KARL MARX FRIEDRICH ENGELS BAND 34

KARL MARX • FRIEDRICH ENGELS
WERKE-BAND 34
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX
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WERKE
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DIETZ VERLAG BERLIN
1966
INSTITUT FÜR MARXISMUS-LENINISMUS BEIM ZK DER SED
KARL MARX FRIEDRICH ENGELS
BAND 34
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Die deutsche Ausgabe der Werke von Marx und Engels fußt auf der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU besorgten zweiten russischen Ausgabe.
Die Texte werden nach den Handschriften bzw. nach deren Photokopien gebracht. Wiedergabe nach Sekundärquellen wird besonders vermerkt.
Vorwort
Der vierunddreißigste Band der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels enthält den Briefwechsel zwischen Marx und Engels von 1875 bis 1880 sowie die Briefe, die sie in dieser Zeit an dritte Personen richteten. Die zweite Hälfte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gehört einer Periode relativ friedlicher Entwicklung des Kapitalismus an. Lenin charakterisierte die Geschichtsperiode, die mit der Pariser Kommune begonnen hatte, als „die Epoche der vollen Herrschaft und des Niedergangs der Bourgeoisie, die Epoche des Übergangs von der fortschrittlichen Bourgeoisie zum reaktionären und erzreaktionären Finanzkapital. Es ist dies die Epoche der Vorbereitung und langsamen Kräftesammlung seitens der neuen Klasse, der modernen Demokratie" (W.I.Lenin, Werke, Band 21, Berlin 1960, S. 135). Die Pariser Kommune hatte eine neue Etappe im Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse eingeleitet. Die Erfahrungen aus diesem ersten Versuch, die Diktatur des Proletariats zu errichten, lehrten, daß ohne eine revolutionäre proletarische Massenpartei, die auf den Prinzipien des wissenschaftlichen Kommunismus fußt, die proletarische Revolution nicht siegen kann. Solche Parteien in den einzelnen Ländern zu schaffen, wurde daher zur vordringlichen Aufgabe. Die Internationale Arbeiterassoziation hatte in der internationalen Arbeiterbewegung den Marxismus verbreitet und entscheidend zur Überwindung utopisch-sozialistischer, kleinbürgerlicher Strömungen beigetragen. Sie legte damit den Grundstein für die Bildung und Festigung nationaler proletarischer Parteien. Darin besteht das große Verdienst der I. Internationale und ihrer Führer Karl Marx und Friedrich Engels. Die erste nationale revolutionäre Partei des Proletariats entwickelte sich erfolgreich in Deutschland. Es entstanden oder waren im Entstehen begriffen selbständige sozialistische Arbeiterparteien in Frankreich, Italien,
Spanien, Portugal, in der Schweiz, in Österreich, Dänemark und in den USA. Unter diesen historischen Bedingungen konzentrierten sich Marx und Engels darauf, die theoretischen Grundlagen der Arbeiterbewegung weiter auszuarbeiten und für die Verbreitung und Durchsetzung des wissenschaftlichen Kommunismus in der Arbeiterbewegung aller Länder zu kämpfen. Sie setzten sich dafür ein, daß die entstehenden proletarischen Parteien ein richtiges, marxistisches Programm aufstellten und eine revolutionäre Klassenpolitik betrieben, und kritisierten jede Art von Utopismus * und Opportunismus. Die im vorliegenden Band enthaltenen Briefe geben einen Einblick in die vielseitige wissenschaftliche und politische Tätigkeit von Marx und Engels. Welche vorrangige Bedeutung sie in dieser Zeit der weiteren Ausarbeitung ihrer revolutionären Theorie beimaßen, geht aus einem Brief Friedrich Engels' an Johann Philipp Becker hervor, in dem es heißt: „Wir beide, Marx und ich, haben ganz bestimmte wissenschaftliche Arbeiten zu leisten, die, soviel wir bis jetzt sehn, kein andrer machen kann oder auch nur will, und wir müssen die gegenwärtige ruhige Weltperiode dazu benutzen, sie fertigzumachen. Wer weiß, wie bald irgendein Ereignis uns dennoch wieder in die praktische Bewegung schleudert; um so mehr müssen wir das bißchen Muße benutzen, um die ebenso wichtige theoretische Seite ein Stückchen weiterzubringen." (Siehe vorl. Band, S.227.) Marx widmete in diesen Jahren all seine Kraft der Fortsetzung des „Kapitals". Engels arbeitete an seinen für die Weiterentwicklung des dialektischen Materialismus bedeutsamen Werken „Dialektik der Natur" und „Anti-Dühring" und übernahm es, „unsere Ansichten in der periodischen Presse, also namentlich im Kampf mit gegnerischen Ansichten, zu vertreten, damit Marx für die Ausarbeitung seines großen Hauptwerks Zeit behielt" (siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.328). In wichtigen theoretischen Schriften wie den „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei", „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft" und dem „Zirkularbrief" von 1879 entwickelten sie auch die Theorie der proletarischen Revolution, die Lehre von der Partei des Proletariats sowie ihre Ideen über die allgemeinen Züge der kommunistischen Gesellschaft schöpferisch weiter. Hauptgegenstand der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit von Marx waren in dieser Periode Probleme des zweiten und dritten Bandes des „Kapitals", besonders die Theorie der Grundrente sowie die Zirkulation und Reproduktion des Kapitals. Freunde in Rußland sandten Marx regel
mäßig Veröffentlichungen über das Grundeigentum und andere ökonomische Probleme Rußlands. Diese Werke, die Marx in der Originalsprache studierte, berücksichtigte er besonders für die Arbeit am Abschnitt Grundrente. Marx verwertete auch Publikationen über die ökonomischen Verhältnisse in den USA. „Das interessanteste Feld für den Ökonomen", schrieb er in einem seiner Briefe an Danielson, „liegt jetzt zweifellos in den Vereinigten Staaten und vor allem in der Periode von 1873 ,.. bis 1878 der Periode der chronischen Krise." In einem anderen Brief an Danielson stellte Marx fest, die Masse an Material, die er aus Rußland und den USA erhalte, zwinge ihn, die kapitalistische Produktionsweise weiter zu erforschen, statt die noch nicht erschienenen Manuskripte des „Kapitals" endgültig für die Veröffentlichung abzuschließen (siehe vorl. Band, S.359 und 370-372). Viele Freunde und Anhänger von Marx warteten mit großer Ungeduld auf das Erscheinen des zweiten Bandes des „Kapitals". Nach Beendigung der umfangreichen Arbeit an der französischen Ausgabe des ersten Bandes (1875) und den erwähnten ökonomischen Studien der Jahre 1875/76 nahm Marx Anfang 1877 wieder die Arbeit am zweiten Band auf. Unter Berücksichtigung seiner neuen Forschungsergebnisse bearbeitete Marx einige der bisher vorliegenden Manuskripte; es entstanden vier neue Varianten, darunter der wichtige Abschnitt über die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals (vgl. Band 24 unserer Ausgabe, S. 11/12). Die Entwicklung der marxistischen Theorie erforderte das rechtzeitige Aufdecken neuer Tendenzen in der Entwicklung der Gesellschaft und vor allem ihrer ökonomischen Basis. In den siebziger Jahren des ^.Jahrhunderts vollzog sich ein Umschwung in der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. Zu dieser Zeit erreichte in den fortgeschrittenen Industrieländern Europas der Kapitalismus der freien Konkurrenz den Höhepunkt seiner Entwicklung. Es begann der allmähliche Übergang vom vormonopolistischen Kapitalismus zum Imperialismus, der um die Jahrhundertwende abgeschlossen war. Marx und Engels, die aufmerksam die Veränderungen in der kapitalistischen Wirtschaft verfolgten, gelangten zu wichtigen Erkenntnissen über das Wesen und die historische Bedeutung der neuen Erscheinungen. In dem Brief vom 10. April 1879 an Danielson wies Marx auf interessante Besonderheiten der neuen Wirtschaftskrise in England hin und erläuterte auch die Rolle der Eisenbahnen für die Entwicklung des Kapitalismus in verschiedenen Ländern, So stellte Marx z.B. fest: die Eisenbahnen „gaben
der Konzentration des Kapitals einen vorher nie geahnten Anstoß und trugen auch zur Beschleunigung und mächtigen Steigerung der kosmopolitischen Aktivität des Leihkopitals bei, das nun die Welt mit einem Netzwerk finanziellen Schwindels und gegenseitiger Verschuldung, der kapitalistischen Form .internationaler' Brüderlichkeit, umspannt" (siehe vorl. Band, S.373). Als Muster des konkret-historischen, dialektischen Herangehens an die Analyse neuer ökonomischer Tatsachen seien hier auch die bemerkenswerten Erläuterungen über die Bedeutung des Staatsmonopols im Kapitalismus genannt, die Engels Wilhelm Bracke gab. Ausgehend von einer kritischen Wertung der Bismarckschen Verstaatlichungspolitik entwickelte Engels Kriterien, nach denen die Partei das Staatsmonopol einschätzen sollte, Thesen, die er auch, weiter ausgearbeitet, in seinen „Anti-Dühring" aufnahm (siehe Band 20 unserer Ausgabe, S. 259/260). Er gab zu bedenken, „daß alle Übertragung industrieller und kommerzieller Funktionen an den Staat heutzutage einen doppelten Sinn und doppelte Wirkung haben kann, je nach den Umständen: einen reaktionären, einen Rückschritt zum Mittelalter und einen progressiven, einen Fortschritt zum Kommunismus" (siehe vorl. Band, S.328). Ferner bemerkte Engels, daß die von Bismarck geplanten Verstaatlichungen „bloß aus Finanz- und Machtzwecken..., nicht aus zwingender innerer Notwendigkeit" erfolgen würden (siehe vorl. Band, S.329). Im „Anti-Dühring" verallgemeinert er diese Erkenntnis: „Denn nur in dem Falle, daß die Produktions- oder Verkehrsmittel der Leitung durch die Aktiengesellschaften wirklich entwachsen sind, daß also die Verstaatlichung ökonomisch unabweisbar geworden, nur in diesem Falle bedeutet sie, auch wenn der heutige Staat sie vollzieht, einen ökonomischen Fortschritt..." (siehe Band 20 unserer Ausgabe, S.259). Die wissenschaftlichen Studien von Engels in dieser Periode waren Bestandteil seiner Arbeit an der „Dialektik der Natur". Der erste Plan zu diesem außerordentlich bedeutsamen philosophischen Werk entstand bereits 1873. Engels studierte 1873/74 zahlreiche naturwissenschaftliche Werke und schrieb bis 1876 die Einleitung und den größeren Teil der Fragmente. 1878 entwarf Engels eine Skizze des Gesamtplans und schrieb bis 1883 fast alle Kapitel des Werks (siehe Band 20 unserer Ausgabe). Mit folgenden Worten umriß Engels 1885 rückblickend die Aufgabe, die er sich mit dieser Arbeit gestellt hatte: „Es handelte sich bei dieser meiner Rekapitulation der Mathematik und der Naturwissenschaften selbstredend darum, mich auch im einzelnen zu überzeugen - woran im allgemeinen kein Zweifel für mich war daß in der Natur dieselben dialektischen Bewegungsgesetze im Gewirr der zahllosen Veränderungen sich durch
setzen, die auch in der Geschichte die scheinbare Zufälligkeit der Ereignisse beherrschen" (siehe Band 20 unserer Ausgabe, S. 11). Indem er die wichtigsten Erkenntnisse der Naturwissenschaften seiner Zeit philosophisch verallgemeinerte und die Allgemeingültigkeit der marxistischen Dialektik für alle Gebiete der Naturwissenschaft nachwies, machte er deutlich, daß der moderne Naturwissenschaftler um so erfolgreicher arbeiten wird, je bewußter er sich der dialektischen Methode bedient. Aus der Erkenntnis heraus, daß die Naturwissenschaft die wissenschaftliche Grundlage der Herrschaft des Menschen über die Kräfte der Natur bildet und die naturwissenschaftlichen Entdeckungen im Endergebnis revolutionäre Bedeutung für die Entwicklung der gesamten Gesellschaft haben, hatten Marx und Engels seit Jahrzehnten die Fortschritte und Ergebnisse der Naturwissenschaften verfolgt. Mit großem Interesse hatten sie die drei bedeutenden naturwissenschaftlichen Entdeckungen im zweiten Drittel des 19.Jahrhunderts studiert: die Entdeckung der organischen Zelle, des Gesetzes von der Erhaltung und Umwandlung der Energie und die Ausarbeitung der Entwicklungstheorie durch Charles Darwin. Im Zusammenhang mit seiner Arbeit an der „Dialektik der Natur" ist ein Brief Engels* an Lawrow von Interesse, der mit einem Fragment der „Dialektik der Natur" fast wörtlich übereinstimmt. In diesem Brief legte Engels sein Verhältnis zum Darwinismus dar, gab eine dialektisch-materialistische Interpretation der Entwicklungstheorie der organischen Welt und wies auf die Begrenztheit der Darwinschen Lehre vom „Kampf ums Dasein" hin: „Die Wechselwirkung der Naturkörper - toter wie lebender schließt sowohl Harmonie wie Kollision, Kampf wie Zusammenwirken ein" (siehe vorl. Band, S. 169). Engels bewies vor allem die Unzulässigkeit der mechanischen Übertragung von Gesetzen der organischen Natur auf die menschliche Gesellschaft, wie dies die sogenannten Sozialdarwinisten versuchten, und betonte, daß die Dialektik des Klassenkampfes in der bürgerlichen Gesellschaft unvermeidlich zur sozialistischen Revolution führte (siehe vorl. Band, S. 170-172). Ende Mai 1876 unterbrach Engels seine Arbeit an der „Dialektik der Natur", der auch Marx große Bedeutung beimaß (siehe vorl. Band, S.209), und ging an die Ausarbeitung seiner Streitschrift „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", die zu den bedeutendsten Werken des Marxismus zählt. Unter den verschiedenen, dem Marxismus feindlichen ideologischen Strömungen in Deutschland übten die Lehren des Berliner Privatdozenten Eugen Dühring besonders schädlichen Einfluß auf die deutsche Arbeiter
bewegung aus. Dieser kleinbürgerliche Sozialist wollte den dialektischen und historischen Materialismus durch eine eklektische, mechanistische Philosophie ersetzen und hielt der marxistischen politischen Ökonomie und dem wissenschaftlichen Kommunismus ein Sammelsurium vulgärökonomischer und pseudosozialistischer Ansichten entgegen. Engels wies in seinem „Anti-Dühring" die Unwissenschaftlichkeit des Dühringschen Systems nach und widerlegte im einzelnen die Ansichten Dührings. Dabei blieb Engels aber nicht stehen. 1885 bemerkte er in seinem Vorwort zur zweiten Auflage: „Die negative Kritik wurde ... positiv; die Polemik schlug um in eine mehr oder minder zusammenhängende Darstellung der von Marx und mir vertretnen dialektischen Methode und kommunistischen Weltanschauung, und dies auf einer ziemlich umfassenden Reihe von Gebieten" (siehe Band 20 unserer Ausgabe, S.8). Zum erstenmal wurde der Marxismus als geschlossene Lehre dargestellt und der untrennbare Zusammenhang seiner einzelnen Bestandteile aufgezeigt; damit entsprach Engels einem objektiven Bedürfnis und schuf eine für die weitere Verbreitung und Durchsetzung des Marxismus notwendige Voraussetzung. In diesem Werk führte Engels den Nachweis, daß der dialektische Materialismus als Lehre von den allgemeinsten Entwicklungsgesetzen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens das philosophische Fundament des wissenschaftlichen Kommunismus bildet, daß er die Weltanschauung der Arbeiterklasse ist und er allein sie befähigt, ihre welthistorische Mission zu erfüllen. Er schuf eine ausführliche, geschlossene Darstellung der drei Bestandteile der marxistischen Theorie: des dialektischen und historischen Materialismus, der politischen Ökonomie und der Lehre vom Sozialismus und Kommunismus. Er formulierte bedeutende Grundgesetze der materialistischen Dialektik und gab eine qualitativ neue Erklärung vieler komplizierter Probleme des Materialismus: des Problems der materiellen Einheit der Welt, der Untrennbarkeit von Materie und Bewegung und der Unendlichkeit der Welt. Seine umfangreichen naturwissenschaftlichen Studien kamen Engels während der Arbeit am „Anti-Dühring" sehr zustatten, wie er selbst in einem Brief an Marx feststellte (siehe vorl. Band, S. 18/19). Der „Anti-Dühring" enthält eine systematische Darlegung der materialistischen Geschichtsauffassung und der Grundzüge der kommenden sozialistischen Gesellschaft; auch Fragen der politischen Ökonomie nehmen einen wichtigen Platz ein. Der Briefwechsel zwischen Marx und Engels, aber auch ihre Briefe an Liebknecht, Bracke u.a. gestatten uns, die Entstehungsgeschichte des „Anti-Dührings" zu verfolgen, angefangen vom Konzipieren des Werks
im Mai 1876 über die Publikation im „Vorwärts" (1877/78), bis zur ersten Buchausgabe 1878 in Leipzig. Aus diesen Briefen ist auch ersichtlich, welchen Anteil Marx an der Ausarbeitung des „Anti-Dührings" hatte. Gemeinsam mit Marx traf Engels die Entscheidung, daß es notwendig ist, Dühring entgegenzutreten (siehe vorl. Band, S. 12-15). Marx schrieb ein umfangreiches Manuskript, „Randnoten zu Dühring's .Kritische Geschichte der Nationalökonomie'" (siehe vorl. Band, S. 36-40), das Engels, unwesentlich verändert, als Kapitel X in den zweiten Abschnitt des „Anti-Dührings" aufnahm. Marx half Engels auch, das Material für die Skizzen der Vorgeschichte des wissenschaftlichen Sozialismus (Dritter Abschnitt, Kapitel I) zusammenzustellen (siehe vorl. Band, S.68). Neben der theoretischen Arbeit der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus hatte auch in dieser Periode ihre praktische Tätigkeit bei der Leitung der internationalen Arbeiterbewegung außerordentlich große Bedeutung. Die Beziehungen von Marx und Engels zu Vertretern der Arbeiterbewegung in den Ländern Europas und in den USA, die während der Tätigkeit der I. Internationale entstanden waren, blieben auch nach deren Auflösung erhalten, in einigen Fällen entwickelten sie sich noch weiter. Marx und Engels blieben auch in den siebziger Jahren die Ratgeber des klassenbewußten Proletariats aller Länder. Der Briefwechsel von Marx und Engels mit führenden Vertretern der internationalen Arbeiterbewegung war ein wichtiges Mittel ihrer Verbindung mit der sozialistischen und Arbeiterbewegung. Daher enthalten diese Briefe von Marx und Engels ein reiches Material, das von ihrer hervorragenden Tätigkeit als Organisatoren und Führer des internationalen Proletariats zeugt. Nach der Niederlage der Pariser Kommune hatte sich der Schwerpunkt der internationalen Arbeiterbewegung von Frankreich nach Deutschland verlagert. Hier bestand seit 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die sich durch ihre Tätigkeit während des Deutsch-Französischen Krieges und durch ihre aktive Teilnahme am politischen und ideologischen Kampf der I. Internationale als feste Stütze des Marxismus in der internationalen Arbeiterbewegung erwiesen hatte. Engels schrieb 1874 über die deutsche Arbeiterbewegung: „Zum erstenmal, seit eine Arbeiterbewegung besteht, wird der Kampf nach seinen drei Seiten hin - nach der theoretischen, der politischen und der praktisch-ökonomischen (Widerstand gegen die Kapitalisten) - im Einklang und Zusammenhang und planmäßig geführt. In diesem sozusagen konzentrischen Angriffe liegt gerade die Stärke und Unbesiegbarkeit der deutschen Bewegung" (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S.5I6
und 517). So ist es verständlich, daß der Briefwechsel mit den Führern der deutschen Arbeiterbewegung und die Probleme Deutschlands überhaupt im vorliegenden Band eine zentrale Stellung einnehmen. Das wichtigste Ereignis in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Mitte der siebziger Jahre war die Vereinigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands im Mai 1875. Eine schwere Bewährungsprobe für die vereinigte Partei begann mit dem Erlaß des Ausnahmegesetzes gegen die deutsche Sozialdemokratie im Oktober 1878. Diese Ereignisse bilden thematische Schwerpunkte der im vorliegenden Band enthaltenen Briefe. Marx und Engels traten für die Vereinigung der beiden deutschen Arbeiterorganisationen zu einer einheitlichen Partei ein. Als sie den Programmentwurf kennenlernten, mußten sie jedoch feststellen, daß in dem Streben nach „Einheit um jeden Preis" ein Programm vorgeschlagen wurde, das weit unter dem theoretischen Niveau des Eisenacher Programms von 1869 lag und durchdrungen war vom opportunistischen Gedankengut des Lassalleanismus. Der Programmentwurf rief auch bei August Bebel und Wilhelm Bracke heftigen Widerspruch hervor, und sie wandten sich an Marx und Engels um Rat. Diese lehnten das Kompromißprogramm entschieden ab; ihre ausführliche, grundsätzliche Kritik des Programmentwurfs ist enthalten in den Briefen Engels* an Bebel voml8./28. März 1875, an Bracke vom 1 I.Oktober und an Bebel vom 12.Oktober 1875 (siehe vorl. Band, S. 125-131 und 155-160), vor allem aber in Marx' berühmten „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 15-32), die er Ende April/Anfang Mai 1875 schrieb und am 5. Mai an Bracke sandte. In dem Begleitschreiben zu den „Randglossen" widerlegte Marx überzeugend die Einwände Liebknechts und anderer Führer der „Eisenacher", daß es ohne dieses Programm zu keiner Einigung gekommen wäre. „Konnte man also nicht - und die Zeitumstände ließen das nicht zu - über das Eisenacher Programm hinausgehn, so hätte man einfach eine Ubereinkunft für Aktion gegen den gemeinsamen Feind abschließen sollen. Macht man aber Prinzipienprogramme (statt diese bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet war), so errichtet man vor aller Welt Marksteine, an denen sie die Höhe der Parteibewegung mißt. Die Chefs der Lassalleaner kamen, weil die Verhältnisse sie dazu zwangen. Hätte man ihnen von vornherein erklärt, man lasse sich auf keinen Prinzipienschacher ein, so hätten sie sich mit einem Aktionsprogramm oder
Organisationsplan zu gemeinschaftlicher Aktion begnügen müssen" (siehe vorl. Band, S. 137/138). Marx entwickelt in diesem Brief das Prinzip von der Aktionseinheit, das für den Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse von grundlegender Bedeutung ist. Die Hauptpunkte der Kritik waren bereits in Engels' Brief an Bebel vom 18./28.März 1875 enthalten, wurden jedoch in den „Randglossen" wesentlich detaillierter ausgearbeitet und durch eine Reihe neuer theoretischer Erkenntnisse erweitert. Marx und Engels richteten den Hauptstoß ihrer Kritik gegen den Lassalleanismus, gleichzeitig kritisierten sie auch die selbst von Wilhelm Liebknecht und anderen Führern der Eisenacher noch nicht überwundenen vulgärdemokratischen Auffassungen, die sich vor allem in der Staatsfrage äußerten. In ihrer Kritik am Gothaer Programmentwurf wandten Marx und Engels die Lehren der Pariser Kommune auf die Bedingungen des proletarischen Klassenkampfes im preußisch-deutschen Militärstaat an und erwiesen damit der deutschen Arbeiterpartei wertvolle Hilfe für die Ausarbeitung einer wissenschaftlich begründeten Strategie und Taktik. Darüber hinaus bereicherten sie in diesen Dokumenten, besonders in den „Randglossen", die Theorie des wissenschaftlichen Kommunismus um neue Erkenntnisse in einer Reihe von Grundfragen, so z.B. über die sozialistische Revolution, die Diktatur des Proletariats und die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus; erstmalig äußerte Marx den Gedanken von den zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaft und charakterisierte ihre unterschiedlichen Verteilungsprinzipien. Die in der Programmkritik enthaltenen Ideen gaben und geben den kommunistischen und Arbeiterparteien aller Länder wertvolles Rüstzeug für ihren theoretischen und praktischen Kampf. Neben dem „Manifest der Kommunistischen Partei" und dem „Kapital" gehört die Kritik am Gothaer Programmentwurf zu den wichtigsten theoretischen Dokumenten des Marxismus. Wenn auch das auf dem Gothaer Kongreß angenommene Programm nicht der Bedeutung der Vereinigung entsprach, so führte dennoch die Mehrzahl der Parteimitglieder eine revolutionäre Arbeiterpolitik durch und interpretierte das Programm im revolutionären Sinn. Auch die „Esel von Bourgeoisblättern" haben, wie Engels am 12. Oktober 1875 an Bebel schrieb, „dies Programm ganz ernsthaft genommen, hineingelesen, was nicht darin steht, und es kommunistisch gedeutet. Die Arbeiter scheinen dasselbe zu tun. Es ist dieser Umstand allein, der es Marx und mir möglich gemacht hat, uns nicht öffentlich von einem solchen Programm loszusagen. Solange unsere Gegner und ebenso die Arbeiter diesem Programm unsere
Ansichten unterschieben, ist es uns erlaubt, darüber zu schweigen" (siehe vorl. Band, S. 159). Der ökonomische und politische Kampf der deutschen Arbeiterklasse machte nach der Vereinigung spürbare Fortschritte. Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands konnte durch ihr Eintreten für die wirtschaftlichen und politischen Forderungen der Massen, die sie mit dem Kampf um das Endziel, die Befreiung der Arbeiterklasse, verband, immer mehr Arbeiter gewinnen. In mehreren Briefen des vorliegenden Bandes kommt zum Ausdruck, mit welcher Freude und Anerkennung Marx und Engels z.B. das Ergebnis der Reichstagswahlen von 1877, diese „Musterung der sozialdemokratischen Streitkräfte in Deutschland" aufnahmen (S.242, 243, 245, 315 und 525). Der Kompromiß mit den Lassalleanern begünstigte aber das Eindringen kleinbürgerlicher Ideologie in die Partei. Marx und Engels führten einen erbitterten Kampf gegen die Versuche, „dem Sozialismus eine .höhere, ideale' Wendung" zu geben, „d.h. die materialistische Basis (die ernstes, objektives Studium erheischt, wenn man auf ihr operieren will) zu ersetzen durch moderne Mythologie mit ihren Göttinnen der Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und fraternite" (siehe vorl. Band, S.303). Nach 1875 wurde die Verbreitung der Dühringschen Ideen zu einer ernsten Gefahr. Selbst zahlreiche führende Sozialdemokraten stimmten Dühring zu und versuchten, seinen Ansichten Eingang in die Partei zu verschaffen. Wilhelm Liebknecht hatte diese Gefahr als einer der ersten erkannt und wiederholt Marx und Engels gedrängt, eine Kritik der Ansichten Dühnngs zu schreiben (siehe vorl. Band, S. 14). Mit dem „Anti-Dühring" erwiesen Marx und Engels der Partei die notwendige Hilfe. Diese Enzyklopädie des Marxismus half den fortgeschrittenen Arbeitern, sich der historischen Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei bewußt zu werden und trug in den siebziger und achtziger Jahren wie kein zweites Buch dazu bei, die Lehren von Marx und Engels in der deutschen Arbeiterbewegung durchzusetzen. Generationen aktiver Kämpfer des Proletariats eigneten sich mit seiner Hilfe die revolutionäre, wissenschaftliche Weltanschauung an. Marx und Engels setzten sich auch mit sozialreformistischen Ansichten auseinander, wie sie vor allem von den im Oktober 1877 gegründeten Zeitschriften „Die Zukunft" und „Die Neue Gesellschaft", aber auch in anderen sozialdemokratischen Publikationen verbreitet wurden. Wie aus mehreren Briefen ersichtlich, lehnten Marx und Engels nicht nur entschieden ab, an diesen Zeitschriften mitzuarbeiten, sondern sie wandten sich auch scharf gegen alle Versuche, die revolutionäre Theorie durch eine reformistische
und den wissenschaftlichen Kommunismus durch vulgärsozialistische Anschauungen zu ersetzen. Sie prangerten jenen kleinbürgerlichen utopischen Sozialismus an, der an die Stelle wissenschaftlicher Analyse der objektiven Entwicklungsgesetze ein „Phantasiegespiel über den künftigen Gesellschaftsbau" setzte .(siehe vorl. Band, S.303). Durch das wertvolle theoretische Rüstzeug des „Anti-Dührings" und durch kritische Hinweise in ihren Briefen halfen die beiden Freunde der Partei, sich von dem Einfluß dieser verflachten Neuauflage des Utopismus, dessen Vertreter sie ironisch „Zukunftssozialisten" nannten, zu befreien. Um den wachsenden Erfolgen der demokratischen und antimilitaristischen Kräfte zu begegnen, vor edlem aber, um die konsequenteste Opposition gegen den preußisch-deutschen Militärstaat, die von der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands geführte revolutionäre Arbeiterbewegung aus der Welt zu schaffen, setzte die Bismarck-Regierung am 19. Oktober 1878 im Reichstag das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" durch. „Das Ausnahmegesetz", schrieb Marx, „wird gemacht, um der sozialdemokratischen Bewegung allen Schein der Legalität zu entziehen ... Mettre hors la loi, war von jeher das unfehlbare Mittel, um regierungswidrige Bewegungen .gesetzwidrig* zu machen und die Regierung vor dem Gesetz - la legalite nous tuezu schützen." (Siehe vorl. Band, S. 77/78.) Erstmalig in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung stand eine marxistische Partei vor der komplizierten Aufgabe, den illegalen Kampf der Arbeiterklasse zu organisieren, wobei die wenigen noch vorhandenen legalen Möglichkeiten voll ausgenutzt und mit den neuen illegalen Kampfformen eng verknüpft werden mußten. In dieser schwierigen Situation standen Marx und Engels den revolutionär gesinnten, kämpfenden Kräften in der Partei mit Rat und Tat zur Seite. Ihre Briefe an Bebel, Liebknecht, Bracke, Sorge, Johann Philipp Becker u.a. enthalten eine Vielfalt theoretischer Erörterungen und Hinweise, die sich überwiegend auf Fragen der Strategie und Taktik der Partei beziehen. Wenige Monate nach Erlaß des Sozialistengesetzes entstand in London eine anarchistische Gruppe. Ihr Presseorgan, die „Freiheit", wurde von Johann Most, einem nach London emigrierten, vormals sozialistischen Arbeiterführer, redigiert; 1880 schloß sich auch der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und ehemalige Lassalleaner Wilhelm Hasselmann dieser Gruppe an. In der „Freiheit" richteten sie verleumderische Angriffe gegen die von der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands entwickelte Taktik im Kampf gegen das Sozialistengesetz und propagierten eine Taktik
des individuellen Terrors. Aus mehreren Briefen ist ersichtlich, daß sich Marx und Engels von dieser Richtung scharf abgrenzten und sie schonungslos kritisierten. „In der ,Freiheit' wird Revolution schwadroniert auf Mord und Brand..." (siehe vorl. Band, S.383), schreibt Engels an Johann Philipp Becker, und in einem anderen Brief an denselben Empfänger bemerkt er ironisch: „Most in seinem konfusen Tatendrang kann keine Ruhe halten, aber auch platterdings nichts fertigbringen; die Leute in Deutschland wollen nun einmal nicht einsehen, daß jetzt der Moment zur Revolution gekommen, weil Most aus Deutschland hinausgemaßregelt ist. Die .Freiheit' soll mit aller Gewalt das revolutionärste Blatt der Welt werden, aber das bringt man damit nicht fertig, daß man das bloße Wort Revolution in jeder Zeile wiederholt" (siehe vorl. Band, S.440). Der entschiedene Kampf gegen das „revolutionäre" Phrasentum, das so oder so in den Sumpf des linken Opportunismus zieht, ist seit Marx und Engels ein wichtiges Kriterium der Treue gegenüber den wahrhaft revolutionären Prinzipien des wissenschaftlichen Kommunismus. War auch der Einfluß Mösts auf bestimmte Teile der deutschen Arbeiter zeitweilig nicht unerheblich, so bestand doch die Hauptgefahr für die Partei 1878/79 im Rechtsopportunismus, der seine Ideologen vor allem in Karl Höchberg, Eduard Bernstein und Carl August Schramm fand. Im August 1879 veröffentlichten sie in der von Höchberg in Zürich herausgegebenen Zeitschrift „Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" ihr durch und durch kleinbürgerlich-reformistisches Programm in Gestalt des Aufsatzes „Rückblicke auf die sozialistische Bewegung in Deutschland". Als Engels diesen Artikel gelesen hatte, schrieb er am 9. September sofort an Marx: „Höchberg erklärt gradezu, die Deutschen hätten einen Fehler began- '' gen, indem sie die sozialistische Bewegung in eine bloße Arieiferbewegung verwandelt und durch unnötiges Herausfordern der Bourgeoisie sich das Sozialistengesetz selbst zugezogen! Die Bewegung soll unter die Leitung der bürgerlichen und gebildeten Elemente gebracht werden, einen durchaus friedlichen Reformcharakter tragen usw." (siehe vorl. Band, S. 104/105). Marx antwortete am nächsten Tag: „Ich teile ganz Deine Ansicht, daß keine Zeit weiter zu verlieren ist, um unsere Ansicht schro0 und rücksichtlos dem Jahrbuchsgefasel gegenüber kundzutun" (siehe vorl. Band, S. 107). Höchbergs Jahrbuch erschien gerade in jener Zeit, als die Vorbereitungen zur Herausgabe einer offiziellen Parteizeitung - des „Sozialdemokrat" in Zürich schon recht weit gediehen waren. Es wurde offenbar, daß die Opportunisten alles daransetzten, die Zeitung in ihre Hände zu bekommen. Marx und Engels kämpften entschieden gegen diese Bestrebungen wie
gegen den Opportunismus überhaupt. Ihr Standpunkt fand seinen präzisesten und umfassendsten Ausdruck in dem berühmten „Zirkularbrief", der von Engels entworfen und am 17. September 1879 mit Marx beraten - an Bebel, Liebknecht, Bracke und andere Führer der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands gerichtet war (siehe vorl. Band, S.394-408). Marx und Engels übten darin vernichtende Kritik an den Auffassungen der Züricher Opportunisten und legten zugleich das Wesen des Opportunismus bloß. Sie appellierten an die deutschen Parteiführer, den proletarischen Charakter der Partei zu wahren und den Klassenkampf mit dem Ziel der Machtergreifung des Proletariats zu führen, was nur möglich ist, wenn sich die Partei von den Trägern der bürgerlichen Ideologie entschlossen trennt. Der Zirkularbrief ist somit über seine unmittelbare Bedeutung für die richtige Orientierung der Partei im Kampf gegen das Sozialistengesetz hinaus von grundsätzlichem politischem und theoretischem Wert als Beitrag zur Lehre von der Partei. Der Erfolg dieser energischen, prinzipiellen Kritik blieb nicht aus. Es gelang den marxistischen Kräften in der Parteiführung, den Einfluß des Opportunismus zurückzudrängen und eine revolutionäre Taktik im Kampf gegen das Sozialistengesetz auszuarbeiten und durchzusetzen; die Vertreter anarchistischer Auffassungen wurden aus der Partei ausgeschlossen. Der „Sozialdemokrat" überwand mehr und mehr die anfänglichen theoretischen Mängel und wurde zu einem kollektiven Agitator, Propagandisten und Organisator. Der kluge und heroische Kampf der klassenbewußten deutschen Arbeiter unter der Führung ihrer Partei wurde immer erfolgreicher und endete schließlich mit dem Sieg über das Schandgesetz. An diesen Erfolgen hatten Marx und Engels durch die ständige und vielfältige Hilfe, die sie der Partei in dieser schweren Zeit leisteten, einen bedeutenden Anteil. Die Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus waren auch stets bestrebt, die Erfahrungen aus der internationalen Arbeiterbewegung zu verallgemeinern und nutzbar zu machen. Aus Marx' Briefwechsel mit Wilhelm Bracke in den Jahren 1876/77 ist ersichtlich, welche große Arbeit Marx in dieser Zeit leistete, um die Erfahrungen der Pariser Kommune zu propagieren; zu diesem Zweck regte er an, die „Histoire de la commune de 1871" von Prosper Lissagaray ins Deutsche zu übersetzen und in Deutschland herauszugeben. Dieses Buch, geschrieben von einem aktiven Teilnehmer an der Pariser Kommune auf Grund des Studiums eines umfangreichen Tatsachenmaterials, war nach Marx' Urteil die erste authentische und die beste Geschichte der Kommune, und es war daher für die SoziaIistische Arbeiterpartei Deutschlands wichtig, es zu verlegen (siehe vorl.
II Marx/Engels, Werke, Bd. 34
Band, S. 203/204 und 346). Marx prüfte und redigierte selbst einen wesentlichen Teil der Ubersetzung des Buches. Mehrere Briefe von Marx an Bracke zeigen, wie kritisch Marx an die Auswahl des Übersetzers heranging, und seine eigenen Korrekturen lassen erkennen, was Marx unter verantwortungsbewußter Übersetzung verstand. Nach der Niederlage der Pariser Kommune hatte in Frankreich eine Periode der Reaktion eingesetzt. Monarchistische Kreise unter der Führung des Präsidenten der Republik, Marschall Mac-Mahon, versuchten, einen Staatsstreich durchzuführen und die Republik zu beseitigen. Es entbrannte ein heftiger Kampf zwischen Republikanern und Monarchisten. In dieser Situation erschien am I.Juli 1877 im „Vorwärts" ein Artikel unter dem Titel „Nieder mit der Republik!", in dem die Meinung vertreten wurde, daß eine französische Bourgeoisrepublik mit ihrer Scheinfreiheit demoralisierender wirke als eine Monarchie. Für die französischen Arbeiter sei es deshalb gleichgültig, ob sie unter den Bedingungen einer bürgerlichen Republik oder unter denen einer Monarchie kämpften. Der Autor dieses Artikels war Wilhelm Hasenclever. Marx und Engels verurteilten diesen ernsten politischen Fehler des Zentralorgans der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands: „Das .Vorwärts' scheint uns die Geschichte in Frankreich doch etwas zu leicht zu nehmen", schrieb Engels an Liebknecht. „Allerdings geht's die Arbeiter zunächst nichts an, und das wissen sie und sagen: ä vous maintenant, MM. les bourgeois, faites votre jeu! Aber es ist doch für die Entwicklung Frankreichs von der höchsten Wichtigkeit, daß die jetzige Pause bis zur nächsten Arbeiterbewegung unter dem Regime einer bürgerlichen Republik vorgeht ... daß endlich der in Frankreich sinnlos gewordene Streit um die Staatsform aufhört und die Repuhlik als das erscheint, was sie ist: die klassische Form der Bourgeoisherrschaft und zugleich die ihrer hereinbrechenden Auflösung. Übrigens würdet Ihr den Sieg der Reaktion in Frankreich auch in Deutschland verdammt spüren" (siehe vorl. Band, S. 281/282). Diese Erklärung ist von prinzipieller Bedeutung für das Verständnis des dialektischen Zusammenhangs zwischen dem Kampf um Demokratie und dem Kampf um Sozialismus. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wurde die nach der Niederlage der Kommune eingetretene Stagnation der Arbeiterbewegung in Frankreich von einem neuen Aufschwung abgelöst. Das kam zum Ausdruck in der Einberufung einer Reihe von Arbeiterkongressen, in der Gründung der sozialistischen Zeitung „L*£galite" durch Jules Guesde (1877) und schließlich in der Gründung der Französischen Arbeiterpartei (1879).
Von großer Bedeutung für die Verbreitung des Marxismus in Frankreich war die 1872-1875 in Lieferungen erschienene französische Ausgabe des ersten Bandes des „Kapitals". Dieses Werk half, Voraussetzungen für die Gründung einer marxistischen Arbeiterpartei zu schaffen. Die oft zu wörtliche Übersetzung von Joseph Roy hatte Marx veranlaßt, „ganze passages französisch umzuschreiben, um sie dem französischen Publikum mundgerechter zu machen" (siehe Band 33 unserer Ausgabe, S.477). Er hatte für diese Arbeit sehr viel Zeit und Mühe verwandt, und so war nicht einfach eine französische Übersetzung, sondern eine selbständige französische Ausgabe des „Kapitals" entstanden. Die von Marx in die französische Ausgabe eingefügten Zusätze übernahm Engels 1883 in die dritte, einige noch 1890 in die vierte deutsche Auflage. Ein Sachregister, das Marx eigens für die französische Ausgabe angefertigt hatte, konnte aus Raumgründen nicht darin aufgenommen werden (siehe vorl. Band, S. 177). Mehrere Briefe von Marx, hauptsächlich an den französischen Verleger des „Kapitals", Maurice Lachätre, geben einen Eindruck von den großen Schwierigkeiten, die das reaktionäre Regime in Frankreich der Herausgabe und Verbreitung des „Kapitals" bereitete. 1880 erschienen in Frankreich mehrere Veröffentlichungen von Marx und Engels, die wesentlich zur Popularisierung des wissenschaftlichen Kommunismus unter den französischen Arbeitern beitrugen; so brachte z.B. die „Egalite" einen Wiederabdruck von Marx' „Elend der Philosophie" (siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 63—182), und in der „Revue socialiste" erschien erstmalig Engels' Broschüre „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", mit einer Vorbemerkung von Marx (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 177-228). Marx und Engels maßen der Schaffung einer marxistischen Arbeiterpartei in Frankreich außerordentliche Bedeutung bei. Hiervon zeugt z.B. eine Äußerung Marx* in einem nicht erhalten gebliebenen Brief an Jules Guesde, geschrieben etwa Ende 1878 oder Anfang 1879. Wie aus der Antwort Guesdes ersichtlich ist, hatte ihm Marx geschrieben, daß die Schaffung einer „unabhängigen und kämpferischen Arbeiterpartei von höchster Wichtigkeit" sei (siehe vorl. Band, S.505). Sie halfen den Führern der französischen Sozialisten unmittelbar, diese Arbeiterpartei zu gründen. Im Mai 1880 wurde während einer Zusammenkunft in London, an der Marx, Engels, Guesde und Lafargue teilnahmen, das Programm der Französischen Arbeiterpartei ausgearbeitet. Die theoretische Einleitung zum Programm wurde von Marx formuliert (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S.238). Dieses Programm, über das Marx in seinem Brief an Sorge II*
vom 5. November 1880 ein umfassendes Urteil abgab (siehe vorl. Band, S. 475/476), wurde im November 1880 auf dem Kongreß der Französischen Arbeiterpartei in Le Havre angenommen. In einem Brief an Bebel konnte Engels mit Genugtuung feststellen: „Auch in Frankreich geht's gut voran. Unsere kommunistische Ansicht bricht sich dort überall Bahn" (siehe vorl. Band, S.446). In England waren die Voraussetzungen für die Bildung einer sozialistischen Arbeiterpartei in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre noch nicht vorhanden. Die Monopolstellung der britischen Industrie auf dem Weltmarkt und die Ausbeutung des riesigen Kolonialreiches waren die ökonomische Grundlage, die das Entstehen einer relativ breiten Arbeiteraristokratie ermöglicht und die Entwicklung des revolutionären Kampfes des Proletariats gehemmt hatte. Engels bemerkte in seinem Brief an Bernstein vom 17. Juni 1879: „Die englische Arbeiterbewegung dreht sich seit einer Reihe von Jahren auswegslos im engen Kreis der Strikes um Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit, und zwar ... als letzten Zweck" (siehe vorl. Band, S.378). Und Marx hatte bereits am 1 I.Februar 1878 in einem Brief an Liebknecht voller Besorgnis festgestellt, die englische Arbeiterklasse bilde „nur noch den Schwanz der großen liberalen Partei, d.h. ihrer Knechter, der Kapitalisten", und ihre Führung sei „ganz übergegangen in die Hände der verkäuflichen Trades-Union-Führer und Agitatoren von Handwerk" (siehe vorl. Band, S.320). In einer Reihe von Briefen übte Marx scharfe Kritik an reformistischen Führern der englischen TradeUnions wie Mottershead, Howell, Haies und anderen. Besonderes Interesse verdient Marx' Brief an Hyndman vom 8. Dezember 1880, in dem Marx von dem möglichen Charakter künftiger revolutionärer Umwälzungen in England sprach und die Möglichkeit andeutete, daß die Revolution in diesem Lande ohne Gewaltanwendung, auf dem Wege friedlicher Entwicklung vollzogen werden könnte, wenn die Arbeiterklasse die Rechte und die Freiheiten, die sie bereits legal besaß, richtig zu benutzen lernte (vgl. vorl. Band, S.482). In den siebziger Jahren verstärkten sich die Beziehungen der Begründer des Marxismus zur revolutionären Bewegung in Rußland. Mit vielen russischen Revolutionären und anderen Vertretern des öffentlichen Lebens Rußlands standen sie in regem Briefwechsel, das bezeugen z. B. die im vorliegenden Band enthaltenen Briefe an G.A. Lopatin, P.L.Lawrow, W.N. Smirnow, N. F. Danielson, M. M. Kowalewski und M. K. Gorbunowa. Das große Interesse, das Marx und Engels für Rußland bekundeten, wurde letztlich bestimmt durch ihre Überzeugung, daß die russische revolutionäre Bewegung in dem
gemeinsamen Schicksal des internationalen Proletariats eine hervorragende Rolle spielen werde. Der Gedanke, daß der russischen Revolution welthistorische Bedeutung zukomme, findet sich in den Briefen von Marx und Engels immer wieder. Wenn man von Deutschland und Österreich absehe, schrieben sie, so sei das Land, auf das man am meisten aufmerksam sein müsse, Rußland. Hier müsse zuerst die Revolution beginnen. „Wenn dies geschieht zu der Zeit, wo der unvermeidliche Krieg zwischen dem deutsch-preußischen Reich und Rußland im Gang ist, ... so ist der Rückschlag auf Deutschland unvermeidlich" (siehe vorl. Band, S. 162/163). „Die Revolution beginnt diesmal im Osten, wo das bisher unverletzte Bollwerk und die Reservearmee der Kontrerevolution." Die Revolution in Rußland „wird der nächste Wendepunkt der Weltgeschichte". Rußland stehe „am Vorabend einer weltgeschichtlichen Krisis". Dieses Land hat „eine Bewegungspartei von unerhörter Aufopferungsfähigkeit und Energie erzeugt" (siehe vorl. Band, S.296, 433 und 449). W.I.Lenin wies auf ähnliche Äußerungen der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus hin und faßt in seinem bekannten Vorwort zur russischen Übersetzung des Sorge-Briefwechsels die Ansichten von Marx und Engels über die Perspektiven der russischen Revolution wie folgt zusammen: „Es ist durchaus natürlich, daß Marx und Engels ... vom freudigsten Glauben an die russische Revolution und ihre gewaltige Bedeutung für die ganze Welt erfüllt waren. Durch eine Zeitspanne von fast zwanzig Jahren können wir in dem vorliegenden Briefwechsel dieses leidenschaftliche Warten auf die Revolution in Rußland verfolgen." (W.I. Lenin: Werke, Band 12, Berlin 1959, S.374.) Gerade weil Marx und Engels solche Hoffnungen auf die welthistorischen Folgen einer Revolution in Rußland setzten, verfolgten sie so aufmerksam alle Prozesse und Ereignisse, die den Zeitpunkt dieser revolutionären Explosion näherrücken konnten. Daraus erklärt sich auch ihre Haltung zum RussischTürkischen Krieg 1877/78. Marx und Engels waren der Ansicht, daß die Niederlage des zaristischen Rußlands wünschenswert wäre, dasiedie soziale Umwälzung in Rußland selbst und den revolutionären „ Umschwung in ganz Europa" sehr beschleunigen würde. Andererseits werteten sie auch die Tatsache als positiv, daß das Kriegsergebnis zum weiteren Zerfall des türkischen Reichs beigetragen hatte (siehe vorl. Band, S. 317-319). Ungeachtet der eigennützigen politischen Ziele des Zarismus im Russisch-Türkischen Kriege trugen die Siege der russischen Armee objektiv zur nationalen Wiedergeburt der Balkanvölker und zur Herstellung ihrer staatlichen Souveränität bei.
Die Briefe von Marx und Engels zeugen von der mannigfachen Hilfe, die die Führer des Proletariats der russischen revolutionären Bewegung zu leisten bemüht waren. Einzelne Beispiele solcher konkreten Hilfe, über die uns der Briefwechsel unterrichtet, sind u.a. die Instruktionen für den irischen Abgeordneten O'Clery, der auf Marx' Veranlassung im englischen Parlament über die Repressalien in Rußland sprach (siehe vorl. Band, S. 256/257), und die entschiedene Ablehnung eines verleumderischen Artikels über die russische revolutionäre Literatur (siehe vorl. Band, S. 84); oft sorgten sie für die Unterstützung russischer revolutionärer Emigranten. Bei der theoretischen Schulung der russischen revolutionären Sozialisten spielte die russische Ausgabe des „Kapitals" eine bedeutende Rolle. Sie war die erste Übersetzung des Hauptwerks von Marx in eine andere Sprache. Marx übermittelte Danielson in seinen Briefen aus dem Jahre 1878 Hinweise für Änderungen, die in der zweiten russischen Auflage des ersten Bandes des „Kapitals" vorgenommen werden sollten. Im Jahre 1880 konnte Marx mit tiefer Genugtuung feststellen, daß „in Rußland ... das .Kapital* mehr gelesen und anerkannt" wird „als irgend sonstwo" (siehe vorl. Band, S.477). Marx und Engels festigten die internationalen Beziehungen der europäischen Arbeiterbewegung zur Befreiungsbewegung in Rußland. Sie wirkten darauf hin, daß die sozialistischen Parteien und vor allem die deutschen Sozialdemokraten die russische revolutionäre Bewegung aufmerksam ververfolgten und ihre gewaltige Bedeutung für das Schicksal der proletarischen Revolution in Europa und für die Entwicklung des revolutionären Prozesses in der ganzen Welt erkannten. Aus der Korrespondenz der Jahre 1875 bis 1880 geht weiterhin hervor, daß Marx und Engels auch die Arbeiterbewegung in der Schweiz, in Italien, Portugal, Dänemark, den USA und in anderen Ländern mit großem Interesse verfolgten. Die Briefe des vorliegenden Bandes und die Beilagen bieten schließlich auch wertvolles biographisches Material. Sie vermitteln dem Leser ein lebendiges Bild dieser Persönlichkeiten, dieser unermüdlichen Streiter für die Sache des Proletariats, und geben Auskunft sowohl über die gewaltige wissenschaftliche und politische Tätigkeit der Freunde als auch über Freud und Leid in ihrem persönlichen Leben.
*
Dieses Vorwort folgt im wesentlichen dem Vorwort zum Band 34 der zweiten russischen Ausgabe. 233 Briefe des vorliegenden Bandes werden nach den Photolcopien der Handschriften gebracht. Ein sorgfältiger Vergleich mit diesen Unterlagen ermöglichte es, in einer Reihe von Fällen Entzifferungsfehler früherer Ausgaben zu berichtigen. Als Beispiel seien genannt: „12000 £", bisher „1200 £" (S.8); „sind die Herren Anarchiedoktoren futsch", bisher „sind die Herren Anarchiedoktoren hübsch" (S.37); „Meine eigentümliche Manier", bisher „Manie" (S.39); „antimilitärische coups de tete", bisher „antimilitaristische coups de tete" (S.55); „zeitgemäß", bisher „sachgemäß" (S.60); „sozialistische Revue", bisher „soziale Revue" (S.61); „Ich sehe nur mit Bedauern", bisher „Ich sehe auch ..." (S.72). Engels' Briefe an Bebel vom 15. Oktober 1875, 4. August, 14. November, 24. November, 16. Dezember 1879 und von Anfang Mai 1880, die bereits einmal auf der Grundlage maschinengeschriebener Abschriften veröffentlicht worden waren, konnten für unsere Ausgabe mit den Handschriften verglichen werden. Von 28 Briefen liegen uns nur die Handschriften der Entwürfe bzw. Notizen vor, über den Verbleib der Briefe selbst sind wir nicht unterrichtet. Wir weisen diese Fälle im Kopf der Texte aus. Alle in den Entwürfen gestrichenen Wörter, Satzteile und Sätze wurden gewissenhaft überprüft. Soweit sie im Vergleich mit dem übrigen Text des Entwurfs mehr oder anderes aussagen, werden sie in Fußnoten wiedergegeben. Dasselbe gilt sinngemäß für solche Briefe, von denen uns die Handschrift sowohl des Entwurfs als auch der abgesandten Fassung vorliegt. Von 15 Briefen besitzen wir keine Handschriften und von 3 Briefen nur einen Teil der Handschrift. Sie werden nach maschinengeschriebenen oder handgeschriebenen Abschriften von unbekannter Hand, nach Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Publikationen gebracht. Die jeweiligen Redaktionsunterlagen werden im Fuß des Briefes angegeben. In Anmerkungen wird mitgeteilt, ob und wo dieser Brief bereits vorher veröffentlicht wurde. Es sei schließlich noch hingewiesen auf einige Briefe, die im Teil B der Beilagen gebracht werden, da in diesen Fällen die Redaktionsunterlagen keine gesicherte Wiedergabe des Marx-Textes ermöglichen (siehe vorl. Band, S. 503-506). 41 Briefe sind in der Handschrift französisch, 23 englisch, mehrere zweisprachig (deutsch/französisch, deutsch/englisch, englisch/französisch) geschrieben. Sie wurden ins Deutsche übersetzt, bereits vorliegende Über
Setzungen neu überprüft. Für die Wortwahl bei Übersetzungen wurden entsprechende deutschsprachige Texte aus Briefen und Werken von Marx und Engels zum Vergleich herangezogen. Alle eingestreuten Wörter aus anderen Sprachen blieben in der Originalfassung. Sie werden in Fußnoten erklärt. Die von Marx und Engels angeführten Zitate wurden - wenn die Quellen zur Verfügung standen - überprüft, fremdsprachige Zitate in Fußnoten übersetzt. Rechtschreibung und Zeichensetzung sind, soweit vertretbar, modernisiert. Der Lautstand und die Silbenzahl in den deutschsprachigen Briefen wurden nicht verändert. Allgemein übliche Abkürzungen wurden beibehalten. Alle anderen in der Handschrift abgekürzten Wörter wurden ausgeschrieben, wobei die Ergänzung von Namen und Zeitungstiteln sowie von solchen abgekürzten Wörtern, die nicht völlig eindeutig sind, durch eckige Klammern kenntlich gemacht wird. Alle Wörter und Satzteile in eckigen Klammern stammen von der Redaktion. Offensichtliche Schreibund Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert; in allen anderen Fällen wird in Fußnoten die Schreibweise der Handschrift angegeben. Pseudonyme sowie Bei- und Spitznamen sind entweder durch Fußnoten oder durch Verweise im Personenverzeichnis erklärt. Zur Erläuterung wurden dem Band Anmerkungen beigefügt, auf die im Text durch hochgestellte Ziffern in eckigen Klammern hingewiesen wird. Sie sollen sowohl Verbindungen zu den Arbeiten von Marx und Engels herstellen - vor allem zu den 1875-1880 entstandenen Werken, die in den Bänden 19 und 20 unserer Ausgabe veröffentlicht sind -, als auch Daten aus dem Leben und der Tätigkeit von Marx und Engels vermitteln, sowie Erläuterungen zu einzelnen Fakten und Personen geben. Unser Prinzip war hierbei, Quellen auszunutzen, die nicht jedem Leser ohne weiteres zur Verfügung stehen, z.B. zeitgenössische Publikationen, Briefe dritter Personen an Marx und Engels usw.; in vielen Anmerkungen werden Auszüge aus Briefen deutscher Arbeiterführer zitiert und hierdurch zum Teil erstmalig einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht. Ferner enthält der Band ein Literaturverzeichnis, ein Personenverzeichnis, ein Verzeichnis literarischer und mythologischer Namen und eine Aufstellung der Briefe, deren Datierung gegenüber früheren Ausgaben auf Grund neuer Erkenntnisse verändert wurde.
Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED
KARL MARX und
FRIEDRICH ENGELS
Briefe Januar 1875 - Dezember 1880

Erster Teil Briefwechsel zwischen Marx und Engels
Februar 1875 - September 1880

i
Marx an Engels in London111
[London, Februar/März 1875] Drauf hin, aber1 in lusti[ger]2 Manier. So dumm, daß Bakun[in] mitgearbeitet haben kann. PeterTk[atschow] will vor allem den Lesern [sagen]2, daß Du ihn als Deinen Gegner behandelt, und erfindet daher allerlei nicht stattgefundne Streitpunkte.
1 Bis hierher mit Bleistift geschrieben - 2 Papier beschädigt
2
Marx an Engels in Ramsgate121
21. August 75 Germania, Schloßplatz Karlsbad
Lieber Fred, Vorigen Sonntag kam ich hier an.'31 Dr. Kraus War schon wieder fort nach Gmund, wo er mit Familie; hat seine Verhältnisse mit seiner Frau rearrangiert. Wie ich mir vorgenommen, bin ich jetzt mein eigner Arzt, und wie Dr. Gans mir mit stiller Wehmut vertraute, ist das bei einem Dritteil der älteren Badegäste der Fall. Sehr heilkräftig wirkt auch auf mich die Abwesenheit meines Leibarztes Kugelmann.[41 Trotz dem Personenwechsel sieht das Publikum hier einmal wie das andremal aus: der average man des Quetelet[51 bildet die Ausnahme; statt dessen überwiegen die Extreme, Faßdicke und Spindeldürre. Ich bin wenigstens 12 Stunden im Freien, und nach Absolvierung des Geschäfts besteht mein Hauptvergnügen darin, neue Spaziergänge, Punkte, Aussichten in den Bergwaldungen zu entdecken, und bin dabei um so mehr Überraschungen ausgesetzt, je weniger Orientierungssinn ich besitze. Von heute an, - wo ich Zettel für Zahlung der Kurtaxe erhalten, bin ich polizeilich sicher. Ich schrieb mich ein als Dr. phil. und nicht als Rentier, was dem Beutel zugut kommt. Mein Namensgenosse, der Polizeidirektor von Wien, ist so artig, immer gleichzeitig mit mir einzutreffen. Gestern abend ging ich in den Hopfenstock, der durch sein Bier berühmt ist, mein Glas Gießhübler Mineralwasser trinken. Es waren da Karlsbader Philister, und das ganze Gespräch drehte sich um die hier unerschöpfliche Streit- und Parteifrage über die respektiven Vorzüge des alten Pilsener, des bürgerlichen und des Aktienbiers. Jo, sagte der eine, in dem alten vertrage ich 15 Gläser (und die sind groß) wie nichts. Nu, sagte der andre, ich war auch Parteimann, aber jetzt stehe ich über diesen Zänkereien. Ich trinke sie edle durcheinander mit gleichem Erfolg usw. Neben diesen
weisen natives1 saßen aber auch zwei Berliner swells2, Referendarien oder dergleichen. Die stritten über die Vorzüge des Kaffees in den verschiednen berühmten Karlsbader Restaurationen, und der eine versicherte mit feierlichem Ernst: Es ist statistisch (!) erwiesen, daß der Kaffee im Garten von Schönbrunnen der beste ist. Dazwischen schrie ein native: Unser Böhmen ist doch groß, leistet Großes. Sein Pilsener Bier wird in alle Lande verschickt; in Paris hat der große Brauer Salzmann jetzt eine Filiale, es geht auch nach Amerika! Leider können wir unsre großen Felsenkeller ihnen nicht mitschicken, und die gehören zum Pilsener! Nachdem ich Dir nun meine bis jetzt hier neu gewonnenen Einsichten in das Weltgetriebe in nuce3 mitgeteilt, einiges über meine Reiseerlebnisse. In London stieg in unsren wagon in großer Hast ein pfiffig aussehendes Jüdel, mit einem kleinen Koffer unter dem Arm. Kurz vor Harwich sucht er nach Schlüsseln, um seinen Koffer zu öffnen und zu sehn, wie er sagt, ob sein Kontorbursche das nötige Kleiderzeug eingepackt. „Denn ich bekam", sagte er, „im Kontor von meinem Bruder aus Berlin Telegramm, sofort abzureisen nach Berlin, schickte also den Burschen nach meinem Haus, um den nötigen Kram zu holen." Nach vielem Hin- und Hersuchen findet er endlich, zwar nicht den wahren Schlüssel, aber doch einenSchlüssel, der öffnet, und entdeckt, daß Hose und Rock nicht zusammengehören, daß Nachthemden, Überrock etc. fehlen. Auf dem Schiff eröffnet mir das Jüdel sein Herz. „So eine Betriegerei ist noch nicht in der Welt gewesen", rief er aber und abermals. Die Geschichte war die: Ein deutscher Yankee namens Börn- oder Bernstein, ihm empfohlen von seinem Berliner Freund Neumann, hat ihn um 1700 £ geprellt, ihn, der für einen der gescheidesten Handelsleit gilt! Dieser Bursche, der angeblich afrikanischen Handel treibt, zeigte ihm Rechnungen vor für viele 1000 £ Waren, die er in Bradford und Manchester gekauft bei den ersten Häusern; das Schiff damit liegt in Southampton. Er gab ihm darauf den verlangten Vorschuß. Da er aber weiter nichts von dem'Mann hört, wird's ihm bang. Er schreibt nach Manchester und Bradford, zeigt mir auch die Antwortsbriefe, des Inhalts: Der Börnstein habe bei ihnen Muster genommen und Waren gekauft, der Preis für beide sollte bei Abnahme der Waren gezahlt werden; die Rechnungen waren nur formell; Waren nie abgenommen worden. In Southampton wird Beschlag belegt und findet sich, daß die verschifften Waren des Bernstein] nur aus Ballen bestehn, die mit Strohmatratzen gefüllt sind. Unser Jüdel, den außer den 1700 £ noch vor allem ärgerte, daß man einen so
1 Einheimischen - 3 Stutzer - 3 in Kürze
geriebnen Handelsmann übers Ohr geKauen, schrieb an seinen Freund Neumann und an seinen Bruder in Berlin. Letzterer hatte ihm telegraphisch mitgeteilt, man habe den B[örnstein] in Berlin entdeckt, Polizei benachrichtigt, die ihn überwache, er müsse sich flugsstreichs auf den Weg machen. Wollen Sie, fragte ich, den Mann gerichtlich packen? „Bei Laibe nicht. 'S Geld will ich ihm abnehmen." Ich: Das wird er verjubelt haben. Er: „Bei Laibe nicht! Hat er doch in der City" (und nun zählte er alle möglichen Kerls auf) „die Lait um 12 000 £ beschwindelt. Mich muß er zahle. Die andre kenne sehn, wo sie ihn fasse." Das beste war, daß bei unsrer Ankunft in Rotterdam sich herausstellte, daß er nur bis Minden fahren und dort erst andrentags um 11 Uhr vormittags abreisen könne. Der Kerl schimpfte wie toll auf die Railway Administration4. Half alles nichts. Auf dem Schiff hatten wir sonderbaren Gast - einen Toten. Sein Führer war ein rothaariger Deutscher; erzählte mir, der Tote heiße Nassauer, junger Mann von 34 Jahren aus Mainz, kam zum Besuch nach London, überfahren, seine Familie wollte ihn zu Haus bestattet haben. Auch der Leichenführer konnte nicht gleich Weiterreisen. Der Schiffskapitän erklärte ihm, sie könnten den Toten nicht herausgeben, bis er gewisse Formalitäten bei dem deutschen Konsul erfüllt habe. Zwischen Köln und Frankfurt (ich reiste in einem fort durch) stieg ein katholischer Pfaffe5 ein von weltmännischem Aussehn. Aus seiner Unterhaltung mit den andern ersah ich, daß er von Dublin, wo er der O'Connellfeier161 beigewohnt, zurückkehre nach Frankfurt, seinem Wohnsitz. Er erzählte sehr lebhaft. Bei Koblenz, wo die Wagen gewechselt wurden, kam ich allein mit ihm in Waggon. Er hatte die neue Route über Vlissingen gemacht: das Boot offenbar unendlich der Harwicher Dreckshuite^71 vorzuziehn. Ich suchte ihn über den Kulturkampf'81 auszunehmen. Er war aber im Anfang mißtrauisch und äußerst reserviert, sprach jedoch mit großem Enthusiasmus von der Beredsamkeit des Monsignore Cappele. Endlich kam mir der Heilige Geist zu Hilfe. Der Pfaff zog seine bottle heraus, sie war leer; und nun erzählte er mir, daß er seit seiner Ankunft in Holland hungre und dürste. Ich bot ihm die Cognacbottle, die ihn nach wenigen Zügen in den Zug brachte. Er ging nun ins Geschirr nach Herzenslust. Wenn Passagiere einstiegen, machte er schlechte Witze mit ihnen in der Muttersprache, setzte aber sein Gespräch mit mir in englischer Sprache fort, die er sehr gut spricht. „Unsere Freiheit im Deutschen Reich ist so groß, daß man über den Kulturkampf englisch kauderwelschen muß." Eh
4 Eisenbahnverwaltung - 5 Mutzelberger
wir in Frankfurt abstiegen, sagte ich ihm, meinen Namen jedoch geheimhaltend, er dürfe sich nicht wundern, wenn er nächster Tage in den Zeitungen von einer neuen Konspiration zwischen der schwarzen und der roten Internationalen191 lese. In Frankfurt erfuhr ich (auf der Redaktion der ,,F[ran]kf[urter] Z[eiturig]"), mein Begleiter sei der Herr Mutzelberger gewesen, der gewissermaßen den katholischen Bischof dort ersetze. Er wird auch meinen Namen in der „Fkf. Z." (die er liest) gefunden haben. Sie brachte eine Notiz über meine Durchreise.1101 Sah den Sonnemann, der eben wegen der verweigerten Namensabgabe des Korrespondenten wieder vor Gericht gewesen und abermals 10 Tage Aufschub, aber diesmal zum letztenmal, erhalten hatte.1111 S{onnemann] ist ein Weltmann, dem man jedoch das Bewußtsein seiner Wichtigkeit ansieht. Er setzte mir in längerer Unterredung auseinander, sein Hauptzweck sei, das Kleinbürgertum in die sozialdemokratische Bewegung zu ziehn. Die Finanzkraft seines Blatts liege darin, daß es das anerkannt beste Börsen- und Handelsblatt von Süddeutschland sei. Über den Dienst, den seine Zeitung als politischer Kolporteur der Arbeiterpresse Iiefre, sei er völlig im klaren. Andrerseits aber tue diese Partei nichts für ihn. So habe er z.B. den Vahlteich als Korrespondent engagiert gehabt; diesem sei aber die Korrespondenz vom Vorstand der Koalisierten'121 verboten worden. Liebknecht trete im Reichstag zu sehr als Demagog auf; Bebel dagegen finde die allgemeinste Anerkennung etc. Ich werde ihn wiedersehn bei der Rückreise. Dr. Guido Weiß, der auf einige Tage zum Besuch bei seiner Tochter (Frau von Dr. Stern, einem von den Redakteuren der „F. Z."), sah ich auch. Wäre ich einige Minuten früher auf die Redaktion gekommen, so passierte mir ein Unglück - Zusammenstoß mit Karl Mayer aus Schwaben (dem Ex-Mann des „Beobachters"). Nebenbei: Geschäft in Frankfurt und allen Haupthandelsplätzen geht noch viel schlechter, als man aus den deutschen Zeitungen sieht. Dein Freund Cafiero wohnt bei Bakunin und hat ihm auch das Haus in Lugano gekauft. Und nun vale faveque6. Ich muß wieder ins Geschäft. Besten Gruß an Madame Lizzy. Dein Mohr
6 lebe wohl und bleib mir zugetan
3
Marx an Engels in Ramsgate121
den ich eigenhändig, präsente Dr. Gans junior, am 18. August auf dem hiesigen Hauptpostamt an sie abgab, unterschlagen worden, zweifelsohne durch die preußische Post. Die späteren sind angekommen; der letzte, den ich vergangne Woche an sie schickte, scheint wieder das Schicksal des ersten geteilt zu haben, da ich sonst wohl schon Antwort von ihr hätte.1131 Die Kur[3! bekömmt mir diesmal ganz vorzüglich; mit wenigen Ausnahmen auch gute Nächte. Doch bin ich auch, nach der Aussage der zahlreichen mir befreundeten Arzte, der Musterkurgast von Karlsbad. Diese Herrn haben sich selbst hier und da bestrebt, mich von dem Wege des „Heils" abzulenken, unter dem Vorwand „praesente medico"1 etc., doch scheiterten die Versucher. Als Patient des zweiten Jahrs bin ich heraufgerückt in der Rangliste der Brunnen. Voriges Jahr waren Theresienbrunn (41 °R), Marktbrunn (39°) und Mühlbrunn (43,6°) meine Zufuhrquellen, während ich nur zweimal ein Glas Sprudel nahm. Dies Jahr, seit der zweiten Woche, Felsenquelle (1 Glas täglich) (45° R), Bernardsbrunn (53,8°) (2 Glas) und Sprudel (2 Glas), 59-60°R; macht 5 Gläser Heißes jeden Morgen, wozu noch ein kaltes Schloßbrunn beim Aufstehn und eins beim Schlafengehn hinzukommen. Das Sprudelwasser besteht, nach Analyse von Prof. Ferd. Ragsky: In 16 Unzen = 7680 Gr. Schwefelsaures Kali .. Schwefelsaures Natron Chlornatrium Kohlensaures Natron 1,2564 18,2160 7,9156 10,4593
1 „im Beisein des Arztes'
Kohlensaurer Kalk 2,2870 Kohlensaures Magnesia 0,9523 Kohlensaures Strontian .. 0,0061 Kohlensaures Eisenoxydul 0,0215 Kohlensaures Manganoxydul 0,0046 Phosphorsaure Tonerde 0,0030 Phosphorsaurer Kalk 0,0015 Fluorcalium 0,0276 Kieselerde.... 0,5590 Summa der fixen Bestandteile 41,7099 Freie und halbgebundene Kohlensäure 5,8670 Unter den Kerls, die hier zum Sedanfest1141 aufriefen, war Gustav Köttgen, Kaufmann aus Barmen; sollte der mit dem alten Narren zusammenhängen1151? Du mußt Dich in acht nehmen; Karl Grün macht Dir Konkurrenz, wird nächstes Frühjahr ein naturphilosophisches Werk herausgeben, hat schon präludiert in der Berliner „lVage"[16\ die Weiß mir aus Berlin geschickt hat. Ich reise Sonnabend hier ab, zunächst nach Prag2, da ich heute Brief von Oppenheim von dort erhalten. Von Prag wird's über Frankfurt gehn. Soeben kommt Dr. Fleckles und nimmt mich zum Essen ab. Also aus dem langen Brief wird nichts; auch sagt F[leckles], es sei nicht kurgemäß. Beste Grüße an Madame Lizzy. Dein Mohr
2 siehe vorl. Band, S.150
1876
4
Engels an Marx in London'171
3, Adelaide Gardens Ramsgate, 24. Mai 76
Lieber Mohr, Soeben empfange ich inl. beiden Briefe.'181 Der Fluch der bezahlten Agitatoren, der Halbgebildeten, fällt schwer auf unsre Partei in Deutsch^ land. Wenn das so fortgeht, so werden bald die Lassalleaner die klarsten Köpfe sein, weil sie am wenigsten Unsinn aufnehmen und Lassalles Schriften die am wenigsten schädlichen Agitationsmittel. Ich möchte wissen, was dieser Most eigentlich von uns will, und wie wir verfahren sollen, um es ihm recht zu machen. Es ist klar: in der Vorstellung dieser Leute hat sich Dühring durch seine hundskommunen Angriffe gegen Dich uns gegenüber unverletzlich gemacht, denn wenn wir seinen theoretischen Blödsinn lächerlich machen, so ist das Rache gegenüber jenen Personalien! Je gröber D[ühring], desto demütiger und sanftmütiger müssen wir sein, und daß Herr Most nicht noch verlangt, außer Herrn D[ühring] seine Schnitzer (als wenn es sich um bloße Schnitzer handelte) wohlwollend und privatim aufzudecken, damit er sie in der nächsten Ausgabe'191 beseitige, ihm auch noch den Allerwertesten zu küssen, ist in der Tat eine wahre Gnade. Dieser Mensch, Most meine ich, hat es fertiggebracht, das ganze „Kapital" zu exzerpieren'201 und doch nichts draus zu kapieren. Das beweist dieser Brief schlagend, und damit ist der Kerl charakterisiert. All dergleichen Blödsinn wäre unmöglich, wenn statt Wilhelms1 ein Mann von nur einiger theoretischer Einsicht an der Spitze stände, jemand, der nicht jeden nur möglichen Blödsinn - je toller, desto besser - mit Wollust drucken ließe, und den Arbeitern mit der ganzen Autorität des „Volksstaats" empföhle. Enfin2,
1 Wilhelm Liebknecht - 2 Kurz
die Geschichte hat mich wütend geärgert, und es fragt sich, ob es nicht an der Zeit sein wird, unsre Stellung vis-ä-vis diesen Herren in ernstliche Erwägung zu ziehn.1211 Für den dummen Wilhelm ist das alles nur ein erwünschter Vorwand, auf Manuskript zu pressen. Welch ein Parteiführer! Aus der gestrigen ,,D[aily] News" eine interessante Korrespondenz aus Konstantinopel liegt bei; man kann dem Mann um so eher glauben, als ihm die Softarevolution1221 sehr gegen die Haare geht. Die Geschichte im Orient fängt an to come to a head3, der serbische erneuerte Anleiheversuch1231, dito Wechselsuspendierung und die neuen Forderungen der herzegowinischen Insurgenten1241 zeigen, wie Rußland dort schiebt und drängt. Ich bin begierig, wie's weitergeht. Hier haben wir heute den ersten Regentag, gestern war's nur ein kurzer Schauer. Ich hoffe, es geht bei Jenny fortwährend alles gut.1251 Lizzie und ich grüßen Euch alle, Longuets und Lafargues bestens. Dein F.E.
Ich sehe eben, daß Wilh[elm] mir das ganze Mostsche Manuskript1261 unter Kreuzband zugeschickt hat. Wer weiß, ob das international zulässig ist und also, ob es ankommt! Willst Du mal nachsehn gehn, ob es dort ist, und if so4, mir zuschicken, ich bleibe noch bis Freitag nächste Woche hier. Mrs. Leeson wird Dir zeigen, wo sie die für mich eingegangenen Papiere etc. aufbewahrt.
3 sich zuzuspitzen - 4 wenn dies der Fall
5
Marx an Engels in Ramsgate[171
[London] 25. Mai 1876
Lieber Fred, Ich lege gleichzeitig mit diesem Brief das angekommne Manuskript des Most126' in seiner eignen Unterpackung auf Post. Einliegenden Wisch von Wilhelm1 habe ich eröffnet, weil ich ihn auch bezüglich auf das Mostsche hielt. Außerdem hatte ich zur Einlage an Dich mit von Deinem Haus genommen eine Zusendung der Great Northern Railway2, weil ich es für etwas Geschäftliches hielt, finde aber jetzt, daß es bloßes Programme of Tourist Arrangements3. Meine Ansicht ist, daß „Stellung vis-a-vis dieser Herrn" nur genommen werden kann, indem ohne alle Rücksicht Dühring kritisiert wird. Er hat offenbar unter den ihm zugetanen literarischen Knoten-5/refiern gewühlt, um solche Kritik zu verhindern; sie ihrerseits rechneten auf Liebknechts ihnen wohlbekannte Schwäche. Liebknecht hatte, by the by4, und dies muß ihm gesagt werden, die Pflicht, diesen Burschen zu erklären, daß er wiederholt solche Kritik verlangt und wir jahrelang (denn die Geschichte beginnt seit meiner ersten Rückreise von Karlsbad'271) dies als eine zu subalterne Arbeit abgelehnt. Die Sache, wie er weiß und wie seine Briefe an uns beweisen, schien erst der Mühe wert, als er durch wiederholte Zusendung von Knotenbriefen uns auf die Gefahr einer Verflachungspropaganda unter der Partei aufmerksam gemacht.'211 Was Herrn Most in specie5 betrifft, so muß er naturgemäß den Dühring für einen gediegnen Denker halten, weil selbiger nicht nur in Vorlesung vor Arbeitern in Berlin, sondern später auch schwarz auf weiß gedruckt die Entdeckung verbreitet hat, daß Most erst etwas Vernünftiges aus dem „Kapital" gemacht hat.'281 Dühring schmeichelt systematisch diesen Knoten, als wessen sie sich unsrerseits nicht zu beklagen haben. Der Ärger von Most und Comp, über die Art, wie Du den schwäbischen Proudhonianer
J Wilhelm Liebknecht - s Eisenbahngesellschaft - 8 Reiseprospekt - 4 nebenbei bemerkt 5 im besonderen
mundstill gemacht1291, ist charakteristisch. Es ist ein warnendes Exempel, wovor ihnen grauet, und sie wollen solch Verfahren ein für allemal auf dem Weg des Klatschs, gesinnungstüchtiger Bonhomie und entrüsteter Bruderliebe verunmöglichen. Allerdings ist und bleibt die Wurzel - Liebknechts Manuskriptmangel, worin überhaupt sein Redakteurtalent sich zu konzentrieren scheint. Die Kleinlichkeit, womit er vermeidet, Beckers Geschichte der französischen Kommune auch nur mit einem Wort anzuerkennen, oder wenigstens ein paar Auszüge daraus zu geben, beweist jedoch, daß auch der Manuskriptmangel nicht alles überwindet. Du wirst Dich erinnern, daß ich Dich vor kurzem, als wir über die Türkei sprachen, auf die Möglichkeit einer Puritaner- (auf den Koran gestützten) Partei unter den Türken hinwies. Dies ist nun eingetreten. Nach einer Korrespondenz aus Konstantinopel an die ,,F[ran]kf[urter] Z[eitung]" bezweckt man, den Sultan, wenn's so fortgeht, zu beseitigen und an dessen Stelle seinen Bruder zu setzen.1301 Der Korrespondent, der Türkisch spricht und sich persönlich viel mit den Türken in Konstantinopel abgibt, hebt u. a. hervor, daß sie genau das Spiel des Ignatjew kennen, von dem alle beunruhigenden Gerüchte unter den Christen in Konstantinopel ausgehn. Eins ist sicher: die Türken sind nicht aus der Welt zu schaffen without harness on their back6, und die Russen, die nicht wagten (oder auch von wegen Geldmangel unfähig waren), den geeigneten Moment durch rasches Handeln am Schopf zu fassen, mögen vielleicht noch mehr zum Aufbruch ihres Regimes zu Hause, als zu dem der Türken in Europa durch das gegenwärtige Adventure7 beitragen. Jennychen ist wohl, der Kleine aber etwas leidend, doch nach dem Arzt nichts von Belang. Er wird benamst Jean (Name von Longuets Vater) Laurent (nickname of Laura8) Frederick (zu Deiner Ehre). Die Leute von Kopenhagen haben mich zu einem Arbeiterkongreß (Anfang Juni)1311 eingeladen per Telegramm und per Brief an Pio (der Montag abgereist). Es ist dies eine phantastische Vorstellung, daß ich jetzt dergleichen Gastvorstellungen geben könne. Unser Park ist heute mit Brettern geschlossen. Komisch, wie in England die altgermanischen Gebräuche als Kuriosa fortdauern. Es ist dies die Bewahrung des „echten freien Eigen" durch Umzäunung und daher Scheidung aus der gemeinen Mark.
6 ohne sie an die Kandare zu nehmen - 7 Abenteuer - 8 Spitzname von Laura Lafargue
Pumps hat lange Briefe an meine Frau und Tussy geschrieben. Wenn's auch mit der Orthographie hier und da hapert, so hat sie, was viel wichtiger, wahrhaft staunenswerte Fortschritte in Stil und Beweglichkeit des Ausdrucks gemacht. Beste Grüße an Madame Lizzy. Dein K.Marx
Welcher Esel ist der Dizzy geworden! In diesem Moment, wo England ganz isoliert, besteht er darauf, etwas über ein Dutzend Fenians für sich zu behalten!1321 Was den „Richter9" betrifft, so sollte Liebknecht bei solchen Warnungen sich nicht auf bloße hints10 beschränken.1331 Die Möglichkeit existiert, daß mein Adreßbuch mit R[ichter] fortgewandert ist; doch glaub' ich's einstweilen nicht. Daß Eichhoff für Arnim arbeitet, war uns ja lang vor Liebknecht bekannt und ist bei E[ichhoff]s Haß gegen Bismarck und Stieber durchaus nichts Verwunderliches. Notabene, in der „Fkf. Zeitung" steht preußischer Steckbrief gegen Arnim, wonach ihm sein Geld abgenommen und er an die Berliner Polizei ausgeliefert werden soll, den auswärtigen Behörden aber Rückerstattung der Kosten und gegenseitige Gefälligkeit zugesichert werden ! (Dies von wegen seiner schon abgeurteilten U r kundenunter schlagung.
9 Dmitri Iwanowitsch Richter -10 Andeutungen
6
Engels an Marx in London
Ramsgate, 28. Mai 76
Lieber Mohr, Du hast gut sprechen. Du kannst im warmen Bett liegen - russische Bodenverhältnisse im besondern und Grundrente im allgemeinen treiben, und nichts unterbricht Dich -, ich aber soll auf der harten Bank sitzen und den kalten Wein saufen, plötzlich wieder alles unterbrechen1351 und dem langweiligen Dühring auf den Pelz rücken1211. Indes, es wird wohl nicht anders gehn, wenn ich mich auch in eine Polemik einlasse, deren Ende gar nicht abzusehn ist; ich bekomme sonst doch keine Ruhe, und dann hat mir amicus Mösts Panegyrikus1 aiif den „Cursus der Philosophie" von D[ühring][261 genau gezeigt, von wo und wie der Angriff zu führen ist. Das Buch muß mit hineingenommen werden, weil es in vielen entscheidenden Punkten die schwachen Seiten und Grundlagen des in der „Ok[onomie]"[361 geführten Räsonnements besser enthüllt. Ich bestelle es sogleich. Nämlich von eigentlicher Philosophie - formelle Logik, Dialektik, Metaphysik etc. ist gar nichts drin, es soll vielmehr eine allgemeine Wissenschaftslehre darstellen, worin Natur, Geschichte, Gesellschaft, Staat, Recht etc. in einem vorgeblich innern Zusammenhang abgehandelt werden. So ist wieder ein ganzer Abschnitt da, worin die Zukunfts- oder sog. „freie" Gesellschaft nach den weniger ökonomischen Seiten hin beschrieben und u.a. bereits der Schulplan für die Primär- und Sekundärschulen der Zukunft festgestellt wird. Man bekommt also hier die Gemeinplätzlichkeit in einer noch simpleren Form als in dem ökonomischen Buch und kann, beide Schriften zusammennehmend, den Kerl gleichzeitig auch nach dieser Seite hin aufdecken. Für die Geschichtsauffassung des Edlen - daß alles Schund war bis auf D[ühring] - hat das Buch noch den Vorteil, daß man hier seine eignen krassen Worte zitieren kann. Anyhow, I have him on the hip now.2 Mein Plan ist fertig - j'ai mon plan. Anfangs geh* ich rein sachlich und scheinbar ernsthaft auf den Kram ein, und die Behandlung verschärft sich in dem
1 Freund Mösts Lobrede - 2 Jedenfalls hab' ich ihn jetzt gefaßt.
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
Maß, wie der Nachweis des Unsinns auf der einen Seite, der Gemeinplätzlichkeit auf der andern sich häuft, und zuletzt regnet's dann hageldick. Auf diese Weise ist den Most & Co. der Vorwand der „Lieblosigkeit" etc. entzogen, und D[ühring] bekommt doch sein Fett weg. Die Herren sollen doch sehn, daß man mehr als eine Manier hat, mit dergleichen Volk fertig zu werden. Ich hoffe, W[ilhelm]3 druckt den Mostartikel in der „Neuen Welt" ab, wofür er offenbar geschrieben. Der M[ost] kann wie immer nicht abschreiben und schiebt dem D[ühring] im Naturwissenschaftlichen den komischsten Blödsinn unter, z.B. Loslösung von Ringen (nach der Kantschen Theorie) von Fixsternen! Bei Wilhelm ist es nicht bloß Manuskriptmangel, dem wäre abzuhelfen durch andre Artikel über Tagesfragen etc., wie es zu Hepners und Bios' Zeit geschah. Es ist W[ilhelm]s Sucht, dem Mangel unsrer Theorie abzuhelfen, auf jeden Philistereinwand eine Antwort zu haben, und von der zukünftigen Gesellschaft ein Bild zu haben, weil doch auch der Philister sie darüber interpelliert; und daneben, auch theoretisch möglichst unabhängig von uns zu sein, was ihm bei seinem totalen Mangel aller Theorie von jeher weit besser gelungen ist, als er selbst weiß. Dadurch versetzt er mich aber in die Position, daß ich mir sagen muß, daß D[ühring] noch immer ein gebildeter Mann ist gegenüber den theoretischen Pfuschern im „Volksstaat", und seine opera4 immer noch besser, als die jener subjektiv und objektiv dunkeln Herren. Mit der türkischen Geschichte hast Du vollkommen recht gehabt, ich hoffe nur, daß die Sache gut vorangeht, in den letzten 8 Tagen scheint sie etwas ins Stocken gekommen zu sein, und orientalische Revolutionen, noch mehr als andre, erfordern rasche Entscheidung. Der Sultan6 hat - dies erklärt die Klagen über seine ewigen Geldforderungen - einen enormen hoard6 im Palast angehäuft, so groß, daß die Softas[22] £ 5000000 davon herausverlangt haben, es muß also noch weit mehr sein. Die Überreichung der Gortschakowschen 3-Kaisernote[371 bringt hoffentlich den Fall zur Krisis. Sage Jenny und Longuet meinen besten Dank für die Ehre, die sie mir angetan haben7, ich werde versuchen, mich ihrer würdig zu erweisen. Hoffentlich ist der Kleine mit den 3 Gewaltsnamen8 wieder wohl. Für den D[ühring] tut mir mein Repetitorium der alten Geschichte und meine naturwissenschaftlichen Studien große Dienste und erleichtern
8 Wilhelm Liebknecht-4 Werke - 5 Abdul Asis-6 Schatz - 7 siehe vorl. Band, S. 15 - 8 JeanLaurent-Frederick Longuet
mir die Sache in vieler Beziehung. Besonders im Naturwissenschaftlichen finde ich, daß mir das Terrain bedeutend vertrauter geworden und ich mich darauf, wenn auch mit großer Vorsicht, doch auch mit einiger Freiheit und Sicherheit bewegen kann. Ich fange an, auch für diese Arbeit das Ende abzusehn. Die Sache fängt an, in meinem Kopf Form zu bekommen, und das Bummeln hier an der Seeseite, wo ich mir die Einzelheiten im Kopf herumgehn lassen konnte, hat9 nicht wenig dazu beigetragen. Bei diesem enormen Gebiet ist es absolut nötig, das planmäßige Ochsen von Zeit zu Zeit zu unterbrechen und das Geochste zu ruminieren10. - Seit 1853 reitet Herr Helmholtz nun in einem fort auf dem Ding an sich herum und ist noch nicht damit im reinen. Der Mensch geniert sich nicht, den Blödsinn, den er vor Darwin hat drucken lassen, noch immer ruhig wieder abdrucken zu lassen.'381 Lizzie und ich grüßen Euch alle bestens. Freitag kommen wir wieder nach London.*171 Daß Pumps ihren Stil so entwickelt, freut mich sehr, ich merke es natürlich auch, doch in geringerem Grade. Dein F.E.
9 in der Handschrift: haben -10 durchdenken 2»
7
Engels an Marx in London1391
11, Camden Square, Ramsgate 25. Juli 76
Lieber Mohr, An Lafargue geschrieben1401, daß er uns den Tag seiner Ankunft wissen lassen soll, ob Freitag oder Samstag. Inl. Brief von Wilhelm1 und Einlage von Most. Du siehst, was das für Leute sind - beide. Die Wichtigkeit von W[ilhelm] wegen der,, Annäherungsversuche".1411 Als ob man - d.h. irgend jemand - sich auf etwas einlassen könnte mit Kanaillen, die solcher Verräterei überführt sind. Und als ob irgendwelche Annäherung zu irgend etwas führen könnte.1421 Was soll denn geschehen, wenn sie sich genähert haben? Wenn die Leute unter jetzigen Umständen und Zuständen nochmals Internationale spielen wollen, let them please themselves and bad manners to them2! Der collapse der Serben1431 ist famos. Die Kampagne war angelegt auf die totale Inflammensetzung der Türkei, und überall ist der Brennstoff naß - Montenegro verrät sie für Privatzwecke, Bosnien will erst recht keinen Aufstand machen, seit Serbien es befreien will, und die braven Bulgaren rühren keinen Finger. Die serbische Freiheitsarmee muß auf ihre eignen Kosten leben und nach prahlerischer Offensive, ohne irgendwo ernstlich geschlagen zu sein, zurück ins Räuberloch. - Das wird den Rumänen wohl auch Mores lehren, und dann sind die russischen Pläne ziemlich klatsch. Im übrigen tröste ich mich hier mit Dührings Philosophie1191 - so ein seichiger Kohl ist noch nie geschrieben worden. Hochtrabende Plattheiten weiter nichts, dazwischen vollkommener Blödsinn, aber alles arrangiert mit einem gewissen Geschick für ein dem Verfasser recht gut bekanntes Publikum, das vermittelst breiter Bettelsuppen und wenig Arbeit rasch über alles mitsprechen lernen will. Der Mann war wie gemacht für den Sozialismus und die Philosophie der Milliardenzeit[441. ^ . F.E.
1 Wilhelm Liebknecht - 2 laß sie doch machen, was sie wollen, wir pfeifen drauf
8
Marx an Engels in Ramsgate
[London] 26th July1 1876
Dear Fred, Du wirst Dich erinnern, trotz der Seaside2, daß Du erst letzten Montag abgereist bist; außerdem hieß es bei den Nr. 1221451 hausenden relicts3, daß Ihr schon Mitte oder Ende dieser Woche (so ward mir noch gestern berichtet) zurückkehren würdet.1391 Was die vergangne Woche betrifft, so war Laura (und ich ging mit ihr, da meine Frau schrieb, daß sie sehr unwohl) die letzte Hälfte derselben in Brighton (Lafargue kam Sonnabend und kehrte Sonntag wieder mit mir und Laura zurück); Longuet und Jennychen waren aber noch schoolbound4.1461 Die Lafargues werden diesen Freitag oder Sonnabend nach Ramsgate kommen und Sonntag wieder zurückkehren, da Lafargue sein business1471 nicht unterbrechen kann und Laura Montag wieder Unterricht geben muß. Frei hat sie nur die letzte Woche vom August. (Den einen Tag, den sie letzte Woche hat ausfallen lassen, muß sie diese Woche wieder gutmachen, was bei dieser Hitze keineswegs erfreulich.) Den Inhalt Deines Briefs1401 werde ich den übrigen Familiengliedern mitteilen. Meine Frau war noch sehr leidend, als wir kamen; etwas besser, als wir sie verließen. Sobald sie sich wohl genug fühlt, wird sie sicher ein paar Tage in Ramsgate zubringen wollen. Lenchen ist für die nächsten Tage vollauf mit den Vorbereitungen für Tussys Reise1481 beschäftigt. In Brighton erzählte man uns, daß Madame Bravo Ballettänzerin war und Madame Cox ihr dressmaker5. Während des Aufenthalts meiner Frau in Brighton gab Mrs. Bravo daselbst great public (plus ou moins) dinner parties6. In dem letzten „Bnepesi." ist ein widerlich lobhudelnder Artikel über Bakunins Begräbnis1491, wobei Guillaume, Brousse, die beiden Reclus und I'illustre Cafiero die Hauptactors. Bakunin figuriert darin als „Gigant" der
1 In der Handschrift: June - 2 des Aufenthalts an der See - 3 Daheimgebliebenen -4 durch die Schule festgehalten -6 ihre Schneiderin -6 große, (mehr oder weniger) öffentliche Festessen
Revolution. Ein folgender Brief ist von demselben Korrespondenten versprochen über die nach dem Begräbnis vorgegangnen Vereinigungsprojekte der beiden Internationalen, nämlich der Jurassiens, die die „free Federation"7 der Arbeiter wollen, und der Deutschen, die den „Volksstaat" erstreben. Zu dem Zweck habe man nur Artikel 3 der Statuten nach der auf dem „Kongreß von 1873" (Guillaumes Kongreß) beschloßnen Variante umzumodeln.Liebknecht, in kurzem Paragraph des „Volksstaats" (ich weiß nicht, ob Du's schon gelesen), erklärt, daß niemand mehr als wir (i.e. er) dies wünschen könne; nur, fügt er als unverbesserlicher talker8 hinzu, laßt uns Taten statt Worte sehn.1511 Es tut ihm natürlich wohl, daß der „Volksstaat" als letztes Wort der außerbakunistischen Internationalen proklamiert wird von Herrn Guiüaume. Lawrow betrachtet es offenbar als ein gutes businessmanceuvre9, durch Aufnahme der bakunistischen Korrespondenzen auch diese party10 für sein Blatt11 zu engagieren. Das Brighton-Aquarium hat sich sehr herausgebissen seit der Zeit (3 Jahre her), wo ich es im Entstehn sah.1521 Nach dem mit der parsonpower12 gemachten Kompromiß ist es auch Sonntag nachmittags (bis abend) offen, aber unter der trocknen Bedingung, daß die armen Teufel von Excursionists keinen Tropfen Flüssiges, selbst nicht ungebranntes Wasser, erhalten. Du mußt es Dir doch einmal einen Teig besehn gehn. Besten Gruß an die ganze family und Madame Pauli. Dein Mohr
* „freieFöderation" - 8 Schwätzer -9 einen guten Geschäftskniff -10 Partei -11 „Wperjod!" 12 Pfaffenmacht
9
Marx an Engels in Ramsgate
19. August 1876 Germania, Karlsbad
Lieber Fred, Ich schreibe unter der Londoner Adresse, da ich nicht weiß, ob Du noch an der See hausest.1391 Zunächst unser Reiseabenteuer.1481 Meinem Plan gemäß blieben wir über Nacht in Köln - reisten von da morgens 6 Uhr ab mit Nürnberg als nächsten Rastplatz. Ungefähr 5 Uhr nachmittags kamen wir in Nürnberg an, von wo wir erst den folgenden Abend (es war der 14. und wir hatten der Karlsbader Wirtin den 15. als Tag unserer Ankunft angegeben) uns nach Karlsbad aufmachen wollten. Die Koffer wurden abgeladen, einem Mann mit einer Karre übergeben, der uns zum nächsten, gleich bei der Eisenbahn, vor der Stadt gelegnen Gasthof begleiten sollte. Aber in diesem Gasthof gab's nur noch ein freies Zimmer, und zugleich kündete uns der Wirt die schauerliche Mär, daß wir schwerlich anderswo ein Unterkommen finden würden, indem die Stadt überschwemmt sei, teils infolge eines Müller- und Bäckerkongresses, teils durch Leute aus allen Weltteilen, die sich von dort zu dem Bayreuther Narrenfest1 des Staatsmusikanten Wagner1531 begeben wollten. Und so war's. Wir irrten lange in der Stadt neben dem Karren herum; weder die kleinste Kneipe noch das größte Hotel bot Asyl; alles was wir gewannen, war eine oberflächliche Bekanntschaft mit dem Ursitz (höchst interessantem) des deutschen Knotentums. Also zur Eisenbahn zurück; dort hieß es, die Karlsbad nächstgelegne Stadt, wohin wir noch transportiert werden könnten, sei Weiden; nahmen tickets für Weiden. Der Herr Kondukteur hatte aber schon einen Tropfen (oder auch mehr) zu viel im Kopf; statt uns aussteigen zu machen bei Neunkirchen, von wo eine neu angelegte Zweigbahn nach Weiden, führte er uns bis Irrelohe (so ungefähr heißt das Nest)2, von wo wir wieder zwei ganze
1 In der Handschrift: zu Bayreuther dem Narrenfest (Bayreuther ist zwischen zu und dem nachträglich von Marx eingefügt worden) - 2 richtig: Irrenlohe
Stunden (auf der entgegengesetzten Seite der Hinfahrt) zurückzufahren hatten, um endlich um Mitternacht in Weiden anzukommen. Hier war wieder der einzige dort existierende Gasthof überfüllt, so daß wir auf den harten Stühlen der Eisenbahnstation bis 4 Uhr morgens auszuharren hatten. Im ganzen befanden wir uns 28 Stunden auf Reise von Köln bis Karlsbad! Dabei eine schamlose Hitze! Was wir den nächsten Tag in Karlsbad (wo es seit 6 Wochen nicht geregnet) von allen Seiten hörten und selbst an eigner Haut erfuhren - war Wärmeüberfluß! Daneben Mangel an Wasser; die Tepl sieht ganz ausgesaugt aus. Die Entwaldung hat sie in den artigen Zustand versetzt, daß sie in regenreicher Zeit (wie 1872) alles überschwemmt, in heißen Jahren ganz alle wird. Im übrigen hat die übertriebne Wärme seit 3 Tagen nachgelassen, und fanden wir auch während der ganz heißen Tage mir altbekannte Waldschluchten, wo es erträglich war. Tussychen, die während der Reise ziemlich leidend war, erholt sich hier zusehend, und auf mich wirkt Karlsbad wie immer wundervoll. Ich hatte während der letzten Monate Wiederbeginn des widerlichen Kopfdrucks, der jetzt schon wieder ganz verschwunden ist. Eine mich höchst frappierende Neuigkeit teilte mir Dr. Fleckles mit. Ich frug ihn, ob seine Cousine, Madame Wollmann aus Paris, anwesend sei, die ich vergangnes Jahr kennengelernt und die eine sehr interessante Dame ist. Er erwiderte mir, daß ihr Mann sein ganzes Vermögen, und dazu das Vermögen seiner Frau, in Spekulation auf der Pariser Börse verloren, so daß die Familie sich in hoffnungslosem Zustand in einen Winkel in Deutschland zurückziehn mußte. Das Kuriose an dieser Affäre ist dies: Herr Wollmann hatte ein großes Vermögen in Paris gemacht als Farbenfabrikant; er hatte nie an der Börse gespielt, sondern das Geld, das er nicht im Geschäft brauchte (ebenso wie das seiner Frau), ruhig in östreichischen Staatspapieren untergebracht. Auf einmal fing's ihm an, im Kopf zu rappeln; er betrachtet den Staat Ostreich als unsicher, verkauft alle seine Papiere; und ganz im geheimen, ohne Vorwissen seiner Frau und der ihm befreundeten Heine und Rothschild, macht er auf der Börse in Haussespekulation auf - türkische und peruanische Papiere!, bis der letzte Heller zum Teufel ist. Die arme Frau war eben beschäftigt, ihr neugemietetes Hotel in Paris einzurichten, als sie eines schönen Morgens ganz ohne jegliche Vorbereitung hört, daß sie Bettlerin. Professor Friedberg (an der Universität Breslau, Mediziner) erzählt mir heute, daß der große Lasker einen anonymen Halbroman herausgegeben,
betitelt: „Erfahrungen einer Mannesseele." Eingeleitet sind diese hochbrüstigen Erfahrungen durch lobhudelndes Vorwort oder Introduktion des Herrn Berthold Auerbach. Was Lasker erfahren, war nämlich, daß alle Frauenzimmer (eingeschlossen eine Tochter Kinkels) sich in ihn verliebten, und er setzt nun auseinander, warum er nicht nur nicht alle zusammen geheiratet hat, sondern warum's sogar mit keiner einzigen zum Abschluß kam. Es soll eine wahre Waschlappenseele-Odyssee sein. Es erschien sehr bald eine Parodie (ebenfalls anonym)'541, so horrible, daß Ottos3 großer Bruder4 mit schmerzlichem Geldverlust jedes noch erwischbare Exemplar seiner „Erfahrungen" aufgekauft hat. Die „Pflicht" ruft mich vom Schreibtisch weg. Also bis nächstesmal, soweit die magisch verdummende Wirkung des heißen alkalischen Gesöffes mir noch erlaubt, einige Zeilen hinzusudeln. Meine besten Grüße an Madame Lizzy. Dein Mohr
Kein Kowalewski hier. Dagegen ein dicker Band von Lawrow mir geschickt über die Funktionen des „Staats" in der Zukunft.'551 Jedenfalls vertage ich das Lesen auch auf die Zukunft. Hier ist jetzt alles Zukunft seit dem Getrommel der Zukunftsmusik'561 in Bayreuth. Wimmelt hier von Russen. Eben schreibt meine Frau, daß Du noch in Ramsgate. Ich schicke daher den Brief direkt dahin.
3 Bismarck - 4 Eduard Lasker
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Engels an Marx in Karlsbad1481
Ramsgate, Freitag, 25. Aug. 76
Lieber Mohr, Dein Brief kam Dienstag hier an1391 und zirkuliert jetzt bei Deinen Töchtern1. Um die 28stündige Irrfahrt von Köln bis Karlsbad beneidet Euch hier niemand; dagegen wird stark gewettet auf die Quantitäten bairischer „Feuchtigkeit", die Euch über all den Trubel weggeholfen haben. Lenchen kam Montag vor 8 Tagen von Hastings, wo sie mit Jenny und Lafargues den Sonntag über gewesen, sie war ziemlich unwohl, ging aber doch ins Wasser und holte sich dabei ein schauerliches, zwei Tage anhaltendes Kopfweh; ein zweiter Versuch machte die Sache noch schlimmer, und so mußte sie's drangeben. Sie ging Dienstag heim und den folgenden Tag, vorgestern, sprang dann Deine Frau hier ein, die jedenfalls bedeutend besser ist, als sie vor 6 Wochen war. Sie läuft viel herum, hat guten Appetit und scheint auch recht gut zu schlafen. Sie und die Lizzie treiben sich auf den Sands2 umher, nachdem ich sie am Bahnhof mit einem Glase Port gestärkt, und freuen sich, daß sie keine Briefe zu schreiben haben. Der Lizzie ist das Seebad ganz famos bekommen, ich hoffe, es hält diesmal vor, den Winter durch. Ramsgate ist in diesem Augenblick fast ausschließlich von kleinen greengrocers3 und sonstigen ganz ganz kleinen Londoner shopkeepers4 bevölkert. Die Leute bleiben eine Woche hier, solange das Return ticket5 gilt, und machen dann andern derselben Sorte Platz. Es ist das frühere Eintags-Exkursionistenpublikum, das sich jetzt 8 Tage Zeit nimmt. Auf den ersten Blick meint man, es wären Arbeiter, aber die Unterhaltung der Leute zeigt sofort, daß sie rather above that6 sind und zu der allerunangenehmsten Schicht der Londoner Gesellschaft gehören - der Sorte, die sich in Sprache und Manieren bereits auf den, ihnen nach dem unfehlbar bevorstehenden Bankerott ebenso unfehlbar bevorstehenden Costermonger-Beruf7 vor
1 Jenny Longuet und Laura Lafargue - 2 Dünen - 3 Grünkrämern - 4 Ladenbesitzern - 5 die Rückfahrkarte - 6 etwas Besseres - 7 Hökerberuf
bereiten. Und nun stelle sich Tussy ihren alten Freund Gore morgens auf den Sands vor, umgeben von 30-40 dieser Art dames de la halle8! Bei der sich mehr und mehr verdichtenden Seebadsdummheit war die entsprechende Lektüre natürlich die natürliche Wirklichkeitsphilosophie des Herrn Dühring1191. So etwas Natürliches ist mir noch nie vorgekommen. Es geht alles mit natürlichen Dingen zu, indem alles für natürlich gilt, was dem Herrn D[ühring] natürlich vorkommt, weshalb er auch immer von „axiomatischen Sätzen" ausgeht, denn was natürlich ist, bedarf keines Beweises. Das Ding übertrifft an Plattheit alles Dagewesene. So schlecht er ist, ist doch der Teil, der über die Natur handelt, noch bei weitem der beste. Hier ist doch noch ein verkümmerter Rest dialektischer Wendungen, sowie er aber auf gesellschaftliche und historische Verhältnisse kommt, herrscht die alte Metaphysik in der Form der Moral, und damit kommt er dann auf den richtigen blinden Gaul, der ihn rettungslos im Kreis herumführt. Sein Horizont reicht kaum so weit wie der Geltungsbereich des allgemeinen Landrechts, und preußische Beamtenwirtschaft repräsentiert ihm „den Staat". Heute über 8 Tage gehn wir wieder nach London, und dann wird der Kerl gleich vorgenommen.1211 Was der für ewige Wahrheiten predigt, kannst Du daraus sehn, daß seine drei betes noires9 sind: Tabak, Katzen und Juden, und die kriegen's gehörig. Soeben kommt Tussys Brief an Lenchen hier an, ich schicke ihn gleich nach London. Die „Daily News" und der alte Russell mit ihrem Geschrei überTurkish atrocities'571 haben den Russen einen unbezahlbaren Dienst geleistet und ihnen die nächste Kampagne glänzend präpariert, die Iosgehn kann, sobald die Herren Liberalen hier am Ruder. bie liberale Provinzpresse stößt jetzt auch in die Lärmtrompete, und da old Dizzy sich ins house of Lords zurückgezogen'581, werden die liberalen Schreier nächste Session in den Commons10 wohl das große Wort führen. Von den Infamien der Montenegriner und Herzegowzen ist natürlich alles still. Glücklicherweise kriegen die Serben Keile'431 - selbst Forbes, der übrigens wieder der allereinzigste rationelle Kriegskorrespondent ist, spricht mit einer unverkennbaren Wärme von der überlegnen militärischen Tüchtigkeit der türkischen Truppen - und dem E'fejiHÜ napt11 ist das Intervenieren nicht so leicht. Deine Frau und Lizzie lassen herzlich grüßen Tussy wie Dich. Dein F.E.
8 Markthallenweibern - 9 schwarzen Schafe -10 im Unterhaus-11 Weißen Zaren (Alexander II.)
11
Marx an Engels in London
[London] I I.Dez. 76
Dear Fred, Kowalewski gestern bei mir, verlangte den Hanssen1591; sagte ihm, daß er ihn morgen abend haben sollte; zugleich auf sein Verlangen abgemacht, daß wir Dich am selbigen Abend (Dienstag) besuchen werden. Ich schicke Dir den Hanssen, den Du, wie ich getan, mit Leichtigkeit in paar Stunden abgemacht. Geschrieben wegen Buchbindens. Salut" Dein K.M.
Nach der Konferenz (St. James)1601 kam Herr Gladstone auf die Loge, wo Madame Nowikow saß, bot ihr den Arm - pour montrer1 (so sagte er nach Bericht der N[owikow]) que l'alliance entre l'Angleterre et la Russie existe deja2 - und stolzierte an ihrem Arm durch die enorme Menge, die auf beiden Seiten Platz machte; er ein relativ kleiner dünner Kerl, sie ein wahrer Dragoner. Sie sagte zu Kowalewski: que ces Anglais sont gauc.hes3! Herr generalissimus Tschernjajew hatte 2mal telegraphisch bei der Nowikow angefragt, ob er auch bei der Konferenz erscheinen sollte; sie mußte ihn bescheiden, Herr Gladstone würde ihn vergnügen persönlich sehn4, hielte aber ein öffentliches Erscheinen für zweckwidrig. Harrison (der in seinem Artikel in „Fortnightly": „cross and crescent" sich mit einigen eben abgeschnappten hints5 Kowalewskis breitmacht) sagte dem Howell ins Gesicht auf der Konferenz (war ticket Konferenz), die anwesenden Arbeiter gehörten6 alle samt und sonders zu der ihm (Harrison) wohlbekannten bezahlten Bande. Leider hat auch Charles Darwin seinen Namen zu der Saudemonstration hergegeben; Lewes verweigerte es.
1 lim zu zeigen - 2 daß die Allianz zwischen England und Rußland bereits existiere - 8 was diese Engländer doch linkisch sind - 4 so in der Handschrift — 5 Andeutungen - 6 in der Handschrift: gehörte
1877
12
Engels an Marx in London
42, Kings Road Brighton, 23. Febr. 77
Lieber Mohr, Vorige Woche schrieb ich an Bignami, abonnierte auf die „Plebe" und schrieb ihm über die Wahlen.'611 Vorvorgestern, vor unsrer Abreise'621, erhielt ich 3 Nrn.'631, einige fehlende will er mir nachschicken. Meine Intervention konnte zu keiner gelegneren Zeit kommen. „Plebe", 7. Jan., berichtet über Assisenverhandlung gegen den Questore (Polizeidirektor) von Turin, Bignami (derselbe, der dem Terzaghi den „Wermut" traktierte, siehe ,,All[iance] de la D[emocratie] S[ocialiste]"1641), wegen Unterschlagung (tout comme chez nous!1). Ein gewisser Polizist Blandini sagt aus: er habe auf Befehl Bignamis proforma bei Terzaghi hausgesucht, aber: auch von B[ignami] Befehl erhalten, nur das mitzunehmen, was T[erzaghi] ihm geben würde. Als gegen T[erzaghi] ein Verhaftsbefehl erlassen, sei T[erzaghi] durch einen andern Polizisten, Premerlani, auf Befehl Bignamis vorher arretiert worden; T[erzaghi] era un agente segreto di Bignami che gli dava tre Iire (Franken) al giorno2. Dazu sagt die „Plebe": hier sehe man, wie die fondi segreti dei governi di classe3 gebraucht werden. Darauf antwortet ein bakunistisches Blättchen, „II Martello" - am Namen erkenne ich meinen Cafiero. - Da auf den ekligen Kasus Terzaghi nicht eingegangen werden durfte, so heftet sich das Blättchen an die fondi segreti dei governi di classe: also werden bei Euch die governi non di classe auch fondi segreti4 haben, also bleibt auch bei Euch alles beim alten und dann die ganze uranarchische Tirade que Ton sait5. Die „Plebe"1651
1 ganz wie bei uns! -2 war ein Geheimagent Bignamis, der ihm drei Lire (Franken) pro Tag zahlte - 3 Geheimfonds der Klassenregierungen - 4 Nicht-Klassenregierungen auch Geheimfonds - 5 die man ja kennt
antwortet ihm ganz gehörig und greift gleich darauf das „Bulletin] Jurassien" an, das durch vier Zeilen der „Pl[ebe]" in Wut versetzt sei, tue, als ob die „Plebe" wütend sei, die doch von den jurassischen Insinuationen nur edificata6 sei. Übrigens müßte man sehr ingenuo7 sein, um auf gewisse Köder anzubeißen von Leuten, die, krank von Mißgunst, an eine Tür nach der andern klopfen, um unter Verleumdung ein bißchen Animosität gegen uns zu erbetteln. Die Hand, die seit langer Zeit das Unkraut und die Provokationen sät, ist hinreichend bekannt, so daß man ihre loyolasischen8 Umtriebe sofort durchschaut und gli onesti non ne facciano tantosto giustizia9. In derselben Nr. Korrespondenz von E. Dorenberg] (Drbg. von der „Berliner] Fr[eien] Presse") über die Wahlen in Berlin. Nr. vom 16.Febr., Korrespondenz aus Brüssel ,,C[esar] D[e] P[aepe]" über die neue flamändische Bewegung für Fabrikgesetz und allgemeines Stimmrecht, schließt: Noi crediamo altresi di arrivare, con questo metodo, piü prontamente e piü puramente all* emancipazione dei proletario, piuttosto che star Ii, abbaiando alla luna per degli anni e dei quarti di secolo, e attendendo che mamma Rivoluzione voglia degnarsi di venire a spezzarsi le catene dei lavoratori.10 - Ferner des alten Becker Aufruf'661 als Symptom erwähnt und sehr freundschaftlich. Heute sehr entzückter Brief von Bignami, worin er sagt, er würde meine Sachen über die Wahlen abdrucken, und bestätigt, daß die Federazione dell* alta Italia, die von Venedig bis Turin reicht und dieser Tage Kongreß hält'671, vuole lottare sul terreno dei suffragio universale11. Die „Plebe" ist ihr offizielles Organ. Die Bresche ist also gelegt in die Advokaten», Literaten- und Bummlerfestung in Italien. Dabei das beste, daß alle die alten Allianzisten in Mailand, Mauro Gandolfi etc. aus Cunos Zeit, mitgegangen zu sein scheinen. In der Tat war eine Scheinarbeiterbewegung in einer Industriestadt wie Mailand nur kurze Zeit möglich. Und Oberitalien entscheidet nicht nur strategisch, sondern auch für die Arbeiterbewegung über die lange Bauernhalbinsel. Die Weltregierung in Neuchatel'681 hat also jetzt nur noch Spanien unbestritten, und wie lange wird das dauern?
6 erheitert - 7 naiv - 8 jesuitischen - 8 die ehrlichen Leute werden sie bald nach Gebühr würdigen -10 Wir glauben auch durch diese Methode schneller und sauberer zur Emanzipation des Proletariers zu gelangen, als wenn wir Jahre und Vierteljahrhunderte hindurch dastehn, den Mond anbellen und darauf warten, daß Mutter Revolution geruhen möge zu erscheinen, um die Ketten der Arbeiter zu zerbrechen. -11 auf dem Boden des allgemeinen Wahlrechts kämpfen wolle
Übrigens wäre es zur genaueren Verfolgung dieser Ereignisse die höchste Zeit, daß Herr Demuth sich auf das „Bulletin] Jurass[ien]" abonnierte, wie abgesprochen. Wir müssen doch wissen, was der Universaldiktator und Verweser des Heiligen Stuhls12 für Bannflüche erläßt. Beste Grüße an alle. Dein F.E.
12 James Guillaume
13
Engels an Marx in London
42, Kings Road, Brighton 2. März 77
Lieber Mohr, Ich habe an Liebknecht geschrieben'401 und ihn gebeten, mir bis auf weiteres die Korrekturen1691 hieher'621 zu schicken, ich erhalte sie gewöhnlich spätestens montags, habe diese Woche aber noch keine bekommen und fürchte, daß wie gewöhnlich etwas verbummelt ist. Willst Du so gut sein, an meinem Hause nachzusehn, ob sich dort etwelche Korrektur vorfindet, und sie mir herschicken? Mrs. Leeson wird Dir die eingegangnen Zeitungspakete etc. vorlegen, und Du wirst sie leicht darunter finden, ebenso kann sie Dir Newspaperwrappers1 etc. geben, um das Betreffende zu verpacken. Die Leute sind sonst imstand und drucken den von ihnen gesetzten Blödsinn in meinem Namen ab. Es ist mir in mancher Beziehung lieb, daß Lina2 und Pumps erst Mitte d. M. herkommen. Erstens sind wir dann wieder zu Hause, da wir nächsten Dienstag über 8 Tage zurückzukommen denken, und zweitens gab es mir die Zeit, der Lina zu den in der Eile abgeschickten £ 15 (alles, was ich grade hatte) für alle Fälle noch £ 5 nachzuschicken und ihr, was vielleicht nicht unangebracht, nochmals deutlich auseinanderzusetzen, daß sie mehr auf komfortables als auf wohlfeiles Reisen sehen möge, da ja alles bisher gesandte Geld nur auf die Herreise berechnet ist. Wir haben hier brillantes Wetter gehabt, heute ist es neblig und feucht, ab und zu Regen. Welch ein klimatischer Unterschied zwischen London und hier ist, seh' ich aus der Zeitungsnachricht heute morgen, daß bei Euch die Wasser in den Parks 1 x/2 Zoll Eis hatten, während hier die Wirkung des bißchen Nachtfrosts schon um 10 Uhr von der Sonne beseitigt war. Für ein paar Wochen seaside3 im Winter ist Brighton in der Tat „ein feiner Platz", weswegen auch die feineren Wiehaißts hier pullulieren4. Aber eine Schande für London ist's, daß nach dem hiesigen Aquarium, das durch
1 Zeitungskreuzbänder - 2 Lina Schöler - 3 Aufenthalt an der See - 4 sich immer zahlreicher einfinden '
seine Leistungen in der Züchtung von Fischen und Amphibien sich einen wirklich wissenschaftlichen Rang erobert, man wagen konnte, die Karikatur in Westminster, music hall mit Fischbegleitung, und noch dazu unter solchem puffing6 ins Dasein zu rufen. Besten Gruß. Dein F. E.
5 Reldamegeschrei
3 Marx/Engeis, Werte, Bd. 34
14
Marx an Engels in Brighton1621
[London] 3 March 77
Dear Fred, Schicke Dir gleichzeitig, was ich von Leipzig in Deinem Hans fand1691 und „Plebe". Was die wichtige Erklärung der Federation von Italia alta1 angeht, worin sie erklärt, an den „primitiven Statuten"2 der Internationalen"01 stets festgehalten zu haben und sich offiziell vom eigentlichen Föderationsband mit den bakunistischen italienischen Gruppen lossagt1711, so mußt Du dies wie auch die sehr interessanten und mir liebwerten andern Tatsachen, die Dein erster Brief an mich enthält3, sobald als möglich dem „Vorwärts" zugehn lassen.1721 Liebknecht bringt's sonst fertig, auch mit Bezug hierauf Blödsinn zu machen. Ich während dieser ganzen Zeit bedeutend unwohl von der chronischen Verkältung, Verschnupfung und Verhustung. Mit Lina4 all right. Lawrow, dem's verdammt schlecht geht, lobt Deine Artikel gegen Dühring1211, aber man (i. e. er) sei solche „Milde in derPolemik von Engels nicht gewohnt". Du erhältst im Verlauf künftigen Montags längere Sendung von mir.5 Betrachte dies nicht als Dühringsches Manöver, das immer verspricht, um nie zu halten - nämlich Leistung. Besten Gruß an Lizzy. Dein K.Marx
Der Teufel soll den Hirsch und seinen Castelnau nehmen. Letzterer verlangt jetzt von mir in ihren beiderseitigen Namen, daß ich als Mitarbeiter an dem von ihnen schon in Mache begriffenen Arbeiterblatt figurieren soll. Als ob ich dazu die Zeit hätte - und Hirsch muß doch wissen, daß ich sie
1 Oberitalien - 2 hier: „ursprünglichen Statuten" - 3 siehe vorl. Band, S.29-31 - 4 Lina Schöler - 5 siehe vorl. Band, S.36
nicht habe! Ein bloßes Figurieren des Namens aber macht mich nutzlos „verantwortlich". Weil Herr Castelnau jetzt selbst eingesteht, daß, solange Quest regiert, sein abrege6 ins Land der Träume gehört7, soll ich von ihm auf andre Art vermöbelt werden. Bisher habe ich noch nicht gesehn, daß er oder Hirsch auch nur so viel die Finger für das „Kapital" gerührt wie Laveleye1731 oder Block'741.
6 Auszug (aus dem ersten Band des „Kapitals") - 7 vgl. vorl. Band, S.248/249
3*
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Marx an Engels in Brighton1621
[London] 5. März 77
Dear Fred, Einliegend Dühringiana.175' Es war mir unmöglich, den Kerl zu lesen, ohne ihm ausführlicher immer gleich auf den Kopf zu schlagen. Jetzt, nachdem ich mich dadurch in ihn eingelesen (und der Teil von Ricardo an, den ich noch nicht gelesen, muß viele köstliche Perlen enthalten), wozu Geduld, aber gleich auch mit dem Knüppel zur Hand, gehört, bin ich für die Zukunft fähig, ihn mit Ruhe zu genießen. Hat man sich einmal in den Burschen hineingearbeitet, so daß man seine Methode am Schnürchen hat, so ist er ein gewissermaßen erheiternder Skribbler1. Unterdes hat er mir als Neben„betrieb" bei meiner verdrießlichen Katarrhstimmung große Dienste geleistet. Dein Mohr
Apropos. Der böseste Artikel über Gladstone-Nowikow-, wobei der Mut der „ Whitehall Review" in die Buchs fiel, ist vorgestern mit Barryscher Verschönerung in „Vanity Fair" erschienen.1761 Wie wir gestern, bei Besuch von Collet Sohn und Tochter durchsahen, dies mißbilligt von Väter Collet, da ja Gladstone ein braver, aber verrückter Mann und diese Sorte Polemik „indezent" ist.
1 Schreiberling
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Engels an Marx in London
42, Kings Road, Brighton 6. 3. 77
Lieber Mohr, Besten Dank für die lange Arbeit von wegen „kritischer Geschichte".1761 Das ist mehr, als ich brauche, um den Kerl auch auf diesem Gebiete vollständig abzumurksen.'211 In der Tat hat Lawrow gewissermaßen recht, daß der Kerl bisher noch zu anständig behandelt worden.1 Wenn ich jetzt den „Kursus der N[ational]ök[onomie]"1771 wieder durchlese, jetzt, wo ich den Kerl und seine Manier kenne, und wo ich nicht mehr zu befürchten brauche, es stecke irgendein Kniff hinter dem Gekohl, und die ganze gespreizte Fadaise unverhohlen hervortritt, so finde ich allerdings, daß noch etwas mehr Verachtung am Platz ist. Der gute Lawrow hat natürlich seine eignen Gefühle dabei und braucht auch bei seinen nponOBijpj2 nicht auf das Crescendo Rücksicht zu nehmen, das unsereins bei einer so langwierigen Vermöbelung nicht außer Augen lassen darf. Er wird indes schon beim Schluß der „Philosophie" nicht mehr über Milde zu klagen haben, und bei der „Ökonomie" noch weniger. Die Colletschen schweren Bedenken apropos GIadst[one] waren unvermeidlich. Das sind Dinge, die nicht ohne höheren Befehl geschehn dürfen. Man hätte schweigen müssen, bis Gl[adstone] wieder im Amt, und es dann dem Ufrquhart] überlassen müssen, durch tiefsinnige innuendos3, die selbst dem Betreffenden unverständlich, eine ernste Mahnung ergehn zu lassen. Der Kampf gegen die secret diplomacy muß selbst geheimdiplomatisch geführt werden. Dem Wilhelm4 werde ich die Plebeiana verarbeiten.'721 Mit dieser Spaltung in Italien sind die Herren Anarchiediktatoren futsch. Aus den kleinen Noten [auch]5 in dieser Nr. der „Pljebe]" über die spiriti ristretti ed anarchici - ed allo stesso tempo mostruosa contradizione, dittatoriali6, geht her
1 Siehe vorl. Band, S.34 - 2 Predigten - 3 Andeutungen - 4 Wilhelm Liebknecht - 5 in der Handschrift undeutlich - 6 beschränkten und anarchischen und zugleich — ungeheuerlicher Widerspruch — diktatorischen Köpfe
vor, daß Bignami die Eigenart dieser Leute genau kennengelernt hat. Bäkunin war immer noch geschickter und geduldiger als Herr Guillaume, der es mit der Weltherrschaft gar zu eilig hat. Was Du mir schicktest, war keine neue Korrektur.1691 Ich habe bis jetzt keine. Es ist eine wahre Sauwirtschaft mit dem Wilhelm. Heute über 8 Tage kommen wir zurück.1621 Lizzy ist merkwürdig restauriert, Appetit fast normal, es ist aber auch eine unbezahlbare Luft hier an dem langen ununterbrochenen Strand. Beste Grüße. Dein F. E.
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Marx an Engels in Brighton'621
[London] 7 March 1877
Dear Fred, Da ich dies später vergessen möchte, schicke ich der letzten Epistel1751 noch diesen Beitrag nach: 1. Der wichtigste Punkt bei Humes Auffassung des Einflusses einer Vermehrung von Geld auf Stimulierung der Industrie, ein Punkt, der mit am klarsten zeigt (wenn überhaupt doubt1 darüber möglich gewesen wäre), daß diese Vermehrung bei ihm bloß mit der Depreziation2 der edlen Metalle vorkommt, ein Punkt, auf den Hume verschiednemal zurückkommt, wie schon aus dem von mir geschickten Auszug ersichtlich - ist, daß „the price oflabour"3 erst in letzter Instanz, nach allen andern Waren, steigt.178"' Hiervon nun steht bei M. Dühring1791 keine Silbe, wie überhaupt der von ihm gefeierte Hume ganz ebenso liederlich behandelt wird, ebenso oberflächlich als alle andren. Außerdem, falls er die Sache bemerkt hätte, was mehr als fraglich, wäre es passend gewesen, solche Theorie nicht grade zu feiern angesichts der Arbeiter, also besser to burke the whole4. 2. Meine eigentümliche Manier, die Physiokraten zu behandeln - nämlich als die ersten methodischen (nicht nur gelegentlichen, wie Petty etc.) Ausleger des Kapitals und der kapitalistischen Produktionsweise - wollte ich natürlich nicht direkt an den Mann bringen. Dies einmal in piain words said5, möchte mein Gesichtspunkt von Pfuschern aufgenommen und zugleich verballhornt werden, ehe ich ihn darzustellen Gelegenheit habe. Deshalb dies nicht berührt in dem Dir geschickten Expose. Aber dem Dühring gegenüber wäre es vielleicht passend, auf folgende 2 Stellen im „Capital" hinzuweisen. Ich zitiere sie aus der französischen Ausgabe, weil sie hier weniger bloß andeutungsweis als im deutschen Original'801: Mit Bezug auf das Tableau Economique[sl]:
1 Zweifel - 2 Entwertung - 3 „der Preis der Arbeit" - 4 das ganze wegzulassen - 5 offen ausgesprochen
„La reproduction annuelle est un proces tres<facile ä saisir tant que l'on ne considere que le fonds de la productlon annuelle, mais tous les eldments de celle-cl doivent passer par le marche. La les mouvements des capitaux et des revenus6 se croisent, s'entremelent et se perdent dans un mouvement general de deplacement - la circulation de la richesse sociale - qui trouble la vue de l'observateur et offre ä l'analyse des problemes tres-compliques. C'est le grand merite des physiocrates d'avoir les premiers essaye de donner, dans leur tableau economique, une image de la reproduction annuelle teile qu'elle.sort de la circulation. Leur exposition est a beaucoup d'egards plus pres de la verite que Celle de leurs successeurs."7 (258, 259.) Mit Bezug auf die Bestimmung der „travail productif"8: „Aussi Teconomie politique classique a-t-elle tOujours, tantot instinctivement, tantot consciemment, soutenu que ce qui caractdrisait le travail productif, c'etait de rendre une plus~value. Ses definitions du travail productif, changenta mesure qu'elle pousse plus avant son analyse de la plus-value. Les physiocrates, par exemple, declarent que le travail agricole seul est productif. Et pourquoi? Parce que seul il donne une plus-value qui, pour eux, n'existe que sous la forme de la rente fonciere."9 (p.219.) „Obgleich die Physiokraten das Geheimnis des Mehrwerts nicht durchschauten, war ihnen doch soviel klar, daß er ,une richesse independante et disponible qu'il* (der Besitzer davon) ,n'a point achetee et qu'il vend'10" (Turgot) (p.554 „Kapital", Deutsch, 2. Ausg.), und daß selbiger nicht aus der Zirkulation entspringen konnte (I.e. „Kapital", p. 141-145).11
6 in der französischen Ausgabe: revenus personnels - 7 „Solange man nur den Fonds der Gesamt-Jahresproduktion ins Auge faßt, ist der jährliche Reproduktionsprozeß leicht verständlich. Aber alle Bestandteile der Jahresproduktion müssen auf den Warenmarkt gebracht werden. Die Bewegungen der Einzelkapitale und Revenuen kreuzen, vermengen, verlieren sich hier in einem allgemeinen Stellenwechsel - der Zirkulation des gesellschaftlichen Reichtums -, der den Blick verwirrt und der Untersuchung sehr verwickelte Aufgaben zu lösen gibt. Es ist das große Verdienst der Physiokraten, in ihrem Tableau economique zum erstenmal den Versuch gemacht zu haben, ein Bild der Jahresproduktion zu geben in der Gestalt, in welcher sie aus der Zirkulation hervorgeht. Ihre Darstellung ist in vieler Hinsicht der Wahrheit näher als die ihrer Nachfolger." -8 „produktiven Arbeit" -8 „Auch die klassische politische Ökonomie hat von jeher, sei es instinktiv, sei es bewußt, für den entscheidenden Charakter der produktiven Arbeit gehalten, daß sie einen Mehrwert liefert. Mit ihrer Auffassung von der Natur des Mehrwerts wechselt daher ihre Definition der produktiven Arbeit. So erklären die Physiokraten, nur die Ackerbauarbeit sei produktiv, weil sie allein einen Mehrwert liefre. Für die Physiokraten existiert Mehrwert aber ausschließlich in der Form der Grundrente." - 10 ,ein unabhängiger und verfügbarer Reichtum ist, den er' (der Besitzer davon) .nicht gekauft hat und den er verkauft' - 11 siehe Band 23 unserer Ausgabe, S.556 und 172-176
Ich war eben am Dinner, als great Barry kam, in great hurry12, mit 8 Zeitungen unter dem Arm. Die englischen Zeitungsredakteure sind ganz absonderliche animals13. Der editor14 von „Vatiity Fair" (i.e. der Untermann; der chef und proprietor15, halber Urquhartite, Mr. Bowles, ist mit seiner Frau, ihrer Gesundheit halber, in Spanien) hatte endlich den Artikelt761 gebracht, wovor die schottische „Morning News" und die Londoner „IVhitehall Review" zurückgeschaudert, ditto die 6 governmental papers16, oder vielmehr die central press, in der Hand des Toryministeriums, die ihnen das Zeug zuschustert. Bon.17 Derselbe „Vanity Fair" man, um seine revanche zu nehmen, erschrickt nun seinerseits vor der Aufwärmung (im Interesse der Sache und des Herrn Barry) des Artikels, den jene 8 Journale schon gedruckt, nämlich den bezüglich Gladstones Article in the „Contemporary Review"[82]. Schreibt an Barry, was zu tun, im Fall von libelklage18? Ich habe Barry der zur Vorsorge sich schon mit den gemeldeten 8 papers ausgerüstet über die zu gebende Antwort instruiert. I must be very much mistaken if even this hesitation (which we shall, however, overcome) has not something to do with the „scruples" of Mr. Collet. It is, in fact, too bad to take the secret diplomacy business out of their hands!19 Übrigens ist die russische Diplomatie völlig aufs farcenhafte heruntergekommen. Die tour des Herrn Ignatjew, ob zunächst erfolgreich oder nicht, bleibt unter allen Umständen eine noch groteskere und mehr kompromittierliche Wallfahrt als die des Herrn Thiers nach dem 4. September Kladderadatsch183'. Ich habe von dem edlen Gambuzzi ein 9 pages20 starkes, von ihm selbst verfaßtes Nachwort an den edlen Fanelli[84!, der nun gestorben ist, erhalten. Sollte mich wohl reuig machen wegen der in der Schrift über die Alliance21 enthaltnen Kränkungen ejusdem22 Fanelli. Dein K.M.
12 in großer Eile - 13 Wesen - 14 Herausgeber - 15 Besitzer - 16 Regierungsblätter 17 Gut. - 18 Verleumdungsklage - 19 Ich müßte mich sehr irren, wenn gerade dieses Zögern (das wir indes überwinden werden) nicht etwas mit den „Skrupeln" des Herrn Collet zu tun hat. Es ist in der Tat zu schlimm, ihnen das Geschäft der Geheimdiplomatie aus der Hand zu nehmen! - 20 Seiten - 21 Karl Marx/Friedrich Engels: „Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation" - 22 desselben
18
Engels an Marx in London
42, Kings Road, Brighton 27. Mai 77
Lieber Mohr, Du wirst Dich wundern über mein hartnäckiges Schweigen. Ich hab' eine verdammt schlechte Woche gehabt mit meinem Aug, die hellscheinende Sun hat ihm kein gut getan. Seit 8 Tagen trag' ich die Brille den ganzen Tag und habe dem Alkohol den Abschied gegeben, fand aber anfangs gar keine Besserung. Erst seit gestern entschiedne Wendung, so daß ich mein Aug nicht mehr fühle. Wenn ich nach London komme (Freitag)1851, werd' ich dem Ding entschieden ein Ende machen, ich bin diesen Zustand satt, in dem man nichts machen kann. Die dummen englischen Zeitungen fabeln von enormen Fortschritten der Russen in Armenien'861, an denen bis jetzt sehr wenig. Wenn aber die Softas in Konstantinopel nicht bald voranmachen, kann Muchtar P[ascha] großen Schaden anrichten. - Für die Kriegführung an der Donau bezeichnend, daß der Zar1 erst hinkommen muß, ehe etwas geschieht. Im übrigen scheint die russische Armeeverwaltung bis jetzt in der Tat besser als erwartet; wir wollen indes sehn, wie's geht, wenn die wirkliche Kampagne beginnt. Aber die Entscheidung liegt in Konstantinopel, und sie fängt an, dringend zu werden. Monsieur Mac-Mahon scheint auch an seinem Coup de tete2 irre zu werden.1871 Es zieht nicht recht, selbst die Börse will trotz aller Anstrengungen nicht ordentlich anbeißen. Seine Versicherungen, sich in der Legalität halten zu wollen, zeigten auch, daß der Erfolg den Zusicherungen von Broglie & Co. nicht entspricht. Wenn die Franzosen sich diesmal stramm halten und ordentlich, selbst nur nicht schlechter als das letzte Mal wählen, so sind sie wahrscheinlich mit dieser Art Reaktion ein für allemal fertig. Wie sich die Sache abwickelt, ist dieser Coup nicht auf Gewalt angelegt, und wenn später auch der Versuch damit gemacht werden sollte, geht es wahr
1 Alexander II. - 2 Geniestreich
scheinlich schief. Man kann nicht einen Coup d'Etat3 auf 3 Monate nach Dato ziehen wie einen Wechsel. Dabei ist Broglie kein Dreinschläger, sondern ein parlamentarischer Intrigant und versäumt sicher den rechten Moment, selbst wenn Mac-M[ahon]s Skrupel und Schranken dies nicht von vornherein fast sicher machten. Enfin4, die Sache verläuft äußerst günstig, und wenn diesmal die Wähler sich von Präfekten etc. als Stimmvieh behandeln lassen, so verdienen sie's nicht besser, es sieht aber nicht danach aus. Welche Chance für das alte Schwein Thiers, wenn M[a]c-M[ahon] das Dilemma stellt: gute Wahlen oder ich danke ab! Esel! Dein F.E.
3 Staatsstreich - 4 Kurz
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Marx an Engels in Brighton1851
[London] 31 May 77
Lieber Engels, Ich hoffe, daß es mit Deinen Augen besser geht. Madame Longuet senior hat der Madame Lormier, deren Augenübel von Tag zu Tag schlimmer und sehr bedenklich ward, ein Salbenbüchschen (was nicht minder denn 30 frs. kosten soll) zugeschickt, und sehr weniges davon hat sie mirabile dictu1 - in wenigen Tagen vollständig kuriert. Über das fact ist keine Kontroverse möglich. Die Salbe ist sehr berühmt in Frankreich, und bei Riechen, Sehn etc. derselben wirst Du wohl finden, was ihr Hauptbestandteil. Deine Ansichten über State in Turkey2 stimmen so sehr mit meinen überein, daß ich selbes fast wörtlich dem Wroblewski gesagt. Aber die Krise naht heran. Damad Machmud et Co., die unter direktem russischem Einfluß, wären sehre geneigt, Frieden zu machen mit den Russen1861, wobei natürlich die (auch von der „Times" in derselben Nummer, wo „Times" Mac-Mahon schilt wegen Antikonstitutionalismus, empfohlene188'1) Abschaffung der Konstitution vereinbart würde. Nichts käme dem Zar3 gelegner; bisher hat sozusagen erst vorläufige militärische Parade stattgefunden; die Erfolge der Russen in Kleinasien sind von den verschiednen Parteien aus verschiednen Gründen (abgesehn von bloody ignorance4) überschätzt und ausgepufft5 worden; die blasse Finanznot ist auch erst im vorläufigen Stadium begriffen; die Kaukasuskrankheit1891 ist erst noch sporadisch; der Zar käme mit einem succes d'estime6 und ohne Konstitutionsnot vorderhand davon; er könnte seinerseits in der okzidentalischen Krise sich wichtig machen etc. etc. Midhat Pascha, I am told, does everything from here to push the movement at Constantinople on which, in fact, the fate of Turkey (and the immediate prospects of Russian „development") depend.7
1 wunderbar zu sagen - 2 die Lage in der Türkei - 3 Alexander II. - 4 schreiender Unwissenheit - 5 aufgebauscht - 6 Achtungserfolg - 7 Midhat Pascha, heißt es, tut von hier aus alles, um die Bewegung in Konstantinopel weiterzutreiben, von der in der Tat das Schicksal der Türkei (und die unmittelbaren Aussichten der russischen „Entwicklung") abhängen.
In Frankreich1875 zeigt sich, was ich dem Lissagaray (jetzt sieht er wieder zu rosenfarb) umsonst seit längerer Zeit gepredigt, nämlich, daß die wirklich industrielle und kommerzielle Bourgeoisie republikanisch ist, wie das in der Tat die Ereignisse even since Thiers' regime8 klar zeigten, und daß die „hommes de combat"9 nur die beaux restes der professional politicians10 der alten Parteien, aber keine Klasse vertreten. Die Arbeiter (in Paris) haben sich das Losungswort gegeben, que c'est cette fois l'affaire de Messieurs les bourgeois11. Sie halten sich daher in Reserve. Aus einliegendem Ausschnitt aus „Marseillaise" wirst Du sehn, wie die radikalen Journale den Mac-Mahon behandeln. Die weise „Republique Frangaise" erklärt ihm, daß diese Frage nur durch seinen Abtritt entschieden werden kann; Emile de Girardin droht ihm mit impeachment12, und von allen Blättern behandelt ihn das „Steele", das epicierblatt par excellence13, mit [am] unerbittlichsten. Unterdes treiben die Bonapartisten. Das Schwert zu ziehn (abgesehn davon, daß das nicht in der line14 des Broglie) zu spät am Tag. Doch wird man's vielleicht (nach abermaliger Vertagung der Kammer) mit etat de siege15 versuchen, was zwar illegal, aber durch die responsabilite legale16 der Minister und die irresponsabilite constitutionelle17 des Mac-Mahon gedeckt. Auf diesem Weg, zu dem wenigstens die Bonapartisten drängen, könnte es doch noch zu gewaltsamen Zusammenstößen kommen. Es ist eine Möglichkeit, aber nicht wahrscheinlich. Der Tod Urquharts wurde mir pflichtgemäß von Collet angezeigt. Meine eigne Leibesbeschaffenheit ist nicht die blühendste, geht aber doch, verglichen mit früher um dieselbe Jahreszeit. Meine Frau bessert sich. Der kleine Mann18 (die Irländerin unterdes bei uns) hat sich rasch entwöhnt, verrät aber gefährliche Passion, statt im Zimmer herum-, die Treppe heraufzukriechen. Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein K.M.
8 sogar seit Thiers' Herrschaft - 9 „Männer des Kampfes" - 10 Überreste der Berufspolitiker - 11 daß es diesmal die Angelegenheit der Herren Bourgeois ist - 12 öffentlicher Anklage - 13 Krämerblatt im wahrsten Sinne des Wortes - 14 Absicht - 15 Belagerungszustand - 16 gesetzliche Verantwortlichkeit -17 verfassungsmäßige UnVerantwortlichkeit 18 Jean-Laurent-Frederick Longuet
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Engels an Marx in London
2, Adelaide Gardens Ramsgate, 15. Juli 77
Lieber Mohr, Seit Mittwoch sind wir hier installiert1901, leider aber wirkt die Seeluft diesmal bei meiner Frau nicht mit erwünschter Geschwindigkeit, der Appetit will noch nicht recht kommen. Bei mir sind die Folgen der Manchesterexkursion1911 dagegen bereits „aus den Augen, aus dem Sinn". Inl. Brief wird mir nebst einem von demselben Wiede (der also doch von unserm lustigen Puckelchen1 verschieden sein muß) für mich zugeschickt.1921 Schreib mir, was Du dem Biedermann antwortest, damit wir unisono2 verfahren. Die erste Korrektur der ,,Ök[onomie]" ist bereits hier.'931 Der Bogen 6 der „Philosophie]"[941, worin 29 Zeilen ausgefallen waren, wird neu gedruckt; hoffentlich gibt's dabei nicht wieder etwas Unangenehmes. Der Collapse der Russen in Asien1861 ist mir noch immer nicht ganz erklärlich. Die kaukasische Armee ist 8 Divisionen ä 16 Bataillone, also 128 Bataillone Linie (außer Schützen, Garnisönern und Neuformationen) stark, Loris-Melikow soll aber jetzt im ganzen nur an 40-50 Bat. haben. Rechnen wir auf die Flügelkolonnen bei Batum und Bajasid noch 30 Bat. (sicher sehr hoch), so bleiben 50-60 Bat., to be accounted for3.Diese müßten also im Kaukasus zur Deckung der Verbindungen geblieben sein; daß diese Annahme den ursprünglichen russischen Rodomontaden widerspricht, wäre kein Grund dagegen. Anyliow4 scheint die Landung in Suchum Kaleh1951 - was auch ihre wirklichen direkten Resultate gewesen sein mögen - den Zweck vollständig erfüllt zu haben, fast die halbe Kaukasusarmee im Kaukasus selbst festzuhalten. In Bulgarien scheinen die Russen einstweilen ihren Weg zu fühlen, was ihnen dank der türkischen rein passiven Verteidigung (die die preußischen Leutnants der „Kfölnischen] Z[ei]t[ung]" rein zur Verzweiflung bringt)
1 Johannes Wedde - 2 übereinstimmend - 3 die nachgewiesen werden müssen - 4 Jedenfalls
auch leicht genug gemacht wird. Jedenfalls präparieren sie, wie es scheint, einen raschen Vorstoß über den Balkan, sei es über Gabrowa-Kasanlyk oder über Sofia-Philippopel. Wenn sie ihn ausführen und die türkische Regierung sich nicht dadurch einschüchtern läßt, so könnte diese „modernste Kriegführung" ein Ende mit Schrecken nehmen. Drei Armeekorps in Thrazien zu verpflegen und mit Munition etc. versehen zu halten, ohne fahrbare Verbindung nach hinten, ist ein Kunststück, woran selbst der große Nikolaus Nikolajewitsch kaputtgehn kann. Den Türken tun platterdings einige Europäer not. Die Leute kennen entweder nur Offensive oder nur Defensive. Verbindung beider geht über ihren Horizont. Wie jener türkische Major dem Lieutnant der „K. Ztg." sagt: Sehn Sie da, jenseits der Donau, die vielen Russen? - Zum Teufel, warum schießen Sie denn nicht mit Ihren Kanonen drauf? - Yok, Efendim, nein, Meinherr, aber wenn die Russen auf uns schießen, dann sollen Sie mal sehn, wie wir ihnen antworten! - (Und währenddessen bauen die Russen ganz gemächlich ihre Batterieen. Wäre 1853 Silistria so verteidigt worden, so wäre es bald gefallen.1961 Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
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Marx an Engels in Ramsgate1901
[London] 18. Juli 77
Dear Fred, Was zunächst den Wiede betrifft1921, so werde ich ihm antworten1971, daß ich (was auch der casus) in meinem jetzigen Gesundheitszustand nicht in der Lage, mich an irgendeiner Zeitschrift als Mitarbeiter zu beteiligen, Es wäre in der Tat sehr angenehm, wenn eine wirklich wissenschaftliche sozialistische Zeitschrift erschiene. Sie gäbe Gelegenheit zu Kritiken oder Antikritiken, wo theoretische Punkte von uns erörtert werden könnten und die absolute Unwissenheit der Professoren und Privatdozenten zu exponieren und damit gleichzeitig auch die Köpfe des general public1 - Arbeiter wie Bourgeois - zu lichten wären. Aber Wiedes Zeitschrift \ann nichts anders sein als sham-scientific2; dieselben halbgebildeten Knoten und halbwissenden literati, die die „Neue Welt", den „Vorwärts" usw. unsicher machen, bilden notwendigerweise das gros seiner Mitarbeiterschaft. Rücksichtslosigkeit - erste Bedingung aller Kritik - wird in solcher Gesellschaft unmöglich; außerdem beständige Rücksicht zu nehmen auf Leichtverständlichkeit, d. h. Darstellung für Unwissende. Man denke sich eine chemische Zeitschrift, wo beständig die Unwissenheit des Lesers in der Chemie die Grundvoraussetzung bildete. Und von alledem abgesehn, die Manier, worin die notwendigen Mitarbeiter des Wiede sich in der Angelegenheit Dühring1981 aufgeführt haben, gebietet die Vorsicht, sich so separat als die politischen Parteiverhältnisse es erlauben, von diesen Herren zu halten. Ihr Motto scheint zu sein: Wer durch Schimpfen seinen Gegner kritisiert, hat Gemüt; wer aber durch wirkliche Kritik den Gegner beschimpft, ist ein unwürdiger Charakter. Ich hoffe, die Russenfrechheiten jenseits des Balkan1861 werden die Türken gegen ihr altes Regime aufrütteln. Daß Niederlagen der Russen in der europäischen Türkei direkt zur Revolution in Rußland führen, ist jetzt selbst für Lawrow und Lopatine bewiesen durch die von keiner Zensur
1 allgemeinen Publikums - 3 pseudowissenschaftlich
niederzuhaltenden Ausbrüche der russischen Presse aus3 Anlaß der failures4 in Armenien. Der Ton der Petersburger Zeitungen ist bedrohlicher als der der deutschen Presse zur Zeit, wo die Pariser Belagerung1"1 nicht den erwarteten Fortgang hatte. Während einiger Tage der vergangnen Woche und anfangs dieser hatten Schlaflosigkeit und entsprechende chaotische Verfassung der Kopfnerven einen bedenklichen Grad bei mir erreicht. Seit gestern geht's wieder besser. Mit bestem Gruß von Haus zu Haus. Dein Mohr
3 in der Handschrift: auf - 4 Mißerfolge
4 Mare/Encels, Werke, Bd. 34
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Engels an Marx in London
2, Adelaide Gardens, Ramsgate 19. Juli 77
Lieber Mohr, Ich werde dem Wiede ebenfalls schreiben, ich könne aus Zeitmangel nichts versprechen, geschweige etwas halten.1 Die wahren oder vielmehr innern Gründe, die Du so richtig aufführst, kann man leider nicht sagen. Zudem - was wissen wir von Herrn Wiedes Fähigkeit, eine wissenschaftliche Revue zu leiten? Und selbst - für kritische Fälle, wie sie sicher sich bald wiederholen würden - von seiner Zuverlässigkeit oder nur von seinem guten Willen? Hierbei das Neueste von Wilhelm2. Wegen des Manuskripts11001 habe ich ihm einfach geantwortet, ich würde Dir den Brief einschicken.'1011 Er hat wirklich 3 ganze Artikel im Cachot3 verfertigt, die in Nr. 80 und 81 des „V[or]w[är]ts" stehn.11021 Elende Achselträgerei, glänzendes Exempel, wie er Deine „Kritik des Programms" in eine Verherrlichung desselben umschreiben würde. Mit seiner Forderung eines Artikels über den Krieg hab' ich ihn abfahren lassen: ich wolle den Herrn Zukunftssozialisten den Raum im „V[or]w[är]ts" nicht streitig machen und nicht wieder zu Geschrei Veranlassung geben, als erfülle ich das Blatt mit fernliegenden und die Masse der Leser, die Phantasien statt Tatsachen zu wünschen scheinen, nicht interessierenden Dingen.1981 Das Elend ist nur, daß unsre Leute in Deutschland so jammervolle Gegner haben. Wäre auf der Bourgeoisseite nur ein einziger fähiger und ökonomisch gebildeter Kopf, er würde die Herren bald auf den Pott setzen und ihnen Klarheit über ihre eigne Konfusion verschaffen. Aber was kann bei einem Kampf herauskommen, wo hüben und drüben nur Gemeinplätze und Philisterkohl die Waffen sind! Gegenüber dem höheren Bürgerschädel in Deutschland entwickelt sich ein neuer deutscher Vulgärsozialismus, der sich würdig an den alten „wahren Sozialismus" von 184511031 anreiht.
1 Siehe vorl. Band, S. 283 - 2 Wilhelm Liebknecht - 3 Gefängnis
Die Türken müssen rasch machen, wenn die Sache gut ablaufen soll. Erlauben sie den Russen, in Bulgarien und am Südabhang des Balkans sich ein russisches Festungsviereck zu bilden11041, so kann die Geschichte dort chronisch werden, und eine Pointe4 auf Konstantinopel wäre dann nicht unmöglich, d.h. eine, die wie 1828 auf bloß moralische Wirkung - oder auf Verrat - berechnet ist. Und Verrat scheint ganz on the cards5 zu sein. Daß in Nikopolis - sonst, nach dem russischen Übergang, ohne große Wichtigkeit - Verrat vorgegangen, scheint mir klar. Noch nie haben sich 6000 Türken hinter Wall und Graben ohne Sturm ergeben - außer Varna 182811051. Ich werde ganz nervös bei den täglich zweimal einlaufenden Zeitungen mit russischer Aktion und unveränderlicher türkischer Untätigkeit; schlechter ging's selbst 1828 nicht, wo keine türkische Armee bestand. Geh doch zu Gumpert und laß Dir was für die Schlaflosigkeit geben, er ist jetzt noch da, und der Trip wird Dir gut tun. Laß die Sache nicht wieder zu weit gehn - ich vermute, Du gehst wieder Mitte Aug. nach Karlsbad6, und bis dahin hast Du einen Monat, der doch besser im gesunden Zustand verlebt wird. Hier geht's auch nicht besonders.1901 Lizzie ist seit gestern ohne allen sichtbaren Anlaß sehr unwohl, zum erstenmal versagt das Seebad seine Zauberkraft bei ihr, und ich fange an, ernste Besorgnis zu hegen. Beste Grüße an Deine Frau, Tussy und Lenchen sowie Longuets und Lafargues und Dich selbst von uns allen. Dein F.E.
4 ein Vorstoß - 5 im Bereich des Möglichen - 6 vgl. vorl. Band, S. 52/53
4*
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Marx an Engels in Ramsgate1901
[London] 23. Juli 1877
Dear Fred, Beiliegend „Journal des Debats", ist schon ältere Nummer, aber, namentlich auch der leader1 über den Oriental-Krieg und Korrespondenz von Rußland, interessant. Ferner „Volksfreund", Moniteur des Herrn Dühring, wie's scheint, geworden. [Ad]2 Collets: „England, enemy of Turkey etc." Ich hatte vor, für 2, 3 Tage Dich in Ramsgate zu besuchen; Reise zu Gumpert wäre nutzlos, da ich alles weiß, by heart3, von ihm sowohl wie von den Karlsbader Ärzten und Professoren, was die medizinische Wissenschaft in diesem bestimmten Fall nicht leisten kann. Außerdem geht's etwas besser mit der insomnie4. Aber un homme propose et l'autre dispose5. Der andre in diesem Fall ist Hirsch, der expreß nach London gekommen, um mit mir während Woche zu verkehren. Weiteres über ihn und seine-Mitteilungen im Verlauf dieses Epistels. Tout d'abord6 aber meine Pläne für nächste Zukunft. Ich habe vor, wo möglich 12ten August schon nach Neuenahr aufzubrechen11061 und nicht nach Karlsbad, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens von wegen der Kosten: Du weißt, daß meine Frau ernsthaft an Verdauungsstörungen leidet, und da ich Tussy, die wieder arge Attacke hatte, jedenfalls mitnehme, würde meine Frau ihr Zurückbleiben sehr übelnehmen. Die bloße Hin- und Herreise für uns 3, mit Gepäck, und wenn man, wie ich's mehrmals getan, für die Kur nicht zu forciert reist, kommt an 70 £. Außerdem habe ich Lenchen, die sehr knackschälig, seit lange versprochen, sie nach ihrer Heimat zu fördern, wo sie nicht ganz gratis leben kann. Außerdem hat die Familie noch allerlei Anschaffung für die Reise nötig. Zweitens: Die Karlsbader Ärzte selbst haben in Augenblicken des Vertrauens mir gesagt, daß, wenn man Karlsbad nicht jedes Jahr besuchen will,
1 Leitartikel - 2 in der Handschrift undeutlich - 3 auswendig Mensch denkt und der andere lenkt - 6 Zunächst
4 Schlaflosigkeit - 5 ein
Neuenahr als Intermezzo wohltätig sein möchte. Natürlich, sie wünschen, daß man immer nach Karlsbad geht. Es ist aber wahrscheinlich sogar hygienisch besser, einmal zu alterieren und schwächeres Bad zu nehmen, denn variatio delectat corpus7. Zudem ist mein Übel jetzt viel weniger lever8 als das davon herkommende Nervenderangement. Schwächeres Bad daher, aber essentiellement9 von selber Zusammensetzung. Ferner habe ich eben der Kosten halber eine Hauptsache immer vernachlässigt, die Nachkur. Bei den ungleich geringeren Reisekosten und dem Verschluß des Hauses (in Hut von Withers) während der Kurzeit wären durch die Verlegung von Karlsbad nach Neuenahr alle diese Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Hence q.e.d.10 Ich hoffe, daß Du damit einverstanden. Nun zu anderm, zunächst zu Hirsch. Er hat sich sehr gut herausgemacht und seine Zeit nicht verloren. Ich habe ihm unter anderm über die französische Statistik den Zahn gefühlt und ihn a la hauteur11 gefunden. Er hat mir auch interessante Mitteilungen über die fast allgemeine Umwandlung aller französischen industriellen Geschäfte in jointstock company-Geschäfte12 gemacht. Einmal dies erleichtert durch die Gesetzgebung während des Empire. Zweitens liebt der Franzos das Geschäft nicht, sondern will wo möglich als Rentier leben. Dazu diese Form des Geschäfts natürlich a godsend13. Nach Hirsch (hier sieht er vielleicht zu rot) die Offiziere der französischen Armee, mit Ausnahme der höchsten, republikanisch. Jedenfalls ein charakteristisches fact, daß Galliffet (die Affäre mit der Beaumont11071 faktisch, wie H[irsch] versichert hat, nach weiteren recherches) sich in eigenhändigem Brief Herrn Gambetta angeboten und daß selber Galliffet, nach der Absetzung des Präfekts seines Garnisonplatzes durch Broglie, nebst Generalstab dem beungnadigten Präfekten Kondolenzvisite abgestattet. Wenn das am dürren Holz geschieht etc.11081 Andrerseits unter den Unteroffizieren, die zum größten Teil aus neuen Leuten bestehn, allgemein der Glaube verbreitet, daß Mac-Mahon die Kammer verjagt hat1871, weil sie die Lage der Unteroffiziere durch Reihe von Vorschlägen zu verbessern suchte. Über alles, was im Elysee11091 vorgeht, weiß "man täglich alles in Paris, da die bonapartistischen tapageurs14, die dort ein und aus gehn, nicht das Maul halten. Mac-Mahon höchst verbittert. Dies Vieh, dessen erstes histo
' Abwechslung bekommt dem Körper - 8 Leber - 9 im wesentlichen -10 Hence quod erat demonstrandum. (Was also zu beweisen war.) - 11 auf der Höhe -12 Aktiengesellschaften 13 ein Geschenk des Himmels - 14 Schreier
risches Wort: J'y suis, j'y reste11101; dessen zweites: C'est assez15, spricht jetzt sein letztes Wort. Er sagt von morgens bis abends: „Merde/"16 Hirsch ist wütend über das „Vorwärts", sowohl die Dühringaffäre als das „Nieder mit der Republik"11111. Er hat in höchst derber Weise an den Vorstand (Geib etc.)1121 über beides geschrieben. Er sieht jetzt auch ein, daß die Fusion die Partei theoretisch und praktisch degradiert hat. Mit Bezug auf das „Nieder mit der Republik" bemerkt er, daß der große Hasenclever als preußischer Soldat (wahrscheinlich Reservist oder Landwehrmann) vor Paris stand zur Zeit der Kommune, also keinen Grund hat, Prinzipreiterei zu betreiben. Er behauptet, Hasenclever sei zur Zeit des preußischen Konflikts11121 Redakteur eines progressistischen Blatts in Krefeld11131 gewesen, habe dies an einen ultra Reaktionär verkauft und sich bei dieser Gelegenheit in einem aus diesem Verkauf hervorgehenden Prozeß schwer kompromittiert. Dies, wie Bracke ihm selbst gesagt, wußten Bracke und Genossen, als sie den H[asenclever] zum gleichberechtigten Redakteur des „Vorwärts" mit Liebknecht ernannten!11141 Liebknecht, meanwhile, est puni par oh il a peche17. Die Lassallebande tut alles, um ihn zu hänseln und demütigen. Z.B. werfen sie ihm sein Hundesalär am „Vorwärts" vor, seine Frau (mit 5 Kindern) brauche keine Magd etc. Sie haben es absichtlich so eingerichtet - mit Umkehrung alles Partei- und Journalusus, daß Liebknecht brummen muß für alle Artikel, auch die während seiner Abwesenheit geschriebnen11151, also in der Tat beim „ Vorwärts" die Rolle spielt, die der Strohmann bei den französischen Blättern. Hirsch geht von Paris für nächsten Monat nach Berlin, wo er für 1 Monat die Redaktion der lithographierten Parteizeitungen führt18 und dies in einer Art tun will, die dem alliierten Lumpengesindel Kummer machen soll. Ich lege folgenden „Zukunfts"-Brief11161 ein, für den Fall, daß Du ihn nicht auch erhalten. Schick mir ihn zurück zur Antwort. Das ist schön und schlau von „Bürger", „Denker" und „Zukunftssozialist" Most. So also zweite Fusion vorbereitet; wir mit Herrn Dühring, denn der wird dort nicht fehlen, zusammen; zugleich durch unsere Namen unter Redaktion von Most et Co. alle ihre Gemeinheiten vor dem Publikum von uns dankbarst eingesteckt! Dann hätte ich doch hundertmal eher dem
15 Genug - 16 „Scheiße!" - 17 ist inzwischen gestraft durch das, womit er gesündigt hat 18 siehe vorl. Band, S. 61
Wiede den Gefallen getan.1921 Doch hat Most mir einen Gefallen getan, indem er mir Gelegenheit gibt, ihn abschlägig zu bescheiden. Diese Kerls glauben mit „frommen Lämmerschwänzchen" zu tun zu haben. Quelle impudence.19 Die Russen scheinen mir mit ihrem Schreckschuß arg durchgefallen zu sein; und wenn solche antimilitärische coups de tete20 nicht here and then21 gelingen, wirken sie sehr katzenjämmerlich kompromittierend auf eigne Armee und eignes Publikum, namentlich dicht auf dem Fuß des armenischen Exit22. Freund Lopatine soll unterdes wieder antipatriotisch geworden sein. Ich hoffe, daß es mit Deiner Frau23 besser geht. Salut an alle. Dein Mohr
19 Welche Unverschämtheit, Bums
20 Geniestreiche - 21 hin und wieder - 22 Rückzugs - 23 Lizzy
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Engels an Marx in London
Ramsgate, 24. Juli 77
Lieber Mohr, Zeitungen etc. erhalten. Besten Dank. Dein Plan hat allerdings den Vorteil, sehr viele Fliegen mit einer Klappe zu schlagen; ich will nur hoffen, daß die Hauptfliege, Deine Leber, nicht darunter leidet. Indessen sind so viel ärztliche Autoritäten dafür, daß sich auch von dem Gesichtspunkt nicht viel Bestimmtes dagegen sagen läßt. Wer weiß, ob Dir diesmal Neuenahr11061 nicht mehr guttut als Karlsbad. Es ist eben eine Lotterie, esperons le mieux1. Zur Erledigung des Wesentlichen inl. cheque £ 101.3.7 - die unrunde Summe ist absichtlich. Komm doch jedenfalls noch auf ein paar Tage her1901, und wenn's geht, bring Hirsch mit. Die Luftveränderung wird Dir guttun. Übrigens denk' ich vor dem 12. Aug. auch noch einmal auf einen Tag nach London zu kommen, doch laß Dich [von] dergleichen Unbestimmtheiten nicht abhalten. Hirschs Mitteilungen über Frankreich sind grade in diesem Augenblick sehr erfreulich, selbst mit Abzug von einigem Diskonto. Daß er selbst sich macht, ist sehr gut; es ist Zeit, daß wenigstens einige sich machen, wo so viele verlumpen und verdummen. Den braven Brief der „Zukunft"11161 hiermit zurück. Ich erhalte von London gleichlautendes Ex. zugeschickt. Ich denke, ich antworte, erstens sei es unmöglich, sich zur Mitarbeiterschaft einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu verpflichten, deren Redaktion anonym und deren Mitarbeiter ebenfalls ungenannt sind. Kongreßbeschlüsse11171, so respektabel auch auf dem Gebiet der praktischen Agitation, gälten in der Wissenschaft = 0 und reichten nicht hin, den wissenschaftlichen Charakter einer Zeitschrift, der nicht dekretiert werden könne, festzustellen. Eine sozialistische wissenschaftliche Zeitschrift ohne ganz bestimmte wissenschaftliche Richtung sei ein Unding, und bei der großen
1 hoffen wir das beste
jetzt in Deutschland grassierenden Verschiedenheit resp. Unbestimmtheit der Richtungen fehle bis jetzt jede Garantie, daß die einzuschlagende Richtung uns passe. - Zweitens aber werde ich, nach Beendigung des Dühring121', mich auf meine selbständigen Arbeiten beschränken müssen, habe also keine Zeit. Was hältst Du davon? Ich eile nicht damit. Aus inl. Brief von Liebkn[echt], den ich mir beantwortungshalber2 zurückerbitte, siehst Du, wie Herr Dühring „könnt' es nicht erwarten, bis daß dasGlöcklein zwölfe schlug"11181 und sich alles selbst verdorben hat.11191 Der dumme Wilhelm hat das natürlich alles selbst so weise gemacht und merkt in seiner Kinderfreude gar nicht einmal, wie sehr sich „die Partei" dabei blamiert hat. Was soll man mit solchen Leuten anfangen? Dabei ist der Mann noch ganz stolz auf seine Artikel über Frankreich11201, worin er Hasenclevers Blödsinn11111 einfach endossiert3. Übrigens wollen wir abwarten, ob der ganze Jubel von wegen des Dühringdurchfalls sich nicht wieder in den Sand verläuft. Die Manöver der Russen sind höchst gewagt, aber wem tut das was, wenn die türkische Kriegführung bleibt wie seit 4 Wochen?4 Die richtige Manier war, von Schumla und Rustschuk aus den Russen mit vereinter Macht in die Flanke zu fahren und sie zu hauen. Jetzt haben sie den besten Balkanpaß (Schipka), den sie leicht halten können, und nach den heutigen Nachrichten schicken die Türken von Schumla Truppen über Jamboli nach Rumelien, um sich den Russen dort vorzulegen, statt die Truppen aus Rumelien - die Garnison von Adrianopel ausgenommen - fortzuziehn nach Schumla und auf Sistowa Ioszugehn mit allen Kräften. Die türkische Leitung hat sich offenbar einschüchtern lassen und macht entsprechende Böcke. Dazu hat sie den Russen überall die grade reife Ernte überlassen, so daß sie genug zu essen haben. Abdul Kerim hat die türkische Armee so verkommen lassen, daß über 20% im Lazarett liegen, und der preußische Leutnant der „K[ölnischen] Z[eitung]" sagt, er habe in Schumla türkische Offiziere (nicht Soldaten) massenweise an Schnaps besoffen gesehn. Alles Folge vom Nichtstun. Man wird wütend, eine so prachtvolle Position und so famoses Soldatenmaterial so unvernutzt daliegen zu sehn. Mit alledem kommen die Russen noch nicht nach Konstantinopel und können selbst den Türken im Festungsviereck11041 so leicht nicht die Nahrung abschneiden. Auch haben sie nur noch 2 Monate zur Entscheidung vor sich, und somit ist selbst, trotz aller türkischen Dummheiten, die diesjährige Kampagne schon so gut wie gescheitert - wenn nur nicht dort das Unberechenbare herrschte! Die
a siehe vorl. Band, S. 285/286 - 3 übernimmt - 4 siehe vorl. Band, S. 47
englischen Truppensendungen werden wohl hinreichen, um einen Sultans5Separatfrieden zu verhindern, und das ist das Gute dabei. Mit Lizzie geht's besser. Sie hatte am Sonntag eine ernsthafte Krisis und scheint sich jetzt allmählich zu erholen. Beste Grüße an alle. Dein F. E.
5 Abdul Hamid II.
25,
Marx an Engels in Ramsgate1901
[London] 25 July 77
Dear Fred, Besten Dank für das billet doux1. Noch ein Wort über Neuenahr.11065 Wenn man immer nach Karlsbad geht ohne Unterbrechung, so spielt man stets die letzte Karte aus. Nimmt man dagegen zu schwächerer Heilquelle Zuflucht, so bleibt höhere Instanz übrig, falls die Dinge wieder bedenklichere Form annähmen. Und man muß ganz so diplomatisieren mit seinem corpus wie mit allen andern Dingen. Einliegend ditto Auszug von Briefen Geibs an Hirsch. Er bedauert, daß er Liebknechts Briefe nicht bei sich hat, weil, wie er sagt, wir daraus ersehn würden, daß L[iebknecht] seit Monaten stark gegen die Dühringclique gewühlt. L[iebknecht], scheint es, hat viel Ärger verschlucken müssen, den er uns geheimhält. Was sagst Du von den Arbeitern der Linited States? Dieser erste Ausbruch gegen die seit dem civil war2 entstandne associated capital Oligarchie3 wird natürlich niedergeschlagen werden, kann aber in den United States sehr wohl den Ausgangspunkt für Konstitution einer ernsthaften Arbeiterpartei bilden.11211 Es kommen zwei günstige Umstände hinzu. Die Politik des neuen Präsidenten4 wird die Neger und die großen Landexpropriationen (exactly of the fertile land5) zugunsten der Railway, Mining etc. Compagnies6 die Bauern des Westens, die schon sehr stark murren, zu Bundestruppen der Arbeiter machen. So daß schöne Sauce sich drüben einrührt und die Verlegung des Zentrums der Internationalen nach United States[I221 noch ganz absonderliche Opportunität post festum erhalten kann. Du erinnerst Dich, daß Challemel (ich weiß nicht, wie der Name sich schreibt) du Lacour7 in der „Republique Franfaise" einen bitterbösen, kalt insultierenden Artikel gegen Mac-Mahon geschrieben[I23!, worin unter
1 den Liebesbrief - 2 Bürgerkrieg - 3 vereinigte Oligarchie des Kapitals - 4 Rutherford Birchard Hayes - 5 gerade des fruchtbaren Bodens - 6 Eisenbahn-, Bergwerks- usw. Gesellschaften 7 Paul-Armand Challem^l-Lacour
anderm die Rede von seiner „blessure opportune"8, ohne welche er mit den Frossard, Failly etc. in dieselbe gloire-liste relegiert9 worden wäre. Es wurde darauf in den offiziellen Blättern angezeigt - gerichtliche Verfolgung der „Republique" von wegen dieses Schmähartikels. Geschah aber nicht, und, wie Hirsch sagt, aus folgendem Grund: Der bekannte Stoffel, Todfeind des Mac-Mahon, der ihn aus der Armee entlassen und mit dem er großen Krakeel hatte während des Bazaineprozesses11241, kam zu Gambetta und bot sich als Zeugen an, falls es zum Prozeß komme, über Mac-Mahons exploits10 während der Schlacht bei Sedan1141. Dies war bald im Elysee11091 bekannt, und man ließ den Prozeß fallen. Ad vocem Broglie.11 Er hatte, wie Dir bekannt, im ersten ordre moral Ministerium11251 seine Schulden getilgt, steckte aber nun wieder in neuen, ganz Paris bekannten Verlegenheiten. Er wartete auf den Tod einer uralten, knackschäligen Verwandten (steinreichen) in der Schweiz, einer Frau von Stael (Verwandten der berühmten virago12). DiesePerson starb 13. März 1877, hinterließ ihr ganzes Vermögen einer Dame, und dem Broglie - keinen farthing13. Darauf sagte er wie Dolleschall: Jetzt geht's ums Brot. Jetzt striche ich alles! Deine Antwort an die Berliner wäre zeitgemäß. Die Kerls müssen fühlen, daß, wenn man lang enduring14 ist, man auch nachhaltig zu sein weiß. Ich werde sehn, ob sich trip mit Hirsch arrangieren läßt.15 Heut ist er in dem Kristallpalace11261, so daß ich ihn schwerlich vor morgen nachmittag (da er morgens seine Korrespondenz an „Vossische" etc. schreibt) sehn werde. Salut. Dein Mohr
Beispiel Von dem „großen Scharfsinn" der Kathedersozialisten11271: „Auch mit dem großen Scharfsinn, wie er Marx zu Gebote steht, läßt sich die Aufgabe nicht lösen, ,Gebrauchswerte'" (das Vieh vergißt, daß von „ Waren" die Rede ist), „d. h. Träger für Genüsse usw. auf ihr Gegenteil, auf Quantitäten von Bemühungen, auf Opfer usw. zu reduzieren ." (Das Vieh glaubt, daß ich in der Wertgleichung die Gebrauchswerte auf Wert „reduzieren" will.) „Das ist Substitution von Fremdartigem. Die Gleichsetzung verschiedenartiger Gebrauchswerte läßt sich nur erklären durch eine
8 „rechtzeitigen Verwundung" - 9 dasselbe Ruhmesblatt verwiesen -10 Heldentaten -11 Nun zu Broglie. - 12 Amazone - 13 Heller - 14 geduldig - 15 siehe vorl. Band, S. 56
Reduktion derselben auf ein gemeinsames Gebrauchswertige." (Warum nicht lieber gleich auf - Gewicht?) - Dies dixit16 Herr Knies11281, das kritische Genie der Professoralökonomie.
Auszüge aus Briefen von Geih an Hirsch. 1. Hamburg, d. d. 3. 6. 77. (Betreffs der Gründung der Revue)1117„Ein Genosse, Karl Höchberg in Berlin" (nach Hirschs Meinung ein „Genosse" des illustrious17 Eugen Dühring), „geboren in Frankfurt a. M., hat sich verpflichtet, der Partei zu literarischen Zwecken jährlich 10 000 Mk. zu schenken. Dadurch nun flügge gemacht, beschlossen wir in Gotha, nicht nur die Revue, sondern auch eine sozialdemokratische Korrespondenz - autographiert -, ähnlich wie wir dieselbe voriges Jahr in Gotha11291 privat besprachen, vom I.Oktober an herauszugeben. Ich dachte sofort an Dich als den Redakteur beider Blätter. Die Revue soll monatlich zweimal und die Korrespondenz 2-3mal, zur Reichstagszeit 6mal erscheinen etc. Der Redaktion der „Revue" will Höchberg, der studiert hat und etwa 30 Jahre alt ist, nach Bedarf zur Hand gehn, ohne jedoch das Dispositionsrecht zu haben. Der Redakteur beider Unternehmungen soll ein Jahresgehalt von 3000 Mark erhalten... Wir sind alle, soweit ich bis jetzt gefragt habe, einig darüber, daß die Redaktion in Deinen Händen am besten ruhe." 2. Hamburg, 5. 7.77:... „ Die Revue wird vom 1. Oktober an erscheinen... Bei Herausgabe der Revue wird Höchberg, welcher sich wahrscheinlich direkt an Dich wendet, behülflich sein. Ich denke mir dies so: Du überweisest ihm oder verständigst Dich mit ihm über einzelne Departements, welche er verwaltet, so z.B. Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaft. Die Büchernovitäten auf diesem Gebiet wird Höchberg besprechen... Stellt sich heraus, daß Du Deine ganze Kraft bei der Korrespondenz einsetzen mußt, so läßt sich leicht ein neues Arrangement treffen. Ich zeige hierbei auf Dr. Wiede hin, der ein eifriger Parteigenosse ist, Französisch, Englisch und Italienisch spricht und schreibt, viel gereist ist und selbst eine sozialistische Revue in Zürich herausgeben wollte1921. Als er neulich hier war, redete ich ihm den Plan aus etc." (hat aber nicht gesessen!) 3. Hamburg, 18. 7. 77. Du hast für die Korrespondenz definitiv angenommen" (i. e. Hirsch will für den Monat August den Versuch machen) Mit der Revue sind
16 sagt - 17 erlauchten
wir immer noch nicht im festen Geleise. Da Du ablehntest, so unterhandelten wir neuerdings mündlich .hier mit Höchberg. Da kam in Betracht, daß die Leipziger wie ein Mann gegen eine Redaktion der Revue aus lauter Parteineulingen sind. Höchberg gefällt allen ganz gut, doch Wiede nicht. Man fürchtet, daß eine schwache Redaktion - und eine ungekannte kann eventuell eine schwache sein - in Berlin leicht in Dühringsches Fahrwasser geraten und so den Keim zu fatalen Differenzen in der Partei legen könne. Ich sehe nun zwar nicht so schwarz, allein darin gebe ich jedem recht: die Revue muß im ersten Quartal von einem literarisch gebildeten, in der Partei allseitig bekannten Genossen mitredigiert undgezeichnet werden, mit andern Worten, eingeführt werden. Ich glaube, daß Du das ganz gut tun kannst..." (worauf jedoch Hirsch erklärt, daß er nicht tun wird).
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Engels an Marx in London1901
[Ramsgate] 2, Adelaide Gardens 3I.Juli 77
Lieber Mohr, In aller Eile nur zwei Zeilen mit inl. Brief von W. Liebknecht], der vielleicht auf deine „Zukunfts"-Antwort von Einfluß.11301 Ich habe noch nicht direkt geantwortet, aber an Liebknecht]1 wegen der sonderbaren Zumutung, wir möchten doch ganz anonymen Leuten unsre Manuskripte anvertrauen, weil ein Kongreß ihnen den Charakter der Wissenschaftlichkeit dekretiert.11171 Ich habe ihm ferner geschrieben, ich würde überhaupt nur noch ausnahmsweise, und wenn ich selbst es für dringend hielte, Artikel schreiben. Wilh[elm] weiß offenbar selbst nicht, wie die Sachen stehn, - sonst könnte er den Bock wegen Wiede nicht schießen. Schöne Manier, eine wissenschaftliche Zeitschrift zu machen! Jedenfalls gut, daß keine Dühringerei. Die amerikanische Strikegeschichte1121' hat mir viel Freude gemacht. Die springen ganz anders in die Bewegung hinein als diesseit des Wassers. Erst 12 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei, und schon die Bewegung so akut! Kniest ist sehr schön. Auch Dühring, bei dem Du wieder einmal richtig gerochen. Sein letztes Wort ist in der Tat, aus der Konfusion in die Ökonomie übersetzt, Wertbestimmung durch Arbeitslohn.11311 Man wird sich an die Gegenwart der Russen zwischen Balkan und Donau wohl bis zum Herbst gewöhnen müssen.1881 Die Türken haben einen sehr großen Teil ihrer regulären Truppen in den serbischen und montenegrinischen Kämpfen durch schlechte Verpflegung verkommen lassen, und an dem Rest hat Abdul Kerim sein Bestes getan, daß sie kaputtgehn, ich zweifle, ob Mechmed Ali über 50 000 Mann zur Offensive fähiger Truppen hat, OsmanP[ascha] wird an 25000 haben und südlich vom Balkan
1 Siehe vorl. Band, S. 285/286
noch 25 000; das scheint alles zu sein, der Rest ungedrillte Miliz, die im Felde nichts taugt. Wenn nun die türkische Regierung keinen voreiligen Frieden schließt, so kommen die Russen dies Jahr nicht nach Konstantinopel, aber wohl im Nov. wieder über die Donau, und da sie die Festungen bisher gar nicht entamiert2 haben, diese also - Unvorhergesehenes ausgeschlossen - für diese Kampagne wohl noch sicher sind, so können sie im Frühjahr wieder von vorn anfangen - wenn überhaupt! Der elende „Standard"-Korrespondent in Konstantinopel verbreitet in Layards Auftrag Heulmaierei, damit die englische Flotte den Türken oktroyiert werde. Dein F.E.
2 angetastet
Karl Marx
(zweite Hälfte der siebziger Jahre)

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Marx an Engels in Ramsgate1901
[London] I.August 1877
Dear Fred, Einliegend Brief von Höchberg an Hirsch, der Sonnabend nach Paris zurückkehrte. Retourniere gefälligst den Brief nach Lesung, da ich selben dem Hirsch wieder zustellen muß. Ich glaube, der Brief von Höchberg charakterisiert den Mann besser als alles, was Liebknecht (letzterer brilliert auch wieder durch seine Rekommandation des Konfuzius Acollas und des Faiseur1 Lacroix) über ihn sagt oder sagen kann. Höchberg ist der erste, der sich - meiner Ansicht nach mit den besten Intentionen - in die Partei einkauft und sie nach seinem Bilde umschaffen will. Er ist offenbar sehr wenig oder gar nicht vertraut mit dem Personalstand der „auswärtigen" Parteimänner und Schriftsteller, die er „international" um sich gruppieren will. Den würdigen B.Malon, den sogar die „Liierte" beige als flachen Buchmacher verwarf, nimmt er au serieux2! Mit Bezug auf Elisee Reclus, den protestantischen Pfaffensohn, sollte er jedenfalls wissen, daß er und sein Bruder Pollux3 die „Seele" (um mit unsrem ehemaligen ,,N[euen] Rheinischen] Zeitungs"-Inspirator zu reden11321) des Schweizer Journal „Le Travailleur"11331 (fernere Mitarbeiter davon: Shukowski,. Lefranfais, Razoua et tutti quanti4), worin, wenn auch in jesuitisch feinerer Form, als dem unglücklichen Guillaume zu Gebot steht, ein Kampf aufs Messer gegen die deutsche Arbeiterbewegung geliefert wird und ganz speziell deren Führer (man nennt Liebknecht usw. natürlich nicht) als Leute denunziert werden, die auf Kosten der Arbeiter - nichts tun, vielmehr die Bewegung hemmen und die Kräfte des Proletariats in Scheingefechten und parlamentarischer Fickfackerei vergeuden. Und zum Dank dafür will ihn Höchberg zur Mitarbeit von Berlin her einladen! Vor ein paar Tagen turned up5 - um bald darauf wieder nach Deutschland zu verschwinden - das fidele Buckelchen Wedde. Er hatte dringenden Auftrag von Geib, Dich und mich für die „Zukunft"11171 zu werben. Ich
1 Wichtigtuers - 3 ernst - 3 Michel-Elie Reclus - 4 und wie sie alle heißen - 5 tauchte auf
5 Marx/Engels, Werte, Bd. 34
habe ihm durchaus kein Geheimnis aus unsren Abstentionsabsichten und deren Gründen gemacht, zu seinem großen Kummer, und ihm zugleich bedeutet, daß, wenn unsre Zeit erlaubt oder die Umstände auffordern, wieder propagandistisch aufzutreten, wir, als Internationale, keineswegs gebunden oder verbunden sind, uns an Deutschland, ans Vaterland, das teure, anzuschließen. Er hatte in Hamburg den Dr. Höchberg und ditto den Wiede gesehn; letzterer sei etwas oberflächlich berlinerisch anmaßlich angestrichen, ersterer gefiel ihm, er leide aber noch sehr an der „modernen Mythologie". Als nämlich das Kerlchen (Wedde) das erstemal in London war, bediente ich mich des Ausdrucks „moderne Mythologie" zur Bezeichnung der wieder grassierenden Göttinnen der „Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit etc.", was tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte, da er selbst viel im Dienst dieser höheren Wesen gemacht. Ihm schien Höchberg etwas verdühringt, und seine Nase ist schärfer als die des Liebknecht. Du wirst den Mehring'1341 erhalten haben. Ich schicke Dir heute noch eine kleine Broschüre gegen Treitschke[135], die sehr langweilig und seicht geschrieben, aber doch wegen einiger Punkte gewisses Interesse hat. Was in der Türkei das Hauptübel, ist - die alte Geschichte aller absoluten Monarchien. Die Serailpartei - die zugleich russisch ist, wie die Partei von Karl /., Karl II., Jakob II., Ludwig XVI., Friedrich Wilhelm IV. alle durch Intrige mit dem Ausland sich zu halten suchten - biegt sich, ist aber noch lange nicht gebrochen. Im ersten Schreck Abdul Kerim und Redif vors Kriegsgericht geladen. Machmud Damad in Ungnade, Midhat Pascha eingeladen zur Rückkehr. Kaum die erste panique vorüber, und Damad herrscht wieder, schützt seine Getreuen, hält den Midhat fern etc. Ich bin überzeugt, daß die Moskowiter Diplomatie mit mehr Spannung den Manövern in Konstantinopel folgt als denen diesseits und jenseits des Balkan. Apropos „ Wert" macht Kaufman im ersten (sehr mangelhaften, ja absolut fehlerhaften, aber nicht uninteressanten) Kapitel der „Teopisi KOJießaiÜH i^kut" über den „Wert", nach Musterung sämtlicher epigonischer Spintisiererei der gleichzeitigen deutschen, französischen und englischen Scholastiker, folgende absolut richtige Bemerkung: „Bei unserer Revue der Lehren über den Wert... sahen wir, daß die politischen Ökonomen die Wichtigkeit dieser Kategorie wohl begriffen haben ... Trotzdem ... allen, die sich mit der Wirtschaftswissenschaft beschäftigen, die Tatsache bekannt, daß man in Redensarten aufs äußerste die Bedeutung des Werts erhöht, in der Tat aber ihn so rasch als möglich
vergißt, sobald mehr oder weniger darüber in der Einleitung gekanzelt worden; es ist unmöglich, auch nur ein einziges Beispiel anzuführen, wo das, was über den Wert gesagt wird, in organischem Zusammenhang stünde mit dem, was über andere Fragen gesagt wird, - wo das in der Einleitung über den Wert Gesagte irgendeinen Einfluß ausübte auf die nachfolgenden Auseinandersetzungen. Ich habe hier natürlich nur die reine Kategorie ,Wert' im Auge, getrennt vom Preis."11361 Das in der Tat ist die Signatur aller Vulgärökonomie. Adam Smith hatte dies eingeleitet; seine paar tiefen und überraschenden Anwendungen der Werttheorie finden sich in gelegentlichen Äußerungen, die ohne allen Einfluß auf seine Entwicklungen ex professo. Die große Sünde Ricardos, die ihn von vornherein unverdaulich machte, war eben der Versuch, die Richtigkeit seiner Werttheorie an den ihr6 scheinbar widersprechendsten ökonomischen Tatsachen nachzuweisen. Meine Herrn Neffen7 haben mir gestern die 5 dicken Bände von Bancrofts „The Native Races of the Pacific States of North America" verehrt. Daß das Buch bei Longmans erschienen, kam ihnen sehr gelegen, konnte einfach in die Rechnung zwischen Longmans und dem Alten8 eingehn. Dr. Wiede hat mir mit sehr artigem Brief auf mein Excuse-Schreiben9'971 geantwortet. Was die „Zukunft" betrifft11161, werde ich gar nicht antworten, considering that an anonymous circular, signed by nobody, is from its very nature - unanswerable and not to be answered10. Die irischen Plänkeleien im House of Commons11 sind sehr amüsant. Parnell etc. sagten dem Barry, das Schlimme sei die Haltung Butts, der auf eine Richterstelle spekuliert und ihnen gedroht hat, seine leaderstelle12 niederzulegen. Er könne ihnen in Irland großen Schaden tun. Barry sprach von Butts letter to the General Council of the International1137Dies Dokument hätten sie gern, zum Beweis, daß sein Sprödetun den Intransigenten gegenüber nur Komödie; aber wo soll ich das Zeug jetzt finden? Salut. Dein Mohr
G in der Handschrift: ihnen - 7 Henry und Charles Juta - 8 Johan Carel Juta -9 Entschuldigungsschreiben - 10 in Erwägung, daß ein anonymes, von niemandem unterzeichnetes Rundschreiben seiner ganzen Natur nach - nicht zu beantworten ist und nicht beantwortet wird -11 Unterhaus - 12 Führerstelle
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Marx an Engels in Ramsgate1901
[London] 8. August 77
Dear Fred, Immer noch keine Nachricht von den Longuets, was um so widriger, als wir heute abreisen (heut abend)11061. Einliegend das Tableau Economique1811 mit einigen Randglossen11381. Es war mir unmöglich, auf dem Speicher die Sachen von Owen (ebenso die „Fausse Industrie"' von Fourier) aufzufinden, da alles dort (er dient zugleich als Schlafzimmer der Carry, und die Damen haben alle ihre Koffer zum Packen für die Reise mit obligatem Inhalt daselbst exponiert) in höchster Konfusion. Ad Oocem Owen} Die Schrift von Sargant wäre leicht zu haben; wichtiger und nicht zu haben die kleine Broschüre on private marriages211391. Die 2 dicken Bände, die Jennychen hat, waren positiv nicht in ihrem Haus; ich habe dort alles durchsucht; vielleicht hat Longuet sie mitgenommen. Im Notfall wohl alle Schriften Owens zu haben von old Allsop. Meanwhile3 habe ich bei mir eine sehr wichtige Schrift Owens gefunden, worin er ein Resume seiner ganzen Doktrin gibt. „The Revolution in the Mind and Practice of the Human Race", 1849. Ich hatte sie ganz vergessen. Diese, zusammen mit Fouriers „Theorie des quatre Mouvements" und „Nouveau Monde Industriel" und Hulbards Schrift über S[ain]t-Simon, bringe ich heut in Dein Haus.11401 Meine Frau ist keineswegs in befriedigenden Gesundheitsverhältnissen. Ich hoffe, daß es mit Madame Lizzy besser geht; das Bad im Meer wird hoffentlich bald für sie beginnen können, es hat ihr ja bisher immer geholfen. Grüße sie aufs herzlichste von uns allen. Und nun, old boy, auf Wiedersehn. Die verfluchten Preußen können das Stänkern nicht lassen, und der alte falsche Unteroffizier4 wird sein möglichstes tun, um den Franz Joseph in Dummheiten zu stürzen. Dem fehlt nur noch eine ungarische Revolution.
1 Nun zu Owen. -2 über freie Ehen -3 Inzwischen -4 Wilhelm I.
Schema des Tableau Economiqi
Nachstehendes Tabieau, mit Ausnahme des mit Bleistift Geschriebenen* wörtlich aus Quesnay „Analyse du Tableau Economique" (p. 65) Physiocr. ed. Daire, I*re Partie. Paris 1846. Die Linien bei Quesnay wie hier punktiert.
Schema des Tahleau Economique
(i.) {Produktive Klasse)
[Jährliche] Vorschüsse der produktiven Klasse
<II.) (Grundeigentümer)
<III.) (Sterile Klasse)
Revenue der Grundeigentümer Vorschüsse der sterilen Klasse des Souveräns und der Zehntherren
Summen, die der Bezahlung der Revenue und der Zinsen der ursprünglichen Vorschüsse dienen
Ausgaben für die jährlichen Vorschüsse
2 Milliarden
1 Milliarde <a') —""""" ((Lebensmittel))
1 Milliarde <a">'''" ((Rohstoffe))
1 Milliarde (a'">'"' ((Lebensmittel))
2 Milliarden (a'V) ((Reproduktion der jährlichen Vorschüsse))
2 Milliarden "" <b>
1 Milliarde (c)
1 Milliarde <c'> ((Manufakturwaren))
Milliarde <c"> ((Manufakturwaren))
Insgesamt. 2 Milliarden wovon die Hälfte von dieser Klasse für die Vorschüsse des nächsten Jahres embehalten wird
* Iri der folgenden Ubersetzung des Schemas durch spitze Klammern gekennzeichnet.
28 • Marx an Engels • 8. August 1877 69
Der Korrespondent der „Republique Franipaise" von Constantinople schreibt, daß der alte cheik-ul-islam5 durch Intrige des Machmud Damad von wegen seiner revolutionären Gesinnungen abgesetzt und durch einen Esel6 ersetzt worden ist. Er glaubt, daß, wenn die Palastintrigen, nicht bald aufhören, Tumultuöses in Konstantinopel bevorsteht. Adio. Dein Mohr
[In der Handschrift folgt an dieser Stelle das „Schema des Tahleau Eeonomique"]
Soweit das Table.au Quesnays!
Sub I a) avances annuelles des fermiers7, ausgegeben durch selbe; ersetzt durch Produkt von 5milliaTds, wovon 2 milliards (aIV), Ersatz selbiger avances annuelles in natura, depensiert8 werden durch die Classe Productive (fermiers und ihre ouvriers9) während des folgenden, i.e. mit der neuen Ernte beginnenden Jahres. Die avances primitives10 von 10 Milliards figurieren nicht im Tableau, sind aber selbem vorausgesetzt, wie ferner vorausgesetzt ist, daß die Pächter 2 milliards in Geld als Rente an Revenue (landlords, church and State11) sezah.lt haben, bevor die im Tableau dargestellte Zirkulation beginnt. Außer dem Ersatz der avances annuelles von 2 milliards in natura, liefert das Bruttoprodukt 3 fernere Milliards, wovon 2 in vivres12, I in matieres premieres13 für Industrie. Diese 3 milliards sub a', a", a'" sind surplus produce11, wovon aber nur 2/3 als net produce, produit net oder Revenue15 zählen, weil 1j3 (in fact, der Profit der Pächter) den in natura produzierten Zins für die avances primitives von 10 milliards bildet. Sub III c) avances der classe sterile16 von 1 milliard bestehen nur aus Rohmaterialien (sieh meine frühere Auseinandersetzung'751); verausgabt während des mit der letzten Ernte abschließenden Jahres. Sind ersetzt durch Industriewaren (c' und c") zum Wert von 2 milliards; wovon 1 milliard= Wert der matieres premieres, 1 milliard = Wert der Lebensmittel, welche die classe sterile für ihre Arbeit als salaire17 von den beiden andern Klassen erhalten.
5 Hassan Cheiruilah Effendi - 6 Kara Chalil Effendi - "'jährliche Votschüsse der Pächter 'verausgabt - 9 Arbeiter - 10 ursprünglichen Vorschüsse - 11 Grundeigentümer, Kirche und Staat -12 Lebensmittel -13 Rohstoffe -14 Mehrprodukt ~16 Nettoprodnht oder Reineinkommen 16 Korsc/iiisse der sterilen Klasse -17 Lohn
Nun das im Tableau dargestellte mouvement18; 1. b-a'. Landlords (Kirche, Staat inkl.) kaufen für 1 milliard vivres von fermiers; diesen retourniert damit 1/2 des Geldes, das sie für die rent of land19 gezahlt. 2. b-c'-a'". Landlords kaufen für 1 milliard Industriewaren von classe sterile, diese für selbe milliardLebensmittel von classe producti ve; letzterer retourniert damit die zweite Hälfte des Geldes, das sie für rent of land gezahlt. 3. a~c". Pächter kaufen für 1 milliard Industrieprodukte von classe sterile (näheres in der früheren Auseinandersetzung). Die Linie läuft von a nach c" und von c" nach a zurück, um anzudeuten, daß der größte Teil dieser Ausgabe der Pächter kapitalisiert wird, i. e. zur Erhaltung und Bereicherung von Elementen der avances annuelles und primitives dient. 4. c-a". Classe sterile kauft von classe productive für 1 Milliard Rohstoffe und ersetzt damit ihre avances fürs kommende Jahr, in fact ihr produktives Kapital. Damit fließt 1 Milliard Geld wieder an Pächter zurück, und sie befinden sich wieder im Besitz der 2 milliards Geld, die das pecule20 der Nation bilden und von ihnen zunächst mittelst der landlords (für Rentzahlung) in Zirkulation geworfen werden. Die Geldzirkulation innerhalb jeder einzelnen Klasse ist vom Tableau ausgeschlossen und mit Recht.
Das ganze ist, Anbetracht der Zeit der Veröffentlichung, eine der genialsten Generalisationen, die die politische Ökonomie geliefert hat.
In der Auseinandersetzung, die ich Dir zuerst gegeben, zugrund gelegt das Tableau, wie es mit Sanktion Quesnays von Abbe Baudeau in „Explication du Tableau Economique" etwas modifiziert. Die Linie a-c" hatte Mißverständnisse veranlaßt. Ebenso bei Baudeau beginnt das mouvement nicht von b (landlords) aus, sondern von a' (Pächtern), indem die Zahlung der Geldrente nicht als vollbracht vorausgesetzt wird. Das und einige andre Details ändern absolut nichts am Sachverhalt. Überhaupt glaube ich, tust Du am besten, das Tableau nur zu Deiner eignen Orientierung zu benutzen; in der Darstellung für „Vorwärts" aber nur in Worten die verschiednen sehr einfachen Bewegungen anzugeben. Würde das Tableau selbst gedruckt, so wäre es nötig, auf kleine unwesentliche Details einzugehen, welche die Leute mehr verwirren als aufklären würden.
18 die im Tableau dargestellte Bewegung -19 Grundrente - 30 die Gesamtsumme des umlaufenden Geldes
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Marx an Engels in Ramsgate[90]
17. August 1877 Hotel Flora, Neuenahr
Dear Fred, Ich hätte Dir schon früher geschrieben, aber vieltägige Verklausulierung des ganzen Menschen - a posteriori, die bei mir immer das nächste Resultat der Reise11061 und durch die erste Woche Kurwassertrinken nur konsolidiert wird - macht den Menschen im höchsten Grad unaktionsfähig. Von hier ist nicht viel zu berichten. Wahre Idylle; dazu infolge des halb ungünstigen Wetters (obgleich an Ort und Stelle trotz Regen und Sturm die Luft immer lobenswert bleibt), und wohl auch wegen der andauernden Geschäftskrise, die Besucheranzahl von 3000 auf 17-1800 herabgedrückt. Glückliches Ahrtal. Besitzt noch keine Eisenbahnen; doch schon vermessen und drohend für nächstes Jahr mit commencement d'execution1 Eisenbahnbau von Remagen nach Ahrweiler, von wo es dann aber nicht das Ahrtal hinuntergehn soll, sondern links ab nach Trier. Ich habe hier sehr guten Arzt gefunden. Dr. Schmitz (gebürtig in Siegen), der so klug ist, trotz des schönen Hauses und Gartens, die er hier eignet, den Winter (von Ende Oktober an) in Italien zu medizinieren. Er war viel in der Welt herum, u.a. in Kalifornien und Zentralamerika. Hat in habitus und manners2 viel von little Dronke aus seiner besten Zeit. Er hat wesentlich bestätigt, was ich vermutete und Dir von London schrieb.3 Meine Leber zeigt keine Spur von Erweiterung mehr; der Digestionsapparatus ist somewhat disordered4, aber das eigentliche Übel ist nervöser Natur. Schmitz sagt mir heute wieder, ich müsse nach 3wöchentlichem Aufenthalt hier in den Schwarzwald auf die Höhe, Berg- und Waldluft zu kneipen. Nous verrons.5 Dasselbe empfiehlt er für meine Frau, die übrigens Medizin nehmen muß und grade zur rechten Zeit kam, bevor ihr Übel verschlimmert. Tussychens Appetit nimmt zu, was bei ihr das beste Symptom.
1 Inangriffnahme - 2 Haltung und Benehmen - 3 siehe vorl. Band, S. 53 - 4 etwas gestört s Wir werden sehen,
Die Berge sind grade bei Neuenahr etwas zu weit entfernt vom Sitz des Bades, wenigstens für die durch Karlsbad Verwöhnten. Sehr beunruhigt uns, daß wir noch kein Sterbenswort von den adventures6 der Familie Longuet vernommen. Wie geht's Deiner Frau7? Ich hoffe besser; ist bei Euch das Wetter auch so launenhaft? Hier im Ahrtal sind die Leute gar nicht daran gewöhnt, Im Kurhaus hier (wo man auch die Bäder nimmt, die hier, wie allüberall, neben dem Trinken des alkalinischen Gesöffes) gibt's ein Reading Room8, worin nebst deutschen und holländischen Blättern „Times" und „Galignani's Messenger", „Figaro" und „Independance beige", also mehr als ich brauche, da ich hier mich möglichst des Zeitungslesens enthalte. Ich sehe nur mit Bedauern, daß die Türken - wenigstens meiner Laienansicht nach wieder Zeit verlieren. Man trinkt hier einigen Wein, nur ist grade der Walporzheimer und andrer roter Ahrwein den meisten (u. a. auch mir) Kurgästen untersagt. Schorlemmer hatte versprochen herzukommen; bisher aber nichts von ihm „vernommen", wie Richard Wagner das ausdrückt. Und nun, old boy, mit besten Grüßen von Haus zu Haus. Dein Mohr
6 Abenteuern - 7 Lizzy Bums - 8 Lesezimmer
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Engels an Marx in Neuenahr11065
2, Adelaide Gardens, Ramsgate 25. Aug. 77
Lieber Mohr, Durch Schorl[emmer] wirst Du bereits vorgestern oder spätestens gestern Nachricht von Longuets, Laf[argue]s und uns erhalten haben; seitdem auch von Jenny direkt wegen Krankheit des Kleinen1, bei der sie sich etwas zu sehr erschreckt hat, glücklicherweise ist der Junge, wie sie heute schreibt, außer Gefahr. Wir gehn Dienstag von hier weg nach siebenwöchentlichem Aufenthalt[90i, der mir sehr gut, der Lizzie aber noch lange nicht nach Wunsch bekommen ist. Ich werde sie, weather permitting2, wohl noch einer stärkeren Luftveränderung aussetzen müssen.'1411 Zur kurierten Leber gratuliere ich. Auf die Höhen des Schwarzwaldes mußt Du ja gehn, ich habe Sch[orlemmer] gesagt, er solle Dir die Karte von Baden, die mir 1849 gedient hat'1421, mitbringen, hoffentlich hat er's getan. Sie wird Dir dienen können, gerade das Gebirge ist für den Maßstab recht gilt gezeichnet. Das Wetter wird sich bei Euch endlich wohl gebessert haben. Wir haben es hier famos getroffen. Während es überall regnete, hatten wir es hier nur bewölkt. In 7 Wochen 2 regnige Nachmittage und heute den ersten wirklichen Regentag - doch auch mit längeren Unterbrechungen -, damit kann man schon zufrieden sein. Was an Regen fiel, kam meist nachts. Die Bewegungslosigkeit der Türken liegt wesentlich in dem Mangel an Train. Eine Armee nicht bloß zum Schlagen, sondern auch zur freien Bewegung zu befähigen, scheint allen Barbaren und Halbbarbaren unmöglich zu sein: ihre mit Mühe und Not annähernd modern (zum Schlagen) organisierte Armee soll sich bewegen mit den appliances3 einer alten barbarischen Armee. Man führt moderne Waffen ein, aber die dazugehörige Munition
1 Jean-Laurent-Frederick Longuet - 2 wenn es das Wetter erlaubt - 3 Mitteln
muß selber sehn, wie sie mitkommt. Man organisiert Brigaden, Divisionen, Armeekorps und konzentriert sie nach den Regeln moderner Strategie, vergißt aber, daß sie dann nicht ihren Unterhalt selbst suchen können wie ein Janitscharen-, Spahi- oder Nomadenschwarm. Das zeigt sich schon bei den Russen, noch mehr bei den Türken, und daher sind bei solchen Armeen alle Berechnungen falsch, die den Armeekörpern westeuropäische Beweglichkeit zuschreiben. Die Böcke, die die Türken jetzt schießen, beruhen alle auf der Angst, die Gurkos Vorstoß in Konstantinopel erweckt hat. Statt den Suleiman sich direkt - durch die von Russen unbesetzten Pässe - entweder an Osman oder an Mechmed Ali anschließen zu lassen, soll er sich den Russen direkt vorlegen, Konstantinopel direkt decken. Daher die nutzlose Blutvergeudung im Schipkapaß, Teil einer mit den andern beiden Armeen verabredeten, kombinierten und wie gewöhnlich nicht gleichzeitig ausgeführten, also gescheiterten Operation.11431 Indes hat das alles nicht viel zu sagen und wird schon wieder ins gleiche kommen. Der Collapse der russischen Armeeorganisation ist komplett.1861 Sie geben einen Verlust von 15 000 Mann in Gefechten (in Europa) zu, ihr Verlust durch Krankheiten muß das Doppelte oder mehr betragen. Transport komplett broken down4. Straßen nirgends gebaut. Lagerpolizei existiert nicht, Dreck und Kadaverfäule hätten auch ohne das Klima hingereicht, die Massenkrankheiten zu erzeugen. Sechs russische Armeekorps, jetzt acht, stehn in Bulgarien und sind durch eine Schlacht auf die passivste Defensive zurückgeworfen. Von 50 russischen Infanteriedivisionen stehn 16 an der Donau, 9 im Kaukasus und Asien, mindestens 5 sind im Anmarsch, 6 decken die Küste am Schwarzen Meer und der Ostsee, Summa 36; bleiben 14, wovon 2 in den Ostseeprovinzen unabkömmlich, also 12 Infanteriedivisionen = höchstens 120 000 Mann, oder mit Kavallerie und Artillerie 150 000 Kombattanten für alle Eventualitäten frei! Und das gegen den „kranken Mann"11441! Dazu sind Neuformationen schon wegen Offiziersmangel unmöglich oder wertlos. Kurz, es ist schlimmer als im Krimkrieg. Und dabei dieselbe Dummheit: aus Wut über die Niederlage von Plewna11451 müssen gleich kolossale Verstärkungen in Bewegung gesetzt werden, obwohl sie höchstens einen Monat werden operieren können, während welcher Zeit sie nutzlos sind und sehn können, wo sie was zu fressen finden. Und spätestens Ende Oktober geht's wieder rückwärts, rückwärts stolzer Cid in die ausgefressene Walachei, die Brücken verschwinden von
1 zusammengebrochen
der Donau, und wenn alles gut geht, fängt man Ende Mai 1878 genau da an, wo man Ende Mai 1877 angefangen hatte.tl46) Beste Grüße an Euch alle. Dein F.E.
Übrigens können die Türken noch einige schwere Keile vor dem Winter besehn, was aber nichts ausmacht, wenn man sich dadurch in Konstantinopel nicht einschüchtern läßt.
31
Engels an Marx in London11471
[London, Ende 1877 / Anfang 1878] Samstag morgen
Lieber Mohr, Ich habe mir zwei geschwollene Knöchelgelenke zugezogen und werde für ein paar Tage wieder mal keine Stiefel anziehn können. Ich fahre gleich nach der Bank und hole Geld, und wenn Du heut abend kommen willst, wirst Du das Nötige vorfinden. Tussy hat ganz recht, man muß den Maskelyne nach oder mit Wallace lesen, denn die Personalien bei M[askelyne], die man unmöglich alle behalten kann, bekommen erst Interesse durch das Spezialvertrauen, das W[allace] in diese diversen Subjekte bezeugt. Sei also so gut und bring's nur wieder mit, damit ich den W[allace] in seiner ganzen foolery1 beurteilen kann. Dein F.E.
1 Torheit
1878
32
Marx an Engels in Littlehamptona48i
[London] 17. Sept. 1878
Dear Fred, Ich schreibe diese Zeilen, bevor ich in Deinem Hause war (es ist noch früh am Tag); finde ich dort Brief für Dich, so werde ich ihn unter andrem Kuvert schicken. Die Nachrichten aus Malvern viel besser, so daß ich nicht hinzugehn brauche; doch der Sicherheit halber kommt Doktor jetzt ständig jeden Tag; ich hatte das gleich meiner Frau vorgeschlagen, um beständige übertriebne Panics einerseits, Vernachlässigung von nötigen Maßregeln andrerseits zu verhüten; sie und noch mehr Jennychen waren aber törichterweise dagegen, um die in Malvern ohnehin hochaufgetriebnen Doktorbills nicht „unnütz", wie sie sagten, zu steigern. Jetzt sehn sie, daß ich recht hatte. Ebenso hatte ich tägliche Ausfahrt, während des schönen Teils des Tages, verschrieben, wenn immer der Zustand des Kindes1 es erlaube. Das hat nun auch der Doktor bestätigt. Diese Ausfahrten sind die einzige Erholung für Jennychen und das einzige Mittel für meine Frau, deren Kur arg beschädigt durch die fortgesetzten troubles2 mit dem Kind, um zu reagieren gegen diese gesundheitswidrigen Einflüsse. Solange ich da war[149i, setzte ich daher die Sache durch. Der Herr Eulenburg (vide papers of to-day311501) trägt auch keine Eulen nach Athen. Etwas Jämmerlicheres als den extract - Quintessenz - seines speechs4 habe ich nie gelesen. Auch der Stolberg gut.DasAusnahmegesetz11511 wird gemacht, um der sozialdemokratischen Bewegung allen Schein der Legalität zu entziehn. Probatum est. Mettre hors la loi5, war von jeher das unfehlbare Mittel, um regierungswidrige Bewegungen „gesetzwidrig" zu
1 Jean-Laurent-Frederick Longuet - 2 Sorgen - 3 siehe die heutigen Zeitungen - 4 seiner Rede - 5 Es ist erwiesen. Außerhalb des Gesetzes stellen
machen und die Regierung vor dem Gesetz - la legalite nous tue11521 - zu schützen. Der Reichensperger repräsentiert den rheinischen Bourgeois des Zentrums1153'. Bamberger bleibt treu dem „Hunde sind wir ja doch"!1154; Bebel hat offenbar imponiert.611551 (Sieh „Daily News" of to-day.) Dieser Anfang ist gut. Unser Freund Kowalewski ist in verschiednen englischen Zeitungen zu Odessa erschossen worden, man buchstabiert dort so - Don-Kowalsky.11561 Eine sehr hübsche Anekdote hat mir der fat boy7, der Sonntag bei mir war, erzählt. Vor seiner Abreise hatten bei ihm verschiedne „diplomatische" Aspiranten unter seinen Moskauer Studenten Examen zu passieren. Darunter sind viele Burschen, die viel älter sind als er selbst, namentlich Montenegreser, die auf Kosten des Russian Asiatic (diplomatic) Department ihre akademische Zucht erhalten. Diese Burschen zeichnen sich durch denseness8 und Bejahrtheit aus, wie weiland bei uns auf dem trierischen Gymnasium die Bauernlümmel, die sich zum Seminarium (katholischen) vorbereiten und großenteils Stipendien beziehn. Obgleich die russischen Nummern von 0-5 gehn (für die Universitätsexamen), erteilt Kowalewski nur 2 Nummern, 4 für die, die gar nichts, und Nr. 5 für die, die etwas wissen. Kommt bei dem letzten Examen zu ihm ein baumhoher 32jähriger Montenegreser, einer seiner Zuhörer, und sagt ihm: Ich muß Nr. 5 haben; ich weiß nichts, das weiß ich, aber ich weiß andrerseits, daß, wenn ich „wieder" Nr. 4 bekomme, das Asiatic Department mir den Reisepaß nach Montenegro ausstellt; ich muß also Nr. 5 haben. Er fiel natürlich beim Examen glänzend durch, da Kowalewski, wie er ihm auch mündlich erklärt, no necessity9 für seinen weiteren Aufenthalt in Moskau sah. Das Sonderbarste ist - wie Kowalewski sagt -, daß alle diese Burschen aus Montenegro in Moskau einen fanatischen Russenhaß einsaugen. Sie haben ihm das selbst naiv erzählt und als Motiv angegeben: Die Russen in general10 und die russischen Studenten im besondern behandeln uns und erklären uns für Barbaren und Rindviecher. Die russische Regierung erzielt daher grade das Gegenteil von dem, was sie bezweckt mit ihren „Wohltaten". Was ^yir unter uns im Scherz sagten: Die russischen Sozialisten begehn die „Greuel", und die „gesetzkonformablen" deutschen Sozialdemokraten sollen dafür hors la loi gestellt werden, hat der alberne Stolberg ernsthaft
6 siebe vorl. Band, S.491-500 allgemeinen - 7 Dicke - 8 Beschränktheit - 9 keine Notwendigkeit -10 im
vorgebracht. Er vergißt nur zuzufügen, daß neben diesen „Greueln" in Rußland ein „Gesetzeszustand" existiert, den Krautjunker Bismarck als ideales Ziel, aber unerreichbares, mit seinen Gesetzvorlagen anstrebt. Daß die Russen, unterstützt von Preußen und Ostreich, jetzt abermals „europäische Mediation11" verlangen, ist viel bedeutsames Symptom. Adio. Ich hoffe, daß Du Dich erholst von den letzten Schrecken in Littlehampton, Besten Gruß von Tussy und Lenchen. Dein Mohr
11 Vermittlung
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Engels an Marx in London
Littlehampton, Seiborne Cottage 18. Sept. 78
Lieber Mohr, Ich habe mich, wie gewöhnlich, unklar ausgedrückt. Ich konnte Dir nicht zumuten, alle Tage herüberzukommen und mir die Briefe zuzuschicken11481, daher sandte ich den Leuten im Hause einige adressierte Kuverts, damit sie mir die Briefe alle 2-3 Tage zuschicken könnten. Worum ich Dich bitten wollte, war, in den ersten Tagen etwas nachzusehn, daß nicht etwa der erwartete Geldbrief einige Tage liegenbliebe und daß die Sendung überhaupt in einen regelmäßigen Gang komme, und dann von Zeit zu Zeit die einlaufenden Zeitungen und andre Papiere (die nach meiner Instruktion dort bleiben sollen) nachzusehn, ob etwas darunter ist, das irgendwelche Besorgung erfordert. Hoffentlich verstehn wir uns jetzt. Der heutige M[orning] ,,Stand[ard]" enthält einen guten Artikel voll verdienter Verachtung über Gesetz und Debatte.11571 Ich schick' ihn nach Leipzig.11581 Die Debatte selbst ist von Seiten der Ordnungsleute jammervoll genug. Bismarck], unfähig, die von Bebel ihm vorgeworfnen Tatsachen'1551 irgendwie zu entkräften, muß zur elenden Ausflucht greifen, er habe mit den Sozialdemokraten sympathisiert, bis sie die Kommüne gefeiert - er, der selbst die Kommüne als Nachahmung der preußischen Städteordnung pries! Und dann nennt er eine im Reichstag repräsentierte Partei eine Räuberbande und wird der Ordnungsruf verweigert!1 Ich schicke Dir eine „Költi[ische] Z[ei]f[uni>]"11591. Vorn werden russische Gesetze für die Deutschen gefordert, und hinten sagt der Petersburger Korrespondent, daß in Rußland, da dieselben russischen Gesetze sich als ohnmächtig bewiesen, man das einzige Heil in Konstitution, Volksvertretung, Preßfreiheit etc. suchen müsse! Das dumme Blatt merkt's nicht und unsre Leute leider wohl auch nicht. Auch der Schluß der Moskauer Korrespondenz interessant. Streich die Sachen an und schick sie nach Leipzig (Ramm
1 Vgl. vorl. Band, S. 491-500
(Hermann) Färberstraße 12")[1601, vielleicht merken sie's doch und benutzend. Die vielen und gewaltsamen russischen Manöver in Türkei, Persien, Afghanistan etc. scheinen einerseits den Zweck zu haben to fish in troubled waters, where something may be expected to turn up at any moment2, und andrerseits, die öffentliche Meinung im Innern zu täuschen. Aber wer weiß, was noch daraus wird. Bismarck kann sehr bald in den Fall kommen, in einem neuen Krieg mit Frankreich die einzige Rettung zu suchen und damit einen europäischen Krieg des Ostens gegen den Westen zu entzünden, in dem niemand sicherer untergeht als er. Jedenfalls hat der Türkenkrieg[86' bewiesen, wie faul ganz Europa ist, und daß der Einbruch näher ist, als wir erwarten konnten. Einerlei, was auch geschieht, schlägt zu unsern Gunsten aus. Sehr froh war ich zu hören, daß der Kleine3 besser und damit die wiederholte Panic hoffentlich überwunden ist. Hier regnet's seit gestern abend unaufhörlich. Das Nest besteht aus 2 Teilen: dem village4 nebst Hafen am Fluß Arne, und der beach5 500 Schritt südöstlich, ca. 150 Häusern auf einer Düne, wo man meint, in Holland zu sein. Sands so schön und hart wie in Ostende. Vielleicht komme ich Ende dieser Woche auf ein paar Stunden nach London, if so6, schreib' ich Dir wo möglich. Dein F.E.
2 im trüben zu fischen, wo jeden Augenblick Aussicht auf Beute besteht - 3 Jean-LaurentFrederick Longuet - 4 Dorf - 6 Strand - 6 wenn ja
6 Marx/Engeis. Werke. Bd. 34
34
Marx an Engels in Littlehampton11481
[London] 18. Sept. 78
Dear Fred, All right. Einliegend ein Brief von Kaub, den Du mir gefälligst zurückschickst, da ich noch nicht geantwortet. Der Hirsch hat sich wie ein Narr benommen während seines Pariser Aufenthalts und scheint mit Gewalt auf das Märtyrertum loszuarbeiten. Übrigens geht aus den Pariser Operationen klar hervor, wie recht Du hattest, vor meiner Pilgerung nach Paris zu warnen. Schöne Republik, die sich von Herrn Bismarck-Stieber kommandieren läßt! Gestern abend kam Barry. Der Kongreß in Lausanne1 fand nicht statt, dies erfuhr er schon zu Paris, wo er daher blieb. Hirsch und er gingen nur als reporters zu der Versammlung, diese war aber schon gesprengt, respektive ihre Mitglieder in Haft gebracht; Hirsch wurde erst später während der Nacht im eignen Haus verhaftet.11611 Den Tag nachher verfügte sich der irrepressible2 Barry auf die Polizeipräfektur (innerlich ausgestattet mit Schreiben, die ihn als Korrespondent von „Standard" und Mitarbeiter an „Whitehall Review" konstatierten). Er sah dort einen Subalternen und brachte dem sein Anliegen vor, daß er „seine Freunde", Hirsch und Guesde, zu sehn wünsche. Hierauf gab man ihm die Adressen der 2 Polizeikommissäre, welche den Hirsch und G[uesde] verhaftet. Beide waren rasend über die Frechheit dieses English bijstäck und drängten ihn schließlich zur Amtsstube heraus. Barry, unerschüttert, kehrt zur Präfektur zurück, und es gelingt ihm, bis zum großen Gigot vorzudringen. Dieser „polite"3 Polizist, nach Austausch einiger Worte mit Groß-Barry, erklärt ihm, er spreche ungenügend englisch und Barry ungenügend französisch; klingelt also einen Dolmetscher herauf. Hauptinhalt der Unterredung: daß, was Barry ihm über Nichtbeteiligung Hirschs sage, vor den Untersuchungsrichter gehöre, nicht vor den Polizeipräfekten. Die Verhaftung sei „gesetzlich" etc. Darauf Barry: It might be legal in France for ought he knew, but it would not be
1 Siehe vorl. Band, S.352/353 - 2 unbezähmbare - 3 „höfliche"
so in England.4 Darauf Gigot mit feierlichem Pathos: Les etrangers qui viennent chez nous etc. doivent se soumettre aux lois de la Re-pu-bli-que frrran^aise.5 Hinwiederum the brazen Barry, shaloing his hat: „Vive la Republiqae/"6 Dieser letztere Ausruf jagt dem Gigot das Blut ins Gesicht, er bedeutet dem Barry, er habe mit ihm keine politischen Ideen auszutauschen etc. Diesmal wurde B[arry] aber nur höflich zur Türe hinauskomplimentiert. Er hat seiner diesmal amüsanten Unverschämtheit die Krone aufgesetzt - mir gegenüber. Erzählt mir nämlich: er gehe wieder Woche nach Hastings mit seiner Familie, und jetzt habe ich wohl die Zeit, ihm das Material für Artikel (in „Nineteenth Century") zurechtzumachen. Fast wäre es ihm bei diesem neuen Attentat noch schlimmer gegangen als in den Höhlen der zwei französischen Polizeikommissäre. Das schamloseste London Blatt ist wieder das von Levy7. In seinem heutigen Leitartikel erzählt er seinen Lesern, - Reichensperger habe sich im Namen des „Zentrums" [153,/ür das GesetzclS11 erklärt (so las Levy nämlich das Berliner Reptil1162das ihm Korrespondenz liefert), und Bismarcks Majorität sei entschiedne Sache. Übrigens selbst Levy, trotz aller Bewunderung für den great chancellor8, muß gestehn, daß der Große had rather the worse9 im Wortkampf mit dem „brillant" Bebel[155]. Von den Outine-Broschüren habe ich angesehn nur noch „Adolph Samter" („Die Reform des Geldwesens"); wie er zitiert - (er zitiert mich oft, schreibt aber noch öfter umschreibend ab; die ganze Broschüre läuft auf den Unsinn aus, statt der Banknote einzuführen die „Warennote", als welche der Sache nach initiiert worden sei durch die Darlehnskassenscheine der preußischen Regierung 1848) - folgendes sample10. Ich sage: „Daß, obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld von Natur Gold und Silber etc."11; er, mit Angabe richtiger Seitenzahl, gibt als Zitat: „Gold und Silber ist von Natur Geld. Marx etc."11631 Die Kunst, lesen zu können, scheint in Deutschland mehr und mehr unter den „gebildeten" Ständen auszusterben. Bei diesem Samter nicht einmal ein böser Zweck mit dem sinn- und grammatikwidrigen Zitat verbunden. So gibt er als Zitat von Petty, „Arbeit sei der Vater, Natur die Mutter des stofflichen Reichtums", weil ich vom „stofflichen" Reichtum sage, es gelte dafür Pettys etc.r164'
4 Es mag, soviel er wisse, in Frankreich gesetzlich sein, in England wäre das aber nicht so. 5 Die Ausländer, die zu uns kommen usw., müssen sich den Gesetzen der frrranzösischen Re-pu-blik unterwerfen. - 6 der unerschütterliche Barry, seinen Hut schwenkend: „Es lebe die Republik!" - 7 „The Daily Telegraph" - 8 großen Kanzler - 9 ziemlich schlecht weggekommen ist - 10 Beispiel -11 siehe Band 23 unserer Ausgabe, S.104
Apropos. Unser fat boy12, Kowalewski, fand in Schweiz den Ralston wieder; der fragte ihn gleich, ob er den sozialen Russen kenne, welcher ihn (Ralston) im feuilleton der ,,F[ran]kf[urter] Zeitung" als humbug, coward etc. geschildert1-1651? (Der Artikel war von meiner Frau.) Kowalewski hatte Ahnung, wo der Wind herblies, antwortete aber wahrheitsgemäß, er kenne keinen solchen Russen. Seit der Zeit ist Ralston (der ihm hier wieder auf den Hals gekommen) doch viel minder vertraulich geworden. (Der betreifende Feuilletonartikel bezog sich auf eine von Ralston über „Russian Revolutionary Literature" verübte gemeine Seichbeutelei.11661) Gestern war Herr Montefiore jun. bei mir; geht nach Berlin; und höchst charakteristisch für das junge englische, speziell Londoner Literatentum, sagte er zu Tussy: „Wenn die Preußen mir nur den Gefallen täten, mich für ein oder 2 Tage zu verhaften! Welch herrlicher Stoff für einen Revueartikel oder letter to the ,Times'13l" Ich war in Deinem Haus und habe den daselbst vorfindlichen Brief an Dich abgeschickt. Adio. Dein Mohr
12 Dicker -13 Brief an die .Times'
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Engels an Marx in London
[Littlehampton] Seiborne Cottage, 19th Sept. 78
Lieber Mohr, Geldbrief erhalten. Ich habe gleich an N. Cohen & Co. telegraphiert und geschrieben, das Geld an meine Bank auszuzahlen. Da es aber auf gestern angewiesen war, ist es immer möglich, daß sie den cheque gestern an meinem Hause abgegeben oder ihn per Post dorthin gesandt haben. Willst Du so gut sein, Dich bei mir danach zu erkundigen. Ist nichts in 122, Regent's Park Road'451 abgegeben oder angekommen, so wird alles in Ordnung sein und ich wohl morgen von der Bank die Anzeige hiehert1481 erhalten, ich habe darum gebeten. Eilig to catch first post1. Dein F.E.
1 um die erste Post zu erwischen
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Engels an Marx in London11481
Littlehampton, 21. Sept. 78
Lieber Mohr, Inl. Brief von Kaub zurück. Hirsch scheint dem Mesa aufs Wort geglaubt zu haben, er sei als Deutscher in Paris unverletzlich. Jetzt kann er dafür brummen, sie werden ihm die Untersuchungshaft so lang wie möglich machen.11611 Die Abenteuer des Barry sind in der Tat heiter. Den brillanten Levy-Artikel1 sah ich auch in einer Kneipe, wo ich vor Regen Schutz suchte. Das Blatt2 ist seiner selbst würdig. Es ist die höchste Zeit, daß in Konstantinopel eine Änderung vorgeht, sonst wird aus den vielen Provinzialinsurrektionen ein Zustand, der den Zerfall der europäischen Türkei herbeiführt, also grade das, was die Russen und Bismarck wünschen, um den Berliner Vertrag11671 nicht auszuführen und im trüben zu fischen. Die Rückkehr Midhats nach Kreta und ein kühner Coup seinerseits könnten der Sache eine andre Wendung geben. Wenn der jetzige Zustand weitergeht, bleiben die Russen da und erhalten neue Aussichten auf Beute, die auch im Innern Rußlands den natürlichen Lauf der Dinge hemmen könnten. Wir fahren gleich auf ein paar Stunden nach Brighton. Dein F. E.
1 Siehe vorl. Band, S.83 - 2 „The Daily Telegraph"
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Marx an Engels in Littlehampton11481
[London] 24. Sept. 1878
Dear Fred, Einliegend ein Wisch von Liebknecht11651; ich habe den Brief eröffnet, weil ich glaubte, es handle sich um Parteinachricht, die vielleicht unmittelbare Aktion unsrerseits fordre. Den Brief von Lawrow, der heute ankam und den ich noch nicht beantwortet, schick mir gefälligst umgehend zurück. Das einzig Interessante dran ist die auf Wröblewski bezügliche Stelle, wahrscheinlich richtig, da seinem Temperament als homme d'action1 entsprechend, und zudem plus ou moins2 vergewissert durch sein Schweigen uns gegenüber. Ich erhielt nach Eröffnung des Reichstags den selbem von Regierung unterbreiteten Gesetzentwurf nebst Motiven; gestern kam ditto von selber Seite (Bracke) der stenographische Bericht der Reichstagssitzungen vom 16. und 17. Sept.11691 Man hat keine Ahnung - immer noch nicht - von der Dummheit der average3 preußischen Minister und der „Genialität" ihres Meisters4 wie von der Gemeinheit der an seinen Rockzipfeln hängenden Repräsentanten des teutschen Bürgertums - bevor man diese letztere Aufführung stereotypiert vor sich liegen hat. Ich bin halb und halb beschäftigt mit Auszug daraus5 für englische Presse, doch weiß ich noch nicht, ob's mir schließlich für „Daily News" paßt. Der Schachzug der Russen in Afghanistan11701 wie die incidents6 in der Türkei - alles das interessiert mich jetzt nur noch soweit, als es argumentum ad hominem7 für die europäische Staatsweisheit liefert. Im übrigen steht mir fest, daß nichts, was Rußland und Preußen into the bargain8 jetzt tun können auf dem Welttheater, andre als ihrem Regime verderbliche Folgen haben, den Sturz desselben nicht aufhalten, sondern nur das Ende mit Schrecken beschleunigen kann. Meine Frau, Jennychen und Johnny kamen wohlbehalten Freitag nach
1 Mann der Tat - 2 mehr oder weniger - 3 durchschnittlichen - 4 Bismarck - 5 siehe vorl. Band, S.491-5 00 — 6 Zwischenfälle - 7 schlagenden Beweis - 8 obendrein
mittag bei uns an und quartierte alles in unsrem Haus bis gestern abend, wo Jennychen zum Empfang des Longuet wieder mit Sack und Pack nach Leighton Grovetmi auswanderte. Der Lange wird aber erst heute eintreffen. Das Kind ist viel besser, und wunderbarerweise hat auch Jennychen sich noch etwas während der letzten Tage des Aufenthalts in Malvern erholt. Gestern war old Petzler hier mit Brief eines Pfaffen, der ein Magazin herausgibt, auch dabbles in socialism9 und some information von mir wollte.[17ai Bismarck hat's einstweilen erreicht, den Sozialismus wieder ä l'ordre du jour10 zu setzen1151so daß darüber plus ou moins selbst die haute politique11 vergessen wird. In der Hoffnung, daß Du Dich erholst in der Mutter Natur, und mit besten Grüßen von Tussy, Jennychen und meiner Frau. Dein Mohr
" in Sachen Sozialismus stümpert -10 auf die Tagesordnung -11 hohe Politik
1879
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Marx an Engels in London
14. August 1879 Trafalgar Hotel, St.Aubin's
Lieber Fred, Ich richte diese Zeilen an Deine Londoner Wohnung, da Du - nach Deinem Brief an meine Frau'401 - nach heutigem Datum nicht mehr mit Sicherheit zu dem Eastbourne Volk gehörst.11731 Einliegt Brief von Hirsch an mich11741, ditto Brief von Louise Juta an Pumps. Unsere Überfahrt nach Jersey11751 von Southampton wurde durch gewaltigen Regenstrom zu sehr verwässert; wir kamen triefend in St. Helier an, wo es auch gewaltig „goß". Seitdem Wetter, nach einigen Schwankungen und Übergängen und Rückfällen, sehr gut. In Jersey glaubten die Bauern, das Ende der Welt sei nah; solch schlechten Frühling und Sommer behaupten sie noch nicht erlebt zu haben. Morgen ziehn wir um nach Hotel de l'Europe, St. Hilter. Unser bisheriger Aufenthalt in St. Aubin's wird aufgegeben, weil es Tussy und mir graut vor der täglichen eintönigen Lamm- oder Muttonkost1, infolge deren ich seit einigen Tagen unfreiwilliger vegetarian geworden bin. Andre Wohnung hier draußen - wir haben uns vielfach umgesehn - war nicht zu finden. Als wir in Jersey ankamen, war es noch relativ leer, aber mit der Zeit massenhafte Immigration, namentlich auch von Frenchies2. Als wir heut morgen im Hotel de l'Europe anfragen, traf es sich glücklich so, daß grade 60 Franzosen sich auf die Abreise vorbereiteten, während andrerseits die mit frischem Menschenkehricht belasteten steamers noch nicht eingetroffen. Bei Abreise von London, in Waterloo Station, trafen wir Härney, der seine Frau nach Jersey expedierte. Glücklicherweise hatte sie schon ein
1 Hammelkost - 2 Franzosen
ticket für erste Klasse, während wir 2te nahmen. Auf dem boat3 trafen wir uns wieder. Sie, wie wir, leidet nicht an sea sickness4, war aber sonst leidend. Beim Landen trennten wir uns wieder, erhielten aber von ihr Adresse ihres Bruders, bei dem sie wohnt. Wir haben dorten seitdem eine kurze „Kondolenz"visit abgestattet. Die Frau ist durchaus impraticable5. Obgleich ein Jerseykind, weiß sie keine Auskunft zu geben, außer solche, die gedruckt im Guide6 steht. Gute Frau, aber nicht just the person7 für Leute, die erheiterungshalber reisen. Ich habe seit langer Zeit hier endlich wieder ordentlich geschlafen, bin nur noch nicht ganz eine Erkältung los, die infolge des abominablen Wetters sich einfand. Doch verzieht sich selbigte wohl rasch in dieser milden Luft. Tussy all right. Zwei Pächter von Derbyshire, Vater und Sohn, waren hier im Trafalgar Hotel bis zur Stunde unsere Tischgenossen. Vorgestern machten sie Ausflucht nach St.-Malo mit Segelboot, und nachdem sie, zum erstenmal in ihrem Leben, „in Frankreich gewesen", kehrten sie mit ungleich größerem Respekt vor sich selbst zurück. Der Vater war nun sogar halb willens, mit dem Sohn nach dem Mediterraneum trip8 zu machen, aber, meinte er, es sei dort „zu heiß". „By no means"9, korrigierte ihn der Sohn, der der booklearned man10 von den beiden ist, „by no means, there it is now winter!"11 Auch belehrte mich der Alte (übrigens in besten Mannesjahren und a sharp fellow, with the true business-eye12), St.-Malo liege an der Südwestküste von Frankreich, Um so besser bewandert sind beide auf agricolem Gebiet und andern farmers questions13. Tussy findet die Badeschwierigkeiten nicht nennenswert, hat bisher abwechselnd in St. Brelade's bay und St. Helier's bay gebadet; und jetzt abwechselnd14 zwischen letzterer und St. Clement's bay. Aus Schreiben meiner Frau habe ich ersehn, daß Schorlemeyer15 als Invalide ankam; ich hoffe, bald Besseres von ihm zu hören. Zeitungen habe ich seit meiner Ankunft hier nicht angesehn, überhaupt nichts gelesen außer Carletons „Traits and stories of the Irish Peasantry", first volume. Es war Arbeit genug, den ersten Band durchzulesen, den 2ten verspare ich auf bessere Zeiten auf. Es sind unconnected tales16, worin das irische Bauernleben bald von dieser, bald von jener Seite illustriert wird, also nicht dazu gemacht, in einem Zug konsumiert zu
3 Schiff - 4 Seekrankheit - s unbeweglich - 6 Reiseführer - 7 eben die Person - 8 eine Reise nach dem Mittelmeer — 9 „Keineswegs" - 10 Belesenere - 11 „keineswegs, dort ist jetzt Winter!" - 13 ein schlauer Kerl, mit dem richtigen Geschäftsblick - 13 landwirtschaftlichen Fragen - 14 in der Handschrift: abwechseln -15 Carl Schorlemmer - 16 zusammenhanglose Geschichten
werden. Ist eben deswegen ein Buch, das man sich anschaffen und besitzen muß, um a für et mesure17 sich bald mit dieser, bald mit jener Schüssel zu regalieren. Carleton ist weder ein guter Stilist, noch ein guter Komponist, aber die Wahrheit seiner Schilderungen bildet seine Originalität. Als irischer Bauernsohn kennt er sein Thema besser als die Levers und Lovers. Mit besten Grüßen von Tussy und selbander an Euch alle. Dein Mohr
17 je nachdem
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Engels an Marx in St. Helier11781
53, Grand Parade, Eastboume 20. Aug. 79
Lieber Mohr, Inl. die Briefe von H[irsch]11741 zurück, dito einer von Liebkn[echt], dem ich eben geantwortet.11761 Ich hab' ihn auf seine merkwürdigen Widersprüche aufmerksam gemacht: „an H[irsch] schreibst Du, hinter dem Blatt11771 stehe ,die Partei + Höchberg'11781; das heißt doch, wenn H[öchber]g irgendein Plus ist, sein Geldbeutel, da er sonst eine negative Größe ist. Jetzt schreibst Du mir, H[öchber]g habe keinen Pfennig gegeben. Das reime, wer kann, I give it up1." Ebenso, daß es absurd sei zu sagen, Hirsch habe Bernst[ein]s Brief11791 „noch alberner mißverstanden", da dieser Brief gar kein Mißverständnis zuließ, B[ernstein] sich direkt schon als Redaktionsvorgesetzter darin gerierte. Er, Lfiebknecht], glaube natürlich alles zum besten arrangiert zu haben, aber H[irsch] habe das Recht, mit eignen Augen zu sehn, und dazu verweigre L[iebknecht] ihm alles Material; wenn H[irsch] also ablehne, so sei er, Lfiebknecht], schuld daran. „Was uns angeht, so ist soviel sicher, daß, wenn H[irsch] nicht annimmt, wir uns sehr reiflich überlegen werden, was wir tun, und sicher nicht anbeißen, ohne zu wissen, wer denn ,die Partei' ist, die hinter dem Blatt steht." Denn, hab' ich ihm gesagt, grade jetzt, wo alle faulen und eitlen Elemente sich ungestört vordrängen können, sei es endlich Zeit, die Vertuschungs- und Versöhnungspolitik fallenzulassen und, wo nötig, auch etwas Streit und Skandal nicht zu fürchten. Eine Partei, die sich lieber von jedem dummen Jungen auf der Nase tanzen lasse, als daß sie das Herz fasse, ihn öffentlich zu desavouieren, könne einpacken. Z.B. Kayser.11801 Die Lafargues sind seit Montag hier11731 und bleiben bis übermorgen; wir wollen versuchen, Laura noch ein paar Tage länger hierzubehalten. Sie brachte uns die Nachricht, daß Jennys Katastrophe, wie wohl jeder außer ihr und Longuet vorhergesagt, richtig in Ramsgate vor sich ge
1 ich gebe es auf
gangen.*1811 Sonst scheint dort alles so gut zu gehn, wie erwartet werden kann. Seit gestern haben wir stark wackeliges Wetter, was Jollymeier kein besondres guttut, er hatte sich ziemlich erholt, Fieber verloren, Appetit wiederbekommen, Schmerzen gering, aber jetzt ist eine Art Stockung eingetreten, und die Besserung geht nicht mehr so rasch, doch ist er soweit auch nicht schlimmer. Heute haben wir Regatta gehabt, und da ist etwas Regen de rigueur2. Da Ihr etwas mehr Südwest und dem Atlantic näher, so fürchte ich, Ihr habt's noch schlimmer und mehr aus erster Hand. Auch ein verlegner Brief von Bernstein liegt bei, dem ich noch nicht geantwortet habe; Du behältst alle die Sachen am besten bis auf weiteres, mit B[ernstein] hat's keine Eile, und das edle „Jahrbuch"11821 kann auch ruhig in London liegenbleiben, bis ich komme. Wegen Schjorlemmer] ist's gut, daß wir hiergeblieben sind, und bleiben auch noch hier, jedenfalls bis 28. er., was dann wird, hängt von seinem Zustand ab und natürlich auch vom Wetter. Wo möglich ein paar Tage Isle of Wight und Gegend. Auf dem Pier lief heute der alte Rüge verjüngt als Nigger serenader3 herum und verkaufte Feuerwerksprogramme. Lafargue und Laura grüßen herzlich und hoffen mit uns, daß es Euch fortwährend wohl geht. Beste Grüße von Pumps und mir an Tussy und Dich. Dein F.E.
2 unerläßlich - 3 Negersänger
40
Engels an Marx in Ramsgate11831
53, Grand Parade, Eastbourne 25. Aug. 79
Lieber Mohr, Ich hoffe, Du hast meinen Brief1 nach Hotel de l'Europe, St. H^lier, erhalten nebst Einlage von Liebkn[echt] an mich und Brief von Hirsch an Dich zurück. Seitdem ist Hirsch in Paris verhaftet und nach 2tägigem Arrest genötigt worden, das Land zu verlassen, er ist in London und wohnt bei Leßner.11841 Gestern erhielt ich von ihm ein ganzes Paket Korrespondenzen betreffend die Blattaffäre11771, sehr interessant. Er hat meines Erachtens ganz richtig gehandelt. (Meine Adr. wußte er, da ich ihm aus dem an Dich gesandten Brief Liebkn[echts] einige Auszüge mit Weglassung alles Verletzenden geschickt11851.) Soeben erhalte ich nun 1. einen Brief von Höchberg'1861 aus Scheveningen und 2. einen von Bebel11871, beide des Behufs, uns zur Mitarbeiterschaft zu bewegen. Mit der Beantwortung hat es keine Eile, da der statt Hirsch angenommene Redakteur Vollmar noch 3 Wochen zu brummen hat! so ausgezeichnet ist alles eingeleitet. Ich würde Dir den ganzen Schwamm schicken, wenn ich wegen der Adresse sicher wäre. Deine Frau gibt an 62, Plains of Waterloo, und Laura behauptet, es wäre 71. Sobald ich sicher weiß, wo Du bist, schick' ich Dir alles. Die Konfusion, die die Leute wieder unter sich selbst angerichtet haben, ist heillos. Liebknfecht], Bebel, Viereck, Höchb[erg], Schramm, Bernstein, jeder schreibt was anders, nichts als Verwirrung und Widerspruch. So daß für uns Abwarten das einzige ist, und diese Geschichte wenigstens uns nicht in den Ferien zu stören braucht. Ich habe H[irsch] sogleich geschrieben14111, daß ich nächsten Donnerstag wieder in London sein werde.
1 Siehe vorl. Band, S. 92/93
Von Lafargues wirst Du inzwischen gehört haben, daß sie hier waren. Leider war das Wetter nicht besonders. Wie geht's Jenny? nach den letzten Nachrichten Deiner Frau so gut, wie zu erwarten war. Das hat sich hoffentlich so gehalten. Grüße sie recht herzlich von mir und gratuliere zum robusten Jungen.1181' Deine wiedererlangte Schlaffähigkeit hat sich, wie ich hoffe, erhalten und damit das Haupthindernis sich gehoben, das Dich nicht auf den Strumpf kommen ließ. Auch Deiner Frau wird das Ramsgater Wetter hoffentlich bekommen. Jollymeier ist viel besser, aber das schwankende Wetter erinnert ihn noch stark dran, daß zwischen Muskeln und Gelenken noch etwas nicht in Ordnung ist. Pumps ist all right, mir ist das Seebad wie gewöhnlich vortrefflich bekommen, ich glaube, ich werde ordentlich fett. Wenn Du morgen nicht schreibst, dann lieber nach London. Die Posteinrichtungen hier sind antediluvianisch2, ein Mittwoch aufgegebner Brief würde leicht erst nach unsrer Abreise ankommen. Beste Grüße an alle, und sorge ja, daß Jenny nicht zu früh an die Heimreise denkt. Wie lange bleibst Du noch dort? Dein F.E.
Hast Du Kowalewskis Adresse in London, oder kann ich sie von Tussy erfahren?
2 vorsintflutlich
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Marx an Engels in Eastbourne11731
62, Plains of Waterloo, Ramsgate 25. August 1879
Lieber Fred, Mein Brief von Jersey'401 und Deiner von Eastbourne1 haben sich offenbar gekreuzt. Sobald die Katastrophe in Ramsgate11811 uns- telegraphisch zukam, brachen wir den folgenden Tag, vergangnen Mittwoch, frühmorgens nach London auf. Es tat mir leid für Tussy, ihren Jersey-Aufenthalt vorzeitig zu beenden11831, wußte aber, daß meine Gegenwart in Ramsgate aus verschiednen Gründen notwendig geworden. Donnerstag kam ich dort an unter Donner, Blitz und Regenstürzen. Freitag war schön, Sonnabend it rained dogs and cats2 vom Morgen bis Abend, gestern wieder schön, heut schwankende Prospekte. Viel Juden und Flöhe hierselbst. Hauptsache, Jennychen hat die 9 Probetage glücklich überstanden und befindet sich ziemlich wohl, considering the circumstances3. Sie stillt einstweilen ihr Kind selbst; sehr wünschenswert, daß dies auf die Dauer ausführbar bleibe. Mit meiner Frau geht's langsam voran, aber doch besser. Mit meinem Kopf noch nicht all right. Ich sah gestern einmal probehalber gewisse mathematische Hefte, die ich mitgebracht, an, mußte aber sehr bald den vorzeitigen job aufgeben, geschah auch nur als - test. Seebad nahm und nehme ich nicht, sondern warmes Seebad; nämlich infolge des scheußlichen Wetters bei unsrer Ankunft in Jersey hatte sich mein Halsleiden verschlimmert und kam ein fliegendes Zahnleiden hinzu, beide noch nicht ganz beseitigt, obgleich sehr gelindert und mich nur ab und zu daran mahnend, daß sie immer noch im Hintergrund lauern. Hirsch in London; hatte Visitenkarte11881 bei mir gelassen, konnte ihn aber nicht mehr aufsuchen (er wohnt bei Leßner) wegen meiner plötzlichen Abfahrt von London. Der einliegende Brief von Kaub wird Dir die höchst
1 Siehe vorl. Band, S. 92/93 - 2 goß es in Strömen - 3 den Umständen entsprechend
sonderbaren Umstände von Hirschs wiederKolter Ausweisung aus Paris zeigen. Ich hoffe, daß es mit Schollymeyers Wohlsein besser geht. Beste Grüße an ihn und Pumps, der Johnny noch ganz speziell sich empfiehlt. Hast Du die Eröffnungsrede des Allman, oder wie er heißt, gelesen?11891 Die hätte ich auch fertiggebracht, obgleich no man of science4 seiend. Adio old boy. Dein Mohr
Der Chef des Massachusetts Labor Statistics Bureau, Wright, hat mir sämtliche Reports from61874 -79 (weiß also nichts vonHarneys früheren Sendungen) überschickt zugleich mit Kompendium des Massachusetts Zensus und mir zugleich schriftlich mitgeteilt, that „he shall be pleased, in future, to send you our publications as soon as issued"6. Solche „Anstandserscheinungen" arrivieren nur von Rußland und United States. Mein alter Patron Dana called last Friday at Maitland Park, Tussy sent me his card7.
4 kein Mann der Wissenschaft - 5 Berichte von - 6 daß „es ihm ein Vergnügen sein wird, Ihnen künftig unsere Veröffentlichungen gleich bei deren Erscheinen zuzusenden" -7 sprach letzten Freitag in Maitland Park vor, Tussy sandte mir seine Karte
7 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
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Engels an Marx in Ramsgate11831
Eastbourne, 26. Aug. 79
Lieber Mohr, Endlich Deinen Brief1 erhalten und damit die sichre Adresse, die ich benutze, Dir den ganzen Kohl ad vocem2 Parteiorgan'1771 zu schicken. Da ich Hirschs wegen die Antwort an Höchb[erg] nicht aufschieben konnte, so hab' ich ihm beiliegende paar Zeilen geschrieben3, die ihn auch nicht erbauen werden. Aus Bebels Brief11871 siehst Du, daß er ganz dieselben Argumente enthält, die Liebknfecht] in seinem letzten Brief anwendet. Es geht daraus hervor, daß L[iebknecht] ihm meinen letzten Brie/11761 nicht gezeigt hat, obwohl ich ihm dies ausdrücklich auftrug. Ich denke nun, sobald Du mir den Kram nach London zurückschickst, Bebel 1. zu beauftragen, sich diesen Brief zeigen zu lassen, damit er sieht, daß diese Redensarten alle schon beantwortet sind, 2. ihm die Widersprüche der verschiedenen an C. Hirsch geschriebnen Briefe nebeneinanderzustellen, damit er sieht, welche Sauerei sie wieder mit ihrer gemütlichen Manier angerichtet haben. Wenn das in der gehörigen Form geschieht, ist Bebel, glaub' ich, ganz der Mann, das weiterzubenutzen. Ich werde natürlich den Brief sowohl Dir wie auch Hirsch, cujus res agitur4, zur Begutachtung vorher einschicken. Es hat uns alle sehr gefreut zu hören, daß es Jenny gut geht. Ganz Deiner Ansicht, daß sie, wenn irgend möglich, fortfährt, das Kind selbst zu stillen11811, die Schule drangibt1 461und den bother mit nurses und servant5 endlich loswird, dessen Grundsuppe doch ihre fortwährende gezwungne Abwesenheit vom Hause war. Du und Deine Frau, Ihr müßt so lange an der See bleiben, wie nur irgend möglich, Ihr habt beide viel nachzuholen und solltet nicht zurückkommen, bis Dein Kopf und ihre Verdauungsorgane sich wieder herbeigelassen haben, etwas normal zu arbeiten. Es ist ja jetzt auch gar kein Grund mehr zu eilen, und das Wetter wird ebenfalls
1 Siehe vorl. Band, S. 96/97 - 2 über das - 3 siehe vorl. Band, S. 389 - 4 um dessen Sache es geht - 6 Ärger mit Ammen und Dienstmädchen
nach und nach, wenn auch nicht brillant und konstant, doch anständiger variabel als noch vor kurzem. Bei Euch scheint's grade so zu sein wie hier. Jollymeier wäre all right, hätte er 8 Tage beharrlichen Sonnenschein. Ich hoffe, Tussy auch in durch das Seebad gebesserter Gesundheit wiederzufinden. Hättest Du uns nur geschrieben, sie hätte Samstag herkommen und bis übermorgen hier baden können! Aber so erfuhr ich erst Sonntag morgen von Lafargues, daß Du in Ramsgate und gar nicht, wo sie war. Übrigens bin ich mit meinen 3 Wochen Seebad'1731 noch gar nicht zufrieden, ich ruminiere6 noch allerhand Pläne, wenn Jollymeier, dem London wahrscheinlich mehr guttun wird als die See, erst wieder etwas marschfähig wird. Was meinst Du, wenn wir drei in ca. 14-18 Tagen, weather permitting7, das Ewig-Weibliche einmal auf eine 8-14 Tage abschüttelten und irgendwohin gingen bachelor8 spielen? Beste Grüße von allen an alle. Dein F.E.
6 durchdenke -7 wenn es das Wetter erlaubt - 8 Junggeselle
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Marx an Engels in Eastbourne11731
27. August 1879 62, Plains of Waterloo, Ramsgate
Dear Fred, Unsere Briefe kreuzen sich fortwährend. Du wirst meinigten1 (letzten Montag abgeschickt) wohl erhalten haben; Deiner - vom 25.August2 nebst Einlagen, richtig angekommen. Ich schreibe nur paar Zeilen, da meine Frau grad in die Nähe des Postoffice zu gehn hat, und so diese Empfangsanzeige Deines Briefs Dir noch vor Abreise zukommen wird. Einliegend zur Erheiterung für Dich und Jollymeyer und Pumps ein Brief an meine Frau von Tussy. Please return it at once after perusal.3 Jennychen geht gut an; darf ihr Zimmer aber nicht vor nächstem Montag verlassen11811 und muß dann wenigstens noch eine Woche bei uns11831 bleiben, da Longuet früher nach London zurückkehrt. Wetter verschlechtert sich von Tag zu Tag; doch immer ein paar Stunden erträglich und sea breeze4 auch unter Regenschauern wohltuend. Liebknecht ist derselbe „Esel", den er mit seiner gewöhnlichen Knotenhöflichkeit dem Hirsch anheften will, wie er stets tut, wenn „ertappt" in flagranti. Mit besten Grüßen an alle. Dein Mohr Kowälewskis Adresse: 42, Gower Street.
1 Siehe vorl. Band, S. 96/97 - 2 siehe vorl. Band, S. 94/95 - 3 Schick ihn bitte sofort nach dem Durchlesen zurück. -1 Seebrise
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Marx an Engels in London11831
[Ramsgate] 28. August 79
Dear Fred, Einliegend ein Brief des P. P. Most, den ich soeben von Tussy zugeschickt erhalte. Du mußt mich umgehend wissen lassen, in welcher Weise Dir die Antwort passend scheint. Most will offenbar etwas haben, was er seinerseits „mißbrauchen" könnte; andrerseits arbeitet der Herr Lübeck unter Inspiration des Herrn Bernstein.1 Heute ist schöner Morgen; ob das Wetter sich den Tag über erhält, ist andre Frage. Salut. Dein Mohr
Please return the Mostletter.2 Gestern abend hatte es aufgehört zu regnen; wir nahmen Johnny mit auf den Strand. Some people said: „That little boy looks like a prince." Johnny turned fiercely round and retorted: „I look like a little Jollymeyer!" From a letter received from the house Lafargue I see that the other Meyer - not the Jollymeyer - had another scene at Lafargues. Poor fellow!3
1 Siehe vorl. Band, S. 410/411 - 2 Schick bitte den Mostbrief zurück. - 3 Einige Leute sagten: „Dieser kleine Junge sieht aus wie ein Prinz." Johnny drehte sich empört um und antwortete: „ Ich sehe aus wie ein kleiner Jollymeyer!" Aus einem vom Hause Lafargue erhaltenen Brief ersehe ich, daß der andere Meyer [Rudolph Mfcyer] - nicht der Jollymeyer - bei den Lafargues wieder eine Szene hatte. Armer Kerl!
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Marx an Engels in London111831
3. Sept. 1879 62, Plains of Waterloo Ramsgate
Lieber Engels, Da Meyer (R.) mir sieb zum Besuch ankündigte, andrerseits zugleich schreibend, ich solle ihn wissen lassen, i.e. ihm telegraphieren, „do not come"1, wenn ich sonstig in Anspruch genommen, so habe ich ihm firstly2 telegraphiert in dem „negativen" Sinn, zweitens aber Brief nachgeschickt1401, to this effect, that in consequence of Mrs. Marx's bad health my whole time is taken up „presently"3. Ich teile Dir das mit, damit, falls er Dir von der Sache spricht, Du weißt, wo Barthel den Most holt. In der Tat ist meine Frau nur sehr langsam improving4, daher by no means anxious to see Meyer here5. Jennychen hat heut ersten 15minutigen Ausgang zu Fuß gemacht11811; she progresses favourably6. Dein Mohr Wie geht's mit Jolly?
1 „nicht kommen" - 2 erstens - 3 des Inhalts, daß infolge von Frau Marx' schlechtem Gesundheitszustand „im Augenblick" meine ganze Zeit in Anspruch genommen ist - 4 auf dem Wege der Besserung - 5 keineswegs begierig, Meyer hier zu sehen - 6 sie macht gute Fortschritte
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Marx an Engels in London
9. Sept. 79 62, Plains of Waterloo Ramsgate
Lieber Fred, Infolge verschiedner incidents1 gehn die Moneten sichtbar zu Ende, und wünschte ich noch eine Woche hierzubleiben trotz beständig seit Sonntag abend schwankendem Wetter. Näheres über unseren hiesigen AufenthaltC1831, der mir namentlich sehr bekommen, wirst Du von den Lafargues erfahren. Einliegend ein Brief von Sorge. Da ich Beckers Adresse nicht hier habe und Du ohnehin mit ihm in Korrespondenz stehst, please2 schreibe ihm, er solle mir die Formel für die Vollmacht schicken.3 Wie geht's mit Jollymeyer? Dein K.M.
1 Zwischenfälle - 2 bitte - 3 siehe vorl. Band, S. 392/393
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Engels an Marx in Ramsgate11831
London, 9. Sept. 1879
Lieber Mohr, Inl. einiges von Liebkn[echt] nebst Beilagen, aus denen nicht viel Neues zu ersehn, weswegen ich mich nicht beeilt habe, sie zu schicken. Aus naheliegenden Gründen habe ich Hirsch von dieser ganzen Sendung nichts mitgeteilt, unnützer Krakeel ist besser vermieden. Höchberg hat von Scheveningen an Hirsch geschrieben, um sich von ihm quasi hieher einladen und guten Empfang garantieren zu lassen, worauf H[irsch] gar nicht geantwortet. Auf eine weitere Postkarte H[öchber]gs hat Hirsch ihm eine ditto geschickt: Du seist noch nicht zurück und er selbst, Hirsch, sei auch im Begriff, an die Seeküste zu gehn. Damit werden wir wohl Ruhe vor dem Mann haben. Inzwischen war* es doch gut, wenn Du mir die Akten zurückschicktest. Ich werde doch endlich Bebel antworten müssen11871 1. wegen Hirschs, der gern seine persönliche Angelegenheit gegenüber Bebel klargestellt sehn möchte und etwas ungeduldig wird, und 2., weil das „Jahrbuch", das Kow[alewski] Dir mitgebracht, uns glücklicherweise gestattet, den Leuten einfach die Gründe bestimmt anzugeben, weshalb wir absolut nicht an einem Organ mitarbeiten können, an dem Höchberg auch nur ein Wort mitzusprechen hat.11771 Die betreffenden Artikel sind: 1. „Rückblicke auf die sozialistische] Bewegung in Deutschland", von *** (Höchberg und wahrscheinlich Bernstein und Lübeck), 2. die Kritiken von C. L. (Lübeck) besonders über Cohn, „ Was ist Sozialismus", Schluß, 3. Bericht aus Deutschland Nr. 1 von M.Sch. (Max Schlesinger in Breslau). Höchb[erg] erklärt gradezu, die Deutschen hätten einen Fehler begangen, indem sie die sozialistische Bewegung in eine bloße Arbeiter' bewegung verwandelt und durch unnötiges Herausfordern der Bourgeoisie sich das Sozialistengesetz11011 selbst zugezogen! Die Bewegung soll unter
die Leitung der bürgerlichen und gebildeten Elemente gebracht werden, einen durchaus friedlichen Reformcharakter tragen usw. Du kannst Dir denken, mit welchem gusto Most über diese Jämmerlichkeiten herfällt und sich wieder als der unverfälschte Vertreter der deutschen Bewegung geriert.'1901 Enfin1, ich glaube, Du wirst auch der Meinung sein, daß wir nach dieser Geschichte gut tun, den Leipzigern wenigstens gegenüber, unsern Standpunkt festzustellen. Wenn das neue Parteiorgan aus Höchbfergjs Loch tutet, dann können wir genötigt werden, dies auch öffentlich zu tun. Wenn Du mir die Sachen schickst (von dem „Jahrbuch" hab* ich noch ein Ex. hier), will ich einen Brief an B[ebel] entwerfen und Dir einschicken, Du brauchst Dich natürlich dieser Lappalie wegen in Deinen Ferien nicht unterbrechen zu lassen. Aber es muß bald etwas geschehn, sonst schreibt Hirsch wieder Privatbriefe nach allen Ecken und Enden und gibt der Sache einen viel zu ausschließlich persönlichen Charakter. Seitdem die russische Diplomatie sich ihre Ziele durch innere russische Ereignisse muß vorschreiben lassen, geht ihr alles schief. In demselben Augenblick, wo ihr Nihilisten und Panslawisten die deutsche Allianz so in Stücke brechen2, daß sie höchstens noch auf kurze Zeit scheinbar geflickt werden kann, in demselben Augenblick treiben ihre afghanischen Agenten England, für den Kriegsfall mit Deutschland, in Bismarcks Arme, Ich bin sicher, Bism[arck] arbeitet mit Händen und Füßen, um den Krieg mit Rußland zustande zu bringen. Mit Ostreich und England vereint kann er's schon wagen; England sichert ihm die Neutralität Dänemarks, wahrscheinlich die Italiens, vielleicht selbst Frankreichs. Es wäre aber besser, die Sache in Rußland ginge rasch zur Krisis voran und beseitigte die Kriegsaussichten durch inneren Umsturz. Die Lage wird zu günstig für Bismarck. Ein gleichzeitiger Krieg gegen Rußland und Frankreich würde ein Kampf um die nationale Existenz, und in dem dabei entflammten Chauvinismus ginge urisre Bewegung auf Jahre zugrunde. Und dabei ständen die Chancen, sobald England beitritt, für Bismarck sehr günstig: ein langer, harter Kampf, aber 3:2 für endlichen Ausgang etwa wie der 7jährige Krieg. Sam Moore schreibt, daß der Verkauf des estates3 soweit recht gut abgelaufen ist, der größte Teil verkauft zum 39-40fachen Betrag der Großrente; nur das Moor- und Waldland, das sie auf £ 11 600 inkl. Holzbestand taxieren, ist unverkauft, und das glauben sie, halten zu können, bis das
1 Kurz - 2 siebe vorl, Band, S, 391 - 3 Gutes
Sheffielder Geschäft sich bessert und dann einen noch bessern Preis herausschlagen. Was ist aus den Lafargues geworden? Seit Pumps Freitag vor 8 Tagen dort war, haben wir von Paul nichts gesehn noch gehört. Jollymeier flickt noch immer an seinem Rheumatismus herum, der nicht weichen will. Gumpert hat ihm Buxton empfohlen, und er sagte gestern, wenn's nicht bald besser würde, ging' er Ende der Woche hin. Er, Pumps und ich grüßen Euch alle herzlich und hoffen, daß das Seeleben Euch gut bekommt. Was hast Du für Pläne wegen Rückkehr? Mach's, so lang es irgend angeht, bist Du erst wieder hier, so weiß ich, wie's geht bei dem wackligen Wetter, es is nix zu wolle. Dein F.E.
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Marx an Engels in London
10. Sept. 1879 62, Plains of Waterloo, Ramsgate
Dear Fred, Von Kowalewski erhielt ich gestern paar Zeilen, daß er Brief von Rußland erhalten, der seine sofortige Rückkehr ins Vaterland ernötigt. Das „Jahrbuch" hat er mir nicht geschickt. Laura war 8 Tage bei uns, Paul einige Tage ab und zu, ist vorgestern mit ihr nach London zurückgekehrt. Übrigens hatte Laura Pumptia von ihrer Abreise unterrichtet. Meine Frau noch immer sehr langsam voran; ich habe mich sehr erholt.11831 Die Luft hier sagt mir außerordentlich zu. Außerdem hielt mich Laura in mouvement perpetuel1. Einliegend die heute von Dir erhaltnen Briefe. (Die andern gehn gleichzeitig ab, aber unter anderm Kuvert.) Liebknecht hat kein Urteil. Die Briefe beweisen, was sie widerlegen sollen, nämlich unsre ursprüngliche Ansicht, daß die Sache in Leipzig verfumfeit wurde, während die Züricher den ihnen gestellten Bedingungen gemäß vorgingen.11771 Übrigens ihr horror vor dem Angriff der sonst so harmlosen „Laterne" auf den Lumpazius Kayser11911 zeigt klarer als alles andre das Kaliber der Leute. Schramm war von jeher, bei sonstiger Tüchtigkeit, philistin2. Die Leipziger ihrerseits sind schon so „parlamentarisiert", daß öffentliche Kritik eines Glieds ihrer Koterie im Reichstag ihnen als crime de lese majeste3 erscheint. Ich teile ganz Deine Ansicht, daß keine Zeit weiter zu verlieren ist, um unsere Ansicht schroff und rücksichtlos dem Jahrbuchsgefasel11821 gegenüber kundzutun, i.e. pro nunc4 den Leipzigern schwarz auf weiß „zuzustellen".5 Gehn sie in derselben Weise mit ihrem „Parteiorgan" vor, so müssen wir sie öffentlich desavouieren. In diesen Dingen hört die Gemütlichkeit auf.
1 ständiger Bewegung - 2 Philister - 4 Majestätsbeleidigung - 4 vorläufig - 5 siehe vorl. Band, S. 394-408
Dem Most6 habe ich nicht geantwortet und werde ihm nicht antworten; sobald ich in London, schreibe ich ihm - Einladung, sich persönlich einzufinden. Du mußt bei dem Rendezvous zugegen sein. Das Charakteristischste für Bismarck ist die Art und Weise, wie er in seinen Gegensatz zu Rußland hineingeriet. Er wollte Gortschakow abund Schuwalow einsetzen. Da das fehlschlug, verstand sich's von selbst: voilä l'ennemi!7 und ich zweifle auch nicht, daß Bucher die Gereiztheit des Meisters aufzustacheln nicht verfehlt hat. On retourne toujours ä son premier amour.8 Für unsere Bewegung und für Europa im allgemeinen könnte nichts Schädlicheres sich ereignen als die Ausführung von B[ismarck]s Plan. Solange der alte Wilhelm 9 lebt, wird das immerhin nicht so leicht gehn; möglich bleibt es immer, daß Bismarck selbst Opfer der Reaktion wird, die er mit dem Sozialistengesetz'1511 eingeleitet. En attendant10 tut schon der schwarze Punkt11921 im Osten ihm seinen Dienst; er ist wieder der „notwendige Mann", und die Liberalen haben jetzt die „patriotische" Pflichtempfindung, ihm den Arsch küssen zu müssen. Nicht nur das eiserne Militärbudget wird in der nächsten Reichstagssitzung erneuert werden; es wird vielleicht „perpetuell" gemacht, wie Wilhelm ursprünglich wollte. Das Geheimnis der Erfolge der russischen Diplomatie abroad11 war die Grabesstille of Russia at home12. Mit der inneren Bewegung war der Zauber gebrochen. Ihr letzter Sieg war der Pariser Vertrag von 1856.11931 Seitdem nur Böcke geschossen. I hope poor Schollymeyers health will improve. My best wishes for him.13 Dein Mohr
6 sifchfe vorl. Band, S. 101 - ' da ist der Feind! - 8 Alte Liebe rostet nicht. - 9 Wilhelm I. 10 Einstweilen - 11 im Ausland - 12 daheim in Rußland - 13 Ich hoffe, des armen Schollycneyets Gesundheit wird sich bessern. Meine besten Wünsche für ihn.
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Engels an Marx in Ramsgate11831
London, 11. Sept. 79
Lieber Mohr, Briefe erhalten. Hirsch, der gestern bei mir mit den Lafargues und Henry Juta zusammentraf, wird mir die ihm früher zurückgegebnen Stücke bringen, und dann geh* ich sofort an die Arbeit.1 Laura und Paul, d. h. speziell letzterer, sagten sich wieder auf nächsten Sonntag abend bei uns an. So angenehm uns dies, so ist doch der Kasus von wegen Tussy zu erwägen. Sie hat, seit wir zurück, sonntags bei uns gegessen, und ich werde sie selbstredend auch für nächsten Sonntag einladen. Da Paul sagte, Longuets würden diese Woche zurückkommen, hatte ich vor, morgen oder übermorgen zu Jenny zu gehn und sie zu bitten, mir über die Schwierigkeit wegzuhelfen, indem sie Tussy für den Abend übernähme. Nun sagte aber Laura beim Weggehn, Jenny käme erst Samstag zurück, und so bleibt mir nur übrig, die Sache auf diesem Weg einzufädeln. Wenn es sich machen läßt, so gib mir gleich Nachricht, wo nicht, muß sonst ein Ausweg gefunden werden. Die Lafargues kommen nie vor 7 Uhr. Beste Grüße. Jollymeier seit 3 Tagen viel besser, scheint Buxton nicht zu bedürfen. Dein F.E.
1 Siehe vorl. Band, S.394-408
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Marx an Engels in London11831
[Ramsgate] 11. September 1879 62, Plains of Waterloo
Dear Fred, Brief nebst Inhalt dankbarst erhalten.1 Die Familie Longuet wird Samstag (nächsten) nach London „machen", wie Leßner sagt. Mit dem Jennychen geht es soweit gut11811, obgleich immer noch etwas Asthma, aber sie hat - ä la lupus2 hartnäckig - den Plan, das Stillen des Kindes mit Schule1461 zu verbinden. Gestern, zu meinem großen Staunen, taucht plötzlich Meyer3 vor mir auf in den sands4. Zu meiner Beruhigung erklärte er sofort, er habe für einen Tag Logis in Margate genommen, reise in einigen Stunden wieder zurück, wolle nur sich nach Wohlsein der „gnädigen Frau"6 erkundigen etc. Ich machte ihm einige Honneurs und überwies ihn zur Rückexpedition an Longuet. Er geht nach Edinburgh - der Meyer - zum Trades union congress.11941 Ich bin zufrieden, daß sich diese „Krise" so rasch verlaufen hat. Die Tendenz dieses Braven nach Ramsgate hin war irrepressible6. Im übrigen erzählte er Longuet, daß seine Leber sich sehr verschlimmert, so daß er „Spirituöses" im gewohnten Quantum nicht mehr „leisten" könne, ohne daß es ihm in Kopf steige. Dies wohl Glosse zu seinen letzten accidents7 in Maitland Park etc. Es ist jetzt hier halb gutes, halb schlechtes Wetter mit Tendenz des letzteren zum Übergewicht. Dein Mohr
1 Siehe vorl. Band, S. 104-106 - 2 wie Wilhelm Wolff - 3 Rudolph Meyer - 4 Dünen - 5 Jenny Marx - 6 unbezähmbar - 7 Auftritten
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Marx an Engels in London11831
[Ramsgate] 12. Sept.11951 1879
Lieber Fred, Sag Tussy, daß sie bei Jenny für Sonntag um 2 Uhr mittags eingeladen zum Essen und zur Repräsentation von Edgar „Marcel" Longuet, der heutigentags als englischer Bürger in Ramsgate registriert worden. Jennychen, nebst Anhang, reist nämlich morgen nach London ab, ditto Helene zu ihrem support. Cheque realisierbar Montag. Ich habe noch einen zu den Prozeßakten1 gehörigen Brief von Hirsch an mich gefunden, den ich beilege. Salut. Dein Mohr
1 Siehe vorl. Band, S. 104/105
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Engels an Marx in London11961
[London, nach dem 8. Oktober 1879] Hast Du dem edlen B[arry] nicht die Noten geschickt, die ich in den „Fräser" gelegt?11973 ich legte sie vor Pumps" Augen hinein und zwar so, daß sie von außen sichtbar waren. Wo nicht, schick's ihm. Dein F.E.
1880
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Engels an Marx in London
7, Burlington Place Bridlington Quay 13. Sept. 80
Lieber Mohr, Von L[iebknecht] Inliegendes erhalten. Ich schreibe ihm, daß, falls ich nicht in wenig Tagen Gegenteiliges berichte, wir von nächstem Sonntag, 19.Sept., an wieder in London sein werden11981 und sie (ihn und Bfebel]) erwarten11991. Solltest Du also etwa Hindernisse haben, so sei so gut, mir dies mitzuteilen. Auf eine Postkarte, 29.Aug.12001 von hier nach Ramsgate12011 an Deine Adresse bin ich ohne Antwort geblieben, sie ist wohl gar nicht angekommen. Gestern schreibt mir Laf[argue], Du kämest heute nach London zurück. Wir kommen Ende dieser Woche zurück, seit vorgestern Regenwetter, bis dahin prachtvolles Wetter. Hoffentlich geht es Deiner Frau besser. Beste Grüße an alle auch von Moore und Beust1. Dein F.E.
1 Adolf von Beust
8 Marx/Engels, Werke, Bd. 34

Zweiter Teil Briefe von Marx und Engels an dritte Personen
Januar 1875 - Dezember 1880

1375
1
Marx an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
[London] 7. Jan. 1875
Lieber Liebknecht, Prost Neujahr! Ich werde Dir morgen oder übermorgen das Nachwort und Druckfehlerverzeichnis schicken.12021 Die Worterklärungen habe ich allzumeist, aus Zeitmangel, nicht gelesen. Nur eins fiel mir auf, „Fleurs de lys", wovon mit Bezug auf Fleury die Rede ist, heißen die Brandmale, die im altfranzösischen Regime den schweren Verbrechern aufgestempelt wurden.12031 Der Aufsatz über das Bankwesen12041 ist grundschlecht. Auch das Zeug von Kirchmann12051 wäre besser aus dem „Volksstaat" weggeblieben. Mit bestem Gruß an Deine ganze Familie. Dein K.M.
2
Marx an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
[London] 9. Jan. 75
Lieber library, Einliegend das Nachwort nebst Druckfehlerverzeichnis12021, welches Du ergänzen mußt durch die Druckfehler, die ich auf dem nicht paginierten Abzug bezeichnet, den ich unter Kreuzband beilege. Künftig ersteBedingung bei dergleichen, daß mir die Abzüge zugehn, ehe im „Volksstaat" abgedruckt wird. Korrigiere sorgfältig das Nachwort. Dein Rörig hat artige Vorstellungen von meinem Zeitüberfluß. Er verlangt in der Tat, daß ich ihm eine Arbeit über außerdeutsches Jagdrecht mache. Hätte ich die Zeit, so hätte ich nichts dagegen. Aber ich komme so nicht aus mit den zwölf Tagesstunden. Beste Grüße an Frau und Kinder von Deinem Mohr
3
Marx an Max Oppenheim in Prag
London, 20. Jan. 75
Lieber Freund, Entschuldigen Sie die Verzögrung meines Schreibens. Ich war sehr überschäftigt, da ich heute erst mit der Übersetzung (französischen) der noch nicht erschienenen livraisons1 des „Kapitals"12061 fertig geworden. Sobald das Ganze erscheint, schicke ich es Ihnen, da ich viel verändert und viel zugesetzt, namentlich in den letzten Teilen der französischen Ausgabe. Ihre Sendung von Fasanen und Lebern ist rechtzeitig angekommen und ist hier mit wahrem Enthusiasmus empfangen worden. Das Berliner Blatt, von dem Sie mir schreiben, kenne ich nicht; doch mag einer meiner Schüler von hier mir unbekannterweise in selbes korrespondieren.12071 Nun habe ich noch eine Bitte an Sie. Die Ärzte untersagen mir das Rauchen ohne Zigarrenspitze. Ich möchte also für mich und hiesige Freunde 200 Stück der Spitzen haben, die ich in Karlsbad[27] kennenlernte, die man nach jeder gerauchten Zigarre wegwerfen kann, wenn sie nicht weiter dienlich scheint, und die hier nicht zu haben sind. Aber merken Sie wohl, dies ist ein kommerzieller Auftrag, bei dessen etwaiger Erfüllung Sie mir die Kosten notieren müssen, da ich sonst geniert wäre, mich in ähnlichen Drängnissen an Sie zu wenden. Meine Tochter2 läßt Sie aufs herzlichste grüßen3. Sie korrespondiert mit Frau Kugelmann und Tochter, von denen sie kürzlich Briefe erhielt. Wenn Sie mir nächstens schreiben, lassen Sie mich gefälligst etwas Näheres über den Stand des Geschäfts in Böhmen wissen. Ich freue mich sehr auf die Zeit, wo ich Sie hier sehn werde. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
1 Lieferungen - s Eleanor Marx - 3 in der Handschrift: Grüße
4
Marx an Maurice Lachatre in Brüssel
London, 30. Januar 1875
Lieber Bürger, Heute habe ich den letzten Teil des Manuskripts'2061 nach Paris gesandt, mit Ausnahme des Schlußwortes, des Inhaltsverzeichnisses und der errata, die erst fertiggestellt werden können, wenn ich die noch nicht veröffentlichten fascicles1 in der Hand habe. Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß es besser ist, die letzten fascicles zusammen zu veröffentlichen, aber das ist kein Grund dafür, daß Herr Lahure seit drei Monaten aufgehört hat zu drucken. (Er hat noch nicht einmal die Korrekturbogen der Lieferungen 34 und 35 zurückgeschickt.) Ich werde mit anderen Arbeiten bedrängt: mein deutscher Verleger2 schickt ebenso wie der russische Verleger'2081 einen Brief nach dem anderen, damit ich mit der Schlußredaktion des zweiten Bandes12091 beginne. Wenn also Herr Lahure, statt zu drucken und mir in dem Maße, wie der Druck voranschreitet, die Korrekturbogen zu schicken, dies weiter hinausschiebt, wird er allein verantwortlich sein für neue Verzögerungen und Unterbrechungen, die daraus entstehen könnten. Da ich diesem Herrn nicht mehr zu schreiben wünsche, bitte ich Sie, ihm Ihre Anweisungen zukommen zu lassen. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
1 Lieferungen - 2 Otto Meißner
5
Marx an Just Vernouillet in Paris'2101
London, 3. Februar 1875 ...Die Herren Bonapartisten haben, wie es scheint, schließlich den Orleanisten Angst gemacht, die euch jetzt eiligst eine Republik nach ihrer Art züsammenschustern.12U1 Aber einmal errichtet, wird diese, so glaube ich, auch die orleanistische Intrige vereiteln, der Krautjunkerherrschaft12121 ein Ende bereiten und ihren eigenen Weg gehen.. .12131
Nach: Brief von Emil Hirsch an Pappenheim, vom 9. September 1899. Aus dem Französischen.
6
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 11. Febr. 1875
Mein lieber Freund, Ich sende Ihnen heute die deutsche Gesamtbandausgabe (mir stehen keine „Hefte"1 mehr zur Verfügung)12141 und die ersten sechs fascicles2 der französischen Ausgabe12061. In dieser sind viele Änderungen und Zusätze enthalten (siehe z.B. fascicle 6, S.222, gegen J.St.Mill12151 - ein treffendes Beispiel dafür, wie die bürgerlichen Ökonomen, selbst wenn sie die besten Absichten haben, instinktiv einen falschen Weg einschlagen, sogar in dem Augenblick, wo sie die Wahrheit schon zu fassen scheinen). Die wichtigsten in der französischen Ausgabe enthaltenen Änderungen befinden sich allerdings in den noch nicht erschienenen Teilen, und zwar in den Kapiteln über die Akkumulation. Meinen besten Dank für die Veröffentlichungen, die Sie mir geschickt haben. Was mich am meisten interessiert hat, sind die Artikel „Hto fl-ijiaeTCH Ha poHHH^"[2161. Wenn ich Zeit hätte, würde ich daraus Auszüge für den „Volksstaat" machen. Die He HamH sind ausgezeichnete Leute. Ich vermute fast, daß unser Freund Lopatin einen gewissen Anteil an diesem Artikel hat.12171 Man hatte mir aus St. Petersburg ein ganzes Paket mit Büchern und offiziellen Publikationen geschickt, aber - es ist gestohlen worden, wahrscheinlich von der russischen Regierung. Unter anderem enthielt es die Berichte „Kommhccmno ceJitcKOMyxo3HÜCTBy h ceJitcKoftnp0HgB03;Htgjibhocth [bi] Pocciii" und „IIo noaaTiiQMy Bonpocy"12181, unbedingt notwendiges Material für das Kapitel des zweiten Bandes, in dem ich das Grundeigentum etc. in Rußland behandle.12191 Meine Gesundheit hat sich seit meinem Aufenthalt in Karlsbad1271 erheblich gebessert, aber einerseits bin ich noch immer gezwungen, meine Arbeitszeit stark zu beschränken, und andererseits habe ich mir seit
1 In der Handschrift deutsch: „Hefte" - 2 Lieferungen
meiner Ankunft in London eine colds zugezogen, die mir immer noch zu schaffen macht. Ich werde Sie besuchen, wenn das Wetter schöner ist. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
3 Erkältung
7
Engels an Hermann Ramm in Leipzig12201
[London] 18.3.[1875] Beantwortet 18/3. Möglicherweise Taler 1000 von mir, doch abhängig von Umständen, über die ich keine Kontrolle. Werde baldmöglichst darauf zurückkommen.1
1 Erster, in der Handschrift gestrichener Entwurf: Beantwortet 16/3/75. Offeriert Taler 1000, sobald ich sie flüssig bekomme, zu gleichen Bedingungen wie die übrigen Einschießer, jedoch definitive Entscheidung vorbehalten bis nach dem Kongreß^221!, so daß ich vollkommen frei bin, falls dieser überwiegend lassalUeanisches] Programm und Behörden macht.
8
Engels an August Bebel in Zwickau12221
London, 18./28. März 1875
Lieber Bebel! Ich habe Ihren Brief vom 23. Februar erhalten und freue mich, daß es Ihnen körperlich so gut geht. Sie fragen mich, was wir von der Einigungsgeschichte halten? 12231 Leider ist es uns ganz gegangen wie Ihnen. Weder Liebknecht noch sonst jemand hat uns irgendwelche Mitteilung gemacht, und auch wir wissen daher nur, was in den Blättern steht, und da stand nichts, bis vor zirka acht Tagen der Programmentwurf kam.12241 Der hat uns allerdings nicht wenig in Erstaunen gesetzt. Unsere Partei hatte so oft den Lassalleanern die Hand zur Versöhnung oder doch wenigstens zum Kartell geboten und war von den Hasenclever, Hasselmann und Tölckes so oft und so schnöde zurückgewiesen worden, daß daraus jedes Kind den Schluß ziehen mußte: Wenn diese Herren jetzt selbst kommen und Versöhnung bieten, so müssen sie in einer verdammten Klemme sein. Bei dem wohlbekannten Charakter dieser Leute ist es aber unsere Schuldigkeit, diese Klemme zu benutzen, um uns alle und jede mögliche Garantien auszubedingen, damit nicht jene Leute auf Kosten unserer Partei in der öffentlichen Arbeitermeinung ihre erschütterte Stellung wieder befestigen. Man mußte sie äußerst kühl und mißtrauisch empfangen, die Vereinigung abhängig machen von dem Grade ihrer Bereitwilligkeit, ihre Sektenstichworte und ihre Staatshilfe fallenzulassen und im wesentlichen das Eisenacher Programm von 186912251 oder eine für den heutigen Zeitpunkt angemessene verbesserte Ausgabe desselben anzunehmen. Unsere Partei hätte von den Lassalleanern in theoretischer Beziehung, also in dem, was fürs Programm entscheidend ist, absolut nichts zu lernen, die Lassalleaner aber wohl von ihr; die erste Bedingung der Vereinigung war, daß sie aufhörten, Sektierer, Lassalleaner zu sein, daß sie also vor allem das Allerweltsheilmittel der Staatshilfe wo nicht ganz aufgaben, doch als eine untergeordnete Übergangsmaßregel unter und neben vielen
möglichen anderen anerkannten. Der Programmentwurf beweist, daß unsere Leute theoretisch den Lassalleanerführern hundertmal überlegen - ihnen an politischer Schlauheit ebensowenig gewachsen sind; die „Ehrlichen" sind einmal wieder von den Nichtehrlichen grausam über den Löffel barbiert. Zuerst nimmt man die großtönende, aber historisch falsche Lassallesche Phrase an: gegenüber der Arbeiterklasse seien alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse. Dieser Satz ist nur in einzelnen Ausnahmefällen wahr, zum Beispiel in einer Revolution des Proletariats, wie die Kommune, oder in einem Land, wo nicht nur die Bourgeoisie Staat und Gesellschaft nach ihrem Bilde gestaltet hat, sondern auch schon nach ihr das demokratische Kleinbürgertum diese Umbildung bis auf ihre letzten Konsequenzen durchgeführt hat. Wenn zum Beispiel in Deutschland das demokratische Kleinbürgertum zu dieser reaktionären Masse gehörte, wie konnte da die Sozialdemokratische Arbeiterpartei jahrelang mit ihm, mit der Volkspartei'2261 Hand in Hand gehen? Wie kann der „Volksstaat" fast seinen ganzen politischen j Inhalt aus der kleinbürgerlich-demokratischen „Frankfurter Zeitung" nehmen? Und wie kann man nicht weniger als sieben Forderungen in dies selbe Programm aufnehmen, die direkt und wörtlich übereinstimmen mit dem Programm der Volkspartei und kleinbürgerlichen Demokratie? Ich meine die sieben politischen Forderungen 1 bis 5 und 1 bis 2 '2271, von denen keine einzige, die nicht bürgerlich-demokratisch. Zweitens wird das Prinzip der Internationalität der Arbeiterbewegung praktisch für die Gegenwart vollständig verleugnet, und das von den Leuten, die fünf Jahre lang und unter den schwierigsten Umständen dies Prinzip auf die ruhmvollste Weise hochgehalten. Die Stellung der deutschen Arbeiter an der Spitze der europäischen Bewegung beruht wesentlich auf ihrer echt internationalen Haltung während des Kriegs; kein anderes Proletariat hätte sich so gut benommen. Und jetzt soll dies Prinzip von ihnen verleugnet werden im Moment, wo überall im Ausland die Arbeiter es in demselben Maß betonen, in dem die Regierungen jeden Versuch seiner Betätigung in einer Organisation zu unterdrücken streben! Und was bleibt allein vom Internationalismus der Arbeiterbewegung übrig? Die blasse Aussicht - nicht einmal auf ein späteres Zusammenwirken der europäischen Arbeiter zu ihrer Befreiung - nein, auf eine künftige „internationale Völkerverbrüderung" - auf die „Vereinigten Staaten von Europa" der Bourgeois von der Friedensliga'228'! Es war natürlich gar nicht nötig, von der Internationale als solche zu sprechen. Aber das mindeste war doch, keinen Rückschritt gegen das Programm von 1869 zu tun und etwa zu sagen: obgleich die deutsche
Arbeiterpartei zunächst innerhalb der ihr gesetzten Staatsgrenzen wirkt (sie hat kein Recht, im Namen des europäischen Proletariats zu sprechen, besonders nicht, etwas Falsches zu sagen), so ist sie sich ihrer Solidarität bewußt mit den Arbeitern aller Länder und wird stets bereit sein, wie bisher auch fernerhin die ihr durch diese Solidarität aufgelegten Verpflichtungen zu erfüllen. Derartige Verpflichtungen bestehen, auch ohne daß man gerade sich als Teil der „Internationale" proklamiert oder ansieht, zum Beispiel Hilfe, Abhalten von Zuzug bei Streiks, Sorge dafür, daß die Parteiorgane die deutschen Arbeiter von der ausländischen Bewegung unterrichtet halten, Agitation gegen drohende oder ausbrechende Kabinettskriege, Verhalten während solcher, wie 1870 und 1871 mustergültig durchgeführt, usw. Drittens haben sich unsere Leute das Lassallesche „eherne Lohngesetz" aufoktroyieren lassen, das auf einer ganz veralteten ökonomischen Ansicht beruht, nämlich daß der Arbeiter im Durchschnitt nur das Minimum des Arbeitslohnes erhält, und zwar deshalb, weil nach Malthusscher Bevölkerungstheorie immer zuviel Arbeiter da sipd (dies war Lassalles Beweisführung). Nun hat Marx im „Kapital" ausführlich nachgewiesen, daß die Gesetze, die den Arbeitslohn regulieren, sehr kompliziert sind, daß je nach den Verhältnissen bald dieses, bald jenes vorwiegt, daß sie also keineswegs ehern, sondern im Gegenteil sehr elastisch sind und daß die Sache gar nicht so mit ein paar Worten abzumachen ist, wie Lassalle sich einbildete. Die Malthussche Begründung des von Lassalle ihm und Ricardo (unter Verfälschung des letzteren) abgeschriebenen Gesetzes, wie sie sich zum Beispiel „Arbeiterlesebuch", Seite 5, aus einer anderen Broschüre Lassalles zitiert findet12291, ist von Marx in dem Abschnitt über „Akkumulationsprozeß des Kapitals"12301 ausführlich widerlegt. Man bekennt sich also durch Adoptierung des Lassalleschen „ehernen Gesetzes" zu einem falschen Satz und einer falschen Begründung desselben. Viertens stellt das Programm als einzige soziale Forderung auf - die Lassallesche Staatshilfe in ihrer nacktesten Gestalt, wie Lassalle sie von Buchez gestohlen hatte. Und das, nachdem Bracke diese Forderung sehr gut in ihrer ganzen Nichtigkeit aufgewiesen12311; nachdem fast alle, wo nicht alle Redner unserer Partei im Kampf mit den Lassalleanern genötigt gewesen sind, gegen diese „Staatshilfe" aufzutreten! Tiefer konnte unsere Partei sich nicht demütigen. Der Internationalismus heruntergekommen auf Amand Goegg, der Sozialismus auf den Bourgeoisrepublikaner Buchez, der diese Forderung gegenüber den Sozialisten stellte, um sie auszustechen! Im besten Fall aber ist die „Staatshilfe" im Lassalleschen Sinne doch nur eine einzige Maßregel unter vielen anderen, um das Ziel zu erreichen,
was hier mit den lahmen Worten bezeichnet wird: „um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen", als ob es für uns noch eine theoretisch ungelöste soziale Frage gäbe! Wenn man also sagt: Die deutsche Arbeiterpartei erstrebt die Abschaffung der Lohnarbeit und damit der Klassenunterschiede vermittelst der Durchführung der genossenschaftlichen Produktion in Industrie und Ackerbau und auf nationalem Maßstab; sie tritt ein für jede Maßregel, welche geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen! - so kann kein Lassalleaner etwas dagegen haben. Fünftens ist von der Organisation der Arbeiterklasse als Klasse vermittels der Gewerksgenossenschaften gar keine Rede. Und das ist ein sehr wesentlicher Punkt, denn dies ist die eigentliche Klassenorganisation des Proletariats, in der es seine täglichen Kämpfe mit dem Kapital durchficht, in der es sich schult und die heutzutage bei der schlimmsten Reaktion (wie jetzt in Paris) platterdings nicht mehr kaputtzumachen ist. Bei der Wichtigkeit, die diese Organisation auch in Deutschland erreicht, wäre es unserer Ansicht nach unbedingt notwendig, ihrer im Programm zu gedenken und ihr womöglich einen Platz in der Organisation der Partei offenzulassen. Das alles haben unsere Leute den Lassalleanern zu Gefallen getan. Und was haben die anderen nachgegeben? Daß ein Haufen ziemlich verworrener rein demokratischer Forderungen im Programm figurieren, von denen manche reine Modesache sind, wie zum Beispiel die „Gesetzgebung durch das Volk", die in der Schweiz besteht und mehr Schaden als Nutzen anrichtet, wenn sie überhaupt was anrichtet. Verwaltung durch das Volk, das wäre noch etwas. Ebenso fehlt die erste Bedingung aller Freiheit: daß alle Beamte für alle ihre Amtshandlungen jedem Bürger gegenüber vor den gewöhnlichen Gerichten und nach gemeinem Recht verantwortlich sind. Davon, daß solche Forderungen wie: Freiheit der Wissenschaft Gewissensfreiheit in jedem liberalen Bourgeoisprogramm figurieren und sich hier etwas befremdend ausnehmen, davon will ich weiter nicht sprechen. Der freie Volksstaat ist in den freien Staat verwandelt. Grammatikalisch genommen ist ein freier Staat ein solcher, wo der Staat frei gegenüber seinen Bürgern ist, also ein Staat mit despotischer Regierung. Man sollte das ganze Gerede vom Staat fallenlassen, besonders seit der Kommune, die schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr war. Der Volksstaat ist uns von den Anarchisten bis zum Überdruß in die Zähne geworfen wor-den, obwohl schon die Schrift Marx* gegen Proudhon1 und nachher das
1 „Das Elend der Philosophie"
„Kommunistische Manifest" direkt sagen, daß mit Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Staat sich von selbst auflöst und verschwindet. Da nun der Staat doch nur eine vorübergehende Einrichtung ist, deren man sich im Kampf, in der Revolution bedient, um seine Gegner gewaltsam niederzuhalten, so ist es purer Unsinn, vom freien Volksstaat zu sprechen: solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf zu bestehen. Wir würden daher vorschlagen, überall statt Staat „Gemeinwesen" zu setzen, ein gutes altes deutsches Wort, das das französische „Kommune" sehr gut vertreten kann. „Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit" ist auch eine sehr bedenkliche Phrase statt: „Aufhebung aller Klassenunterschiede". Von Land zu Land, von Provinz zu Provinz, von Ort zu Ort sogar wird immer eine gewisse Ungleichheit der Lebensbedingungen bestehen, die man auf ein Minimum reduzieren, aber nie ganz beseitigen können wird. Alpenbewohner werden immer andere Lebensbedingungen haben als Leute des flachen Landes. Die Vorstellung der sozialistischen Gesellschaft als des Reiches der Gleichheit ist eine einseitige französische Vorstellung, anlehnend an das alte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", eine Vorstellung, die als Entwicklungsstufe ihrer Zeit und ihres Ortes berechtigt war, die aber, wie alle die Einseitigkeiten der früheren sozialistischen Schulen, jetzt überwunden sein sollten, da sie nur Verwirrung in den Köpfen anrichten und präzisere Darstellungsweisen der Sache gefunden sind. Ich höre auf, obwohl fast jedes Wort in diesem dabei saft- und kraftlos redigierten Programm zu kritisieren wäre. Es ist derart, daß, falls es angenommen wird, Marx und ich uns nie zu der auf dieser Grundlage errichteten neuen Partei bekennen können und uns sehr ernstlich werden überlegen müssen, welche Stellung wir - auch öffentlich - ihr gegenüber zu nehmen haben. Bedenken Sie, daß man uns im Auslande für alle und jede Äußerungen und Handlungen der deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei verantwortlich macht. So Bakunin in seiner Schrift „Politik und Anarchie", wo wir einstehen müssen für jedes unüberlegte Wort, das Liebknecht seit Stiftung des „Demokratischen Wochenblattes" gesagt und geschrieben.'2321 Die Leute bilden sich eben ein, wir kommandierten von hier aus die ganze Geschichte, während Sie so gut wie ich wissen, daß wir uns fast nie im geringsten in die inneren Parteiangelegenheiten gemischt, und auch dann nur, um Böcke, die nach unserer Ansicht geschossen worden, und zwar nur theoretische, wieder nach Möglichkeit gutzumachen. Sie
9 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
werden aber selbst einsehen, daß dies Programm einen Wendepunkt bildet, der uns sehr leicht zwingen könnte, alle und jede Verantwortlichkeit mit der Partei, die es anerkennt, abzulehnen. Im allgemeinen kommt es weniger auf das offizielle Programm einer Partei an, als auf das, was sie tut. Aber ein neues Programm ist doch immer eine öffentlich aufgepflanzte Fahne, und die Außenwelt beurteilt danach die Partei. Es sollte daher keinenfalls einen Rückschritt enthalten, wie dies gegenüber dem Eisenacher. Man sollte doch auch bedenken, was die Arbeiter anderer Länder zu diesem Programm sagen werden; welchen Eindruck diese Kniebeugung des gesamten deutschen sozialistischen2 Proletariats vor dem Lassalleanismus machen wird. Dabei bin ich überzeugt, daß eine Einigung auf dieser Basis kein Jahr dauern wird. Die besten Köpfe unserer Partei sollten sich dazu hergeben, auswendig gelernte Lassallesche Sätze vom ehernen Lohngesetz und der Staatshilfe abzuleiern? Ich möchte zum Beispiel Sie dabei sehen! Und täten sie es, ihre Zuhörer würden sie auszischen. Und ich bin sicher, die Lassalleaner bestehen gerade auf diesen Stücken des Programms wie der Jude Shylock auf seinem Pfund Fleisch. Die Trennung wird kommen; aber wir werden Hasselmann, Hasenclever und Tölcke und Konsorten wieder „ehrlich gemacht" haben; wir werden schwächer und die Lassalleaner stärker aus der Trennung hervorgehen; unsere Partei wird ihre politische Jungferschaft verloren haben und wird nie wieder gegen Lassalle-Phrasen, die sie eine Zeitlang selbst auf die Fahne geschrieben, herzhaft auftreten können; und wenn die Lassalleaner dann wieder sagen: sie seien die eigentlichste und einzige Arbeiterpartei, unsere Leute seien Bourgeois, so ist das Programm da, um es zu beweisen. Alle sozialistischen Maßregeln darin sind ihre, und unsere Partei hat nichts hineingesetzt als Forderungen der kleinbürgerlichen Demokratie, die doch auch von ihr in demselben Programm als Teil der „reaktionären Masse" bezeichnet ist! Ich hatte diesen Brief liegenlassen, da Sie doch erst am 1 .April zu Ehren von Bismarcks Geburtstag freikommen'2331 und ich ihn nicht der Chance des Abfassens bei einem Schmuggelversuch aussetzen wollte. Da kommt nun gerade ein Brief von Bracke'2341, der auch wegen des Programms seine schweren Bedenken hat und unsere Meinung wissen will. Ich schicke ihn daher zur Beförderung an ihn, damit er ihn lese und ich den ganzen Kram nicht noch einmal zu schreiben brauche. Übrigens habe ich Ramm ebenfalls klaren Wein eingeschenkt12351, an Liebknecht schrieb ich nur kurz'2361.
2 in Bebels „Aus meinem Leben": sozialen
Ich verzeihe ihm nicht, daß er uns von der ganzen Sache kein Wort mitgeteilt (während Ramm und andere glaubten, er habe uns genau unterrichtet), bis es sozusagen zu spät war. Das hat er zwar von jeher so gemacht - und daher die viele unangenehme Korrespondenz, die wir, Marx sowohl wie ich, mit ihm hatten -, aber diesmal ist es doch zu arg, und wir gehen entschieden nicht mit. • Sehen Sie, daß Sie es einrichten, im Sommer herzukommen, Sie wohnen natürlich bei mir, und wenn das Wetter gut, können wir ein paar Tage seebaden gehen, das wird Ihnen nach dem langen Brummen recht nützlich sein.'2371 Freundlichst Ihr F. E.
Marx ist eben ausgezogen, er wohnt 41, Maitland Park Crescent, N.W. London.
Nach: August Bebel, „Aus meinem Leben", 2 Teil, Stuttgart 1911. '
9
Engels an Rudolf Engels in Barmen12381
London, 22. März 1875
Lieber Rudolf, Deinen Brief, sowie die beiden von Ejrmen] & Ejngels] habe ich erhalten und die Buchungen konform gemacht. Für Besorgung dieser Angelegenheit, die ganz zu meiner Zufriedenheit abgemacht, meinen besten Dank. Heute über etwas andres. Vorgestern abend kommt auf einmal der kleine Heinrich Ermen von Manchester zu mir und erzählt folgendes. Gottfried Ejrmen] will sich in 2 Jahren zurückziehn und hat sich wirklich von Peter E[rmen] dessen Schwiegersohn, Matildens1 Mann, den Schulmeister Roby, ins Geschäft als Associe hineinpraktizieren lassen. Vierzehn Tage nach Ankunft des Roby soll er es zwar schon wieder leid geworden sein, als sich herausstellte, daß dieser ihm als ein Allerweltskerl angepriesene Roby, der Schulen gebaut habe und ich weiß nicht was alles, zum Geschäft nicht taugte. Aber G[ottfried] hatte sich so tief hereingeritten, daß er nicht mehr los konnte, und trotzdem, daß R[oby] nichts tut als das Bankkonto studieren und die „Times", will G[ottfried] ihn nun seinen Neffen als Hauptassocie [aufdrängen]2 und mit ungefähr ebensoviel Anteil als die 3 Neffen (Heinrich und sein Bruder Franz und Franz, Franzens Sohn) zusammen. Nämlich dieser Roby hatte ein sehr hübsches Pöstchen auf der Endowed Schools commission'239einer von Gladstone vor Jahren eingesetzten Regierungskommission zur Untersuchung und Abstellung wenigstens einiger der schreiendsten Mißbräuche in der Verwaltung der für Schulen bestimmten, sehr bedeutenden Stiftungen; er war einer der Kommissare. Aber Disraeli, sobald er ans Ruder kam, bewirkte eine Abstimmung im Parlament, die ihn autorisierte, die ganze Kommission aufzulösen und ihre noch unerledigten Arbeiten den Charity Commissioners zu überweisen,
1 Mary Ann Matilda Roby - 2 in der Handschrift nur: auf (von Engels gestrichen)
die, unter konservativer Regierung gewählt, viel geneigter sind, mäßige Mißbräuche zu konservieren. Dadurch verlor unser Roby sein Pöstchen und kam mit Hülfe Peters auf den genialen Gedanken, Fabrikant zu werden. Nun ist der Kontrakt, den G[ottfried] zu diesem Zweck zwischen sich, Roby und den 3 Neffen hat anfertigen lassen, der Art, daß die 3 Neffen in Wirklichkeit sich verpflichten, 14 Jahre lang dafür zu arbeiten, daß Mr. Roby ein voraussichtliches Einkommen von £5000 und sie unter ihnen dreien vielleicht eine Kleinigkeit mehr haben. Die beiden Franze haben zwar unterschrieben, aber Heinrich noch nicht, und das wird im Notfall auch den beiden andern erlauben zurückzutreten, und H[einrich] meint, sein Bruder Franz würde dies tun, wenn er, Hfeinrich], nicht zeichne und was andres finde. Er bat mich nun, bei Euch anzufragen, ob Ihr vielleicht Lust hättet, mit ihm resp. seinem Bruder Franz die Firma Efrmen]&E[ngels] in Manchester fortzuführen und deren einmal erworbenes Renommee auszubeuten; sei es, daß Ihr Euch mit den beiden einfach assoziiertet, sei es, daß, wie das jetzt hier sehr häufig geschieht, die Sache in eine Kommanditgesellschaft verwandelt wird (Ermen & Engels Limited, wie dann die Firma heißen würde) und wobei dann festzustellen wäre, welches die mit ihrem ganzen Vermögen haftenden Associes (Geranten des Code Napoleon) sein würden - das Gesetz hierüber ist fast ganz wie das im Code Napoleon. Was das Kapital anbetrifft, so behauptet er, das - sei es für diese oder für jene Form - sofort auftreiben zu können, sobald Ihr zusagt, und das glaube ich gern, denn Lancashire ist nach den guten Jahren 1870- 73 wieder so voll Geld, daß die Leute nicht wissen, wie sie es anlegen sollen. Ich sagte, Ihr würdet Euch schwerlich darauf einlassen, Ihr hättet genug Sachen am Hals; eine Kommanditgesellschaft würde Euch schwerlich passen, und eine gewöhnliche Handelsgesellschaft würdet Ihr schon deswegen schwerlich eingehn, weil das möglicherweise zur Folge haben könnte, daß einer von Euch nach Manchester zöge, und das passe Euch nicht, auch würdet Ihr auf in Manchester aufzutreibendes Geld schwerlich ein Geschäft gründen. Kurz, ich war in der Beziehung ziemlich kühl. Die Sache ist aber immerhin die, daß mit der Firma Efrmenj & E[ngels] in Manchester noch ein gutes Stück Geld zu machen ist, besonders wenn, wie dies dann der Fall sein würde, mit ganz neuer Maschinerie, die jetzt bald sehr wohlfeil zu haben sein wird, angefangen wird. Heinrich ist ein sehr guter Spinner und Doublierer und hat eine Frau und 41/2 Kinder, was immer eine gewisse Garantie für seine Aufführung bietet. Franz kennt Bleicherei, Färberei, Spulenfabrikation und die ganze eigentliche Sewing
und Kmtting-Fabrikation® sowie Eisengarn sehr genau. Dazu sagt H[einrich], daß Franz ein sehr guter Geschäftsmann geworden, was ich gern glaube, da er alle Anlage dazu hatte. Jedenfalls wären mir die beiden zusammen immer lieber als der Gottfried. Falls Ihr geneigt seid, auf die Idee einzugehn, wird H.Efrmen] sofort herüberkommen, wo Ihr Euch dann das Männchen näher ansehn könnt und ihn wegen der Details seiner Pläne genauer examinieren. Also überlegt Euch die Sache, und schreibt mir so bald wie möglich Euren Bescheid, sehr lange scheint Hjeinrich] eine definitive Entscheidung gegenüber Gfottfried] nicht mehr aufschieben zu können. Beste Grüße an Mathilde^, die Kinder Und Dich selbst von Deinem Friedrich
Der Kuckuck soll die Rheinischen] Efngels'] holen, im Vertrauen auf die vielen Versicherungen prompter Zahlung hab' ich mich auf allerlei Sachen eingelassen und sitze jetzt ziemlich fest.
3 Nähgarn- und Strickgarn-Fabrikation - 4 Mathilde Engels
Erste Seite des Briefes von Marx an Wilhelm Bracke vom 5. Mai 1875

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Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
London, 5. Mai 75
Lieber Bracke, Nachstehende kritische Randglossen zu dem Koalitionsprogramm'2401 sind Sie wohl so gut, nach Durchlesung, zur Einsicht an Geib und Auer, Bebel und Liebknecht mitzuteilen. Notabene. Das Manuskript muß in Ihre Hände zurückkehren, damit es mir nötigenfalls zu Gebot steht.'2411 Ich bin überbeschäftigt und muß schon weit über das Arbeitsmaß hinausschießen, das mir ärztlich vorgeschrieben ist. Es war mir daher keineswegs ein „Genuß", solch langen Wisch zu schreiben. Doch war es notwendig, damit später meinerseits zu tuende Schritte von den Parteifreunden, für welche diese Mitteilung bestimmt ist, nicht mißdeutet werden. Nach abgehaltnem Koalitionskongreß12211 werden Engels und ich nämlich eine kurze Erklärung veröffentlichen, des Inhalts, daß wir besagtem Prinzipienprogramm durchaus femstehn und nichts damit zu tun haben.12421 Es ist dies unerläßlich, da man im Ausland die von Parteifeinden sorgsamst genährte Ansicht - die durchaus irrige Ansicht - hegt, daß wir die Bewegung der sog. Eisenacher Partei insgeheim von hier aus lenken. Noch in einer jüngst erschienenen russischen Schrift macht Bakunin mich z.B. nicht nur für alle Programme etc. jener Partei verantwortlich, sondern sogar für jeden Schritt, den Liebknecht, vom Tag seiner Kooperation mit der Volkspartei12261 an, getan hat.'2321 Abgesehn davon ist es meine Pflicht, ein nach meiner Uberzeugung durchaus verwerfliches und die Partei demoralisierendes Programm auch nicht durch diplomatisches Stillschweigen anzuerkennen. Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme. Konnte man also nicht - und die Zeitumstände ließen das nicht zu - über das Eisenacher Programm12251 hinausgehn, so hätte man einfach eine Übereinkunft für Aktion gegen den gemeinsamen Feind abschließen sollen. Macht man aber Prinzipienprogramme (statt dies bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet
war), so errichtet man vor aller Welt Marksteine, an denen sie die Höhe der Parteibewegung mißt. Die Chefs der Lassalleaner kamen, weil die Verhältnisse sie dazu zwangen. Hätte man ihnen von vornherein erklärt, man lasse sich auf keinen Prinzipienschacher ein, so hätten sie sich mit einem Aktionsprogramm oder Organisationsplan zu gemeinschaftlicher Aktion begnügen müssen. Statt dessen erlaubt man ihnen, sich mit Mandaten bewaffnet einzustellen, und erkennt diese Mandate seinerseits als bindend an12431, ergibt sich also den Hilfsbedürftigen auf Gnade und Ungnade. Um der Sache die Krone aufzusetzen, halten sie wieder einen Kongreß vor dem Kompromißkongreß, während die eigne Partei ihren Kongreß post festum hält.12441 Man wollte offenbar alle Kritik eskamotieren und die eigne Partei nicht zum Nachdenken kommen lassen. Man weiß, wie die bloße Tatsache der Vereinigung die Arbeiter befriedigt, aber man irrt sich, wenn man glaubt, dieser augenblickliche Erfolg sei nicht zu teuer erkauft. Übrigens taugt das Programm nichts, auch abgesehn von der Heiligsprechung der Lassall'schen Glaubensartikel. Ich werde Ihnen in der nächsten Zeit die Schlußlieferungen der französischen Ausgabe des „Kapitals" 12061 schicken. Der Fortgang des Drucks war auf längere Zeit durch Verbot der französischen Regierung gehemmt. Diese Woche oder Anfang der nächsten wird die Sache fertig. Haben Sie die früheren 6 Lieferungen erhalten? Schreiben Sie mir gefälligst auch die Adresse von Bernhard Becker, dem ich ebenfalls die Schlußlieferungen schicken muß. Die „Volksstaats"-Buchhandlung hat eigne Manieren. So hat man mir bis zu diesem Augenblick z.B. auch nicht ein einziges Exemplar des Abdrucks des „Kölner Kommunistenprozesses"12021 zukommen lassen. Mit bestem Gruß. Ihr Karl Marx
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 8. Mai 1875
Mein lieber Freund, Soeben erhielt ich aus Berlin einen Brief von einem Geschäftsmann (ein sehr ehrenwerter Mann und ohne jegliche politische Bedeutung, zumindest in den Augen der Welt und der Polizei), der mich um Erläuterungen zu einigen Fragen des „Kapitals" bittet.12451 Ich habe ihm sofort geantwortet und die Gelegenheit genutzt, ihn meinerseits um eine sichere Adresse für Ihre Briefe aus Rußland zu bitten. Mein Brief wird noch heute abgehen.12461 Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen;
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Engels an Eugen Oswald in London12471
[London] 8. Mai 75
Lieber Oswald, Ich weiß nicht, was ich im Kopfe hatte, als ich Ihnen gegenüber gestern behauptete, die Schreibart feutsch sei ganz modern. Nicht die Schreibart, nur die ihr beigelegte Bedeutung als richtige, ist modern. Im ganzen Mittelhochdeutschen ist tiutsch, tiusch sogar vorwiegend (z. B. W[alther] v[on] d[er] Vogelweide). Daneben diutisch (z.B. Annolied12481). Im 16.Jahrhundert feutsch wieder vorwiegend (z.B. Luther, U. v[on] Hutten). Dagegen althochdeutsch immer diutisk, diotisk, ich glaube sogar, selbst die ältere Form thiodisk, theotisk ist irgendwo nachgewiesen. Die ganze Sache ist die: gotisch, altnordisch, angelsächsisch, altsächsisch, altniederfränkisch th ({>) geht im Sächsischen und Fränkischen später durch Verwischung oder Abschleifung in d über; im Hochdeutschen durch Lautverschiebung ebenfalls in d (weshalb alle Worte, die englisch mit th anfangen, sowohl hochdeutsch wie niederdeutsch, inkl. holländisch, gleichmäßig mit d anlauten). Diese scheinbar gegen alle Regel laufende Übereinstimmung veranlaßte bei einem so wichtigen Wort, wie der Name der Nation selbst war, bei den hochdeutschen Schriftstellern des ^.Jahrhunderts die Neigung, den scheinbar richtigen Lautverschiebungsunterschied durch das T wieder herzustellen und damit die Sprache zu fälschen. Alles dies war zu Luthers Zeit total, ebensosehr vergessen wie der Ursprung des Worts selbst. Dagegen wurden seit der Renaissance die aus den Römern überlieferten Namen Teutones, Tuisto usw. als etymologische Basis benutzt und blieben es bis auf Jacob Grimm. Mein philologisches Gewissen läßt mir keine Ruhe, bis ich Ihnen diese Rektifikation des gestern von mir Behaupteten zugeschickt. Regle Generale: man soll nach 2 Uhr morgens keine vergleichende Philologie schwätzen. Ihr F. Engels
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Marx an Jenny Marx in Shanklin
[London] 10. Mai 75
Liebe Jenny, Dein Unwohlsein hat uns alle sehr geängstet; doch hoffe ich, daß es jetzt nach dem Castor-oil1 und mit dem schönen Wetter sich verzogen hat. Engels' Vorschlag, mit ihm nach Shanklin zu gehn, war mir nach der Seite ganz recht, daß ich schon Deinetwegen meinen Aufenthalt daselbst für zweckmäßig halte; aber ich hätte gewünscht, daß er nicht meinetwegen zögert und andrerseits mich in meiner freien Bewegung geniert, mich und sich damit quält. Ich erwarte nämlich die letzten proof-sheets2 von Paris und würde keine Ruhe haben, wenn durch meine Abwesenheit weitere Verzögerung in der so unsäglich verzögerten Publikation der Schlußlieferungen*12061 einträte. Diesmal habe ich zwei Briefe nacheinander von Lachatre erhalten, der zur Zeit in Vevey (Schweiz) haust. Der Narr spricht seine allerhöchste Zufriedenheit mit den derni&res livraisons3 aus, da sie allgemein, d. h. sogar ihm, verständlich seien. Ich antworte natürlich auf das Zeug ebensowenig als auf seinen malkontenten Brief von Brüssel. Ich habe das Zirkular (das jetzt schon im Besitz von Bracke) über das Machwerk von Liebknecht-Hasselmeinn expediert4; es ist eine kleine Broschüre; ditto Herrn Schramm in Berlin den erwünschten Aufschluß gegeben12461; endlich Willebrord unglücklich gemacht, alle Mitarbeit an einem Journal unter der Redaktion von Messieurs de „L'Independance"strictly absagend. Es tut mir des W[ilIebrord] wegen leid; aber auch welch unsinniges Verlangen.12491 Hier im Haus alles beim alten. Jennychen scheint mir das bessere Wetter wohl zu bekommen. Zu seiner großen Genugtuung hat mother5 Lormier dem Longuet unbarmherzig seinen „französischen" Möbelrubbish6 kritisiert. Mit Lafargues Geschäft scheint's zu gehn.1471 Ich hüte heut das Haus, da Lenchen und Tussy nach der Stadt, wo sie auf einer Möbelversteigerung Rendezvous mit Jennychen haben.
1 Rizinusöl - 2 Korrekturbogen - 3 letzten Lieferungen - 4 siehe vorl. Band, S.137/138 - 5 Mutter -6 Möbelplunder
Unser Gärtchen grünt ganz munter. Lopatine hat mich Freitag überrascht. Den folgenden Sonnabend ging er schon ab nach Hastings, wo er ein paar Monate wohnen wird. Er fand, daß zu Paris sein Logis keinen Augenblick von russischen Besuchern frei blieb und ihm das Arbeiten so unmöglich gemacht wurde. Mit herzlichem Gruß. Dein Karl Grüß auch Madame Lizzy von mir.
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Engels an Patrick John Coleman in London12501 (Entwarf)
Was Ihr Geschäft anbetrifft, so bin ich leider nicht in der Lage, für irgend jemanden zu bürgen. Ich habe das einmal getan, und meine damaligen Erfahrungen waren derart, daß ich es niemals wiederholen werde. Wenn es in meinen Kräften stünde, Ihnen in irgendeiner anderen Hinsicht behilflich zu sein, so würde ich das gern tun; gegenwärtig sehe ich jedoch keine Möglichkeit, Ihnen nützlich zu sein.
[London] 20.5.75
Coleman [18]75. Anhänger von MacDönnel zur Zeit der Internationale.12511
Aus dem Englischen.
15
Engels an A.Gouppy in Manchester (Entwurf)
[London] 14.6.75
Mein Herr, Wenn ich mich recht erinnere, habe ich Sie nur einmal im Leben gesehen. Daher habe ich mit einiger Verwunderung Ihren Vorschlag gelesen, daß ich für Sie für die Summe von einhundert Pfund bürgen soll. Auf jeden Fall muß ich Ihnen von vornherein sagen, daß ich nicht in der Lage bin, irgendwelche Bürgschaften für wen auch immer zu übernehmen. Was Duponts Kinder betrifft, so habe ich Dupont vor seiner Abreise ausdrücklich erklärt, daß er, wenn er nach Amerika gehe und sie in England lasse, dies ganz auf seine eigene Gefahr und Verantwortung tue; daß ich, nachdem ich mehr als einhundert Pfund für ihren Unterhalt und ihre Erziehung vorgeschossen habe, darüber hinaus nichts tun könne, er also auf keinen Fall mehr auf Hilfe meinerseits rechnen könne. Ich kann Ihnen das nur wiederholen. Nachdem ich für diese armen Kinder alles getan habe, was ich tun konnte1, ist es mir völlig unmöglich, neue Opfer zu bringen. Ich empfehle mich Ihnen, mein Herr
Aus dem Französischen.
^ Siehe Band 33 unserer Ausgabe, S. 67 und 258
Haus in London (41, Maitland Park Road) dem Marx seit März 1875 bis zu seinem Lebensende wohnte

16 • Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow • 18. Juni 1875 145
16
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
~ , [London] 18. Juni 75 Mein lieber rreund, Als ich vorgestern bei Ihnen war, vergaß ich, Ihnen eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen, die Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist. Dem Physiologen Traube in Berlin ist es gelungen, künstliche Zellen herzustellen.12521 Allerdings sind das noch keine natürlichen Zellen: sie haben keinen Kern. Durch Mischen kolloidaler Lösungen, z.B. von Gelatine mit Kupfersulfat usw. erhält man von einer Membran umgebene Klümpchen, die man durch Intussuszeption zum Wachsen bringen kann. Damit hat die Bildung von Membranen und das Wachstum von Zellen das Reich der Hypothesen verlassen. Damit ist ein großer Schritt getan, der um so gelegener kam, als Helmholtz und andere im besten Zuge waren, die absurde Doktrin zu verbreiten, daß die Keime des irdischen Lebens fertig vom Mond herunterfallen, d. h. daß sie durch Meteore zu uns gebracht worden seien.t253] Ich verabscheue derartige Erklärungen, die ein Problem lösen, indem sie es in eine andere Sphäre verweisen. Die Handelskrise schreitet fort. Alles hängt jetzt von den Nachrichten ab, die von den asiatischen Märkten eintreffen werden, die seit Jahren immer mehr überfüllt wurden, besonders die Ostindiens. Unter gewissen Bedingungen, deren Vorhandensein jedoch nicht sehr wahrscheinlich ist, könnte sich der endgültige Krach noch bis zum Herbst hinausziehen. Das wirklich bemerkenswerte Phänomen ist die Verkürzung der periodischen Dauer der allgemeinen Krisenzyklen. Ich habe diese Zahl nie für eine konstante, sondern stets für eine abnehmende Größe gehalten1; aber das Erfreuliche ist, daß sie so greifbare Anzeichen ihrer Abnahme aufweist; das ist ein schlechtes Omen für die Dauer der bürgerlichen Welt. Meine Empfehlungen an Herrn und Frau Noel2. Ganz der Ihre K.M. Aus dem Französischen.
1 Siehe Band 23 unserer Ausgabe, S.662 -a Deckname von Walerian Nikolajewitsch Smirnow und seiner Frau Rosalia Idelson
JO Marx/Engels, Werke, Bd. 34
17
Marx an Matilda Betham-Edwards in London12541
[London] 14. Juli 1875 41, Maitland Park Crescent N.W.
Sir, In Ihrem Artikel „The Intern[ational] Work[ing] Men's Association"12551 sind sachliche Irrtümer enthalten, und auf einige davon möchte ich Ihre Aufmerksamkeit lenken. Aber ehe ich darauf eingehe, gestatten Sie mir, meinem Erstaunen Ausdruck zu geben über Ihre Feststellung: „Wir glauben, daß demnächst eine gekürzte Übersetzung dieses Werkes (,Das Kapital') herausgegeben wird." Ich habe mir das Übersetzungsrecht vorbehalten, und es besteht ein Copyright-Vertrag zwischen Deutschland und England. Ich werde daher unbedingt die Verbreitung jedes derartigen Auszugs, der nicht vorher von mir autorisiert ist, unterbinden. Kürzung macht es dem traduttore1 besonders leicht, sich in einen traditore2 zu verwandeln. Schon die Revision der ungekürzten französischen Übersetzung, die in Paris in Lieferungen veröffentlicht wurde, hat mir mehr Mühe gemacht, als die Neufassung des ganzen Buches in französischer Sprache erfordert hätte. Da ich annehme, daß Sie den Übersetzer kennen, und weil ich unangenehme Gerichtsverfahren gern vermeiden möchte, habe ich mir die Freiheit genommen, Ihnen hierüber zu schreiben. Bezüglich der in Ihrem Artikel enthaltenen sachlichen Irrtümer werde ich mich auf einige Punkte beschränken. Sie sagen: „Das ,Kapital' erschien bald nach Proudhons Essays über die Trugschlüsse der politischen Ökonomie, und Marx antwortete in einem kleinen Kapitel, überschrieben ,Das Elend der Philosophie', auf Proudhons Kapitel über die JPhilosophie des Elends' etc."
1 Übersetzer - 2 Fälscher
17 • Marx an Matilda Betham-Edwards • 14. Juli 1875 147
Es war Proudhons umfangreiches Werk „Systeme des Contradictions Economiques ou Philosophie de la Misere", auf das ich antwortete mit3 der französisch geschriebenen Schrift „Misere de la Philosophie"*. Diese wurde 1847 veröffentlicht, aber „Das Kapital" erst zwanzig Jahre später, im Jahre 1867. Vermutlich sind Sie durch Fribourgs höchst unzuverlässige Veröffentlichung über die „Internationale" in die Irre geführt worden.Während Sie nicht wußten, daß Sie bei der vollständigen Wiedergabe der Präambel zu den Statuten und von Teilen der Inauguraladresse5 der Internationale tatsächlich aus meiner Feder stammende Schriften6 zitierten, drucken Sie aus einer namenlosen und nicht datierten Adresse Sätze ab, die, wie Sie sagen, „aus der Feder von Dr. Marx selbst stammen müssen". Leider trifft das nicht zu. Ich habe diese Adresse niemals gesehen, ehe iqh sie in den Spalten des „Fräser" las. Offensichtlich rührt sie von einem meiner Anhänger her, enthält aber zugleich eine etwas unbestimmte Phraseologie, so daß ich nicht gerade erfreut war, sie mir zugeschrieben zu sehen. Mazzini ... hat niemals irgendwelche Korrespondenz mit dem Generalrat der Internationale geführt... Orsini (der Bruder des italienischen Patrioten) war niemals bei den Sitzungen des Generalrats zugegen und gab niemals einen interessanten oder sonstwie gearteten Bericht über irgend etwas. Er hatte mit mir einige Privatkorrespondenz, die Vorgänge in den Staaten betraf. [...]7 auf dem Baseler Kongreß[266i anwesend, usw. Ich verbleibe, Sir,, Ihr sehr ergebener Karl Marx
Nach: Sotheby & Co., Catalogue of valuable printed books, autograph letters, historical documents, etc. London 1952. Aus dem Englischen.
3 bis hierher Faksimile der Handschrift vorhanden - 4 „Das Elend der Philosophie'' - s im „Catalogue": Marginaladresse - 6 „Provisorische Statuten der Internationalen ArbeiterAssoziation" und „ Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation" - 7 für den Schluß des Briefes Faksimile der Handschrift vorhanden
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Marx an Max Oppenheim in Prag
1. Sept. 75 Germania, Karlsbad
Lieber Freund, Ihr Brief vom 12. d. traf in London ein, nachdem ich mich schon auf die Reise hierhin begeben131. Er hat mich im höchsten Grad interessiert. Ich werde von hier nächsten Sonnabend über 8 Tage (also nicht den kommenden Sonnabend, sondern den darauffolgenden Sonnabend) über Prag zurückreisen, um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft zu genießen. Mehr als 2 Tage kann ich mich aber, dringender Geschäfte wegen, nicht aufhalten. Mit freundlichstem Gruß. Ihr Karl Marx
19
Marx an Max Oppenheim in Prag
6. Sept. 75 Germania, Karlsbad
Lieber Freund, Da ich auf meinen vorige Woche an Sie gerichteten Brief keine Nachricht erhalten, schließe ich, daß Sie nicht in Prag sind. Unter dieser Voraussetzung werde ich Sonnabend (Ilten Sept.) statt über Prag direkt über Frankfurt zurückreisen.131 Au revoir. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
20
Marx an Max Oppenheim in Prag
9. Sept. 75 Germania, Karlsbad
Lieber Freund, Ich werde Samstag (1 l ten) um 3.57 abfahren und soll am Staatsbahnhof in Prag um 8.50 ankommen.131 Ich bin allein, ohne irgendwelche Begleiterin; brauche also nur irgendein Schlafzimmer. Besten Dank für den Prager Führer. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
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Marx an Hermann Schumacher in Zarchlin
21.Sept. 1875 41, Maitland Park Crescent London, N.W.
Hochgeehrter Herr, Ihr Brief vom 27. Juni kam mir rechtzeitig zu, aber das Buch traf erst viel später ein'2571, nachdem ich London schon für Karlsbad zur Kur verlassen hatte. Daher die Verspätung meiner Antwort. Ich bin erst gestern zurückgekehrt.13' Indem ich Ihnen bestens danke für Ihren Brief und den ersten Teil von Thiinen, bin ich so unbescheiden, mir auch die angebotne Biographie von Thiinen'2581 zu erbitten. Sollten Sie die zweite Ausgabe des „Kapitals"'2141 nicht besitzen, so werde ich Ihnen selbe mit dem größten Vergnügen zuschicken. Ich habe Thünen stets beinahe als eine Ausnahme unter den deutschen Ökonomen betrachtet, da es unter ihnen nur äußerst selten selbständige, objektive Forscher gibt. Ihre Vorrede würde ich ganz unterschreiben können, wenn nicht unser Standpunkt in bezug auf den „Arbeitslohn" ein wesentlich verschiedner wäre. Thünen und Sie selbst betrachten den Arbeitslohn als den unmittelbaren Ausdruck eines wirklichen ökonomischen Verhältnisses; ich betrachte ihn als eine Scheinform, die einen von ihrem Ausdruck wesentlich verschiednen Inhalt verbirgt. Hochachtungsvoll empfehle ich mich ganz ergebenst Karl Marx
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
122, Regent's Park Road.N.W. [London] 24. Sept. 1875
Mein lieber Herr Lawrow, Bei meiner Rückkehr aus Ramsgate, wo ich einige Wochen weilte12', finde ich Ihren Brief vom 20. sowie einen ganzen Packen Zeitungen, Bücher usw., die während meiner Abwesenheit angekommen sind. Zunächst werde ich da ein wenig Ordnung hineinbringen, und dann so schnell wie möglich zur Lektüre Ihres Artikels aus dem „Biiepe;n;i>!"1259:1 übergehen, um Ihnen mitzuteilen, wo wir in unseren Ansichten über das Verhältnis des Sozialismus zum Kampf ums Dasein nach Darwin übereinstimmen und wo wir auseinandergehen.1 Wenn Sie dies nicht gleich in den nächsten Tagen erhalten, so wollen Sie mich bitte entschuldigen, da ich viele Briefe zu schreiben und andere liegengebliebene Arbeiten zu erledigen habe, denn ich konnte einen Monat lang nur das unbedingt Notwendige und Unaufschiebbare tun. Die Broschüre, die Sie erwähnen, kenne ich nicht.'260' Wenn Sie sie mir mit der Post für einige Tage schicken könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Wir haben wieder eine portugiesische Zeitung: „OProtesto" („Der Protest ") in Lissabon, von der sechs Nummern erschienen sind (einmal wöchentlich) - Redaktion: Rua do Bemformoso 110, 2.Stock; Verwaltung: Rua dos Cardaes de Jesus (!), 69, 2. Stock. Die vier erhaltenen Nummern habe ich noch nicht durchgesehen. Empfehlen Sie mich Herrn Smirnow und Frau2. Ganz der Ihre F. Engels
Aus dem Franzosischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 169-172 - 2 Rosalia Idelson
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Marx an Peter Imandt in Dundee
27. Sept. 75 41, Maitland Park Road « . * y | London, N. W. Lieber Imandt, Es war mir sehr lieb, endlich wieder ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten. Ich bin eben erst wieder von der Kur nach Karlsbad zurückgekehrt.'31 Sie hat mir sehr wohlgetan, ist auch Ursache, warum der mir zugesandte Artikel mir unbekannt war.12611 Ich vermute, daß er von Barry stammt, sehr fanatischem schottischem Parteigenossen. Der Artikel in „Fräsers" (wozu Eccarius, Haies, Mottershead, Jung das Ihre beigetragen - Kerls jetzt völlig auf dem trocknen) rührt von einer sehofeln Romanschriftstellerin, Mrs.Betham-Edwards, her12551, die z.B. erzählt, meine Schrift gegen Proudhon1 sei ein kleines Kapitel im „Kapital"2. Die französische Ausgabe des letztern12061 (namentlich sehr stark von mir umgearbeitet in den 3 letzten fascicles3) ist beständig im Druck von französischer Regierung unterbrochen worden. Endlich sollen die 3 letzten Hefte, die schon über ein halbes Jahr gesetzt sind, herausspringen dürfen aus dem Druckkasten. Ich schicke sie Dir bei Empfang derselben. Kaub und Dr. C. Hirsch, die auf einige Tage von Paris herübergekommen sind, erzählen mir, daß es unsrem alten Freund Schily (er wohnt noch 4, rue St.-Quentin) schlecht geht; erst hatte er jahrelangen Ärger mit seiner bessern Hälfte, Gesundheit erschüttert, Mehrzahl der deutschen Klienten verloren, weil sie Paris seit der Katastrophe verlassen mußten, grämlich, franzosenfeindlich, etwas konservativ geworden. Er könnte wohl in Straßburg sich gut stellen, aber ist mit Recht zu stolz, Bittgesuch an die Preußen zu machen. In Deutschland fand ich selbst unter Spießbürgern große Ernüchterung infolge des schlechten Ausgangs des Milliardensegens1441. Die ganze Familie läßt Dich bestens grüßen. Laß bald wieder vonDir hören. Salut. _ . Deln K.Marx 1 „Das Elend der Philosophie" - 2 siehe vorl. Band. S.146/147 - 3 Lieferungen
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London'2621
[London] 8. Okt. 75 41, Maitland Park Road, N.W.
Lieber Freund, Ich bedaure, daß ich und Frau nicht zu Haus, als Sie so freundlich, bei uns vorzusprechen. Die „Quelques Mots d'un Groupe ... Russe etc."[2601 habe ich von Engels weggenommen und werde es mit Ihrer Erlaubnis noch einem meiner Freunde mitteilen vor Rücksendung. Antwort verdient dies schülerhafte scriptum nicht. Ihr ganz ergebner K.M.
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Engels an Wilhelm Bracke in Braunschweig
... n . London, 11. Okt. 75 Lieber Bracke, Ich habe die Antwort auf Ihre letzten Briefe, den letzten vom 28. Juni, bisher verzögert, einerseits, weil M[arx] und ich während 6 Wochen nicht beieinander waren - er in Karlsbad131 und ich an der See'21, wo ich den „Volksstaat" nicht sah - und dann, weil ich ein wenig abwarten wollte, wie sich die neue Einigung'2211 und der kombinierte Ausschuß12631 in der Praxis verhalten. Wir sind ganz Ihrer Ansicht, daß Liebknjecht] durch seinen Eifer, die Einigung zu erreichen, jeden Preis für sie zu zahlen, die ganze Sache verfahren hat. Man konnte dies für nötig halten, brauchte es aber dem andern Kontrahenten nicht zu sagen oder zu zeigen. Nachher muß dann ein Fehler immer den andern rechtfertigen. Nachdem der Einigungskongreß einmal auf fauler Grundlage ins Werk gesetzt und ausposaunt war, durfte er um keinen Preis scheitern, und so mußte man Von neuem in wesentlichen Punkten klein beigeben. Sie haben ganz recht: diese Einigung trägt den Keim der Spaltung in sich, und ich will froh sein, wenn dann nur die unheilbaren Fanatiker abfallen, nicht aber auch ein ganzer sonst tüchtiger und unter guter Schulung brauchbar zu machender Schwanz. Das wird abhängen von der Zeit, wann, und von den Umständen, unter denen dies Unvermeidliche eintritt. Das Programm'264' in seiner schließlichen Redaktion besteht aus 3 Bestandteilen: 1. den Lassalleschen Phrasen und Stichwörtern, die unter keiner Bedingung angenommen werden durften. Wenn zwei Fraktionen sich einigen, so setzt man ins Programm, worüber man einig, nicht das, was streitig ist.'2651 Indem unsre Leute dies dennoch zuließen, gingen sie freiwillig durchs kaudinische Joch; 2. eine Reihe vulgärdemokratischer Forderungen,, im Geist und im Stil der Volkspartei12261 aufgesetzt1; 1 Siehe vorl. Band. S. 126
3. eine Anzahl kommunistisch sein sollender Sätze, meist dem „Manifest" entlehnt, aber so umredigiert, daß sie, bei Lichte betrachtet, samt und sonders haarsträubenden Blödsinn enthalten. Wenn man diese Sachen nicht versteht, so soll man die Finger davonlassen oder aber sie wörtlich abschreiben von denen, die zugegebnermaßen die Sache verstehn. Glücklicherweise ist es dem Programm besser gegangen, als es verdient. Arbeiter wie Bourgeois und Kleinbürger lesen das hinein, was eigentlich drin stehn sollte, aber nicht drin steht, und von keiner Seite ist es jemandem eingefallen, öffentlich einen dieser wunderbaren Sätze auf seinen wirklichen Inhalt hin zu untersuchen. Das hat es uns möglich gemacht, zu diesem Programm zu schweigen. Es kommt dazu, daß man diese Sätze in keine fremde Sprache übersetzen kann, ohne gezwungen zu sein, entweder handgreiflich verrücktes Zeug hinzuschreiben oder aber ihnen einen kommunistischen Sinn unterzuschieben, und letzteres tun soweit Freund und Feind. Ich selbst habe es tun müssen bei einer Übersetzung für unsre spanischen Freunde12661. Was ich von der Tätigkeit des Ausschusses gesehn, ist soweit nicht erfreulich. Erstens das Vorgehn gegen Ihre und B.Beckers Schriften12671; nicht Schuld des Ausschusses, wenn es nicht durchdrang. Zweitens erzählte Sonnemann, den Mfarx] bei der Durchreise sah, er habe Vahlteich eine Korrespondenz für die „F[rank]f[urte]r Z[ei]t[un]g" angeboten, aber der Ausschuß habe Vfahlteich] die Annahme verboten/2 Das geht denn doch über die Zensur, und ich begreife nicht, wie Vfahlteich] sich nur so etwas verbieten lassen konnte. Dabei die Ungeschicklichkeit! Sie hätten eher dafür sorgen sollen, daß die „F[rank]f[urte]r" überall in Deutschland von den Unsern bedient würde! Endlich scheint mir das Verfahren der Lassalleschen Mitglieder bei Gründung der Berliner Assoziations-Druckerei auch nicht sehr aufrichtig; nachdem bei der Leipziger Druckerei unsre Leute vertrauensselig den Ausschuß zum Auf sichtsrat ernannt, müssen die in Berlin erst dazu gezwungen werden.12681 Doch kenne ich hier die Details nicht genau. Es ist indes gut, daß der Ausschuß wenig Tätigkeit entfaltet und sich, wie C. Hirsch sagt, der dieser Tage hier war, darauf beschränkt, als Korrespondenz- und Auskunftsbüro zu vegetieren. Jedes lebhafte Einschreiten seinerseits würde die Krisis nur beschleunigen, und das scheinen die Leute zu fühlen. Und welche Schwachheit, 3 Lassalleaner und 2 von Unsern in den Ausschuß zu akzeptieren!1121
2 siehe vorl. Band, S. 9
Alles in allem scheint man noch mit einem wenn auch starken blauen Auge davonzukommen. Hoffen wir, daß es dabei bleibt und inzwischen die Propaganda unter den Lassalleanern ihre Wirkung tut. Wenn die Sache bis zu den nächsten Reichstagswahlen[2691 vorhält, kann's gut gehn. Aber da werden Stieber und Tessendorf ihr Bestes tun, und da wird auch die Zeit eintreten, wo man erst sehn wird, was man an Hass[elmann] und Hasjenclever] übernommen hat. M[arx] ist von Karlsbad ganz verändert zurückgekommen, kräftig, frisch, munter und gesund, und kann sich nun bald wieder ernstlich an die Arbeit setzen. Er und ich grüßen Sie herzlich. Lassen Sie gelegentlich wieder von sich hören, wie es mit der Geschichte geht. Die Leipziger3 sind alle zu tief dabei interessiert, als daß sie uns klaren Wein einschenken sollten, und die innere Parteigeschichte kommt grade jetzt erst recht nicht an die Öffentlichkeit. Aufrichtigst Ihr F.E.
3 Wilhelm Liebknecht und August Bebel
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Engels an August Bebel in Leipzig12701
London, 12. Oktober 1875
Lieber Bebel! Ihr Brief bestätigt ganz unsere Ansicht, daß die Einigung'2211 unsererseits überstürzt ist und den Keim künftigen Zwiespalts in sich trägt.12711 Wenn es gelingt, diesen Zwiespalt bisüber die nächsten Reichstagswahlen'2691 hinauszuschieben, wäre es schon gut... Das Programm12041, wie es jetzt ist, besteht aus drei Teilen: 1. Den Lassalleschen Sätzen und Stichworten, die aufgenommen zu haben eine Schmach unserer Partei bleibt. Wenn zwei Fraktionen sich über ein gemeinsames Programm einigen, so setzen sie das hinein, worüber sie einig und berühren nicht das, worüber sie uneinig sind. Die Lassallesehe Staatshilfe stand zwar im Eisenacher Programm'2251, aber als eine aus vielen Übergangsmaßregeln, und nach allem, was ich gehört habe, war sie, ohne die Einigung, ziemlich sicher, im diesjährigen Kongreß auf Brackes Antrag12311 an die Luft gesetzt zu werden. Jetzt figuriert sie als das eine unfehlbare und ausschließliche Heilmittel für alle sozialen Gebrechen. Das „eherne Lohngesetz" und andere Lassallesche Phrasen sich aufoktroyieren zu lassen, war für unsere Partei eine kolossale moralische Niederlage. Sie bekehrte sich zum Lassalleschen Glaubensbekenntnis. Das ist nun einmal nicht wegzuleugnen. Dieser Teil des Programms ist das kaudinische Joch, unter dem unsere Partei zum größeren Ruhm des heiligen Lassalle durchgekrochen ist; 2. aus demokratischen Forderungen, die ganz im Sinn und im Stil der Volkspartei12261 aufgesetzt sind1; 3. aus Forderungen an den „heutigen Staat" (wobei man nicht weiß, an wen denn die übrigen „Forderungen" gestellt werden), die sehr konfus und unlogisch sind; 4. aus allgemeinen Sätzen, meist dem „Kommunistischen Manifeste"
1 Siehe vorl. Band, S. 126
und1 den Statuten der Internationale2 entlehnt, die aber so umredigiert sind, daß sie entweder total Falsches enthalten oder aber reinen Blödsinn, wie Marx das in dem Ihnen bekannten Aufsatz'2401 im einzelnen nachgewiesen. Das Ganze ist im höchsten Grad unordentlich, konfus, unzusammenhängend, unlogisch und blamabel. Wenn unter der Bourgeoispresse ein einziger kritischer Kopf wäre, er hätte dies Programm Satz für Satz durchgenommen, jeden Satz auf seinen wirklichen Inhalt hin untersucht, den Unsinn recht handgreiflich auseinandergelegt, die Widersprüche und ökonomischen Schnitzer (zum Beispiel: daß die Arbeitsmittel heute „Monopol der Kapitalistenklasse" sind, als ob es keine Grundbesitzergäbe, das Gerede von „Befreiung der Arbeit" statt der Arbeiterklasse, die Arbeit selbst ist heutzutage ja gerade viel zu frei!) entwickelt und unsere ganze Partei greulich lächerlich gemacht. Statt dessen haben die Esel von Bourgeoisblättern dies Programm ganz ernsthaft genommen, hineingelesen, was nicht darin steht, und es kommunistisch gedeutet. Die Arbeiter scheinen dasselbe zu tun. Es ist dieser Umstand allein, der es Marx und mir möglich gemacht hat, uns nicht öffentlich von einem solchen Programm loszusagen. Solange unsere Gegner und ebenso die Arbeiter diesem Programm unsere Ansichten unterschieben, ist es uns erlaubt, darüber zu schweigen. Wenn Sie mit dem Resultat in der Personenfrage zufrieden sind, so müssen die Ansprüche auf unserer Seite ziemlich tief gesunken sein. Zwei von den Unseren und drei Lassalleaner!1121 Also auch hier die Unseren nicht gleichberechtigte Alliierte, sondern Besiegte und von vornherein überstimmt. Die Aktion des Ausschusses12831, soweit wir sie kennen, ist auch nicht erbaulich: 1. Beschluß, Brackes und B.Beckers zwei Schriften über Lassallesches nicht auf die Parteischriftenliste zu setzen12671; wenn dies zurückgenommen, so ist es nicht die Schuld des Ausschusses und auch nicht Liebknechts; 2. Verbot an Vahlteich, die ihm von Sonnemann angetragene Korrespondenz für die „Frankfurter Zeitung" anzunehmen. Dies hat Sonnemann dem durchreisenden Marx selbst erzählt.3 Was mich, noch mehr dabei wundert als die Arroganz des Ausschusses und die Bereitwilligkeit, womit Vahlteich sich gefügt hat, statt dem Ausschuß etwas zu pfeifen, ist die kolossale Dummheit dieses Beschlusses. Der Ausschuß sollte doch lieber dafür sorgen, daß ein Blatt, wie die „Frankfurter", von allen Orten aus nur durch unsere Leute bedient wird.
" Karl Marx: „Allgemeine Statuten und Verwaltungs-Verordnungen der Internationalen^ Arbeiterassoziation" - 3 siehe vorl. Band, S. 9
... Daß die ganze Sache ein Erziehungsexperiment ist, das auch unter diesen Umständen einen sehr günstigen Erfolg verspricht, darin haben Sie ganz recht. Die Einigung als solche ist ein großer Erfolg, wenn sie sich zwei Jahre hält. Aber sie war unzweifelhaft weit billiger zu haben.
Nach: August Bebel, „Aus meinem Leben", 2.Teil, Stuttgart 1911.
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Engels an August Bebel in Leipzig12721
...Abmachungen nicht, sehe aber nur, daß sich die juristischen Verhältnisse der Gesellschaft sehr geändert haben müssen. Darüber möchte ich Aufklärung haben, auch darüber, welche Garantien bestehn, daß nicht, im Fall einer Spaltung, die lass[alleani]sche Mehrheit des Verwaltungsrats die ganze Druckerei an sich reißt.t273] Durch den erfolgten Umzug erfahre ich indirekt, daß der Plan, ein eignes Haus anzukaufen1, aufgegeben oder unnötig geworden ist. Dies ist sicher sehr gut, denn für eine arme Partei wie die unsre Geld in Grundeigentum festzulegen, wäre nur im äußersten Notfall zu rechtfertigen. Erstens, weil man das Geld als Betriebskapital besser brauchen [kann], und zweitens weiß man nie, was, bei der kolossalen Rechtsunsicherheit in politischen Dingen in Deutschland, aus dem Grundeigentum werden mag, wenn einmal eine akute Reaktion einsetzt. In Portugal haben wir wieder ein Blatt: „0 Proteste", „Der Protest". Die Bewegung dort geht voran, trotz großer Hindernisse von Seiten der Regierung und Bourgeoisie. Marx hat sich sehr beklagt über die unbegreifliche Note in Nr. 104 zu der Stelle aus seinem „Anti-Proudhon": die Sozialisten ebenso wie die Ökonomisten verurteilten die Koalitionen: das seien „Sozialisten vom Schlage Proudhons".t2741 Erstens gab es damals keinen einzigen Sozialisten vom Schlage Proudhons als Pr[oudhon] selbst. Zweitens gilt M[arxen]s Behauptung von allen bis dahin aufgetretenen Sozialisten (uns zwei ausgenommen, die in Frankreich unbekannt waren), soweit sie in den Fall kamen, sich mit Koalitionen zu beschäftigen - an der Spitze Robert Owen! Desgleichen die Owenisten und von den Franzosen u.a. Cabet. Da in Frankreich kein Koalitionsrecht bestand, wurde dort diese Frage wenig berührt. Da aber vor M[arx] nur feudaler, bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder utopistischer, oder aus verschiednen dieser Elemente gemischter Sozialismus bestand, so war es klar, daß alle diese Sozialisten, die jeder ein
I Siehe vorl. Band, S. 124
II Marx/Engels, Werke. Bd. 34
bestimmtes Allerweltsheilmittel zu besitzen vorgaben und ganz außerhalb der wirklichen Arbeiterbewegung standen, in jeder Form der wirklichen Bewegung, also auch in Koalitionen und Strikes, einen Irrweg sahen, der die Massen vom alleinseligmachenden Weg des wahren Glaubens abführte. Sie sehen, die Anmerkung war nicht nur falsch, sondern total widersinnig. Aber es scheint unsern Leuten, wenigstens einer Anzahl darunter, unmöglich, sich in ihren Artikeln auf das zu beschränken, was sie wirklich begriffen haben. Beweis: die unendlichen Bandwürmer theoretischsozialistischen Inhalts von Kz, Symmachos12761 und wie sie alle heißen, und die mit ihren ökonomischen Schnitzern und falschen Gesichtspunkten und Unkenntnis der sozialistischen Literatur das beste Mittel abgeben, die theoretische Überlegenheit der bisherigen deutschen Bewegung gründlich zu vernichten. Marx war nahe daran, eine Erklärung wegen dieser Anmerkung zu erlassen. Doch genug der Klagen. Ich will hoffen, daß sich die von der so unüberlegt überstürzten Einigung gehegten Hoffnungen und Erwartungen verwirklichen, daß die Masse der Lassalleaner aus dem Lassallekultus zu einer verständigen Auffassung ihrer wirklichen Klassenlage sich hinüberführen läßt und daß die Spaltung, die so sicher kommt wie 2x2 gleich 4 ist, unter den für uns günstigsten Umständen sich vollzieht. Daß ich das alles aber auch glauben soll, das wäre zuviel verlangt. Das Land außerhalb Deutschland und Ostreich, auf das wir am meisten aufmerksam sein müssen, bleibt Rußland. Dort wie bei uns ist die Regierung der Hauptbundesgenosse der Bewegung. Aber ein weit besserer als unsre Bismarck-Stieber-Tessendorfs. Die russische Hofpartei, die jetzt so ziemlich herrscht, sucht alle während der „neuen Ära" von 186112761 und folgenden Jahren gemachten Konzessionen wieder umzuwerfen, und das mit echt russischen Mitteln. So sollen jetzt wieder nur „Söhne der höheren Stände" studieren dürfen, und um dies durchzuführen, läßt man alle andern im Abgangsexamen durchfallen. Dies Schicksal betraf 1873 allein nicht weniger als 24000 junge Leute, denen so ihre ganze Karriere gesperrt, da man ihnen sogar ausdrücklich verbot, Elementarschullehrer zu werden! Und da wundert man sich über Ausbreitung des „Nihilismus" in Rußland. Wenn Walster, der ja russisch kann, einige der bei B.Behr in Berlin erschienenen, von der liberalen Opposition ausgegangenen Broschüren12771 verarbeiten wollte, oder wenn sich jemand fände, der polnisch genug verstände, die Lemberger Zeitungen (z.B. „Dziennik Polski" oder „Gazeta Narodowa") zu lesen und diese Sachen auszuziehn, so könnte der „Volksst[aat]" in russischen Dingen das erste Blatt von Europa werden. Und es
scheint fast, als ob der nächste Tanz in Rußland losgehn sollte. Wenn dies geschieht zu der Zeit, wo der tmvermeidliche Krieg zwischen dem d[eutsch]preußischen Reich und Rußland im Gang ist, und dies ist sehr wahrscheinlich, so ist der Rückschlag auf Deutschland unvermeidlich. Marx läßt Sie bestens grüßen. Aufrichtigst Ihr F. Engels [London] 15. Okt. 75
Grüßen Sie Liebknecht bestens.
Ii*
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Engels an Philipp Pauli in Rheinau
London (122, Rcgent's Park Road), 8. Nov. 75
Lieber Pauli, Vorigen Samstag nachmittag sind wir, nachdem wir in Bingen, Köln und Dover übernachtet, glücklich wieder hier eingetroffen.'2781 Von Bingen bis Köln nahmen wir, Ihrem Rat folgend, das Dampfschiff und bereuten es durchaus nicht. Unsre Überfahrt von Ostende war recht gut für die Jahreszeit, doch litt meine Frau eine Zeitlang von etwas Seekrankheit. In Dover, wo wir im „Lord Warden" schliefen, kamen wir [darauf] zurück, wie in demselben Hotel mal ein alter Engländer mit 6 Töchtern sagte: thank god, t's the comforts of an English hotel1, bestehend in einem guten Bett und einem schlechten Frühstück und ungewichsten Stiefeln, wofür man uns die Kleinigkeit von 16 Shill., sage sechzehn Schillinge berechnete. Meine Frau und ich sagen Ihnen und Ihrer lieben Frau nochmals unsern herzlichen Dank für Ihre freundschaftliche Aufnahme und für Ihre Zusage, sich von Zeit zu Zeit der Pumps in ihrer Verbannung etwas annehmen zu wollen; und wir rechnen mit Bestimmtheit darauf, daß Sie uns nicht nur sobald wie möglich einmal Frau Pauli hieherbringen, sondern auch jedesmal, wenn Sie nach London kommen, with or without notice2 unser Haus als das Ihrige betrachten. Mit aufrichtigen Grüßen Ihr F. Engels
1 Gott sei Dank, das ist der Komfort eines englischen Hotels - 2 mit oder ohne Anmeldung
29
Engels an Philipp Pauli in Rheinau
London, 9. Nov. 75
Lieber Pauli, Ich habe gestern in der Eile die Hauptsache vergessen. Ich schicke Ihnen also heute per Book Post1 ein Paket, enthaltend: 1. 3 Hefte „Wohnungsfrage" 2. „Die Bakunisten an der Arbeit" 3. „Soziales aus Rußland" (Separatabdruck des ersten, nicht mit abgedruckten Artikels auf dem Umschlag des Pakets)12791 4. „Der deutsche Bauernkrieg" 5. „Savoyen, Nizza und der Rhein" (1860) von mir 6. das „Kommunistische Manifest" von M[arx] und mir 7. „Enthüllungen über den Kölner Kommunistenprozeß" von M[arx] (18522) und hoffe, es kommt sicher an. Nochmals herzliche Grüße von Ihrem F. Engels
1 Drucksache - 2 in der Handschrift: 1851
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Engels an Rudolf Engels in Barmen
London, 9. Nov. 1875
Lieber Rudolf, Es tut mir leid, daß aus Pauls1 Reise nichts geworden ist, vielleicht nächstes Jahr. Ich bin vorigen Samstag von Heidelberg nebst Gattin zurückgekommen, wohin wir unsre Kleine auf ein Jahr in Pension gebracht haben.'2781 Auf der Rückreise tranken wir im Domhotel einen sehr vortrefflichen Oberingelheimer, von dem ich mir sofort einigen habe kommen lassen und Dich nun bitte, die Gefälligkeit zu haben, dem Herrn Theodor Metz, Domhotel, Köln, für meine Rechnung Taler 35 = Mark 105 auszahlen zu lassen. Köln ist die Stadt der Wunder. So begegnete mir zwischen Dom und Zentralbahnhof ein Herr, der dem Hermann2 zum Verwechseln ähnlich sah. Nur schien er etwas gewachsen, hatte mehr Grau im Bart und machte ein schrecklich ernsthaftes Gesicht. Ich wartete nur - leider vergebens - auf die bewußten Erholungsmanöver, um ihm in die Arme zu fallen. Dies Wunder trug sich zu am vorigen Freitag morgen zwischen 10 und 11 Uhr, Mit herzlichen Grüßen an Mathilde3 und die Kinder. Dein Friedrich
1 Paul Engels - 2 Hermann Engels - 3 Mathilde Engels
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Erste Seite des Briefes von Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow vom 12.-17. November 1875

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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London12801
Londres, le 12.[-17.] Nov. 1875
Mon eher Monsieur Lawrow, Enfin, de retour d'un voyage en Allemagne12781, j'arriveä votre article12591, que je viens de lire avec beaueoup d'interet. Voici mes observations y relatives, redigees en allemand ce qui me permettra d'etre plus concis.1 1. Ich akzeptiere von der Darwinschen Lehre die Entwicklungstheorie, nehme aber D[arwin]s Beweismethode (struggle for life, natural selection2) nur als ersten, provisorischen, unvollkommenen Ausdruck einer neuentdeckten Tatsache an. Bis auf Darwin betonten grade die Leute, die jetzt überall nur Kampf ums Dasein sehn (Vogt, Büchner, Moleschott u.a.), grade das Zusammenwirken der organischen Natur, wie das Pflanzenreich dem Tierreich Sauerstoff und Nahrung liefert, und umgekehrt das Tierreich den Pflanzen Kohlensäure und Dünger, wie dies namentlich von Liebig hervorgehoben worden war. Beide Auffassungen haben ihre gewisse Berechtigung innerhalb gewisser Grenzen, aber die eine ist so einseitig und borniert wie die andre. Die Wechselwirkung der Naturkörper - toter wie lebender - schließt sowohl Harmonie wie Kollision, Kampf wie Zusammenwirken ein. Wenn daher ein angeblicher Naturforscher sich erlaubt, den ganzen mannigfaltigen Reichtum der geschichtlichen Entwicklung unter der einseitigen und magern Phrase: „Kampf ums Dasein" zu subsumieren, einer Phrase, die selbst auf dem Gebiet der Natur nur cum grano salis akzeptiert werden kann, so verurteilt sich dies Verfahren schon selbst. 2. Von den 3 angeführten ubezdennyie Darwinisty3 scheint nur Hellwald Erwähnung zu verdienen. Seidlitz ist bestenfalls doch nur ein kleines Licht, und Robert Byr ein Romanschreiber, von dem augenblicklich im „Ueber
1 Mein lieber Herr Lawrow, Von einer Reise nach Deutschland zurückgekehrt, komme ich endlich zu Ihrem Artikel, den ich soeben mit großem Interesse gelesen habe. Nachstehend meine diesbezüglichen Bemerkungen, die deutsch geschrieben sind, was mir erlaubt, mich kürzer zu fassen. — 2 Kampf ums Dasein, natürliche Auslese - 3 überzeugten Darwinisten
Land und Meer" ein Roman erscheint: „Drei Mal". Dahin paßt auch seine ganze Rodomontade. 3. Ohne die Vorzüge Ihrer Angriffsmethode, die ich eine psychologische nennen möchte, in Abrede zu stellen, würde ich eine andere gewählt haben. Jeder von uns wird mehr oder weniger beeinflußt von dem intellektuellen Medium, in dem er sich vorzugsweise bewegt. Für Rußland, wo Sie Ihr Publikum besser kennen als ich, und für ein propagandistisches Journal, das sich an den sviazujuscij affekt4, an das moralische Gefühl wendet, ist Ihre Methode wahrscheinlich die bessere. Für Deutschland, wo die falsche Sentimentalität so unerhörten Schaden angerichtet hat und noch anrichtet, -würde sie nicht passen, sie würde mißverstanden, sentimental verdreht -werden. Bei uns ist eher Haß nötig als Liebe - wenigstens zunächst - und vor allen Dingen Abstreifung der letzten Reste des deutschen Idealismus, Einsetzung der materiellen Tatsachen in ihr historisches Recht. Ich würde daher - und werde es vielleicht seinerzeit - diese bürgerlichen Darwinisten •etwa folgendermaßen angreifen: Die ganze darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfach -die Übertragung der Hobbesschen Lehre vom bellum ornnium contra -omnes'281' und der bürgerlich-ökonomischen von der Konkurrenz, nebst der Malthusschen Bevölkerungstheorie, aus der Gesellschaft in die belebte Natur. Nachdem man dies Kunststück fertiggebracht (dessen unbedingte -Berechtigung ich, wie sub 1. angedeutet, bestreite, besonders was die Malthussche Theorie angeht), so rücküberträgt man dieselben Theorien aus der organischen Natur wieder in die Geschichte und behauptet nun, man habe ihre Gültigkeit als ewige Gesetze der menschlichen Gesellschaft nachgewiesen. Die Kindlichkeit dieser Prozedur springt in die Augen, man braucht kein Wort darüber zu verlieren. Wollte ich aber näher darauf eingehn, so würde ich es in der Weise tun, daß ich sie in erster Linie als schlechte Ökonomen, und erst in zweiter Linie als schlechte Naturforscher und Philosophen darstellte. 4. Der wesentliche Unterschied der menschlichen von der tierischen Gesellschaft ist der, daß die Tiere höchstens sammeln, während die Menschen produzieren. Dieser einzige, aber kapitale Unterschied allein macht es unmöglich, Gesetze der tierischen Gesellschaften ohne weiteres auf menschliche zu übertragen. Er macht es möglich, daß, wie Sie richtig bemerken, celovek vel borjbu ne toljko za suscestvovanie, no za naslazdenie i za uvelicenie svojich naslazdenij... gotoy byl dlja vyssago naslazdenija otrecsja
4 das Zusammengehörigkeitsgefühl
>ot nissich5. Ohne Ihre weiteren Folgerungen hieraus zu bestreiten, würde ich, von meinen Prämissen aus, folgendermaßen weiter schließen: Die Produktion der Menschen erreicht also auf gewisser Stufe eine Solche Höhe, daß nicht nur notwendige Befürfnisse, sondern auch Luxusgenüsse, wenn auch zunächst nur6 für eine Minderheit, produziert werden. Der Kampf ums Dasein - wenn wir diese Kategorie für einen Augenblick hier gelten lassen wollen, verwandelt sich also in einen Kampf um Genüsse, um nicht mehr bloße Existenzmittel, sondern um Entwicklungsmittel, gesellschaftlich produzierte Entwicklungsmittel, und für diese Stufe sind die Kategorien; aus dem Tierreich nicht mehr anwendbar. Wenn nun aber, wie jetzt geschehen, -die Produktion in ihrer kapitalistischen Form eine weit größere Menge von Existenz- und Entwicklungsmitteln produziert als die kapitalistische Gesellschaft verbrauchen kann, weil sie die große Masse der wirklichen Produzenten künstlich von diesen Existenz- und Entwicklungsmitteln entfernt hält; wenn diese Gesellschaft durch ihr eignes Lebensgesetz gezwungen ist, diese schon für sie übergroße Produktion fortwährend zu steigern und daher periodisch, alle zehn Jahre, dahin kommt, nicht nur eine Masse Produkte, sondern auch Produktivkräfte selbst zu zerstören - welchen Sinn hat da noch das Gerede von „Kampf ums Dasein"? Der Kampf ums Dasein kann dann nur noch darin bestehn, daß die produzierende Klasse die Leitung der Produktion und Verteilung der bisher damit betrauten, aber jetzt dazu unfähig gewordenen Klasse abnimmt, und das ist eben die -sozialistische Revolution. Beiläufig bemerkt, schon die bloße Betrachtung der bisherigen Geschichte als einer Reihe von Klassenkämpfen reicht hin, um die Auffassung derselben Geschichte als einer schwach variierten Darstellung des „Kampfs ums Dasein" in ihrer ganzen Seichtigkeit erscheinen zu lassen. Ich würde daher nie diesen falschen Naturalisten diesen Gefallen tun. 5. Aus demselben Grunde würde ich Ihren der Sache nach ganz richtigen Satz, cto ideja solidarnosti dlja oblegcenija borjby mogla ... vyrosti nakonec do togo, ctoby ochvatitj vce celovecestvo i protivu{po]stavitj jego, kak solidarnoje obscestvo bratjev, ostaljnomu miru mineralov, rasteniji i zivotnych7 - demgemäß anders formuliert haben.
der Mensch nicht nur den Kampf um das Dasein führte, sondern auch um (Jen Genuß und JÜT die Erhöhung seiner Genüsse.... bereit war, zugunsten höheren Genusses auf weniger hohen zu verzichten - 6 in der Handschrift: nur zunächst nur - 7 daß.die Idee der Solidarität zur Erleichterung des Kampfes ... schließlich die ganze Menschheit erfassen und sie, als solidarische Gesellschaft von Brüdern, der übrigen Welt der Minerale, Pflanzen und Tiere gegenüberstellen könnte
6. Dagegen kann ich darin mit Ihnen nicht einstimmen, daß die borjba vsech protiv vsech8 die erste Phase der menschlichen Entwicklung gewesen sei. Meiner Ansicht nach war der Gesellschaftstrieb einer der wesentlichsten Hebel der Entwicklung des Menschen aus dem Affen. Die ersten Menschen müssen in Rudeln gelebt haben, und soweit wir zurückblicken können, finden wir, daß dies der Fall war.
17 novembre. J'ai ete de nouveau interrompu et je reprends ces lignes aujourd'hui pour vous les remettre. Vous voyez que mes observations se rattachent plutot ä la forme, ä la methode de votre attaque, qu'au fond. J'espere que vous les trouverez assez claires, je les ai ecrites ä la hate et en les relisant, je voudrais changer bien des mots, mais je crains de rendre le manuscrit trop illisible. Je vous salue cordialement.9 F. Engels
8 der Kampf aller gegen alle - 9 17. November. Ich bin erneut unterbrochen worden und nehme diese Zeilen heute wieder zur Hand, um sie Ihnen zuzustellen. Sie sehen, daß sich meine Bemerkungen mehr auf die Form, auf die Methode Ihres Angriffs beziehen als auf den Inhalt. Ich hofffe, daß Sie sie klar genug finden werden, ich habe sie in Eile geschrieben, und beim nochmaligen Durchlesen möchte ich viele Worte ändern, aber ich fürchte, das Manuskript zu unleserlich zu machen. Ich grüße Sie herzlich.
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Engels an Paul Kersten in London
122, Regent's Park Road, N.W. [London] 24. Nov. 75
Lieber Herr Kersten, Ich empfange soeben Ihre werten Zeilen von heute morgen12821 und beeile mich, Ihnen mitzuteilen, daß es mir Vergnügen machen wird, Sie und Ihren Freund nächsten Sonntag gegen sechs Uhr abends bei mir zu sehn. Hochachtungsvoll F. Engels
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow ' in London'2831
[London] 3. Dez. 1875 41, Maitland Park Road, N.W.
Mein lieber Freund, Ein Furunkel (dazu noch in der linken Brustwarze) - wovon Sie sich selbst überzeugen können, wenn Sie mir einen Besuch abstatten - macht es mir vollkommen unmöglich, abends auszugehen und an dem Meeting am 4. Dezember teilzunehmen. Übrigens könnte ich dort nur die Meinung wiederholen, die ich seit dreißig Jahren vertrete'2841, nämlich, daß die Emanzipation Polens eine der Bedingungen für die Emanzipation der Arbeiterklasse in Europa ist. Die neuen Verschwörungen der Heiligen Allianz sind ein erneuter Beweis dafür.12861 Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen;
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Engels an Walery Wröblewski in London12831
122, Regent's Park Road, N. W. [London] den 4. Dez. 1875, mittags1.
Mein lieber Wröblewski, Ich bin heute früh mit einem so heftigen Schnupfen erwacht, daß ichkaum sprechen kann. Daher ist es mir zu meinem großen Bedauern unmöglich, heute abend Ihrer polnischen Versammlung beizuwohnen, zumal an einem Abend, der alle Vorzüge des polnischen Klimas mit allen Annehmlichkeiten des englischen Nebels vereinen zu wollen scheint. Meine Gefühle für die Sache des polnischen Volkes, denen ich heute abend leider nichtAusdruck geben kann, werden stets die gleichen sein: ich werde immer in der Befreiung Polens einen der Grundsteine für die endgültige Befreiung des europäischen Proletariats und besonders für die Befreiung der anderen slawischen Nationalitäten sehen. Solange das polnische Volk geteilt und unterdrückt ist, solange wird die Heilige Allianz zwischen denen, die Polen geteilt haben, mit verhängnisvoller Notwendigkeit bestehen bleiben und. immer von neuem entstehen, eine Allianz, die nichts anderes bedeutet als. Unterjochung des russischen, ungarischen und deutschen Volkes ebenso» wie des polnischen. Es lebe Polen! Ganz der Ihre F. Engels
Aus dem Französischen.
35
Engels an Friedrich Leßner in London
[London] 16. Dez. 1875
Lieber Leßner, Frankel, der die Unvorsichtigkeit begangen, sich in Wien unter fremdem Namen aufzuhalten, ist entdeckt und verhaftet worden. Die französische Gesandtschaft verlangt seine Auslieferung wegen Brandstiftung und Beteiligung am Erschießen der Dominikanermönche.12861 Dies ist aber Unsinn, da kein Land seine eignen Angehörigen, sondern nur Fremde ausliefert, wenn überhaupt hier von Auslieferung die Rede sein könnte. Er wird wohl mit einer Kleinigkeit wegen Führung eines falschen Namens wegkommen. Dein F.E.
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London12871
[Poststempel: London, 17. Dezember 1875]
Lieber Freund, Der gute Leblanc ist sehr krank und sieht es gern, daß man ihn besucht. Die letzten Bogen (i. e. die letzte, Lieferung 44 der französischen Ausgabe des „Kapitals"1206 ]) hatten Vorgeschriebenen Umfang. Herr Lachatre behauptete, daß entsprechend den Abmachungen mit der Druckerei der 44. Bogen nicht überschritten werden dürfe. So mußte ich das theoretische Sachregister opfern, das schon zusammengestellt war. Sollte ich eine Abschrift davon finden, so werde ich sie Ihnen schicken. Ganz der Ihre K.M.
Aus dem Französischen.
12 Marx/Engels, Werlte, Bd. 34
1876
37
Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
4. April 1876 London, 41, Mailland Park Road, N.W. (Pay attention to the address; it is 41 now instead of 1, but same street1)
Mein lieber Freund, Es freute mich sehr, endlich Deine Handschrift wieder zu sehen. Dein verlängertes Schweigen hatte ich mir richtig gedeutet, nämlich ganz so, wie Du es erklärst. Ich versichre Dir, wir hatten hier auch übergenug von dem Schmutz, obgleich er nicht so schamlos publice (und auch das fehlte in der ersten Zeit nach dem Haager Kongreß12881 nicht) auftrat. Doch gilt hier, was Tschernyschewski sagt: Wer auf historischen Wegen wandelt, darf sich vor Beschmutzung nicht scheuen.12891 Die letzten 15 livraisons du2 „Capital"12061 hatte ich an Dich expediert Anfang Januar, und zwar Montag, den 3ten Januar (da ich Notiz schrieb über sämtliche von mir damals expedierte Exemplare, weiß ich das Datum). Doch wundert's mich nicht, daß Du es nicht erhalten, da sogar 3 von hier nach Paris expedierte Exemplare nicht ankamen und wieder von neuem verschickt werden mußten. Anfangs Januar herrscht solches hurly-burly3 an der hiesigen Post, daß jeder Postexpedient «responsable4 ist. Ich schicke Dir die 15 Nummern diese Woche noch. Es ist mir nur deswegen unangenehm, daß Du nicht Sendung I erhalten, weil ich grade diesen Teil, speziell den ganzen Abschnitt über den Akkumulationsprozeß, wesentlich verbessert habe, also von Dir gelesen wünschte. Nach Philadelphia können Engels und ich nicht kommen12901, weil wir überbeschäftigt sind - ich speziell um so weniger Zeit verlieren darf, als
1 Achte auf die Adresse; es ist jetzt 41 statt 1, aber dieselbe Straße - 2 Lieferungen des 3 Durcheinander-4 kopflos
37 • Marx an Friedrich Adolph Sorge • 4. April 1876 179
my State of health6 mich immer noch zwingt, about 2 months6 zu verlieren mit der Karlsbader Kur. An das „Kommunistische Manifest" wollen wir uns machen; doch für den Appendix ist die Zeit noch nicht spruchreif.12915 Und nun habe ich verschiedne Verlangen an Dich. 1. Könnte ich meine von dein zu früh verstorbnen Freund Meyer7 (ich glaube aus Weydemeyers Nachlaß) aufbe wahrten „7Vi£>ifne"-.<4rf[^e/ erhalten ? Ich habe nichts davon. 2. Kann ich aus New York (versteht sich auf meine Kosten) die amerikanischen Bücherkataloge von 1873 bis jetzt erhalten? Es handelt sich für mich (für den zweiten Band des „Kapitals") darum, selbst zuzusehn, was über amerikanischen Ackerbau und grundeigentümliche Verhältnisse, ditto über Kredit (Panik, Geld etc. und was damit zusammenhängt) etwa Brauchbares erschienen ist. 3. Aus den englischen Zeitungen ist gar nicht klug zu werden über die jetzigen Skandalgeschichten in den United Staates.'292' Hast Du etwa amerikanische papers8 darüber aufbewahrt? Mit den herzlichsten Grüßen der ganzen Familie an Dich. Totus tuus9 Karl Marx
5 mein Gesundheitszustand - 6 etwa 2 Monate - 7 Hermann Meyer - 8 Zeitungen - 9 Ganz der Deine
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Engels an Philipp Pauli in Rheinau
122, Regent's Park Road, N. W. London, 25. April 76
Lieber Pauli, Ich weiß gar nicht, wie wir Ihnen und Ihrer Frau danken sollen für all die Güte und Freundschaft, die Sie unsrer Pumps erweisen, und womit Sie es dahin gebracht haben, daß sie sich bei Ihnen vollständig zu Hause zu fühlen scheint. Wenn ihr Pensionsjahr ihr als eins der heitersten ihres Lebens im Gedächtnis bleiben wird, so hat sie es Ihnen und Ihrer lieben Frau zu danken. Sie hat uns das nette Plänchen mitgeteilt, das sie bei Ihnen und angeblich mit Ihrer Hülfe fertiggebracht hat, um uns Pfingsten alle zusammenzubringen.'2931 Leider hat sie, wie Mädchen ihres Alters meistens tun, die Hauptsache dabei vergessen, nämlich, uns zu sagen, wann denn im Juni ihre Ferien anfangen. Wenn ich mich recht erinnere, sagte mir Frl. Schupp, die Ferien seien im Juli, weil das der heißeste Monat im Jahr sei. Ich bin also genötigt, mir erst von der Mamsell Pumps genauere Auskunft über diesen Punkt einzuholen, ehe ich mit meiner Frau irgendeinen Entschluß fassen kann. Daß es uns beiden großes Vergnügen machen würde, die Pfingsten in Rheinau bei Ihnen zuzubringen, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Leider ist meine Frau im Frühjahr immer etwas kränklich, und dafür gibt's nur einen Arzt: die Seeluft, und ich will sehn, ob ich sie nicht auf ein paar Wochen hinschicken kann, die Reise nach Deutschland würde ihr dann doppelt guttun. Sehr viel Freude hat uns gemacht, daß Pumps uns schreibt, Frau Pauli habe sich entschlossen, uns nach England zu begleiten. Das ist wunderschön, und wir hoffen nur, daß Pumps nicht eine bloße Hoffnung, sondern einen festgefaßten Entschluß ausspricht, dessen Ausführung auch nicht unterbleiben würde, wenn aus der Pfingstpartie nichts werden sollte, weil Pumps sich etwa in ihren Ferien verrechnet hätte, denn der Sommer ist ja lang, und geholt wird sie ja doch jedenfalls. Wir wollen indes hoffen, daß
Pumps recht hat und die gesamte strategische Kombination mit Glanz zur Ausführung kommt. Es versteht sich von selbst, daß wir alles aufbieten würden, um Ihrer Frau den Aufenthalt hier so angenehm wie möglich zu machen und sie zu veranlassen, ihn zu verlängern, bis Sie selbst sie holen kommen. Projet contre projet!1 Schorlemmer und Allmann, wenn dieser nicht verreist ist, würden ebenfalls zitiert und ersterer wohl wie voriges Jahr, eine 14 Tage mit uns an die Seeseite gehn. Also das sehn wir als abgemacht an, so daß höchstens noch davon die Rede sein könnte, ob die Sache 14 Tage früher oder später vor sich geht. Schorlemmer war im März ein paar Tage hier, er sah sehr gut aus und war sehr fidel. Den Brief der Frau Pauli haben wir seinerzeit richtig erhalten und uns gefreut zu vernehmen, daß der Pudding nach längerer Odysseusfahrt sein Ziel unbeschädigt erreicht und Beifall gefunden hat. Mit herzlichen Grüßen von meiner Frau und mir an Sie selbst, Ihre Frau und die Kinder herzlichst Ihr F. Engels
1 Plan gegen Planl
39
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 18 May 76
Lieber Freund, Die Adresse von Piot284] ist 15, Hargwyne Street, Stockwell, S.W. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
40
Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken129S1
[Poststempel: London, 14. Juni 1876]
Lieber Freund, Ich schicke Dir heute zum 3tenmal die iivraisons1 31-44 des „Capital"12061; solltest Du sie wieder nicht erhalten, so benachrichtige mich sofort; ich werde dann serious quarrel2 mit dem hiesigen General postoffice3 eröffnen. Was die Interferenz von Dr. Kugelmann (resp. Meißner, was ich nicht glaube, doch Näheres darüber bei ihm selbst erkunden werde) betrifft12961, so hat sie mich höchlichst verwundert, da ich noch nicht „alle" geworden, also niemand außer mir über meine Arbeiten zu verfügen hat. Unter den Skandalgeschichten12921 verstehe ich, wie Du's interpretiert hast, brauche es nicht bis vor Ende September. Schicke Dir zugleich die von mir verbesserte Ausgabe des Most1201; habe mich nicht genannt, weil ich sonst noch mehr daran hätte ändern müssen (das über Wert, Geld, Arbeitslohn und manches andre habe ich ganz streichen und statt dessen eignes hineinsetzen müssen). Nächstens mehr. Herzlichste Grüße von der ganzen family. Dein K.M.
1 Lieferungen - 2 ernsthaften Krach - 3 Hauptpostamt
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow 1 in London
iLondon] 14. Juni 76
Lieber Freund1, Engels wird Ihnen schon mitgeteilt haben, daß Liebknecht und seine Freunde Gründe haben, Richter2 als verdächtig zu betrachten,- wegen Spionage.1331 Wenn sich das bestätigt, könnte ich mir auch erklären, warum seit dem letzten Besuch, mit dem Richter mich beehrte, mein Adreßbuch mit den Adressen meiner Korrespondenten in verschiedenen Ländern verschwunden ist. Nur wegen einiger Personen in Rußland bereitet mir dies große Unruhe. Pio müßte noch benachrichtigt werden. Ganz der Ihre K.Marx
Aus dem Französischen;
1 In der Handschrift deutsch: Lieber Freund - 2 Dmitri Iwanowitsch Richter
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 15. Juni 1876
Mein lieber Freund, Es freut mich sehr, aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß die Verdächtigungen gegen Rechter]1 nur Hirngespinste sein können. Liebknecht hatte zuerst an Engels geschrieben, daß Verdacht gegen R[ichter] bestehe und daß er (Engels) die russischen Freunde in London davon vertraulich benachrichtigen solle.1331 Engels antwortete ihm, er werde nichts dergleichen tun, solange ihm Liebknecht nicht die Tatsachen mitgeteilt habe, die Anlaß zu dem Verdacht gegeben haben/401 Daraufhin schrieb L[iebknecht], daß R[ichter] eines Abends, als er in Begleitung mehrerer Mitglieder der Expedition des „Volksstaats" und anderer Arbeiter war, nicht mehr ganz nüchtern ein Paket Briefe (des „Volksstaats"), die für die Post bestimmt waren, zu entwenden suchte, daß die Freunde ihn gewähren ließen, ihn aber zur Post begleiteten und ihn zwangen, das Paket dort aufzugeben. Der Vorfall wurde L[iebknecht] berichtet, so daß nicht er,, sondern die Arbeiter - die bis dahin voller Vertrauen zu Rfichter] waren den Verdacht schöpften. Liebknecht schreibt selber, daß das Sprichwort „in vino veritas" keineswegs ein Evangelium sei, daß aber dennoch der Vorfall zu denken gebe. Sie wissen selbst, ist ein Verdacht dieser Art einmal aufgetaucht, so findet man immer mehr oder weniger vage Indizien, die sich leicht ungünstig auslegen lassen. Meiner Meinung nach tat Liebknecht nur seine Pflicht, wenn er davon Mitteilung machte; weder er (und bis zu einem gewissen Grade auch ich) noch seine Freunde waren über R[ichters] vertraute Beziehungen zu Ihnen unterrichtet; sonst hätte er es gewiß nicht für notwendig gehalten, Sie benachrichtigen zu lassen. Um solche Mißverständnisse zu zerstreuen, ist es am besten, offen zu sprechen. Im Leben einer Kampfpartei muß man auf alles gefaßt sein; ich zumindest war keineswegs erstaunt, als man mich beschuldigte, ein Agent des Herrn Bismarck zu sein.
1 Dmitri Iwanowitsch Richter
Engels war gestern abend bei mir. Ich fragte, ob er Ihnen geschrieben habe; er verneinte: er habe sich nicht für berechtigt gehalten, Ihnen über diese Angelegenheit zu schreiben, weil Liebknecht ihn beauftragt habe, Ihnen die Mitteilung vertraulich zu machen, und er habe noch nicht die Zeit gefunden, Sie aufzusuchen. Ich sagte ihm, daß ich Ihnen geschrieben hätte, und nun wollte er auch schreiben2. Ich werde Liebknecht im Sinne Ihres Briefes schreiben. Zugleich wäre es meines Erachtens besser, R[ichter] nichts von allem, was geschehen ist, wissen zu lassen. Wenn Liebknecht seinen Freunden meinen Brief mitteilt, werden diese - dessen bin ich sicher - alles tun (es sind ehrliche Arbeiter), um das Unrecht, das sie ihrem Genossen zugefügt haben, wieder gutzumachen. Die „Pall Mall Gazette" der letzten Woche hatte einen sensationellen Artikel über die russischen Finanzen. Ganz der Ihre K.Marx
Aus dem Franzosischen.
2 siehe vorl. Band, S. 187
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London'2971
122, Regent's Park Road . ,. , TI r [London] 16. Juni 76 Mein lieber Herr Lawrow, Vor einiger Zeit schrieb mir Liebknecht, ich solle Ihnen mitteilen^ daß Rechter]1 verdächtig sei1331, und da ich nicht eine solche Mission auf mich nehmen konnte, ohne Ihnen auch nur den geringsten Fakt zu nennen, sagte ich ihm dies offen'401. Im folgenden seine Antwort, die ich Ihnen ganz im Vertrauen mitteile: „R[ichter] suchte hier in auffälligster Weise in den Besitz eines Pakets mit Briefen zu kommen, das vorigen Winter an mich nach Berlin geschickt werden sollte. Er war bekneipt und ging infolgedessen ungeschickt zu Werk, so daß er ertappt wurde. Des Pakets sich zu bemächtigen, war in seinem Rausch stundenlang fixe Idee; es gelang ihm auch, aber er wurde von seinen Begleitern genötigt, das Paket in den Postschalter zu werfen, was •er auch tat, nachdem ein Versuch, es zu oertauschen, mißglückt war. Die, welche bei dieser Gelegenheit zugegen waren, hatten bisher am festesten auf seine Ehrlichkeit gebaut, wurden nun aber stutzig. Der Rausch bringt zwar mitunter sonderbare Dinge in den Kopf, doch nichts, was nicht auch schon im nüchternen Zustand darin gewesen. In vino veritas ist doch nicht so ganz ohne - von andern sehr verdächtigen Umständen will ich hier nicht reden, da sie nicht so gewichtig sind wie das Erzählte. Nur das sei bemerkt, daß R[ichter] sich wiederholt zur Vermittlung von Briefen erboten und um Empfehlungen an alle möglichen Parteigenossen gebeten hat."2 Ich bedaure, daß ständige Abhaltungen mich daran gehindert haben, Ihnen diese Mitteilung schon früher zukommen zu lassen, von der ich nicht weiß, was ich von ihr halten soll. Ich hoffe, daß dieser Brief Sie bei guter Gesundheit erreicht. Meine Empfehlungen an Herrn Smirnow. _ . n Ganz der Ihre F.Engels Aus dem Französischen.
1 Dmitri Iwanowitsch Richter - 2 dieses Zitat in der Handschrift deutsch
44
Engels an Pjptr Lawrowitsch Lawrow in London
London, den 30. Juni 1876
Mein lieber Herr Lawrow, Um Sie über Herrn Bismarcks Verbot des „Vpered!"1 in Deutschland zu trösten, kann ich Ihnen mitteilen, daß ich ihn erst vor sechs Tagen in den Auslagen Heidelberger Buchhandlungen ganz öffentlich ausgestellt gesehen habe.[293] Herr Bismarck hat noch nicht das Mittel gefunden, allen seinen Polizisten die russischen Büchstaben beizubringen. Ganz der Ihre F.Engels
Aus dem Französischen.
1 „Wperjodl"
45
Engels an Philipp Pauli in Rheinau
11, Camden Square ... „ .. Ramsgate, UtbAug. 76 Lieber rauh, Freitag bin . ich richtig, wie beschlossen, noch nach Köln gereist und wäre die Nacht durch über Ostende nach London gegangen, wenn nicht der verfluchte Mückenstich an der linken Hand ganz kolossal angeschwollen wäre. Ich ging also ins Hotel in Köln und hielt die Hand ungefähr eine Stunde lang in Eiswasser; was der Entzündung die Spitze abbrach; Samstag über Vlissingen nach England, fand in Chatham einen Zug nach Ramsgate und kam direkt hieher.139' Als ich Dienstag nach London kam, fand ich Schorlemmer bei Marx und im Begriff, Mittwoch nach Darmstadt abzureisen, wo er wohl heute ankommen wird. Hier ist's immer noch sehr schön, gemäßigte Sommerwärme und frischer Seewind, dazu das Flaschenbier vortrefflich und die Baderei im Salzwasser „e wohres Laubsal", wie die Nähterin bei Nadler1 sagt12981. Die Dinger haben mich sehr lachen gemacht, namentlich ist der patriotische Kleinstädter von Anno 48 sehr gut geschildert[a395. Die Überfahrt von Vlissingen war wieder spiegelglatt, ich bin das jetzt ordentlich leid, etwas Schaukeln gehört dazu, sonst weiß man gar nicht, daß man auf der See gewesen. Indes kann ich das hier haben, so oft ich will, auf den Vergnügungsbooten, die jeden Nachmittag ausfahren. Wir bleiben noch bis Montag über 14 Tage hier und werden uns dann hoffentlich in London wieder zur Ruhe setzen von dem vielen Nichtstun, wo mar getriebe habbe. Meiner Frau ist das Reisen und Seebaden sehr gut bekommen, so daß ich hoffen darf, sie mit passabler Gesundheit auch den Winter durchzubringen. Sie sowohl wie ich schickt ihre besten Grüße an Dich, Deine Frau und die Kinder, und mit der Hoffnung baldiger Schnakenverminderung für Rheinau schließe ich wegen hereinbrechenden Tischdeckens als Dein getreuer F. Engels 1 In der Handschrift: Naster
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
11, Camden Square Ramsgate, den 15. August 76
Mein lieber Herr Lawrow, Bei meiner Rückkehr aus Deutschland1391 habe ich Ihren Brief vom 7. vorgefunden13001, den ich umgehend an Liebknecht weitergeleitet habe. Da die Personen, um die es sich handelt, mir völlig unbekannt sind, ist dies das einzige, was ich tun kann. Ich hoffe, daß unser armer Smirnow genügend Kräfte haben wird, um seine Krankheit zu überwinden. Er hat bei seinem delikaten Gesundheitszustand zu viel gearbeitet und wird gut tun, sich ein wenig zu schonen. Tausend Grüße an ihn wie auch an Sie. Ganz der Ihre F.Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Ida Pauli in Rheinau
11, Camden Square Ramsgate, 27. Aug. 76
Liebe Frau Pauli, Die Schnaken müssen es in der Tat arg getrieben haben, wenn Sie genötigt gewesen sind, in die Fußstapfen der russischen emanzipierten Damen zu treten und Zigaretten zu rauchen. Hoffentlich haben Sie indes auch, wie wir, seit 3-4 Tagen kälteres Wetter und damit Schnakenfreiheit. Wir haben hier positiv gefroren, die Fenster zumachen müssen, und meine Frau hat nach Pelzjacken geseufzt, in London war es Freitag nacht nur 6 Grad Reaumur, und in Liverpool sind die Melonen positiv verfroren. Seit Dienstag ist Frau Marx bei uns1, sie hat sich wieder ziemlich erholt, wird aber wohl bis Dienstag wieder abreisen müssen, da sie eine Nichte® vom Kap der Guten Hoffnung bis dahin erwartet. Wir halten uns trotz des Wetters am Baden, da die See immer noch warm ist und bei dem Wind die Sturzwellen immer besser werden und einen warm halten, grade diese kalten Seebäder wirken am kräftigsten, und meine Frau hat sich wunderbar erholt, seitdem sie ins Wasser geht. Am Freitag packen wir wieder auf'391 und kommen dann, hoff' ich, endlich wieder zur Ruhe. Wir beide haben das Bummeln jetzt herzlich satt, meine Frau sehnt sich nach ihrer Küche und ich nach meinem Schreibtisch und wir beide nach dem großen breiten Bett. Die Adresse von M[arx] in Karlsbad ist: Dr. M[arx], Germania, Schloßberg, Karlsbad.'48' Ich hatte vor einigen Tagen einen Brief von ihm3, das Karlsbader Wasser bekam ihm wie seiner Tochter Tussy sehr gut, leider aber hat's langweilige Folgen, man darf monatelang nachher weder kneipen noch Salat oder sonstige Sachen essen, die gut schmecken. Er wird wenigstens bis Mitte Sept. dort bleiben, vielleicht eine Woche länger, das hängt von der Kur und ihrer Wirkung ab.
*VgI. vorl. Band, S. 26 - 2 Karoline Juta - 3 siehe vorl. Band, S. 23 -25
Von Pumps hatten wir einen Brief gleichzeitig mit dem Ihrigen, ich werde ihr antworten, sowie ich wieder in London bin, hier in der Bummelanstalt gehört immer ein energischer Entschluß dazu, sich zum Schreiben hinzusetzen. Wie steht's mit Paulis englischer Reise? er wird jetzt doch wohl mit der Bauerei in der Fabrik bald fertig sein, und da er die hochgehende See so liebt, sollte er es nicht zu lange aufschieben. Frau Marx läßt sich Ihnen bestens empfehlen, und meine Frau und ich schicken Ihnen, Pauli und den Kindern allen die herzlichsten Grüße. Ich .schicke Pauli heute eine Zeitung. Also halten Sie sich alle wohl und munter, «und wenn das Bier besonders gut ist, denken Sie zuweilen an Ihren aufrichtigen F.Engels
48
Marx an Jenny Longuet in Hastings
[Karlsbad, Ende August/Anfang September 1876]
Mein liebes Herz, Ich war sehr erfreut, aus Deinen Briefen, wovon leider einer verlorengegangen, zu ersehn, daß es besser mit Deiner Gesundheit geht und daß dem braven Kleinen1 Hastings bekommt und er schon seine Rolle spielt. Macte puer virtute!2 Wir leben hier in den Tag hinein, so gedankenlos, wie es der Erfolg der Kur erfordert.1481 In den letzten Tagen sind unsere Wanderungen durch die Bergwaldungen mehr oder minder unterbrochen infolge des jähen Wetterwechsels, bald Aprilregen, bald Wolkenbruch, dann wieder Sonnenschein. Die Kälte, die plötzlich nach der anhaltenden Hitze eingetreten war, ist jedoch wieder ganz verschwunden. Bekanntschaften haben wir in der letzteren Zeit viele gemacht; einige Polen ausgenommen meist deutsche Universitätsprofessoren und andre Doktoren. Allüberall wird man mit der Frage gequält: Was denken Sie von Wagner? Höchst charakteristisch für diesen neudeutsch-preußischen Reichsmusikanten: Er nebst Gattin (der von Bülow sich getrennt habenden), nebst Hahnrei Bülow, nebst ihnen gemeinschaftlichem Schwiegervater Liszt hausen in Bayreuth alle vier einträchtig zusammen, herzen, küssen und adorieren sich und lassen sich's wohl sein. Bedenkt man nun außerdem, daß Liszt römischer Mönch und Madame Wagner (Cosima mit Vornamen) seine von Madame d'Agoult (Daniel Stern) gewonnene „natürliche" Tochter ist - so kann man kaum einen besseren Operntext für Offenbach ersinnen als diese Familiengruppe mit ihren patriarchalischen Beziehungen. Es ließen sich die Begebenheiten dieser Gruppe - wie die Nibelungen1531 auch in einer Tetralogie darstellen. Ich hoffe, liebes Kind, daß ich Dich wohl und heiter wiederfinden werde. Grüße Longuet bestens von mir und gib meinem Enkelchen ein Dutzend Küsse von seinem granny. . .. Adio
1 J.-L.-F. Longuet - 2 Heil Jüngling, Dir und Deinem Heldenlauf! (Vergil: Aeneis, L. IX)
13 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
194 49 • Marx an Max Oppenheim • 30. August 1876
49
Marx an Max Oppenheim in Prag
30. August 1876 Germania, Schloßberg Karlsbad
Lieber Freund, Ich weile seit 2 Wochen mit Tochter hier und denke trotz Wechselwetter und Regen noch zwei Wochen auszuhalten.1481 Es würde uns sehr freuen, Sie hier zu sehn. Jedenfalls lassen Sie von sich hören. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
50
Marx an Max Oppenheim in Prag
[Karlsbad] 1. September 1876
Lieber Freund, Ich habe nie den Vorsatz aufgegeben, mit meiner Tochter auf 1-2 Tage nach Prag zu gehn, wollte aber nichts davon im Brief an Sie erwähnen, weil ich Sie hierher zu locken wünschte.'481 Mais les affaires sont les affaires1; vielleicht finden Sie doch bei näherer Überlegung, daß ein Abstecher nach Karlsbad wohltätig auf Ihre Gesundheit einwirken möchte. Ich erwarte hierüber Ihre schließliche Entscheidung. Das Wetter an und für sich wäre mir ziemlich gleichgültig, wenn es nicht einigermaßen mit den Kurbedingungen kollidierte. Meine Tochter grüßt Sie herzlichst. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
1 Aber Geschäfte sind Geschäfte
13*
51
Marx an Max Oppenheini in Prag
[Karlsbad] 6. September 1876
Lieber Freund, Eingeschlossen der Brief Ihrer Schwester, deren Nachrichten über die aventures de Norderney1 meine Tochter2 und mich im höchsten Grad interessiert haben. Ich hatte gehofft, Ihre Schwester, deren Porträt ich gesehn und von der ich so viel Gutes in Hannover gehört habe, bei Ihnen in Prag kennenzulernen, sehe jedoch aus Ihrem Brief, daß sie nach wie vor in Aachen weilt. Meine Kur[48' ist Sonntag zu Ende. Montag ist also der für die Abreise nach Prag bestimmte Tag; doch möglicherweise muß der Aufenthalt in Karlsbad verlängert werden. Meine Tochter ist plötzlich unwohl geworden. Ich hoffe, daß es nichts Emstliches ist; ich erwarte die zweite Visite des Arztes heute abend. Weitere Nachrichten erhalten Sie, sobald ich Bestimmteres schreiben kann. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
1 Abenteuer von Norderney - 2 Eleanor Marx
52 vMarx ah Max;Oppenheim • 9.September 1876 197
52
Marx ari Max Oppenheim in Prag
[Karlsbad] 9. September 1876
Lieber Freund, Meinen und meiner Tochter1 besten Dank für Ihren liebenswürdigen Brief. Sie hatte arges Fieber, hatte 3 Tage das Bett zu hüten und ist zur Stunde noch Stubenarrestant; aber alle Gefahr vorüber, dank dem raschen Zugreifen des Dr. Fleckles junior. Vor Mittwoch werden wir schwerlich nach Prag können.1481 Doch benachrichtige ich Sie exakt Tag vor Abreise. Einstweilen auf baldiges Wiedersehn.: Ihr Karl Marx
198 53 • Marx an Ida Pauli • lO.September 1876
53
Marx an Ida Pauli in Rheinau
[Karlsbad] 10. Sept. 1876
Meine liebe Frau Pauli, Meinen herzlichsten Dank für Ihre freundliche Einladung. Leider ist ein unangenehmes Ereignis dazwischengetreten, das mir verbietet, davon Gebrauch zu machen. Heute nämlich war unsre Kurzeit von 4 Wochen abgelaufen.'481 Infolge des beständigen Wetterwechsels jedoch zog sich meine Tochter1 eine Erkältung zu, Fieber etc. Sie ist einstweilen Stubenarrestant, und werde ich den hiesigen Aufenthalt notgedrungen verlängern müssen. Da ich gewisser Geschäfte halber an einem bestimmten Tag in London sein muß, werde ich um so weniger Abstecher auf der Rückreise machen können. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Vielleicht zum Wiedersehn auf nächstes Jahr. Mit besten Grüßen von meiner Tochter an Sie und Herrn Pauli. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
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Marx an Max Oppenheim in Prag
12. Sept. 1876 Germania, Karlsbad
Lieber Freund, Herzlichsten Dank für Ihre freundschaftliche Fürsorge; glücklicherweise ist meine Tochter1 wieder ganz hergestellt; mais eile l'a echappe belle2. Sie war auf dem Punkt einer Lungenentzündung; das rasche Eingreifen des Dr. Fleckles jun., ihres Arztes, hat sie vor einer langen und gefährlichen Krankheit gerettet. Doch müssen wir infolge dieses Ereignisses zur Nachkur bis Freitag hier bleiben.'481 Wir werden von Karlsbad 10 Uhr 47 Min. abreisen und in Prag (Staatsbahnhof) um 5.50 nachmittags ankommen. Also auf Wiedersehn. Ihr freundschaftlichst ergebner Karl Marx
1 Eleanor Marx - 2 aber sie ist noch gut davongekommen
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Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
122, Regent's Park Road, N.W. [London] den 15. Sept. 1876
Mein lieber Herr Lawrow, Am Schluß dieser Zeilen übermittle ich Ihnen die wenigen Worte, die Liebknecht mir betreffs der Personen schrieb, von denen in Ihrem Brief an mich die Rede war.1 Sie werden daraus ersehen, daß Liebknecht jede Verantwortung ablehnt für das, was D[echterjow] auch immer geschrieben und Tsch[ernyschew] getan haben mag. Ich hoffe, daß es Herrn Smirnow besser geht. Ganz der Ihre F. Engels
„Die Briefe von mir, die G[urewitsch] der Polizei in die Hände gespielt hat, waren von vornherein für Stiebers Augen geschrieben, nicht so die zahlreichen Briefe der Russen. L[awrow] irrt, wenn er glaubt, ich habe mich irgendeinem russischen Flüchtling anvertraut. Was die Leutchen schwatzen, dafür bin ich nicht verantwortlich, und sie schwatzen entsetzlich viel. Tsch[ernyschew] ging nicht in meinem Auftrag, wohl aber mit meinem Wissen nach Berlin, zu verderben war da nichts mehr."2
Aus dem Französischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 190 - 2 dieses Zitat in der Handschrift deutsch
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Marx an Ferdinand Fleckles in Karlsbad
2 I.September 1876 Hotel de Suede Liege, Belgique
Lieber Fleckles, Ich schreibe Ihnen post-haste1 einige Zeilen in einer dringenden Angelegenheit. Mein Freund Nicolas Outine, 35 Jahr' alt, hat nach ärztlicher Untersuchung einen Beginn von fettiger Degeneration des Herzens. Man hat ihm Karlsbad angeraten; da er aber im Frühling, Sommer und Herbst überbeschäftigt ist - er steht als Ingenieur an der Spitze großer Eisenbahn- und ähnlicher Unternehmungen -, kann er nur Dezember und während der Wintermonate Zeit für eine Kur finden. Da er vor Kälte sich sehr scheut, wünscht er zu wissen, ob er nicht statt nach Karlsbad nach Vichy gehn könnte. Es ist natürlich schwierig, vielleicht unmöglich, ohne Kenntnis seiner Person solche Frage zu beantworten. Indes werden Sie immer im allgemeinen konstatieren können, ob Vichy Karlsbad in derartigen Fällen ersetzen kann. Es ist einer meiner mir liebsten Freunde, um den es sich handelt, und daher erlaube ich mir, an Ihre Freundschaft zu appellieren und Sie um baldige Antwort zu ersuchen (unter meiner Londoner Adresse: 41, Maitland Park Road, London). Das Kind und ich reisen morgen von hier nach Haus.'481 , Ihr treust ergebner Karl Marx
[Nachschrift von Eleanor Marx:]
Cher Docteur, * Je viens de recevoir de Carlsbad les photographies - mais seulement onze - en avez-vous une? — Si oui, renvoyez-la moi - si non, voulez-vous le dire ä Hirsch?
1 in größter Eile
J'attends avec impatience la lettre que vous avez envoyee ä Londres. Donnez-moi des nouvelles de „Marion" qui m'interesse beaucoup - et travaillez aux derniers actes. Adieu - ecrivez-moi et envoyez-moi vos portraits.
Votre toute devouee Eleanor Marx2
2 Lieber Doktor, Ich erhielt soeben die Photographien aus Karlsbad - aber nur elf - haben Sie noch eine? Wenn ja, schicken Sie sie mir - wenn nein, würden Sie es bitte Hirsch mitteilen? Ich erwarte mit Ungeduld den Brief, den Sie nach London gesandt haben. Berichten Sie mir über „Marion", es interessiert mich sehr - und schreiben Sie die letzten Akte. Adieu antworten Sie mir und senden Sie mir Ihre Porträts. Ihre sehr ergebene Eleanor Marx
57
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
London, 23. Sept. 1876
Lieber Bracke, Es befindet sich jetzt im Druck das französische Werk von Lissagaray „Histoire de la Commune" (500 - 600 Seiten), Herausgeber: H.KisteTnaeckers, librairie contemporaine, Boulevard du Nord, 60, Bruxelles. Es wird dies die erste authentische Geschichte der Kommune sein. L[issagaray] hat nicht nur alle gedruckten Quellen benutzt, sondern besitzt allen andern unzugängliches Material, abgesehn davon, daß er großenteils Augenzeuge der von ihm geschilderten Ereignisse war. Ich erhielt gestern von ihm ein1 an ihn von Julius Grunzig in Berlin gerichtetes Schreiben, worin dieser sich als Übersetzer anbietet. D'abord2 kenne ich Grunzig nicht; vielleicht können Sie mir Auskunft über ihn geben. Zweitens aber wird von ihm kein Wort fallengelassen über das Wo und Wie der Herausgabe, und selbst wenn wir Herrn Grunzig als Übersetzer brauchen können (dies hängt nur von seiner Kapazität zu solcher Arbeit ab), würde er nur als Übersetzer akzeptiert, ihm aber keinesfalls die Herausgabe überlassen werden. Ich schlage Ihnen vor, den Verlag dieses für unsere Partei wichtigen und für das ganze lesende deutsche Publikum interessanten Werks zu übernehmen. Doch müßte Lissagaray - der als Flüchtling in London natürlich nicht auf Rosen gebettet ist - für das von ihm gewährte Recht der deutschen Herausgabe einen von Ihnen selbst zu bestimmenden Anteil am Profit erhalten. Was die Übersetzung betrifft, so würde ich Grunzig - da er sich zuerst gemeldet hat, auch von Most rekommandiert ist - Probebogen zum Übersetzen zuschicken, um mich von seiner Fähigkeit zu überzeugen. Im Fall Sie den Vorschlag akzeptieren, würden Ihnen (resp. dem Übersetzer) die Bogen des Originals stückweis zugehn, so daß die deutsche
1 In der Handschrift: einen - 2 Erstens
Übersetzung fast gleichzeitig mit dem französischen Original erscheinen könnte. Die Ausgabe in Lieferungen, wie Grunzig iaseinem Brief sie vorschlägt, ist unzulässig, da sonst die Sache eher deutsch als französisch erschiene, wogegen der belgische Herausgeber protestieren würde. Was die Zahlung des Übersetzers angeht, so wäre diese Angelegenheit ausschließlich zwischen Ihnen und selbem zu regeln. Sie verpflichten mich durch umgehende Antwort, damit keine Zeit verlorengeht und ich im Notfall an andern Buchhändler schreiben kann. Mit besten Grüßen von mir und Engels. Ihr Karl Marx Meine Adresse ist: 41, Maitland Park Road, N.W., London.
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Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] 30. Sept. 1876
Lieber Bracke, Über Ihre Transaktionen mit B.Becker war ich schon aus Ihren diversen Briefen an Engels unterrichtet, da wir uns wechselseitig immer alles auf Parteiinteressen Bezügliche mitteilen. Sobald ich Ihren Brief erhielt, haben Engels und ich die Frage nach allen Seiten ventiliert und sind zu dem Schluß gekommen, daß Rücksicht auf Becker in keiner Weise mit Ihrem Verlag des Lfissag^ray]sehen Werks kollidieren kann.13011 1. Sie haben aus rein geschäftlichen Gründen - lange bevor von L[issagaray]s Werk die Rede war - Ihr engagement mit B.Becker abgebrochen, nachdem er Ihre Vorschläge schroff abgewiesen. Sie haben außerdem ein Schmerzensgeld von 300 Taler gezahlt. Damit war diese Angelegenheit erledigt, und es konnte nicht irgendwie präsumiert werden, daß Sie von nun an auf den Verlag aller auf die Geschichte der Kommune bezüglichen Schriften resignieren würden. 2. Soweit Lissagarays Schrift der Beckerschen Konkurrenz macht, wird diese Konkurrenz stattfinden, ob die Schrift bei Ihnen oder anderswo erscheint. (Liebknecht hat uns eben den Verlag der „Vojksstaats"-Setzerei angeboten, den wir aber unter keinen Umständen annehmen würden.) Lissagaray] s Schrift wird in einigen Wochen in Brüssel erscheinen, während Becker erst Mai 77 fertig wird. Der Schade, der ihm daraus erwachsen mag, ist sowieso unvermeidlich. 3. Obgleich Beckers und Lissagarays Werke denselben Titel tragen Geschichte der Kommune -, sind es Werke ganz verschiedner Art, die, wenn sonst nicht geschäftliche oder andre Gründe im Wege stünden, ganz gut von derselben Verlagsbuchhandlung hätten herausgegeben werden können. Beckers Werk ist im besten Fall eine vom Standpunkt deutscher Kritik geschriebne Kompilation des in Paris jedermann zugänglichen Stoffs über die Kommune. Lissagarays Werk ist die Schrift eines Teilnehmers an den dargestellten
Ereignissen (und hat insofern memoirenartigen Charakter), dem außerdem eine Fülle niemand sonst zugänglicher Manuskripte der Hauptpersonen des Dramas etc. zu Gebot stand. Beide Schriften haben nur den möglichen Zusammenhang, daß Becker in Lissagarays Werk eine neue Quelle findet, die er nicht unberücksichtigt lassen kann und die ihm vielleicht zu weitläufigen Änderungen seines Manuskripts, soweit es schon fertig ist, nötigen wird. Ihr Interesse bei dem Verlag des L[issagaray]schen Werks ist dasselbe, das Sie antrieb, den B[ecker] zur Bearbeitung des Stoffs zu veranlassen das Parteiinteresse, das Sie nach dem sub 1. Gesagten befriedigen können, ohne die leiseste Verletzung Ihrer mit B[ecker] ursprünglich eingegangnen buchhändlerischen engagements. Soweit über diesen Punkt. Was Herrn Grunzig betrifft, so wäre es mir wünschenswert, daß Sie über den Charakter des Mannes Erkundigung bei Most einzögen. Ist diese Auskunft befriedigend, so würde ich Herrn Grunzig den ersten Probebogen zur Übersetzung versuchsweis zuschicken, um danach beurteilen zu können, ob er dieser keineswegs leichten Arbeit gewachsen ist. Lissagaray hat mir die ersten 5 Druckbogen zugeschickt. Ich ersehe daraus, daß es eine Luxusausgabe ist, nur 30 Zeilen per Seite. Wenn die im französischen Original 5 - 600 Seiten beträgt, wird sie in deutscher gewöhnlicher Ausgabe wohl kaum über 400 Seiten betragen. Mit Ihrer Bestimmung über die Teilung des Gewinns mehr als einverstanden; kommt nichts dabei heraus, so muß L[issagaray] wie Sie selbst zufrieden sein und ist es. Was das Honorar des Übersetzers betrifft, so ist das eine Sache, worüber Sie allein verfügen würden. Sie geht den französischen Autor nichts an. Was alle übrigen Bestimmungen über Auflage, Ausstattung, Preise betrifft, so haben Sie allein darüber zu entscheiden. (L[issagaray] hat mir nämlich plein pouvoir1 gegeben, für ihn abzuschließen.) Auf den Titel wäre zu setzen: Vom Verfasser des Werks autorisierte Übersetzung. Lissagaray wird auf den Titel des französischen Originals setzen: tous les droits reserves2, so daß Sie jede etwaige deutsche Konkurrenzübersetzung konfiszieren können. Mit freundschaftlichem Gruß. lhr Karl Marx
1 unbeschränkte Vollmacht - 2 alle Rechte vorbehalten
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 7. Oktober 1876
Mein lieber Freund, Ich habe soeben einen Brief aus Paris erhalten (von einem Angestellten der Buchhandlung Lachatre1), woraus hervorgeht, daß das Verbot des „Capital" nur eine Mythe ist, und zwar eine Mythe, die eifrig von der Polizei und von Herrn Quest selbst verbreitet wurde, dem Verwalter von Gesetz wegen, unter dessen Sequester der selige Büffet die Buchhandlung Lachatre gestellt hat. Da es während des Belagerungszustandes[302i herausgegeben wurde, dürfte das „Capital" - nach der Aufhebung des Belagerungszustandes - nur von den regulären Gerichten verboten werden, und vor einem solchen Skandal hat man Angst. Darum versucht man, das Buch auf den Schleichwegen der Intrige zu unterdrücken. Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie mir den Brief übermitteln, in dem Ihr Kommissionär Guyot vom Verbot des Buches spricht.2 Auch Kowalewski hat in Paris russische Freunde, die bereit sind zu bezeugen, daß man ihnen sogar in der Buchhandlung Lachatre den Verkauf des Werks verweigert hat. Kraft dieser Beweise werde ich Herrn Quest - großer Geizhals, obwohl Millionär - mit gerichtlichen Maßnahmen und mit einer Schadenersatzforderung mit Zinsen drohen können. Erst unter der Wucht ähnlicher Drohungen hat er endlich die letzten 15 Lieferungen drucken lassen. Nach dem französischen Gesetz ist er mir gegenüber nur der Vertreter des Herrn Lachatre, sein Stellvertreter, und er muß alle in meinem Vertrag mit dem letzteren enthaltenen Bedingungen erfüllen. Die „Revue des deux mondes" vom letzten September enthält eine sogenannte Kritik des „Capitals" von Herrn Laveleye. Man muß das gelesen haben, um sich eine Vorstellung von der Idiotie unserer bürgerlichen „Denker" zu machen. Herr L[aveleye] ist dennoch naiv genug einzugestehen,
•'Wahrscheinlich Henri Oriol - 2 siehe vorl. Band, S. 503
daß, die Lehren von Adam Smith oder von Ricardo, oder selbst - horribile dictu - die der Careys und der Bastiats einmal anerkannt, es kein Mittel gibt, den umstürzlerischen Schlußfolgerungen des „Capitals" zu entgehen. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem leading article3 im letzten „Bnepefft!" über den panslawistischen Lyrismus in Rußland.1303' Das ist nicht nur ein Meisterwerk, sondern vor etilem ein Akt großen moralischen Mutes. Ganz der Ihre Karl Marx Wie geht es Smimow?
Aus dem Französischen.
3 Leitartikel
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Marx an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
7. Oktober 1876 41, Maitland Park Road N.W. London
Lieber library, Nach einem Brief, den Du an Engels geschrieben, hattest Du dem Kongreß erklärt, Engels werde den Dühring abhandeln. Statt dessen fand er und zeigte mir gleich bei meiner Ankunft von Karlsbad1481 - zu großer Befremdung - den „Volksstaat"-Bericht, wonach Du erklärt hast, ich (was mir im Traum nicht einfällt) werde mich mit Herrn Dühring auseinandersetzen.13041 Löse mir, o Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur!13051 Engels ist mit der Dühring-Arbeit1211 beschäftigt. Es ist ein großes Opfer seinerseits, da er zu diesem Behuf eine ungleich wichtigere Arbeit1351 unterbrechen muß. Daß Euer Kongreß den Guillaume et Co. die Bruderhand gereicht hat, ist in der Form, worin es geschah, relativ harmlos.13061 Nur muß jedes wirkliche Zusammengehn mit diesen Leuten, die systematisch an der Auflösung der Internationalen gearbeitet haben, unter allen Umständen vermieden werden.1421 Die sehr wenigen Arbeiter, die sie im Jura, Italien und Spanien noch nasführen, mögen for ought I know1 ehrliche Leute sein. Sie selbst sind unverbesserliche Intriganten, die jetzt, wo sie ihre Nullität außerhalb der Internationalen entdeckt haben, durch eine Hintertür sich wieder einschleichen möchten, um die alte Rolle von neuem zu spielen. Uber die Ubersetzung des Buchs von Lissagaray ins Deutsche war ich mit Bracke schon in Unterhandlung vor Eintreffen Deines Antrags2; mit Bracke habe ich abgeschlossen.13071 Es wäre an der Zeit, daß der „Volksstaat" oder vielmehr jetzt der die das „Vorwärts"11141 in der orientalischen Frage endlich den Finger auf den eigentlich faulen Fleck legte.13081 Die „Kölnische Zeitung" sagt in einer ihrer letzten Nummern, man könne das Wort eines berühmten Diplomaten
1 soviel ich weiß - 2 siehe vorl. Band, S. 203-206
14 Man/Engels, Werke. Bd. 34
wiederholen: II n'y a plus d'Europe!3 Früher habe man doch auch von andren Mächte[n] gesprochen, jetzt figuriere nur noch eine Macht - Rußland! Aber woher dies? Die deutschen Blätter, sofern sie nicht ins russische Horn stoßen, machen bald dem Disraeli Vorwürfe, bald beschuldigen sie Andrässy wegen seines schwachsinnigen Wankelmuts. Des Pudels Kern ist jedoch - Bismarcks Politik. Er begann sie während des Deutsch-Französischen Kriegs nach Sedan1141. Er lahmt Ostreich in diesem Augenblick (und relativ selbst England) durch seine offizielle Koketterie mit Rußland; er legt in der Tat den ganzen Kontinent lahm. Der Durchmarsch (nach den neusten Nachrichten) bewaffneter russischer Scharen durch die roumanischen4 Provinzen (unter der Obhut eines Hohenzollern5) läßt in Paris und London jedermann glauben, daß ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen Rußland und Preußen existiert. In der Tat hat Bismarck durch seine Eroberungspolitik in Frankreich Deutschland gegenüber Rußland entwaffnet und es zu der schmählichen Rolle verdammt, die es in diesem Augenblick spielt, et qui est veritablement „la honte de l'Europe"613091. Hier in England ist ein Wendepunkt eingetreten; die Sentimentalitätsfarce, die die Whigs in Szene setzten in ihrem Drang nach Wiedereroberung der Ioaves and fishes of office' und der unter den Arbeitern unter dem Einfluß bürgerlicher Five Pound Notes8 von solchen Kanaillen wie Mottershead, Haies et tutti quanti9 der gehörige Chorus verschafft wurde - ist am Ausspielen; Gladstone hat zum Rückzug geblasen, Lord Russell ditto und nur noch der schamlose Bob Lowe (der australische Exdemagog, der Mensch, der während der letzten Reformbewegung13101 die Arbeiterklasse nach dem Vorgang von Edmund Burke als swinish multitude10 brandmarkte) macht sich lächerlich, indem er vom Autocrat of all the Russias as „the only father of the oppressed"11 spricht. Unter den Londoner Arbeitern haben grade die Weitgehendsten, Entschiedensten ein Protestmeeting gegen die Panslaphilen veranstaltet. Sie begreifen, daß die Arbeiterklasse jedesmal eine Infamie begeht, sobald sie als Chorus der herrschenden Klassen (eines Bright, Gladstone etc.) figuriert. Caeterum censeo12, daß es Deine Pflicht ist, in einem leading article13 die Jämmerlichkeit selbst der sich antirussisch
8 Es gibt kein Europa mehr! - 4 rumänischen - 6 Carol I. - 6 und die wirklich „die Schande Europas" ist - ' einträglichen Kabinettsposten - 8 Fünfpfundnoten - 9 und wie sie alle heißen -10 Sauhaufen -11 Herrscher aller Reußen als „dem einzigen Vater der Unterdrückten" 12 Übrigens bin ich der Meinung -18 Leitartikel
gebärdenden deutsch-preußischen Bourgeoispresse aufzudecken, die sich höchstens kritische Freiheiten gegen auswärtige Minister erlaubt, aber über ihren eignen Bismarck devotest das Maul hält. Besten Gruß an Deine Familie. Dein Mohr
Apropos. Der Lumpacius von Antwerpen, den Guillaume et Co. durch Intrige unter den unwissenden holländischen Arbeitern dem Haager Kongreß12881 als provisorischen Präsidenten oktroyierte - ein gewisser van den Abeele ist jetzt von den seinigen selbst enthüllt worden als Agent der französischen Regierung und demgemäß aus den noch in Belgien vegetierenden Sektionen der Internationalen herausgeschmissen worden. Dies, nachdem ein andrer dieser Clique, Herr Bastelica, in Straßburg sich selbst offen als bonapartistischen Agenten enthüllt hat! Eine erzgroteske Rolle in der orientalischen Wirre spielt der „ungetaufte Kreuzritter" der „Frankfurter Zeitung".13111
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Marx an Leo Frankel \ in Budapest13121
[London] 1876, Okt. 13. 41, Maitland Park Crescent, N.W.
Lieber Frankel, Deinen langen Brief13131, für den ich Dir sehr verbunden bin, konnte ich darum nicht beantworten, weil ich mir über Deine Lage nicht im klaren war, das heißt nicht wußte, ob ein etwa abgefangener Brief von mir, so harmlos auch sein Inhalt sein mag, Dir nicht schaden könnte. Sei doch so gut und gib mir, wenn möglich, über folgendes Aufschluß: Wie ist das Verhältnis von bestelltem Flachland und Gebirge (letzteres eventuell als Weide genutzt)? Du tust sehr recht daran, an der Redaktion der Arbeiterzeitung1 teilzunehmen. Was den sogenannten Schweizer internationalen Kongreß betrifft, so ist das ein Werk der Allianzisten Guillaume und Konsorten.1421 Da sie wissen, daß sie selbst absolut nichts wert sind, erachten sie es für notwendig, unter der Fahne der „Vereinigung" wieder die Bühne der Öffentlichkeit zu betreten, was sie allein nicht tun könnten. Ihr Plan wurde unterstützt von den Malons, Pindys und sonstigen Arnoulds, die, erschrocken darüber, daß die Arbeiter in Paris ohne sie „vorgehen", darauf aus sind, als patentierte Arbeitervertreter sich bei den Leuten wieder in Erinnerung zu bringen. Andererseits hat die Gruppe Guillaume Bebel listig umgarnt, während dieser sich in der Schweiz aufhielt. Das Übel ist jedoch nur gering. Der Gothaer Kongreß ernannte keinen offiziellen Vertreter für den Schweizer Kongreß, sondern begnügte sich mit allgemeinen Phrasen über die Gemeinsamkeit der Arbeiterinteressen.13061 Unterdessen sandte ich eine Warnung nach Leipzig2, und wenn einer von ihnen als Privatmann zum Kongreß fährt, wird er sich zu den Schmeicheleien der alten Verschwörer gegen die Internationale ablehnend verhalten. Wie Du als altes Mitglied des Generalrats und des Haager Kongresses1288.1 vorgegangen bist13141, versteht
1 „Arbeiter-Wochen-Chronik" — 2 siehe vorl. Band, S. 209
sich völlig von selbst. Du darfst dem Versöhnungsrausch, in dem die anständigen Narren von den intriganten Schurken immer betrogen werden, nicht die geringste Konzession machen. Das Buch Lissagarays ist soeben in Druck gegangen; er ist jetzt mit der Korrektur der ersten Bogen beschäftigt. Die Halunken, sogenannte Arbeiterführer (Engländer), welche ich auf dem Haager Kongreß entlarvt hatte13151, haben im russisch-bulgarischen Greuelfeldzug1571 von den großen Führern Gladstone, Bright, Robert Lowe (der Mann, der während der letzten Reformagitation13101 die Arbeiterklasse einen Sauhaufen genannt hatte), Fawcett und andern eine beträchtliche Summe Fünfpfundnoten erhalten. Doch gehen diese Machenschaften einem schlimmen Ende entgegen. Diese Arbeiterführer, Mottershead usw., sind dieselben Hunde, mit denen es unmöglich war, eine Versammlung gegen die Henker der Kommune zustande zu bringen. Ich schicke Dir die letzte Nummer der „Diplomatie Review". Trotz der Narrheiten Urquharts, die hier ihren Abladeplatz finden, enthält die Zeitschrift gewichtige Tatsachen über die bulgarische Greuelepidemie, mit der Rußland das ganze christlich-liberale Europa zum Narren hielt. Ich teile Dir aus zuverlässigster Quelle mit - und es wäre gut, diese Tatsache in ungarischen Blättern zu veröffentlichen —, daß die russische Regierung die in gewissen Zeitabschnitten zu entrichtenden Zinszahltmgen an die russischen Eisenbahnen seit Monaten suspendiert hat, doch ganz im geheimen; jede Direktion bekam einzeln eine Privatmitteilung mit dem Befehl, das Maul zu halten (und wir wissen, was das in Rußland heißt). Trotz alledem ist die Nachricht über diesen Fakt nicht nur zu mir gelangt, sondern auch zur Reuter sehen Telegraphenagentur (dem größten Mitglied der Dreifaltigkeit europäischer Telegraphenagenturen Reuter-Havas-Wolff), doch hat der brave Mann diese Nachricht auf besonderen Wunsch der Londoner russischen Botschaft verschwiegen. Das ist auf jeden Fall eine erbauliche Erscheinung der russischen Geldverlegenheit. Wenn der englische Bourgeois das zu spüren bekommt, so wird er wieder zum Türkenfreund, denn weis die Türken England schulden, ist nichts im Vergleich zu den russischen Schulden. Die ganze Familie grüßt Dich herzlich. ^ . n K. M.
Nach: Nepszava, Budapest, Nr. 142, vom 17. Juni 1906. Aus dem Ungarischen.
62
Engels an Ernst Dronke in Waterloo131®1 (Notiz)
[London, 15. Oktober 1876]
Liverpool 13. Okt. 76. E. Dronke. Antwort 15. Okt., daß ich an E.B[lank] geschrieben.
63
Engels an Emil Blank in LeutesdorP171 (Abschrift)
[London] 16/10/76
An E.B[lank] Wenn Du also, gegen Deponierung der policy bei Dir, dem Dr[onke] den Kredit von £ 150 eröffnen wolltest, so wäre ich gern bereit, Dir diese Summe, sobald es gewünscht wird, durch Herrn[ann]1 auszahlen zu lassen und auch alle etwaigen Kosten zu tragen, die aus der Transaktion entstehn. Sobald Dr[onke] das Geld zurückzahlt, könntest Du es mir in beliebiger Weise übermachen und ihm die policy zurückschicken.
1 Hermann Engels
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Engels an Ernst Dronke in Waterloo'3181 (Abschrift)
[London] 20/10/76
An Drfanke] Mein Schwager Bl[ank] schreibt mir, daß er es überhaupt und definitiv ablehnt, auf eine Transaktion wie die von Dir vorgeschlagne einzugehn. Auch habe er seit 3 Jahren mit Honsberg] Ffischer] & Co. gänzlich gebrochen, was in der Tat der Fall ist. Es tut mir leid, daß aus der Sache nichts geworden ist, da ich Dir gern dabei, soweit es in meinen Kräften steht, behülflich gewesen wäre.
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Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover
122, Regent's Park Road N.W. London, 20.Okt.76
Lieber Kugelmann, Du kannst dem Herrn Caro die positivste Versicherung geben, daß außer Annoncen von Familienereignissen in früherer Zeit, und persönlichen, mit seinem Namen unterschriebenen Erklärungen in der Vogtaffäre etc.13191, Marx nie eine Zeile in die Augsburger „Allgemeine] Zeitung" geschrieben hat'3201, und wenn die Herren in Breslau das besser wissen, so können wir nur darüber lachen. Wir kennen den Herrn Caro auch nicht dem Namen nach, seine Freundschaft mit Gortschakow läßt aber annehmen, daß er von Rußland ziemlich wenig weiß, denn mit Leuten, die über diesen Punkt zu gut unterrichtet sind, würde G[ortschakow] nicht auf diesem Fuß verkehren. Hoffentlich springt dann auch bald der noch fehlende Orden in das ihn ersehnende Knopfloch. Ich schreibe jetzt für den die das „Vorwärts" in Leipzig eine Arbeit über Herrn Dühring.'211 Dazu brauche ich die Kritik des „Kapitals", die Du im März 1868 an M[arx] schicktest und die D[ühring], wenn ich mich nicht irre, in einer in Hildburghausen erscheinenden Zeitschrift veröffentlichte. M[arx] kann das Ding platterdings nicht finden. Da Du in allen Angelegenheiten sehr gewissenhaft verfährst, so vermute ich, daß Du unter Deinen Notizen aus jener Zeit vielleicht auch etwas hierüber hast, etwa den Namen der Zeitschrift und die Nr. des Hefts, worin das Ding erschien.'3211 Könntest Du mir dies mitteilen, so würde ich das Heft bestellen und in wenigen Tagen hier haben. Kannst Du das aber nicht, so schreibe unter keinen Umständen an Dühring deswegen, da die geringste, auch indirekte Berührung mit dem Mann und mehr noch der allergeringste von ihm erwiesene Dienst mir die Freiheit der Kritik lähmen würde in einer Sache, wo ich sie in vollstem Maß mir wahren muß. Der II.Band12091 wird in einigen Tagen wieder in Angriff genommen werden. Wenn man übrigens alle Torheiten, die in Gelehrtenkreisen über
M[arx] zirkulieren, berichtigen wollte, so hätte man viel zu tun. So erzählte gestern ein Russe, ein russischer Professor behauptete steif und fest, M[arx] studiere jetzt nur noch Russica, und zwar weil er fest überzeugt sei que la commune russe ferait le tour du monde1! Der Krieg im Orient wird nun wohl bald losgehn.1861 Die Russen haben nie unter so günstigen diplomatischen Bedingungen losschlagen können wie grade jetzt. Dagegen sind die militärischen Bedingungen weniger günstig als 1828, und die finanziellen für Rußland sehr ungünstig, indem ihm kein Mensch pumpt. Ich lese eben wieder Moltkes Geschichte des Kriegs 1828/29 durch, ein sehr gutes Buch, obwohl der Mann in Politicis nicht frei sprechen durfte. Dank für den Schäffle-Artikel.13221 Dein F. Engels
1 daß die russische Obschtschina den Weg um die Welt machen werde
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Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 2I.Oktober 1876
Mein lieber Freund, Einliegend ein Ausschnitt aus der „Pall Mall Gazette"; dieser Auszug aus Ihrem leader1 (in Nr. 42 des „Bnepefli.!"2) ist schlecht übersetzt, obgleich Sir etc. Rawlinson ihn gemacht hat. Kowalewski hatte mich darüber informiert und mir die Sache auch geschickt. Er bat mich, ihm die Nr. 42 Ihrer Zeitung zu leihen, aber selbst das schönste Mädchen Frankreichs kann nur das geben, was es hat. Ich hatte sie schon Utin (Lüttich) geschickt. Kowalewski hat mir auch mitgeteilt - Sie können in Ihrer Zeitung davon Gebrauch machen'3231 daß eine erbärmliche russische Clique, die sich anmaßt, die literarische Spitze Rußlands darzustellen, und die in diesem Sinne ihr Unternehmen Rawlinson und anderen hohen englischen Persönlichkeiten angekündigt hat, beabsichtige, in London eine Zeitschrift herauszugeben, um die Engländer über die wirkliche politisch-soziale Bewegung in Rußland zu informieren. Chefredakteur soll Golochwastow sein nebst anderen Mitarbeitern des schmutzigen Blattes „ F paiK^aHUHT."3 und, wie man sagt, Fürst Meschtscherski. Die russische Regierung hat bereits das Signal ihrer Zahlungsunfähigkeit gegeben, indem sie die Bank von Petersburg erklären ließ, ausländische Wechsel würden nicht mehr gegen Gold (resp. Silber) eingelöst. Darauf war ich gefaßt, was aber zu weit geht, ist die Tatsache, daß diese Regierung, bevor sie diese „unangenehme" Maßnahme traf, wieder die Dummheit begangen und den Versuch gemacht hat, zwei oder drei Wochen lang den Wechselkurs an der Londoner Börse künstlich aufrechtzuerhalten. Das hat sie fast zwanzig Millionen Rubel gekostet; ebensogut hätte sie dieses Geld in die Thames4 werfen können. Diese absurde Operation - die künstliche Aufrechterhaltung des Wechselkurses auf Kosten der Regierung - gehört dem achtzehnten Jahrhundert an. Heute können sich nur noch die russischen Finanzalchimisten auf so
1 Leitartikel (siehe vorl.Band, S. 208) - 2 „Wperjod!" - 3 „Grashdanin" - 4 Themse
etwas einlassen. Seit dem Tode von Nikolaus haben diese grotesken, sich periodisch wiederholenden Manipulationen Rußland mindestens 120 Millionen Rubel gekostet. So etwas kann nur eine Regierung tun, die allen Ernstes noch an die Allmacht des Staates glaubt. Die anderen Regierungen wissen wenigstens, daß „Geld keinen Herrn hat". Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
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Engels an Ernst Dronke in Waterloo13241 (Entwurf)
[London] 1. Nov. 76
Lieber Dfronke], Was ich Dir beute schreibe, war ich vorigen Freitag auf dem Punkt Dir zu sagen, als Du jede Intervention meinerseits kategorisch ablehntest. Ich bin nicht in der Lage, eine Summe von £ 150, noch weniger £ 200 zu verlieren, also auch nicht, sie aufs Spiel zu setzen. Wäre ich noch im Geschäft13251, wo ein etwaiger Verlust sich mit der Zeit wieder ersetzt, so wäre das etwas andres. Selbst wenn ich mit Götz, den ich kaum von Ansehn kenne, anders stände, und wenn nicht die ganze Transaktion dadurch für mich sehr fatal würde, daß sie nicht ohne Kyllmanns, also Dr. Borch[ar]dts, Vorwissen gemacht werden kann, würde ich also eine solche Garantie, wie Du sie wünschest, keinesfalls übernehmen können. Selbst wenn ich noch im Geschäft wäre, könnte ich selbstredend nicht daran denken, aus alter Freundschaft auf die Karte einer mir ganz unbekannten Geschäftslage so ohne weiteres eine Summe von £ 150 zu setzen. Aber ich könnte doch weitergehn als jetzt, wo ich einen derartigen Verlust nicht mehr einfach ans Bein binden kann. Andrerseits möchte ich Dir gern helfen, sobald es sich nur darum handelt, Dir ohne solches Risiko meinerseits für einige Zeit disponible fonds zu verschaffen. Meinem Schwager1 hattest Du eine Policy von £ 300 als kollaterale Sicherheit angeboten. Ich offerierte ihm, wenn er auf Deinen Vorschlag eingehn wollte, ihm die £ 150 zu zahlen, im Fall Du sie nach den 6 Monaten nicht zahltest.2 Ich konnte bis dahin das Geld flüssig machen, was ich augenblicklich nicht konnte, und er hielt dann die Policy als Sicherheit für mich. Aber er lehnte es überhaupt ab, auf die Sache einzugehn. Hättest Du mir damals gleich dieselbe Offerte gemacht wie meinem Schwager, so wäre ich zwar nicht imstande gewesen, Dir sofort die £ 150 vorzuschießen, doch würde sich schon etwas haben arrangieren lassen. Nun ist mir aber ein amerikanischer 5/20 Bonus bei der letzten Ziehung herausgekommen, und
1 Emil Blank - 2 siehe vorl. Band, S. 215
ich bin dadurch in den Stand gesetzt, über £ 150 disponieren zu können, und sie stehn zu Deiner Verfügung auf 6 Monate, wenn Du mir die Policy als Sicherheit gibst. Bei mir liegt sie jedenfalls ebenso sicher, wo nicht sicherer als bei einem andern. Ich habe Dir ganz offen gesagt, wie ich die Sache ansehe und wie weit ich gehn kann. Vielleicht hast Du andre Vorschläge zu machen, und in dem Fall werde ich sie gern in Erwägung ziehn. Nur noch dies: Laß uns, was abgemacht wird, direkt unter uns, ohne Dritte, ohne Garantieleistung etc. abmachen, das ist viel einfacher.
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Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
London, 6. Nov. 76
Lieber Bracke, Ich habe die Übersetzung von Grunzig1 - ersten Bogen - aufs gewissenhafteste mit dem Original verglichen13071 und teile ihm eben mit, daß ich seine Dienste nicht akzeptieren kann1401. In der Tat, die Verbesserung (hie und da zu verbessern, wird wohl bei jedem Übersetzer nötig sein) würde mir mehr Zeit2 kosten, als wenn ich von vorn bis hinten selbst übersetzte. Dazu habe ich aber nicht die Zeit. Ich kann nicht noch einmal das schmerzliche Experiment durchmachen, das ich bei der französischen Übersetzung des „Kapitals"12061 bestanden habe. Kokosky würde ich gern nehmen, aber es fehlt ihm durchaus die Leichtigkeit und Gewandtheit, die grade zur Übertragung dieses Buchs nötig ist. Ich habe bereits an einer andern Stelle angebohrt13261, wo ich aber zweifle, daß man die Zeit hat; unterdes täten Sie wohl, wenn möglich, sich nach einem professionellen Übersetzer in Leipzig umzusehn. Da es sich hier nicht nur um eine Schrift für das Arbeiterpublikum handelt, wäre es töricht, den Übersetzer grade innerhalb der Partei, die nicht reich an literarischen Kräften, suchen zu gehn, d. h. 'von vornherein von dem Grundsatz auszugehn, daß der Übersetzer ein Parteimann sein muß. Soviel ich höre, hat B.Becker einen Buchhändler in der Schweiz gefunden.3 , ihr ergebenster ^ J^J
Der Versöhmmgskpngreß in Bern - Engels und ich schrieben es Liebknecht sofort4, als wir von dem Vorsatz der Deutschen hörten, ihn beschicken zu wollen13061 - ist und war von vornherein nichts als eine bakunistische Intrige.1421 Vor einigen Tagen ging uns überdem der Beweis davon aus Portugal zu.5 Später mehr.
1 Siehe vorl. Band, S. 203/204,206 - 2 in der Handschrift: mehr mehr Zeit - 3 siehe vorl. Band,. S. 205/206 -1 siehe vorl. Band, S. 209 - 5 siehe vörl. Band, S. 226/227
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Engels an Ernst Dronke in Waterloo13271 (Entwurf)
[London] 13/11/76
Lieber Dr[onke], Da auf die Police bis jetzt nur 5 Einzahlungen ä £ 14 = £ 70 gemacht und es doch möglich wäre, daß Du über das Geld inzwischen anderweitig zu verfügen genötigt wärst und es am 21. er. nicht flottmachen könntest, ich auch mehr als das Doppelte der eingezahlten Summe auf die Police vorschieße, so wirst Du es mir nachsehn, wenn ich vorziehe, die Abzahlung hier selbst zu machen, und erwarte Deine Anzeige, wann. Um Dir andrerseits möglichst entgegenzukommen, will ich die Dir hier gepumpten £ 10 nicht auf die £ 150 anrechnen, so daß ich Dir im ganzen £ 160 vorschieße, und zwar zu 5%, rückzahlbar 1. Mai 77. Du hast hier erhalten £ 10 £ 160
Ich habe einen so schauderhaften Bronchialkatarrh, daß ich zu Hausarrest in Schlafrock und Pantoffeln und teetatalism1 verdammt bin, also keine Banknoten holen kann.
Life Association of Scotland 5 Lombardst. E.C. Due 21 Nov. at latest.2
1 Enthaltsamkeit - 2 Fällig spätestens am 21. Nov.
Cheque 10/11/76 An Drake & Son Einzahlung auf Police
„ 10 „60 „ 14 94 hierbei Cheque für Rest £ 66
70
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] 20. Nov. 1876
Lieber Bracke, Einliegend für Mlle. Isolde Kurz den ersten französischen Bogen zur Probeübersetzung; mit letzterer ist mir gleichzeitig das französische Original rückzusenden (zur Vergleichung).13071 Lissagaray meint - da sein Buch bis Anfang Januar veröffentlicht sein werde, während die Übersetzungsschwierigkeiten Aufschub veranlassen wäre es am Ende jetzt besser, die deutsche Ausgabe in Lieferungen erscheinen zu lassen. Einliegend auch des großen Guillaume missive1.13281 Was mich namentlich daran amüsiert, ist - „que pensent les socialistes de langue frangaise"2. Diese socialistes „de langue fran^aise" sind natürlich erschöpfend verkörpert in den Brüdern Reclus (geheime Mitstifter der Allianz13291, sonst aber unbekannt mit Bezug auf sozialistische Arbeiten) und De Paepe, der von Haus aus Holländer, im übrigen aber Belgier ist. Ich hoffe, daß Sie es bei den Wahlen davontragen werden; eine solche Bauerndemonstration wäre bedeutend.13301 Ihr K.M.
1 Sendschreiben - 2 „was die Sozialisten französischer Sprache denken"
15 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
71
Engels an Johann Philipp Becker in Genf
122, Regent's Park Road, N.W. London, 20. Nov. 1876
Lieber Becker, Wir haben Euer an die Sektion Zürich gerichtetes Zirkulär1661 seinerzeit erhalten und sind auch der Ansicht, daß es zeitgemäß ist, den Ansprüchen der Bakunisten, auf eigne Faust Internationale zu spielen1421, entgegenzutreten. Ob es möglich ist, eine Reorganisation auf der von Euch vorgeschlagnen Basis der Föderation der großen organisierten nationalen Körperschaften zu begründen, scheint mir sehr zweifelhaft, da die Gesetzgebung der meisten Länder solchen Assoziationen verbietet, mit ausländischen Assoziationen zu korrespondieren, geschweige sich zu verbünden. Doch das ist Nebensache und ließe sich leicht umgehen oder ändern, sobald man einmal überzeugt ist, daß das Bestehen jeder einzelnen dieser großen Organisationen wichtiger ist als ihr formeller Beitritt zu einer internationalen Gesellschaft. Ohnehin werdet Ihr bei den Deutschen auf dieselbe platonische Kühle stoßen, die sie, als Partei, der alten Internationale gegenüber stets bewiesen. Der Hauptzweck meines heutigen Briefs ist, Dir ein neues Gebiet der Tätigkeit in dieser Beziehung zu eröffnen. Die Portugiesen, mit denen ich noch in Korrespondenz stehe und die sehr gut organisiert sind, beklagen sich sehr über die Vernachlässigung, die sie von unsern Freunden erfahren. Die deutschen Schweizer, Deutschen, Östreicher, Amerikaner etc. hätten ihnen nicht nur nie Mitteilungen gemacht, sondern auch nicht einmal auf ihre Briefe geantwortet. Dahingegen sie von Seiten der Jurassier, bakunistischen Spanier, Italiener und Belgier fortwährend Zusendungen, Einladungen zu Kongressen. Glückwunschschreiben etc. haufenweise erhielten, so daß bei den portugiesischen Arbeitern diese letzteren als die einzigen gälten, die noch für die Internationale und für die portugiesische Bewegung sich interessierten. Du begreifst, daß es sehr brave Kerle sein müssen, die sich dennoch nicht irremachen lassen, und daß dies der Fall, zeigt Dir folgender Brief, den sie an den Berner Bakunisten-Kongreß geschickt haben:
„Wir sind von der Föderation von Cädiz aufgefordert worden, am Berner Kongreß uns vertreten zu lassen, und haben seitdem im .Bulletin jurassien' das Zirkular gelesen, das diesen Kongreß beruft und seine Tagesordnung feststellt. Da sie diese Einladung erst sehr spät erhalten, können die portugiesischen Sozialisten keine Delegierten schicken; dennoch hat ihr Föderalrat beschlossen, Euch die Versicherung zu geben, daß wir moralisch solidarisch sind mit den sozialistischen Arbeitern der ganzen Welt, und daß wir diese Solidarität nie in Frage gestellt haben, noch sie je werden in Frage stellen lassen; und demnach scheint uns der ausdrückliche Solidaritätsvertrag, über den Ihr beschließen wollt, eine sehr wohl erläßliche Formalität. Indem wir der Einigung aller Proletarier unsre heißesten Wünsche darbringen, grüßen wir Euch brüderlich. Es lebe die Internationale Arbeiterassoziation!" Ich schreibe nun den Leuten über Euren Plan, schicke auch eins Eurer Zirkulare ein, obwohl es fraglich, ob sie Deutsch lesen können. Du wirst aber gut tun, sofort mit ihnen in Verbindung zu treten, Du kannst ihnen französisch schreiben; falls sie portugiesisch antworten, kann ich Dir die Antwort übersetzen. Obigen Brief kannst Du in der „Tagwacht" drucken lassen, ebenso die Tatsache, daß sie am 5. Januar und folgende Tage einen Kongreß in Lissabon abhalten und ein neues Parteiprogramm zur Verhandlung bringen werden13311. Die Adresse ist E.C.Azedo Gnecco Rua do Bemformoso 110, 2° Lisbonne, Portugal.
Dort erscheint ihr Blatt: „0 Protesto", das schon über ein Jahr alt ist. Ich will hoffen, daß Ihr etwas Ordentliches zustande bringt, und wenn wir Euch mit Adressen etc. an die Hand gehen können, so geschieht's gerne. Nur mit Arbeiten müßt Ihr uns verschonen. Wir beide, M[arx] und ich, haben ganz bestimmte wissenschaftliche Arbeiten zu leisten, die, soviel wir bis jetzt sehn, kein andrer machen kann oder auch nur will, und wir müssen die gegenwärtige ruhige Weltperiode dazu benutzen, sie fertigzumachen. Wer weiß, wie bald irgendein Ereignis uns dennoch wieder in die praktische Bewegung schleudert; um so mehr müssen wir das bißchen Muße benutzen, um die ebenso wichtige theoretische Seite ein Stückchen weiterzubringen.
Apropos. Für die von M[arx] und mir bestellten 12 Ex. „Stunden der And[acht]" 13321 baben wir durch Frankel 12 Lieferungen bezahlt, hätten also noch 3x12 Lieferungen ä 25 cts. = 9 Fr. zu zahlen, ist das recht, so laß mich's wissen, und ich schicke Dir Postanweisung. Nächstens erscheint von mir im „Vorwärts" Kritik von Dühring. Sie haben mich schrecklich genotzüchtigt, bis ich diese unangenehme Arbeit übernommen1211 - unangenehm, weil der Mann blind ist, also die Waffen nicht gleich sind, und dennoch die kolossale Arroganz des Mannes mir verbietet, darauf Rücksicht zu nehmen. Dein F. Engels
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Engels an Gustav Rasch in Wien13331 (Entwurf)
T . . TT ,, [London, Ende November 1876] Lieber Herr K[aschJ, Der P.P.Schaible muß immer in den Riß treten für Blind, wo dieser selbst sieb unmöglich gemacht.13341 So in der 1859er Geschichte. Blind hatte in London ein anonymes Flugblatt (Ende Mai oder Anfang Juni 1859) drucken lassen: „Zur Warnung", worin Karl Vogt der Bestechung durch bonapartistische Gelder angeklagt und als bonapartistischer Preßagent in Deutschland denunziert wurde. Um Verbreitung wurde gebeten. Dies Blatt gedruckt in der Druckerei von F. Hollinger in London, wurde in dem in derselben Druckerei gedruckten deutschen Blatt „Das Volk" von dem noch stehenden Originalsatz abgedruckt. Liebknecht sah in dieser Druckerei den Korrekturabzug mit Korrekturen in Blinds Handschrift und sandte das Flugblatt der Augsburger „Allgemeinen] Z[ei]t[un]g", die es im Juni abdruckte. Darauf verklagte Vogt die Augsburger „ A. Z." wegen Verleumdung, diese verlangte Beweise von Liebkn[echt], dieser wandte sich an Bl[ind], und dieser erklärte, er habe an der Sache gar keinen Anteil. Vogt1 drehte nun die Sache so, als sei Marx, der hinter Liebk[necht] stehe, der Urheber des Flugblatts. Es entstand nun eine Polemik zwischen M[arx] und Bl[ind] in der Augsburger „A.Z." - M[arx] wies durch eidliche Aussagen (affidavits) des Setzers Vögele, also durch gerichtliche Dokumente nach, daß dieser und Hollinger2 das Flugblatt gesetzt, welches in Blinds Handschrift geschrieben gewesen sei. Blind beredete Hollinger zu der falschen Erklärung: das Flugblatt sei nicht bei ihm gedruckt und auch Blind nicht der Urheber; beredete ferner mit Hollinger den Setzer Wiehe zu der ebenfalls falschen Erklärung, er habe seit 11 Monaten bei Hollinger gearbeitet und könne dessen Aussagen bestätigen. Gestützt hierauf erklärte Blind die Behauptung, er sei der Verfasser, für eine platte Unwahrheit. Die Augsburger „ A.Ztg." schloß hiermit die Polemik.13351 M[arx] antwortete durch ein gedrucktes Zirkular in englischer Sprache3, worin er obige Aussagen Blinds und seinerZeugen für eine 1 In der Handschrift gestrichen: gewann dadurch seinen Prozeß in der Handschrift: dieser er und Hollinger - 3 „Der Prozeß gegen die Augsburger .Allgemeine Zeitung'"
deliberate lie (Lüge mit Vorbedacht) und Blind selbst für a deliberate liar (absichtlichen Lügner) erklärte (London, 4. Febr. 1860). Blind schwieg. Aber am 8. Febr. 1860 erklärte der Setzer Wiehe, im Gegensatz zu der früheren Erklärung, an Eides Statt vor dem Friedensrichter zu Bow Street: 1. er sei nicht 11 Monate bei Hollinger beschäftigt gewesen, 2. er habe nicht bei Holl[inger] gearbeitet, als das Flugblatt „Zur Warnung" erschien, 3. er habe damals von Vögele gehört, daß dieser und Hollinger das betr. Flugblatt zusammen setzten und daß das Manuskript in Blinds Handschrift war, 4. er selbst habe später den noch stehenden Satz für den Abdruck im „Volk" umgebrochen, 5. und gesehn, wie Hollinger den von Bl[in]ds Hand korrigierten Korrekturabzug an Liebkn[echt] gegeben und gehört, daß H[ollinger] gleich darauf sein Bedauern aussprach, dies getan zu haben. 6. Die frühere Erklärung habe er auf Hollingers und Blinds Zudringen unterschrieben. Hollinger habe ihm Geld versprochen und Blind, er werde sich dankbar zeigen. M[arx] ließ diese Dokumente abschriftlich in verschiedenen Kreisen zirkulieren, und das zog. Am 15. Febr. erschien Schaibles Erklärung im „D[aily] Telegraph]" (Abschrift)13361, Sch[aible] schickte sie an M[arx], der ihm antwortete'401, dies ändre nichts, weder an Blinds Erschleichung falscher Zeugnisse, noch an Blinds krimineller Verabredung, Conspiracy mit Hollinger zur Erschleichung von Wiehes Unterschrift für das geschmiedete falsche Schriftstück. Wie damals, auch jetzt: Schaible hilf! Dies die Tatsache. Weiter weiß ich von dem unglücklichen Subjekt nichts. Noch eins. Wenn Sie mir je wieder die Ehre tun sollten, von unsrem Zusammensein in London zu sprechen, so möchte ich bitten, mich nicht wieder von Dingen sprechen zu lassen, von denen zwischen uns nicht die Rede war. Von der Selbstbestimmung des Menschen hätte ich nur sagen können, daß ich sie in dieser allgemeinen Fassung für Unsinn halte. Von Autonomie der Völker sprach ich höchstens insofern, als ich den Südslawen das Recht absprach, sich unter diesem Vorwande zu russischen Eroberungsplänen herzugeben, wie ich auch den Serben jetzt die erhaltnen Prügel1431 herzlich gönne; von sozialer Republik und von den Hingerichteten in Baden aber war meines Wissens überhaupt nicht die Rede. Auch verdanken Sie es nur ganz zufälligen Umständen, daß M[arx] nicht infolge Ihres Artikels
erklärte, er habe Sie gar nicht gesehn und also diese Unterhaltungen gar nicht führen können.'3371 Ich konnte nicht früher antworten, da mein Ex. von Marx' „Herr Vogt", wo das Obige S.55 und folgende zu lesen'3381, verpumpt war und ich es erst gestern zurückerhielt. Freundlichen Gruß. Ihr F.E.
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Engels an Philipp Pauli in Rheinau
London, 16. Dez. 76
Lieber Pauli, Gestern habe ich per Continental Parcels Express und des weiteren per Deutsche Reichsfahrpost eine Kiste franko an Dich abgeschickt, adressiert: Herrn Dr. Pauli, Mannheim (chemische Fabrik Rheinau), Germany, enthaltend einen Plumpudding für Deine Frau, einen Korinthenkuchen, den meine Frau1 für Dich gebacken hat, ein Buch, ein Kästchen mit Schnupftüchern und ein kleines Tintenfaß für Pumps. Da die Kiste nicht mehr hielt, waren wir gezwungen, ein neues Kleid für sie in die Kiste mit dem Pudding für Schupps zu tun; es ist ein Leidwesen mit diesen Kisten, man muß sie eben nehmen, wie man sie findet, es sind deutsche Spielwarenkisten. Falls das Kistel bis spätestens Mittwoch nicht eingesprungen, tust Du gut, in Mannheim auf dem Fahrpostamt Nachforschungen anzustellen, die Post ist dafür verantwortlich, sie und die Continental Parcels Express sind Agenten eins für das andere. Indes hoffe ich, daß alles richtig ankommt, da wir dieSachen so früh aufgegeben, daß sie vor dem von der Reichspost eingestandenermaßen nicht zu bewältigenden Weihnachtstrubel ankommen sollten. Deine beiden Briefe habe ich erhalten und danke Dir nachträglich wegen Auskunft über Schmidt. Von Frankfurt ähnliche Nachricht: der Sonnemann, auf den er sich bezog, kennt ihn ebenfalls nicht - einer der Redakteure der „F[rank]f[urte]r Z[ei]t[un]g" aber kennt ihn als „Majestätsbeleidiger von Profession" und dito Märtyrer mit Vorbedacht, der dann nachher „auch auf sein Martyrium wohl ein bißchen schnorrt"13391 (norddeutscher Ausdruck für Betteln). Er schrieb mir noch einmal, worauf ich ihn auf die mir gegebnen falschen Referenzen aufmerksam machte1401, und seitdem hab* ich von dem Elefanten auf Krücken nichts mehr gehört. Ich will sehn, daß ich Dir die Artikel in der einen oder der andern Form zuschicke, sobald mehrere erschienen sind.1211 Nachher erscheinen sie im Separatabdruck, und den erhältst Du natürlich auch.
1 Lizzy Burns
Meine Frau ist seit 4-5 Tagen ganz ohne alle erkennbare Ursache bedeutend besser geworden, es ist fast wunderbar, was für Sachen man in der Art bei Frauenzimmern zwischen 40 und 50 erlebt. Ich will nur hoffen, daß es vorhält. In dem Kistchen ist auch etwas Weihnachts-Immergrün, ilex, mit den sakramentalen roten Beeren, um ihn auf den Pudding zu stecken, wenn er aufgetragen wird. Dieser ilex liegt ganz oben, damit die Zöllner sich die Finger darin verstechen. Und nun beste Grüße von meiner Frau und mir an Euch alle und vergnügte Feiertage! Dein F. Engels
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Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
London, 18. Dez. 1876
Lieber Hermann, Deine beiden Briefe vom 14. und 17.11. habe ich richtig erhalten, die Buchungen konform gemacht und den Rechnungsauszug richtig gefunden, bis auf einen mir bisher nicht angegebnen Posten, Zahlung an Emil Blank, Jan. 24., 76, M. 90,68. Ich vermute, dies wird der Betrag der Spesen auf verschiedne, durch seine hiesige Firma an mich gegangene1 Weinsendungen sein, die ich ihm schuldete, und dann hat auch dies seine Richtigkeit. Der indische Zettel inl. zurück, die Buchstaben sind stark entstellte devanagari oder Sanskritbuchstaben, weswegen ich nur ein Wort lesen konnte, es ist eine Art Schreibschrih, und ich kenne nur die Druckschrift. Es wird ein Dialekt des mittleren Indiens sein, da man im Norden meist mit arabischen Buchstaben schreibt. Ich habe zwar wieder £ 600 neue Gasaktien Pari zugeteilt bekommen (wobei ich ca. 60-70% profitiere), aber dagegen sind mir bei der letzten Ziehung diverse Amerikaner herausgekommen, so daß ich augenblicklich außer meinen Zinsen kein Geld brauche. Da aber meine Gascompagnien alle im Lauf des Jahrs neue Aktien oder Obligationen ausgeben werden, so ist es mir sehr angenehm zu wissen, daß ich jeden Augenblick eine £ 3-500 bei Euch haben kann; denn manchmal soll der ganze Betrag gleich eingezahlt werden, und da heißt's rasch Geld schaffen. Besten Dank für die Auskunft wegen Schaafhausen], Ich hatte mir wohl gedacht, daß die mir zugekommenen Gerüchte übertrieben waren, indes konnte der Austritt von Mevissen aus der Direktion doch ein Zeichen sein, daß die Ratten anfingen, das Schiff zu verlassen. Daß es bald Krieg gibt, glaube ich sicher.'861 Die Russen haben sich so tief hineingeritten, daß sie nicht mehr zurückkönnen, und die Türken werden sich selbstverständlich jedem Einmarsch in ihr Gebiet widersetzen. England wird unter allen Umständen Konstantinopel und die Meerengen schützen, so
1 In der Handschrift: gegangenen
weit sind wir aber noch lange nicht, ich bin überzeugt, die Türken werden mit den Russen am besten fertig, wenn man sie allein gewähren läßt. Die Stellung zwischen Donau und Balkan ist eine der stärksten in Europa, und solange keine Eisenbahnen und Chausseen dort gebaut werden, ist die Stärke der dort verwendbaren und ernährbaren russischen Armee auf ein gewisses Maximum, 100-150000Mann höchstens, beschränkt. Der Krieg wird sich also wahrscheinlich im Festungsviereck Rustschuk, Silistria, Warna, Schumla in die Länge ziehn, und das können die Türken besser vertragen als die Russen. Die sogenannte Autonomie von Bulgarien heißt weiter nichts, als die Vertreibung der Türken aus dieser starken Stellung und die Bloßlegung von Konstantinopel für eine russische Invasion. Und das lassen sich die Türken natürlich von keiner Konferenz aufoktroyieren.13401 Wenn Du genau wissen willst, welche Hindernisse die Russen dort finden werden, so schenke Dir Moltkes „russisch-türkischen Feldzug 1828/29", Berlin 18452, zu Weihnachten, das Buch ist sehr gut, und Du erhältst damit zugleich die nötigen Spezialkarten für den kommenden Krieg. Diesmal ist gegen 1828 der Unterschied, 1. daß die Türken eine Armee haben, 2. daß Silistria, Rustschuk etc. mit modernen detachierten Forts umgeben sind, 3. daß die Türken nach der englischen die stärkste Panzerflotte haben und das Schwarze Meer vollkommen beherrschen, 4. daß die russische Armee in der Reorganisation begriffen, also wenig zum Krieg geeignet ist. Herzliche Grüße an Emma und die Kinder und fröhliche Feiertage! Dein Friedrich
2 in der Handschrift: 1836
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
122, Regent's Park Road London, 21. Dez. 76
Lieber Becker, Deine Postkarte, die „Precurseurs" und 2 Ex. der französischen Adresse13411 erhalten. Kannst Du noch einige Ex. derselben schicken, so war' es sehr gut (französisch, wir würden sie nach Paris besorgen), wir zahlen gern dafür, sobald wir wissen, was ca. 20 Ex. kosten. Inliegend Postanweisung für 15 Franken, wovon 9 Fr. für die Restschuld wegen der „St[unden] d[er] Andacht" 13321 und 6 Fr. für zwei Halbjahrsabonnements auf den „Precurseur" für Marx und mich. Du kannst beide Nummern an mich zusammen schicken, das spart Porto, und ich kann es an M[arx] geben. Es ist sehr gut, daß wir wieder ein französisches Blatt in der Schweiz haben, die Jurassiens können das Klüngeln und Attackieren nicht lassen, und da wird man ihnen beweisen können, daß mit ihnen kein Friede möglich. Eine Korrespondenz konnte ich Dir nicht schicken, weil ich nicht lügen will und von der hiesigen Arbeiterbewegung nur zu sagen wäre, daß sie im kleinlichsten Trades'-Union-Kram verkommen ist und die sogenannten Führer, Eccarius inklusive, der liberalen Bourgeoisie nachlaufen, um als Agitatoren gegen die sog. türkischen Grausamkeiten'571 von ihr sich kaufen zu lassen und den Verrat der Balkanhalbinsel an die Russen im Interesse der Menschlichkeit und Freiheit zu predigen. Daß De Paepe auf dem Berner Kongreß war, stimmt mit seiner ganzen früheren Haltung. Er war seit dem Haager Kongreß12881 offiziell'bei den ausgetretenen Belgiern geblieben13421, aber als Chef der Opposition, und leistet jetzt recht Gutes, indem er die Flamländer bewogen hat, für allgemeines Stimmrecht und ein Fabrikgesetz aufzutreten. Dies ist das erste Vernünftige, das in Belgien geschehen. Die wallonischen Maulhelden müssen nun auch mit. Aber unverzeihlich war's von unsern Leuten in Deutschland, auf den jurassischen Leim zu gehn.13061 Die bakunistischen Organe haben überall Triumph geschrien, als es hieß, die Deutschen würden den Kongreß
beschicken. Liebknecht wußte ganz genau, woran er war, ich hatte ihm auf Anfrage, was wir von den Versöhnungsofferten'421 hielten und welche Stellung wir einnähmen, geantwortet: gar keine Stellung, die Kerle seien dieselben, die sie immer gewesen, wer sich die Finger bei ihnen verbrennen wolle, der könne es tun.'411 Und daraufhin die vertrauensduselige Aktion, als ob man mit den edelsten Biedermännern zu tun habe. Hast Du die New-Yorker oder vielmehr Philadelphier Beschlüsse wegen Auflösung des Generalrats13431 erhalten? Der Vorsicht halber schicke ich Dir ein paar, das kann Euch als neuer Grund dienen, die Sache in die Hand zu nehmen. In Genf erscheint ein italienisches und französisches Blatt, von dem in unsrer „Alliance de la D[emocratie] S[ocialiste]" gekennzeichneten Terzaghi13441. Dieser Mensch soll jetzt auf die Bakunisten schimpfen. Nämlich, nachdem sie ihn lange geduldet, als wir ihn schon als Polizeispion denunziert, haben sie ihn endlich doch als solchen herauswerfen müssen. Er ist simpler Mouchard1, und sein Helfershelfer Bastelica ist bonapartistischer Agent - er hat in Straßburg eine Aufforderung an die französischen Arbeiter drucken lassen, das Empire herzustellen. In Italien ist nichts zu machen, alles Bakunisten, und in Spanien habe ich keine Adresse mehr, erhalte aber vielleicht bald eine. Beste Grüße. Dein F. Engels
1 Spitzel
1877
76
Marx an Maxim Maximowitsch Kowalewski in Moskau13451
41, Maitland Park, London 9. Januar 1877
Mein lieber Freund, Ich erfahre, daß eine russische Dame1, die der Partei große Dienste erwiesen hat, aus Geldmangel in Moskau keinen Advokaten für ihren Mann2 finden kann. Ich weiß weder etwas über besagten Mann noch ob er schuldig oder unschuldig ist. Da der Prozeß jedoch mit einer Verbannung nach Sibirien enden kann und Frau ... entschlossen ist, ihrem Mann zu folgen, den sie für unschuldig hält, wäre es sehr wichtig, ihr wenigstens die Mittel zur Verteidigung zu verschaffen. Frau ..., die die Verwaltung ihres Vermögens ihrem Mann überlassen hatte, versteht von diesen Dingen überhaupt nichts, deshalb kann nur der Advokat hier helfen. Herr Tanejew, den Sie kennen und den ich seit langem als ergebenen Freund der Emanzipation des Volkes schätze, ist wahrscheinlich der einzige Advokat in Moskau, der eine so undankbare Angelegenheit auf sich nehmen würde. Ich wäre Ihnen daher sehr verbunden, wenn Sie ihn in meinem Namen bitten würden, sich für die äußerst unangenehme Lage unserer Freundin zu interessieren. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
1 J. L.Tomanowskaja - 2 I.M.Dawydowski
77
Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
T . , t • i i i London, 9. Jan. 77 Lieber Liebknecht, D'abord1 Prosit Neujahr Dir und Familie und allen Freunden. Hierbei der Rest der „Philosophie". An die „Ökonomie" resp. „Sozialismus" gehe ich sofort, doch kann nach der „Philosophie" eine Pause eintreten.1211 Ich wünschte, Ihr hättet gewartet bis nach den Wahlen12691, Ihr hättet in der Zeit den Raum für die Agitation verwenden sollen. Auch bin ich ganz zufrieden, wenn 2 Nrn. per Woche etwas davon bringen und Euch die dritte für andre Sachen frei bleibt. Doch wenn Ihr mir auch die 3te Wochennummer ab und zu öffnet, so hab' ich natürlich nichts dagegen. Wir haben schon vor längerer Zeit durch Bracke an Geib £ 10 als unsern Beitrag zum Wahlfonds abgehn lassen und waren leider nicht in der Lage, noch ein weiteres tun zu können. Daher konnte ich auf Dein Verlangen, Dir noch etwas zu schicken, nicht eingehn.13461 Wenn Ihr Euch keine Illusionen macht und die Berichte im „Vorwärts" nicht übertrieben sind [...]13471 Wenn die Türken Fuß bei Mal halten, so ist's mit Rußland bald alle. Die allgemeine Wehrpflicht13481 hat die russische Armee noch weit mehr desorganisiert, als ich erwartete, während die Türken nie in so guter Verfassung waren, dabei haben sie nach der englischen die beste und stärkste Panzerflotte der Welt. Geht's also los - und geht's nicht los, so gibt's eine neue Revolution in Konstantinopel: und dann geht's erst recht los -, so könnte Euer Antrag auf Wiederherstellung Polens eine eigentümliche Aktualität (Zeitgemäßheit)2 bekommen. [...] die Wahrheit zu sagen. Und wenn sie sich über meinen Ton beklagen, so wirst Du hoffentlich nicht vergessen, ihnen Herrn Dührings Ton bei Gelegenheit von Marx und seinen andern Vorgängern entgegenzuhalten und speziell, daß ich beweise, und zwar im Detail, während Dführing] seine Vorgänger einfach anlügt und ausschimpft. Sie haben's gewollt, und sie werden ihr Fett reichlich wegbekommen, mein Wort darauf. . Dem p E
1 Zunächst - 2 offenbar von Liebknecht hinzugefügt: (Zeitgemäßheit)
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Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
London, 9. Jan. 77
Lieber Hermann, Dein Brief mit Rimesse £ 300 richtig angekommen, die ich nach Aufgabe Euch gutschreibe. Besten Dank dafür, wie auch für den Kontokorrent, den ich nachsehn werde. Daß Du die Summe etwas erhöht hast bei Deiner Rimesse, macht nichts aus. Ich empfing sie Samstag abend, wo ich Besuch hier hatte und kam wegen der in jetziger Jahreszeit grassierenden vielen Besuche und parties erst heute zur Empfangsanzeige, was Du hoffentlich entschuldigst. Daß Hermann und Moritz1 auf der Universität sind, wußte ich gar nicht. Es wird ihnen gar nicht schaden, ein paar Jahre zu studieren, und wenn sie dann ins Geschäft gehn wollen, werden ihnen ihre Kenntnisse um so nützlicher sein; die letzten 20 Jahre haben dem alten kommerziellen Aberglauben gründlich ein Ende gemacht, als gehöre zum Handel vor allem drei Jahre Kopierbuch, eine gute Handschrift, möglichst schlechtes Deutsch und ein ansehnlicher Mangel an Kenntnissen. Und wenn sie was andres anfangen wollen, so steht ihnen die Welt auch offen. Den Russen kann's heillos schlecht gehn. Es war immer meine Ansicht, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht13481 die russische Armee kaputtmachen würde. Aber daß das so rasch und so glänzend ging, hätte ich nicht erwartet. Alles bricht zusammen, Disziplin und Verwaltung, Offiziere und Soldaten, es fehlt an allem, noch viel mehr als bei Eurer famosen Mobilmachung von 1852, denn das Stehlen in Rußland ist ganz grandios. Je mehr Magazine und Vorräte für die Mobilmachung, desto weniger ist drin, da das alles bloß Vorwände zum Stehlen sind. Dabei sind die Türken nie in so guter Verfassung gewesen wie jetzt und haben schon mehr Truppen in Bulgarien als die Russen mit ihren 4 Armeekorps (144 000 Mann auf dem Papier) hinwerfen können. Und unter diese 4 Armeekorps sind alle in Polen ausgehobnen Reserven einrangiert, die bei erster Gelegenheit über
1 Hermann Friedrich und Rudolf Moritz Engels
gehn. Die rumänische Armee ist nur zum Gefangengenommenwerden da, und die serbischen Bauernmilizen kriegt so leicht kein Mensch mehr zusammen, und was er zusammenkriegt, hat auch schon genug gehabt. Man ruft mich zum Essen, und es ist halb sechs - Postzeit. Herzliche Grüße an alle von Deinem Friedrich
16 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
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Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
Lieber Bracke,
[London] 2I.Jan. 1877 Glückauf! zur jüngsten Musterung der sozialdemokratischen Streitkräfte in Deutschland!'269] Sie hat dem Ausland sehr imponiert, ganz besonders England, wo die Berliner Zeitungskorrepondenten seit Jahren alles aufgeboten, um ihr britisches Lesepublikum über unsereParteiverhältnissezu mystifizieren. Aber „murder will out"1, wie John Bull sagt, wenn er falliert. Ich möchtenun endlich näher wissen (wollteSie während der Wahlagitation nicht damit heimsuchen), wo ich mit Fräulein Isolde2 dran bin. Sie hatte mir den ersten Übersetzungs-Probebogen'3071 geschickt; ich hatte ihr geantwortet, sie sei fähig für das Werk, wenn sie sich Zeit nehme und nicht überstürze, ihr auch die ferneren 4 Bogen zugeschickt. Gleichzeitig sandte ich ihr aber auch ein ziemlich weitläufiges Sündenregister, betreffend den Probebogen. Dies scheint des Dämleins Nerven etwas schockiert zu haben, denn in ihrem Antwortschreiben blickte eine gewisse Gereiztheit durch. Ohne mich dadurch beirren zu lassen, schrieb ich ihr abermals in dem Sinn, daß ich sie als die erwählte Übersetzerin betrachte.'3491 Seitdem sind nun Wochen vergangen, und ich habe nichts Weiteres gehört noch gesehn. Es ist nun absolut nötig, daß sich das Fräulein entscheidet, oui ou non3, im ersten Fall aber auch wirklich Arbeit liefert. Sie sind wohl so gut, ihr in diesem Sinn zu schreiben. Sollte sie abtrünnig geworden sein, so müßte man es mit den Scheus4 versuchen, obgleich ich ungern (was aber nichts zur Sache tut) mit Herrn Scheu irgendwas zu tun habe. Zeit ist nicht mehr zu verlieren. Sollte Isolde, die Holde, abschlagen, so müßte sie ditto die erhaltenen französischen Bogen mir rücksenden. Sie sind wohl so gut, einen doppelten Vertrag auszufertigen - gemäß den unter uns übereingekommenen Bedingungen -, wovon einer mit Ihrer Unterschrift dem Lissagaray bleibt und der andre mit seiner Unterschrift Ihnen rückgesandt wird. Salut. Ihr K.Marx
1 „es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen" - 2 Isolde Kurz - 3 ja oder nein - 4 Andreas und Heinrich Scheu
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Marx an Ferdinand Fleckles in Karlsbad
[London] 2I.Jan. 1877
Lieber Freund, Zunächst meinen besten Dank für das Heilsalz und mein Bedauern, daß Ihr erster, langer Brief verlorengegangen ist. Morgen geht von hier ein kleines Bücherpaket an Madame Wollmann ab, enthaltend für Ihre Frau Cousine die französische Ausgabe des „Kapitals" und für Sie selbst (von Seiten des „Kindes"1) Lissagarays: „Histoire de la Commune". Die Musterung der sozialdemokratischen Partei in Deutschland, bei Gelegenheit der Reichswahlen'2691, hat nicht nur unsren liebwerten deutschen Pfahlbürger unsanft aufgeschreckt, sondern auch les classes dominantes2 in England und Frankreich. Ein englisches Blatt u.a. weist bauchgrimmig hin auf den Kontrast zwischen „the melodramatic fits and starts of the French and the businesslike way of proceeding of the German socialists"3. Wie mehr und mehr auch die Ideologen des deutschen Bürgertums von dem schleichenden Gift angesteckt werden, beweist u.a. eine neulich erschienene kleine Broschüre des Ihnen wohlbekannten Schäffle, benamset: „Die Quintessenz des Socialismus". Sie sollten sich das Ding des Spaßes halber verschreiben. Es ist voll unfreiwilliger Komik. Einerseits ist nämlich das Schriftchen, wie der Verfasser selbst andeutet, speziell für die protestantischen Pfaffen verschrieben, die doch ihren katholischen Rivalen die Koketterie mit dem Sozialismus nicht ausschließlich überlassen können. Andrerseits malt sich Herr Schäffle mit echter Schwabenphantasie das künftige sozialistische Millennium so artig aus, daß es das vollendete Reich gemütlicher Kleinbürger sein wird, ein nur von Karl Mayers bewohnbares Paradies. Neben unsagbarem Wetter, schwül, regnerisch und so schwarzgelbneblig, daß man, wie ich eben tue, während des ganzen Vormittags schon
1 Eleanor Marx - 2 die herrschenden Klassen - 3 „den melodramatischen Ausbrüchen der französischen und der sachlichen Art des Vorgehens der deutschen Sozialisten" 16*
Gas brennen muß, grassiert hier die „Oriental Question"4. Auf Weg und Steg packt einen un John Bull quelconque5 beim Schopf: „Now, Sir, what do you think of the Oriental Question?"6 Die Höflichkeit verbietet einem, die einzig sachgemäße Antwort zu geben: „I think, Sir, that you are a damned ass."7 Wie übrigens der Krieg ausfallen mag'861, günstig oder ungünstig für das Väterchen in Petersburg8, dieser „kranke Mann"1144betäubt und beirrt durch das hysterische Philanthropiegebrüll der englischen liberalen „party of profit at any price"9, hat das Signal zu einer seit lange sich vorbereitenden Konvulsion in seinem eignen Reich gegeben, die in ihrem schließlichen Resultat dem ganzen jetzigen status quo des alten Europa den Garaus machen wird. Grüßen Sie Ihre liebe Cousine aufs herzlichste von mir, und treiben Sie ernsthaft englische Sprechstudien, denn für den Notfall bleibt England immer der beste Ort, um das ärztliche Quartier dort aufzuschlagen. Ihr treu ergebner Karl Marx
* „Orientalische Frage" - 5 irgendein John Bull - 6 „Nun, mein Herr, was denken Sie über die orientalische Frage?"-' „Ich denke, mein Herr, daß Sie ein verdammter Esel sind."8 Alexander II. -9 „Partei des Profits um jeden Preis"
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Marx an Wilhelm Alexander Freund in Breslau
2 I.Januar 1877 41, Maitland Park Crescent London, N.W.
Lieber Freund Freund! Mein Neujahrswunsch an Sie und Ihre liebe Frau kommt leider verspätet, dank Arbeitsdrang und Halsentzündung, die ich mir während der letzten Tage zu Karlsbad1481 zugezogen. Es ging mir dort wie dem Bauer Martin Luthers, der, von einer Seite aufs Pferd gesetzt, von der andern herunterfällt.13501 Meine Tochter1 empfiehlt sich bestens Ihrer Frau und Ihnen. Sie hat unter anderm eine von der hiesigen Shakespeare-Gesellschaft, deren Mitglied sie ist, gedruckte Übersetzung von Professor Delius* „Das epische Element in Shakespeare" versündigt13511, die ihr jedoch große Elogen von Seiten des Herrn Delius ergattert hat. Sie bittet mich, Sie um den Namen des Anti-Shakespeareschen schwäbischen Professors und Titel seines Werkes zu ersuchen13521, von dem Sie uns in Karlsbad sprachen. Der Matador der hiesigen Shakespeareschen Gesellschaft, Mr. Furnivall, will durchaus nicht auf den Genuß dieses Opus verzichten. Die „Orientalische Frage" (die mit Revolution in Rußland enden wird, was immer der Ausgang der Kriegs gegen die Türken1861) und die Musterung der sozialdemokratischen Streitkräfte im Vaterland12691 werden den deutschen Kulturphilister wohl überzeugt haben, daß es noch wichtigere Dinge in der Welt gibt als Richard Wagners Zukunftsmusik1561. Mit besten Grüßen an Sie und Ihre liebe Frau Ihr freundschaftlichst ergebener Karl Marx
Wenn Sie zufällig Dr. Traube sehen, grüßen Sie ihn bestens von mir und erinnern ihn gefälligst, daß er mir die Zusendung der Titel seiner verschiedenen Publikationen versprochen hat. Sie wäre sehr wichtig für meinen Freund Engels, der an einem naturphilosophischen Werkt35i arbeitet, und mehr, wie es bisher geschehen, die Leistungen Traubes betonen wird.
Nach: „Vorwärts", Berlin, Nr.275, vom 16.Juni 1931, Beilage.
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Marx an Frederick Harrison in London
[London] 21. Januar 1877 41, Maitland Park Crescent, N. W.
Sehr geehrter Herr, Der Überbringer dieses Briefes, mein Neffe, Herr Henry Juta aus Cape Town, möchte seine allgemeinen Studien an der Londoner Universität vervollständigen und zugleich Mitglied des Inner Temple'3531 werden. Für das letztere Vorhaben muß er eine schriftliche Erklärung abgehen, daß er kein Anwalt ist usw., und seine Unterschrift muß von zwei Advokaten gegengezeichnet werden, die bezeugen, daß er eine anständige Person ist usw. Da die Angelegenheit sehr ejlt, habe ich mir die Freiheit genommen, ihn an Sie zu verweisen, in der Hoffnung, daß Sie so freundlich sein werden, den jungen Mann zu unterrichten, wie er aus dieser Schwierigkeit herausfindet. Ich habe die Ehre, Sir, zu sein Ihr ergebener Karl Marx Fd. Harrison, Esq.
Aus dem Englischen.
83
Marx an Gabriel Deville in Paris (Entwurf)
23. Januar 1877 41, Maitland Park Road, N. W. London
Lieber Bürger, Nach Empfang Ihres freundlichen Briefes vom 15. Dezember schrieb ich unserem Freund Hirsch wegen Ihres Plans13641, vor allem wegen meiner vertraglich festgelegten Verpflichtungen gegenüber Herrn Lachatre, dem Verleger des „Capital"1, die mir nicht gestatten, ohne seine vorherige Zustimmung2 auf den Plan einzugehen. Dann habe ich an diesen geschrieben und von Tag zu Tag vergebens auf seine Antwort gewartet. Schließlich habe ich ihm vor einigen Tagen einen eingeschriebenen Brief gesandt, da der erste wahrscheinlich abgefangen worden ist, wie sich dies im preußischdeutschen Kaiserreich3 täglich ereignet.13551 In Erwartung der Antwort von Herrn Lachatre muß ich noch bemerken, daß selbst im Falle seiner Zustimmung Herr A. Quest durchaus imstande wäre, jeden „Auszug" aus dem „Capital" zu konfiszieren. Da Herr Lachatre in Abwesenheit wegen „Kommunarden"-Angelegenheiten verurteilt worden ist und als Flüchtling im Ausland lebt, hat das Ministerium Broglie die Verwaltung der Buchhandlung Lachatres von Gesetz wegen in die Hände dieses Herrn Quest gelegt, der zum Abschaum der konservativen Partei gehört und zuerst alles getan hat, um den Druck meines Buches hinauszuzögern, und dann, um seine Verbreitung zu verhindern. Er wäre ganz der Mann, Ihnen einen Streich zu spielen trotz der Zustimmung des Herrn Lachatre, dem gegenüber ich selbst durch einen Privatvertrag gebunden bin, der aber Herrn Quest gegenüber ganz und gar machtlos ist, weil dieser Sequester sein gesetzlicher Vormund ist.
1 In der Handschrift gestrichen: Nebenbei, zwischen mir und Herrn Hirsch war nicht ein kurzer Auszug aus dem Werk vereinbart, sondern mehr oder weniger eine Besprechung 2 in der Handschrift gestrichen: Zustimmung - 3 in der Handschrift gestrichene Variante: im Kaiserreich, dessen Sitz dank des Krieges von 1870 von Paris nach Berlin verlegt worden ist
Unter diesen Umständen halte ich es im Augenblick für das beste, „einen Auszug" aus dem „Capital" zu vertagen, in der Zwischenzeit aber einen Überblick über das Werk zu veröffentlichen, nötigenfalls in Form einer kleinen Broschüre, was um so nützlicher wäre, als Herr Block (im „Journal des Economistes")[741 und Herr Laveleye (in der „Revue des deux mondes")[73] dem französischen Publikum völlig falsche Vorstellungen vom „Capital" vermittelt haben. Das hatten auch Herr Hirsch und ich anfangs vereinbart. Ich danke Ihnen bestens für Ihr Buch, das Sie so liebenswürdig waren, mir zu senden und das sich durch schwungvollen Stil und gründliche Kenntnis auszeichnet. Ich hoffe, daß die Angelegenheit, die uns miteinander in Verbindung gebracht hat, der Ausgangspunkt für eine weitere Korrespondenz sein wird. Ganz der Ihre K.M.
Aus dem Französischen.
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Engels an Hermann Ramm in Leipzig
London, 25. Jan. 1877
Lieber Ramm, Da ich nicht weiß, ob Liebknecht von Offenbach zurück ist13561, schreibe ich an Sie. Erstens habe ich seit fast 14 Tagen keine „Dühring"-Korrektur[691 mehr erhalten (die letzte, sofort zurückgesandte, war Art. VI), ich fürchte, eine Sendung ist verlorengegangen. Dann hatte ich Liebknecht gebeten, mir die Nrn. der „Neuen Welt" zuzuschicken, worin meine Biographie von Wolff1 ist, ich habe die ersten 4 Nrn. erhalten, seitdem aber nur aus den zerschnittenen „Neuen Welten", in die das „Vorwärts" gepackt ist, gesehn, daß die Folge auch erschienen ist. Ich habe natürlich weder Abschrift des Manuskripts hierbehalten, noch sonst etwas getan, mir die Sache zu verschaffen, da ich auf Liebknechts Zusage rechnete; wären Sie wohl so gut, danach zu sehn, ehe sie alle zerschnitten und vermöbelt sind? Über die Nachwahlen13571 sind wir hier sehr in Unwissenheit, wir wissen nur, daß Rittinghausen „in" ist, wie die Engländer sagen. Schade, daß der christlich-soziale Kaplan Laaf durchgefallen, erstens wäre es sicher sehr heiter anzusehn gewesen, wie er sich durchlaviert hätte im Reichstag, und zweitens, da er sich doch blamieren mußte, hätte er unter den Aachener Arbeitern Spaltungen hervorgerufen und uns Gelegenheit gegeben, das spitze Ende des Keils einzutreiben. Das erfreulichste bei den letzten Wahlen ist der große Fortschritt auf dem Land, und namentlich in den Großkulturländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Von da geht's leicht nach Pommern und Brandenburg, und wird erst das Schnapsland angefressen, so ist's bald zu Ende mit der preußischen Monarchie. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
1 „Wilhelm Wolff"
85
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] 14. Februar 1877 41, Maitland Park Road, N.W.
Lieber Bracke, Lissagaray, der mit Ihrem Vertragsentwurf sonst ganz übereinstimmt, ist entschieden der Ansicht, daß überall die niedrigsten von Ihnen angesetzten Preise (per Exemplar) eingehalten werden.13071 Was die Freiexemplare für ihn betrifft, so reicht ein Dutzend völlig hin. Apropos! Fräulein Isolde Kurz hat mir geschrieben, teils zur Anzeige, daß sie Ihnen direkt das Manuskript zuschicken werde, mir aber von Ihnen Korrekturabzüge zugehn sollen (ich habe nichts dagegen), teils um weitere Zusendung von Bogen des Originals ersuchend; letztere nun hat Lissagaray ihr heute geschickt. Aber notabene, Lissagaray hat zugleich allerlei in der Einleitung verändert, Zusätze gemacht (sehr wichtige) zum französischen Original etc., so daß nichts in Braunschweig gedruckt werden darf, bevor Isolde die von ihr schon übersetzten ersten Bogen demgemäß modifiziert hat. Sollte also bei Eintreffen meines Schreibens schon Manuskript von Isolde in Braunschweig angekommen sein, so muß es nicht gedruckt, sondern ihr zur Veränderung retourniert werden. Es ist einleuchtend, daß die deutsche Ausgabe durch diese vom Verfasser selbst gemachten Verbesserungen und Zusätze an Wert gewinnt. Mit besten Grüßen Ihr K.Marx
86
Engels an Ida Pauli in Rheinau
London, 14. Febr. 1877
Liebe Frau Pauli, Ich fürchte, wenn edle Pläne, die den Winter über in Rheinau gemacht werden, zur Ausführung kommen sollten, daß dann der Sommer 9 statt 3 Monate lang sein müßte. Wie es mit dem in Ihrem lieben Brief Vorgeschlagnen gehn wird, muß die Zeit lehren, leider sehe ich schon einen bedeutenden Haken, und der ist die Gesundheit meiner Frau1. Sie ist zwar soweit im ganzen ziemlich durch den Winter und auch durch die Strapazen der Weihnachtskampagne gekommen (in die sich hier in England alle Festivitäten konzentrieren), ich weiß aber doch nicht, inwieweit es mir gelingen wird, sie bis September für eine neue Münchener Kampagne mobil zu machen, ohne daß sie ein Hemmschuh für die Beweglichkeit der andern wird. Wir haben in den letzten 6 Wochen wieder allerhand Pech mit Mägden gehabt, und gerade jetzt, wo sie Ruhe haben sollte, muß sie sich manchmal über alle Kräfte abrackern. Ich hatte auf diese Möglichkeit gerechnet und daher mir bei Schupps vorbehalten, Pumps jederzeit zurücknehmen zu können. Es ist jetzt soweit, daß sie absolut die Arbeit der Haushaltung meiner Frau abnehmen muß, und da ich selbst nicht gut abkommen kann, auch andre Gründe habe, so werde ich wahrscheinlich eine sich mir bietende Gelegenheit benutzen, sie gegen den 1. oder spätestens 15. März zurückeskortieren zu lassen. Sobald ich Bestimmtes weiß, was in ein paar Tagen der Fall sein wird, werde ich sowohl Pumps wie Frl. Schupp das Nähere mitteilen, bis dahin bitte ich Sie, ihnen von der Sache nichts zu sagen. Zunächst werde ich, sobald wir im Hause einigermaßen in Ordnung sind, meine Frau auf eine 14 Tage an die See nehmen1621, damit sie ihren Appetit wiedererhält und mir nicht zu sehr von Kräften kommt. Wenn Sie mich gestern abend hätten sehn das Bett machen und heute morgen das Küchenfeuer anmachen, Sie würden gelacht haben.
1 Lizzy Bums
Daß die Wahlen'2691 Sie ennuyiert haben, solange Sie noch nicht mitwählen dürfen, glaub' ich gern. Wenn wir ans Ruder kommen, sollen die Frauen nicht nur wählen, sondern auch gewählt werden und Reden halten, dies letztere geschieht hier schon beim Schulamt, und ich habe letzten November alle meine 7 Stimmen einer Dame gegeben, die denn auch mehr Stimmen hatte als irgendein andrer der 7 zu erwählenden Kandidaten. Übrigens zeichnen sich die Damen auf den hiesigen Schulämtern dadurch aus, daß sie sehr wenig reden und sehr viel arbeiten, im Durchschnitt jede soviel wie drei Männer. Sollen wir sagen, „neue Besen kehren gut"? Die meisten dieser „Besen" sind aber ziemlich alt. Jedenfalls werden wir den Septemberplan in fortwährendem Andenken halten und das Mögliche zu seiner Verwirklichung tun. Und nun bitte ich Sie, Pauli und die Kinder recht herzlich von meiner Frau und mir zu grüßen und ebenfalls unsre besten Grüße entgegenzunehmen. Aufrichtigst Ihr F. Engels
87
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 24. Februar 1877
Mein lieber Freund, Sie würden meine Frau und mich sehr verpflichten, wenn Sie morgen (Sonntag) um 2 Uhr zum Essen zu uns kämen. Dann werde ich Ihnen mein langes Schweigen erklären - Halsschmerzen und eine Arbeit, die mir ein wenig gegen meinen Willen auferlegt wurde'3071. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
88
Engels an Friedrich Leßner in London
42, Kings Road, Brighton, 4. März 77
Lieber Leßner, Ich erhalte heute morgen einen Brief von dem Hoffmann, 9, Hayes Court, Soho, dem ich durch Dich schon einmal zwei Pfd. habe zukommen lassen. Er hat vor Weihnachten ein Kind, am 15. Febr. ein zweites, und am 25. Febr. seine Frau verloren und bittet mich um Unterstützung, da er die Begräbniskosten für das Kind noch nicht abbezahlt und die für die Frau, -die heute begraben werden soll, und £ 4 betragen, nicht aufzubringen weiß. Da der Brief (vom 28. Febr.) in London liegengeblieben ist, so habe ich rechtzeitig nichts für ihn tun können, auch ist heute Sonntag, wo nichts geschehn kann. Willst Du so gut sein, den Mann zu sehen und sehn, was zu machen ist und wie es mit ihm steht, und wenn Du ein Pfund oder 30 sh. disponibel hast, kannst Du sie ihm je nach Umständen in meinem Namen geben, sonst schreib mir gleich und sage, was Du von dem Fall hältst, und ich kann eine Post office Ordre1 schicken. Vor allen Dingen mach dem Mann begreiflich, daß ich seinen Brief erst heute morgen erhalten und also nichts tun konnte. Ich habe meine Frau hieher bringen müssen, damit sie sich von ihrer Schwäche etwas erhole1621, und das ist ihr auch gelungen, sie ist viel besser, und ich hoffe, es wird vorhalten. Dienstag über 8 Tage kommen wir zurück, und ein paar Tage später wird auch Pumps, begleitet von Fräulein Lina Schöler, wieder einspringen. Meine Frau läßt die Deinige und Dich selbst sowie Nelli herzlich grüßen, ditto Dein alter F. Engels
1 Postanweisung
89
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 16. März 1877
Mein lieber Freund, Ein Mitglied des House of Commons1 (ein Irländer2) will nächste Woche den Antrag einbringen, die englische Regierung solle von der russischen Regierung die Einführung (in Rußland) von Reformen verlangen, die sie hinsichtlich der Türkei für notwendig erachtet. Er will diese Gelegenheit nutzen, um von den Greueln zu sprechen, die in Rußland geschehen. Ich habe ihm schon einige Details zukommen lassen über die Maßregeln der russischen Regierung gegen die aufsässigen Polen der unierten Kirche. Könnten Sie eine kurze Übersicht - in französischer Sprache über die gerichtlichen und polizeilichen Verfolgungen der letzten Jahre in Rußland machen? Da die Zeit drängt - ich bin erst heute über die Angelegenheit informiert worden - und da wenig besser ist als gar nichts, könnten Sie, der Sie sich dieser Vorfälle besser erinnern als ich, dieses „Wenige" tun? Ich glaube, damit würden Sie Ihren leidenden Landsleuten einen großen Dienst erweisen.13581 Was Frau Utin betrifft, so ist mir die Sache ein Rätsel, aber I shall cross-examine her at the next interview3. Wenn sie nicht wiederholt vor meiner Frau und mir den Wunsch geäußert hätte, Sie zu sehen, hätten wir kein Wort darüber verloren. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
1 Unterhauses - 2 Keyes O'Clery - 3 ich werde sie bei der nächsten Zusammenkunft ins Kreuzverhör nehmen
90
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 23 March 1877
Mein lieber Freund, Ich habe den Artikel erhalten, und er befindet sich schon in den Händen des Mitglieds des Unterhauses13581, dem ich übrigens die Berichtigung zukommen lassen werde. Beesly ist gestern bei mir gewesen. Ich habe mit ihm über einen Artikel von Ihnen für die „Fortnightly" gesprochen. Er hat mir gesagt, daß er Sie John Morley, dem Chefredakteur, empfehlen würde, aber - und das ist sehr unangenehm - man müßte ihn englisch schreiben oder übersetzen lassen, bevor man ihn an den Herausgeber schickt. Was den Umfang des Artikels betrifft, so sind 16 Seiten das übliche Maß. Allsop hat uns seine letzte Adresse nicht gegeben; vielleicht kann Leblanc sie besorgen. Gestern erhielt ich aus St. Petersburg einen Brief mit der Nachricht, daß ein Paket mit mehreren Büchern an mich abgesandt wurde.[3591 Leider habe ich nichts davon erhalten. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
17 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
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Engels an Johann Philipp Becker in Genf
122, Regent's Park Road, N.W. London, 24. März 77
Lieber Alter, Ich schicke Dir inl. Postmandat für 50 fr. und, ich glaube, 20 Centimen und bitte Dich, mir dagegen zwei Ex. der „Geschichte der süddeutschen] Mairevolution"13601 zu schicken und, wenn Du kannst, den Jahrgang 1876 des ,(Bulletin de la Föderation jurassienne". Wenn Du es durch einen Buchhändler kannst schicken, so gib das Paket ab an ihn, adressiert: F.E., per Adresse F.Wohlauer, St.Pauls Buildings, Paternoster Row, London, es kostet dann nur eine Kleinigkeit. Den Rest des Geldes bitten Marx und ich als ferneren Beitrag für den „Precurseur" zu verwenden. In Nr.32 des „Vorwärts" habe ich eine Korrespondenz „Aus Italien", woraus Du gesehn haben wirst, daß das Reich der Herren Bakunisten am schönsten Zerfallen ist. Die Leute von der „Plebe" verdienen alle Unterstützung und werden sicher gern mit dem „Precurseur" in Tausch treten. Adr. Journal „La Plebe", Via Carlo Alberto Nr. 1, Milan. Der Redakteur heißt Enrico Bignami und ist seit Jahren mit mir in Korrespondenz, die nur zur Zeit der schärfsten bakunistischen Diktatur in Italien eingeschlafen war. Sogar Herr Malon, der doch einer der 17 ersten Internationalen Brüder und Stifter der Alliance13611 war, ist abgefallen, und einer nach dem andern sagt dem unglücklichen Guillaume den Gehorsam auf. Die Weltregierung ist eben nicht jedermanns Sache, und was die zukünftigen Kongresse dieser Herren angeht, so wird's da allem Anschein nach noch toller hergehn als im Haag12881. Unsre Politik, die Leute schonungslos zu enthüllen und sie dann laufen zu lassen, hat sich glänzend bewährt. Nachdem Belgien ihnen den Rücken gekehrt und in Italien das letzte Stück abgefallen, und bei der Jammerrolle, die sie in der Schweiz spielen (alle Jahr ein Krawall in Bern mit obligaten Prügeln), bleibt ihnen nur noch das bißchen spanische Allianz, das sich nur noch hält, weil ihnen dort die Öffentlichkeit so gut wie verschlossen ist und die Mogelei im Dunkeln um so leichter geht.
91 • Engels an Johann Philipp Becker • 24.März 1877 259
Dein Fragment in der „Neuen Welt"13621 hat mich sehr amüsiert, Du solltest es fortsetzen, es ist dem jungen Volk gut, wenn sie an die alten Bewegungen erinnert werden, sie meinen sonst, sie wären niemandem was schuldig als sich selbst. Dein alter F. Engels
92
Engels an Philipp Pauli in Rheinau
[London, 26. März 1877]
Lieber Pauli, Ich kann diesen kuriosen Brief von Pumps nicht abgehn lassen, ohne nochmals in meiner Frau1 und meinem eigenen Namen Dir und Deiner Frau herzlichst zu danken für alles Liebe und Gute, was Ihr der Kleinen erwiesen habt. Hoffentlich findet sich, wenn Eure Kinder heranwachsen, einmal Gelegenheit, die Rechnung auszugleichen. Wann kommst Du? Schorlemmer schwört Stein und Bein, Du müßtest vor Sommer nach England, aber etwas Näheres ist nicht zu erfahren, und doch wäre es sehr angenehm, wenn man so ungefähr wüßte, wann Du einspringen wirst. Dein Zimmer ist schon fertig; wenn Du Ende dieser Woche kämst, könnte Schorlemmer Ferien benutzen und auch herkommen. Wir waren 3 Wochen in Brighton162', was meiner Frau ganz famos bekommen ist, sie kam kräftiger wieder als selbst nach der langen See- und Reisekur voriges Jahr'39und sie war merkwürdig herunter gewesen. Wenn's nur vorhält bis in den Sommer. Nach all dem Zippeln und Zappeln wird's also doch nun wohl im Orient zum Hauen kommen[86], und soll es mich sehr freuen, wenn die Russen Keile besehn. Die Türken sind eine ganz eigne Sorte Leute, die nicht mit europäischem Maßstab zu messen sind, und die Stellung zwischen Donau und Balkan mit ihren Festungen wird an Stärke nur von der Stellung Metz-Straßburg-Mainz-Koblenz übertroffen. Die Russen können sich da noch manchen Zahn ausbeißen. Und nun herzliche Grüße an Deine Frau und Kinder und Dich selbst von meiner Frau und Deinem F. Engels
1 Lizzy Bums
93
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London13631
[Poststempel: London, 27. März 1877]
Mein lieber Freund, Können Sie mir den Vornamen Ignatjews geben, ditto einige Details über seine Familie und ihn selbst. Was seine politischen Heldentaten betrifft, so bin ich darüber mehr oder weniger informiert. In Moskau hat es einen schönen Handels- und Industriekrach gegeben. Ganz der Ihre K.M.
Aus dem Französischen.
94
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London13641
[Poststempel: London, 29. März 1877]
Mein lieber Freund, Meinen besten Dank für die Notiz, die ich gestern abend erhalten habe. Sie haben ja keine Vorstellung von der Feigheit und Unschlüssigkeit der „freien" englischen Presse. Das ist der einzige Grund, warum ich noch nicht in der Lage bin, Sie endgültig über das Schicksal Ihres Artikels13581 zu informieren. Ganz der Ihre K.M.
Aus dem Französischen.
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Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig \ [London] 11. April 1877
Lieber Bracke, Ihr Titel ist gut; nur müssen Sie statt „Text" - Originaltext oder auch bloß „Original" - wie Sie wollen - setzen.13651 Ich schicke mit diesen Zeilen zugleich den ersten Korrekturbogen zurück; er geht, weil das Madämchen1 trotz des Ärgers, den sie mir kundgab, sich ziemlich genau an meine Verbeßrungen hält. Aber sie begeht hier und da Fehler, die über die Bohnen hinausgehn. Es heißt p. 14: „Glücklicherweise sprengte nun eine unbestimmte Nachricht die Türen." Wie kann eine „Nachricht", die außerdem noch „unbestimmt" ist, Türen sprengen? Im Französischen steht „une vague nouvelle", als welches heißt: eine neue Woge (von Menschen) nämlich! Bisher ist es auch verdammt langsam gegangen mit der Übersetzung. Können Sie mir ein annäherndes Verzeichnis der Schriften schicken, die in Deutschland über die dortige Handels- und Industriekrise'3661 seit den letzten Jahren erschienen? Bei Ihrer Krankheit ist die Hauptsache, einen „guten" Arzt zu haben. Nehmen Sie die Sache nur nicht leicht. Im Anfang leicht kurierbar; wenn nicht zeitig gemaßregelt, wird das Leiden bösartig. Engels ist sehr unzufrieden mit der Art, wie der „Vorwärts" seine Arbeit gegen Dühring1211 druckt. Nachdem man ihn erst dazu genotzüchtigt, hält man sich in keiner Art an die kontraktlichen Bedingungen. Während der WahlzeitI2691, wo kein Mensch las, hatten seine Artikel nur zur Füllung des Raums zu dienen; später druckt man kleine abgerißne Stücke, ein Stück diese Woche, ein andres 2 oder 3 Wochen später, so daß für den Leser (namentlich unter den Arbeitern) der Zusammenhang verlorengeht. Engels hat Liebknecht einen Warnbrief geschrieben.2 Er glaubt an Absichtlichkeit in diesem Verfahren, an Einschüchterung durch die Handvoll Anhänger des Herrn Dühring. Es wäre ganz natürlich, daß
1 Isolde Kurz - 2 siehe vorl. Band, S.265
dieselben Dummköpfe, die erst über „Totschweigen" des hohlen Narren schrien, jetzt die Kritik totschweigen möchten. Herr Most hat gut sprechen von der zu großen Ausdehnung der Artikel. Seine zu seinem Glück nicht zum Druck gekommene Apologie Dührings[28) war sehr, sehr lang, und wenn Herr Most nicht gemerkt hat, daß nicht nur gewöhnliche Arbeiter und selbst Ex-Arbeiter wie er, die sich einbilden, in der kürzesten Zeit alles zu wissen, über alles aburteilen zu können, sondern auch wirklich wissenschaftlich gebildete Leute aus Engels' positiven Entwicklungen viel lernen können, so tut es mir leid um seine Urteilskraft. Mit bestem Gruß Ihr K.M.
PS Md. Kurz übersetzt: „l'expropriation de toutes les denrees de premiere necessite" was Expropriation durch die Regierung oder öffentliche Aneignung meint, durch „öffentliche Veräußerung", was ganz falschen Sinn gibt (p. 16). ratitmnement = Setzung auf kurze Rationen (wie bei belagerter Festung oder auf Schiff, dem die Lebensmittel ausgehn) mit „Verpflegung aller Bürger" (p. 16). Sie nimmt so das erste beste Wort, das ihr in den Kopf kommt, ob sinngerecht oder nicht. Ditto p. 16 übersetzt sie „pour faire lever les provinces" „um die Provinz auszuheben", soll heißen: „um die Provinzen" (nicht „die Provinz") „aufständig zu machen".
96
Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig (Entwurf)
[London, 11.April 1877]
Lieber L[iebknecht], Heute erhalte ich Deinen Brief vom 9. Es ist die alte Geschichte. Erst versprichst Du alles mögliche, dann geschieht das grade Gegenteil, und wenn ich mich dann beklage, so schweigst Du 14 Tage, und dann heißt es, Du hättest zu viel zu tun und ich möge Dich gefl. mit meinen überflüssigen Vorwürfen verschonen. It is adding insult to injury.t3671 Dies Stück hat nun so oft gespielt, daß ich es nicht noch einmal mit mir aufführen lassen werde. Meinen gestrigen Brief1-401, der morgen früh in Leipzig sein wird, wirst Du Freitag 13. haben, und erwarte ich umgehend Antwort auf meine Fragen. Meine Antwort auf die Deinigen wird von Deiner Antwort auf jene abhängen, d. h. wenn dann überhaupt noch eine Antwort meinerseits nötig sein wird. Habe ich bis Dienstag 17. abends keine, oder keine genügende Antwort von Dir, so kann ich auf Dich weiter keine Rücksicht mehr nehmen und werde selbst dafür sorgen, daß meine noch übrigen Artikel1211 nicht wie bisher gemißhandelt werden. Wobei es dann sehr leicht im weitern Verlauf sich ereignen kann, daß ich früher oder später genötigt werde, die ganze Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen. Dein E.
97
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 17. April 1877
Mein lieber Freund, Eben hat mir der Vermittler das Honorar von 2 £ 10 übergeben, das der „Vanity Fair" Ihnen schuldet13681; ich sende es Ihnen durch einliegende post-office ordre1 zu. Über Ihren Brief bin ich wirklich erstaunt. Sie haben doch auf meine Bitte hin2 sich die Mühe gemacht, nicht nur sofort den Artikel zu schreiben, der jetzt gedruckt wurde, sondern auch das Manuskript für das Parlamentsmitglied3, und Sie glauben sich mir verpflichtet! Im Gegenteil, ich bin es, der Ihnen verpflichtet ist. Über die Affäre Pio13681 werden wir uns unterhalten, wenn Sie Ihr Versprechen halten und mich besuchen. Ganz der Ihre Karl Marx
Wenn man auf dem post-office den Namen des „sender"4 verlangt, muß mein Name und meine Adresse angegeben werden.
Aus dem Französischen.
Postanweisung - 2 siehe vorl. Band, S.256 - 3 Keyes O'Clery - 4 „Absenders"
98
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] 21. April 1877
Lieber Bracke, In dem Blatt, das ich einlege, habe ich Ihnen wieder die gröbsten Kurzeschen Fehler notiert.13071 Ich hatte Fräulein Kurz vor Monaten, als mein Briefwechsel mit ihr endete, [geschrieben], daß ich bestenfalls mich - bei meinem Zeitmangel nur mit Korrektur sachlicher Irrtümer befassen könne, wie sie jedem mit den französischen Verhältnissen nicht ganz vertrauten Fremden notwendig passieren müssen - nicht aber mit einfachen Übersetzungsfehlern. Wenn sie daher nicht sorgfältiger verfährt (ich werde noch meine Zeit für 1 oder 2 Korrekturbogen opfern), müssen Sie einen sachverständigen Korrektor auftreiben und die Zahlung für ihn vom Honorar der Übersetzerin abziehn. Machen Sie doch ein für allemal eine Note, daß alle Anmerkungen, wo nicht ausdrücklich das Gegenteil bemerkt ist, von Lissagaray selbst herrühren. Sie ersparen dadurch den Kostenaufwand, alle Seiten ein paarmal A.d. V.1 setzen lassen zu müssen. Ihr Plan, mein Bild nach der von Lachätre gelieferten Karrikatur zu verbreiten'3691, hat mich keineswegs erbaut. Es ist zu befürchten, daß Preußen einen geheimen Vertrag mit Rußland abgeschlossen hat13701; ohne solchen könnte Rußland nicht in Rumänien einfallen13711. Die Arbeiterpresse beschäftigt sich viel zuwenig mit der orientalischen Frage und vergißt, daß die Kabinettspolitik mutwillig mit Leben und Geld des Volks ihr Spiel treibt. Jedenfalls müßte beizeiten die öffentliche Meinung unter den Arbeitern, Kleinbürgern etc. hinlänglich so weit vorbereitet werden, daß der preußischen Regierung erschwert wird (etwa mit Plänen, ein Stückchen Polen von Rußland abgetreten zu erhalten oder sich an Ostreich schadlos zu
1 Anmerkung des Verfassers
Kalten), Deutschland für Rußland in den Krieg zu verwickeln oder auch nur zu diesem Behuf Druck auf Ostreich auszuüben. Besten Gruß. Ihr K.M.
ad p. 17 Mandat tacite übersetzt die Holde „stummes Mandat", was Unsinn ist; im Deutschen spricht man wohl von „stillschweigenden" Kontrakten, aber nie von stummen. Aber im selben Satz wird nun gar „demarche de Ferneres", was Jules Favres Reise nach Ferneres, wo Bismarck war, meint, übersetzt in „Ferneres' Schritt", also der Ort Ferneres in eine Person verwandelt! ad p. 18 läßt sie den Ort des Gefechts „bei Chevilly" fort. ib. „Trochu ... lui fit une belle Conference". Sie übersetzt: „hielt ihm eine schöne Konferenz ab"; schülermäßig wörtlich, hat aber keinen Sinn im Deutschen. ad p. 20l'Hotel de Ville übersetzt sie „das Stadthaus"; es meint die Septemberregierung, die residierte im „Hotel de Ville". ib. ä ce lance wieder ganz schülerhaft übersetzt: „bei diesem Wurf brüllte die ganze Meute". Was soll das heißen zu deutsch: bei diesem Wurf (welchem?) brüllte etc., lance muß hier übersetzt werden: „Hetzruf". ib. „D'autres tocsins eclatent", sie übersetzt: „Neue" (warum nicht alte?) „Sturmglocken wurden gezogen (!)" - Der Sinn ist, daß mehr Unglück laut wird. Schon das Wort „eclatent" und der ganze Zusammenhang mußte ihr zeigen, daß sie Unsinn schrieb. p. 25 verwandelt Fräulein Kurz die im Text genannten „Cordeliers" der alten französischen Revolution in ihre nicht existierenden „Franziskaner". Damit nicht zufrieden, verwandelt sie „le Proletariat de la petite bourgeoisie" - das Proletariat des Kleinbürgertums - in „das Proletariat, das Kleinbürgertum". Bloße Nachlässigkeit dies! ad p. 26 contre-maitres übersetzt sie Hochbootsmänner, während es Werkführer hier bedeutet, und chefs d'ateliers sind die industriellen Dirigenten. adp. 30 „Paris capitulait avant le 15 sans l'irritation des patriotes." Kurz übersetzt: „Paris kapitulierte vor dem 15., ohne Erregung seitens der Patrioten." Das wäre richtig, wenn im Original stände: „Paris capitulait etc. sans irritation de la part des patriotes" (statt wie da steht: „sans l'irritation des patriotes").
Der Sinn ist also grad der entgegengesetzte, nämlich: „Ohne die Erregung der Patrioten hätte Paris vor dem 15. kapituliert." Es ist hier offenbar, bei diesem sehr einfachen Satz, wieder die unverzeihlichste Nachlässigkeit im Spiel. ad p.32 „Jules Favre demandait ä Trochu sa demission". Kurz übersetzt: „Jules Favre verlangte von Trochu seine Entlassung". Da ein Mann sich nicht selbst entläßt von seinem Amt, sondern von Vorgesetzten entlassen wird, könnte dieser Satz nur bedeuten, daß Jules Favre von Trochu seines Amts entlassen werden wollte. In der Tat aber verlangte Jules Favre von Trochu seine (Trochus) Abdankung, was auch die wörtliche Übersetzung von „demission" ist.
99
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London13721
[Poststempel: London, 2I.April 1877]
Mein lieber Freund, Wir erwarten Sie morgen (Sonntag) zum Essen (2 Uhr). In großer Eile und mit Grüßen von Frau Marx.
Ihr K.M.
Aus dem Französischen.
100
Engels an B.Lindheimer in London13731 (Entwurf)
[London] 21/4/77
Herrn B.L[indheimer], Als Sie das letzte Mal bei mir waren, sagte ich Ihnen ausdrücklich, daß ich über das £ 1, das ich Ihnen vorgeschossen, weiter nicht hinausgehn könnte, und Sie selbst erklärten dies für selbstverständlich. Ich kann hiervon um so weniger abgehn, als Sie nach Ihrer eignen Aussage bei Ihren Freunden in der City jeden Augenblick Geld haben können, und sich nur nicht gern entschließen, dieselben darum anzugehn. Es kann Ihnen aber bei richtiger Auffassung der Sachlage unmöglich schwerer fallen, diese Ihre Freunde, welche Sie und Ihre Verhältnisse kennen und an die Sie empfohlen waren, darum anzugehn als mich, der ich Ihnen ebenso fremd bin wie Sie mir. Jedenfalls kann ich Ihnen diesen Schritt nicht erspare:n, indem ich schon mehr als genug zu tun habe, dann und wann solchen Parteigenossen an die Hand zu gehn, welche keine Leute in der City haben, von denen sie Vorschüsse erhalten könnten, und bitte ich Sie ebenso höflich wie entschieden, dies als mein letztes Wort zu betrachten. Mit aller Achtung. E.
101
Marx an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in London
[London] 23. April 1877 (ibirthday of Shakespeare1)
Mein lieber Freund, Ich sende Ihnen im Namen meiner Tochter Tussy ein Billett (für zwei Personen) für die Stalls2 des Lyceum Theatre. Es ist für die heutige Vorstellung (Montag). „Richard III." wird gegeben. Es wäre gut, wenn Sie kurz nach sieben Uhr da wären. Ganz der Ihre Karl Marx
Aus dem Französischen.
1 Shakespeares Geburtstag - 2 Sperrsitze
102
Engels an Wilhelm Bracke in Braunschweig
London, 24. April 1877
Lieber Bracke, Das Klischee von Paris werden Sie schwerlich bekommen, da Lachatre im Exil und sein Geschäft unter Regierungssequester ist, der Administrator1 ist ein Erzreaktionär und tut alles mögliche, den Verlag zu ruinieren. Übrigens ist das Porträt hundeschlecht und M[arx] darin gar nicht zu erkennen13691, wir können Ihnen eine bessere Photographie schicken, wenn Sie wollen. Die Biographie schreibe ich Ihnen gern13741, sagen Sie mir, wieviel Kalenderseiten Maximum und Minimum Sie wünschen, damit ich weiß, zwischen welchen Raumgrenzen ich mich zu bewegen habe, ditto Lieferzeit. Die 3 Stenographischen Berichte dankend erhalten, schade, daß Sie kein besseres Thema hatten; wenn man sich fortwährend auf Zeugen berufen muß, die ihre Namen vorläufig noch zurückhalten, so hat man einen schlechten Stand. Indes ist der Zweck doch erreicht, da günstige Abstimmung in der Gesellschaft ja doch außer Frage. Bebels Rede ist ausgezeichnet, klar, sachlich und treffend.13751 Auf den Verdacht D[ühring]scher Einflüsse wäre ich absolut nicht gekommen, wenn mir L[iebknecht] mit zwei Worten reinen Wein eingeschenkt und Abhülfe versprochen hätte.13761 Es war positive Absprache, daß jede Woche ein Artikel erscheinen sollte; als ich mich wegen Nichthaltung beschwerte1401, ließ L[iebknecht] mich über 10 Tage warten, während deren, trotz seiner Anwesenheit in Leipzig, keine Spur von Remedur zu vermerken, und schrieb mir endlich, ich solle ihn mit meinen überflüssigen Vorwürfen verschonen - das war alles, von Abhülfe für die Zukunft kein Wort. Da ich nun gar nicht weiß, welchen Einfluß jetzt andre Leute auf der Redaktion ausüben, blieb mir nichts andres übrig, als obiges anzunehmen und L[iebknecht] durch ein Ultimatum zu veranlassen, seine Versprechungen zu halten.2 Ich habe ihm geschrieben, er könne meine desfallsigen Briefe jedem vorlegen, wenn er Lust habe, sie stehn Ihnen also,
1 Adolphe Quest - 2 siehe vorl. Band, S. 265
18 Marx/Engels, Werke,' Bd. 34
soweit es mich angeht, zur Verfügung. Hier überstürmen mich die Leute förmlich mit Vorwürfen, daß ich zugebe, daß die Artikel so als reine Lückenbüßer abgedruckt werden, kein Mensch könne im Zusammenhang bleiben. Und wenn Sie bedenken, daß dies nun schon mindestens das sechste Mal ist, daß diese Geschichte spielt, daß ich erst die schönsten und bündigsten Zusagen erhalte und nachher regelmäßig das grade Gegenteil geschieht, so werden Sie begreifen, daß man das endlich satt bekommt. Also Russen in Bukarest.18711 Hoffentlich besetzen die Türken gleich alle ihren Donaufestungen auf dem rumänischen Ufer gegenüberliegenden Orte und verwandeln sie in Brückenköpfe. Namentlich Kalafat (Widdm), Giurgewo (Rustschuk) und Kalarasch (Silistria). Das würde die Russen zwingen, diese Festungen auf beiden Ufern, d. h. mit der doppelten Anzahl von Streitkräften zu belagern, und viel Zeit rauben. Jeder Soldat aber, den die Russen in Rumänien zurücklassen müssen, erleichtert es den Türken, ihnen im freien Feld gegenüberzutreten und ihnen die Einnahme der Festungen unmöglich zu machen. Ebenso hoffe ich, Abdul Kerim wird, wie versprochen, eine 20000 Tscherkessen nach Rumänien schicken, um die Eisenbahnen zu zerstören und tüchtig zu fouragieren. Welch ein Verdienst hat Strousberg sich erworben, indem er die rumänischen Eisenbahnen so prächtig unsolid baute, daß sie schon jetzt den Russen den Dienst versagen. Zur Gewerbeordnung. Cross, der hiesige Minister des Innern, hat eine Bill eingebracht, worin alle die zahlreichen und teilweise einander widersprechenden Gesetze über Arbeitszeitbeschränkung in einen Akt zusammengefaßt und dadurch erst ausführbar werden.13771 Ich will suchen, das Ding zu bekommen und an Sie oder Liebknjecht] schicken, damit die liberalen Esel doch endlich einmal sehn, was hier ein konservativer Minister in der Richtung zu tun wagt. Postschluß und Essenszeit. Grüße an alle Freunde. Ihr F.E.
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Engels an B.Lindheimer in London13781 (Entwurf)
26/4/771
Herrn B.L[indheimer], Die Erzählungen, die Sie mir anfangs über Ihre Verwandten und Ihre Verbindungen in der City machten, stehn so vollständig im Widerspruch mit allem, was Sie mir jetzt mitteilen, daß ich bedaure, weiterhin in Ihre Worte kein Vertrauen setzen zu können. Wenn Ihre Verwandten Ihnen nicht einmal Reisegeld anvertrauen wollen und Ihre angeblichen Freunde in der City Sie kurzerhand an die deutsche Gesellschaft verweisen, so kann mir das noch viel weniger Vertrauen erwecken. Die Parteigenossen2, auf die Sie sich berufen, kenne ich nicht, und würde deren allgemeines Zeugnis auch sonst gegenüber solchen Tatsachen wenig bedeuten. Ich bedaure daher, weiter nichts in dieser Angelegenheit für Sie tun zu können.
Ergebenst
1 In der Handschrift: 76 -2 Hoffmann und Immhof
18*
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Engels an B. Lindheimer in London13791 (Entwurf)
[London, 3. oder 4. Mai 1877] Es ist mir in der Tat unbegreiflich, wie ich platterdings dazu berufen sein soll, Ihnen Ihre Reisekosten zu verschallen. Sie mußten selbst wissen, wie weit Ihre Mittel reichten, und wann es Zeit war, nach Hause zu reisen, denn Sie kamen her auf Spekulation, und zwar nicht als Arbeiter. Sie lassen die Zeit verstreichen und gehn dann mich, den Ihnen persönlich gänzlich Unbekannten, um Hülfe an. Sie legen mir kein einziges Papier vor in Beziehung weder auf Ihren Charakter noch Ihre Stellung, denn eine Parteikarte hat nicht den Zweck einer derartigen Legitimation. Ihre Erzählungen über Ihre Stellung und Bekanntschaften stehn in schreiendem Widerspruch mit dem, was Sie mir nachher mitzuteilen genötigt sind. Endlich suchen Sie sich eine Zusammenkunft mit mir in meinem Hause durch ein Benehmen zu erzwingen, das mich nötigt, Ihnen meine Tür zu verschließen. Wenn ich Ihnen trotz alledem Postanweisung für das £ 1 auf Gower Street Office schicke, so geschieht es bloß, um Ihnen die letzte Chance zu geben, mir zu beweisen, daß Sie eine bessere Behandlung verdienen als zu der Sie mich bisher genötigt haben. Ich bitte um gefl. Empfangsanzeige.
Ergebenst
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Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] 26. Mai 18771
Lieber Bracke, Das von Fr. Kurz Erwartete ist heute von London abgegangen. Im Laufe der folgenden Woche erhält sie (mit Ausnahme glaube ich des Appendix) alles, was Lissagaray ihr noch an Veränderungen zu schicken hat.13071 Im übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen: 1. Die Kurz hätte selbstverständlich, was sie in Form von Manuskript von L[issagaray] erhalten hat, stets mit ihrem eignen Manuskript Ihnen zuschicken müssen. Bei ihrer meisterhaften Manier zu übersetzen (sieh einige Wenige neue Proben auf der andern Seite), wie kann ich sie kontrollieren ohne L[issagaray]s Mskr,? Ich bin überzeugt, daß sich infolgedes schon allerlei Unzulängliches eingeschlichen. 2. konnte sie sich sehr wohl sagen, daß L[issagaray] dies Mskr. für seine eigne 2te französische Ausgabe braucht. Im ganzen ist die Übersetzung, wo sie nicht direkt falsch ist, oft unbehülflich, philisterhaft und ledern. Doch dies mag vielleicht gewissermaßen deutschem Geschmack entsprechen. Mit bestem Gruß Ihr K.M.
Bestehn Sie also gefälligst darauf, daß die P.P. K[urz] Ihnen erstens (zur Rückgabe an L[issagaray]), das bereits von ihr übersetzte Mskr.L[issagaray]s zuschickt (Sie können es mir mit den Korrekturen zugehn lassen) und zweitens das Manuskript, was sie erst übersetzt, stets ihrem eignen Manuskript beilegt, so daß ich Übersetzung und Original vergleichen kann. Im ganzen ist dies zuschüssige Manuskript nicht umfangreich.
1 In der Handschrift: 1876
Der sehr von mir zerstrichne Passus p. 73 muß so gelesen werden: „Diese Emanzipation erwartete es von der autonomen Kommune, die etc. etc. ihre Verwaltung unabhängig leiten würde innerhalb der Grenzen, welche die Erhaltung der nationalen Einheit erfordert. Statt des Vertreters, der etc. kann, sollte etc. jenem monarchischen Auswuchs der Gesellschaft, dem ,Staat', der etc. zehrt, besondre Klasseninteressen vertritt, der etc., stellte es die Delegation mit eignem Leben begabter Kommunen gegenüber, die etc. sollte, die allgemeinen nationalen Interessen zu verwalten."
Proben p. 49 „A l'appel de son nom il a voulu repondre" übersetzt Fr. Kurz: „Er wollte dem an ihn ergangnen Aufruf entsprechen." Reiner Blödsinn! Meint: „Bei seinem Namensaufruf wollte er antworten etc." {ditto „les yeux ... brillants de foi republicaine"; foi heißt hier nicht „Treue" {heißt das überhaupt nie außer in dem Sinn: Meiner Treu! (ma foi)} sondern Glaube, Überzeugung etc. Ich habe es gelassen, wie es da steht, da ich dergleichen Phrasen überhaupt im Deutschen nicht liebe; also nichts daran liegt, ob ein X für ein U steht.} p. 51 „des intrigants bourgeois qui couraient apres la deputation". K[urz] übersetzt „welche der Deputation nachliefen". Ein Sextaner könnte nicht schlechter übersetzen. p. 51 „pour statuer en cas de doubles nominations" übersetzt K[urz] himmelschreiend: „um im Notfall" (was soll das heißen?) „doppelte Ernennungen zu statuieren"!!! Soll heißen: „um im Fall doppelter Ernennungen zu entscheiden". p. 54 „une permanence" übersetzt sie eine „permanente Sitzung" (was der Teufel ist das?). Meint „permanenten Ausschuß". p. 59 statt „verfallenen Wechsel" übersetzt sie „verfallene Handelsgegenstände" (!!!). p. 70 „l'intelligence etc. de la bourgeoisie de cette epoque" übersetzt sie „der Großbourgeois aus diesem Zeitpunkt" • (!) Eine Epoche ist ebensowenig ein Zeitpunkt als eine Linie ein Raumpunkt ist. p. 75 „Cest que la premiere note est juste" übersetzt sie: „Das kam daher, daß die erste Abrechnung (!) richtig war", soll heißen, daß sie von vornherein die richtige Note getroffen oder angeschlagen hatten. p. 90 „plumitifs" - „Federfuchser" übersetzt sie Gerichtsbücherlll
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Engels an Wilhelm Bracke in Braunschweig
y . i „ . London, 25. Juni 77 Lieber Bracke, Besten Dank für Ihre Rimesse £15.1.2. gegen Zinsen, die Ihnen dankend gutgeschrieben steht. Die M. 30 Honorar13801 schreiben Sie nur ja auf Ihren Wahlfonds über, damit dem das Gewissen auch etwas leichter wird. Was mit dem nächsten „Kalender" werden wird, wollen wir einstweilen abwarten. Wir haben ja noch fast ein Jährlein Zeit.[381] Heute geht der Anfang von „Dühring, Ökonomie" 1211 nach Leipzig. Liebknecht behauptet, der Kongreßbeschluß ginge meine Artikel gar nicht an.1981 Ich muß das auch annehmen, da der Kongreß doch inkompetent ist, einseitig über meine Artikel zu verfügen oder ohne meine Zustimmung eine von Liebkn[echt] mir gegenüber, in Kraft eines vorigjährigen Kongreßbeschlusses eingegangne Verbindlichkeit zu lösen. Sie sind ja ein schrecklich von Krankheiten geplagter Mann. Man sollte glauben, das Braunschweig hätte ein schauerlich ungesundes Klima. Gicht, Rheumatismus, Masern und eine unbekannte Krankheit obendrein, das ist ja haarsträubend! Hoffentlich läuft alles günstig ab. Was muß der Helmholtz ein elend kleinlicher Mensch sein, daß er sich über Äußerungen eines Dühring auch nur ärgert, und noch dazu derart, daß er der Berliner Fakultät die Alternative stellt: entweder Dühring wird gegangen oder ich gehe![1191 Als ob sämtliche Schriften Dührings, mit all ihrem wütenden Neid, in der Wissenschaft auch nur das Gewicht eines Furzes hätten! Aber freilich, Helmholtz ist zwar ein sehr ausgezeichneter Experimentator, aber als Denker dem D[ühring] keineswegs überlegen. Und dann ist der deutsche Professor der Gipfelpunkt des deutschen Kleinbürger- und Kleinstädtertums, und das namentlich in Berlin. Wo anders könnte ein Mann z.B. von dem wissenschaftlichen Ruf Virchows seinen höchsten Ehrgeiz darin suchen - Stadtverordneter zu werden! Sie werden sich noch wundern, was in den Türken steckt.[382] Hätten wir in Deutschland nur so ein Parlament wie das in Konstantinopel! Solange die
Volksmasse - liier der türkische Bauer und selbst der türkische mittlere Grundbesitzer - gesund ist, und das ist er, kann ein solches orientalisches Gemeinwesen ganz unglaubliche Püffe aushalten. Jedes andre Volk wäre an den vierhundert Jahren hauptstädtischer, von den Byzantinern überkommener Korruption zugrunde gegangen - die Türken brauchen bloß die oberste Schicht abzustreifen, um Rußland vollkommen gewachsen zu sein. Verrat, Käuflichkeit der Heerführer und Festungskommandanten, Verschleuderung der fürs Heer bestimmten Gelder, Unterschleife aller Art, alles das, was jeden andern Staat ruinieren würde, in der Türkei kommt's zwar dick genug, aber doch nicht so dick, daß sie daran unterliegen. Die einzige Gefahr für die Türken liegt in der Einmischung der europäischen Diplomatie und namentlich der Engländer, die die Türken von der ungenierten Anwendung ihrer Kampfmittel abhalten und ihnen zumuten, sich die unerhörtesten Provokationen gefallen zu lassen. So z.B., wenn die Rumänen die Russen ins Land lassen'3711, so sollen die Türken das als einen Akt der Neutralität ansehn und nicht die Brückenköpfe ihrer Festungen auf walachischem Gebiet besetzen und befestigen1 - bewahre! Das wäre Bruch der rumänischen Neutralität! Und die Türken sind gutmütig genug gewesen, diesen englischen und östreichischen Redensarten zu folgen und damit die Widerstandsfähigkeit ihrer Donaufestungen um mehr als die Hälfte zu schwächen! Der Donauübergang der Russen bei Matschin, den ich Marx schon vor 3 Wochen vorhersagte, ist Eingeständnis ihrer Unfähigkeit, den Übergang da, wo er ihnen etwas nützen könnte, nämlich oberhalb der Dobrudscha, zu erzwingen.11461 Die Russen müssen mindestens 2-3 Armeekorps durch die Dobrudscha schicken, wennsiedieStellungvonTschernavoda-Küstendsche forcieren wollen - wie sie die ernähren wollen und wie viele davon am Ziel ankommen werden, möchte ich wissen. Diese Aktion ist den Russen aufgezwungen durch die Niederlage der Montenegriner13831, die man nicht passieren lassen kann, ohne etwas zu tun. Der Feldzug wird jetzt wohl in Zug kommen, und die Russen haben die Wahl: entweder soviel Truppen über die Donau zu schicken, als militärisch erforderlich sind - und die können sie nicht ernähren; oder aber weniger, nicht mehr als sie ernähren können, und dann kommt der Feldzug bald zum Stehn. Trotzdem wird es für die nächste Zeit auch an der Donau russische Erfolge regnen - die alle gar nichts zu bedeuten haben. Besten Gruß von Ihrem F.E.
1 Siehe vorl. Band, S. 274
107
Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
London, 2. Juli 77
Lieber Liebknecht, Du hättest uns beiden viel unnötigen Ärger erspart, hättest Du mir sogleich die einfache Tatsache mitgeteilt, daß die Beilage schon jetzt erscheinen würde und Du meine Artikel darin abdrucken wolltest. Nach Deinen früheren Briefen mußte ich annehmen, die Beilage könne nicht vor Okt. erscheinen und sei zudem bereits in der für dann angesagten Revue1 aufgegangen; ich mußte also annehmen, Du habest vor, die Fortsetzung der Artikel trotz des Beschlusses1981 im Korpus des „Vorwärts" abzudrucken. Daher alle - unter solchen Voraussetzungen nur zu gerechtfertigte - Bedenken. Ich habe Ramm 3 Artikel geschickt und schreibe ihm heute der Vorsicht halber nochmals, daß der Abdruck in der Beilage erfolgen kann. Ein 4ter Artikel ist fertig, am 5ten bin ich. Leider habe ich Störungen und Abhaltungen aller Art, muß übermorgen auf einige Tage nach Manchester, dann an die See, meiner kränklichen Frau wegen'901, wo ich indes immer einige Stunden täglich arbeiten kann. Wegen Urquhart haben wir Schritte getan, das Material zusammenzubekommen. 13841 Das Prozessieren resp. Verdonnern scheint bei Euch immer lustiger zu gehn.11161 Ihr müßt eine Strafgesetznovelle einbringen, daß man die Zeit des Nachts absitzen oder vielmehr abliegen kann und die Tage frei hat. Das „V[or]w[är]ts" scheint uns die Geschichte in Frankreich doch etwas zu leicht zu nehmen.11111 Allerdings geht's die Arbeiter zunächst nichts an, und das wissen sie und sagen: ä vous maintenant, MM. les bourgeois, faites votre jeu!2 Aber es ist doch für die Entwicklung Frankreichs von der höchsten Wichtigkeit, daß die jetzige Pause bis zur nächsten Arbeiterbewegung unter dem Regime einer bürgerlichen Republik vorgeht, wo Gambetta & Co. sich blamieren, statt wie bisher unter imperialistischem
1 „Die Zukunft" - 2 die Reihe ist jetzt an euch, ihr Herren Bourgeois, macht euer Spiel!
Druck, wo sie wieder populär werden und am Tage des Losbruchs wieder an die Spitze treten; daß endlich der in Frankreich sinnlos gewordene Streit um die Staatsform aufhört und die Republik als das erscheint, was sie ist: die klassische Form der Bourgeoisherrschaft und zugleich die ihrer hereinbrechenden Auflösung. Übrigens würdet Ihr den Sieg der Reaktion in Frankreich auch in Deutschland verdammt spüren.'3851 An der Donau geht alles soweit gut. Eine orientalische, für große strategische Operationen unbrauchbare Armee wie die türkische, konnte den Russen den Übergang11461 unmöglich verwehren. Dafür aber geht eine solche orientalische Armee auch nie an ihren eignen Dummheiten zugrunde. Wir wollen jetzt sehn, wie die Russen ihre Armee in Bulgarien füttern werden. Ihre Schwierigkeiten wachsen mit jedem Schritt vorwärts in geometrischer Progression, und die sonderbare Aufführung ihrer besten der kaukasischen Armee in Armenien - im Feuer kündet ihnen wenig Gutes. Inzwischen wird Montenegro zu Brei zerstampft.'3831 Freut mich ganz speziell für G.Rasch.'3865 Dein F.E.
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Engels an Franz Wiede in Zürich (Entwurf)
[Ramsgate1901, 25. Juli 1877]
Sehr geehrter Herr, Ich muß um Entschuldigung bitten wegen etc. Was nun meine Mitarbeiterschaft an der von Ihnen beabsichtigten Zeitschrift betrifft'921, so kann ich Ihnen augenblicklich leider keine bestimmten Versprechungen machen. Sobald ich mit der Kritik Dührings für das „V[or]w[är]ts" fertig bin1211, werde ich genötigt sein, alle meine Kräfte auf eine seit Jahren geplante größere selbständige Arbeit1351 zu konzentrieren, an deren Vollendung mich - neben äußeren Umständen - auch meine Mitarbeiterschaft an sozialistischen Organen bisher verhindert hat. Wenn man seine 56 Jahre auf dem Nacken hat, so muß man sich endlich entschließen, mit seiner Zeit Rat zu halten, damit aus den Vorarbeiten schließlich noch etwas wird. Sollte ein einzelner Fall vorkommen, bei dem es mir wieder notwendig erschiene, mein Votum öffentlich abzugeben, so würde es von den Umständen abhängen, wo dies zu geschehn hätte, im „V[or\w[är\ts" oder anderswo, und in diesem letzteren Fall würde ich, soviel ich bis jetzt absehn kann, unter den verschiedenen geplanten „wissenschaftlichen Zeitschriften" gern mich zuerst an die Ihrige wenden. Wenn ich also für heute keine bestimmteren Zusagen geben kann, so wollen Sie dies gefl. nur den angeführten Ursachen zuschreiben, keineswegs aber einem Mangel an Teilnahme für eine Zeitschrift, die mich sehr interessiert, der ich das beste Gedeihen wünsche und auf die ich mich bereits durch meinen Buchhändler abonniert habe. Mit vorzüglicher Hochachtung etc.
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Engels an Natalie Liebknecht in Leipzig
2, Adelaide Gardens Ramsgate[90J, 3I.Juli 1877
Werte Frau Liebknecht, Dürfte ich Sie bitten, inl. Zeilen1 Ihrem Mann gelegentlich sicher zukommen zu lassen?13871 Hoffentlich werden Sie nun in kurzer Zeit derartiger Mühen überhoben sein, und, wie ich hoffe, auf längere Zeit. Die Frauen unsrer Freunde in Deutschland haben den Kampf, in dem ihre Männer aktiv auftreten, auch an ihrem Teil in einer Weise mitzumachen, die unsern Frauen hier im sichern England befremdend vorkommen würde. Wir haben hier gut sprechen und kritisieren, während in Deutschland jedes unvorsichtige oder unbedachte Wort mit Gefängnis und zeitweiliger Unterbrechung des Familienlebens bedroht ist. Glücklicherweise lassen sich unsre deutschen Frauen dadurch nicht irremachen und beweisen durch die Tat, daß die vielberühmte weichliche Sentimentalität nur eine den Bourgeoisfrauen eigentümliche Klassenkrankheit ist. Mit herzlichen Grüßen an Sie und Ihre Kinder aufrichtigst Ihr F. Engels
1 Siehe vorl. Band, S. 285/286
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Engels an Wilhelm Liebknecht in Leipzig
2, Adelaide Gardens, Ramsgate1901 3I.Juli 77
Lieber Liebknecht, Deine beiden Briefe vom 21. und 28. erhalten. Ich will nur hoffen, daß das Fiasko der Dühringerei endgültig ist und die Sache nicht wieder zusammengeflickt wird. Blamiert bleiben die Parteiorgane immer, die sich haben verleiten lassen, ihm wissenschaftliche Bedeutung beizulegen, weil - die Preußen ihn verfolgten11191! Und das sind alle, die ich gesehn habe. Vahlt[eich] hat die Äußerung von den Marxianern und Dühringianern allerdings getan, sie stand schon gleich nach dem Kongreß in allen Blättern, die seine Rede in der öffentlichen Versammlung (wo er sie verübte) veröffentlichten.13881 Ich glaube auch nicht, daß er sie ableugnen wird. Daß er jetzt brummt, ist für mich kein Grund, ihn besser zu machen, als er ist. Elisee Reclus ist ein einfacher Kompilator1, an dem weiter nichts ist. Da er und sein Bruder2 Mitstifter der geheimen Allianz13291 war, wird er Dir, falls er will, darüber mehr reinen Wein einschenken können, als Du ihm. Ob er bei den Leutchen ist oder nicht, ist ganz einerlei, er ist politisch konfus und impotent. Ich habe nie gesagt, die Masse Eurer Leute wolle keine wirkliche Wissenschaft. Ich sprach von der Partei, und die ist, als was sie vor der Öffentlichkeit, in Presse und Kongressen, sich gibt.11011 Und da herrscht jetzt die Halbbildung und der sich zum Literaten aufblähende Ex-Arbeiter vor. Wenn diese Leute nur eine winzige Minderheit ausmachen, wie Du sagst, so müßt Ihr doch offenbar nur deswegen Rücksicht auf sie nehmen, weil jeder von ihnen seinen Anhang hat. Der moralische und intellektuelle Verfall der Partei datiert von der Einigung12211 und war zu vermeiden, wenn man damals ein wenig mehr Zurückhaltung und Verstand bewiesen hätte. Eine gesunde Partei schwitzt auf die Dauer manches wieder aus, aber es
1 Siehe vorl. Band, S. 65 - 2 Michel-Elie Reclus
ist ein langer und schwieriger Prozeß, und die Gesundheit der Massen ist sicher kein Grund, ihnen ohne Not eine Krankheit einzuimpfen. Für die „Zukunft" ist es ein Glück, daß Dein Brief noch rechtzeitig kam, um meine bereits beschlossene Antwort auf die Aufforderung zur Mitarbeiterschaft zu verhindern.'1301 Eine Aufforderung von einer ganz anonymen Redaktion'1161, die für ihre Wissenschaftlichkeit keine andren Garantien zu bieten hat als den Kongreßbeschluß'1171, als ob ein Kongreß den Charakter der Wissenschaftlichkeit verleihen könne! Die Zumutung, ganz anonymen Leuten unsre Manuskripte anzuvertrauen, Leuten, die möglicherweise die schlimmsten Dühringianer sein konnten! Du sagst, Wiede sei Mitredakteur. Er selbst aber fordert mich noch am 20. er. auf, an einer von ihm in Zürich zu gründenden Revue mitzuarbeiten! 1921 Kurz, ich hab' diese Konfusion satt, diese fortwährende Unternehmung von unüberlegten und überstürzten Sachen. Ich kann schon wegen der Notwendigkeit, jetzt endlich einmal meine eignen größeren Arbeiten zu erledigen'351, mich auf keinerlei Zusagen einlassen. Den „Dühring"1211 mache ich noch fertig, nachher schreibe ich nur noch Artikel, wenn ich es selbst für dringend nötig halte, und wenn es eine Zeitschrift gäbe, die \ein Parteiorgan, so gäbe ich ihr, um keinen Kongreßdebatten'981 mehr ausgesetzt zu sein, den Vorzug. Für wissenschaftliche Arbeiten gibt's nun einmal kein demokratisches Forum, und ich habe an einer Erfahrung genug. Du solltest nach Gent gehn'3891 und dann von da nach London kommen'3901, wir kommen sicher nicht nach Gent, wozu hätten wir uns sonst im Haag12881 von der Praxis zurückgezogen? Über Antwerpen bist Du sofort und sehr wohlfeil in London, ein Zimmer ist Dir immer parat bei mir. Ich muß schließen, der Tisch wird gedeckt. Dein F.E.
111
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] I.August 1877
Lieber Bracke, Ich verlasse Ende dieser oder Anfang nächster Woche London und gehe nach dem Kontinent, da mein Gesundheitszustand Kur ernötigt.11061 In der Zwischenzeit ist mir alles Arbeiten untersagt, und müssen Sie sich daher für die Revision der Übersetzung von L[issagaray]s Buch13071 anderswo umsehn, da ohne Revision die Sache undruckbar ist. (Vielleicht kann C. Hirsch Ihnen jemand angeben.) Die monatlange Unterbrechung, ohne irgendwelche Mitteilung Ihrerseits, hat natürlich Lfissagaray] in keiner Weise erbaut, und halte ich seine Beschwerden für völlig berechtigt. Ihr ergebenster K.M.
112
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
London, 8. August 77
Lieber Bracke, Ihren Brief erhalten. Ich reise heut ab.'106' Sie erhalten in paar Tagen (vielleicht schon in 2) Brief nach Ems poste restante. Engels kann Ihnen nicht zu Dienst sein1391'; er ist im Seebad'90' und verreist bald wieder, vielleicht nach Jersey oder Manx oder sonstwo'141'. Die wenige Zeit, die ihm für Arbeit zu Gebot steht - unter diesen Umständen -, außerdem vollständig in Anspruch genommen. Was den B. Becker betrifft, so muß ich absolut dagegen protestieren, daß er irgendwie mit Lissagarays Arbeit '307' beauftragt wird. Er hat - von Ihnen selbst nicht zu sprechen - aufs tüchtigste gegen mich und Engels geschimpft in Paris, jetzt in London (wo er seit 2 Monaten) und sich sehr in acht genommen, mir nicht sichtbar zu werden. Alle seine Wut grade - wie ich schon von Paris aus informiert war - wegen Ihres Verlags von Lissagarays Schrift! Sein Geschimpf und Intrigieren ist mir absolut gleichgültig, aber ich kann unter keinen Umständen erlauben, daß dies Subjekt in irgendeine Angelegenheit Lissagarays eingemischt wird. Was die Isolde1 angeht, so scheint sie sich besser auf Geldpressen als aufs Übersetzen zu verstehen. Ihr K.M.
1 Isolde Kurz
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Marx an Maltman Barry in London
[Neuenahr] 15. August 1877
Lieber Barry, Meine Adresse ist: Dr. K. Marx, Hotel Flora, Neuenahr, Rheinpreußen.11061 Neuenahr ist der Name des Dorfes, diesem Badeort kommt nicht einmal der Rang eines Marktfleckens zu. Er ist von der Außenwelt ganz abgeschieden; es gibt keine Eisenbahnen innerhalb der Grenzen des Ahrtals. Aus der „Times" habe ich ersehn - im Leseraum vom Kurhaus1 daß Sie eine Mitteilung über eine Aktion in der orientalischen Frage veröffentlicht haben.13921 Bitte informieren Sie mich über die Fortschritte, die Sie in dieser Hinsicht machen. Ihr ergebener K.M.
Sie sind wohl so gut, den inliegenden Scheck über 40 £ einzulösen und mir den Betrag in zwei Zwanzigpfundnoten (natürlich Noten der Bank of England) zu senden, in eingeschriebenem Brief, über Ostende, unter der obigen Adresse. Ich schreibe noch einmal den Namen des Dorfes: Neuenahr (Hotel Flora heißt das Haus, in dem ich wohne).
Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift deutsch: Kurhaus
19 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
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Marx an Wilhelm Bracke in Ems
[Neuenahr] Hotel Flora 18. August 77
Lieber Bracke, Schicken Sie mir den 8. Bogen.13071 Könnten Sie nicht auf einen halben Tag herkommen?11061 Es ist nicht weit von Ems. Was den B. Becker betrifft, so hat er Sie (bei welcher Gelegenheit ich ohne sein Wissen ihn contrecarrierte1) zunächst bei Hirsch und Kaub zu verdächtigen und als „Geldmacher" darzustellen versucht. Kein Wunder, daß er nun das umgekehrte Manöver macht. Das Beste ist, dem Mann gegenüber nicht zu zeigen, daß man ihn kennt. Hirsch ist ein absolut zuverlässiger Mann; von der größten Aufopferungsfähigkeit; seine Hauptschwäche - Mangel an Menschenkenntnis, so daß Leute, die Enthusiasmus für die Sache zu spielen wissen, ihn leicht düpieren, wenn auch nicht anhaltend. In der Hoffnung, Sie hier zu sehn und mit meiner Frau und Tochter (die jüngste2 ist mit mir) bekannt zu machen, Ihr freundlichst ergebner K.M.
1 ihm in die Parade fuhr - 2 Eleanor Marx
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Marx an Wilhelm Bracke in Ems
24. Aug. 1877 Hotel Flora, Neuenahr
Lieber Bracke, Ich bedaure sehr, daß unter den Umständen unsre Zusammenkunft untunlich ist, da Sie sonst, was nicht Tätlich, Ihre Kur unterbrechen müßten. Ich habe gleich mit dem Korrekturdurchlesen begonnen13071; die Arbeit wurde unterbrochen durch Ankunft meines Freundes, des Professor Schorlemmer aus Manchester, der aber nur ein paar Tage hier verweilt11061. Einen Brief an Sie1401, den ich gleichzeitig gestern begann, da er zugleich einige Randglossen meinerseits enthält, kann ich erst endigen, nachdem ich mit der Korrektur fertig. Apropos. Ich habe von London einen Brief von meinem Freund Maltman Barry (ist Schotte) aus London erhalten. Er ist ehmaliges Mitglied des Generalrats in London, unser eifrigster und tüchtigster britischer Parteigenosse. Er zeigt mir an, daß er nach dem Genter Kongreß 13801 geht und wünscht Empfehlung an deutsche Delegaten, sollten solche kommen. Sie sind wohl so gut, mir einige Zeilen für ihn in diesem Sinne zu übersenden. Mit bestem Gruß Ihr Karl Marx
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Engels an Natalie Liebknecht in Leipzig
122, Regent's Park Road N.W. London, 4.Sept. 1877
Verehrte Frau Liebknecht, In aller Eile nur ein paar Zeilen der Beantwortung auf Ihren freundlichen Brief vom 28. v. M. Liebknecht hatte davon gesprochen, vom Genter Kongreß13891 nach London zu kommen13901; bei meiner Rückkehr von Ramsgate[90] nun finde ich, daß dieser Kongreß vom 9. Sept. (nächsten Sonntag) bis zum 17. Sept. (den folgenden Sonntag) stattfinden soll. Ich selbst gehe nun morgen mit meiner Frau auf ärztlichen Rat auf 14 Tage nach Schottland und werde für diese Zeit für Briefe in der Regel unerreichbar sein, ich denke jedenfalls Donnerstag 20. oder spätestens Freitag 21. zurück zu sein, so daß, wenn L[iebknecht] auch am 18. hier ankäme, er höchstens ein paar Tage vor mir ankommen würde. Auch werde ich mich um diese Zeit in telegraphische Verbindung mit meinem Hause setzen, um das Nötige über seine Ankunft in Erfahrung zu bringen. Die Leute, die während unsrer Abwesenheit unser Haus besorgen, sind instruiert, ihn bei Ankunft recht komfortabel zu machen, sein Zimmer ist schon jetzt fertig, und ich bin gewiß, daß meine Instruktionen befolgt werden. Ob Marx's bis zu jener Zeit hieher zurück sein werden, ist mir nicht genau bekannt, doch schließe ich fast bejahend aus den letzten Nachrichten, da sie Neuenahr verlassen hatten und von einem anfangs beabsichtigten Aufenthalt im Schwarzwald keine Rede mehr war.11061 Vielleicht wissen Sie durch Frau M[arx] darüber mehr als wir hier, jedenfalls aber kann L[iebknecht] von Gent aus die neuesten Nachrichten darüber erhalten, wenn er an Mad. Lafargue, 225, Camden Road, N. W., London (Marx' zweite Tochter) zwei Zeilen schreibt. Für den Fall, daß bei L[iebknecht]s Ankunft weder M[arx] noch ich hier sein sollten, ' kann er sich außer bei Lafargues noch bei der ältesten Tochter von M[arx], Mad. Longuet, 30, Leighton Grove, Leighton Road, Kentish Town, N. W., unterhalten und unsern alten Freund Leßner, 12, Fitzroy Street, Fitzroy Square, aufsuchen. Longuets sind augenblicklich auch in Yarmouth im
Seebad und werden bis Mitte Sept. jedenfalls zurück sein, doch kann ich den Tag nicht angeben. Es ist in der Tat auch meine Ansicht, daß Liebknecht viel zuviel sitzt[3ft3J, es ist ganz-gut, wenn man sich aus dergleichen nicht viel macht, aber darum braucht man sich doch keine sitzende Lebensweise anzugewöhnen. Ob Sie ihn vom Vorpostendienst (oder vielmehr Avantgardendienst) wegbekommen, ist freilich etwas zweifelhaft, wer einmal so lange Jahre darin war, findet zu viel Gefallen daran, indes wird die lange Praxis ihn wohl bald dahinbringen, daß er den Schlingen der Strafgesetzgebung entgeht. Für Sie muß es allerdings dringender Wunsch bleiben, daß L[iebknecht] nicht mehr alle seine dienstfreie Zeit im Gefängnis und alle seine gefängnisfreie Zeit im Reichstag oder auf Reisen zubringt. Meine Frau erwidert Ihre freundlichen Empfehlungen aufs herzlichste. Mit freundschaftlichen Grüßen Ihr F. Engels
Da ich nicht weiß, ob Liebknecht] bei Ihnen ist, muß ich Sie bitten, ihn gütigst vom Inhalt dieses Briefs in Kenntnis zu setzen.
117
Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
27. Sept. 1877 41, Maitland Park Road London, N.W.
Lieber Freund, Leider finde ich Deinen Brief erst jetzt bei meiner Rückkehr vom Kontinent (wohin mich die Ärzte geschickt)11061 vor. Meine Antwort kommt daher vielleicht viel zu spät. Im übrigen Pater Peccavi1! Aber die verfluchte Schlaflosigkeit, die mich heimsuchte während dieses Jahrs, machte mich immens schreibfaul, da ich die passablen Momente absolut der Arbeit schuldete. Wenn Weydemeyer noch nicht hat drucken lassen, würde ich „Kapital und Arbeit" durchsehn13941, da das Original1201 voll der abscheulichsten Druckfehler. Du hast überhaupt keine Idee, wie die Partei, i. e. die Chemnitzer (as represented by2 Vahlteich3) mit mir umgingen. Erst, auf Liebknechts Andringen und da mir die Sache auch von Chemnitz aus als sehr pressant vorgestellt ward, unternahm ich die Arbeit vor Abreise nach Karlsbad131, trotz höchst zerrütteten Nervenzustands. Und bei den vielen Eseleien, die der Most (jetzt glücklich bei Herrn Dühring gelandet; ist ein eitler Bursch, der stets bereit, was immer er liest, sofort als Stoff zu einer Druckschrift zu vermöbeln) verübt, und dem vorgeschriebnen engen Raum war das keine Kleinigkeit. Very well!4 Monatelang erhielt ich keine Nachricht, frage an1401, erhalte die „kühle" Antwort Vahlteichs, das die Sache bloß gesetzt wird in den kleinen Zeitfetzen, welche das Setzen der Chemnitzer Philisterannoncen der Parfei'druckerei läßt! Solche kühle Unverschämtheit ist mir noch nicht vorgekommen! So dauerte der Druck beinahe ein Jahr! und endlich erschien das Opusculum wimmelnd von sinnentstellenden Druckfehlern!
1 Vater, ich habe gesündigt - 2 in der Handschrift: bei - 3 die durch Vahlteich vertreten werden - 4 Soweit gut!
Um Zeitverlust zu vermeiden, vielleicht besser, wenn Ihr zunächst in der von,Dir vorgeschlagnen Weise druckt und ich für die 2te Auflage das Gedruckte (was viel leichter) korrigiere. Das „Kommunistische Manifest" werde ich unmittelbar mit Engels korrigieren und Dir dann zuschicken.12911 Ad vocem5 „Kapital" und Douai: Erstens: Hat Douai einen Herausgeber? Zweitens: Die französische Ausgabe12061 hat mir so viel Zeitverlust gekostet, daß ich persönlich bei keiner Übersetzung irgendwie mehr mitwirke. Du mußt wissen, ob Douai genug Englisch weiß, um allein die Sache zu machen.13951 Wenn so, so hat er meine volle Erlaubnis und meinen Segen. In dem Fall aber: Drittens: Er muß bei der Übersetzung durchaus neben der 2ten deutschen Ausgabe12141 die französische Ausgabe vergleichen, wo ich manches Neue zugesetzt und vieles wesentlich besser dargestellt habe. Ich werde Dir noch im Lauf dieser Woche zweierlei zugehn lassen: 1. Ein Exemplar der französischen Ausgabe für Douai. 2. Ein Verzeichnis dessen, wo nicht die6 französische Ausgabe mit der deutschen zu vergleichen, sondern wo der französische Text ganz zugrund gelegt werden muß. Herr Uriele Cavagnari in Neapel bereitet (nach der französischen Ausgabe) die italienische Ausgabe des „Kapital" vor; er druckt auf seine Kosten und wird das Buch zum Kostenpreis verkaufen. Braver Mann!13961 Was Du über die Deutschen schreibst, verwundert mich in keiner Weise. Hier ganz ebenso. Engels und ich haben uns daher ganz von dem Pack zurückgezogen (ebenso Leßner). Ausnahme macht nur ein mir befreundeter deutscher Arbeiter, dessen Name mir augenblicklich nicht einfällt (ich glaube: Weyer7); er hat Sitz im London Trades' Union Council13971 und hat die einzig vernünftige Resolution (daß die Arbeiter nur Arbeiter als Repräsentanten ins House of Commons8 wählen sollen) auf dem shameful9 Trades Union Congress zu Leicester13981 durchgesetzt, wo die Bourgeois die Patrone spielten, u.a. Herr Th.Brassey, großer Schwindler und Millionär und Sohn des berüchtigten Eisenbahn-Brassey, der Europa und Asien „unternommen" hatte. Der Genter Kongreß1389so viel er sonst zu wünschen übrig läßt, hatte wenigstens das Gute, daß Guillaume et Co. total von ihren alten Bundesgenossen verlassen wurden. Mit Mühe wurden die flämischen Arbeiter
5 Nun zu - 6 in der Handschrift: das - 7 Adam Weiler - 8 Unterhaus - 9 smachvollen
abgehalten, den großen Guillaume durchzuprügeln. Der schwatzschweifige De Paepe mit Brism6e insultierte sie; Herr John Haies ditto. Letzterer stellte sich unter Kommando von - Barry, den ich veranlaßt, teils als Mitglied des Kongresses (ich weiß nicht, als Delegat für wen), teils als Korrespondent für den „Standard" (London)[399] hinzugehn. Ich für meinen Teil will persönlich nie mehr mit Jung und Haies zu tun haben, aber den Jurassiens gegenüber ihr zweiter Abfall nützlich. Barry ist mein factotum hier; er dirigierte auch die Berichterstatter der „Times" (die den Herrn Eccarius entlassen). Durch ihn namentlich unterhielt ich aber während Monaten inkognito ein Kreuzfeuer gegen den Russomanen Gladstone in der Londoner fashionable press10 („Vanity Fair"1761 und „Whitehall Review"[82]) wie in der englischen, schottischen und irischen Provinzialpresse, enthüllte seine Mogelei mit der russischen Agentin Nowikow, der russischen Gesandtschaft zu London etc.; ditto wirkend durch ihn auf englische Parlamentler des Unter- und Oberhauses, die die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden, wüßten Sie, daß der Red-Terror-Doctor11, wie sie mich nennen, ihr Ohreneinbläser in der orientalischen Krise. Diese Krise ist ein neuer Wendepunkt der europäischen Geschichte. Rußland - und ich habe seine Zustände aus den russischen Originalquellen, unoffiziellen und offiziellen (letztere nur wenigen Menschen zugänglich, aber mir durch Freunde in Petersburg verschafft) - studiert, stand schon lang an der Schwelle einer Umwälzung; alle Elemente dazu fertig. Die braven Türken haben die Explosion um Jahre beschleunigt durch die Keile, die sie nicht nur der russischen Armee und den russischen Finanzen, sondern der die Armee kommandierenden Dynastie (Zar12, Thronfolger13 und 6 andre Romanows) höchsteigen persönlich erteilt. Die Umwälzung wird secundum artem11 mit Konstitutionsspielereien beginnen, et puis il y aura un beau tapage15. Wenn uns Mutter Natur nicht besonders ungünstig, erleben wir den Jubel noch! Das dumme Zeug, das die russischen Studenten machen, ist nur Symptom, an sich selbst wertlos. Aber es ist Symptom. Alle Schichten der russischen Gesellschaft sind ökonomisch, moralisch, intellektuell in voller Dekomposition. Die Revolution beginnt diesmal im Osten, wo das bisher unverletzte Bollwerk und die Reservearmee der Kontrerevolution.
10 vornehmen Presse —11 Doktor des roten Terrors -12 Alexander 11. -13 Alexander Alexandrowitsch - 14 nach allen Regeln der Kunst -16 und dann wird es einen schönen Krach geben
Herr Bismarck sah mit Vergnügen den Keilen zu, aber so weit sollte es nicht gehn. Rußland, zu sehr geschwächt, könnte nicht wieder wie im Deutsch-Französischen Krieg Ostreich im Schach halten! Und wenn es dort gar zur Revolution käme, wo bleibt denn die letzte Garantie für die Hohenzollerndynastie ? Für den Augenblick kommt alles darauf an, daß die Polen (im Königreich Polen) sich Ducks halten. Nur keine Erneuten dort in diesem Augenblick! Bismarck würde sofort einrücken, und der russische Chauvinismus würde wieder auf Seiten des Zar treten. Warten die Polen dagegen ruhig ab, bis es in Petersburg und Moskau brennt, und träte Bismarck dann als Retter ein, so findet Preußen - sein Mexico14001! Ich habe solchen Polen, die Einfluß auf ihre Landsleute und mit denen ich in Verbindung, dies wieder und wieder eingebleut! Die französische KVi'se1871 ist ein ganz sekundäres Ereignis verglichen mit der orientalischen. Doch ist zu hoffen, daß die Bourgeoisrepublik siegt, oder das alte Spiel fängt wieder von vorn an, und keine Nation kann dieselben Dummheiten zu oft wiederholen. Mit herzlichsten Grüßen von mir und Frau Dein Karl Marx
Postskriptum. Notar Wessel von Genf zeigte mir die Geschichte wegen des Testaments von Lingenau14011 an. Wir werden (i. e. die Exekutoren) einen Mandanten in Amerika ernennen müssen, wozu nur Du Dich eignen würdest. Vor allem aber nötig zu wissen, wie die Sache in Amerika steht und ob das Testament ohne unendliche Prozesse ausführbar. Du wirst mich verpflichten, wenn Du Erkundigungen darüber einziehst und mich informierst.
118
Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
London, 5. Okt. 1877
Lieber Hermann, Ich habe Ende d.M. (31.Okt.) ca. £ 380 Einzahlungen zu machen, und würde es mir daher angenehm sein, wenn Du mir eine entsprechende Summe recht bald übermachen könntest. Ich bemerke dabei, daß es mir lieb wäre, wenn es sich einrichten ließe, daß die Rimesse hier vor dem 31 sten fällig ist (inkl. die 3 Respittage, also nominell fällig spätestens am 27. er.), da ich sonst bei den hiesigen Bankgewohnheiten nicht am 31. darüber disponieren kann und Diskontieren für einen, der nicht im Geschäft ist, immer umständlich und sogar manchmal nicht gut möglich ist, ohne verschiedne andre Leute in Bewegung zu setzen; und sollte ich meinen, daß der B[armer] Bankverein ebensogut 3 Tage wie 10 Tage Dato oder Sicht abgeben kann. Ich habe diesen Sommer recht gebummelt, 7 Wochen an derSeet90J und dann 14 Tage in Schottland[1411, es ist mir aber auch famos bekommen. Daß ich die Widerstandskraft der Türken und die Schwäche der Russen im Angriff richtig beurteilt hatte1, wirst Du mir jetzt wohl zugeben. Im nächsten Jahr sind die Türken doppelt so stark, weil sie ihre Leute im Winter einüben können. Sollten die Russen, was ich kaum glauben kann, ihre Armee den Winter über nicht über die Donau ziehn, so können sie noch ganz andre Dinge erleben. So ein Eisgang auf der Donau hat absolut keinen Respekt vor Schiffbrücken, auch wenn sie dem Kaiser von Rußland gehören. Übrigens mag es gehn, wie es will, vor Ende 1878 hat Rußland seine Konstitution und damit die zweite Ausgabe der französischen Revolution von 1789 - 94. Der Mann, der die Türken wesentlich verhindert hat, den Russen noch ganz anders mitzuspielen, ist der Schwager des Sultans2, Machmud Damad Pascha, Freund von Ignatjew und von diesem seit Jahren gekauft. Wenn Du einmal hörst, daß der gestürzt ist, so kannst Du darauf rechnen, daß eine
1 Siehe vorl. Band, S. 240/241 - 2 Sultan Abdul Hamid II.
ganz andre Energie in die Kriegführung kommt. Er ist es auch, der den Mechmed Ali hat abberufen lassen. Beste Grüße an Emma, die Kinder und alle Geschwister. Dein Friedrich
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Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover
London, 12. Okt. 1877
Lieber Kugelmann, In aller Eile (ich habe einen Chemiker aus Mannheim1 und einen Privatdozenten aus München hier zum Besuch) die gewünschte Anzeige, daß ich Deinen Brief erhalten und daß ich dem Herrn Ecker, soweit Zeit und Kräfte erlauben, gern Auskunft geben will, sobald ich erst näher weiß, was er von mir wünscht.'4021 Viel kann ich ihm schwerlich helfen, denn eine perfekte Arbeiterwohnung, die einerseits allen sanitären etc. Ansprüchen genügt und andrerseits nicht zu teuer für Arbeiter ist, ist, wie Du weißt, ein dreieckiges Viereck. Uns geht's hier recht wohl, Marx ist in Neuenahr gewesen'1061, die Leber ist augenblicklich wieder normal, die Nerven sind besser, Schlaf also auch, und wenn ihn Erkältungen nicht so sehr angriffen, wäre über wenig zu klagen. Ich selbst bin sehr wohl, habe den Sommer viel gebummelt'4031, darauf viel Besuch, denke aber nächste Woche wieder an die Arbeit zu kommen. Besten Gruß. Dein F. Engeis
1 wahrscheinlich Philipp Pauli
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Engels an Hermann Engels in Engelskirchen
London, 13. Okt. 77
Lieber Hermann, Es wird mir ganz recht sein, das Geld hier in der angegebnen Weise angewiesen zu erhalten, aber auf den 30. Es muß nämlich durch meine Bank passieren, und dort wird es mir erst gutgeschrieben, nachdem der betreffende cheque nachmittags im Clearing house auch wirklich eingegangen; dann ist aber auch die Bank geschlossen, und ich kann erst den nächsten Tag darüber verfügen. Sei doch auch so gut, mir anzugeben, welcher Bankier in Barmen das Geld zu meiner Verfügung stellt, damit ich mich legitimieren kann, wenn man keine Firma mehr repräsentiert, hat man sonst in solchen Fällen oft Schwierigkeiten. Der Zusammenbruch aller russischen Armee-Einrichtungen, Kommando, Stab, Munitionszufuhr, Verpflegung, Kleidung, Lagerordnung usw. wird täglich kompletter, ein kolossaler Krach, wobei einige 100 000 Menschen geopfert werden. In den 2 letzten September- und der ersten Oktoberwoche sollen die Russen an Toten (d.h. gestorbenen Verwundeten und Kranken) 15 000 Mann und seit Anfang des Kriegs an Toten allein 47 000 Mann verloren haben. Wenn sie noch 3 Wochen vor Plewna11451 und am Lom bleiben, kann es vorkommen, daß die ganze Armee sich auflöst. Beste Grüße. Dein Friedrich
Hier hat es zwar auch etwas gefroren, aber die Geranien blühen doch immer noch ein wenig im Freien. Dagegen ist in Schottland fast die ganze Ernte kaputt, ich sah am 20. Sept. bei Edinburgh11411 noch ganz grünes Korn.
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Marx an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
• . , c [London] 19. Oktober 1877 Lieber borge, Du erhältst zugleich mit diesen Zeilen einliegend Manuskript für Douai1; falls er die Übersetzung des „Kapital" macht.13951 Das Manuskript enthält, außer wenigen Änderungen im deutschen Text, angegeben, wo letzterer durch die französische AuSgJ2®6^ zu ersetzen ist. In dem für Douai bestimmten und heute ebenfalls an Deine Adresse versandten Exemplar der französischen Ausgabe sind die im Manuskript angeführten Stellen markiert. Ich fand die Arbeit viel zeitraubender als ich dachte, wozu noch eine garstige, nicht ganz überstandne Influenza hinzukam. Im Fall der Herausgabe müßte Douai in der Vorrede bemerken, daß er neben der 2ten deutschen Ausgabe'2141 die später erschienene und von mir umgearbeitete französische Ausgabe benutzt hat, aber, by no means2, daß diese amerikanische Ausgabe vom Verfasser autorisiert ist. Täte er letzteres, so würden die englischen Buchhändler sofort Nachdruck in England veranstalten und legal dazu befugt sein. Obgleich ich überall in Europa, wo Copyright mit England existiert, das Übersetzungsrecht mit Vergnügen gewähre, so sicher nicht in England, diesem Land des Mammons. Londoner Buchhändler haben schon einige von mir vereitelte Versuche gemacht, ohne meine Erlaubnis, also auch ohne Zahlung an mich, eine englische Ausgabe zu bewerkstelligen. Ich bin aber fest entschlossen, daß diese Herrn sich nicht auf meine Kosten bereichern sollen auch nur um einen Deut. Engels' Zeit ist für den Augenblick in der verschiedensten Weise beansprucht, erstens Arbeit für den „Vorwärts" '211, zweitens Überflutung von Philisterbesuchen aus Deutschland, drittens persönliche „Influenza" und viertens Krankheit seiner Frau3. Daher konnte bis dato das „Manifest" noch nicht von uns gemeinsam in Angriff4 genommen werden.'2911 In Deutschland macht sich in unsrer Partei, nicht so sehr in der Masse, als unter den Führern (höherklassigen und „Arbeitern") ein fauler Geist
1 Siehe vorl. Band, S.295 - 2 auf keinen Fall - 3 Lizzy Burns - 4 in der Handschrift: noch nicht in Angriff von uns gemeinsam in Angriff
geltend. Der Kompromiß mit den Lassallianern Hat zu Kompromiß auch mit andern Halbheiten geführt, in Berlin (via Most) mit Dühring und seinen „Bewunderern", außerdem aber mit einer ganzen Bande halbreifer Studiosen und überweiser Doctores, die dem Sozialismus eine „höhere, ideale" Wendung geben wollen, d. h. die materialistische Basis (die ernstes, objektives Studium erheischt, wenn man auf ihr operieren will) zu ersetzen durch moderne Mythologie mit ihren Göttinnen der Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und fraternite5. Herr Dr. Höchberg, der die „Zukunft" herausgibt, ist ein Vertreter dieser Richtung und hat sich in diePartei „eingekauft" ich unterstelle, mit den „edelsten" Absichten, aber ich pfeife auf „Absichten". Etwas Miserableres wie sein Programm der „Zukunft"14041 hat selten mit mehr „bescheidner Anmaßung" das Licht erblickt. Die Arbeiter selbst, wenn sie wie Herr Most et Cons. das Arbeiten aufgeben und Literaten von Profession werden, stiften stets „theoretisch" Unheil an und sind stets bereit, sich an Wirrköpfe aus der angeblich „gelehrten" Kaste anzuschließen. Namentlich, was wir seit Jahrzehnten mit so viel Arbeit und Mühe aus den Köpfen der deutschen Arbeiter gefegt und was selben das theoretische Übergewicht (daher auch das praktische) über Franzosen und Engländer gab - der utopistische Sozialismus, das Phantasiegespiel über den künftigen Gesellschaftsbau - grassiert wieder und in einer viel nichtigeren Form, nicht nur verglichen mit den großen französischen und englischen Utopisten, sondern mit - Weitling. Es ist natürlich, daß der Utopismus, der vor der Zeit des materialistisch-kritischen Sozialismus letzteren in nuce6 in sich barg, jetzt wo er post festum kommt, nur noch albern sein kann, albern, fad und von Grund aus reaktionär. Das „Vorwärts" scheint das Hauptprinzip in der letzteren Zeit zu befolgen, Manuskript zu nehmen, „copie" wie die Franzosen sagen, woher es immer komme. Z.B. in einigen der letzteren Nummern schreibt erstens ein Bursche, der nicht das ökonomische ABC kennt, groteske Enthüllungen über die „Gesetze" der Krisen14051. Er enthüllt nichts als seinen eignen inneren „Krach". Und nun gar der naseweise Bengel aus Berlin, dem erlaubt wird, seine unmaßgeblichen Gedanken über England und den plattesten Panslawismusblödsinn in endlosen Bandwurmsartikeln auf Kosten des „souveränen Volks" drucken zu lassen!14061 Satis superque!7 Dein Karl Marx
5 Brüderlichkeit - 6 im Keim - 7 Mehr als genug!
Apropos. Vor einigen (wenigen) Jahren erschien eine Art Blaubuch (ich weiß nicht, ob offizielles) über die Zustände der miners8 in Pennsylvanien14071, die bekanntlich sich in feudalster Abhängigkeit von ihren moneylords befinden (ich glaube, die Sache erschien nach einem blutigen Konflikt'4081). Es ist von der höchsten Wichtigkeit für mich, diese Veröffentlichimg zu haben und wenn Du mir sie verschaffen kannst, schicke ich Dir den Preis; wenn nicht, kannst Du mir vielleicht den Titel verschaffen, und würde ich dann mich an Harney wenden (in Boston).
8 Bergarbeiter
122
Marx an Wilhelm Bracke in Braunschweig
[London] 23. Okt. 1877
Lieber Bracke, Ihre Nachricht ist schlecht, war aber leicht vorauszusehn. Ich habe Ihnen schon verschiednemal angedeutet, die holde Isolde1 an die Luft zu setzen. Mit aller Korrektur bleibt das Produkt derselben ein Abortus. Dazu die Zeitvergeudung, die Kostenverschwendung etc. Juristisch kann dem „an die Luft setzen" kein Hindernis im Weg stehn, da die Person nicht leistet noch leisten kann, wozu sie sich kontraktlich verpflichtet hat. Bios hatte sich schon früher (leider erst nach Isolden) angeboten.'326' Die Revue „Zukunft" keineswegs befriedigend. Hauptstreben, an die Stelle materialistischer Erkenntnis ideologische Phrasen von „Gerechtigkeit" etc. zu setzen. Programm miserabel.14041 Verspricht auch in ZukunftsGesellschafts-Bau-Phantastereien zu machen. Dies erste Resultat des Einkaufs eines Bourgeois2 in die Partei nicht glücklich - wie das vorherzusehn war. Auch das „Vorwärts" druckt eine Masse unreifer Pensa von strebenden und eingebildeten Jünglingen.3 Mir scheint das Geld des Proletariats nicht dazu bestimmt, einen Ablagerungsplatz für dgl. Exercitia zu liefern. Ich hoffe, es geht besser mit Ihrer Gesundheit. Ich selbst leide von Influenza seit einigen Wochen, stört sehr an der Arbeit. Ihr K.M.
1 Isolde Kurz - 2 Karl Höchberg - 3 siehe vorl. Band, S.303
20 Marx/Engels, Werke, Bd. 34
123
Marx an Sibylle Heß in Paris
25. Oktober 1877 41, Maitland Park Road, N. W. London
Werte Frau Heß, Besten Dank meinerseits, ebenso von Engels, für die übersandten 2 Exemplare der „dynamischen Stofflehre"t409]. Wir sind beide der Ansicht, daß die Schrift unsres verewigten Freundes einen sehr bedeutenden wissenschaftlichen Wert hat und unsrer Partei Ehre macht. Ganz abgesehn von der persönlichen Beziehung zu unsrem vieljährigen Bundesgenossen würden wir es daher schon als Pflicht betrachten, die Bedeutung seines Werks auseinanderzusetzen und möglichst für dessen Absatz zu wirken.1 Sind die beiden in Heß' Vorrede angekündigten Teile ebenfalls im Manuskript vorhanden? Sie nehmen mir nicht übel, wenn ich den Preis für die beiden Exemplare hier einlege; es handelt sich hier ja nicht um Ihnen persönliche Ausgaben, sondern um die Kosten des Unternehmens. Ihr ergebenster Karl Marx
Ich werde in bezug auf die Schrift nach Petersburg und New York schreiben.
1 Vgl. vorl. Band, S.313
124
Marx an Sigmund Schott in Frankfurt a.M.
3. Nov. 1877 41, MaitlandPark Road London, N.W.
Geehrter Herr, Meinen besten Dank für die Zusendungen. Ihr Erbieten, mir auch einiges aus Frankreich, Italien, Schweiz etc. zukommen zu lassen, ist mir sehr willkommen, obgleich es mir widerstrebt, Sie zu sehr zu beanspruchen. Im übrigen kann ich ruhig abwarten, ohne in irgendeiner Weise an meiner Arbeit aufgehalten zu werden, weil ich abwechselnd verschiedne Teile des Werks ausführe. In der Tat begann ich „Das Kapital" privatim genau in der umgekehrten Reihefolge (beginnend mit dem 3ten, historischen Teil14101), worin es dem Publikum vorgelegt wird, nur mit der Beschränkung, daß der erste, zuletzt in Angriff genommene Band gleich für den Druck zurechtgemacht wurde, während die beiden andren in der rohen Form blieben, welche alle Forschung originaliter besitzt. Ich lege ein Photogramm hier ein, weil das gleichzeitig mit diesen Zeilen Ihnen zugehende Exemplar der französischen Ausgabe'3061 nur die von dem Pariser Künstler weiter und keineswegs angenehm idealisierende Ausführung eines Londoner Photogramms enthält. Ihr ergebenster Karl Marx
125
Marx an Wilhelm Bios in Hamburg14111
10. Nov. 1877 41, Maitland Park Road London, N.W.
Lieber Bios, Ich war sehr erfreut, endlich einmal ein Lebenszeichen von Dir (dies „Dir" schlüpft mir naturgemäß aus der Feder. Laß also künftig das „Sie") zu erhalten. Gegen die abominable Isolde1 habe ich seit lange Verabschiedung beantragt und umsonst gepoltert.13261 Wo in „la Place" das Wort mit einem großen P geschrieben ist, bedeutet es stets die Place Vendome, weil dort der Sitz des Kommandanten der Nationalgarde, der ja für Paris damals dasselbe war, was wir „Platzkommandant" nennen. Was die „suppression de l'Etat"2 betrifft, einen Ausdruck, den Lfissagaray] selbst in der 2ten französischen Ausg. ändern wird, so ist der Sinn derselben kein andrer, als der in meinem Pamphlet über den „Bürgerkrieg" in Frankreich entwickelte.3 In Kürze kannst Du übersetzen: „Abschaffung (oder Unterdrückung) des Klassenstaats." Ich „grolle nicht" (wie Heine sagt)14121 und Engels ebensowenig.14131 Wir beide geben keinen Pfifferling für Popularität. Beweis z.B., im Widerwillen gegen allen Personenkultus, habe ich während der Zeit der Internationalen die zahlreichen Anerkennungsmanöver, womit ich von verschiednen Ländern aus molestiert ward, nie in den Bereich der Publizität dringen lassen und habe auch nie darauf geantwortet, außer hie und da durch Rüffel. Der erste Eintritt von Engels und mir in die geheime Kommunistengesellschaft geschah nur unter der Bedingung, daß alles aus den Statuten entfernt würde, was dem Autoritätsaberglauben förderlich.14141 (Lassalle wirkte später grade in der entgegengesetzten Richtung.) Aber solche Ereignisse, wie sie sich auf dem letzten Parteikongreß zugetragen1981 - sie werden gehörig exploitiert von den Feinden der Partei im
1 Isolde Kurz - 2 „Abschaffung des Staates" -3 siehe Band 17 unserer Ausgabe, S.335-350
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Erste Seite des Briefes von Marx an Wilhelm Bios vom 10. November 1877

Ausland haben uns jedenfalls Vorsicht in unsren Verhältnissen zu den „Parteigenossen in Deutschland" aufgenötigt. Im übrigen zwingt mich mein Gesundheitszustand, die mir ärztlich erlaubte Arbeitszeit zur Beendigung meines, Werks4 zu verwenden; und Engels, der an verschiednen größeren Schriften arbeitet1351, liefert immer noch dem „Vorwärts" Beiträge1211. Es wird mich amüsieren, hie und da etwas Näheres über meine „Kombinationen mit Pater Beckx zu erfahren".14151 Engels schreibt Dir dieser Tage. Mit bestem Gruß seitens meiner Frau und Tochter Eleanor. Totus tuus5 Karl Marx
4 des „Kapitals" - 5 Ganz der Deine
126
Engels an Ernst Dronke in Waterloo14161 (Abschrift)
[London] 20. Nov. [1877] Wenn ich das Receipt1 bis morgen früh nicht habe, so zwingst Du mich, hier auf das Central Office zu gehn und den ganzen Sachverhalt bloßzulegen.
1 die Quittung (vgl. vorl. Band, S.224)
127
Marx an Sibylle Heß in Paris
29. Nov. 1877 41, Maitland Park Road London, N. W.
Liebe Frau Heß, Ich war zusammen mit Engels längere Zeit von London abwesend14171, und nach Rückkunft mußte ich doch erst das Buch unsres verewigten Freundes14091 lesen, um Ihnen schreiben zu können.1 Meinen und Engels besten Dank für Übersendung desselben. Soweit unser Einfluß reicht, werden wir es zu verbreiten suchen. Es enthält geniale Anschauungen, bietet aber leider - wahrscheinlich weil Heß nicht die letzte Hand daran legen konnte - vielerlei bedenkliche Angriffspunkte für Naturforscher von Fach. Indem ich Ihnen den besten Erfolg wünsche, Ihr ergebner Karl Marx
1 Vgl. vorl. Band, S.306
128
Marx an eine Redaktion
[London] 19. Dez. 1877 41, Maitland Park Road, N.W.
Geehrte Redaktion, Einschließlich ein Brief, den ich von Breslau zur Beförderung an Sie erhalten habe. Der Absender, Horovitz, ist mir unbekannt, schreibt mir aber, er sei ein Mitglied der Br[es]ljauer] Sektion der sozialdemokratischen Partei. Mit bestem Gruß Karl Marx
1878
129
Engels an Johann Philipp Becker in Genf
. London, 11. Jan. 78 Lieber Alter, Avant tout1, Prosit Neujahr, und möge es Dir weniger Mühen und Lasten bringen als das letzte! Das Paket ist endlich vor ein paar Tagen angekommen. Besten Dank! Das „Bullfetin] jurassfien]" habe ich noch nicht ganz durchgesehn, es interessiert mich, den Verfall dieser am 10. Jan. 77 durch unsre Wahlsiege12691 endgültig in den Hintergrund gedrängten Bande1421 zu verfolgen. Jetzt können sie klüngeln und knurren soviel sie wollen, sie sind und bleiben - im Arsch. Von der Post wirst Du ein Mandat für Fr. 50 erhalten, was Du als unsern Beitrag zum „Precurseur" betrachten willst. Nach den neuen Vorschriften muß ich die hier erhaltene Quittung hierbehalten; wie es hier heißt, wirst Du das Mandat von Basel zugeschickt bekommen. Uns geht es ziemlich gut. Marx ist bedeutend besser gegen frühere Jahre, seine Frau ist nicht ganz, wie sie sein sollte, aber der Arzt verspricht sichre Kur, ich selbst kann nicht klagen. Bei Euch in der Schweiz scheint es recht gut zu gehn, die Bildung der Arbeiterpartei14181 ist ein großer Fortschritt, und wenn das Programm auch den Herrn Bakunisten lange nicht radikal genug ist, so ist das Wurst. Eine Partei, die die politischen Mittel hat, direkt in den Kampf einzutreten, und die Aussicht, bald ein bedeutendes Gewicht in die Schale zu legen, wie in der Schweiz der Fall, hat was andres zu tun, als ihre letzten Ziele jedem einzelnen Mitwirkenden als Dogma aufzuzwingen. Das Programm könnte natürlich weit besser sein, aber es hatte das bei der Einigung in Deutschland verschwabbelte dortige Programm12211 zum Vorbild. Auch in Deutschland sind große Fehler begangen worden, besonders das - ganz im bakunistischen Geist gehaltene - Auftreten gegenüber der
1 Zuallererst
französischen Krisis11111. Und doch hat sich wieder bei dieser Gelegenheit gezeigt, wieviel weiter Frankreich in der Praxis ist als wir. So lausig die Lösung bis jetzt auch ist, so ist es doch das erste Mal, daß dort etwas ohne gewaltsamen Umschwung durchgesetzt ist14191 - und Gewalt, so bald nach dem Blutbad von 71, konnte dort nur zu neuer Unterdrückung und neuem Bonapartismus führen. So aber ist alle Aussicht da, daß die Arbeiter sich in kurzem Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht und die übrigen Mittel zur Organisation und zum Kampf erobern, und das ist zunächst alles, was sie brauchen. Sie haben die Möglichkeit, sich theoretisch klarzuwerden, was sehr nötig ist, und endlich einmal bei der kommenden Gelegenheit als fest organisierte Partei in die Revolution einzutreten und mit einem bestimmten Programm. Und dann ist die jetzt in vollem Zug befindliche Entbonapartisierung und Republikanisierung der Bauern auch ein enormer Gewinn. Und endlich: Die Entscheidung ist erfolgt, weil der gemeine Soldat nicht schlagen zu Wollen erklärte - der Zusammenbruch des Militarismus von innen heraus hat angefangen und kann bald in Deutschland seine Fortsetzung finden, besonders wenn man die Armee für die Russen ins Feld zu führen durch die Folgen der jetzigen Politik genötigt sein sollte. Ein fernerer großer Fehler in Deutschland ist, daß man den Studenten und sonstigen unwissenden „Gelehrten" erlaubt, als wissenschaftliche Repräsentanten der Partei den größten Blödsinn massenhaft in die Welt zu schicken. Das ist indes eine Kinderkrankheit, die überstanden sein will, und grade um sie abzukürzen, habe ich an dem Dühring so ausführlich ein Exempel statuiert121'. Im übrigen geht's auch dort ganz prächtig, und wenn sie jetzt ihre antirussische Agitation ordentlich in Zug bringen, so kann das sehr gut wirken. Apropos, der Buffenoir, von dem das „Vorwärts" soviel Wesen macht14201, ist ein ganz zweideutiger Mensch, erst Klerikaler, hat dann noch vor kurzem den Gambetta in begeistertenPoesieversen besungen und ist ohne alle Stellung unter denPariser Arbeitern. Liebknecht hat sich da mal wieder hineingeritten. Hoffentlich stellen die Russen solche Friedensbedingungen, daß der Krieg fortdauert.1881 Ihre Armee ist ohne Donaubrücken, also abgeschnitten, und kann elend verhungern, wenn's Wetter schlecht bleibt. Und ein erfolgloser Krieg oder neue Mißerfolge bringen die Revolution in Petersburg sicher zum Ausbruch. Erst vom Hof aus und konstitutionell, aber das ist 1789 vor 1793. Laß mal erst in Petersburg eine Nationalversammlung sitzen, und ganz Europa nimmt eine andre Physiognomie an. Dein alter p g
130
Marx an Wilhelm Liebknecht in Leipzig14211
[London] 4. Februar 1878 ... Wir nehmen die entschiedenste Partei für die Türken, aus 2 Gründen: 1. weil wir den türkischen Bauer - also die türkische Volksmasse - studiert und ihn daher als unbedingt einen der tüchtigsten und sittlichsten Repräsentanten des Bauerntums in Europa kennengelernt haben. 2. weil die Niederlage der Russen die soziale Umwälzung in Rußland, deren Elemente massenhaft vorhanden, sehr beschleunigt haben würde und damit den Umschwung in ganz Europa. Die Sachen sind anders gegangen. Warum? Infolge des Verrats von England und Ostreich. England, ich meine die englische Regierung, hat z. B. die Serben gerettet, als sie geschlagen waren13831; es hat unter falschen Vorspiegelungen die Türken veranlaßt, den Krieg zu suspendieren, in dem Wahn, die Russen hätten einen Waffenstillstand angeboten (durch England), dessen erste Bedingung diese Suspension. Dies allein hat die letzten plötzlichen Erfolge der Russen ermöglicht.14221 Ihre Armee wäre sonst durch Hunger und Kälte dezimiert worden: nur die Öffnung der Wege nach Rumelien, wo Vorräte zu haben (d.i. zu nehmen) waren und wo außerdem das Klima milder, erlaubte ihnen, aus der Mausfalle in Bulgarien, die sie mit Soldaten überfüllt hatten, zu entrinnen und ihre Scharen in den Süden zu ergießen. Disraeli war (ist noch) gelähmt im eignen Kabinett durch den russischen Agenten Marquis von Salisbury, den Intimus des Ignatjew; den Großkophta of Common place (Hoherpriester des Gemeinplatzes) - Earl of (Graf von) Derby - und den jetzt abgetretenen Earl of Carnarvon. Ostreich hinderte die Türken, ihre Siege in Montenegro fruchtbringend zu machen usw. Endlich - und dies ist ein Hauptgrund ihrer schließlichen Niederlage die Türken versäumten, eine Revolution in Konstantinopel zu machen, - so blieb die Inkarnation (Verkörperung) des alten Serailregiments - Machmud Damad - der Schwager des Sultans1, der eigentliche Lenker des Krieges, 1 Abdul Hamid II.
absolut dasselbe, als ob das russische Kabinett direkt den Krieg gegen sich selbst dirigiert hätte. Die systematische Paralysierung und Kompromittierung der türkischen Armee durch diesen Burschen kann bis ins kleinste Detail nachgewiesen werden. Übrigens ist's allbekannt in Konstantinopel, und dies erhöht die historische Schuld der Türken. Ein Volk, welches in solchen Momenten der höchsten Krise nicht revolutionär dreinzufahren weiß, ist verloren. Die russische Regierung wußte, was ihr der Damad wert war; sie hat mehr Strategie und Taktik angewandt, um den Midhat Pascha von Konstantinopel entfernt und den Damad am Regierungsruder zu halten, als wie Plewna zu nehmen.11451 Natürlich im Hintergrund des russischen Erfolges steht - Bismarck• Er stiftete den Dreikaiserbundl2SS\ durch welchen Ostreich ruhig gehalten wurde. Selbst nach dem Fall Plewnas hatte Ostreich nur 100 000 Mann aufzustellen - und die Russen hätten sich stille zurückziehen oder sich mit den bescheidensten Resultaten begnügen müssen. Ostreichs Abdankung gab von vornherein der russischen Partei in England das Oberwasser, da Frankreich (infolge der von Herrn Gladstone, damals Premierminister, geförderten Post-Sedanschen Katastrophe - Katastrophe nach Sedan) als kontinentale Militärmacht nicht mehr für England existierte. Die Folge ist einfach die Auflösung Ostreichs, die unvermeidlich ist, wenn die russischen Friedensbedingungen angenommen werden11671 und damit die Türkei (wenigstens in Europa) nur noch formell fortexistieren wird. Die Türkei bildete den Damm Ostreichs gegen Rußland und sein slawisches Gefolge. Also zunächst wird man wohl im geeigneten Moment sich „Böhmen" ausbitten. Aber Preußen als Preußen - also in seinem spezifischen Gegensatz zu Deutschland - hat noch andere Interessen: Preußen als solches ist seine Dynastie, ist geworden und ist auf russischer „Hinterlage", was es ist. Niederlage Rußlands, Revolution in Rußland - wäre das Totengeläute für Preußen. Sonst hätte wohl selbst Herr von Bismarck nach dem großen Sieg über Frankreich, nachdem Preußen die erste Militärmacht Europas geworden, ihm nicht wieder dieselbe Stellung gegenüber Rußland angewiesen, die es als fünftes Rad am europäischen Staatswagen 1815 einnahm. Endlich ist für solche große Männer, wie Bismarck, Moltke etc. die persönliche Wichtigkeit, welche die jetzt eröffnete Aufeinanderfolge euro~ päischer Kriege in Aussicht stellt,... keineswegs etwas Gleichgültiges. Daß Preußen gelegentlich „Kompensation" für die durch es allein ermöglichten russischen Erfolge wird fordern müssen, liegt auf der Hand.
Es erhellt dies schon aus dem Betragen der Russen gegen die rumänische Regierung, die dieselben Russen bei Plewna gerettet hat, bevor die moskowitischen Truppennachschübe angekommen. Zum Dank soll Karl von Hohenzollern nun den nach dem Krimkrieg von den Russen zedierten Teil von Bessarabien wieder abgeben. Daß dies in Berlin nicht ohne weiteres erlaubt werden wird, weiß man in Petersburg und ist zu einer handsome (hübschen) Entschädigung gern bereit. Aber die ganze Geschichte hat auch andere Seiten. Die Türkei und Ostreich waren das letzte Bollwerk der alten europäischen Staatenordnung, die 1815 wieder zurechtgeflickt wurde, sie bricht mit ihrem Untergange vollständig zusammen. Der Krach - der sich in einer Reihe („lokalisierter" und zuletzt „allgemeiner") Kriege vollziehen wird - beschleunigt die soziale Krisis - und mit ihr den Untergang aller dieser säbelrasselnden Shampowers (falschen Scheinmächte).
Nach: Wilhelm Liebknecht, „Zur orientalischen Frage", Zweite, vermehrte Auflage, Leipzig 1878.

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