segunda parte tomo 39

Dein F.E.
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 17. Juli 1894
Lieber Victor, Es freut mich, daß die paar Mark Dir so gelegen kommen, ich hoffe, Du benützest sie, um Dir die so absolut nötige Ruhe und Erholung auf dem Lande zu verschaffen. Du mußt absolut fort, die Nachkur nach den Gefängnisstrapazen12661 ist Dir nötiger als irgend etwas. Du sagst selbst, Du fühlst Dich abgespannt, und das ist wahrhaftig kein Wunder, also sobald Du herauskommst, fort aufs Land! Für die vollständige Wiederherstellung Deiner Frau ist das auch das beste. Das zusätzliche Kapitel (es ist nur eine Erweiterung eines schon bestehenden) im „Anti-Dühring" ist von Marx, hat mir also bloß Kopierund Redigierarbeit gemacht.13011 Vom dritten Band1 sind zirka 36 Bogen gesetzt, es werden wohl über 50 werden. Da Meißner alles Interesse daran hat, im September damit herauszurücken, wird's wohl bis dahin fertig. Zu Eurem Tagblatt gratuliere ich und freue mich schon darauf.12941 Es ist wirklich nötig, daß dem unerträglichen „Vorwärts" ein Beispiel gegeben werde, „wie man's macht". Die Leute werden dann schon folgen müssen. Allerdings merkt man, wenn Du sitzest, der „Arb[eiter]-Ztg." auch von Zeit zu Zeit an, daß Ihr ebenfalls unbrauchbare Leute habt, die sich dahin vordrängen, wohin sie nicht gehören. Aber wenn das Tagblatt da ist, wirst Du Deine rednerische Tätigkeit schon von selbst auf wenige entscheidend wichtige Momente beschränken müssen und daher weniger sitzen, und beim Blatt selbst ist ja der Sitzredakteur ohnehin unumgänglich, das Lamm, das der Redaktion Sünden trägt. Und dann habt Ihr in Wien augenblicklich einen besseren Boden für ein Tagblatt, als Berlin ihn bietet. Ihr steht in einer aufsteigenden politischen Bewegung; Wahlreform11801 ist Euch sicher, und schon der Kampf um ein solches Ziel, um einen unmittelbaren politischen Fortschritt, ist ein
enormer Vorteil für Euer Blatt; die Wahlreform aber ist nur der Anstoß, der den Stein ins Rollen bringt und andere Konzessionen wegen Presse, Vereinen, Versammlungen, Gerichtspraxis etc. zur Folge haben muß. Kurz, Ihr seid in der Offensive, und zwar in einer, die zunächst noch des Sieges gewiß ist. Dagegen in Frankreich, Deutschland, Italien stehen unsere Leute in einer nicht einmal immer hoffnungsvollen Defensive, haben den Ansturm einer sich immer stärker aus den verschiedensten Parteien zusammenballenden Reaktion auszuhalten. Es ist das Beweis - wenigstens in Deutschland -, daß die Unseren eine wirkliche Großmacht im Lande geworden, und in Frankreich ist's Beweis, daß man auf diesem revolutionär unterwühlten Boden die Unseren wenigstens für eine Großmacht hält. Aber bei alledem ist Eure Lage für den Kampf momentan günstiger - Ihr greift an, erobert Schritt vor Schritt Terrain, jeder errungene und besetzte neue Bodenabschnitt stärkt nicht nur Eure Stellung, sondern führt Euch Massen neuer Verstärkungen zu: bei Eurem primitiven Konstitutionalismus können die Arbeiter wenigstens noch einige der Positionen erobern, und das auf gesetzlichem Weg, also auf dem Weg, der sie selbst politisch schult der Positionen, die die Bourgeoisie hätte erobern sollen. Auch bei uns gibt's noch solche Positionen zu nehmen, aber die kriegen wir erst, wenn ein Anstoß von außen kommt, von einem Land, wo die Verquickung der alten feudalen, bürokratischen, polizeilichen Formen mit annähernd modernen bürgerlichen Institutionen den ersteren ein so starkes Übergewicht gelassen, daß die Situation zu unmöglichen Verwicklungen führt. Und in dieser glücklichen Lage seid Ihr, und in der noch glücklicheren, daß Eure Arbeiterbewegung groß und stark genug ist, hier die Entscheidung zu geben, und damit, wie ich hoffe, für Deutschland, Frankreich und Italien den Anstoß, der dort nötig ist, um die viel zu früh sich bildende „eine reaktionäre Masse" momentan wiederum zu sprengen, und statt des chronischen reaktionären Drucks einige bürgerliche Reformen im Sinne der Bewegungsfreiheit der Massen ins Leben zu rufen. Erst von dem Tage an, wo Ihr die einerlei welche - Wahlreform erkämpft, erst von da an hat eine Agitation gegen die Dreiklassenwahl in Preußen13021 einen Sinn. Und schon jetzt hat die Tatsache, daß es in Österreich eine Wahlreform irgendeiner Art geben wird, das bedrohte allgemeine Stimmrecht in Deutschland sichergestellt. Ihr habt also in diesem Moment eine sehr bedeutende historische Mission. Ihr sollt die Avantgarde des europäischen Proletariats bilden, die allgemeine Offensive einleiten, die hoffentlich nicht wieder ins Stocken kommt, bis wir den Sieg auf der ganzen Linie errungen - und Du sollst diese Avantgarde führen - wenn Du da nicht baldigst aufs Land gehst und
Dich ausgiebig mit neuen Kräften versorgst, dann versäumst Du Deine erste Pflicht. Und diese Pflicht wird um so ernsthaftiger, je mehr Du an die einzigen Rivalen denkst, die Ihr als Avantgarde haben könntet - die Franzosen. Du schriebst an Louise, ich möchte Dir darüber berichten. Ich habe es bis heute aufgeschoben, weil l.Tussy vorige Woche von Paris vom Glasarbeiterkongreß zurückkam, und 2. vorgestern Bonnier bei uns war, und ich erst hören wollte, was die erzählten. Well, soweit ich sehen kann, liegen die Sachen wie folgt. Die letzten Wahlen1521 brachten etwa 25 „Sozialisten" - Marxisten, Broussisten, Allemanisten, Blanquisten, Unabhängige - in die Kammer. Gleichzeitig vernichteten sie die bisherige „radikale Fraktion", die sich auch republicains socialistes2 nennende Gruppe, namentlich durch Ausschluß aller früheren Führer. Da taten sich etwa 30 der zu dieser Gruppe gehörigen und wieder gewählten zusammen unter Millerand und Jaures und boten den „Sozialisten" die Fusion an. Es war dies ein sehr sicheres Manöver ihrerseits; denn nicht nur waren sie zahlreicher als die Altsozialisten, sondern auch einig, während diese in x Gruppen gespalten. Sie wurden also wieder eine respektable Gruppe von 50 bis 60 Mann in der Kammer, ohne daß sie den Altsozialisten mehr zu bieten brauchten als ien sehr platonisches sozialistisches Programm, dessen politisch radikale Artikel wie die allgemeine Arbeiterfreundlichkeit sie schon früher im Programm gehabt, während die socialisation des moyens de production3 einstweilen noch unschuldige Zukunftsmusik war, die vielleicht für die dritte oder vierte Generation praktische Bedeutung bekommen könnte, früher sicher nicht. Unsere 25 Altsozialisten griffen mit beiden Händen zu. Sie waren nicht imstande, Bedingungen zu stellen, dazu waren sie viel zu uneinig. Zwar wollte man, wie schon bei den Wahlen, in der Kammer zusammengehen, aber im übrigen sollten die besonderen Organisationen alle nebeneinander bestehenbleiben; welche Gruppe da hätte den Neusozialisten spezifische Bedingungen stellen wollen, die wäre mit den anderen in Konflikt gekommen. Und zudem hätten es keine Franzosen sein müssen, um bei der plötzlichen Aussicht, von 25 auf 55 oder 60 Mann in der Kammer anzuwachsen, nicht in Begeisterung zu geraten und über dem augenblicklichen Schein oder wirklichen Erfolg die Gefahren der Zukunft außer Augen zu lassen. Was Kuckuck, die Deutschen renommieren so mit ihren 44, und wir
haben über Nacht 55, wo nicht 60! La France reprend sa place ä la tete du mouvement!4 Die 30 oder 35 Neusozialisten sind mit dem Sozialismus eine Verstandsehe eingegangen. Sie hätten's ebenso gern auch nicht getan, aber es war für sie das gescheiteste, den Sprung zu machen. Sie merken, daß sie nun einmal ohne die Arbeiter sich nicht halten können, und wohl oder übel sich an diese anschließen müssen. Aber ganz freiwillig ist der Anschluß bei allen anfangs nicht gewesen, und bei manchen gewiß auch jetzt noch nicht. Von den Hauptvertretern ist Millerand einer der gescheitesten, und ich glaube auch aufrichtigsten, aber ich fürchte, bei ihm sitzt noch manches bürgerlich-juristische Vorurteil fester, als er selbst weiß. Politisch ist er der tüchtigste Mann der ganzen Gruppe. Jaures ist ein Professor, Doktrinär, der sich gern reden hört, und den die Kammer lieber reden hört als Guesde oder Vaillant, weil er den Herren der Majorität doch verwandter ist. Ich glaube, er hat die ehrliche Absicht, sich zu einem ordentlichen Sozialisten zu entwickeln, aber Du weißt, der Tatendrang dieser Neophyten steht im direkten Verhältnis zu ihrer Sachunkenntnis, und letztere ist bei J[aures] sehr groß. So konnte es kommen, daß J[aur£s] in Paris denselben Vorschlag als sozialistisch einbrachte, den Graf Kanitz in Berlin im Interesse der Junker deponierte: Verstaatlichung der Getreideeinfuhr zum Zweck der Hochstellung der Kornpreise.12711 Und da bei den Altsozialisten der Kammer die Sachunkenntnis in oeconomicis - seit Lafargues Durchfall in Lille ist keiner drin, der etwas davon weiß - ebenfalls ziemlich hochgradig ist, so konnte Guesde sich nicht versagen, wenigstens einen Teil dieses Antrages als „sozialistisch" und gegen die „Spekulation" gerichtet zu verteidigen. Die „Spekulation" dadurch zu stürzen, daß man den Getreidehandel einer aus Panamaschwindlern161 bestehenden Regierung und Regierungspartei überträgt, ist allerdings eine famos sozialistische Idee. Ich habe den Herren auch durch Bonnier und Lafargue meine Meinung über diesen Riesenbock unverhohlen gesagt. Ich habe ihnen ferner gesagt: die Fusion, statt der bloßen Allianz, mit den Neusozialisten war ein vielleicht unvermeidliches Schicksal. Aber dann haltet die Möglichkeit im Auge, daß hier bürgerliche Elemente vorliegen, mit denen ihr in prinzipiellen Konflikt kommen könnt; daß also eine Trennung unvermeidlich werden kann. Bereitet euch darauf vor, dann kann gegebenenfalls die Überführung in eine einfache Allianz leicht erfolgen, und ihr braucht in der Überraschung keine Dummheit zu machen. Vor
allem, wenn die Leute in der gemeinsamen Fraktion Dinge vorbringen, die ihr nicht billigen könnt, und ihr werdet überstimmt, so behaltet euch vor, diese Maßregeln in der Kammer nicht durch Reden verteidigen zu müssen, sondern im Gegenteil in eurer Presse eure abweisende Meinung zu begründen, selbst wenn ihr der Einigkeit zulieb für diese Dinge stimmen müßt. Nun, wir wollen sehen, ob's was hilft. Also: einerseits sind es die Neusozialisten, die den verschiedenen Gruppen der Altsozialisten eine gewisse Einigkeit aufnötigen. Anderseits wollen die Leute im Ausland es sich nicht einleuchten lassen, daß nun plötzlich eine Gruppe von 60 Mann „aus nichts" entstanden ist, und daß die Hauptredner Millerand und Jaures bisher nicht als Sozialisten bekannt waren; daher der ganz natürliche Zweifel an der Waschechtheit dieser 60, namentlich nach dem brillanten Eindruck, den die französischen Delegierten in Zürich hinterlassen.11661 Unterderhand gehen die Klüngeleien und Befehdungen der verschiedenen Sekten ruhig voran. Namentlich klagen die Marxisten über Vaillant, der viel Propagandareisen in der Provinz macht und dort über die Marxisten allerhand falsche Verlästerungen ausstreuen soll. Vaillant ging früher mit den Marxisten fast immer zusammen, aber 1. ist er ein strikter blanquistischer Parteimann, der Parteibeschlüsse unter allen Umständen durchführt, und seit zwei Jahren existiert Krakeel zwischen Blanquisten und Marxisten; und 2. gibt's in seinem Wahlkreis viel Possibilisten, er braucht sie, und daher zum Teil seine Schwenkung zu diesen. Sehr möglich ist es, daß die neuen Reaktionsmaßregeln in Frankreich13031 die Neusozialisten weitertreiben, und allmählich eine wirklich sozialistische Fraktion aus den 60 wird. Aber das ist eben noch nicht wirklich, und es kann auch anders kommen. Hier geht's den alten englischen Schlendrian. Die ökonomische wie politische Entwicklung treibt die Massen der englischen Arbeiter mehr und mehr in unsrer Richtung voran, aber bis diese aller theoretischen Anschauungsweise entwöhnten, nie über ihre Nasenlänge hinaussehenden „Praktiker" sich über ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse ein Bewußtsein bilden, können Jahre vergehen, es sei denn, sie werden direkt mit der Nase darauf gestoßen. In der Zwischenzeit blüht unter den „Führern" die politische Mogelei nach bürgerlich-parlamentarischer Art lustig fort, und man erlebt da täglich neue Wunder. Ludwig ist heute im Examen zum Member6 (nicht mehr bloß licenciate)
5 Mitglied
18 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
of the Royal College of Physicians. Das Ding dauert 14 Tage. Nachher werden wir hoffentlich bald an die See gehen können - wegen Hausangelegenheiten kann ich dies Jahr nicht von England weg. Louise grüßt herzlich, sagt, von Bösesein sei keine Rede, nächstens würdest Du die Ursache erfahren, warum Du noch keine Antwort hast. Herzliche Grüße an Deine Frau, Adelheid, Popp und alle Freunde. Dein F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
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Engels an Julius Motteier in London
[London] 2I.Juli 94
Lieber Julius, Inl. ein Brief von Siegel, den ich Dir mitteilen soll.'3041 Ich habe an den Vorstand geschrieben wegen der 300 Mark.11361 Kannst Du hier im Verein1271 oder sonst was für die Leute tun, so wäre es ein gutes Werk; ich habe ihnen einstweilen ein Pfund geschickt. Beste Grüße an Deine Frau. Wir haben Trauer in der Familie, das Kanarienweibchen ist auf seinen vier Eiern sitzend verstorben - am Schlag, wie's scheint. Dein F.E.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 28. Juli 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Baron, Mit dem Abdruck des Artikels1 eilt es nicht. Wenn ich die Korrektur besorgt habe, kannst Du ihn drucken, wann Du willst, im September oder selbst Oktober. Ich habe mich mit dem Gegenstand getragen seit 1841, wo ich bei F.Benary eine Vorlesung über die „Offenbarung" las. Seitdem war mir klar, daß hier das älteste und wichtigste Buch des „Neuen Testaments" vorlag. Nach dieser 53jährigen Schwangerschaft eilt der Austritt an die Außenwelt gar nicht so arg. Was Deine Fragen angeht. 1. Ich bezeichne, wenn ich mich anders richtig ausgedrückt, Kleinbauern2 und Landsklaven keineswegs als unter den ersten Anhängern des Christentums, sondern zähle sie nur auf unter den Klassen, unter denen es auf mögliche Anhänger rechnen konnte. Und dazu gehörten sie ganz gewiß - besonders im 2. und 3. Jahrhundert. Daß das Christentum, seit seiner ersten Auswanderung aus Judäa nach Nordsyrien und Kleinasien, resp. Griechenland, Ägypten und Italien, seine Entwicklung und erste Anhängerschaft in den Städten fand, darüber ist kein Zweifel. 2. Ob das 1000jährige Reich ins Diesseits oder Jenseits gehört? das kommt drauf an, wie man's versteht. Ich nenne Jenseits, was nach dem Tode ist. Und darüber läßt die Offenbarung absolut keinen Zweifel. Das 1000jährige Reich ist nur für die Märtyrer, und allenfalls die dann bei seiner Errichtung grade noch lebenden Christen, und sofern für diese letzteren diesseitig, während es für die Märtyrer, die erst auferstehn, jenseitig ist. Es ist also die alte Geschichte: you pays your money and you takes your choice3. Das Entscheidende ist für mich, daß es ohne Unsterblich-1 keitsvorstellung und Glauben an jenseitige Belohnung und Bestrafung
nicht möglich ist. Und noch viel weniger diesseitig ist erst das neue Jerusalem, das nach dem 1000jährigen Reich und dem Jüngsten Gericht kommen soll. Aber auch nach den sog. Paulinischen Briefen sollen die noch lebenden Gläubigen bei der Wiederkunft Christi „verwandelt", aus Sterblichen in Unsterbliche umtransmagnifiziert werden. Daß dabei dies 1000jährige Reich in irdischen Farben geschildert wurde, versteht sich. Selbst die Offenbarung kann sich nicht mit der himmlischen Freude begnügen, wonach man mit nacketen 4 Buchstaben auf einer feuchten Wolke sitzt und mit mehr oder weniger blut'ger Hand die Harfe schlägt und Chorale singt in Ewigkeit. Die Vorrede zum 3. Band4 ist 1. noch nicht geschrieben und 2. kann ich sie Dir nicht geben. Diese Lösung der Profitratenpreisfrage und Preisverteilung kann mit der ihr gebührenden Würde nur im Buch selbst gegeben werden. In ganz Amerika ist nicht ein einziger intelligenter Korrespondent außer Sorge und Schlüter aufzutreiben, weil die Deutschen dort dieselbe Sektiererstellung gegenüber der Arbeitermasse hartnäckig festhalten, auf die sich hier die Social Democratic Federationtl0) gesteift hat. Statt in den Bewegungen der Amerikaner das forttreibende Element zu sehn, das sie, wenn auch auf Irrwegen und Umwegen, endlich zu demselben Resultat führen muß wie das, was sie aus Europa mitgebracht, sehn sie darin nur die Irrwege, sehn hochtrabend herab auf die dummen blinden Amerikaner, pochen auf ihre orthodoxe Überlegenheit, stoßen die Amerikaner ab, statt sie anzuziehn, und bleiben deshalb selbst eine machtlose kleine Sekte. Daher kommt's, daß auch ihre Schriftsteller in reine Ideologie verfallen und alle Verhältnisse falsch und eng auffassen. Hepner war nun stets ein Männchen, das in einer Phantasiewelt lebte, und wenn er sentimental wird, leistet er Unbeschreibliches. Ich habe mal eine Komödie von ihm gelesen die witzigen Sachen recht gut, aber die ernsten, verliebten Szenen überschwenglich, - zum Wälzen vor Lachen. Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 28. Juli 1894 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein liebes Lohr, Heute morgen erhielt ich einen Brief von Paul, aber so dankbar ich ihm dafür auch bin, Deiner kam früher und hat Anspruch darauf, zuerst beachtet zu werden; wirklich, ich habe die ganze Woche versucht, Zeit zum Schreiben zu finden, und immer bin ich gestört worden durch die verschiedensten endlosen Unterbrechungen. Tatsache ist, daß ich nicht sicher bin, ob ich noch länger in 122 bleiben werde; ich hätte diese Sache vergangenes Jahr regeln sollen, aber ich vergnügte mich auf dem Kontinent 190und jetzt stehe ich vor dem Dilemma: entweder das ganze Haus gründlich überholen zu lassen oder mich nach einem anderen umzusehen. Beides habe ich erwogen und werde vielleicht in einigen Wochen wissen, wo ich bin, oder wenigstens, wo ich in Zukunft sein werde.1 Du fragst nach Pumps. Ich habe seit Monaten kaum von ihnen gehört. Percy hat die Agentur für seine Brüder auf der Isle of Wight verloren oder aufgegeben; er hat eine Menge Geld (nicht sein eigenes) ausgegeben, und hat mich überredet, die Bürgschaft für ein Darlehn zu übernehmen, das ihm ermöglichen soll, sich nach anderen Vertretungen in derselben Branche umzusehen, wo es sich dann, wie er sagte, bezahlt machen würde. Plötzlich teilt er mir im Juni mit, daß er wegen irgendeiner Abmachung mit seiner Familie seine Möbel verkaufen und nach London zurückkehren wolle; auf meine Vorhaltungen wird mir mitgeteilt, daß es jetzt zu spät sei und der Plan ausgeführt werden müsse. Dann hörte ich, daß sie an einer Schule in Kent sind, an der ihr kleiner Junge ist; und schließlich kreuzten alle vergangenen Montag hier auf. Soviel ich erfahren konnte, ist die Abmachung mit der Familie purer Unsinn, zumindest bleibt er in der gleichen hilflosen Lage wie vorher. Nach allem, was ich für sie getan habe, werde ich einem solchen Verhalten nicht ruhig zusehn und habe sie nicht sehr freundlich
aufgenommen. Was Percy tun und wie das enden wird, weiß ich beim besten Willen nicht. Die Kinder gehn zur Schule, Lily in Herne Bay, sie soll sich gut machen; der Junge ist in der Nähe von Sittingbourne, sehr zart und war wieder kränklich, als Pumps vergangene Woche dort war. Die Kleinste ist bei ihnen. Dank für den Artikel von Jaures in der ,,R[evue] soc[ialiste]"130B1, er scheint, soweit ich beurteilen kann, sehr flach zu sein, aber es sieht so aus, als ob er doch ein bißchen gelernt hat, deshalb wollen wir nicht alle Hoffnung aufgeben. Die „Petite R[epublique]" liest sich wirklich schrecklich sowohl die weitschweifigen Kommentare als auch die soi-disant2 Tatsachenberichte, und Du wirst Dich daher nicht wundern, daß ich kein Verlangen mehr nach ihr habe, wenn sie nicht wirkliche Neuigkeiten bringt, wirkliche Berichte oder Artikel von Jaures (dessen Entwicklung ich gern verfolgen möchte) und Millerand. Les elucubrations de MM.Rouanet, Fourniere, Viviani etc. ne me laissent que trop froid.3 Ich bin der „Ere nouvelle" wirklich sehr dankbar, daß sie Dir die Möglichkeit gibt, jene Stellen in dem vom „Socialiste" veröffentlichten französischen „Manifeste" wiederherzustellen, wo die Pariser Textbearbeiter dans l'int6ret et de la langue fran?aise et des auteurs du „Manifeste"4, einige Begriffe reichlich eng gefaßt hatten. Natürlich werde ich mich sehr freuen, wenn es Dir gelingt, es so oft wie möglich drucken zu lassen. Meinen Glückwunsch an Paul zur Gewinnung Delagraves.13061 Möge das zu weiteren Erfolgen führen! Wohin ich diesen Sommer fahre? Leider ist jede Hoffnung, nach Le Perreux zu gehen, durch das wundervolle neue Gesetz'3031 zerschlagen! Und das Schlimmste daran ist, daß diesmal die alte Redensart der englischen Rechtsanwälte auf Frankreich anwendbar ist: das Gesetz ist da, doch was die Gerichte daraus machen werden, wissen wir nicht. Mein Eindruck ist, daß die Regierung nicht viel Zeit verlieren wird, bevor sie einen Präzedenzfall schafft, bei dem dieses Gesetz auf den Sozialismus angewandt wird, und der Sozialismus als Anarchismus abgestempelt wird. Der Cour de Cassation5 ist durchaus dazu fähig. Das deutsche Sozialistengesetz'1431 hat mich dreizehn Jahre lang von Deutschland ferngehalten; hoffen wir, daß dieses neue Gesetz nicht so lange bestehen wird, um mich daran zu hindern, noch einmal in meinem Leben nach Frankreich zu kommen. 2 sogenannten - 8 Die geistigen Ergüsse der Herren Rouanet, Fourniere, Viviani usw. berühren mich überhaupt nicht. - 4 entsprechend den Erfordernissen der französischen Sprache
Paul ist nicht so sehr begeistert über die Situation in Frankreich wie ce eher Bonnier6, der die ganze Debatte - Verlauf und Ergebnis - uneingeschränkt als Triumph des französischen Sozialismus betrachtet - aber seine ganze Art, die Dinge zu sehen, scheint mir ziemlich couleur de rose7. Für den Hauptgewinn halte ich jedoch den unwiderlegbaren Beweis, daß unsere Partei die einzig wirkliche und ernsthafte Oppositionspartei in Frankreich wie in Deutschland ist; und daß die angebliche Opposition der französischen Radikalen'211 nicht ernster zu nehmen ist als die der deutschen Richter & Co.'1271 Daraus muß, wie Paul sagt, eine wirkliche Einigung aller sozialistischen Elemente erwachsen, und die jetzt einsetzenden Verfolgungen werden diesen Prozeß beschleunigen; und wenn diese Einigung unter den Auspizien von Jaures, Millerand & Co. und ihrer Gruppe8 zu einem Absinken des Niveaus beim öffentlichen Auftreten der Partei führt, zu un abaissement de niveau intellectuel et politique9, so kommt das von dem früheren Schwelgen in revolutionärer Phraseologie, wie Paul auch ganz klar erkennt, und ist nichts anderes als die notwendige Folge davon. Herzliche Grüße von Louise. Freyberger, der freundliche Grüße sendet, ist nach einem Examen soeben als Mitglied des Royal College of Physicians zugelassen worden. Salut ä Paul. Immer Dein F.E.
Aus dem Englischen.
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Engels an Filippo Turati in Mailand13071
London, den 3I.Juli 18941 122, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Turati, In den letzten Tagen ist hier ein Herr Pasquali eingetroffen, der angibt, er werde wegen der Ereignisse in Sizilien13081 verfolgt und sei gezwungen gewesen, Paris zu verlassen, wo er sich als Korrespondent des „Punto Nero" (im Auftrag der Redaktion) befand, jedoch ständig mit polizeilicher Verfolgung zu rechnen hatte. Er war in Turin Prediger oder Missionar der englischen Sekte der Baptisten und hat mir einen Brief seines geistlichen Oberhaupts gezeigt, der seine Abberufung von diesem Posten wegen sozialistischer Anschauungen enthält. Er wird Hilfe brauchen, denn angenommen, er sollte wirklich Arbeit suchen, so spricht er ja kein Wort Englisch. Wir haben wie in anderen Ländern jetzt auch hier merkwürdige Erfahrungen mit Ex-Geistlichen der christlichen und jüdischen und anderen Religionen gemacht; Sie würden mich und die anderen Freunde hier daher zu Dank verpflichten, wenn Sie uns einige Auskünfte über diesen Herrn geben könnten, der behauptet, Sie zu kennen. Ist er wirklich aus Italien exiliert? Hat er wirklich Paris verlassen müssen, um Verfolgungen zu entgehen? Hat er eine Rolle gespielt und welche bei den Ereignissen in Sizilien und in der sozialistischen Bewegung in Italien im allgemeinen? Gruß an Sie und Frau Anna von Louise Kautsky-Freyberger und mir. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Victor Adler in Wien
London, 4. August 94
Lieber Victor, Inl. Brief und ein Paket wurden hier abgegeben nebst umstehendem Anonymen13091 für mich. Wahrscheinlich von dem anarchistischen Philologen Nettlau [.. -]1 Was mit dem Paket geschehen soll, bestimmst Du wohl gelegentlich. Ich habe Cerny gebeten, Euch die wiederholte Bitte des spanischen Nationalrates zu überbringen, ihnen zu ihrem am 29. August stattfindenden Kongreß ein spanisch oder französisch abgefaßtes kurzes Glückwunschschreiben zu schicken.13101 Ich wiederhole dies vorsichtshalber. Adresse: Pablo Iglesias, Hernän Cortes 8, pral. Madrid. Herzliche Grüße an Deine Frau und Dich. Dein F.E. Louise und Ludwig grüßen Dich ditto herzlichst.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft I, Wien 1922.
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Engels an Pablo Iglesias in Madrid (Entwurf)
[London, zwischen dem 9. und 16. August 1894]
Lieber Ig[lesias], Habe Deine Briefe vom 8. Juni und 27. Juli erhalten. Wegen Eures Kongresses13101 habe ich nach Berlin (zustimmende Antwort) und nach Wien (bisher noch keine Antwort) geschrieben, desgleichen an die Social Democratic Federation1101 hier (Sekretär H.W.Lee) und an die Independent Labour Party191 (Sekretär Tom Mann) sowie an die Gasarbeiter13U1 (Sekretär W.Thorne, die Genossin Aveling ist Mitglied des Exekutivrats), damit sie Euch alle einige Zeilen schicken. Weiter an das ständige Parlamentarische Komitee des Trade-Union-Kongresses13121 (Sekretär Fenwick, Abgeordneter), an die Legal Eight Hours League11011 (Sekretär Sheridan, der Euch bestimmt schreiben wird) und an die Fabian Society[U1 (Sekretär E.R.Pease), von dem ich noch keine Antwort erhalten habe. Aus dieser Aufzählung bekommst Du eine Vorstellung von der Zersplitterung, der Rivalität und den persönlichen Zänkereien, die die hiesige Arbeiterbewegung zieren. Urteile selbst: Am Montag, dem 6. dieses Monats, hatte die Social Democratic Federation ihren Kongreß. Dort wurde vorgeschlagen, daß die Social Democratic Federation bei den nächsten Parlamentswahlen die Kandidaten der Unabhängigen Partei unterstützt, falls sie sich als Sozialisten erklären. Das wurde abgelehnt. Sollten sich jedoch die „Unabhängigen" weigern, für die Kandidaten der Föderation zu stimmen und sie zu unterstützen, wären sie Verräter! Weiter hat der Kongreß der Social Democratic Federation beschlossen, daß sie, die Social Democratic Federation, - da der Internationale Kongreß in London 189613131 kein rein sozialistischer Kongreß sein wird - einen internationalen rein sozialistischen Kongreß einberufen und ihn drei Tage vor dem allgemeinen Arbeiterkongreß abhalten wird!! Was werden die Sozialisten der anderen Nationen dazu sagen? All das und vieles andere ist praktisch noch nicht von Bedeutung, aber es sind Versuche der verschiedenen Gruppen, die Einberufung und Durchführung des internationalen Kongresses für ihre
eigenen Interessen auszunutzen. Solange diese Dinge jedoch nicht endgültig geklärt sind, wäre es besser, in der Presse nicht zu viel Aufhebens davon zu machen. Trotz alledem schreitet die Bewegung unter den Arbeitermassen vorwärts, die Idee der Sozialisierung der Produktionsmittel gewinnt immer mehr an Boden, und der Tag wird kommen, an dem die bewußten Massen alle Intriganten und käuflichen Führer hinauswerfen werden. Die Genossin Eleanor Marx-Aveling veröffentlicht jede Woche in der „ Workman's Times" einen Bericht über die Entwicklung der internationalen Bewegung. Gut wäre es, wenn möglich, ihr „El Socialista" zu schicken, denn sie versteht Spanisch. Ihre Adresse: Eleanor-Marx-Aveling usw. Bleib gesund, und sei herzlich umarmt von Deinem alten und treuen Freund
Aus dem Spanischen.
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Engels an Eduard Bernstein in Broadstairs
4, Royal Parade, Eastbourne 14. Aug. 94
Lieber Ede, Hier sind wir glücklich untergebracht13141, und bis jetzt, d.h. seit halb 3, gefällt uns auch die Behandlung recht gut, wollen hoffen, es bleibt so. Ich bin begierig, ob und wie L[ie]bk[necht] auf Deine Anzapfungen wegen Arndt reagiert. Die Sache sollte nicht so vorübergehn; wollen sehn, was kommt. Der Mann, der sich in Zürich so benahm, gehört nicht ins „Vorwärts".1 Deinen Textilmann2 habe ich Dir zurückgeschickt. Rechthaberei. Will man auf solchem Rechtsboden operieren, so muß man sich vorher Bundesgenossen verschaffen, sonst ist man blamiert.13151 Was die Social Democratic Federation1101 und ihren Spezialkongreß angeht, so habe ich die Sache bereits nach Spanien mitgeteilt und tue dasselbe nach Italien und Paris3, bitte aber die Leute, vorderhand nicht viel Aufhebens davon zu machen. Denn entweder muß die Social Democratic Federation nun ein Zirkular erlassen, um die Resolution zu begründen und die Agitation in ihrem Sinn in Gang zu bringen, oder aber die ganze Sache erledigt sich durch einfache Erklärungen in der kontinentalen Presse, man werde einen solchen Kongreß gar nicht beschicken. Kommt aber das Zirkular, dann wird's überall offiziell debattiert, und das wäre viel besser. Die Social Democratic Federation müssen Wind haben, daß das Parliamentary Committee13121 vorhat (wie schon längst gemunkelt), den 1896er Kongreß13131 in einen Trades-Union-Kongreß zu verwandeln, und das Nötige in Norwich[3161 zu besorgen; und da wollten sie offenbar die ersten im Felde sein. Diese Plänchen könnten leicht dahin führen, daß die Kontinentalen sagten: weder der eine noch der andre ist der Kongreß, den ihr berufen sollt, und da ihr diesen nicht berufen wollt, so gehn wir eben woanders hin, und ihr Zankt eure Zänkereien unter euch alleine aus.
Unbegreiflich ist die Dummheit, womit die Social Democratic Federation gleichzeitig den Beschluß wegen der Kandidaten der Independent Labour Party191 faßt, selbst wenn diese Sozialisten seien. Es ist die alte Geschichte: entweder seid ihr Sozialisten, und dann gehört ihr in die Social Democratic Federation, oder ihr wollt nicht in die Social Democratic Federation, und dann seid ihr keine Sozialisten. Daß aber diese beiden Beschlüsse, nebeneinandergestellt, den Kontinentalen die Lust benehmen müssen, irgend etwas mit dem Social Democratic Federation-Kongreß zu tun zu haben, das scheinen die Menschen gar nicht zu merken. Übrigens läßt mich das alles ziemlich ruhig - bis zum Kongreß fließt noch allerlei Wasser die Themse hinunter, was nach Qualität und Quantität heute noch unberechenbar ist. An August schreibe ich auch wegen aller dieser Dinge inkl. Arndt.11361 Herzliche Grüße an Gine, Ernst, Käte4 und Dich selbst von Louise, Ludwig und Deinem F.E. Sind Mendelsons auch in Broadstairs?
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Engels an Thomas Clarke in London13171 (Entwurf)
[London, nicht vor dem 15. August 1894] Aus langer persönlicher Bekanntschaft schätze ich Herrn S. M[endelson] als eine ehrenwerte und zahlungsfähige Person, so daß ich an Ihrer Stelle nicht zögern würde, ihn als Mieter derartiger von Ihnen erwähnter Räumlichkeiten zu akzeptieren.
Aus dem Englischen.
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Engels an Filippo Turati in Mailand
4, Royal Parade Eastbourne, den lö.August 1894
Mein lieber Bürger Turati, Ich danke Ihnen vielmals für die Mühe, die Sie sich wegen Pjasquali] gemacht haben.1 Glücklicherweise „seccatore di prima sfera" ha cessato di seccare la nostra sfera2.13181 Zu meiner Zeit13191 sagte man in Mailand von denen, die wegen Geldgeschichten verfolgt wurden und sich auf den Weg in die Schweiz machten: I'e andä a Vares3; Pjasquali] ist nach Edinburgh gegangen, wo er wahrscheinlich sein Glück versuchen wird. Er hatte mir seinen Besuch „colla mia moglie e col mio piccolo Marx Guglielmo"4 angekündigt, aber er ist nie gekommen, und als einer unserer Freunde in seiner Wohnung vorsprach, wurde ihm mitgeteilt, Herr Pjasquali] sei mit seiner Familie nach Edinburgh abgereist. Wahrscheinlich werden sich einige „christliche Sozialisten", von denen es hier eine ganze Anzahl und mehr als eine religiöse Sekte gibt, für diese interessante Persönlichkeit interessieren. Wünschen wir ihm gute Reise! Ihre Marx-Büste findet hier nicht allzu viele Bewunderer.13201 Sie hat zuwenig von Marx und zuviel von Garibaldi. Außerdem würde es, selbst wenn die Büste ähnlich wäre, schwierig sein, sie außerhalb Italiens zu verkaufen. In Paris hat man jetzt ein ziemlich großes Medaillon gemacht, das man zu verkaufen versucht, und in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz wimmelt es von Marx-Büsten aus Gips bis zur Unverkäuflichkeit. Ihr Verdächtigengesetz13211 übertrifft tatsächlich noch unseres von 187811431 und das der Franzosen von 1894[3031. Das ist die Verbannung auf administrativem Wege wie in Rußland. Ich hoffe jedoch, daß dies einer der Fälle ist, in denen sich das deutsche Sprichwort bewahrheitet: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird5. Feststeht, daß von allen
1 Siehe vorl. Band, S. 281 - 2 hat der „Störenfried ersten Grades" aufgehört, unsere Sphäre zu stören - 3 er ist nach Var£s gegangen - 1 „mit meiner Frau und meinem kleinen Marx Wilhelm" - 5 in der Handschrift deutsch: Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird
Ländern Europas Italien das Land ist, wo sich alle politischen Krankheiten zu einem akuten Entzündungsherd entwickeln: offene gewaltsame Rebellion auf der einen Seite, übertrieben heftige Reaktion auf der anderen. Aber wo Bismarck gescheitert ist, wird Crispi bestimmt nichts erreichen: Die Verfolgung wird damit enden, daß sich der Sozialismus in Italien festigt, und ich wünsche Ihnen nur, daß dieser Sturmwind vorübergeht, ohne Sie zeitweilig in die Hölle des Roten Meeres oder in das Fegefeuer von London zu zwingen. Da ich gerade von London spreche, die Social Democratic Federation, eine der fünf oder sechs sozialistischen Sekten hier — sie hat ein marxistisches Programm, aber eine ausgesprochen sektiererische Taktik'101 -, hat eben ihren Kongreß6 abgehalten, auf dem zwei ziemlich wichtige Beschlüsse gefaßt wurden. Der erste ist für diese Föderation charakteristisch: es wurde vorgeschlagen, daß die Föderation bei den nächsten Parlamentswahlen die Kandidaturen der „Independent Labour Party"'91 unterstützen soll, wenn diese Kandidaten sich offen als Sozialisten erklärten. - Mit einer starken Mehrheit zurückgewiesen. Die „unabhängige Arbeiterpartei" ist eine konkurrierende Gruppe, die ebenfalls „die Sozialisierung der Produktionsmittel" in ihr Programm aufgenommen hat, die folglich sozialistisch ist, wenn sie sich auch nicht dafür ausgibt, und die das Ziel hat, Arbeiterkandidaten wählen zu lassen, die von beiden Parteien - Konservativen und Liberalen unabhängig sind. Alle haben gehofft, daß diese beiden Gruppen bei den Wahlen zusammen marschieren würden. Aber die Föderation sagt nein: entweder ihr seid Sozialisten, und dann ist euer Platz in unseren Reihen, oder ihr weigert euch, bei uns einzutreten und bildet eine eigene Gruppe, dann seid ihr keine Sozialisten. Machen Sie mal mit solchen Elementen eine Bewegung! Aber was uns noch näher angeht: nach einer Debatte, in der die Tatsache betont wurde, daß die Kongresse von Paris'1311, Brüssel11321 und Zürich11201 keine rein sozialistischen Kongresse gewesen wären und daß es für die Sozialisten an der Zeit sei, sich von dem (korporativen) trades-unionsElement, das nicht sozialistisch ist, zu lösen, hat die Föderation formell beschlossen, einen rein sozialistischen Kongreß für 1896 einzuberufen, der drei Tage vor dem allgemeinen Kongreß von London13131 eröffnet werden soll. Beachten Sie, daß die Gruppe, die alle Sozialisten zu einem Spezialkongreß einberuft, ohne irgendein Mandat zu haben, auf ihrem oben erwähnten Kongreß erklärte, daß sie 4500 Mitglieder zähle; aber nach den
6 siehe vorl. Band, S. 283/284
19 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
Worten des Sekretärs7 hatte man im vergangenen Jahr 7000 Namen in der Mitgliederliste verzeichnet, so daß man also fast ebenso viele verloren wie behalten hat; und ein anderes Mitglied hat sich gebrüstet, daß in den vierzehn Jahren des Bestehens dieser Organisation nicht weniger als eine Million Mitglieder eingetreten und ausgeschieden sind (immer ohne die oben erwähnten 4500)! Eine Organisation, die eine derartige Kraft der Attraktion (undder Repulsion) besitzt, die außer ihren Kandidaturen alle anderen sozialistischen zurückweist (beachten Sie, daß die Independent Labour Party in der Provinz in bester Harmonie mit der Social Democratic Federation lebt!) und die auch die trades-unions in dem Augenblick zurückweisen will, wo diese (das breiteste und günstigste Feld für unsere Propaganda) sich wahrscheinlich in Norwich13161 zum zweiten Mal für die Sozialisierung der Produktionsmittel (in Belfast 1893 angenommen'3221, 1894 zum zweiten Mal durch den London Trades Council'1021 angenommen) aussprechen werden -, eine solche Organisation ist wirklich sehr dazu geeignet, die Initiative in einer solchen Frage zu ergreifen. Die Sozialisten des Kontinents, die sich jetzt in allen Ländern zusammengeschlossen haben, werden sich überlegen, ob sie damit einverstanden sind, sich zu einem Kongreß einladen zu lassen, auf dem sie Beschlüsse annehmen müßten, die ihnen schon vorher ihre Aktionslinie auf dem allgemeinen Kongreß vorschreiben. Das könnte die Delegierten des großen Kongresses, die von den noch nicht rein sozialistischen Gruppen entsandt werden, nur - und mit Recht - verärgern. Und da wir aus Erfahrung wissen, daß diese Gruppen allein durch die Tatsache ihrer Anwesenheit auf unseren Kongressen unbewußt in den sozialistischen Kreis hineingezogen werden - die englischen Trade-Unions sind der beste Beweis dafür -, sollten wir da so engstirnig sein, uns diese Tür zu verschließen? Sie haben keine Vorstellung von den Intrigen, die hinsichtlich dieses Kongresses hier angezettelt werden. Das Parlamentarische Komitee des Trade-Union-Kongresses'3121 will, so sagt man, sich unseres Kongresses bemächtigen, um ihn in einen ausgesprochenen Kongreß der Trade-Unions zu verwandeln, wie der hier von 188813231 einer war, über den Ihnen C. Lazzari einiges sagen kann. Natürlich würde man einen solchen Versuch auf dem Kontinent mit Lachsal ven beantworten. Aber die Social Democratic Federation scheint diese Gerüchte ernst genommen zu haben und daraus
7 Henry Mayers Hyndman
ihrerseits Nutzen ziehen und sich des Kongresses bemächtigen zu wollen, um daraus etwas Besonderes zu machen. Da die Resolution dieser letzteren offiziell ist und veröffentlicht wurde, kann man darüber in der Presse sprechen. Besser wäre jedoch, dem nicht zuviel Gewicht beizumessen, es ist offenbar ein Versuchsballon, der nur*in dem Fall Bedeutung erlangt, wenn ihm Anzeichen einer Tätigkeit, ein Einladungs-Zirkular usw. usw. folgen würden. Grüße an Sie und Frau Anna von Frau Freyberger und mir. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Ich bitte Sie, diesen Brief als privat und vertraulich anzusehen.
Aus dem Französischen.
155
Engels aft Paul Lafargue in Le Perreux
4, Royal Parade Eastbourne, 22. August 1894
Mein lieber Lafargue, Wir sind seit 8 Tagen hier in Eastbourne'3141, Louise, ihr Mann und ich. Ich hatte es sehr nötig, und die ozonhaltige Meeresluft wirkt bereits. Leider regnet es seit gestern mehr als nötig. Ihren Scheck werden Sie Anfang des nächsten Monats erhalten, sobald ich Eingänge gehabt habe. Ich bin sehr gespannt, wie man das neue Verdächtigen-Gesetz'3031 handhaben wird. Ich bin überzeugt, daß man es im gegebenen Augenblick ebenso gegen die Sozialisten wie gegen die Anarchisten anwenden wird. Aber wenn auch einige Personen darunter leiden sollten, so wird dies Gesetz bei Euch bestimmt dasselbe bewirken wie das Gesetz von 7811431 bei den Deutschen; Ihr werdet es besiegen und aus dem Kampf unendlich viel stärker hervorgehen, als Ihr es zu Beginn des Kampfes wart. Hier ist die Social Democratic Federation'101, die eine Zeitlang eine vernünftige und tolerante Linie einzuschlagen schien, plötzlich in die Hyndmaniaden von früher zurückgefallen. Auf dem Kongreß, den sie in London vor 15 Tagen oder 3 Wochen abgehalten haben, schlug der Delegierte von Liverpool vor, daß man bei den nächsten allgemeinen Wahlen die Kandidaten der Independent Labour Party'91 unterstützen sollte, vorausgesetzt, daß sie sich offen als Sozialisten erklärten. Das wurde gegen alle in England üblichen Regeln für Debatten beiseite gelegt und mit 42 gegen 12 Stimmen ein Beschluß gefaßt, daß es die Pflicht eines jeden Sozialisten sei, in eine offen sozialistische revolutionäre Organisation wie die Social Democratic Federation einzutreten (und da die Social Democratic Federation behauptet, daß es außer ihr keine andere gibt, so bedeutet das: in die Social Democratic Federation einzutreten). Was die Wahltaktik anbelangt, so wurde damit ein Komitee beauftragt, das dem Exekutivrat darüber berichten wird. Sie wissen doch, daß die Nationalisierung der Produktionsmittel einen wesentlichen Programmmpunkt der Independent Labour
Party ausmacht. Somit ist also die gegenseitige Unterstützung, die bisher zwischen den beiden Gruppen im Norden (besonders Lancashire und Yorkshire) bestand, praktisch aufgehoben worden von der Social Democratic Federation, die die Politik des Kalifen Omar verkündet, der die alexandrinische Bibliothek verbrannte: entweder widersprechen diese Bücher dem Koran, dann sind sie schlecht; oder sie sagen dasselbe wie der Koran, dann sind sie überflüssig: also ins Feuer damit! Und diese Leute erheben Anspruch auf die Führung der sozialistischen Bewegung in England! Aber es gibt Schlimmeres. Hyndman hat erklärt, es sei an der Zeit, daß sich der Sozialismus klar vom Trade-Unionismus trennt und daß statt der allgemeinen Kongresse ein rein sozialistischer stattfinden soll. Und da man gleichzeitig feststellte, daß es noch zu früh ist, einen direkten Schlag gegen den Kongreß von 189613131 zu führen, hat man beschlossen, daß die Social Democratic Federation einen rein sozialistischen Kongreß einberufen wird, der drei Tage vor Eröffnimg des allgemeinen Kongresses in London 1896 abgehalten werden soll. Was werden die Kontinentalen dazu sagen? Werden sie zu einem solchen Kongreß kommen, um sich danach, an Händen und Füßen gebunden durch zwei oder drei Tage vorher1 in kleinem Kreis gefaßte Beschlüsse, auf den großen, auf unseren Kongreß zu begeben? Werden sie die Spaltung provozieren zwischen den eindeutig sozialistischen Delegierten und jenen, die es noch nicht sind, aber im Begriff sind, es zu werden? Werden sie den englischen Trade-Unionisten diese Ohrfeige verabreichen, die solche Fortschritte gemacht haben, seit der New Unionism13241 sie auf den Weg zum Sozialismus getrieben hat; die 1893 in Belfast für die Nationalisierung der Produktionsmittel gestimmt haben'3221 (die vor einigen Wochen sogar in das politische Programm des widerspenstigen London Trades Council11021 aufgenommen worden ist), und die sich in 15 Tagen abermals in Norwich13161 über ihre Haltung uns gegenüber äußern sollen? Aber wissen Sie, wie die Social Democratic Federation in ihrem Jahresbericht und den Kongreßreden die Stärke dieser Organisation dargestellt hat, die sich anmaßt, die Beschlüsse von Zürich11201 zu ändern (denn das ist doch eine offensichtliche Revision, die den Züricher Beschluß fälscht)? Sie zählt - 4500 Mitglieder. Im vergangenen Jahr enthielten ihre Mitgliederlisten 7000 Namen, also haben sie 2500 Mitglieder verloren! Aber was will das heißen? sagt Hyndman. In den 14 Jahren ihrer Existenz hat die Social
Democratic Federation eine Million Mitglieder!! kommen und gehen sehen. Was für eine Organisation! Von 1 Million haben 995500Reißaus genommen, aber-4500 sind geblieben! Nun der Schlüssel zu all diesen Tollheiten, die ohne diesen Schlüssel unbegreiflich wären. Der Kongreß von 1896 läßt keine der Sekten, Fraktionen, Gruppen usw., die aus denen bestehen, was man hier organised labour2 nennt, mehr ruhig schlafen. Das Parlamentarische Komitee des Trades Congress'3121 hat große Lust, to boss the Congress3. Es gibt bereits Vorschläge für die Tagesordnung des Kongresses der Trades in Norwich (Sept.), die Zulassung von englischen Delegierten zum Kongreß von 96 auf jene allein zu beschränken, die für den Trades Congress qualifiziert sind: bona fide working men, working or having worked at the trade they represent4. Und dabei hat man nicht übel Lust, dies System auch auf die Kontinentalen auszudehnen, was Lachsalven hervorrufen würde, die so stark wären, daß ganz London in seinen Grundfesten erschüttert würde. Nun gut, die Social Democratic Federation, die ihrerseits den Zeitpunkt für gekommen hält, den Kongreß zu beherrschen und durch den Kongreß die englische Bewegung, scheint diese Gerüchte zum Vorwand genommen zu haben, um ihr Gegenplänchen loszulassen. Bis jetzt ist es nur ein Versuchsballon. Aber sobald die Social Democratic Federation ein Einladungs-Zirkular oder Ähnliches erläßt, nimmt die Sache Gestalt an, und die Parteien auf dem Kontinent würden aufgerufen sein, sich zu äußern. Eine Frage: „Le Socialiste", lebt er noch oder aber ist er tot5? Seit April haben wir von ihm nichts mehr gesehen und gehört. Wenn Sie es fertiggebracht haben, ihn umzubringen, halten Sie das für einen der Siege der Partei in Frankreich? Auf alle Fälle werden die beiden Monate Sept. und Okt. interessant sein. Um den 5. herum Trades Congress in Norwich (nach dem spanischen Kongreß nächsten Sonntag'3103), dann Euer Kongreß in Nantes'3251, dann der Parteitag der Deutschen in Frankfurt13261 am 21. Oktober. Die letzten beiden werden sich mit der Bauern- und Landarbeiterfrage beschäftigen. Im allgemeinen sind die Ansichten der zwei nationalen Gruppen die gleichen, nur daß Ihr, die kompromißlosen Revolutionäre von früher, jetzt etwas mehr zum Opportunismus hinneigt als die Deutschen, die wahr
2 organisierte Arbeiter - 8 den Kongreß zu beherrschen - 4 wirkliche Arbeiter, die in dem Beruf arbeiten oder gearbeitet haben, den sie vertreten - 6 in der Handschrift deutsch: lebt er noch oder aber ist er tot
scheinlich keine Maßregel unterstützen werden, die dazu dienen könnte, das kleinbäuerliche Eigentum entgegen dem im Kapitalismus erfolgenden Verfall zu erhalten oder zu konservieren. Andererseits wird man mit Euch darin übereinstimmen, daß es nicht unsere Aufgabe ist, diesen Verfall zu beschleunigen oder zu forcieren, und daß das Wesentliche der Zusammenschluß der Kleineigentümer zu landwirtschaftlichen Genossenschaften zwecks gemeinsamer Bewirtschaftung im Großen ist. Ich bin neugierig, welcher der beiden Kongresse sich in der ökonomischen Theorie als der fortgeschrittenere und in den vorzuschlagenden praktischen Mitteln als der wirksamere erweisen wird. Umarmen Sie Laura für mich, um sie daran zu erinnern, daß sie mir einen Brief schuldet» Herzliche Grüße von den Freybergers. Freundschaftlichst Ihr F.E.
In einigen Wochen wird die „Neue Zeit" einen Artikel von mir über den _ Ursprung des Christentums6 bekommen. Mit dem 3. Bd. geht es gut voran; 43 Bogen sind gesetzt; ich schreibe das Vorwort7.
Aus dem Französischen.
8 „Zur Geschichte des Urchristentums" - 7 „Vorwort" zum dritten Band des „Kapitals"
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Engels an Eduard Bernstein in London 4, Royal Parade, Eastbourne Ö./9./94
Lieber Ede, An Schlüter werde ich schreiben11351, ihm mitteilen, daß Du Zeitmangel hast und er aus der „N[euen] Z[eit]" abdrucken kann. Die Druckfehler haben Zeit, bis ich zurückkomme, 18. Sept.13141 Die Vorrede1 wird erst später fertig, Du kannst sie aber vor Absendung bei mir ansehn. Das über die Profitrate findest Du im Buch selbst, in der Vorrede kommt nichts Neues zur Sache vor, nur Kritik der Lösungsversuche.13271 Was den Edwards angeht, so würde ich an Deiner Stelle mal zuerst von Avelings erfragen, weshalb sie abgelehnt und was sie von dem Mann wissen, das don't know him2 ist im Englischen nicht ganz eindeutig. Wenn Du die Zeit opfern willst, so hat es gewiß sein Gutes, daß Du einen beliebigen Arndt oder Hyndman verhinderst, den Artikel zu schreiben. Andrerseits kann man mit Mitarbeit an solchen plötzlich von Unbekannten ins Leben gerufnen Sammelwerken allerlei Erfahrungen machen. Der Mann kann Dir nicht übelnehmen, wenn Du bei ihm anfragst, welche andren Mitarbeiter er schon gewonnen hat, das würde Dir doch ein bestimmteres Urteil erlauben.13281 Pinkau soll gern ein Photo haben, sobald ich selbst wieder eins habe - wie Du weißt, schlugen Inkas Versuche fehl, seitdem bin ich nirgendswo vor die Lupe gekommen. Viele Grüße an Gine und die Kinder von Louise und Deinem F. Engels
Freyberger ist in London heute zum Spitaldienst.
1 „Vorwort" zum dritten Band des „Kapitals" - 2 ich kenne ihn nicht
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Engels an Eduard Bernstein in London13291
Wir sind heut abend wieder hier angekommen.13141 Der Baron will, ich soll ihm etwas „Ungedrucktes" von der Internationale geben, ich habe nun gleich die alten Papiere durchgesucht und etwas möglicherweise Passendes gefunden; kannst Du es zum Übersetzen hier abholen, da die Zeit drängt, nach Barons Brief zu urteilen? Morgen bin ich von 10 bis gegen 1 in der Stadt, hernach wieder hier, Louise weiß aber, wo die Sachen sind. Gruß an Gine und die Kinder von uns allen. Dein F.B. [London] Dienstag, 18./9./94
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux (Fragment)
[London, zweite Septemberhälfte 1894] Nun zu etwas anderem. Der Trades Union Congress13161 zeigt einen deutlichen Fortschritt gegenüber dem Kongreß vom vergangenen Jahr13221 und beweist, zusammen mit der Wahl in Leicester und anderen Symptomen, daß die Dinge in England in Bewegung sind. Natürlich gibt es hier keinen Fortschritt ohne Übel: nimm die Resolution gegen die Einwanderung ausländischer Arbeiter, die in Norwich gefaßt worden ist; aber mit solchen Widersprüchen und Schwankungen wird man auch „in diesem freien Lande" noch eine Zeitlang rechnen müssen. Trotz alledem wird der Augenblick kommen, an dem die Massen, wenn sie einen genügenden Grad von Bewußtsein erlangt haben, das verworrene Netz von Intrigen und sektiererischen Zänkereien der „Führer" zerreißen werden. Der Krieg zwischen China und Japan1330' scheint mir von der russischen Regierung angestiftet worden zu sein, die Japan als ihr Werkzeug benutzt. Aber was auch immer die unmittelbaren Folgen dieses Krieges sein mögen, eines ist unvermeidlich: der völlige Zusammenbruch des ganzen traditionellen Systems im alten China. Dort wurde ein veraltetes, mit der Hausindustrie verbundenes System der Landwirtschaft künstlich aufrechterhalten durch rücksichtslosen Ausschluß aller störenden Elemente. Dieser Ausschluß alles Ausländischen ist zum Teil durch die Kriege gegen die Engländer und Franzosen durchbrochen worden; dem muß dieser Krieg gegen Asiaten, gegen Rivalen, die engste Nachbarn der Chinesen sind, restlos ein Ende machen. Die zu Lande und zur See geschlagenen Chinesen werden sich europäisieren müssen, werden ihre Häfen dem allgemeinen Handel öffnen, Eisenbahnen und Fabriken bauen und somit das alte System völlig zerbrechen müssen, das so viele Millionen zu ernähren ermöglichte. Ganz plötzlich wird es eine ständig zunehmende Übervölkerung geben, vertriebene Bauern, die zur Küste zusammenströmen werden, um in fremden Ländern ihren Lebensunterhalt zu suchen. Wenn bis jetzt Tausende auswanderten, werden dann Millionen fortgehen wollen. Und
dann werden die chinesischen Kulis überall sein, in Europa, Amerika und Australien, und sie werden versuchen, die Löhne zu senken und den Lebensstandard unserer Arbeiter dem der Chinesen anzupassen. Dann ist die Zeit für unsere europäischen Arbeiter gekommen1. Und die Engländer werden die ersten sein, die unter dieser Invasion zu leiden haben und kämpfen werden. Ich rechne sehr darauf, daß dieser Japanisch-Chinesische Krieg unseren Sieg in Europa um mindestens fünf Jahre beschleunigen und ihn ungeheuer erleichtern wird, da er alle nichtkapitalistischen Klassen auf unsere Seite herüberziehen wird. Nur die Großgrundbesitzer und Fabrikanten werden pro-chinesisch sein. Pauls Artikel in der „Neuen Zeit"13311 sind alles in allem sehr gut. Es sind darin einige historische Ansichten, die ihm alle Ehre machen. Die Erklärung über die Ursachen und den Gang der französischen Geschichte seit 1871 ist das Beste, was ich bisher gesehen habe, ich habe daraus eine Menge gelernt. Aber die considerant2 des Agrarprogramms von Nantes13251, die es als Pflicht der Sozialisten erklärt, das bäuerliche Eigentum zu erhalten und zu schützen, und sogar das der fermiers und metayers3, die Taglöhner beschäftigen, ist mehr als die meisten Menschen außerhalb Frankreichs werden schlucken können. Herzliche Grüße von Freybergers. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift folgen die von Engels gestrichenen Worte: zu kämpfen - 2 Motivierung 3 Pächter und Teilpächter >
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 23. Sept. 94 122, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Baron, Dein Appell wegen internationaler Dokumente traf mich noch in Eastbourne.1 Leider konnte ich Ede nicht beauftragen, Dir etwas herauszusuchen, da ich die Schlüssel meiner Schränke bei mir hatte und mehrere hätten durchsucht werden müssen - ich selbst finde mich kaum zurecht unter der Unordnung der alten Papiere. Zudem kamen wir den folgenden Tag (Dienstag) zurück, ich suchte etwas für Ede heraus, und wir baten ihn, den Abend zu kommen, aber da mußte er den Artikel für die „N[eue] Z[eit]" fertigmachen1332J; den Mittwoch morgen holte Ernst2 die Sachen, aber abends brachte Ede sie als zu spät zurück und sagte, Ihr hättet ohnehin schon etwas. Das, was ich gefunden, war ohnehin nichts Besondres, es ist schwer, ein nicht bekanntes Dokument der Internationale zu finden, das durch sich selbst heute noch durchschlagenden Effekt macht. Für die armenische „Entwicklung" vielen Dank.13331 Glücklicherweise kann ich das nicht lesen. Das Honorar für die Marx-Kapitel bitte ich von dem für meinen Artikel abzuziehn resp. dagegen zu verrechnen und mir für die Erben herzuschicken.13341 Sollte das meinige nicht reichen, bitte ich, mich für die Differenz gegen künftige Arbeiten zu belasten. Selbstverständlich tun mir Ex. der ganzen Nummer denselben Dienst wie Separatabzüge des Artikels. Ich brauche sie nur für ein paar ganz bestimmte Nebenzwecke. Die Honorarzahlung an die Österreicher bleibt bis auf weitere Nachricht fortwährend in Kraft.11981 Die Italiener fangen an, mir fürchterlich zu werden. Gestern schickt mir der Quasselkopf Enrico Ferri seine sämtlichen Schriften der letzten Zeit und einen überschwenglichen Brief, der meine Gefühle für ihn nur
1 Siehe vorl. Band, S.297 - 2 Ernst Schattner
noch überschwenglicher gemacht hat. Und doch soll man dem Mann höflich antworten! Sein Buch Darwin-Spencer-Marx ist entsetzlich konfus, flacher Kohl. Die Italiener werden noch lange laborieren an dieser ihrer jebildeten Bourgeoisjugend. Ich werde wohl einmal etwas tun müssen, was meiner gefahrdrohend anwachsenden Popularität (die nicht poussiert wird von den Leuten, without a considerable eye to business3) ein Ende zu machen. Einstweilen werde ich in der Vorrede zum 3. Band an Achille Loria ein kleines Exempelchen statuieren.4 Der Krieg zwischen China und Japan13301 bedeutet das Ende vom alten China, die vollständige, wenn auch allmähliche Revolution der gesamten ökonomischen Grundlage, bis Auflösung der alten Verbindung von Ackerbau und Industrie auf dem Lande durch große Industrie, Eisenbahnen etc., und damit die Massenauswanderung der chinesischen Coolies5 auch nach Europa, also für uns eine Beschleunigung des debacle6 und Steigerung der Kollision zur Krisis. Es ist wieder die prachtvolle Ironie der Geschichte: nur China bleibt der kapitalistischen Produktion noch zu erobern, und indem sie es endlich erobert, macht sie sich selbst in ihrer Heimat unmöglich. Viele Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
Bald ziehen wir aus nach 41, Regent's Park Road, näher an St.Mark's Church; nähere Angabe folgt.
3 ohne dabei ziemlich stark an den geschäftlichen Vorteil zu denken - 4 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.25-28 - 5 Kulis -6 Zusammenbruchs
160
Engels an Emile Vandervelde in Brüssel (Entwurf)
[London, nach dem 21. Oktober 1894]
Lieber Bürger Vandervelde, Gestatten Sie mir, Ihnen persönlich meine Glückwünsche zu Ihrer Wahl auszusprechen, und den belgischen Genossen im allgemeinen zu den glänzenden Erfolgen an den letzten beiden Sonntagen.13351 Dieser zweite Sieg des belgischen Proletariats13361 ist für uns alle von großer Bedeutung.1 Die kleinen Länder, wie Belgien und die Schweiz, sind die modernen politischen Laboratorien, die Versuchsfelder, wo man die Erfahrungen sammelt, die später in den großen Staaten angewandt werden. Sehr oft geht gerade von diesen kleinen Ländern der erste Anstoß zu einer Bewegung aus, die bestimmt ist, Europa zu erschüttern. So wie vor der Februarrevolution der Krieg des Schweizer Sonderbundes.11821 Gegenwärtig befinden wir uns, wie mir scheint, in einer Zeit der ansteigenden Flut, einer Zeit, die mit der Eroberung des Wahlrechts durch die belgischen Arbeiter begann. Nach Belgien ist Österreich in die Wahlrechtsbewegung eingetreten, und nach Österreich fordert jetzt das proletarische Deutschland, daß das allgemeine Wahlrecht vom Reichstag auf die Landtage der Bundesstaaten ausgedehnt wird. Die Unterdrückungsgesetze, die gegen die Arbeiterparteien in Frankreich13031 und in Italien'3211 erlassen wurden, und ähnliche Gesetze, die man in Deutschland vorbereitet, werden auch nicht mehr Erfolg haben als die Zwangsmaßnahmen der österreichischen Regierung. Heute ist die sozialistische Bewegung überall stärker als die sogenannte öffentliche Macht.2 Was die belgischen Arbeiter betrifft, so sichert ihnen der H.Oktober eine stärkere Position. Zum erstenmal haben sie ihre Kräfte und die ihrer Gegner genau kennengelernt; von nun an werden sie also ihr taktisches
1 Im Entwurf folgt der von Engels gestrichene Satz: Wenn es einem kleinen Land wie dem Ihrigen nicht gegeben ist, die großen historischen Aufgaben unserer Epoche allein zu lösen... - 2 im Entwurf folgt der von Engels gestrichene Satz: Der hervorragende Erfolg der belgischen Sozialisten kennzeichnet eine neue Etappe.
Vorgehen in voller Kenntnis der Sachlage bestimmen können; Sie aber und die anderen sozialistischen Vertreter werden mehr Gewicht bekommen und mit größerer Aufmerksamkeit gehört werden, nachdem es eine offizielle Tatsache ist, daß Ihr die Vertreter von 350000 belgischen Bürgern seid. Mit Ihnen allen hält das belgische Proletariat seinen „frohen Einzug" ins Parlament, einen frohen Einzug nicht nur für Sie, sondern für die Proletarier ganz Europas!
Aus dem Französischen.
161
Engels an Maria Mendelson in London
41, Regent's Park Road, N.W.[3371 26. Okt. 1894
Liebe Frau Mendelson, Endlich sind wir in der Lage, unsere Freunde zu empfangen - wenngleich auch im Hause noch immer Spuren wie von einer Belagerung oder Bombardierung vorhanden sind -, und werden uns sehr freuen, Sie alle beide Sonntagabend zu sehen. Gruß von Louise und dem Doktor1. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Aus dem Französischen.
1 Ludwig Freyberger
Haus, in dem Friedrich Engels von Oktober 1894 bis an sein Lebensende wohnte (London, 41, Regent's Park Road, N.W.)

162
Engels an Georgi Walentinowitsch Plechanow in London
41, Regent's Park Road, N.W. [London] 1. Nov. 1894
Mein lieber Plechanow, Selbstverständlich werde ich Ihnen die Durchsicht in der „Neuen Rheinischen] Zeitung" usw. soweit wie möglich erleichtern, und ich verstehe gar nicht, warum Sie sich genieren, mir das offen zu sagen.13381 Momentan sind meine Bücher noch nicht sortiert; diese Arbeit wurde unterbrochen, weil ich eine Vielzahl anderer Dinge zu erledigen hatte, wie Gänge in die Stadt, Konsultationen bei Rechtsanwälten und andere Unannehmlichkeiten, bedingt durch die gesetzlichen Formalitäten und materiellen Schwierigkeiten, ohne die es in England und besonders in London nicht möglich ist, ein Haus zu mieten. Und das hat noch immer kein Ende... Bevor ich meine Bücher nicht in Ordnung gebracht habe, wird es kaum möglich sein anzufangen, und darum möchte ich Sie bitten, sich noch etwas zu gedulden. Aber seien Sie versichert, daß Sie alles erhalten werden, was ich an Büchern, Zeitungen usw. in der Sie interessierenden speziellen Literatur finden kann. Wir werden uns darüber unterhalten, sobald ich das Vergnügen haben werde, Sie zu sehen. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Soeben höre ich, daß in unserer Küche ein neuer Herd gesetzt wird und wir daher bis nächste Woche nicht kochen können. Wir können Sie also Sonntagabend nicht empfangen, da wir Sie nicht bewirten können. Wenn Sie jedoch an einem anderen Abend nach acht Uhr vorbeikommen wollten, werden wir uns über die Bücherangelegenheit unterhalten.
Aus dem Französischen.
20 Marx/Engels, Werke, Bd.39
163
Engels an Carl Hirsch in Köln13391
Lieber Hirsch, Für regelmäßige Zusendung der „Rheinischen] Ztg." bestens dankend, bitte ich, die Adresse gefl. von 122 abändern zu wollen auf Nr.41, Regent's Park Road, N.W. London, es ist auf der andern Seite der Straße, aber unterhalb Primrose Hill und näher am Eingang zum Park. Sonst alles wohl! Dein F.E. [London] 8. Nov. 94
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 41, Regent's Park Road, N.W. 10. Nov. 94
Lieber Sorge, Aus obiger Adresse siehst Du, daß ich ausgezogen bin. Nach Louises Heirat wurde uns die alte Wohnung doch etwas eng, und da die Folgen des Heiratens sich bald einstellten, ging's nicht mehr. Wir haben also ein sich darbietendes größeres Haus etwas weiter abwärts, dicht am Tor zu Regent's Park genommen und sind nach vielem Trubel vor 4 Wochen eingezogen Trubel mit Hausagenten, Advokaten, Kontraktoren, Möbelhändlern etc. und noch nicht fertig, meine Bücher noch sehr ungeordnet. Wir haben unten die gemeinsamen Wohnräume, im 1. Stock mein Arbeits- und Schlafzimmer, 2. Stock Louise, ihr Mann und das am 6. ds. Dienstag angekommne kleine Mädchen mit Kindermädel, 3. Stock die beiden Hausmädchen, Rumpelkammer und Fremdenzimmer. Mein Arbeitszimmer vorn heraus, 3 Fenster, so groß, daß ich fast alle Bücher (8 Kästen) darin unterbringen kann, und trotz der Größe sehr gut und leicht heizbar. Kurz, wir haben uns sehr verbessert. Louise und ihr Kleines sind den Umständen nach sehr wohl, es ist alles recht gut verlaufen. Heute erhältst Du 2 dicke Pakete: 3 „Sozialdemokraten" (Berliner), 3 Pester „Volksstimmen", den Rest der Parteitagsverhandlungen im „Vorwärts" [3261 und eine „Critica Sociale" mit einem Brief von mir1. Der Umzug hatte etwas Unregelmäßigkeit in die Sendungen gebracht. Die „ Worhman's Times" ist eingegangen. Sehr schade. Tussys Artikel darin waren die einzigen, worin den englischen Arbeitern die Wahrheit über die kontinentale Bewegung nicht verschwiegen oder verfälscht wurde. Die hiesige Bewegung ähnelt immer noch der amerikanischen, nur daß sie Euch etwas voraus ist. Der Masseninstinkt, daß die Arbeiter eine eigne Partei bilden müssen gegen beide offizielle Parteien, wird immer stärker, hat sich bei den Munizipalwahlen am 1. Nov. wieder mehr gezeigt als je.
1 „Der internationale Sozialismus und der italienische Sozialismus"
20*
Aber die alten traditionellen Erinnerungen verschiedner Art und der Mangel an Leuten, die diesen Instinkt in bewußte Aktion umzusetzen und über das ganze Land zusammenzufassen imstande wären, befördern das Verharren in diesem Vorstadium der Unbestimmtheit des Gedankens und der lokalen Isoliertheit der Aktion. Das angelsächsische Sektentum herrscht auch in der Arbeiterbewegung. Die Social Democratic Federation1101, ganz wie Eure deutsche Sozialistische Arbeiter-Partei[282], hat es fertiggebracht, unsre Theorie in das starre Dogma einer rechtgläubigen Sekte zu verwandeln, ist engherzig abschließend und hat dabei, dank Hyndman, in der internationalen Politik eine durchaus faule Tradition, die zwar von Zeit zu Zeit erschüttert wird, mit der aber noch immer nicht gebrochen ist. Die Independent Labour Party191 ist in ihrer Taktik äußerst unbestimmt, und ihr Führer Keir Hardie ist ein überschlauer Schotte, dessen demagogischen Kunststücken man nicht über den Weg trauen kann. Er hat - obwohl ein armer Teufel von schottischem Kohlengräber - ein großes Wochenblatt gestiftet: „The Labour Leader", das nicht ohne viel Geld einzurichten war, und dies Geld kommt ihm von torystischer oder doch liberal-unionistischer[112], d.h. antigladstonischer und antihomerulischer Seite, daran kann kein Zweifel sein, und sowohl seine notorischen literarischen Verbindungen in London wie direkte Nachrichten, und seine politische Haltung, bestätigen dies. Infolgedessen kann er - durch Abfall der irischen und radikalen Wähler - sehr leicht seinen Sitz im Parlament bei der allgemeinen Wahl | g95[26i] verlJeren> Und das wäre ein Glück, der Mann ist augenblicklich das größte Hindernis. Im Parlament erscheint er nur bei demagogischen Gelegenheiten: um mit Redensarten über die unemployed2 sich wichtig zu machen, ohne daß er etwas fertigbringt, oder um bei Geburt eines Prinzen der Königin3 Sottisen zu sagen, was hierzulande unendlich verschlissen und wohlfeil etc. Sonst sind namentlich in der Provinz sowohl in der Social Democratic Federation wie in der Independent Labour Party sehr gute Elemente, aber zerstreut; obwohl sie wenigstens das durchgesetzt haben, daß alle Versuche der Führer, die beiden Organisationen gegeneinander zu verhetzen, immer wieder mißlingen. John Burns steht politisch ziemlich allein, er wird sowohl von Hyndman wie von K. Hardie wütend angegriffen und tut, als ob er an der politischen Organisation der Arbeiter verzweifle und nur noch auf die Trades Unions hoffe. Er hat allerdings mit jenen schlechte Erfahrungen gemacht und könnte verhungern, wenn ihm nicht die Engineers Union sein Parlamentsgehalt zahlte. Er ist eitel und hat sich
Arbeitslosen - 8 Victoria
von den Liberalen, d.h. vom „sozialen Flügel" der Radikalen, etwas stark einseifen lassen und legt entschieden zuviel Gewicht auf die vielen Einzelkonzessionen, die er durchgesetzt hat, aber er ist bei alledem der einzige wirklich ehrliche Kerl in der ganzen Bewegung, d.h. unter den Führern, und hat einen durch und durch proletarischen Instinkt, der ihn, wie ich glaube, im entscheidenden Moment richtiger leiten wird, als die Schlauheit und interessierte Berechnung dies bei den andern tun wird. Auf dem Kontinent wächst mit den Erfolgen die Lust nach noch mehr Erfolg, und die Bauernfängerei im buchstäblichen Sinn wird Mode. Erst erklären die Franzosen in Nantes durch Lafargue'3401 nicht nur (was ich ihnen geschrieben4), daß wir keinen Beruf haben, den Ruin der Kleinbauern, den der Kapitalismus für uns besorgt, durch direktes Eingreifen unsrerseits zu beschleunigen, sondern auch: Man müsse den Kleinbauer gegen Fiskus, Wucher und Großgrundbesitzer direkt schützen. Das können wir aber nicht mitmachen, weil es erstens dumm und zweitens unmöglich ist. Nun aber kommt Vollmar in Frankfurt und will den Bauer überhaupt bestechen, und zwar ist der Bauer, mit dem er in Oberbayern zu tun hat, nicht der verschuldete rheinische Kleinbauer, sondern der Mittel- und selbst Großbauer, der Knechte und Mägde exploitiert und Vieh und Getreide in Massen verkauft. Und das geht nicht ohne Aufgeben des ganzen Prinzips. Wir können den Alpenbauer, den niedersächsischen und schleswigholsteinischen Großbauer nur bekommen, wenn wir ihm die Ackerknechte und Taglöhner preisgeben, und dabei verlieren wir auch politisch mehr, als wir gewinnen. Der Frankfurter Parteitag hat sich in der Frage nicht entschieden, und das ist soweit gut, als die Sache jetzt gründlich studiert wird; die Leute, die dort waren, wußten von Bauern und von den nach den verschiednen Provinzen so grundverschieden ländlichen Verhältnissen viel zuwenig, um anders als ins Blaue hinein beschließen zu können. Aber zum Austrag muß die Sache doch einmal kommen. Dabei fällt mir ein: der Pariser „Socialiste", lebt er noch oder aber ist er tot? Niemand weiß es; als Tussy im Sommer in Paris war, war er noch nicht tot, aber wer ihn haben wollte, mußte ihn im Büro abholen!! Ich habe seit Febr. oder März nichts mehr davon gesehn. Dereure ist verrückt geworden, er war Verwalter, und wie er die Sache in den Dreck geritten hat, so ist sie liegengeblieben. Echt französisch. Nach den belgischen Wahlerfolgen13361 präparieren diese und die Franzosen eine regelmäßige Verbindung mit periodischen Konferenzen zwischen
den sozialistischen Parlamentariern der verschiednen Länder. Ob was draus wird, ist fraglich. Einstweilen tun die 50 französischen Parlamentarier5 (worunter ca. 26 bekehrte Radikale zweifelhafter Sorte) noch sehr groß, aber die Sache hat ihren Haken: unter den 24 Altsozialisten zanken sich die Marxisten einerseits mit den Blanquisten und Allemanisten (Possibilisten) andrerseits im stillen nach Noten, ob's zum offnen Bruch kommt, ist ungewiß. Außer den übrigen sozialistischen Blättern krieg' ich jetzt auch das rumänische („Munca") und bulgarische (früher „Rabotnik" (Arbeiter), jetzt „Socialist") zugeschickt und arbeite mich allmählich in die Sprachen hinein. Die Rumänen werden in Bukarest ein tägliches Blatt6 herausgeben. Vor andern Weltereignissen wird der Tod des russischen Zaren wahrscheinlich eine Veränderung hervorrufen, sei es durch innere Bewegung, sei es durch die Finanznot und Unmöglichkeit, Geld im Ausland zu erhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das jetzige System den Thronwechsel überdauert, der einen durch Onanie körperlich und geistig zerrütteten Idioten ans Ruder bringt. (Diese Tatsache ist in allen medizinischen Fakultäten notorisch, Krause, Prof. in Dorpat, der den Nikolaus beobachtet, hat dies, die Onanie, dem Zar Alexander auf dessen Verlangen direkt als Ursache der Krankheit angegeben, darauf eine Ohrfeige von diesem erhalten, hat dann abgedankt, den ihm nachgeschickten Wladimirorden zurückgesandt und ist nach Deutschland zurück, wo er die Sache erzählt.) Geht's aber in Rußland los, dann wird Jung-Wilhelm7 auch etwas Neues gewahr werden. Dann geht in ganz Europa ein liberaler Wind, der uns jetzt nur nützlich sein kann. Der Krieg in China13301 hat dem alten China den Todesstoß gegeben. Die Abschließung ist unmöglich geworden, die Einführung von Eisenbahnen, Dampfmaschinen, Elektrizität, großer Industrie ist schon aus Gründen der militärischen Verteidigung eine Notwendigkeit geworden. Damit aber fällt auch das alte ökonomische System kleiner Bauernkultur, wo die Familie auch ihre Industrieprodukte selbst machte, in Stücke, und damit das ganze alte gesellschaftliche System, das relativ dichte Bevölkerung erlaubte. Millionen werden an die Luft gesetzt und gezwungen zur Auswanderung; und diese Millionen werden den Weg finden bis nach Europa, und das in Massen. Die chinesische Konkurrenz wird aber bei Euch und bei uns die Sache rasch auf die Spitze treiben, sowie sie massenhaft wird, und so wird die Eroberung Chinas durch den Kapitalismus zugleich den Anstoß geben zum Sturz des Kapitalismus in Europa und Amerika.
2 siehe vorl. Band, S. 187/188 - 6 „Lumea nouä" - 7 Wilhelm II.
Ich hoffe, Dir und Deiner Frau geht's besser als nach Deinen letzten Nachrichten. Mir geht's nicht schlecht, aber man merkt doch auch mit der Zeit, daß zwischen 73 und 37 ein starker Unterschied ist. Herzliche Grüße Dir und Deiner Frau Dein F. Engels
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
41, Regent's Park Road, N.W. . . London, 12. Nov. 94 Mein liebes Lohr, Qui s'excuse, s'accuse1, damit hast Du Deinen Brief vom 24. Okt. begonnen, und Deine letzten Zeilen vom Samstag, die ich heute morgen erhielt, zeigten, wie wenig Zeit notwendig war, um vom „entschuldigen" zum „anklagen" zu gelangen. Du hättest dies allerdings erheblich stärker machen müssen, um mir meine gute Laune zu verderben; und vorläufig will ich Dir nur mitteilen, daß wir seit dem 9.0kt. in Nr.41 sind2, daß ich mit den Advokaten, Hausagenten, Kontraktoren usw. endlosen Verdruß hatte, ehe das Haus bewohnbar war, und zwar soviel, daß ich gestern erst den letzten Haufen Bücher vom Fußboden meines Arbeitszimmers in die Bücherschränke gestellt habe, wo sie darauf warten, sortiert zu werden; kaum war einigermaßen Ordnung gemacht, als Louise letzten Dienstag Mutter eines kleinen Mädchens wurde (beiden geht es gut); um das Maß voll zu machen, wird London von proscrits3 Russen, Italienern, Armeniern usw. usw. überflutet, die mich prompt mit ihren Besuchen beehren, und dabei muß ich noch gleichzeitig die sehr schlechten Korrekturabzüge der letzten 5 oder 6 Bogen „Kapital" (Korrektur und Durchsicht) überfliegen; das Ergebnis war, daß nicht nur meine Korrespondenz, sondern auch Dein französisches „Manifest" in der „Ere nouvelle" arg vernachlässigt wurde. Heute morgen habe ich nun die Oktober- und September-Nrn. dieser Zeitschrift aus dem Durcheinander meiner Bücher herausgefischt und sie mit dem Original verglichen. Je vous en fais mes compliments4 - das ist sogar besser als der „Feuerbach"I227]! Es ist die erste französische Übersetzung des alten „Manifests", die ich wirklich mit ungeteiltem Vergnügen gelesen habe. Leider ist die November-Nr., die den Schlußteil5 enthält, noch nicht eingegangen, also kann ich sie nicht durchsehen. Einige Bemerkungen dazu weiter unten, sie sind ganz unbedeutend. 1 Wer sich entschuldigt, klagt sich an - 2 vgl. vorl. Band, S. 278 - 3 exilierten - 4 Ich mache Dir mein Kompliment - 5 siehe Band 4 unserer Ausgabe, S. 482 - 493
Du kannst wirklich sagen: trois demenagements valent un incendie6 allzuoft war ich geneigt, alle meine Bücher zu verbrennen und das Haus und alles andere, so viele Scherereien hatte ich. Aber jetzt hoffe ich, das Schlimmste hinter mir zu haben - das heißt, das einzige kleine Übel, das noch überstanden werden muß, ist ein überschwemmter Kohlenkeller und ein schwitzender Weinkeller! Aber auch das wird schließlich bezwungen werden. Der Zar7 ist tot, vive le Czar8, und tatsächlich, der arme Bettler braucht die ganze Ermutigung, welche die französische Bourgeoisie und ihre Presse ihm durch ihre Jubelrufe verschaffen können. Er ist ein halber Idiot, schwach an Geist und Körper, und gerade das läßt auf die unentschlossene Herrschaft eines Mannes schließen, der in den Händen von Leuten, die sich mit gegenseitigen Intrigen ins Gehege kommen, zum bloßen Spielball wird, und das ist nötig, um das russische despotische System endlich zu vernichten. Finanzielle Schwierigkeiten werden dem nachhelfen. Mutter Crawford plauderte neulich aus, daß in Frankreich jetzt nicht weniger als acht Milliarden russischer Rentes9 untergebracht sind; das erklärt auch den Mißerfolg der letzten russischen Anleihe'191 und läßt einen Erfolg der bevorstehenden in Frankreich als sehr fraglich erscheinen. Außer von Frankreich wird Nikolaus von niemand Bargeld erhalten. Als vor 6 oder 7 Jahren der Versuch gemacht wurde, in Berlin Geld aufzutreiben, erwiderten die Bankiers einmütig: mit der Bürgschaft einer Nationalversammlung jeden Betrag, ohne diese nicht einen Pfennig! Könnte dieser Ruf nicht jetzt, wenn sich die Gelegenheit bietet, in der „Petite Republique" ertönen? Könnte man denn nicht den französischen gogos10 sagen, daß in Rußland eine Verfassung kommen muß und es deshalb nicht ungefährlich ist, wenn sie ihr Geld einem sterbenden Absolutismus anvertrauen? Oder macht le patriotisme ein solches Vorgehen zu gefährlich? Vielen Dank für Dein Anerbieten, mein „Urchristentum" zu übersetzen'3411; aber glaubst Du wirklich, dieses theologische Thema - besonders II und III - sei anziehend genug für französische Leser? Ich habe sehr starke Bedenken. Kapitel I mag vielleicht gehen: les Internationaux sous l'empire des Cesars11 oder so ähnlich - doch das überlasse ich ganz Dir. Bebel bestätigt heute in einem Brief13421, daß Vollmar in Frankfurt gesagt hat, ich hätte das neue programme agricole von Nantes'3251ausdrücklich gebilligt; aber das einzige, was ich darüber schrieb, war an Dich gerichtet12
6 dreimal umgezogen ist so gut wie einmal abgebrannt - 7 Alexander III. - 8 Nikolaus II. 8 Schuldscheine —10 Einfaltspinseln - 11 die Internationalen unter den römischen Kaisern 12 siehe vorl. Band, S.299
und zwar, daß ich befürchte, die Franzosen würden unter den gegenwärtigen Bedingungen, mit ihrem Appell zur Unterstützung der petits propri6taires13 und sogar les fermiers qui sont obliges d'exploiter des ouvriers14, allein stehen. Also ist Vollmars Behauptung seine eigene Erfindung. Leider wird sie mich zu einer öffentlichen Erwiderung15 zwingen, und um neue Mißverständnisse zu vermeiden, werde ich ausführlicher über die Bauernfrage sprechen müssen16 und kann dann an den Debatten von Nantes nicht vorübergehen. Ich werde es an die „Neue Zeit" schicken, vielleicht wirst Du das interessanter finden als das Christentum. So wird man immer unterbrochen! Diese verdammte Bauernfrage wird mich wieder eine Woche kosten. Dabei habe ich alle Hände voll zu tun mit dringend benötigter Arbeit, die ich zu erledigen habe, noch bevor ich mit dem beginne, was ich eigentlich tun müßte: eine Schilderung von Möhrs Wirken in der Internationale. Das bringt mich auf etwas anderes: in dem Berliner (anarchistischen) „Sozialist" wurde aus der „Soci6t6 Nouvelle" ein sehr langer Brief Bakunins abgedruckt, in dem er seine Version der Haager Affäre'121 usw. bringt. Kann man die Zeitschrift in Paris bekommen? Oder erscheint sie in Brüssel? Den deutschen Text habe ich nur in Bruchstücken bekommen, vielleicht hat die Polizei etwas beschlagnahmt. Paul schreibt, er möchte mir seine „£vol[ution] de la propriete" widmen.'3431 Sehr verbunden. Im allgemeinen wäre es mir lieber, wenn man mir nichts widmen würde, aber ich überlasse das ihm. Niemand ist vor seinem Ende glücklich zu preisen, sagte Solon. Er muß den Fall meiner pr&idence d'honneur über die pr&idence effective17 Regnards vorausgesehen haben! Wer hätte das jemals gedacht: ausgerechnet Regnard!'8441 Stets Dein F.E. September-Nr. Seite 4 -Alinea 2, Verkehrsmittel ist mit moyens de communication wiedergegeben. Verkehr gebrauchten wir im „Manifest" allgemein im Sinne von Handelsverkehr18, und später ist es immer korrekt mit echange übersetzt. An dieser Stelle würde echange besser sein, obgleich es nicht wichtig ist.
ls Kleinbauern -14 der Pächter, die gezwungen sind, Taglöhner auszubeuten -16 „Brief an die Redaktion des .Vorwärts'" -18 „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland" -17 Ehrenpräsidentschaft über die tatsächliche Präsidentschaft -18 in der Handschrift deutsch: Verkehrsmittel, Verkehr, Handelsverkehr
Seite 7, Alinea 1: La Bourgeoisie, das e ist im Text ausgelassen. Seite 10, Alinea 2: der Hausbesitzer, der Krämer19 ist wiedergegeben: le petit proprietaire; wäre es nicht besser, mehr an den Text angelehnt zu sagen: le proprietaire, le boutiquier, le preteur sur gages? Seite 12, Zeile 5: Druckfehler: garantie locale statt: legale. Seite 15, Zeile 3: Courgeoisie statt Bourgeoisie. Du siehst, ich muß zu gewöhnlichen Druckfehlern Zuflucht nehmen, um Fehler zu finden! Bei dem Text in der Oktober-Nr. kann ich nicht einmal das.
Aus dem Englischen.
18 in der Handschrift deutsch: der Hausbesitzer, der Krämer
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Engels an August Bebel und Paul Singer in Berlin
An August Bebeid) Paul Singer Die tausend Pfund, die ich Euch „zu Wahlzwecken" vermacht habe1 wovon die Erbschaftssteuern abgehn -, mußte ich in dieser Form vermachen, weil ich das Geld in keiner andern Form der Partei derart vermachen konnte, daß das Legat hierzulande gesetzlich gültig war. Dies ist der einzige Grund, weshalb diese Beschränkung gemacht wurde. Sorgt also vor allem, daß Ihr das Geld bekommt, und wenn Ihr's habt, daß es nicht den Preußen in die Finger fällt. Und wenn Ihr über diese Punkte Beschluß faßt, so trinkt eine Flasche guten Wein dazu, solches tut zu meinem Gedächtnis.
London, 14. Nov. 1894
Friedrich Engels
1 Siehe vorl. Band, S.505
167
Engels an Eduard Bernstein in London'3451
Lieber Ede, Hierbei 2 Bogen1, Nr. 21/22. Meißner fragt, ob noch Druckfehler sind. Hast Du noch welche parat, so bitte schick sie mir, sonst bemühe Dich weiter nicht; ich schreibe dann morgen an M[eißner], er soll das Verzeichnis schließen. Wenn Du an den Baron heute schreibst, bitte erwähne, daß ich ihm Ferris „Socialismo e scienza positiva" mit Labriolas Anmerkungen auf Labr[iola]s Auftrag schicke. Eile hat's nicht, wenn Dein Brief schon fort ist. Viele Grüße, hier geht alles gut. Dein F.E. [London] 14./11./94
1 des dritten Bandes des „Kapitals"
168
Engels an Laura Lafargue und Eleanor Marx-Aveling
An Laura Lafargue und Eleanor Marx-Aveling Meine lieben Mädels, Ich muß wegen meines Testaments1 einige Worte an Euch richten. Erstens werdet Ihr feststellen, daß ich mir erlaubt habe, über alle meine Bücher, einschließlich der nach Möhrs Tod von Euch erhaltenen, zugunsten der deutschen Partei zu verfügen. Diese Bücher stellen in ihrer Gesamtheit eine so einzigartige und zugleich so vollständige Bibliothek für die Geschichte und das Studium des modernen Sozialismus sowie aller Wissenschaften, an die er anknüpft, dar, daß es schade wäre, sie wieder auseinanderzureißen. Sie zusammenzuhalten und gleichzeitig denen zur Verfügung zu stellen, die sie benutzen möchten, ist ein schon vor langer Zeit geäußerter Wunsch Bebels und anderer Führer der deutschen Sozialistischen Partei; und da sie tatsächlich die zu diesem Zweck Geeignetsten scheinen, habe ich eingewilligt. Ich hoffe, daß Ihr mir unter diesen Umständen meine Tat verzeihen und auch Eure Einwilligung geben werdet. Zweitens. Ich habe mich so manches Mal mit Sam Moore unterhalten, welche Möglichkeit es gibt, um in meinem Testament in irgendeiner Weise für die Kinder unserer lieben Jenny zu sorgen. Unglücklicherweise steht dem das englische Gesetz im Wege. Es könnte nur unter fast unmöglichen Bedingungen geschehen, wobei die Unkosten weit mehr verschlingen würden als die in Frage kommenden Gelder. Ich mußte es daher aufgeben. Statt dessen habe ich jedem von Euch drei Achtel von dem vermacht, was nach Auszahlung des Erbes usw. von meinem Vermögen verbleibt. Davon sind zwei Achtel für Euch selbst bestimmt, und das dritte Achtel soll jede von Euch für Jennys Kinder in Verwahrung erhalten und so verwenden, wie Ihr und der Vormund der Kinder, Paul Lafargue, es für das Beste haltet. Auf diese Weise seid Ihr jeder Verantwortung vor dem englischen Gesetz ledig und könnt so handeln, wie es Euer Gerechtigkeitssinn und Eure Liebe zu den Kindern erfordern.
Die Gelder, die ich den Kindern für Honoraranteile an Möhrs Werken schulde, sind in meinem Hauptbuch eingetragen und werden von meinen Testamentsvollstreckern der Seite ausgezahlt, die nach dem englischen Gesetz der legale Vertreter der Kinder sein wird. Und nun lebt wohl, meine lieben, lieben Mädel. Möget Ihr lange leben, in körperlicher und geistiger Frische, und Euch dessen erfreuen! London, 14. Nov. 1894 Friedrich Engels
Tussy wird Meißner, Dietz und die „Vorwärts"-Buchhandlung2 in Berlin informieren müssen, daß sie von jetzt an alle Summen, die den Erben von Karl Marx als Honorar usw. zustehen, an sie direkt zu zahlen haben. Was Sonnenschein angeht, so muß das auf eine andere Weise geregelt werden, da die Abmachung über das „Kapital"3 zwischen ihm und mir getroffen worden ist. F.E.
Aus dem Englischen.
2 in der Handschrift deutsch: „Vorwärts"-Buchhandlung - 3 über die englische Ubersetzung des ersten Bandes
169
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber Baron, Eben hab* ich mit T[ussy] ihren Artikel'3461 durchgegangen - an einer Stelle ist eine Änderung, an der ihr, wie mir scheint, mit Recht gelegen ist diese aber, auf ein Blatt Papier geschrieben, ist von ihr nicht eingetragen worden. Sie gehört an den Schluß der Einleitung, es soll da heißen: im allgemeinen wird Herrn B[rentano]s Manier, Geschichte zu schreiben, durch drei Eigenschaften charakterisiert: 1. usw. Kannst Du das noch nachtragen? Bei Ankunft dieses wirst Du vielleicht schon aus dem „V[or]w[är]ts"13471 ersehn haben, daß ich zu einem Bauernartikel1 genötigt bin, den ich grade schreibe und den ich die Ehre haben werde, Dir baldigst zur Verfügung zu stellen. Dein F.E. [London] 15./11./94
1 „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland"
170
Engels an Eduard Bernstein in London1348'
Lieber Ede, Im „Soz[ial]demokrat" (Berliner) war Lafargues Bericht über das Programme agraire übersetzt.[340] Laf[argue] verweist mich darauf, da er kein Ex. des Originals zur Hand hat. Nun kann ich meinen „S[ozial]d[emokrat]" nicht finden( es war Nr. vom 18. Nov. und vielleicht noch eine frühere). Kannst Du sie mir auf einen Tag pumpen? Dein arg erkälteter, aber sich bessernder F.E.
Viele Grüße.
[London] 20./11./94
21 Marx/Engels, Werte, Bd. 39
171
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
41, Regent's Park Road, N.W. London, 22. Nov. 94
Lieber Baron, Der Bauernartikel13491 geht heute unter Streifband registriert an Dich ab. Da die Handschrift miserabel, wäre mir Korrektur erwünscht, sie soll promptest besorgt werden. Soeben lese ich Ledebours Antwort an Dich.13501 Es ist übermäßige Klugtuerei. Als wenn Du vor 2 Jahren den heutigen Vollmar hättest vorhersehn müssen. Daraus, daß man den Kleinbauern sagt, man wolle sie nicht gewaltsam von Haus und Hof jagen, daraus den Schluß zu ziehn, man wolle ihnen auch die ökonomischen Bedingungen der fortgesetzten Einzelwirtschaft zur Verfügung stellen, ist doch stark. Daß Du, wie die Dinge heut liegen, dies und jenes anders stellen würdest, ist ja klar. Aber gegen Wortklauberei ist niemand sicher, mir kann's mit dem Artikel gradeso gehn. Ich bin nun begierig, wie die von Bebel angefangne Polemik13511 weiter verlaufen wird. Es war die höchste Zeit. Auf die Stellung der Internationale zur Grund- und Bodenfrage einzugehn, dazu hab' ich absolut jetzt keine Zeit. Außerdem ist's ein kitzliger Punkt für die Internationale gewesen. Einerseits wegen der für die Parzelle schwärmenden Proudhonisten in Frankreich, Belgien etc. und andrerseits wegen der von Bakunin ausgespielten Abschaffung des Erbrechts, die verdunkelnd wirkte.13521 Der „V[or]w[är]ts" schlägt sich natürlich auf die Seite der Einigkeit, d.h. der Vertuschung. Dagegen ist einstweilen nichts zu machen. Wer aber vertuscht, hilft jetzt nur Vollmar und wird die Folgen tragen müssen. Ich halte es für einzig richtig, wenn ich rein sachlich auftrete, die Personen ganz aus dem Spiel lasse. Sonst heißt's wieder, ich wolle die Partei von außen lenken etc. Apropos. Kannst Du inl. Notiz13531 gelegentlich einrücken, ohne daß man merkt, daß sie von mir kommt? Ich mag nicht im „V[or]w[är]ts"
berichtigen, da würde L[ie]b[knecht] wieder eine Sauce anhängen, und passieren lassen kann ich's doch auch nicht. Gratuliere zum Buben Nr. III - wie Du gehört haben wirst, haben wir hier auch Kindbetterei, Louise hat ein starkes Mädel, es ist alles gut verlaufen, und das Kleine sollte heißen „Amalie du säufst!?" . Dein F.E.
ZI*
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 22. Nov. 1894
Mein lieber Lafargue, Ich habe Ihren Bericht im ,,Soz[ial]d[emokrat]" gefunden.13401 Das traf sich sehr gut, denn es ermöglichte mir, vieles einer etwas nachlässigen Redaktion zur Last zu legen und zu folgern, daß ich, wenn ich mit dem, was der Beschluß von Nantes'3251 sagt, nicht einverstanden war, so doch mit dem einverstanden zu sein glaube, was er zu sagen beabsichtigt. Übrigens habe ich versucht, so freundschaftlich wie möglich zu sein; aber nach dem Mißbrauch, den man in Deutschland mit diesem Beschluß getrieben hat, ist es nicht mehr möglich, ihn mit Stillschweigen zu übergehen. Tatsächlich haben Sie sich ein wenig zu sehr auf die Seite der Opportunisten ziehen lassen. In Nantes waren Sie drauf und dran, die Zukunft der Partei einem Tageserfolg zu opfern. Noch ist es Zeit, Sie aufzuhalten; wenn mein Artikel1 dazu beitragen könnte, würde ich mich sehr freuen. In Deutschland, wo Vollmar sich erlaubt hat, die Vorteile, die Ihr den französischen Kleinbauern versprochen habt, auf die bayrischen Großbauern mit ihren 10-30 Hektar anzuwenden, in Deutschland hat Bebel den Handschuh aufgenommen, und die Frage wird gründlich diskutiert werden, sie wird nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden, bis sie geklärt ist. Sie werden Bebels Rede im 2. Wahlbezirk von Berlin im „Vorwärts" gelesen haben.13511 Er beklagt sich mit Recht darüber, daß die Partei verbürgerlicht. Das ist das Unglück aller extremen Parteien, sobald die Stunde kommt, wo sie „möglich" werden. Aber die unsrige kann in dieser Hinsicht eine gewisse Grenze nicht überschreiten, ohne sich selbst zu verraten, und mir scheint, daß wir in Frankreich wie in Deutschland diesen Punkt erreicht haben. Glücklicherweise ist es noch Zeit, dem Einhalt zu gebieten. Seit einiger Zeit habe ich keine Korrespondenzen mehr von Ihnen im „V[or]w[är]ts" gesehen, und ich glaubte schon, daß es irgendwelche
1 „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland"
Unstimmigkeiten gegeben hätte, aber letzten Mittwoch erhielt ich erfreulicherweise eine Nummer mit dem „Gallus"t354]. Wenn es Schwierigkeiten mit der Redaktion gibt, lassen Sie es mich wissen, vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein. Wenn die russische Regierung Geld ausgibt, also den Umlauf ihrer Geldmittel erhöht, so ist dies ein untrügliches Zeichen, daß eine neue Anleihe in der Luft liegt; die Franzosen sind die einzigen, die darauf anbeißen könnten; hoffen wir, daß sie es nicht tun werden. Aber wenn der Russe Gold braucht, so muß er wohl versuchen, es zu bekommen! Loria wird noch zufriedener sein, wenn er das Vorwort2 liest, er wird darin behandelt, wie er es verdient und ohne die geringste Rücksicht auf „il primo economista delFItalia"3. Der kleine Wilhelm4 benimmt sich bewundernswert. Er setzt sich in den Kopf, die „umstürzlerischen Tendenzen" zu bekämpfen13551 und beginnt mit dem Sturz seiner eigenen Regierung.13561 Die Minister fallen wie die Bleisoldaten. Der arme junge Mann hat mehr als acht Monate hindurch schweigen und sich ruhig verhalten müssen; er hält es nicht mehr aus, er platzt - und da haben wir es! In dem Augenblick, da wir ein Viertel von Belgien erobern13361, da in Osterreich unsere Männer im Begriff sind, durch die Wahlreform ins Parlament zu kommen, da in Rußland alles wegen der Zukunft in Ungewißheit ist - in diesem Augenblick, setzt es sich der junge Mann in den Kopf, Crispi13211 und Casimir-Perier13571 zu übertreffen! Die Wirkung, die das in Deutschland hat, ersehen Sie aus der Tatsache, daß auf dem Frankfurter Parteitag13261 die Delegierten, jedenfalls viele von ihnen, ein neues Unterdrückungsgesetz gefordert haben, als bestes Mittel, die Partei an Boden gewinnen zu lassen! In Österreich ist die Situation interessant. Seit dem Tode seines Sohnes5 fürchtet der Kaiser6 in naher Zukunft den Zusammenbruch seiner Dynastie. Sein vermutlicher Nachfolger7 ist ein Dummkopf, arrogant und unpopulär bis zum letzten! Die Ungarn werden ihn kaum ertragen, sie verlangen zunächst die reine und einfache Personalunion, dann die totale Trennung und völlige Unabhängigkeit. Um dem Nachfolger im voraus die Hände zu binden, will Franz Joseph das Parlament verstärken und es zu einer realeren Repräsentation machen. Deshalb hat er sich mit seinem Freund Taaffe über eine ziemlich breite Wahlreform geeinigt.11801 Aber das Parlament, eine Versammlung von Privilegierten, echte Generalstände8 (gewählt nach
2 siehe Band 25 unserer Ausgabe, S. 25-28 -3„den ersten Ökonomen Italiens"-4 Wilhelm II.5 Rudolf Franz Karl Joseph - 6 Franz Joseph I. - 7 Franz Ferdinand - 8 in der Handschrift von Engels gestrichen: von 1789
Kategorien: Großgrundbesitz, Handel, Städte, Land), weigert sich, und Taaffe geht. Daraufhin ernennt der Kaiser, als wahrer konstitutioneller Monarch, einen Minister der Majorität9, eine Koalition aus Liberalen, Polen usw., alle erzreaktionär. Aber er nimmt ihnen das Versprechen ab, daß sie als Gegendienst eine Wahlreform ihrer Art durchführen, und zwar innerhalb eines Jahres. Das Jahr vergeht unter allerhand unfruchtbaren Versuchen. Daraufhin setzt der Kaiser sie unter Druck, ihr Wort zu halten und darum spricht man in Wien seit 3 Wochen nur noch über die Wahlreform. Aber die Koalition ist nicht in der Lage, irgend etwas zustande zu bringen; der erste positive Vorschlag bewirkt, daß sie sich untereinander bekämpfen. Daher wird sie wahrscheinlich in kurzem von Taaffe ersetzt werden, der von neuem sein Gesetz vorschlagen und, wenn das Parlament es verwirft, dieses auflösen und die Reform aufoktroyieren wird, was ihm die Verfassung erlaubt. Das also ist der „Kompagnon" Franz Joseph; er stößt von der einen und Victor Adler von der anderen Seite! Aber welche Ironie der Geschichte: dieser Kaiser, eigens Dezember 1848 eingesetzt, um die Revolution abzuwürgen, ist berufen, sie 46 Jahre später feierlich von neuem zu inaugurieren! Umarmen Sie Laura für mich. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Louise und dem Kind geht es gut, sie und Freyberger senden Grüße.
Aus dem Französischen.
' Alfred, Fürst von Windiscbgrätz
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Engels an Jossif Nersessowitsch Atabekjanz in Stuttgart13581
41, Regent's Park Road, N.W. London, 23. Nov. 1894
Werter Parteigenosse, Ich danke Ihnen bestens für Ihre Übersetzung meiner „Entwicklung des Sozialismus"13331 und neuerdings des „Kommunistischen Manifests" in Ihre armenische Muttersprache. Leider aber bin ich nicht imstande, Ihren Wunsch zu erfüllen, Ihnen einige Zeilen der Einleitung für diese letztere Übersetzung zu schreiben. Ich kann nicht gut etwas schreiben, das veröffentlicht werden soll in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Tue ich es Ihnen zu Gefallen, dann kann ich es andern nicht abschlagen, und da könnte es mir doch einmal vorkommen, daß meine Worte unabsichtlich'oder selbst absichtlich entstellt in die Welt hinauskämen und ich es vielleicht erst nach Jahren oder gar nicht erführe. Dann aber auch - so dankbar ich Ihnen auch bin für Ihre interessante Darstellung der armenischen Situation, weil ich es nicht für recht und billig halten kann, wollte ich ein Urteil abgeben über Dinge, die ich nicht aus eignem Studium habe kennen lernen. Und dies um so mehr, als es sich hier um ein unterdrücktes Volk handelt, das das Unglück hat, zwischen der Scylla des türkischen und der Charybdis des russischen Despotismus eingekeilt zu sein; wo der russische Zarismus auf die Rolle des Befreiers spekuliert und wo die knechtische russische Presse nie verfehlt, jedes der armenischen Befreiung sympathische Wort zugunsten des erobernden Zarismus auszubeuten. Meine aufrichtige Privatansicht ist aber die, daß die Befreiung Armeniens von Türken und von Russen möglich wird erst an dem Tag, wo der russische Zarismus stürzt. Mit besten Wünschen für Ihr Volk Ihr ergebner F. Engels
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
41, Regent's Park Road, N.W. London, 24. Nov. 94
Werter Herr, Ich bin im Besitz Ihrer freundlichen Briefe vom 7. und 11 .Juni, 15. Okt. und 12. Nov. Von Herrn Struves Arbeiten habe ich nur den Artikel in Brauns „Centralblatt" gesehen, und kann daher nicht über irgendwelche Behauptungen sprechen, die er gemacht haben könnte. Wenn Sie in meinen Briefen einige Tatsachen finden, die für Ihre Antwort nützlich sein könnten, so dürfen Sie sie ruhig verwenden.13591 Aber was meine Ansichten betrifft, so fürchte ich, daß Ihre Opponenten - vielleicht nicht Herr Str[uve], aber die russische Presse im allgemeinen - sie in unstatthafter Weise ausschlachten würden. Meine russischen Freunde bestürmen mich ununterbrochen mit der Bitte, auf russische Zeitschriften und Bücher zu antworten, in denen die Worte unseres Autors1 nicht nur falsch interpretiert, sondern auch falsch zitiert werden; sie behaupten, mein Eingreifen würde genügen, um alles in Ordnung zu bringen. Ich habe das ständig abgelehnt, weil ich mich nicht, ohne dringende und wichtige Arbeiten aufzugeben, in Kontroversen hineinzerren lassen kann, die in einem weit entfernten Land in einer Sprache geführt werden, die ich noch nicht so leicht wie die bekannteren westeuropäischen Sprachen zu lesen vermag, und in Druckschriften, von denen ich im besten Falle nur gelegentliche Bruchstücke zu Gesicht bekomme, und daher die Debatte ganz unmöglich gründlich und in allen ihren Phasen und Einzelheiten verfolgen kann. Überall trifft man ja Leute, die, um eine einmal eingenommene Position zu verteidigen, vor keiner Verzerrung und keinem unfairen Manöver zurückschrecken; und wenn man das mit den Schriften unseres Autors gemacht hat, so befürchte ich, daß man auch mit mir nicht glimpflicher verfahren und mich so schließlich zwingen würde, in die Debatte einzugreifen, um andere und mich selbst zu verteidigen. Würden
1 Karl Marx
jedoch meine Ansichten, wie ich sie in meinen Privatbriefen geäußert habe, mit meiner Genehmigung in der russischen Presse veröffentlicht, so hätte ich vis-ä-vis meinen russischen Freunden hier und auf dem Kontinent, die mich drängen, aktiv in die russischen Debatten einzugreifen, um diesen oder jenen in dem einen oder anderen Punkt zu widerlegen, kein Argument mehr; ich hätte dann keinen ausreichenden Grund abzulehnen, da; sie mir sagen könnnten: Sie haben ja schon einmal in die russischen Debatten eingegriffen; Sie müssen doch zugeben, daß das im gegebenen Fall ebenso wichtig ist, wie im Fall des Herrn D., also behandeln Sie uns bitte ebenso, wie Sie ihn behandelt haben. Aber dann würde meine Zeit nicht mehr mir gehören, und mein Eingreifen in die russischen Debatten wäre trotz alledem völlig unwirksam und ungenügend. Das sind die Gründe, die mich zu meinem größten Bedauern zwingen, Sie zu bitten, nicht darauf zu bestehen, meine Ansichten zu zitieren, wenigstens nicht als meine Ansichten. Ich will versuchen, Ihnen Weiteres von dem, was Sie bereits erhalten haben2, zuzuschicken. Ihr sehr ergebener L.K.lzm
Aus dem Englischen.
3 die Korrekturbogen des dritten Bandes des „Kapitals"
175
Engels an Wilhelm Liebknecht in Berlin13601
41, Regent's Park Road [London] Nov. 24th 1894
Lieber Liebknecht! Ich habe an B[ebel] geschrieben1-1381 und ihm nahegelegt, daß man in politischen Debatten sich alles ruhig überlegen und nichts in der Eile tun soll oder im ersten Eifer, sintemal ich mir selbst dadurch des öfteren die Finger verbrannt. Dahingegen habe ich nun aber auch an Dich eine kleine Ermahnung zu richten. Ob B[ebel] in der Versammlung ungeschickt vorgegangen, darüber läßt sich streiten. Aber in der Sache hat er entschieden recht.13511 Du allerdings bist als Redakteur des Zentralorgans verbunden, ausgleichend zu wirken, selbst wirklich vorhandene Differenzen wegzudisputieren, to make things pleasant all round1, auf die Einigkeit in der Partei hinzuwirken bis zum Tage des Bruches. Da mag Dir als Redakteur Bebels Vorgehen fatal sein. Aber was dem Redakteur unangenehm, sollte dem Parteiführer erwünscht sein: daß es Leute gibt, welche die obligate Redaktionsbrille nicht immer auf der Nase zu tragen genötigt sind und auch den Redakteur daran erinnern, daß er in seiner Eigenschaft als Parteiführer gut tut, von Zeit zu Zeit über die Harmoniebrille weg sich die Welt mit seinen natürlichen Augen zu betrachten. Die Bayern bilden direkt vor dem Frankfurter Parteitag einen förmlichen Sonderbund in Nürnberg.'3611 Sie kommen nach Frankfurt mit einem unverkennbaren Ultimatum. Um dies zu vervollständigen, spricht Vollmar vom getrennt marschieren, Grillo2 vom: Beschließt, was ihr wollt, wir gehorchen nicht. Sie proklamieren bayrische Reservatrechte und behandeln ihre Gegner in der Partei als „Preußen" und „Berliner".13621 Sie verlangen Billigung der Budgetbewilligung und einer Bauernpolitik, die schon übers Kleinbürgerliche hinaus nach rechts geht. Der Parteitag, anstatt wie früher stets geschehen, energisch den Stock vorzustecken, wagt keinen Beschluß
1 die Dinge nach jeder Seite hin annehmbar zu machen - 2 Karl Grillenberger
zu fassen. Wenn da nicht die Zeit da war für Bebel, vom Vordringen des kleinbürgerlichen Elements in der Partei zu sprechen, dann weiß ich nicht, wann sie kommen soll. Und was tut der „Vorwärts"? Klammert sich an die Form des B[ebel]-' sehen Angriffs, sagt, es sei nicht so schlimm, und stellt sich so sehr in „diametralen Gegensatz" zu ihm, daß Du erst durch die - hiernach unvermeidlichen - „Mißverständnisse" der Gegner B[ebel]s genötigt bist zu der Erklärung, Dein diametraler Gegensatz beziehe sich bloß auf die Form des B[ebel]schen Angriffs, in der Sache - die Budgetgeschichte und Bauernfrage - habe er recht und Du stehst auf seiner Seite. Ich sollte meinen, die bloße Tatsache, daß Du zu dieser Erklärung nachträglich gezwungen wurdest, beweist Dir, daß Du weit mehr nach rechtshin gefehlt hast, als B[ebel] nach linkshin gefehlt haben kann.13631 Und in der ganzen Debatte handelt es sich schließlich nur um die in diesen beiden Punkten gipfelnde Aktion der Bayern: Um den Opportunismus der Budgetbewilligung als Kleinbürgerfang, und den Opportunismus der Vollmarschen Landpropaganda zum Fang des Mittel- und Großbauern. Das und die Sonderbundstellung der Bayern sind die einzigen vorliegenden praktischen Fragen, und wenn B[ebel] hier ansetzt, wo der Parteitag die Partei im Stiche gelassen hat, so solltet ihr ihm des Dank wissen. Wenn er die durch den Parteitag geschaffene unerträgliche Lage als Einwirkung wachsender Spießbürgerei in der Partei darstellt, so bringt er nur die Spezialfrage unter ihren richtigen allgemeinen Gesichtspunkt, und das ist ebenfalls anzuerkennen. Und wenn er die Debatte über alles dies forciert, so tut er seine verdammte Schuldigkeit und sorgt dafür, daß der nächste Parteitag in voller Sachkenntnis urteilt in dringenden Fragen, wo er in Frankfurt stand, wie der Ochs am Berge. Die Gefahr der Spaltung liegt nicht bei B[ebel], der die Sache beim richtigen Namen genannt. Sie liegt bei den Bayern, die sich eine Handlungsweise vermessen, wie sie bisher in der Partei unerhört war, und den Jubel der - in Vollmar und den Bayern ihre Leute erkennenden - Vulgärdemokraten der „Frankfurter Zeitung" erweckt hat, und die sich freut und noch verwegener geworden. Du sagst, V[ollmar] sei kein Verräter. Mag sein. Daß er selbst sich für einen hält, glaube ich auch nicht. Aber wie nennst Du einen Menschen, der einer proletarischen Partei zumutet, sie soll den oberbayrischen Großund Mittelbauern, Eignern von 10-30 Hektaren, ihren jetzigen Zustand verewigen, der zur Grundlage hat die Ausbeutung von Gesinde- und Taglöhnern. Eine proletarische Partei, expreß gestiftet zur Verewigung der
Lohnsklaverei! Der Mann mag ein Antisemit sein, ein bürgerlicher Demokrat, ein bayrischer Partikularist, was weiß ich, aber ein Sozialdemokrat?! Übrigens ist die Zunahme des kleinbürgerlichen Elementes in einer Wachsenden Arbeiterpartei unvermeidlich und auch kein Schaden. Ebenso wie die Zunahme der „Akademiker", durchgefallenen Studenten etc. Vor ein paar Jahren waren sie noch eine Gefahr. Jetzt können wir sie verdauen. Aber man muß auch dem Verdauungsprozeß seinen Lauf lassen. Dazu gehört Salzsäure; wenn nicht genug vorhanden ist (wie es Frankfurt konstatiert), soll man B[ebel] danken, wenn er sie zugießt, damit wir die nichtproletarischen Elemente eben gut verdauen. Darin besteht eben die Herstellung der wirklichen Harmonie in der Partei, nicht darin, daß man jede wirkliche innere Streitfrage wegleugnet und totschweigt. Du sagst, es handelt sich um „Herbeiführung wirksamen Handelns". Soll mir sehr angenehm sein, aber wann geht das Handeln denn eigentlich los?
Nach einer maschinengeschriebenen Abschrift.
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Engels an Frau Karpeles in Wien
41, Regent's Park Road, N.W. [London] 30. Nov. 1894
Verehrte Frau Doktor! Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für das allerliebste Geschenk, das Sie mir zu meinem Geburtstag zu übersenden so freundlich waren. Ich schätze es um so höher, nicht nur weil es Ihre eigne Arbeit ist, sondern auch und vornehmlich, weil Sie sich die Muße dazu abgespart haben zu einer Zeit, wo Sie für das kommende Kleine schon über und über genug zu tun hatten. Hatte ich doch gleichzeitig im eignen Hause wieder Gelegenheit zu sehn, welche endlosen Sorgen und Beschäftigungen die Erwartung der Mutterschaft mit sich führt. Um so stolzer darf ich sein auf ein Geschenk, das in solcher Zeit für mich gearbeitet wurde. Ich habe es gleich an meinem Geburtstag zu einer kleinen Siesta angewandt. Es schläft sich darauf mindestens ebenso sanft, wie auf dem „ruhigen Gewissen", dem bekannten „guten Ruhekissen". Ich bin sogar ziemlich sicher, es würde auch schon mit einem ziemlich wackligen Gewissen ohne Schwierigkeit fertig. Ich freue mich, von Ludwig zu hören, daß es Ihnen und Ihrer Kleinen fortwährend gut geht, und hoffentlich bleibt es so. Nochmals herzlichen Dank und beste Grüße Ihnen und Herrn Dr. Karpeles von Ihrem aufrichtig ergebnen F. Engels
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 4. Dez. 1894
Lieber Sorge, Dank für Deine und Deiner Frau Glückwünsche! Das 75ste läßt sich, unter uns, nicht ganz so stramm mehr an wie die früheren. Ich bin zwar noch frisch und flott auf den Beinen, auch arbeitslustig und relativ arbeitsfähig, aber ich finde doch, daß Magenbeschwerden und Erkältungen, die ich früher mit souveräner Verachtung behandeln durfte, jetzt sehr respektvolle Behandlung beanspruchen. Doch das ist nichts, wenn's weiter nichts ist. Ich schickte Dir gestern 3 Abdrücke „Vorrede" zum S.Band1. Eins für den unglücklichen Stiebeling, der mir seine Schreibereien in mehreren Ex. zugesandt hat. Eins für Dr. Phil. Fireman, wenn Du seine Adresse weißt oder erfahren kannst. Das dritte bitte nach Benutzung an Schlüter zu geben, der es vielleicht verwerten kann. In ca. 8 Tagen längstens hoffe ich Dir ein Ex. des Buchs selbst zuschicken zu können, sie sind als unterwegs angezeigt. Ferner heute in 1 bookpost-Rolle. 1. „Sozialdemokrat" 2. „Justice", die ich Dir wieder regelmäßig schicken werde wegen der Anrempelei mit den Deutschen; die sie nicht lassen können.'3641 Was das Blatt über Triumphe der Social Democratic Federation1101 sagt, ist fast alles gelogen, die Social Democratic Federation nimmt relativ gegen andre Organisationen ab, besonders gegen die Independent Labour Party191; wenn's so fortgeht, wird sie bald auch absolut abnehmen. Leider hat die Independent Labour Party kein ordentliches Blatt mehr. 3. „Glühlichter" aus Wien und „Wahren Jakob" aus Stuttgart, damit Du auch den „Witz" kennenlernst, über den die Partei verfügt. 4. Bebels Rede in Berlin und seine 4 Artikel gegen Grillenberger und Vollmar.13651 Dieser letztere Kasus ist das Interessanteste. Die Bayern, die sehr, sehr opportunistisch geworden und fast schon eine ordinäre Volkspartei (d.h. die
1 des „Kapitals"
meisten Führer und viel neuer Parteizulauf) sind, hatten für das Gesamtbudget im bayrischen Landtag gestimmt, und namentlich Vollmar hatte eine Bauernagitation eingerichtet, um die oberbayrischen GroßbauernLeute mit 25-80 Acres Land (10-30 Hektaren), die also ohne Lohnarbeiter gar nicht fertig werden können - einzufangen, nicht aber ihre Knechte. Sie erwarteten nichts Gutes vom Frankfurter Parteitag13261. Organisieren also, 8 Tage vor diesem, einen bayrischen Spezialparteitag1-361', und dort konstituieren sie einen förmlichen Sonderbund, indem sie abmachen, daß die bayrischen Delegierten in Frankfurt geschlossen nach den bayrischen, vorweg festgestellten Beschlüssen stimmen sollen in allen bayrischen Fragen. So kommen sie hin, erklären, sie müßten in Bayern das Gesamtbudget bewilligen, das ginge nun einmal nicht anders; das sei zudem eine rein bayrische Frage, worin ein andrer sich nicht zu mischen habe. Mit andern Worten: beschließt ihr etwas uns Bayern Unangenehmes, verwerft ihr unser Ultimatum, dann, wenn's Spaltung geben sollte, ist's eure Schuld! Mit dieser in der Partei bisher unerhörten Prätension traten sie vor die übrigen, hierauf unvorbereiteten Delegierten. Und da das Einigkeitsgeschrei in den letzten Jahren bis aufs äußerste poussiert worden ist, war es kein Wunder, daß bei den vielen in den letzten Jahren zugelaufnen, noch nicht voll durchgebildeten Elementen diese Haltung, bei der die Partei nicht bestehn kann, ohne die verdiente entschiedne Zurückweisung durchschlüpfte und über die Budgetfrage kein Beschluß zustande kam. Nun denke Dir, die Preußen, die die Majorität im Parteitag haben, wollten auch einen Vorkongreß halten, dort über die Haltung der Bayern oder etwas andres Beschlüsse fassen, die für alle preußische Delegierten bindend wären, so daß diese alle, Majorität wie Minorität, für diese Resolutionen auf dem allgemeinen Parteitag geschlossen stimmten, wozu wären dann allgemeine Parteitage überhaupt nötig? Und was würden die Bayern sagen, wenn die Preußen so genau dasselbe täten, was sie eben getan? Kurz, so konnte die Sache nicht bleiben, und da ist Bebel in den Riß gesprungen. Er hat die Frage eben wieder auf die Tagesordnung gesetzt, und jetzt wird sie debattiert. Bebel ist weitaus der klarste und weitsichtigste Kopf unter ihnen allen; ich korrespondiere seit ca. 15 Jahren regelmäßig mit ihm, und wir stimmen fast immer überein. Liebknecht dagegen ist sehr eingetrocknet in seinen Ideen, der alte süddeutsch-föderalistische, partikularistische Demokrat bricht immer noch durch bei ihm, und was das Schlimmste, er kann es nicht ertragen, daß Bebel, der ihm längst über den Kopf gewachsen, ihn zwar gern neben sich duldet, sich aber nicht mehr von ihm will leiten lassen. Dazu hat er das Zentralorgan „Vorwärts" so schlecht
organisiert - wesentlich aus Eifersucht um seine leadership2, wo er alles dirigieren will und nichts wirklich dirigiert, also alles hindert -, daß das Blatt, das das erste in Berlin sein könnte, nur dazu gut ist, der Partei 50 000 Mark Überschüsse, aber keinen politischen Einfluß abzuwerfen. Liebknecht will natürlich mit Gewalt jetzt vermitteln und schimpft auf Bebel, aber dieser bekommt meiner Ansicht nach recht. In Berlin ist der Vorstand und die besten Leute schon jetzt auf seiner Seite, und ich bin überzeugt, appelliert er ans Parteipublikum, so bekommt er die große Majorität. Einstweilen heißt's abwarten. Ich würde Dir auch die Vollmariaden etc. schicken, aber ich habe nur ein Ex. davon zum eignen Gebrauch. Louise und das Kleine sind wohl. Herzliche Grüße Dir und Deiner Frau und gute Besserung Deinen Augen und sonstigen Schädlichkeiten! Dein alter F.E.
Leitung
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Engels an Filippo Turati in Mailand
41, Regent's Park Road [London] 4. Dez. 94
Mein lieber Turati, Wo zum Teufel nehmen Sie die Geduld her, immer an diesen lieben Herrn E. zu schreiben? Lassen wir doch die bürgerlichen Anreden beiseite. Was Ihre Studenten betrifft, so bedaure ich außerordentlich, daß ich ihnen nicht anders helfen kann als durch meine besten Wünsche.'3661 Meine Zeit ist derart in Anspruch genommen, daß ich nicht einmal zu den dringendsten Arbeiten komme. Am gleichen Tage, an dem ich Ihre Karte erhielt, wandten sich die Berliner Studenten mit der gleichen Bitte an mich; ich bin gezwungen, ihnen ebenso abzusagen wie Ihren Freunden. Diese Kleinigkeiten, jede für sich allein, machen nicht viel aus, aber wenn sie sich von Tag zu Tag mit einer zur Verzweiflung bringenden Regelmäßigkeit wiederholen, so summiert sich das, und es kommt zu einem erheblichen Zeitverlust. Entschuldigen Sie mich also bitte bei Ihren jungen Freunden, denen ich im übrigen vollen Erfolg wünsche. Ich schicke Ihnen für die Bürgerin Anna mein Vorwort zum 3. Band des „Kapitals" - es enthält einige Zeilen, für die man sich vielleicht in Italien interessieren wird.1 Sie habengut daran getan, Bebel in der „C[ritica] S[ociale]" zu zitieren.13511 Bebel hat bittere, aber sehr notwendige Wahrheiten gesagt. Das war opportuner als der Opportunismus seiner Gegner. Freundschaftlichst Ihr F.E. Bitte beachten Sie die Änderung der Adresse.
Aus dem Französischen.
1 Siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.25-28
22 Marx/Engels, Werke, Bd.39
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Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
London, 12./12./94
Lieber Sorge, Heute ist an Dich abgegangen 1 Ex. Marx, „Kapital", III.Band, registriert per Book Post1, was Du hoffentlich erhalten wirst. Womit wir das unverdiente Glück verdient haben, daß Wilhelmchen2 unsre Leute wegen Sitzenbleibens „Majestätsbeleidigung" im Reichstag verfolgen läßt, ist mehr, als ich ausfinden kann.13671 Einen größeren Dienst hätte man uns nicht tun können. Wilhelmchen und „Herr von Koller, Sie machen's immer döller", scheinen das richtige Pärchen zu sein, alles in den Dreck zu reiten und uns - heraus. Bebel hat gesiegt. Vollmar hat erstens die Debatte nach Bebels Artikeln abgebrochen13651, zweitens ist sein Appell an den Vorstand sehr resolut abgewiesen worden und drittens hat er an die Fraktion appelliert, diese aber, von Bebel für inkompetent erklärt, hat diese Inkompetenz anerkannt, und so geht die Sache an den nächsten Parteitag, wo B[ebel] 2/3-3/4 Majorität sicher hat. Es ist die dritte Kampagne Vollmars um eine führende Stelle in der Partei auch außerhalb Bayerns. Das erstemal verlangte er, wir sollten Caprivi aktiv unterstützen, Regierungssozialisten werden.13681 Das zweitemal, wir sollten Staatssozialismus treiben, dem jetzigen Deutschen Reich in sozialistischen Experimenten sekundieren.13691 Beidemal abgeblitzt. Jetzt wieder. Die Sitzenbleibungsszene im Reichstag hat den Franzosen mehr imponiert als die ganze 30jährige Arbeit der Partei. Unter uns gesagt, die Pariser ich will nicht sagen die Franzosen, aber die Pariser - sind sehr heruntergekommen. Diese Phrasendrechslerei und dieser Respekt vor dem Melo- . dramatischen werden mit der Zeit unerträglich. Hoffentlich geht's Dir und Deiner Frau gut. Herzliche Grüße Euch beiden. i-v •
1 Drucksache - 2 Wilhelm II.
Als Dank für die mir gesandten Census Reports etc.12201 habe ich an Schlüter auch ein Ex. des II I.Bandes geschickt, registriert, Book Post. Da ich aber nicht weiß, ob seine Adresse 935 Washington noch gilt, so hab' ich's an ihn, Adr. „Volkszeitung", P.O. Box 1512, N.Y. Gty, geschickt. Wärst Du wohl so gut, ihm dies mitzuteilen?
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Engels an Victor Adler in Wien
41, Regent's Park Road, N. W. London, 14. Dezember 1894
Lieber Victor, Deine Briefe vom 12. und 26. habe ich richtig erhalten. Die Geschichte mit K.K[autsky] ist also erledigt. Für Deine Glückwünsche zu meinem Geburtstag herzlichen Dank und die Versicherung, daß es mir in meinem Fünfundsiebzigsten zum Bewußtsein gebracht und zu Gemüt geführt worden ist, wieso ich mir die von Dir gerügten Unvorsichtigkeiten nicht mehr erlauben darf. Im Gegenteil! Ich treibe Diät nach Noten, behandle meinen Verdauungskanal wie einen mürrischen bürokratischen Vorgesetzten, dem man immer nach der Pfeife tanzen muß, und lasse mich gegen Husten, Bronchialkatarrh und dergleichen einwickeln, einheizen und überhaupt in allen Richtungen mißhandeln, ganz wie es einem krankbrüchigen alten Mann geziemt. Genug davon. Daß ich über Bebels entschiedenes Auftreten nach dem schlaffen Parteitag erfreut war13511, brauch' ich Dir wohl nicht erst zu sagen. Ebenso darüber, daß Vollmar mich indirekt zwang, auch ein Wörtlein in der Sache mitzu. sprechen1. Wir haben tatsächlich auf der ganzen Linie gesiegt. Erst das Abbrechen des Kampfs durch Vollmar nach Bebels vier Artikeln13661, das schon entschiedener Rückzug war; dann Abfuhr durch den Vorstand; dann Zurückweisung der Zumutung an die Fraktion, sie solle statt des Parteitags entscheiden. Also die Niederlagen hintereinander in dieser dritten unglücklichen Kampagne Vollmars. Das sollte doch selbst einem Ex-Zuaven des Papstes genügen.13701 Dem Liebknecht habe ich in der Sache zwei Briefe geschrieben2, an denen er keine Freude erlebt hat.13711 Der Mann wird immer hinderlicher. Er sagt, er habe noch die besten Nerven in der Partei, sie sind aber auch danach, auch seine vorgestrige Rede im Reichstag ist schlecht.13721 Man scheint das auch in der Regierung zu merken und will
1 »Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland" - 2 siehe vorl. Band, S.330-332
Das Kapital
Kritik der politiselien Oekononrie.
Ten
Karl Marx.
Dritter BanJ, erster ThelL Bucfcltl: Des (JesmmijYacess 3er EafftalististTien. TrodvWion. Kastel I Ks XXVIII.
HeranfgegeTjen von S^iedricli Engels.
X» SkM Jet VeleKCfuing wl VwMirttsTt»
Hamburg Verlag von Otto Meissner, 1894.
Titelblatt des dritten Bandes des „Kapitals" mit Widmung von Engels an G.W.Plecbanow

ihm offenbar durch die Majestätsbeleidigung, die er a posteriori begangen haben soll, wieder etwas auf die Beine helfen. Diese Geschichte übrigens beweist, daß Wilhelm3 und v. Koller entweder total verrückt sind oder aber planmäßig auf den Staatsstreich hinarbeiten. Hohenlohe beweist sich durch seine Rede als ein vollständig versimpelter, schwachsinniger, willenloser alter Herr, reiner Strohmann des Herrn v. Koller. Dieser ist ganz der eingebildete, schneidige, bornierte Junker, der imstande ist, sich Wilhelmchen vorzustellen als der Mann, der dem „Umsturz" ein Ende macht und die Intentionen S[einer] Majestät wegen Wiederherstellung der königlichen Machtvollkommenheit bis aufs Tüpfelchen über dem i durchführt. Und Wilhelm ist imstande zu antworten: Sie sind mein Mann! Wenn sich das so verhält - und jeden Tag gibt's neue Andeutungen in dieser Richtung - dann vogue la gal&re!4 dann wird's lustig. Nun aber die Hauptsache. Du wunderst Dich, nichts von Louise zu hören. Aber dann sei doch vor allem so gut und antworte auf die allerdringendsten Briefe, die sie Dir geschrieben hat, nicht nur wegen der Einrichtung ihrer Korrespondenz von hier aus, ob da auch noch andere korrespondieren sollen und wer? - sondern speziell wegen des offerierten Geldes. Schon vor Monaten, im September oder Anfang Oktober schrieb sie Dir: es habe sich ein Konsortium gebildet von Leuten, die außerhalb der Partei stehn, die aber Vertrauen in Dich haben und speziell glauben, daß Du der Mann seist, der täglichen „Arb[eiter]-Ztg."[294J auf die Wege auch des finanziellen Erfolgs zu helfen, vorausgesetzt, daß Du die leitende Stellung erhältst. Sie sind also bereit, für die tägliche „Arbeiter-Zeitung" eine ansehnliche Summe, wie es heißt, bis etwa 5000 fl. Dir zu überweisen, vorausgesetzt, daß 1. Du die leitende Stellung bei dem Blatt einnimmst, 2. die Sache als rein geschäftlicher Einschuß behandelt und regelmäßig Zinsen bezahlt werden, 3. alle Verhandlungen, Zahlungen etc. durch Dich in Wien und Louise hier vermittelt werden. Dies sind, soweit ich mich erinnere, die Bedingungen der Offerte. Nun ist hierauf ebensowenig wie auf alle späteren Briefe Louisens irgendwelche Antwort von Dir eingetroffen. Vorige Woche schrieb sie nochmals und bat um umgehende Nachricht, die spätestens Dienstag, 11. ds., hier sein mußte. Vergebens. Nun sind nur zwei Dinge möglich: Entweder bist Du in Deiner
3 Wilhelm II. - 4 komme, was da wollel
Korrespondenz so von postalischen und anderen Intrigen umgarnt, daß es fast unmöglich ist, Dir einen Brief zuzustellen, oder Deine Abneigung gegen Briefbeantwortung geht so weit, daß Du lieber dies Geld verlierst, das Dir geboten wird, als daß Du an Louise schreibst. Jedenfalls müssen wir wissen, woran wir sind. Die Leute drängen auf Bescheid, denn wenn Du auf das Geld verzichtest, legen sie es woanders an. Wir sind also genötigt, diesen Brief an Frau Anna Pfernerstorfer] zu schikken mit der Bitte, ihn Dir und nur Dir persönlich zu behändigen, und bitten jetzt, aber auch zum allerletztenmal, um gefälligen Bescheid, ob Du wegen des Geldes mit uns, respektive Louise in Verhandlungen treten willst oder nicht. Wenn ja, dann sage ihr, wie die Briefe an Dich zu befördern sind, wir antworten dann „eingeschrieben". Louise und das Kleine sind sehr wohl, das Kleine wächst, gedeiht und schreit, sie stillt es selbst und hat mehr als genug. Sie und Ludwig grüßen, ditto Dein F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
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Engels an Witold Jodko-Narkiewicz in London13731
41, Regent's Park Road, N. W. [London] 14./12-/94
Lieber Jodko, Ich habe in der Tat nicht das geringste gegen Ihre Übersetzung meines Artikels über die Bauernfrage und werde mich freuen, wenn er auch bei Ihnen nützlich wirken könnte. Ihr F. Engels Wie Sie sehn, sind wir umgezogen.
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
[London] 17. Dez. 94
Mein liebes Lohr, Du schreibst, daß ich mich, nachdem ich den 3. Bd.1 fertig habe und bevor ich mit dem 4ten beginne, nach ein wenig Ruhe sehnen müßte. Aber ich werde Dir jetzt sagen, wie meine Lage ist. Ich muß die Bewegung in fünf großen und einer Reihe kleiner Länder Europas und in den USA verfolgen. Zu diesem Zweck erhalte ich an Tageszeitungen 3 deutsche, 2 englische, 1 italienische und ab 1. Januar die Wiener Tageszeitung2, insgesamt 7. An Wochenzeitungen erhalte ich 2 aus Deutschland, 7 aus Österreich, 1 aus Frankreich, 3 aus Amerika (2 in Englisch, 1 in Deutsch), 2 italienische und je eine in Polnisch, Bulgarisch, Spanisch und Tschechisch; davon sind drei in Sprachen, die ich erst allmählich lerne. Daneben gibt es Besuche der verschiedensten Leute (gerade jetzt, vor einigen Minuten, schickte mir Polak aus Amsterdam einen deutschen Bildhauer ohne Geld, der Arbeit sucht) und eine immer größer werdende Menge von Korrespondenten - mehr als zurZeit der Internationale! -; viele von ihnen erwarten lange Erklärungen und alle rauben Zeit. Darum und wegen des 3. Bandes war es mir nicht einmal während des Korrekturlesens möglich, das heißt während des ganzen Jahres 1894, mehr als ein Buch zu lesen. Die nächste Sache ist nun die Veröffentlichung von Lassalles Briefen an Mohr. Tussy hat sie auf der Maschine abgeschrieben, sie liegen in meinem Schreibtisch, aber infolge des Umzugs bin ich nicht in der Lage gewesen, sie auch nur anzurühren. Das bedeutet Anmerkungen, das Nachschlagen längst vergangener Fakten sowie Durchsicht meines eigenen alten Briefwechsels mit Mohr - und ein diplomatisch geschriebenes Vorwort.12001 Dann der Stapel meiner eigenen Rückstände. Erstens die völlige Umarbeitung des „Bauernkrieges", der seit Jahren vergriffen und als meine erste Arbeit nach Bd. III versprochen worden ist.[140] Das erfordert ein
1 des „Kapitals" - 2 „Arbeiter-Zeitung"
beträchtliches Studium; ich hoffte, dies zusammen mit den Korrekturbogen zu machen. Aber unmöglich. Jedenfalls werde ich mich jetzt entschließen müssen, es zu machen. Dann - ganz zu schweigen von anderen kleinen Aufgaben, die auf mir lasten - möchte ich zumindest die Hauptkapitel aus Möhrs politischem Leben schreiben: 1842-1852, und die Internationale. Das letztere ist das wichtigste und dringendste. Das will ich zuerst tun. Das erfordert jedoch, daß man mich nicht unterbricht, aber wann wird das sein? Alle diese Dinge erwartet man von mir und darüber hinaus eine Neuausgabe von Möhrs und meinen frühen kleinen Schriften. Einiges habe ich dafür gesammelt, aber nicht sehr viel - manches ist noch im Parteiarchiv3 in Berlin13741. Ein großer Teil fehlt aber noch, beispielsweise ein Exemplar der ersten „Rheinischen Zeitung". Wenn ich, sagen wir, % der alten Artikel von 1842-1850 zusammenbekäme, würde ich anfangen, da ich sicher bin, daß dann für eine 2. Auflage noch viel mehr gefunden werden würde. Aber bis jetzt sind wir noch nicht soweit. Und dann Bd. IV.1881 Davon gibt es nur ein sehr unfertiges Manuskript, von dem es im Moment noch unmöglich ist zu sagen, wieviel verwendet werden kann. Ich selbst kann mich nicht wieder an die Entzifferung machen und das Ganze diktieren, wie ich es mit Bd. 2 und Bd. 3 getan habe. Meine Augen würden völlig versagen, noch ehe ich die Hälfte durch hätte. Ich habe das schon vor Jahren festgestellt und einen anderen Ausweg versucht. Ich glaubte, es würde nützlich sein, ein oder zwei intelligente Leute der jüngeren Generation an die Entzifferung von Möhrs Handschrift zu gewöhnen. Ich dachte an Kautsky und an Bernstein. K[autsky] war damals noch in London (vor 6 oder 7 Jahren). Ich fragte ihn und er willigte ein; ich sagte ihm, daß ich hundert Pfund zahlen würde für die vollständige „Reinschrift" von dem, was vorhanden ist, und daß ich ihm bei dem helfen würde, was er nicht entziffern könne. Er fing an. Dann fuhr er weg aus London, nahm ein Heft4 mit, und ich hörte jahrelang nichts mehr davon. Er war zu sehr mit der „Neuen Zeit" beschäftigt, darum ließ ich mir Ms. und das, was schon entziffert war, zurückschicken - ungefähr 1/a oder 1/6 des Ganzen5. Auch Bernstein ist nicht nur sehr beschäftigt, er ist sogar überlastet, er hat bis jetzt seine Neurasthenie noch nicht ganz überwunden, und ich wage es kaum, ihn darum zu bitten. Ich werde sehen, ob Tussy es tut. Wenn er einverstanden ist, dann ist alles in Ordnung; wenn nicht, so will
8 in der Handschrift deutsch: Parteiarchiv - 4 in der Handschrift deutsch: Heft - 6 siehe vorl. Band, S. 56
ich nicht riskieren, daß man sagt, ich hätte einen Rückfall seiner Krankheit verursacht, weil ich ihn mit Arbeit überhäuft habe. Das ist meine Lage: 74 Jahre, die ich zu spüren beginne, und Arbeit genug für zwei 40jährige. Ja, wenn ich mich in den F. E. von 40 und den F. E. von 34 teilen könnte, was zusammen genau 74 ergeben würde, dann kämen wir bald klar. Aber so wie es ist, kann ich nur an dem weiterarbeiten, was vor mir liegt, und es soweit und so gut ich kann fertig machen. Jetzt kennst Du meine Lage; und wenn Du ab und zu auf einen Brief von mir warten mußt, wirst Du nun wissen, warum. Bonnier ist gestern abend aus Edinburgh gekommen und heute nach Oxford weitergefahren. Sein erster Zorn über meine „Bauernfrage" hat sich erheblich abgekühlt - vous nous traitez d'imbeciles6, schrieb er mir. Jedenfalls war er sehr freundlich, und ich glaube, er ist überzeugt, daß man in Nantes13251 einen Fehler gemacht hat. Er hat wirklich gedacht, daß es nicht nur möglich, sondern notwendig wäre, die Masse der französischen Bauern in der Zeit bis zu den nächsten allgemeinen Wahlen für den Sozialismus zu gewinnen. Postzeit. Muß schließen. Ich schulde Dir für Deinen Anteil a conto Sonnenschein für das „Kapital" (englisch) - £ 1.3.1 1[3 Anteil der £ 5.-, erhalten von der „Neuen Zeit" für die 2 Kapitel aus Bd. III £ 1.13.4 Und erlaube mir, in dem Gedanken, daß Weihnachten vor der Tür steht, hinzuzufügen £ 5.-.Durch beigefügten Scheck beglichen £ 7.16.5 Puddings konnten in diesem Jahr nicht gemacht werden; Louises kleines Mädchen (das gedeiht und wöchentlich fast ein Pfund an Gewicht zunimmt) hat das verhindert. Aber Paul wird seine Kuchen haben. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
6 Sie halten uns für Dummköpfe
183
Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow in Paris13751
London, 41, Regent's Park Road, N.W. den 18. Dez. 1894
Mein lieber Lawrow, Frau Lafargue schickt mir Ihren Brief. Ich beeile mich, Ihnen zu versichern, daß ich Sie keineswegs vergesse. Aber 1. „Dühring"', 3.Auflage - ich habe nur 6 Exemplare gehabt, die ich außer an Frau Lafargue und Frau Aveling an niemanden geschickt habe; den Rest hat man mir weggenommen, so wie das immer ist - ich habe aber noch ein Ex. gefunden, das ich Ihnen sofort zugehen lasse. 2. „Kapital", 3.Bd. Wenn dieser in Paris und andernorts verkauft wird, so hat der Verleger mir gegenüber mit Exemplaren gegeizt. Es gab in Rom welche, bevor ich ein einziges erhalten hatte! Indessen erwarte ich in einigen Tagen eine neue Sendung und werde Ihnen dann das Exemplar schicken können, das seit langem für Sie bestimmt war. Ich hoffe, daß es Ihnen gesundheitlich gut geht - was mich betrifft, so habe ich mich nicht zu beklagen, ich merke aber doch, daß 74 nicht 47 sind. Aber die Ereignisse müssen uns helfen, unsere Lebenskraft zu erhalten; ganz Europa gärt, überall reifen Krisen heran, besonders in Rußland. Dort kann es nicht mehr lange so weitergehen. Um so besser. Freundschaftlichst Jhr F. Engels
Beachten Sie bitte die Änderung der Adresse]
Aus dem Französischen.
184
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, 18./12./94 41, Regent's Park Road
Mein lieber Lafargue, Ich sende Ihnen Lawrows Brief an Laura wieder zurück. Ich habe ihm sofort geantwortet, daß er die beiden Bücher bekommen wird, sobald ich selbst die Ex. erhalten werde.1 Meißner hat mich immer erst beliefert, nachdem er alle anderen versorgt hatte, und macht es auch jetzt noch so. Ich schicke Ihnen auch das Ex.2 für Deville. Wie ich schon sagte: Das Programm selbst (von Nantes)13255 hat nur einen Artikel, der nichts taugt: die Herabsetzung des gesetzlichen Zinsfußes, d. h. die Erneuerung der alten Wuchergesetze, deren absolute Nutzlosigkeit seit 2000 Jahren bewiesen ist.3 Ihr könnt den Zinsfuß, der von dem mit Hypotheken belasteten Bauern gezahlt wird, nur wirksam herabsetzen, indem Ihr alle Hypotheken auf Grundstücke in Staatsschulden umwandelt; dann seid Ihr frei, den Zinsfuß herabzusetzen - unter dem Vorbehalt, gegebenenfalls selber das Geld zu verlieren. Und auch der Artikel über die Jagd, so wie er redigiert ist, widerspricht er sich selbst. Der junge Wilhelm4 ist nicht nur ein Narr, sondern treibt diesmal die Dinge zu einer Krise. Der neue Kanzler6 ist einfach ein Strohmann, die Seele des neuen Regimes ist Koller (der macht es immer döller6, sagte der „Kladderadatsch" vor Jahren von ihm). Man provoziert einen Konflikt mit dem Reichstag. Nach Abschluß der Session verfolgt man Liebk[necht] wegen Majestätsbeleidigung.t387) Man drängt zur Auflösung, die in Berlin einen widerspenstigen Reichstag hervorrufen wird und dann einen kleinen Staatsstreich. Wenn sich alles so abspielt, wie diese Herren es sich vorstellen, werden wir in Deutschland hübsche Dinge erleben können. »
1 Siehe vorl. Band, S.349 - 2 des dritten Bandes des „Kapitals" - 8 siehe vorl. Band, S.324 4 Wilhelm II. - 5 Fürst von Hohenlohe - 6 in der Handschrift deutsch: der macht es immer döller
Auch in Italien liegt die Monarchie in den letzten Zügen. Der Thronfolger7 sitzt in der Banca Romana mit 300 000 francs fest und der König8 durch verschiedene Mittelsmänner vertreten - mit noch weit größeren Summen. All das ist bekannt. Crispi ist zu Tode erschrocken von dem Theatercoup Giolittis13761 - das ganze Parlament ist kompromittiert, ebenso alle hohen Staatsbeamten; und in dem naiven Italien ist man noch katholisch, d.h. in einem solchen Grade heidnisch, daß sich alles das in voller Öffentlichkeit abspielt und es keine Möglichkeit gibt, die Korruption zu verbergen, daß man sich im Gegenteil ihrer rühmt - bis zur Krisis. Und dann Rußland - die Unbekannte, wo nur eins gewiß ist: daß das gegenwärtige Regime einen Zarenwechsel nicht überstehen würde und es auch dort zur Krisis kommen wird. Was Sie über den Effekt der kleinen Szene im Reichstag sagen, gilt auch genauso für England. So viele Jahre Arbeit, so viele Wahlerfolge und wirkliche Erfolge zählen nicht; eine kleine melodramatische Szene - das schlägt ein, das verblüfft. Wie klein doch die Menschen sind! Wegen Ihrer Korrespondenzen werde ich an Adler schreiben. Aber bei den wenigen Arbeitskräften, die sie dort haben, scheint es mir sehr wenig wahrscheinlich, daß ihnen eine laufende Korrespondenz zusagen wird, es sei denn, daß sie deutsch geschrieben und druckfertig wäre. Auch müßte man sich korrekterweise zuerst an Frankel wenden. Aber wir werden sehen. Freundschaftlichst Ihr F. E. Laura wird meinen gestrigen Brief erhalten haben.
Aus dem Französischen.
Viktor Emanuel (Vittorio Emanuele) - 8 Humbert I. (Umberto I.)
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Engels an George William Lamplugh in London13771
Wir sind nach 41, Regent's Park Road umgezogen. Sie werden Dr. Freybergers Namen an der Tür finden - und wir werden uns freuen, Sie hier zu sehen, wann immer Sie Zeit haben vorbeizukommen; inzwischen Ihnen und Ihrer Familie fröhliche Weihnachten. Ihr aufrichtiger F.Engels 41, R[egent's] P[ark] R[oad], N. W.
[London] 21./12./94 der kürzeste Tag, im wahrsten Sinne des Wortes!
Aus dem Englischen.
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Engels an Victor Adler in Wien
41, Regent's Park Road, N.W. London, 22. Dez. 94
Lieber Victor, Also endlich sind wir mit der Geldofferte1 so weit, daß geschäftlich verhandelt werden kann. Louise wird Dir Näheres darüber mitteilen. Was hiesige Korrespondenten angeht, so bitte gib M.Beer eine so deutlich von allen anderen Korrespondenten zu unterscheidende Chiffre, daß keine Verwechslung möglich. Der Mann ist sehr grüner Junge in England mit galizisch-talmudistischer Brille. - E.B[ernstein] wird schwerlich viel liefern können, er hat schon für „Vorwärts"-Korrespondenzen oft wenig Zeit, arbeitet lieber für die „N[eue] Z[eit]". Lafargue fragt an, ob Ihr seine Mitarbeiterschaft brauchen könnt? Ich habe ihm gesagt, Ihr würdet in erster Linie an Frankel denken müssen, doch wisse ich nichts Näheres und würde schreiben.2 Er - Laf[argue] schreibt lebhaft und interessant,.aber, wie seine Galluskorrespondenzen im „Vorwärts"[299), nur französisch, auch seine Frau schreibt nicht deutsch und spricht es auch ziemlich selten und nicht so fließend wie Tussy. Ob Euch das passen kann, dort selbst zu übersetzen, weiß ich nicht. Natürlich würde L[afargue] auf Honorar reflektieren, da ihm seine Deputiertendiäten ausgegangen sind; auch darüber konnte ich ihm nichts sagen. Die Sachen auf dem Kontinent verwickeln sich. Während bei Euch Wahlreform sicher - und Steine, die heut einmal ins Rollen kommen, bleiben nicht so bald wieder liegen - in Rußland der Anfang des Endes der zarischen Allgewalt, denn diesen letzten Thronwechsel übersteht die Selbstherrschern schwerlich; in Italien treibt's direkt der Revolution zu, die der Monarchie den Kopf kosten kann,-und im Deutschen Reiche will Wilhelmchen3 mit Gewalt über den Halys gehn und ein großes Reich zerstören. Einen besseren Moment für Tagblattgründung kannst Du Dir nicht wünschen; Stoff genug, und zwar solchen, bei dem die anderen Parteien schief sehn und schief
1 Siehe vorl. Band, S.343/344 - 2 siehe vorl. Band, S.351 -» Wilhelm II.
23 Man/Engel», Werke, Bd. 39
urteilen müssen, während unsere Partei die einzige ist, die ihn von vornherein richtig beurteilen wird. v Und nun, vergnügte Weihnachten Dir, Deiner Frau (die ich herzlich zu grüßen bitte) und Deinen Kindern! Dein F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1. Wien 1922.
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Engels an Victor Adler in Wien13781 (Entwurf)
[London, 27. Dezember 1894]
Lieber V[ictor], Ich bitte Dich, den österreichischen Arbeitern meinen Glückwunsch zu übermitteln zu ihrem Tagblatt. Das erste Tagblatt bezeichnet überall einen gewaltigen Fortschritt im Leben einer Partei, und besonders einer Arbeiterpartei. Es ist die erste Position, von der aus sie, wenigstens auf dem Bereich der Presse, ihre Gegner mit gleichen Waffen bekämpfen kann. Diese Position habt Ihr Euch erobert; jetzt geht's um die zweite: das Wahlrecht, das Parlament. Und dies ist Euch ebenfalls sicher, wenn Ihr die Euch immer günstiger werdende politische Lage mit demselben Geschick ausnutzt wie in den letzten fünfzehn Monaten, wenn Ihr rechtzeitig entschlossen zu handeln, aber auch, wie das so oft nötig, auch rechtzeitig zu warten, die Umstände für Euch handeln zu lassen versteht. Glück und Erfolg der täglichen „Arbeiter-Zeitung"! Dein
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
41, Regent's Park Road, N.W. London, 29. Dez. 94
Mein liebes Lohr, Dank für Deine Mitteilungen vom 23. über die Allemanisten1711 und ihre Differenzen - das bringt mich wieder auf das laufende, was die personalia der Pariser Bewegung angeht. Ich hoffe, daß das ganze Gespann der Allemanisten bald erledigt sein wird und die Anständigen unter ihnen sich unseren Freunden anschließen werden, die, wenn sie geduldig abwarten, die beste Aussicht zu haben scheinen, allmählich alle übrigen zu absorbieren.1 Mögen die neuen Tageszeitungen13791 gedeihen und bald eine Pariser Tageszeitung hervorbringen! Was das Vorwort zu dem französischen „Manifest" angeht, so wäre mein Vorschlag, daß Du gewissermaßen aus den vier deutschen Vorworten ein Vorwort zusammenstellst, worin über das Schicksal des Werks soviel ausgesagt wird, wie für Eure Leser von Interesse sein könnte, und mir dann das Ms. für die von mir vorzuschlagenden Zusätze schickst (ich habe gerade eine armenische Übersetzung erhalten2), dem ich vielleicht einige Worte in meinem eigenen Namen hinzufügen kann; was meinst Du, könnte die Schwierigkeit nicht so gelöst werden?13801 Letzten Sonntag sandte mir Tussy, die in Manchester ist, Deinen Brief an sie über Bd. IV[881. Ich bin durchaus bereit und werde mich freuen, ihr zu helfen, wenn sie es auf sich nehmen will, das Originalmanuskript abzuschreiben. Was Du über Möhrs Papiere schreibst und was im Falle meines Todes mit ihnen geschehen soll, so liegen die Dinge ganz einfach. Alle diese Sachen Verwahre ich für Euch, das weißt Du; und infolgedessen werden sie bei meinem Tode an Euch zurückgehen. In dem Testament, das ich gemacht habe (als Sam Moore das vorletzte Mal hier war), gibt es keine besondere Verfügung, aber in den Instruktionen für meine Testamentsvollstrecker, die
1 Siehe auch vorl. Band, S. 271 -273 - a siehe vorl. Band, S.327
dabeiliegen, gibt es eine ausdrückliche Anweisung an sie, alle Ms. in Möhrs Handschrift sowie alle an ihn gerichteten Briefe Tussy als dem Verwalter des Testaments auszuhändigen, mit einer Ausnahme: meine eigene Korrespondenz mit ihm.8 Und da Tussy hierüber einige Zweifel zu haben scheint, werde ich, sobald Sam M[oore] im Sommer zurückkommt, ihn bitten, ein neues Testament aufzusetzen, in dem dies deutlich und unmißverständlich erklärt wird.4 Wenn Du irgendeinen anderen Wunsch hast, laß es mich bitte wissen. Adler schreibt über Pauls Korrespondenz für die tägliche „ArbeiterZeitung"8: „Was Lafargue anlangt, so habe ich nichts gegen französische Korrespondenzen, ich werde viel übersetzen müssen. Natürlich wird Frankel regelmäßig schreiben - Lafargue ist ein Korrespondent, wie ich es für den „Vorwärts" bin, selten, aber dann lang. Nun wäre mir ja mit seinen geistsprühenden Artikeln sehr gedient, wenn ich nicht fürchtete, daß er mir dieselben schickt, wie an „V[or]w[är]ts" und „Echo"6. - Kannst Du arrangieren, daß er mir etwa zweimal im Monat oder bei besondern Anlässen schreibt, so wäre es mir ein großer Gefallen, wir können nur nicht viel zahlen, 20 fr. für den Artikel müßte ihm genügen."7 Das wär's. Paul könnte in der freien Woche, wenn er nicht für Berlin schreibt, für Wien schreiben, und zwar über ein anderes allgemeines Thema. Wir haben in den englischen Zeitungen nichts über G[£rault]-Richards Wahl finden können. Ist er en ballotage?8 Deine Zahlen, 1802 Stimmen, sehen nicht sehr ermutigend aus.13811 In Deutschland werden wir ein arbeitsreiches Jahr haben. Weihnachten haben wir auf das Wohl des Umsturz-Kaisers9 getrunken13861, vielleicht wird er jetzt zufrieden sein. Dir und Paul von uns allen hier ein recht glückliches und angenehmes neues Jahr! Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
8 siehe vorl. Band, S. 507 - 509 - 4 siehe vorl. Band, S. 510/511 - 5 siehe auch vorl. Band, S.353 - 8 „Hamburger Echo" - 7 dieses Zitat in der Handschrift deutsch -8 in der Stichwahl? -9 in der Handschrift deutsch: Umsturz-Kaisers
1895
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Engels an Emma Adler in Wien
41, Regent's Park Road, N.W. London, 1. Jänner 95
Verehrte Frau Adler, Vielen Dank für Ihre liebenswürdigen Glückwünsche und Ihres Mannes und Ihrer Kinder! Ich erwidere sie von Herzen und hoffe, daß das neue Jahr ein recht erfreuliches in jeder Beziehung für Sie sein möge. Ihnen und Victor eröffnet sich heute ein neues aussichtsvolles Tätigkeitsfeld, wir werden dort ja auch wohl Ihre Hand nicht selten entdecken können. Diesem neuen Unternehmen, der täglichen „Arbeiter-Zeitung"t2941, wünschen wir alle hier den besten praktischen Erfolg. Bitte sagen Sie Victor, dessen letzten Brief ich dieser Tage beantworten werde1, daß ich heute per Post „eingeschrieben" an ihn ein Ex. des 3. Bandes von Marx' „Kapital" abgesandt habe13821, das bei Ankunft dieses wohl schon angekommen sein sollte. Es ist wie dieser Brief adressiert Windmühlgasse 30 A. Nochmals herzliche Glückwünsche und Grüße an Sie alle von Ihrem F. Engels
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft I, Wien 1922.
190
Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover
41, Regent's Park Road, N.W. London, I.Jan. 95
Lieber Kugelmann, Herzlichen Dank Dir, Deiner Frau und Tochter für Eure freundlichen Wünsche, die ich aufrichtigst erwidere. Nun aber gleich ans Geschäft, denn ich bin mit Korrespondenz etc. überhäuft.13831 Wie ich Dich verstand, bezog sich die Sammlung in Amerika hauptsächlich auf die Marxschen Artikel in der „Tribüne". Von diesen habe ich zwei Sammlungen hier, von denen jedenfalls eine inkomplett, wahrscheinlich beide, da die „Trib[une]" Artikel von M[arx] auch als Leitartikel ohne Namenszeichnung brachte. Eine dritte Sammlung könnte mir also nur zur Komplettierung dienen, das war der Grund, warum ich damals riet, sie einstweilen im Archiv unterzubringen, von wo ich sie im Notfall immer bekommen kann. Jetzt aber sprichst Du von älteren Sachen, also von Arbeiten aus der Zeit bis 1851, und das ist allerdings ganz etwas andres, das hatte ich in Berlin13841 nicht so verstanden. Diese Sachen sind in der Tat vom höchsten Wert, und es ist nur ihr Mangel, der mich verhindert hat, eine Gesamtausgabe dieser kleineren Arbeiten zu veranstalten, sowohl der von M[arx] wie von mir 1842-52 erschienenen Artikel. Diese Sachen herauszugeben, sobald ich irgend dazu in den Stand gesetzt werde, ist seit langem mein Wunsch, und wenn Du mir also von diesen möglichst viel zur Verfügung stellen kannst, so trägst auch Du das Deinige dazu bei. Ich werde mich dann auch wiederholt nach einem Ex. der „Rheinischen Zeitung" von 1842 umsehn, vornehmlich wegen M[arx]'s Artikeln. Bitte sag mir noch einmal, von wem die Sammlung herrührt13851, und verschaffe mir wo möglich, wenn nicht gleich die Sachen selbst, eine Liste der Bücher, Zeitschriften etc., die sie außer den „Trib[une]"-Artikeln enthält. Frau Kautsky ist seit Anfang v.J. nicht mehr Frau K[autsky], sondern Frau Dr. Freyberger. Ihr Mann ist ein äußerst tüchtiger junger Wiener
Arzt, der, ehemaliger Assistent von Nothnagel, sich mit der dortigen Fakultät überworfen hat, weil er Arbeitern am Kadaver Vorträge hielt und ihnen die sozialen Ursachen ihrer Krankheiten auseinandersetzte. Er geht jetzt hier auf die höhere medizinische Praxis los und wird, wie ich nicht zweifle, sehr bald Erfolg haben, da er viel mehr weiß als die meisten Engländer. Um meine Häuslichkeit nicht mehr als nötig zu revolutionieren, haben wir ein größeres Haus in derselben Straße genommen, wo wir alle drei oder vielmehr alle vier (denn seit 7 Wochen ist auch ein kleines Mädel da) zusammen wohnen. Also nochmals herzliches Prosit Neujahr von Louise und mir Euch allen und beste Grüße. Dein F. Engels
Wegen des Druckfehlers, der selbst wieder einer ist, werde ich nachsehn.
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Engels an Hermann Schlüter in Hoboken
41, Regent's Park Road, N.W. London, I.Jan. 95
Lieber Schlüter. Dein Brief vom 11. Aug. ist noch unbeantwortet, und ebenso bin ich Dir noch meinen Dank schuldig für das Census-Compendium[220J, das ich richtig erhalten habe. Ich bin aber mit allerlei Arbeit über und über beschäftigt gewesen, und die dringende Partei- und Geschäftskorrespondenz hat mir fast alle Privatkorrespondenz unmöglich gemacht, worunter auch Sorge hat leiden müssen. Von ihm wirst Du gehört haben, daß Louise Kautsky jetzt Frau Dr. Freyberger und Mutter eines kräftigen und gesunden Mädchens ist, und daß wir allesamt nach 41, Regent's Park Road verzogen sind. Ich habe Dir, wie Sorge Dir gesagt haben wird, ein Ex. des III.Bandes „Kapital" Adr. „Volkszeitung" geschickt, weil ich nicht weiß, ob Deine Hobokener Adresse noch gültig ist. Jedenfalls schien die „V[olkszeitung]" mir sicherer. Ich konnte aber Deinen Auftrag an Ede nicht ausführen13881, da dieser längst für die „N[eue] Z[eit]" bereits für denselben Zweck engagiert war13321, was ich Dir eigentlich hätte schreiben sollen, bitte entschuldige es. Hier geht's ähnlich wie bei Euch. Der sozialistische Instinkt wird immer stärker bei den Massen, aber sowie's darauf ankömmt, die instinktiven Antriebe in klare Forderungen und Gedanken überzuführen, da fallen die Leute gleich auseinander, da gehn die einen zur Social Democratic Federation1101, die andern zur Independent Labour Party19', die dritten bleiben bei der Trades Unions Organisation stehn, usw. usw. Kurz, lauter Sekten und keine Partei. Die Führer sind fast alle ziemlich unsichre Kantonisten, die Kandidaten für die oberste Führung sind sehr zahlreich, aber keineswegs hervorragend für den Posten befähigt, und dabei stehn die beiden großen bürgerlichen Parteien und passen auf, den Geldbeutel in der Hand, wen sie kaufen können. Dabei ist die hiesige sogenannte „Demokratie" sehr beschränkt durch indirekte Schranken. Eine Zeitschrift kostet horrendes Geld, ditto eine Kandidatur zum Parlament, ditto das Leben als Parlamentsmitglied - schon wegen der enormen Korrespondenz, die daraus
folgt. Die Revision der miserabel geführten Wählerlisten kostet ebenfalls viel Geld, und keine andern als die beiden offiziellen Parteien können bis jetzt die Kosten aufbringen. Wer sich also nicht einer dieser Parteien verschreibt, kommt schwerlich auf die Liste. In allen diesen Sachen sind die Leute hier weit hinter dem Kontinent zurück und fangen auch an, dies zu merken; so auch, daß keine Stichwahl ist, und die relative Majorität, oder, wie Ihr Amerikaner sagt, plurality, hinreicht; wobei alles auf nur zwei Parteien eingerichtet ist, eine dritte höchstens den Ausschlag geben kann, bis sie den andern gleich stark ist. Ebensowenig bringen die hiesigen Trades Unions fertig, etwas wie den Berliner Bierboykott13871 durchzuführen - ein Schiedsgericht, wie das dort eroberte, wäre etwas hier jetzt noch Unerreichbares. Dahingegen - wie bei Euch - wissen hier die Arbeiter erst, was sie wollen, so gehört ihnen auch Staat, Land, Industrie und alles. Dies für Dich, nicht für die „V[olkszeitung]". Louise grüßt bestens, und wir beide wünschen Dir herzlich Prosit Neujahr! Dein F. Engels
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
London, 3. Jan. 95
Lieber Baron, Zuerst ein herzliches Prosit Neujahr von Haus zu Haus und dann meinen Dank für die erheiternde Mitteilung des von L[ie]bk[necht] entdeckten mare's nest's1. Wie ich die ersten Zeilen darüber bei Dir las, sah ich gleich, daß es sich nur um diese alte Schweizerei handeln konnte, und genoß den Humor der Situation doppelt.13881 Im übrigen ist es hinreichend, daß Du die Varianten des Originals vom gedruckten Text in Deinem Exemplar notierst, resp. mir gelegentlich einmal zur Eintragung in das meinige mitteilst. Mit L[ie]bk[necht] mich in eine Korrespondenz wegen des Besitzrechts des Originalms. einlassen mag ich nicht, sie würde schwerlich zu etwas führen. Der Firemansche Artikel ist in der Tat durch mißverständliches Eingehn auf andre Seiten der Marxschen Theorie und allerhand metaphysische, d.h. antidialektische Seitensprünge stellenweise so verzwickt, daß der glückliche Griff fast verdeckt wird, durch den er dem Kernpunkt der Frage näher kommt als irgendein andrer. Daher die absolute Wirkungslosigkeit des Artikels. Nur wer die Spezialfrage, um die es sich handelte, ganz ausschließlich im Auge hält, wird darauf kommen, daß hier etwas liegt, dessen Verfolgung zur Lösung der ganzen Frage führt. Ihr bekommt, wie es scheint, ein recht lebhaftes Jahr in Deutschland. Wenn der Herr von Koller so fortfährt, ist nichts unmöglich: Konflikt, Auflösung, Oktroyierung, Staatsstreich. Natürlich wird man auch mit weniger vorliebnehmen. Die Junker wären mit verstärkten Liebesgaben schon zufrieden, aber um diese zu erhalten, wird man an gewisse Gelüste persönlicher Herrschbegier appellieren, diesen bis zu einem Grad nachgeben müssen, wo dann auch die Faktoren des Widerstands mit ins Spiel kommen, und da tritt der Zufall - d.h. das Nichtgewollte, Nichtberechenbare ins Spiel. Um die Liebesgaben zu sichern, muß man mit dem Konflikt
1 Hirngespinsts
drohen - ist man einen Schritt weitergegangen, dann wird der ursprüngliche Zweck, die Liebesgabe, Nebensache, dann steht Krone gegen Reichstag, Biegen oder Brechen, dann kann's lustig werden. Ich lese grade Gardiner's „Personal Government of Charles I.", die Dinge stimmen oft bis zur Lächerlichkeit mit dem heutigen Deutschland. So die Argumente wegen der Immunität der im Parlament begangnen Handlungen. Wäre Deutschland ein romanisches Land, so wäre der revolutionäre Konflikt unvermeidlich, so aber - nix Gewisses weiß man nit, wie Jollymeier2 sagte. Die Bauerngeschichte ist inzwischen still verschollen, aber Augusts Angriff war trotzdem ein großes Verdienst und hat viel in Frankfurt Versäumtes wieder gutgemacht.13611 Die Herren bayrischen Reservatrechtssozialisten werden sich wohl so bald nicht wieder die Finger verbrennen. Hier geht der alte Schlendrian unter den verschiedenen Fraktiönchen einstweilen noch seinen Gang. Nicht mehr so hitzig im gegenseitigen Krakeel, aber desto eifriger im Klüngel hinter den Kulissen. Dafür aber wird der Drang der instinktiv dem Sozialismus zugetriebnen Massen nach bewußter und einheitlicher Betätigung immer stärker. Die Massen, obwohl unklarer als einzelne Führer, sind doch viel besser als alle Führer zusammen, nur ist der Prozeß des Bewußtwerdens ein langsamerer als sonstwo, weil ebenso ziemlich alle alten Führer ein Interesse haben, dies empordämmernde Bewußtsein in diese oder jene spezielle Richtung hinüberzuleiten, vulgo zu fälschen. Nun, man muß eben Geduld haben. Also nochmals Prosit Neujahr und viele Grüße. Dein F. Engels
s Carl Schorlemmer
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Engels an Ludwig Schorlemmer in Darmstadt
London, 3. Jan. 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Schorlemmer, Ich bin Ihnen noch meinen besten Dank schuldig für Ihre freundlichen Wünsche zu meinem Geburtstag und Ihre Neujahrskarte, ich erwidere alles mit einem kräftigen Prosit Neujahr! Hier ist auch in der Zwischenzeit allerlei Veränderung vorgegangen. Anfang v.J. verheiratete sich Frau Kautsky mit einem hiesigen jungen Wiener Arzt, Dr. Freyberger, und wir beschlossen, da wir alle zusammen wohnen bleiben wollten, ein größeres Haus zu nehmen, was sich auch in der Nachbarschaft fand. Kaum eingezogen und in Ordnung, bekam Frau Freyberger auch ein junges Mädel, Mutter und Kind sind wohlauf und gesund. Pumps ist mit Familie seit Sommer auch wieder in London, das Geschäft ihres Mannes auf der Insel Wight ging nicht besonders, und so will er wieder hier sein Glück versuchen. Carls Buch „Rise and Progress"12301 ist mir auch dieser Tage zugekommen. Von dem großen mit Roscoe herausgegebnen Handbuch'2281 ist der I.Band (in neuer Bearbeitung von zwei jungen Chemikern) erschienen, nach den für solche Arbeiten üblichen Honorarbedingungen wird schwerlich für Carls Erben dabei viel, wenn überhaupt etwas, abfallen. Wenn auch der Parteitag in Frankfurt13261 gegen die früheren etwas matt ausfiel, wesentlich, weil Vollmar und die Bayern die übrigen Abgeordneten mit ihrem bayrischen Ultimatum1 förmlich überrumpelten und diese letzteren aus Furcht vor einer möglichen Spaltung in den wichtigsten Fragen keinen Entscheid trafen, so hilft uns doch die Dummheit der Gegner über all diese Kleinigkeiten hinweg. Nicht genug mit der Umsturzvorlage13561, müssen diese Genies auch noch die Verfolgung gegen Liebknecht einleiten wegen einer im Reichstag vorgefallnen Geschichte13671, also uns direkt zu den Vertretern der verfassungsmäßigen Rechte des Reichstags machen!
Und grade dieser neue Konflikt bietet uns Gelegenheit, den Berliner Bierboykott mit einem Sieg abzuschließen13871, der hier im Ausland und grade hier in England sehr große Wirkung gehabt hat. Denn mit all ihrer 70jährigen öffentlichen Fachvereinsorganisation und großen Koalitionsfreiheit haben die hiesigen Arbeiter es noch lange nicht zu einem solchen Schiedsgericht gebracht wie das in Berlin erkämpfte. Ein Blatt sagt: „Der Kaiser W[ilhelm] soll sich's nur ja überlegen; die Leute, die mit dem Bierfaß fertig geworden sind, die werden auch mit dem Zepter fertig." - Und das haben wir erreicht: es gibt nur noch zwei Leute in Deutschland, auf deren Reden alles lauscht: der Kaiser Wilhelm und der August Bebel. Seine letzte Rede war brillant, man muß sie aber im Stenogramm lesen.1-3891 Mit meiner Gesundheit geht's wieder gut, ich merke allerdings, daß 74 nicht 47 ist, und daß ich mir nicht mehr alle die Freiheiten mit Essen, Trinken etc. nehmen kann, auch nicht mehr so wetterfest bin wie früher, aber für mein Alter bin ich doch noch recht stramm und hoffe noch dies und jenes zu erleben, besonders wenn die Herren in Berlin, wie es fast den Anschein hat, ein bißchen Verfassungskonflikt spielen wollen. Die preußischen Junker sind imstande, es dahin zu bringen, daß die Sozialdemokraten die Schützer der Reichsverfassung gegen das verfassungsbrüchige staatsstreichlüsterne Junkertum spielen müssen. Uns kann's recht sein. Nur druffl Viele Grüße von Ihrem F. Engels
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Engels an Paul Stumpf in Mainz
41, Regent's Park Road, N.W. London, 3. Jan. 95
Lieber Alter, Deine Gratulation zu meinem vollendeten 74sten (Du bist so liebenswürdig, mich ein Jahr jünger zu machen) erwidre ich, wie Du siehst, mit einem kräftigen Prosit Neujahr. Hoffentlich trifft uns das nächste noch beide gesund und munter, ich habe nämlich so ein Gelüst, noch so eben ins neue Jahrhundert hineinzugucken, so gegen den 1 .Januar 1901 bin ich dann aber auch total verschlissen, und dann kann's losgehn. Der Parteikrakeel hat mich nicht sehr gerührt, es ist viel besser, so etwas kommt von Zeit zu Zeit und wird richtig ausgetratscht, als daß die Leute einschlafen. Eben die stetig wachsende, unaufhaltsame Ausdehnung der Partei bringt es mit sich, daß die neuen Elemente schwerer zu verdauen sind als die früher zugeströmten. Die Arbeiter der Großstädte, also die intelligentesten und gewecktesten, haben wir ja schon, was jetzt kommt, sind entweder Arbeiter der Kleinstädte oder Landdistrikte, oder Studenten, Kommis usw., oder mit dem Untergang ringende Kleinbürger und ländliche Hausindustrielle, die noch ein Stückchen Land zu eigen oder in Pacht haben, und jetzt obendrein auch noch richtige Kleinbauern. Und da in der Tat unsre Partei die einzige wirklich fortschrittliche Partei ist, die einzige dazu, die stark genug ist, auch Fortschritte zu erzwingen, so liegt die Versuchung nah, auch den rebellisch werdenden verschuldeten Mittel- und Großbauer ein bißchen mit Sozialismus zu bearbeiten, namentlich in solchen Gegenden, wo diese Leute auf dem Land vorherrschen. Dabei wird dann auch wohl über die Grenze des unsrer Partei prinzipiell Erlaubten hinausgegangen, das gibt dann einigen Krakeel, aber unsre Partei hat eine so gesunde Konstitution, daß das alles nichts schadet. Im Ernst ist keiner so dumm, sich von der großen Masse der Partei trennen zu wollen, und keiner so eingebildet zu glauben, er könne neben unsrer großen Partei noch ein kleinesPrivatparteichen, ähnlich wie die schwäbischen Volksparteiler13901, bilden, die es ja glücklich von sieben Schwaben auf elf Schwaben gebracht
haben. All dieser Krakeel dient nur zur Enttäuschung der Bourgeois, die auf eine Spaltung nun seit 20 Jahren immer von neuem rechnen und ebenfalls seit 20 Jahren dafür sorgen, daß es bei uns nicht einmal zur Gefahr einer Spaltung kommt. So auch jetzt mit der Umsturzvorlage13651, mit der Erhebung Liebknechts zum Vertreter der Rechte des Reichstags und der Reichsverfassung13671 und mit den Drohungen mit Staatsstreich und Rechtsbruch von oben. Sicher passieren auch bei uns Dummheiten, aber um solchen Gegnern möglich zu machen, uns zu besiegen, dazu müßten wir von einer gradezu rindviehmäßigen Dummheit sein, wie sie heutzutage für alles • Geld in der Welt nicht mehr zu kaufen ist. Sonst wäre Dein Plan, der jungen Generation auch einmal das Ruder in der Partei zu überlassen, damit sie sich festreiten, gar so übel nicht; ich glaube aber, sie kommen auch ohne dies Experiment zu Verstand und Erfahrung. Wie Du aus der Adresse siehst, bin ich, wie man bei uns sagt, ein Häuschen weiter gezogen, es ist viel besser und kommoder und liegt ganz nah am Parkeingang. Ich hoffe, der Heilig Geist, wo wir seinerzeit diverse Schoppen vertilgten13911, floriert immer noch, ich möchte wohl einmal wieder an einem heißen Sommertag in dem gotischen Gewölbe mich abkühlen. Wer weiß, was noch geschieht, man soll nichts für unmöglich erklären. Also nochmals Prosit Neujahr und herzlichen Gruß von Deinem F. Engels
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Engels an Pasquale Martignetti in Benevento
41, Regent's Park Road, N. W. London, 8. Jan. 95
Lieber Freund, Ich habe Ihre verschiedenen Briefe vom 6. Sept., 16. Dez. und 1. dieses erhalten und Ihren Auftrag bei Aveling ausgeführt13921. Besten Dank für die Mühe, die Sie sich mit der Vorrede zum II I.Band des „Kapital" gegeben haben. Es ist ganz gut, daß sie in der „Rassegna" erscheint1393', man wird daraus in Italien sehen, daß die falsche Größe Loria im Ausland ganz anders beurteilt wird als zu Hause. Andrerseits kann ich begreifen, daß Turati es in diesem Augenblick für taktisch richtiger hält, den Mann nicht so heftig anzugreifen, wie ich es tue1. Als wir in Deutschland Ausnahmegesetze1143' gegen uns hatten, war unsre Taktik auch in mancher Beziehung eine andre, und es wurden einzelne Gegner aus vorübergehenden Rücksichten geschont, die man seitdem ohne Gnade angegriffen hat. In solchen Fällen muß ich mich am meisten auf das Urteil der Leute verlassen, die im Kampf stehn, wie Turati; diese Leute mögen nicht immer dasjenige tun, was ich hier von meinem Standpunkt aus für das wichtigste und beste halte, aber sie tun doch etwas und tun ihre Schuldigkeit, so gut sie das verstehn, und nehmen die Folgen auf sich; wenn Turati und seine Mailänder Freunde der Regierung nicht sehr fatal wären, so hätte man sie nicht auf 5 oder 3 Monate ins domicilio coatto2 geschickt. Die beiden Kapitel des 3. Bandes „Kapital" lösen allerdings nicht die Fragen, die irgendwelche beliebige Bourgeois-Ökonomen in Beziehung auf die Werttheorie aufwerfen können. Das findet sich überhaupt nicht in diesem oder jenem Kapitel des Buchs. Was aber in dieser Hinsicht im I.Band noch nicht entwickelt werden konnte, findet sich klargelegt in Abschnitt 1 -4 des 3. Bandes. Von Ihrer Übersetzung der Vorrede genügen mir 2-3 Exemplare vollständig.
1 Siehe Band 25 unserer Ausgabe, S.25-28 - 2 Zwangswohnsitz
24 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
Ihre freundlichen Wünsche zum neuen Jahr aufrichtigst erwidernd, verbleibe ich der Ihrige F. Engels
196
Engels an Victor Adler in Wien
41, Regent's Park Road, N.W. London, 9. Jan. 95
Lieber Victor, Ich schreibe Dir heute eigentlich nur, um Dir anzuzeigen, daß Sonntag abend Louise unter Streifband ein Ms., enthaltend drei Notizen an die Redaktion der „A[rbeiter]-Z[eitung]", 10 Schwarzspanierstraße, abgeschickt hat; sie enthalten 1. etwas über Baumwollindustrie 2. etwas über die Aktion des Parliamentary Committee des Trade Unions Kongresses'3121 (teilweise schon antizipiert in der„ A[rbeiter]-Z[eitung]").13941 3. etwas aus einer Pariser Korrespondenz der Mrs. Crawford.13951 Da Ihr früher mit Manuskriptsendungen unter Streifband Schwierigkeiten hattet, halte ich diese Anzeige für geboten. Sollte man wieder versuchen, Euch nachträglich Portozuschlag zu erheben unter dem Vorwand, die Sendung als Brief zu behandeln, so wäre es an der Zeit, Beschwerde zu führen. Nach dem im englischen Posthandbuch amtlich gegebenen Auszug (in Anführungszeichen gegeben) sind unter Streifband zu V2 Penny für zwei Unzen Porto versendbar im internationalen Verkehr des Weltpostvereins „manuscript of books or other Iiterary productions"1. Das muß doch auch dort durchzusetzen sein, oder will die „Arbeiter]-Zfeitung] " freiwillig zwanzigfaches Strafporto (2Va Penny für eine V2 Unze) zahlen? Ferner. Wir erfahren aus Rußland, daß im „Europäischen Boten" (Vestnik Jevropy), Dezemberheft, ein äußerst scharfer, für russische Zensurverhältnisse sogar unerhört scharfer Artikel über Alexander III. steht13961 da Deine Frau ja vollkommen russisch kann, wäre es nicht der Mühe wert, ihn anzusehen und womöglich zu verwerten? Es wäre ja ein Hauptspaß, wenn auch in solchen Dingen die „Arbeiter-Zeitung" den bürgerlichen Blättern den Rang abliefe.
1 Manuskripte Büchern oder anderen schriftlichen Erzeugnissen
24*
Bis jetzt sind von der ,,A[rbeiter]-Z[eitung]" hier Nummer 1 und 3-8 angekommen, alle adressiert an Ludwig Freyberger, dazu ein Ex. Nummer 1 adressiert von Deiner Hand an mich. Der Übergang, in der Anordnung des Stoffes, von dem zweimal wöchentlichen zum täglichen Blatt12941 ist noch nicht ganz vollendet, man sieht aber, daß er im Gang ist und daß die Donnerstag-Abend-Nummer und die Sonntagsnummer jede mit besonderem Charakter und für ein besonderes Publikum sich von den anderen Nummern herausheben. Daß Du einstweilen keine Zeit hast zu Leitartikeln, begreift sich, es ging Marx bei der ,,N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]" ebenso, im ganzen ersten Monat sind nur zwei von ihm und im ganzen ersten Vierteljahr kaum fünf. Der Chefredakteur hat anfangs genug zu tun mit dem Organisieren, und das ist das wichtigste. Im übrigen macht sich das Blatt schon recht gut für die erste Woche, was noch fehlt, wird sich schon finden. Vandervelde haben wir Deinen Auftrag am l./l. ausgerichtet, wo er einen Augenblick hier war.'3971 Laura habe ich das Nötige aus Deinem Brief mitgeteilt2, aber seitdem nichts mehr darüber gehört, vielleicht hat Lafargue Dir direkt geschrieben. Wegen „Marx in Wien 1848" kann ich Dir nicht viel Material liefern. Ich will mal die ,,N[eue] Rh[einische] Z[eitung]" wegen Daten nachsehen, auch ob ich Näheres wegen Becher finde.13981 Unser Wiener Korrespondent war ein gewisser Müller-Tellering aus Koblenz, fanatisch wie alle Koblenzer und ein Krakeeler erster Klasse; nach seiner Rückkehr nach Deutschland kam er erst nach Köln Ende 49 und fing Krakeel mit dem roten Becker3 an, kam dann nach London, hatte wegen einer unbedeutenden persönlichen Geschichte (die bei etwas weniger Verkehrtheit seinerseits durch zwei Minuten Gespräch auszugleichen war) sofort Krakeel auch mit uns und ließ sogleich eine Broschüre von Stapel: „Vorgeschmack der Diktatur von Marx und Engels." Dann ging er nach Amerika, versuchte gegen uns zu stänkern, verscholl aber sehr bald. Seine Wiener Berichte bis zum Einzug von Windischgrätz waren übertrieben gewaltrevolutionär, was gegenüber der überall mächtiger auftretenden Reaktion uns ganz recht war; was er aber über Persönlichkeiten sagte, konnten wir damals aus der Ferne nicht beurteilen, war aber sicher stark durch persönliche Strömungen beeinflußt. Wir mußten für derlei in so bewegter Zeit eben unseren Korrespondenten viel Verantwortlichkeit und im Verhältnis auch viel Freiheit lassen. Noch eine politische Nachricht, die Dir vielleicht nützen kann, wenn wieder die Rede auf derartiges kommen sollte: vorgestern abend war hier
2 siehe vorl. Band, S. 357 — 3 Hermann Becker
politisches Gerede von Ministerkrise; der Schatzkanzler Harcourt wollte abdanken. Er desavouierte aber gleichzeitig: die Behauptung, wie sie aufgestellt sei (as made), sei absolut erfunden. Es war nicht wahrscheinlich, daß ein Schatzkanzler allein sich zurückzieht im Moment, wo er drei Millionen Pfund Überschuß hat, also ein brillantes Budget machen kann. Die Sache war aber die: Harcourt ist für Einführung von Diäten für die Parlamentsmitglieder Vor der Auflösung und findet starken Widerstand im Kabinett wahrscheinlich auch bei der Königin4. Er scheint mit Rücktritt gedroht und Konzessionen in obiger Frage erlangt zu haben, jedenfalls ist einstweilen alles wieder im Geleise. Du siehst, wie hier die Dinge in der offiziellen Welt wacklig stehn. Wegen des Geldes5 sind alle erforderlichen Schritte geschehen, ich denke in ein paar Tagen wirst Du Näheres erfahren und hoffentlich auch das bare erhalten. Louise will noch ein paar Zeilen drunterschreiben. Sie und Ludwig grüßen. Ditto Dich und Deine Frau Dein F. Engels
Am 5. d. schickten wir Dir drei Ex. von englischen sozialistischen Blättern: „Clarion", „Justice", „Labour Leader", (Keir Hardie) und werden auch fernerhin diverse Nummern von diesen von Zeit zu Zeit schicken, damit Du selbst wählen kannst, welches Dir am besten gefällt. Bitte, sieh sie an.
[Nachschrift von Louise Freyberger]
Lieber V[ictor], Die finanziellen Geschäfte sind nun soweit erledigt, daß das Geld nun bald in Wien sein wird. Eines möchte ich doch noch ersuchen, laß mir und Ludwig eine Legitimationskarte ausstellen. Ludwig läßt sich als temporäres Mitglied im National-Liberal Club aufnehmen, dem I. liberalen Club hier in der Nähe des Parlaments, wo alle Liberalen, Radikalen M.P. verkehren und Journalisten aller Schattierungen. Hier muß man sich für alles legitimieren können und Euch schadet es ja nichts. Herzlichen Gruß von den drei L.L.L.«
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
4 Victoria - B siehe vorl. Band, S. 343/344 - 6 Louise, Ludwig, Lulu
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
41, Regent's Park Road, N.W. * T London, 9. Jan. 95 Werter Herr, Ich habe Ihren Brief vom I.Dez, pünktlich erhalten. Was Herr von Struve mit der Behauptung meint, daß Marx Malthus' Bevölkerungstheorie ergänzt, aber nicht widerlegt, verstehe ich nicht.13"1 Ich denke, die Bemerkung über Malthus in Band I, Anmerkung 75 zu Kapitel XXIII1, sollte für jeden deutlich genug sein. Außerdem verstehe ich nicht, wie heute jemand von einer Ergänzung der Malthusschen Theorie reden kann, wenn diese Theorie von der Annahme ausgeht, daß die Bevölkerung auf die Subsistenzmittel drückt, während Getreide in London heute 20 sh. das Quarter oder weniger als die Hälfte des Durchschnittspreises von 1848 bis 1870 kostet, und wenn allgemein anerkannt ist, daß die Subsistenzmittel jetzt auf die Bevölkerung drücken, die nicht groß genug ist, sie zu konsumieren! Und wenn in Rußland der Bauer gezwungen ist, das Getreide, das er eigentlich selbst konsumieren sollte, zu verkaufen, so zwingt ihn dazu sicher nicht der Druck der Bevölkerung, sondern der Druck des Steuereinziehers, des Grundeigentümers, des Kulaken usw. usw. Soweit ich weiß, hat der niedrige Preis des argentinischen Weizens mehr zu tun mit der Agrarkrise in ganz Europa, einschließlich Rußland, als irgend etwas anderes. Wir haben gerade erfahren, daß einem Gelehrten Ihrer Stadt mitgeteilt wurde, daß ihm auf ein besonderes Gesuch bei der Zensurbehörde der Bezug des II I.Bandes2 gestattet würde. Ich halte es für gut, Ihnen das mitzuteilen, damit Sie mir eventuell Instruktionen geben können, wie ich Ihnen die restlichen Bogen, die ich zu Ihrer Verfügung halte, übermitteln soll. Ihr sehr ergebener L.K.mi] Bitte beachten Sie die geänderte Hausnummer!
Aus dem Englischen. 1 Siehe Band 23 unserer Ausgabe, S.644-646 - 2 des „Kapitals"
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Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover14001
Lieber K[ugelmann], Bitte schreibe gleich an L[ivingston] in Pittsburgh wegen einer Liste der älteren Sachen von Meyer13851; nach Deinem letzten Brief wird wohl nicht sehr viel vorhanden sein, aber auch in den alten Zeitschriften und Sammelwerken der Zeit von 43 -47 findet sich allerlei, teilweise Anonymes. Auch ob die ,,Trib[une] "-Artikelsammlung noch vorhanden. Ich werde gleichzeitig durch andre Freunde in Amerika nach andern, dort wahrscheinlich noch vorhandnen alten Schmökern forschen lassen, so daß die Sache in Gang kommt. Viele Grüße an Frau und Tochter. Dein F.E. Kannst Du mir nicht einige Deiner roten Metallverschlüsse besorgen?
[London] 9./1./95
199
Engels an Victor Adler in Wien
London, 12. Jan. 95
Lieber Victor, Ich schrieb Dir zuletzt am 9. ds. nach Schwarzspanier.1 Heute nur der Sicherheit halber die wiederholte Anzeige, daß Louise gestern per eingeschriebenen Brief an Dich Ferstelgasse 6, einen Cheque abgesandt hat für 3500 Gulden, gezogen am 10. ds. von der Anglo-Foreign Banking Company, Limited, auf die Union Bank in Wien, an die Ordre von Dr. Victor Adler, payable dans les huit jours2. Hast Du denselben richtig erhalten, so bitte gib Louise durch zwei Zeilen Nachricht, damit die Leute hier in Kenntnis gesetzt werden können zur Beruhigung. Das formale Dokument mit den diversen Unterschriften kann dann nachkommen.3 Hast Du den Cheque aber nicht erhalten, so stürze ja gleich zur Unionbank und stop payment4. Der internationale Postverkehr läßt leider keine Wertdeklaration resp. Versicherung zu, daher hier eine gewisse Ängstlichkeit. Wegen Marx habe ich in der ,,N[euen] Rheinischen] Ztg." nachgesehen.6 Ich finde nur dies: Die Nr. vom 25.Aug. 1848 zeigt an, daß „K.M. gestern auf einige Tage nach Wien abgereist ist". (Nämlich nicht von Köln, er war schon fort, ich glaube, er veranlaßte von Hamburg aus, daß dies hineingesetzt wurde.) Und dann später von Wien, 3I.August die Nachricht, daß Marx gestern im Wiener Arbeiterverein in der Josefstadt über die sozialen Verhältnisse Westeuropas einen Vortrag hielt (nach ihm sprach Stifft im selben Verein) („N[eue] Rh[einische] Ztg.", 6.Sept.), und nach der Nr. vom 8. Sept. sprach Marx am 2. Sept. „in der Versammlung des ersten Wiener Arbeitervereines über soziale ökonomische Zustände". Das ist alles. Inzwischen war am 7. Sept. in Berlin die entscheidende Abstimmung über den Steinschen Antrag14011, das Ministerium Hansemann
1 Siehe vorl. Band, S. 371 — a zahlbar innerhalb acht Tagen - 3 siehe vorl. Band, S. 343/344 4 verhindere die Auszahlung - 6 siehe vorl. Band, S. 372
stürzte, und der Konflikt war da, und M[arx] kam eiligst zurück. Am 12. Sept. schrieb er wieder einen Leitartikel6 für die denselben Nachmittag erscheinende Nr. vom 13. Sept. 1848. Gestern abend hat Louise wieder zwei Notizen unter Streifband abgeschickt. Dein F.E.
„Clarion" und „Labour Leader" heute wieder an die Red. abgegangen. Dir und Deiner Frau noch meinen schönsten Dank für den prächtigen Kalender!
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
6 „Die Krisis und die Konterrevolution"
200
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber B[aron], Ich erhalte soeben einen eingeschriebnen Brief von Herrn Stiebeling mit einer komischen Antwort auf meine Vorrede1 und mit der fast noch komischeren Zumutung, ich solle ihm davon Abdruck in der ,,N[euen] Z[eit]" besorgen.14021 Ich kann dem Mann nur antworten, daß ich nicht über den Raum der ,,N[euen] Z[eit]" verfüge, daß es mich aber sehr freuen würde, wenn die Redaktion dieser seiner Antwort die möglichste Verbreitung geben wollte. Und damit möge Stiebeling aber auch recht wohl leben, ich überlasse ihn seinem Schicksal. Über die Umsturzdebatte: Nazi scheint seine Sache sehr gut gemacht zu haben14031, im übrigen: gottlob, es gibt noch Esel in Berlin! Dein F.E. [London] 41, Regent's Park Road, 12./1./95
1 zum dritten Band des „Kapitals"
201
Engels an Hermann Engels in Barmen
41, Regent's Park Road, N.W. London, 12. Jan. 95
Lieber Hermann, Also endlich! Doch ich habe keine Zeit, mich zu entschuldigen. Vor allem meinen Dank für Deine Mitteilungen, die mich wieder einigermaßen au fait1 gesetzt haben. Ich revanchiere mich, indem ich Dir auch gleich allerlei erzähle. Vor allem entdeckst Du oben eine veränderte Adresse. Dies trägt sich zu wie folgt. Vor etwas über einem Jahr verlobte sich meine Hausgenossin, Frau Kautsky, mit einem Landsmann, einem jungen, äußerst tüchtigen Wiener Arzt, Dr. Freyberger, der sich seit 2 Jahren hier niedergelassen hat; und bald trat das Verlangen ein, der Verlobung ein Ende zu machen durch eine Heirat. Da ich aber kein Verlangen hatte, mich auf meine alten Tage in fremde Hände zu überliefern, so arrangierten wir uns, alle drei zusammenzuziehn, und damit kam das Bedürfnis für ein größeres Haus. Einstweilen heirateten die jungen Leutchen anfangs Februar, und wir blieben in 122, fanden aber bald ein sehr schönes, großes und ausnehmend wohlfeiles Haus in einem weit besseren Teil derselben Straße und nahmen es. Seit Anfang Oktober sind wir darin, und Anfang November beschenkte Louise mit seltner Pünktlichkeit ihren Herrn Gemahl mit einem kleinen Mädchen. Das Haus liegt etwa 500 Schritt näher zur Stadt hin, 100 Schritt von Primrose Hill und weniger vom Eingang zum Regent's Park, hat unten im basement2 außer Küche etc. ein gemütliches Frühstückszimmer, zu ebner Erde Salon und Speisezimmer, wo man bequem 24 Menschen am Tisch haben kann, auf dem ersten Stock vornheraus mein Arbeitszimmer - 3 Fenster Front und doch recht gut zu heizen -, nach hinten mein ebenfalls großes Schlafzimmer; 2. Stock: 4 Zimmer, die die Familie Freyberger bewohnt; 3. Stock, dito 4 Zimmer für Mägde, Fremde, Rumpelkammer etc. Vorn ein Gärtchen, hinten ein größeres, für hier schon ganz nettes. Das ganze
1 in Kenntnis - 2 Kellergeschoß
kostet jährlich £ 85, wo ich früher £ 60 zu zahlen hatte! Das Geheimnis ist, daß der landlord in Lancashire wohnt und kein Geld auslegen, sondern nur welches einnehmen will. Ich habe also ca. £ 200 für Reparaturen vorgeschossen und zahle dafür während 2Va Jahr keine Miete, wohne das Geld ab. Der letzte Bewohner, ein Arzt, zahlte £ 130; da siehst Du, wie hier der Wert von Häusern schwankt. Diese Hausgeschichte wickelte sich im Laufe des Sommers ab, und da ich das Haus auf eine lease3 von 7 Jahren mit dem Recht der Erneuerung auf weitere 7 Jahre nahm, so war dieserhalb und wegen der Sicherstellung meines Vorschusses eine langwierige Advokatenverhandlung nötig, die mich hinderte, mich weit von London zu entfernen. Ich bin also bloß etwa 5 Wochen in Eastbourne an der Südküste gewesen.'3141 Das ist doch der schönste Seeplatz, den ich kenne, es wird in der Tat schon eine See-Vorstadt von London für Leute, die nicht öfter als ein paarmal die Woche hieher nach London zu kommen brauchen. Bitte gratuliere Elsbeth4 nochmals nachträglich zu ihrer Verlobung und Walter6 zum hoffentlich glücklich bestandenen Examen. Ich bin Walter eigentlich noch einen Brief schuldig, aber die Entschuldigung dafür muß ich ihm leider auch schuldig bleiben, ebensogut wie Dir. Nix for ungut! Also nun zum Sherry. Les jours se suivent et ne se ressemblent pas6, und so geht's mit den Weinjahren; den alten Sherry wieder zu verschaffen, das geht über unsre Kräfte. Ich wartete auf den Besuch von Brett, meiner Quelle, er kam aber viel später als gewöhnlich. Nun habe ich ihn gebeten, mir 3 Probeflaschen von Sherry, so ähnlich wie möglich dem ersten Dir gesandten, in 3 Qualitäten zu schicken. Das Kistchen ist soeben angekommen. Ich bringe es Montag auf die Continental Parcels Express, Du wirst es wahrscheinlich per Fahrpost erhalten, für den internationalen Postverkehr überschreitet es die Gewichtsgrenze von IM. Ich würde Dir nun raten, beim Probieren von der Dir gefälligen Sorte V2 Flasche abzuziehn und dort zu behalten. Die Flaschen sind numeriert 1, 2, 3, die Angabe der Nr. genügt zur Bestellung. Preis für alle drei 42/ - das Dutzend, oder 3/6 d. die Flasche franko London. Versendung würde ich, wenn nicht anders instruiert, per direkten Dampfer nach Köln oder Düsseldorf besorgen. Noch eins. Da jetzt weniger Zahlungen für meine Rechnung drüben zu machen sind, summiert sich mein Saldo bei Euch wieder mehr. Der Umzug hat auch Geld gekostet, außer dem Vorschuß an den landlord, wenn Du mir
3 Pacht - 4 Elsbeth Engels - 5 Walter Engels - 6 Die Tage folgen einander, doch sie gleichen sich nicht
also im Lauf dieses Monats sage £ 40 kannst zukommen lassen, so wird's mir angenehm sein. Zum Schluß kann ich Dir die angenehme Mitteilung machen, daß ich endlich ein alter Mann geworden bin. Voriges Frühjahr hatte ich eine Bronchitis, die, so leicht sie war, doch unter 6 Wochen nicht weggehn wollte; und ferner habe ich im letzten Jahr viel an Magendrücken, Verstopfung etc. gelitten. Da habe ich's Freyberger endlich wohl glauben müssen, daß ich mir die alten Sparjitzen7 nicht mehr erlauben darf. Und wenn mich vor dem Spiegel eine um sich greifende Glatzenkrone immer verächtlicher ansieht, so kann ich mich nicht länger vor der Einsicht verschließen, daß 74 und 47 zwei sehr verschiedne Dinge sind. Essen und Trinken sind sehr beschränkt worden, und auch gegen Erkältungen muß ich allerhand ungewohnte Schutzmaßregeln mir gefallen lassen. Nun, es muß auch so gehn, der Humor geht mir darum doch nicht aus. So, jetzt hab' ich mich hoffentlich revanchiert. Bitte grüß Emma8 und Deine Kinder und Enkel, sowie Rudolph9 und Hedwig10 nebst Familien herzlich. Stets Dein alter Friedrick
' Scherze - 8 Emma Engels - 9 Rudolph Engels -10 Hedwig Boelling
202
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 13. Januar 95
Mein lieber Lafargue, Mit Vergnügen sehe ich, daß Sie sich mit Adler schon geeinigt und endlich einen Übersetzer gefunden haben, der Ihnen gerecht wird.'4041 Es geht voran! Wenn das Jahr 95 endet, wie es begonnen hat, werden wir kuriose Dinge erleben können. In Deutschland ist der kleine Wilhelm1 den „Agrariern" (den adligen Großgrundbesitzern der Ostprovinzen, den Junkern2) in die Hände gefallen, die sich ihre Herrschaft über diesen jungen Leichtfuß sichern wollen und es nicht können, ohne ihn so zu kompromittieren, daß es kein Zurück mehr gibt. Also deutet man ihm die Auflösung des Reichstags an, der aus den Neuwahlen widerspenstiger denn je hervorgehen würde, und schließlich bleibt, da die Krone und seine Ehre auf dem Spiel stehen, nur der Staatsstreich, um Wilhelm die Mittel für neue Soldaten und Schiffe zu verschaffen und den Junkern2 neue Einfuhrzölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und Prämien für den Export von Zucker, Branntwein usw. Das scheint der Plan dieser Herren zu sein; und es läßt sich nicht sagen, inwieweit er realisiert wird. Einstweilen spielt man mit dem Feuer - der Kriegsminister3 beleidigt unsere Freunde und fordert sie vor versammeltem Reichstag offen auf, auf die Straße zu gehen - man sucht unbedingt nach einem Anlaß, um auf das Volk zu schießen.'4051 Und bei Ihnen die bürgerlichen Korruptionsskandale, die überhandnehmen und zu einer Krisis drängen. Wenn das Kabinett der Majorität droht, sie vor Gericht zu stellen, falls sie nicht gegen Gerault-Richard stimmt, dann kann das bestimmt nicht lange mehr so weitergehen.'3811 Der Erfolg der Bourgeois, denen es geglückt ist, einen typischen Bourgeois4 zum Präsidenten der Republik wählen zu lassen, könnte den Sturz des bürgerlichen Regimes überhaupt herbeiführen; man nähert sich dem Kulmina
1 Wilhelm II. - 2 in der Handschrift deutsch: Junker - 3 Bronsart von Schellendorf - 4 Jean Casimir-Perier
tionspunkt, von dem aus es kopfüber abwärtsgeht. Mir scheint, es ist die Bourgeoisie selbst, die bei Ihnen die sozialistische Propaganda unter den Bauern auf sich nimmt. Es ist eine lange und mühselige Arbeit, den Bauern die politischen Dinge klarzumachen, aber sie sind nicht so dumm, daß sie jetzt nicht sehen, wer sie bestiehlt. Haben sie das jedoch erst einmal festgestellt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich den Sozialisten zuzuwenden, der einzigen Partei, die nicht in die Diebstähle verwickelt ist; denn die Radikalen121' sind wohl erledigt. Also können wir getrost rufen: Prosit Neujahr!5 Noch etwas zum neuen Jahr: Ihr Kredit auf sechzig Pfund ist eröffnet, wenn Sie einen Scheck über 20 Pfund haben wollen, brauchen Sie es mir nur zu sagen. Ich habe Laura einige hiesige Arbeiterzeitungen geschickt, den „Clarion" Blatchfords, alias Nunquam, und den „Labour Leader" Keir Hardies. Seitdem die „Workman's Times" eingegangen ist, ist das die einzige Literatur der Independent Labour Party[9'. Traurig, aber wahr. Vor vierzehn Tagen habe ich von Vaillant einen Brief mit einigen seiner Gesetzentwürfe erhalten. Ich habe versprochen, ihm meine Meinung dazu zu sagen, sobald ich Zeit haben werde.6 Einstweilen habe ich ihm mitgeteilt'135', daß Wroblewski in Nizza sich wegen Geld an mich gewandt hat; er hatte einen Unfall, hat sich den Arm gebrochen, war im Krankenhaus und befindet sich in größtem Elend; ich schrieb, daß ich ihn, so gut ich konnte, unterstützt habe, daß dies jedoch meine Mittel übersteigt und ich der Ansicht bin, die Kommunarden und die sozialistischen Deputierten müßten es sich zur Ehre anrechnen, ihn nicht verhungern zu lassen. Er hat mir geantwortet, daß man eine ö0entliche Sammlung für W[roblewski] veranstalten wollte, daß dieser sich dem jedoch widersetzt habe und daher nichts zu machen sei. Wissen Sie etwas davon? Als echter Pole versteht W[roblewski] nicht mit Geld umzugehen, er gibt es mit vollen Händen aus, wenn er es hat; vielleicht hat er das vor Vaillant und anderen so gemacht, die ihn hätten unterstützen können. Er müßte eine kleine regelmäßige, monatlich in kleinen Summen auszuzahlende Rente bekommen. Aber mir scheint, es geht um die Ehre des französischen Sozialismus, der auf die Kommune von 1871 keinen Anspruch mehr erheben dürfte, wenn er den letzten General der Kommune Hungers sterben läßt. Wie denken Sie und die anderen darüber, Guesde, der
5 in der Handschrift deutsch: Prosit Neujahr! -e siehe vorl. Band, S.419-421
Nationalrat? Gibt es denn kein Mittel, die alten „Communeux" [406i zum Erröten zu bringen? Umarmen Sie Laura für mich. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Montag: „Le Temps" und Exemplare der „Petite Republique" erhalten. Danke! Rouanet nach Gerault-Richard1407das ist nett. Was für ein Glück, wenn das zu einer Krisis treibt, zur Auflösung und einer immer revolutionäreren Situation bei Ihnen und in Deutschland! Montag: Aveling hat uns gestern erzählt, daß der „Labour Leader" in extremis liegt, der stille Teilhaber (man sagt, es sei Passmore Edwards, reicher Liberal-UnionistIU21) will keine Mittel mehr vorschießen. Louise bittet mich, Ihnen für die schöne Glückwunschkarte zu danken, die Sie und Laura ihr geschickt haben.14081
Aus dem Französischen.
203
Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken
41, Regent's Park Road, N. W. London, 16. Jan. 95
Lieber Sorge, Erhalten Karte 6., Briefe 19. und 31. Dez. Besten Dank und herzliche nochmalige Erwiderung der Neujahrswünsche von Dir und Deiner Frau! Stiebeling hat mir als Neujahrswunsch seine groteske Erwiderung'4021 geschickt, ich solle veranlassen, daß sie in der „NJeuen] Z[eit]" abgedruckt werde!! Ich antworte11351, über deren Raum hätte ich keine Verfügung, aber ich hätte K. K[autsky] gesagt (was wahr ist), er würde mir ein besondres Vergnügen machen, wenn er dem Ding die möglichste Verbreitung sichre.1 Der Mann hat ein Brett vor dem Kopf. Wie es möglich war, daß Du den 3.Band2 erst 5 Tage nach Schlüter erhieltst, ist mir unerklärlich. Ich gab beide zu gleicher Zeit, am 12. Dez. auf, die beiden Empfangsscheine hängen noch zusammen, ich lege sie bei für den Fall, daß Du Dich beschweren willst. Der temporäre Niedergang der Bewegung in Amerika ist mir schon seit einiger Zeit aufgefallen, und die deutschen Sozialisten werden ihn nicht aufhalten. Amerika ist das jüngste, aber auch das älteste Land der Welt. Ganz wie Ihr drüben die altfränkischsten Möbelformen neben ganz eigen erfundnen, in Boston Droschken, wie ich sie in London zuletzt 1838 sah, im Gebirg stage coaches3 aus dem 17. Jahrhundert habt, neben den Pullman Cars4, gradeso erhaltet Ihr auch alle in Europa abgelegten geistigen alten Kleider. Alles, was hier sich überlebt, kann in Amerika noch 1-2 Generationen fortleben. Z.B. Karl Heinzen, von religiösem und spiritistischem Aberglauben nicht zu reden. So leben bei Euch auch noch die alten Lassallianer fort, und Leute wie Sanial, der heute in Frankreich antiquiert wäre, können dort noch eine Rolle spielen. Das kommt einerseits daher, daß Amerika jetzt erst anfängt, über der Sorge für die materielle Produktion und Bereicherung Zeit zu bekommen für die freie geistige Arbeit und die dazu
1 Siehe vorl. Band, S.378 - 2 des „Kapitals" - 3 Postkutschen - 1 Pullman-Wagen
25 Marx/Engels. Werke, Bd. 39
nötige Vorbildung; andrerseits aber auch von der Zwiespältigkeit der amerikanischen Entwicklung, die einerseits noch mit der ersten Aufgabe beschäftigt ist: der Urbarmachung der enormen wildliegenden Bodenfläche, andrerseits aber auch schon gezwungen ist, um den ersten Rang in der industriellen Produktion mitzukonkurrieren. Daher die ups and downs5 der Bewegung, je nachdem der Verstand des industriellen Arbeiters oder der des urbarmachenden Bauern das Übergewicht in den Durchschnittsköpfen erhält. In ein paar Jahren kommt's wieder anders, und dann wird ein großer Fortschritt zu konstatieren sein. Die Entwicklung der angelsächsischen Race mit ihrer altgermanischen Freiheit ist eben eine ganz eigentümliche, langsame, zickzackförmige (hier in England kleine, bei Euch kolossale Zickzacks), ein Lavieren gegen den Wind, aber vorwärts geht's darum doch. Hier in Europa wird's im neuen Jahr schon arg kraus. Die Bauernfrage in Deutschland ist in den Hintergrund gedrückt durch die Umsturzvorlage13561 und die durch den jungen Wilhelm (sein Sang an Ägirt409], den Herrn der Fluten, ist reine Folge der Seekrankheit, die er jedesmal bekommt, weswegen er auch mit seiner Flotte stets in die stillen norwegischen Fjords fährt). Der junge Mann hat alles in Deutschland in Unordnung gebracht, kein Mensch weiß mehr, woran er ist und was morgen sein wird, die Konfusion in den regierenden Schichten wie überhaupt in den herrschenden Klassen steigt täglich höher, so daß die einzigen, die bei der Umsturzdebatte heitere Gesichter machten, unsre Leute waren. Es ist aber auch zu schön: an der Spitze der Anti-Umstürzler steht der Mann, der das Umstürzen keine fünf Minuten lang unterlassen kann. Und dieser junge Wilhelm ist jetzt in die Hände der Junker gefallen, die, um ihn festzuhalten, in der Stimmung, worin er ihnen potenzierte Staatshülfe für ihre bankrotten Rittergüter zu geben bereit ist, ihn jetzt ködern mit der Aussicht auf neue Steuern und neue Soldaten und Kriegsschiffe durch protziges Auftreten für das regis voluntas suprema lex6 und ihn treiben zur Reichstagsauflösung und zum Staatsstreich. Dabei aber haben diese mit Phrasen so protzigen Herren Koller & Konsorten so wenig Courage, daß sie schon jetzt allerhand Ängstlichkeiten empfinden und es immerhin fraglich ist, ob sie nicht auch im Moment der Aktion die Angst bekommen. Und nun gar Frankreich! Dort wie in Italien hat die Bourgeoisie sich in einer Amerika beschämenden Weise kopfüber in die Korruption gestürzt. Seit 3 Jahren dreht sich in beiden Ländern alles darum, ein bürgerliches Ministerium zu finden, das - nicht frei von Korruption - aber doch so
5 die Höhen und Tiefen - 6 des Königs Wille ist oberstes Gesetz
203 • Engels an Friedrich Adolph Sorge • 16. Januar 1895 387
wenig direkt in öffentlich gewordnen Skandalen kompromittiert ist, daß es ohne zu gewaltsame Verletzung des ordinärsten Anstands unterstützt werden kann vom Parlament. In Italien hält sich Crispi nur noch eine Zeitlang, weil der König7 und der Kronprinz8 ebenso tief in den Bankskandalen drinsitzen wie er selbst.9 In Frankreich haben jetzt unsre 45-50 sozialistische Deputierte zum drittenmal ein Ministerium wegen direkter Korruption zu Fall gebracht, und Casimir-Perier ist nachgestürzt.[410] Vermutlich will er sich als einziger Retter der Gesellschaft nochmals mit immenser Majorität neu wählen lassen und sich dadurch eine stärkere Stellung verschaffen. Das ist aber ein gewagtes Spiel. Jedenfalls wackelt auch in Frankreich alles, und wir können dies Jahr außer in England auch in Deutschland und Frankreich Neuwahlen bekommen, diesmal von entscheidender Wichtigkeit. Dazu in Italien eine Krisis ersten Rangs und in Osterreich eine unvermeidliche Wahlreform, kurz, es wird kritisch in ganz Europa. Sehr gefreut hat mich, daß es Dir und Deiner Frau besser ging, ich hoffe, es hält an. Viele Grüße von Freybergers und Deinem Dir und Deiner Frau! F. Engels
7 Humbert I. (Umberto I) - 8 Viktor Emanuel (Vittorio Emanuele) - 8 siehe vorl. Band, S. 351
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
41, Regent's Park Road, N.W. London, 19. Jan. 95
Mein liebes Lohr, Dein letzter Brief hat mich wirklich erschreckt. Ich habe, allerdings ziemlich erfolglos, versucht, mir die in meinem Brief an Dich vom 29. Dez. gebrauchten Worte ins Gedächtnis zurückzurufen; doch soweit ich mich erinnern kann, ist darin kein Wort, das Dich hätte verletzen können. Wenn nun im Ton dieses Briefes wirklich irgend etwas ist, das Dich befremdet, so ist das ganz gegen meinen Willen und ohne Absicht geschehen. Es würde mir niemals einfallen, noch ist es mir jemals auch nur für einen Augenblick eingefallen, daran zu zweifeln, daß es Deinerseits richtig oder angemessen ist, jederzeit zu fragen, welche Schritte ich unternommen habe oder zu unternehmen beabsichtige, damit bei meinem Tode gesichert ist, daß die Papiere Möhrs, die Du mir anvertraut hast, an Euch, die rechtmäßigen Eigentümer, zurückgehen.1 Und nie habe ich je irgend etwas an den Ausdrücken auszusetzen gefunden, in denen Du hierüber zu Tussy gesprochen hast. Daher scheint es mir auch so überaus merkwürdig, daß ich Dir in einem Ton geschrieben haben sollte, der Dir Grund zur Beschwerde geben könnte. Ich war allerdings gereizt durch die Art, in der Tussy sich veranlaßt sah, mir die Frage zu stellen, und unter diesen Umständen hielt ich mich für verpflichtet, mit ihr darüber zu reden. Als ich es tat, sagte ich ihr, nicht nur einmal, sondern drei- oder viermal, daß ich nicht ein Wort gegen Deinen Brief einzuwenden habe, weder, was seinen Inhalt noch seine Ausdrucksweise angeht. Jedenfalls hatten Tussy und ich eine Aussprache, die, soviel ich weiß, alles, was mit dieser Sache zusammenhängt, regelte, und wir blieben gute Freunde wie bisher; ich würde es jedoch unendlich bedauern, wenn durch irgendwelche unbedachten Worte meinerseits oder durch andere Umstände dieser kleine Zwischenfall seine Schatten bis nach Le Perreux geworfen hätte.
Inzwischen sind die Dinge bei Euch zu einer Krisis gekommen. Ich wollte darüber ausführlich schreiben, aber Bebel bat mich plötzlich um historisches Material über die verschiedenen und recht häufigen Unruhen hier in England, die beigelegt werden, ohne daß jemals der Versuch gemacht wird, das Gesetzbuch mit verschärften Strafgesetzen oder Ausnahmegesetzen zu belasten. Er ist in dem Ausschuß über die Umsturzvorlage213551 und braucht es dafür, so mußte ich alles andere liegenlassen und das Material mit der heutigen Post wegschicken, ehe die üblichen Sonntagsverzögerungen der Post es aufhalten. Jedenfalls haben unsere 50 französischen sozialistischen Deputierten Glück. In weniger als 18 Monaten haben sie drei Ministerien und einen Präsidenten zu Fall gebracht.14101 Das beweist, was eine sozialistische Minderheit in einem Parlament erreichen kann, das, wie das französische oder englische, wirklich die oberste Macht im Lande ist. Unsere Leute in Deutschland können eine ähnliche Macht nur durch eine Revolution erlangen; der Bankrott der Zentrumspartei1171 würde sie jedoch zum ausschlaggebenden Faktor des Reichstags machen, und von ihnen würde das politische Gleichgewicht abhängen. Wie kläglich ist doch Casimirs Rückzug! Nach der Prahlerei bei seinem Amtsantritt, nun bei der ersten ernsten Schwierigkeit auszukneifen!I4ni Es sieht aus, als ob unsere bürgerlichen Helden im einzelnen genau so degeneriert sind wie ihre Klasse insgesamt. In Deutschland scheint das gleiche Prinzip zu herrschen; Bebel will offenbar nicht glauben, daß von Koller und Co. die Männer sind, die einen coup d'etat bis zu Ende durchführen könnten; es sieht überall aus wie in der Geschichte von Berangers altem Narren, der Babette umwarb und zu spät herausfand, daß die Tage, wo er Mädchen umwerben konnte, vorüber sind.14121 Mir scheint jedoch der größte Erfolg der zu sein, daß die Skandalaffären der opportunistischen Majorität wieder aufgedeckt worden sind, daß Raynal festgenagelt worden ist und daß es wahrscheinlich unmöglich ist, die Sache wieder zu vertuschen.14131 Die offensichtliche Korruption aller anderen Parteien muß, besonders in Frankreich, Wunder wirken zugunsten unserer Partei und sollte uns großartige und unerhoffte Erfolge sichern bei den nächsten allgemeinen Wahlen, die jetzt nicht mehr sehr fern sein können, denn wer kann mit der jetzigen Kammer regieren? (Ja chauffe!3 Und weder Felix Faure noch der junge Wilhelm4 werden imstande sein, das Feuer zu ersticken.
2 in der Handschrift deutsch: Umsturzvorlage-3 Das zündet!-4 Wilhelm II.
An Paul werde ich schreiben, sobald ich nur einen Augenblick Zeit finde. Dank für die Zeitungen, die ich nach dem. Lesen an Tussy weitergeschickt habe. Immer Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
205
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 22. Januar 95
Mein lieber Lafargue, Was Ihr doch für Glück habt, Ihr andern! Ihr stürzt einen Minister1; dann folgt ihm das ganze Kabinett, und durch den Contrecoup wird der Präsident der Republik2 in den allgemeinen Sturz hineingezogen. Drei Kabinette und einen Präsidenten erledigt'4101 - das will schon etwas heißen. Die sozialistische Gruppe scheint die Rolle des seligen Clemenceau übernommen zu haben'4141 - und wird sie hoffentlich besser spielen. Jetzt steht fest, daß kein Kabinett existieren kann, ohne wenigstens den Beistand der äußersten Linken zu haben. Das müßte zu einer Auflösung führen, zu der auch der zunehmende Gestank der Korruption der Opportunisten'201 treibt. Dann werdet Ihr zahlenmäßig und moralisch stärker wiederkommen; das könnte zur Bildung der „großen reaktionären Masse" Lassalles führen, einer Koalition aller bürgerlichen Parteien gegen den Sozialismus, einer Masse, die sich stets im Augenblick der Gefahr bildet, um sich dann wieder in die verschiedenen, einander entgegengesetzten Interessengruppen aufzulösen: Großgrundbesitz, Großindustrie, Hochfinanz, kleine und mittlere Bourgeoisie, Bauern usw. Aber jedesmal, wenn sie sich von neuem bildet, gewinnt sie an Festigkeit bis zu dem Tage der Krisis, an dem wir dann eine kompakte Masse uns gegenüber haben werden. Dieser kontinuierliche Prozeß von Konzentration und Auflösung geht bei uns in Deutschland vor sich, seitdem unsere Partei mehr als 20 Abgeordnete im Reichstag3 hat; aber bei Euch wird das rascher vorangehen, weil die entscheidende Macht in Eurer Deputiertenkammer liegt. Hr. Faure kann tun, was er will, er wird diesen Prozeß der Gruppierung in zwei einander entgegengesetzte Lager ebensowenig aufhalten können wie die Verwirrung, die unweigerlich aus diesem Spiel der entgegengesetzten Kräfte, Attraktion und Repulsion, inmitten der bürgerlichen Parteien entsteht. Das ist genau das Milieu, das wir brauchen und das überall die
1 Charles-Alexandre Dupuy - 2 Jean Casimir-P6rier - 3 in der Handschrift deutsch: Reichstag
Anwesenheit einer, wenn auch nicht sehr einflußreichen, sozialistischen Gruppe im Parlament schafft. Ihr werdet jetzt mit Windeseile vorankommen, denn die Fortschritte der Partei werden zunächst die internen und traditionellen Streitigkeiten abschwächen und dann verschwinden lassen. Daß 30 Radikale dazugekommen sind4, hat Euch Glück gebracht, ohne sie hätte die Gruppe keinen Zusammenhalt. Ohne Millerand hättet Ihr aus den politischen Situationen nicht den Nutzen zu ziehen gewußt, den Ihr gehabt habt. Und Jauräs scheint tatsächlich voll guten Willens zu sein - wenn er sich ein wenig langsam entwickelt, so ist das vielleicht zum Vorteil für ihn und für uns. Aber was die ökonomischen Fragen betrifft, so muß er sie noch gründlich studieren. Seine Pläne für sofortige Reformen in dem Artikel der „Petite Republique"[416] sind nicht mehr so extravagant wie sein Plan mit dem Getreidemonopol5, aber sie verlangen von den Bourgeois Opfer, die mit der Entwicklung der kapitalistischen Industrie unvereinbar sind, die in ihren Augen der sofortigen Enteignung gleichkämen; während er andererseits eine Amelioration des Bodens auf Kosten der Nation vorschlägt, des Bodens, der Privateigentum bliebe, und dies unter Bedingungen, die den Kleinbauern verewigen und ein neues Panama161 für die Großgrundbesitzer schaffen würden, die sich über die ihnen durch den Plan auferlegte „Verpflichtung" usw. lustig machen würden. Das bedeutet völlige Abstraktion von dem Milieu, in dem man lebt und in dem diese Reformen durchgeführt werden sollten. Solange die Atmosphäre nicht durch die Deportation aller parlamentarischen und Finanz-Schurken gereinigt ist, würde diese Amelioration des persönlichen Grundbesitzes auf Kosten aller mit einem kolossalen Diebstahl enden; und wenn wir uns von diesen Herren befreit haben werden, werden wir die Kraft haben, etwas Besseres als das zu machen. Außerdem wird die Präsidentenkrisis einen ausgezeichneten Effekt auf die europäische Politik haben. Die französisch-russische Allianz wird immer kraftloser, je mehr die Hoffnung der Russen, aus den Präsidentenkrisen die Monarchie wiedererstehen zu sehen, dahinschwindet. Andererseits existiert der Dreibund'241 nur auf dem Papier; das bankrotte Italien bricht aus, Österreich hält nur aus Furcht vor einem Krieg mit Rußland daran fest, dessen Kosten es bezahlen müßte; diese Gefahr verschwindet in dem Maße, wie Rußland die Aussicht verliert, über die französische Armee zu verfügen, wann es ihm beliebt; der kleine Wilhelm6 hat sich bei seinen Freunden unbeliebter gemacht als bei seinen Feinden. Bei der totalen Umwälzung in der Rüstung seit 1870 und infolgedessen auch der Taktik ist der Ausgang
4 siehe vorl. Band, S. 187/188 - 6 siehe vorl. Band, S. 214/215' - 6 Wilhelm II.
eines Krieges, bei dem so viele unbekannte Faktoren auftreten werden und alle vorher aufgestellten Berechnungen auf imaginären Größen beruhen, absolut ungewiß. Durch all diese Umstände scheint uns der Frieden gesichert, und selbst die exaltiertesten bürgerlichen Chauvinisten ä la Deroulede können ruhig bleiben: die Preußen selbst geben sich alle Mühe, im Elsaß den französischen Patriotismus wachzuhalten und zu schüren. Inliegend Scheck über zwanzig Pfund; wenn Ihnen dies bis Anfang April genügen könnte, wäre es mir angenehm; zu dem Zeitpunkt werde ich Eingänge haben, die mir größere Bewegungsfreiheit geben. Aber wenn notwendig, könnte ich Ihnen vielleicht noch etwa zehn Pfund im März schicken - wir werden sehen. Grüße von den Freybergers. Umarmen Sie Laura herzlich für mich. Freundschaftlichst Ihr F.E.
Ich schicke Ihnen den Bericht über den Trades Union Congress in Norwich.13161
Aus dem Französischen.
206
Engels an Ferdinand Tönnies in Kiel
41, Regent's Park Road, N.W. London, 24. Jan. 95
Verehrter Herr Professor, Ich habe Ihnen noch meinen Dank abzustatten für gütige Zusendung Ihrer Kritik des Barthschen Buchs und des interessanten Artikels über Pestalozzi.14161 Wegen der Verspätung muß mich Überbeschäftigung, verschärft durch einen Umzug (bitte die veränderte Adresse zu beachten!) entschuldigen. Herrn Barth scheinen Sie mir etwas glimpflich zu behandeln, bei mir wenigstens wäre er weniger gut weggekommen. Man muß sich allerdings daran gewöhnen, daß in der literarischen Debatte der Gegner advokatenmäßig das unterdrückt, was ihm nicht paßt, und Ungehöriges hereinzieht, wenn er glaubt, den Leser dadurch blenden zu können. Aber bei Herrn Barth geschieht das doch in einer Weise und bis zu einem Grad, die die Frage aufdrängen: ist dies einfache Unwissenheit und Vernageltheit oder absichtliche, wissentliche Entstellung? Um nur von seinem Abschnitt über Marx zu reden, wie sind da die horrenden Mißverständnisse zu erklären, die fast alle unbegreiflich sind bei einem Mann, der doch meinen „Anti-Dühring" und „Feuerbach" gelesen haben will, wo sie hinreichend Vorbeugung gefunden haben? Und was sagen zu dem verrückten, mir untergeschobnen Kausalzusammenhang p. 135: „in Frankreich war der Calvinismus besiegt worden, deshalb war im 18. Jahrhundert das Christentum unfähig geworden, irgendeiner progressiven Klasse als ideologische Verkleidung zu dienen"? Stelle ich das Original, „Feuerbach" S.651, daneben, so ist es mir fast unmöglich, hier nicht an bewußte Verdrehung zu glauben. Interessiert haben mich Ihre Bemerkungen über Auguste Comte. Was diesen „Philosophen" angeht, so ist meiner Ansicht nach noch ein wesentliches Stück Arbeit zu tun. Comte war 5 Jahre lang Sekretär und Intimus von Saint-Simon. Dieser letztere litt positiv an Gedankenreichtum; er war
1 Siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.305
Genie und Mystiker zugleich. Klares Herausarbeiten, Ordnen, Systematisieren war nicht seine Sache. So zog er sich in Comte einen Mann heran, der vielleicht nach des Meisters Tod diese übersprudelnden Ideen der Welt geordnet vorlegen sollte; die mathematische Schulung und Denkweise Comtes mochten ihn dazu besonders geeignet scheinen lassen im Gegensatz zu den schwärmerischen andern Schülern. Nun aber brach Comte plötzlich mit dem „Meister" und zog sich von der Schule zurück; nach längerer Zeit trat er dann mit seiner „positiven Philosophie" hervor.'4171 In diesem System finden sich drei bezeichnende Elemente: 1. eine Reihe genialer Gedanken, die aber fast regelmäßig mehr oder weniger verdorben werden durch mangelhafte Entwicklung, entsprechend 2. einer mit jener Genialität in schroffem Widerspruch stehenden engen, philiströsen Anschauungsweise; 3. eine durchaus saint-simonistischer Quelle entspringende, aber alles Mystizismus entkleidete, aufs äußerste vernüchterte hierarchisch-organisierte Religionsverfassung mit einem förmlichen Papst an der Spitze, so daß Huxley vom Comtismus sagen konnte, er sei Catholicism without Christianity'4181. Ich möchte nun wetten, daß Nr. 3 uns die Lösung des sonst unbegreiflichen Widerspruchs von Nr. 1 und Nr. 2 gibt; daß Comte alle seine genialen Ideen von Saint-Simon übernommen, sie aber bei der Gruppierung in der ihm persönlich eignen Art verballhornt hat: indem er sie des anhaftenden Mystizismus entkleidete, hat er sie gleichzeitig auf ein niederes Niveau herabgezogen, sie nach eignen Kräften philiströs verarbeitet. Von sehr vielen läßt sich der saint-simonistische Ursprung leicht nachweisen, und ich bin überzeugt, dies würde auch noch bei anderm gelingen, fände sich jemand, es ernstlich in Angriff zu nehmen. Es wäre sicher schon längst entdeckt, wären nicht Saint-Simons eigne Schriften nach 1830 vollständig überwuchert worden durch den Lärm der ficole und Religion saint-simoniennes2, die einzelne Seiten der Lehre des Meisters hervorhoben und entwickelten auf Kosten der großartigen Gesamtauffassung. Dann möchte ich noch einen Punkt berichtigen, die Note auf S.5I3.'419] Marx war nie Generalsekretär der Internationale, sondern nur Sekretär für Deutschland und Rußland. Und von den Comtisten in London war keiner bei der Gründung der Internationale beteiligt. Professor E.Beesly hat um die Zeit der Kommune sich in der Presse um die Verteidigung der Internationale gegen die damaligen heftigen Angriffe sehr verdient gemacht; auch Fred. Harrison hat die Kommune öffentlich verteidigt.'4201 Aber wenige Jahre darauf wurden die Comtisten bedeutend kühler gegen die Arbeiter
2 saint-simonistischen Schule und Religion
bewegung; die Arbeiter wurden jetzt zu mächtig, es galt, zur Aufrechthaltung des richtigen Gleichgewichts zwischen Kapitalisten und Arbeitern (beide sind ja producteurs3 im Sinn Saint-Simonsf4211) jetzt wieder die ersteren zu unterstützen, und seitdem sind die Comtisten in Beziehung auf die Arbeiterfrage ganz stille geworden. Hochachtungsvoll Ihr F. Engels
Produzenten
207
Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover'4001
Lieber K[ugelmann], Eine Angabe der Sammelwerke14221 etc., worin die betreffenden Sachen sich finden, kann ith Dir jetzt noch nicht machen, denn 1. muß ich erst wissen, was wir jetzt schon haben (teils in Deutschland, was ich bald hören werde, teils in Amerika, worauf ich warte) außer meinen eignen Sachen; 2. weil ich es selbst nicht mehr genau weiß und, wenn ich Neues bekomme, mir dann wieder allerlei einfällt; 3. weil wir, sobald Nr. 1 erledigt, Arrangements treffen müssen, daß nicht einer von uns dem andern Konkurrenz macht und die Preise hinauftreibt. Inzwischen wäre es gut, wenn Du Dich speziell nach der westfälischen Literatur 1845-47 umsehn wolltest: „Dampfboot"1 und Sammelwerke, auch sonstiges von jenen Leuten aus jener Zeit. Ich glaube, die Meyersche Sammlung der „Tribune"-Artikel habe ich hier, es wird die vollständigere der beiden Sammlungen sein, bald nach M[eyer]'' s Tod hat M[arx] verschiednes von drüben erhalten.13851 Beste Grüße allerseits. Dein F.E.
„F[rank]f[ur]ter Ztg." dankend erhalten.
[London] 25./1./95
1 »Das Westphälische Dampfboot"
208
Engels an Victor Adler in Wien
London, 28. Jan. 95
Lieber Victor, Meinen und unser aller besten Glückwunsch zum raschen Erfolg der „Arbeiter-Zeitung"!1-2941 Ich habe es zwar erwartet, aber die Bestätigung durch die Tatsache ist doch auch viel wert. Wegen der Redaktion laß Dir nur keine grauen Haare wachsen. In den ersten Wochen bist Du als Organisator viel wichtiger denn als eigentlicher Redakteur. Ist erst alles im richtigen Geleise, dann wirst Du schon dahin kommen, der Zeitung den richtigen Ton beizubringen. Du hast ganz recht, bis jetzt ist das Blatt noch bissei zu ernst, etwas mehr Humor besonders auf der ersten Seite, die in der zweiwöchentlichen Ausgabe immer sehr lustig war, könnte nicht schaden. Indes das wird schon kommen. Originaltelegramme aus fremden Hauptstädten könnten Euch absolut nichts nützen. Dazu gehörte in jeder Stadt ein vollständig organisiertes Büro mit einem Chefkorrespondenten, der die Sache berufsmäßig speziell für Euch betriebe; kostet hier in London 600 bis 1000 Pfund jährlich, und würde Euch doch nicht die besten Nachrichten aus den Minister- resp. Oppositionschefkreisen besorgen, aus dem einfachen Grund, weil man diese Art Nachrichten nur dann privilegiert, vor allen andern, ehe sie Gemeingut geworden, erhält, wenn man den Mitteilenden Gegendienste durch Unterstützung und Veröffentlichung fertig gesandter Reklameartikel leisten kann. Das kann aber unsere Presse grade nicht. Also in Nachrichten aus offiziellen Kreisen werdet Ihr nie mit den großen Bourgeoisblättern konkurrieren können, die nicht nur die Quellen monopolisieren, sondern auch den Nachrichtendienst auf großindustriellem Fuß organisieren können. Ein Pech ist für Euch, daß Ihr Euch in den ersten Wochen mit den kleinen Landtagen zu begnügen habt, aber der Reichsrat fängt ja bald wieder an, und da bekommt Ihr Stoff genug, und da wird Dein persönliches Eingreifen auch nötig werden. Die Differenzen im hiesigen Ministerium sind nicht weit her, was praktische Folgen angeht. Die liberale Regierung umfaßt soviel Schattierungen
als Köpfe. Der Liberalismus ist, seitdem die große Bourgeoisie und mit ihr die Whigaristokraten14231 und die Universitätsideologen ins konservative Lager abgeschwenkt (fing an nach 1848, stieg nach der Reform 186714241, wurde sehr entschieden seit der Homerule bill[4251), vorwiegend ein Sammelsurium aller Sekten und Sektenschrullen dieses sektenreichen Landes. Und da jede einzelne Sekte ihre absonderliche Schrulle für die einzige Panazee hält - ewiger Krakeel. Mächtiger als der Krakeel aber ist die Gewißheit, daß nur Zusammenhalt nach außen hin sie noch ein paar Monate an der Regierung halten kann. Und da ist's reiner Zufall, welche Strömung gerade die Oberhand bekommt. Von den drei Arbeiterblättern, die hier noch bestehen, habe ich Dir abwechselnd Ex. geschickt. Da Du den „Clarion" im Tausch erhältst, verschone ich Dich mit diesem in Zukunft. Viel steht in allen dreien nicht, es ist aber immer gut, wenn Du von Zeit zu Zeit eine Nummer zu sehen bekommst. Der „ Labour Leader" ist ein Vergötterungsinstitut für Keir Hardie, er ist ein schlauer durchtriebener Schotte, falscher Biedermann und Klüngler erster Klasse, möglicherweise aber zu schlau und zu eitel. Seine Geldquellen, zur Haltung des Blatts, sind sehr zweifelhafter Natur, was bei der Neuwahl unangenehm werden kann. Apropos. Die Donnerstag-Abend-Nr.1 (konfiszierte) ist in keinem einzigen Ex. hiehergekommen. Ich möchte aber doch den Artikel „K.M. in Wien"13981 lesen. Kannst Du mir nicht noch ein Ex. besorgen? Übrigens ist es eine namenlose Frechheit, anzuzeigen, die Konfiskation sei so brillant wirksam gewesen, daß Ihr Euch die Kosten einer zweiten, ganz zwecklosen Ausgabe ersparen könnt.14261 Ihr habt's gut in Österreich, sage das in Preußen, und Du bekommst gleich drei Umsturzvorlagen13551 an den Kopf. Wir schicken Dir, sooft Interessantes drin steht, Auszüge aus den Pariser Briefen der Crawford. Ich mache Dich besonders aufmerksam drauf. Sie ist seit über 40 Jahren in Paris, kennt jede Maus persönlich, hat Dossiers über den Lebenslauf aller Politiker und ist eine gute Beurteilerin von Charakteren. An Personalkenntnis kommt ihr kein Mensch in Paris gleich, und daher wirst Du gut tun, auch solche derartige Artikel, die augenblicklich unverwendbar sind, für späteres Nachschlagen zurückzulegen. Sie hat noch immer und alle ihre radikalen und republikanischen Freunde in den Schmutz der Korruption eintauchen gesehen und ist dadurch, Bourgeoise wie sie ist, den Sozialisten merkwürdig zugewandt worden. Nur von einem läßt sie sich nicht abbringen: daß J. Guesde ein Schwiegersohn von Marx ist.
1 der „Arbeiter-Zeitung"
Gestern ging Dir wieder ein Auszug ihrer Korrespondenz zu.'4271 Louise freut sich besonders über die entschiedene Zurückweisung der Frauenvereinspetitionen - siehe Clara Zetkins Artikel in Donnerstags„ Vorwärts"-Beilage.[42SJ Clara hat recht und hat die fest und lang bekämpfte Aufnahme des Artikels doch durchgesetzt. Bravo Clara! Gruß von Louise und Ludwig und dem Baby, das immer vor Vergnügen brüllt, wenn die „Arbeiter-Zeitung" kommt, und Deinem F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
209
Engels an Vera Iwanowna Sassulitsch in London14291
[London, 30. Januar 1895]
Liebe Bürgerin Vera, Ich werde bestimmt entweder morgen zwischen 3 und 5 oder Freitag von 3 bis 4 nachmittags zu Hause sein und mich sehr freuen, Sie zu sehen. Das Buch von G[eorgi]14301 kommt sehr gelegen; heute steht in den Zeitungen, daß Nikolai den Semstwos erklärt hat, er werde genau so entschlossen wie sein Vater1 an der CaMOflepHtaBie2 festhalten. Gegen die Dummheit der Fürsten gibt es kein Mittel.'4311 Um so besser, wenn G[eorgi] $ypopi>3 erregt hat. Immer Ihr F.E.
Aus dem Französischen.
1 Alexander III. - 2 Selbstherrschaft - 3 Aufsehen 26 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
210
Engels an Witold Jodko-Narkiewicz in London
41, Regent's Park Road, N.W. [London] 2. Febr. 95
Werter Genosse, Ich kann Ihnen leider absolut nichts darüber sagen, wie die deutschen Genossen den Vorschlag wegen des Zusatzes im Namen des nächsten Kongresses beurteilen werden.'4321 Was mich selbst angeht, so glaube ich, daß man den Trades Unions für diesmal den Gefallen schon tun könnte, da der Kongreß auf englischem Boden abgehalten wird, wo die Trades Unions doch immer die größte Masse der organisierten Arbeiter hinter sich haben und also ein Kongreß ohne ihre Mitwirkung einen schlechten Effekt machen würde; während andrerseits uns viel daran liegen muß, die Strömung zu befördern, die die Trades Unions mehr und mehr ins sozialistische Lager treibt. Besten Gruß. Ihr F. Engels Beste Grüße auch von Dr. und Frau Freyberger.
211
Engels an Richard Fischer in Berlin
41, Regent's Park Road, N.W. London, 2. Febr. 95
Lieber Fischer, Ihr habt eine eigne Manier, einem die Pistole auf die Brust zu setzen. Hattest Du den Plan wegen der Marx-Artikel, so konntest Du mich doch wohl etwas früher in Kenntnis setzen als jetzt im allerletzten Augenblick.14331 Ich kann in diesen Dingen, wo ich das Eigentum andrer verwalte, die Dinge nicht so übers Knie brechen wie bei Dingen, die nur mich selbst angehn. Nun kommt noch dazu, daß ich grade dabei bin, Dir die Lassalle-Briefe'2001 zurechtzumachen, und die haben sich vor der Umsturzvorlage'3551 weit mehr zu fürchten als die Marx-Artikel - diese Arbeit müßte ich also dann zurücklegen! Also sage mir vor allem: welches Format und Druck Du anwendest und wie stark die Auflage werden soll und Verkaufspreis, denn diesmal verkaufe ich Euch aus diversen Gründen nur das Recht zu einer Auflage von bestimmter Größe. Ich werde inzwischen mit Tussy sprechen; sobald ich Deine Antwort erhalte, bekommst Du definitiven Bescheid. Wenn Du den Verkaufspreis nicht genau angeben kannst, so genügt: zu wieviel Du den Druckbogen verkaufen willst. Ich setze voraus, daß Ihr ein Ex. der „Neuen Rheinischen] ZeitungRevue" habt, wovon Ihr abdrucken könnt. Ich habe selbst nämlich keins, was mir gehört, und hätte ich es, könnte ich es nicht abgeben. Nun noch eins. Als die Buchhandlung des „V[or]w[är]ts" eingerichtet wurde, schrieb mir August, ich würde von allen Euren Publikationen 2 Ex. zugesandt bekommen. Das ist aber in letzter Zeit keineswegs geschehn. Z.B. von Eurer letzten „Manifest"-Ausgabe habe ich keins bekommen, habe überhaupt keins von einer Berliner Ausgabe.'4341 Es fehlen mir auch noch allerlei Kleinigkeiten, von denen ich Dir diejenigen angebe, die mir grade einfallen. Durch deren Zusendung würdest Du mich sehr verbinden, nämlich Euren Abdruck der Umsturzdebatte14351 in 2 Heften, und ein paar „Kommunistische] Manifeste" letzter Ausgabe. - Von den andern mir 26*
fehlenden Sachen sehe ich eben aus Eurem Katalog, daß Ihr daran unschuldig seid, denn sie sind nicht ,bei Euch erschienen. Sonst aber fehlt mir noch Protokoll des Wydener Kongresses 1880[259], do. . Brüsseler do. 1891[132), und wenn Ihr eins über Zürichll20i veröffentlicht habt. Der Katalog, den ich verglichen habe, ist von 189314361, da kann also noch dies und jenes fehlen. Also bitte gib umgehend Auskunft, und ich werde möglichst rasch Dir Definitives zukommen lassen. Grüß Deine Frau und Kinder und alle Freunde bestens. Dein F. Engels
212
Engels an Georgi Walentinowitsch Plechanow in Zürich
London, den 8. Februar 95
Mein lieber Plechanow, F[reyberger] übernimmt es gern, V[era]1 zu untersuchen, aber wie können wir ihr das plausibel machen? F[reyberger] kann doch nicht einfach zu ihr gehen und sagen: G.P[Iechanow] hat mich beauftragt, Sie abzuhorchen. Sie müssen selbst mit ihr darüber reden und erreichen, daß sie einwilligt, und dann wird es am besten sein, daß sie es mir sagt und ich mich um das übrige kümmere. Oder aber, wenn sie will, kann sie auch mit Louise F[reyberger] darüber sprechen, und Louise wird dann alles regeln. So würde ich Ihnen das vorschlagen, wenn Sie aber einen anderen Weg sehen, das gewünschte Ziel zu erreichen, so sagen Sie ihn mir, und dann werden wir weiter sehen.14371 V[era] hat mir Ihr Buch14301 gegeben, für das ich Ihnen danke; ich habe es angefangen, aber es wird Zeit in Anspruch nehmen. Auf jeden Fall ist es ein großer Erfolg, daß es gelungen, ist, es im Land selbst herauszubringen. Das ist eine Etappe mehr, und selbst wenn wir die neue soeben eroberte Position nicht halten können, so ist es immerhin ein Präzedenzfall, das Eis ist gebrochen. Das Verbot der „PyccitaH JKhbhb" scheint schon der Anfang der Reaktion zu sein. Nikolai scheint seine Muschiks durch Zwangserziehung auf die Freiheit vorbereiten zu wollen, so daß für die Verfassung erst die nächste Generation reif sein wird; immerhin eine neue Variante des alten Rezepts: nach uns die Sintflut! Aber die Sintflut ist wie der Teufel aus dem „Faust": Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte. Und wenn der Teufel der Revolution einen beim Kragen hätte, so hat er Nikolai II.2
1 Vera Iwanowna Sassulitsch - 2 in der Handschrift deutsch: Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte. Und wenn der Teufel der Revolution einen beim Kragen hätte, so hat er Nikolai II.
Mir geht es jetzt viel besser als früher. Meine Verdauung ist gut, mein Atmungsapparat völlig in Ordnung, ich schlafe nachts meine 7 Stunden und arbeite mit Vergnügen - bin glücklich, daß ich endlich meine Arbeit wieder aufnehmen kann, nach fast einjähriger Unterbrechung: Korrekturbogen zum 3. Bd.3, Korrespondenz, Umzug, Darmbeschwerden usw. usw. Grüßen Sie Frau Plechanowa und Axelrod von mir sowie von Ludwig und Louise Freyberger. Freundschaftlichst Ihr F. Engels
Da Sie keine besondere Adresse angeben, schreibe ich an die alte.
Aus dem Französischen.
213
Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 8. Febr. 1895
Lieber Hermann, Dein Brief vom 23. kam hier an gleichzeitig mit dem schönen Frostwetter, welches der Versendung von Wein einen argen Streich spielt. Nichtsdestoweniger habe ich Deinen Sherry in Dublin bestellt, aber mir vorbehalten, die Versendungs-Ordre erst zu geben, wenn der Rhein wieder offen und der Wein der Gefahr, unterwegs zu gefrieren, enthoben ist. Ich habe da auch einen gelinden Schrecken ausgestanden, hatte 5 Kisten = 15 Dutzend Portwein und Bordeaux von Dublin unterwegs und ca. 48 Stunden dem sie überraschenden Frost ausgesetzt. Wie es scheint, ist es aber gut gegangen, was ich bis jetzt davon probiert, hat nicht gelitten, und die Ruhe in meinem famosen Weinkeller - gleichmäßige Temperatur und Raum für fast 100 Dutzend in 8 gemauerten Abteilungen - wird den Rest tun. Wir haben hier seit langen Jahren wieder mal einen richtigen kontinentalen Winter. Warm, frühlingswarm bis Neujahr, daß alle Sträucher knospten, dann kalt und seit fast 3 Wochen anhaltend starken Frost (8-10° Celsius — 6-8° Reaumur Frost des Nachts) und Schnee. Wenn der Nordost weht, bitter kalt, wenn aber wie gestern und heute wenig Wind, dann wunderschön. Glücklicherweise haben wir immer soviel Wind, daß kein Nebel entstehen kann, und dabei prachtvollen blauen Himmel. Deine Mühseligkeiten infolge von Essereien, Trinkereien und Tänzereien nebst Ständchen mit Ulanenmusik weiß ich vollkommen zu würdigen.14381 Man nennt das hier the social treadmill, die gesellschaftliche Tretmühle, und so amüsant das auch manchmal in jüngeren Jahren ist, so fatal wird's einem, wenn man älter wird. Ich sträube mich auch mit Händen und Füßen dagegen, um die Weihnachtszeit kommt unsereiner aber auch hier nicht ganz daran vorbei. Die £ 40 habe ich von Wilhelm Pf. richtig und dankend erhalten. Übrigens habe ich diesmal die Tretmühle der Feiertage besser überstanden als sonst, weil ich mich wirklich in acht genommen habe, und fühle mich grade bei dem heimatlichen Frostwetter besser als seit langer Zeit.
Habe auch mein neues Studierzimmer auf seine Erwärmungsfähigkeit bis aufs äußerste durchprobieren können, denn nicht nur ist die außerordentliche Kälte da, sondern obendrein sind die beiden Nebenhäuser beide leer, also ungeheizt, und mein Zimmer stößt an beide Scheidemauern an. Und doch hab* ich's warm halten können. Erst gestern fror ich ein bißchen, aber wenn die Not am größten, ist die Hülfe am nächsten, da kam Rudolfs1 Schlafrock eingesprungen, und ich sprang sofort in denselbigen. Über meine Hausgenossen2 kannst Du Dich bei Oscar Jaeger erkundigen, der sie beide bei mir getroffen hat, als er das letztemal bei uns war; Freyberger war damals grade auf Freiersfüßen den Abend gekommen. Eben habe ich eine Deputation des Kommunalsteuerausschusses im Haus gehabt, die Herren wollen sich überzeugen, daß ich wirklich nicht mehr als £ 85 für das Haus zahle, da der letzte Mieter £ 130 zahlte und das Haus für £ 110 Jahresmiete besteuert wurde, wogegen ich natürlich protestierte. Ich habe den Herren alle Dokumente vorgelegt und werde nun sehn, was sie tun. Da dicht neben mir von 8 Häusern 4 leer stehn, werden sie hoffentlich barmherzig mit mir verfahren. Also lx/2 Dtzd. Nr. 1 und 172Dtzd. Nr. 2 Sherry laut Probe hab* ich bestellt. Da Du weiter nichts schreibst, nehme ich an, daß Walter3 sein Examen glücklich bestanden hat und gratuliere ihm dazu. Und der Elsbeth4 gratuliere ich noch viel mehr zu ihrer bevorstehenden Hochzeit, sie soll mich aber auch den Tag wissen lassen, damit wir hier uns auch auf ihre und ihres Bräutigams5 Gesundheit etwas zugute tun können. Also viele Grüße an Emma6 und alle Deine Kinder, Schwieger- und Kindeskinder. ! Dein alter Friedrich
Den Sherry zahle ich nächsten Mai und belaste ihn unter Aufgabe.
1 Rudolf Engels - 2 Louise und Ludwig Freyberger - 3 Walter Engels - 4 Elsbeth Engels 6 Arthur Schuchard - • Emma Engels
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Engels an Richard Fischer in Berlin
41, Regent's Park Road, N. W. ... , London, 12. Febr. 95 Lieber rischer, Wenn Du selbst der Ansicht bist, daß der Preisunterschied von 60 Pfennig und 1 Mark nur wenig Unterschied im Absatz macht, so bin ich natürlich für die Ausgabe zu Mark 1.-. Gegen eine Honorarzahlung von 400 Mark trete ich Dir also das Recht auf eine Ausgabe bis zu 3000 Ex. ab, und kannst Du mit dem Druck sogleich anfangen.14331 Die „Einleitung" nehme ich sofort in Angriff und schicke sie baldigst ein. Das hiesige Ex. der „Nfeuen] Rh[einischen] Z[ei]t[un]gs-Revue" habe ich im Besitz auf die ausdrückliche Bedingung, es nicht aus dem Hause zu geben, und obendrein brauche ich es selbst sehr notwendig zur Korrektur, da der vorliegende Text in Hamburg korrigiert wurde und von Druckfehlern wimmelt - es war von Marx' Handschrift abgedruckt. Ebensosehr brauche ich es zur „Einleitung" zur Vergleichung. Ich bitte, mir also die erste Korrektur in Fahnen zuzusenden, wo ich dann die nötigen erläuternden Anmerkungen einschieben kann. Notabene, ich behalte mir auch 36 Freiexemplare vor, ich habe an die Erben davon stark abzutreten. Die Lassallebriefe12001 lege ich also inzwischen zurück; da die erläuternde Einleitung und Noten allerhand Nachforschungen in meinen Papieren erfordern, kann ich nicht im voraus sagen, wann ich damit fertig werde. Beim Satz der Marx-Artikel bitte zu beobachten: im Original ist Konstitution, Klasse, Kollision, meist mit C, aber auch wohl mit K geschrieben. Bitte überall K zu setzen; das wird viel Korrigiererei ersparen. Gratuliere zu Deiner Jungfernrede14391, wird die Bourgeois sehr geärgert haben! Viele Grüße allerseits. „ . Dem F. Engels Die diversen Broschüren - 2 Sendungen - sind richtig eingetroffen besten Dank!
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Engels an Richard Fischer in Berlin
London, 13. Febr. 1895
Lieber Fischer, Inliegend Titel sowohl für die Broschüre1 wie für die Kapitel. Zur Vervollständigung der 3 Artikel14331 ist es nötig, aus dem 5. und 6. (Doppel)Heft die Frankreich betreffenden Stellen als 4. Kapitel zuzusetzen. Und zwar in dem Arrangement wie auf inl. Blatt: zuerst (in eckigen Klammern) meine einleitenden paar Worte, dann die Stelle S. 150/1532 wie angegeben, dann eine Zeile Punkte, die Auslassung andeutend, und zum Schluß die Hauptstelle S. 160-171 3. Das gibt ein recht anständiges Kapitel und mit der Abschaffung des allgemeinen Stimmrechts, die dem Bonaparte im Dez. 51 als Vorwand diente'4401, einen sachlichen Abschluß des Ganzen, ohne den es Fragment bliebe. An die Einleitung des Ganzen komme ich morgen. Bei Euch spitzt sich die Sache auch ganz nett zu. Ich kann mir kaum einbilden, daß das Zentrum sich selbst den Ast absägen sollte, auf dem es sitzt.'4411 Aber die Dummheit unsrer Gegner wächst von Tag zu Tag, und da ist schließlich alles möglich. Wird der Umfall der Herren perfekt, so bedeutet das, daß sie Rheinland und Westfalen ganz an uns abtreten. Gruß. Dein F.E. (Auf dem Titel wäre noch beizufügen: Abdruck aus der „Neuen Rheinischen] Zeitung. Polit[isch-]ökonfomische] Revue", Hamburg 1850.)
1 „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" - 2 siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 438 - 440 - 3 siehe Band 7 unserer Ausgabe, S. 446-456
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Engels an Julius Motteier in London14421
41, Regent's Park Road, N.W. [London] 23. Febr. 95
Lieber Julius, Ein Theodor Barlen1 mit Karte vom Dortmunder Verein, aus Spandau durchgebrannter Deserteur, angeblich früher sehr tätiger Parteigenosse in Hörde, Dortmund etc., war bei mir wegen Unterstützung. Ich verwies ihn an den Verein1271. Heute kommt er wieder und sagt, der Verein weigere, ihn an mich zu empfehlen, weil er nicht wisse, ob die Papiere, die er vorzeigt, die seinigen seien. Da ich doch gern einige Auskunft über den Mann hätte, um zu wissen, ob ich ihn definitiv abweisen darf, bitte ich Dich, mich wissen zu lassen, ob sich das so verhält und was man im Verein nach Untersuchung des Falls von ihm hält.'4431 Viele Grüße an Deine Frau und Dich selbst von Deinem F. Engels
1 In der Handschrift: Hermann Barlen
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Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
[London] 26. Februar 95 ...... . , 41, Regent's Park Road, N.W. Mein lieber Lafargue, Ich sende Ihnen registered1 das Manuskript mit einigen Bemerkungen zurück - die Übersetzung ist wie immer ausgezeichnet.1-4441 Es gab eine Verzögerung von einigen Tagen: man will in Berlin die 3 Artikel von Marx über die Ereignisse in Frankreich 1848/49 abdrucken (die 1850 in der „Neuen Rheinischen Zeitung. [Politisch-ökonomische] Revue" veröffentlicht wurden), und das kann nicht ohne Einleitung geschehen14331; sie ist ziemlich lang geworden, denn außer einer allgemeinen Übersicht über die Ereignisse seit dieser Zeit mußte noch erklärt werden, warum wir damals berechtigt waren, auf einen bevorstehenden und endgültigen Sieg des Proletariats zu rechnen, warum es nicht dazu kam und inwieweit die Ereignisse dazu beigetragen haben, daß wir die Dinge heute anders sehen als damals. Das ist wichtig wegen der neuen Gesetze, die uns in Deutschland drohen.13851 Eine Kommission des Reichstags bemüht sich, alle Artikel des Strafgesetzbuchs in Kautschukartikel umzuwandeln, die sich anwenden lassen oder nicht, je nachdem, zu welcher politischen Partei der Angeklagte gehört. Die Rechtfertigung einer als Verbrechen usw. angesehenen Tatsache soll bestraft werden, wenn sie unter Voraussetzungen erfolgt ist, die zu der Annahme berechtigen, daß der Angeklagte provozieren oder zur Nachahmung anreizen wollte! usw. usw. Mit anderen Worten: Sie als Sozialist werden bestraft, wenn Sie etwas gesagt haben, was jeder Konservative, Liberale oder Klerikale ungestraft hätte sagen können. Die Klerikalen in der Kommission sind schlimmer als die Regierung selber. Stellen Sie sich vor, sie fordern zwei Jahre Gefängnis für jeden, der öffentlich oder in der Presse die Existenz Gottes oder die Unsterblichkeit der Seele leugnet! Diese Wut der Reaktion ist völlig sinnlos und absolut unerklärlich, man nähme denn an, daß alle diese Herren von einem Staatsstreich bedroht wären. Dieser Staatsstreich wird von hohen Beamten offen gepredigt.
Konstantin Rößler, Legationsrat, hat ihn in einer Broschüre gefordert, der General a.D. von Boguslawski hat eben das gleiche getan. Die Liberalen und die Klerikalen wissen, daß ihnen bei einem derartigen Regierungsbeschluß nichts anderes übrigbliebe, als sich zu unterwerfen. Angesichts der 2 Millionen sozialistischer Wähler haben diese Herren nicht den Mut, einem Staatsstreich offen entgegenzutreten - die Regierung entwaffnet sie mit dieser Drohung, sie werden zu allem ihre Stimme geben, um die Verfassung und den Frieden im Innern zu „retten"! Sie werden sehen, daß sie alle Steuern, alle Kriegsschiffe, alle neuen Regimenter, die Wilhelm2 fordert, bewilligen werden - wenn sich nicht die Wähler einmischen. Denn die bürgerlichen Abgeordneten bei uns sind so feige, daß ihnen sogar der Mut zur Feigheit fehlen könnte. Auf alle Fälle gehen wir mit großen Schritten einer Krisis entgegen, wenn es überhaupt eine Krisis geben kann in diesem Deutschland der Bourgeoisie, wo sich alles abstumpft. Gewiß ist, daß es für unsere Freunde eine neue Periode von Verfolgungen geben wird. Was unsere Politik betrifft, so muß sie darin bestehen, uns im entsprechenden Augenblick nicht provozieren zu lassen; wir würden ohne Aussicht auf Erfolg kämpfen und bluten müssen wie Paris 1871, während wir unsere Kräfte in zwei oder drei Jahren verdoppeln könnten wie unter dem Ausnahmegesetz11431. Heute würde unsere Partei allein gegen all die anderen kämpfen, die in der Regierung unter der Fahne der sozialen Ordnung vereint sind; in zwei bis drei Jahren werden wir die durch die Steuer ruinierten Bauern und Kleinbürger auf unserer Seite haben. Das Hauptkorps liefert keine Vorpostengefechte, es hält sich für den kritischen Augenblick bereit. Nun, wir werden sehen, wie das endet. Welche Ironie, daß Sie, einer der am besten französisch Schreibenden unserer Zeit, dazu verurteilt sind, fast ständig in Deutsch zu veröffentlichen! und in was für einem Deutsch! Die Übersetzer in Berlin und Stuttgart sind von einer echt germanischen Schwerfälligkeit, nur Adler wird Ihnen gerecht, aber nicht immer wird er Zeit haben, selbst zu übersetzen. Zum Trost kann ich Ihnen sagen, daß ich immer ein wenig französischen Esprit einatme, wenn ich Ihren Übersetzer in Gedanken zurückübersetze, bisweilen gelingt das. Seit 15 Tagen sind wir ohne Wasser, das unter der Straße liegende Leitungsrohr ist eingefroren; sonst aber, im Hause, ist alles wohlauf. Eine Woche lang hatten wir fast gar kein Gas, die Paraffine mit C4, C5, C6 und
mehr Kohlenstoff hatten sich durch die Kälte in den Röhren als feste Körper niedergeschlagen. Das war eine der Perioden, wo London in die Barbarei zurückgeschleudert wird. Und dann versichert der „Standard", gerade dies sei der Beweis, daß England den Gipfel der Zivilisation erreicht hat! Danken Sie Laura für ihre schöne Übersetzung; den Brief, den Sie mir von ihr versprochen haben, habe ich noch nicht erhalten, hoffe aber, daß sie das Ex. des III.Bd.3 bekommen hat, das ich ihr am 1. Januar für Deville geschickt habe. Grüße von Freybergers. Freundschaftlichst Ihr F. E.
Das „Vorwort" des 3. Bd. ist - von Martignetti ins Italienische übersetzt - in der „Rassegna" erschienen13931; Labriola hat es durchgesehen und die Stellen über Loria mit einer Wonne wiedergegeben, die in fast jeder Zeile zum Ausdruck kommt. Loria seinerseits hat den 3. Bd. in der „Nuova Antologia" mit einer Oberflächlichkeit ohnegleichen kritisiert. Der l.Band: Napoleon I., der 2.: der König von Rom, schwindsüchtig, der 3.: Louis Bonaparte III. - In Deutschland hat Werner Sombart, Prof. in Berlin, ein etwas eklektischer Marxist, einen guten Artikel über den 3. Bd. geschrieben. Was ist mit dem 1. Mai? Man spricht in diesem Zusammenhang nur von den Allemanisten1711. Und wie steht es um die Vereinigung oder Trennung der Gruppen, besonders in bezug auf Eure? Vaillant hat mir wieder geschrieben, er will meine Meinung über seine Gesetzentwürfe wissen.4 Ich habe noch keine Zeit gefunden, Jaures' Vortrag über den Materio-Idealismus14451 zu lesen.
Aus dem Französischen.
[Vorschläge von Engels zur französischen Ubersetzung seiner Arbeit „Zur Geschichte des Urchristentums"]14461 P.17 Dans la formation du christianisme tel qu'il a et6 eleve au rang de religion d'Etat par Constantin, l'ecole de Philon d'Alexandrie et la philosophie vulgaire greco-romaine, platonique et notamment sto'ique, ont eu leur puissante part. Cette part est loin d'etre etablie dans les details etc. etc.
p.34 Quelle sainte Indignation n'a pas provoque apres 1830, dans l'Allemagne d'alors, ce pieux pouponnet de, comme Heine l'appelait, la rehabilitation de la chair S.Simonienne! La plus indignee fut la gent aristocratique qui dominait alors (Je ne dis pas la classe aristocratique vu qu'en 1830 il n'existait pas encore de classes chez nous) qui etc.
meme page, dernier mot conception - ce mot ne preterait-il oas trop au calembourg ici?5
S. 17 5 Der gewaltige Anteil, den die philonische Schule Alexandriens und die griechisch-römische Vulgärphilosophie - platonische und namentlich stoische — an der Herausbildung des Christentums haben, das unter Konstantin Staatsreligion wurde, ist noch lange nicht im einzelnen festgestellt usw. usw. S. 34 Welch greuliches Entsetzen rief nicht in Deutschland, der damaligen „frommen Kinderstube", wie Heine es nannte, nach 1830 die saint-simonistische rehabilitation de la chair hervor! Und am greulichsten waren entsetzt jene damals herrschenden vornehmen Stände (ich sage nicht aristokratische Klasse, denn Klassen gab es 1830 noch nicht bei uns), die usw.
Dieselbe Seite, letztes Wort: conception -gibt dieses Wort hier nicht zuviel Anlaß zu Kalauern ?
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Engels an Georgi Walentinowitsch Plechanow in Genf
London, 26. Febr. 95 m L 41' Regent's Park Road, N.W. Mein lieber rlechanow, Alles ist seit 8 Tagen geregelt. Vera1 hat mir geschrieben, daß sie sich gern von Freyb [erger] behandeln lassen würde.2 Dieser hat sie gestern vor 8 Tagen besucht und danach noch zweimal. Er hat eine starke Bronchitis bei ihr festgestellt und ihr die notwendigen Medikamente verschrieben. Aber er sagt, sie braucht vor allem eine reichhaltige Ernährung. Sie müßte Fleisch essen statt aller möglichen Fruchtgelees und anderer vegetarischer Kost. Ffreyberger] ist gerade hingegangen, darum werde ich am Schluß dieses Briefes nochmals auf ihren Gesundheitszustand zurückkommen. Jetzt, da Sie mich ja mehr oder weniger damit beauftragt haben, mich um ihre Gesundheit zu kümmern, müssen Sie mir sagen, ob sie Geld braucht. Wenn ja, dann möchte ich Sie bitten, mir zu gestatten, Ihnen etwas Geld für sie anzubieten, wenigstens für die Zeit ihrer Krankheit. Zunächst einmal würde ich Ihnen, sagen wir, fünf Pfund schicken, die Sie ihr als von Ihnen kommend zustellen würden, so daß ich dabei in keiner Weise in Erscheinung trete. Sie könnten ihr sagen, Sie hätten ihr dieses Geld geschickt, damit sie keine Entschuldigung vorbringen kann, eine Änderung ihrer Lebensweise abzulehnen, und daß Ffreyberger] gesagt hat, sie muß ihre Lebensweise unbedingt ändern. Oder denken Sie sich etwas anderes aus. Ich werde nicht die Zeit haben, die Kritik des „PyccKoe EoraTCTBo" über mein Buch zu lesen. Ich habe über dieses Thema schon in der Nr. vom Januar 94 genug gelesen. Was Danielson betrifft, so fürchte ich, daß nichts mit ihm zu machen ist.14471 Ich habe ihm per Brief^35* den Teil über die russischen Fragen geschickt, der in „Internationales aus dem .Volksstaat'"3 erschienen ist, und vor allem das Nachwort von 1894, das teilweise direkt an seine Adresse gerichtet war.14481 Er hat ihn erhalten, aber wie Sie sehen, war es zwecklos. Es ist ganz unmöglich, mit dieser Generation von Russen zu diskutieren, zu der er gehört und die immer noch an die spontane
1Vera Iwanowna Sassulitsch - 2 siehe vorl. Band, S.405 - 3 in der Handschrift deutsch: „Internationales aus dem .Volksstaat'"
kommunistische Mission glaubt, die Rußland, die wahre CsHTan Pyct4, von den anderen profanen Völkern unterscheidet. Übrigens, in einem Lande wie dem Ihrigen, wo die moderne Großindustrie auf die ursprüngliche Bauerngemeinde aufgepfropft ist und alle Zwischenphasen der Zivilisation nebeneinander bestehen, in einem Lande, das außerdem von einer mehr oder weniger wirksamen geistigen chinesischen Mauer umgeben ist, die der Despotismus errichtet hat, in einem solchen Lande darf man sich nicht wundern, wenn dort die seltsamsten und unmöglichsten Ideenverbindungen entstehen. Sehen Sie den armen Teufel Flerowski an, der sich einbildet, daß Tische und Betten denken, aber kein Gedächtnis haben. Das ist eine Phase, die das Land durchmachen muß. Allmählich, mit dem Anwachsen der Städte, wird die Isolierung der talentvollen Leute verschwinden und mit ihr diese geistigen Verirrungen, die zurückzuführen sind auf die Abgeschlossenheit, auf die Zusammenhanglosigkeit der zufälligen Kenntnisse dieser merkwürdigen Denker und auch ein wenig - bei den HapOHHHKH5 - auf die Verzweiflung, ihre Hoffnungen schwinden zu sehen. In der Tat, ein ex-terroristischer HapOflHHKi» könnte schließlich sehr wohl ein Anhänger des Zarismus werden. Um mich auf diese Polemik einzulassen, müßte ich eine ganze Literatur lesen, sie verfolgen und darauf antworten. Das würde jedoch meine ganze Zeit für ein Jahr verschlingen, und das einzige nützliche Resultat wäre wahrscheinlich, daß ich das Russische viel besser als jetzt beherrschen würde; aber um dasselbe bittet man mich für Italien wegen des illustren Loria. Und ich bin so schon genug mit Arbeit überhäuft! Jaur&s ist auf dem rechten Wege. Er lernt den Marxismus, man sollte ihn nicht allzusehr antreiben. Er hat schon ziemlich große Fortschritte gemacht, viel mehr, als ich zu hoffen wagte. Übrigens verlangen wir nicht zuviel Orthodoxie! die Partei ist so groß und die Theorie von Marx so weit verbreitet, daß die mehr oder weniger isolierten Wirrköpfe nicht viel Unheil im Westen anrichten können. Bei Euch ist das anders, so wie bei uns 1845 -59. Betreffs Nikolaus bin ich Ihrer Meinung. Der 3eMCKiö Goßopt6 wird trotz dieses unbedeutenden Schwachkopfs kommen.'4491 F[reyberger] kommt gerade zurück und sagt, daß es Vera viel besser geht und seine Untersuchung bis jetzt absolut nichts anderes ergab als einen alten und vernachlässigten Bronchialkatarrh. Freundschaftlichst Ihr F E Au s dem Französischen. " "
4 das heilige Rußland - 6 Volkstümlern - 6 Die Ständeversammlung
27 Marx/Engels. Werke, Bd. 39
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Engels an Julius Motteier in London'4421 [London] 2. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Julius, Ich schicke Dir hiermit den Brief von Meyer1 zurück sowie einen von Lütgenau, Dortmund, an mich in derselben Sache2, den ich zurückerbitte. Der Mann ist der richtige Barlen, Barlwin scheint bloßes Mißverständnis von Leuten, die den Namen nie geschrieben sahen. Er konnte den Namen des Vertrauensmanns B[ochum] angeben, bestätigte auch, was M[eyer] wegen Kritzler und des Geldes schrieb - dies Geld, er sprach von 10 Mark, sei aber der Polizei in die Hände gefallen. Ich gab ihm das erste Mal 3 sh., dann heute, als er wiederkam, 10 sh., aber er sagte, das müsse er dem Wirt alles geben und sei dann wieder ohne einen Heller, so gab ich ihm noch 5 sh., in allem 18 sh., aber auch das läßt ihn im größten Pech - er sitzt in einer Räuberhöhle im Matrosenviertel und ist krank im Kehlkopf, kann nicht sprechen, so daß ich kein langes Verhör anstellen konnte. Wenn der Verein'271 nichts weiteres tun kann, könnte er sich doch des armen Teufels soweit annehmen, ihm aus der Matrosengegend heraus in eine Wohnung verhelfen, wo er nicht so ausgebeutet wird und wo er sich nach Arbeit umsehn kann, und ein ganz klein weniges könnten die Leute doch auch tun. Er müßte wenigstens eine Adresse haben, wohin er sich Briefe schicken lassen kann, was nach seiner jetzigen Bude kommt, wird wahrscheinlich Beute des Wirts. Ich käme selbst wegen dieser Geschichte, wegen Deiner Krankheit und wegen der Coheniade'4501 zu Dir, aber ich habe wieder einen meiner Frühjahrsanfälle, der mir das Gehen momentan verbietet. Im übrigen mein herzliches Bedauern wegen Deiner und Deiner Frau Krankheit, die sich hoffentlich bald legt, und meinen Glückwunsch zur blutigen Verkeilung des großen Anarchisten. Er kann sich bei Kropotkin wieder ins Bett legen. Viele Grüße Dir und Deiner Frau von ~ . Deinem F. Engels
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Engels an Edouard Vaillant in Paris
London, den 5. März 1895 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Bürger Vaillant, Es war mir unmöglich, Ihnen früher auf Ihren Brief vom 8. Januar zu antworten - augenblicklich handelt es sich für unsere Freunde in Deutschland darum, die Herausgabe aller in Vorbereitung befindlichen Arbeiten, Broschüren, Artikel usw. nach Möglichkeit zu beschleunigen, ehe das ihnen drohende neue reaktionäre Gesetz13551 in Kraft tritt. Das hat mich veranlaßt und veranlaßt mich auch jetzt noch, mich von morgens bis abends mit rein publizistischen Arbeiten und der damit zusammenhängenden Korrespondenz zu befassen. Um auf Ihre Gesetzentwürfe zurückzukommen14511: der erste, Nr.384, Landwirtschaftsdelegierte, befaßt sich mit einer unbestreitbar nützlichen Einrichtung; als Mittel der Propaganda unter den Landarbeitern wird er sich sehr günstig auswirken, aber er hat keine Aussicht, Gesetzeskraft zu erlangen, besonders nicht in Frankreich, wo die Fabrikinspektion noch so vernachlässigt wird. Nr. 928, kommunaler Landwirtschaftsbezirk. Dieser Plan geht zu sehr auf Details ein, als daß ich darüber mit Sachkenntnis urteilen könnte. Man müßte zunächst wissen, ob nicht in der großen Mehrzahl der Fälle der kommunale Bezirk vorwiegend aus Wäldern, Heide und Ödland besteht oder bestenfalls aus Boden, der nur als Weide geeignet ist und auf dem Ackerbau im eigentlichen Sinne des Wortes nicht nutzvoll betrieben werden kann. So ist es in Deutschland und, wenn ich mich nicht irre, in einem großen Teil von Nord- und Ostfrankreich. In diesem Fall würde man bei der Bebauung dieses Landes, wenn sie nicht in sehr engen Grenzen erfolgt, Gefahr laufen, in die Irrtümer der Nationalwerkstätten von 184814521 zu verfallen. Aber, wie ich schon sagte, um sich hierüber eine Meinung bilden zu können, muß man genaue Sachkenntnis haben. Nr. 933, 8-Stunden-Tag und Mindestlohn für die staatlichen Arbeiter usw., entspricht mehr oder weniger dem, was hier durch den County Council
und teilweise auch durch das Kriegs- und das Marine-Ministerium eingeführt worden ist. Eine sehr nützliche Maßnahme als Beispiel für die Kapitalisten und als Mittel der Propaganda; jedoch haben die Arbeiter vorgestern die Progressisten des County Councils, die diese Maßnahmen eingeführt hatten, im Stich gelassen. Drei dieser Progressisten sind durchgefallen, weil eine unbedeutende Minderheit (50 bis 300 Stimmen) den „sozialistischen", mehr oder weniger „revolutionären" Kandidaten gegeben wurden, aber diese Minderheit genügte, um die Wahl „gemäßigter" Reaktionäre zu sichern.'4631 Nr. 939, Arbeitsministerium usw. Diese Unterteilung der Arbeit, die einen Teil der Funktionen des Innenministeriums von diesem lostrennen und mit neuen vereinen würde, die bisher vernachlässigt wurden, scheint mir sehr nützlich. Über die Einzelheiten der Befugnisse des neuen Ministeriums könnte man an dem Tage ausführlich sprechen, an dem die Sache realisierbar würde. Ich sehe diese Vorschläge als reine Propagandamittel an, denn bei der jetzigen Kammer hätten sie keine Aussicht, angenommen zu werden. Unter diesem Gesichtspunkt würde es sich zunächst um ihre Wirksamkeit handeln und dann darum, festzustellen, ob sie nicht die künftigen Aktionen der Partei in einem Augenblick hemmen könnten, wo wir stark genug wären, zu positiver Gesetzgebung überzugehen. Und unter diesem Aspekt habe ich meine kritischen Bemerkungen gemacht; und da gibt es nur einen Punkt, der mir zweifelhaft erscheint: ob es klug ist, den Bauern 40 Millionen im Jahr in einer so bestimmten Form und für einen so bestimmten Zweck zu versprechen. Die Bauern könnten diesen Wechsel eines Tages präsentieren, und zwar in einem Augenblick, wo man bessere Verwendung für die Summe fände. Dank für Ihre Bemerkungen über Wröblewski.1 Ich habe ausgerechnet, daß die ungefähr 45 sozialistischen Deputierten zusammen jährlich 400 000 francs vom Staat erhalten und daß es bei dieser Summe vielleicht nicht ganz unmöglich wäre, dem einzigen überlebenden General der Kommune eine Jahresrente von, sagen wir, 1200 frs. zu sichern. Ich weiß sehr wohl, daß die Forderungen der Wahlkreise an ihre Deputierten nicht gering bemessen sind; aber hier, glaube ich, handelt es sich um die Ehre des ganzen revolutionären Frankreich. Es wird schwerfallen, der Welt begreiflich zu machen, daß, obwohl die Überlebenden und die Nachfolger der Kommune durch 45 Deputierte in der Kammer vertreten sind, eine Partei von dieser Stärke nicht stark genug ist, ihren alten General vor dem äußersten
Elend zu bewahren. Und dennoch wage ich noch immer zu hoffen, daß man einen Weg finden wird, der es ihm ermöglicht, sein Leben zu fristen, ohne sich der Demütigung einer öffentlichen Sammlung aussetzen zu müssen. Hier bei uns entwickelt sich das sozialistische Gefühl (es ist weit mehr ein Gefühl als eine klare Vorstellung) in den Massen weiter, aber die bestehenden Organisationen und ihre Chefs beharren weiter auf ihren Streitigkeiten und ihrer Rivalität, die sie zur Ohnmacht verdammen. Das kann einen, der den englischen Charakter nicht kennt, zur Verzweiflung bringen; jedenfalls scheint es der europäische Kontinent zu sein, der den Engländern den Anstoß gibt, den sie brauchen. In Frankreich wird sich diese Gaunerbande, die das Land regiert und schrecklich ausbeutet, nicht mehr lange halten können. Ebenso in Italien, wo die Korruption noch viel schamloser ist. In Deutschland drängt alles zu einer Krisis, und Generäle und hohe Staatsbeamte predigen offen den Staatsstreich. Das Ende des Jahrhunderts nimmt eine entschieden revolutionäre Wendung. In Frankreich sind die Sozialisten die einzige wirklich ehrliche Partei, in Deutschland sind sie die einzige wirkliche Oppositionspartei; im Falle einer Krisis gibt es keine andere Partei, auf die man zurückgreifen könnte. In Österreich sind sich alle einig, daß die Sozialisten ins Parlament einziehen werden, es handelt sich nur darum zu entscheiden, durch welche Tür. Und in Rußland hat uns der kleine Nikolaus2 den Dienst erwiesen, die Revolution absolut unvermeidlich zu machen. Herzliche Grüße. F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 5. März 1895 „ 41, Regent's Park Road, N. W. Werter Herr, Es tut mir sehr leid, Ihnen als Antwort auf Ihren freundlichen Brief vom 29. Jan. mitteilen zu müssen, daß unser Autor1 keine für den russischen Übersetzer brauchbaren Manuskripte hinterlassen hat, in denen er seine Ansichten über die Lage des Grundeigentums in Rußland und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen entwickelt.14541 Alles, was ich finden konnte, waren einfache und sehr umfangreiche Auszüge aus russischen statistischen und allgemeinen ökonomischen Quellen, die aber, mehr oder weniger entgegen seiner Gewohnheit, nicht mit eigenen Bemerkungen durchflochten sind. Ich lege Ihnen einen aus Berlin für Sie erhaltenen Brief bei. Der darin erwähnte Herr E[ngels] hat mich gebeten, diesen Brief durch folgende Information zu ergänzen. Herr Efngels] erhielt vor einiger Zeit von einem Dr. Lux, der über ökonomische Fragen schreibt, eine Anfrage: ob Ihre „OiepKll"11361 eine Übersetzung wert seien, und wenn ja, ob er die Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung unterstützen würde? worauf er antwortete, er würde es sehr begrüßen, wenn eine deutsche Übersetzung herausgebracht würde, und würde sie nicht nur Dietz zur Publikation empfehlen, sondern auch nach dem Erscheinen sehr gern einen Artikel darüber in der ,,N[euen] Z[eit]" schreiben, in dem er auf die Bedeutung Ihrer Untersuchungen hinweisen, gleichzeitig aber betonen würde, daß er mit einigen Ihrer Schlußfolgerungen nicht übereinstimmt. Zugleich stellte er fest, daß er, Efngels], keinerlei Recht habe, eine Übersetzung zu autorisieren, und daß der Übersetzer, ein Freund von Dr. Lux, besser direkt bei Ihnen um Ihre Erlaubnis nachsuche. Um Indiskretionen zu vermeiden, bestand er darauf, daß der Brief durch ihn an Sie gesandt wird. Der Übersetzer, ein junger Russe in Berlin, soll angeblich fähig sein, die Arbeit zu übernehmen (Dr. L[ux]'s Frau ist eine Russin), und Dr. L[ux] hat
versprochen, den deutschen Text durchzusehen, damit Genauigkeit gewährleistet ist. Der Übersetzer soll sich auch mit ökonomischen Fragen beschäftigt haben, so daß ihm der Inhalt Ihres Buches nicht fremd ist. Der beigefügte Brief scheint vorauszusetzen, daß Ihre Zustimmung bereits vorliegt, ich zumindest finde darin diesbezüglich keine Spur einer formellen Anfrage an Sie. Ich weiß, daß einige junge Russen 3arpaHHi;H2 der Meinung sind, dies sei eine überflüssige Formalität3, aber ich teile diese Meinung nicht, und sollten Sie überhaupt dazu neigen, auf Herrn K[onow]s Angebot einzugehen, so könnte, glaube ich, eine kleine Anspielung in dieser Beziehung dem jungen Mann nichts schaden. Ich selbst weiß gar nichts über den in Aussicht genommenen Übersetzer. Wenn Sie Ihre Antwort für Herrn K[onow] freundlicherweise an mich senden wollen, will ich dafür sorgen, daß sie sofort weitergeleitet wird. Ihr sehr ergebener L.K.im]
Aus dem Englischen.
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Engels an Richard Fischer in Berlin
[London] 8. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Fischer, Ich habe Euren schweren Bedenken nach Möglichkeit Rechnung getragen, obwohl ich beim besten Willen nicht einsehen kann, worin die Bedenklichkeit bei etwa der Hälfte besteht.'4661 Ich kann doch nicht annehmen, daß Ihr Euch mit Leib und Seele der absoluten Gesetzlichkeit, der Gesetzlichkeit unter allen Umständen, der Gesetzlichkeit auch gegenüber den von ihren Urhebern gebrochenen Gesetzen, kurz der Politik des Hinhaltens der linken Backe dem, der auf die rechte gehauen hat, zu verschreiben beabsichtigt. Im „Vorwärts" wird die Revolution allerdings manchmal mit ebensoviel Kraftaufwand verleugnet, wie früher - vielleicht auch nächstens wieder - gepredigt. Aber das kann ich doch nicht für maßgebend halten. Ich bin der Ansicht, daß Ihr nichts dadurch gewinnt, wenn Ihr den absoluten Verzicht aufs Dreinschlagen predigt. Glauben tut's kein Mensch, und keine Partei irgendeines Landes geht so weit, auf das Recht zu verzichten, der Ungesetzlichkeit mit den Waffen in der Hand zu widerstehn. Auch muß ich darauf Rücksicht nehmen, daß auch Ausländer - Franzosen, Engländer, Schweizer, Österreicher, Italiener etc. - meine Sachen lesen, und vor denen kann ich mich platterdings nicht so weit kompromittieren. Ich habe also Eure Änderungen akzeptiert mit folgenden Ausnahmen: 1. Fahne 9, bei den Massen, heißt es jetzt: „sie müssen begriffen haben, für was sie eintreten sollen"1. - 2. folgender Absatz: der ganze Satz vom Losschlagen gestrichen, Euer Vorschlag enthielt eine tatsächliche Unrichtigkeit. Das Schlagwort vom Losschlagen gebrauchen Franzosen, Italiener etc. alle Tage, nur ist's weniger Ernst. - 3. Fahne 10: „Der sozialdemokratische Umsturz, der augenblicklich davon lebt", wollt Ihr das „augenblicklich" fort, also eine augenblickliche in eine dauernde, eine relative in eine absolut
1 Vgl. Band 22 unserer Ausgabe, S.523
geltende Taktik verwandeln. Das tue ich nicht, kann ich nicht tun, ohne mich unsterblich zu blamieren. Ich vermeide also die Stellung des Gegensatzes und sage: „Der sozialdemokratische Umsturz, dem es gerade jetzt sehr gut bekommt, daß er die Gesetze hält"2. Warum Ihr den Hinweis auf Bismarcks Vorgang 1866 beim Verfassungsbruch gefährlich findet, ist mir absolut unerfindlich. Das ist doch ein argumentum ad hominem3 wie kein zweites. Jedoch, ich tue Euch den Gefallen. So, weiter kann ich aber absolut nicht gehen. Ich habe mein möglichstes getan, Euch Ungelegenheiten in der Debatte zu ersparen. Aber Ihr tätet besser, den Standpunkt zu wahren, daß die Verpflichtung zur Gesetzlichkeit eine juristische, keine moralische ist, wie Euch das der Boguslawski (der ein langes s hat) ja so schön vorgemacht hat; und daß sie vollends aufhört, wenn die Machthaber die Gesetze brechen. Ihr habt aber - oder wenigstens dieser und jener unter Euch - die Schwäche gehabt, dem Anspruch der Gegner nicht gehörig entgegenzutreten: die Verpflichtung zur Gesetzlichkeit auch als eine moralische anzuerkennen, als eine unter allen Umständen bindende, statt zu sagen: Ihr habt die Macht, ihr macht die Gesetze, übertreten wir sie, so könnt ihr uns nach diesen Gesetzen behandeln, wir müssen das ertragen und damit ist's aus, wir haben weiter keine Pflicht, ihr weiter kein Recht. So haben's die Katholiken gemacht unter den Maigesetzen, so die Altlutheraner in Meißen, so jener mennonitische Soldat, der in allen Zeitungen figuriert, und den Standpunkt dürft Ihr nicht verleugnen. Die Umsturzvorlage13651 geht sowieso in die Brüche, sowas ist gar nicht zu formulieren und noch weniger durchzuführen, und haben die Leute die Macht, so knebeln und zwiebeln sie Euch doch in irgendeiner Weise. Wenn Ihr aber den Leuten in der Regierung klarmachen wollt, daß wir nur deshalb warten wollen, weil wir noch nicht stark genug sind, uns selbst zu helfen, und weil die Armee noch nicht gründlich verseucht ist - ja, dann liebe Leute, warum renommiert Ihr dann alle Tage in den Blättern mit den Riesenfortschritten und Erfolgen der Partei? Die Leute wissen ja so gut wie wir, daß wir mit Macht dem Sieg entgegenrücken, daß wir in ein paar Jahren unwiderstehlich werden, und deswegen wollen sie uns schon jetzt an den Kragen, leider wissen sie nicht wie. Daran können unsre Reden nichts ändern, das wissen sie alles so gut wie wir und ebenso wissen sie, daß, haben wir die Macht, wir sie gebrauchen werden, wie's uns dient und nicht ihnen. Also wenn's zur Generaldebatte im Plenum kommt, denkt a bissei daran, daß Ihr das Recht des Widerstands ebensogut wahrt wie es Boguslawski
uns gewahrt hat, daß Ihr auch alte Revolutionäre, Franzosen, Italiener, Spanier, Ungarn, Engländer unter Euren Zuhörern habt und daß, wer weiß wie bald, die Zeit wiederkommen kann, wo Ernst gemacht wird mit der Streichung des „gesetzlich", die anno Tobak in Wyden vollzogen wurde.'259' Seht doch die Österreicher an, die so direkt wie möglich mit der Gewalt drohen, wenn's Wahlrecht nicht bald kommt!'4561 Denkt an Eure eigenen Ungesetzlichkeiten unter dem Sozialistengesetz11431, das man Euch wieder anhängen möchte! Gesetzlichkeit so lange und so weit sie uns paßt, aber keine Gesetzlichkeit um jeden Preis, selbst nicht in der Phrase! Dein F.E.
Verdeutschung der Zitate (die meisten sind's schon im Text) jetzt zu spät, schon im Bogen umgebrochen. Die Korrektur geht nach Hamburg von hier.
Nach: „International Review of Social History", Amsterdam, Vol. XII, Part. 2, 1967.
223
Engels an Werner Sombart in Breslau
London, 11.März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Hochgeehrter Herr, Ich danke Ihnen in ergebner Erwiderung Ihrer Zeilen vom 14. v. M. für gütige Einsendung Ihrer Arbeit über Marx; ich hatte sie bereits in dem mir von Dr. H.Braun freundlichst zugesandten Heft des „Archivs" mit großem Interesse gelesen und mich gefreut, ein solches Verständnis des „Kapital"1 endlich auch einmal an einer deutschen Universität zu finden. Selbstverständlich kann ich mich nicht mit allen den Ausdrücken identifizieren, in welche Sie die Marxsche Darstellung hineinübersetzen. Speziell erscheinen mir die auf S.576 und [5]77 gegebnen Umschreibungen des Wertbegriffs als etwas zu weit gefaßt: ich würde sie erstens historisch begrenzen durch ausdrückliche Beschränkung auf die ökonomische Phase, worin bisher allein vom Wert die Rede war und sein konnte - auf die Gesellschaftsformen, bei denen Warenaustausch resp. Warenproduktion besteht; der ursprüngliche Kommunismus kannte keinen Wert. Und zweitens scheint der Satz mir auch noch einer begrifflich engeren Fassung fähig. Doch das würde zu weit führen, in der Hauptsache haben Sie ja doch das Richtige gesagt. Nun appellieren Sie aber S.586 direkt an mich, so daß ich lachen mußte über die gemütliche Art, wie Sie mir da die Pistole auf die Brust setzen. Aber Sie können ruhig sein, ich werde Sie „nicht des Gegenteils versichern". Die begrifflichen Übergänge, vermittelst deren Marx von den verschieden in den einzelnen kapitalistischen Geschäften produzierten Werten von — = ^ y zu der allgemeinen gleichen Profitrate kommt, sind dem Bewußtsein des einzelnen Kapitalisten vollständig fremd. Soweit sie eine historische Parallele oder eine außer unsern Köpfen bestehende Realität haben, finden sie diese etwa in den Übergängen der einzelnen Bestandteile
des vom Kapitalisten A über die Profitrate resp. seinen Anteil am Gesamtmehrwert hinaus produzierten Stücks Mehrwert in die Tasche des Kapitalisten B, dessen selbstproduzierter Mehrwert normaliter unter der [auf] ihn kommenden Dividende bleibt. Aber dieser Prozeß vollzieht sich objektiv, in den Dingen, bewußtlos, und wir können erst jetzt beurteilen, wieviel Arbeit es gekostet hat, bis wir das richtige Bewußtsein uns darüber errungen haben. Hätte die Durchschnittsprofitrate zu ihrer Herstellung die bewußte Mitarbeit der einzelnen Kapitalisten erfordert, hätte der einzelne Kapitalist gewußt, daß er Mehrwert produziert, und wieviel, und daß er in vielen Fällen von seinem Mehrwert abgeben muß, so wäre ja der Zusammenhang zwischen Mehrwert und Profit von vornherein ziemlich klar gewesen und stände sicher schon im Adam Smith, wo nicht schon im Petty. Nach der Marxschen Auffassung geht alle bisherige Geschichte, was die großen Ergebnisse angeht, bewußtlos vor sich, d.h. diese Ergebnisse und ihre weiteren Folgen sind nicht gewollt; die geschichtlichen Figuranten haben entweder direkt etwas andres gewollt als das Erreichte, oder dies Erreichte zieht wieder ganz andre unvorhergesehene Folgen nach sich. Aufs ökonomische angewandt: die einzelnen Kapitalisten jagen jeder für sich dem größeren Profit nach. Die bürgerliche Ökonomie entdeckt, daß diese Jagd nach dem größeren Profit jedes einzelnen zum Resultat hat die allgemeine gleiche Profitrate, den annähernd gleichen Profitsatz für jeden. Aber weder die Kapitalisten noch die bürgerlichen Ökonomen sind sich bewußt, daß das wirkliche Ziel dieser Jagd die gleichmäßige prozentige Verteilung des Gesamtmehrwerts auf das Gesamtkapital ist. Wie aber ist der Ausgleichungsprozeß in Wirklichkeit vorgegangen? Das ist ein sehr interessanter Punkt, über den Marx selbst nicht viel sagt. Aber die ganze Auffassungsweise von Marx ist nicht eine Doktrin, sondern eine Methode. Sie gibt keine fertigen Dogmen, sondern Anhaltspunkte zu weiterer Untersuchung und die Methode für diese Untersuchung. Hier ist also ein Stück Arbeit zu leisten, das M[arx] bei diesem ersten Entwurf nicht selbst bearbeitet hat. Hier haben wir zunächst die Angaben S. 153-156, III, I2, die auch für Ihre Wiedergabe des Wertbegriffs wichtig sind und beweisen, daß er mehr Realität besitzt oder besaß, als Sie ihm zuschreiben. Im Anfang des Austausches, als die Produkte sich allmählich in Waren verwandelten, wurde ausgetauscht annähernd im Verhältnis der Werte. Die auf zwei Gegenstände verwandte Arbeit war eben das einzige Kriterium ihrer quantitativen Vergleichung. Damals also hatte der Wert eine unmittelbare
2 siebe Band 25 unserer Ausgabe, S. 184-187
reale Existenz. Daß diese unmittelbare Verwirklichung des Werts im Austausch aufhörte, daß sie jetzt nicht mehr besteht, wissen wir. Und ich glaube, es wird Ihnen keine besondern Schwierigkeiten machen, die Mittelglieder, im ganzen und großen wenigstens, aufzuweisen, die von jenem unmittelbarrealen Wert zu dem Wert der kapitalistischen Produktionsform führen, der so gründlich verborgen ist, daß unsre Ökonomen seine Existenz ruhig leugnen können. Eine wirklich historische Darlegung dieses Prozesses, die allerdings tüchtiges Studium erfordert, aber dafür auch reichlich lohnende Resultate verspricht, wäre eine sehr wertvolle Ergänzung zum „Kapital"14571. Schließlich muß ich mich noch bei Ihnen bedanken für die gute Meinung, die Sie von mir haben, wenn Sie der Ansicht sind, ich hätte aus dem II I.Band etwas Besseres machen können, als er ist. Ich kann aber diese Meinung nicht teilen und glaube meine Pflicht getan zu haben, indem ich Marx in Marx' Worten gab, selbst auf die Gefahr hin, dem Leser etwas mehr eignes Denken zuzumuten. Hochachtungsvoll und ergebenst F. Engels
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Engels an Conrad Schmidt in Zürich
London, 12. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Schmidt, Ihre beiden Briefe vom 13.Nov. v.J. und l.ds. liegen vor mir. Ich fange an mit Nr. 2 als dem aktuellsten. Was Fireman angeht, so lassen Sie das nur gut sein. Lexis hatte die S m Frage nur gestellt'4581, Sie in rr?—;—c ebenfalls14591. Er allein ist auf dem S(c+v) richtigen Weg einen Schritt toetfergegangen, indem er die von Ihnen sumt tt t/r r , ., m m m . . mxert e Reihe / , \ 7v * n \ 77\ / *n \ Tn\ ... usw. klassifizierte, sie (c +v) (c +v ) (c +v ) einteilte in die Gruppen der Produktionszweige nach der verschiednen Zusammensetzung des Kapitals, zwischen denen nur die Ausgleichung durch die Konkurrenz stattfindet. Daß dieser Schritt der nächstwichtige war, zeigt Ihnen der Marxsche Text selbst, wo bis zu jenem Punkt gradeso verfahren wird. F[ireman]s Fehler war, daß er hier abbrach, hierbei sich beruhigte und daher unbeachtet bleiben mußte, bis das Buch1 selbst erschien. - Aber seien Sie doch nur ja ruhig. Sie können wahrhaftig zufrieden sein. Haben Sie doch die Ursache des tendenziellen Falls der Profitrate und die Bildung des Handelsprofits selbständig gefunden, und das nicht zu 2/3, wie Fireman die Profitrate, sondern ganz und gar. Wieso Sie sich bei der Profitrate auf einen Seitenweg begeben, darüber verschafft mir, glaube ich, Ihr Brief einige Aufklärung. Ich finde da dieselbe Art der Abweichung ins Detail und schiebe sie auf die auf deutschen Universitäten seit 48 eingerissene eklektische Methode des Philosophierens, die allen Überblick verliert und nur zu oft in ein ziemlich end- und erfolgloses Spintisieren über Einzelheiten sich verläuft. Nun hatten Sie aber grade früher sich von den Klassikern vorwiegend mit Kant beschäftigt, und Kant war durch den Stand des deutschen Philosophierens seiner Zeit und
durch seinen Gegensatz zum pedantischen Wolfschen Leibnizianismus mehr oder weniger gezwungen, in der Form diesem Wolfschen Spintisieren scheinbare Konzessionen zu machen. So erkläre ich mir Ihre Neigung, die sich auch in Ihrem brieflichen Exkurs über das Wertgesetz zeigt, sich in Einzelheiten zu vertiefen, wobei mir der Gesamtzusammenhang nicht immer beachtet scheint, derart, daß Sie das Wertgesetz zu einer Fiktion, einer notwendigen Fiktion degradieren, etwa wie Kant das Dasein Gottes zu einem Postulat der praktischen Vernunft. Die Vorwürfe, die Sie dem Wertgesetz machen, treffen alle Begriffe, vom Standpunkt der Wirklichkeit aus betrachtet. Die Identität von Denken und Sein, um mich hegelsch auszudrücken, deckt sich überall mit Ihrem Beispiel von Kreis und Polygon. Oder die beiden, der Begriff einer Sache und ihre Wirklichkeit, laufen nebeneinander wie zwei Asymptoten, sich stets einander nähernd und doch nie zusammentreffend. Dieser Unterschied beider ist eben der Unterschied, der es macht, daß der Begriff nicht ohne weiteres, unmittelbar, schon die Realität, und die Realität nicht unmittelbar ihr eigner Begriff ist. Deswegen, daß ein Begriff die wesentliche Natur des Begriffs hat, daß er also nicht ohne weiteres prima facie2 sich mit der Realität deckt, aus der er erst abstrahiert werden mußte, deswegen ist er immer noch mehr als eine Fiktion, es sei denn, Sie erklären alle Denkresultate für Fiktionen, weil die Wirklichkeit ihnen nur auf einem großen Umweg, und auch dann nur asymptotisch annähernd, entspricht. Geht es der allgemeinen Profitrate anders? Sie existiert in jedem Augenblick nur annähernd. Wenn sie sich einmal in zwei Etablissements bis aufs Tüpfelchen auf dem i realisiert, wenn beide in einem gegebnen Jahr genau dieselbe Profitrate erwirken, so ist das purer Zufall, in Wirklichkeit wechseln die Profitraten je nach den verschiednen Umständen von Geschäft zu Geschäft und von Jahr zu Jahr, und die allgemeine Rate existiert nur als Durchschnitt vieler Geschäfte und einer Reihe von Jahren. Wollten wir aber verlangen, die Profitrate solle - sage 14,876934... bis auf die lOOste Dezimalstelle in jedem Geschäft und jedem Jahr genau gleich sein, bei Strafe der Degradation zur Fiktion, so würden wir die Natur der Profitrate und der ökonomischen Gesetze überhaupt arg verkennen - sie alle haben keine andre Realität als in der Annäherung, der Tendenz, im Durchschnitt, aber nicht in der unmittelbaren Wirklichkeit. Das kommt einesteils daher, daß ihre Aktion von der gleichzeitigen Aktion andrer Gesetze durchkreuzt wird, teilweise aber auch von ihrer Natur als Begriffe.
Oder nehmen Sie das Gesetz des Arbeitslohns, die Realisierung des Werts der Arbeitskraft, der nur, und selbst das nicht immer, im Durchschnitt sich verwirklicht und in jeder Lokalität, ja jeder Branche, nach der gewohnten Lebenshaltung variiert. Oder die Grundrente, den aus einer monopolisierten Naturkraft entspringenden Surplusprofit über die allgemeine Rate darstellend. Auch da deckt sich wirklicher Surplusprofit und wirkliche Rente keineswegs ohne weiteres, sondern nur annähernd im Durchschnitt. Genau so geht's mit dem Wertgesetz und der Verteilung des Mehrwerts durch die Profitrate. 1. Beides kommt erst zur vollständigst angenäherten Realisierung unter der Voraussetzung, daß die kapitalistische Produktion überall vollständig durchgeführt, d. h. die Gesellschaft reduziert ist auf die modernen Klassen der Grundbesitzer, Kapitalisten (Industrielle und Händler) und Arbeiter, alle Zwischenstufen aber beseitigt. Das existiert noch nicht einmal in England und wird nie existieren, so weit lassen wir's nicht kommen. 2. Besteht der Profit inkl. Rente aus verschiednen Bestandteilen: a) dem Profit aus Prellerei - der sich in der algebraischen Summe aufhebt; b) dem Profit aus Wertsteigerung von Lagerbeständen (dem Rest z. B. der letzten Ernte, wenn die nächste mißrät). Dies soll sich theoretisch auch schließlich ausgleichen, soweit nicht schon durch Wertfall andrer Waren aufgehoben, indem entweder die kaufenden Kapitalisten so viel zuschießen müssen wie die verkaufenden gewinnen, oder aber, bei Lebensmitteln für Arbeiter, auf die Dauer der Lohn steigen muß. Die wesentlichsten dieser Wertsteigerungen sind aber nicht auf die Dauer, die Ausgleichung findet also statt nur im Durchschnitt der Jahre, und höchst unvollkommen, notorisch auf Kosten der Arbeiter; sie produzieren mehr Mehrwert, weil ihre Arbeitskraft nicht voll bezahlt wird; c) der Gesamtsumme des Mehrwerts, von der aber wieder der Teil abgeht, der dem Käufer geschenkt wird, besonders in Krisen, wo die Uberproduktion auf ihren wirklichen Gehalt von gesellschaftlich notwendiger Arbeit reduziert wird. x Hieraus folgt ja schon von vornherein, daß der Gesamtprofit und Gesamtmehrwert sich nur annähernd decken können. Nehmen Sie aber noch hinzu, daß sowohl der Gesamtmehrwert wie das Gesamtkapital keine konstanten, sondern variable Größen sind, die von Tag zu Tag sich ändern, so 2m erscheint jede andre Deckung der Profitrate durch =7—;—r als durch eine E(c+v) annähernde Reihe und jedes andre als ein stets der Einheit zustrebendes und
stets wieder von ihr doch sich entfernendes Zusammenfallen von Gesamtpreis und Gesamtwert als eine pure Unmöglichkeit. Mit andern Worten, die Einheit von Begriff und Erscheinung stellt sich dar als wesentlich unendlicher Prozeß, und das ist sie, in diesem Fall wie in allen andern. Ist denn die Feudalität jemals ihrem Begriff entsprechend gewesen? Im Westfrankenreich gegründet, in der Normandie durch die norwegischen Eroberer weiterentwickelt, durch die französischen Normannen in England und Süditalien fortgebildet, kam sie ihrem Begriff am nächsten - im ephemeren Königreich Jerusalem, das in den Assises de Jerusalem14601 den klassischsten Ausdruck der feudalen Ordnung hinterlassen hat. War diese Ordnung deswegen eine Fiktion, weil sie nur in Palästina eine kurzlebige Existenz in voller Klassizität zustande brachte, und auch das nur - größtenteils auf dem Papier? Oder sind die in der Naturwissenschaft herrschenden Begriffe Fiktionen, weil sie sich keineswegs immer mit der Realität decken? Von dem Augenblick, wo wir die Evolutionstheorie akzeptieren, entsprechen alle unsre Begriffe vom organischen Leben nur annähernd der Wirklichkeit. Sonst gäbe es keine Veränderung; an dem Tag, wo Begriff und Wirklichkeit in der organischen Welt sich absolut decken, ist es am Ende mit der Entwicklung. Der Begriff Fisch schließt ein Leben im Wasser und Atmen mit Kiemen; wie wollen Sie vom Fisch zum Amphibium kommen ohne Durchbrechen dieses Begriffs? Und er ist durchbrochen worden, und wir kennen eine ganze Reihe von Fischen, die ihre Luftblase zur Lunge weiterentwickelt haben und Luft atmen können. Wie wollen Sie vom eierlegenden Reptil zum Säugetier kommen, das lebendige Junge austrägt, ohne einen oder beide Begriffe mit der Realität in Konflikt zu bringen? Und in Wirklichkeit haben wir in den Monotremen eine ganze Unterklasse eierlegender Säugetiere - ich habe die Eier des Schnabeltiers 1843 in Manchester gesehn und in hochmütiger Borniertheit die Dummheit verspottet, als ob ein Säugetier Eier legen könnte, und jetzt ist's bewiesen! Tun Sie also nicht dem Wertbegriff dasselbe an, weswegen ich nachträglich das Schnabeltier um Verzeihung bitten mußte! Auch in Sombarts sonst sehr gutem Artikel über den II I.Band3 finde ich diese Neigung, die Werttheorie abzuschwächen; er hatte offenbar auch eine etwas andre Lösung erwartet. Ihr Artikel im „Centralblatt" ist aber sehr gut, und der Nachweis des spezifischen Unterschieds der Marxschen Profitratentheorie - durch die
3 des „Kapitals"
28 Marx/Engels, Werke. Bd. 39
quantitative Bestimmtheit - von der der alten Ökonomie sehr gut durchgeführt. Der illustre Loria in seiner Gescheitheit sieht im 3.Band eine direkte Preisgebung der Werttheorie, und da ist Ihr Artikel die fixe und fertige Antwort. Nun sind zwei Leute dabei interessiert, Labriola in Rom und Lafargue, der in der „Critica Sociale" mit Loria in Polemik steht.'461' Könnten Sie also ein Ex. schicken an Prof. Antonio Labriola, Corso Vittorio Emmanuele 251, Rom, so würde dieser sein möglichstes tun, eine italienische Übersetzung desselben herauszugeben; und ein zweites Ex. an Paul Lafargue, Le Perreux, Seine, France, würde diesem den nötigen Anhalt geben und er Sie zitieren. Ich habe an beide deswegen geschrieben'1351, daß Ihr Artikel die Antwort auf den Hauptpunkt fertig enthält. Können Sie die Ex. nicht besorgen, so, bitte, zeigen Sie es mir an. Hiermit muß ich aber schließen, sonst werde ich gar nicht fertig. Beste Grüße. Ihr F. Engels
225
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
Lieber B[aron], In aller Eile die Mitteilung, daß PJlechanow] meinen Brief falsch gelesen oder verstanden hat.1 Ich denke nicht daran, den L[oria] zu verarbeiten, und habe sofort an P[lechanow] geschrieben11351, er solle sich ja nicht abhalten lassen. L[oria] hat auf die Vorrede geantwortet, ich werde im äußersten Notfall, sonst nicht, darauf ein paar Worte erwidern, das ist alles. Von Rom aus habe ich alles von dem Mann Erlassene zugeschickt erhalten. Die Geschichte von Platter14621 nähme ich mit Dank entgegen. W.Somb[art] habe ich - ist gut. Daß Du den Enrico F[erri] damit abgewiesen, freut mich, der Mann ist absolut unfähig, über den III.Band2 zu schreiben. - Meine Vorrede ist italienisch erschienen, soll eingeschlagen haben.'3931 Dein F E [London] 13./3./95
1 Siehe vorl. Band, S.417 - 2 des „Kapitals"
28*
226
Engels an Victor Adler in Wien
London, 16. März 1895
Lieber Victor, Hiemit sogleich die verlangte Auskunft. Sombarts Artikel ist recht gut, nur leidet seine Auffassung des Wertgesetzes an einiger Enttäuschung von wegen der Lösung der Profitratenfrage. Er hatte offenbar auf ein Wunder gerechnet und findet statt dessen das einfach Rationelle, das alles, nur nicht wundertätig ist. Daher seine Reduktion der Bedeutung des Wertgesetzes auf Durchsetzung der Produktivkraft der Arbeit als entscheidender ökonomischer Macht. Das ist viel zu allgemein und unbestimmt. - Sehr gut ist der Artikel vom kleinen Conrad Schmidt im „Soz[ial]pol [irischen] Centraiblatt". E.Bernsteins Artikel waren sehr konfus14631, der Mann ist noch immer neurasthenisch und dabei schmählich überarbeitet, hat zuviel Verschiedenes in der Hand, ließ die Sache liegen und wurde dann plötzlich von K. K[autsky] um den Artikel getreten. Da Du im Loch14641 „Kapital" II und III ochsen willst, so will ich Dir zur Erleichterung einige Winke geben. Buch II. Abschnitt I. Lies Kap. 1 gründlich, dann kannst Du 2. und 3. Kap. leichter nehmen, Kap. 4 wieder als Resümee genauer; 5. und 6. sind leicht und besonders 6. behandelt Nebensächliches. Abschnitt II. Kap.7-9 wichtig. Besonders wichtig 10. und 11. Ebenso 12., 13., 14. Dagegen 15., 16., 17. zunächst nur für kursorische Lektüre. Abschnitt III. Ist eine ganz ausgezeichnete Darstellung des hier seit den Physiokraten zum erstenmal behandelten Gesamtkreislaufs von Waren und Geld in der kapitalistischen Gesellschaft - ausgezeichnet dem Inhalt nach, aber furchtbar schwerfällig der Form nach, weil 1. zusammengeflickt aus zwei Bearbeitungen, die nach zwei verschiedenen Methoden verfahren, und 2. weil Bearbeitung Nr. 2 in einem Krankheitszustand gewaltsam zu Ende geführt wurde, wo das Hirn an chronischer Schlaflosigkeit litt. Das würde ich mir aufbewahren bis ganz zuletzt, nach erster Durcharbeit von Buch III. Es ist auch für Deine Arbeit noch am ersten entbehrlich.
Dann das dritte Buch. Hier ist wichtig: Im I.Abschnitt Kap. 1-4, dagegen für den allgemeinen Zusammenhang weniger wichtig, also zunächst nicht viel Zeit darauf zu verwenden. Kap. 5, 6, 7. Abschnitt II. Sehr wichtig Kap.8,9,10. Kursorisch zu behandeln 11 und 12. Abschnitt III. Sehr wichtig, alles, 13-15. Abschnitt IV. Ebenfalls sehr wichtig, aber auch leicht zu lesen 16 bis 20. Abschnitt V. Sehr wichtig Kap.21-27. Weniger Kap.28. Wichtig Kap.29. Im ganzen unwichtig für Deine Zwecke Kap.30-32, wichtig, sobald es sich um Papiergeld etc. handelt, 33 und 34, über internationalen Wechselkurs wichtig 35, sehr interessant für Dich und leicht zu lesen 36. Abschnitt VI. Grundrente. 37 und 38 wichtig. Weniger, aber doch mitzunehmen 39 und 40. Mehr zu vernachlässigen 41-43. (Differentialrente II, Einzelfälle.) 44-47 wieder wichtig und meist auch leicht zu lesen. Abschnitt VII sehr schön, leider Torso und obendrein auch mit starken Spuren von Schlaflosigkeit. So, wenn Du hiernach die Hauptsache gründlich und das weniger Wichtige zunächst oberflächlich durchnimmst (am besten vorher die Hauptsachen aus Bd. I nochmals zu lesen), so wirst Du einen Überblick über das Ganze bekommen und nachher die vernachlässigten Stellen auch leichter verarbeiten. Deine Nachrichten über das Blatt haben uns sehr gefreut. Die politische Wirkung ist die Hauptsache, die finanzielle folgt schon und wird sehr erleichtert und beschleunigt, sobald jene gesichert. Ich sehe mit Vergnügen Deine Hand in den Wahlreformnotizen der ersten Seite14561 - da liegt das fulcrum1 für die entscheidende Wirkung. Ich bin wieder ein bißchen lahm von wegen der alten Geschichte, die periodisch, besonders im Frühjahr, mich etwas plagt, doch ist's weniger als früher und leichter, in ca. 14 Tagen, denk' ich, ist's vorbei, ohne daß ich wie 93 und 94 Seeluft brauchen muß. Die hiesige Bewegung resümiert sich dahin: In den Massen geht der instinktmäßige Fortschritt seinen Gang, die Tendenz wird eingehalten; sowie es aber dahin kommt, diesem Instinkt und dieser triebmäßigen Tendenz bewußten Ausdruck zu geben, geschieht dies durch die Sektenführer in einer so dummen und bornierten Weise, daß man rechts und links Ohr
feigen austeilen möchte. Aber dies ist nun einmal die richtige angelsächsische Methode. Viele Grüße. Dein F.E.
Nach: Victor Adler, „Aufsätze, Reden und Briefe", Heft 1, Wien 1922.
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Engels an Pablo Iglesias in Madrid (Entwurf)
[London, 16. März 1895]
Lieber Freund Ifglesias], Ich konnte nicht früher auf Deinen Brief vom 19. Okt. 94 antworten, weil ich nicht wußte, ob Du schon aus dem Gefängnis von Malaga entlassen warst oder nicht14651, und auf Deinen Brief vom 1. Febr. nicht, weil ich damit beschäftigt war, für unsere Berliner Freunde einige Publikationen fertigzustellen, die in Umlauf gebracht werden sollen, bevor die neuen Gesetzentwürfe für weitere Repressalien13551 Gesetzeskraft erlangt haben. Die Freunde aus Barcelona hatten noch vor Deinem Brief vom 19. Oktober die Genn. E[leanor] M[arx]-A[veling] beauftragt, die englischen Trade-Unions über die Lage der Streikenden in Malaga zu informieren, und sie hatte alles getan, was sie konnte, so daß mir nichts mehr zu tun blieb. Und wie Du weißt, haben einige dieser Trade-Unions Euch geholfen. Was die wirklich sozialistischen Organisationen in England angeht, so sind sie so uneinig und so arm, daß man von ihnen keine Hilfe erwarten kann. Mit viel Interesse habe ich den Verlauf dieses Streiks verfolgt und die Zähigkeit und den Mut dieser Arbeiter und Arbeiterinnen bewundert. Der Name des Marquis de Larios hat mich an eine Geschichte erinnert, die sich um 1850 zugetragen hat. Damals gab es in Gibraltar ein Handelshaus Gebrüder Larios (Juden). Ein englischer Kaufmann schickte ihnen viele seiner Waren in Konsignation, damit diese sie als Schmuggelware an andere Kaufleute auf spanischem Territorium verkaufen. Diese Waren wurden stets von den spanischen Zollbeamten beschlagnahmt, und die Larios zahlten an den Engländer den für die Waren garantierten Versicherungswert, wie das bei solcher Art von Geschäften üblich ist. Aber das behagte dem Engländer ganz und gar nicht; er verschwand vom spanischen Markt und verlor den größten Teil des Gewinns. Er fuhr nach Gibraltar, um selbst festzustellen, weshalb diese Zufälle immer gerade seine Waren betrafen und nicht die der anderen. Er konnte jedoch die Ursache nicht finden. Als er eines Tages durch die Stadt
spazierte, erblickte er einen Karren, der ein Rad verlor, so daß einige Kisten mit Waren auf die Erde fielen und zerbrachen. Es waren seine Kisten, sie trugen sein Firmenzeichen; aber anstatt Waren enthielten sie Sand. Das Rätsel war gelöst. Es war klar, die Larios benachrichtigten die spanischen Küstenwachen von der Absendung der mit Sand gefüllten Kisten, die daraufhin beschlagnahmt wurden, und bezahlten dem Engländer die Versicherungssumme; dann expedierten sie die Waren auf eigene Rechnung und auf sicherem Wege an ihre spanischen Mittelsmänner und eigneten sich so ohne Risiko den ganzen Gewinn am Geschäft an. Der wütende Engländer eilte zur Firma Larios. „Ich werde das alles an die Öffentlichkeit bringen, ich werde Ihnen einen Skandal machen und Sie vors Gericht schleppen"! - „Mein Herr, warum diese ganze Aufregung? Wir werden Ihnen so viel zahlen, wie Sie wollen, und Sie werden jede gewünschte Satisfaktion erhalten." Und nach vielem Hin und Her wurde dem Engländer eine bestimmte Summe gezahlt und von den Larios' folgende Erklärung unterschrieben: Wir, die Gebrüder Larios, sind die größten Gauner, die es in dieser Stadt Gibraltar gibt, und wir raten allen, mit uns keine Geschäfte zu machen, da sie sicher sein können, betrogen zu werden. Gibraltar, den Gebrüder Larios
Diese Erklärung wurde in der Börse von Gibraltar an der Stelle ausgehängt, wo der alte Larios gewöhnlich seinen Platz hatte und wo er zwanzig Jahre lang weiterhin Käufe und Verkäufe tätigte, während dieser Zettel über seinem Kopf an der Mauer angeschlagen war. Sollte der Marquis aus der Familie dieser Larios von Gibraltar sein?
Aus dem Spanischen.
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Engels an Carl Hirsch in Köln13601
London, 19. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Hirsch, Ich will Dir den Gefallen tun14661, aber nur unter zwei Bedingungen: 1. Die Sache bleibt ganz unter uns, denn sonst krieg' ich 100 dergleichen zur Vorkritik eingeschickt; was ich dem einen tu', kann ich dem anderen nicht abschlagen - und dann kann ich einpacken. 2. Daß dies das letzte Mal ist, daß Du mich um so etwas angehst. Ich bekomme mehr Sachen in einer Woche zugeschickt, als ich in einem Monat lesen kann, aber wenn ich dazu noch kritisieren soll, komme ich noch weit weniger durch. - S.4. Einseitig! Das ist in der großen Industrie weit weniger der Fall als in der Manufaktur. Im Gegenteil, die große Industrie beseitigt großenteils die ManufakturVerkrüppelung, wenn sie auch ihre eigene neu erzeugt; diese letztere kann durch Intensifikation der Arbeit gesteigert werden. Soweit ich die große Industrie kenne, scheint mir dieser Punkt hier mehr betont als der Sachlage entspricht. Die Teilung der Arbeit ist und bleibt die Grundursache der Arbeitsverkrüppelung. S.6. - „jedesmal Überproduktionen, Krisen". Kann, hat die Tendenz - Realisation keineswegs notwendig. „Schraubenbewegung" - scheint mir zu allgemein gefaßt. Welche Produktionsweise ist hier unterstellt? „Das Minimum gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit" wenn das die zur Produktion des gesellschaftlichen Gesamtprodukts nötige Zeit sein soll, hat keinen Sinn in der kapitalistischen Gesellschaft, da bei seiner Verteilung auf die einzelnen Arbeiter die ganze industrielle Reservearmee unberücksichtigt bleibt. S. 15. „Überall da" (usw. bis zum Schluß des Satzes) - dies ist mindestens sehr unklar ausgedrückt, und wie es da steht, ein Widerspruch. Zuerst entspringt aus der Erhöhung der Produkte der Arbeit „ein Gewinn an sich" und dann ein „Wertverlust, der wenigstens möglich ist". Das geht nicht so ohne Angabe der erklärenden und einschränkenden Mittelglieder. S. 18. „Das Kapital des Arbeiters ist er selbst." Dies klingt sehr schön, aber das Wort Kapital verliert hier den letzten Rest seines Sinns. Was Teufel hast Du vernünftige Dinge in unvernünftige
Philisterphrasen zu übersetzen; - was Du da sagst, ist mir rein unverständlich. Ebenso unter S. 18 Nr. 2. Die Verdichtung der Arbeit, die aus der Verbesserung des Mechanismus folgt, heißt hier auf einmal ungesund. Das kann sie sein, das ist sie sehr häufig im kapitalistischen System, aber an sich selbst ist sie ebensowenig ungesund wie Essen und Verdauen auf der folgenden Seite. Sie wird nicht nur nicht aufhören, sondern wir werden sie noch bedeutend steigern können, weil wir die Kompensationen für den Arbeiter darunter haben. Sonstige Glossen am Rand. Wenn Du später einmal eine zweite Auflage machst, so würde ich Dir raten, diese immerhin sehr allgemeinen Auseinandersetzungen durch spezielle Beispiele zu begründen, Tatsachen aus verschiedenen Industriezweigen anzuführen und überhaupt zu sagen, auf welche Industrien Du Dich beziehst. Z.B. von der entwickelten englischen Textilindustrie gelten Deine Sätze nur in sehr beschränktem Maß. Dagegen mögen sie viel mehr Geltung haben für Deutschland, wo die große Industrie noch jung ist und sich eben erst in einer ganzen Reihe von Produktionszweigen durchsetzt, unter Verdrängung alter Methoden und plötzlicher Steigerung der Intensität der Arbeit. Das sind aber bloß Durchgangsstadien. Die Hauptsache in solchen ökonomischen und speziell industriellen Dingen ist, sich nicht durch den lokalen Standpunkt beherrschen lassen. Als das gefaßt, was sie sind, haben diese Durchgangsphasen ihre volle Wichtigkeit, aber man muß auch sich bewußt sein und sagen, daß sie das sind und nichts anderes. Und da hast Du ja in Deiner unmittelbarsten Nähe die schönste Gelegenheit, alle Deine Sätze als Deduktionen der lebendigen Wirklichkeit darzustellen, und dabei lernst Du selbst was. - Jetzt macht's gut bei der Neuwahl in Köln14671, damit wir wenigstens in die Neuwahl kommen. Und wenn Du mir gelegentlich mal wieder schreibst, sag mir, ob das alte Haus, hinter Hutmacher, wo die ,,N[eue] Rh[einische] Ztg." war, noch immer Nr. 17 trägt und ob der Kleidersweater, der jetzt dort wohnt, Salomon oder Lewi heißt, ich hab's vergessen. Ihr führt Euren Kampf mit dem Zentrum1171 soweit ganz nett, aber ich meine, Du könntest doch die Haltung der Lieber & Co. im Reichstag etwas öfter in Leitartikeln annageln. Viele Grüße. Dein F.E.
Nach einer maschinengeschriebenen Abschrift.
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Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover
London, 19. März 1895 . . . ,, , 41, Regent's Park Road, N.W. Lieber Kugelmann, Die Cachets Crampons1 sind wohlbehalten hier angekommen und bereits in Gebrauch, die Maschinerie macht keine Schwierigkeit dem Verschließer, ob auch dem Offner, darüber kann die deutsche und österreichische Post Aufschluß geben, der wir bereits einige Proben submissest submittieret haben. Vielen Dank! Hoffentlich sieht sich Koller gemüßigt, eine Umsturzvorlage'3583 zum Umsturz dieser Crampons einzubringen, woran die besten Absichten der schwarzen Kabinette so schnöde scheitern. Dank für Deine Bemühungen in der Bielefelder Gegend. Wenn im „Dampfboot" etwas von mir ist oder auch von M[arx], so wird es meist anonym sein.'4681 Von Livingston keine Nachricht.'4691 Die Kälte bekam mir ausgezeichnet, wie ein kräftiges tonicum, fühlte mich 20 Jahre jünger, solange sie dauerte! Dagegen wurde London wie gewöhnlich dadurch in die Barbarei zurückgeschleudert. Die Wasserleitungen froren ein; wir hatten Wasser, bis die Gesellschaft die Zuflüsse zu den Hauptröhren schloß und nun das Wasser in diesen fror. Die unsre lag ca. 41/2~5 Fuß tief, wurde nach 14 Tagen Tauwetter aufgegraben, war noch ganz voll Eis. Dann mußten wir noch 2 Tage warten, bis unser Verbindungsrohr aufgetaut. Heut vor 8 Tagen abends 8 Uhr endlich kam wieder Wasser. Dann stellte sich heraus, daß die Kanalisation wegen der mangelhaften Wasserzufuhr verstopft war. Und so sind wir endlich Ende voriger Woche wieder in Ordnung, nachdem wir 4 Wochen lang täglich 40 Eimer Wasser auf den 4. Stock unters Dach tragen lassen mußten, um die Wasserleitung im Haus im Gang zu halten und uns bei jedesmaligem Anzünden des Küchenherds vor einer Kesselexplosion zu sichern. Wegen der Steuer auf die Crampons hast Du Dir unnütze Mühe und Sorgen gemacht, alle Industrieprodukte sind hier zollfrei. Viele Grüße Dir und den Deinigen von Louise und Deinem F. Engels
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Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 20. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Hermann, Vielen Dank für Eure freundliche Hochzeitseinladung, von der ich leider keinen Gebrauch machen kann. Ich bin - abgesehn von andern Abhaltungen - wieder einmal von meinem Frühjahrsleiden geplagt, das mich nun seit 4-5 Jahren regelmäßig um diese Zeit auf ein paar Wochen lahmlegt. Etwas Ruhe wird die Sache wohl wieder in Ordnung bringen und mir erlauben, morgen über 8 Tage ein Glas vom besten auf Elsbeths1 und ihres Bräutigams2 Wohl zu leeren, was gewissenhaft erfolgen soll. Sonst geht's mir gut, ich habe mich jetzt so ziemlich an die einem alten Herrn geziemende Haus- und Magenordnung gewöhnt, so sehr, daß ich jede Abweichung sofort an allerhand kleinen Beschwerden spüre und den wohlgemeinten, aber ernstlichen Rat erhalte, dergleichen bleibenzulassen. Ich hätte mir nie vorgestellt, daß die Pedanterie einem noch einmal als Lebens- und Sittenpflicht oktroyiert werden kann. Nun, ich hoffe, Ihr werdet auch ohne mich den Tag recht fröhlich und heiter verbringen, und wünsche Elsbeth recht viel Glück zu ihrem neuen Ehestand nebst einer sich mehr durch Gesundheit als durch Anzahl auszeichnenden Nachkommenschaft. Viele Grüße an Emma3 und alle Kinder Dein alter Friedrich
1 Elsbeth Engels - 2 Arthur Schuchard - 3 Emma Engels
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Engels an Vera Iwanowna Sassulitsch in London
[London] Freitag, 22. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Liebe Bürgerin Vera, Sonntagabend sind wir ohne Mädchen und ohne Köchin, beide verlassen uns morgen, im Hause wird es also drunter und drüber gehen, und es wird in einem Zustand sein, der uns kaum erlaubt, unsere Freunde zu empfangen - Sie werden uns also, hoffe ich, für diesen Abend entschuldigen. Viele Grüße von den Freybergers - wir hoffen, daß das schöne Wetter Sie völlig geheilt hat. Aufrichtige Grüße. F. Engels
Aus dem Französischen.
232
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart14701
London, 25. März 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Baron, Dein Telegramm sofort beantwortet: „mit Vergnügen". Per Streifband folgt der Text in Korrekturabzug mit Titel: Einleitung zum Neudruck von Marx' „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848/50" von F. E[ngels]. Daß der Inhalt im Abdruck der alten Artikel aus der „N[euen] Rheinischen] Z[eitung]. Revue" besteht, ist im Text gesagt. Mein Text hat einiges gelitten unter umsturzvorlagenfurchtsamlichen Bedenken unsrer Berliner Freunde, denen ich unter den Umständen wohl Rechnung tragen mußte.14551 Plechanow habe ich sofort über sein Mißverständnis aufgeklärt. Daß Du den Ferri abwiesest, war sehr recht, der Mann ist auf jedem Gebiet Sensationsbelletrist und hält, wie die meisten Italiener, den Loria für einen Riesen auf dem Gebiet der Ökonomie, was ihnen der illustre durch „die wiederholte Erscheinung" (wie Rüge sagte) und durch eine meisterhaft organisierte Kamaraderie eingebleut hat. Liebk[necht]s Milizrede14711 habe ich nicht im Stenogramm gelesen, nach Zeitungsberichten läßt sich nicht urteilen. Über Miliz und stehendes Heer ließe sich ein langes und breites schreiben. Wenn Frankreich und Deutschland übereinkämen, ihre Armeen allmählich in Milizheere mit gleich langer Übungszeit zu verwandeln, so wäre die Sache fertig; Rußland kann man machen lassen, was es will, und Österreich und Italien folgen mit Wollust. Aber wegen der inneren Verhältnisse können Frankreich und Deutschland sich das nicht leisten, und wenn sie es könnten, so geht's wegen Elsaß-Lothringen nicht. Und daran scheitert die ganze Milizgeschichte. Deine Vorgeschichte des Sozialismus14721 ist mir leider bis heute noch nicht zugekommen, ich bin sehr begierig darauf, nicht nur, wenn auch besonders, auf die Wiedertäufer; auch in den früheren Bewegungen ist noch so manches aufzuklären. Daß Du bei den Taboriten nicht auf tschechische Quellen zurückgehn konntest, ist sehr zu bedauern, war aber ohne einen längeren Aufenthalt in Böhmen und ohne besondre Zugangsgelegenheit zu
handschriftlichem Material absolut nicht zu machen. Da findet sich wohl einmal ein junger Tscheche an Ort und Stelle, der da nachhilft. Was ich von Edes Arbeit gelesen, hat mir sehr gefallen, namentlich was das Stoffliche und die hervorspringenden Gesichtspunkte angeht. Dagegen scheint mir die Anordnung etwas übereilt gemacht, doch darüber läßt sich erst urteilen, wenn man das Ganze vor sich hat.14721 Mit einer Geschichte der Internationale für Euch wird es starke Haken haben. Da müßte vor allem erst das Material aus den einzelnen Ländern gesammelt werden. Für Spanien gibt Mora es jetzt - sehr tropfenweise im Feuilleton des „Socialista". Für Italien bis zum Haager Kongreß habe ich ziemlich viel, aber da hat sehr viel hinter den Kulissen gespielt. Für Frankreich, bis 1870, könnten Frankel und Lafargue wohl manches sammeln, für die Schweiz sind „Tagwacht", „Vorbote", „Egalite", „Bulletin Jurassien"1 da. (Heritiers „Berliner Volks-Tribüne "-Artikel nur sehr vorsichtig zu gebrauchen, alles unbewußt zur Entschuldigung der Bakunisten geschrieben18'; der Mann war so unwissend über das, was er tat, daß ich ihm erst nachher sagen mußte, wieso er damit seinem geistigen Pflegevater Becker2 Ohrfeigen versetzt hatte!3) Die übrigen Länder sind nebensächlich. Das Material, das ich besitze, habe ich seit Jahren vor in der Biographie von Marx zu verwerten, und zwar werde ich grade diesen wichtigsten Teil zuerst machen, dazu nötigen mich diverse Umstände. Erstens hab' ich in der entscheidenden Zeit 1870- 72 selbst mitgetan und kann da das Material aus der Erfahrung ergänzen. Zweitens ist es doch die wichtigste und gleichzeitig die am wenigsten aus gedrucktem Material richtig darzustellende Episode in Marx' öffentlichem Leben. Drittens sind hier die meisten Verleumdungen zu beseitigen. Viertens bin ich 74 Jahre alt und muß mich eilen. Und fünftens kann die andre Periode, wo Marx öffentlich wirkte (1842-62) ganz gut später und selbst im Notfall von jemand anders als von mir geschildert werden, da hier die öffentlichePolemik bis zum „Herrn Vogt" herab das meiste aufgeklärt und Marx die damaligen Verleumdungen der Vulgärdemokraten so entschieden niedergelebt hat, daß sie heute keiner Widerlegung im einzelnen mehr bedürfen. An diese Arbeit, auf die ich mich seit lange gefreut habe, gehe ich, sobald ich irgend kann, und zwar sind nur noch einige kleine Arbeiten dazwischen, eigentlich bloß noch die Umarbeitung der Einleitung zur Neuauflage des „Bauernkriegs"tl40] (wozu ich auch Dein Buch brauche). Ich werde dann
1 „Bulletin de la Föderation jurassienne de l'Association internationale des travailleurs" 2 Johann Philipp Becker - 3 siehe vorl. Band, S. 11
mir alle Korrespondenz (die mir riesig Zeit wegnimmt) und alle Gelegenheitsarbeiten (wohl mit Hülfe der Umsturzvorlage13551?!) abschütteln, und dann wird's schon gehn. Deine Nachrichten über die „Arbeiter-Zeitung" sind ja sehr trübe, ich denke aber, sie schlägt sich durch. Vielleicht haben die Leute das Ding anfangs etwas zu großartig angelegt12941 und müssen sich jetzt knapper einrichten. Aber der politische Erfolg scheint gesichert, und da müßte es doch mit dem Teufel zugehn, wenn der finanzielle Erfolg nicht schließlich auch möglich würde. Eine Wahlreform, die uns ins Parlament bringt, halte ich in Ostreich für absolut sicher, es sei denn, eine plötzliche allgemeine Reaktionsperiode bräche herein. Auf eine solche scheint man in Berlin gewaltsam hinzuarbeiten, aber leider weiß man dort selbst von heute auf morgen nicht, was man will. Da kann's kommen, wie bei dem Rekruten aus Lancashire, dem der Unteroffizier beim Einexerzieren kommandierte: Gewehr auf Gewehr ab - Gewehr auf - ab - auf - ab - I winnot, schrie der Rekrut. You won't? - No, I winnot. - You refuse to obey your superior officer? - I winnot! - And why not? - Because you dunnot know your own mind for two minutes together!4 Viele Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
Bitte, was ich Dir oben über meine Pläne gesagt, unter uns zu behalten, es gibt soviel indiskrete Literaten in der Partei!
4 Ich will nicht, schrie der Rekrut. - Du willst nicht? - Nein, ich will nicht. - Du weigerst Dich, Deinem vorgesetzten Offizier zu gehorchen? - Ich will nicht! - Und warum nicht? Weil Sie selbst nicht zwei Minuten lang wissen, was Sie wollen!
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Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 28. März 95 41, Regent's Park Road, N. W.
Mein liebes Lohr, Wenn bei Euch Überschwemmungsgefahr bestand, so war es bei uns genau umgekehrt - vier Wochen ohne Wasser, und nach dem Frost war als Folge die Kanalisation verstopft. Das war ein schönes Durcheinander. London wurde durch diesen Monat harten Frostes in die Barbarei zurückgeschleudert, und der „Standard" gratulierte uns mit echt britischem Konservatismus dazu, daß der Ausfall der Wasserversorgung ein Beweis für die hier erreichte hohe Zivilisation sei, während er die unzivilisierten Städte des Kontinents bemitleidete, in denen die Wasserleitungen nicht eingefroren waren. Nun, Gott sei Dank, es ist vorbei. Du murrst über die mythische Einigkeit und die realen Zänkereien der französischen Sozialisten - verglichen mit den englischen sind sie Waisenknaben in dieser Kunst. Sie sind besonders interessant - die englischen Sozialisten meine ich -, da die Social Democratic Federation1101 und die Independent Labour Party191 einander unter dem Deckmantel angeblicher Harmonie bekämpfen. Diese Harmonie geht genau so weit wie ihr gemeinsamer Haß gegen John Bums und gestattet der Social Democratic Federation, Keir Hardie einzuladen, auf ihrem Kommune-Meeting zu sprechen. Auf diesem Meeting richtet K.H[ardie] (lies seine Rede im „Labour Leader") versteckte Angriffe gegen die Social Democratic Federation, worauf diese in der „Justice" antwortet14731. Die Social Democratic Federation sagt, daß die Independent Labour Party keine Daseinsberechtigung besitze, da die Social Democratic Federation die einzig wahre orthodoxe Kirche sei; und die Independent Labour Party sagt, die Social Democratic Federation müßte sich von der Independent Labour Party absorbieren lassen. Ihre neueste Heldentat vollbrachten sie bei den Wahlen zum County CouncilI4531, wo beide Organisationen Kandidaten aufstellten, und zwar nur gegen die „Progressiven"; das Resultat war: .1 300 Stimmen zusammengenommen von 486 000 und die Wahl von 4 Gemäßigten (Konservativen),
29 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
die ehemalige Sitze der Progressiven einnehmen, dazu das Triumphgeschrei sowohl in der „Justice" als auch im „Labour Leader", daß sie die Progressiven geschlagen hätten.14741 Stell Dir vor, die Pariser Sozialisten stimmten mit Klerikalen, Monarchisten und Opportunisten1201 gegen die Parteien, die eine autonome Verwaltung für Paris fordern, und Du hast das genaue Gegenstück zu der Wahl der Sozialisten in London. Doch - eine Unterstützung der Progressiven hätte bedeutet, John Burns* gutes Verhalten im County Council anzuerkennen und die Politik von Sidney Webb und der Fabians1111 zu billigen, die, mögen sie auch als Sozialisten Stümper sein, in der Kommunalverwaltung wirklich gute Arbeit leisten und energisch und geschickt für ein autonomes London kämpfen. Und so ziehen die „Sozialisten" es vor, die Partei zu unterstützen, die London die Selbstregierung verweigert und mit aller Kraft darum kämpft, den County Council machtlos zu erhalten. Der County Council ist jetzt das nächstliegende, am besten und leichtesten zu erobernde Stück Regierungsmaschinerie - die Arbeiterklasse könnte es morgen haben, wenn sie einig wäre. Und was würde das Parlament mit einem sozialistischen autonomen Londoner Rat sein! Die Berliner veröffentlichen erneut Möhrs Artikel aus der „Revue der N[euen] Rheinischen] Z[eitung]" über Frankreich 1848 bis 1850, und ich habe eine Einleitung dazu geschrieben, die wahrscheinlich erst in der ,,N[euen] Zeit" erscheinen wird. Sie hat etwas unter dem, wie ich glaube, übertriebenen Verlangen unserer Berliner Freunde gelitten, nichts zu sagen, was als Mittel benutzt werden könnte, die Annahme der Umsturzvorlage113551 im Reichstag zu unterstützen. Unter diesen Umständen mußte ich nachgeben.14551 Aber diese Umsturzvorlage1 und der absolut ungewisse Stand der Dinge in Deutschland - so großartig er für den allgemeinen Fortschritt unserer Partei sein mag-bringt einen großen Teil meiner Vorhaben durcheinander. Wie Du sicher weißt, war ich dabei, die Lassalle-Korrespondenz fertigzumachen12001; dazu muß ich eine Menge alter Papiere, Briefe usw. durchsehen. Wenn jedoch die neue Vorlage durchkommt, werden weder die Briefe noch meine Notizen und die „Einleitung" in Deutschland gedruckt werden können. Und ein Wiederabdruck unserer alten Artikel von 1843 - 52 wird ebenfalls unmöglich sein. So bin ich gezwungen, dies alles zu vernachlässigen, bis wir etwas klarer sehen können, wie der Hase läuft2. In der Zwischenzeit beschäftige ich mich mit Bd. IV des „Kapitals"1881, indem ich die schon von K. K[autsky] abgeschriebenen Teile lese und korrigiere, und werde dann mit Tussy die Fortsetzung ihrer Arbeit vereinbaren.
1 In der Handschrift deutsch: Umsturzvorlage - 2 in der Handschrift deutsch: wie der Hase läuft
Die Dinge in Deutschland werden entschieden kritisch. Die letzte Eskapade von Jung-Wilhelm3 - seine tief ste Entrüstung4 über die Anti-BismarckAbstimmung des Reichstags14751 - birgt ernsthafte Gefahrenmomente. Erstens als ein Symptom; es zeigt, daß bei ihm jetzt nicht nur „eine Schraube locker ist", sondern daß sein ganzer Mechanismus in Unordnung zu geraten beginnt. Dann als ein defi5. Ich zweifle nicht daran, daß unsere Partei darauf im Reichstag antworten wird, und obgleich es für den Augenblick scheinen mag, als sei die Sache begraben, ist der Konflikt da und wird wieder auftauchen. Ohne Zweifel stehen wir in Deutschland einem modernen Karl I. gegenüber, einem von Cäsarenwahnsinn6 besessenen Mann. Dann sieh Dir an, was für Verwirrung der Kerl in den Reihen der bürgerlichen Parteien stiftet. Dem konservativen Junker7 schmeichelt er zeitweilig, und zeitweilig stößt er ihn zurück; ihrem Geschrei nach staatlich gesicherten Renten kann er nicht entsprechen; die Allianz zwischen der Landaristokratie und den großen Fabrikbesitzern, die Bismarck 1878 mit Hilfe seiner Schutzzölle begründete, ist wegen entgegengesetzter ökonomischer Interessen in die Brüche gegangen.'4761 Die katholische Partei'171, die mit ihren 100 Abgeordneten das politische Gleichgewicht im Reichstag bestimmte, befand sich auf dem besten Wege, sich zur Abstimmung für die Umsturzvorlage8 verleiten zu lassen, als die Bismarck-Abstimmung und der Entrüstungskaiser9 sie sofort wieder in die Opposition zurückwarf - und das bedeutet, die Spaltung des katholischen Zentrums in einen aristokratisch-bourgeoisen Flügel und einen demokratischen, einen Flügel der Arbeiter und Bauern zu beschleunigen. Überall Verwirrung und Uneinigkeit, die Wilhelm zu einem coup d'etat treiben, um sein göttliches Recht auf absolute Macht zu behaupten und vom allgemeinen Wahlrecht loszukommen; auf der anderen Seite der stille und unwiderstehliche Vormarsch unserer Partei, der sich bei jeder Wahl für ein beliebiges durch die Stimmen der Arbeiter erreichbares Amt zeigt. Das sieht kritisch aus - qui vivra verra!10 In einigen Tagen werde ich an Paul wegen seiner Hälfte des Doppelbett-Buchs schreiben11. Er hat einen merkwürdigen Bettgenossen.13061 Immer Dein F. Engels Aus dem Englischen. 3 Wilhelm II. - 4 in der Handschrift deutsch: tiefste Entrüstung - 5 eine Herausforderang6 in der Handschrift deutsch: Cäsarenwahnsinn - 7 in der Handschrift deutsch: Junker 8 in der Handschrift deutsch: Umsturzvorlage - 9 in der Handschrift deutsch: Entrüstungskaiser - 10 die Zukunft wird es lehren! -11 siehe vorl. Band, S. 454
234
Engels an Karl Kautsky in Stuttgart
[London] I.April 95
Lieber Baron, Postkarte erhalten. Zu meinem Erstaunen sehe ich heute im „Vorwärts" einen Auszug aus meiner „Einleitung" ohne mein Vorwissen abgedruckt und derartig zurechtgestutzt, daß ich als friedfertiger Anbeter der Gesetzlichkeit quand meme1 dastehe.14561 Um so lieber ist es mir, daß das Ganze jetzt in der ,,N[euen] Z[eit]" erscheint, damit dieser schmähliche Eindruck verwischt wird. Ich werde L[ieb]k[necht] sehr bestimmt darüber meine Meinung sagen und auch denjenigen, die, wer sie auch seien, ihm diese Gelegenheit gegeben haben, meine Meinung zu entstellen, und das, ohne mir ein Wort mitzuteilen. Platter dankend erhalten. Sehr unbedeutend, aber der Mann schwenkt mehr und mehr ein. Geht das so fort, so werden wir uns bald vor lauter Professoren nicht mehr rühren können. Daß J. Wolf auch antwortet14771, ist ja sehr schön. Ich werde ihn zu den andern legen, neben Stiebeling und Loria, sie transit mundi gloria2. Beste Grüße von Haus zu Haus. Dein F.E.
erhalten wir in 2 Ex., eins für Freyberger, eins Di e „Deutschen Worte" für mich.
1 unter allen Umständen - 2 so vergeht der Ruhm der Welt
235
Engels an Harry Queich in London'4781 (Entwurf)
[London] 2./4./95
Lieber Genosse, Ich war gezwungen, wenigstens für dieses Jahr alle Forderungen nach Beiträgen zu Extranummern von Zeitschriften sowohl für den 18. März als auch für den I.Mai abzulehnen, und bin daher außerstande, durch ein „Interview" für die „Justice" eine Ausnahme zu machen. Das bedeutet jedoch nicht, daß ich nicht durchaus bereit wäre, wenn Sie es wünschten, mit Ihnen privat und in freundschaftlicher Art den Fortschritt und die gegenwärtige Lage der Bewegung in England und außerhalb Englands zu erörtern. Wenn das Ihren Vorstellungen entspricht, seien Sie so freundlich, mir Tag und Stunde vorzuschlagen, da Sie mich besuchen könnten; ich werde versuchen es einzurichten, daß ich zu Hause bin. Ihr ergebener
Aus dem Englischen.
236
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux
London, den 3. April 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Lafargue, Ich hatte Ihre Hälfte des Buchs13081 noch nicht zu Ende gelesen, als mich Kautskys I.Bd. der „Geschichte des Sozialismus"'4721 erreichte sowie verschiedene italienische Zeitschriften (von Labriola), die Loria betrafen, und ein Haufen russischer Zeitschriften (von N. D[anielson]). Man überschüttet mich mit Zusendungen. Aber ich habe Ihr Buch trotzdem zu Ende gelesen. Es ist stilistisch glänzend, enthält sehr treffende historische Darstellungen, Wahres und Originelles, aber am besten ist, daß es nicht dem Buch eines deutschen Professors ähnelt, in dem das Wahre nicht originell und das Originelle nicht wahr ist. Sein Hauptmangel ist, daß Sie sich wahrscheinlich zu sehr beeilt haben, damit fertig zu werden; die Gliederung, vor allem die Abschnitte über das feudale und das kapitalistische Eigentum, könnte sorgfältiger gemacht sein, besonders für das Pariser Publikum, das an leichte und selbst faulen Lesern angepaßte Lektüre gewöhnt ist; denn gerade der Pariser besteht auf seinem Recht auf Faulheit'4791. Viele sehr gute Passagen werden vielleicht einen Teil ihrer Wirkungskraft verlieren, weil sie gewissermaßen in Klammern gesetzt sind oder weil Sie es zu sehr dem Leser selbst überlassen haben, Schlußfolgerungen zu ziehen und zu einem Ergebnis zu kommen. Was den Stoff selbst betrifft, so bezieht sich mein Haupteinwand auf das Kapitel über den Kommunismus in der Blutsverwandtschaftsfamilie'4801. Dort legen Sie, wie mir scheint, die Betonung zu sehr auf die Form, unter der sich diese Phase bis auf unsere Tage in Frankreich erhalten hat, und auf die Form ihrer Auflösung in diesem Land. Die Form der parfonnerie, in der sich die Gemeinschaft der Blutsverwandten in Frankreich so lange gehalten hat, ist selbst schon eine Unterstufe der alten großen Familiengenossenschaft, die sich bis auf unsere Tage in der Zädruga der Serben und Bulgaren fortgesetzt hat. Dieser Form ist, das scheint gewiß, in Rußland und in Deutschland usw. die bäuerliche Gemeinde vorausgegangen; als sie sich
tefftnftfimjife in JMrety 1848 Jfc 1850,
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aus iec „Letten 3tyeimf<$«t 3eit»m3" ^tfiitfdjsofonomifäje Slrne, $a»Btfns 1850.
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^3«rf»tt 1898 ätofiy (SÖtiiüoJt fei ^Ste Wirt«" S»Un«r SelßSfott

auflöste, ist die slawische Zädruga, die deutsche Hausgenossenschaft1 (Genealogie der lex Alamannorum'4811) in die Gemeinschaft der getrennten Familien übergegangen (oder im Anfang wohl oft - und heute noch in Rußland - in par? onneries) mit getrennt bewirtschafteten Feldern, aber der periodischen Verteilung unterworfen - das bedeutet, was daraus entstand, ist die russische mir, die deutsche Markgenossenschaft2 gewesen. Die viel stärker eingeschränkte Gemeinschaft mehrerer Familien, die sich in Frankreich erhalten hat, war, wie mir scheint, nur ein integrierender Teil der Markgenossenschaft2, zumindest im Norden (dem fränkischen Teil); im Süden (dem alten Aquitanien) hat sie vielleicht eine Einheit gebildet, die ihre Länder nur unter dem Oberbesitz des Seigneurs besaß, ohne der Kontrolle der Dorfgemeinde unterworfen zu sein. Diese speziell französische Form konnte allein, als sie sich auflöste, mit einem einzigen Sprung in das persönliche Eigentum an Grund und Boden übergehen.3 Das ist eine Frage, die noch eines sehr gründlichen Studiums bedarf. Von Ihnen erfahre ich von diesem speziellen Charakter des Kommunismus in der Blutsverwandtschaftsfamilie in Frankreich, und da Sie nun einmal mit Leib und Seele dabei sind, könnten Sie nichts Besseres tun, als dieses vielversprechende Studium fortzusetzen.* Kleine errata: S.338 lassen Sie das Wasser durch die peruanischen Wasserleitungen hochbringen; da es in Peru aber Wasser fast nur „im Herzen der Berge" gibt, und Ihre Wasserleitungen speziell gebaut wurden, um es dorthin zu leiten, müßte es also Meerwasser sein? S.354, Terra Salica - Guerard irrt sich außerordentlich, wenn er das Wort Sala von Haus ableitet.'4821 Die fränkischen Salier waren also Franken, die in Häusern wohnten? Sie nannten sich Salier, saliques, nach dem kleinen Territorium in Holland, Salland, wo sich die Gruppe, die Belgien und Frankreich zwischen den Ardennen und der Loire eroberte, für die Eroberung formiert hatte; dieser Name existiert auch heute noch. Zu der Zeit, als das Salische Gesetz erlassen wurde (gegen 400)14831 war die sala noch, wie Sie selber festgestellt haben, bewegliches Eigentum bei den Germanen.
* Man muß die Dreiteilung Frankreichs beachten: das eigentliche Frankreich bis zur Loire, mit starkem germanischen Einfluß; den burgundischen Teil östlich von Saone und Rhone, weniger germanisiert; Aquitanien, zwischen Meer, Loire und Rhone mit geringem germanischem Einfluß.
1 In der Handschrift deutsch: Hausgenossenschaft - 3 in der Handschrift deutsch: Marligenossenschaft - 3 vgl. Band 21 unserer Ausgabe, S. 61 —63
S.386, „ein anderer liebt es, Schlingen zu legen oder Heuschrecken (sauterelles) zuzurichten". Hat man 1787 in Berry Heuschrecken gegessen? Ich suche in meinem Wörterbuch und finde saut erolle, Vogelfalle. S.393, Partages noirs - im Russischen tschornoi, schwarz wird für schmutzig angewandt und zweitens für volkstümlich, einfach, gewöhnlich. Tschornoi narod, das schwarze Volk = die Volksmasse, das „niedere Volk". Tschornoi perediel, le partage noir, bedeutet also vielmehr allgemeine, allumfassende Verteilung, wobei jedermann seinen Anteil bekommt, selbst der Ärmste. Und in diesem Sinne hatte eine Narodnik-2.eitung (Freund der Bauern) in der Schweiz den Titel „Tschornoi perediel", was die Verteilung der adligen Güter unter die Bauern bedeuten sollte. Das ist alles, was ich bemerkt habe, und es wird Ihnen reichen. Was Yves Guyot angeht, so wasche ich meine Hände in Unschuld. Liebknecht hat mir gerade einen schönen Streich gespielt.14551 Er hat meiner Einleitung zu den Artikeln von Marx über das Frankreich von 1848 bis 1850 alles das entnommen, was ihm dazu dienen konnte, die um jeden Preis friedliche und Gewaltanwendung verwerfende Taktik zu stützen, die es ihm seit einiger Zeit, besonders in diesem Augenblick zu predigen beliebt, wo man in Berlin Ausnahmegesetze13551 vorbereitet. Diese Taktik aber predige ich nur für das heutige Deutschland, und dann noch mit erheblichen Vorbehalten. Für Frankreich, Belgien, Italien, Österreich eignet sich diese Taktik in ihrer Gesamtheit nicht, und für Deutschland kann sie schon morgen unanwendbar werden. Ich bitte Sie also, den vollständigen Artikel abzuwarten, ehe Sie urteilen - wahrscheinlich wird er in der ,,N[euen] Z[eit]" erscheinen, und ich erwarte von einem Tag zum andern Exemplare der Broschüre. Es ist bedauerlich, daß L[ie]bk[necht] nur schwarz oder weiß sieht. Die Nuancen existieren für ihn nicht. Übrigens geht es in Deutschland heiß her, das verspricht ein großartiges Ende des Jahrhunderts. Dieser kleine Wilhelm ist unbezahlbar mit seiner „Entrüstung".14751 Unsere Leute werden ihm im Reichstag antworten, wo es keine Majestätsbeleidigungen gibt, dessen können Sie sicher sein. Ich wollte Ihnen noch über vieles schreiben, aber wenn es nötig ist, fällt es einem nicht ein. So langsam wird man alt. Also leben Sie wohl! ich muß, bevor die Post abgeht, noch einige Zeilen an Laura schreiben. Grüße von den Freybergers (deren Kleine wunderbar gedeiht) und von Ihrem F. Engels
237
Engels an Richard Fischer in Berlin
London, 5. April 95 41, Regent's Parle Road, N.W.
Lieber Fischer, Meinen Brief vom 3. wirst Du erhalten haben.11351 Heute morgen kam Deine Postkarte. Also wieder eine Unannehmlichkeit.'4841 Ich bitte Dich, sofort einen Rechtsanwalt zu konsultieren, inwiefern die Marxschen Erben noch ein literarisches Eigentum an den Artikeln Von Marx in der ,,Rh[einischen] Z[eitung]" Von 1842 besitzen. Die Artikel sind anonym erschienen. Anonym sind sie aber Herrn Baake wertlos. Sie erhalten nur Wert für ihn durch Marx' Namen. Und wenn er sie unter M[arx]'s Namen veröffentlicht, erkennt er uns nicht dadurch wieder das literarische Eigentum zu, soweit es etwa durch die Anonymität des ersten Abdrucks gefährdet sein könnte? Ist juristisch nichts zu machen - was erst festzustellen ist, damit wir unsre Handlungsweise danach einrichten -, so wäre das beste, Du setztest sofort jemand daran, in der Bibliothek die sämtlichen Artikel - 3 - zu kopieren und mir die Abschrift zuzuschicken, damit ich sie rasch durchsehe und eine Einleitung dazu schreibe. Es sind die drei Artikel 1. Über die Verhandlungen des Rheinischen Provinziallandtags, 2. Uber Holzdiebstahl, 3. Über die Lage der Weinbauern an der Mosel. Ihr müßtet dann sofort anzeigen, daß die Artikel bei Euch von mir mit Einleitung und Noten (etwaigen) herausgegeben werden.'4851 Bei den Russen ist es alltäglicher Usus, daß sie, ohne auch nur um Erlaubnis zu fragen, ins Autorrecht eingreifen, „im Interesse der Propaganda" und nicht minder manchmal im Interesse ihrer eignen Spezialdruckerei und Verlagsanstalt gegenüber andern.'4861 Von Deutschen aber bin ich das nicht gewohnt bisher. Hätte ich nur gewußt, was ich nur vermutet hatte, daß die alte „Rheinische] Z[eitung]" auf der Berliner Bibliothek ist - ich wäre schon 1893
hingegangen'901 und hätte nachgesehn, und wir wären auch in andern Dingen ein gut Stück weiter. Ist der Baake ein Bruder des Kurt B[aake]? Grüße allerseits. Dein F.E.
238
Engels an Conrad Schmidt in Zürich
London, 6. April 95 ... c 41, Regent's Park Road, N.W. Lieber Schmidt, Für Ihre Zähigkeit mit Beziehung auf die „Fiktion" bin ich Ihnen sehr verbunden.1 Es liegt hier in der Tat eine Schwierigkeit vor, über die ich erst infolge Ihres Bestehens auf der „Fiktion" hinweggekommen bin. Die Lösung findets ich III, 1, Seite 154-157[487],aber nicht scharf herausgearbeitet und hervorgehoben, und dieser letztere Umstand legt mir nahe, diesen Punkt im Anschluß an Sombarts und Ihre Einwendungen in der ,,N[euen] Z[eit]" kurz zu entwickeln. Ich habe ohnehin noch einen zweiten Punkt, worin ich den II I.Band ergänzen resp. durch Berücksichtigung gewisser Änderungen in den ökonomischen Verhältnissen seit 1865 mit der heutigen Lage in Einklang bringen möchte.14571 Um aber jenen Punkt über die Wirksamkeit und Gültigkeit des Wertgesetzes zu entwickeln, würde mir die Sache erleichtert werden, wenn Sie mir erlaubten, dabei außer an die „Hypothese" Ihres „Centraiblatt"Artikels auch an die „Fiktion" Ihrer beiden Briefe anzuknüpfen resp. eine oder zwei Stellen desselben als nähere Bestimmung dessen zu zitieren, was Sie unter der Hypothese des Artikels verstehn. Bitte lesen Sie also nochmals die oben angeführte Stelle und sagen Sie mir dann, ob Sie mir gestatten, diese Zitate als aus Briefen von Dr. C. S[chmidt] an mich genommen anzuführen. Falls Sie durch die Marxsche Stelle überzeugt werden, daß das Wertgesetz für die Warenproduktion doch etwas mehr ist, als eine notwendige Fiktion, und wir dann einer Ansicht wären, würde ich natürlich mit Vergnügen darauf verzichten. Frau Dr. Freyberger, dunnemals Louise Kautsky I, läßt sich samt ihrem kleinen Mädchen bestens empfehlen, wie ich mich dem Andenken Ihrer Frau bestens empfehle. TI Ihr F. Engels
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Engels an Stephan Bauer in Brünn
London, lO.April 1895 41, Regent's Park Road, N.W.
Sehr geehrter Herr, Ich sage Ihnen meinen verbindlichsten Dank für gefl. Zusendung des Faksimiles von Quesnays „Tableau" sowie Ihrer Monographie darüber, die ich eben mit vielem Interesse lese. Mit Recht heben Sie hervor, daß seit Baudeau dies bedeutende ökonomische Stück Arbeit niemand verstanden hat bis auf Marx, der ja überhaupt der erste war, die Physiokraten wieder aus dem Dunkel hervorzuheben, worin die späteren Erfolge der englischen Schule sie versetzt hatten. Wenn es mir vergönnt sein sollte, auch das IV. Buch des „Kapital"1881 noch herauszugeben, werden Sie dort noch weitere, ausführlichere Anerkennung der Verdienste Quesnays und seiner Schüler finden1. Hochachtend Ihr ergebner F. Engels Herrn Dr. Stephan Bauer, Brünn
1 Siehe Band 26 unserer Ausgabe, 1 .Teil, S.282-319 und 354-356
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Engels an Hermann Engels in Barmen
London, 12. April 95 ..... 41, Regent's Park Road, N.W. Lieber Hermann, Von dem Sherry habe ich seit Absendung nichts weiter gehört1, ich weiß nur, daß die beiden Kölner Dampfer „Energie" und „Industrie" gleich nach dem Frost als hier eingelaufen angezeigt wurden - die Abfahrten von hier sind in den Zeitungen schwer zu verfolgen, so daß ich nicht weiß, ob schon beide - und wann - wieder zurück sind. Sollte der Wein nicht im Lauf nächster Woche ankommen, so bitte schreib mir eine Postkarte und ich werde nachforschen. Daß Eure Hochzeit so lustig verlaufen und es dem Pärchen2 auf der Reise gefällt, hat mir viel Freude gemacht. Die Mark 80.- gehen in Ordnung. Hoffentlich ist Dein Rest Influenza jetzt auch flötengegangen,i ch bin glücklich dran vorbeigekommen, fange auch langsam an, wieder spazierenzugehen. Besten Dank wegen der Nachricht über die Schaafhausen.[4881 Ich übernehme die zugeteilten Mark 1000 - a 120% gern. Für die erste Einzahlung von Mark 700.- reicht mein alter Saldo vom 30./4./ 94 auch nach Abzug der £40 [...]3 per P.P. & Co. überreichlich aus, für die Restzahlung von Mark 500.- werden Zinsen und die letzte Dividende Schaafhausen so ziemlich annähernd genug sein; sollten einige Mark fehlen, so seid Ihr wohl so gut, sie bis zur nächsten Dividende vorzuschießen, - d.h., wenn diese meine Rechnung kein Loch hat, in welchem Falle ich um Nachricht bitte. Auch die Umwandlung in Appoints a Mark 1000.- wäre mir ganz recht, wenn sie sich ohne einen unbequemen oder schadenbringenden Rest machen läßt, was ich bis jetzt nicht fertigbringe, solange die sämtlichen Appoints entweder auf 1000.- oder 450.- lauten müssen. Wenn's also nicht geht, dann lieber nicht. Vielleicht gibt's aber doch einen Ausweg. So, nun hast Du die gewünschte umgehende Antwort. Hier ist seit 4 Tagen wunderbares Frühlingswetter, alles kommt über Nacht aus der
1 Siehe vorl. Band, S. 407 - 2 Arthur Schuchard u. Frau Elsbeth, geb. Engels - 3 Papier beschädigt
Erde oder den Knospen, warmer Sonnenschein bei Tag, ganz das Gegenteil des echten englischen Aprilwetters mit grauem Himmel und schneidendem Nordost. Vorigen Montag hab' ich zum erstenmal in meinem Leben einem Zahnarzt 10/6 d. bezahlt dafür, daß er mir zwei alte Stummeln herausgenommen hat. Jetzt hab* ich nur noch 17 Zähne, alle vorne, soweit komplett, aber nichts dahinter. Werde doch vielleicht ein Gebiß einlegen müssen! Herzliche Grüße an Euch alle. Dein Friedrich
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Engels an Krastju Rakowski in Nancy
London, 13. April 1895 41, Regent's Park Road, N. W.
Teurer Bürger, Auf Ihre Bitte, einige Worte für die bulgarischen Genossen zu schreiben, antworte ich sofort. Da ich mit Arbeit überhäuft bin, mußte ich alle Bitten ablehnen, die die Genossen anläßlich des 18. März wie auch anläßlich des I.Mai an mich richteten. Ebenso ablehnend habe ich am vergangenen Sonntag der englischen Social Democratic Federation1101 geantwortet.1 Sie sehen, wenn ich Ihre Bitte erfüllen würde, müßte ich auch der von etwa vierzig Gruppen aus zehn oder zwanzig verschiedenen Ländern nachkommen, - was mir unmöglich ist. Ich bitte Sie, so freundlich zu sein, mich bei den bulgarischen Genossen zu entschuldigen und ihnen mein Bedauern zu übermitteln, daß ich ihren Wunsch nicht erfüllen kann-, unter anderen Bedingungen jedoch gern etwas Besonderes für die Bulgaren als die jüngsten Anhänger des Sozialismus geschrieben hätte. Nehmen Sie meine aufrichtigen Grüße entgegen. Ihr F. Engels
Nach: „ConHauHCTT." Nr. 54 und 55 vom 19. Apn!'895
Aus dem Bulgarischen.
1 Siehe vorl. Band, S.453
30 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
242
Engels an Richard Fischer in Berlin
London, 15. April 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Fischer, Die 400 Mark dankend erhalten, werde sie morgen einwechseln lassen und an die Erben verteilen.'4891 Es geht also mit den Aufsätzen der alten „Rheinischen] Ztg." wie ich befürchtete1: Das Urheberrecht ist verfallen und wir können nur durch rasches Handeln unsern Besitzstand retten. Es ist also ganz in der Ordnung, wenn Du sofort anzeigen lässest, die Artikel würden bei Euch erscheinen, von mir eingeleitet resp. annotiert. Etwa unter dem Titel: „Karl Marx' literarische Erstlinge. Drei Aufsätze aus der (ersten) .Rheinischen Zeitung' 1842. I. Der Rheinische Provinziallandtag über Preßfreiheit. II. Derselbe über das Holzdiebstahlsgesetz. III. Die Lage der Weinbauern an der Mosel. Herausgegeben und eingeleitet von F.E[ngels]."14851 Der Titel gefällt mir nicht recht, wenn möglich, müßtest Du Dich an einer bestimmten Titelangabe herumdrücken, bis wir einen passenden gefunden. Was den Moselartikel'4901 angeht, so bin ich der Sache soweit sicher, als ich von M[arx] immer gehört, grade durch seine Beschäftigung mit dem Holzdiebstahlsgesetz und mit der Lage der Moselbauern sei er von der bloßen Politik auf ökonomische Verhältnisse verwiesen worden und so zum Sozialismus gekommen. Und wir haben den Moselartikel in unsern Gesprächen immer als von ihm herrührend behandelt. Gelesen habe ich ihn nicht, ich war damals schon in England. Da es aber sehr lange her ist, daß wir darüber sprachen, will ich die Möglichkeit eines Mißverständnisses nicht ganz ausschließen, wenn ich den Artikel vor mir habe, kann ich mich absolut nicht mehr irren. Was nun Deinen großen Plan'4911 angeht, so glaube ich, daß Du diesen besser ruhen lässest, bis das Schicksal der Umsturzvorlage'3551 entschieden ist. Eine Bibliothek, die historische Dokumente resp. Schriften aus früheren
Perioden wieder auflegt, verträgt keine Zensur - ganz und wörtlich, oder gar nicht. Und am allerwenigsten könnte ich mich dazu verstehn, an M[arx]'s und meinen alten Arbeiten eine wenn auch noch so geringe Kastrierungsprozedur behufs Anpassung an momentane Preßverhältnisse zuzulassen. Da wir aber sehr ungeniert geschrieben haben und alle Augenblicke Dinge gerechtfertigt, die in kaiserlich deutschen Landen Vergehen und Verbrechen sind, wäre ein Neudruck in Berlin nach Annahme jenes Mustergesetzes keineswegs ohne viel Streicherei möglich. Zweitens aber habe ich den Plan, Marx' und meine kleineren Sachen in einer Gesamtausgabe wieder vors Publikum zu bringen, und zwar nicht in Lieferungen, sondern gleich in ganzen Bänden. Ich habe darüber auch schon mit August korrespondiert11351, und sind wir wegen der Sache noch in Verhandlung. Sprich also nach seiner Rückkehr mal mit ihm; ich bin noch gar nicht sicher, ob ein solches Unternehmen etwas für Euch ist und ebensowenig, ob Ihr, d.h. der „Vorwärts"-Verlag, dafür die besten Leute seid auch abgesehn von der Preßschinderei, die mich schon an einen außerreichsdeutschen Verleger als vielleicht unvermeidliches Auskunftsmittel hat denken lassen. Eine Lieferungsausgabe würde Marx nie zugelassen haben, einmal hat er bei der 2. Aufl. des „Kapital" I Meißner gestattet, diesen in 7großen Lieferungen a zirka 7 Bogen herauszugeben, hatte aber auch daran genug. Bücher wie die „Heilige Familie", „Herr Vogt" etc. in Lieferungen ä 2 Bogen oder so zu zerstückeln, geht erst recht nicht. Da haben die Leute absolut nichts von der Lektüre, dies brockenweise Lesen führt nur zu Unverstand. Die „Tribune"-Artikel existieren nur englisch.li92] Die Feiertage wären ohne viel Pech bei recht schönem Wetter überstanden. Sonst nichts Neues. Sowie Du die Abschrift von einem der 3 Artikel der „Rheinischen] Ztg." hast, so schick sie mir bitte gleich zu, damit ich an die Arbeit gehn kann. Eingeschrieben unter Streifband oder sonstwie unter Sicherheitsmaßregeln. Viele Grüße allerseits. Dein F.E.
243
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 17. April 95 y ., 41, Regent's Park Road, N.W. Mein liebes Lohr, Gestern sandte ich Dir einen Scheck über £ 6.9.9, Deinen Anteil am Honorar für die „Klassenkämpfe"1. Heute schicke ich Dir eingeschrieben unter Streifband Deine Übersetzung mit Dank und Vorschlägen zurück.'3411 In einem Absatz mußte ich eine Änderung vornehmen, Du hattest es selbst als unverständlich angemerkt, was auf das Auslassen eines Wortes im deutschen Text zurückzuführen war. Die Änderung steht auf der Rückseite des Blattes und erfordert eine kleine Französierung Deinerseits. Ich hoffe, daß all Deine Mühe durch das französische Lesepublikum belohnt wird! Endlich ist es mir geglückt, die alte „Rheinische Zeitung" von 1842 aufzutreiben. Sie war die ganze Zeit über in der Berliner Bibliothek2, und unsere Freunde in Berlin, die das längst hätten wissen können, haben das erst jetzt herausgefunden. Irgendwer in Berlin3 war scharfsinniger als sie und beabsichtigte, Möhrs Artikel'4851 daraus zu veröffentlichen; wir haben kein Recht, das zu verhindern, da nach deutschem Gesetz alle anonymen oder Pseudonymen Arbeiten 30 Jahre nach ihrer Veröffentlichung öffentliches Eigentum werden, wenn nicht vorher vom Verfasser oder einem anderen qui de droit4 das Urheberrecht eingetragen worden ist. Diese drohende Konkurrenz machte jedoch alle unsere Freunde plötzlich munter; Fischer, der jetzt die Verlagsabteilung der Buchhandlung des „Vorwärts" leitet, hat auf meine Anregung hin5 sofort jemanden darangesetzt, die Hauptartikel von Mohr zu kopieren, und wird anzeigen, daß sie von mir mit einer Einleitung usw. herausgegeben werden. Das wird wahrscheinlich die Konkurrenz aufhalten. Finanziell können wir kaum viel, wenn überhaupt etwas, davon erwarten, aber auf alle Fälle sind die Artikel gesichert. Für die Lassalle-Briefe'2001 und weitere Pläne der Wiederveröffentlichung alter Sachen werden wir das Schicksal der Umsturzvorlage'3551 im Reichstag 1 Karl Marx: „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850" - 2 in der Handschrift deutsch: Bibliothek - 3 Hans Baake - 4 Berechtigten - 5 siehe vorl. Band, S. 459
abwarten müssen; wenn sie durchkommt, sehe ich nicht, wie wir die Arbeit, wenigstens in Berlin, ungestört fortsetzen können. Vielleicht würde Stuttgart günstiger sein - wie dem auch sei, qui vivra verra6. Ich hoffe, Du schickst den „Devenir social" auch nach Madrid - unsere Freunde dort sind bezüglich der ausländischen Lektüre fast gänzlich auf französische Produktion angewiesen, und mir scheint, sie bekommen mehr von den Veröffentlichungen anderer Parteien zu Gesicht als von unserer. Denn wenn die Geschäftsführung des „Socialiste" als Vorbild dienen soll, dann wehe uns! Der „Vorwärts" teilt die völlige Reorganisation dieser illustren Zeitung mit[493], die „mit Ausschluß der Öffentlichkeit"7 herausgegeben wird, und daß Chauvin die Verlagsabteilung umgebildet hat wenn das der Fall ist, il est tellement chauvin8, daß hier niemand eine Spur davon gemerkt hat. Aber der „Vorwärts" scheint von Frankreich ja nur den Boulevard Bonne Nouvelle9 zu kennen, und wenn die nouvelles ne sont pas assez bonnes, il les fabrique lui-meme10. Vielen Dank für Deine Mitteilungen über Sganarelle, sie reichen völlig aus für die eclairage de ma tete11 über den Gegenstand. Ich hatte nur den Sganarelle aus „Medecin volant" und „Don Juan" im Kopf. Bitte sag Paul, wenn er eine draught12 nötig hat, die sich aus Pfund, Schilling und Pence zusammensetzt (in welchem Fall der britische Philister es draft13 buchstabiert), so werde ich ihm gern eine verschreiben. Herzliche Grüße von Louise. Stets Dein F.E.
Aus dem Englischen.
6 die Zukunft wird es lehren - 7 in der Handschrift deutsch: „mit Ausschluß der Öffentlichkeit" - 8 dann ist er dermaßen chauvinistisch — 9 Boulevard Gute Nachricht -10 Nachrichten nicht gut genug sind, fabriziert er sie selbst - 11 Erleuchtung meines Geistes - 12 Dosis
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Engels an Ludwig Kugelmann in Hannover
London, 18. April 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Kugelmann, Bitte entschuldige, daß ich Deinen Wunsch übersah, ich möchte Dir gleich wegen Liv[ingston] schreiben, dessen Brief selbst mir kaum einer besondern Erwiderung zu bedürfen schien.14691 Ich glaube nicht, daß Jacobi oder M.Becker etwas Brauchbares besitzen werden, wenn L[ivingston] ihnen schreibt, werden wir das erfahren. Mit Sorge stehn wir seit vielen, vielen Jahren in regelmäßiger Korrespondenz. Im übrigen besten Dank für Deine Mitteilungen. Wie das etwaige Anonyme im „Westphfälischen] Dampfboot"14681 ausfindig zu machen, weiß ich allerdings auch nicht; möglich, daß, wenn ich an die Arbeit komme, dies und jenes mein Gedächtnis auffrischt; im übrigen, wenn etwas drin ist, ist es wenig wichtig, höchstens als Beweis unsrer Nichteinstimmung mit dem damaligen Bielefelder Gefühlssozialismus14941. Schließlich werde ich's wohl machen müssen, wie Du sagst14961, ich bin auch schon lange der Ansicht, daß im schlimmsten Fall so verfahren werden muß. Inzwischen findet sich immer noch dies und jenes, so jetzt die alte „Rh[einische] Z[eitung]" auf der Berliner Bibliothek. Was aber einen schweren Strich durch die Rechnung machen kann, ist die Umsturzvorlage.13661 Bevor die entschieden, ist an einen Aktionsplan nicht zu denken. Viele Grüße von Freybergers und mir den Deinigen und Dir selbst Dein F.E. Ein Stück erhältst Du per Post.14961
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Engels an Richard Fischer in Berlin
London, 18. April 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Fischer, Nachträglich noch eins: bitte sieh doch noch einmal in der alten „Rheinischen] Ztg." nach wegen der Moselartikel[490], ob nicht auch eine Art Polemik sich über diesen Gegenstand entsponnen und dabei dann auch Artikel unter Marx' gewöhnlicher Chiffre und in seiner Schreibweise - kurze, antithetisch pointierte Sätze - sowie auch noch sonstige kleinere Artikel derselben Chiffre und desselben Stils vorfinden, und gib mir Nachricht darüber. Auf meine eignen Artikel - die besten verfielen der Zensur - und selbst auf meine Chiffre kann ich mich nicht mehr besinnen, die meisten längeren, d.h. mehr als bloße Tageskorrespondenzen, sind in der Beilage und im Feuilleton. Außer den Artikeln der „Rh[einischen] Z[eitung]"1485] habe ich noch einen von M[arx] aus der gleichen Periode und ebenfalls über die Zensurwirtschaft1 entdeckt, der mit abgedruckt werden kann, davon wollen wir aber nichts verlauten lassen, da er ebenfalls anonym erschien. Es sind ca. IVa bis 2 Bogen. Möglicherweise finde ich noch etwas andres Kleineres. Dann hätten wir die Hauptsachen aus M[arx]'s üorsozialistischer Periode zusammen. Sorge inzwischen nur für rasche Einsendung der Abschrift an mich, das Weitere machen wir dann ab. Dein F.E.
1 Karl Marx: „Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion"
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Engels an Stanislaw Mendelson in London
[London] 23. April 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Mein lieber Mendelson, Wenn es Ihnen recht ist, werde ich morgen, Mittwoch, zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags, bei Ihnen sein - falls das Wetter es erlaubt. Gruß an Frau M[endelson] und Sie von Ihrem F. Engels
Aus dem Französischen.
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Engels an Franz Mehring in Berlin
London [Ende April 1895] 41, Regent's Park Road, N. W.
Geehrter Herr Mehring, Mit vieler Freude und mit Dank nehme ich Ihr Anerbieten an, mir bei Aufstöberung alter Arbeiten von Marx für eine Neuherausgabe behülflich zu sein. Die nächste Schwierigkeit machte die ,,Rh[einische] Ztg." von 1842, die ich in der Berliner Bibliothek zwar vermutete, aber über deren wirkliches Vorhandensein ich trotz mehrfacher Anfragen nichts Sicheres erfuhr. Jetzt ist dieser Punkt erledigt, und wir können anfangen. Bis Oktober 42 war M[arx] in Bonn; als ich Ende Sept. oder Anfang Okt. auf der Rückreise von Berlin durchkam, war auf der Redaktion, soviel ich mich erinnere, nur M. Heß und Dr. Rave, ein ehemaliger Redakteur der ,,Elberf[elder] Ztg." (die damals, glaub' ich, anders hieß); Rutenberg war, glaub' ich, schon ausgewiesen; doch bin ich darüber nicht sicher. Als ich gegen Ende Nov. auf der Durchreise nach England wieder vorsprach, traf ich Marx dort, und hatten wir bei der Gelegenheit unser erstes sehr kühles Zusammentreffen; Marx war inzwischen gegen die Bauers aufgetreten, d.h. hatte sich dagegen erklärt, daß die ,,Rh[einische] Z[eitung]" vorwiegend ein Vehikel für theologische Propaganda, Atheismus etc. statt für politische Diskussion und Aktion werde, und ebenso gegen den Edgar Bauerschen, auf bloßer Lust am „am weitesten gehn" beruhenden Phrasen-Kommunismus, der dann auch bald bei Edgar durch andre extrem klingende Phrasen ersetzt wurde; da ich mit den Bauers korrespondierte, galt ich für ihren Alliierten, während M[arx] mir verdächtigt war von jenen. Nach allen meinen Erinnerungen trat M[arx] am 1. Jan. 43 von der Redaktion en chef zurück - wenigstens offiziell. Das hindert aber nicht, daß er bis in den Februar hinein unter der Hand an der Zeitung mitgearbeitet haben mag. Ebenso glaube ich sicher zu sein, daß der Ukas, wonach die Zeitung am 3I.März 43 einzugehn habe, spätestens am 31.Dez. ihr zugestellt worden ist; dann fingen Verhandlungen an, die negatives Resultat lieferten; daher Veröffentlichung des Ukases erst 28. Jan. und ebenso der
eingeführten Oberzensur, die schon länger tatsächlich bestanden hatte; eine Zeitlang sogar dreifache Zensur: 1. der gewöhnliche Zensor, 2. der von Berlin hergesandte Assessor von Saint-Paul, 3. der Regierungspräsident. Saint-Paul war noch mit beim Leichenschmaus der Zeitung. Die Schwankung am 12./18. Febr. würde so ziemlich mit Marx* Abreise von Köln zusammenfallen. t4971 Wenn Sie durch Vergleichung dieser Daten mit der Zeitung selbst noch einiges nähere feststellen resp. berichtigen können, so wäre das für Ihre wie meine Arbeit sehr erwünscht. Mit den Moselartikeln[4901 wird es sich wohl so verhalten, wie Sie sagen. Marx war damals an Köln gefesselt und konnte persönlich unmöglich Material der Art sammeln. Der Artikel, von dem ich Fischer sprach1, ist in der Tat der in Ruges „Anekdota" über eine Zensur-Instruktion2. Eine der besten Arbeiten in der „Rheinischen] Z[eitung]" ist noch im Feuilleton eine lange Kritik der Geschichte der Französischen Revolution von Leo. Sie ist von Marx' Freund C. F. Koppen (der auch über den alten Fritz3 und nordische Mythologie geschrieben) und gibt (zum ersten Mal in irgendeiner Sprache) die richtige Erklärung der Schreckenszeit. Daß Sie die Zeit vor 48 sehr gründlich studiert haben, haben mir einige Zitate und Rückblicke in Ihren Artikeln der „N[euen] Z[eit]" schon bewiesen. Ich bin froh, daß die Bearbeitung dieser Zeit sowie der späteren für Deutschland Ihnen zugefallen ist. Möglicherweise findet sich auch in der Zeit vor Okt. 42 in der Beilage hier und da noch etwas von Marx, kleineren Mitteilungen aus Bonn im Hauptblatt nachzuspüren, verlohnt sich wohl nicht der Mühe. Zur Vernichtung der „Freien Volksbühne" mein herzlichstes Beileid! Der Umsturz von oben durfte an diesem Institut unmöglich vorübergehn!14981 Nochmals besten Dank! Mit aufrichtiger Hochachtung Ihr F. Engels
instruktion" - 3 Friedrich II.
248
Engels an Richard Fischer in Berlin
London, 9. Mai 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber Fischer, Ich bin durch meine rheumatischen Schmerzen in der Kopfhaut und damit zusammenhängende Schlaflosigkeit so momentan heruntergekommen, daß ich zu keiner Arbeit fähig bin. Ich denke bis nächste Woche wieder in Ordnung zu sein. Einstweilen aber glaube ich, es ist am besten, wenn Du mit Mehring, da Ihr beide ja das Ex. der „Rheinischen] Z[eitung]" einsehn könnt, selbst erledigt, was mit den kleineren und Moselartikeln'4901 geschehn soll, und mir nur das Nötigste in Abschrift herschickt. Ich schreibe darüber auch 2 Zeilen an Mehring].1 Das Ms. soeben angekommen.'4991 Dein F.E.
249
Engels an Franz Mehring in Berlin
London, 9. Mai 95 41, Regent's Park Road, N. W.
Sehr geehrter Herr Mehring, Meinen allerbesten Dank für Ihren langen, inhaltreichen Brief nebst Beilagen. Ich beantworte ihn ausführlich, sobald mein Schädel es erlaubt, der leider seit 8 Tagen von einer rheumatischen Kopfschwarte wie von einem eisernen Reifen umzogen und eingepreßt wird. Im Lauf nächster Woche denk' ich darüber wie über die damit verknüpfte Schlaflosigkeit hinwegzukommen. Inzwischen bin ich mit Ihrem Vorschlag einverstanden: Vollständig aus der „Rheinischen] Z[eitung]" nur die beiden großen Artikel und die über Kommunismus1 (sowie den Artikel aus den „Anekdota"2) zu geben. Von den übrigen wären nur die von Ihnen gütigst zu bezeichnenden prägnantesten Stellen zu kopieren (nebst Angabe des Zusammenhangs). Was die Moselartikel'4901 angeht, so wäre mir für meine Einleitung eine kurze Übersicht des Verlaufs der Debatte und des Inhalts erwünscht. Wollen Sie die Güte haben, hierüber sich mit Fischer ins Vernehmen zu setzen? Nochmals besten Dank und bis „über ein Kleines", wo ich mehr schreibe, aufrichtigst der Ihrige F. Engels
1 Karl Marx: „Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags. Erster Artikel. Debatten über Preßfreiheit" , „Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags. Dritter Artikel. Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz" und „Der Kommunismus und die Augsburger .Allgemeine Zeitung'" - 2 Karl Marx: „Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion"
250
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
London, 14. Mai 95 41, Regent's Park Road, N. W.
Mein liebes Lohr, Ich war außerordentlich froh - und Louise und Ludwig waren es auch — zu erfahren, daß Ihr beide, Du und Paul, bereit und gewillt seid, für eine Weile hierherzukommen, und ich hätte darauf sofort geantwortet, wären nicht diese verteufelten Schmerzen, die mich seit einer Woche beinahe verrückt gemacht und mich auch jetzt noch nicht verlassen haben, so daß ich alles andere als schmerzfrei bin und ohne jeden Geist und zu nichts zu gebrauchen. Die Sache ist die: Vor einiger Zeit bekam ich eine Schwellung an der rechten Seite des Halses, die sich nach einiger Zeit in ein tiefsitzendes Lymphdrüsenpaket umwandelte, das aus irgendeiner Ursache infiltriert war. Die Schmerzen entstanden durch den direkten Druck dieser Geschwulst auf den Nerv und werden natürlich erst verschwinden, wenn dieser Druck aufhört. Im Augenblick geht ein Resorptionsprozeß sehr befriedigend vor sich, jedoch eitern einige dieser Drüsen und müssen wahrscheinlich geschnitten werden; da sie aber so tief sitzen und nur langsam hochkommen und wir alten Leute so langsame Gäule sind, läßt sich die Zeit für die Operation nicht genau festsetzen, doch man hofft, es wird noch in dieser Woche sein. Wenn das erst einmal vollbracht ist, soll ich an die See fahren; aber der Zeitpunkt ist noch ungewiß. Wie die Dinge nun liegen, wäre es dann nicht das beste, wenn Du, sagen wir, im Laufe der nächsten Woche herüberkämst, und dann könnten wir, Du und ich, uns so bald wie möglich auf den Weg nach Eastbourne machen und uns dort in bequemen Quartieren niederlassen und alles für Besucher aus London vorbereiten. Ich sage Du und ich, weil ich vor habe, Dich eine gute Weile hierzubehalten, länger, als Paul sich wahrscheinlich von seinen Studien, Euren Tieren und der Gartenarbeit trennen würde; darum wird er wohl vorziehen, es zu machen, wie Qu sagst, und hinterhergesprungen kommen.
Wenn ich hier heraus bin, will Louise in meinen beiden Zimmern ein Großreinemachen veranstalten, und danach könnte sie mit ihrem Baby kommen und sich uns eine Woche oder so anschließen; danach könnten Tussy und Edward kommen, und dann Paul, der bis dahin wohl seiner Einsamkeit überdrüssig sein wird, und dann können wir alle zusammen an unsere Rückkehr nach London denken und Paul auch unsere neue Wohnung zeigen. Dies ist ungefähr der Plan, wie ihn ein Mann mit neuralgischen Schmerzen im Kopf nach einer Reihe von schlaflosen Nächten unter den gegenwärtigen unentschiedenen Bedingungen auszudenken vermag und der daher Änderungen unterworfen ist, weil neue Umstände und neue Ideen dies gebieten könnten. Er wird Dir hiermit untertänigst zur Billigung oder, wenn nötig, Verbesserung unterbreitet. Die Hitze ist unerträglich. 22 °C im Zimmer den ganzen Tag über - kein Wind, Wolken und drohendes Gewitter, das leider nur droht. Und das 2 Monate nach diesem starken Frost! Herzliche Grüße von den Freybergers an Euch beide. Amitids a Paul et au revoir.1 Ich füge einen Scheck über £ 10 bei für Deine Reise hierher und einige kleine Anschaffungen, die Du vielleicht für Deine Ausstattung machen möchtest. Laß uns also bitte wissen, wann wir Dich erwarten können. Stets Dein F. Engels
Es gibt noch einen Grund, unnötige Verzögerungen zu vermeiden: wir müssen vor der Pfingstwoche nach Eastbourne fahren wegen der verbilligt reisenden Ausflügler usw.
Aus dem Englischen.
251
Engels an Carl Hirsch in Köln ,
London, 20. Mai 95 41, Regent's Park Road, N.W.
Lieber ...1 Ihr stellt uns eine schwierige Aufgabe. Wir sollen „den Journalisten Tollitt in England" ausfindig machen und die „englischen Blätter", worin das Bewußte über Brauweiler steht.'5001 Erstens wird in den Berichten der englischen Tagespresse über die Sache der Name Brauweiler nicht einmal erwähnt, der Bericht des Parlaments-Komitees erscheint aber erst, nachdem die Tätigkeit dieses Komitees abgeschlossen. Die Notiz muß also wohl aus irgendeinem obskuren industriellen Fachblatt herrühren, ist also hierzulande nicht zu erwischen. Zweitens, der Journalist Tollitt, der nach andern Pollitt heißt, ist hier nirgends bekannt. Dr. Freyberger hat im National Liberal Club, wo eine Unmasse Journalisten Mitglieder sind, vergebens seine Spur gesucht. Wir haben nun weitere Schritte getan, den Mann wo möglich zu ermitteln - er scheint gar nicht in London zu wohnen und in der politischen Presse nicht zu arbeiten, wahrscheinlich in einem industriellen Fach - aber das erfordert Zeit. Sehr naiv aber ist Eure Hoffnung, der Mann werde sich dort als Zeuge für Euch stellen. Er sagt ja selbst, er sei auf einem Schleichweg in die Gefängnisse gekommen, würde also sofort in Köln wegen Beamtenbestechung oder dergleichen ins Loch wandern und prozessiert werden. Auch Hofrichters Idee, ihn hier gerichtlich vernehmen zu lassen, ist unausführbar. Wohl aber, wenn er will, kann er ein Affidavit ausstellen (Erklärung an Eides Statt, die, wenn falsch, alle Folgen des Meineids nach sich zieht) vor einem Friedensrichter, worin er das bestätigt, was er vor dem Ausschuß gesagt hat, und dies ist nach Legitimierung durch den deutschen Konsul ein gerichtliches Dokument auch drüben. Bernstein war die Woche von London weg, und Beer hat in der Welt, wo der Tollitt gesucht werden muß, absolut keine Verbindungen. Sobald wir etwas Weiteres erfahren, bekommst Du Nachricht. Aber die
Zeit ist verdammt kurz. Woher hattet Ihr die Notiz? Forscht dort nach, bis Ihr heraus habt, wie und durch wen sie in die deutsche Presse kam, das gibt Anhalt. Viele Grüße. Dein F.E.
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Engels an Karl Kautsky in Stuttgart15011
London, 2I.Mai 95 T . . „ 41, Regent's Park Road, N.W. Lieber rSaron, Ich hätte Dir auf Deinen Brief vom 6. gleich geantwortet. Aber eine eklige Halsdrüsenanschwellung mit viel Schmerzen und obligater Schlaflosigkeit hat mich für 14 Tage fast total arbeitsunfähig gemacht. Jetzt sollst Du aber nicht länger warten. Ihr habt damals eine „Geschichte des Sozialismus"14721 unternommen. Von allen lebenden Menschen gab es damals - das darf ich wohl sagen nur einen, dessen Mitwirkung dabei unbedingt notwendig schien, und der eine war ich. Ich darf sogar sagen, daß ohne meine Hülfe eine derartige Arbeit heute nicht anders als lückenhaft und mangelhaft sein kann. Und das wußtet Ihr so gut wie ich. Von allen möglicherweise brauchbaren Leuten bin ich aber grade der einzige, der nicht zur Mitarbeit aufgefordert wurde. Ihr mußtet also sehr triftige Gründe haben, wenn Ihr grade mich ausschlösset. Ich beklage mich nicht darüber, weit entfernt. Ihr hattet ein vollkommnes Recht, so zu handeln. Ich konstatiere nur die Tatsache. Was mich allerdings, doch nur für einen Augenblick, pikiert hat, das war die sonderbare Geheimniskrämerei, womit Ihr, während alle Welt davon sprach, mir gegenüber die Sache umhülltet. Erst durch Dritte erfuhr ich von dem ganzen Vorhaben, erst durch den gedruckten Prospektus von der Anlage des Plans. Weder von Dir noch von Ede ein Wort, es war, als hättet Ihr ein böses Gewissen. Daneben dann von allerlei Leuten leise Anfragen unter der Hand, wie ich zu der Sache stehe, ob ich die Mitwirkung abgelehnt etc. Und dann endlich, als das Schweigen nicht mehr möglich, kam der gute Ede auf die Sache zu sprechen, mit einer Verschämtheit und Verlegenheit, die einer schlechteren Sache würdig gewesen wäre - wo doch nichts Unrechtes vorlag als diese lächerliche Komödienspielerei, die mir inzwischen, wie Louise bezeugen kann, manche recht heitre Stunde gemacht hatte. Nun gut. Ihr habt mir gegenüber eine vollendete Tatsache hingestellt: eine „Geschichte des Sozialismus" ohne meine Mitwirkung. Diese Tat31 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
sache habe ich von Anfang an akzeptiert, ohne mich zu beklagen. Aber diese von Euch selbst geschaffne Tatsache könnt Ihr auch nicht wieder aus der Welt schaffen, könnt sie nicht ignorieren, falls Euch dies gelegentlich einmal paßt. Und ebensowenig kann ich sie aus der Welt schaffen. Habt Ihr mir nach reiflicher Überlegung die große Vorderpforte verschlossen, zu einer Zeit, wo mein Rat und meine Hülfe Euch wesentlich nützen konnte, so bitte, verlangt jetzt nicht von mir, daß ich durch irgendein kleines Hintertürchen hineinschlüpfe, um Euch aus einer Verlegenheit zu helfen. Ich gestehe, wären die Rollen umgekehrt verteilt, ich hätte mich sehr, sehr lange besonnen, ehe ich Dir einen Antrag gestellt wie den vorliegenden.15021 Ist es denn so äußerst schwer einzusehn, daß jeder die Folgen seiner eignen Handlungen auf sich nehmen muß? As you made your bed, so you must lie in it.1 Ist für mich kein Platz darin, so nur, weil Ihr's so gewollt habt. So, das wäre abgemacht. Und nun tu mir den Gefallen und sieh diese meine Antwort als unwiderruflich an. Laß diesen ganzen Zwischenfall für uns beide tot und begraben sein. Ich werde auch mit Ede nicht darüber sprechen, wenn er nicht davon anfängt. Inzwischen bin ich dran, Dir für die ,,N[eue] Z[eit]" eine Arbeit zu liefern, die Dir Freude machen wird: „Ergänzungen und Nachträge zum .Kapital', Buch III", Nr. 1: Wertgesetz und Profitrate, Antwort auf Sombarts und C.Schmidts Bedenken. Später folgt Nr.2: die sehr bedeutend veränderte Rolle der Börse, seit Marx 1865 darüber schrieb.14571 Je nach Bedarf und Zeit folgt Fortsetzung. Der erste Artikel wäre fertig, wenn mein Kopf frei gewesen. Von Deinem Buch kann ich sagen, daß es sich bessert, je weiter man darin kommt. Plato und das Urchristentum sind noch zu ungenügend nach dem ursprünglichen Plan behandelt. Die mittelalterlichen Sekten schon viel besser, und zwar crescendo: am besten die Taboriten, Münzer, die Wiedertäufer. Sehr viel wichtige ökonomische Reduktionen der politischen Ereignisse, daneben aber auch Gemeinplätzliches, wo eine Lücke im Studium vorlag. Ich habe aus dem Buch sehr viel gelernt; für meine Neubearbeitung des „Bauernkriegs" ist es eine unentbehrliche Vorarbeit.'1401 Die Hauptfehler scheinen mir zwei: 1. Sehr mangelhafte Untersuchung der Entwicklung und Rolle der ganz außerhalb der feudalen Gliederung stehenden, deklassierten, fast pariamäßig gestellten Elemente, die unvermeidlich mit jeder Stadtbildung aufkommen mußten und die unterste, rechtlose Schicht jeder Stadtbevölkerung im Mittelalter bilden, los von Markgenossenschaft,
feudaler Abhängigkeit und Zunftverband. Das ist schwer, aber es ist die Hauptbasis, denn allmählich, mit Auflösung der Feudalbande, wird dies das Forproletariat, das 1789 in den Pariser Faubourgs2 die Revolution machte, absorbiert alle Auswürflinge der feudalen und zünftigen Gesellschaft. Du sprichst Von Proletariern, der Ausdruck schielt, und ziehst die Weber hinein, deren Wichtigkeit Du ganz richtig schilderst - aber erst seitdem es deklassierte, nichtzünftige Weberknechte gab, und nur soweit es deren gab, kannst Du diese zu Deinem „Proletariat" rechnen. Hier ist noch viel nachzuholen. 2. Hast Du die Weltmarktstellung - soweit davon die Rede sein kann, die internationale ökonomische Stellung Deutschlands Ende des XV. Jahrhunderts nicht voll erfaßt. Diese Stellung erklärt allein, weshalb die bürgerlich-plebejische Bewegung in religiöser Form, die in England, den Niederlanden, Böhmen erlag, im 16. Jahrhundert in Deutschland einen gewissen Erfolg haben konnte: den Erfolg ihrer religiösen Vermeidung, während der Erfolg des bürgerlichen Inhalts dem folgenden Jahrhundert und den Ländern der inzwischen entstandnen neuen Weltmarktsrichtung vorbehalten blieb: Holland und England. Das ist ein langes Thema, das ich beim „Bauernkrieg" in extenso darzustellen hoffe - wär' ich erst dabei! Im Stil fällst Du - um populär zu bleiben - bald in den Leitartikel, bald in den Schulmeister. Das ließe sich vermeiden. Und dann: Willst Du dem Janssen zulieb noch immer nicht das Wortspiel verstehn, das U. v. Hutten mit den obscuri viri trieb? Der Witz ist ja, daß es beides heißt: obskur und obskurant, und das wollte Hutten sagen.15031 Doch das alles läuft nur so mit. Du und Eide, Ihr habt beide ein ganz neues Thema bearbeitet, und das wird nie auf den ersten Schlag vollkommen. Ihr könnt Euch freuen, ein Buch fertiggebracht zu haben, das sich sehn lassen kann, schon jetzt, wo doch nur sozusagen ein erster Entwurf vorliegt. Jetzt seid Ihr aber beide verpflichtet, das in Arbeit genommne Gebiet nicht wieder brachzulegen, sondern weiterzuforschen, damit Ihr in ein paar Jahren eine Neubearbeitung fertigbringt, die allen Ansprüchen genügt. Von Petersburg schickt man mir russische Übersetzung Deiner alten Arbeit über Ehe und Familie („Kosmos"). Ich weiß nicht, von wem gemacht. Ich schicke sie Dir. Viele Grüße von Haus zu Haus. Dein F. Engels
2 Vorstädten
31*
Noch eins. Ich habe Sorge vorgeschlagen, seine Artikel über die amerikanische Bewegung, wenn vollendet, separat herauszugeben.15041 Er ist darauf eingegangen, sagt aber, es werde da viel nachzuarbeiten, zu bessern und zu ergänzen sein, wozu er vor nächster Sommerfrische wohl keine Zeit finden werde. Meinen Vorschlag, die Sache bei Dietz in Anregung zu bringen, nahm er an. Willst Du so gut sein, bei Dfietz] anzufragen, ob er Lust hat, die Sache zu übernehmen, und wenn ja, zu welchen Bedingungen. Die Artikel sind das Beste und einzig Authentische, das wir über die amerikanische Bewegung haben, und ich halte es für sehr wünschenswert, daß sie im Zusammenhang und separat dem Publikum erhalten werden.
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Engels an die Redaktion der „Rheinischen Zeitung" in Köln15001
London, 22. Mai 1895 41, Regent's Park Road, N.W.
Werte Redaktion, Der Mann ist gefunden, heißt James Pollitt, und ist bereit zu allem Verlangbaren. Hat uns schon alles vorhandne Material geliefert. Die Artikel stehn in „The Hardwareman", 11. und 18. Mai: stenographische Berichte der Sitzungen des Handelsamtausschusses (Board of Trade Committee) über ausländische Gefängnisarbeit, worin er seine Aussagen machte. Diese gehn Ihnen im Original zu mit Übersetzung der auf Brauweiler bezüglichen Stellen. Ferner wird er uns Muster der in Brauweiler verfertigten und hier verkauften Artikel verschaffen und auch eine beglaubigte Erklärung an Eides Statt über die Richtigkeit sowohl seiner Aussagen vor dem Ausschuß wie der von Ihnen angeführten Auszüge. Da aber das Material sehr reichhaltig wird und sich in der kurzen Zeit brieflich nicht derart verarbeiten läßt, daß Sie in den Stand gesetzt würden, es gebührend vor Gericht zu verwerten, ist mündliche Besprechung dringend wünschenswert, und habe ich daher heute morgen telegraphiert an Hirsch, 37 Hämergasse, Köln: Hirsch, Hofrichter oder Rechtsanwalt sogleich herkommen sehr wichtig Engels. Hoffentlich ist jemand sofort abgereist und meldet sich bei Ankunft in 41, Regent's Park Road, wo er Quartier vorfindet, und dann gleich ins Geschirr gehn kann. In 12 Stunden ist alles abgemacht und kann die Rückreise, wenn nötig, angetreten werden. Ich lege die erwachsenden Kosten einstweilen vor und werde Ihnen später darüber Rechnung aufstellen. Der Mann, der die Brauweiler Fabrikate hier in England durch seinen Londoner Agenten S.A.Rothschild verkaufen läßt, heißt Christian Abner in Köln. Dies wäre der wichtigste Zeuge für Sie. Er müßte auf seinen Eid gefragt werden über die Waren, die er aus Brauweiler bezieht und nach England verschickt. Pollitt hat die Wagen mit vollen Ladungen verfolgt von der Brauweiler Anstalt bis zu seinem Geschäftslokal in Köln. Abner hat
auch Erklärungen drucken lassen in Englisch, daß er keine Gefängnisarbeit verkauft, er behauptet nämlich, Brauweiler sei kein Gefängnis, sondern bloß eine Besserungsanstalt. Solche Unterschiede ziehn aber hier nicht. Morgen mehr, falls nicht inzwischen einer kommt. Beste Grüße von Ihrem F. Engels
254
Engels an Richard Fischer in Berlin15051
Lieber F[ischer], Dank für Zusendung. Bin noch nicht imstande, daranzugehn. Inzwischen bitte ich auch um Abschrift der gesamten Moselbauern-Artikel.14901 Nämlich Hofrichter aus Köln war hier und will sie haben, um sie dort zu verwenden. Da habe ich mit ihm abgemacht, daß ich sie mir kommen lasse, und wenn ich sie nicht ganz, oder überhaupt nicht, verwenden kann, so will er sie haben, und in dem Fall zahlt Euch die ,,Rh[einische] Ztg." die Kopierkosten. Ihr seid also auf jeden Fall gedeckt. Beste Grüße. Dein F. E. [London] 29./5./95
255
Engels an Nikolai Franzewitsch Danielson in Petersburg
London, 4. Juni 1895 41, Regent's Park Road, N.W.
Werter Herr, Ich fühle mich augenblicklich ziemlich schlecht (aber es ist nichts Ernsthaftes) und muß mich daher auf das absolut Notwendige beschränken. Ich habe Herrn Konow Ihre Ergänzungen und Änderungen geschickt1506 ihn gebeten, direkt mit Ihnen zu korrespondieren, und ihm Ihre Adresse gegeben. Seine Adresse ist: Andrei Konow, Augsburgerstr.37111, Berlin. In der Hoffnung, Ihnen bald bessere Nachrichten geben zu können, verbleibe ich Ihr ergebener L. /C.'264'
Aus dem Englischen.
256
Engels an Eduard Bernstein in London
4, Royal Parade, Eastbourne18071, 18. Juni 95
Lieber Ede, Dank für Deinen Brief - es geht besser, aber nach den Grundsätzen der Dialektik: die positive und die negative Seite erfahren beide Steigerung. Ich bin kräftiger, esse mehr und mit mehr Appetit, sehe sehr gut aus, sagt man; Allgemeinbefinden also besser. Daneben aber auch Steigerung des Krankheitsprozesses, mehr Geschwulst, mehr Schmerzen, mehr Erschwerung des Schlafs etc. Die Sache verläuft akuter, nicht ganz so schlafmützig wie in London, aber normal. Infolgedessen ist meine pathologisch wohlerworbne Dummheit eher gestiegen und meine Arbeitsunfähigkeit ditto. Heute habe ich wieder einmal einen spezifisch schlechten Tag, fange eben, 5 Uhr nachm., an, etwas freieren Kopf zu bekommen. Louise, Ludwig und das Kleine kamen Samstag, Ludwig ist Sonntag wieder in Spitaldienst nach London; kommt wahrscheinlich Freitag oder Samstag wieder. Samstag oder Sonntag kommen Avelings, möglicherweise auch Sam Moore. Leider müssen sich die Leute unter sich amüsieren, ich bin subjektiv und objektiv langweilig. Viele Grüße an Gine und die Kinder herzlich. Meine Leute sind alle draußen, ich habe versucht, etwas zu schlafen. Dein F. E.
257
Engels an Boleslaw Antoni Jedrzejowski in London
4, Royal Parade, Eastbourne, 28./Ö./95
Geehrter Genosse, In Erwiderung Ihrer Anfrage vom 25. ds., die mir hieher nachgeschickt worden, beehre ich mich, Ihnen anzuzeigen, daß ich gegen Ihre Übersetzung meiner Artikel aus dem „Commonwealth" und deren Veröffentlichung in der angezeigten Weise durchaus nichts einzuwenden habe.15081 Hochachtend F. Engels Red. „Przedäwit", B. A. Jedrzejowski
258
Engels an Filippo Turati in Mailand15091
4, Royal Parade, Eastbourne, 28. Juni 95
Lieber Bürger Turati, Ein Resümee der 3 Bände des „Kapitals" ist eine der schwierigsten Aufgaben, die sich ein Autor vornehmen kann.'5101 In ganz Europa gibt es, meiner Ansicht nach, nicht mehr als ein halbes Dutzend Leute, die dazu fähig wären. Neben anderen unerläßlichen Dingen muß man die bürgerliche politische Ökonomie gründlich kennen und die deutsche Sprache vollkommen beherrschen. Sie sägen aber, daß Ihr Labriolino1 in diesem letzteren Punkt nicht besonders stark ist; indessen beweisen mir seine Artikel in der „C[ritica] S[ociale]"[5111, daß er besser damit beginnen sollte, den I.Bd. richtig zu begreifen, ehe er sich an eine selbständige Arbeit über das Gesamtwerk macht. Ich habe kein gesetzliches Recht, ihn daran zu hindern, muß aber jede Verantwortung ablehnen. Was den anderen Labriola2 betrifft, so hat die üble Zunge, die Sie ihm zuschreiben, vielleicht eine gewisse Daseinsberechtigung in einem Land wie Italien, wo die sozialistische Partei1-2871 gleich allen anderen Parteien wie unter einer Heuschreckenplage an der Invasion dieser „deklassierten bürgerlichen Jugend" leidet, auf die Bakunin so stolz war. Folge: üppig wuchernder literarischer Dilettantismus, der nur allzuoft auf Sensationshascherei hinausläuft und notwendigerweise von einem Koteriegeist begleitet ist, wie er in der Presse herrscht. Daß es so etwas gibt, ist nicht Ihre Schuld, aber Sie sind ebenso wie jedermann dem Einfluß dieses Milieus ausgesetzt. Übrigens würde ich mit Ihnen ausführlicher über L[abriola] sprechen, aber wenn ich in der „C[ritica] S[ociale]" Bruchstücke aus meinen Privatbriefen ohne mein Wissen abgedruckt sehe15121, werden Sie zugeben müssen, daß ich besser schweige. Übrigens scheint die Partei nach allen Streitigkeiten und Kontroversen bei den letzten Wahlen im allgemeinen so gehandelt zu haben, wie es die Lage erforderte: Behauptung ihrer Unabhängigkeit beim 1. Wahlgang, wo
das den Crispis keinen Vorteil verschaffte, Unterstützung der Radikalen und Republikaner bei den Stichwahlen, wo unsere Leute in Frage kamen.15131 Dr. Aveling und Frau, die gerade bei mir sind, und ich senden Ihnen und Bürgerin Anna Kulischowa die herzlichsten Grüße. Freundschaftlichst Ihr F. Engels Schreiben Sie bitte immer an die Londoner Adresse.
Aus dem Französischen.
259
Engels an Paul Lafargue in Le Perreux15141
[Eastbourne, 29. Juni 1895] Wenn der Berg nicht zu Mohammed kommt, kommt Mohammed zum Berg. Wenn Paul nicht nach Eastbourne kommen will, kommt Eastbourne zu ihm. Also, was Mohammed nicht erreichen konnte, erreicht Paul mit einem Augenzwinkern. Bescheinigt am 29. Juni 1895 von uns Unterzeichneten F. Engels Tussy Edward Laura
Aus dem Französischen.
260
Engels an Richard Fischer in Berlin15151
Lieber F[ischer], Die M[osel]-Artikel14901 sind in London richtig eingetroffen. Dank. Wegen Fertigstellung des Ms. resp. der nur in London zu machenden Einleitung kann ich Dir aber leider nichts Bestimmtes sagen, ich bin noch nicht imstand, etwas zu arbeiten, und weiß auch nicht, wie lange diese bei meinem Alter zwar normal, aber verteufelt langsam verlaufenden Prozesse mich noch aufhalten werden. Schönes Wetter haben wir hier mehr als die Bauern wünschen, grade hier herrscht positive Dürre. Grüße an Deine Frau und Kinder, Dein F. E. Eastbourne, 4, Royal Parade, 29./Ö./95
261
Engels an Louise Freyberger in London
Liebe Lfouise], Willst Du mir auch ein kleines Fläschchen von der Karbolsäurelösung in meinem Schlafzimmer mitbringen, meine Nase hat wieder Halluzinationen. Ferner wirst Du gut tun, Dich und Baby auf etwas kältliches Wetter einzurichten, es war gestern sicher nur 12-13°C hier. - Den Aufsatz von E. Aveling wegen der Independent Labour PartytB16), den ich Dir bei der Abreise aufzuheben gab, bitte ich Dich, ihm nach Green Street, Green near1 Chislehurst, Kent, zu schicken, Efdward] und Tfussy] sind heute morgen fort. Laura will auch schon Mittwoch morgen mit dem Tagesboot von Newhaven fahren und ist dann abends zu Hause. Du siehst sie also nicht mehr. Sie läßt herzlich grüßen. Heut morgen schön, dann Regen, jetzt wieder Sonne. Habe vorige Nacht sehr gut geschlafen, aber Samstag abends Pulver ohne große und dann gestern nochmals mit durchschlagender Kraft des Effets - daher heut etwas matt. Gruß an Ludwig. Gruß und Kuß der Kleinen und Dir von Deinem F.E. Eastbourne, 1. Juli 95
262
Engels an Eduard Bernstein in London15171
Lieber Ede, Brief erhalten. Dank. Soweit alles beim alten, d.h. viel Stimmungswechsel je nach dem leiblichen Zustand. An Arbeiten noch nicht zu denken, auch nur an allerdringendste Korrespondenz. Seit gestern Laura fort und Louise wieder hier, die, wie ich, Dich, die Kinder und Gine herzlichst grüßt. Dein F.E. 4, Royal Parade, Eastbourne, 4./7./95
263
Engels an Filippo Turati in Mailand[618]
Brief erhalten. Alles in Ordnung.
4, Royal Parade, Eastbourne, 4. Juli 95
Aus dem Italienischen.
Gruß. F. Engels
32 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
264
Engels an Antonio Labriola in Rom
[Eastbourne, vor dem 8. Juli 1895] Alles sehr gut, nur einige kleine tatsächliche Mißverständnisse und anfangs eine etwas zu gelehrte Schreibweise. Ich bin sehr begierig auf den Rest.'5191
Nach: „La Critica. Rivista di Letteratura, Storia e Filosofia", Napoli 1938.
265 • Engels an Eleanor Marx-Aveh'ng • 9. Juli 1895 499
265
Engels an Eleanor Marx-Aveling in London
4, Royal Parade, Eastbourne, 9./7./95
Meine liebe Tussy, Dank für Johnnies1 Brief, den ich hierbei zurückschicke. Natürlich hat der Junge recht, wenn er an zu Hause hängt. Edgar2 scheint ein waschechter Normand3, der nur den augenblicklichen Vorteil sieht. Um so schlimmer. Edwards Antwort an Glasgow ist in Ordnung. Die Erklärung ist im „Labour Leader" vom 6. Juli, Seite 2, zu finden, K.H[ardie] gegen E. A[veling] in der „Jeunesse socialiste".[616] Jetzt kommt die noble Natur des K. H[ardie] deutlich zum Vorschein. Während E. A[veling] ihn angreift, verschafft K.H[ardie] ihm großmütig eine Kandidatur, die, sollte E.A[veling] sie annehmen, K.H[ardie] aus allgemeinen Gründen durch den Exekutivausschuß streichen lassen könnte. Bis Sonntag abend ging es mir ganz gut, dann aber hatte ich zwei böse Nächte und Tage, teils vielleicht wegen des von der Seeluft beschleunigten Ausscheidungsprozesses, der in meinem Halse vor sich geht, aber hauptsächlich durch die nachlassende Wirkung der schmerzbetäubenden Mittel, die ich nun seit etwa acht Wochen täglich und in zunehmenden Mengen angewandt habe. Andererseits habe ich einige schwache Seiten meines launischen Appetits herausgefunden und nehme lait de poule4 mit Brandy, Eierrahmspeise mit Kompott, Austern bis zu neun täglich usw. Grüße an Euch beide. F.E.
Aus dem Englischen.
1 Jean-Laurent-Frederick Longuet - 2 Edgar Longuet - 3 Normanne - 4 geschlagenes Eigelb mit Zucker
266
Engels an Laura Lafargue in Le Perreux
Eastbourne, 23. Juli 95
Mein liebes Lohr, Morgen kehren wir nach London zurück. Es scheint sich in dem Kartoffelfeld auf meinem Hals endlich eine Krisis anzubahnen, so daß die Schwellungen geöffnet werden können und Erleichterung eintritt. Endlich! es besteht also Hoffnung, daß diese lange Geschichte eine Wendung nimmt. Und es ist auch hohe Zeit, mit meinem mangelnden Appetit usw. bin ich ziemlich heruntergekommen. Die Wahlen hier sind ausgegangen, wie ich gesagt hatte: eine große Tory-Majorität, die Liberalen hoffnungslos geschlagen und, wie ich hoffe, in voller Auflösung.12611 Der Prahlerei der Independent Labour Party191 und der Social Democratic Federation1101 steht die Wirklichkeit von bisher etwa 82 000 Stimmen für die Kandidaten der Labour Party gegenüber (zu denen kaum weitere hinzukommen werden) und der Verlust des Sitzes von K. Hardie. Dabei war das noch mehr, als sie zu erwarten berechtigt waren. Victor Adler ist hier. Hast Du oder hat Paul irgendwelche Fragen an ihn wegen Pauls Abmachung mit der „Arbeiter-Zeitung"1, oder kann ich Euch bei ihm irgendwie von Nutzen sein? Ich habe nicht die Kraft, lange Briefe zu schreiben, so lebt denn wohl. Ich trinke auf Deine Gesundheit einen Humpen lait de poule2, dem ein Schuß cognac vieux3 zugesetzt ist. Amities a Paul.4 Stets Dein F. Engels
Aus dem Englischen.
1 Siehe vorl. Band, S. 357 - 2 geschlagenes Eigelb mit Zucker - 3 alter Kognak - 4 Grüße an
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Erste Seite des Briefes von Engels an Laura Lafargue vom 23. Juli 1895
Zweite Seite des Briefes von Engels an Laura Lafargue vom 23. Juli 1895
Friedrich Engels' Testament

1
Engels' Testament vom 29. Juli 1893
Ich, Friedrich Engels, 122, Regent's Park Road, London, widerrufe hiermit alle früher von mir gemachten Testamente15201 und erkläre folgendes als meinen letzten Willen. Ich ernenne meine Freunde Samuel Moore, Lincoln's Inn[5211, Gerichtsadvokat, Eduard Bernstein, 50, Highgate Road, London, Journalist, und Louise Kautsky, die jetzt bei mir, 122, Regent's Park Road, wohnt, zu Vollstreckern dieses meines Testaments und vermache jedem von ihnen die Summe von £250 (zweihundertfünfzig Pfund) für seine oder ihre Mühe. Ich vermache meinem Bruder Hermann das jetzt in meinem Besitz befindliche Ölgemälde meines Vaters, und falls der genannte Bruder mir im Tode vorangehen sollte, vermache ich es seinem Sohn Hermann. Ich vermache alle Möbel und sonstige Habe, die sich zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Wohnhaus befinden oder sonst dazugehören, mit Ausnahme von Geld, Wertpapieren oder solchen Gegenständen, über die ich in diesem Testament oder einem Nachtrage dazu eine andere Verfügung treffe, der genannten Louise Kautsky. Ich vermache August Bebel, Berlin, Deutsches Reich, Mitglied des Deutschen Reichstags, und Paul Singer, Berlin, ebenso Mitglied des Deutschen Reichstags, als gemeinsamen Treuhändern die Summe von £ 1000, die sie oder der Überlebende von ihnen dazu verwenden sollen, um die Wahl solcher Personen in den Deutschen Reichstag zu einem solchen Zeitpunkt oder solchen Zeitpunkten und an einem solchen Ort oder Orten zu fördern, welche die genannten August Bebel und Paul Singer oder der Überlebende von ihnen nach ihrem oder seinem freien Ermessen für geeignet halten. Ich Vermache meiner Nichte Mary Ellen Rosher, die Frau von Percy White Rosher, The Firs, Brading Road, Ryde, Vertreter und Buchhalter, die Summe von £ 3000. Ich bestimme, daß alle Manuskripte literarischer Natur in der Handschrift meines verstorbenen Freundes Karl Marx und alle von ihm geschriebenen oder an ihn gerichteten Familienbriefe, die zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen, von meinen Testamentsvollstreckern an Eleanor Marx-Aveling, 7, Gray's Inn Square, W.C., die jüngere Tochter des erwähnten Karl Marx, gegeben werden
sollen. Ich Vermache alle Bücher, die zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen und alle meine Urheberrechte den genannten August Bebel und Paul Singer. Ich Vermache alle Manuskripte, die zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen (mit Ausnahme der erwähnten literarischen Manuskripte von Karl Marx) und alle Briefe (mit Ausnahme der erwähnten Familienbriefe von Karl Marx) den genannten August Bebel und Eduard Bernstein. Was meinen übrigen Nachlaß anbetrifft, so bestimme ich, daß er in acht gleiche Teile aufgeteilt wird; ich Vermache drei dieser Teile Laura Lafargue, Le Perreux bei Paris, Frankreich, die ältere Tochter des erwähnten Karl Marx und Ehefrau von Paul Lafargue, Mitglied der französischen Deputiertenkammer; ich vermache drei andere dieser Teile der genannten Eleanor Marx-Aveling, und die verbleibenden zwei Teile des besagten übrigen Nachlasses vermache ich der genannten Louise Kautsky. Ich bevollmächtige meine Testamentsvollstrecker, zu dem oder den ihrem Ermessen entsprechenden Zeitpunkten jeden Teil meines Nachlasses in seiner jeweiligen Anlageform oder seinem jeweiligen Zustand für die volle oder teilweise Befriedigung eines Vermächtnisses oder eines Anteils an dem besagten Rest meines Nachlasses heranzuziehen oder zu übertragen mit der Befugnis, zu diesem Zweck den Wert meines besagten Nachlasses oder eines Teiles oder Teilen davon endgültig so festzulegen, wie sie es für zweckmäßig halten. Zum Zeugnis dessen habe ich, besagter Friedrich Engels, unter dieses mein Testament am heutigen 29. Juli 1893 meine Unterschrift gesetzt. Friedrich Engels
Als sein letzter Wille von dem genannten Erblasser unterzeichnet in Gegenwart von uns gleichzeitig Anwesenden, die wir in seiner Gegenwart und jeder in Gegenwart des anderen unsere Namen als Zeugen hierunter gesetzt haben.
Friedrich Leßner, 12, Fitzroy Street, Fitzroy Sq. W.C. Ludwig Freyberger, M. D., L. R. C.P., 11, Gower Street, Bedford Sq. W.C.
2
Engels an seine Testamentsvollstrecker15221
An die in meinem Testament genannten Testamentsvollstrecker. 1. Die folgenden Zeilen sind Ergänzungen und Erklärungen zu meinem Testament. Sie drücken lediglich meine Wünsche aus und sollen meine Testamentsvollstrecker in keiner Weise rechtlich binden. Im Gegenteil, wo immer sich herausstellen sollte, daß sie der juristischen Bedeutung meines Testaments widersprechen, sollen sie unberücksichtigt bleiben. 2. Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, daß mein Leichnam eingeäschert und meine Asche bei erster Gelegenheit ins Meer versenkt werde. 3. Ich wünsche, daß unmittelbar nach meinem Tpde eine Abschrift meines Testaments an meinen Bruder Hermann Engels, Barmen oder, im Falle seines Todes, an Hermann Engels junior, Engelskirchen bei Köln, gesandt werde. 4. Falls Sam Moore zum Zeitpunkt meines Todes nicht in England ist und nicht sofort als Testamentsvollstrecker tätig werden kann, werden Bernstein und Louise ohne ihn handeln müssen. In diesem Fall und selbst wenn Sam Moore zwar irgendwo in England, aber nicht in London sein sollte, empfehle ich ihnen, für ihren persönlichen Gebrauch eine Abschrift meines Testaments anzufertigen und das Original an Crosse and Sons, Anwälte, 7, Lancaster Place, Strand, zu übergeben, damit sie es bestätigen lassen und meinen Testamentsvollstreckern juristischen Beistand leisten. Diese letzteren werden sofort für folgende Punkte Sorge zu tragen haben: a) Bei den Herren Crosse zu ermitteln, welche Schritte sie zu tun haben, um so schnell wie möglich die volle Verfügung über mein Guthaben bei der Union Bank of London Limited in der Regent's-Street-Filiale und das Verfügungsrecht über die Teile meiner Kapitalanlagen zu erlangen, die möglicherweise zur Deckung laufender Ausgaben verkauft werden müssen. b) Den Wert meines Nachlasses festzustellen. Meine Möbel, Bücher usw. werden abgeschätzt werden müssen. Die Herren Crosse werden dafür sorgen. Der Wert meiner Anlagen in Wertpapieren, ^ktien usw. zum Zeitpunkt meines Todes kann nach dem amtlichen Kurszettel für Wertpapiere und Aktien errechnet werden, mit dem meine Makler, die Herren Clayton & Aston, 4, Tokenhouse buildings, Tokenhouse Yard, E. C. meine Testamentsvollstrecker versehen werden.
c) Wie die Herren Crosse meinen Testamentsvollstreckern erklären werden, sind die verschiedenen, in meinem Testament angeordneten Geldvermächtnisse nicht zu ihrem vollen Nennwert auszuzahlen, sondern unterliegen dem Abzug des auf jedes davon entfallenden Anteils an der Erbschaftssteuer. 5. In meinen Büchern wird man verschiedene Geldbeträge verzeichnet finden, die ich im Laufe einer ganzen Reihe von Jahren an Laura und Paul Lafargue, Percy und Ellen Rosher, Edward und Eleanor Marx-Aveling gezahlt habe. Bei diesen Beträgen handelt es sich, wie ich ausdrücklich festzustellen wünsche, nicht um mir geschuldete Darlehen, sondern sie sind tmd waren vielmehr stets Geschenke von mir. Sie sind daher in keiner Art und Weise zurückzufordern. 6. Als einen Teil der Zahlung des von mir Ellen Rosher hinterlassenen Vermächtnisses ist von meinen Testamentsvollstreckern die Anwartschaft auf bestimmte Gelder zu benutzen, die an Percy Rosher nach dem Tode seines Vaters und seiner Mutter zu zahlen sind - welche Anwartschaft ich genanntem Percy Rosher abgekauft habe. Ich wünsche, daß Ellen Rosher der von mir ausgegebene Betrag angerechnet wird, nämlich £ 250 -, die ich Percy Rosher gezahlt habe, und £30. - Anwaltsgebühren, die diese Transaktion kostete, insgesamt £ 280. -. 7. Ich wünsche mein Testament durch folgende Einzelheiten hinsichtlich der Verfügung über die von mir hinterlassenen Papiere zu ergänzen, nämlich: a) Alle Papiere in der Handschrift von Karl Marx, mit Ausnahme seiner Briefe an mich, sowie alle an ihn gerichteten Briefe, mit Ausnahme meiner Briefe an ihn, sind an Eleanor Marx-Aveling als der gesetzlichen Vertreterin von Karl Marx* Erben zurückzugeben. b) Alle an mich geschriebenen Briefe von Percy und Ellen Rosher, Laura und Paul Lafargue, Edward und Eleanor Marx-Aveling oder von meinen Verwandten in Barmen und Engelskirchen oder von der Familie Beust in Zürich sind den Briefschreibern zurückzugeben. Das ist, glaube ich, alles, was ich zu sagen habe.
London, 14. November 1894
Friedrich Engels
P.S. Es versteht sich, daß das honorarium oder die Tantiemen, die für das „Kapital" und für meine „Lage der arbeitenden Klassen" von Sonnen
schein gezahlt werden, wie bisher zu zahlen sind - für ersteres an die Erben von Marx lind die Übersetzer (Y5 an Laura, 1/5 an Tüssy, Vs an Jennys Kinder, 4/25 an Sam Moore, 4/25 an Ed. Aveling) und für letzteres vollständig an Flörence Kelley.
Aus dem Englischen.
3
Nachtrag zu Engeis' Testament 26. Juli 1895
Ich, Friedrich Engels, 41, Regent's Park Road, London, früher 122, Regent's Park Road, ebenda, erkläre dies für den ersten Nachtrag, den ich am heutigen 26. Juli 1895 meinem vom 29. Juli 1893 datierten Testament anfüge. Ich widerrufe das in meinem erwähnten Testament gemachte Vermächtnis von £ 3000 an meine Nichte Mary Ellen Rosher, die Frau von Percy White Rosher, und Vermache ihr statt dessen die Summe yon £ 2230; und ich Vermache ihr ferner die Anwartschaft des erwähnten Percy White Rosher auf bestimmte Gelder, für deren Zahlung er im Falle des Todes seiner Eltern gemäß deren Ehevertrag Anwärter ist oder war - welche Anwartschaft ich von ihm für die Summe von £ 240 gekauft habe, was mich zusätzlich £30 Anwaltsgebühren, zusammen £ 270 kostete. Ich bestimme, daß alle Geldzahlungen, die ich ohne Gegenleistung ah Percy White Rosher, seine Ehefrau Mary Ellen Rosher, Paul Lafargue, seine Ehefrau Laura Lafargue, Doktor Edward Aveling, seine Ehefrau Eleanor Marx, Eugen Oswald und Friedrich Leßner oder an irgendeinen von ihnen gemacht habe, als Geschenke an die Betreffenden betrachtet werden, und dementsprechend vermache ich sie ihnen. Ich Vermache Doktor Ludwig Freyberger, 41, Regent's Park Road, London, als Anerkennung und in Würdigung der unermüdlichen Sorgfalt, mit der er mich jahrelang als Arzt behandelt hat, ohne je eine Bezahlung anzunehmen, die Summe von £ 80 für jedes seit dem I.Juli 1893 bis zu meinem Tode abgelaufene volle Jahr; und ferner die Summe von £ 50 für den, sei es auch noch so kleinen, Teil des Jahres vom I.Juli vor meinem Tod bis zu meinem Todestag. Aber ich mache
dieses Vermächtnis davon abhängig, daß er an mich oder meinen Nachlaß keine Forderung für seine ärztlichen Dienste stellt. Ich bevollmächtige meine Testamentsvollstrecker und weise sie an, der in meinem Testament Louise Kautsky genannten Louise Freyberger, die jetzt die Ehefrau des erwähnten Doktor Freyberger ist, vor der Verfügung über die Vermietung meines Hauses Nr. 41, Regent's Park Road, auf dem Wohnungsmarkt die Wahl zu überlassen, diesen Mietvertrag zu übernehmen unter der Bedingung, daß der Mietzins gezahlt wird, die im Vertrag festgelegten Bedingungen erfüllt und mein Nachlaß sowie die Testamentsvollstrecker gegen alle Forderungen des Vermieters auf Grund des Vertrages gesichert werden; die erwähnte Entscheidung ist innerhalb eines Monats nach meinem Tod schriftlich einem anderen meiner Testamentsvollstrecker als der genannten Louise Freyberger mitzuteilen. Während ich in meinem erwähnten Testament bestimmt habe, daß alle von Karl Marx geschriebenen oder an ihn gerichteten Familienbriefe, die zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen, von meinen Testamentsvollstreckern an Eleanor Marx-Aveling übergeben werden sollen, widerrufe ich hiermit die besagte Bestimmung hinsichtlich der Familienbriefe und bestimme statt dessen, daß alle von dem erwähnten Karl Marx geschriebenen oder an ihn gerichteten Briefe (mit Ausnahme meiner Briefe an ihn und seiner Briefe an mich), die zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Besitz sind oder meiner Verfügung unterstehen, von meinen Testamentsvollstreckern der erwähnten Eleanor Marx-Aveling als der gesetzlichen persönlichen Vertreterin des erwähnten Karl Marx übergeben werden sollen; und weiter bestimme ich durch diesen Nachtrag, daß alle zum Zeitpunkt meines Todes in meinem Besitz befindlichen Briefe meiner Verwandten in Barmen und Engelskirchen, von Percy W. Rosher oder dessen Ehefrau Ellen, von Paul Lafargue oder dessen Ehefrau Laura, von Doktor Edward Aveling oder dessen Ehefrau Eleanor Marx, von Doktor Ludwig Freyberger oder dessen Ehefrau Louise und von der Familie Beust in Zürich von meinen Testamentsvollstreckern den entsprechenden Briefschreibern zurückgegeben werden. Demgemäß widerrufe ich hiermit das in meinem besagten Testament enthaltene Vermächtnis zugunsten von August Bebel und Eduard Bernstein hinsichtlich „aller Briefe (mit Ausnahme der erwähnten Familienbriefe von Karl Marx)" und vermache statt dessen den besagten August Bebel und Eduard Bernstein alle Briefe (mit Ausnahme derer, von denen dieses Nachtragstestament bestimmt, daß sie Eleanor Marx-Aveling zu übergeben sind, sowie mit Ausnahme derer, über die in diesem Nachtragstestament anderweitig verfügt ist). Und vorbehaltlich des oben Gesagten
bestätige ich mein besagtes Testament. Zum Zeugnis dessen habe ich hierunter am oben angegebenen Tag und Jahr meine Unterschrift gesetzt. Friedrich Engels
Erklärt und unterzeichnet von dem oben genannten Friedrich Engels als Nachtrag zu seinem Testament in Gegenwart von uns gleichzeitig Anwesenden, die wir in seiner Gegenwart und jeder in Gegenwart des anderen unsere Unterschrift als Zeugen hierunter gesetzt haben.
Ada Pearce, Krankenpflegerin, 41, Regent's Park Road S.Nichols Nichols, Köchin, 41, Regent's Park Road
Aus dem Englischen.

Küste von Eastbourne; zwei englische Meilen von diesem Felsen entfernt wurde die Urne mit der Asche Friedrich Engels' ins Meer versenkt

Briefe von Marx und Engels an dritte Personen
1846-1880
(Nachträge)

1
Marx an Joseph Weydemeyer in Schildesche bei Bielefeld
Die Privatadresse an mich: Au Bois Sauvage, chez M. Lanoy, Plaine Ste Gudule, Nr. 19.
Brüssel, 14. Mai [1846] Die Briefe, die Du an mich priva-« tim schreibst, schreib unter der Adresse: Ä Mr. Lanoy, Plaine Ste Gudule, Bruxelles, mit Kuvert. Lieber Weiwi! Du erhältst spät Brief. Es kam allerlei dazwischen. Ich wollte Dir nach Verabredung schon von Lüttich aus schreiben. Aber der Geldgeschichten wegen war's mir zu unangenehm. Solche Geschichte schieb' ich gern von einem Tag zum andern. Zuletzt muß mein dann doch in den Apfel beißen. Du wirst bald von hier einen offiziellen Brief erhalten. Die Manuskripte erhältst Du bald. Der zweite Band1 ist fast fertig. Sobald die Manuskripte für den ersten Band anlangen (es ist besser, die Sachen in zwei Sendungen zu schicken), wäre es höchst wünschenswert, daß der Druck beginnt.'5231 Was Deine Idee mit Limburg betrifft, so mag das gut sein für Broschüren. Bücher über 20 Bogen werden am besten in dem eigentlichen Deutschland gedruckt.15241 Ich glaube dafür einen Weg gefunden zu haben, der 1. Meyer2 nominell ganz aus dem Spiel läßt, 2. den Regierungen das Spiel sehr schwer macht und 3. insofern sich sehr empfiehlt, als sehr gewandte Hände mit der Expedition beauftragt würden. Der hier lebende Vogler, der einen Kommissionär in Leipzig hat, einen Mann, der in der Verbreitung konfiszierlicher Bücher hauptsächlich macht, würde nämlich den ganzen buchhändlerischen Vertrieb übernehmen. Die Bücher selbst würden gedruckt in Deutschland. Als Verleger stünde jedesmal der Herausgeber da, also im „Selbstverlag des Verfassers". Vogler hat sich
1 der „Deutschen Ideologie" - 2 Julius Meyer
zu folgenden Bedingungen erboten, die ich wörtlich aus einem Brief desselben an mich zitiere: „Ich verpflichte mich, für 10 ^ von der Meß-Einnahme alle Besorgungen, als Versendungs-, Verladungs-, Auslieferungs-, Inkasso-, Kommissions- und andere Unkosten zu übernehmen, vorausgesetzt, daß mir die Bücher franko Leipzig geliefert werden." Vogler würde also hier die Fakturen schreiben, und die Bücher würden vom Druckort direkt an seinen Kommissionär nach Leipzig verschickt. Der Druckort dürfte natürlich nicht in Preußen sein. Bei jeder Ostermesse fände die Verrechnung mit Vogler statt. Dies scheint mir das beste einstweilen für Schriften über 20 Bogen. Für Broschüren ist Dein Vorschlag sicher gut. Wegen der Aktien-Buchhandlung will ich mich einmal umsehn. Jedenfalls wird es Schwierigkeiten machen. Wenn Meyer auf Voglers Vorschlag eingeht, so könnte sofort - es wäre nur ein beliebiger Druckprt außer Preußen aufzutun. Was mich So weit war ich gekommen, als Dein neuer Brief ankam, sowohl der an Ph.Gigot als an mich persönlich gerichtete. Auf den gemeinschaftlichen Teil sitzt Engels soeben neben mir Dir zu antworten. Ich gestehe Dir offen, daß die darin mitgeteilten Nachrichten mich ziemlich unangenehm affiziert haben.15251 Du weißt, daß ich in einer großen Geldklemme bin. Um mich in den letzten Zeiten hier momentan noch halten zu können, habe ich die letzten Gold- und Silbersachen und einen großen Teil der Leinwand versetzt. Ich habe auch, um zu ökonomisieren, einstweilen die eigne Wirtschaft aufgegeben und bin hier in den Bois Sauvage gezogen. Ich hätte sonst auch noch eine neue Magd mieten müssen, da das kleinste Kind3 jetzt entwöhnt wird. Ich habe mich vergebens in Trier (bei meiner Mutter) und in Köln bei einem ihrer Handelsfreunde umgesehn, um 1200 fr. zu leihen, die ich notwendig haben muß, um wieder in Ordnung zu kommen. Um so unangenehmer sind mir nun die Nachrichten mit dem Buchhändel, da ich dies Geld als Vorschuß auf die Ökonomie15261 zu bekommen hoffte. Es existieren in Köln wohl noch einige Bourgeois, die mir wahrscheinlich für einen bestimmten Termin das Geld vorschießen würden. Allein, da diese Leute sich seit geraumer Zeit einer prinzipiell direkt entgegengesetz
ten Richtung zugewandt haben, so möchte ich mich ihnen in keiner Weise verpflichten. Was das Honorar für die Publikation betrifft, so fällt mir, wie Du weißt, nur die Hälfte für den I.Band zu. Nicht genug mit dem eignen Pech, strömen auch noch von allen Ecken an mich, als den Herausgeber der Publikation, dringende Briefe etc. ein. Namentlich liegt da eine unangenehme Sache mit Bernays vor. Du weißt, daß er durch Dich schon 104 fr. auf Abschlag erhalten hatte. Bernays hatte einen Wechsel auf den 12. Mai ausgestellt (an seinen Bäcker), konnte nicht zahlen, er mußte protestiert werden, das verursachte neue Unkosten etc. etc. Der Bäcker will ihn jetzt einsperren lassen. Er schrieb an mich, ich konnte ihm natürlich nicht helfen, tat aber, um momentan die Sache aufzuschieben, was allein möglich war: 1. schrieb einen fruchtlosen Brief an Herwegh11351 in Paris, worin ich ihn bat, dem B[ernays] die Summe vorzustrecken, bis sein Aufsatz erschienen sei; 2. schrieb einen französischen Brief an B[ernays][1351, um im Notfall seinen Gläubiger aufzuhalten, worin ich ihm mitteile, daß er nach der Publikation das soundso viel noch betragende Honorar erhalten werde. Darauf hat ihm der Bürger Ausstand bis zum 2. Juni gegeben. Bernays schuldet mit den Protestkosten etc. 120 fr. (ich weiß die Summe nicht mehr genau). Du siehst, allseitige Misere! Ich weiß mir im Augenblick nicht zu helfen. Ein andermal schreib' ich Dir einen inhaltlichen Brief. Mein Schweigen mußt Du daraus entschuldigen, daß zu der vielen Arbeit, den Hauspflichten etc. noch aller dieser Gelddruck hinzugekommen ist. Leb wohl. Dein M.
Meine Frau und ich lassen Deine Braut4 herzlich grüßen. Nebenbei bemerkt und um allen Mißverständnissen zuvorzukommen Heß hat von den beiden Bänden, die ich jetzt herausgebe, nichts mehr zu bekommen, im Gegenteil noch uns zurückzugeben.
2
Marx an die Polizeidirektion in Köln15271
Eine wohllöbliche Polizei-Direktion beehre ich mich hiermit zu ersuchen, mir bei der zustehenden Behörde das Bürgerrecht der Stadt Köln zu erwirken.1 Geboren d. 5ten Mai 1818 zu Trier, machte ich meine Studien auf dem Gymnasium daselbst und auf den Universitäten zu Bonn und Berlin, und lebte während der Jahre 1842 und 43 in Köln als Redakteur der ehemaligen „Rheinischen Zeitung". Mit dem Aufhören dieser Zeitung ging ich ins Ausland und verzichtete auf das preußische Staatsbürgerrecht. Nach den vorgegangenen Ereignissen kehre ich in mein Vaterland zurück und beabsichtige, mich jetzt mit meiner Familie hier in Köln niederzulassen. Hochachtungsvoll Dr. Karl Marx Köln, den 13ten April 18482 Wohnung Apostelstraße No. 7.
1 Siehe auch Band 5 unserer Ausgabe, S. 382-385 - 2 Datum in der Handschrift von Marx
3
Marx an den Polizeidirektor Geiger in Köln1527'
Ew. Wohlgeboren benachrichtige ich, daß ich sofort bei [dem] Ministerium des Innern gegen das mir von Ihnen [ausgefertigte Schriftstück1 Rekurs eingelegt habe2 und m[ich] nach wie vor als deutschen Reichsbürger betrachte. Köln, den 5. August 1848
Der Redakteur en chef der ,,N[euen] Rheinischen Zeitung]" Dr. Karl Marx
An den Herrn kommis[sarischen] Polizeidirektor Geiger Wohlgeboren hier.
1 Siehe Band 5 unserer Ausgabe, S.383 - 2 siehe Band 5 unserer Ausgabe, S.382
4
Marx an Ferdinand Lassalle in Düsseldorf
[Köln, 13. November 1848]
Lieber Lassalle! Beschließt in Eurem demokratisch-monarchischen Klub15281: 1. Allgemeine Steuerverweigerung - speziell auf dem Lande zu propagieren; 2. Freischaren nach Berlin; 3. Geldsendungen an den demokratischen Zentralausschuß in Berlin15291. Im Auftrage des rheinischen demokratischen Provinzialausschusses15301 K. Marx (privat) Lieber Lassalle! Wenn Du mir Geld schicken kannst, sei es die 200 Taler oder das für die Darlehnsscheine, so verbindest Du | mich sehr. Schicke es an meine Frau, Cecilienstraße 7. Ich habe heute einen Erscheinungsbefehl erhalten15311, und man glaubt allgemein, daß ich morgen verhaftet werde. Dein Marx
5 • Marx, Engels und August Willich an Freiherrn Christian Karl Josias von Bunsen 521
5
Marx, Engels und August Willich an Freiherrn Christian Karl Josias von Bunsen in London15321
64, Dean Street, Soho Square [London] 30. Mai 1850
Sir, Den öffentlichen Blättern entnehmen wir, daß die „Neue Preußische Zeitung" unlängst eine Reihe von Enthüllungen veröffentlicht hat, welche jenen Teil der deutschen und besonders der preußischen Emigration betrifft, der gegenwärtig in London lebt; daß die oben genannte Zeitung von gewissen Beziehungen zwischen London und Berlin gesprochen hat und daß sie den Namen eines der Unterzeichneten in Verbindung mit dieser Sache gebracht hat. Die Gesellschaft, der wir angehören'5331, hält die „Neue Preußische Zeitung" nicht. Wir nehmen uns daher die Freiheit, uns an Sie zu wenden, und erwarten von Ihrer Loyalität, daß Sie, Sir, der offizielle Repräsentant unserer Nationalität in England, die courtoisie1 haben werden, uns die in Frage kommenden Nummern der „Neuen Preußischen Zeitung" zur Verfügung zu stellen. Wir haben die Ehre, Sir, zu verbleiben Ihre ergebenen Diener Karl Marx August Willich Friedrich Engels An Seine Exzellenz Chevalier Bunsen Preußischer Gesandter in London.
Aus dem Englischen.
6
Engels an Marie Blank in London
Manchester, 22. Nov. 1852
Liebe Marie, Ich muß mich wirklich ungeheuer entschuldigen, daß ich Dir nicht schon längst auf Deinen ersten Brief geantwortet habe. Aber auf dem Comptoir, wo ich früher meine Privatkorrespondenz abzumachen pflegte, hab' ich jetzt so viel zu tun, daß daran nicht mehr zu denken ist, und zu Hause, mon Dieu1, sind meine Schreibmaterialien immer in so schlechtem Stand (wie z.B. meine kalligraphischen Experimente am Anfang dieses Briefs beweisen), daß ich mich kaum dazu entschließen kann, mich mit ihnen in einen Kampf einzulassen. Trotzdem tu' ich es heut abend; bewundre mein Pflichtgefühl, und sieh meine schlechte Handschrift für einen neuen Beweis meiner brüderlichen Liebe an. Außerdem hatte ich noch einen andern Grund, der mich abhielt, Dir zu schreiben. Nämlich, als Du in Deutschland warst, fiel mir ein, daß ich Dich wegen etwas zu fragen hatte; als Du aber zurückkamst, konnte ich mich absolut nicht mehr darauf besinnen, was es war. Du begreifst, daß dergleichen Gesinnungslosigkeit oder vielmehr Besinnungslosigkeit einem Mann von Ehrgefühl große Gewissensbisse machen mußte. Aufrichtig gestanden, ich konnte es nicht übers Herz bringen, Dir zu schreiben, solange ich über diesen wichtigen Punkt nicht im reinen war. Dein neuer Brief aber und eine angestrengte, durch ein welsh rabbit2 und einige Gläser Sherry geschärfte Geistestätigkeit haben mich endlich wieder auf die Beine gebracht, und ich weiß jetzt wieder, was ich Dich fragen wollte. Es handelt sich nämlich um folgendes: Hab' ich Weihnachten oder Ostem zwei baumwollene Hemden bei Dir liegenlassen? Diese sind nämlich seit längerer Zeit aus meiner Garderobe verschwunden, und wenn sie sich dort wiedergefunden haben sollten, so wäre mir dies ganz angenehm, indem daraus hervorginge, daß ich keineswegs ein unordentlicher Mensch bin.
Du fragst mich wegen Wünschen. Ma ch&re sceur3, mit Wünschen geb' ich mich seit geraumer Zeit nicht mehr ab, dabei kommt nichts heraus. Außerdem hab' ich wirklich kein Talent dazu, denn wenn ich mich einmal ausnahmsweise auf der Schwachheit ertappe, mir etwas zu wünschen, so ist es jedesmal etwas, was ich doch nicht haben kann, und daher tu' ich besser, mir das Wünschen lieber vollends abzugewöhnen. Wie Du siehst, verfalle ich auch bei diesem Gegenstand ganz in den moralischen Ton des Predigers Salomonis und so, the less we say about it, the better it will be4. Wenn Du also vorhast, mich Weihnachten abermals durch einen neuen Beweis Deiner Liebe zu verpflichten, so wird mein unbeholfenes und unausgebildetes Wünschtalent Dir schwerlich dabei zu Hülfe kommen können, übrigens tröste ich mich mit dem Gedanken, daß Du dieser Hülfe auch nicht bedarfst, ä en juger par le passe5. Ich freue mich zu hören, daß Ihr alle wohlauf seid. Einige Erkältungen abgerechnet, bin ich im ganzen auch ganz gesund gewesen und habe namentlich keine Zahnschmerzen beim Umschlagen der Jahreszeit mehr gehabt, hoffentlich ist das jetzt ganz vorbei. Ich wohne noch immer in Strangeways, aber ein paar Häuser weiter, doch denk' ich im nächsten Monat diese Gegend zu verlassen und mehr in die Nähe von Klein Deutschland zu ziehen, es ist hier doch zu einsam, und diesen Winter werde ich mir zur Abwechslung erlauben, mich etwas zu amüsieren, soweit das in diesem Kohlenrauch möglich ist. Seit sechs Monaten hab' ich keine Gelegenheit mehr gefunden, mein anerkanntes Genie im Komponieren eines Hummersalats anzuwenden - quelle horreur6, dabei versauert man ja ganz. Nächstes Frühjahr werd' ich ohnehin wieder einmal ein Buch schreiben müssen, wahrscheinlich englisch, über den ungarischen Krieg oder über die Romane des Herrn von Balzac seliger oder sonst über irgend etwas. Dies ist aber ein großes Geheimnis, sonst würd' ich's Dir gar nicht mitteilen. Was macht Elise7? Wenn sie gut kochen kann und Strümpfe stopfen, so könnte sie wohl nach Weihnachten herkommen und mir die Haushaltung führen. Da Gottfried8, der Lautenspieler (oder war das der Franz9?), sich eine eigene Haushaltung eingerichtet hat, so bin ich fast verpflichtet, dasselbe zu tun und ihn auszustechen, was sehr leicht geht, denn Elise würde gewiß famos die Honneurs des Hauses zu machen wissen, während der alte Perückenhagestolz nur eine alte, rappelige, sechs Fuß lange, knochendürre,
3 Meine liebe Schwester gangenheit zu urteilen - 1 Ermen •4 je weniger wir darüber sprechen, desto besser - 6 nach der Ver6 wie schrecklich - 7 Elise Engels - 8 Gottfried Ermen - 9 Franz
abschreckende, knurrige, triefäugige, schloddrige, zerzauste, abgedankte Küchenmagd von einer Haushälterin hat und trotz seinem Schöntun in Konzerten, Bällen u. dgl. doch nie eine Frau kriegt, pauvre bonhomme que Dieu le benisse!10 Übrigens ist es Zeit, daß ich aufhöre, denn ich fange an, von meinen Nebenmenschen und sogar von einem Mitglied der Firma allerhand Böses zu reden, und das soll man nie tun, außer, wenn man etwas dabei verdienen kann, sagt der Quäker. Grüße Emil11, Elise und die Kleinen und empfiehl mich bestens Hrn. und Frau Heilgers. Zum Begräbnis des Old Duke12 zu kommen war das Wetter zu schlecht und die Arbeit auf dem Comptoir zu dringend, wir haben nur einen halben Feiertag gemacht. Übrigens bin ich in vier Wochen ja doch da. Von ganzem Herzen Dein Friedrich
10 der arme Kerl, Gott segne ihn! -11 Emil Blank -12 Arthur Wellesley Wellington
Marx an Franz Duncker in Berlin15341
London, 23. Febr. 1859
Werter Herr, Einliegend erfolgt das „Vorwort"1.
Ihr ganz ergebner Karl Marx
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Marx an Franz Duncker in Berlin
[London] 17th March 1859
Werter Herr, Ich schicke die Korrekturbogen1 in Briefkuvert zurück, weil mir von der hiesigen Post angezeigt worden, daß Korrekturen von Berlin nach London geschickt werden können, den Weg von London nach Berlin aber als Briefe machen müssen. Seite 32 in den letzten Zeilen habe ich vergessen, statt „tieferer ö^ono» mischer Gegensatz zwischen englischer und französischer etc. Ökonomie zu korrigieren „tieferer prinzipieller etc."2 Es ist möglich, daß mich mein Gedächtnis täuscht, aber es scheint mir, als ob die Anfänge der Sätze von S.33, sowohl im Text als der ersten Note, auf Seite 32 gefehlt hätten. Ihr ganz ergebner K.M.
1 der Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie" - 2 siehe Band 13 unserer Ausgabe,
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Marx an Franz Duncker in Berlin
London, 21. Mai [1859]
Werter Herr, Aus einem von Nordamerika mir zugekommnen Schreiben'5351 ersehe ich, daß ungefähr 100 Exemplare auf das erste Heft1 unter meinen Parteifreunden bestellt sind. Ob Sie die Bestellung bereits erhalten, weiß ich nicht. Gleichzeitig aber wird mir angezeigt, daß auf 100 Exemplare mehr in denselben Kreisen zu rechnen, sobald der Preis bekannt. Ich ersuche Sie also, umgehend mir letztern anzuzeigen. Es schließt dies natürlich nicht spätere Anzeige der Schrift in Nordamerika für das allgemeine Publikum aus. Die Langsamkeit, womit die Sache betrieben wird, scheint mir nicht in Ihrem eignen Interesse. In meinem ist sie sicher nicht. In das Druckfehlerverzeichnis der mir zugekommnen Bogen ersuche ich Sie noch aufzunehmen'5361:
10
Marx an Franz Duncker in Berlin
London, 28. Mai 59
Werter Herr, Auf meinen Brief, worin ich Sie ersuchte, mir den Preis des Heftes1 zu schreiben, fanden Sie passend, nicht zu antworten: Da die Post nach Amerika nur zweimal in der Woche geht, wurde ich so verhindert, meinen Freunden zu antworten.'6351 Als Sie mein Mskr. erhielten, dauerte es 14 Tage, bis ich Empfangsanzeige bekam. Darin hieß es, nach einer Woche solle der Druck begonnen werden. Aus der Woche wurden mehr als 3 Wochen. Vor ungefähr 8 Wochen schrieb Lassalle, Mitte Mai werde die Sache fertig sein. Vor mehr als 3 Wochen erhielt ich die 3 letzten Korrekturbogen. Die Veränderungen, die zu machen waren, konnten bequem in einem Tage bewerkstelligt werden. Statt dessen scheint während dieser ganzen Zeit, obgleich der Druck fertig, wieder völlige Unterbrechung eingetreten. Ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich dieser systematischen und planmäßigen Verschleppung müde bin und daß ich Sie hiermit auffordere, und zwar kategorisch, ein Ende mit diesen Manövern zu machen, deren Zweck mir höchst verdächtig scheint. Alle meine Bekannten in England teilen meine Ansicht und haben mich selbst dringend aufgefordert, diesen letzten Schritt zu tun. Ihr ergebner Dr. K.Marx
11
Marx an Franz Duncker in Berlin
2. Juni 1859, London
Geehrter Herr, Ich bedaure in der Tat, Ihnen einen verletzenden Brief geschrieben zu haben. Sie erlauben mir daher, in wenigen Worten meine Entschuldigungsgründe anzuführen. Einmal bin ich wirklich zu lang von Deutschland entfernt und hatte mich zu sehr an Londoner Verhältnisse gewöhnt, um den Gang des deutschen Geschäfts richtig zu würdigen. Dann aber, wie Lassalle von mir schon vor ungefähr 8 Wochen erfuhr1, stehe ich in Unterhandlung mit einem Londoner Buchhändler wegen einer englischen Bearbeitung des ersten Hefts. Die beständig falsche Auskunft, die ich, selbst beständig unter falschen Voraussetzungen, diesem Mann über das Erscheinen der Schrift geben mußte, reichten vollständig hin, um mich in den Augen dieses John Bull als einen regulär humbug2 bloßzustellen. Die fortwährenden ungeduldigen Anfragen meiner Freunde und endlich das von einer hiesigen Berliner Clique, ich weiß nicht, aus welchen Motiven, sorgfältig verbreitete Gerücht, die Sache werde gar nicht erscheinen, gaben meiner Geduld den letzten Rest. Schließlich hoffe ich, daß Sie, in Erwägung dieser Gründe, in meinem Brief nur den hastigen Ausdruck einer durch allerlei Umstände verursachten Gereiztheit sehn und mich von aller Absicht, Sie irgendwie zu verletzen, freisprechen werden. Ihr ganz ergebner Dr. K.Marx
1 Siehe Band 29 unserer Ausgabe, S.586 - 2 ausgemachten Schwindler
34 Marx/Engels, Werke, Bd. 39
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Marx an Franz Duncker in Berlin
Manchester'536', Juni, 22. [1859]
Sehr werter Herr, Ich ersuche Sie, das restierende Honorar für meine Schrift1 unmittelbar meiner Frau nach London zu schicken. In Ihrem Brief Ende Mai hieß es, daß „nächste Woche" das Buch erscheinen und das Honorar gezahlt werden würde. Es ist weder das eine noch das andre geschehn, bis heute, Juni 22. Es scheint Ihr Prinzip, daß ein „streng wissenschaftliches Werk" nicht spät genug erscheinen kann und namentlich die Epoche abgewartet werden muß, wo die Verallgemeinerung des Kriegs'5381 das „streng wissenschaftliche" Interesse belebt. Dieselben Umstände, die Sie vermocht haben zu dem neuen Aufschub, können vielleicht einen Aufschub ins Jahr 1860 berechtigen, namentlich, da Sie mir schreiben, daß es Mode der deutschen Buchhändler ist, bei wissenschaftlichen Schriften, bei denen kein Kontrakt über die Zeit der Veröffentlichung besteht, Embargo auf ihre Ausgabe zu legen, sooft es bequem scheint wegen des Erscheinens von Tagesschriften. Da es mir unmöglich ist, den Anfragen an mich - betreffs dieser Verzögerung - privatim zu antworten, werde ich, nachdem ich noch einige Tage gewartet, eine öffentliche Erklärungl539] erlassen. Ihr ganz ergebner Dr. K.Marx
13
Marx an Mor Perczel in St. Helier15401
16. April 1860 9, Grafton Terrace Maitland Park, Haverstock Hill London
Hochgeehrter Herr General, Im Interesse einer Schrift1, die ich über die bonapartistischen Umtriebe veröffentliche, nehme ich mir die Freiheit, mich auch an Sie als einen der tüchtigsten Vorkämpfer der europäischen Freiheit zu wenden. Sie haben während des letzten italienischen Kriegs eine Erklärung erlassen, worin Sie zeigten, daß Sie den Humbug durchschauten und sich deswegen rechtzeitig - ein großer Beweis Ihrer Überlegenheit dies über den Komödianten Kossuth und seine Sykophanten - von der Bühne zurückzogen. Leider habe ich diese Erklärung verloren. Ich wandte mich deshalb an Szemere in Paris.2 Er verwies mich an Sie. Wollten Sie daher die Güte haben, mir diese Erklärung abschriftlich nebst Aufklärungen über den an den Ungarn in Italien verübten Betrug zuzuschicken, so würden Sie der guten Sache einen Dienst leisten. Ich habe bereits im Sommer 1859 in Artikeln, die ich in der „Neu)-York Tribüne"3 und in der London „Free Press"4 drucken ließ, Ihren Namen als den einzigen in der militärischen ungarischen Emigration bezeichnet, der weder zu den Erkauften noch zu den Düpierten der französisch-russischen Diplomatie gehörte, noch sich von Kossuths Phantasmagorien imponieren ließ und würde Ihnen gern in dem von mir beabsichtigten neuen Buch die gebührende Ehrenstelle anweisen.5 Ich nehme mir die Freiheit, Sie zu erinnern, daß ich schon 1848-49, als Redacteur en Chef der „Neuen Rheinischen Zeitung", der entschiedenste Vorkämpfer des revolutionären Ungarn in Deutschland war. Ich betrachte
1 „Herr Vogt" -2 siehe Band 30 unserer Ausgabe, S.520-3 „Kossuth und Louis-Napoleon"4 „Particulars of Kossuth's Transaction with Louis Napoleon" - 5 siehe Band 14 unserer
jetzt ganz wie damals Ungarns Unabhängigkeit und Selbständigkeit als Conditio sine qua für Deutschlands Erlösung aus der Knechtschaft. Aber ebenso bestimmt verwerfe ich die Bestrebungen, die die Nationalitäten zum Deckmantel moskowitisch-dezembristischer Intrigen erniedrigen wollen. Mit besondrer Hochachtung Ihr ganz ergebener Dr. Karl Marx
14
Marx an Thomas Allsop in Exmouth (Devon)15411
[London] 28. April 78
Mein lieber und verehrter Freund, Die Gesundheit meiner Frau wechselt dauernd - mal geht es besser, dann wieder schlechter. Sobald das Wetter angenehmer wird, muß sie natürlich aus London abreisen. Inzwischen hoffen wir alle, daß wir bald das Vergnügen haben werden, Sie hier zu sehen. Ich habe eine ganze Menge neuester „russischer" Publikationen erhalten - aus Petersburg. Sie zeugen von einer großen Bewegung im Innern. Mit Bismarck scheint es rapid bergab zu gehen, körperlich und auch sonst. Ihr sehr ergebener K.M.
Aus dem Englischen.
15
Marx an Carl Hirsch in London15421
[London] 18. Sept. 79
Lieber Hirsch, In London arriviert!15431 Salut.
Ihr K.M.
16
Engels an Carl Hirsch in London
[London] 17. Febr. 80
Lieber Hirsch, Besten Dank für den Bankiersbrief, der hierbei zurück. Ich habe aber nicht die entfernteste Ahnung, was das heißen soll „ä 340c begeben". Ich kann zwischen dieser Zahl, Markwährung und östreichischer Währung absolut keinen rationellen Zusammenhang finden. Wenn uns der Mann sagen wollte, wieviel in Mark er glaubt für die 200 Gulden östr. bekommen zu können, so würde Borkh[eim] sich entscheiden können, was zu tun, und ich denke, er würde sie ihm wohl zur Realisierung einschicken. Dein F.E.

Beilagen

1
An Natalie Liebknecht in Berlin[544)
[London, I.Juli 1894]
Liebe Frau Liebknecht, Wir sind alle in 122, Regent's Park Road, trinken deutsches Bier und warten auf ein Wahltelegramm.
F.Leßner Ed.Bernstein F. Demutfi W. Thorne Wilhelm1 F. Engels Marie Mendelson L.Freyberger Otto Wittelshöfer Gine Bernstein Stanislaw Mendelson Julius Louise Freyberger
540 2 • Vera Iwanowna Sassulitsch an Georgi Walentinowitsch Plechanow
2
Vera Iwanowna Sassulitsch an Georgi Walentinowitsch Plechanow in Zürich (Auszug)
[London, I.Januar 1895] ...Ich kam spät an, und neben Ffriedrich] Karflowitsch]1 waren die Plätze besetzt, so daß ich weitab saß. Nach dem Essen schleppte er mit seiner gewohnten Liebenswürdigkeit sofort einen Stuhl herbei und setzte sich neben mich. Ich beschloß, über den Kater2 zu sprechen und brachte einleitend das Gespräch auf die Hoffnungslosigkeit und Untauglichkeit des hiesigen Sozialismus. Er begann dieses Thema rencherir3: Hier werde auch das allgemeine Wahlrecht keinerlei Bedeutung haben - die Arbeiter werden es nicht ausnutzen; für eine unabhängige Teilnahme an den Wahlen muß man Geld oder Arbeit aufwenden wie in Deutschland, der englische Arbeiter aber rühre keinen Finger und gebe keinen Penny her, wenn er nicht mit direktem finanziellem Nutzen rechnen kann. Zum Glück für Deutschland habe sich dort die politische bürgerliche Revolution so verspätet, daß eine bereits erwachte Arbeiterklasse daran teilnahm. Das verhindere, daß die deutsche Arbeiterklasse in einem rein zunftmäßigen Kampf aufgehe wie die englische, und fördere ihre gesellschaftlich-politischen Interessen. Dieses Glück stehe auch Rußland bevor: nach unserer Aussage liest die Arbeiterklasse dort, sie erwacht und nimmt infolgedessen bewußten Anteil an der politischen Befreiung. Das führte mich eben zu dem, was ich ihm darlegen wollte. Nun, und was wird aus Deutschland ohne uns? Behauptet man nicht, es seien Engels' eigene Bemerkungen und Ergänzungen, daß die Anarchie in der Produktion sich verringere, daß es seit 1867 keine Krisen gegeben habe und in der früheren Form keine mehr geben werde? - der Schwindel4 war das Ergebnis der Unkenntnis der Kapitalisten über den Weltmarkt, für den sie produzierten. Jetzt sorgten die Telegraphen, die Schnelligkeit der Verbindung u.a.m. dafür, daß sie den Markt kennen und nicht mehr phantasieren, was, wieviel zu produzieren sei und wer wo kauft. Marx sagt, daß die Produktion, nachdem sie in den Händen sehr großer Kapitalisten konzentriert ist, einschlummern5 muß, daß sie aufhören
1 Friedrich Engels - 2 den III. Band des „Kapitals" - 3 auszudehnen - 4 in der gedruckten Vorlage deutsch: Schwindel — 5 in der gedruckten Vorlage deutsch: einschlummern
2 • Vera Iwanowna Sassulitsch an Georgi Walentinowitsch Plechanow 541
müssen, nach Extraprofit6 zu jagen, und folglich aufhören müssen, die Arbeitsproduktivität zu steigern, die Produktion „zu erweitern" u.a.m. Eben das tun die Kartelle (und tun es bewußt). Nachdem das Kartell einen ganzen Produktionszweig in seinen Händen konzentriert und den Markt unter sich aufgeteilt hat, hat es keinerlei Gründe zum Schwindel7 zu greifen und sehr wenig Gründe, die Arbeitsproduktivität zu steigern. Natürlich erleichtern die Kartelle die planmäßige Organisation der Produktion nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat, aber beim englischen Proletariat besteht keinerlei psychologische Voraussetzung zu einer solchen Eroberung und Organisation, und das englische Leben an und für sich8 führt nicht im mindesten zur Entwicklung dieser psychologischen Voraussetzung. Aber das lege ich Ihnen dar, bei ihm hatte ich gerade erst den Mut gefaßt zu beginnen, als erklärt wurde, daß nur noch 5 Min. bis zum neuen Jahr blieben und man die Gläser bereithalten müsse. So gestand ich auch nicht, daß ich den Kater gelesen habe...
Nach: „Gruppa .Oswoboshdenije truda'", Sbornik Nr.4, Moskau 1926. Aus dem Russischen.
6 in der gedruckten Vorlage deutsch: Extraprofit - 7 in der gedruckten Vorlage deutsch: Schwindel - 8 in der gedruckten Vorlage deutsch: an und für sich
542 3 • Laura Lafargue an Isaak Adolfowitsch Gurwitsch (Hourwich) • 2. Juli 1895
3
Laura Lafargue an Isaak Adolfowitsch Gurwitsch (Hourwich) in Chicago (Entwurf)
Eastbourne, 2. Juli 1895
Mr. I.A.Hourwich. Chicago. Mein Herr, In Beantwortung Ihres Briefes vom 18. Mai, adressiert an Herrn Friedrich Engels15451, gestatte ich mir, Ihnen mitzuteilen, daß Herr Engels erkrankt ist und gegenwärtig noch nicht wieder literarisch tätig ist. Ich bin von Friedrich Engels beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß er sich nicht für autorisiert hält, irgendwelche Manuskripte oder Manuskriptfragmente, die mein Vater, Karl Marx, hinterlassen hat, an Dritte zur Veröffentlichung auszuhändigen. Ich verbleibe, mein Herr, Ihre ergebene Laura Lafargue
4 • Samuel Moore an Eleanor Marx-Aveling • 21. Juli 1895 543
4
Samuel Moore an Eleanor Marx-Aveling in London
2, Stone Buildings Lincoln's Inn, W.C. [London] 21.Juli 18951
Meine liebe Tussy, Sehr besorgt zu erfahren, wie es dem General geht, ging ich heute abend zum Victoria-Bahnhof, um den Zug abzuwarten, der 7.15 abends von Eastbourne abfährt und mit dem Dr. Freyberger zurückzukommen pflegt. Ich traf ihn und muß leider sagen, daß sein Bericht alles andere als ermutigend ist; er meinte, das Leiden habe einen Grad erreicht, daß - bei dem Alter des Generals - sein Zustand bedenklich ist. Abgesehen von den erkrankten Lymphdrüsen am Hals besteht die Gefahr, daß entweder Herzschwäche oder Lungenentzündung hinzukommt - und in beiden Fällen würde es ganz plötzlich zu Ende gehen. Wenn keine Lungenentzündung hinzukommt, kann er noch einige Wochen leben, anderenfalls aber wird es eine Frage von wenigen Stunden sein. Trotzdem ist der General jedoch voller Hoffnung und überzeugt davon, daß er sich erholen wird. Er beabsichtigt und hat mit den 2 Ärzten vereinbart, am Mittwoch abend2 nach London zurückzukehren; wenn Du ihn also besuchen willst, so gehe lieber am Donnerstag in die 41, Regent's Park Road. Das sind traurige Nachrichten, und ich hoffe, die Ärzte mögen sich irren. Es ist noch so viel Arbeit zu tun, die nur der General zu leisten imstande ist. Sein Tod wäre für die Allgemeinheit ein unwiederbringlicher Verlust - für seine Freunde ein entsetzliches Unglück. Ich habe gerade nur Zeit, dies zu schreiben - in Eile aufrichtig Dein S.Moore
Aus dem Englischen.
1 In der Handschrift: 1891 -2 24.Juli 1895
544 5 • Hermann Engels an Ludwig Siebold • 28. Juli 1895
5
Hermann Engels an Ludwig Siebold in Sale (Cheshire) 15461 (nach einem Entwurf von Engels)
[London, 28. Juli 1895]
Herrn L. Siebold, Sale, Cheshire Geehrter Herr, Im Auftrag des Herrn F.Engels, der augenblicklich durch Krankheit verhindert ist, selbst zu schreiben, schicke ich Ihnen inl. Brief15471 zurück. Als „Geschichte der Chemie" 12291 können diese Fragmente allerdings nicht passieren, meint Herr E[ngels], Wenn Sie aber den Titel „Magnetische Untersuchungen" [...]x (oder „Beiträge zur Geschichte der älteren Chemie, hinterlassene Fragmente von C.S[chorlemmer]" oder ähnlich), so brauchen Sie keinen Redakteur und Ergänzer. Im schlimmsten Fall würden Sie sich an eine Zeitschrift wenden müssen, die sich für Geschichte der Chemie interessiert. Indem ich Ihnen diese Ansicht des Herrn Efngels] auf seinen Wunsch mitteile etc. etc.
1 unleserlich
Anhang und Register

Anmerkungen
1 Filippo Turati hatte Engels am 4. Januar 1893 mitgeteilt, daß im Feuilleton der „Lotta di Classe" das von Pompeo Bettini nach der dritten deutschen Ausgabe 1883 ins Italienische übersetzte „Manifest der Kommunistischen Partei" veröffentlicht worden sei und er es auch als Einzelausgabe herauszubringen beabsichtige. Diese sei - bis auf das Vorwort bereits fertig. Turati fragte an, ob Engels zu dieser Ausgabe ein kleines Vorwort für den italienischen Leser schreiben könne. Die Ausgabe erschien 1893 in Mailand im Verlag der Zeitschrift „Critica Sociale", dieser Broschüre wurde jedoch die fünfte autorisierte deutsche Ausgabe des „Manifests" (Berlin 1891) zugrunde gelegt. Das von Engels in französischer Sprache geschriebene Vorwort „An den italienischen Leser" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.365/366) wurde von Turati ins Italienische übersetzt. In dieseEinzelausgabe wurden auch die Vorworte zu den deutschen Ausgaben von 1872, 1883 und 1890 aufgenommen. Das von Antonio Labriola ins Italienische übersetzte „Manifest der Kommunistischen Partei" ist damals nicht gedruckt worden. Seine Arbeit „In memoria del manifesto dei comunisti" erschien 1895 in Rom. 3 81 2 August Bebel weilte etwa vom 3. bis 10. Januar 1893 bei Engels in London zu Besuch. 3 3 Diese Zeilen schrieb Engels auf eine Postkarte. Sie ist in Engels' Handschrift mit folgender Adresse versehen: Mrs, Mendelson 27, Stonor Road, West Kensington, W. 4 4 Die polnische Sozialistin Maria Mendelson hatte Engels über die am 7.Januar 1893 in Frankreich erfolgte Verhaftung polnischer Emigranten informiert, die man der Vorbereitung eines Attentats auf Alexander III. beschuldigte. Engels setzte sich sofort für die polnischen Revolutionäre ein und schrieb den Artikel „Zum jüngsten Pariser Polizeistreich" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 356/357), in dem er die Zusammenarbeit der französischen und zaristischen Polizei entlarvte. Engels' Artikel wurde im „Vorwärts" vom 13. Januar 1893 unter der Rubrik „Politische Uebersicht" ohne Unterschrift veröffentlicht. 46 5 Nach Carl Schorlemmers Tod wurde von seinen Freunden und Schülern an der VictoriaUniversität in Manchester ein SchorlemmeT-LaloTatoriwn eingerichtet. 5 6 Anspielung auf den Panama-Skandal, Betrugsaffäre, in die hohe französische Staatsmänner, Beamte sowie die Presse verwickelt waren. Der Ingenieur und Geschäftsmann Ferdinand-Marie Lesseps hatte 1879 in Frankreich eine Aktiengesellschaft gegründet, die den geplanten Durchstich der Landenge von Panama finanzieren sollte. Ende 1888 brach
die Gesellschaft zusammen, was den massenhaften Ruin kleiner Aktionäre und zahlreiche Konkurse zur Folge hatte. 1892 wurde bekannt, daß die Gesellschaft zur Verheimlichung ihrer wahren Finanzlage hohe Bestechungssummen an die ehemaligen Ministerpräsidenten Frankreichs Charles-Louis de Freycinet, Pierre-Maurice Rouvier, Charles-Thomas Floquet sowie an andere führende Politiker gezahlt hatte. Der Panama-Skandal wurde von der bürgerlichen Justiz vertuscht. Sie beschränkte sich darauf, den Leiter der Gesellschaft, Lesseps, sowie zweitrangige Personen zu verurteilen. 5 14 29 40 48 90 105 182 214 272 392 7 Der „Vorwärts" vom 12. Januar 1893 hatte unter der Rubrik „Politische Uebersicht" eine längere Notiz seines Pariser Korrespondenten unter der Überschrift „Russische PolizeiAllmacht in Frankreich" veröffentlicht, in der irrtümlicherweise gesagt wurde, die verhafteten Polen „gehörten ... zu der sozialdemokratischen Partei Rußlands, zu deren Hauptvertretern Genosse Plechanow zählt", 6 8 Im Beiblatt zur „Berliner Volks-Tribüne" erschien vom 6. August bis 24. Dezember 1892 die Artikelserie „Die Juraföderation und Michael Bakunin". Der Name des Verfassers des Schweizer Sozialisten Louis Heritier- wurde erst im letzten Artikel genannt. In diesen Artikeln wurde auf der Grundlage bakunistischen Materials die Geschichte der Organisation der Internationalen Arbeiterassoziation in der Schweiz falsch dargestellt und versucht, die Spaltertätigkeit der Bakunisten, besonders der bakunistischen Juraföderation, zu rechtfertigen (letztere hatte sich auf dem Kongreß in La Chaux-de-Fonds vom 4. bis 6.April 1870 von den Sektionen der IAA in der romanischen Schweiz abgespalten). Außerdem wurden in diesen Artikeln der Generalrat, Marx und seine Kampfgefährten, vor allem Johann Philipp Becker, verleumdet. Besonders viele Entstellungen enthielt der zehnte Artikel, der am 12.November 1892 erschien. Engels entschloß sich, eine Erwiderung zu schreiben, ohne die Veröffentlichung der ganzen Artikelserie abzuwarten. Er schickte seine Erklärung am 15. November 1892 an August Bebel (siehe Band38 unserer Ausgabe, S.515) zur Weiterleitung an die Redaktion der „Berliner Volks-Tribüne". Die Erklärung wurde am 19.November 1892 in der „Berliner Volks-Tribüne" veröffentlicht (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.346-348). Am 24. Dezember 1892 erschien am Schluß des dreizehnten Artikels die Antwort H6ritiers. In dieser sowie in einem Brief an Engels vom 25.Dezember 1892 versuchte Heritier die Anschuldigung, daß er die Geschichte der IAA verfälscht habe, zu widerlegen. Engels' Antwort auf Hdritiers Behauptungen siehe vorl. Band, S. 11 /12.7 11 24 447 9 Die Independent Labour Party wurde im Januar 1893 auf der Konferenz in Bradford gegründet. Ihr traten Mitglieder der alten und neuen Trade-Unions, der Fabian Society, der Social Democratic Federation und anderer sozialistischer Vereinigungen bei. An ihrer Spitze stand Keir Hardie. Die Independent Labour Party verlangte in ihrem Programm die Überführung aller Produktions-, Verteilungs- und Austauschmittel in Gemeineigentum. Sie forderte u.a. die Einführung des Achtstundentages, das Verbot der Kinderarbeit und die Einführung einer Sozial- und Arbeitslosenversicherung. Engels begrüßte die Gründung der Independent Labour Party in der Hoffnung, daß es ihr gelingen werde, die dogmatischen und sektiererischen Fehler der Social Democratic Federation zu vermeiden und sich zu einer marxistischen Partei zu entwickeln, äußerte jedoch hinsichtlich ihrer Führer eine gewisseSkepsis.Während die Entwicklung in den ersten Wochen und Monaten Engels* positive Meinung rechtfertigte, geriet die Partei später infolge unklarer Vorstellungen und persönlicher Schwächen des größten Teils ihrer Führung auf den Weg des Reformismus. Die von der reformistischen Fabier-Ideologie beeinflußten Führer betrachteten den parlamentarischen Kampf als die wichtigste Form des Klassenkampfes und
trafen Vereinbarungen mit der Liberalen Partei. 7 13 29 40 53 56 73 213 232 283 289 292 308 334 361 383 449 500 10 Die Social Democratic Federation wurde im August 1884 gegründet; sie ging aus der Democratic Federation hervor und vereinigte verschiedenartige sozialistische Elemente, vorwiegend aus Kreisen der Intelligenz. Die Leitung der Föderation lag zum größten Teil in den Händen Henry Mayers Hyndmans, der eine stark dogmatisch-sektiererische Politik betrieb. Die der Föderation beigetretenen revolutionären Kräfte (Eleanor Marx-Aveling, Edward Aveling, William Morris u.a.) kämpften gegen die schädliche Linie Hyndmans, für die Herstellung einer engen Verbindung der Social Democratic Federation mit den englischen Gewerkschaften. Durch das opportunistische und diktatorische Verhalten Hyndmans, das eine Änderung des Kurses der Föderation unmöglich machte, erfolgte im Dezember 1884 ihre Spaltung; die zu Hyndman in Opposition stehende Gruppe gründete eine selbständige Organisation, die Socialist League. Unter dem Einfluß der revolutionären Stimmungen der Massen innerhalb der Föderation ging jedoch der Formierungsprozeß der revolutionären, mit der opportunistischen Führung unzufriedenen Elemente weiter. Der Ende der achtziger Jahre entstandene Neue Unionismus (siehe Anm.324) bewirkte, daß die Föderation näher mit den Arbeitermassen in Berührung kam und die Zahl ihrer Mitglieder anwuchs. Ihre Führung betrieb jedoch weiterhin eine im wesentlichen sektiererische Politik. 7 53 56 72 217 232 237 245 277 283 285 289 292 308 334 361 449 465 500 11 DieFabianSociety wurde am 4. Januar 1884 von einer Gruppe bürgerlicher Intellektueller gegründet, die sich für die Lösung der sozialen Mißstände in der bürgerlichen Gesellschaft einsetzten und Wege zur Überwindung des Kapitalismus suchten, aber nicht über Reformen hinausgingen. Die Fabiertraten gegen Marx' Lehre vom proletarischen Klassenkampf und von der sozialistischen Revolution auf. Zu den einflußreichsten Persönlichkeiten gehörten Sidney und Beatrice Webb sowie George Bernard Shaw. Die Ideen der Fabier schufen eine der ideologischen Grundlagen für den Reformismus in der englischen Arbeiterbewegung. 7 53 56 164 217 232 283 450 12 Engels meint den Haager Kongreß der Internationalen Arbeiterassoziation, der vom 2. bis 7. September 1872 stattfand. Der Kongreß beschloß, den Inhalt der Resolution der Londoner Konferenz 1871 (siehe Anm. 14) über die „Politische Wirksamkeit der Arbeiterklasse" sowie den Beschluß über die Erweiterung der Vollmachten des Generalrats in die Statuten aufzunehmen. Auf dem Kongreß fand der jahrelange Kampf von Marx und Engels sowie ihrer Anhänger gegen alle Arten des kleinbürgerlichen Sektierertums in der Arbeiterbewegung innerhalb der IAA seinen Abschluß. Die zersetzende Tätigkeit der Anarchisten wurde verurteilt, ihre Führer wurden aus der IAA ausgeschlossen. Die Beschlüsse des Haager Kongresses legten das Fundament für die Entwicklung selbständiger nationaler politischer Parteien der Arbeiterklasse. 9 314 13 Im Juli 1891 fand in Kronstadt der feierliche Empfang eines französischen Flottengeschwaders statt, der zu einer offenen Demonstration der Annäherung zwischen dem zaristischen Rußland und Frankreich wurde. Zur gleichen Zeit wurden diplomatische Verhandlungen geführt, die im August 1892 mit der Unterzeichnung eines französischrussischen Abkommens endeten. Frankreich und Rußland gingen darin die Verpflichtung ein, sich in Fragen der internationalen Politik gegenseitig zu konsultieren und im Falle eines Angriffs auf einen der beiden Partner gemeinsame militärische Aktionen zu unternehmen. Dieses Abkommen war eine wichtige Etappe bei der Vorbereitung des
französisch-russischen Bündnisses von 1893, das gegen den Dreibund (siehe Anm. 24) gerichtet war. Um sich im Falle eines Krieges gegen Rußland die Unterstützung Polens zu sichern, ergriff die deutsche Regierung Anfang der neunziger Jahre zur Milderung der deutschen Politik in den westpolnischen Gebieten einige Maßnahmen; so wurden u.a. die Polizeiaufsicht über die polnischen nationalen Vereinigungen gelockert und bestimmte Zugeständnisse hinsichtlich des polnischen Sprachunterrichts in den Schulen gemacht. 9 14 Gemeint ist die Londoner Konferenz der Internationalen Arbeiterassoziation, die vom 17. bis 23.September 1871 stattfand. Sie leitete eine wichtige Etappe des Kampfes von Marx und Engels für eine proletarische Partei ein. Die Konferenz nahm einen Beschluß über die „Politische Wirksamkeit der Arbeiterklasse" an, in dem die Notwendigkeit der Schaffung selbständiger Arbeiterparteien als ein Grundprinzip der internationalen Arbeiterbewegung formuliert war. Das Kernstück dieses Beschlusses wurde 1872 vom Haager Kongreß (siehe Anm. 12) in die Allgemeinen Statuten der Internationale aufgenommen. Die Londoner Konferenz stand im Zeichen des unversöhnlichen Kampfes von Marx und Engels gegen die Bakunisten, die in einem Verleumdungsfeldzug gegen die Beschlüsse der Londoner Konferenz und deren Rechtmäßigkeit auftraten. Sie hat wesentlich zum Sieg der marxistischen Prinzipien über den Bakunismus beigetragen. 11 15 Über den Verbleib des Briefes, den Engels hier fortsetzt, ist uns nichts bekannt. 13 16 Im Juni 1885 waren die irischen Abgeordneten im britischen Unterhaus unter Führung von Charles Stewart Parnell gemeinsam mit den Konservativen gegen Gladstones Irlandpolitik aufgetreten. Es kam zum Sturz des Kabinetts Gladstone. Bei den Wahlen Ende 1885 erhielten die Konservativen die Mehrheit; die Liberalen hingen nunmehr in starkem Maße von den Stimmen der irischen Abgeordneten ab. Als Gladstone 1886 erneut an die Spitze des Kabinetts gelangt war, brachte er zwei Gesetze im Interesse Irlands ein: die Home Rule Bill und die Bill über die irische Agrargesetzgebung. 1893 brachte Gladstone einen zweiten Gesetzentwurf über die Home Rule ein; weder der erste noch der zweite Gesetzentwurf wurden angenommen. 13 17 Zentrum — 1870 entstandene politische Partei, die sich auf das katholische Kleinbürgertum und auf die Mehrheit der katholischen Bauern und Arbeiter in Süd- und Westdeutschland sowie in Oberschlesien stützte. Zunächst vertrat sie partikularistische, antipreußische Tendenzen und verfocht in erster Linie die Interessen des katholischen Großgrundbesitzes und Industriekapitals. Später näherte sie sich immer mehr Bismarcks Politik an. In den neunziger Jahren war das Zentrum die stärkste Partei im Reichstag. Das Zentrum hatte entscheidenden Anteil an der Durchsetzung der antinationalen Politik des deutschen Imperialismus, zu dessen führender Partei es sich entwickelte. 14 28 54 70 72 76 86 389 442 451 18 Einen solchen Antrag hatte der Zentrumsabgeordnete Viktor Rintelen am 15. Dezember 1892 im Reichstag während der Debatte über Änderungen des Strafgesetzbuches eingebracht. 14 19 Im September 1891 hatte Rußland in Frankreich eine dreiprozentige Anleihe in Höhe von 125 Millionen Goldrubel (500 Millionen Francs) aufgenommen. Anfangs hatte die Anleihe großen Erfolg - die Summe von 125 Millionen wurde 71/2mal überzeichnet. Infolge eines rapiden Kurssturzes der russischen Wertpapiere an den europäischen Börsen, der durch die Zuspitzung der ökonomischen Lage Rußlands im Zusammenhang mit der Hungersnot von 1891 hervorgerufen wurde, begannen jedoch die Zeichner der Anleihe sich
zu weigern, die Obligationen aufzunehmen. Um einem endgültigen Zusammenbruch der Anleihe vorzubeugen, mußte die russische Regierung daher einen Teil der Obligationen aufkaufen. Die Anleihe wurde schließlich nur mit etwa 96 Millionen Rubel realisiert. 14 313 20 Opportunisten nannte man in Frankreich seit Anfang der achtziger Jahre die Partei der gemäßigten Republikaner, die die Interessen der französischen Großbourgeoisie vertrat. 14 119 187 391 450 21 Radikale — parlamentarische Gruppe in den achtziger und neunziger Jahren in Frankreich, die sich von den Opportunisten (siehe Anm.20) abgespalten hatte. Ihr Führer war Georges-Benjamin Clemenceau. Die Gruppe hielt an einer Reihe bürgerlich-demokratischer Forderungen fest, die von den gemäßigten Republikanern über Bord geworfen worden waren: Abschaffung des Senats, Trennung der Kirche vom Staat u.a. Um die Masse der Wähler auf ihre Seite zu ziehen, forderten die Radikalen die Einführung einer progressiven Einkommenssteuer und auch sozialökonomische Maßnahmen. 1901 organisierten sich die Radikalen als Partei, die hauptsächlich die Interessen der mittleren Bourgeoisie und des Kleinbürgertums vertrat. 14 40 215 280 383 22 Diesen Gedanken entwickelte Engels in der Arbeit „Die auswärtige Politik des russischen Zarentums" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.41/42). 15 23 Nach dem Tode des ägyptischen Khediven Tewfik Pascha im Januar 1892 versuchte sein Nachfolger Khediv Abbas II. Hilmi eine selbständige, von England unabhängige Politik durchzusetzen. Als er im Januar 1893 einen neuen Ministerpräsidenten ernennen wollte, mischte sich der englische Generalkonsul in Ägypten ein und erreichte - trotz der Forderung der französischen Regierung, die Unabhängigkeit des Khediven zu wahren daß die aufgestellte Kandidatur aufgehoben und eine englandfreundliche Person ernannt wurde. Damit wurde die Herrschaft Englands in Ägypten gefestigt. 15 24 Dreibund - aggressiver militärisch-politischer Block, dem Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien angehörten und der gegen Frankreich und Rußland gerichtet war. Er wurde endgültig 1882 gebildet durch den Anschluß Italiens an das österreichischdeutsche Militärbündnis, das 1879 geschlossen worden war. Die Bildung des Dreibunds war der Ausdruck der Spaltung Europas in zwei große feindliche Lager. Die sich verschärfenden Widersprüche zwischen den beiden imperialistischen Staatenblocks führten schließlich zum imperialistischen Weltkrieg 1914-1918. 15 392 25 Der sozialdemokratische Abgeordnete Franz Tutzauer hatte am 21 .Januar 1893 im Reichstag in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes über Abzahlungsgeschäfte gesprochen. Der Redner, Besitzer eines Möbelgeschäfts, verteidigte die Interessen dieser Geschäftsinhaber, besonders ihr Recht, bei rückständigen Zahlern, die in der Regel Werktätige waren, die Zahlungen einzutreiben. 15 20 Die Wortführer der Jungen nutzten das opportunistische Verhalten einiger sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter zum Kampf gegen die Parteiführung und die marxistische Strategie und Taktik der Sozialdemokratie aus. Die Jungen waren eine halbanarchistische, linkssektiererische Gruppe in der deutschen Sozialdemokratie, die sich 1890 herausgebildet hatte. Ihr Kern bestand aus jungen Akademikern, Schriftstellern und Redakteuren einiger lokaler Parteizeitungen, die der Partei eine sektiererische Verschwörerpolitik aufzwingen wollten. Im Oktober 1891 wurden die Wortführer der Jungen vom Erfurter Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aus der Partei ausgeschlossen. 15
27 Gemeint ist der Kommunistische Arbeiterbildungsverein in London. Er wurde 1840 durch Karl Schapper, Joseph Moll, Heinrich Bauer u.a. Führer des Bundes der Gerechten als Deutscher Bildungsverein für Arbeiter in London gegründet. Nach der Organisierung des Bundes der Kommunisten spielten die Gemeinden des Bundes die führende Rolle in dem Verein. 1847 und 1849/50 nahmen Marx und Engels aktiv an seiner Tätigkeit teil. Im September 1850 traten sie und mehrere ihrer Mitkämpfer aus dem Verein aus, weil er im Kampf zwischen der von Marx und Engels geführten Mehrheit der Zentralbehörde des Bundes der Kommunisten und der sektiererischen, zu abenteuerlichen Taktiken neigenden Minderheit (Willich, Schapper) für die letztere Partei ergriff. Seit Ende der fünfziger Jahre nahmen Marx und Engels erneut aktiven Anteil an der Arbeit des Vereins. Der Kommunistische Arbeiterbildungsverein trat im Januar 1865 als eine der ersten Organisationen der Internationalen Arbeiterassoziation bei. Mehrere seiner Mitglieder, darunter Friedrich Leßner, Johann Georg Eccarius, Georg Lochner und Karl Pfänder gehörten dem Generalrat an, wo sie die Linie von Marx unterstützten. Der Verein wurde 1918 von der englischen Regierung verboten. 15 47 232 275 411 418 28 In seinem Brief an Engels vom 5. Januar 1893 hatte Karl Kautsky mitgeteilt, daß er zum 10. Todestag von Marx eine Biographie bzw. eine noch ungedruckte oder wenig bekannte Arbeit von ihm herauszugeben beabsichtige. Kautsky schrieb: „Ich brächte gern zu diesem Datum eine eingehendere Biographie von Marx, die uns bisher fehlt. Außer Deiner in dem Brackeschen Kalender und dem Liebknechtschen Artikel von 83 haben wir nur noch die Arbeit von Groß. Wenn Du glaubst, daß diesen Publikationen im Rahmen eines Artikels nichts Neues hinzugefügt werden kann, dann möchte ich wenigstens eine noch ungedruckte oder wenig bekannte Arbeit von Marx zu dieser Gelegenheit veröffentlichen." Kautsky gelang es nicht, die in diesem Brief geäußerte Absicht zu verwirklichen. 17 29 Seit Ende 1892 bestanden verschiedene Pläne, die „Neue Zeit" wirkungsvoller zu gestalten und ihr einen größeren Abnehmerkreis zu sichern. Engels schrieb dazu ausführlich bereits am 3.Dezember 1892 an August Bebel und am 4. Dezember 1892 an Karl Kautsky (siehe Band 38 unserer Ausgabe, S.534 und 539). 17 56 163 178 30 Karl Kautsky hatte sich in seinem Brief vom 5. Januar 1893 über Engels an Eleanor MarxAveling mit der Bitte gewandt, für die „Neue Zeit" Erinnerungen an Marx zu schreiben. 17 31 Seinem Brief an Engels vom 5. Januar 1893 legte Karl Kautsky die Nummer einer in Rio de Janeiro erscheinenden Zeitung bei, die einen Artikel über die brasilianische Arbeiterpartei und ihr Programm enthielt. Der Titel der Zeitung konnte nicht ermittelt werden. 17 32 Uber den Verbleib dieses Telegramms ist uns nichts bekannt. 19 33 Die von Engels erwähnte Formulierung brachte der „Vorwärts" am 25. Januar 1893 in der Notiz „Das italienische Panama". 20 34 Diese Zeilen schrieb Engels auf einen Kartenbrief. Er ist in Engels' Handschrift mit folgender Adresse versehen: Sig. Filippo Turati, Portici Galleria V.E. 23, Milano, Italy. 21 36 Filippo Turati hatte in seinem Brief vom 23. Januar 1893 Engels vorgeschlagen, das bei der Gründung der Socialist League angenommene Programm („The Manifesto of the Socialist League") als Anhang zur italienischen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei" zu bringen.
Die Sozialistische Liga (Socialist League) wurde am 30,Dezember 1884 gegründet. Zu den Begründern und führenden Mitgliedern dieser Organisation gehörten u.a. William Morris, Eleanor Marx-Aveling, Edward Aveling und Ernest Beifort Bax. Trotz vieler positiver Seiten in der Arbeit der League, bekamen die bei einer Reihe von Mitgliedern von Anfang an vorhandenen ultralinken Tendenzen die Oberhand. Die Socialist League geriet 1887/88 in die Hände von Anarchisten und wurde 1889/90 bedeutungslos, nachdem beide Avelings, Bax und andere ausgetreten waren. 21 36 Von Dezember 1892 bis Januar 1893 fanden im italienischen Parlament Debatten über die Mißbräuche in der Banca Romana statt. Diese Debatten waren durch die Rede des Abgeordneten Napoleone Colajanni ausgelöst worden. Die im Verlauf der Debatten aufgedeckten Skandalaffären, indie einige Staatsmänner, vieleParlamentsmitglieder, Rechtsanwälte, Journalisten und Privatpersonen verwickelt waren, wurden im Unterschied zu dem französischen Panama-Skandal (Panamone) (siehe Anm.6) als Panamino (kleines Panama) bezeichnet. (Siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.358-364.) 22 32 37 In einer Nummer der „Gazeta Robotnicza", die Maria Mendelson an Engels geschickt hatte, war eine Warnung der polnischen Sozialdemokraten vor Marcin Kasprzak veröffentlicht.Darin wurde mitgeteilt, daß Kasprzak wegen Veruntreuung von Parteigeldern, Vertrauensmißbrauchs und Beziehungen zur Polizei aus der Partei ausgeschlossen wurde. Außerdem wurde in der Zeitung eine Erklärung der Berliner Sozialisten abgedruckt, daß es notwendig sei, die Beziehungen zu Kasprzak abzubrechen. Später erwies sich jedoch, daß die Beschuldigungen nicht auf Wahrheit beruhten. Kasprzak nahm aktiv an der revolutionären Bewegung teil und wurde vom Zentralkomitee der Polnischen Sozialistischen Partei 1905 rehabilitiert. 23 38 Maria Mendelson hatte Engels am 5. Februar 1893 brieflich von dem nationalistischen und antisemitischen Verhalten russischer Studenten und Offiziere in Moskau und Petersburg gegenüber polnischen und jüdischen Studenten und Offizieren berichtet. 23 30 W. J. Schmuilow hatte Engels am 4. Februar 1893 mitgeteilt, daß er von Pawlenkow, dem Verleger der „Biographien berühmter Männer" in Petersburg, gebeten worden sei, eine ausführliche Marx-Biographie von etwa 6 bis 8 Druckbogen zu schreiben. In diesem Zusammenhang bat er Engels um Quellenhinweise für biographische Angaben, um Material über die praktische Tätigkeit von Marx, besonders in den Jahren 1847 bis 1849 und in der Periode der Internationalen Arbeiterassoziation, sowie zur Genesis des Marxismus. Da er über kein Exemplar der „Heiligen Familie" verfügte, bat er Engels gleichzeitig um die Wiedergabe der „Hauptgedanken und charakteristischen Stellen" dieses Werkes. Er hatte die Absicht, falls die russische Zensur die Arbeit verbieten sollte, sie im Ausland drucken zu lassen. 24 40 Marx und Engels, die sich seit Anfang 1845 in Brüssel aufhielten, gründeten im Frühjahr 1846 das Kommunistische Korrespondenz-Komitee, das sich zu einem ideologischen und organisatorischen Zentrum der sozialistischen Bewegung entwickelte. Der Bund der Kommunisten war die erste revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. Er entstand 1847 und existierte bis 1852. Der Bund war sowohl seinem Programm als auch seiner Zusammensetzung nach eine internationale Organisation der Arbeiterklasse und damit Vorläufer der Internationalen Arbeiterassoziation. Zugleich war er auch die erste deutsche Arbeiterpartei. Deutsche Arbeiter, fast alles Handwerksgesellen, stellten die Mehrzahl seiner Mitglieder. Der Deutsche Arbeiterverein in Brüssel wurde Ende August 1847 von der Gemeinde des
Bundes der Kommunisten in Brüssel und unter Leitung von Marx und Engels gegründet. In der zweiten Dezemberhälfte 1847 hielt Marx im Arbeiterverein Vorträge über Lohnarbeit und Kapital. 24 41 Ende Januar 1893 hatten die bürgerlichen Abgeordneten des Reichstags während der Debatte über den Staatshaushalt für 1893/94 die Sozialdemokratie beschuldigt, daß sie nur Unzufriedenheit unter den Volksmassen säe und nicht in der Lage sei, den sozialistischen Zukunftsstaat zu erläutern. August Bebel legte daraufhin in einer längeren Rede am 3. Februar 1893 die Anschauungen der Sozialdemokratie über den sozialistischen Zukunftsstaat dar. Zum zweitenmal sprach er zu dieser Frage am 6. Februar 1893. Das Thema stand mehrere Tage lang zur Debatte und wurde von den sozialdemokratischen Abgeordneten zur Propagierung ihrer Ziele ausgenutzt. Am 7. Februar 1893 erklärte Adolf Stoecker, ein Vertreter der äußersten Rechten (siehe Anm. 122), daß er darauf verzichte, nach der Rede Wilhelm Liebknechts aufzutreten; er schlug vor, die Debatte zu beenden. Die ganze Debatte wurde unter dem Titel: „Der sozialdemokratische .Zukunftsstaat'. Verhandlungen des Deutschen Reichstags am 31 .Januar, 3., 4., 6. und 7.Februar 1893", Berlin 1893, veröffentlicht. Bebels erste Rede erschien als Broschüre unter dem Titel: „Zukunftsstaat und Sozialdemokratie. Eine Rede des Reichstagsabgeordneten August Bebel in der Sitzung des deutschen Reichstags vom 3. Februar 1893." 26 33 40 54 42 In seiner Reichstagsrede vom 4. Februar 1893 hatte der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Frohme die Politik der Zentrumspartei (siehe Anm. 17) angeprangert. Um zu beweisen, daß die Kirche die Knechtschaft des Volkes stets gutgeheißen habe, zitierte er einige Worte Thomas von Aquinos. Franz Hitze von der Zentrumspartei polemisierte dagegen und behauptete, die von Frohme zitierten Worte stammten nicht von Thomas von Aquino, sondern von Aristoteles. 26 43 Spar-Agnes und Strampel-Armi - zwei Gestalten aus Eugen Richters „Sozialdemokratischen Zukunftsbildern. Frei nach Bebel" (Berlin 1891), einem gehässigen Pamphlet gegen die Sozialdemokratie. 27 44 Am 31. Januar 1893 hatte August Bebel in einem Brief an Engels den Gedanken geäußert, daß Rußland im Bündnis mit Frankreich einen Krieg gegen Deutschland beginnen könnte, ohne England, Italien, die Türkei und die Balkanstaaten hineinzuziehen. Sollte Deutschland besiegt werden, dann könnte Frankreich das linke Rheinufer und Rußland die Ostseeprovinzen und den Balkan mit Konstantinopel an sich reißen. 27 45 In der Schlacht bei Spichern (Lothringen) am 6.August 1870 wurde das II.Korps der französischen Armee von den Preußen geschlagen. 27 46 „Der deutsch-französische Krieg 1870-71. Redigirt von der kriegsgeschichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabes", Erster Theil, Erster Band, Berlin 1874, S.341. 28 47 Gemeint ist die Deutsch-Freisinnige Partei; sie bildete sich 1884 durch eine Fusion der Fortschrittspartei mit dem linken Flügel der Nationalliberalen (siehe Anm. 109). Sie vertrat die Interessen der liberalen Bourgeoisie und des Kleinbürgertums und bezog in verschiedenen Fragen eine oppositionelle Haltung zur Bismarckregierung, wandte sich aber gleichzeitig gegen die Sozialdemokratie. 28 54 70 72 76 48 Im November 1892 brachte die Regierung im Reichstag eine seit langem geplante Militärvorlage ein, die eine enorme Verstärkung desHeeres, besonders des Offiziers- und Unteroffizierskorps, und damit eine Erhöhung der Militärausgaben vorsah. Die geforderten
Verstärkungen des Heeres waren höher als alle Verstärkungen von 1874 bis 1890 zusammengenommen. Unter dem Druck antimilitaristischer Massenaktionen und infolge von Gegensätzen innerhalb der herrschenden Klasse lehnte der Reichstag im Mai 1893 diese Militärvorlage ab; unmittelbar danach wurde der Reichstag aufgelöst. Der neugewählte Reichstag nahm schließlich im Juli 1893 die nur geringfügig geänderte Militärvorlage mit knapper Mehrheit an. 28 41 54 60 70 72 76 40 Die Liberal-Radikalen waren eine Strömung innerhalb der Liberalen Partei; sie vertraten vor allem die Industriebourgeoisie. Über die Radikalen, die niemals eine organisierte Gruppe bildeten, erlangte die Liberale Partei Einfluß auf die Trade-Unions. 29 60 Pflanzliche Heilmittel, die auch gegen Wurmkrankheiten verwendet werden. 31 51 Engels spielt darauf an, daß die sozialistischen Deputierten seit Beginn der Diskussion über den Panama-Skandal (siehe Anm. 6) an den Debatten in der Kammer kaum teilgenommen hatten. 32 40 52 Bei den Wahlen zur Deputiertenkammer am 20. August und 3. September 1893 erhielten die Sozialisten aller Gruppierungen 700 000 Stimmen und 30 Deputiertenmandate; in der Kammer vereinigten sich mit ihnen etwa 20 Abgeordnete linker bürgerlicher Gruppierungen, hauptsächlich Radikale, die sich „unabhängige Sozialisten" nannten. Insgesamt gehörten somit etwa 50 Deputierte zur sozialistischen Fraktion (siehe auch vorl. Band, S.187). 32 73 88 106 114 118 122 187 271 53 Broussisten (Possibilisten) - opportunistische Strömung innerhalb der französischen Arbeiterbewegung unter der Führung von Paul Brousse, BenoJt Malon u. a„ die sich 1882 von der französischen Arbeiterpartei (Parti ouvrier franpais) abspaltete (siehe Anm. 68) und Federation des Travailleurs socialistes nannte. Die Führer dieser Strömung verkündeten das reformistische Prinzip: Streben nach dem „Möglichen" („possible"). In den neunziger Jahren verloren die Possibilisten in bedeutendem Maße an Einfluß. Auf dem Kongreß von Chatellerault (Oktober 1890) trennte sich der rechte Flügel vom Possibilismus und bildete die Gruppe der Allemanisten (siehe Anm.71). Zur Entwicklung der Possibilisten siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.514/515,521/522 und 530-532.32 118 132 54 „The Daily News" hatte am 11. Februar 1893 einen Artikel ihrer Pariser Korrespondentin Emily Crawford unter der Überschrift „The Sentence on the Panama-Directors. Sympathy for Mr. de Lesseps" veröffentlicht. Am 9. Februar 1893 waren einige der in den Panama-Skandal (siehe Anm. 6) verwickelten Personen zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt worden. Ferdinand-Marie Lesseps und sein Sohn Charles erhielten je 5 Jahre Gefängnis, die Mitangeklagten Fontane, Cottu und Eiffel je 2 Jahre. Lesseps, Fontane und Cottu wurden außerdem zu 3000 fr., Eiffel zu 20 000 fr. Geldstrafe verurteilt. Im Juni 1893 wurden diese Urteile vom Kassationshof annulliert. 32 55 „Le Socialiste" veröffentlichte am 19. Februar 1893 in gekürzter Form die Reichstagsrede August Bebels vom 3. Februar 1893 sowie Auszüge aus der Rede Wilhelm Liebknechts vom 7. Februar 1893. (Siehe Anm.41.) 32 66 Mitte Januar kam es im Reichstag zu einer Debatte über den Notstand, die durch eine Interpellation der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vom 31. Dezember 1892 ausgelöst wurde. Die Verschlechterung der sozialen Lage der Arbeiterklasse - eine Auswirkung der Wirtschaftskrise und der Wirtschaftspolitik der herrschenden Klassen - hatte zu einem Ansteigen der Streikbewegung geführt. In dieser Interpellation wurde die Frage
aufgeworfen, welche Maßnahmen die Regierung zu ergreifen gedenke, um dem durch die Arbeitslosigkeit und die Lohnsenkungen andauernden Notstand abzuhelfen. 33 67 In seinem Brief vom 11. Februar 1893 hatte August Bebel von Engels „eine kleine Lektion" darüber erbeten, welche Haltung die sozialdemokratische Reichstagsfraktion in der Debatte über die Militärvorlage der Regierung (siehe Anm. 48) beziehen solle. Das war unmittelbarer Anlaß für Engels, die Arbeit „Kann Europa abrüsten?" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 369 - 399) zu schreiben. Sie wurde entsprechend Engels* Vorschlag im „Vorwärts" vom 1. bis 5., 7., 9. und 10. März 1893 veröffentlicht. 34 58 Die „ Workman's Times" gab am 18. Februar 1893 in der Rubrik „ International WorkingClass Movement" einen Überblick über die im Reichstag geführten Debatten zur Frage des sozialistischen Zukunftsstaates (siehe auch Anm.41). 34 58 Die englischen Parlamentswahlen im Sommer 1892 endeten mit einem Erfolg der Arbeiter. Die sozialistischen Organisationen stellten eine beträchtliche Anzahl unabhängiger Kandidaten auf und führten die Wahlkampagne mit Erfolg. Drei dieser Kandidaten - Keir Hardie, John Burns und John Havelock Wilson - wurden ins Parlament gewählt. Am 20. Februar 1893 fand im Unterhaus die erste Lesung der Gesetzentwürfe über die Wählerlisten und über Diäten für Parlamentsabgeordnete statt, die vom liberalen Gladstone-Kabinett unter dem Druck der Volksmassen eingebracht worden waren. Sie wurden jedoch vom Oberhaus abgelehnt. 34 41 60 Das Gesetz über die Gemeinderäte (Parish Councils Bill) wurde von der Regierung Gladstone dem Parlament 1893 vorgelegt und am l.März 1894 angenommen. Nach diesem Gesetz wurde das System der örtlichen Selbstverwaltung verändert. Die Kirchspiele waren bis dahin allein von der Kirche verwaltet worden; jetzt wurde die Ausübung der weltlichen Macht der Kirche genommen und einer Gemeindeversammlung übertragen, die von den örtlichen Steuerzahlern gewählt wurde. In größeren Dörfern wählte die Gemeindeversammlung aus ihrer Mitte den Gemeinderat. 35 220 61 Von diesem Brief ist auch das Kuvert mit folgender Adresse in Engels' Handschrift erhalten geblieben. H. J^aHHOJILCOHl,, E. KoHIOIIieHHaH 8 KBp. 7, Monsieur N. F. Danielson, 8 grande rue des Ecuries, Iogis No. 7, Saint-Petersbourg, Russia. 36 02 Siehe die Briefe von Engels an N. F. Danielson vom 29.-31. Oktober 1891, vom 15. März, 18.Juni und 22.September 1892 (Band 38 unserer Ausgabe, S.195-197, 303 -306, 363 -368 und 467-470). 36 63 Um die Herausgabe des zweiten Bandes des „Kapitals" in russischer Sprache zu beschleunigen, hatte Engels 1885 N. F. Danielson die Korrekturbogen der deutschen Ausgabe geschickt. Die russische Ausgabe erschien noch im selben Jahr. 36 64 Engels verweist hier auf Ausführungen von Marx, die in dessen Brief an die Redaktion der Zeitschrift „Otetschestwennyje Sapiski" enthalten sind (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S. 107-112). 37 65 Gemeint ist die von Marx und Engels verfaßte Vorrede zur zweiten russischen Ausgabe des „Manifests der Kommunistischen Partei" (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S.295 und 296); diese Ausgabe erschien in der Übersetzung G. W.PIechanows 1882 in Genf. Der von Engels im nachfolgenden zitierte russische Text weicht geringfügig von dem entsprechenden Text des deutschen Originals ab. 37 66 In seinen Briefen an N. F.Danielson benutzte Engels aus konspirativen Gründen u.a. den Namen Percy White Roshers. 38
67 Am 23.Februar 1893 hatte Paul Lafargue an Engels geschrieben, daß er am 16.Februar in der Deputiertenkammer in der Debatte zum Panama-Skandal gesprochen habe. Seine Rede wurde am 19. Februar 1893 von „Le Socialiste" veröffentlicht. Lafargue berichtete ferner, sein Eingreifen in die Debatte sei von der Kammer und der Presse als unzeitgemäß beurteilt worden und alle bürgerlichen Zeitungen hätten seine Rede ignoriert. 39 68 Die französische Arbeiterpartei (Parti ouvrierfrangais) wurde auf dem Marseiller Arbeiterkongreß 1879 von den Anhängern der marxistischen (kollektivistischen) Richtung gegründet. Das Programm wurde im Mai 1880 von Jules Guesde und Paul Lafargue unter maßgeblicher Mitwirkung von Marx und Engels ausgearbeitet; der theoretische Teil, die Einleitung zum Programm (siehe Band 19 unserer Ausgabe, S.238), wurde von Marx formuliert. 1880 wurde dieses Programm auf dem Kongreß von Le Havre angenommen und die französische Arbeiterpartei in aller Form konstituiert. Seit ihrer Gründung fanden in ihren Reihen harte ideologische Auseinandersetzungen statt, die 1882 zur Spaltung der Partei in Marxisten (Guesdisten) und Possibilisten (siehe Anm. 53) führten. Besonders unter dem Proletariat der Industriezentren Frankreichs hatten die Guesdisten großen, in Paris hingegen relativ geringen Einfluß. Die Partei errang in den achtziger und neunziger Jahren beträchtliche Erfolge bei der Verbreitung des Marxismus in Frankreich. Eine große Rolle spielte hierbei das Organ der Partei, die Zeitung „Le Socialiste". Die Guesdisten besaßen maßgeblichen Einfluß in der Gewerkschaftsbewegung und standen an der Spitze vieler Streikkämpfe des Proletariats. Eine rege agitatorische Tätigkeit entfaltete die Partei auch bei der Vorbereitung von Wahlen. Lafargues Wahl in die Deputiertenkammer 1891 war ein großer Erfolg der französischen Sozialisten. Die Partei hatte großen Anteil an der Festigung der internationalen Beziehungen der Sozialisten. 39 87 89 69 Paul Lafargue hatte Engels am 23. Februar 1893 darüber informiert, daß zwischen der französischen Arbeiterpartei und den Radikalsozialisten unter Führung von fitienneAlexandre Millerand und Jean Jaures eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei den für August/September 1893 angesetzten Wahlen zur Deputiertenkammer getroffen worden sei und daß am 5. März mit der Versammlungstournee in den wichtigsten Städten begonnen werde. 39 87 119 133 70 Bei den Gemeinderatswahlen in Frankreich vom 1. bis 8. Mai 1892 errangen die französischen Sozialisten einen bedeutenden Erfdlg. Sie erhielten mehr als 100 000 Stimmen; etwa 635 Sozialisten wurden in die Kommunalvertretungen gewählt. In 26 Städten erhielten sie die Mehrheit im Gemeinderat, in einigen dieser Städte, so in Roubaix, Marseille, Narbonne und Toulon, sicherten sie sich die Leitung des Gemeinderats. 40 71 Allemanisten — Anhänger des kleinbürgerlichen Sozialisten Jean Allemane. Die Organisation der Allemanisten, die sich nach der Spaltung der Possibilisten (siehe Anm. 53) auf dem Kongreß in Chätellerault (9. bis 15. Oktober 1890) gebildet hatte, nannte sich Parti Ouvrier Socialiste Revolutionnaire (POSR). Wenn sie insgesamt gesehen auch den ideologischen und taktischen Positionen der Possibilisten verhaftet blieben, forcierten die Allemanisten doch im Unterschild zu den Possibilisten die propagandistische Tätigkeit in den Gewerkschaften (Syndikaten), in denen sie die Hauptform der Organisation der Arbeiter sahen. Als wesentliches Kampfmittel propagierten die Allemanisten den Generalstreik. Ähnlich wie die Possibilisten waren sie Gegner einer einheitlichen, zentralisierten Partei. Sie vertraten das Prinzip der Autonomie und maßen der Eroberung von Sitzen in den Gemeinderäten große Bedeutung bei. 40 73 93 116 132 356 414 72 Blanquisten — Anhänger des französischen Revolutionärs Louis-Auguste Blanqui. Nach
1860 entstand um Blanqui eine selbständige Bewegung, die in der Pariser Kommune eine bedeutende Rolle spielte. Blanqui war „zweifellos ein Revolutionär und feuriger Anhänger des Sozialismus" (Lenin). Blanqui und seine Bewegung erwarteten jedoch die Erlösung der Menschheit aus der Lohnsklaverei nicht vom Klassenkampf des Proletariats, sondern von der Verschwörung einer kleinen revolutionären Minderheit. Trotzdem gehörte der Blanquismus zu den bedeutendsten Strömungen in der revolutionären französischen Arbeiterbewegung. Im Juli 1881 gründeten Marie-fLdouard Vaillant - in den achtziger und neunziger Jahren einer der führenden Vertreter des Blanquismus - und andere die Organisation der Blanquisten, das Comit£ r£volutionnaire central, das sich ab 1898 Parti socialiste rÄvolutionnaire nannte. (Näheres über die Blanquisten siehe Band 18 unserer
Ausgabe, S.528-535.) 40 73 89 93 116 118 132 143 73 Am 26. März 1893 fand in Brüssel im „Maison du Peuple" auf Initiative des Züricher Organisationskomitees (siehe Anm.81) eine Vorkonferenz statt, die sich mit der Vorbereitung des dritten Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses in Zürich (siehe Anm. 120) befaßte. Anwesend waren sozialistische Vertreter aus 6 Ländern, darunter August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Eleanor Marx-Aveling. Entsprechend dem auf der Vorkonferenz gefaßten Beschluß sollten zum Kongreß nur Vertreter von Organisationen zugelassen werden, die die „Notwendigkeit der Arbeiterorganisation und der politischen Aktion anerkennen". Diese Bedingung sollte die Anarchisten von der Teilnahme am Kongreß ausschließen. Der Beginn des Züricher Kongresses wurde für den 6. August 1893 festgesetzt. 41 42 47 52 56 72 71 Mit den vorliegenden Zeilen wollte Engels eine Anfrage der Londoner Firma Thomas Cook & Son vom 3. März 1893 beantworten, die ihn um Referenzen über Dr. Ludwig Freyberger gebeten hatte. 43 75 Etwa vom 1. bis 17. März 1893 weilte Engels in Eastbourne zur Erholung. 43 - 45 47 50 52 57 76 Diese Zeilen schrieb Engels auf eine Postkarte. Sie ist mit folgender Adresse in Engels' Handschrift versehen: W.Liebknecht Esq., 160, Kantstraße, Charlottenburg-Berlin, Germany. 44 77 Diese Zeilen schrieb Engels auf eine Postkarte, Sie ist mit folgender Adresse in Engels' Handschrift versehen: Sigr. aw. Filippo Turati, Portici Galleria V. E. 23, Milano, Italy. 45 78 Am 7. März 1893 hatte Filippo Turati die Korrekturbogen der italienischen Übersetzung des „Manifests der Kommunistischen Partei" (vgl. Anm. 1) an Engels geschickt und ihn um schnelle Rückgabe gebeten. Außerdem fragte Turati an, ob „das Programm der Internationalen Arbeiterassoziation" wie in der russischen Ausgabe des „Manifests" von 1882 als Beilage aufgenommen werden sollte. Von den im Text erwähnten zwei Broschüren konnte nur eine ermittelt werden: Pasquale Di Fratta, „La socializzazione della terra", Milfcno 1893. 45 79 Von diesem Brief ist noch ein Entwurf erhalten geblieben sowie eine ebenfalls von Engels angefertigte Abschrift, die er seinem Brief an Friedrich Adolph Sorge vom 18. März 1893 (siehe vorl. Band, S.52) beifügte. Abweichungen des Briefes von der Abschrift werden in Fußnoten ausgewiesen. Alle drei Dokumente sind mit London datiert, obwohl Engels sich zu dieser Zeit in Eastbourne aufhielt (siehe Anm. 75). Das Kuvert ist mit folgender Adresse in Engels' Handschrift versehen: Mr. F. Wiesen, Baird, Texas, U. S. America. 46
80 Die Bloomsbtiry Socialist Society konstituierte sich im August 1888 als selbständige Organisation, nachdem sie sich von der Socialist League (siehe Anm.35) getrennt hatte, in der anarchistische Elemente die Oberhand gewonnen hatten. Unter Führung von Eleanor Marx-Aveling und Edward Aveling betrieb die Society eine rege Agitations- und Propagandaarbeit unter den Arbeitern des Londoner East End. 47 81 Der zweite Internationale Sozialistische Arbeiterkongreß in Brüssel 1891 (siehe Anm. 132) hatte die Schweizer Sozialdemokraten mit der Einberufung des nächsten Kongresses beauftragt. Diese bildeten im Januar 1892 zur Vorbereitung des Kongresses in Zürich ein Organisationskomitee, dessen Sekretär Robert Seidel war. 47 82 August Bebel weilte etwa vom 28. März bis zum 4. April 1893 bei Engels in London. 47 50 52 60 83 Jean Jaur&s, „De primis socialismi germanici Iineamentis apud Lutherum, Kant, Fichte et Hegel", Tolosae MDCCCXCI. 48 81 Engels schrieb diesen Entwurf seiner Antwort auf den unteren Rand des maschinengeschriebenen Briefes, den Henry Demarest Lloyd am 9. März 1893 an ihn gerichtet hatte. 51 85 Der amerikanische Publizist Henry Demarest Lloyd hatte Engels in einem Brief vom 3. Februar 1893 eingeladen, an den Arbeiterkongressen teilzunehmen, die während der Weltausstellung in Chicago im August/September 1893 stattfinden sollten. Er hatte Engels gebeten, über die Arbeiterbewegung in England zu sprechen und stellte ihm frei, auch andere Fragen der Arbeiterbewegung zu behandeln. 51 86 Hinweis auf die Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern des Bimetallismus und denen der reinen Goldwährung in den USA. Durch den sog. Sherman-Act vom 14. Juli 1890 hatte die Regierung den monatlichen Aufkauf von 4,5 Millionen Unzen Silber gegen Papiergeld verfügt, um den Silberkurs im Verhältnis zum Gold von 16:1 künstlich aufrechtzuerhalten. Der Marktkurs des Silbers fiel trotzdem ständig. Wegen der beginnenden Krise berief der Präsident der USA, Stephen Grover Cleveland, Anfang August 1893 eine Sondersitzung des Kongresses ein und schlug die Aufhebung des Gesetzes über den Silberaufkauf vor. Ein entsprechender Beschluß wurde vom Repräsentantenhaus noch Ende August und vom Senat nach langwierigen Debatten Ende Oktober 1893 gefaßt. 52 172 175 87 Engels beantwortet einen Brief Karl Kautskys vom 16.Februar 1893, in dem dieser u.a. mitteilte, daß ihm Friedrich Leßner geschrieben habe, er arbeite an einem Artikel über Marx für die „Neue Zeit". Außerdem habe Leßner erwähnt, daß er sein Exemplar der „Neuen Rheinischen Zeitung. Politisch-ökonomische Revue an J.H. W.Dietz übermittelt habe, damit dieser den Band neu auflege. Kautsky meinte dazu: „Die Idee gefällt mir ganz gut. Die .Revue' ist ja völlig aus dem Buchhandel verschwunden und es sind wichtige Arbeiten darin." 55 88 Hinweis auf einen Teil des Manuskripts zum vierten Band des „Kapitals", der die „Theorien über den Mehrwert" enthält. Diesen Teil gab Engels 1889/90 Karl Kautsky zur Entzifferung (vgl. Band 37 unserer Ausgabe, S. 143 -145 und 522/523). Engels konnte seine Absicht, die „Theorien über den Mehrwert" als vierten Band des „Kapitals" herauszugeben, nicht mehr verwirklichen. Die „Theorien über den Mehrwert" wurden zum erstenmal in den Jahren 1905 bis 1910 von Kautsky veröffentlicht. Diese Ausgabe enthält jedoch eine ganze Reihe willkürlicher Abweichungen vom Marxschen Manu
skript, eine falsche Anordnung des Materials sowie häufige Auslassungen wichtiger Abschnitte. Eine Neuausgabe der „Theorien über den Mehrwert" in deutscher Sprache wurde vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED besorgt und erschien von 1956 bis 1962. Im Rahmen unserer Ausgabe erscheinen die „Theorien über den Mehrwert" als Band 26 (1 -3. Teil). 56 347 356 450 462 89 August Radimsky hatte Engels am I8.März 1893 mitgeteilt, daß die Herausgeber der in Wien erscheinenden tschechischen Parteizeitung „Delnicke Listy" das „Manifest der Kommunistischen Partei" als Broschüre in tschechischer Sprache herausgeben wollten. Damit die Broschüre nicht beschlagnahmt werde, erschien sie als Vorabdruck in Fortsetzungen in der genannten Zeitung. Radimsky sandte Engels die entsprechenden Nummern der Zeitung und fragte an, ob er auch die folgenden wünsche. 59 90 Vom I.August bis 29.September 1893 unternahm Engels eine Reise nach Deutschland, in die Schweiz und nach Österreich-Ungarn. Er besuchte Köln, fuhr dann zusammen mit August Bebel über Mainz und Straßburg nach Zürich, hielt sich einige Tage bei seinem Bruder Hermann im Kanton Graubünden auf und kehrte am 12. August nach Zürich zurück. In Zürich nahm Engels an der letzten Sitzung des dritten Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses (siehe Anm. 120) teil; er hielt dort eine kurze Rede in englischer, französischer und deutscher Sprache (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.408/409). Dann verbrachte er zwei Wochen in der Schweiz und reiste über München und Salzburg nach Wien, wo er am 14. September 1893 auf einer sozialdemokratischen Versammlung auftrat (siehe Anm. 164). Von Wien aus fuhr Engels über Prag und Karlsbad nach Berlin. Dort blieb er vom 16. bis 28.September; am 22.September hielt er auf einer ihm zu Ehren veranstalteten Versammlung in den Concordia-Festsälen eine Rede (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.412/413). Uber Rotterdam kehrte Engels dann nach London zurück. 60 78 95 106 110-112 114 118 120 124 126 129-131 134 148 153 162 170 175 184 228 266 278 460 91 Die Bankfeiertage (bank holidays) wurden 1871 in England gesetzlich eingeführt. Am Oster- und am Pfingstmontag, am ersten Montag im August sowie am 26. Dezember sind alle Banken geschlossen. 61 92 Engels schrieb diesen Entwurf seiner Antwort auf eine freie Seite des Briefes, den M. R. Cotar am 21. März 1893 an ihn gerichtet hatte. Cotar bat darin um die Zustimmung zu einer französischen Übersetzung des zweiten Bandes des „Kapitals", damit dieses Werk den französischen Lesern in seinem ganzen Umfang bekannt werde. Er betonte, daß Engels' Hilfe für diese schwierige Aufgabe unentbehrlich sei. 62 93 Von diesem Brief ist auch das Kuvert mit folgender Adresse in Engels' Handschrift erhalten geblieben: G.W.Lamplugh Esq., Ballafurt, Port Erin, Isle of Man. 63 94 Die Handschrift dieses Briefes steht unserem Institut nicht zur Verfügung. Wir bringen den Text nach einer Abschrift von Franz Mehring. Auf dem unteren Rand des Manuskripts findet sich folgende, offensichtlich nicht mit dem Brief im Zusammenhang stehende Notiz Mehrings: „Lassalles Leiden, Berlin 1887. Ich habe die Inventur eines Lebens gemacht. Es war groß, brav, wacker, tapfer und glänzend genug. Eine künftige Zeit wird mir gerecht zu werden wissen." 64 95 Einen Teil des Briefes von Engels an Franz Mehring vom 28. September 1892 (siehe Band 38 unserer Ausgabe, S.480) veröffentlichte Mehring in seinem Aufsatz „Über den historischen Materialismus" als Anhang zur ersten Buchausgabe seiner „Lessing-Legende"
von 1893 (in die späteren Ausgaben wurde dieser Anbang nicht wieder aufgenommen). 64 96 Franz Mehring gab dieses Zitat aus Engels' Brief vom 28. September 1892 (siehe Band 38 unserer Ausgabe) wie folgt wieder: „und die Lavergne-Peguilhensche Generalisation wieder auf ihren wahren Gehalt reduziert: daß feudale Gesellschaft eine feudale Staats» Ordnung erzeugt". 64 97 Am 14. April 1893 schrieb Paul Lafargue an Engels, daß Jules Guesde ihn bitte, etwas zum I.Mai zu schreiben. Engels verfaßte daraufhin die Grußadresse „Trotz alledeml" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.404) an die französischen Arbeiter, die „Le Socialiste" am 23.April 1893 veröffentlichte. In der gleichen Nummer erschienen Grußadressen von August Bebel, Filippo Turati, Pablo Iglesias, G. W.Plechanow u.a. 65 98 Engels spielt auf die für August/September 1893 angesetzten Wahlen zur französischen Deputiertenkammer an (siehe Anm.52), die ihren Sitz im Palais Bourbon am Quai d'Orsay in Paris hatte. 65 118 99 Es handelt sich offensichtlich um einige Stellen in der von Henri Rav£ ins Französische übersetzten Arbeit von Engels „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (siehe Band21 unserer Ausgabe, S.25 -173). Laura Lafargue hatte die Ubersetzung redigiert; sie wurde von Engels durchgesehen. Die Ausgabe erschien 1893 in Paris unter dem Titel „L'origine de la famille de la proprio privöe et de l'6tat". 67 85 199 100 Die Pariser Wochenschrift ,,L' Illustration" hatte am 30. April 1892 auf zwei Seiten Porträts von Persönlichkeiten der internationalen sozialistischen Bewegung veröffentlicht, darunter auch ein Bild von Engels. 67 101 Die Legal Eight Horns and International Labour League wurde im Juli 1890 von einer Gruppe englischer Sozialisten unter Mitwirkung von Engels geschaffen. Den Ausgangspunkt für die Liga bildete ein Komitee, das 1890 die erste englische Maidemonstration organisiert hatte (vgl. Band 22 unserer Ausgabe, S.60-65). Die Liga stellte sich den Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse, die Verwirklichung der Beschlüsse des Pariser Kongresses der II. Internationale zum Ziel. Vertreter der Liga nahmen 1893 an der Gründung der Independent Labour Party (siehe Anm. 9) teil. 67 72 283 102 Council of all London Trades' Unions (London Trades Council) - der Londoner Gewerkschaftsrat wurde im Mai 1860 auf einer Konferenz von Delegierten der Londoner TradeUnions gegründet. Der Londoner Rat, unter dessen Führung sich mehrere zehntausend Gewerkschafter der Hauptstadt vereinigten, übte auf die Arbeiterklasse ganz Englands großen Einfluß aus. Mit der Bildung des Trades Union Congress Ende der sechziger Jahre hörte der Londoner Gewerkschaftsrat, an dessen Spitze reformistische Führer standen, auf, die Rolle eines Zentrums der englischen Gewerkschaftsbewegung zu spielen, obgleich er nach wie vor eine einflußreiche Position einnahm. Anfang der neunziger Jahre verhielt sich der Londoner Gewerkschaftsrat, der vorwiegend die alten TradeUnions in seinen Reihen vereinigte, ablehnend gegenüber der Bildung der neuen TradeUnions (siehe Anm.324) und der Bewegung für den Achtstundentag. Unter dem Druck der Massenbewegung war er jedoch gezwungen, an den Maidemonstrationen der neunziger Jahre teilzunehmen. 67 72 290 293 103 Der Streik der Hafenarbeiter in HuLl begann Anfang April 1893 und dauerte bis zum 19. Mai. Anlaß waren Bestrebungen der Schiffseigner, bei Einstellung von Arbeitern den gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitern den Vorzug zu geben. Mit Hilfe von
36 Marx/Engel», Werke, Bd. 39
Truppen wurden einige tausend Streikbrecher aus anderen Städten Englands herbeigeholt; in den Hafen liefen Kanonenboote ein. Während des ganzen Streiks glich HuII einem bewaffneten Heerlager. Obgleich der Streik von den Bergarbeitern, den Eisenbahnern und anderen Trade-Unions unterstützt wurde, verlief er ergebnislos. Die Unternehmer machten nur unbedeutende Zugeständnisse und die Hafenarbeitergewerkschaft erlitt einen Rückschlag. 67 104 Es handelt sich um die Herausgabe des literarischen Nachlasses von Carl Schorlemmer. Ludwig Siebold und Philipp Klepsch waren als Nachlaßverwalter des am 27. Juni 1892 verstorbenen Gelehrten eingesetzt. 69 111 184 265 105 Ludwig Schorlemmer hatte Engels am 22. März 1893 geschrieben, daß Dr. Adolph Spiegel, Direktor einer Paraffin- und Ölfabrik, eine Biographie Carl Schorlemmers schreiben wolle. Diese erschien in den „Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft", Jg.25, Band III, 1892. 69 106 Pablo Iglesias hatte Engels Anfang April 1893 brieflich über den Stand der Arbeiterbewegung in Spanien informiert und ihn als „bedeutendsten Vertreter des revolutionären Sozialismus" gebeten, einen Artikel zum 1. Mai für die Sondernummer der Zeitung „El Socialista" zu schreiben. Er ersuchte Engels ferner, auch Eleanor Marx-Aveling und einige andere namhafte Sozialisten zur Unterstützung der Mai-Nummer seiner Zeitung zu gewinnen. Engels schrieb die Grußadresse „Den spanischen Arbeitern zum I.Mai 1893" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.405/406), die am I.Mai 1893 in „El Socialista" zusammen mit einer Grußadresse August Bebels veröffentlicht wurde. 66 107 Am 28. April 1893 hatte Friedrich Adolph Sorge bei Engels angefragt, ob Abraham Lincoln auf die Glückwunschadresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation anläßlich der Wiederwahl Lincolns im November 1864 geantwortet habe. Die Adresse „An Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika" (siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 18-20) war Ende November 1864 von Marx verfaßt und Lincoln über den amerikanischen Botschafter in London, Charles Francis Adams, zugestellt worden. Am 28. Januar 1865 erfolgte im Namen Lincolns eine Antwort, die auf der Sitzung des Generalrats vom 31. Januar verlesen und in der „Times" vom 6. Februar unter der Überschrift „Mr. Lincoln and the International Working Men's Association" veröffentlicht wurde. Lincoln begrüßte darin die tiefe Sympathie der Arbeiter Europas für seine Politik. 71 108 Die Konservative Partei war die Partei der preußischen Junker, der Militärkamarilla, der Spitzen der Bürokratie und des lutherischen Klerus. Ihre Politik war vom Geist des Chauvinismus und Militarismus durchdrungen. Bereits 1866 trennte sich von den Konservativen die sog. Freikonservative Partei (auch Reichspartei genannt) ab, die die Interessen der Großagrarier und eines Teils der Industriemagnaten vertrat. Sie unterstützte vorbehaltlos Bismarcks Politik. Anfang der neunziger Jahre setzte sich in der Partei immer stärker der extrem-junkerliche Flügel gegenüber den gemäßigten konservativen Kräften durch. 72 128 109 Die Nationalliberale Partei wurde im Herbst 1866 nach der Spaltung der bürgerlichen Fortschrittspartei gebildet. Sie vertrat die Interessen der deutschen, in erster Linie jedoch der preußischen Bourgeoisie. Ihre Politik widerspiegelte die Kapitulation der deutschen liberalen Bourgeoisie vor Bismarck. Nach der Vereinigung Deutschlands bildete sich die Nationalliberale Partei endgültig als Partei der Großbourgeoisie, vor allem der Industriemagnaten, heraus. In der Innenpolitik wurden die Nationalliberalen immer unterwürfiger,
wobei sie faktisch ihre früheren liberalen Forderungen verrieten. Zwar kam es in den neunziger Jahren mitunter zu Spannungen zwischen den Nationalliberalen und den konservativ-klerikalen Kräften sowie mit der Regierung, doch hielten die Nationalliberalen insgesamt an dem Klassenkompromiß zwischen Junkertum und Bourgeoisie und an ihrer Unterordnung unter die Regierungspolitik fest. 72 128 110 Bei den Reichstagswahlen im Juni 1893 errang die Sozialdemokratie einen großen Erfolg. Sie erhielt 1 786 738 Stimmen, d.h. rund 22 Prozent, und stellte 44 Abgeordnete, darunter Wilhelm Liebknecht, August Bebel, Paul Singer. Von 6 Berliner Abgeordneten waren 5 Sozialdemokraten. Engels schätzte die Ergebnisse dieser Wahlen in einem Interview mit dem Korrespondenten des „Daily Chronicle" ein (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 544-548). 72 76 85 88 111 Für die Maidemonstration, die in London am 7. Mai 1893 stattfand, errichtete die Legal Eight Hours and International Labour League (siehe Anm. 101) im Hydepark zwölf Tribünen, darunter eine internationale, von der Sozialisten der verschiedenen Länder sprachen, so Alfred Delcluze, Louise Kautsky, Friedrich Leßner, Eleanor Marx-Aveling, S. M. Krawtschinski (Stepniak) und andere. 73 112 Liberal-Urnonisten - der von Joseph Chamberlain geführte extrem imperialistische Flügel der Liberalen. Er spaltete sich 1886 beim Kampf um die von Gladstone eingebrachte Home Rule Bill, die ein gewisses Maß von Selbstverwaltung für Irland vorsah, von den Liberalen ab. Diese Gruppe stimmte gegen die Vorlage und zwang die Regierung Gladstone zum Rücktritt. Die Liberal-Unionisten verschmolzen bald mit den Konservativen. 73 220 308 384 113 G.A.Lopatin war zu dieser Zeit in der Schlüsselburger Festung be* Petersburg eingekerkert. 74 114 Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem Brief G.A.Lopatins an das Mitglied des Exekutivkomitees der Narodnaja Wolja, M. N. Oschanina (siehe Band 21 unserer Ausgabe, S.487-489). Lopatin schildert darin sein Zusammentreffen mit Engels am ^.September 1883, einige Monate nach seiner Flucht aus der Verbannung in Wologda. Die Erstveröffentlichung dieses Ausschnitts erfolgte auf Initiative von P. L.Lawrow und mit Engels* Einwilligung in dem Buch „Osnowy teoretitscheskowo sozialisma i ich priIoshenije k Rossii", Genf 1893. 74 115 I.A.Gurwitsch (Hourwich) hatte, wie aus seinem Brief vom 26.März 1893 an Engels hervorgeht, diesem ein Exemplar seiner Arbeit „The economics of the Russian village" zugeschickt. Außerdem übersandte er Engels einige Artikel über Fragen der russischen revolutionären Bewegung und bat ihn um seine Meinung dazu. Er hatte die Absicht, diese Artikel mit Engels' Zustimmung in „The Progress" zu veröffentlichen. 75 116 Karl Kautsky teilte Engels am 19. Mai 1893 brieflich mit, daß Luj'o Brentano in der „Zeitschrift für Social- und Wirtschaftsgeschichte" unter der Uberschrift „Die Volkswirtschaft und ihre konkreten Grundbedingungen" einen Artikel veröffentlicht hatte, der gegen Engels' Arbeit „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (siehe Band 21 unserer Ausgabe) gerichtet war. Auf Engels' Bitte teilte Kautsky am 8. Juni 1893 ergänzend mit, daß sich Brentanos Artikel im ersten Heft des I.Bandes der erwähnten Zeitschrift befinde und dieses auch separat zu haben sei. 76 117 Lujo Brentano hatte 1872 mit zwei anonym in der Zeitschrift „Concordia" erschienenen Artikeln versucht, Marx zu diskreditieren und ihn der wissenschaftlichen Unzuverlässig
keit und Zitatenfälschung zu bezichtigen. Auf beide Artikel hat Marx im „Volksstaat" geantwortet (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S. 89-92 und 108-115). Nach dem Tode von Marx setzte Brentano seine Verleumdungen fort. Auf Brentanos Broschüre „Meine Polemik mit Karl Marx" antwortete Engels mit seiner Arbeit „ In Sachen Brentano contra Marx wegen angeblicher Zitatsfälschung" (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S.93-185). Gegen die Auffassungen des Proudhonisten Arthur Mülberger hatte Engels in seiner Arbeit „Zur Wohnungsfrage" (siehe Band 18 unserer Ausgabe, S.209-287) polemisiert. 76 Gemeint ist Edward Westermarcks Arbeit „The history of human marriage", London 1891.76 119 Es handelt sich um Ernest Beifort Bax' Beiträge „Der Fluch der Zivilisation" und „Menschenthum und Klasseninstinkt", Beide Artikel wurden von Victor Adler übersetzt und erschienen in der „Neuen Zeit", 11. Jg. 1892/93.2.Bd., Nr.45 und 47. 77 120 Der dritte Internationale Sozialistische Arbeiterkongreß fand vom 6. bis 12. August 1893 in Zürich statt. An ihm nahmen über 400 Delegierte aus 20 Ländern teil. Bei der Vorbereitung und während des Kongresses führten die Marxisten einen harten Kampf gegen die Anarchisten. Die Kongreßmehrheit bestätigte den Beschluß der Vorkonferenz (siehe Anm. 73), nur solche Organisationen zum Kongreß zuzulassen, die „die Notwendigkeit der Arbeiterorganisationen und der politischen Aktion anerkennen". Damit wurden die Versuche der Anarchisten, auf dem Kongreß Fuß zu fassen, vereitelt. Die zur politischen Taktik der Sozialdemokratie angenommene Resolution empfahl den Arbeiterorganisationen, die parlamentarischen Einrichtungen für den Kampf um die politische Macht auszunutzen. Die Resolution bezeichnete Kompromisse mit bürgerlichen Parteien unter Preisgabe der Prinzipien oder der politischen Selbständigkeit der Arbeiterorganisationen als unzulässig und stellte fest, daß der Kampf um Reformen den Endzielen der Arbeiterbewegung untergeordnet werden muß. Einen großen Raum nahm auf dem Kongreß die Frage des Verhaltens der Arbeiterklasse zum Militarismus ein. Die vom Kongreß angenommene Resolution stützte sich auf den Beschluß des Brüsseler Kongresses (siehe Anm. 132) zu dieser Frage und forderte darüber hinaus von den sozialistischen Abgeordneten, alle Militär- und Kriegskredite abzulehnen sowie für die Abrüstung und für die Abschaffung der stehenden Heere einzutreten. Der Kongreß bestätigte die Brüsseler Resolution zur Maifeier, forderte darüber hinaus jedoch, den 1. Mai zu einem Kampftag für den Weltfrieden zu gestalten. In weiteren Resolutionen verwies der Kongreß auf die Notwendigkeit, für das allgemeine Wahlrecht, den achtstündigen Arbeitstag sowie den Schutz der Arbeiterinnen einzutreten und die Landarbeiter zu organisieren. Höhepunkt des Kongresses war die Schlußansprache von Engels (siehe Band 22 unserer Ausgabe, S. 408/409), der am letzten Beratungstag in Zürich eintraf. Der Züricher Kongreß und seine Resolutionen waren ein weiterer Schritt auf dem Wege des Zusammenschlusses der internationalen Arbeiterbewegung im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und die drohende Kriegsgefahr. 78 89 112 114 200 289 293 404 121 Den vorliegenden Entwurf schrieb Engels auf einen Brief, den Hermann Bahr ihm am 31. Mai 1893 geschickt hatte. Bahr hatte mitgeteilt, daß er für die Wiener „Deutsche Zeitung" eine internationale Umfrage über den Antisemitismus und die Judenfrage in Europa mache und bereits eine Reihe von Persönlichkeiten in Deutschland, Frankreich und Spanien interviewt habe. Er bat Engels, ihn zu empfangen und ebenfalls seine Ansicht über diese Frage darzulegen. 79
122 Engels meint hier die Vertreter der Christlich-sozialen Partei, die 1878 von dem Hofprediger Adolf Stoecker unter dem Namen Christlich-soziale Arbeiterpartei gegründet worden war. Sie sollte dem zunehmenden Einfluß der Sozialdemokratie unter den Arbeitern entgegenwirken. In den achtziger und neunziger Jahren entwickelte sich diese Partei zur einflußreichsten Organisation des Antisemitismus. Unter dieser Losung entfalteten die Vertreter dieser Strömung eine demagogische Agitation gegen das Finanzkapital, was ihnen gewisse Erfolge unter den rückständigen Schichten der Bauern und Handwerker in einigen Teilen Deutschlands einbrachte. 79 86 103 123 Filippo Turati hatte Engels am 1. Juni 1893 davon unterrichtet, daß der italienische Anarchist Giovanni Domanico „Das Kapital" von Marx zu einem sehr günstigen Preis in italienischer Sprache herauszugeben beabsichtige. Am 2. Juni 1893 wandte sich Domanico in der gleichen Angelegenheit selbst an Engels und gab der Überzeugung Ausdruck, daß Engels seine Initiative billigen werde; er bat um Engels' Korrekturen, Bemerkungen, Ergänzungen sowie um einen erklärenden Brief. 80 82 94 124 Etwa Mitte Mai 1841 hatte Engels zusammen mit seinem Vater eine Reise nach Süddeutschland, der Schweiz und Norditalien (Lombardei) unternommen. 80 95 125 Filippo Turati hatte Engels am 1 .Juni 1893 um seine Meinung zu Gabriel Devilles Auszug „Le Capital de Karl Marx. R£sum£ et accompagnä d'un aperfu sur le socialisme scientifique" gebeten und u.a. mitgeteilt, daß der italienische Sozialist Ettore Guindani diesen in italienischer Sprache herausbringen wolle. Die Arbeit erschien 1893 in Cremona. 80 128 Von diesem Brief ist auch das Kuvert mit folgender Adresse in Engels' Handschrift erhalten geblieben: Monsieur Stojan Nokoff, Chemin de la Roseraie 8, Geneue, Switzerland. 83 127 Am 6. Mai 1893 war es nach der Abstimmung über die von der Regierung eingebrachte Militärvorlage (siehe Anm. 48) zur Spaltung der Deutsch-Freisinnigen Partei (siehe Anm.47) in die Freisinnige Vereinigung mit Ludwig Bamberger und die Freisinnige Volkspartei mit Eugen Richter gekommen. Während erstere die Militärvorlage unterstützte, stimmten Richter und seine Anhänger dagegen. 86 128 280 128 Im Frühjahr 1893 hatten in Frankreich die monarchistischen Kreise mit Unterstützung der Anarchisten eine Verleumdungskampagne gegen die Sozialisten eröffnet. Sie erklärten, die Prinzipien des proletarischen Internationalismus, von denen sich die Sozialisten leiten ließen, als antipatriotisch und die Sozialisten als Vaterlandslose. Jules Guesde und Paul Lafargue führten deshalb zur Aufklärung der Arbeitermassen in mehreren Städten Nordfrankreichs zahlreiche Versammlungen durch und wandten sich mit dem Aufruf „Le Conseil national du Parti ouvrier aux travailleurs de France" an die Arbeiter. „Le Socialiste" veröffentlichte diesen vom Nationalrat der französischen Arbeiterpartei unterzeichneten Aufruf am 17. Juni 1893. 87 88 129 Das Interview Jules Guesdes diente der Erläuterung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus der sozialistischen und Arbeiterbewegung. Es wurde in „Le Figaro" vom 17. Juni 1893 unter dem Titel „Les socialistes et la patrie" veröffentlicht und erschien am gleichen Tag auch in „Le Socialiste". 87 130 Die reaktionären französischen PolitikerPaul D6roulede und Luden Millevoye entfachten im Juni 1893 eine Kampagne gegen George-Benjamin Clemenceau, den Führer der Radikalen (siehe Anm. 21). Sie beschuldigten ihn, mit einem der am Panama-Skandal

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