte, werden Sie begreifen, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich von Neujahr bis jetzt - im allgemeinen meine ruhigste Zeit - auch nicht eine Minute lang mit dem 3.Bd.12 beschäftigen konnte. Ihre Glückwünsche habe ich pünktlich nach Paris weitergegeben.[368] Mit freundlichen Grüßen stets der Ihre P. W.Rosher[2U! Keine Nachricht von unserem mutual13?
Aus dem Englischen.
11 in der Handschrift deutsch: „Ursprung der Familie" -12 des „Kapitals" -13 gemeinsamen Freund (G.A. Lopatin)
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Engels an August Bebel in Berlin
.... London, 16. März 92 Lieber August, Heute eine Bitte, um Zusendung des Stenogramms der Sitzung, wo unsre Leute über Elsaß-Lothringen gesprochen und Singer eine bezügliche Erklärung namens der Fraktion abgegeben haben soll.13691 Ich bin sicher, deswegen interpelliert zu werden und möchte daher im Besitz der exakten Tatsachen sein. Hier ist betreffs des 1. Mai wieder der alte Kampf1, aber die Sache liegt soweit günstig. Was ich Dir jetzt schreibe, darf nicht in den „V[orwär]ts", den Gilles in seiner Weise für Hyndman liest und verarbeitet - d.h. zu Lob und Preis der Unabhängigen1286' und zur Verlästerung der Fraktion; und da der Kampf noch nicht entschieden, wäre jede Veröffentlichung gegen uns zu verwerten. Also das von Aveling präsidierte ursprüngliche „legal 8 Hours Committee" 11051 und der Trades Council11021 unter Shipton (der augenblicklich mit Hyndman und der Social Democratic Federation1621 alliiert) nahmen die Sache fast gleichzeitig in Angriff. Das 8 Hours Committee lud den Trades Council ein zu gemeinsamem Wirken wie voriges Jahr, wurde aber schnöd abgewiesen. Es wandte sich gleichzeitig an die Metropolitan Radical Federation (über 50 radikal „arbeiterlich", teilweise sozialistische Klubs umfassend)13581, und nun wandte sich der Trades Council auch an diese. Inzwischen spielte Aveling dem Trades Council den Streich, den dieser ihm vor 2 Jahren gespielt13701, und sicherte sich das erste Anrecht auf den Park2. Auch wandte sich das 8 Hours Committee, nach dieser Sicherung des Parks, nochmals an den Trades Council, wurde aber nochmals schnöde abgewiesen. Aber gleich darauf beschloß die Metropolitan Radical Federation, die auch vom Trades Council schon mehrmals hochmütig behandelt worden (der Trades Council ließ auf den ihm zugeteilten Tribünen voriges Jahr nur Trade-Unions-Leute, keine Klubredner zu), unter allen Umständen mit dem 8 Hours Committee zusammenzugehn, aber noch einen
1 Siehe vorl. Band, S.290 und 300/301 - 2 Hyde Park
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Sühneversuch beim Trades Council zu machen. Am Sonntag3 hatte das 8 Hours Committee Sitzung und verständigte sich mit der Metropolitan Radical Federation dahin, daß dieser von der Metropolitan Radical Federation gemacht werden solle und dann weiteres beschlossen. So liegt die Sache. Das 8 Hours Committee hat soweit die weitaus beste Stellung. Es hat den Park, die Gasworkers, eine ganze Masse kleiner East-End-Unions und die radikalen Klubs - kurz eine Masse, die mindestens doppelt so groß als die hinter dem Trades Council und der Hyndmanschen Federation. Diese hält sich einstweilen mäuschenstill und läßt den Trades Council für sich arbeiten. Wenn keine Dummheiten und Indiskretionen passieren, wird der Trades Council entweder klein beigeben oder wie vor 2 Jahren bei der Demonstration zweite Geige und noch dazu verstimmt spielen müssen. Ich habe jetzt auch Mehrings „Lessing-Legende" in der „N[euen] Z[eit]" gelesen und sehr viel Freude daran gehabt. Die Arbeit ist wirklich ausgezeichnet. Ich würde manches anders motivieren und nuancieren, aber im ganzen und großen hat er den Nagel mitten auf den Kopf getroffen. Es ist doch eine Freude, wenn man sieht, wie die materialistische Geschichtsauffassung, nachdem sie - in der Regel - seit 20 Jahren in den Arbeiten der jüngeren Parteileute als großmäulige Phrase hat herhalten müssen, endlich anfängt, als das benutzt zu werden, was sie eigentlich war: ein Leitfaden beim Studium der Geschichte. Kautsky und Ede haben in dieser Beziehung recht nette Sachen geliefert, aber Mehring hat sein spezielles Thema: die preußische Ecke der deutschen Geschichte, viel genauer studiert und hat auch überhaupt einen freieren Blick und vor allem eine festere, bestimmtere Ausdrucksweise. Ich hoffe, die Arbeit erscheint selbständig, sobald sie in der ,,N[euen] Z[eit]" fertig ist. Es ist die beste regelrechte Belagerung der Zitadelle der preußischen Legende, die ich kenne: den Lessing sagt man, den alten Fritz4 meint man. Und die Zerstörung der preußischen Legende ist absolut nötig, ehe Preußen in Deutschland verschwinden kann. Über die Vorbedingungen des ostelbischen Preußens sowohl in der deutschen wie europäischen und Weltgeschichte würde ich mich manchmal anders ausdrücken, aber das sind Dinge, die M[ehring] auch bloß gestreift hat. Jetzt aber geht's zum Essen, damit die Hexe zu ihrem Hexenlatein kommt. Was die Geschichte mit dem East End angeht, so laß Dich das nicht zu sehr angreifen, ich glaube, es wird nichts Gefährliches geplant.'3711 Herzliche Grüße an Frau Julie und Dich selbst. t-, . Dein - „ . F. Engels
»13.März-4 Friedrich II.
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Engels an Filippo Turati in Mailand13721
Lieber Bürger Turati, Ich danke Ihnen für die beiden Ex. der Antwort des Ehrenwerten, die Sie mir freundlichst gesandt haben.1-3731 Selbstverständlich denke ich nicht daran, ihm darauf zu antworten, denn wenn er nicht von den deutschen Sozialisten sprechen wollte und nicht gesprochen hat, aus welchem Grunde hat er dann meinen Artikel1 erwähnt und seine Bemerkungen dazu gemacht? Das ist so konfus wie noch nie; um Gnade vor Recht ergehen zu lassen, nehmen wir an, daß ihm absolut entfallen war, was er in der „Trihuna" geschrieben hatte13351. Mit aufrichtigem Gruß F.E.
[London] 18. März 92
Aus dem Französischen.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 30. März 92
Lieber Baron, Die Vorrede habe ich gestern abend korrigiert zurückgeschickt und zwei Zeilen zur 2. Auflage hinzugesetzt.13741 Ich denke, das genügt. Die alte Vorrede hat noch immer einen Zweck, zu hindern, daß der Rodbertusschwindel, der, wie alle solche Modeartikel, Tendenz zur Periodizität hat, wieder auflebt. Allerdings hat sie ihre Wirkung sonderbar rasch getan. Aber es ist nicht meine Schuld, daß die gegen uns ausgespielten großen Männer Kerle sind, die man in zwei Vorreden totschlagen kann. Außerdem tun die darin gegebnen ökonomischen Entwicklungen den Deutschen noch immer ganz gut; die Unbehülflichkeit mancher unsrer Leute in der ökonomischen Polemik ist sonderbar, aber kaum erfreulich. Gratuliere zu Deiner Programmbroschürenschwergeburt.13081 Das Kind wird schon seinen Weg in der Welt machen. Eine neue populär-zusammenfassende Arbeit ist immer noch sehr nützlich, man merkt's oft an den Reden, wie nötig so ein Repetitionskursus ist; und dicke Bücher können und wollen die wenigsten lesen. Deine Klage über die Bummelei der deutschen Schriftsteller solltest Du umarbeiten in das Prinzip, solche Artikel, die Du zu nehmen vorhast, dem Verfasser mit farbigen Strichen zur Nachbesserung zurückzuschicken, dann würden sie's bald anders machen. Natürlich, ist die Redaktion so gefällig, ihnen einen Stil zur Verfügung zu stellen, werden sie immer nachlässiger. Daß Du über Korrespondenz klagst, begreife ich, Du sprichst zu einem Leidensgenossen. Aber Du bist dafür auch Redakteur und ich nicht, und Du hast das Recht, Dich aufs rein Geschäftliche zu beschränken - was Du mehr tust, ist ja Dein Privatvergnügen -, und das darf ich eben auch nicht. Apropos, den Marx-Artikel über Pr[oudhon] aus dem Berliner „S[ocial-]D[emokrat]" habe ich nicht in der Korrektur durchgesehn, ich hatte keine Zeit.13751
Was Adler angeht1376', so wußtest Du eher mehr von Dietz als ich. Ich teilte Deine Bemerkungen also Louise mit und bat sie, mir für Deine Benutzung ein Memorandum über die Angelegenheit aufzuschreiben - es liegt bei. Aus ihrer Diskretion mir gegenüber schließe ich und wohl auch Du, daß dies ein Fall ist, wo uns allen die strengste Diskretion geboten ist und jedes unvorsichtige Ausplaudern die schlimmsten Folgen haben könnte. Leider gibt's aber so viele teilnehmende Menschen, die bei einer solchen Gelegenheit aus lauter Teilnahme das Maul nicht halten können, und wenn die Geschichte bereits in Berlin so ungeniert besprochen wurde, ist das schlimm genug. „Die Lage der arbeitenden] Kl[asse]" ist nun endlich hier heraus, ich habe leider keine Ex. zum Verschicken, habe S. S[onnenschein] & Co. aber die „N[eue] Z[eit]" empfehlen lassen. Die „Entwicklung des Sozialismus]" ist jetzt auch soweit fertig, aber da das Büchel gar zu klein für den Preis 2 [sh.] 6 [d.] ausgefallen (was der Esel von Verleger aber vorher wußte!), soll ich es durch eine lange Vorrede1 ausschwellen. Nun, wir werden sehn. Dies ist aber meine letzte Arbeit, dann geht's an Band III2. Von Petersburg höre ich (unter uns!), daß der ,,Ursp[rung] der Familie" Wahrscheinlich bald russisch erscheinen wird. Der Artikel über den „Sozialismus] in Deutschland" ist jetzt italienisch, rumänisch („Critica Socialä"), englisch („The People", New York), polnisch („Przedswit", hier) erschienen, die beiden letzten nach der ,,N[euen] Z[eit]". Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein General
1 „Einleitung zur englischen Ausgabe (1892) der .Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft'" - 2 des „Kapitals"
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
London, 30. März 1892
Lieber Freund, Ich kann die in Ihrer Postkarte vom 26. erwähnte Nr. der „Lotta"1 nicht mehr finden, jedenfalls aber wäre es nach meiner Ansicht ein Fehler und eine Versündigung an den besten Interessen der Partei, wenn ein Sozialist dem ersten besten Lieutenant der Armee die Gelegenheit geben wollte, ihn zu töten.13771 Es wäre dann ein leichtes für junge Offiziere, sich vermittelst der für sie absolut ungefährlichen Methode des Duells mit Sozialisten einen großen Ruf der Schneidigkeit und obendrein rasche Rangbeförderung zu verschaffen und obendrein unsre besten Leute aus dem Wege zu schaffen. Dazu dürfen wir die Hand nicht bieten. Es mag Umstände geben, wo ein Duell auch für unsre Leute unvermeidlich werden kann; ein französischer oder italienischer Deputierter kann zu einem politischen Duell gezwungen werden, Wenn die Ablehnung der Partei mehr schaden würde als die Annahme; namentlich, wenn unser Deputierter der Beleidiger war. Aber ohne äußerste Not ein Duell annehmen, oder gar eines provozieren, halte ich für Unsinn. Ich schicke Ihnen die englische Übersetzung meiner „Lage der arbeitenden Klasse in England", die soeben herausgekommen ist, ich hoffe, sie wird Ihnen bei Ihren englischen Studien von Nutzen sein. Der Ihrige F. Engels
1 „Lotta di classe"
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Engels an Hermann Schlüter in New York
London, 30. März 1892
Lieber Schlüter, Vor allen Dingen habe ich Dir noch zu danken für Deinen vorigjährigen Brief, der mir so viele wertvolle Mitteilungen überbrachte.1378' Leider konnte ich darauf nicht mit gleicher Münze rückzahlen, die europäischen politischen Zustände sind im allgemeinen durch gut ausgewählte Zeitungslektüre hinreichend zu erkennen, und um freie Zeit zum Arbeiten zu behalten, bin ich genötigt, mir alle Interna der einzelnen sozialistischen Parteien soviel wie möglich vom Halse zu halten, sonst käme ich zu gar nichts. Über die innere Parteientwicklung der verschiednen Länder, soweit diese sich im Krakeel der Führer unter sich abspielt, wie das ja meist der Fall, kann ich also nichts berichten, denn selbst das wenige, das ich darüber weiß, ist mir oft nur auf Maulhalten mitgeteilt. Hätte ich gewußt, daß der „Figaro"-ArtikeI Euch drüben interessierte, ich hätte ihn Euch geschickt, da Laffargue] mir ihn einsandte.13791 Jetzt ist er längst verschollen und in den Abgrund gewandert, ich will nach Paris schreiben, glaube aber schwerlich, daß ich noch ein Ex. auftreiben und von Laffargue] authentische Auskunft erhalten kann. Laffargue] hat das wohl längst vergessen, er reist seit seiner Wahl rastlos in ganz Frankreich umher auf sein Freibillet und agitiert und propagiert (ich meine nicht die Race)13801 und, wie es scheint, mit großem Erfolg. Der l.Mai - wegen der gleichzeitigen Stadtratswahlen13871 in ganz Frankreich außerhalb Paris - wird diesmal ein sehr entscheidender Tag für die Franzosen, sie sind vom Ehrgeiz gestachelt, es den Deutschen gleichzutun. Was Euer großes Hindernis in Amerika ist, scheint mir, besteht in der Ausnahmestellung der eingebornen Arbeiter. Bis 1848 kann man von einer eingebornen ständigen Arbeiterklasse nur als Ausnahme sprechen: die wenigen Anfänge davon im Osten in den Städten konnten immer noch hoffen, Bauern oder Bourgeois zu werden. Jetzt hat sich eine solche Klasse entwickelt und hat sich auch großenteils trades-unionistisch organisiert.
Aber sie nimmt immer noch eine aristokratische Stellung ein und überläßt, was sie auch kann, die ordinären, schlechtbezahlten Beschäftigungen den Eingewanderten, von denen nur ein geringer Teil in die aristokratischen Trades eintritt. Diese Eingewanderten sind aber in Nationalitäten geteilt, die sich untereinander und meistenteils auch die Landessprache nicht verstehn. Und Eure Bourgeoisie versteht es noch viel besser als die österreichische Regierung, eine Nationalität gegen die andre auszuspielen, Juden, Italiener, Böhmen etc. gegen Deutsche und Irländer und jeden gegen den andern, so daß, glaube ich, in New York Unterschiede der Lebenshaltung zwischen Arbeitern bestehn, wie sie sonstwo unerhört sind. Und dazu kommt die totale Gleichgültigkeit einer ohne allen gemütliche [n] Feudalhintergrund, auf rein kapitalistischer Basis erwachsnen Gesellschaft gegen die dem Konkurrenzkampf erliegenden Menschenleben; there will be plenty more, and more than we want, of these damned Dutchmen, Irishmen, Italians, Jews and Hungarians1 - und obendrein steht im Hintergrund John Chinaman'381', der sie alle weit übertrifft in der Fähigkeit, von Dreck zu leben. In einem solchen Land sind stets erneuerte Anläufe, gefolgt von ebenso sichern Rückschlägen, unausbleiblich. Nur daß die Anläufe doch immer gewaltiger, die Rückschläge immer weniger lähmend werden, und im ganzen die Sache doch vorangeht. Aber das halte ich für sicher: Die rein bürgerliche Grundlage, ohne allen vorbürgerlichen Schwindel dahinter, die entsprechende kolossale Energie der Entwicklung, die sich selbst in der verrückten Übertreibung des jetzigen Schutzzollsystems1268' zeigt, wird eines Tages eine Wendung herbeiführen, die die ganze Welt in Erstaunen setzen wird. Fangen die Amerikaner einmal an, dann aber auch mit einer Energie und Violenz, dagegen wir in Europa Kinder sein werden. Mit besten Grüßen Dein F. Engels
[Nachschrift von Louise Kautsky]
Lieber Schlüter, Eine Frau rührt sich gewöhnlich nicht und ist daher nicht liebenswürdig, bis sie etwas braucht. Ich möchte nun gern Authentisqjies über die bürgerliche Frauenbewegung in Amerika wissen; i.e. ihre bezüglichen Wahlrechte und Vorrechte in den ver
1 es wird genügend andere geben, und mehr als wir brauchen, von diesen verdammten Deutschen, Iren, Italienern, Juden und Ungarn
schiedenen Staaten nicht nur allein fUr Schul-, Munizipalwahlen, sondern auch für politisches Wahlrecht usw. Ich, d. h. General bekommt für mich durch Sorge die 2 hervorragendsten Frauenrechtlerinnenblätter „Woman's Journal", and „Woman's Tribüne". Aber ich brauche mehr, ich brauche eine kurze, gedrängte, aber vollständige geschichtliche Entwicklung des Kampfes für die Erreichung der bürgerlichen Frauenrechte, nicht die schauerlichen, langweiligen Phrasen der Vorkämpferinnen der bürgerlichen Frauenrechte. Das Buch, welches sie [.. .]2
* das Ende des Briefes fehlt
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
... ... . London, 4. April 92 Meine hebe Laura, Heute nur zwei Worte, um Dich zu bitten, Dich nach dem „Eclair" umzusehen. Am Freitag morgen1 überfiel mich Emile Massard plötzlich mit dem Ersuchen, ihm ein Interview für diese wetterwendische Zeitung zu gewähren. Da er versprach, mir das Ms. zur Durchsicht vorzulegen, und ich dachte, auf diese Art dem Pariser gogo2 einen Floh ins Ohr setzen zu können, willigte ich ein. Gestern sah ich das Ms. durch und habe es fast vollständig umgearbeitet. Würdest Du so nett sein, mir 4-6 Exemplare der Zeitung zu schicken, sobald das Interview erscheint? Wenn es korrekt ist, werde ich die Zeitungen für verschiedene Orte brauchen; wenn es unkorrekt ist, werde ich sofort gegen den Vertrauensbruch protestieren.1382' Jedenfalls wird diese neue Erfahrung mit der ewigen Interviewplage mir helfen, sie in Zukunft abzulehnen, da ich stets die eigentliche Arbeit machen muß (gestern von 11 bis 3 Uhr, statt bei dem warmen Wetter draußen zu sein), und auch dann ist es nicht das, was ich möchte und gibt meine Gedanken nicht wieder. Der Teufel soll sie alle holen! Ich war eine Woche in Ryde1383', das hat mir gutgetan. Pumps und die Kinder sind wohlauf, Percy hatte Influenza, Lungenentzündung, Rippenfellentzündung, Halsentzündung usw., eins nach dem anderen, und erholt sich erst jetzt wieder. Ich bin mit einer verteufelten Einleitung3 für die niemals zufriedenzustellenden Swan Sonnenschein und Co. beschäftigt, und da die Einleitung lang wird, wird sie mich die ganze Woche kosten. Sobald sie fertig ist, erhältst Du einen langen Brief. Salut dem reisenden Parlamentarier4, der nicht nur ein umherziehender grass-widower, sondern auch ein grasshopper'384' ist. Grüße von Louise und Deinem unverwüstlichen alten General
1 1. April - B Gimpel - 8 „Einleitung zui englischen Ausgabe (1892) der .Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft'" - 4 Paul Lafargue
Nächste Woche erwarten wir Bebel hier, wenn er nicht durch Krankheit verhindert wird - er scheint durch Überarbeitung und Überreizung sehr unpäßlich zu sein.
318 138 • Engels an HenriBrissac • nach dem 7. April 1892
138
Engels an Henri Brissac in Paris (Entwurf)
[London, nach dem 7. April 1892]
Lieber

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